Die Zukunft der Weltwirtschaft
Lester Thurow ist einer der wichtigsten Experten und Vordenker in Wirtschaftsfragen weltweit. Er ist Autor der Bestseller Die Zukunft des Kapitalismus und (mit Robert Heilbroner) Wirtschaft. Das sollte man wissen. Thurow ist Träger zahlreicher Auszeichnungen. Er lehrt als Professor für Wirtschaftswissenschaften am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge.
Lester Thurow
Die Zukunft der Weltwirtschaft Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter
Campus Verlag Frankfurt/New York
Das Original erschien unter dem Titel »Fortune Favors the Bold«. Die Grundlage der Übersetzung bildete eine vom Autor leicht modifizierte Version dieses Originals. Copyright © 2003 by Lester C. Thurow. All rights reserved.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37401-3
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2004. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: mancini-design, Frankfurt am Main Satz: Fotosatz L. Huhn, Maintal-Bischofsheim Druck und Bindung: Freiburger Graphische Betriebe, Freiburg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany
CLIMB HIGH CLIMB FAR YOUR GOAL THE SKY YOUR AIM THE STAR (Steig hoch, in die Ferne – Dein Ziel der Himmel, Dein Zweck die Sterne.) St. Williams College, Inschrift am Mark and Albert Hopkins Memorial
Unsere Zukunft ist nicht in den Sternen zu finden, sondern im Verständnis des Pfades, den wir beschritten haben.
Inhalt
1 Die Zukunft der Weltwirtschaft – globale Optionen . . . . . 2 Drei gleichzeitige Revolutionen
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3 Instabilität und Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 Die Stimmen der Globalisierungsgegner . . . . . . . . . . .
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5 Gesucht: Chief Knowledge Officer . . . . . . . . . . . . . . 123 6 Wirkliche Gefahren
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
7 Erfolg und Misserfolg in der Dritten Welt 8 Die Dynamik der Ersten Welt 9 Die Globalisierung umgestalten
. . . . . . . . . . 198
. . . . . . . . . . . . . . . . 253 . . . . . . . . . . . . . . . 299
10 Den Sprung wagen – Struktur und Merkmale des Erfolgs
. . 322
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Register
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
1 Die Zukunft der Weltwirtschaft – globale Optionen
Die Zukunft der Weltwirtschaft hat viel mit dem Turm zu Babel gemeinsam. Der Bau einer globalen Wirtschaft hat begonnen. Manche sind dafür, andere sind dagegen, doch keine der beiden Gruppen weiß genau, »wofür« oder »wogegen« sie ist. Dieser wirtschaftliche Turm zu Babel wird ohne Baupläne errichtet. Die Architekturzeichnungen sind noch nicht einmal im Entwurfsstadium. Die Regierungen denken nicht über geeignete Pläne nach, da der Turm vom Privatsektor erbaut wird. Am liebsten würden sie sich überhaupt keine Gedanken über die Globalisierung machen, denn diese beeinträchtigt ihre Rolle und ihre Einflussmöglichkeiten auf wirtschaftliche Ereignisse. Die tatsächlichen Erbauer – Privatfirmen, die ihre wirtschaftlichen Aktivitäten von einem Ort der Welt zum anderen verlagern – denken auch nicht über den Plan und die Konstruktion der globalen Wirtschaft nach, weil jeder von ihnen im Vergleich zum gesamten Gebäude sehr klein ist. Für jene, die wirklich an die Effizienz von Privatmärkten glauben, besteht keine Notwendigkeit, über die Institutionen und Regeln der Globalisierung nachzusinnen. Was immer erforderlich sein mag, es wird sich ohne private Überlegungen oder Regierungseingriffe einfach auf dem Markt entwickeln. Die Märkte werden die nötigen Maßstäbe setzen. Wie im Fall des biblischen Turms zu Babel sprechen die Erbauer der globalen Wirtschaft zahlreiche Sprachen. Globalisierung bedeutet vielerlei unterschiedliche Dinge für viele unterschiedliche Menschen. Die Argumente dafür und dagegen widersprechen sich oft. Vielleicht werden die unterschiedlichen Sprachen und die mit ihnen verbundenen Auseinandersetzungen verhindern, dass eine globale Wirtschaft gebaut wird – genau wie sie verhinderten, dass der biblische Turm, mit dem
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man den Hímmel erreichen wollte, gebaut wurde. Wäre das gut oder schlecht? Würden wir daran gehindert, einen wirtschaftlichen Himmel zu ersteigen? Oder daran, uns zu übernehmen, Gott zu spielen und aller Wahrscheinlichkeit nach in einer wirtschaftlichen Hölle zu enden? Die Ängste sind stark ausgeprägt. Diese Botschaft wird von den gewalttätigen oder friedlichen Demonstrationen gegen die Globalisierung vermittelt, die sich in den letzten Jahren sowohl bei öffentlichen (WTO, IWF, Weltbank, Seattle, Göteborg, Bologna) als auch bei privaten (Davos) einschlägigen Zusammenkünften ereignet haben. Obwohl die Zahl der Demonstranten gering war, vermute ich, dass mehr als die Hälfte der Menschheit erleichtert wäre, wenn sämtliche Zeitungen der Welt morgen die Schlagzeile brächten: »Globalisierung endet«. Laut Meinungsumfragen glauben weniger als 20 Prozent, dass es der Welt gut geht.1 Was missfällt den Protestierenden? Welche Entwicklung wünschen sie sich? Was ist ihre wahre Botschaft hinter dem Lärm und Geschwätz? Was versuchen sie uns über die Globalisierung mitzuteilen? Sie prophezeien Katastrophen, aber welche dieser Katastrophen sind denkbar und welche nicht? Und was könnten ihre möglichen Ursachen sein? Wirkliche Katastrophen werden fast nie von einem einzigen Faktor ausgelöst. Man muss zunächst immer ein Durcheinander möglicher Ursachen entwirren, um die individuellen Gründe zu finden, welche durch ihr Zusammenwirken eine spezifische Katastrophe hervorgebracht haben. An das gleiche Verfahren muss man sich halten, wenn man die Katastrophenwarnungen der Globalisierungsgegner durchschauen will. Der Charakter der Katastrophen und ihre potenziellen Ursachen vermischen sich. Sie müssen entwirrt werden. Unter den widersprüchlichen Klängen, die durch den Bau unseres globalen Wirtschaftsturms erzeugt werden, kommt es darauf an, Lärm von Information und Dichtung von Wahrheit zu trennen. Das beginnt mit dem Versuch, das Wahre und das Unwahre aus den verschiedenen Argumenten herauszulösen. Erst wenn man die Wahrheit von der Dichtung getrennt hat, ist es möglich, die Vor- und Nachteile gegeneinander aufzurechnen und zu entscheiden, ob wir die Globalisierung akzeptieren oder ablehnen sollten. Aber es gibt noch eine dritte Option: den Aufbau einer globalen
erstellt von ciando
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Wirtschaft, bei dem einige der von uns entdeckten Nachteile ausgeschaltet werden. Selbst wenn die anfängliche Addition darauf hindeutet, dass der Nutzen den Schaden bei weitem überwiegt, lassen sich die Nachteile immer noch reduzieren. Die globale Wirtschaft wird sich teilweise durch die Reaktion auf vorhergesehene und unvorhergesehene unkontrollierbare Kräfte entwickeln, doch letzten Endes handelt es sich um eine menschliche, nicht um eine geologische Konstruktion, die nach unterschiedlichen Maßgaben gebaut werden kann. Wahrscheinlich kann man der Globalisierung nicht einfach Widerstand leisten, aber es ist möglich, sie zu formen. Das Ziel dieses Buches ist es, die Dynamik der Globalisierung zu verstehen, damit sie auf unterschiedliche Art gestaltet werden kann. Man muss die Kräfte der Globalisierung nutzen, um ihre Richtung zu ändern. Und das geht nur, wenn man diese Kräfte durchschaut. Wie wir sehen werden, können wir Schritte unternehmen, um die positiven Effekte der Globalisierung zu erhöhen und ihre negativen Effekte zu verringern. Dabei können wir etwas aus den Untersuchungen der Gründe lernen, aus denen die Türme des World Trade Centers zusammenbrachen. Neue Erkenntnisse über Brandverhütung und Schadenskontrolle sind äußerst nützlich, wenn man neue Gebäude errichtet. Die Verbesserung bestehender Gebäude dagegen hat im Wesentlichen ihre Grenzen. Ebenso ist unsere Einsicht in potenzielle Wirtschaftskatastrophen am nützlichsten, wenn wir dabei sind, etwas Neues zu bauen. Und die Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts ist ja dabei, etwas Neues zu bauen: eine globale Wirtschaft. Ob dies dem Fortschritt der Menschheit dient, hängt davon ab, welche Art globaler Wirtschaft wir begründen. Es wird nicht durch die Sterne bestimmt, sondern durch den Pfad, den wir beschritten, und die Systeme, die wir gebaut haben. Bei der Trennung der Gerüchte von den Tatsachen ist es wichtig, zu begreifen, dass der wirtschaftliche Turm zu Babel je nach Standpunkt unterschiedlich aussieht. Die Vermögenden und Erfolgreichen an der Spitze erblicken etwas ganz anderes als die Armen, die gerade beginnen, die unteren Stufen hinaufzusteigen. Wer aus der Ferne, von außerhalb der globalen Wirtschaft, hinschaut, sieht einen Turm mit anderen Konturen als jene Insider, die in der bereits existierenden globalen
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Wirtschaft arbeiten. Es ist kein Wunder, dass die wirtschaftlich, militärisch und politisch Großen und Mächtigen den Bau des Turmes viel weniger fürchten als diejenigen, die klein und schwach sind. Es geht nicht darum, dass eine dieser Perspektiven richtig und die anderen falsch wären. Jede konzentriert sich auf verschiedene Elemente des Turmes, und alle spiegeln gewisse Aspekte der Wahrheit wider. Da niemand alle Perspektiven gleichzeitig wahrnehmen kann, ist auch niemand in der Lage, den ganzen Turm oder die ganze Wahrheit zu sehen. Deshalb müssen die Vermögenden und Erfolgreichen, die Großen und Mächtigen innerhalb des Turmes den Ansichten jener lauschen, die nichts von alledem sind. Die erste Gruppe wird das, was die zweite Gruppe sieht, nicht erkennen, doch sie sollte sich immerhin darum bemühen, deren Äußerungen zu hören. Diese Mahnung gilt in erster Linie den Amerikanern – den Vermögendsten, Erfolgreichsten, Größten, Mächtigsten und den ultimativen Insidern beim Bau der globalen Wirtschaft. Infolge ihrer einzigartigen Perspektive haben die Amerikaner weniger Angst vor der Globalisierung als alle anderen, und deshalb denken sie weniger darüber nach. Was militärische und wirtschaftliche Macht angeht, hat keine Nation in der Weltgeschichte je eine größere Rolle gespielt. Das kaiserliche Rom beherrschte ein beachtliches Gebiet um das Mittelmeer herum, Amerika dagegen beherrscht die Erde. Die amerikanischen Ansichten werden bei der Gestaltung der Globalisierung im Mittelpunkt stehen, aber deren Struktur ist gleichzeitig einer der Faktoren, die den willkürlichen Einsatz der enormen Macht der USA im Hinblick auf die übrige Welt einschränken werden. Ein Amerika, das in einer globalen Wirtschaft mitwirkt, ist aus der Sicht der übrigen Welt bei weitem einem Amerika vorzuziehen, das sich an einem Wettbewerb um die ökonomische Vorherrschaft durch ein einziges Land beteiligt. Ein Amerika, das mit der übrigen Welt Handel treibt, in sie investiert, Technologien in andere Staaten transferiert und einen großen Teil der dortigen Elite ausbildet, ist viel nützlicher für die Menschen im In- und Ausland als ein Amerika, das sich in seine traditionelle Isolation zurückzieht. Dieses Ungleichgewicht der wirtschaftlichen und militärischen Macht zwischen Amerika und der übrigen Welt hat sich aus Entschei-
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dungen ergeben, die in Europa und Japan getroffen wurden.2 Japan schenkt den Ereignissen außerhalb Nordostasiens wenig Aufmerksamkeit und verlässt sich darauf, dass Amerika etwaige Probleme sogar in seiner Nachbarschaft löst. Die Europäische Union ist das einzige andere Gebiet der Welt mit hinreichenden wirtschaftlichen Ressourcen für die Schaffung einer modernen Militärmacht. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges und jeder unmittelbaren militärischen Bedrohung für sich selbst hat sie beschlossen, ihre wirtschaftlichen Mittel nicht für militärische Aktivitäten auszugeben. Was Amerika für seine Armee aufwendet, gibt Europa für seine Sozialfürsorge aus. Außerdem konzentriert man seine Bemühungen nach innen auf den friedlichen Aufbau eines integrierten Europas. Große Militärhaushalte sind für den Erfolg oder Misserfolg dieser Bemühungen unerheblich. Was sich in Nordkorea abspielt, ist für Europa von geringem Interesse, und es zeigt keine Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen, denn es vertraut darauf, dass Amerika sämtliche Gefahren eindämmen und von ihm fern halten wird. Infolgedessen sind die Militärausgaben der USA mehr als zweimal so hoch wie die der übrigen NATO. Was vernünftig aussieht, wenn man schwer bewaffnet ist, sieht ganz anders aus, wenn man nur leicht bewaffnet ist. Auch wenn die übrige Welt Mitleid mit den Opfern hatte, empfand sie den 11. September nicht als direkten Angriff auf sich selbst. 3 000 Menschen starben, und 50 000 hätten ohne weiteres sterben können, als die beiden größten Gebäude Amerikas – in mancher Hinsicht das Symbol des Staates selbst – zusammenbrachen. Von ihrem Mitgefühl abgesehen, meinten viele in Europa und anderswo, dass Amerika die Katastrophe verdient habe. Es sei zu arrogant, zu groß, zu tyrannisch, und es unterstütze Israel zu sehr. Man hoffte, dass der Anschlag auf das World Trade Center die USA ein wenig bescheidener und vorsichtiger machen würde. Aber diese Hoffnung verrät ein grundlegendes Missverständnis der amerikanischen Kultur. Ein Angriff lässt die Amerikaner aggressiv werden. Der Anschlag hatte schlicht einen Wandel der amerikanischen Einstellung zur Folge, und die übrige Welt muss sich dieser Realität noch bewusst werden. Die Verteidigungsausgaben sind drastisch gestiegen, und die Meinungen über den Einsatz militärischer Macht haben sich noch drastischer geändert. Die nationale Existenz
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Amerikas ist nicht bedroht, doch wenn der Staat sich angegriffen fühlt, besteht seine Reaktion darin, seinerseits die Bedroher anzugreifen. Man bezahlt nur dann für eine moderne große Armee, wenn man beabsichtigt, sie einzusetzen. Was im Irak-Krieg geschah, dient lediglich dazu, diese Realität zu unterstreichen. Die übrige Welt kann Amerika nicht zwingen, etwas zu tun, das es nicht will, oder es zwingen, eine Aktion einzustellen, die es in seinem eigenen Interesse für entscheidend hält. Aber die übrige Welt kann eine Umgebung schaffen, in der die Amerikaner es für vernünftig halten, mit ihr zusammenzuarbeiten, um von allen Seiten anerkannte Probleme zu lösen: im Fall Irak das Problem Saddam Hussein. In diesem Sinne überreizten die Franzosen ihre Karten im Sicherheitsrat. Sie konnten Amerika nicht daran hindern, in den Irak einzumarschieren, doch wenn sie bereit gewesen wären, eine reele Frist für Militäraktionen zu unterstützen, als der Irak nicht völlig abrüstete, hätten sie den Inspektionen und den Vereinten Nationen eine Erfolgschance einräumen können. Aber sie schienen stärker an der Kontrolle der amerikanischen Militärmacht interessiert zu sein als daran, die Gefahren im Irak auszulöschen. Bei dem Versuch, die amerikanische Militärmacht zu kontrollieren, scheiterten sie vorhersehbar, wodurch sie es für die übrige Welt womöglich noch schwieriger machten, die amerikanische Militärmacht fortan im Zaum zu halten. Denn künftig dürften die Vereinten Nationen unter ähnlichen Umständen nicht mehr konsultiert werden. Hier lässt sich eine wichtige politische Lektion lernen: Amerika kann nicht kontrolliert, aber es kann einbezogen werden. Der Aufbau einer globalen Wirtschaft ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, Amerika einzubeziehen. Und in genau diesem Licht sollte die übrige Welt die Globalisierung sehen. Wenn Amerikaner tatsächlich einmal über die Globalisierung nachdenken, stellen sie sich die Weltwirtschaft als eine vergrößerte Version der amerikanischen Wirtschaft vor. Einer der Gründe dafür ist, dass die übrige Welt behauptet, die Globalisierung genau deshalb zu fürchten. Aber in Wirklichkeit verändert die Globalisierung Amerika rascher als jede andere Gesellschaft. Nirgendwo wird die Produktion schneller ins Ausland verlagert. Nirgendwo werden mehr Menschen durch die Neu-
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ordnung der globalen Versorgungsketten verdrängt. Nirgendwo ändert sich die Kultur zügiger. Die Amerikaner bemerken es kaum, weil ihre Überzeugung, dass die globale Wirtschaft lediglich eine vergrößerte amerikanische Ökonomie sein werde, so ausgeprägt ist. Hin und wieder sind politische Schreie des wirtschaftlichen Schmerzes zu hören (etwa in der Stahlbranche), aber es gibt keine politisch folgenreichen allgemeinen Einwände gegen den Aufbau einer globalen Wirtschaft, welche die amerikanische Ökonomie am Ende verschlingen wird. Letztlich wird die globale Wirtschaft jedoch keine vergrößerte Nachbildung der vorglobalen amerikanischen Ökonomie sein, sondern etwas ganz anderes. Folglich steht für die Amerikaner beim Aufbau der globalen Wirtschaft mehr auf dem Spiel als für alle Übrigen. Der Prozess wird sie ebenso verändern wie die Bürger aller sonstigen Staaten. Gleichzeitig wird niemand mehr Einfluss auf die Gestaltung der Globalisierung haben als die Amerikaner. Für die übrige Welt ist es entscheidend, die Ansichten Amerikas zur Globalisierung zu verstehen, wenn sie diese auf eine für sie selbst akzeptable Art formen will.
Globale Produktivität Bevor diese unterschiedlichen Standpunkte zur Globalisierung oder dazu, wie die Globalisierung Amerika einbeziehen kann, untersucht werden, müssen die Analysen der Vorzüge und Mängel des Prozesses mit einem allgemeinen Verständnis der heute existierenden weltwirtschaftlichen Landschaft beginnen. Welches Bruttoinlandsprodukt (BIP) bringt die Welt hervor, und wo ist es zu finden? Früher war das globale BIP ein statistischer Begriff ohne große organische Bedeutung.3 Wenige wussten oder wollten wissen, worum es sich handelte. Die wahre Wirtschaftstätigkeit spielte sich auf der Ebene des Nationalstaats ab. Aber eine neue globale Perspektive nimmt zunehmend den Platz unserer alten nationalen Standpunkte ein. Die Gründe sind einfach: Technologie und wirtschaftliche Umstände drängen uns hinaus aus unseren alten Volkswirtschaften und hinein in eine neue globale Ökonomie. Wie bei einem Fernglas muss der Betrachter durch zwei Linsen bli-
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cken, um ein klares Bild zu erhalten. Benutzt er die erste Linse, wird das Bruttoinlandsprodukt jedes Staates der Welt mithilfe von Wechselkursen in Dollar umgerechnet. Demzufolge brachte die Welt im Jahr 2000 einen Output von 31 000 Milliarden (31 Billionen) Dollar hervor. 73 Prozent all dieser Güter und Dienstleistungen wurden in den Staaten produziert, die wir als wohlhabende industrielle Kernländer bezeichnen können. Die Vereinigten Staaten waren für 32 Prozent des Welt-BIP, die Europäische Union für 25 Prozent und Japan für 16 Prozent verantwortlich. Die, wenn wir sie so nennen wollen, peripheren wohlhabenden Industriestaaten – entwickelte Länder wie Kanada, Norwegen, die Schweiz, Australien und Neuseeland sowie halb entwickelte Länder wie Taiwan, Südkorea, Singapur und Israel, in denen das Pro-Kopf-Einkommen über dem des ärmsten Staates der Europäischen Union (Griechenland) liegt – erwirtschafteten weitere 6 Prozent der Welt-Produktionsmenge. Damit erzeugen die Entwicklungsländer 21 Prozent des globalen Outputs. Dieser Prozentsatz enthält sogar noch einige ölreiche Staaten wie Kuwait und Brunei, doch vermutlich ist es angemessen, sie den Entwicklungsländern zuzuordnen, da sie zwar reich, doch unterentwickelt sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ungefähr 1 Milliarde Menschen in der entwickelten Welt rund 80 Prozent des Outputs der Erde produzieren, während 5 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern die übrigen 20 Prozent erwirtschaften. Benutzt der Betrachter die zweite Linse seines Wirtschaftsfernglases, wird das BIP der Welt mithilfe dessen akkumuliert, was Ökonomen die Indikatoren der Kaufkraftparität (PPP: Purchasing Power Parity) nennen, um den Output verschiedener Länder an einem gemeinsamen Maßstab zu messen. Statt die nationalen BIPs unter Benutzung von Wechselkursen in eine gemeinsame Währung umzurechnen, sieht diese Methode vor, den Korb von Waren und Dienstleistungen, die in einem Land erworben werden, ins Auge zu fassen. Dann wird die Frage gestellt, wie viele Dollar erforderlich wären, um den gleichen Korb von Waren und Dienstleistungen in Amerika zu kaufen. Nach den PPP-Konversions-Indizes belief sich das BIP der Welt im Jahr 2000 auf 44 Billionen Dollar. Der globale PPP-Output an Waren und Dienstleistungen ist größer als der Währungswert-Output, da die durchschnittlichen inter-
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nen Kaufpreise für örtliche Waren und Dienstleistungen in den meisten Entwicklungsländern niedriger sind als in den Vereinigten Staaten. Nach der PPP-Messung erwirtschaften die zentralen Industrieländer 51 Prozent der Welt-Produktionsmenge: Amerika 23, die Europäische Union 20 und Japan 8 Prozent. Die peripheren Industriestaaten produzieren weitere 5 und die Entwicklungsländer die übrigen 44 Prozent des Welt-Outputs. Statt eines 80:20-Verhältnisses zwischen der entwickelten und der sich entwickelnden Welt ergibt sich eine ungefähre Proportion von 55:45. Benutzt man den PPP-Maßstab, so wird der Anteil der sich entwickelnden Welt mehr als doppelt so groß. Die Rangliste der Länder ändert sich erheblich, je nachdem, welcher Maßstab verwendet wird. In Asien erbringen die beiden Methoden zur Messung der Welt-Produktionsmenge völlig unterschiedliche Resultate, da Japan am meisten verliert, wenn man von Währungs- zu Kaufkraftparitätswerten übergeht, während China am meisten gewinnt. Das liegt daran, dass Japans Binnenpreise weit höher und Chinas Binnenpreise weit niedriger sind als die der Vereinigten Staaten. Benutzt man Währungswerte, so ist Japans Anteil viermal größer als der Chinas (16 Prozent des Welt-BIP, verglichen mit 4 Prozent). Verwendet man dagegen PPP-Messungen, so ist Chinas Anteil um 50 Prozent größer als der Japans (12 gegenüber 8 Prozent). Nach Währungswerten sind China und Lateinamerika für jeweils 4 Prozent des Welt-BIP verantwortlich, doch nach PPP-Maßstäben ist Chinas Beitrag (12 Prozent) doppelt so groß wie der Lateinamerikas (6 Prozent). Das chinesische Binnenpreisniveau ist schlicht viel niedriger als das lateinamerikanische, weshalb China durch die Kaufkraftkorrektur viel mehr an Output gewinnt als Lateinamerika. Man kann nicht sagen, dass der eine Maßstab richtig und der andere falsch wäre. Um unsere wirtschaftliche Welt klar zu sehen, müssen beide Linsen des Fernglases benutzt werden. Beide Messungen der globalen Produktionsmenge sind korrekt. Wenn man die Größe potenzieller Märkte für ausländische Waren und Dienstleistungen (internationale Kaufkraft), die Finanzkraft, den globalen Wirtschaftseinfluss eines Staates oder die Kaufkraft des durchschnittlichen Touristen im Ausland betrachtet, so stellen die Währungswerte das richtige Maß des ökonomischen Outputs dar. Wenn man dagegen versucht, Wohlstands-
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unterschiede zwischen Individuen, Familien oder Nationen zu ermitteln, sind PPP-Maßstäbe angebracht. Geht man von der Kaufkraftparität aus, so liegt das Pro-Kopf-Einkommen der Europäischen Union etwa 25 Prozent unter jenem der Vereinigten Staaten. Die Spannbreite der Mitgliedsstaaten bewegt sich zwischen den Extremen 30 Prozent reicherer (Luxemburg) und 47 Prozent ärmerer (Griechenland) Länder. Japans Pro-Kopf-BIP liegt, stützt man sich auf die Wechselkurse, über jenem der Vereinigten Staaten, während es sich nach der PPP-Berechnung 20 Prozent unter dem der USA befindet. Das nach Währungsbegriffen berechnete chinesische Pro-Kopf-Einkommen von 850 Dollar steigt nach PPP-Maßstäben auf 3 700 Dollar. Die letztere Zahl sollte herangezogen werden, wenn man Wohlstandsvergleiche mit dem amerikanischen Pro-Kopf-BIP von 36 000 Dollar anstellt.
Bestimmung des Umfangs Die geografische Definition einer Wirtschaft wird durch die Fläche geliefert, über die hinweg Unternehmen ihre Gewinne maximieren. Sie suchen die billigsten Orte, um ihre Güter und Waren und Dienstleistungen zu produzieren, und die profitabelsten Gegenden, um sie zu verkaufen. Das Versorgungskettenmanagement ist die beste Illustration für die Wirksamkeit solcher Kräfte. Was sollte ausgelagert werden? Was sollte firmenintern bleiben? Wo auf der Welt sollte beides hergestellt werden? Die Antworten auf diese drei Fragen bestimmen zunehmend die globale Geschäftstätigkeit. Versorgungsketten für die Herstellung von Komponenten ziehen sich nun um die Welt. Verkäufe können in jeder beliebigen Zahl von Ländern getätigt werden. Einige Gegenden erweisen sich als kosteneffektiv und Gewinn bringend für Produktion und Verkauf, manche sind gewinnbringend für das eine, nicht jedoch für das andere. Andere Gegenden erweisen sich unter beiden Aspekten als mangelhaft. Dort lassen sich einfach keine Geschäfte machen, und sie bleiben beim Aufbau einer globalen Wirtschaft unberücksichtigt.
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Während Unternehmen die Welt nach den rentabelsten Gegenden für Produktion und Verkauf absuchen, werden die Volkswirtschaften allmählich von einer globalen Ökonomie verdrängt. Deshalb ist es wichtiger, sich Gedanken über das Welt-BIP als über nationale BIPs zu machen. Das entsprechende Suchkriterium – und kein spezifischer Wirtschaftsindikator wie Absatz oder Gewinne im Ausland, Weltexporte im Verhältnis zum Welt-BIP (12 Prozent im Jahr 2000) oder die Höhe von Auslandsinvestitionen – ist entscheidend für die Existenz einer globalen Ökonomie. Keine einzige Wirtschaftsstatistik spiegelt das Ausmaß der Globalisierung wider, denn Letztere kommt in vielerlei Gestalt daher. Wenn Procter & Gamble Seifen oder Shampoos in China produzieren und verkaufen und ihre inländischen Expansionspläne mithilfe der dortigen Gewinne finanzieren, so ist das ein Teil der Globalisierung, obwohl keine Gelder über nationale Grenzen hinweg fließen. Die Autoexporte von Toyota nach Europa und die japanischen Investoren, die sich amerikanische Hypotheken zulegen, sind Aspekte der Globalisierung – ebenso wie eine Fusion zwischen Chrysler und DaimlerBenz. Ein in Taiwan montierter Laptop mit einem Intel-Prozessor, einem Microsoft-Betriebssystem, einem japanischen Flachbildschirm und koreanischen Speicherchips nach den Spezifizierungen einer großen Vielfalt multinationaler Verkäufer ist der Prototyp der Globalisierung. Die Lochung von amerikanischen Versicherungsformularen auf Jamaika, gemeinsam arbeitende Softwaredesign-Teams in Indien und Amerika und amerikanische Callcenters in Irland sind Teil der globalen Realität. Das Gleiche gilt für eine amerikanische Firma, die lateinamerikanische Bananen an Europäer verkauft. Filme, Fernsehprogramme und Musik werden global vermarktet. Die wechselseitige Kommunikation über das Internet ist infolge der verwendeten Technologie von vornherein global. Jeder kann sich einloggen. Der umwälzende technologische Wandel verlockt oder zwingt – je nach dem Standpunkt des Betrachters – Firmen, globale Geschäfte zu tätigen. Die neuen Computer- und Telekommunikationstechnologien veranlassen auf maximalen Profit hinarbeitende Unternehmen, die Produkte dort auf der Welt herzustellen, wo sie am billigsten anzufertigen sind, und sie dort auf der Welt zu verkaufen, wo sich die höchsten Gewinne erzielen lassen. Die Imperative der Profitmaximierung
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lassen ihnen keine andere Wahl. Wenn ein Unternehmen die billigsten Orte für die Herstellung seiner Produkte und die gewinnträchtigsten Orte für deren Absatz nicht findet, dann werden andere es tun. Die Firma, die keine globalen Geschäfte macht, wird von denjenigen, die genau diesen Weg beschreiten, in den Bankrott getrieben werden. Es geht ums unternehmerische Überleben. Die geschäftlichen Verbesserungen auf dem Kommunikationssektor haben globalen Vertrieb und globale Beschaffung möglich, äußerst rentabel und notwendig werden lassen. Anhand der Wertschöpfungsberechnungen, die zur Messung nationaler BIPs verwendet werden, sind 29 der 100 größten Ökonomien der Welt mittlerweile nicht mehr Länder, sondern Unternehmen.4 Das mächtigste, Exxon, hat etwa die Größe von Pakistan und nimmt Platz 45 auf der Welt ein. Von den globalen Firmen mit Hauptsitz in Amerika erzeugen drei Viertel ihre Produktion innerhalb und ein Viertel außerhalb der Vereinigten Staaten.5 Der Handel zwischen den in- und ausländischen Tochtergesellschaften globaler amerikanischer Konzerne erbrachte im Jahr 2000 56 Prozent der Importe und 35 Prozent der Exporte des Landes.6 66 Prozent der Auslandsproduktion wurden von den Bürgern der Staaten erworben, in denen sich die Fabriken befinden, 23 Prozent gehen in andere Länder und 11 Prozent kehren zurück in die Vereinigten Staaten. Wenn Investition und Produktion im Ausland die Indikatoren der Globalisierung sind, ist es die Erste, nicht die Dritte Welt, die globalisiert wird. Die Hälfte der Auslandsproduktion von Unternehmen mit Hauptsitz in Amerika konzentriert sich auf nur sechs Staaten: Großbritannien, Kanada, Deutschland, Frankreich, Japan und Italien. In Irland werden 17 Prozent des nationalen BIP in den Anlagen »amerikanischer« Firmen erwirtschaftet. Die USA erhalten zwei Drittel sämtlicher Investitionen, die über nationale Grenzen hinweg fließen. Die ehemaligen multinationalen Konzerne werden zunehmend zu globalen Gesellschaften. Was diese Konzerne als nationale Identifikationsmerkmale bezeichnen, hängt von ihrer Geschichte und dem jeweiligen Ort ihres Hauptsitzes ab. Der Letztere wird immer häufiger durch die lokale Besteuerung und nicht durch wirtschaftliche Zweckmäßigkeit bestimmt. Der nicht lange zurückliegende Wirbel um ameri-
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kanische Unternehmen, die ihren juristischen Hauptsitz nach Bermuda verlagerten, um niedrigere Steuern zu zahlen, ist nur ein Beispiel von vielen. Die nationale Identifizierung hat wenig zu bedeuten, wenn man das Verhalten eines Unternehmens vorhersagen will. Die Herkunft oder der Pass der Spitzenmanager spielen eine immer geringere Rolle, wenn reale Entscheidungen getroffen werden müssen. Eigentum ist oft nicht das, was es zu sein scheint. Nokia gilt als finnischer Konzern, aber es sind mehr Nokia-Aktien in den Händen von Amerikanern als von Finnen. Ist Honda ein amerikanisches oder ein japanisches Unternehmen, wenn es in Amerika mehr Autos herstellt und verkauft als in Japan? Es ist wichtig zu verstehen, dass die gegenwärtige Globalisierungswelle nicht durch die Politik ausgelöst worden ist. Regierungen beschlossen nicht, die globale Beschaffung und das globale Marketing einzuleiten, und sie förderten keine grenzüberschreitenden Unternehmensfusionen. Sie waren nicht für den Beginn des elektronischen Handels verantwortlich und schufen keine globalen Finanzmärkte. Dies ist kein Prozess, den Regierungen einleiten, unterbrechen, beschleunigen, verlangsamen oder in dem sie sich ihre Beteiligung präzise aussuchen können. Sie sind höchstens in der Lage auszusteigen, zu akzeptieren, was auf sie zukommt, oder an irgendeiner kollektiven Bemühung mitzuwirken, um eine Alternative zu den jetzigen Formen der Globalisierung herauszuarbeiten.
Ausstieg Niemand zwingt Länder, sich an globalen Versorgungsketten zu beteiligen und multinationale Konzerne bei sich investieren zu lassen. Niemand braucht sich ein McDonald’s zuzulegen. Aber die Betreffenden werden viel schneller reich, als wenn sie nicht mitgewirkt hätten. Ihnen werden die Vorteile der Spezialisierung, der Kostenminimierung, des Technologietransfers, der ausländischen Direktinvestitionen, des Zugangs zu den Märkten und der besonderen Managementfertigkeiten zuteil, die nur aus der Mitwirkung hervorgehen. Als Gegenleistung
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müssen sie das anbieten, was globale Unternehmen fordern: Ausbildung, Infrastruktur, persönliche Sicherheit. Andernfalls bleiben sie draußen und damit im Rückstand. Die nicht Beteiligten brauchen sich keine Sorgen über das Verschwinden ihrer nationalen Wirtschaft zu machen, denn sie haben eine viel größere Sorge: Ist ihre Entscheidung, nicht mitzuwirken, im Grunde eine Entscheidung dafür, arm zu bleiben? Viele Beobachter sind der Meinung, dass die erfolgreiche isolierte Volkswirtschaft bereits überholt ist. Die meisten entwickelten Länder haben, realistisch gesehen, nicht die Wahl auszusteigen. Zu viele Bürger bestreiten ihren Lebensunterhalt mithilfe der globalen Wirtschaft, weshalb die Regierungen nicht einmal daran denken können, ihre Unternehmen zum Ausstieg zu zwingen. Ihre Konzerne haben sich auf die globale Wirtschaft festgelegt und sich entsprechend umstrukturiert. Daher können sie nicht ohne weiteres zur Bedienung ausschließlich nationaler Märkte zurückkehren, selbst wenn sie es wünschten. Sollten Regierungen den Versuch machen, ihre Konzerne zur Rückkehr zu nötigen, würden die meisten ihren Unternehmenssitz einfach in Länder verlegen, die an der Globalisierung mitwirken. Als Beteiligte an der globalen Wirtschaft haben die Staaten der entwickelten Welt den Punkt, an dem eine Rückkehr möglich wäre, längst überschritten. Wenn die Bürger dieser Länder mit der Entwicklung nicht zufrieden sind, haben sie nur die Wahl, sich Gedanken über andere Konstruktionspläne für die globale Wirtschaft zu machen, in der sie leben. Regierungen – sämtliche Regierungen – gehen im Allgemeinen zögernd an die Globalisierung heran, da diese ihre Kontrollmöglichkeiten reduziert. Sie sind nicht mehr wie früher in der Lage, sich als wirtschaftliche Lotsen zu betätigen. Das gilt sowohl für die größten als auch für die kleinsten Ökonomien. Aber man sollte nicht vergessen, dass die Globalisierung sich nicht nur auf Länder bezieht. Individuen können ebenfalls an ihr teilhaben, und Millionen tun genau das. Durch den Umzug aus der sich entwickelnden in die entwickelte Welt (aus Mexiko in die Vereinigten Staaten, aus Nordafrika und der Türkei nach Europa) steigt ihr Einkommen erheblich. Für sie als Individuen ist die Globalisierung eine goldene Möglichkeit.
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Die Vergangenheit Die Globalisierung ist nichts Neues. Im Jahr 1900 war die Welt viel stärker globalisiert als im Jahr 2003. Damals beherrschten Kolonialreiche die Erde. Fast 25 Prozent des Globus wurden allein von London regiert.7 Die Franzosen regierten Indochina und einen großen Teil Afrikas. Das russische Reich breitete sich über die eurasische Landmasse aus. Das Osmanische Reich dominierte noch den Nahen Osten und einen Teil des Balkans. Zentraleuropa gehörte dem österreichisch-ungarischen Reich. Auch Deutschland und Japan hatten ihre Kolonien (Deutsch-Südwestafrika bzw. Korea und Taiwan). Amerika beherrschte Kuba und die Philippinen. China war eine unter den Großmächten aufgeteilte Quasi-Kolonie. Im Unterschied zu heute fast 200 gab es damals nur 50 unabhängige Länder, und eine große Zahl davon war nur scheinbar unabhängig. Die lateinamerikanischen Staaten mussten mit der Monroe-Doktrin leben und wurden, obwohl offiziell unabhängig, von den Vereinigten Staaten an der kurzen Leine geführt. Historisch gesehen kam es für Weltreiche oder sich sonstwie militärisch ausdehnende Staaten darauf an, »reich zu werden«. Die Konquistadoren segelten nach Nord- und Südamerika, um Wohlstand zu erringen. Spanien wurde durch das Gold und Silber aus seinen Kolonien in der Neuen Welt zur wohlhabendsten Nation Europas. Alle früheren Weltreiche – das der Römer, der Mongolen, der Osmanen, der Spanier, der Briten und Franzosen – wurden von Regierungen organisiert und mit Militärgewalt erobert. Der Kolonialismus endete nach dem Zweiten Weltkrieg, weil sich die Technik und die allgemeine Einstellung gewandelt hatten. Die Eroberung von Land und natürlichen Ressourcen war nicht mehr die einzige Methode, um »reich zu werden«. In technischer Hinsicht waren große Landflächen und die auf ihnen zu findenden Bodenschätze nicht mehr die Triebkräfte des wirtschaftlichen Erfolgs. Dieser fundamentale Wandel lässt sich daran ablesen, dass die entwickelten Länder nicht in Saudi-Arabien einmarschierten, als es 1973 den Ölpreis anhob. Es wäre leicht gewesen, das Land militärisch zu erobern, doch diese Möglichkeit wurde nicht einmal erwogen, da billiges Öl nicht mehr die Quelle des künftigen wirtschaftlichen Erfolgs darstellte.
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Höhere Ölpreise waren ein zeitweiliges Ärgernis, doch kein ausschlaggebender Faktor, was die langfristige Wirtschaftsblüte betraf. Man brauchte keine Kolonien, um reich zu werden. Ganz im Gegenteil, Kolonien waren zu einer ökonomischen Last geworden, denn sie kosteten das Mutterland mehr, als sie ihm einbrachten. Die Quellen des wirtschaftlichen Erfolgs lagen nun darin, neue bahnbrechende Technologien und die sozialen Fähigkeiten, die Kultur und die geistige Einstellung zu entwickeln, um die Technologien zu nutzen. Geistige Eigentumsrechte haben Mineralrechte als Triebkräfte des Erfolgs abgelöst. Die sanfte Macht der kulturellen, erzieherischen und technologischen Vormacht hat die harte Macht der Kolonialherrschaft und der geografischen Militärexpansion ersetzt. In einem sehr realen Sinne rückt die intellektuelle Eroberung heute an die Stelle der geografischen Unterwerfung. Der Zweite Weltkrieg änderte die ideologische Einstellung auf beiden Seiten der Kolonialordnung. Das deutsche Streben nach »Lebensraum« in Europa und das japanische Streben nach einer »gemeinsamen Wohlstandssphäre« in Asien (Begriffe, die auf die riesigen neuen Kolonialreiche hindeuteten, welche Deutschland und Japan nach dem Sieg aufzubauen hofften) diskreditierten jeglichen Kolonialismus, darunter auch den des alten britischen und des französischen Imperiums. Der Zweite Weltkrieg hatte die alten Kolonialmächte militärisch und ökonomisch geschwächt. Nicht weiße Kolonialbürger wurden Zeugen, wie ihre weißen Kolonialherren von einer nicht weißen asiatischen Macht besiegt wurden. Dadurch gelangten sie zu dem Glauben, dass sie Befreiungskriege gewinnen konnten. Ohne den Zweiten Weltkrieg hätte der Kolonialismus zweifellos noch viel länger gedauert.
Alternativen Es ist wichtig festzuhalten, dass es nicht nur eine einzige Form der Kolonialisierung gab. Britische Siedler kamen in die amerikanischen Kolonien; die britische Armee und britische Regierungsbürokraten gingen nach Indien. Algerien wurde als französische Provinz behandelt, Fran-
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zösisch-Indochina dagegen keineswegs. Die Globalisierung erscheint in mancherlei Gestalt, doch die Welt wird die ihr genehme wählen müssen, denn es ist kein bilaterales, sondern ein multilaterales Phänomen. Wie wir gesehen haben, spielt sich die Globalisierung überwiegend in der wohlhabenden industriellen Welt ab, für die es kein »Mutterland« gibt. Die Entscheidungen über die Form der Globalisierung werden interaktiv sein. Ein Staat wie China könnte letzten Endes mehr Einfluss auf die Globalisierungsregeln haben als ein Land wie Frankreich. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die geografischen Perspektiven erweitert haben. Mitte des 19. Jahrhunderts, vor der Elektrifizierung, hätte niemand erklärt, er arbeite in der amerikanischen Wirtschaft. Vielmehr hätten die Befragten zu Protokoll gegeben, dass sie in Amerika wohnten, doch in der Wirtschaft von Boston oder Chicago arbeiteten. Diese lokalen oder regionalen Ökonomien trieben einen gewissen Handel miteinander, aber es gab keine amerikanische Wirtschaft im realen Sinne. Heutzutage würde niemand sagen, er arbeite in der Wirtschaft von Boston oder Chicago. Man wohnt in Boston oder Chicago, doch man arbeitet in Amerika. Die sich zurzeit vollziehende technische Revolution weitet diesen Prozess prinzipiell aus. Wenige von uns dürften in 50 Jahren angeben, dass sie in der amerikanischen oder japanischen Wirtschaft arbeiten. Wir wohnen in Amerika oder Japan, aber wir arbeiten in einer globalen Wirtschaft. Während sich die geografischen Perspektiven erweitern, werden neue, unerwartete Probleme auftauchen. Die Entwicklung von lokalen zu nationalen Ökonomien lehrt uns – oder sollte uns lehren –, dass Probleme, die keine waren, in einem radikal geänderten Kontext häufig dazu werden. Im Amerika des 19. Jahrhunderts kam es zu vielen lokalen Finanzkrächen, doch keiner brachte die amerikanische Wirtschaft zum Zusammenbruch. Eine Krise in Chicago war keine Krise in Boston. Durch die Herausbildung einer nationalen Wirtschaft wurden der Börsenkrach von 1929 und der Bankenkrach von 1930 jedoch zu ganz anderen Ereignissen, die Amerika in der Weltwirtschaftskrise in die Knie zwangen. Damit sie überleben konnte, musste eine stärkere und widerstandsfähigere amerikanische Wirtschaft mit Arbeitslosenversicherung, So-
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zialversicherung, Regulierungen des Wertpapierhandels und Bankeinlagenversicherung aufgebaut werden. Aber der Neuaufbau nach großen Wirtschaftskatastrophen ist sehr schwierig und vielleicht sogar unmöglich. Der Schaden ist so nachhaltig, dass man das bestehende System einfach aufgibt. Die Amerikaner hatten während der Weltwirtschaftskrise Glück, denn sie hätte leicht das Ende des Kapitalismus markieren können. Während sich die Krise fortsetzte, ohne dass ein Ende abzusehen war, begannen die Amerikaner in den späten dreißiger Jahren, kommunistische Stadtverwaltungen zu wählen, da sie offenkundig den Glauben an den Kapitalismus verloren. Das einzige kapitalistische Land außer den Vereinigten Staaten, das am Ende des Zweiten Weltkriegs noch existierte, war Großbritannien, und es sollte 1945 eine sozialistische Labour-Regierung wählen. Hätten die Deutschen nach der Eroberung Westeuropas einen Friedensvertrag mit Großbritannien ausgehandelt, wären sie nicht in Russland einmarschiert, und hätte Japan die Vereinigten Staaten nicht in Pearl Harbor angegriffen, wäre das Ende des Kapitalismus vielleicht schon vor 60 Jahren eingetreten. Katastrophen wie die Weltwirtschaftskrise sind ein wichtiger Teil des Lernprozesses. Die Krise zwang die Amerikaner zu lernen, wie man Schäden eingrenzt (durch makroökonomische Stimuli unter Verwendung von monetären und fiskalischen Maßnahmen) und wie man Katastrophenhilfe leistet (durch Arbeitslosenversicherung). Die Amerikaner wurden sich der Schwächen des Systems bewusst, die ein kleineres Missgeschick in ein gewaltiges Unglück verwandeln konnten. Die Bankeinlagenversicherung war entscheidend, um zu verhindern, dass sich unbedeutende Finanzkräche zu großen Wirtschaftskatastrophen auswuchsen. Infolge der Lektionen, welche die Amerikaner in der Weltwirtschaftskrise gelernt hatten, ging die Spar- und Kreditkrise der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts ohne wesentliche Auswirkungen für das BIP vorbei, obwohl 3 000 Banken geschlossen wurden.8 Die Weltwirtschaftskrise lehrte uns viel darüber, wie man Rezessionen eindämmt. Aber sie lehrte uns nicht, wie man Rezessionen völlig vermeidet. Das wäre genauso naiv wie der Gedanke, dass geologische Kenntnisse Erdbeben verhindern könnten. Die meisten so genannten Katastrophen sind nicht zufällige, einmalige, seltsame negative Ereignisse, sondern
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solche, die sich regelmäßig aus der allgemeinen Funktionsweise unserer Systeme ergeben. Nur Zeitpunkt und Ort sind zufällig und unvorhersehbar. Hurrikans, Vulkane und Erdbeben gehören zum geologischen System von Mutter Natur. Es steht unzweifelhaft fest, dass sich ein gigantisches Erdbeben, »das ganz große«, in Kalifornien ereignen wird. Die einzige Frage ist, wann. Aber unsere organisierten Maßnahmen sowohl vor ganz großen Erdbeben (Bautechniken) als auch danach (Notdienste) können den von diesen geologischen Kräften angerichteten Schaden mildern. Das Gleiche gilt für wirtschaftliche Katastrophen. Wir könnten uns für Wirtschaftssysteme entscheiden, die nicht von Rezessionen und Finanzkrächen begleitet sind. In den 70 Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gab es unter dem Kommunismus in der UdSSR keine Rezessionen und Finanzkollapse. Im selben Zeitraum machten die Vereinigten Staaten vier Finanzkräche, elf Rezessionen und eine Weltwirtschaftskrise durch. Die Gründe für den Unterschied liegen auf der Hand: Im Kommunismus existieren keine Finanzmärkte, die zusammenbrechen könnten. In der zentralen Planung besteht immer ein Nachfrageüberschuss, da die Planer grundsätzlich mehr wollen, als die Produzenten liefern können. Rezessionen sind einfach unmöglich. Trotzdem entscheiden wir uns freudig für die Gefahren des Kapitalismus, weil wir uns den höheren Lebensstandard wünschen, den der Kommunismus nicht realisieren kann. Die Erweiterung unserer wirtschaftlichen Suchmuster vom nationalen auf den globalen Bereich wird uns eine heute noch unbekannte Zahl von Bedrohungen und Chancen bescheren. Wir müssen sowohl wissen, was das System explodieren lassen als auch was für den Aufbau eines kräftigeren Globalsystems unternommen werden könnte. Die Wirtschaftsgeschichte lehrt uns, auf die Lektionen aus kleineren Katastrophen zurückzugreifen, um ein robustes globales Wirtschaftssystem zu konstruieren, das den irgendwann in der Zukunft unvermeidlichen Krisen widerstehen wird. Positive Ereignisse liefern wenig Aufschluss darüber, wie man bessere Formen des globalen Kapitalismus aufbauen und mit seinen Unbilden fertig werden kann. Ein Flugzeug fliegt von Boston nach New York, und alles funktioniert vorschriftsmäßig – also gibt es wenig zu
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lernen. Nur wenn wir Unfälle analysieren, können wir erfahren, wie man bessere Verkehrssysteme zustande bringt. Außerdem müssen wir uns darauf einstellen, zuzuhören und die dadurch gesammelten Empfehlungen in die Praxis umzusetzen. Wenn wir bereit sind, Nachforschungen anzustellen, zuzuhören und unser Verhalten zu ändern, erzielen wir die besten Ergebnisse. Sehr seltene, ungewöhnlich große oder völlig überraschende Unfälle wecken zunächst viel Interesse, und es kommt zu zahlreichen Kommentaren, doch ohne eine offiziell organisierte Reaktion geschieht überhaupt nichts. Von diesem Standpunkt aus dürfte es aufschlussreich sein, zu beobachten, was sich nach der wissenschaftlichen Untersuchung der Gründe dafür abspielen wird, weshalb die beiden Türme des World Trade Centers nach dem Aufprall der Flugzeuge zusammenbrachen. Wird man die Informationen nutzen, um bessere Gebäude zu errichten, die widerstandsfähiger sowohl gegen terroristische Anschläge als auch gegen normalere Ereignisse wie Brände sind? Oder wird Amerika die Informationen sammeln und dann wenig tun, um seine herkömmlichen Betriebsverfahren zu ändern?9 Die Wahrscheinlichkeit spricht für den zweiten Ausgang. Unsere Institutionen zwingen uns nicht, das, was wir lernen, in die Praxis umzusetzen. Baunormen werden durch Tausende von Kommunalverwaltungen ohne jegliche zentrale Koordination festgelegt. Oft weigern wir uns, Katastrophen zu erforschen, weil wir ein solches Vorgehen für zu pessimistisch halten. So etwas werde nie wieder geschehen, glaubt man. Dadurch erklärt sich, weshalb wir so lange (mehr als ein Jahr) brauchten, um eine Kommission zur Untersuchung der World-Trade-Center-Katastrophe einzurichten. Solche Geschehnisse sind zu entsetzlich, als dass man sie genauer betrachten wollte. Damit wir uns der Änderung des bestehenden Systems und unserer eigenen Verantwortung für dessen Aufbau nicht zu stellen brauchen, versuchen wir, Dämonen zu finden, denen wir die Schuld zuschieben können. Aus dieser Sicht war die kalifornische Stromkrise von 2001 nicht das unvermeidliche Ergebnis eines mangelhaften, durch die Kalifornier selbst geschaffenen Systems, sondern sie war durch die Intrigen böser Kräfte ausgelöst worden, die absichtlich Knappheiten herbeigeführt hatten, um die Preise anheben zu können.10 Laut dem damaligen Gou-
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verneur Davis von Kalifornien »wurden dem Staat 30 Milliarden abgepresst«.11 Dadurch, dass die Kalifornier finstere Drahtzieher verantwortlich machten, konnten sie sich selbst von jeder Schuld freisprechen und, was noch wichtiger ist, auf die schwierige Aufgabe der Systemänderung verzichten. Es kam nur darauf an, die bösen Hintermänner zu bestrafen. Zwar stehen Bösewichter häufig mit wirtschaftlichen Katastrophen im Zusammenhang, aber wenn sie eine Menge Schaden anrichten, gibt es auch am System etwas auszusetzen. Es hätte so geplant werden müssen, dass es zerstörerische Aktionen durch übel meinende Menschen stoppt oder begrenzt. Die Welt könnte der Globalisierung natürlich auch den Rücken kehren. Es gibt historische Beispiele für Gesellschaften, welche die ihnen zur Verfügung stehenden Technologien bewusst nicht einsetzten. Bevor Kolumbus Amerika entdeckte, hatte China seine technische Fähigkeit demonstriert, über die Weltmeere zu segeln (eine Armada von Schiffen, die viermal so groß waren wie die aus Kolumbus’ Flotte, hatte 28 000 Soldaten an die Ostküste von Afrika gebracht), doch der Kaiser war der Meinung, dass diese technischen Möglichkeiten die inländische Ruhe bedrohten. Nach der Rückkehr der Schiffe befahl er, sie zu verbrennen und die Logbücher zu vernichten; außerdem durfte niemand mehr über die Sichtlinie der chinesischen Küste hinausfahren. Der technische Niedergang setzte ein (Schießpulver war ebenfalls bekannt, wurde jedoch nicht für militärische Zwecke genutzt), und während China die übrige Welt nicht entdeckte und eroberte, wurde es seinerseits von viel kleineren europäischen Ländern entdeckt und in eine Art Kolonie verwandelt. Obwohl es theoretisch möglich wäre, die neuen Technologien zur Entwicklung einer globalen Wirtschaft zu ignorieren, ist es unwahrscheinlich, dass die heutigen revolutionären Kommunikationstechnologien von allen ungenutzt bleiben. Sie sind zu profitabel, und irgendeine Untergruppe wird sich ihrer bedienen. Die Welt ist nicht mit dem China des 15. Jahrhunderts zu vergleichen, in dem ein Kaiser dem Einhalt gebieten konnte. Irgendeine Form der Globalisierung, die zumindest einen Teil der Erde umfasst, wird sich auf dem Markt herausbilden. Manche Länder werden sie akzeptieren, und andere werden sie ablehnen – oder, häufiger noch, von ihr abgelehnt werden, weil sie die
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Aufnahmebedingungen nicht erfüllen. Sie werden auf dem Globus, nicht aber in der globalen Wirtschaft leben. Was geschieht mit denen, welche die Globalisierung akzeptieren, und mit denen, die sie ablehnen oder von ihr abgelehnt werden? In Wirklichkeit geht es nicht um die Wahl zwischen »einverstanden« und »kommt nicht infrage«. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: bewusst eine andere globale Wirtschaft zu planen und aufzubauen als die, welche sich von ganz allein entwickeln wird. Akzeptieren, ablehnen oder nach einem anderen Plan aufbauen – das sind die globalen Optionen.
2 Drei gleichzeitige Revolutionen
Die Trennung von Dichtung und Wahrheit im Bereich der Globalisierung muss mit der Einsicht beginnen, dass die Welt zurzeit drei Revolutionen durchläuft: 1. Wissensgestützte lösen die industriellen Ökonomien ab. 2. Eine globale Ökonomie löst die Volkswirtschaften ab. 3. Der Kapitalismus löst den Sozialismus oder Quasi-Sozialismus ab. Jede dieser drei Revolutionen ändert die ökonomische Welt, in der wir leben. Die Globalisierung ist nur eine von ihnen und wahrscheinlich nicht die wichtigste. Viele der Effekte, die der Globalisierung zugeschrieben werden, entspringen den beiden anderen oder der Wechselwirkung zwischen der Globalisierung und den beiden anderen. Das gilt insbesondere für die Beurteilung der Vorwürfe, dass die Globalisierung zu wirtschaftlicher Instabilität und Ungleichheit führe. Erstens – und vor allem – ist eine Reihe neuer Technologien entstanden, die das auslöst, was man die dritte industrielle Revolution nennen wird. Wir bewegen uns aus einer industriellen, auf natürlichen Ressourcen beruhenden Epoche in eine wissensgestützte Ära, die von Fertigkeiten, Ausbildung sowie Forschung und Entwicklung abhängt. Zweitens ermöglichen die neuen Kommunikationstechnologien, die in dieser dritten industriellen Revolution auftauchen, die Schaffung einer globalen Wirtschaft – und vielleicht machen sie deren Aufbau sogar erforderlich. An einem beliebigen Ort niedergelassene Unternehmen können Aktivitäten an jedem anderen Ort einleiten. Drittens, ein großer Teil der Welt lässt sein sozialistisches oder kommunistisches Erbe hinter sich und bewegt sich auf den Kapitalismus zu. Der Kommunismus ist überall entweder als untauglich (China) aufgegeben worden oder implodiert (UdSSR), oder man hat ihn umgestürzt (Osteuropa). In Westeuropa befindet sich der Sozialismus infolge ver-
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breiteter Privatisierungen und Deregulierungen im Rückzug. Kommunistische oder sozialistische Parteien haben ihre Namen ändern müssen, um gewählt zu werden. Sogar das kapitalistischste aller Länder, die Vereinigten Staaten, ist noch kapitalistischer als vor zwei Jahrzehnten. Verkehrs- und Kommunikationswesen, Stromerzeugung und Finanzwesen sind alle überwiegend dereguliert worden. Wer durch diese drei Revolutionen hindurchsteuern will, benötigt die geistigen Eigenschaften eines Forschungsreisenden. In erster Linie sind Forschungsreisende kühn, denn sie brechen auf, ohne genau zu wissen, was funktionieren wird und wie sie Erfolg haben werden. »Sie gehen mutig dorthin, wo noch niemand zuvor gewesen ist.« Obwohl sie wissen, dass viele scheitern werden, sind sie bereit, den Sprung ins Unbekannte zu wagen. Aber erfolgreiche Forschungsreisende haben noch eine andere wesentliche Eigenschaft: Sie sind bereit zuzuhören und erwerben die bestmöglichen Kenntnisse darüber, wie die Systeme funktionieren, die sie erforschen wollen. Außerdem warten sie nicht ab, bis Unglücksfälle eintreten, sondern analysieren die Fehlschläge und Erfolge von anderen, um ihre eigenen Erfolgschancen zu erhöhen. Sie sind bereit, das, was anderswo funktioniert hat, zu übernehmen und ihren eigenen Zwecken anzupassen. Wenn sie einen Misserfolg erleiden, lernen sie daraus und wagen einen neuen Sprung. Fehlschläge dienen dazu, ihnen beizubringen, wie sie Erfolg haben können. Und sie bleiben mutig. Man werfe einen Blick auf die großen geografischen Forschungsreisenden des 14., 15. und 16. Jahrhunderts: Christoph Kolumbus, Vasco da Gama, Ferdinando Magellan, Amerigo Vespucci. Wir staunen über das, was sie vollbrachten, doch eine peinliche Frage wird nicht gestellt: Warum segelten sie nicht 500 Jahre früher über den Atlantik und den Pazifik? Wir wissen, dass sie dazu in der Lage gewesen wären, denn die Wikinger taten es bereits im Jahr 850. Man besaß die erforderlichen Technologien, doch man brachte sie nicht zum Einsatz. Frühere Europäer verzichteten nicht etwa deshalb auf solche Reisen, weil sie geglaubt hätten, die Welt sei flach, sodass sie über ihren Rand hinaussegeln würden. Gebildete Europäer kannten die Form der Erde seit den Tagen der alten Griechen. Auch der römische Dichter Ovid spricht im Jahr 7 in seinen Metamorphosen davon, dass die Welt
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eine sich drehende Sphäre mit fünf Zonen – zwei polaren, zwei gemäßigten und einer tropischen – sei. Was die Europäer zurückhielt, war die Furcht vor dem Unbekannten, das heißt der Glaube an Seeungeheuer. Die Sache ist zu gefährlich, wir könnten aufgefressen werden. Wie lässt sich wissenschaftlich nachweisen, dass es keine Seeungeheuer gibt? Sie könnten existiert haben. Es war eine logische Möglichkeit. Niemand – und keine wissenschaftliche Ermittlung – kann je ein Negativum beweisen. Wer herausfinden will, dass es keine Seeungeheuer gibt, muss bereit sein, Forschungsreisen zu machen. Der erste Forscher, der den Atlantik oder Pazifik überquert, stößt einen Seufzer der Erleichterung aus. Er hat Glück gehabt und ist nicht aufgefressen worden. Nach 50 erfolgreichen Reisen weiß jeder, dass es wahrscheinlich keine Seeungeheuer gibt. Und nach 1 000 erfolgreichen Reisen weiß jeder, dass sie mit Sicherheit nicht existieren. Es sind jene Menschen, welche die ersten Reisen machen und sich dem Risiko aussetzen, dass es Seeungeheuer gibt, die die Welt erobern, reich werden und ihre Namen in den Geschichtsbüchern verewigen. Sie sind die Mutigen. Die Personen, die ihnen folgen, nachdem die Reisen sich als ungefährlich herausgestellt haben, sind genau das: Gefolgsleute. Sie führen ein bequemes, doch kein aufregendes Leben. Diejenigen, die aus Furcht nie segeln lernen, bleiben arm und werden von denen kolonisiert, die mutig genug gewesen sind, ins Unbekannte vorzustoßen. Die Moral der Geschichte liegt auf der Hand: Wer siegen will, kann nicht abseits stehen, sondern muss aktiv sein. Andere werden handeln, wenn man es nicht selbst tut, und dann wird man den Folgen ausgeliefert sein. Wer an dem Abenteuer teilnimmt, mag verlieren, doch wer nicht daran teilnimmt, verliert mit Sicherheit. Das Glück gehört dem Tüchtigen, selbst wenn mancher davon als Verlierer endet. Wie wichtig Mut ist, lässt sich nicht nur an unserer geografischen, sondern auch an unserer ökonomischen Geschichte ablesen. Wirtschaftshistoriker teilen uns mit, dass der Unterschied im Pro-Kopf-Einkommen zwischen dem reichsten und dem ärmsten Land der Welt im Jahr 1700 gering oder nicht existent gewesen sei.1 98 bis 99 Prozent der Arbeitskräfte aller Länder waren in der Landwirtschaft tätig. Alle benutzten die gleichen Technologien: Pferde, Ochsen, menschliche Muskelkraft, Tier-
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dünger, von der Ernte des Vorjahres eingebrachte Samen. Einige Gegenden der Welt hatten bessere Böden und ein besseres Klima für die Landwirtschaft, doch sie waren viel dichter bevölkert als die schlechteren Gebiete. Die Hälfte des Welt-BIP entfiel auf Indien und China, da sich die Hälfte der Weltbevölkerung in Indien und China befand.2 Dann setzte die erste industrielle Revolution ein. Mit der Erfindung und Vervollkommnung der Dampfmaschine im Lauf des 18. Jahrhunderts findet eine 8 000 Jahre lange Agrarepoche ihr Ende. Die industrielle Ära beginnt in Großbritannien zwischen 1760 und 1780.3 Bis heute gibt es historische Auseinandersetzungen darüber, warum Großbritannien als erstes Land den Sprung wagte.4 Wahrscheinlich brauchte man Kohlevorkommen, um zu beginnen, doch zahlreiche Länder besaßen ebenfalls Kohle. Jedenfalls hatten die Briten kein besseres wissenschaftliches Verständnis der Dampfkraft als andere Nationen. Vielleicht lag es an ihrer Bereitschaft, wirtschaftliche Forschungsreisen zu unternehmen. Sie waren mutiger. Einige Staaten machten den Sprung von der Landwirtschaft zur Industrie, andere jedoch nicht. Individuen und Staaten, die sich von den neuen Kräften leiten ließen, wurden reich. Sehr rasch waren die neuen britischen Industriellen vermögender als der Landadel, der seit Jahrhunderten die wohlhabendste Schicht Großbritanniens gewesen war. Jene, die sich nicht von den neuen Kräften leiten ließen, blieben, wo sie waren, und wurden, verglichen mit den anderen, allmählich ärmer. Man brauchte das industrielle Spiel nicht wie Großbritannien erfunden zu haben, um erfolgreich zu sein, doch man musste die Bereitschaft zeigen, es zu erlernen. Die Vereinigten Staaten und Deutschland schlossen sich der ersten industriellen Revolution in den dreißiger beziehungsweise vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts an. Japan stieß erst in den siebziger Jahren hinzu. Heutzutage konzentrieren sich die Debatten darauf, weshalb manche Länder zurückbleiben, während sich andere an die Spitze setzen. Im späten 19. Jahrhundert wurde das Wirtschaftssystem von einer zweiten industriellen Revolution erschüttert, die auf einer entscheidenden Erfindung (Elektrifizierung) und einer wichtigen deutschen Idee (systematische Investitionen in industrielle Forschung und Entwicklung auf der Grundlage der Hochschulwissenschaft) basierte. Die systemati-
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sche industrielle Forschung und Entwicklung beschleunigte den technischen Wandel und änderten dessen Charakter. Wer wirtschaftlich führend sein wollte, musste in industrielle Forschung und Entwicklung investieren. Deutschland und Amerika hielten sich an diese Regel, Großbritannien jedoch nicht. Es gehörte noch zu den reichen Nationen, doch es verlor seine Position als technologisch und wirtschaftlich führender Staat der Welt. Zum ersten Mal spielte eine große Zahl von gut ausgebildeten Arbeitskräften die zentrale Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg. Die Tatsache, dass Amerika hinsichtlich des Pro-KopfEinkommens vor dem Ersten Weltkrieg mit Großbritannien gleichzog, wird gewöhnlich den viel besser ausgebildeten Arbeitskräften und der damit einhergehenden höheren Produktivität zugeschrieben.5 Danach wagten einige Länder den Sprung in diese zweite industrielle Revolution hinein, andere hingegen nicht. Die Letzteren haben weiterhin Pro-Kopf-Einkommen, die sich kaum von denen der Feudalzeit unterscheiden. Während im Jahr 1700 Gleichheit herrschte, hatte im Jahr 2000 die Kluft im Pro-Kopf-BIP zwischen dem reichsten und dem ärmsten Land der Welt ein Verhältnis von ungefähr 140:1.6 Eine gewaltige Ungleichheit hat die einstige Gleichheit verdrängt. Aber andererseits leben Milliarden Menschen besser als die Könige vor ein paar Jahrhunderten. Im Rückblick sind bedeutende Umwälzungen leicht auszumachen. Man kann die Auswirkungen der Dampfmaschine, der Elektrifizierung und der systematisch betriebenen Wissenschaft nun deutlich erkennen, obwohl diese Effekte damals nicht vorherzusehen waren. Die Dampfmaschine ist ein gutes Beispiel. Ihren größten wirtschaftlichen Einfluss übte sie auf das Verkehrswesen und die Gütererzeugung aus, obwohl sie zur Lösung eines Energieproblems entwickelt wurde. Die Holzvorräte und die Kohlevorkommen oberhalb des Grundwasserniveaus waren in Europa erschöpft, und man musste Wasser aus den Kohlebergwerken herauspumpen, wenn Lebensmittel gekocht und Behausungen beheizt werden sollten. Die Dampfmaschine wurde entworfen, um ein sich langsam verstärkendes Industrieproblem zu lösen, aber sie wurde zur umwälzendsten Technologie seit der Erfindung der Landwirtschaft 8 000 Jahre zuvor. Der Mensch lernte, sich die mechanische Kraft zunutze zu machen.
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Die dritte industrielle Revolution Große technische Umwälzungen sind häufig sehr schwer zu erkennen, selbst wenn sie bereits begonnen haben. Heute leben wir in einer Epoche, welche die Historiker der Zukunft als dritte industrielle Revolution bezeichnen werden. Sprünge nach vorn und Interaktionen zwischen sechs wichtigen Technologien (Mikroelektronik, Computerwesen, Telekommunikation, künstliche Materialien, Robotik und Biotechnologie) lassen die Wirtschaft wieder einmal eine andere Richtung einschlagen. Diese Technologien und ihre Interaktionen bringen in ihrer Gesamtheit eine wissensgestützte Ökonomie hervor, die das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben aller Menschen systematisch ändert.7 Bill Gates ist das Symbol dieser neuen Ära. Während der gesamten Menschheitsgeschichte besaß die reichste Person der Welt natürliche Ressourcen: Land, Gold oder Öl. Doch Bill Gates hat nichts davon. Da ihm keine Fabriken oder Geräte gehören, ist er kein Kapitalist im altmodischen Sinne. Er ist zur reichsten Person der Welt geworden, indem er einen Wissensprozess kontrollierte. Damit steht er für den grundlegenden Wechsel zu einer wissensgestützten Wirtschaft. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ist es möglich, durch die Kontrolle von Wissen märchenhaft reich zu werden. Die Interaktion zwischen diesen sechs Technologien ist wahrscheinlich wichtiger als die Sprünge nach vorn auf jedem einzelnen Gebiet. Werfen wir einen Blick auf das Gesundheitswesen. Alle sechs dieser entscheidenden Technologien spielen eine Rolle für die Revolution im Gesundheitsbereich. Die Biotechnologie (1) führt zur Entwicklung neuer Medikamente, doch die Auswirkungen gehen weit über jene von sonstigen neuen Arzneien oder neuen diagnostischen Tests hinaus. Individuen unterscheiden sich genetisch voneinander. Oftmals kann die Krankheit einer Person, nicht jedoch einer anderen, durch ein spezifisches Medikament geheilt werden. Die computergestützte biomedizinische Informatik (2) ermöglicht Ärzten, persönliche genetische Profile herzustellen und Medikamente und Behandlungsmethoden auf die präzise genetische Beschaffenheit eines Individuums abzustimmen. Die Mikroelektronik (3) des medizinischen Imaging lässt uns Gesundheitsprobleme bis hin zum Niveau einzelner Zellen aufspüren. Das Fließen
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des elektrischen Stroms im Gehirn kann aufgezeichnet werden, und Ärzte können sich überzeugen, ob Medikamente tatsächlich das Zielorgan erreichen. Laser wurden für die Telekommunikation (4) entwickelt, doch sie haben rasch die Skalpelle im Operationssaal abgelöst. Neue Materialien (5) machen es möglich, Knorpelgewebe in arthritischen Gelenken nachwachsen zu lassen, und erlauben Ärzten die Implantation von Medikamentendosiersystemen. Das Aufbrechen des Brustkastens für Operationen am offenen Herzen ist die Technologie der Vergangenheit. Miniaturisierung und Robotik (6) erlauben die noninvasiven Operationen der Gegenwart. Da die Suche nach den billigsten Gegenden der Erde für die Herstellung von Produkten und nach den rentabelsten Gegenden zum Verkauf dieser Produkte von den neuen Kommunikationstechnologien ausgelöst wird, die aus den sechs genannten bahnbrechenden Technologien hervorgehen, werden die Folgen der dritten industriellen Revolution und die der Globalisierung hoffnungslos durcheinander gebracht. Globalisierung ist eine Wirkung, keine Ursache. Doch als derivative Revolution bringt sie auch eine Reihe von Spätfolgen mit sich. Wenn wir in Zukunft auf die dritte industrielle Revolution zurückblicken, werden wir uns wahrscheinlich nicht einmal an den Kommunikationsumschwung erinnern, der uns heute so wesentlich vorkommt. Wie es in einem kürzlich erschienen Buch – Tom Standages Das Viktorianische Internet (1999) – heißt, wurde die wirkliche Kommunikationsrevolution vom Telegrafen ausgelöst, denn damals ging der menschliche Austausch vom Pferdetempo zur Lichtgeschwindigkeit über. Das heutige Internet ist sogar langsamer als der gestrige Telegraf, da es keine augenblicklichen Informationen sendet, sondern sie in gebündelten Paketen verschickt. In Zukunft wird man das Internet für das halten, was es ist: einen raffinierten Telegrafen, den der Computer ermöglicht hat. Durch ihn bewegte sich die Kommunikation von der Maschinensprache (den Punkten und Strichen der Telegrafie oder den Nullen und Einsen des Computers selbst) zu menschenfreundlichen Interfaces wie denen des Tippens, der Rede und der Bilder. Diese Computerrevolution führte zu einer rasch benutzbaren Form der telegrafischen Kommunikation, dem Internet, das Datenmengen, darunter Bilder, senden und empfangen kann, welche die
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Aufnahmefähigkeit menschlicher Telegrafisten bei weitem übersteigen. In historischer Hinsicht wird die Biotechnologie den Platz des Dampfes und der Elektrizität in früheren Revolutionen einnehmen. Die Menschen haben zum ersten Mal die Fähigkeit erworben, ihren eigenen genetischen Code zu ändern. Sie können sich in etwas völlig anderes verwandeln und kontrollieren nun ihre eigene Evolution. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass diese Fähigkeit, uns selbst genetisch zu verändern, als zentraler Wendepunkt der gesamten Menschheitsgeschichte gelten wird. Sie wird vielleicht noch profunder erscheinen als der anfängliche Wandel von Jäger-und-Sammler- zu Agrargesellschaften oder als die Erfindung des Lesens und Schreibens. Die biotechnologische Revolution wird genauso umfassend sein wie die der Elektrifizierung. Die Fähigkeit, Erbkrankheiten zu kontrollieren, ist bereits vorhanden und wird rasch zunehmen. Genetische Veränderungen werden ermöglichen, eine Heilung für die Alzheimerkrankheit zu finden. Anfang 2003 warteten 81 000 Menschen auf Organtransplantate, 16 pro Tag starben aus Mangel an verpflanzbaren Organen, und nur 63 pro Tag erhielten lebensrettende Transplantationen.8 Transgene Schweine werden in Zukunft die erforderlichen Organe liefern, sodass niemand während der Wartezeit sterben muss. Die Biotechnologie produziert bereits Insulin für Diabetiker.9 Die Gentechnik wird uns auch ermöglichen, Spinnenseide (so stark wie Kevlar-Fasern, doch bedeutend elastischer) für viel bessere chirurgische Nähte und weit stärkere kugelsichere Westen als die aus Kevlar herzustellen.10 Man hat schon Tomaten produziert, die auf sonst brachliegenden, durch schlechte Bewässerungssysteme ruinierten Salzböden wachsen können.11 Auch hat man genetisch modifizierte Pflanzen entwickelt, die Schädlingen ohne Behandlung mit Pestiziden widerstehen, den Bedarf an chemischen Düngemitteln reduzieren und mit viel weniger Wasser wachsen können. Durch wissenschaftliche Prinzipien wissen wir, dass molekularbiologische Computer 260 000-mal so leistungsfähig wie elektronische Computer sein können.12 Die Gentechnik besitzt ein gewaltiges Potenzial, um sowohl der Umwelt als auch den Menschen zu helfen, die auf die Umwelt angewiesen sind. Die Biotechnologie wird uns sogar veranlassen, den Begriff »krank«
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neu zu definieren. Wer zu klein oder nicht schön genug ist, wird als krank gelten und damit zum geeigneten Objekt einer korrektiven genetischen Behandlung werden. Der Prozess hat bereits mit genetisch erzeugten Wachstumshormonen, die kleine Menschen größer machen sollen, und mit der gegenwärtigen Bewegung begonnen, Fettleibigkeit zu einer Krankheit – nicht zur Folge eines Mangels an Selbstdisziplin – zu erklären. Wenn Fettleibigkeit zu einer Krankheit proklamiert wird, ergibt sich die Möglichkeit zu genetischen Behandlungen, die den menschlichen Körper hindern, dick machende Nahrungsmittel zu verdauen. Dann wird sich auch die Gelegenheit ergeben, unser Verdauungssystem so zu ändern, dass es nicht mehr auf die Nahrungsmittelknappheiten der Vergangenheit, sondern auf die Überschüsse der Zukunft abgestimmt ist. Historisch gesehen hatte nagender Hunger, selbst wenn die Menschen satt oder dick waren, den Sinn, dass sie in den Sommermonaten mehr aßen, um die jährliche Hungersnot in den Wintermonaten überleben zu können. In einer Welt der Lebensmittelüberschüsse sollten Menschen die gegenteilige genetische Botschaft erhalten: ein ständiges Gefühl der Sattheit. Mutter Natur könnte diese genetischen Veränderungen in ein paar Millionen Jahren an den Menschen vornehmen und diejenigen sterben lassen, die zu dick werden, doch die Biotechnologie könnte den Wandel innerhalb weniger Jahre vollbringen. Auch abgesehen von der Biologie wird eine Reihe bedeutender Umwälzungen aus der dritten industriellen Revolution hervorgehen. Nehmen wir nur zwei von vielen Möglichkeiten, die sich aus Fortschritten der Materialkunde ergeben. 1. Neue künstliche Materialien gestatten den Übergang von der Kohlenwasserstoff- zu einer Wasserstoffwirtschaft. Der Verbrennungsmotor und die aus Kohle, Öl und Gas erzeugte Elektrizität werden durch Brennstoffzellen ersetzt, in denen sich Sauer- und Wasserstoff zur Herstellung von Strom und Wasser mischen. Brennstoffzellen sind seit langem bekannt. Im Wesentlichen handelt es sich um die Umkehrung des schulischen Chemieexperiments, bei dem man Wasser unter Strom setzt, um es in Sauerstoff und Wasserstoff zu spalten. Doch Brennstoffzellen waren zu teuer und beanspruchten zu viel Platz, um im normalen
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menschlichen Leben eingesetzt zu werden – die einzige Ausnahme war die Weltraumforschung. Diese Probleme hat man gelöst, doch andere bleiben bestehen. Bevor Autos mit Brennstoffzellen betrieben werden können, muss man eine Infrastruktur aufbauen, die 600 Millionen Autos pro Tag mit Wasserstoff versorgen kann.13 Schon ein kleines Leck in einem Wasserstofftank kann mächtige Explosionen auslösen, also sind lecksichere Speichertechniken erforderlich. Wenn die Umstellung jedoch erfolgt, werden 90 Prozent der Nachfrage nach Öl und 90 Prozent unserer städtischen Verschmutzung verschwinden. Die globale Erwärmung wird viel leichter zu beheben sein, wenn die 600 Millionen Autos auf der Erdoberfläche kein Kohlendioxid mehr erzeugen. 2. Neue künstliche Materialien haben die Entsalzungskosten in den letzten zehn Jahren um den Faktor 6 verringert und die Entsalzung gegenüber normalen Reinigungstechniken zur Herstellung von Trinkwasser konkurrenzfähig gemacht. Noch ist sie nicht billig genug für die Landwirtschaft oder für den industriellen Gebrauch, doch die Kostenkurven verlaufen weiterhin steil nach unten. Da weniger als 3 Prozent des Wassers der Erde aus Süßwasser bestehen (vieles davon ist im Polareis eingeschlossen), wird ein billiges Entsalzungsverfahren dramatischen Einfluss darauf haben, wo die Menschen leben und wo man ihre Lebensmittelvorräte erzeugt. Alle technologischen Revolutionen sind beängstigend. Niemand weiß, wohin sie führen und wie die Welt nach ihrem Abschluss aussehen wird. Wie in der Frage der genetischen Veränderungen setzten sie häufig voraus, dass sich unsere ethische Einstellung wandelt. Die Geschichte der wirtschaftlichen Erfolge und Misserfolge enthält eine einfache Botschaft: Ängstliche Gesellschaften sind keine reichen Gesellschaften. Sie veranlassen keine der mutigen Forschungsreisen, die für sie notwendig sind. Für geografische, intellektuelle oder wirtschaftliche Entdeckungsreisen benötigt man Individuen, die bereit sind, Risiken einzugehen, doch auch Gesellschaften, die bereit sind, Risiken zu tolerieren und die Reisen zu finanzieren. Im Zeitalter der geografischen Entdeckung waren Einzelne mutig genug, ins Unbekannte hinauszufahren, doch sie wurden von ihren Ländern unterstützt – Kolumbus zum Beispiel von
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der Königin und dem König von Spanien. In unserem Zeitalter der Wissenserforschung müssen Gesellschaften gleichermaßen bereit sein, Reisen nicht mehr ins geografische, sondern ins wissenschaftliche Unbekannte zu finanzieren. Was ist das heutige Gegenstück zu der gestrigen Furcht vor Seeungeheuern? Es ist die Angst vor genetisch modifizierten (GM) Pflanzen und Tieren sowie vor der genetischen Behandlung von menschlichen Krankheiten. Insbesondere in Europa ist die Furcht verbreitet, dass hier Ungeheuer lauern könnten. Für diejenigen, die Angst vor Ungeheuern haben, sind genetisch modifizierte Lebensmittel unnatürlich und besitzen das Potenzial, die menschliche Gesundheit zu bedrohen, die natürliche Umwelt zu zerstören, widerstandsfähigere Seuchen hervorzubringen und die Dritte Welt aus den Fugen zu heben. Häufig hört man, der Druck, an der biotechnologischen Revolution teilzunehmen, gehe aus der Globalisierung hervor. Finstere ausländische Produzenten zwängen ihre genetisch modifizierten Erzeugnisse jenen auf, die sie nicht haben wollen, heißt es. Die Nahrungsbranche selbst ist teilweise für diese Ängste verantwortlich, da sie mit den Vorzügen »natürlicher Lebensmittel« wirbt.14 Doch wenn man mit »natürlich« Produkte meint, die vom Menschen unbeeinflusst sind, dann gibt es keine natürlichen Lebensmittel. Erlesene Weine werden auf ausländischen Wurzelstöcken angebaut, um Philoxera – eine Krankheit, welche die natürlichen Wurzeln von Weinstöcken angreift – zu verhindern. Hybride, künstliche Samen, die durch altmodische Kreuzungen geschaffen werden, beherrschen jeden Bereich der Landwirtschaft.15 Sämtliche Tiere auf einem Bauernhof sind in gewissem Maße von Menschenhand geschaffen, genau wie all unsere Hunde. Kein genetisches Ungeheuer ist je entdeckt worden. Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, an sie zu glauben. Man redet von Superunkraut, aber keines ist bekannt. Schlechte Pflanzen entstehen nicht zufällig in der Wildnis, sondern sie müssen wie die guten Pflanzen im Labor hergestellt werden. Wie der Harvard-Biologe Richard Lewontin sagt: »Nichts ändert sich in dieser Situation [gemeint ist die Veränderung von Pflanzen durch Menschen] wesentlich durch die Einführung der Gentechnik.«16 Die britische Royal Society kann keinen Hinweis
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darauf finden, dass GM-Pflanzen die Gesundheit schädigen.17 Die Biotechnologie verbreitet keine Mikroben, sondern ändert die Gene während der normalen Fortpflanzung. Das Produkt und der Prozess sind anders, doch das Endresultat ist normal. Aber niemand kann beweisen, dass es keine Ungeheuer gibt. Die Wissenschaft kann nie ein Negativum beweisen: Wenn sie schlüssig nachweisen soll, dass Ungeheuer nichts mit genetisch modifizierten Pflanzen und Tieren zu tun haben, dann werden wir ewig warten. Die biotechnologische Revolution ist ein einheitliches Paket. Potenzielle genetische Fortschritte in Medizin, Landwirtschaft, Materialkunde und Computerwesen sind nicht von genetisch modifizierten Pflanzen und Tieren zu trennen, da die Prozesse zu ihrer Herbeiführung oft bedeuten, dass man Arzneien oder Produktionsmaterialien in genetisch modifizierten Pflanzen und Tieren heranwachsen lässt. Transplantierbare Organe kommen von transgenen Schweinen. Spinnenseide wird in genetisch modifizierter Ziegenmilch gezüchtet. Vitamin A, das Menschen in der Dritten Welt benötigen, um eine Form der Blindheit zu verhindern, wird ihrem Reis hinzugefügt. Medikamente gegen Hepatitis B werden in Kartoffeln entwickelt. Bioplastikstoffe stehen bereits im Wettbewerb mit hochwertigen petroleumgestützten Plastikmaterialien, doch sie müssen auf Bauernhöfen in genetisch veränderten Pflanzen gezüchtet werden, statt dass man sie in gewaltigen, zentralisierten Industrieanlagen herstellt.18 Wer genetisch modifizierte Pflanzen und Tiere ablehnt, lehnt die Revolution ab. Ob es Ungeheuer gibt oder nicht, lässt sich nur herausfinden, wenn man intellektuelle, wissenschaftliche und ökonomische Forschungsreisen unternimmt. Falls Ungeheuer existieren, werden die Forscher nicht zurückkehren. Falls es keine Ungeheuer gibt, werden die Forscher neue Lande mit unglaublichen potenziellen Reichtümern erobern. In der Dritten Welt werden genetisch modifizierte Pflanzen nicht gefürchtet, sondern freudig begrüßt. Die dem Anbau von genetisch modifizierten Pflanzen gewidmete Fläche nimmt in den Entwicklungsländern viel rascher zu (in China um 200 Prozent) als in der entwickelten Welt (um 18 Prozent in den Vereinigten Staaten), eben weil sich dadurch eine Chance bietet, das Agrareinkommen in Gegenden zu erhöhen, wo es bisher sehr niedrig ist.19 GM-Produkte mögen umwälzend
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sein, aber das wird in der Dritten Welt als positiv empfunden. Dort sorgt man sich nicht um Ungeheuer, sondern darum, von dieser Revolution ausgeschlossen zu werden und die neuen Technologien unter hohen Kosten für eigene Zwecke erwerben zu müssen. Man will nicht durch Protestierer in der Ersten Welt vor GM-Pflanzen geschützt werden, sondern wünscht sich die Möglichkeit, an einer gewinnbringenden Entwicklung teilzuhaben. Über den Grund dafür, dass Amerikaner und Europäer so unterschiedliche Standpunkte zu genetisch modifizierten Pflanzen und Tieren beziehen, lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Amerika ist von den aufsehenerregenden Lebensmittel- und Medikamentenproblemen (Rinderwahnsinn, Maul- und Klauenseuche, Contergan, polychlorierte Biphenyle PCB in der Coca-Cola) verschont geblieben, die Europa heimgesucht haben. Vielleicht haben die Amerikaner schlicht Glück gehabt, oder vielleicht ist ihre Gesundheitsbehörde, die Food and Drug Administration (FDA), einfach besser. In den europäischen Diskussionen über genetisch modifizierte Pflanzen oder Tiere werden jedoch zwei große Sorgen – nicht nur eine – laut: »Es könnte Ungeheuer geben« ist bloß Nummer zwei. Nummer eins lautet: »Es gibt keine Ungeheuer, und die Amerikaner werden bei der Eroberung dieses aufregenden neuen Territoriums einen Vorsprung von 50 Jahren haben.« Die Europäer wollen den Sprung nicht wagen, aber sie möchten auch nicht, dass die Amerikaner die Reise ins Land der Biotechnologie allein unternehmen – aus Furcht, dass diese Erfolg haben könnten. Technologische Revolutionen sind schwer zu datieren. Denn sobald sie deutlich werden, lassen sich die ersten Anzeichen ihrer Entwicklung viel weiter zurückverfolgen. Deshalb fragen sich Beobachter im Rückblick häufig, wie die damaligen Zeitgenossen übersehen konnten, dass eine Revolution im Gang war. Die Doppelhelix wurde Mitte der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts entdeckt, und in den späten fünfziger Jahren hielt man die ersten Lehrgänge in Biotechnologie, damals Biophysik genannt, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ab. Die Datierung von Revolutionen ist in vieler Hinsicht willkürlich, doch für unsere Zwecke kommt es darauf an, festzustellen, wann die damals Lebenden begriffen, dass sich etwas ganz Neues um sie herum abspielte. Im Fall der dritten industriellen Revolution war diese Erkennt-
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nis vor den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts kaum anzutreffen, und sie verbreitete sich beschleunigt erst in den neunziger Jahren. Das Internet wurde zum ersten Mal in den späten sechziger Jahren als Mittel der militärischen Kommunikation eingesetzt, aber in seiner zivilen Erscheinungsform trat es erst Mitte der neunziger Jahre hervor. Plötzlich war die Leistungskraft der elektronischen Datenverarbeitung (die sich seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte) weithin verfügbar, weithin nützlich und – vor allem – weithin sichtbar. Es gab nun einen Grund, abgesehen von dem der Textverarbeitung, einen Personalcomputer zu besitzen. Neue Dinge wie das Herunterladen von Musik wurden möglich. Alte Dinge wie der Einzelhandel konnten auf neue Art abgewickelt werden. Diejenigen, die als Erste herausfanden, was sich während dieser Revolution ereignete, wurden reich. Niemand weiß, was nicht funktionieren wird. Alles könnte funktionieren. Es ist der Beginn einer neuen Ära. Neue Branchen und neue Begriffe wie »Dotcom« erschienen. In dieser dritten industriellen Revolution kommt es darauf an, die Mentalität eines Forschungsreisenden zu entwickeln. Können wir uns dem Unbekannten aktiv zuwenden und aus unserer Erfahrung lernen, was erforderlich sein wird, um neue technologische Kontinente zu entdecken und die wirtschaftlichen Ströme, die sie durchziehen? Wenn ja, so wird eine neue Wirtschaftswelt die alte erweitern, genau wie vor 500 Jahren eine neue geografische Welt die alte vergrößerte. Wie die früheren geografischen Forschungsreisenden werden wir entdecken, dass unsere Wirtschaftswelt riesiger ist, als wir gedacht haben. Neue Technologien werden unsere wirtschaftliche Kost ändern, so wie das Zuckerrohr, die Kartoffeln, der Mais und der Tabak der Neuen Welt die Ernährung der Alten Welt änderten. Das geografische Modell, dem wir auf unseren intellektuellen Reisen nacheifern sollten, ist das von Sir Francis Drake. Er unternahm sieben Reisen, von denen sechs im Wesentlichen scheiterten. In einem Fall kam er nicht einmal über die Azoren hinaus. Doch seine Bereitschaft zu neuen Fahrten und seine eine erfolgreiche Reise machten ihn zum reichsten Mann Englands. Er wurde für seine patriotischen Dienste zum Ritter geschlagen und ging für immer in die Geschichtsbücher ein. Vielleicht haben wir Glück und können seinem Beispiel folgen.
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Aber es handelt sich nicht nur um Glück. Der erfolgreiche Forscher studiert Unfälle, um zu lernen, wie man Wiederholungen verhindert, um bessere Vorhersagen für den Zeitpunkt von Katastrophen zu machen, um sich ein besseres Krisenmanagement anzueignen, um höhere Überlebensquoten zu erzielen, um zu verstehen, wie man das Durcheinander nach Unglücksfällen rasch und effizient beseitigt, wie man seine Gebäude besser gegen Katastrophen absichern kann. Der erfolgreiche Forscher studiert den Pfad, den Charakter und die Dynamik des bestehenden Wirtschaftssystems, weil er dadurch berechnen kann, in welchem Maße die neuen Kräfte, die auf das existierende System treffen, seine künftige Bahn beeinflussen werden. Die Eigenschaften, die ein geografischer, intellektueller, technologischer oder ökonomischer Forschungsreisender benötigt, sind einander alle recht ähnlich. Vor allem haben Forschungsreisende Spaß. Es besteht kein Zweifel, dass die intellektuellen Forschungen der neuen, globalen, wissensgestützten Wirtschaft so aufregend sein können wie die Entdeckung der physischen Eigenschaften unserer Erde vor 500 Jahren. Die Forscher – oder diejenigen, die ihnen folgen – müssen auch Architekten sein. Eine Vielzahl verschiedener globaler Wirtschaften kann aufgebaut werden. Welche Spezifizierungen sollten für sie gelten? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir sowohl die Kräfte, die das neue System gestalten, als auch den Pfad des alten Systems verstehen. Wenn Technologien sich ändern – und das ist heute der Fall –, dann müssen Ökonomien sich ebenfalls ändern. Die erste industrielle Revolution, ausgelöst durch die Dampfmaschine, und die zweite, ausgelöst durch die Elektrifizierung, zerstörten den Feudalismus. Die dritte ist dabei, unsere alten nationalen, industriellen Volkswirtschaften genauso gründlich zu zerstören.
Globalisierung Die Globalisierung ist keine unabhängige Revolution, sondern eine sekundäre, die sich von den neuen Kommunikationstechnologien herleitet, also einem Teil der dritten industriellen Revolution. Dadurch bietet
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die Bereitschaft, an der Globalisierung teilzunehmen, eine der Möglichkeiten, durch die Länder mithilfe der neuen Technologien reich werden können. Der Unterschied zwischen den Ländern, die bereit sind, den Sprung in dieses neue globale Wirtschaftsspiel zu wagen, und denen, die zurückstehen, hat nichts mit der Zugehörigkeit zur Ersten oder zur Dritten Welt zu tun. Einige der Länder, die gegenwärtig den Sprung in eine globale wissensgestützte Wirtschaft vollziehen, zählen zur Dritten Welt. China ist das beste Beispiel. Es erhält bei weitem die meisten ausländischen Direktinvestitionen aller Entwicklungsländer. Seine Exporte steigen zügig. Mit seinen 1,3 Milliarden Menschen würde es nicht so rasch wachsen, wenn es nicht Nutzen aus den globalen Märkten ziehen und technische Komponenten für die vermögende industrielle Welt herstellen könnte. Es hat genau deshalb Erfolg, weil es an der Globalisierung teilnimmt. Aus diesem Grund werden wir China in einem späteren Kapitel ausführlich betrachten. Subsahara-Afrika ist das schlagende Beispiel für eine Region, die nicht an der Globalisierung teilnimmt. Es erhält weniger als 2 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen und ist für weniger als 2 Prozent der Exporte der Welt verantwortlich. Als einziges Gebiet der Erde hat es ein Pro-Kopf-Einkommen, das unter dem von 1965 liegt und weiterhin fällt. Es scheitert, weil es nicht an der Globalisierung teilnimmt. Daher werden wir auch Subsahara-Afrika in einem späteren Kapitel betrachten. Die Spaltung zwischen den Ländern, die bereit sind, den Sprung in diese dritte industrielle Revolution zu wagen, und denen, die davor zurückschrecken, ist nicht nur in der Dritten Welt zu beobachten. Viele Staaten, die Mühe haben, den Sprung in die neu entstehende globale, wissensgestützte Wirtschaft zu vollziehen, gehören der Ersten Welt an. In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts erweiterte sich die Einkommenslücke zwischen Amerika und großen Teilen der übrigen industriellen Welt. 1991 lag das französische Pro-Kopf-BIP nur 1 000 Dollar unter dem der Vereinigten Staaten, während das Deutschlands und Italiens 2 000 Dollar und das Großbritanniens 5 000 Dollar niedriger war. Zehn Jahre später, im Jahr 2001, lag das Pro-Kopf-BIP des Vereinigten Königreichs 11 000 Dollar unter dem der Vereinigten Staa-
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ten, das deutsche war 12 000, das französische 13 000 und das italienische sogar 16 000 Dollar geringer.20 Das Pro-Kopf-BIP Westeuropas ist nun im Verhältnis zu dem der Vereinigten Staaten so niedrig wie noch nie seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.21 Sogar die Einkommenslücke zwischen den Vereinigten Staaten und seinem engsten und ähnlichsten Nachbarn Kanada hat sich stark vergrößert: von 2 000 auf 15 000 Dollar. Inmitten der technologischen Revolution müssen reiche Länder, wenn sie reich bleiben wollen, auf irgendeinem Wirkungsfeld die technologische Führung übernehmen. Kanada hinkt hinterher, weil es nicht die erforderlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigt.22 Reiche Länder, die während einer Wirtschaftsrevolution reich bleiben wollen, müssen in der Lage sein, die neuen Großunternehmen der Zukunft aufzubauen. Europa liegt zurück, weil es dazu nicht in der Lage ist. Fünf der 25 größten Konzerne der Welt sind neue, nach 1960 gegründete amerikanische Unternehmen, die nicht durch Fusionen gewachsen sind. Erst bei Nummer 73 (SAP) stößt man auf eine ganz von vorn aufgebaute europäische Gesellschaft, und sie ist das einzige neue europäische Unternehmen unter den 100 Spitzenkonzernen der Welt.23 Wie im Fall der beiden ersten industriellen Revolutionen werden manche Länder den Sprung vollziehen und manche nicht. Die bestehende 140:1-Kluft zwischen dem reichsten und dem ärmsten Land der Welt wird sich unzweifelhaft ausweiten, wenn man die gegenwärtigen Trends in die Zukunft extrapoliert. Das Aussehen einer allgemeineren Tabelle der Weltungleichheit hängt davon ab, wer springt und wer nicht. China zum Beispiel ist so groß, dass sich gegenwärtig mehr Gleichheit auf der Welt auszubreiten scheint, wenn man einen allgemeinen, globalen Maßstab der Einkommensungleichheit für Individuen oder Länder benutzt, der China in die Statistik aufnimmt. Wird es dagegen nicht einbezogen, scheinen wir es auf der Welt mit mehr Ungleichheit zu tun zu haben.24 Es gibt enorme Unterschiede zwischen den Ländern, was die Teilnahme an der Globalisierung angeht. Berücksichtigt man eine Vielzahl von Indikatoren – etwa die politische Mitarbeit in internationalen Organisationen, die Nutzung internationaler Technologien wie des Internets, persönliche Kontakte durch Reisen oder Telefonate und wirt-
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schaftliche Integration im Rahmen von Handel oder Investitionen –, so war Singapur im Jahr 2000 das am stärksten globalisierte Land der Welt. Am Ende der Liste befinden sich Länder, die überhaupt nicht globalisiert waren. Indien gehörte nicht in diese Kategorie, doch die Kennziffern von Singapur und Indien beliefen sich auf 23:1.25 Die Vereinigten Staaten nahmen auf dem Globalisierungsindex Rang elf ein. In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts hatten die Länder, die an der Globalisierung teilnahmen, ein Wachstum von mehr als 5 Prozent pro Jahr zu verzeichnen, während diejenigen, die sich ausschlossen, ein sinkendes Pro-Kopf-BIP aufwiesen.26 Wenn man sich die Spitzenplätze im Globalisierungsindex anschaut, so ist ein enger Zusammenhang sowohl mit höheren Löhnen als auch mit einer besseren Kontrolle der Umwelt zu beobachten.27 Aber was ist Ursache, und was ist Wirkung? Führen gute Leistungen zur Globalisierung, oder führt die Globalisierung zu guten Leistungen? Länder können ein Veto gegen die Globalisierung einlegen. Sie können sich weigern, die erforderlichen gut ausgebildeten Arbeitskräfte und die nötige Infrastruktur bereitzustellen. Auch können sie Zolltarife oder Einfuhrquoten verhängen, um den internationalen Handel zu reduzieren oder auszuschalten. Zudem können sie Auslandsinvestitionen einschränken. Aber wer die Globalisierung ablehnt, entscheidet sich wahrscheinlich dafür, aus dem einzig möglichen Prozess der Wirtschaftsentwicklung auszusteigen. Letztlich könnte es sich um die Entscheidung handeln, arm zu bleiben oder zu werden. Doch es sind nicht Länder allein, die ihr Einverständnis zur Globalisierung geben müssen. Es liegt an den Unternehmen, zu erkennen, ob ein Land die angemessenen Teilnahmekriterien besitzt, wenn sie entscheiden, wo sie ihre Tätigkeit ansiedeln sollen. Niemand ist daran interessiert, die Waren und Dienstleistungen von morgen in einem Land mit ungenügend ausgebildeten Arbeitskräften, ohne eine moderne elektronische Infrastruktur und mit einem gesellschaftlichen Chaos – Verbrechen, Korruption und Mangel an Sozialeinrichtungen – zu produzieren. Staaten müssen die Elemente liefern, die globale Konzerne verlangen. Andernfalls können Unternehmen den Eintritt eines Landes in die globale Wirtschaft effektiv verhindern. Außerdem müssen die Regierungen lernen, globalen Konzernen das
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Geschäftsmilieu in ihrem Land schmackhaft zu machen. Vielen Regierungen, ob in der Ersten oder in der Dritten Welt, fällt es nicht leicht, sich Unternehmen gegenüber in ein gutes Licht zu setzen. Zudem schafft die Globalisierung ihre eigene Dynamik. Zahlreiche Menschen suchen die Welt ab, wenn sie darüber nachdenken, wo sie ihren Jahresurlaub verbringen oder ihre Ausbildung absolvieren sollen. Auslandsreisen und das Studium in der Fremde ändern die geistige Einstellung. Es gibt eine Elite, deren Mitglieder beginnen, sich als Weltbürger einzuschätzen. Fernsehgeräte bringen Ereignisse aus der übrigen Welt genauso unmittelbar wie nationale Vorkommnisse in ihre Wohnungen. Als Kinder spielen wir mit globalem Spielzeug: mit den japanischen Pokémons oder den dänischen Legos. Die Globalisierung wirkt sich auf unsere sexuellen Praktiken aus. AIDS hat seinen Ursprung in Afrika und breitet sich auf die übrige Welt aus. Nationale Grenzen haben immer weniger psychologische und physische Bedeutung, da sich Millionen von Menschen legal und illegal über sie hinwegbewegen. Wenn jedoch im Grunde jeder gezwungen ist, dieses globale, kapitalistische Wirtschaftsspiel der dritten industriellen Revolution zu spielen, haben nationale Unterschiede auch im Hinblick auf Wirtschaftssysteme immer weniger zu bedeuten. Die Freiheit von Regierungen, eine unterschiedliche Ausgabenpolitik zu betreiben, schrumpft letztlich zusammen, wenn sie mit anderen Regierungen darum konkurrieren, bei ähnlichen Steuersätzen ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Infolgedessen können sie ihren Bürgern immer weniger Angebote machen, die sich von denen der Nachbarregierungen abheben. Es verwundert daher nicht, dass sich das Interesse daran verringert, separate Volkswirtschaften aufrechtzuerhalten. Der Aufbau der Europäischen Union ist nur das dramatischste Beispiel für diese Entwicklung. Länder mit einer langen Historie geben allmählich ihre Existenz auf – und eine lange Reihe von Staaten wartet auf den Beitritt. Für die Unternehmen ist die Erweiterung von nationalen auf globale Maßstäbe nur eine von mehreren neuen Dimensionen, auf die sie ihre strategischen Entscheidungen stützen müssen. Die neuen Technologien machen ihre alten Geschäftsmodelle zunichte, und sie müssen neue Modelle entwickeln, wenn sie rentabel bleiben wollen. Das gilt genauso für Firmen, die sich der alten Wirtschaft zuordnen, wie für
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jene, die mit ihrer Beteiligung an der neuen Wirtschaft werben. Strategieberater versichern beiden Arten von Unternehmen, sie könnten wachsen, fusionieren oder ihre Aktien verkaufen, um große Globalakteure zu werden, die sich überall mit allem beschäftigen (wie Goldman Sachs in der Finanzwirtschaft), oder um kleine, bewegliche Nischenakteure zu werden, die sich auf irgendeinem schmalen Gebiet als größte Experten der Welt hervortun (das hervorstechende Beispiel: Long-Term Capital Management mit seinen 16 Partnern – eine Mischung aus Nobelpreisgewinnern, Vice Chairmen der Notenbank und den erfolgreichsten Börsenhändlern der Wall Street – und 1 Billion Dollar an Anleihen). Aber die mittelgroße, auf eine Nation beschränkte Bank oder Versicherungsgesellschaft stirbt aus. Ob man die Globalisierung zu einer »Ursache« der steigenden Einkommensungleichheit zwischen den Ländern erklärt, ist eine Frage der Semantik. Es ist offenkundig keine Ursache in dem Sinne, dass man ihr vorwerfen könnte, die armen Länder der Welt noch ärmer zu machen. Die Globalisierung zerstört keine Länder, sondern ignoriert sie. Die Armen sind diejenigen, die von der Globalisierung übergangen werden.
Die Bewegung zum Kapitalismus Während neue Technologien die Globalisierung geschaffen haben, wurde sie in hohem Maße bereits in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch die Ideologie (den Kalten Krieg) zum Leben erweckt. Dann schob der Untergang der Ideologie (des Kommunismus) sie in den neunziger Jahren nachdrücklich in den Vordergrund. Angesichts der Konfrontation mit dem Kommunismus hatten sich die Vereinigten Staaten nach dem Krieg daran gemacht, ihre militärischen Verbündeten wirtschaftlich zu integrieren. Die Handelsrunden des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT (General Agreement on Tariffs and Trades), die 1947 in Genf begannen, hatten das Ziel, Zölle und Quoten abzubauen und eine stärker integrierte nichtkommunistische globale Wirtschaft hervorzubringen. Amerika konnte natürlich nicht
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der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (der Vorläuferin der Europäischen Union) angehören, doch es machte sich in den fünfziger Jahren besonders stark für sie. Auf beiden Seiten des Atlantiks wurde die Wendung »Vereinigte Staaten von Europa« häufig benutzt. Nach Meinung der Amerikaner würde der europäische Wohlstand große kommunistische Parteien, etwa in Frankreich und Italien, daran hindern, durch Wahlen die Kontrolle über ihr Land zu gewinnen. Auf der entgegengesetzten Seite der Welt, in Nordostasien, würde das wohlhabende Japan ein unversenkbarer Flugzeugträger sein. Die Aussicht, sich dieser globalen Wirtschaftsallianz anzuschließen, würde die Länder der Dritten Welt davor bewahren, vom Sozialismus und Kommunismus betört zu werden. Die UdSSR hatte sich ähnliche Ziele gesetzt. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in Westeuropa und das Comecon in Osteuropa waren Ausdrucksformen einer vergleichbaren Geisteshaltung. Jede der beiden Supermächte dachte, sie müsse ihre militärischen Partner wirtschaftlich enger an sich binden. Der globale Kapitalismus würde mit dem globalen Kommunismus in den Wettbewerb treten. Der Gedanke, dass nationale Regierungen für die Entscheidung zuständig sein sollen, sich an der heutigen Globalisierung zu beteiligen oder nicht, geht aus der Tatsache hervor, dass das Element der »Wahl« in jener politisch inspirierten ersten Welle der Globalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielte. Staaten konnten wählen, ob sie sich dem kapitalistischen oder dem kommunistischen Block anschließen oder in der blockfreien Welt bleiben wollten. Solange der Kommunismus als lebensfähiges Wirtschaftssystem galt, hatte der globale Kapitalismus ungeachtet der technologischen Imperative seine Grenzen. Der Kapitalismus konnte keine vollkommen globalen Züge annehmen, denn ein großer Teil der Erde befand sich außerhalb seiner Reichweite. 40 Prozent der Menschheit lebten unter dem Kommunismus. Doch die Grenzen waren sogar noch enger als die durch die Existenz kommunistischer Länder auferlegten. Viele Regierungen der Dritten Welt wurden vom Kommunismus angezogen und verharrten ideologisch im Bereich der Blockfreiheit zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Sie besaßen Wirtschaftssysteme, in denen sich Kapitalismus und Kommunismus mischten, doch in der Regel stan-
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den sie durch ihren Glauben an die Effizienz der sozialistischen Gesellschaft dem Kommunismus viel näher als dem Kapitalismus. Indien war das beste Beispiel. Auch innerhalb der wohlhabenden entwickelten Welt galt der Sozialismus als Kontrapunkt zum Kapitalismus. Europa hatte starke kommunistische und sozialistische Parteien, und das Regierungseigentum an den Produktionsmitteln war weit verbreitet. Solche Überzeugungen bremsten die Ausbreitung der freien Marktwirtschaft und der Globalisierung, die zunehmend vom Kapitalismus impliziert wurde. Aber das alles gehört nun der Vergangenheit an. China beschloss in den späten siebziger Jahren freiwillig und die Sowjetunion der neunziger Jahre notgedrungen, den Kommunismus aufzugeben und sich in Richtung Kapitalismus zu bewegen. Ihre Versäumnisse und Entscheidungen diskreditierten den Sozialismus in aller Welt. In Westeuropa konnten kommunistische oder sozialistische Parteien nicht länger behaupten, eine Alternative zum Kapitalismus zu bieten. Diese Parteien lösten sich auf oder änderten ihre Namen. Keiner ihrer Vertreter konnte verkünden, die Partei sei gegen den Kapitalismus, denn dazu benötigte man eine glaubhafte Alternative. Es gab jedoch kein brauchbares alternatives System, das man hätte unterstützen können. Die wirtschaftlichen Versäumnisse Japans in den neunziger Jahren trugen ebenfalls dazu bei, dass sich die gegenwärtig sichtbaren amerikanischkapitalistischen Formen des Globalismus herausbildeten. Die japanische Regierung hatte keine ideologische Bindung an den Sozialismus, doch die Wirtschaft wurde durch ein System der administrativen Lenkung strikt kontrolliert. Es handelte sich nicht um eine zentrale Planwirtschaft, doch von freien Märkten konnte ebenfalls keine Rede sein. In den siebziger und achtziger Jahren übernahmen japanische Konzerne in einer Branche nach der anderen Marktanteile von amerikanischen und europäischen Gesellschaften. Japan galt als Vorbild für die Zukunft. Die japanische Ökonomie wurde als mächtige nationalistische Exportwirtschaft aufgebaut. Sie kaufte so wenig wie möglich in der übrigen Welt ein, und ausländische Investitionen in Japan wurden erschwert. Die Japaner waren die Pioniere des Lieferkettenmanagements, aber ihre Lieferketten lagen ausschließlich innerhalb des Landes und wurden von den lockeren japanischen Unternehmensverbänden, den
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keiretsu, praktiziert. Was immer Japan war, es konnte nicht als Vorbild der Globalisierung bezeichnet werden. Als das japanische Modell in den neunziger Jahren zusammenbrach, wodurch klar wurde, dass es nicht den Weg in die Zukunft markierte, blieb nur noch das amerikanische Muster übrig. Manche fürchteten und hassten es, andere liebten es und wollten es imitieren. Doch alle sonstigen lebensfähigen Optionen waren dahingeschmolzen. Da der globale, wissensgestützte ökonomische Überbau auf einem kapitalistischen Unterbau errichtet wird, muss man das Wesen jenes kapitalistischen Unterbaus verstehen, wenn man die Stabilität und den Charakter des globalen wissensgestützten Überbaus identifizieren will. Freie Märkte sind nicht leicht in Gang zu setzen. Um zu funktionieren, benötigen sie eine ganze Reihe sozialer Hilfsmaßnahmen, die sie nicht selbst bereitstellen können. Juristische Systeme müssen entworfen und in die Praxis umgesetzt werden. Materielle und geistige Eigentumsrechte sind von zentraler Bedeutung. Man muss wissen, wer was besitzt und wer das Recht hat, was zu verkaufen. In den früher kommunistischen Ländern Osteuropas war das Versäumnis, die Eigentumsrechte zu identifizieren und diese Entscheidung dann durchzusetzen, für einen großen Teil der Korruption und der ökonomischen Fehlschläge verantwortlich. Wenn die materiellen Eigentumsrechte nicht eindeutig sind, hat jeder, der etwas verkauft, womöglich einen unklaren Rechtstitel für das, was er anbietet. Damit wird er, technisch gesehen, zum Dieb. Die einzige Frage lautet: Ist er ein großer Dieb (der eine Schiffsladung Öl verkauft, die ihm nicht »gehört«) oder ein kleiner Dieb (der ein Huhn verkauft, das ihm nicht »gehört«)? Wenn die Bodeneigentumsrechte unklar sind, wird niemand die nötigen Investitionen tätigen, um einen produktiven Agrarsektor zu schaffen. Eine physische Infrastruktur muss bereitgestellt werden. Ohne ein Enteignungsrecht zum Wohl der Allgemeinheit (Zwangsverkauf von Privatbesitz, wenn dieser zur Entwicklung der Infrastruktur benötigt wird) kann kein Land ein hochwertiges Infrastruktursystem – Verkehr, Elektrifizierung, Kommunikationswesen – aufbauen. Da viele dieser Infrastruktursysteme auf natürlichen Monopolen beruhen, ist ein gewisses Maß an Regierungskontrolle unvermeidlich, wenn sie nach ihrer Fertigstellung gut funktionieren sollen.
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Genauso wichtig ist die gesellschaftliche Infrastruktur. Der moderne Kapitalismus ist auf gut ausgebildete Arbeitskräfte angewiesen. Theoretisch könnte die Ausbildung privat finanziert werden, doch kein Land hat sich bisher allein auf diese Weise sachkundige Arbeitskräfte zugelegt. Die Gründe sind dieselben, die man vor mehr als anderthalb Jahrhunderten klar erkannte, als ein universelles, vom Staat bezahltes Massenbildungssystem in den Vereinigten Staaten aufgebaut wurde. Die Verbindung zwischen dem Einkommen der Eltern und der Ausbildung eines Kindes muss getrennt werden. Man kann nicht zulassen, dass analphabetische Eltern, die jegliche Ausbildung ablehnen, ihre Unkenntnis an ihre Kinder weitergeben. Sogar gebildete Eltern investieren zu wenig in die Ausbildung – häufig aus guten finanziellen Gründen. Die Ausgaben machen sich erst viele Jahre später bezahlt. Legt man den diskontierten Kapitalwert zugrunde, so haben die 12 oder 16 Jahre nach Studienabschluss verdienten Dollar, verglichen mit den heute notwendigen Investitionen, kaum einen Wert. Außerdem kommen die Vorteile einem anderen (dem Kind) zu als denjenigen (den Eltern), die ihren gegenwärtigen Lebensstandard senken müssen, um die Investitionen für die Ausbildung aufzubringen. Oftmals überschätzen wir die Bereitschaft der Eltern, sich darauf einzulassen. Alle ausbilden zu lassen macht sich »im großen Stil« für Gesellschaften bezahlt, in denen die Risiken auf den Durchschnitt umgelegt werden können, doch auf persönlicher Ebene sind diese Investitionen nicht unbedingt klug, da sie sich für den Einzelnen häufig nicht bezahlt machen. Wie wir beim Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus gesehen haben, kann der Wechsel von einer Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft sehr leicht ins Chaos führen. Das geschieht, weil freie Märkte vieles mit dem Chaos gemein haben – doch sie sind nicht damit identisch. Das Gebrüll, das den Handel an der New Yorker Börse begleitet, ist ein gutes Beispiel. Es erinnert an ein Chaos, aber in Wirklichkeit ist es ein hoch organisiertes Spektakel. Wenn die Organisation jedoch auch nur ein wenig verpatzt wird, können Märkte von einem wirklichen Chaos ergriffen werden. Man denke an den Markt, der in Kalifornien für den Verkauf von Strom geschaffen wurde. Die Gesellschaft, in der er zustande kam, hatte genug
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einschlägige Erfahrung, und trotzdem brach ein Chaos aus. Die Gründe sind nicht schwer zu finden: In der Bewegung zur Marktwirtschaft werden viele von denen, die im früheren System – was immer es gewesen sein mag – erfolgreich waren, ihre Vermögensquellen verlieren. Es dürfte nicht erstaunen, dass sie versuchen werden, die neuen freien Märkte zu manipulieren, um ihren Verlusten entgegenzuwirken. Häufig hindern solche Manipulationen den Markt daran, seine Funktion zu erfüllen. Das war die Ursache etlicher Schwierigkeiten bei der Deregulierung des Strommarkts in Kalifornien. Bei den alten Versorgungsbetrieben dachte man, die existierenden Atomkraftwerke könnten wertlos werden (Altlasten), und wollte das neue Marktsystem so manipulieren, dass die Verbraucher – und nicht die Aktionäre der Versorgungsunternehmen – die Kosten für die Altlasten trugen. Durch politischen Druck konnten diese Wünsche durchgesetzt werden. Die Einzelhandelspreise wurden eingefroren, obwohl man annahm, dass die Großhandelspreise fallen würden. Diese Differenz zwischen fallenden Großhandels-Einkaufspreisen und fixen Einzelhandels-Verkaufspreisen für Elektrizität sollte die Kosten für die Beseitigung der Altlasten erbringen. Aber als die Großhandels-Einkaufspreise allen Erwartungen zum Trotz stiegen, sorgte die vorherige Manipulation des Systems dafür, dass es implodierte. Die flexiblen Großhandelspreise lagen über – nicht unter – den fixen Einzelhandelspreisen, die man maximal verlangen konnte. Die Versorgungsunternehmen, die zu hohen Preisen ein- und zu niedrigen Preisen verkauften, gingen rasch Bankrott, und der Staat Kalifornien musste die Kontrolle über sein Energiesystem übernehmen, damit der Strom weiter floss. Beim Übergang zur Marktwirtschaft muss das BIP eines Landes oftmals kurzfristig fallen, bevor es langfristig steigt. Aus Enttäuschung über diese Tatsache wird der Übergang manchmal gestoppt, bevor er eine Erfolgschance gehabt hat. Dieses Phänomen war in der UdSSR sehr klar zu beobachten. Der Kommunismus musste abgebaut werden, bevor man den Kapitalismus errichten konnte. Während des Abbaus führten Produktionsrückgänge zu sinkenden Einkommen. Deshalb brach man den Wechsel zum Kapitalismus ab, bevor die kapitalistische Produktion begonnen hatte. Niemand wollte sich mit den Tiefen abfin-
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den, die notwendig waren, um die späteren Höhen zu erklimmen. Aber man kann nicht auf halbem Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus stehen bleiben. Dann fehlen der kapitalistischen Wirtschaft die Preissignale, die sie braucht, um effiziente Entscheidungen zu treffen, und die zentrale Planwirtschaft ist nicht mehr in der Lage, die Befehle zu erteilen, durch die sie einst in Gang gehalten wurde. Die weltweite Verlagerung zum Kapitalismus findet deshalb statt, weil er sich auf Vermutungen über den menschlichen Charakter und die Technologie gründet, die den Realitäten der menschlichen Mentalität und der modernen Technologie zu entsprechen scheinen. Alle Alternativen zum Kapitalismus setzen voraus, dass es das vorrangige menschliche Motiv ist – oder sein sollte –, anderen zu helfen. Der Kapitalismus dagegen nimmt an, dass der Mensch in erster Linie durch Habgier und Eigennutz motiviert wird. Der Einzelne will mehr haben und, wenn möglich, reich werden. In ethischer Hinsicht stehen die vorgegebenen Motive des Sozialismus über denen des Kapitalismus. Unglücklicherweise scheint jedoch die Priorität, anderen zu helfen, nicht mit der menschlichen Wirklichkeit übereinzustimmen. Sozialismus, Kommunismus, Genossenschaften und Kibbuzim sind alle ausprobiert worden. Einige haben sich mit einem anfänglichen Kader aus gut motivierten, aufopferungsvollen Individuen für kurze Zeit als erfolgreich erwiesen, doch nichts konnte sich langfristig behaupten. Solche Systeme bringen nicht die gleiche Wirtschaftsenergie, die gleiche Selbstaufopferung und die gleiche Risikobereitschaft hervor wie der Kapitalismus, dessen Erfolg sich auf diese Faktoren stützt. Manche Länder sind weiter und zügiger vorangeschritten, um die Reste des Sozialismus in ihrer Volkswirtschaft zu reduzieren, doch im Prinzip bewegen sich alle in dieselbe Richtung. Nirgendwo greift der Sozialismus um sich.
3 Instabilität und Ungleichheit
Häufig wird behauptet, der Beginn der Globalisierung habe die Finanzkrisen der Dritten Welt ausgelöst, doch der wahre Grund ist gewöhnlich im Wechsel zum Kapitalismus zu finden. Die Globalisierung kann nur insofern verantwortlich gemacht werden, als die Entscheidung, an ihr teilzunehmen, auch eine Hinwendung zum Kapitalismus beinhaltet. Während sich die Welt von sozialistischen oder quasi-sozialistischen Organisationsformen entfernt, wird sie im Durchschnitt reicher, doch mit Sicherheit auch viel instabiler werden. Nicht aufrechtzuerhaltende Finanzbooms, plötzliche finanzielle Kernschmelzen und scharfe Rezessionen sind in den Gencode des Kapitalismus eingebaut. Wirtschaftliche Instabilitäten existierten lange vor der Erfindung der Globalisierung, und sie werden mit deren Ankunft nicht verschwinden. Die Geschichte des Kapitalismus ist mit Hunderten von Finanzkrächen und Wirtschaftsrezessionen übersät. Professor Kindleberger zählte in seinem klassischen Werk Manien – Paniken – Crashs allein im 19. Jahrhundert 28 bedeutende Beispiele.1 Die Namen der wirklich großen Zusammenbrüche hallen in der Geschichte wider: die Tulpenmanie in Holland in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die Südseeblase in Großbritannien und die Louisiana-Blase in Frankreich im 18. Jahrhundert sowie die von Amerika ausgehende Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die lateinamerikanische, die mexikanische und die brasilianische Kreditkrise von 1982 waren die ersten Finanzprobleme, die als Teil der Globalisierung galten. In den neunziger Jahren erhöhte sich die Zahl der Finanzkräche in der Dritten Welt. 1996 kam es zu einer weiteren mexikanischen Kreditkrise. 1997 nahm eine asiatische Krise in Thailand ihren Anfang und griff rasch auf Malaysia, Indonesien, die Philip-
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pinen und Südkorea über. Sie erschütterte die Grundlagen der Dritten Welt, da die betroffenen Länder noch ein paar Monate zuvor von der Weltbank als beste internationale Beispiele der Wirtschaftsentwicklung gepriesen worden waren. Im Gegensatz zu Lateinamerika waren ihre Haushalte nicht ausgewuchert, ihre Regierungen schuldeten ausländischen Banken keine gewaltigen Geldsummen, sondern verfügten über hohe Spar- und Investitionsquoten. Eine russische Krise begann 1998. Es gab keine logische Verbindung, doch die Panik breitete sich nach Brasilien aus. Die dort im Jahr 2000 erzwungene hohe Abwertung führte 2002 schließlich zum Versäumnis der Kreditrückzahlungen und zum finanziellen Zusammenbruch in Argentinien. Paraguay und Uruguay wurden in die Krise hineingezogen. Die Einzelheiten mögen sich unterscheiden, aber in großen Zügen hatten sämtliche spekulativen Kernschmelzen der vergangenen 400 Jahre ähnliche Ursachen und erforderten ähnliche Therapien. Der Ablauf der Ereignisse in einer Überhitzung ist gut bekannt. Der Wert mancher Anlagen steigt auf ein Niveau weit oberhalb der wirtschaftlichen Tragbarkeit. Jeder Investor (niemand hält sich selbst für einen Spekulanten) stellt sich vor, das Ende absehen und rechtzeitig aussteigen zu können – was jedoch nur wenigen gelingt. Während der Südseeblase in Großbritannien gehörte Sir Isaac Newton, einer der klügsten Menschen, die je gelebt haben, zu denen, die schließlich eine Menge Geld verloren. Hohe Intelligenz ist kein Schutz vor Habgier. Wenn überhöhte Anlagepreise fallen, werden einst gute zu schlechten Krediten. Vorher ausreichende Sicherheiten genügen nicht mehr, und man kündigt die auf ihnen beruhenden Darlehen. Die Banken, die eine Nichteinhaltung der Zahlungsfristen fürchten oder selbst nicht liquide sind, erneuern kurzfristige Kredite nicht mehr, die sie normalerweise automatisch verlängern würden. Die Kreditmärkte frieren ein. Lieferanten, die fürchten, nicht bezahlt zu werden, verlangen im Voraus Bargeld, statt wie üblich 90 Tage auf die Begleichung ihrer Rechnungen zu warten. Das Betriebskapital wird knapp. Innerhalb von Stunden nach dem Beginn der ostasiatischen Krise von 1997 gingen mit Rohstoffen für Korea beladene Schiffe an der Küste vor Anker und warteten darauf, dass Zahlungen verrechnet wurden, bevor sie ihre Fracht löschten. Sogar finanziell gesunde Unternehmen stellen fest,
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dass sie ihre Rechnungen nicht begleichen können, da sie plötzlich aufgefordert werden, Kredite zurückzuerstatten und Lieferanten im Voraus zu bezahlen. Firmen, die sich nicht selbst finanzieren können, gehen Bankrott. In Sorge um die Erhaltung ihres Vermögens flüchten sich Insider und Outsider in Währungen, die vermutlich nicht an Wert verlieren werden. Gewaltige Summen verlassen das Land, und der Kurs der Landeswährung stürzt in die Tiefe. Da der Kurs der Währung gesunken ist, steigen die realen Kosten für die Rückzahlung von Devisenkrediten. Beim Stand von 4 Pesos pro Dollar repräsentiert ein 100-MillionenDollar-Kredit eine Verpflichtung, 400 Millionen Pesos zurückzuzahlen. Bei 6 Pesos pro Dollar steigt die Schuld auf 600 Millionen Pesos. Da alle versuchen, ihren örtlichen Währungsbestand in Dollars umzutauschen, hat die Zentralbank irgendwann keine internationalen Reserven mehr, und sogar Unternehmen mit genügend lokalen Mitteln zur Rückzahlung ihrer internationalen Kredite können der notwendigen Devisen nicht habhaft werden. Eine Finanzkrise wird zu einer Geschäftskrise und dann zu einer Landeskrise. Das Problem vor einem Kollaps besteht nicht in dem Wissen, dass die Kurse irgendwann fallen werden, sondern darin, den Zeitpunkt und das Tempo des Rückgangs vorherzusagen. Wirtschaftsmodelle eignen sich vortrefflich für die Einschätzung fundamentaler Kräfte und Zwänge, doch zu Fragen des Timings schweigen sie. In diesem Sinne ist die Wirtschaftswissenschaft mit der Geologie zu vergleichen. Geologen haben ein sehr gutes allgemeines Verständnis der San-Andreas-Spalte in Kalifornien. Sie wissen mit absoluter Sicherheit, dass es dort zu einem großen Erdbeben kommen wird, aber nicht, ob das in einer Sekunde oder in 1 000 Jahren der Fall sein wird. Erdbeben sind ihrem Wesen nach unberechenbar. Die Geologen können nur die Verwerfungen kartieren und die Wahrscheinlichkeiten berechnen – und das Gleiche gilt für finanzielle Überhitzungen. Infektionen der Vergangenheit bringen keine künftige Immunität mit sich. Das normale historische Muster des Kapitalismus kennt periodische Zyklen der Stabilität und der Instabilität. Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise machen die Menschen vorsichtig und veranlassen Regierungen, strenge Vorschriften gegen spekulatives Verhalten zu ver-
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hängen. Dadurch blieben nach dem Zweiten Weltkrieg Finanzkräche in den fünfziger und sechziger Jahren aus. Doch in den siebziger Jahren zogen sich diejenigen, die sich noch an die Weltwirtschaftskrise erinnern konnten, aus Unternehmen und Regierung zurück. Ihre Nachfolger glaubten, dass es »nie wieder geschehen kann«. Damit war es kein Wunder, dass in den siebziger Jahren erneut Finanzkräche eintraten und sich in den Achtzigern und Neunzigern immer mehr häuften. In Amerika begann der Prozess mit dem effektiven Bankrott von New York, der größten Stadt des Landes, Mitte der siebziger Jahre. Kurz darauf musste die Regierung einen der größten amerikanischen Konzerne retten, die Chrysler Corporation. Die Spar- und Kreditkrise brach Mitte der achtziger Jahre aus. Die Börsenkurse fielen im Oktober 1987 um 25 Prozent. Dieser Crash wird von manchen Ökonomen als radikalster des letzten Jahrhunderts eingeschätzt, da er sich innerhalb von nur drei Tagen abspielte.2 Es folgte ein scharfer Rückgang der Immobilienpreise, der dann auf den größten Teil der industriellen Welt übergriff. Eine 12 Milliarden Dollar teure Investitionsanlage in der Londoner Canary Wharf wurde schließlich für eine halbe Milliarde Dollar erworben; Pariser Wohnungspreise fielen um 50 Prozent. Die neunziger Jahre begannen mit einer amerikanischen Rezession und einem japanischen Finanzkrach. Die japanische Krise wurde nicht durch ausländische Kapitalflucht oder eine unausgeglichene Zahlungsbilanz ausgelöst. Japan brauchte keine Mittel von der internationalen Gemeinschaft zu borgen, da es über den größten Devisenvorrat der Welt verfügte. Die japanische Krise hatte nichts mit der Globalisierung zu tun. Sie begann mit einer jähen Korrektur der unmäßig überhöhten Aktienkurse und der genauso übertriebenen Bodenpreise. Dadurch, dass Japan mit diesen Krächen nicht fertig wurde, blieb es zehn Jahre ohne – oder fast ohne – Wirtschaftswachstum. Die Japaner sprechen von ihrem »verlorenen Jahrzehnt«. Was niemand für möglich gehalten hatte – nämlich eine bedeutende, langwierige Kontraktion einer wohlhabenden entwickelten Ökonomie, im Grunde eine weitere Weltwirtschaftskrise –, war trotzdem eingetreten. In der übrigen entwickelten Welt folgten im Sommer 1992 rasch spekulative Angriffe auf die britische, die italienische und die französische Währung.
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Amerika prosperierte in den mittleren und späten neunziger Jahren, doch sein Internet-Aktienmarkt brach im Frühjahr 2000 zusammen, seine Wirtschaft machte im Jahr 2001 eine Rezession durch, und im Jahr 2002 ereignete sich ein allgemeiner Börsenkrach. Im Frühjahr 2002 waren die Technologiebörse NASDAQ um 80 Prozent und die New Yorker Börse um 45 Prozent gefallen. Dadurch verloren amerikanische Familien ein Vermögen von 7 000 Milliarden Dollar.3 Viele Firmen wurden aus dem Börsenverzeichnis gestrichen, als ihre Kurse unter einen Dollar fielen und dort verharrten. Im Herzen der amerikanischen Hochtechnologie, in Silicon Valley, gingen 800 Unternehmen Pleite, die Pro-Kopf-Einkommen sanken, und die Mieten fielen um 40 Prozent.4 Diese amerikanische Krise wurde nicht durch Kapitalflucht oder ein Problem mit der Zahlungsbilanz ausgelöst. Wie die japanische Krise war sie hausgemacht. Aber in einer integrierten Weltwirtschaft hat eine amerikanische Rezession enorme Auswirkungen auf die übrige Welt. Der amerikanische Börsenkrach und die Rezession griffen nach Europa und auf die exportgeleiteten Ökonomien am Pazifikrand wie Taiwan und Singapur über. Wirtschaftlich gesehen reitet die übrige Welt auf dem sich aufbäumenden amerikanischen Bronco. Es ist wichtig zu begreifen, dass all diese Ereignisse durch dieselbe Genstruktur verursacht wurden, die auch für die Erfolge des Kapitalismus verantwortlich ist. Deshalb lassen sich solche Fehlschläge nicht völlig ausschalten. Die negativen Aspekte zu beseitigen würde bedeuten, auch die positiven Aspekte zu entfernen. Die Krisen des Kapitalismus sind nicht zufälliger, sondern genetischer Art. Mein MIT-Kollege Paul Samuelson wurde zum Teil deshalb für seinen zweiten Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft nominiert, weil er in den dreißiger Jahren mithilfe seines Multiplikator-Akzelerator-Modells mathematisch nachgewiesen hatte, dass Rezessionen ein essenzieller Bestandteil des Kapitalismus sind. Seine Berechnungen sind leicht nachzuvollziehen. Warum sollte jemand 100 Stunden in der Woche arbeiten und den größten Teil seines Geldes sparen, statt einen langen Urlaub auf Bora Bora zu machen, und dann alles mit der Gründung einer neuen Firma riskieren, die eine 95-prozentige Chance des Scheiterns hat? Die Ant-
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wort ist ganz einfach: »Ich will reich werden.« Die Habgier veranlasst Menschen, schwer zu arbeiten, ihren Konsum einzuschränken und ihren gesamten Besitz durch die Gründung eines neuen Unternehmens aufs Spiel zu setzen. Habgier führt zu Wirtschaftswachstum und einem höheren Lebensstandard. Aber Habgier löst auch Finanzkräche aus. Die holländische Tulpenmanie in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts wird gemeinhin als der erste kapitalistische Finanzkrach angesehen. Die Züchtung von gerade aus der Türkei eingetroffenen Tulpen war etwas Neues für Holland. Niemand ahnte, welche Geschäftsmodelle funktionieren würden. Alles schien möglich zu sein. Auf dem Höhepunkt der Tulpenmanie wurde eines der schönen sechsstöckigen Grachtenhäuser für nur vier schwarze Tulpenzwiebeln verkauft. Jeder wusste damals – genau wie heute –, dass dies ein verrückter Preis war. Langfristig kann der Preis einer Tulpenzwiebel nämlich nicht erheblich über den Kosten ihrer Züchtung liegen. Ein paar Tage vorher hatte man ein Haus für acht schwarze Tulpenzwiebeln kaufen können, was ebenfalls verrückt erschien. Aber wer in diesem Stadium aus dem Markt ausgestiegen war, hatte eine Gelegenheit verpasst, sein Geld noch einmal zu verdoppeln. Solche Chancen sind unwiderstehlich, denn man hat nicht jeden Tag die Möglichkeit, reich zu werden. Obwohl bekannt ist, dass die Preise auf Dauer nicht so hoch bleiben können, glaubt jeder, vor dem Ende aussteigen zu können – und sofort kaufen zu müssen. Wer wusste in den späten neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mit der linken, rationalen Gehirnhälfte, dass Internetfirmen ohne Gewinne und mit geringem Umsatz nicht Dutzende von Milliarden Dollar wert sein konnten? Wir alle wussten es. Aber wir hatten die Chance, reich zu werden. Unser Kritikvermögen war zeitweilig ausgeschaltet, weil wir alle sahen, wie Menschen so gut wie mühelos an ein Vermögen gelangten. Nachdem wir von den vielen neuen Milliardären gelesen hatten, kamen wir uns dumm vor, wenn wir das Spiel nicht mitmachten. Wie im Fall der Tulpen vor fast 400 Jahren konnte keiner von uns widerstehen. Es ist ein einfaches Gesetz der ökonomischen Schwerkraft, dass Kurse, die schwindelerregende Höhen erreichen, irgendwann abstürzen – und meistens sehr schnell. Erfahrene Insider und naive Außenseiter wer-
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den gleichermaßen von den schnellen Umschwüngen überrascht. Sehr wenige der Internetmilliardäre machten ihre Anlagen rechtzeitig zu Bargeld.5 Sie glaubten ihrer eigenen Propaganda. Optimismus ist die zweite Eigenschaft, die für das Funktionieren des Kapitalismus erforderlich ist. Wer ein Unternehmen betreibt, muss glauben, dass es Erfolg haben wird. Andernfalls würde er sein Geld und seine Karriere nicht aufs Spiel setzen. Man erkundige sich bei jeder Firma einer Branche, welchen Marktanteil sie im kommenden Jahr zu erreichen gedenkt. Erhält man bei der Addition der gemeldeten Zahlen dann mehr oder weniger als 100 Prozent? Natürlich mehr. Und wenn wir Branchen ins Auge fassen, in denen zur Erreichung eines größeren Marktanteils erhebliche Vorausinvestitionen in Infrastruktur und Produktionskapazität vorgenommen werden müssen, dann haben wir es automatisch mit Zyklen der Überinvestition – und der zu ihrer Überwindung notwendigen Rezessionen – zu tun. Die Herdenmentalität ist der dritte Faktor, welcher der Instabilität des Kapitalismus zugrunde liegt. Angenommen, eine Antilope sieht einen Löwen. Sie sollte davonlaufen! Angenommen, eine Antilope sieht, wie sich das Gras bewegt. Sie sollte davonlaufen! Angenommen, eine Antilope sieht eine andere Antilope davonlaufen. Sie sollte es ebenfalls tun! Die Antilope, die stehen bleibt, um herauszufinden, ob sich ein Löwe nähert oder nicht und ob er hungrig ist oder nicht, wird aufgefressen werden. Wenn sich kein Löwe nähert, kann die Antilope später nach Belieben zurückkommen und Gras fressen. Laufen macht Spaß und ist eine prächtige Übung. Das Gleiche gilt für die Finanzmärkte. Vor dem Zusammenbruch im März/April 2000 konnten Internetfirmen nichts falsch machen. Unternehmen ohne Gewinne und mit geringem Umsatz waren Abermilliarden Dollar wert. Nach dem April konnten sie nichts richtig machen. Zwei Marketinggesellschaften untersuchten die Umsätze zu Weihnachten 2000. In der Verkaufssaison acht Monate nach dem Internetkrach meldeten sie, die Dotcom-Umsätze seien um 54 beziehungsweise 85 Prozent gestiegen.6 Gleichzeitig berichteten sie, die Umsätze in herkömmlichen Warenhäusern hätten um 0,1 beziehungsweise 0,2 Prozent zugenommen. Trotzdem lauteten die Finanzschlagzeilen: »Internet-Versager« und »E-Tail [Elektronischer Handel] sieht lang-
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weiliger Saison entgegen«.7 Man hatte erwartet, dass sich die Umsätze um 150 Prozent steigern würden, und als das nicht der Fall war, redete man von Misserfolgen. Ende 2000 geriet die Finanzherde in Panik und lief vor dem »E-Tail« davon, obwohl bekannt gegeben wurde, dass elektronische Flugticketbuchungen zum ersten Mal mehr als 50 Prozent sämtlicher Kartenverkäufe der Fluggesellschaften ausgemacht hatten, dass Amazon 10 Prozent der Bücher in Amerika vertrieb und dass 16 Prozent der Finanzdienste elektronisch bereitgestellt wurden.8 Die Internetfirmen waren, subjektiv gesehen, Versager, obwohl sie, objektiv gesehen, Erfolge verzeichneten. Während des Internetbooms gab es eine kleine Anzahl von Investmentfondsmanagern, die sich weigerten, Dotcom-Unternehmen zu kaufen, weil diese überbewertet seien.9 Was ist aus ihnen geworden? Alle wurden entlassen, weil ihre Ergebnisse unter dem Marktdurchschnitt lagen. Aber sie hatten Recht, wie sich mittlerweile herausgestellt hat. Die Internetfirmen waren die hohen Kurse nicht wert. Sind irgendwelche dieser Personen erneut als Investmentfondsmanager eingestellt worden? Die Antwort lautet »nein«. Die Botschaft ist schlicht: »Es macht sich stets bezahlt, mit der Herde zu rennen, selbst wenn man glaubt, dass die Herde Unrecht hat.« Warren Buffett, der reichste und vielleicht scharfsinnigste reine Investor Amerikas, weigerte sich ebenfalls, Internetfirmen zu kaufen. Er bezeichnete sie als »Kettenbrief«.10 Letztlich hatte er Recht, doch sein Fonds, Berkshire Hathaway, blieb weit hinter dem Marktdurchschnitt zurück; 1999 fiel er um mehr als 20 Prozent, während alle anderen Fondskurse um über 17 Prozent stiegen.11 Buffett war zu vermögend, besaß zu viele Aktien seines eigenen Unternehmens und war in der Vergangenheit zu erfolgreich gewesen, als dass man ihn hätte feuern können, aber die Finanzpresse kritisierte ihn heftig als uninformierten, ausgelaugten, altmodischen Investor. Hier sind nur ein paar Beispiele für die Schlagzeilen: »Warren Buffett – der Mann von gestern.«12 »Buffett gesteht Fehler ein.«13 »Dies könnte das Jahr sein, in dem wir übrigen klüger geworden sind als Warren Buffett.«14
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»Es wird Zeit für den Weisen von Omaha, in den Ruhestand zu treten.«15 »Heute noch ein Guru, morgen von der Bildfläche verschwunden. Es hat etwas Trauriges, geradezu Peinliches an sich, einen verblassenden Star zu beobachten, der sich nicht rechtzeitig zurückziehen will.«16
Jeder andere wäre daraufhin gefeuert worden. In seiner jährlichen Gesellschafterversammlung im März 2000 musste Buffett ein kapitalistisches öffentliches Geständnis seines Irrtums ablegen, das sehr große Ähnlichkeit mit den in der Kulturrevolution Chinas erzwungenen öffentlichen Geständnissen hatte. »Die Zahlen lassen erkennen, wie kläglich unsere Leistung 1999 war ... Mein Zeugnis enthielt vier Sechsen und eine Vier. Es steht durchaus nicht fest, ob wir wieder zu Kräften kommen werden.«17 Wie uns die Genstruktur des Kapitalismus lehrt, muss dafür gesorgt werden, dass man beim Aufbau einer globalen Wirtschaft die unvermeidlichen ökonomischen Schocks und die von ihnen verursachten Schäden einschränkt. Niemand wird in der Lage sein, einen völlig stabilen globalen Überbau auf einem instabilen kapitalistischen Unterbau zu errichten. Aber man kann einen globalen Überbau konstruieren, der den ökonomischen Erdbeben zu widerstehen vermag. Die Weltwirtschaftskrise konzentrierte sich auf die USA, da die Amerikaner keine stoßfeste nationale Wirtschaftsstruktur aufgebaut hatten. Das verlorene Jahrzehnt Japans kam zustande, weil das Land keine stoßfeste nationale Wirtschaftsstruktur aufgebaut hatte. Beides war zu vermeiden. Neue Epochen der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten führen zu wirtschaftlichen Stürmen. Was tatsächlich funktioniert, ist recht begrenzt – und schwer zu finden. Man muss eine Menge Fehlschläge hinnehmen. Die Dotcom-Telekommunikationsblase der späten neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts brachte den Finanz- und Wirtschaftskrach hervor, den die Welt in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts durchlebt. Selbst wenn der Übergang zu einer wissensgestützten Wirtschaft vollzogen ist, werden die Instabilitäten des »boom and bust« nicht verschwinden, denn sie sind Teil des Kapitalismus. Die Erfolgreichen lernen, sie zu überwinden. Zum Glück ist der perfekte Sturm sehr selten, und die wirtschaftlichen Prinzipien für den Umgang mit normalen irdi-
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schen Wirtschaftsstürmen sind gut bekannt und gut durchschaubar – selbst wenn man sie nicht immer anwendet. Es sollte nicht überraschen, dass schlechte Seeleute in Schwierigkeiten geraten. Gute Seeleute überleben zumeist.
Wirtschaftliche Ungleichheit Während die Globalisierung oft für die zunehmende Einkommensungleichheit verantwortlich gemacht wird, ist sie nur einer von mehreren Faktoren, die unsere Ökonomien zu einer größeren Ungleichheit fortschreiten lassen. Leider wirken alle drei unserer gleichzeitigen Revolutionen auf die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung hin. Was die Markteffizienz angeht, ist Ungleichheit ohne Belang. Kapitalistische Ökonomien können sich einer ungleichen Verteilung der Kaufkraft mühelos anpassen. Bürgerliche Warenhäuser müssen sich mit einem kleineren Marktanteil begnügen (Sears) oder das Geschäft aufgeben (Gimbals). Elegante (Bloomingdales) und billigere (WalMart) Warenhäuser florieren. Man darf nicht vergessen, dass in Amerika mehr als zwei Jahrhunderte lang eine sowohl vom Kapitalismus als auch von der Sklaverei geprägte Marktwirtschaft betrieben wurde. Die Probleme der Ungleichheit sind politischer Art.
Kapitalismus Beginnen wir mit dem Wechsel zum Kapitalismus. Hier ist die Einkommensverteilung breiter als unter dem Kommunismus oder dem Sozialismus. Es ist eine alte, doch wahre Geschichte. Der britische Ökonom Herbert Spencer beobachtete im 19. Jahrhundert Ungleichheiten, die ihn veranlassten, von einem durch das »Überleben des Tüchtigsten« geprägten Kapitalismus zu sprechen – ein Begriff, den Darwin später für seine Theorie der biologischen Evolution übernahm. Spencer sah eine so brutale Variante des Kapitalismus voraus, dass er glaubte, die
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»wirtschaftlich Untüchtigen« würden verhungern und damit »aussterben«. Mit der Einführung neuer Technologien werde der Bedarf an vorher gut bezahlten Facharbeitern wie Glasbläsern schwinden. Die Löhne würden sinken. Die sichtlich zunehmende Verelendung ließ Marx die Kommunismustheorie erfinden. Britische Arbeiter, nun als Ludditen oder Maschinenstürmer bekannt, fürchteten Ähnliches und versuchten, die Ausbreitung des Kapitalismus zu stoppen, indem sie dessen Maschinen vernichteten. Ein Teil der verstärkten Ungleichheit des Kapitalismus geht auf die Tatsache zurück, dass man in sozialistischen Ökonomien eine Ideologie der Gleichheit vertrat und sie in gewissem Maße sogar praktizierte. In regierungseigenen Betrieben sind die Einkommensunterschiede viel geringer als in Privatunternehmen. In Amerika werden die am besten bezahlten 100 Chief Executive Officers (CEO) tausendmal so hoch vergütet wie ein durchschnittlicher Arbeiter.18 In Regierungsunternehmen beziehen die CEOs nicht so gewaltige Gehälter. Zum Beispiel muss der Verteidigungsminister sich mit einem geringeren Gehalt zufrieden geben als viele CEOs sehr kleiner Privatfirmen. Doch die Ungleichheit zwischen den beiden Systemen beruht in erster Linie auf der Tatsache, dass es in sozialistischen Ökonomien keine kapitalistischen Eigentümer der Produktionsmittel gibt. Die Gesellschaften, welche die Anhäufung von privatem Produktivkapital gestatten, verfügen ihrem Wesen nach über eine viel ausgeprägtere Ungleichheit als jene (sozialistischen) Gesellschaften, die vielleicht genau die gleichen Löhne zahlen, aber keine Anhäufung von Privatkapital zulassen. In den Vereinigten Staaten haben die oberen 10 Prozent aller Haushalte ein Durchschnittseinkommen, das 16-mal höher ist als das der unteren 20 Prozent, aber ihr Vermögen ist 106-mal so hoch.19 Der kapitalistische Reichtum ist viel ungleicher verteilt als die kapitalistischen Löhne. Bill Gates’ Vermögen geht nicht aus seinem hohen Gehalt hervor, sondern aus der Tatsache, dass seiner wohltätigen Stiftung und ihm 25 Prozent von Microsoft gehören. Erfolgreiche Untenehmer bringen eine ungleiche Verteilung des Einkommens und des Wohlstands hervor. Finnland findet sich widerwillig mit dieser Realität ab. Die egalitäre Verteilung von Einkommen und Vermögen, auf die man in Finnland
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ehemals stolz war, ist durch den Erfolg von Nokia ausgelöscht worden. Finnland besitzt nun eine neue Schicht von Millionären. Im Kapitalismus müssen die neuen Großunternehmen der Zukunft auf den Bemühungen der Menschen aufgebaut werden, die heute neue, kleine Firmen gründen. Am Anfang weiß niemand, was gelingen wird. Für ein paar beeindruckende Erfolgsgeschichten sind Millionen von Start-ups notwendig. Die Belohnung für die Sieger ist enorm, aber nur wenige können sich dazu zählen. Der Kapitalismus ist im Grunde eine Lotterie, die sehr viele Mitspieler braucht, um eine sehr kleine Zahl sehr großer Gewinner hervorzubringen. Individuen, die reich werden wollen, kaufen sich ein Los durch die Bereitschaft, unablässig zu arbeiten, ihren gegenwärtigen Konsum zur Finanzierung von Investitionen zu opfern und alles für die Gründung jener Millionen neuer Firmen zu riskieren. Die meisten können in der ökonomischen Lotterie nicht gewinnen. Sie opfern ihre Freizeit, ihren Konsum und vielleicht ihre Zukunft ohne jede Entschädigung. Die wenigen Gewinner, welche die neuen Großunternehmen der Zukunft aufbauen, werden märchenhaft reich. Vier der zehn wohlhabendsten Menschen in Amerika sind Waltons, die Erben des Wal-Mart-Vermögens. Die kapitalistische Ungleichheit wächst mit der Zeit, denn die Wirtschaftsentwicklung ist in mancher Hinsicht ein Staffellauf, bei dem diejenigen, die sich vorangearbeitet haben, an der Spitze bleiben. Dominierende Führungspositionen werden nicht bloß von einer Generation an die andere weitergegeben, sondern auch von einer Geschäftstransaktion zur anderen. Die erste Milliarde ist am allerschwersten zu verdienen. Einmal reich gewordene Familien diversifizieren ihr Vermögen und kehren nur noch sehr selten in die Mittelschicht zurück. Ein großes Vermögen zu verlieren ist genauso schwer, wie es zu verdienen. Der Landadel in Großbritannien, der Jahrhunderte alt ist, zählt immer noch einige der reichsten Individuen des Landes zu seinen Angehörigen. Von der Königin abgesehen, stammen drei der 13 vermögendsten Personen aus dem Landadel, und etliche der übrigen repräsentieren altes Geld.20 Die ursprüngliche Generation der Duponts und Rockefellers machte ihr Vermögen vor einer langen Zeit, aber viele Mitglieder der heutigen Familiengeneration sind weiterhin sehr reich. Die Waltons werden noch lange auf der Liste der wohlhabendsten Amerikaner ste-
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hen. Der Mythos, dass man innerhalb von drei Generationen »von Hemdsärmeln zu Hemdsärmeln« zurückkehre, ist wirklich nichts anderes als ein Mythos. Profitmaximierung dient als starkes Motiv für Effizienz (etwas, das bei sozialistischen Firmen nicht sehr oft zu finden ist), aber sie verlangt auch, sich derjenigen zu entledigen, die der Kapitalismus nicht benötigt (der Alten, der Kranken, der Arbeitslosen), und sie reduziert die Löhne, die den Arbeitskräften gezahlt werden. Es versteht sich demnach, dass Firmen ihre Waren im Ausland produzieren, wodurch die Löhne im Mutterland sinken. Die wirtschaftliche Unsicherheit ist im Kapitalismus sehr hoch. Arbeiter – und nicht nur Unternehmer – müssen bereit sein, Risiken einzugehen. Wenige Arbeitsplätze stehen ein ganzes Leben lang zur Verfügung. Andere Wirtschaftssysteme, etwa der Feudalismus, haben größere Sicherheit zu bieten. Im Feudalismus sorgen die Dorfbewohner dafür, dass niemand hungert, denn jeder ist ein Teil irgendeiner Familie oder einer Sippe. Im kommunistischen China bezeichnete man die Tatsache, dass jeder ungeachtet seiner wirtschaftlichen Situation Nahrungsmittel und eine Behausung erhielt, als »eiserne Reisschüssel«. Für jene, die nicht an den Kapitalismus gewöhnt sind, müssen sich die individuellen Verhaltensmuster ändern, damit die Ungleichheit nicht zunimmt. Das in Dörfern übliche Verhaltensmuster (halte eng mit Freunden und Verwandten zusammen) eignet sich nicht für den Kapitalismus. Hier müssen Arbeiter willens sein, aus Regionen mit verfallenden Branchen in Regionen mit Wachstumsbranchen umzuziehen, wenn ihr Einkommen nicht sinken soll. Die Bindung an Familie und Freunde darf nicht zu stark sein. Zufall, Glück und Pech spielen eine große Rolle bei der Einkommensverteilung im Kapitalismus. Biblisch gesprochen lässt Gott es regnen über Gerechte und Ungerechte, und auch Manna fällt vom Himmel auf Gerechte und Ungerechte. Irdisch gesprochen gewinnen manche Individuen das ökonomische Lotteriespiel, während andere nur von wirtschaftlichen Stürmen getroffen werden. Der Kapitalismus bringt keine faire Einkommensverteilung hervor, bei der jeder genau das erhält, was er »verdient«. In homogenen Gruppen, deren Angehörige nach Ausbildung, Erfahrung, Beschäftigung, Branche, Alter und
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jedem anderen messbaren Merkmal übereinstimmen, gibt es trotzdem noch enorme Einkommensunterschiede. Damit nicht genug, die Einkommensverteilung innerhalb spezifischer Gruppen ist fast so unausgeglichen wie in der gesamten Nation. Und diese Beliebigkeit nimmt zu. Sie erklärt mehr als die Hälfte des Wachstums der Lohnungleichheit in den Jahren 1979 bis 2000 sowohl für Männer als auch für Frauen.21 Die Ursache bleibt allerdings ein Rätsel. Definitionsgemäß können keine konventionellen Faktoren verantwortlich sein, die sich auf das Einkommen von Gruppen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen auswirken, da hier von wachsenden Einkommensdifferenzen bei Personen mit den gleichen Kenntnissen und Erfahrungen die Rede ist. Wirtschaftlicher Erfolg und steigende Ungleichheit sind im Kapitalismus kein Gegensatz. Häufig begleiten sie einander sowohl in einzelnen Firmen wie in der Nation. Die letzte Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Zeit, in der Amerika auf wirtschaftlichem Gebiet rasch zu Großbritannien aufschloss, doch es war auch eine Ära der rasch zunehmenden Ungleichheit.
Die dritte industrielle Revolution Ungleichheit kann unter vielen Aspekten betrachtet werden, und jeder bedeutende Wandel des Wirtschaftssystems muss sie hinsichtlich einiger dieser Aspekte vergrößern und hinsichtlich anderer verkleinern. Der Übergang zu einer wissensgestützten Wirtschaft sowie Programme für Chancengleichheit und positive Diskriminierung haben das Durchschnittseinkommen ganztägig beschäftigter Frauen von 56 auf 78 Prozent desjenigen von Männern hochgetrieben. Die wachsenden wissensgestützten Dienstleistungsbranchen zahlen Frauen relativ mehr, während die schrumpfende verarbeitende Industrie immer weniger hoch bezahlte Posten für Männer zu bieten hat. Gleichzeitig besteht kein Zweifel daran, dass die wissensgestützte Ökonomie die Kenntnislücken zwischen Ländern und Individuen vergrößern wird. Fachkenntnisse gewinnen an Bedeutung, während die reine Arbeitskraft eine immer geringere Rolle spielt. Was wird ein un-
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ausgebildeter Mensch in 50 Jahren tun? Der Prozess hat bereits begonnen. Seit den frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist das Realeinkommen der 10 Prozent männlicher Spitzenkräfte zwischen 18 und 64 Jahren um 30 Prozent gestiegen, während das Einkommen des Durchschnittsverdieners um 8 Prozent gesunken ist.22 Die Einkommensdifferenz zwischen den beiden hat sich mehr als verdoppelt. Über 30 Jahre hinweg scheint es zu einem dramatischen Unterschied gekommen zu sein, aber in jedem einzelnen Jahr traten nur geringfügige Änderungen ein. Um ganz genau zu sein, der Abstand zwischen den oberen 10 Prozent und dem Durchschnitt wuchs um 860 Dollar pro Jahr. Insgesamt hat sich der Anteil der oberen 10 Prozent der männlichen Beschäftigten am Gesamteinkommen von etwas weniger als 32 Prozent auf ein wenig mehr als 41 Prozent gesteigert, wobei zwei Drittel der ungefähr 10-prozentigen Erhöhung von dem oberen 1 Prozent der Bevölkerung vereinnahmt wurden.23 Die Ungleichheit in Amerika wächst und ist wieder dort, wo sie zu Beginn der Weltwirtschaftskrise war. Bisher zeigt dieses Beispiel, dass Einkommensdifferenzen, wenn sie langsam wachsen, viel größer als in der Vergangenheit werden können, ohne dass sich eine sichtbare politische Reaktion einstellt. Aber es ist schwer zu glauben, dass die wirtschaftliche Ungleichheit in Demokratien unbegrenzt zunehmen könnte.
Globalisierung Die Globalisierung verstärkt die Folgen des Wechsels zum Kapitalismus und zu einer wissensgestützten Ökonomie, in der Kenntnisse wertvoller sind. Wenn Kapitalisten ihren Horizont erweitern und die Welt nach den billigsten Produktionsstätten und den rentabelsten Orten für den Verkauf ihrer Waren absuchen, sehen sie neue, ganz andere globale Gelegenheiten vor sich. Im Einklang mit diesen verteilen sie ihre Wirtschaftsaktivitäten über nationale Grenzen hinweg. Ihre Wünsche lassen sich mühelos beschreiben: Auf Profitmaximierung bedachte Firmen verlagern ihre Tätigkeit von Orten mit niedrigem an solche mit hohem Gewinn. Denn das eigentliche Ziel der Globalisierung besteht
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darin, dass Unternehmen ihre Aktivitäten aussiedeln, um die Gewinne zu erhöhen. Niemand würde solche Maßnahmen treffen, wenn die Profite dadurch nicht wüchsen. Während Unternehmen nach höheren Ertragsraten für ihre Investitionen suchen, verlagern sie ihre Aktivitäten von Hochlohnländern (wodurch die dortigen Löhne sinken) in Niedriglohnländer (wodurch die dortigen Löhne steigen), bis sich die qualifikationsbereinigten Verdienste ausgeglichen haben. Man verlagert die Aktivitäten nicht mehr, wenn das Kapital überall den gleichen Ertrag erbringt. Am Ende erhalten alle mit den gleichen Qualifikationen das gleiche Entgelt. Kein Individuum bekommt eine Lohnprämie, weil es zufällig in einem reichen Land lebt, und niemand erleidet einen wirtschaftlichen Nachteil, weil er zufällig in einem armen Land lebt. Wirtschaftswissenschaftler nennen diesen Prozess »Faktorpreisausgleich«. Ein perfekter Faktorpreisausgleich ist nicht zu finden (genau gleiche Löhne für die gleichen Fertigkeiten existieren innerhalb der Vereinigten Staaten nicht), aber er lässt jedenfalls Löhne und Kapitalerträge näher aneinander rücken. In technischer Hinsicht ist der Faktorpreisausgleich der Indikator, an dem man den Umfang der Globalisierung messen sollte. Wenn sich Löhne und Kapitalerträge nicht überall stärker angleichen, kann von einer globalen Wirtschaft noch keine Rede sein. Bezogen auf reiche Länder wie die Vereinigten Staaten verlangt der Faktorpreisausgleich einen Anstieg der durchschnittlichen Kapitalerträge und ein Sinken der Durchschnittslöhne. Die Gründe sind Angebot und Nachfrage. Eine globale Wirtschaft verfügt über weniger Kapital pro Arbeiter als die amerikanische Ökonomie. Kapital wird knapper und erhält einen höheren Wirtschaftsbonus. Global betrachtet werden die Arbeitskräfte relativ zahlreicher, wenn sich die armen Ökonomien den reichen anschließen. Was die Theorie vorhersagt, lässt sich an den Daten ablesen. In den amerikanischen Statistiken sind der Kapitalertrag und der Anteil des staatlichen Einkommens, der dem Kapital zufließt, in den vergangenen beiden Jahrzehnten gestiegen, während die Arbeitskräftekosten und der Anteil des staatlichen Einkommens, welcher der arbeitenden Bevölkerung zufließt, gesunken sind.24 Irland ist ein gutes Beispiel für den Faktorpreisausgleich. Vor 20
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Jahren waren die Gehälter von Technikern viel niedriger als im übrigen Europa. Indem globale Firmen Kapital in Irland anlegten, ließen sie die Kosten von Technikern steigen. Deren Gehälter liegen nun nicht mehr unter denen des übrigen Europa. Auf diese Weise wurde Irland von einem Staat am Ende der europäischen Einkommenstabelle zu einem in der oberen Hälfte der Tabelle, aber daneben verstärkte sich die ungleiche Einkommensverteilung. Die Löhne für ungelernte Arbeiter stiegen nicht so rasch wie die für Facharbeiter. Wie Irland zeigt, ist der Faktorpreisausgleich nicht in erster Linie ein Phänomen, das die Beziehung zwischen Erster und Dritter Welt betrifft. Der Warenhandel findet überwiegend nicht zwischen entwickelten und Entwicklungsländern statt, sondern zwischen den entwickelten Staaten. 54 Prozent der amerikanischen Importe kommen aus anderen reichen Ländern.25 Die bei weitem größten Kapitalzuflüsse in Form von ausländischen Direktinvestitionen – etwa zwei Drittel der Gesamtinvestitionen der Welt – gehen in die Vereinigten Staaten. In Amerika waren die nachhaltigsten Folgen des Faktorpreisausgleichs in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu beobachten. Sie wurden nicht von armen Ländern der Dritten Welt, sondern von Deutschland und Japan hervorgerufen und machten sich nicht bei völlig unausgebildeten Arbeitskräften, sondern bei männlichen HighSchool-Absolventen mit mittlerer Qualifikation bemerkbar. Ende der sechziger Jahre war der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen. Deutsche und japanische Unternehmen waren zum ersten Mal bereit, mit amerikanischen Firmen zu konkurrieren. Anfang der siebziger Jahre lagen die Löhne der japanischen Fertigungsindustrie bei nur 32 Prozent der entsprechenden Bezahlung in den Vereinigten Staaten und in Deutschland bei 50 Prozent. Da die Produktivitätsabstände in Branchen wie der Automobil-, der Werkzeugmaschinen- und der Stahlindustrie weit geringer waren als diese Lohnunterschiede, hatten Deutschland und Japan niedrigere Produktionskosten als ihre amerikanischen Konkurrenten, die zahlreiche männliche High-School-Absolventen einstellten und ihnen hohe Gewerkschaftslöhne zahlten. Während deutsche und japanische Unternehmen ihre Produkte gewinnbringend in die Vereinigten Staaten exportierten und sich dort einen Marktanteil sicherten, gingen in Amerika hoch bezahlte Arbeits-
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plätze in diesen Branchen verloren. Die arbeitslos Gewordenen übernahmen zu einer viel niedrigeren Bezahlung eine Tätigkeit in anderen Branchen, hauptsächlich im Dienstleistungsbereich. Dadurch sanken die Löhne männlicher High-School-Absolventen in Amerika drastisch und liegen noch heute, real gesehen, ungefähr 10 Prozent unter dem Niveau von 1973. In der deutschen und japanischen Fertigungsindustrie dagegen stiegen die Löhne, da sich die Branchen ausweiteten und die Währungskurse anzogen. Ende der siebziger Jahre lagen die japanischen Löhne bei 100 und die deutschen bei 109 Prozent der in den Vereinigten Staaten gezahlten.26 In letzter Zeit ist häufig die Rede vom Faktorpreisausgleich zwischen den Löhnen in der Dritten Welt und denen der völlig ungelernten Arbeitskräfte in den Vereinigten Staaten. Die Auswirkungen, wenn sie überhaupt existieren, sind unbedeutend. Falls die Dritte Welt einen Einfluss auf amerikanische Löhne ausübt, dann gewiss auf die der am schlechtesten qualifizierten US-Bürger. Aber die Löhne von HighSchool-Aussteigern haben zu denen von High-School-Absolventen aufgeschlossen, und die Bezahlung der unteren 10 Prozent hat mit jener der durchschnittlichen Arbeitskräfte Schritt gehalten. Zwar hat die Ungleichheit zugenommen, doch es ist die Kluft zwischen der Mitte und der Spitze, die sich erweitert, nicht die zwischen der Basis und der Mitte. Die größte nachweisbare Auswirkung auf die Löhne im unteren Bereich ist nicht auf den Handel, sondern auf die Einwanderung (eine weitere Route zum Faktorpreisausgleich) zurückzuführen. In Gegenden wie Südkalifornien, wo es viele Einwanderer gibt, sind die Löhne für unausgebildete Einheimische gefallen. Der Faktorpreisausgleich kommt nicht isoliert zustande, sondern ist an die Entwicklung einer wissensgestützten Ökonomie gekoppelt. Wissensgestützte Unternehmen benötigen viel weniger relativ unqualifizierte Arbeiter und viel mehr qualifizierte Designer, Ingenieure, technische Verkäufer und leitende Angestellte. Design, Marketing, Finanzierung und Forschung nehmen an Bedeutung zu, während die Rolle der Produktion nachlässt. Die angenommenen Ergebnisse werden komplizierter – und realistischer –, wenn man begreift, dass qualifizierte Arbeitskräfte gleichzeitig Arbeiter und Kapitalisten sind. Sie besitzen menschliches Kapital. Dieser Wandel der Nachfrage sowie die Investitionen, die erforderlich
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sind, um qualifizierte Arbeitskräfte hervorzubringen, lassen sie zu einem besonders knappen Faktor werden. Der Wandel im Hinblick auf die Qualifikationen lässt sich in den Vereinigten Staaten hauptsächlich an der Lohnstatistik für Männer ablesen. In den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts sank die Bezahlung männlicher College-Absolventen im Vergleich zu der männlicher High-School-Absolventen. Die Gründe lagen auf der Hand: Das Angebot an College-Absolventen wuchs rascher als die Nachfrage, das Angebot an High-School-Absolventen dagegen verringerte sich rascher als die Nachfrage. Dieses Muster kehrte sich in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren um. Die Bezahlung männlicher High-School-Absolventen ging im Vergleich zu der von Akademikern zurück. In den letzten 25 Jahren ist die Einkommensdifferenz zwischen den beiden Gruppen von 50 auf 75 Prozent angewachsen. Ein weiterführendes Studium (mit dem Abschluss Master oder Doktor) bringt nun einen Einkommensvorsprung von 160 Prozent mit sich, gegenüber den früheren 80 Prozent.27 In den Entwicklungsländern sind es ebenfalls die qualifizierten Arbeitskräfte, die durch die Globalisierung am meisten zu gewinnen haben. Wenn Auslandsinvestitionen in einen Staat hineinfließen, steigen die Durchschnittslöhne, doch die professionellen Einkommen nehmen rascher zu als die Löhne für ungelernte Arbeitskräfte. Das Nettoergebnis sind höhere, doch ungleichere Löhne. Wiederum bestätigen die Tatsachen das, was der Faktorpreisausgleich anzeigen würde. Sowohl in China als auch in Indien steigt das Einkommen relativ qualifizierter Stadtbewohner rasch, verglichen mit den stagnierenden Löhnen der unausgebildeten Arbeitskräfte im dörflichen Hinterland.28 Auf der Suche nach den billigsten Standorten zur Herstellung ihrer Produkte verlagern Unternehmen ihre Technologie in alle Teile der Welt. Aber Technologie kann nur in Entwicklungsländern angesiedelt werden, die das Personal zu ihrer Nutzung besitzen. Deshalb erhält China eine Menge ausländischer Direktinvestitionen und Afrika fast keine. Das Ergebnis ist harsch: Wer die Technologie am dringendsten benötigt, erhält am wenigsten davon. Dieses Problem kann sich nur noch intensivieren. Eine Milliarde der sechs Milliarden Menschen auf der Erde sind Analphabeten, wenn man die einfachste Definition zugrunde legt (kannst du deinen eigenen Na-
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men lesen und schreiben?), zwei Milliarden sind Analphabeten nach einer etwas schwierigeren Definition (kannst du einen Satz über dein eigenes tägliches Leben schreiben und lesen?), und wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Welt besteht aus funktionellen Analphabeten (kannst du auf dem Niveau des vierten Schuljahrs agieren?).29 Der zweiten Definition zufolge sind die Hälfte der Subsahara-Afrikaner und 60 Prozent der Bevölkerung des indischen Subkontinents als Analphabeten zu bezeichnen. Doch in 50 Jahren wird es weder in der Ersten noch in der Dritten Welt eine starke Nachfrage nach Arbeitern geben, die des Lesens und Schreibens unkundig sind. Roboter, die unseren Rasen mähen, existieren bereits, und bald werden wir auch über Roboter verfügen, die unsere Wohnungen säubern. Solange die meisten Arbeiter der Welt unausgebildet sind, wird die globale Ungleichheit zunehmen. In einer wissensgestützten Ökonomie arbeiten mehr Menschen im Dienstleistungssektor und weniger in der Warenproduktion wie Fertigung, Bergbau, Bauwesen und Landwirtschaft. Das wäre mit oder ohne Globalisierung der Fall, doch die Verlegung von Fertigungsbranchen in andere Teile der Welt beschleunigt den Trend in den vermögenden entwickelten Ländern. Zwischen 1990 und 2002 brachte der Dienstleistungssektor 20 der 23 Millionen neuen Nettoarbeitsplätze in Amerika hervor. Bergbau, Bauwesen und Fertigungsindustrie dagegen verloren 1 Million Arbeitsplätze.30 Infolgedessen werden die Messungen nationaler Ungleichheit von den Bedingungen im Dienstleistungssektor beherrscht. Hier kommt es entscheidend auf die jeweiligen Sozialsysteme an. In Ländern wie Japan oder den kontinentaleuropäischen Staaten, wo im Dienstleistungssektor aufgrund der Gesetze oder des Gesellschaftseinflusses ähnliche Löhne gezahlt werden wie in der Fertigungsindustrie, hat die nationale Ungleichheit nicht zugenommen. In Ländern wie den Vereinigten Staaten, wo die durchschnittlichen Barlöhne im Dienstleistungsbereich um ungefähr ein Drittel hinter denen in der Fertigungsindustrie zurückbleiben und wo zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers (Renten, Krankenversicherung, Urlaubsgeld) entweder viel geringer sind oder gar nicht existieren, hat der Wechsel zu den Dienstleistungen ein starkes Wachstum der Ungleichheit mit sich gebracht. Diese Situation verschärft sich noch dadurch, dass die Löhne im Dienstleistungssektor viel differenzierter sind als in der Fertigung. Die Kluft zwischen dem In-
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vestmentbanker und dem Tellerwäscher ist größer als die zwischen dem CEO und dem am schlechtesten bezahlten Fertigungsarbeiter. Was getan werden muss, um Ungleichheit zu vermeiden, ist klar, doch das Verfahren ist kompliziert. Wenn Kenntnisse wertvoller werden und der Mangel an Qualifikationen immer mehr Nachteile mit sich bringt, dann müssen denen, die keine Ausbildung haben, mehr Kenntnisse vermittelt werden. Es gilt, das Fachwissen sowohl in der Dritten als auch in der Ersten Welt zu erhöhen. Nichts ist wichtiger als die Ausbildung. In der Dritten Welt kommt es darauf an, Ausbildungssysteme einzurichten und sämtliche Kinder Schulen besuchen zu lassen. In der Ersten Welt kommt es darauf an, die Ausbildung für jene zu verbessern, die zwar die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, aber aus irgendeinem Grund keine Qualifikation erwerben. Glücklicherweise ist es nötig, den Zugang zum Bildungssystem und dessen Effektivität zu verbessern, um sowohl die Ungleichheit zu reduzieren als auch das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Es gibt keine faulen Kompromisse, die man zwischen Wirtschaftswachstum und Ungleichheit schließen könnte. Aber unglücklicherweise spricht man in der Ersten wie in der Dritten Welt dauernd über Verbesserungen des Ausbildungssystems, ohne jedoch viel zu tun. Der Faktorpreisausgleich bedeutet nicht, dass die Ungleichheit in der Welt zunehmen muss. In Verbindung mit der dritten industriellen Revolution besagt er allerdings, dass die Einkommensungleichheiten wachsen werden, wenn die Ausbildungslücke nicht schrumpft. Doch dies wird infolge der neuen, Kenntnisse erfordernden Technologien sogar ohne Globalisierung im Länderrahmen der Fall sein.
Warum liegt uns die Sache am Herzen? Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern ist eines der wesentlichen Merkmale moderner kapitalistischer Ökonomien. Häufig wird Ungleichheit gewissermaßen zu einer Krankheit unseres Wirtschaftssystems erklärt. Ihre Existenz sei zu beklagen. Aber es handelt sich
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nicht um eine Krankheit, sondern um eines der Hauptmerkmale des Systems. Es verschwindet nicht automatisch, wenn Länder reicher werden, sondern man muss es gezielt bekämpfen. Ungleichheit hat es stets gegeben, doch während der Menschheitsgeschichte hielt man sie zumeist für normal und unwandelbar (die Armen sind immer unter uns) – fast wie eine geologische Gegebenheit. Man akzeptierte sie wie das Wetter. Nichts deutet darauf hin, dass die alten Ägypter, Griechen und Römer oder die im Feudalismus Lebenden sich Sorgen über die wirtschaftliche Ungleichheit gemacht oder über Methoden zu ihrer Verringerung nachgesonnen hätten. Sie machten sich Sorgen über Hungersnöte und Lebensmittelknappheit, nicht jedoch über den Einkommensunterschied zwischen ihrem Kaiser und dem Durchschnittsbürger oder zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel ihrer Bürger. Die wirtschaftliche Ungleichheit wurde erstmals nach der ersten industriellen Revolution zu einem sozialen oder politischen Problem. Dafür gab es vier Gründe. Erstens glauben Wirtschaftshistoriker, wie wir gesehen haben, dass es vor der Erfindung der Dampfmaschine im Jahr 1700 keine bedeutsamen Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern der Welt gegeben habe. Niemand sorgt sich um Probleme, die nicht existieren. Zweitens, wenn der größte Teil des ökonomischen Outputs in Fabriken hergestellt wird und nicht von Unwägbarkeiten des Klimas, des Niederschlags und der Bodenfruchtbarkeit abhängt, unterliegt es keinem Zweifel, dass Menschen die Verteilung des Wirtschaftsertrags, falls sie es wollen, genauso kontrollieren können wie die Menge ihrer Produktion. Drittens, vor der ersten industriellen Revolution gab es Unterschiede darin, wie viel Menschen zu essen hatten, wie groß ihr Schlafzimmer war und wie viele Diener ihnen halfen, doch all diese Faktoren hatten ihrem Wesen nach Grenzen. Man braucht nicht sehr viel Nahrung, um satt zu werden. Durch ein größeres Schlafzimmer wird der erkennbare Lebensstandard kaum erhöht, solange man schläft. Eigentlich kommt es nur darauf an, dass man nicht friert. Ein Diener konnte nicht sehr viele Dinge für einen mittelalterlichen Gebieter tun, zu denen dieser nicht selbst fähig gewesen wäre. Vor der ersten industriellen Revolution gab es große Unterschiede in der Macht – aber nicht im Einkommen.
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Fertigwaren und Reisemöglichkeiten ermöglichten es später jedoch, dass man sich tatsächlich einen weit höheren Lebensstandard leisten konnte. Ein höheres Einkommen bedeutete plötzlich etwas. Innerhalb der Länder schenkte man der Ungleichheit nun mehr Beachtung. Viertens, durch die Demokratie sind wir zu dem Glauben gelangt, dass alle Menschen gleich geschaffen seien und deshalb das gleiche Recht hätten, wenigstens eine gleiche Chance zum Reichwerden – und vielleicht von vornherein die gleiche Wahrscheinlichkeit – zu erhalten. Die Demokratie (eine Person, eine Stimme) setzt ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Gleichheit voraus. Eine Mehrheit der Wähler muss das Gefühl haben, vom Wirtschaftssystem zu profitieren, wenn sie es für fair halten soll. Deshalb legen sämtliche Demokratien starken Nachdruck auf ein Element der sozialen Umverteilung. Regierungen müssen der Wählermehrheit etwas bieten. Karl Marx reagierte auf die öffentliche Meinung und bekräftigte sie, als er die wirtschaftliche Ungleichheit zur zentralen ökonomischen Frage seines Kommunistischen Manifests erhob: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.« Sein Manifest wird nicht mehr gelesen, doch sein Zorn und seine Meinungen über die Ungleichheit sind noch heute lebendig. Man muss im Gedächtnis behalten, dass sich Marx’ Worte nicht erfüllten. Der Kapitalismus überlebte und strafte Marx Lügen, gerade weil seine Vorhersagen ernst genommen wurden. Diejenigen, die den Kapitalismus kontrollierten, schufen eine andere Variante als jene, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts herausbildete. Der durch das Überleben des Tüchtigsten gekennzeichnete Kapitalismus aus Marx’ Zeitalter wurde durch das ersetzt, was wir heute den Wohlfahrtsstaat nennen, obwohl es eher den Namen »sozialer Ausbildungsstaat« verdient hätte. So blieb die ständig steigende Ungleichheit aus, die Spencer, Marx und andere prophezeit hatten. Ihre Voraussagen scheiterten nicht deshalb, weil ihre Analyse falsch gewesen wäre, sondern weil Regierungen mit einer großen Vielzahl von Maßnahmen intervenierten, um zu verhindern, dass die Verteilung von Einkommen und Wohlstand im fortschreitenden Kapitalismus eine immer größere Ungleichheit hervorbrachte. Die wichtigste dieser Maßnahmen war die Bildung. Die öffentlich finanzierte (für den Schüler kostenlose), massenhafte,
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universelle und schließlich bis zum Alter von 16 Jahren obligatorische Bildung wurde 1835 von einem Textilfabrikanten in Massachusetts erfunden. Er bemerkte, dass sich die Produktivität steigerte, wenn er gut ausgebildete Arbeiter einsetzte. Durch die staatlich finanzierte Schulpflicht wurde die Verbindung zwischen dem Einkommen der Eltern (oder ihrer Mentalität) und der Bildung durchbrochen. Kinder mit armen Eltern konnten Fertigkeiten erwerben und waren nicht mehr gezwungen, nur ihre reine Arbeitskraft zu verkaufen. Arme Leute konnten eine Ausbildung erhalten und irgendwann reiche Leute werden. (Ich vermute, dies war nach der Erlernung des Lesens und Schreibens die zweitwichtigste soziale Erfindung der Menschheit.) In jedem Land muss die Verringerung der Ungleichheit mit der Ausbildung beginnen, denn diese trägt auch zum Wirtschaftswachstum bei. Es existieren noch viele andere politische Möglichkeiten zur Minderung der Ungleichheit, allerdings auf Kosten des Wachstums, da sie Ressourcen von der Investition in den Konsum umlenken. Die Ausbildung ist insofern einzigartig, als sie beiden Zwecken dient. Viele der Regierungsprogramme, welche die dem Kapitalismus inhärente Ungleichheit lindern sollten, wurden von Konservativen verabschiedet, um das kapitalistische System zu retten. Aristokraten, die dieses Ziel verfolgten, ersannen neue Aufgaben für die Regierung. Roosevelt war der Erste, der monetäre und fiskalische Maßnahmen einsetzte, um die makroökonomischen Schwankungen unter Kontrolle zu halten. Die Arbeitslosenversicherung (von Churchill eingerichtet, als er Anfang des 20. Jahrhunderts britischer Schatzkanzler war) wurde eingeführt, um Familien während der unvermeidlichen Rezessionen und Finanzkrisen des Kapitalismus, in denen viele Arbeiter zeitweilig nicht benötigt wurden, zu unterstützen. Die staatliche Kranken- und Rentenversicherung (initiiert von Bismarck im späten 19. Jahrhundert) kam den Menschen zugute, wenn der Kapitalismus sie nicht benötigte, das heißt, wenn sie alt oder nicht gesund waren. In dieser umstrukturierten Wirtschaft wurden diejenigen, die der Kapitalismus entbehren konnte, nicht mehr dem Hunger ausgeliefert. Progressive Einkommensteuern zum Zweck der direkten Umverteilung wurden eingeführt, sodass die Vermögenden gezwungen waren, mehr als ihren proportionalen Anteil an den Sozialleistungen zu zah-
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len, durch die in erster Linie Familien mit mittlerem Einkommen begünstigt wurden. Man verabschiedete Erbschaftsteuergesetze, um den wirtschaftlichen Vorsprung zu verringern, den die Sprösslinge reicher Familien sonst im Staffellauf des Lebens haben würden. Wer sich im wirtschaftlichen Staffellauf in der ersten Runde an die Spitze setzte, musste sich in der nächsten Runde mit einer geringeren Führung zufrieden geben. Reglementierungen (Kartellgesetze und andere Beschränkungen des monopolistischen Verhaltens) wurden verabschiedet, damit sich die Fähigkeit des Kapitalismus reduzierte, Preise anzuheben und die Konsumenten mit mittlerem Einkommen um ihr Geld zu bringen. Öffentliche Investitionen in die Infrastruktur (Verkehr, Energieversorgung) verhinderten, dass sich Länder in arme und reiche Regionen teilten. Die Tennessee Valley Authority erschloss den Süden der USA in wirtschaftlicher Hinsicht. Östlich des Mississippi wurden Eisenbahnen mit Privatgeldern, westlich des Flusses dagegen mit Staatsgeldern gebaut. Die Elektrifizierung der Städte wurde mit privaten Mitteln durchgeführt, während ein Regierungsprogramm (REA) die ländliche Elektrifizierung vornahm. Wassergewinnungsprojekte zur Erhöhung der Farmeinkommen wurden überall von der Regierung betrieben. Allerdings trifft es zu, dass sich die Technologie nicht in der Weise entwickelte (nämlich so, dass Fertigkeiten überflüssig wurden), wie es Mitte des 19. Jahrhunderts fast alle – nicht nur Marx – erwartet hatten. Maschinen ersetzten tatsächlich einige Handwerker und zwangen sie, Hilfsarbeiter zu werden, aber in erster Linie schufen sie eine Vielzahl neuer qualifizierter Arbeitsplätze. Insgesamt gesehen machte die Technologie Fertigkeiten eher nutzbar, als sie zu zerstören.
Ablehnung der Globalisierung Da sich das Einkommen mancher Arbeiter durch die Globalisierung erhöht und das anderer senkt, muss man einsehen, dass die, deren Umstände sich verschlechtern, durchaus im Recht sind, wenn sie versuchen, die Globalisierung auf politischem Weg zu stoppen. Das ist das
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Wesen der Demokratie. Nicht jeder ist ein Philosoph, der sich nur darüber Gedanken macht, wodurch seine Nation reicher oder wie die Welt verbessert werden kann. Die Verlierer haben das politische Recht, der Globalisierung Einhalt zu gebieten, aber man muss ebenfalls einsehen, dass dieses demokratische Recht zu globaler Ungleichheit führt. Dies wird nirgends deutlicher als in der Protektion und den Subventionen, die den Landwirten der Ersten Welt geboten werden. Die Landwirtschaft ist der größte Arbeitgeber in der Dritten Welt, und häufig könnte sie wettbewerbsfähige Produkte in die Erste Welt exportieren, wenn sie nur eine Chance dazu erhielte. Doch die Landwirtschaft ist der am stärksten geschützte Sektor der entwickelten Welt, und diese Situation spitzt sich sogar noch weiter zu. Mehr als die Hälfte des Budgets der Europäischen Union wird für Landwirte ausgegeben. Im Jahr 2002 erhöhten die Regierung Bush und der Kongress den Betrag von jährlich 80 Milliarden Dollar, der bereits an die amerikanischen Farmer geht, noch einmal erheblich. In der Ersten Welt ist die Landwirtschaft mittlerweile eine sehr kleine Branche. Weniger als drei von 140 Millionen amerikanischen Beschäftigten arbeiten in der Landwirtschaft, die meisten davon als Teilzeitkräfte. 60 Prozent der Beschäftigten arbeiten auch außerhalb der Farm, und 40 Prozent sind jährlich sogar mehr als 200 Tage anderswo tätig.31 Im Jahr 2000 betrug das Bruttofarmeinkommen 246 Milliarden Dollar, das Nettofarmeinkommen dagegen nur 46 Milliarden Dollar – bei einem BIP, das sich 10 000 Milliarden Dollar nähert. Wenn die Landwirtschaft verschwände, würde sich dieser Umstand in der BIP-Statistik kaum bemerkbar machen. Verglichen mit den Stadtbewohnern hat der durchschnittliche amerikanische Farmer ein geringeres Einkommen, doch er besitzt ein viel größeres Vermögen. Auf den großen Farmen, welche die meisten Feldfrüchte der Nation liefern, liegen die Einkommen über denen der städtischen Gebiete. Angesichts ihrer geringen Größe und der oft wohlhabenden Farmer ist es ökonomisch gesehen unsinnig, die Landwirtschaft zu schützen. Aber politisch gesehen ist es sinnvoll. Die Landwirtschaft ist in den Vereinigten Staaten und in jedem anderen entwickelten Land politisch stark überrepräsentiert. Landwirtschaftliche Stimmen zählen einfach mehr als die von Städtern. In den Vereinigten Staaten spiegelt sich diese
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Überrepräsentation im Senat wider. Die USA haben nun 25 Staaten, deren Bevölkerung zusammengenommen geringer ist als die Kaliforniens. Diese 25 Staaten verfügen über 50 Senatoren, die sich um das Wohlergehen der amerikanischen Farmer kümmern. Kalifornien hat zwei Senatoren, welche die Interessen genauso vieler Menschen vertreten. Das war nicht die Absicht der Gründerväter, als sie den US-Senat einrichteten. 1776 gab es eine Differenz von 4:1 zwischen dem größten und dem kleinsten Staat. Heute liegt sie bei mehr als 75:1. Die Stadtbewohner, die bei weitem überwiegende Mehrheit in jedem entwickelten Land, scheinen keine Einwände zu haben, wenn gewaltige staatliche Beträge für die Unterstützung der Landwirte ausgegeben werden. Das mag an der Sehnsucht nach malerischen Landgebieten oder an dem primitiven Glauben liegen, dass eine Nation in ihrer Lebensmittelversorgung autark sein müsse. Jedenfalls gibt es in allen Teilen der entwickelten Welt kaum eine städtische Opposition gegen Agrarsubventionen. Die Folgen des Schutzes für die Landwirtschaft der Ersten Welt lassen sich genauso leicht beschreiben. Die subventionierten Bauern der Ersten Welt produzieren mehr, als sie es täten, wenn die Preise niedriger wären. Die Märkte für Agrarexporte aus der Dritten in die Erste Welt schrumpfen oder verschwinden völlig. Wenn die Bürger der Ersten Welt nicht alles essen können, was zu hohen subventionierten Preisen produziert wird, verkauft man die Agrarüberschüsse spottbillig auf den Weltmärkten. Die globalen Agrarpreise fallen, und die Landwirte der Dritten Welt nehmen weniger ein. Wenn die Märkte kleiner und die Preise niedriger sind, werden die ländlichen Armen in der Dritten Welt noch ärmer. Da die Bauern der Dritten Welt die Ärmsten der Armen sind, steigt die globale Ungleichheit. Die Weltbank schätzt, dass die Agrarprotektion der Ersten Welt das BIP in den Drittweltländern um 32 Milliarden Dollar reduziert. Das ist eine Menge Geld etwa für einen chinesischen Bauern mit Barverkäufen von 90 Dollar pro Jahr. Die Subventionen für die Landwirtschaft der Ersten Welt, obwohl politisch nur zu verständlich, tragen nichts zu der Förderung der globalen Gesundheit bei. Was immer die Folgen für die Durchschnittslöhne auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus sein mögen, jedenfalls bringen die dritte industrielle Revolution und die Globalisierung gemeinsam bei allen ein
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Gefühl der wirtschaftlichen Unsicherheit hervor. Dieses Gefühl ist nicht irreal, denn die Arbeitsplätze erscheinen in der Tat weniger sicher. Beschäftigungen fürs Leben sind immer seltener anzutreffen. Die Löhne werden während einer Lebensarbeitszeit nicht mehr kontinuierlich steigen und kurz vor dem Ruhestand ihren Höhepunkt erreichen, denn sie sind veränderlicher geworden. Männliche College-Absolventen, die ihren Spitzenverdienst früher zwischen 45 und 55 Jahren erreicht haben, gelangen nun zwischen 35 und 45 Jahren dorthin. Erfahrung ist weniger wichtig, und es kommt in erster Linie darauf an, über die neuesten Kenntnisse zu verfügen. Ältere Beschäftigte müssen mit sinkenden Löhnen rechnen.
Der Wohlfahrtsstaat Die normale politische Reaktion sowohl auf die zunehmende Einkommensungleichheit als auch auf die steigende wirtschaftliche Unsicherheit wären umfassende Regierungsprogramme zur Reduzierung der Probleme. Aber gerade heute, da man stärkere Sozialfürsorgeprogramme benötigt, werden die egalitären Maßnahmen des Wohlfahrtsstaats abgebaut. Dafür macht man häufig die Globalisierung verantwortlich, aber die wahren Gründe sind anderswo zu finden. In politischer und ideologischer Hinsicht treten typische Europäer nachdrücklich für einen großen Wohlfahrtsstaat ein. Schon die Planung geringer Kürzungen der Sozialleistungen führte im Frühjahr 2002 zu mächtigen Straßendemonstrationen gegen die italienische Regierung. Aber die politischen Führer Europas haben auch entdeckt, dass bei der Umverteilung reale Motivationsdämpfer auftauchen. Niemand will schwer arbeiten, wenn der Einkommensunterschied zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen zu gering ist – wenn zu viel vom Einkommen der Beschäftigten in Form von Steuern eingezogen und an die Arbeitslosen weitergeleitet wird. In Schweden führte die staatliche Auflage, Kranken den normalen Lohn zu zahlen, selbstverständlich dazu, dass die Bürger »kränker« wurden und der Arbeit häufiger fernblieben als alle anderen in der entwickelten Welt – besonders freitags und montags.
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Sowohl in Europa als auch in Amerika schrumpft die Fertigungsindustrie. In den USA finden diejenigen, die ihren Arbeitsplatz in der Fertigungsindustrie verlieren, neue Stellen im Dienstleistungsbereich. Das ist in Europa nicht der Fall. Die hohen europäischen Sozialleistungen haben zur Folge, dass die Arbeitsuchenden niedrig bezahlte Dienstleistungsjobs amerikanischen Stils ablehnen. Warum auch nicht? Die französische Arbeitslosenunterstützung ist höher als der Durchschnittslohn im amerikanischen Dienstleistungssektor. Da die Dienstleistungsunternehmen gezwungen sind, hohe Löhne zu zahlen, expandieren sie entweder nicht oder verwenden kapitalintensive Produktionstechniken, die nicht sehr viele Arbeitsplätze liefern. Die Europäer beklagen sich über ihre hohe Arbeitslosigkeit (mehr als 10 Prozent), doch sie sind nicht bereit, das Sozialleistungssystem zu ändern, das eine hohe Arbeitslosenquote nach sich zieht. Dadurch allerdings, dass die Europäer im Dienstleistungsbereich die gleichen Löhne wie in der Fertigungsindustrie durchgesetzt haben, ist das Wachstum der Ungleichheit gestoppt worden. Einfach ausgedrückt, die Amerikaner akzeptieren die Ungleichheit und erhalten dafür Arbeitsplätze. Die Europäer widersetzen sich der Ungleichheit und erhalten dafür Arbeitslosigkeit. Während Amerika in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts 23 Millionen neue Nettoarbeitsplätze schuf, brachte Europa keine hervor. Infolgedessen sind die europäischen Arbeitslosenquoten zweimal so hoch wie die der Vereinigten Staaten, und die langfristige Arbeitslosigkeit (über zwölf Monate) ist fast fünfmal so hoch. Bis jetzt sind die Kontinentaleuropäer entschlossen, ihre Arbeitsplatzsicherheit zu schützen und eine hohe Beschäftigungslosigkeit zu tolerieren, doch ihnen missfällt die Tatsache, dass ihnen diese Wahl aufgezwungen wird. Internationale Organisationen wie die OECD machen Europa immer wieder Vorwürfe, weil es seine Arbeitsmärkte nicht dereguliere und ein Sinken der Löhne verhindere. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die hohen Sozialabgaben, die zur Finanzierung eines großzügigen Wohlfahrtsstaats notwendig sind, im globalen Maßstab nicht haltbar sein können. Unternehmen werden in Europa nicht expandieren, solange ihre Gesamtlöhne (reine Lohnkosten, betriebliche Sozialleistungen und Lohnnebenkosten) von denen der übrigen Welt abweichen. Sie
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werden einfach in Länder übersiedeln, in denen sie keine hohen Sozialabgaben leisten müssen. Die Entwicklung hat bereits begonnen. Immer mehr europäische Firmen expandieren außerhalb Europas, um die Kosten für die dortigen Sozialabgaben nicht tragen zu müssen. Das wirtschaftliche Problem besteht weniger in der Gesamthöhe der Steuern, sondern ganz speziell in den Sozialabgaben, die zur Finanzierung der Sozialleistungen dienen und inzwischen in vielen Ländern die größte Abgabenlast darstellen. Wenn sie zu hoch werden, lassen Firmen sich in Ländern mit niedrigeren Sozialabgaben nieder, oder sie werden von Unternehmen verdrängt, die in Ländern mit niedrigeren Abgaben operieren. In Europa sind die reinen Lohnkosten erheblich geringer als in den Vereinigten Staaten, aber wenn man die Sozialabgaben mit einbezieht und sämtliche Arbeitskosten betrachtet, ergibt sich ein ganz anderes Bild. In Amerika liegen die Gesamtarbeitskosten 20 Prozent über den reinen Lohnkosten, verglichen mit 45 Prozent in Frankreich.32 Dadurch können europäische Konzerne wie Mercedes und BMW ihre Kosten drastisch senken, wenn sie ihre Produktion in die Vereinigten Staaten verlegen. Im Jargon der Wirtschaftswissenschaftler hat die Globalisierung die Nachfragekurve für Arbeitskräfte elastischer werden lassen (das heißt flacher in den traditionellen Angebots- und Nachfrage-Diagrammen).33 Wegen des globalen Wettbewerbs kann eine höhere Abgabenlast nicht mehr wie früher in Form höherer Verkaufspreise an die Verbraucher weitergegeben werden. Wenn die Sozialabgaben steigen, müssen entweder die reinen Lohnkosten reduziert werden oder Arbeitsplätze verschwinden. Einheimische Firmen ziehen ins Ausland oder im Ausland angesiedelte Unternehmen erobern lokale Marktanteile. Die Folge ist, dass es im Rahmen des gegenwärtigen Steuersystems immer schwieriger wird, die zusätzlichen Einnahmen zur Finanzierung der unablässig wachsenden Sozialleistungen zu erzielen. Die Globalisierung verlangt keine Einschränkungen des Wohlfahrtsstaats, doch sie macht es unmöglich, das Sozialsystem mithilfe traditioneller Beiträge zu bezahlen. Die Regierungen könnten auf andere Steuern zurückgreifen, aber dann müssen sie sich an Individuen wenden, die auch Wähler sind, statt mehr Sozialabgaben von Konzernen einzutreiben, die keine Wähler sind.
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Die Motivationsprobleme, die aus der inneren Dynamik des Wohlfahrtsstaats hervorgehen, haben nichts mit der Globalisierung zu tun. Das Gleiche lässt sich über die Budgetprobleme des Wohlfahrtsstaats sagen, die überwiegend mit dem Altern der Bevölkerung und den steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung zu tun haben. Bisher hat man keine bedeutenden Veränderungen an den europäischen Sozialsystemen vorgenommen, aber es gibt einen enormen wirtschaftlichen Handlungsdruck. Wenn europäische Regierungen jedoch aus Gründen der Motivation oder der Demografie oder der Gesundheitskosten Kürzungen vorschlagen, machen sie fast immer die Globalisierung für die Notwendigkeit von Reformen verantwortlich. Selbstverständlich fällt es Politikern leichter, der Globalisierung und der erforderlichen Wettbewerbsfähigkeit die Schuld an den »erzwungenen« Reduzierungen der Sozialleistungen zu geben, als die Kürzungen als eigene Maßnahmen zu verteidigen, mit denen man die Motivation oder die fiskalische Stabilität wiederherstellen will. Unternehmen verhalten sich genauso. Häufig erklären sie entlassenen Mitarbeitern, die Globalisierung sei die Quelle ihres Elends, obwohl andere Faktoren, etwa schlechtes Management, die wahren Ursachen sind.34 Schuld sind immer die Ausländer. Man muss begreifen, dass die Globalisierung keine Beschneidungen des Wohlfahrtsstaats verlangt. Die Sozialleistungen können so großzügig sein, wie die Steuerzahler und Wähler es wünschen. Allerdings macht die Globalisierung Änderungen bei der Finanzierung des Wohlfahrtsstaats erforderlich. Es gilt, ihn mit Mehrwertsteuern und nicht mithilfe von Sozialabgaben oder Körperschaftsteuern zu finanzieren. Da Mehrwertsteuern genauso auf Importartikel wie auf lokale Erzeugnisse erhoben werden, bewirken sie nicht, dass die Kosten der einheimischen Produktion im Vergleich zu denen der Importe steigen. Und da Mehrwertsteuern auf Exportartikel nach den internationalen Handelsvorschriften legal rückvergütet werden können, lassen sie die Kosten von Exporten im Vergleich zu denen von ausländischen Produkten ebenfalls nicht steigen. Es gibt zwei große zusätzliche Vorteile beim Übergang von der Lohn- zur Mehrwertsteuer (einer ausgeklügelten nationalen Verkaufssteuer). Die Mehrwertsteuer, obwohl regressiv (Verbraucher mit mittle-
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rem Einkommen zahlen proportional mehr als solche mit hohem Einkommen und höheren Sparquoten), ist progressiver als Sozialabgaben (die überhaupt nicht auf Einkünfte aus Kapitalvermögen und häufig nicht einmal auf die gesamten Einnahmen angewandt werden). Dadurch wird das gesamte Steuersystem progressiver, weil Geringverdiener weniger zahlen, wenn man Mehrwertsteuern erhöht und Sozialabgaben reduziert. Reiche Pensionäre müssen dann ebenfalls für einen Teil der gesellschaftlichen Altersversorgung aufkommen, wenn sie ihre Einkäufe machen, statt den Geringverdienern sämtliche Kosten zu überlassen. Die Steuerbelastung für Arbeitnehmer wird geringer. Wer behauptet, dass die Globalisierung Kürzungen der Sozialleistungen erfordere, ist schlicht im Irrtum. Regierungen mögen sich entscheiden, solche Kürzungen aus anderen Gründen vorzunehmen, aber jedenfalls nicht aus denen der Globalisierung.
4 Die Stimmen der Globalisierungsgegner
Die Gewalttätigkeit der Globalisierungsgegner in Seattle, Göteborg und Bologna lässt keinen Zweifel an ihrem Zorn, aber was sie wollen, ist nicht klar. Einen Rückzug zu dem, »was früher war«? Ein Fortschreiten »wer weiß, wohin«? Wovor haben sie Angst? Sie sagen eine Katastrophe voraus. Doch was ist das Wesen der Katastrophe? Unheilsprophezeiungen sind nützlich, weil sie uns über Probleme nachdenken lassen, die einen großen Wandel begleiten können. Es kommt darauf an, diese Prophezeiungen zu widerlegen, indem man sie ernst nimmt. Wie wir gesehen haben, hatte Marx ebenso Recht wie Unrecht, was den Kapitalismus betraf. Seine Voraussagen erfüllten sich, doch sie wurden durch Regierungsmaßnahmen ausgeglichen, die er nicht vorhergesehen hatte. Die Menschen bauten eine andere Form des Kapitalismus auf – den Wohlfahrtsstaat mit fiskalischen und monetären Eingriffsmöglichkeiten und einer kostenlosen Schulausbildung –, die den zunehmenden Einkommensungleichheiten und den wirtschaftlichen Instabilitäten des Systems entgegenwirken konnte. Der Kapitalismus wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktisch dadurch gerettet, dass er seine Probleme ebenso wie das, was seine Kritiker über sie zu sagen hatten, ernst nahm. Kritikern aufmerksam zuzuhören ist wichtig, aber man muss auch den richtigen Zeitpunkt wählen, damit die Botschaft alle erreicht. Das bedeutet häufig, dass zuerst eine große Krise eintreten muss, die den Glauben an das alte System erschüttert. In Amerika war das die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren. Der Kapitalismus wurde reformiert, doch nicht aufgegeben. Wenn keine offenkundige Krise eintritt, hören die Menschen oftmals nicht zu. In Japan fand in den neunziger Jahren eine Krise auf der Finanzseite, nicht jedoch in der Re-
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alität statt. Die Einkommen sind nicht gefallen, die Arbeitslosigkeit ist nicht hoch. Da der wirtschaftliche Schmerz fehlt, bleibt das Gefühl aus, dass man etwas tun müsse. Die Japaner reden viel darüber, welche Schritte sie unternehmen sollten, aber sie tun nichts. Deshalb beginnen sie nun ihr zweites Jahrzehnt mit wenig oder gar keinem Wachstum. Das Gleiche ließe sich über die Globalisierung sagen. Wo sind die realen Schmerzen? Die Demonstranten haben offensichtlich kein klar definiertes Alternativprogramm, um die Globalisierung zu bekämpfen. Auf dem Weltsozialforum von 2002 in Brasilien – einem Treffen der Globalisierungsgegner, das dem in Davos stattfindenden Weltwirtschaftsforum mit seinem mutmaßlichen Pro-Globalisierungs-Standpunkt entgegenwirken sollte – erbrachte die Diskussion über »positive Alternativen« nach drei Stunden keinen einzigen Vorschlag.1 Welchen Sinn hat es zuzuhören? Trotzdem sollten wir es tun. Außerdem sollten wir daran denken, dass die Sorgen der Menschen nur locker mit den objektiven Gefahren verknüpft sind. Filme lassen Angriffe durch Haifische realistisch erscheinen, aber die Wahrscheinlichkeit, von einem Hai getötet zu werden, liegt bei nur 1:350 Millionen.2 Treppen dagegen erregen wenig Aufmerksamkeit, obwohl die Wahrscheinlichkeit, auf einer Treppe zu sterben, mit 1:195 000 1795mal höher ist. Was unsere Aufmerksamkeit erregt, ist häufig nicht das, was sie verdient hätte. Es kommt darauf an, die Haifische zu vergessen und die Treppen im Auge zu behalten. Die Globalisierung mag reale Gefahren in sich bergen, auch wenn die Gefahren, welche Ängste hervorrufen, nicht real sind.
Die Globalisierung ganz einfach beenden Häufig fordern die Demonstranten das Ende der Globalisierung. Also müssten vermutlich Regierungsschranken errichtet werden, um den Handel und die Kapitalflüsse über nationale Grenzen hinweg zu verringern oder zu beseitigen. In diesem Fall würde der Lebensstandard einer Durchschnittsfamilie in großen, reichen Ländern geringfügig, in kleinen, reichen Ländern stärker und in der Dritten Welt erheblich fallen.
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Angenommen, Handel und Kapitalflüsse existierten nicht mehr. Große, entwickelte Länder wie die Vereinigten Staaten würden rasch umrüsten, um die arbeitsintensiven Waren (Spielzeug, Kleidung) herzustellen, die sie jetzt aus der Dritten Welt importieren. Unter solchen Umständen würde sich der reale Lebensstandard für die durchschnittliche Familie verschlechtern, und zwar infolge einer von drei Möglichkeiten: Zum einen würden die Durchschnittslöhne sich verringern, wenn die Beschäftigten aus kapitalintensiven, äußerst produktiven Hochlohnbranchen in arbeitsintensive, weniger produktive Niedriglohnbranchen überwechselten. Zweitens könnte man in beiden Sektoren gleiche Löhne zahlen, wodurch die Preise von arbeitsintensiven Produkten steigen würden, sodass sich die reale Kaufkraft und der reale Lebensstandard der Käufer verringern müssten. Drittens könnten die heutigen arbeitsintensiven Waren, wenn man auf Forschung und Entwicklung zurückgriffe und eine Menge Geld investierte, auf kapitalintensive Art hergestellt werden. Die notwendigen Investitionen würden im Lauf der Umwandlung einen geringeren Konsum erzwingen. Alle drei Szenarien würden sich jedoch auf eine kurze Übergangszeit beschränken. Danach würde sich das normale Wachstum fortsetzen. Kleine, reiche Länder wären mit den gleichen Problemen konfrontiert wie größere, reiche Länder, doch sie würden zudem Skalenerträge einbüßen, wenn sie alles selbst herstellen müssten. Eine beträchtliche Senkung des Lebensstandards würde eintreten, wenn sie umrüsteten und Computer in winzigen Fabriken, Fernsehgeräte in nicht optimalen Anlagen und Autos in kleinen Werken produzierten. Die Vielfalt würde mit Sicherheit leiden, und man könnte nicht mehr unter vielen Automodellen wählen. Unmittelbar nach dem Verbot des internationalen Handels wäre Öl das größte Problem in der vermögenden industriellen Welt. Die Vereinigten Staaten decken durch ihre eigene Produktion etwas weniger als die Hälfte ihres Ölkonsums, aber viele entwickelte Länder haben überhaupt keine Erdölvorkommen. Ohne die Möglichkeit von Ölimporten wäre das von Automobilen beherrschte heutige Verkehrswesen zunächst nicht funktionsfähig. Man müsste in großem Stil zum Eisenbahn- und Busverkehr übergehen. Die Menschen könnten immer noch reisen, aber sie müssten sich an ganz andere Methoden gewöhnen.
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Mittelfristig würde sich das System den Umständen anpassen. Da die Menschen gern persönliche Verkehrsmittel benutzen, würde sich die Autoindustrie so rasch wie möglich vom Verbrennungs- auf den Brennstoffzellenmotor umstellen – von der Kohlenwasserstoff- auf die Wasserstoffwirtschaft. Mithilfe von Sonnenenergie und Meerwasser könnten die entwickelten Länder den erforderlichen Wasserstoff gewinnen, aber sie müssten massiv in die Infrastruktur investieren, um ein Wasserstofftransportsystem möglich zu machen. Durch diese Investitionen würde der Lebensstandard sinken, doch nach der Übergangsphase erneut steigen. Einfach ausgedrückt, in der entwickelten Welt würde man auf der Wirtschaftsleiter ein oder zwei Stufen hinabklettern, um dann wieder höher zu steigen. In den Entwicklungsländern wäre die Abschaffung des globalen Handels und der entsprechenden Investitionen eine wirtschaftliche Katastrophe. Die Öl exportierenden Länder würden wieder sehr arm werden. Die Märkte für die arbeitsintensiven Produkte, welche die Dritte Welt exportiert, würden verschwinden. Die externen Mittel, die Entwicklungsländer heute für Investitionszwecke erhalten, würden nicht mehr fließen. Die Technologien, das Management und das Ingenieurwesen des Auslands, die sie benötigen, um ihre eigenen Fertigkeiten zu ergänzen, stünden nicht mehr zur Verfügung. Da sie nichts importieren könnten (entweder weil es verboten wäre oder weil sie kein Geld hätten), wären die Staaten der Dritten Welt nicht in der Lage, die Produkte (Lebensmittel oder Werkzeugmaschinen) zu kaufen, die sie zurzeit aus den entwickelten Ländern beziehen. Der Lebensstandard würde drastisch fallen. Statt mithilfe importierter Geräte und Technologien den großen Sprung in die entwickelte Welt zu machen, müssten sie das Rad in einer Branche nach der anderen neu erfinden. Die Abschaffung von Handel und grenzüberschreitenden Investitionen würde sie zu permanenter Rückständigkeit verurteilen, während die entwickelten Staaten in technologischer Hinsicht davoneilen würden. Die Globalisierungsgegner behaupten oft, ihnen liege daran, die Interessen der Drittweltländer zu schützen. Aber in der Dritten Welt weiß man genau, was geschehen würde, wenn man sich aus der Globalisierung zurückzöge. Dort fürchtet man zwar, dass andere eine domi-
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nierende Stellung einnehmen könnten, aber man will auch nicht im Stich gelassen werden und im Hintertreffen bleiben. Die Globalisierung von einem Moment zum anderen zu beenden wäre eine Katastrophe für den größten Teil der Welt. Die Demonstranten, die von einem solchen Schritt sprechen, müssen als vor Schmerz Schreiende verstanden werden, die die Quelle ihres Schmerzes allerdings nicht kennen. Wenn sie das erhielten, was sie sich wünschen, wären die Schmerzensschreie noch viel lauter und verbreiteter, als sie es derzeit sind.
Religiöse Gegner der Globalisierung Eine Gruppe ist leicht zu durchschauen. Die religiösen Fanatiker wissen genau, was sie wollen und warum sie gegen die Globalisierung sind. Die Buddhisten, die Nervengas in der U-Bahn von Tokio freisetzen, die Hindus, die alte muslimische Moscheen in Indien niederreißen, die Christen, die Regierungsgebäude in Oklahoma in die Luft sprengen, die Muslime, die das World Trade Center in New York angreifen, und die jüdischen Fanatiker, die betende Muslime in Israel mit dem Maschinengewehr niedermähen, wissen bereits, was ihnen nicht gefällt. Ebenso wissen sie, was sie haben wollen: die Kontrolle über das Leben anderer Menschen. Sie wünschen sich die Schaffung eines religiösen Utopias, ihres – keines anderen – religiösen Utopias auf Erden. Und ihr Utopias soll die Welt beherrschen. Die Globalisierung gefällt ihnen nicht, da sie ihrer Meinung nach Ideen mit sich bringt, die ihr Utopia bedrohen. Alle wollen das kontrollieren, was über den Fernsehschirm flimmert. Aber solche Fanatiker hat es stets gegeben. Die wirkliche Frage ist, warum sie manchmal Gehör finden und Einfluss ausüben und manchmal nicht. Die Motive ihrer Anhänger zu verstehen ist viel wichtiger, als die Motivation der Führer selbst zu ergründen. In vieler Hinsicht ist der Aufstieg des religiösen Fundamentalismus nichts anderes als die Rückkehr einer Welt, die vor zwei oder drei Jahrhunderten existierte. Religionskriege waren zwischen dem Fall des Rö-
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mischen Reiches und der ersten industriellen Revolution an der Tagesordnung. Die Muslime sorgten seit dem Zusammenbruch der Sassanidenherrschaft in Ägypten, das heißt seit dem 7. Jahrhundert, mit Waffengewalt dafür, dass ihr Glaube auf Nordafrika, Zentral- und Südasien sowie auf Südeuropa übergriff. Die Christen schlugen zur Zeit der Kreuzzüge und später gegen die Mauren und Türken zurück. Die Hindus bekämpften die muslimische Herrschaft in Indien und gewinnen noch heute Wahlen durch antimuslimische Programme. Wer will die Kriege zählen, die nach der Reformation zwischen Protestanten und Katholiken ausgefochten wurden? Diese Religionskriege wurden nicht durch die Findung zentraler Wahrheiten (wer kennt den richtigen Weg in den Himmel?) oder durch wachsende Toleranz beendet. Vielmehr wurden die religiösen Feuer früherer Zeiten im 19. und 20. Jahrhundert durch die ideologischen Schlachten zwischen Kapitalismus und Sozialismus gelöscht. Wie ein geografisches Gebiet wirtschaftlich zu organisieren sei, wurde der Streitpunkt, der die Auseinandersetzungen darüber ablöste, wie man dasselbe Gebiet in religiöser Hinsicht zu organisieren habe. Hitler rechtfertigte seine Invasion in Russland als Krieg gegen den Kommunismus. Der Kalte Krieg zwischen Kommunismus und Kapitalismus beherrschte die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heiße Kriege zwischen Kapitalismus und Kommunismus wurden in Korea und Vietnam ausgefochten. Die Tugenden oder Laster des Sozialismus, verglichen mit denen des Kapitalismus, fachten im vergangenen Jahrhundert fast alle Kriege der Dritten Welt an. Amerika organisierte unter dem Rubrum der Bekämpfung des Kommunismus mehrere Invasionen (Kuba, Grenada) und Revolutionen (Chile, Guatemala). Es ist nicht verwunderlich, dass der Tod des Kommunismus die Rückkehr religiöser Konflikte mit sich brachte. Wenn sich die Dinge nicht so entwickeln, wie man es möchte, braucht man ein ideologisches Banner, unter dem man in den Kampf ziehen kann. Wer zum Sterben bereit ist, benötigt eine Sache, die größer ist als er selbst. Die Voraussetzung dafür ist eine allumfassende Ideologie. Ohne sie ist ein potenzieller Revolutionär schlicht ein Verbrecher – sogar in seinen eigenen Augen. Die Notwendigkeit einer Ideologie ist wichtiger als ihr genauer Inhalt.
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Das lässt sich an verschiedenen Orten beobachten. Der Sozialismus war die Ideologie, die Nasser und seine Anhänger einsetzten, um den Feudalherrscher von Ägypten, König Faruk, Anfang der fünfziger Jahre zu stürzen. Drei Jahrzehnte später war der islamische Fundamentalismus die Ideologie, mit der man versuchte, die Ermordung von Nassers Nachfolger Sadat und den Sturz der damaligen sozialistischen Regierung Ägyptens zu rechtfertigen. Beide Gruppen von Revolutionären waren unzufrieden, und beide benötigten eine Ideologie. Das gleiche Muster trat im Irak zutage. Saddam Hussein war Teil einer von Kommunisten unterstützten Revolution, die der Monarchie ein Ende machte. Bis zuletzt fürchtete er eine schiitisch-islamische Revolution mehr als einen amerikanischen Einmarsch. Die Revolutionäre des 20. Jahrhunderts kämpften unter der Fahne des Sozialismus. Aber der Sozialismus ist mittlerweile tot, und niemand kann mehr unter seiner Fahne kämpfen. Die Revolutionäre des 21. Jahrhunderts haben sich die Religion als ihr Banner ausgesucht. Ihre Wahl und die Tatsache, dass sie Anhänger gefunden haben, sind nicht erstaunlich. Ein religiöser Guru hat »Gewissheit« zu bieten. Tu, was ich dir sage, und du kommst in den Himmel. Gewissheit ist das, was sich der Normalbürger in unsicheren Zeiten wünscht. Und genau das kann die säkulare Welt ihm nicht bieten. Gewissheit gibt es nur im Himmel. Diese Gewissheit erweist sich als besonders attraktiv, wenn ein Individuum arm ist und in einem Land lebt, wo es kaum eine Chance hat, dem Elend zu entgehen. Die Terroristen vom 11. September benutzten die Religion als Ideologie. In einem früheren Zeitalter hätten sie sich zu diesem Zweck des Sozialismus bedient. Sie sind zudem beispielhaft für eine andere Realität: Während die Terroristen in der Menge der Armen untertauchen und sie als Rechtfertigung für ihre Aktivitäten benutzen können, sind sie selbst kaum jemals bedürftig. Soziale Untersuchungen charakterisieren sie als frustrierte Angehörige der Mittelschicht, die das, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht, nicht erreicht haben.3 Die Terroristen vom 11. September sind dafür vorzügliche Beispiele. Von den 19 Personen, die an den Anschlägen beteiligt waren, kamen 15 aus Saudi-Arabien. Alle Saudis sind wohlhabend – sogar nach den Maßstäben der Vereinigten Staaten. Sämtliche anstrengenden Tätigkeiten werden dort von
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Millionen Gastarbeitern erledigt. Die anderen vier Terroristen waren junge Ägypter aus dem Mittelstand. Der Vater und die Schwester von Mohammed Atta, dem Anführer, waren Ärzte. Seine größte Enttäuschung schien zu sein, dass er nicht von der deutschen Universität seiner ersten Wahl akzeptiert wurde. Aber immerhin studierte er trotzdem in Deutschland. Ägypten ist eine hervorragende Anwerbungsstätte für Terroristen, weil das dortige Bildungssystem mehr Universitätsabsolventen produziert, als seine Wirtschaft absorbieren kann. Diese frustrierten Akademiker, die keine ihrem vermeintlichen Status entsprechenden Arbeitsplätze erhalten, schlagen dann auf die Welt ein.
Gegner von links Der Kampf gegen die Globalisierung wird nicht von der traditionellen Spaltung zwischen links und rechts bestimmt. Beide Arten von Gegnern stellen ihr Gesellschaftsverständnis der amerikanischen Variante gegenüber: dem »Cowboy-Kapitalismus« auf der linken und der »Bastardisierung« auf der rechten Seite. Abgesehen von ihrem Hass auf die Globalisierung und auf das Vordringen der ihrer Ansicht nach gefährlichen amerikanischen Kultur haben die beiden Gruppierungen nur sehr wenig gemeinsam.4 Unmittelbar nach den Angriffen vom 11. September erschien im New York Times Magazine ein Artikel, in dem es hieß, die Verbreitung des Terrorismus sei eine gewalttätige Reaktion auf die Globalisierung.5 Die Anschläge auf das World Trade Center seien nur ein Quantensprung in einer sich verschärfenden Folge kleinerer derartiger Ereignisse: der ersten Attacke auf das World Trade Center, der Bombenanschläge auf amerikanische Botschaften in Afrika, des Angriffs auf den Zerstörer USS Cole im Jemen. Um diese terroristischen Überfälle einzudämmen, müsse das System des informellen amerikanischen Imperialismus zu einem formellen System werden. Die Welt werde Widerstand leisten, und die wirtschaftliche Integration werde in eine politische Desintegration überleiten. Eine neue Energiekrise werde ausbrechen und die sich bereits erweiternde Ungleichheit sowohl inner-
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halb von Ländern als auch zwischen ihnen intensivieren. Damit werde die Globalisierung ein Ende finden. Der Artikel stellte keine einmalige, überspannte Reaktion dar, sondern er gab die üblichen Vorwürfe gegen die Globalisierung wieder: Die Arbeitsplatzwahl in reichen Ländern wird eingeschränkt, wenn man Produktionstätigkeiten in arme Staaten verlegt. In diesen armen Staaten betreiben globale Konzerne Ausbeutungsbetriebe (unzureichende Löhne, Kinderarbeit, gefährliche und ungesunde Arbeitsbedingungen). Man droht damit, noch mehr Tätigkeiten in arme Länder zu verlagern, um die Löhne in den reichen Ländern kürzen zu können. Die Löhne sinken, die Kapitalerträge steigen. Die Kapitalisten in armen Ländern werden durch diese Ausbeutungsbetriebe reicher, und die Kapitalisten in den reichen Ländern werden sogar noch vermögender, indem sie den größten Teil der Gewinne von der höheren Produktivität armer Staaten abschöpfen. Die wirtschaftliche Ungleichheit steigt sowohl innerhalb der Länder als auch zwischen ihnen. Große einheimische Unternehmen werden von noch größeren globalen Konzernen verdrängt. Die monopolistische Macht wächst. Ähnlich, wie der Landadel in England während des Feudalismus Einhegungsgesetze nutzte, um Bauern von Böden zu vertreiben, die deren Familien seit Jahrhunderten bewohnt hatten, ziehen die globalen Konzerne geistige Eigentumsrechte heran, damit der Durchschnittsbürger in der Ersten wie in der Dritten Welt daran gehindert wird, sein rechtmäßiges Erbe an der im Aufbau befindlichen Wissensökonomie zu beanspruchen. Wie ein Farmer, der nur ein einziges Erzeugnis anbaut, werden arme Länder immer abhängiger von einer geringen Auswahl an Exportartikeln. Die wirtschaftlichen Risiken nehmen zu, und Finanzkräche werden sowohl in der Dritten (siehe Argentinien) als auch in der Ersten Welt (siehe Japan) immer häufiger und brutaler. Was das Schlimmste ist: Das neue Globalsystem stellt Gewinne über Menschen. Auf der Linken ist die Zukunft, die von den heutigen Globalisierungsgegnern vorausgesagt wird, fast identisch mit Marx’ Prophezeiungen über die Zukunft des Kapitalismus vor 150 Jahren.6 Wenn Marx nach dem 11. September den Artikel in der New York Times gelesen hätte, wäre er vielleicht der Meinung gewesen, er selbst habe den Text
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geschrieben. Mitte des 19. Jahrhunderts sagte Marx eine Krise in der damals neuen Form der Wirtschaftsorganisation namens Kapitalismus voraus, die den Feudalismus ablöste. Durch den Wechsel zum Kapitalismus würden die Armen, wie Marx glaubte, ärmer und immer zahlreicher werden, weil Maschinen ausgebildete Handwerker ersetzten. Die Löhne würden auf das Existenzminimum hinabgezwungen werden. Unternehmen würden sich zu immer größeren und gierigeren Monopolen konzentrieren. Das neue kapitalistische System werde durch häufige Finanz- und Wirtschaftskrisen gekennzeichnet sein. Als Reaktion auf die Armut und die wiederholten Wirtschaftskrisen werde Terrorismus im kleinen Maßstab ausbrechen. Schließlich werde eine große Wirtschaftskrise eintreten und den allgemeinen politischen Aufstand der Armen gegen die Reichen auslösen. Durch ihre Überzahl würden die Armen die Macht ergreifen. Globaler Imperialismus und kapitalistische Monopole würden beseitigt werden. Marx wusste, dass es keine Rückkehr zum Feudalismus gab. Die Technologie hatte sich geändert. Man hatte die Dampfmaschine erfunden, weshalb die Zukunft der Industrie und nicht der Landwirtschaft gehörte. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätte er nicht in die Vergangenheit zurückkehren wollen. So schlecht die Dinge unter dem Kapitalismus standen, waren sie unter dem Feudalismus doch noch schlimmer gewesen. Nachdem Marx den Prozess skizziert hatte, durch den der Kapitalismus enden würde, empfahl er ein grundlegend neues System: den Kommunismus, der die Übel des Kapitalismus ausmerzen sollte. Er schrieb nie viel über die Umwandlung des Kapitalismus in den Kommunismus, doch nach seiner Vision von Letzterem würde dieser eine neue Gesellschaft schaffen, in der Wirtschaftsgerechtigkeit und persönliche Freiheit herrschen sollten. Wie Marx sagen die linken Gegner der Globalisierung, abgesehen davon, dass eine Revolution nötig sei, wenig über den Übergang von dem, was ist, zu dem, was sie sich wünschen. Doch im Unterschied zu Marx äußern sie sich auch kaum über ihre Vision und haben nicht einmal eine Bezeichnung dafür. Auf der Linken richtet sich ein großer Teil des Protests, wie die engen Parallelen zu Marx anzeigen, eher gegen den Unterbau des Kapita-
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lismus als gegen den Überbau der Globalisierung. Die Folgen des Schrittes vom Sozialismus zum Kapitalismus werden mit den Folgen des Schrittes von nationalen Ökonomien zu einer globalen Wirtschaft verwechselt. Manchmal treffen die von den Globalisierungsgegnern erhobenen Vorwürfe zu. Es kommt tatsächlich zu Finanzkrisen. Die Ungleichheit innerhalb von Ländern und zwischen ihnen nimmt zu. Aber die möglichen Ursachen sind, wie wir gesehen haben, nicht auf die Globalisierung beschränkt. Die wirtschaftliche Instabilität kann zum Kapitalismus zurückverfolgt werden. Während sich der Kapitalismus immer stärker ausbreitet, erstrecken sich periodische Finanzkrisen auf immer größere Teile der Erde. Wie wir ebenfalls gesehen haben, kann auch die zunehmende Ungleichheit auf den Wechsel zum Kapitalismus, zu einer wissensgestützten Wirtschaft, in der die Ausbildung eine wichtigere Rolle spielt, sowie auf den Übergang zur Globalisierung zurückgeführt werden. Aber selbst jene, die klug genug sind, um zu wissen, dass sie in Wirklichkeit vor allem gegen den Kapitalismus und nicht gegen die Globalisierung protestieren, können ihre Ablehnung nicht offen auf ihren realen Feind konzentrieren. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sind sämtliche Formen des Sozialismus oder Quasi-Sozialismus diskreditiert. Wenn man den Kapitalismus ablehnt, muss man eine brauchbare Alternative vorweisen können. Es genügt nicht, nur gegen etwas zu sein, und zurzeit verfügt keine nichtkapitalistische Alternative auch nur über die geringste Glaubwürdigkeit. Andererseits kann man gegen die Globalisierung demonstrieren, weil man an ihrer Stelle etwas zu empfehlen hat: eine vage Rückkehr zu den mehr oder weniger isolierten Volkswirtschaften der Vergangenheit. Diese mag, objektiv betrachtet, ohne eine beträchtliche Kürzung des Lebensstandards nicht möglich sein, aber es handelt sich nicht um eine völlig diskreditierte Option. Zudem spricht sie viele Menschen an, die nicht begreifen, was dies im Hinblick auf ihren eigenen Lebensstandard nach sich ziehen würde. Betrachten wir den Vorwurf: »Die Globalisierung stellt Gewinne über Menschen.« Wenn die globale Wirtschaft auf dem Kapitalismus beruht, ist sie schuldig im Sinne der Anklage, denn der Kapitalismus
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stellt tatsächlich »Gewinne über Menschen«. Genau deshalb trägt er seinen Namen. Arbeitskräfte sind eine gemietete Ware. Die Kapitalisten treffen die wichtigsten Entscheidungen der Wirtschaft, gleichgültig, ob es sich um einen nationalen oder einen globalen Kapitalismus handelt. Betrachten wir den Vorwurf: »Ein großer Teil der Welt zieht keinen Nutzen aus der Globalisierung.« Das stimmt! Die Pro-Kopf-BIPs von Subsahara-Afrika sind nicht gestiegen, sondern gesunken. Im Jahr 1980 verfügten die reichsten 10 Prozent aller Länder über 77-mal so hohe Einkommen wie die ärmsten 10 Prozent. Bis 1999 hatte sich diese Zahl auf 122 erhöht.7 Aber wie wir im Fall Chinas bereits gesehen haben, gehören einige der größten Gewinner der Dritten Welt an. Das Problem besteht nicht darin, dass man zermalmt, sondern darin, dass man übergangen werden könnte. Betrachten wir den Vorwurf: »Die Globalisierung führt zu finanzieller Instabilität.« Die Protestierer reden häufig so, als lehnten sie die Globalisierung wegen der Finanzkrisen ab, welche die Dritte Welt in den beiden letzten Jahrzehnten erschüttert haben. Aber Finanzkräche ereigneten sich sowohl in der Ersten als auch in der Dritten Welt, lange bevor die Globalisierung ein Wort, geschweige denn eine Realität war. Und sie werden sich fortsetzen, unabhängig davon, ob die Welt über viele nationale Ökonomien oder eine einzige globale Wirtschaft verfügt. Man braucht sich nur den japanischen Börsenkrach in den frühen neunziger Jahren oder den amerikanischen Anfang des 21. Jahrhunderts anzuschauen (was wir in einem späteren Kapitel tun werden), um sich dieser Tatsache bewusst zu werden.
Gegner von rechts Die Furcht der extremen Rechten gilt der Einwanderung und den daraus erwachsenden Gefahren für die Nationalkultur und die ethnische Homogenität. Die Globalisierungsgegner haben den Eindruck, dass sich die Nation, mit der sie verbunden sind und mit der sie sich identifizieren, langsam auflöst. Dadurch verlieren sie ihr Selbstwertgefühl und das Empfinden, anders und besser als die Angehörigen sonstiger Natio-
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nalitäten zu sein. Diese Ängste sind in Europa am stärksten ausgeprägt, da die traditionellen Nationalstaaten dort infolge der politischen und wirtschaftlichen Integration besonders rasch von der Bildfläche verschwinden. Der Verlust der Nationalität (wer bin ich?) wird am deutlichsten im Zusammenhang mit dem Thema Einwanderung angesprochen. Die Immigration aus der Dritten Welt (etwa in Frankreich, wo es zahlreiche Einwanderer gibt) oder auch nur die Gefahr einer solchen Entwicklung (etwa in Dänemark, wo man bisher sehr wenige Einwanderer hat) wird als Gefahr für den ethnischen Bestand des Landes empfunden. Politiker, die versprechen, die Einwanderung zu stoppen, treten in den Vordergrund (Jörg Haider, Österreich; Jean-Marie Le Pen, Frankreich; Pia Kjaersgaard, Dänemark; Piet Fortuyn [ermordet], Niederlande; Christoph Blocher, Schweiz). Alle versprechen für den Fall ihrer Wahl implizit, wenn nicht gar explizit (Le Pen), ihr Land völlig oder teilweise aus der europäischen oder der globalen Integration zurückzuziehen. »Die kleinen Leute werden von der Euroglobalisierung ruiniert«, wie Le Pen behauptet.8 Nach Meinung dieser Politiker bestimmen gesichtslose europäische Institutionen die nationale Währungspolitik und schreiben den Menschen vor, was sie zu essen und wie sie sich ihres Mülls zu entledigen hätten. Wäre ihre Einstellung zu »Ausländern« nicht mit extrem rechten politischen Ansichten zu anderen sozialen und ökonomischen Fragen verknüpft, würden diese Personen mit Sicherheit noch mehr Popularität genießen. Berlusconis Wahl zum Ministerpräsidenten von Italien – trotz einer Titelgeschichte in The Economist, in der er als Finanzverbrecher angeprangert wurde – gründete sich zum Teil auf eine weniger grobe Version derselben Ansichten. Solche Standpunkte sind auch außerhalb Europas zu finden. Der australische Premierminister John Howard verspricht, die Einwanderung zu kontrollieren, damit die ethnische Zusammensetzung seines Landes erhalten bleibt. Die Australier sollten sich der »gelben Gefahr« aus dem Norden widersetzen.9 Er mietet ferne Pazifikinseln (Nauru und Papua-Neuguinea) als Verwahranstalten (vor dem Zweiten Weltkrieg hätte man von Konzentrationslagern gesprochen), um zu verhindern, dass illegale Einwanderer den Fuß auf australischen Boden setzen.
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Wenn die Globalisierung angeklagt wird, die ethnische Vermischung zu fördern, so muss man sie für schuldig befinden. Sie erleichtert und unterstützt die Immigration, und sie erschwert es, die illegale Einwanderung zu verhindern. Dafür gibt es jedoch einen Ausgleich. Die Einwanderer haben natürlich den Vorteil, höhere Löhne zu erhalten, aber die Gastgeberländer profitieren ebenfalls. Während des Hightech-Booms der späten neunziger Jahre litt Deutschland im Gegensatz zu Amerika unter einem Mangel an qualifiziertem Personal. Die USA stellten H-1B-Visa aus, damit Unternehmen die für den Erfolg nötigen, hoch qualifizierten Experten importieren konnten. Im Jahr 2000 beantragten amerikanische Firmen die Einreise von 300 000 Beschäftigten, und 260 000 wurden ins Land gelassen.10 Es handelte sich um sehr fähige Personen. Während 21 Prozent der legalen US-Einwanderer einen Universitätsabschluss vorweisen können, gilt das nur für 8 Prozent der gebürtigen Amerikaner.11 Die Neuankömmlinge sind die Stars ihres jeweiligen Universitätsjahrgangs. Dieses Verfahren ist auch für gebürtige Amerikaner vorteilhaft, weil ihnen mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, wenn die Expansionspläne von Unternehmen nicht durch den Mangel an qualifiziertem Personal gebremst werden. Die Einstellung hoch qualifizierter Einwanderer und die Beschäftigung weniger qualifizierter einheimischer Bürger schließen einander gewöhnlich nicht aus, sondern ergänzen sich. Die positiven Effekte sind viel stärker, als die Zahl begabter Ausländer, die in die Vereinigten Staaten ziehen, erkennen lässt. Wenn Ausländer in den USA als Amerikaner akzeptiert werden, fällt es amerikanischen Unternehmen viel leichter, qualifizierte Einheimische auch für ihre ausländischen Filialen anzuwerben. Der amerikanische Personalvermittler kann diesen talentierten Individuen aufrichtig versichern, dass sie durch die Arbeit in der lokalen Filiale eine Chance erhalten, sich an die Spitze des amerikanischen Unternehmens vorzuarbeiten. Er kann auf die CEOs großer amerikanischer Konzerne (Coca-Cola, Intel, Ford) verweisen, die außerhalb der Vereinigten Staaten aufgewachsen sind. In einer globalen Wirtschaft ist es entscheidend für den Erfolg, dass man in der Lage ist, die begabtesten Ausländer für ein Businessteam anzuwerben. Amerika hat auch einiges über unqualifizierte Einwanderer aus der
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Dritten Welt gelernt. Manche mögen nicht besonders gut ausgebildet sein, doch alle besitzen die nötige Dynamik, um in Amerika Erfolg zu haben, denn sie waren dynamisch genug, sich von ihren verarmten Dörfern zu verabschieden. Diese Einwanderungswelle aus Asien und Lateinamerika ist nicht schwerer zu verkraften als frühere Wellen aus Europa. Untersuchungen zeigen, dass sich lateinamerikanische Immigranten mit dem gleichen Tempo wie früher europäische Einwanderer an die amerikanische Kultur assimilieren und Englisch lernen. Immigranten der ersten Generation – damals wie heute – lernen oftmals kein Englisch. Ihre Kinder sprechen in der Regel beide Sprachen, können die ihrer Eltern jedoch nicht lesen oder schreiben. In der dritten Generation beherrschen die meisten die Muttersprache ihrer Großeltern nicht mehr. Das gilt zum Beispiel für hispanische Einwanderer in die Vereinigten Staaten. Zwei Drittel der dritten Generation sprechen ausschließlich Englisch.12 Die Kinos in Los Angeles, die spanischsprachige Filme zeigen, werden zunehmend geschlossen. Das bedeutet nicht, dass Amerika sämtliche Tore öffnen und die illegale Einwanderung aus den Augen verlieren sollte. Auch in den USA haben realistische Aufnahmequoten ihre Grenzen. Doch wenn Vorschriften nicht physisch oder politisch durchgesetzt werden können, sollte man auf sie verzichten. Missachtete Vorschriften bringen Respektlosigkeit allen Gesetzen gegenüber hervor. Außerdem können illegale Einwanderer zu leicht ausgebeutet werden, indem man sie zwingt, unter ungesunden Verhältnissen zu arbeiten. Dazu genügt die Drohung, sie bei der Grenzpolizei oder der Einwanderungsbehörde anzuzeigen. Langfristig profitieren die Auswanderungsländer ebenfalls.13 Taiwan ist voll von sehr erfolgreichen Unternehmen mit chinesischen Gründern, die nach einer Zeit der Beschäftigung in Amerika auf die Insel zurückgekehrt sind. Morris Chang, der Gründer von TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation), ist der prominenteste, da er den größten Konzern Taiwans leitet, aber es gibt noch viele andere Beispiele. Was diese Personen in Amerika gelernt haben, war lebenswichtig für ihren Erfolg auf Taiwan. Ein anderes gegen die Globalisierung gerichtetes Argument, das sich ebenfalls um ethnische Furcht und ethnischen Hass dreht, ist schwer als
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rechts oder links zu klassifizieren.14 Aus dieser Perspektive (zumeist gestützt auf die Schriften von Amy Chua) verstärken Globalisierung und Demokratie die ethnischen Konflikte. Die Argumentation dazu lautet: Ein großer Teil der Dritten Welt besitzt »marktbeherrschende Minderheiten« (Chinesen in Südostasien, Inder in Ostafrika, Weiße in Südafrika, Ibos in Westafrika, größere Menschen mit hellerer Haut in Lateinamerika). Diese marktbeherrschenden Minderheiten verfügen über eine »unglaublich überproportionale Wirtschaftsmacht, gemessen an ihrer Zahl«. Während die Globalisierung das Einkommen der armen Mehrheiten geringfügig steigen lässt, sorgt sie dafür, dass sich das Einkommen der ohnehin wohlhabenden marktbeherrschenden Minderheiten um gewaltige Beträge erhöht. Die schon vorher bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede vergrößern sich und werden auffälliger. Erhebliche Teile der armen Mehrheiten (indianische Maisfarmer in Amerika, Bohnenbauern in Mexiko) finden sich zudem in Branchen und Beschäftigungen wieder, die ins Hintertreffen geraten, wenn die fortgeschritteneren Technologien der Globalisierung und des freien Handels auftauchen. Dadurch greift der wirtschaftliche Groll um sich. Solche Animositäten hat es immer gegeben, aber sie wurden früher von Diktatoren aus der lokalen Mehrheit eingedämmt, die sich von den marktbeherrschenden Minderheiten bestechen ließen. So etwas ist heute als Vetternkapitalismus bekannt. Die verborgenen Animositäten werden entfesselt, wenn die Demokratie eintrifft. Sie verleiht den armen Mehrheiten mehr Macht (indem sie zum Beispiel die Kontrolle über die Polizei erhalten), wonach sie gewalttätige Angriffe auf die reichen Minderheiten durchführen. Demagogen wie Mugabe in Simbabwe machen die beneidete Minderheit (in diesem Fall die reichen weißen Farmer) zum Sündenbock und bedienen sich der Demokratie, um die Herrschaft an sich zu reißen. Mord, Vergewaltigung und ethnische Säuberung sind die Folgen. Aus dieser Perspektive gibt es keinen anderen Ausweg, als Globalisierung und Demokratisierung zu verlangsamen, da die Wohlfahrts-, die positiven Diskriminierungs- und Ausbildungsprogramme, mit denen reiche Staaten Einkommensunterschiede verringern wollen, entweder nicht funktionieren oder zu lange dauern, wenn das Land und seine Bevölkerungsmehrheit arm sind.
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Allerdings deutet nichts darauf hin – und das ist die Schwäche dieser Argumentation –, dass ein langsameres Fortschreiten der Globalisierung derart tief verwurzelte ethnische Animositäten mildern könnte. Zum Beispiel haben periodisch wiederkehrende Maßnahmen gegen ethnische Chinesen in Ländern wie Indonesien eine lange Geschichte.
Antiamerikanische Einwände Die Linken, die Rechten und die Religionsfanatiker sind sich alle einig darin, dass die von ihnen wahrgenommene amerikanische Vorherrschaft bei der Globalisierung abzulehnen sei. Man schaue sich ein Statement des Vizepräsidenten von Venezuela an: »Amerika präsentiert eine WASP- (weiße angelsächsische-protestantische) Vorherrschaft, die unerträglich geworden ist.«15 Es ist leicht, die Dinge aufzuzählen, die Amerika der übrigen Welt angetan hat. Die USA intervenierten zum Beispiel, um eine demokratisch gewählte Regierung in Chile zu stürzen, die sie für zu links hielten. Viele entdecken gegenwärtige außenpolitische Positionen der USA, die sie missbilligen, etwa zu viel Unterstützung für Israel oder den Irak-Krieg. Wenn man bereits antiamerikanische Gefühle hegt, bietet es sich an, auch gegen die Globalisierung Stellung zu beziehen, da beide in hohem Maße miteinander identifiziert werden können. So lässt sich die Wirtschaftswelt gewissermaßen amerikanisieren. Öffentliche Meinungsumfragen zeigen, dass große Bevölkerungsmehrheiten sogar in traditionell mit den USA befreundeten Ländern die Verbreitung amerikanischer Ideen und Bräuche negativ beurteilen. 60 Prozent sind dieser Ansicht in Großbritannien, 58 Prozent in Italien, 57 Prozent in Deutschland und 71 Prozent in Frankreich. Nur in Japan schätzt mit 35 Prozent eine Minderheit die amerikanischen Ideen und Bräuche negativ ein.16 In Deutschland und Südkorea wurden die Regierungen im Jahr 2002 mit mehr oder weniger antiamerikanischen Programmen gewählt. Amerikaner, die solche Meinungen hören, fragen sich häufig: »Warum hassen sie uns?« Dabei sollte man jedoch berücksichtigen, dass je-
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mand, der amerikanische politische Schritte ablehnt, nicht unbedingt antiamerikanisch ist. Sogar viele Amerikaner sind höchstwahrscheinlich mit einigen amerikanischen Positionen nicht einverstanden. Ob jemand antiamerikanisch ist, zeigt sich an seinen Einwänden gegen die Amerikaner als Menschen, weniger an seinen Einwänden gegen ihre politischen Aktionen: Während des Kalten Krieges verstand sich die UdSSR sehr gut darauf, den USA Freunde zu verschaffen. Wer Russland fürchtete, liebte Amerika. Heute wird Russland von niemandem gefürchtet. Kein deutscher Kanzlerkandidat hätte seinen Wahlkampf mit einem antiamerikanischen Programm betrieben, solange die russische Armee in Ostdeutschland stationiert war. Die Amerikaner sollten sich an den Gedanken gewöhnen, dass man, wenn man der einzige große Kerl in der Nachbarschaft ist, nicht geliebt und wahrscheinlich nicht einmal gemocht wird, dass man mit sehr wenig Sympathie rechnen darf und unzweifelhaft Furcht erweckt. Es gibt keine anderen Supermächte mehr, die Länder und Völker so verängstigen könnten, dass sie zu unseren natürlichen Verbündeten und Freunden werden. Die Amerikaner sollten auch bedenken, dass in einem Wettkampf zwischen David und Goliath alle Sympathie stets David zuteil wird. Da die Amerikaner Goliath repräsentieren, können sie nicht erwarten, dass man sie liebt. Außerdem ist die übrige Welt nicht davon überzeugt, den amerikanischen Verlockungen widerstehen zu können. Wenn man uns Amerikanern nacheifert, was der Fall ist, dann sollten wir damit zufrieden sein. Manche antiamerikanischen Gefühle kommen auf, weil man glaubt, die USA zögen zu viele Vorteile aus der Globalisierung. Da das globale auf dem amerikanischen Modell beruhe, hätten die Amerikaner nützliche Erfahrungen mit einem sehr ähnlichen Spiel gesammelt. Um sich auf die Globalisierung einzustellen, bräuchten sich die Amerikaner kaum zu ändern, die übrige Welt dagegen erheblich. Das trifft in gewissem Maße zu. Englisch ist die Sprache des Geschäftslebens, und der Individualismus mit all seinen Risiken und Vorzügen ist ein Bestandteil der amerikanischen Kultur. In Wirklichkeit kommt es jedoch nicht darauf an, ob man geringe oder große Veränderungen vornehmen muss, sondern auf die Bereitschaft, große oder kleine Veränderungen zu akzeptieren.
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Nehmen wir das Thema Entlassungen. Im vergangenen Jahrzehnt sind viel mehr Amerikaner als Europäer gefeuert worden. In den prosperierenden neunziger Jahren entließen rentable amerikanische Großunternehmen jährlich zwischen 600 000 und 800 000 Beschäftigte. Daran waren manchmal die direkten produktionssteigernden Effekte der neuen Technologien schuld und manchmal die von denselben neuen Technologien hervorgebrachte Globalisierung. Große Personalverringerungen bei rentablen Firmen waren in den neunziger Jahren eine Neuerscheinung in Amerika. Auch die Verlegung von Arbeitsplätzen in ausländische Produktionsstätten war den Amerikanern bis dahin unbekannt gewesen. Wie jeder andere auch sind die Amerikaner nicht erfreut, wenn sie gefeuert werden, weil man ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlegt. Da Entlassungen in den USA leichter sind als in jedem anderen Land der Welt, verringern sowohl amerikanische als auch ausländische Firmen ihr Personal im Lauf von globalen Konjunkturrückgängen proportional stärker in den Vereinigten Staaten als anderswo. Die Amerikaner hätten allen Grund, sich über unfaire Behandlung zu beklagen, aber sie haben gelernt, Änderungen zu akzeptieren. Sie sind es gewohnt, entlassen zu werden, und finden sich mit der dadurch verursachten wirtschaftlichen Ungewissheit ab. Wenn man sich einen Indikator zur Messung der Globalisierungsängste anschaut, so stehen die Amerikaner keineswegs bei null. Die realen, inflationsbereinigten Familien-Durchschnittseinkommen liegen nur knapp über dem Niveau von 1973.17 Die wirtschaftliche Ungewissheit ist sehr hoch, und eine Mehrheit der Amerikaner erwartet, dass ihre Kinder niedrigere Realeinkommen haben werden als sie selbst. Wie alle anderen sind auch die Amerikaner beunruhigt. Gleichwohl verzeichnet die übrige Welt wahrscheinlich höhere Angstindikatoren – nicht wegen der objektiven, sondern aufgrund der subjektiven Realität. Die übrige Welt ist es einfach nicht gewohnt, mit derart fundamentalen Ungewissheiten zu leben. Im Gegensatz dazu blicken nur 7 Prozent der Amerikaner – obwohl sie mehrheitlich meinen, dass es ihren Kindern wirtschaftlich schlechter gehen werde als ihnen selbst – pessimistisch in die Zukunft.18 Nehmen wir die legale und die illegale Einwanderung. Die USA ha-
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ben von beiden mehr als jedes andere Land zu verzeichnen (etwa 1 Million Menschen pro Jahr), aber die Amerikaner machen sich deshalb weniger Sorgen als die Bürger anderer Staaten. Sie könnten behaupten, dass die Einwanderer die besten Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze erhielten. 30 bis 40 Prozent der Studenten an den amerikanischen Eliteuniversitäten sind heute asiatischer Herkunft. Diese Studienplätze sind früher eingetroffenen Amerikanern versperrt. Nirgends ist der Verlust an Jobs für Amerikaner sichtbarer als in Hollywood, wo viele Stars aus dem Ausland stammen – Penelope Cruz, Russell Crowe, Nicole Kidman, Jean-Claude van Damme, Arnold Schwarzenegger, Chow Yun Fat, um nur einige zu nennen. Trotzdem gibt es kaum Einwände und Klagen. Die meisten Amerikaner stufen diese Schauspieler als ihre Landsleute ein, obwohl sie selbst sich nicht als Amerikaner bezeichnen würden. Die USBürger verarbeiten »ausländische Einflüsse«, indem sie deren Herkunft rasch vergessen und sie für amerikanische Einflüsse halten. Was die Amerikaner gelassener macht, ist keine geringere legale oder illegale Einwanderung, sondern eine aufnahmefähige Kultur. Häufig wird die kulturelle Bedrohung durch die USA für wesentlicher gehalten als die wirtschaftliche Bedrohung. Die amerikanische Kultur durchsetze und erobere die lokalen Varianten unter dem Mantel der Globalisierung. Die amerikanische Lebensweise wird, besonders was die Jugend betrifft, von der älteren Generation im Ausland als zu verführerisch und als letzten Endes verderblich kategorisiert. Deren Verlockungen müsse aktiver Widerstand geleistet werden, denn sie verleiteten die Jugend, ihre historischen Traditionen zu verleugnen. Deshalb wird Amerika im Iran als »Großer Satan« bezeichnet. Die amerikanische Kultur kann für fast alles verantwortlich gemacht werden, und genau das ist der Fall. Im Frühjahr 2002 ging eine Welle von Bluttaten über Europa hinweg. Ein deutscher Gymnasiast brachte 16 Personen und dann sich selbst um, ein französischer Psychiatriepatient erschoss acht Stadträte, ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Schweizer tötete 14 Politiker im Kantonsratssaal von Zug, ungarische Bankräuber ermordeten sieben Personen. In allen Fällen gab man amerikanischen Einflüssen die Schuld. In den Niederlanden hieß es: »Amerikanische Verhältnisse haben uns erreicht.«19 Aber schließlich gibt es auch US-Bürger, die glauben, dass amerikanische
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Filme Gewalttaten auslösen. Warum sollten die Europäer einen anderen Standpunkt vertreten? Traditionsgemäß hat Kultur damit zu tun, dass die Älteren den Jüngeren mitteilen, woran sie glauben und wie sie sich verhalten sollten. Das Beängstigende an der neuen elektronischen Kultur ist die Tatsache, dass sie »zum Verkauf« steht und die Jugend über die Generationen hinweg unmittelbar erreicht. Sie stiftet Unruhe und verfügt im Gegensatz zu älteren Kulturformen nicht über spezifische Werte, die sie weitergeben möchte. Die Produzenten dieser Kultur liefern, was immer die Jugend kaufen will. Es ist eine Kultur der Wirtschaft (der Gewinne) und nicht der nationalen Werte. Sie steht für die Moderne.20 Mithin ist sie durch und durch anders – und für viele besorgniserregend. Es ist schwierig, die Kriterien herauszufinden, nach denen eine Kultur besser oder schlechter als eine andere sein soll. Was ist der kulturelle Rang von Rock, Jazz oder klassischer Musik? Wenn man sich in Meinungsumfragen erkundigt, ob kulturelle Änderungen von Vorteil oder Nachteil seien, erhält man beim Blick nach vorn eine ganz andere Antwort als beim Blick zurück. Unsere Kinder wären entsetzt, wenn ihnen befohlen würde, zur Kultur ihrer Großeltern zurückzukehren. Und unsere Eltern wären entsetzt, wenn man sie aufforderte, sich der Kultur ihrer Enkel zu widmen. In der Regel gefällt den Menschen das am besten, womit sie aufgewachsen sind und woran sie sich gewöhnt haben. Nach einer gewissen Altersstufe kommt Besorgnis auf, wenn sich ein plötzlicher kultureller Wandel abzeichnet. Unsere Kultur ist ein Teil dessen, was wir sind und wofür wir stehen, und uns missfällt der Gedanke, dass diese Faktoren kurzlebig sein könnten. Während man darüber debattieren kann, ob die neue globale Kultur besser oder schlechter sein wird als die alten nationalen Kulturen, besteht kein Zweifel daran, dass sie anders sein und neue Aspekte in jene alten Nationalkulturen einbringen wird. Der Musiksender MTV (Music Television) ist ein gutes Beispiel für die neue globale Kultur. Von Land zu Land unterscheiden sich die Songs und die Sprachen, in denen sie gesungen werden, aber der Präsentationsstil ist überall der gleiche: rasche Schwenks und schnelle Schnitte. Er ist überall gleich, weil er sich überall zu verkaufen scheint. Dieser MTV-Stil kam in Amerika auf – doch erst vor einem Jahrzehnt.
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Die elektronische Kultur, die viele in der übrigen Welt erschreckt, macht auch etlichen Amerikanern Angst und hat zu einer religiösen fundamentalistischen Reaktion geführt, wie sie nirgends schärfer ist. In welchen anderen Ländern gibt es religiöse Milizen (in diesem Fall Christen), die sich auf Schusswechsel mit der Polizei und ihren Nachbarn einlassen? Man muss nach Algerien gehen, um etwas Extremeres zu finden. In ökonomischer Hinsicht ist die Frage interessant, warum Amerikaner mehr als ihren normalen Anteil an dieser neuen »zum Verkauf stehenden« elektronischen Kultur hervorbringen. Amerikanische Filme machen 70 Prozent der in westeuropäischen Kinos gezeigten Streifen aus, in vielen Ländern der Welt haben sie sogar einen Marktanteil von 90 Prozent.21 Spiele, Filme, Musik und Fernsehprogramme stellen heute einen erheblichen Anteil der amerikanischen Exporte dar. Ein Teil der Antwort ist vielleicht der, dass die USA eine Einwanderergesellschaft beherbergen, die keine feste Vorstellung von »amerikanischer Kultur« hat. Andere dürfen diese Kultur gern ergänzen. Jede neue Einwanderergruppe bringt ihren Beitrag in die amerikanische Kultur ein. Fremdsprachige werden zu englischen Wörtern, ohne dass sich jemand über ihre Herkunft den Kopf zerbricht. Solche Änderungen sind selbstverständlich geworden. In einem von Vielfalt geprägten Land lernt man zu fragen, was die potenziellen Kunden (in diesem Fall die Jugendlichen) wollen, statt zu versuchen, sie einem vorgegebenen Bild des jungen Amerikaners anzupassen. Infolge dieser Tradition verstehen sich amerikanische Unternehmen darauf, talentierte Ausländer anzuwerben und ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie seien erstklassige Akteure. Jeder, der fähig ist, gut verkäufliche Kulturprodukte herzustellen, wird rasch nach Amerika eingeladen, fühlt sich wie zu Hause und wird zum Bleiben aufgefordert. Viele nehmen an. Diese Personen werden ungeachtet ihres Geburtsorts oder ihres nationalen Erbes bald von allen innerhalb und außerhalb der Vereinigten Staaten als Vertreter der »amerikanischen Kultur« angesehen. Als der französische Konzern Vivendi das amerikanische Filmunternehmen Universal Studios erwarb, kam es in den Vereinigten Staaten zu keinem Aufschrei darüber, dass die Franzosen die amerikanische Kultur an sich brächten. Wenn die US-Bürger überhaupt über die Situa-
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tion nachdachten, dann glaubten sie, ein Franzose an der Spitze eines einheimischen Unternehmens werde sich rasch amerikanischen Einflüssen unterordnen oder die »amerikanische« Kultur interessanter gestalten. Genau das ist der Grund dafür, dass es in Frankreich zu einem öffentlichen Aufschrei der Empörung kam. Statt darüber zu jubeln, dass die Franzosen Hollywood eroberten und die neuen Chefs eines globalen amerikanischen Filmstudios waren, fürchtete man, die französischen Bosse würden sich durch ihre Neuerwerbung verführen lassen und Vivendis Kabelkanal in Frankreich könne amerikanisiert werden. Da Frankreich eine der größten und dauerhaftesten Kulturen der Welt besitzt und da die Franzosen als Käufer, nicht als Verkäufer fungierten, waren solche Sorgen unlogisch, aber nicht überraschend. Die französischen Bemühungen, sich der Amerikanisierung zu widersetzen, müssen im historischen Kontext gesehen werden. Frankreich hatte nicht nur eine Armee, die im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht besiegt wurde, sondern auch eine Gesellschaft, die in sich selbst zusammenbrach. Die meisten Franzosen und Französinnen kollaborierten mit den Deutschen, und nur wenige schlossen sich der Résistance an, bevor die deutsche Niederlage feststand.22 Paris musste von angloamerikanischen Streitkräften befreit werden. Wer seine Selbstachtung wiedergewinnen will, muss den Rettern Widerstand leisten. Wie sonst lassen sich die Unruhe und Bestürzung erklären, welche die Veröffentlichung eines britischen Kochbuchs in französischer Sprache begleiteten?23 Die Bewegung der Kultur um den Globus vollzieht sich nicht in nur eine Richtung, wie oft angenommen wird. Die traditionelle amerikanische Kultur wird nicht in die übrige Welt exportiert. Zwar baut man eine neue globale Kultur großenteils in Amerika auf, aber es handelt sich nicht um eine Kopie überkommener amerikanischer Praktiken. Fußball, nicht amerikanischer Football ist das globale Spiel, Mangas sind die angesagtesten Comics. Legosteine haben Baukästen abgelöst. Bedeutende Hollywood-Studios sind in französischer und japanischer Hand. Filmstars kommen, wie wir gesehen haben, aus allen Teilen der Welt. Vier der fünf weltgrößten Musik-Aufnahmeunternehmen gehören nicht Amerikanern.24 Der größte Buchverlag der USA ist ein deutscher Konzern. Es gibt mehr Sushi-Bars außerhalb Japans als McDonald’s-Restaurants außerhalb der Vereinigten Staaten. Wenn
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man US-Bürger fragt, was sie sich am liebsten kaufen würden, so erfährt man, dass ihre Träume von europäischen, nicht von amerikanischen Luxusgütern beherrscht werden. Eine UNESCO-Untersuchung von kulturellen Exporten (Druckwerke, Musik, bildende Künste, Film und Fotografie, Spiele und Sportartikel) bescheinigt Japan einen kulturellen Netto-Außenhandelsüberschuss von 14,5 Milliarden Dollar und den Vereinigten Staaten ein kulturelles Netto-Außenhandelsdefizit von 38 Milliarden Dollar.25 Auch Entwicklungsländer exportieren mehr, als sie importieren – was großenteils mit der Produktion von Sportausrüstung, aber auch mit Artikeln wie kubanischer Musik und der Buena-Vista-Social-Club-CD zusammenhängt, von der in den Vereinigten Staaten in einem einzigen Jahr 1 Million Exemplare verkauft wurden.26 Kultur ist nicht statisch, sondern sie wandelt sich im Lauf der Zeit. Die Globalisierung mag die Vielfalt verringern, aber andererseits vergrößert sie die Auswahl in jedem Land. Jeder kann sich für Kulturen begeistern, die nichts mit seiner traditionellen Nationalkultur zu tun haben. Diese Freiheit der Wahl, ein Bestandteil der amerikanischen Kultur, sollte die US-Bürger nicht veranlassen, in die Defensive zu gehen. Die weiche Macht, die sich vom Export amerikanischer Kulturprodukte an die Jugend der Welt herleitet, ist durchaus legitim, wie sehr sie die Älteren in der übrigen Welt auch verängstigen mag. Einige der Sorgen über die Globalisierung kommen auf, weil viele sich die amerikanischen Resultate – hoher Lebensstandard und technologische Führerschaft – wünschen, aber nicht bereit sind, zu diesem Zweck die gleichen Anstrengungen wie die Amerikaner zu unternehmen. Die Tatsache, dass diese beiden Standpunkte logisch nicht miteinander zu vereinbaren sind, hält die Menschen nicht davon ab, das eine wie das andere zu begehren oder es den Amerikanern übel zu nehmen, dass sie nicht beides haben können. Zur Erreichung eines amerikanischen Lebensstandards müssen die Frauen vollauf am Wirtschaftsprozess beteiligt werden. 47 Prozent der Arbeitskräfte sind weiblich. In Amerika steuern Männer zwei Drittel und Frauen ein Drittel zum Familieneinkommen bei. Damit ein amerikanischer Lebensstandard erreicht werden kann, müssen die Frauen in anderen Teilen der Welt eine Ausbildung und einen Arbeitsplatz erhalten.
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Es gibt Gebiete (nicht nur in den meisten muslimischen Ländern), in denen es als Bedrohung der etablierten Kultur gilt, wenn Frauen außerhalb des Haushalts arbeiten. Doch über das Fernsehgerät ist jener abzulehnende alternative Lebensstil (arbeitende Frauen) täglich in fast jeder Wohnung zu beobachten. Das Lächeln im Gesicht der Frauen in Afghanistan, die nach der Niederlage der Taliban keine Burka mehr zu tragen brauchten, war bestimmt nicht vorgetäuscht.27 Sie waren in einem realen Sinne befreit worden. Aber in anderen Ländern empfanden manche dieses Lächeln als bedrohlich. Die Bilder lächelnder afghanischer Frauen, welche die amerikanische Presse beherrschten, wurden in den meisten Teilen der muslimischen Welt kaum gezeigt. In Afghanistan wurden nach dem amerikanischen Einmarsch Hunderte von weiblichen Selbststudiengruppen gegründet. 85 Prozent der Frauen konnten unter den Taliban weder lesen noch schreiben und waren damit, wie sie selbst sagten, gewissermaßen blind.28 Sie konnten Fremde nicht um Hilfe bitten und gleich aussehende, aber im Wert voneinander abweichende Münzen nicht unterscheiden. Die Amerikaner meinen, jede Frau auf der Welt solle die Möglichkeit haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Sie zwingen anderen diese Einstellung nicht mit Militärgewalt auf, aber sie entschuldigen sich auch nicht dafür, dass sie mit der Attraktivität einer solchen Haltung werben. Einfach ausgedrückt: Denen keine Entwicklungshilfe zu zahlen, die Frauen diskriminieren, ist genauso legitim wie die Streichung von Entwicklungshilfe an diejenigen, die Schwarze diskriminieren. Es wird nur deshalb nicht realisiert, weil Amerika ebenfalls religiöse Gruppen besitzt – darunter zwei der größten, die katholische Kirche und die Southern Baptist Church –, die gleiche Rechte für Frauen ablehnen. Lange Arbeitszeiten sind erforderlich, um den amerikanischen Lebensstandard zu erreichen. Die Belgier verdienen zwar 12 Prozent mehr pro Stunde als die Amerikaner, doch die Letzteren erzielen höhere Durchschnittseinkommen, da sie jährlich 50 Prozent mehr Arbeitsstunden leisten als der Durchschnittsbelgier. Kein Amerikaner erhält, wie in Europa üblich, jährlich sechs Wochen bezahlten Urlaub. Viele wünschen sich amerikanische Löhne und einen europäischen Urlaubsanspruch, aber das ist eine unmögliche Kombination. Unsicherheit ist ein Teil des amerikanischen Systems. Die Löhne
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sind hoch, genau wie die Wahrscheinlichkeit, entlassen zu werden. Unsicherheit ist auch ein Teil der technologischen Führerschaft. Niemand weiß, was funktionieren wird, und deshalb müssen viele Dinge ausprobiert werden – die meisten ohne Erfolg. Die jährlich 600 000 bis 800 000 Beschäftigten, die für rentable Unternehmen arbeiten und trotzdem ihren Posten verlieren, sind wesentlich für die technologische Führungsrolle. Man kann nur in die neuen Technologien investieren, wenn man weiß, dass sich die von ihnen erzeugte höhere Produktivität in Form rascher Kostenreduktionen durch einen verringerten Personalbestand niederschlägt. Geografische Mobilität ist notwendig. Wer entlassen wird, muss den nächsten verfügbaren Arbeitsplatz vielleicht fern von Familie und Freunden annehmen. Wegen einer neuen Tätigkeit nach Kalifornien ziehen zu müssen wird von Amerikanern als Chance empfunden, während Gesellschaften, in denen man sein Leben in der Nähe von Angehörigen und Freunden zu verbringen erwartet, eine solche Situation als bedrohlich ansehen würden. Meine israelische Frau, die immer noch im selben Ort wohnt, hat zahlreiche enge Freunde aus High-School-Tagen. Ich dagegen lebe 2 500 Meilen von meiner ehemaligen HighSchool entfernt und habe keinen einzigen. Es ist frustrierend, etwas (den amerikanischen Lebensstandard) haben zu wollen, wenn man nicht bereit ist, die dafür benötigten Anstrengungen zu unternehmen. Frustrierte Menschen werfen häufig Steine oder Bomben.
Einwände gegen die globale Regierung Die Opposition gegen die Globalisierung dürfte auch durch die Notwendigkeit einer globalen Verwaltung und die Furcht vor einer globalen Regierung motiviert werden. Realistischerweise erfordert die wirtschaftliche Globalisierung ein politisches Äquivalent. Heutzutage bewegt sich die Welt von nationalen Ökonomien in Richtung einer globalen Wirtschaft, doch es gibt keine globale Regierung, die den Prozess einleiten, lenken oder regulieren könnte.
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Eine Teillösung liefern internationale Organisationen wie UN, IWF, Weltbank, WTO, EU oder NAFTA. Auf der Linken meinen die Globalisierungsgegner, diese Institutionen würden ihre demokratischen Rechte zur Verabschiedung ihrer eigenen nationalen Gesetze und Vorschriften usurpieren. Umweltschützer haben nicht vergessen, dass die WTO die Einfuhr von mexikanischen Tunfischen billigte, die mit für Delfinen tödlichen Netzen gefangen worden waren, obwohl ein amerikanisches Gesetz die Verwendung von delfinfreundlichen Netzen verlangte. Für die Rechte stellen diese Institutionen eine Gefahr dar, die sich zu einer Form der Weltregierung auswachsen könnte. Viele republikanische Senatoren und etliche Mitglieder der Regierung Bush vertreten diesen Standpunkt. Es sei nicht Sache der Vereinten Nationen, der amerikanischen Regierung vorschreiben zu wollen, was sie im Irak oder sonstwo tun könne. Aber diese Institutionen sind durch nationale Regierungen eingegrenzt worden, um sicherzustellen, dass sie nicht zu einer Art Weltregierung werden können. Sie wurden von nationalen Regierungen gegründet, um die globalen Regeln und Vorschriften durchzusetzen, die dieselben Regierungen ausgehandelt und zu Papier gebracht hatten. Jene Organisationen können Regeln interpretieren, aber sie sind nicht bevollmächtigt, selbstständig neue Gesetze zu verabschieden. Auch fehlt ihnen die Befugnis, eigene Steuern einzuziehen. Wenn sie Geld zur Verfügung stellen (im Fall des IWF oder der Weltbank), wird dieses von den Mitgliedsregierungen eingezogen. Wenn nationale Regierungen ihre Beiträge nicht zahlen wollen, weil sie (in diesem Fall die USA) etwa mit Maßnahmen der Vereinten Nationen nicht übereinstimmen, zahlen sie einfach nicht. Internationale Institutionen sind natürlich keine demokratischen Einrichtungen mit direkt gewählten globalen Führern, denn keine Nation wäre mit einer direkten Demokratie einverstanden. Sie sind von nationalen Regierungen geschaffen. Aus ähnlichen Gründen hat in ihnen nicht jedes Land nur eine einzige Stimme. Niemand wird bereit sein, die Institutionen selbstständig Steuern einziehen zu lassen. Aber ohne eine solche Befugnis sind sie leere Hülsen. Eine Weltbank ohne Geld ist keine Weltbank. Deshalb werden die nationalen Stimmen auf der Grundlage der bereitgestellten Mittel verteilt.
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Infolge der gewichteten Stimmenabgabe macht man diesen Institutionen oft zum Vorwurf, zu proamerikanisch zu sein und sich zu sehr unter der Fuchtel des amerikanischen Finanzministeriums zu befinden; aber wenn jemand anders bereit und fähig wäre, alternative Geldquellen zu erschließen, wäre die Gewichtung eine andere. Anfang 2003 fasste Japan den Entschluss, weniger Geld an die Vereinten Nationen zu zahlen, während die USA ihren Beitrag erhöhen sollten. Der prozentuale japanische Anteil am UN-Haushalt sei nämlich größer als der Anteil des Landes am Welt-BIP, der prozentuale Anteil der Vereinigten Staaten dagegen liege unter dem amerikanischen Anteil am Welt-BIP. Dazu wird es nicht kommen, aber wenn es geschähe, hätte Amerika schlicht mehr Einfluss auf die Vereinten Nationen. Da es in all diesen internationalen Einrichtungen nationale Postenquoten gibt, findet man dort nie zu viele amerikanische Amtsinhaber. Doch häufig wird behauptet, sie seien zu stark von Amerikanern durchsetzt. Wenn die USA in solchen Institutionen überrepräsentiert sind, dann höchstens infolge ihrer weichen Macht. Viele Ausländer, die in diesen Einrichtungen arbeiten, haben amerikanische Universitäten besucht. Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, ist das höchstrangige Beispiel. Er hat das MIT und das Carlton College absolviert. Da sich irgendeine Einrichtung um die Gesamtsituation kümmern und dafür sorgen muss, dass das globale Wirtschaftssystem funktioniert, wären die einzigen Alternativen zu den ungeliebten globalen Institutionen ein noch weniger populärer globaler Hegemon und ein »lockerer« Imperialstaat. Notgedrungen fiele dem Hegemon die Aufgabe zu, das Globalsystem zu lenken. Es wäre ein lockerer Imperialstaat, da der Hegemon keine Nachbarländer militärisch besetzen oder ihre Oberhäupter aussuchen würde. Doch letzten Endes wäre er der globale Polizist. Bündnisse – mit der NATO an erster Stelle – werden weiter existieren, aber sie gehören in eine andere Ära und sind mit einer Gefahr verknüpft, die man nur noch auf den Seiten der Geschichtsbücher findet. Die alten Bündnisse wären eigentlich keine mehr, weil deren Mitglieder kaum noch eine vergleichbare Macht besäßen und weil der Hegemon auch ohne ihren militärischen Beistand handeln könnte. Im Irak bemühten die
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USA sich zur politischen Absicherung um Alliierte, ohne sie für militärische Zwecke zu wollen oder zu benötigen. Keiner von ihnen, ausgenommen vielleicht die Briten, hatte auch nur die technologischen Voraussetzungen, um an der Seite der Amerikaner zu kämpfen. Der neue Imperialstaat unterscheidet sich von denen der Vergangenheit dadurch, dass er nicht Land – die alte Quelle des Reichtums – kontrollieren will. Vielmehr geht es ihm um die Kontrolle der Ideen und des Wissens, der neuen Quelle des Reichtums. Man kann argumentieren, dass solch ein lockerer Imperialstaat für den globalen Erfolg notwendig, doch zugleich ungerecht sei, weil einige Gruppen am Ende mehr Einfluss auf die Globalisierung hätten als andere. Beides trifft zu. Amerika wäre der Hegemon, denn es besitzt die bei weitem größte Wirtschaft der Welt und ist die einzige verbliebene militärische Supermacht. Die Vereinigten Staaten werden diese Rolle spielen – oder auch nicht. Der Grund dafür ist, dass sie selbst das einzige Land sind, das sie nötigen kann, sich an die Spielregeln zu halten. Andere Möglichkeiten existieren nicht. Diese Realität erscheint vielen als unfair, und das ist sie in gewisser Weise auch. Da es keine Weltregierung gibt, wird die globale Wirtschaft von sich verschiebenden Kombinationen dieser beiden möglichen Systeme gelenkt. Die internationalen Institutionen treffen Entscheidungen, und der Hegemon ist bereit, sie zu befolgen. Die USA akzeptieren gegen sie selbst gerichtete Verfügungen der WTO, einer internationalen Einrichtung, in der jedes Land nur eine einzige Stimme hat. Sie ändern ihr Verhalten oder zahlen die erforderlichen Geldstrafen. Aber der Hegemon überwacht auch jene Bereiche, in denen die nationalen Regierungen sich nicht über die Regeln und Institutionen geeinigt haben. Da die globalen Wirtschaftseinrichtungen viel weiter entwickelt sind als die politischen Institutionen, wird der Hegemon zumeist in der politischen, nicht in der wirtschaftlichen Sphäre aktiv. Seine Rolle besteht nicht darin, sämtliche Probleme der Welt zu lösen, sondern sich den Komplikationen zu widmen, die die ökonomische oder die politische Stabilität der Erde bedrohen. Politische Krisenherde wie Israel/Palästina im Nahen Osten, Kaschmir auf dem indischen Subkontinent oder Nord- und Südkorea in Ostasien erhalten also Priorität. Man kann nicht zulassen, dass sie das globale System in die Luft jagen.
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Dem Nahen Osten wird mehr Aufmerksamkeit gewidmet als Subsahara-Afrika, aber nicht, weil es mehr Juden als Schwarze in Amerika gäbe oder weil sie einflussreicher wären. Beides ist nicht der Fall. Die Gründe liegen anderswo. Amerikanische Schwarze machen sich keine allzu großen Sorgen über Kriege in Zentralafrika, amerikanische Juden dagegen machen sich sehr große Sorgen über Kriege im Nahen Osten. Diese Kriege sind außerdem eine Gefahr für die Weltenergieversorgung. Amerika hätte 1991 nicht 350 000 Soldaten um die Welt transportiert, um den Irak zu besiegen, wenn es am Persischen Golf kein Öl gäbe. Es ergriff diese Maßnahme nicht, um Israel zu beschützen. Weder das Opfer des Einmarsches (Kuwait) noch das Land des Angreifers (Irak) war eine Demokratie. Ohne Öl hätte man die Region genauso behandelt wie den Sudan. Dort spielen sich grässliche Ereignisse ab, mehr als 2 Millionen Menschen sind gestorben, und die Welt wendet den Blick ab.29 Ein Krieg in Kaschmir weckte erst dann Aufmerksamkeit, als beide Seiten demonstrierten, dass sie Kernwaffen hatten und sie wahrscheinlich einsetzen würden. Ohne die Geschehnisse vom 11. September wäre der Irak toleriert worden. Erst nach dem Beginn des Krieges wurde Saddam Husseins Unterdrückung der Menschenrechte im Irak zum Gesprächsthema. Wirtschaftliche Interventionen finden aus den gleichen nüchternen Gründen statt. IWF-Hilfsleistungen haben den Zweck, das globale Finanzsystem zu schützen, und nicht den, Ländern die Lösung ihrer internen Finanzprobleme zu ermöglichen. Interventionen werden nicht durch »wohltätige« Gefühle ausgelöst. Sie dienen nicht dazu, anderen zu helfen. Die Wirtschaft Argentiniens wurde ignoriert, nachdem man zu dem Schluss gelangt war, dass sein ökonomischer Zusammenbruch von 2002 zu keiner globalen Katastrophe führen würde. Während seiner Krise von 1994/95 erhielt Mexiko einen Direktkredit von den Vereinigten Staaten, ohne auf IWF-Untersuchungsteams warten und ohne sich IWF-Auflagen unterwerfen zu müssen, denn ein Ende der Stabilität Mexikos wäre auch für die amerikanische Stabilität gefährlich gewesen. Man fürchtete, ein Wirtschaftszusammenbruch werde Millionen von Mexikanern die Grenze überschreiten lassen. (Übrigens hat Mexiko den Kredit vollständig zurückgezahlt.) »Wohltätige« Interventionen sind einer der unerwarteten Nebenef-
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fekte des globalen Kommunikationswesens. Das Einschreiten in Somalia (»Black Hawk Down«) wurde durch das globale Fernsehen ausgelöst. Den Bürgern der Ersten Welt gefällt es nicht, sich anschauen zu müssen, wie Menschen der Dritten Welt in Echtzeit auf ihren Fernsehschirmen getötet werden. Somalia hatte keine strategische Bedeutung, doch gleichwohl wurden UN- und US-Streitkräfte entsandt. Dieselben Fernsehzuschauer wollten jedoch nicht, dass ihre eigenen Söhne »ohne Grund« getötet wurden. Eine sehr kleine Zahl von Todesfällen bewirkte, dass sich der militärische Hegemon der Welt mit eingezogenem Schwanz davonschlich. Das Fernsehen erhöhte wahrscheinlich den Druck, im Kosovo etwas zu unternehmen, aber die eigentlichen Gründe für die Intervention waren strategischer Art. Der Balkan befindet sich an der Flanke der Europäischen Union und der NATO. Der Hegemon musste widerwillig einschreiten, denn was sich in Europa abspielt, ist für ihn trotz der Ferne Amerikas zum Balkan wichtig. Wenig überraschend drängen internationale Stimmen Amerika manchmal, energischer zu intervenieren (Somalia, Kosovo, Zentralafrika), nur um zu anderen Zeiten zu behaupten, Amerika schreite zu oft ein (Irak und Kuba). In der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung werden beide Argumente gleichzeitig von beiden Seiten vorgebracht. Und man kann gewiss der Ansicht sein, dass eine Großmacht mit der Verantwortung für den Schutz der Globalisierung beide Kontrahenten einer Vereinbarung nicht so nahe kommen lassen sollte wie in Camp David und bei den Taba-Gesprächen in der zweiten Hälfte des Jahres 2000, ohne ihren wirtschaftlichen und militärischen Einfluss zur Durchsetzung einer Lösung für die verbleibenden Details zu nutzen. Sowohl die palästinensischen Selbstmordattentate als auch die israelische Invasion können teilweise einem Hegemonialstaat zur Last gelegt werden, der nicht bereit war, seine Pflicht zu tun. Diese Region ist strategisch zu wichtig, als dass man zusehen könnte, dass die beiden Seiten einander wie Skorpione in einer Flasche töten. Seit dem Ende des Vietnam-Kriegs bis hin zu den Angriffen auf das World Trade Center plädierte die übrige Welt in den meisten Fällen für verstärkte amerikanische Interventionen. Nach dem amerikanischen Erfolg in Afghanistan herrscht jedoch die Meinung vor, die USA seien
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vielleicht zu begierig, im internationalen Rahmen einzuschreiten. Präsident Bushs Wunsch, sich Saddam Husseins zu entledigen, fand kaum Unterstützung. Saddam war überall verhasst, doch vielen behagte es nicht, dass die Vereinigten Staaten eine Vorliebe dafür entwickeln könnten, ihnen nicht genehme Regierungen zu stürzen.
Geisteshaltungen Kräfte des Wandels bringen automatisch Gegenkräfte des Widerstands hervor. Menschen sind von ihren Gewohnheiten abhängig und ändern ihre Verhaltensmuster als Reaktion auf wirtschaftliche oder technologische Kräfte nur langsam. Sie widersetzen sich dem Druck, der von schnellen Veränderungen ausgeht. Ein bedeutender Wandel wird selten bereitwillig hingenommen, wenn er sich sehr rasch vollzieht – und die Globalisierung ist ein sich rasch vollziehender Prozess. Für eine erfolgreiche Globalisierung wird vor allem eine Reihe von Geisteshaltungen und sozialen Werten benötigt, mit deren Hilfe man die Ergebnisse der Globalisierung akzeptiert und die notwendigen Änderungen wirklich als positive, nicht als negative, von einer »fremden« Welt aufgezwungene Faktoren beurteilt. Es bleibt abzuwarten, welche Teile der Welt neben den Vereinigten Staaten über diese Einstellung verfügen. Dabei kommt es weitgehend auf das Selbstbewusstsein im Innern eines Staates an und weniger darauf, ob das Pro-Kopf-BIP eines Landes infolge der Globalisierung steigen oder sinken wird. Wenn die Anklage lautet, die Globalisierung nötige Staaten, Änderungen zu akzeptieren und »fremde« Einflüsse zu verarbeiten, dann ist sie unzweifelhaft schuldig.30 Was die Linke angeht, so würde die Beendigung der Globalisierung den Vormarsch des Kapitalismus nicht stoppen. Der Sozialismus hat sich selbst besiegt und kann nicht unter dem Mantel der Rückkehr zu nationalistischeren Ökonomien wiederbelebt werden. Was die Rechte angeht, so machen die elektronischen Medien es unmöglich, die Armen in der Dritten Welt zu überreden, dass sich der Versuch, in die Erste Welt zu ziehen, nicht lohne. Sie sehen einen Lebensstandard, den sie be-
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gehren. Ihre Einwanderungsversuche lassen sich mithilfe von Grenzkontrollen nur dann stoppen, wenn die Bürger eines Landes bereit sind, ihre eigenen unattraktiven Arbeiten zu erledigen und keine illegalen Gastarbeiter zu beschäftigen. Aber die meisten Einheimischen lehnen solche unattraktiven, schlecht bezahlten Tätigkeiten ab und beteiligen sich deshalb als Arbeitgeber an der illegalen Einwanderung. Solange das der Fall ist, sind Grenzkontrollen unwirksam. Am Ende teilen uns die Protestierer nicht viel darüber mit, was die Welt tun kann oder soll. Was sich die Linke wünscht (das Ende des Kapitalismus), wird ihr nicht beschert werden; was sich die Rechte wünscht (keine Einwanderung), sollte sie nicht erhalten. Die globale Kultur kann nur verbannt werden, wenn ein Land bereit ist, sich elektronisch zu isolieren, sodass seine Bürger weder im Internet surfen noch sich Satellitenfernsehen zulegen können. Kein Land wird diesen Schritt machen. Isolierte Landeskulturen sind dem Aussterben nahe, wenn sie nicht bereits ausgestorben sind. Wer fordert, die Entwicklung solle verlangsamt werden, muss die Frage beantworten: »Wie?« Länder sind in der Lage, aus der Globalisierung auszusteigen, aber sie ist kein Prozess, dessen Tempo Regierungen diktieren können. Der ökonomische Turm zu Babel wird von Privatunternehmern gebaut. Wie man im Iran beobachten kann, geraten religiöse Gurus rasch in Schwierigkeiten, wenn sie den Sieg erringen. Dann müssen sie nämlich ein irdisches, nicht bloß ein himmlisches Paradies liefern – und das ist unmöglich. Antiamerikanische Gefühle sind nebensächlich, es sei denn, die Amerikaner ließen zu, dass sie ihr Urteil darüber beeinflussen, was die USA tun sollten und was ihre Rolle zu sein habe. Man kann sich darüber streiten, ob Amerika 50 Jahre nach dem Korea-Krieg noch 37 000 Soldaten in Südkorea stationieren soll, doch die Entscheidung darf sich nicht auf ein paar antiamerikanische Straßendemonstrationen oder eine Präsidentschaftskampagne mit antiamerikanischen Oberund Untertönen stützen. Wenn der südkoreanische Präsident die Amerikaner nach der Wahl auffordert, ihre Soldaten abzuziehen, dann sollten sie es natürlich tun. Und vielleicht sollten die amerikanischen Streitkräfte ungeachtet der vorherrschenden südkoreanischen Meinung zurückkehren, um deutlich zu machen, dass Kernwaffen in Nordkorea eine Bedrohung für Südkorea, Japan, Russland oder China, nicht je-
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doch für die Vereinigten Staaten darstellen. Die Bedrohten sollten in der Lage sein, ihre eigenen Probleme zu lösen, was jedoch unmöglich ist, solange sie den Amerikanern die Verantwortung übertragen können. In einem Akt der Heuchelei sprach sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dagegen aus, dass Amerika die Verantwortung für das Verhalten des Irak übernahm, während er einzig und allein die USA beauftragen wollte, sich Nordkorea zu widmen.
5 Gesucht: Chief Knowledge Officer
Wie wir gesehen haben, erwiesen sich Marx’ im 19. Jahrhundert gemachte Voraussagen über die Zukunft des Kapitalismus nicht deshalb als falsch, weil seine Analyse falsch gewesen wäre, sondern weil man bewusste Maßnahmen ergriff, um ihn zu widerlegen. Ausbildung und Sozialleistungen machten den Kapitalismus zu etwas ganz anderem, als Marx prophezeit hatte. Die Fähigkeit, Voraussagen zu durchkreuzen, indem man sie ernst nimmt, kann ebenfalls an den weit verbreiteten Prognosen der späten achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts nachvollzogen werden, wonach das Ende des amerikanischen Wirtschaftsjahrhunderts bevorstehe und Japan das 21. Jahrhundert dominieren werde. Aber die Vereinigten Staaten haben am Anfang des 21. Jahrhunderts wahrscheinlich eine stärkere ökonomische Vormachtstellung als je zuvor. Das geschah jedoch nicht von ganz allein. Die Amerikaner waren bereit zu lernen, und die Situation änderte sich. Sie unternahmen Schritte, um eine Wende herbeizuführen, welche die Voraussagen Lügen strafte. Amerikanische Unternehmen reagierten in den achtziger Jahren auf ihre offenkundigen Schwächen bei der Qualitätskontrolle, indem sie diejenigen beobachteten, die damals Besseres leisteten: die japanischen Konzerne. In den USA war man bereit, ausländische Praktiken zu übernehmen und für die eigenen Zwecke zu variieren. Nur ein Beispiel: 1987 halfen einige der größten amerikanischen Herstellerfirmen – Ford, General Motors, Chrysler, Boeing, Alcoa, Johnson & Johnson, Digital Equipment, Eastman Kodak, HewlettPackard, Motorola, Polaroid und United Technologies –, das »Leadersin-Manufacturing«-Programm des Massachusetts Institute of Technology zu planen und in Gang zu bringen. Als damaliger Dekan der Sloan
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Management School von MIT stellte ich den japanischen Professor Shiba, einen der bedeutenden Experten für Total-Quality-Management, als Dozenten ein. In seiner ersten Unterrichtsstunde schickte er sämtliche Studenten aus dem Saal, weil sie schlampig angezogen seien, denn wer sich schlampig kleide, könne keine hoch qualitativen Produkte erzeugen. Total-Quality-Management und Just-in-Time-Fertigung standen überall auf der Tagesordnung. Defekt gelieferte, weil freitags gebaute Autos gehörten der Vergangenheit an. Die Käufer neuer Autos legten keine Listen mit Mängeln mehr vor, wenn sie ihren Wagen zum ersten Mal vom Händler warten ließen. Andererseits sah niemand voraus, dass die Wirtschaft bald nicht mehr durch das langsame Fortschreiten reifer Technologien (die Verringerung der Mängel von DRAM-Speicherchips), sondern durch revolutionären technischen Wandel (die Erfindung des Mikroprozessors) gekennzeichnet sein würde. Das Alte hinter sich zu lassen und sich dem Neuen zuzuwenden war viel günstiger für den amerikanischen Charakter als die Reduzierung von Defekten bei DRAMs oder Automobilen. Am Ende wurden die Amerikaner besser auf dem Gebiet, auf dem sie nicht sehr gut gewesen waren (der langsamen Weiterentwicklung reifer Technologien), und behielten ihre Fähigkeiten dort, wo sie stets sehr gut gewesen waren: bei der Nutzung der Gelegenheiten, die sich durch die dritte industrielle Revolution und die neue wissensgestützte Wirtschaft boten. Nach einer Wende besteht die Tendenz zu vergessen, dass es je eine Krise gegeben hat. Die Probleme haben entweder gar nicht existiert oder sie haben sich von selbst gelöst. Keine vorbeugenden oder heilenden Maßnahmen waren nötig. So zu denken ist jedoch ein großer Fehler. Die Vereinigten Staaten eroberten ihre wirtschaftliche Position in den neunziger Jahren genau deshalb zurück, weil sie all jene Artikel der achtziger Jahre, die ihren Untergang prophezeiten, ernst genommen hatten. Im Gegensatz zu Amerika in den Achtzigern war Japan in den Neunzigern nicht bereit, erfolgreiche ausländische Rezepte zu übernehmen und zu variieren, um seine Wirtschaftskrise zu beenden. In Japan kann das, was in der Vergangenheit funktioniert hat, nicht aufgegeben werden, obwohl es in der Gegenwart nicht funktioniert und wahr-
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scheinlich auch in der Zukunft versagen wird.1 Die Folge dieses Versäumnisses, Katastrophen zu untersuchen und Lehren aus ihnen zu ziehen, war ein Jahrzehnt ohne Wachstum. Und es gibt allen Grund anzunehmen, dass man in weiteren zehn Jahren von »den beiden verlorenen Jahrzehnten« sprechen wird. Unterdessen entwickelte sich die Technologie auf eine Art, welche die Japaner benachteiligte. »Das Alte hinter sich zu lassen« ist ein Spiel, das den Japanern ungeheuer schwer fällt (niemand kann gefeuert werden), und wenn es darum geht, »sich dem Neuen zuzuwenden«, sind sie nicht viel geschickter. Man muss willens sein, etliche Fehlschläge zu tolerieren, um herauszufinden, was für den Aufbau nagelneuer Branchen erforderlich ist. Die Duldung von Fehlschlägen ist kein kulturelles Merkmal der Japaner. Infolge der häufigen Pleiten und des ihnen anhaftenden sozialen Stigmas ist Japan das einzige Land der Welt, in dem die Selbstmordquote die Zahl der Verkehrstoten übertrifft.2 Die Globalisierung wird oft als Beginn eines neuen finsteren Mittelalters dargestellt. Wenn man die Geschichte vom Höhepunkt des Römischen Reiches bis zum Tiefpunkt des Mittelalters verfolgt, stellt man fest, dass der Lebensstandard um 90 Prozent fiel, dass Städte im Wesentlichen verschwanden und analphabetische an die Stelle gebildeter Gesellschaften rückten. Manchmal schlagen die Menschen den falschen Pfad ein. In der Geschichte ist es hin und wieder zu bedeutenden Rückschlägen gekommen. Aber was menschlichen Gesellschaften widerfährt, wird nicht von den Sternen bestimmt. Wenn die Globalisierung ein Schritt in die falsche Richtung ist, sind wir selbst dafür verantwortlich – und zwar, weil wir nicht die richtige globale Wirtschaft aufgebaut haben. Die Erfolgreichen durchschauen die neuen Kräfte, die sich auf ihr Wirtschaftsleben auswirken, doch sie haben auch ein gutes Verständnis für die Wechselwirkung dieser Kräfte mit dem Pfad und der Dynamik des bestehenden Wirtschaftssystems. Das Ganze ist nicht bloß die Summe der Teile oder auch mehr als die Summe der Teile. Vielmehr wird etwas Neues geschaffen. Bei dem Versuch zu ergründen, wie Wirtschaftssysteme auf neue Faktoren reagieren, greifen Ökonomen gewöhnlich auf die »Allgemeine Gleichgewichtsanalyse« zurück. Man bringt die neuen technolo-
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gischen oder wirtschaftlichen Kräfte in eine Reihe von Gleichungen ein, die den Verlauf der gegenwärtigen Wirtschaft beschreiben, und errechnet dann die Gleichgewichtsergebnisse, die sich unter Berücksichtigung der neuen Faktoren aus jenen alten Gleichungen ableiten lassen. Bei diesem Verfahren kann man auf das Studium von Geschichte, Institutionen, Kulturen, geistigen Einstellungen und wirtschaftlicher Dynamik verzichten und trotzdem die Auswirkungen der neuen Technologien und der sie begleitenden Globalstruktur erfassen. Die Gleichgewichtsanalyse ist nützlich, wenn man kleine Veränderungen untersucht, das heißt solche, die sich überwiegend in unseren Ökonomien abspielen. Kleine Veränderungen lassen die grundlegenden Parameter des Systems unberührt. Doch die Gleichgewichtsanalyse ist untauglich im Fall großer technologischer Revolutionen, welche die grundlegenden Parameter des Wirtschaftssystems umwandeln. Die neuen Faktoren werden nicht in das alte System eingebracht, sondern wirken aufeinander ein und erzeugen ein neues System. Die Grundstruktur ist im Fluss. Unter diesen Umständen sind konkrete Ökonomien keine glatten, kalkulierbaren Systeme, die sich einen bekannten Pfad entlang bewegen. Wenn man die Effekte der neuen Technologien auf das existierende System verstehen will, kommt es auf den früheren Pfad (Geschichte, Institutionen, Kultur) und die aktuelle Dynamik (Tempo, Größe, Bewegungsrichtung) an. Diese so genannte Hysterese rückt in den Mittelpunkt, wenn es gilt zu begreifen, was geschieht und was sich wahrscheinlich ereignen wird. Aus der Hysterese des Systems muss Wissen abgeleitet werden, um eine bessere, solidere, umfassendere, produktivere, wissensgestützte globale Wirtschaft aufzubauen. Woher wir kommen und wer wir sind, definiert die Grenzen dafür, wohin wir gehen und was wir werden können. Trotzdem haben wir noch eine Menge Optionen, denn letzten Endes ist eine globale, wissensgestützte Wirtschaft eine von Menschenhand geschaffene Konstruktion. Wie wichtig es ist, die Hysterese des Systems zu verstehen, erkennt man an den japanischen Finanzkrächen von 1990/91. Kein Ökonom, auch nicht der Verfasser dieses Buches, prognostizierte ein sich anschließendes Jahrzehnt ohne Wachstum für Japan. Alle Volkswirtschaftler betrachteten die japanischen Verhältnisse durch die Linse der
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allgemeinen Gleichgewichtsanalyse. Aus dieser Perspektive war der Börsen- und Immobilienkrach in Japan eine vorübergehende Verzerrung – etwa so wie die amerikanische Spar- und Kreditkrise ein paar Jahre zuvor. Doch das japanische System implodierte tatsächlich. Die Kräfte (Ende der »Blasenwirtschaft«, Beginn der dritten industriellen Revolution), die Japan trafen, verlangten den Aufbau einer neuen, ganz anderen Wirtschaft. Genau das aber wurde durch die historischen, institutionellen und psychologischen Kräfte der alten japanischen Wirtschaft verhindert. Ins Unbekannte zu segeln, ohne sich zuvor über alle Einzelheiten kundig zu machen, ist nicht kühn, sondern närrisch. Man muss sich jede Kleinigkeit an möglichem Wissen aneignen, bevor man in See sticht. Aber Wissen stellt sich nicht automatisch ein, sondern es muss entdeckt werden. Zu diesem Zweck benötigt man einen Prozess der Wissensaneignung, und, was wichtiger ist, jemanden, der für die Wissensaneignung verantwortlich gemacht werden kann. Jemand muss die Aufgabe übernehmen, über das Wissensmanagement Bescheid zu wissen. Da es das Suchverhalten von Unternehmen ist, das eine globale Wirtschaft hervorbringt, kann das Verständnis dessen, wie Firmen die heutige Welt betrachten, den Personen, die für die heutigen Volkswirtschaften verantwortlich sind, sehr viel über die morgige globale Ökonomie mitteilen. Die Geschäftsmodelle für die Welt des Rechenschiebers eignen sich nicht für die Welt des Computers. Die Geschäftsmodelle einer Welt der nationalen Industrieökonomien eignen sich nicht für eine wissensgesteuerte globale Wirtschaft. Wenn Unternehmen ihre Arbeitsweise ändern, müssen Regierungen ihre Kontrollmodelle entsprechend umwandeln. Die häufig getroffene Unterscheidung zwischen der alten und der neuen Wirtschaft ist nicht sehr nützlich. Jeder in der alten Wirtschaft wird sich der neuen Technologie bedienen müssen, wenn er überleben will. Am Ende entsteht eine neue Wirtschaft, doch sie ist keine proportionale Mischung des Neuen mit dem Alten, sondern sie hat mehr mit der Metamorphose der Raupe zum Schmetterling zu tun. Betrachtet man die erforderlichen Änderungen an den Geschäfts-
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modellen der alten Wirtschaft, so liefert die Musikbranche der Welt die beste Illustration. Oft hört man im Scherz, die Prostitution sei das älteste Gewerbe der Welt, doch in Wirklichkeit ist es die Berufsmusik. Solange man die Menschheitsgeschichte zurückverfolgen kann, sind Personen bezahlt worden, um auf Hochzeiten, Beisetzungen und im Lauf anderer religiöser Ereignisse Musik zu spielen. Aber die professionelle Musikbranche der Welt bewegt sich nun dem wirtschaftlichen Untergang entgegen. Urheberrechte existieren noch, sind aber nicht mehr durchzusetzen. Junge Leute können Musik aus dem Internet herunterladen und untereinander mit MP3-Technologie hergestellte Songs von einer Qualität austauschen, die genauso gut ist wie die des Originals. Firmen wie Napster, welche die Anfertigung von Kopien in großem Stil zu fördern versuchen, können durch Urteile wegen Copyright-Verletzung außer Gefecht gesetzt werden, doch niemand kann Millionen junger Leute daran hindern, untereinander Musik auszutauschen. 50 000 illegale Websites zum Kopieren von Musik wurden im Jahr 2000 geschlossen, aber dadurch verlangsamte sich der Prozess nicht einmal.3 Warum sollte man für etwas bezahlen, das man umsonst erhalten kann? Experimente zeigen, dass Käufer nicht einmal einen symbolischen Betrag bezahlen wollen, um ihre Kopien zu legalisieren. Der Verkauf von Musik macht einen starken Verfall durch. Die CDUmsätze gingen im Jahr 2001 um 10 und im Jahr 2002 um 13 Prozent zurück.4 Eine große, branchenweite Verkaufskampagne zu Weihnachten 2002 konnte den Trend nicht umkehren. Die Besitzer von CDBrennern stellen mittlerweile 40 Prozent der Bevölkerung statt 14 Prozent wie noch zwei Jahre zuvor, und leere, beschreibbare Disks werden nun in größerer Zahl verkauft als beschriebene CDs. Die schlichte Extrapolation gegenwärtiger Trends führt nicht zu präzisen Verkaufsprognosen, doch wenn sich der heutige Rückgang unverändert fortsetzt, werden die CD-Absätze im Jahr 2011 bei null ankommen. Die Musikbranche muss ein neues Geschäftsmodell finden. Sie muss sich der neuen Technologien bedienen und eine Methode entwickeln, um ihr Produkt abzusichern, sodass man Musik nicht kostenlos erhalten kann. Vielleicht wird man den Hörern ein Gerät mit einer eingebauten Debit-Card verkaufen, sodass ihnen bei jedem Abspielen
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automatisch eine gewisse Summe in Rechnung gestellt wird. Wenn sie versuchen, das Gerät zu öffnen, um den Digitalcode zu erfahren, zerstört es sich selbst. Jedenfalls muss eine Lösung gefunden werden, oder das älteste Gewerbe der Welt wird bald zum jüngsten Opfer des Geschäftslebens. Was sich in der Musik abspielt, ist nicht einzigartig. Früher oder später wird jede alte Branche mit einem ähnlichen Problem konfrontiert sein. Man wird ein neues Geschäftsmodell benötigen, wenn man geschäftsfähig bleiben will. Während meiner Vorlesungen spiele ich häufig ein Spiel mit meinem Publikum. Während der Fragen und Antworten bitte ich die Anwesenden, mir den Namen irgendeiner alten Branche zu nennen, damit ich ihnen mitteilen kann, wie die neuen Technologien das gegenwärtige Geschäftsmodell jenes Wirtschaftszweigs zerstören werden. Die Musik sticht nur dadurch hervor, dass ihre Krisen rascher eingetreten sind als in anderen alten Branchen. Um hinreichend zu verstehen, was sich abspielt, werden Unternehmen und Länder einen neuen Mitarbeiter auf der Managementebene benötigen. Die Person könnte den Titel Chief Knowledge Officer (CKO) erhalten. Historisch gesehen wird sich die Rolle des CKO während der dritten industriellen Revolution ähnlich entwickeln wie die Rolle des Chief Financial Officer (CFO) während der ersten und zweiten industriellen Revolution. Irgendwann wird der CKO in der Unternehmenshierarchie an die Stelle des heutigen CFO rücken, also der gewöhnlich zweitwichtigsten Person nach dem Chief Executive Officer (CEO). Der CFO rückte durch die Schaffung von Konkurrenzvorteilen an die zweite Stelle vor. Als der Kapitalismus im 19. Jahrhundert begann, wusste niemand, wie Kapital einzusetzen war. Wenn eine Firma vor ihren Konkurrenten herausfand, wie sie ihr Kapital nutzen konnte, erhöhten sich ihre Erfolgschancen. Jemand musste angestrengt darüber nachdenken, wie man das knappe Kapital eines Unternehmens managen sollte. Das war keine Teilzeitbeschäftigung, und der CEO hatte zu viel mit der Unternehmensleitung zu tun, um sich darum zu kümmern. Aber bevor der CFO geboren wurde, mussten Unternehmen lernen, dass ein Chefbuchhalter nicht ausreichte, ebenso wenig wie ein Chefbuchhalter und ein Controller. Nicht einmal ein Chefbuchhalter, ein
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Controller und ein Kassenwart genügten. Niemand hatte einen Posten, auf dem er eine strategische Vision zum Kapitalmanagement formulieren konnte. Außer diesen drei Ämtern benötigte das Unternehmen auch einen CFO. Es dauerte jedoch recht lange, bis diese Erkenntnis durchdrang. Der Titel CFO wurde erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts – mehr als ein Jahrhundert nach dem Beginn des Kapitalismus – allgemein gebräuchlich. Im Rückblick kann es nicht überraschen, dass der CFO als einer der beherrschenden Akteure hervortrat. Der Kapitalismus hatte schließlich seinen Namen erhalten, weil Kapital eine knappe Ressource und damit die ausschlaggebende Variable war. Heutzutage ist das Kapitalmanagement eine Alltäglichkeit. Kein Unternehmen wird sich durchsetzen, weil es einen besseren CFO besitzt. Jedes hat einen guten CFO, und wenn nicht, kann es bei Goldman Sachs einen anheuern. In guten Business-Schools wie dem MIT ist man der Ansicht, dass die erforderlichen finanztechnischen Kenntnisse im Betriebswirtschaftsstudium innerhalb von 18 Monaten zu erlernen seien. Normalerweise bezieht man Weisheit aus Erfahrung. Aber im Verlauf industrieller Revolutionen kann Weisheit nicht aus Erfahrung abgeleitet werden. Die wirtschaftlichen Spielregeln ändern sich zu rasch. Konsens und Lebensklugheit sind oft untauglich. Das Unternehmen muss die Technologien der Zukunft und den Kontext verstehen, in dem man sie einsetzen wird. Es muss die neuen Spielregeln verstehen, wenn es sich dem neuen Spiel widmen will. Ein Vorsprung im Wissensmanagement ebnet den Weg zum Erfolg für die Firma und die Nation. Da wir in einer neuen technologischen Ära leben, weiß niemand ganz genau, was es in der Praxis bedeutet, »einen Vorsprung zu erringen«. Wie soll er errungen werden? Jemand muss sich darauf konzentrieren, einen Vorsprung im Wissensmanagement zu erzielen. Das ist keine Aufgabe für den Chef der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, denn der konzentriert sich auf den Aufbau neuer Technologien. Es ist keine Aufgabe für den Chief Technical Officer (CTO), der sich auf weit gespannte wissenschaftliche Optionen und alternative technische Routen versteht. Es ist keine Teilzeitbeschäftigung. Und der CEO ist anderweitig in Anspruch genommen. Der Posten des CKO lässt sich mit dem des CIA-Direktors verglei-
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chen. Statt ehrliche, unvoreingenommene Informationen über ausländische Mächte zu liefern, stellt er oder sie jedoch ehrliche Informationen über die Technologie und ihre Wechselwirkung mit Wirtschaft und Gesellschaft bereit. Die Außenpolitik lehrt uns, dass die für den operativen Betrieb zuständigen Personen, wenn sie sich auch mit dem Nachrichtendienst befassen, meist Informationen und Analysen vorlegen, die ihren eigenen Zielvorstellungen entsprechen, statt möglichst genaue Informationen und Analysen zu liefern. Das Gleiche gilt für technologische Informationen. Werden sie von Personen mit operativen Zuständigkeiten gesammelt, so halten diese sich bewusst oder unterbewusst an das, was sie selbst gern täten. In der sich neu entwickelnden wissensgestützten Wirtschaft des 21. Jahrhunderts hat der Chief Knowledge Officer die Aufgabe, »einen Vorsprung zu erringen« und zu wissen, wo der geeignete Ansatzpunkt zu finden ist. Er ist kein CEO, Navigator, Stratege oder Taktiker. Der CKO bringt in all diese anderen Funktionen etwas ein, das zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe erforderlich ist: ein Wissen um das Wesen des neuen Systems, in dem die Betreffenden führen, navigieren und ihre lang- oder kurzfristigen Strategien und Taktiken planen werden. Bill Gates ist bei Microsoft der prototypische Unternehmens-CKO. Er degradierte (beförderte) sich vom CEO zum »Chief Software Architect«, was in einem Softwareunternehmen dem Titel des CKO entspricht. Was er in seiner neuen Rolle tun sollte, wird von ihm ersonnen, während er die Parameter definiert. Laut den Worten seines Nachfolgers als CEO bei Microsoft soll Bill Gates sich darum kümmern, wie »entstehende Software-Technologien miteinander verwoben und als unumgängliche, der allgemeinen Branchennorm entsprechende Produkte genutzt werden können«5. Er soll dafür sorgen, dass Microsoft weiterhin den technologischen Kanal kontrolliert, durch den es reich geworden ist. Indem er sich auf dieses Problem konzentriert, kann er zum entscheidenden Faktor für den künftigen Erfolg oder Misserfolg von Microsoft werden. Seine Zeit (»Bill Capital«, wie man bei Microsoft sagt) ist der wertvollste Aktivposten des Unternehmens. Früher oder später wird jedes Unternehmen einen CKO haben. Die Ersten werden einen Wettbewerbsvorteil erlangen. Niemand weiß genau, was diese Person tun sollte, da ihr Posten erst im Lauf der Arbeit
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erfunden wird. Was sie dann tatsächlich tut, wird sich von Branche zu Branche unterscheiden. Schließlich haben auch CFOs nicht genau die gleiche Aufgabe in jedem Unternehmen und jeder Branche. Irgendwann wird der CKO wie der CFO zu einer Alltäglichkeit werden, doch vorläufig macht ein guter CKO den Unterschied zwischen einer mittelmäßigen und einer großartigen Wirtschaftsleistung aus.
Ein nationaler CKO Regierungen stehen der gleichen wissensgestützten Zukunft gegenüber und haben den gleichen auf dem Finanzwesen liegenden historischen Nachdruck geerbt. Finanzminister nehmen in der Hackordnung jedes Kabinetts einen der obersten Plätze ein, weil sie die Komplikationen durchschauen, die sich bei der Finanzierung der Regierungstätigkeit ergeben. Aber ein besserer Finanzminister sorgt, ebenso wenig wie der CFO in einem Unternehmen, für keinen künftigen Wettbewerbsvorteil. Nur wenn man einen nationalen CKO hat, der begreift, wohin sich die wissensgestützte globale Wirtschaft bewegt, wird man in Zukunft einen Vorsprung erringen. Für jede Regierung ist Kriegsführung die älteste Tätigkeit, das Äquivalent zur Musik in der Privatwirtschaft. Die Technologien der dritten industriellen Revolution haben das geschaffen, was die Franzosen eine »Ultramacht« nennen. Eine »Supermacht« ist ein Land mit taktischen und strategischen Kernwaffen und Interkontinentalraketen. Eine Ultramacht besitzt darüber hinaus ein Kommunikationssystem, das sie alles sehen und hören sowie mit jedem sprechen lässt, während sie gleichzeitig die Kommunikationssysteme ihrer Feinde ausschalten kann, sodass diese taub, stumm und blind werden. Wie wir im Irak gesehen haben, hat eine Ultramacht die Fähigkeit, sämtliche neuen Kommunikations-, Fernerkundungs- und Präzisionswaffen einzusetzen und dadurch einen ganz anderen Krieg zu führen.6 Bodensensoren werden von Flugzeugen abgeworfen, um feindliche Soldaten und Fahrzeuge auszumachen (manche können 30 Meter Fels durchdringen), Mikro-Robotdrohnen ermöglichen einen Blick aus der
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Vogelperspektive auf feindliches Territorium, landgestützte Robotwaffen greifen feindliche Fahrzeuge automatisch mit Antipanzergeschossen an, unbemannte Tarnkappenbomber attackieren aus der Luft. Entscheidend ist die Miniaturisierung: 30 Pfund schwere werden zu 3 Pfund leichten Sensoren.7 Bei den Kämpfen im Irak haben wir nur einen Blick auf das erhascht, was kommen wird. Ultramächte benötigen neue Militärmodelle. Carl von Clausewitz betonte in seinem Klassiker Vom Kriege, das wichtigste Militärproblem sei der »Nebel des Krieges«: Niemand wisse genau, wo sich die eigenen Soldaten und die des Feindes befinden.8 Doch die moderne Technologie hat diesen Nebel aufgelöst. Die Ultramacht weiß genau, wo ihre Streitkräfte sind (jeder Soldat hat einen elektronischen Chip bei sich, durch den ein GPS-System seinen Standort in jedem Moment auf 1 Meter genau bestimmen kann), und solange sie gegen eine konventionelle Armee kämpft, weiß sie auch, wo sie die Sensoren und Satelliten einzusetzen hat.9 Infolge dieser wissensgestützten Revolution in der Militärtechnologie müssen Generale über völlig neue strategische und taktische Schlachtpläne verfügen.10 Wer gegen eine Ultramacht kämpft, muss seine konventionellen Heere aufgeben und zu Guerillatrupps organisieren, die Terrorismus als Waffe benutzen. Den Franzosen behagt es nicht, dass die Vereinigten Staaten die einzige Ultramacht der Welt sind. Der größte Teil der französischen Opposition gegen den Irak-Krieg entsprang dem Wunsch, den Einfluss der einzigen Ultramacht der Welt zu begrenzen, und nicht der Überzeugung, dass bessere Methoden existierten, den Irak zu entwaffnen oder Saddam Hussein zu stürzen. Es gibt einen Grund dafür, dass Amerika die einzige Ultramacht ist: Die Umstellung ist teuer. Die Vereinigten Staaten geben mehr Geld für die Verteidigung aus als die nächsten 14 größeren Käufer zusammen.11 Und da der amerikanische Verteidigungshaushalt rapide steigt, während er in den meisten anderen Ländern gekürzt wird, vergrößert sich der Abstand der Militärausgaben zwischen den USA und der übrigen Welt stetig. Ähnliche Verhaltensänderungen sind in der zivilen Regierungstätigkeit gefordert. Die Globalisierung erzeugt eine »hantelförmige« Ökonomie. Alle (großen oder kleinen) Unternehmen befinden sich an den Enden der Hantel und keines in der Mitte. Man wende sich an eine
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Strategieberatungsfirma, und sie wird jedem Unternehmen, gleichgültig welcher Branche es angehört, nur eine Alternative empfehlen: Es solle zu einem beherrschenden globalen Akteur oder einem hoch spezialisierten, flexiblen Nischenakteur werden. Das mittelgroße, auf eine Nation beschränkte Unternehmen sei dem Untergang geweiht. Zum Beispiel wird in der Autoindustrie allgemein vermutet, dass nach der gegenwärtigen Konsolidierung in ungefähr zwei Jahrzehnten nur noch sechs bis acht Konzerne übrig bleiben werden und dass vier der überlebenden (Volkswagen, Toyota, Ford und General Motors) bereits bekannt sind.12 Firmen wie Volvo, Saab, Jaguar, Rolls-Royce und Rover sind bereits keine unabhängigen Unternehmen mehr. Um lebensfähig zu bleiben und am Ende zu den letzten zwei bis vier globalen Akteuren zu gehören, erwarb Daimler-Benz im Jahr 1998 Chrysler und Renault und im Jahr 2000 einen großen Anteil an Nissan. Wie können Firmen der Art von Fiat und Peugeot überleben? Sie können es nicht, und ein erheblicher Teil von Fiat wird an General Motors verkauft. Im Finanzwesen mag ein Unternehmen darauf abzielen, ein großer globaler Akteur zu werden, der überall alle möglichen Transaktionen vornimmt (ein Goldman Sachs), oder ein behender Nischenakteur, welcher der größte Experte der Welt in irgendeinem kleinen Finanzbereich ist. Aber ein Unternehmen kann keine mittelgroße Nationalbank oder eine mittelgroße nationale Versicherungsgesellschaft mehr sein. Deshalb müssen die Firmen, die überleben wollen, fusionieren, um sich zu vergrößern, und die Sparten verkaufen, in denen sie zu keinem globalen Akteur werden können. Während Unternehmen größer und global tätig werden, dürften einige jedoch mit Sicherheit bald über beherrschende nationale Marktanteile verfügen. Was, wenn überhaupt etwas, sollte man mithilfe des Kartellrechts gegen diese beherrschenden Positionen unternehmen? Die Kartellrechtsverfahren gegen Microsoft und GE/Honeywell sind zwei gute Beispiele. In der Regel kommt es nur zu solchen Verfahren, wenn nachzuweisen ist, dass der Verbraucher geschädigt wird. Der Microsoft-Prozess begann jedoch damit, dass die Wirtschaftsexperten beider Seiten feststellten, kein Verbraucher sei durch den großen Marktanteil, den Microsoft auf dem Gebiet der Betriebssysteme besitzt, in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Gründe lagen auf der
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Hand. Im Softwarebereich fallen nahezu alle Kosten in der Entwicklungsphase und fast keine bei der Herstellung zusätzlicher Exemplare des Systems an. Gäbe es 100 verschiedene Betriebssysteme mit jeweils einem Marktanteil von 1 Prozent (ein Wettbewerbsmarkt), so hätten alle Hersteller die gleichen hohen Entwicklungskosten, und der Preis des Betriebssystems für den Endverbraucher wäre viel höher als der von Microsoft geforderte. Im Softwarebereich ist es wenig sinnvoll, Verkaufspreise mit Grenzkosten (im Wesentlichen Vervielfältigungskosten) zu vergleichen, auch wenn dies eine traditionelle Methode zur Messung der Marktmacht ist. Wie immer man das Verhalten von Microsoft einschätzen mag (überschritt es die Grenze zwischen aggressivem Vorgehen und illegalen Praktiken?), eine monopolistische Position kam nicht durch dieses Verhalten zustande, sondern durch das, was Wirtschaftswissenschaftler »Networking-Effekte« nennen. Jeder will das gleiche System benutzen, weil dies das effizienteste Verfahren ist, selbst wenn bessere Systeme existieren. Die Betriebssysteme von Apple waren zweifellos besser und sind es wahrscheinlich noch, aber das ist nebensächlich. Niemand will ein Business-Center in einem Hotel in Hongkong betreten und die Bedienung eines ganz anderen Systems erlernen müssen. Die Programmierer von Applikationssoftware wollen keine unterschiedlichen Programme für viele unterschiedliche Betriebssysteme liefern. Die Käufer wollen das Betriebssystem erwerben, für das die umfangreichste Applikationssoftware vorliegt. Wenn wir alle das gleiche Betriebssystem und die gleichen Applikationsprogramme kaufen, stehen uns bessere und billigere Computer zur Verfügung. Hätte Microsoft nie existiert oder verschwände es nun, würde ein anderes Betriebssystem rasch seinen beherrschenden Marktanteil übernehmen. Da Microsoft den Endverbraucher nicht schädigt, wird ihm vorgeworfen, es dränge andere Firmen aus dem Markt. Genau das ist der Zweck des Kapitalismus. Seine Effektivität gründet sich darauf, dass die Untüchtigen aus dem Markt gedrängt werden. Der Zeitpunkt, ein Kartellrechtsverfahren gegen Microsoft zu eröffnen, ist dann gekommen, wenn sich nachweisen lässt, dass der Verbraucher geschädigt wird. Das Kartellrechtsverfahren gegen General Electric und Honeywell drehte sich um die gleiche Frage. Sollte man eine Fusion verbieten, weil
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dadurch andere Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden könnten, obwohl die Kosten für die Verbraucher höchstwahrscheinlich sinken würden? Die Verbindung des Flugzeugtriebwerk-Geschäftsfelds von GE mit Honeywells Avionik-Sparte hätte die Struktur der Flugzeugbaubranche nicht geändert. Da sich die Produktangebote der beiden Unternehmen nicht überschnitten, hätte es weiterhin dieselbe Zahl von Triebwerkherstellern und Avionik-Lieferanten in der Branche gegeben. Da nur ein paar Fluggesellschaften die meisten Passagierflugzeuge der Welt kaufen und da zwei Unternehmen, Boeing und Airbus, sämtliche Verkehrsflugzeuge der Welt herstellen, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass GE/Honeywell in der Lage gewesen wäre, die Preise über das Wettbewerbsniveau hinaus zu erhöhen. Man fürchtete nicht, dass die Preise steigen würden – ganz im Gegenteil. GE und Honeywell hätten die Preise wahrscheinlich für diejenigen gesenkt, die bereit gewesen wären, beide Produkte in einem Kopplungsgeschäft von GE/Honeywell zu kaufen. Die europäische Kartellbehörde war also nicht über höhere Verbraucherpreise beunruhigt, sondern vielmehr darüber, dass diese Kopplungsgeschäfte zu niedrigeren Verbraucherpreisen führen und europäische Wettbewerber aus dem Markt drängen könnten. Was immer man von diesen beiden Fällen halten mag, sie werfen drei globale Probleme auf. Erstens, Kartellgesetze müssen in einer globalen Wirtschaft einheitlich sein. Die amerikanischen Kartellbehörden hatten die Fusion zwischen GE und Honeywell zuvor gebilligt. Zweitens, Kartellgesetze müssen die Auswirkungen neuer Technologien berücksichtigen. Was wie ein ineffizientes Monopol aussehen mag, kann in Wirklichkeit zu niedrigeren Kosten für Computersysteme führen. Drittens, wen sollen Kartellgesetze schützen: die Verbraucher oder die Unternehmen? In beiden Fällen – sowohl in Amerika als auch in Europa – benötigten die Kartellbehörden den Rat eines nationalen CKO. Er hätte ihnen helfen können, die neue globale Wirtschaft zu verstehen, in der sie Gesetze vollstreckten, die sich seit einem Jahrhundert kaum geändert hatten. Die Landesregierungen müssen begreifen, dass die Globalisierung eine Welt hervorbringt, in der sie die Wirtschaft nicht mehr im selben
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Maße wie in der Vergangenheit reglementieren, geschweige denn ihre Entwicklung kontrollieren können. Firmen haben nun die Möglichkeit, ihren Sitz und ihre Produktionsstätten anderswohin zu verlegen, wenn ihnen nationale Regeln und Vorschriften missfallen. Körperschaftsteuern sind ein gutes Beispiel. Politischer Druck zwang die Stanley Works, einen Hersteller von Eisenwaren und Werkzeugen, einen Rückzieher zu machen; aber als das Unternehmen das Einverständnis der Aktionäre erhielt, seine Zentrale auf die Bermudas zu verlegen, schätzte es, dass seine Körperschaftsteuern um 28 Prozent sinken würden.13 In Amerika musste es Steuern nicht nur auf seine amerikanischen, sondern auch auf die Gewinne in der übrigen Welt entrichten. Auf den Bermudas dagegen hätten die Stanley Works weiterhin amerikanische Steuern auf die amerikanischen Gewinne gezahlt, jedoch nicht auf die Profite aus anderen Teilen der Welt. Viele Konzerne waren bereits fortgezogen, zum Beispiel Nabors Industries (der weltgrößte Betreiber von Landbohrinseln), Cooper Industries, Ingersoll-Rand und Weatherford International. Warum sollte eine Firma, wenn alle sonstigen Bedingungen identisch sind, einen Standort mit höheren Steuern wählen? Wäre die Unternehmensführung so dumm, müsste sie höhere Kosten hinnehmen und ihren Marktanteil einbüßen. Auf lange Sicht hat man unter solchen Umständen, wenn man realistisch ist, keine andere Wahl, als umzuziehen. Unter diesen Umständen ließe sich der Tag ausrechnen, an dem Regierungen die Möglichkeit, Körperschaftsteuern einzuziehen, fast ganz verlieren werden. Etwas Ähnliches haben wir bereits bei den Sozialabgaben beobachtet. Die Klugen nehmen die Entwicklung voraus, die Verlierer bleiben hinter ihr zurück. Irland ist ein Staat, welcher der Entwicklung vorausgeeilt ist. Es schloss zum übrigen Westeuropa auf, indem es eine Körperschaftsteuer von 0 Prozent verhängte und den Steuerunterschied zwischen sich selbst und der übrigen EU nutzte, um Auslandsinvestitionen anzulocken. Diejenigen, die als Erste Körperschaftsteuern und Sozialabgaben durch Mehrwertsteuern ersetzen, werden einen Vorsprung erringen. Irgendwann werden alle Regierungen einsehen, dass die auf Importe erhobene und auf Exporte diskontierte Mehrwertsteuer die einzige Form der Besteuerung ist, die zu keinem Wettbewerbsnachteil für einheimische Unternehmen führt, die
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sich auf den globalen Märkten behaupten wollen. Die Regierungen, die diesen Sachverhalt als Erste durchschauen, werden ihr Land an die Spitze setzen, während diejenigen, die ihn als Letzte erfassen, ins Hintertreffen geraten dürften. Jede Regierung, die versucht, die alten Kontrollen auszuüben, stellt fest, dass sich ihre Unternehmen juristisch und elektronisch ins Ausland bewegen und sich damit ihrer Rechtsprechung entziehen. Natürlich wollen die Regierungen nicht auf ihre Aufsichtsfunktion verzichten, weshalb sie die Absicht verkünden, die globalen Kapitalströme zu kontrollieren und die globalen Finanzinstitutionen zu regulieren. Häufig wird eine Tobin-Steuer vorgeschlagen (das heißt eine kleine Abgabe für jede internationale Finanztransaktion, durch die man Kapitalbewegungen zwischen den Ländern verlangsamen will). Aber wie könnte man sie einziehen? Die globalen Finanzmärkte werden sich einfach irgendwo niederlassen, wo man die Steuer nicht erhebt. Es wird immer wenigstens ein Land geben, das sich nicht an dem System beteiligt, weil es hofft, auf diese Weise wirtschaftlichen Erfolg zu ernten. Und es hätte Recht. Da Länder Unternehmen dringender benötigen als umgekehrt, verschiebt sich die relative Verhandlungsstärke zwischen Regierungen und multinationalen Konzernen zugunsten der Letzteren. Prominente multinationale Unternehmen, die technologisches Wissen, Verbindungen und Lieferantennetze mitbringen, zahlen Regierungen keine Steuern mehr. Im Gegenteil, dieses neue Machtgleichgewicht hat zur Folge, dass Regierungen oftmals Steuern an multinationale Konzerne zahlen. Um eine Intel-Fabrik zu erhalten, gewährte der Staat Israel dem Konzern 600 Millionen Dollar (in Form von Subventionen, der Finanzierung der Fabrikinfrastruktur und Steuervergünstigungen).14 Ein solches Verfahren ist vielleicht sogar wirtschaftlich sinnvoll, denn Intel ist der größte Exporteur und der größte private Arbeitgeber Israels. Länder können sich weigern, Konzernen Steuern zu zahlen, doch dann lassen diese sich einfach anderswo nieder. Die Umkehrung der traditionellen Positionen beschränkt sich nicht auf Entwicklungsländer. Die Bürger von Alabama und South Carolina brachten gewaltige Summen auf, damit BMW und Mercedes-Benz in ihren Staaten Automontagewerke bauten. Großbritannien, Norwegen,
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Deutschland und die Niederlande haben alle jüngst Steuern für Reedereien gesenkt, damit diese sich nicht durchaus legal in Niedrigsteuerländer verlagern. Staaten verlieren die Fähigkeit, ihr eigenes Schicksal zu gestalten. Das war während der asiatischen Wirtschaftskrise von 1997 klar zu beobachten. Kein Land konnte seine Krise ohne fremde Hilfe beenden. Im Lauf der ostasiatischen Zusammenbrüche musste der IWF die lokalen Regierungen mehr oder weniger ersetzen, wenn wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen waren. Aber sogar in den einflussreichsten und größten Ländern schmilzt die nationale Wirtschaftskraft allmählich dahin. Man betrachte die potenzielle amerikanische Finanzkrise um Long Term Capital Management. Infolge der russischen Finanznöte von 1998 begannen die europäischen Zinsraten zu divergieren, obwohl sie wegen der Einführung des Euro bis Januar 1999 konvergieren mussten. Long Term Capital Management hatte plausible, aber sehr hohe Wetten (2,9 Milliarden Dollar) auf die Konvergenz abgeschlossen. Zentralbankchef Alan Greenspan fürchtete, der Kollaps von Long Term Capital Management werde eine amerikanische Finanzkrise auslösen, und organisierte eine Rettungsaktion, als diese Wetten zu scheitern begannen. Er wurde in der Finanzpresse heftig kritisiert – warum konnte man die Firma nicht einfach schließen? Doch Long Term Capital Management war technisch gesehen kein amerikanischer Risikofonds. Wie die meisten mit Finanzderivaten handelnden Unternehmen hatte es seinen faktischen Sitz auf den Grand Cayman Islands, obwohl sein Personal in New York, Tokio und London arbeitete. Damit hatte der Zentralbankrat keinen legalen Einfluss auf Long Term Capital Management. Folglich musste Alan Greenspan indirekt vorgehen, nämlich mithilfe der amerikanischen Banken, die Long Term Capital Management gewaltige Kredite gewährt hatten. Die größte und mächtigste Regierung der Welt hatte einen Teil ihrer wirtschaftlichen Kontrolle verloren. Viele andere Beispiele für den Verlust der wirtschaftlichen Stärke von Regierungen können angeführt werden. Die modernen Verkehrssysteme machen es den Staaten unmöglich, die illegale Einwanderung zu verhindern. Millionen schauen sich in ihren Dörfern auf den Fernsehschirmen Menschen mit einem besseren Lebensstandard an und be-
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schließen zu emigrieren. Dabei löst sich das auf, was ein Land ausmacht. Wenn es seine eigenen Grenzen nicht mehr kontrollieren kann, ist es im Grunde kein wirkliches Land mehr. Ähnliches gilt im Fall der Pornografie, die irgendwo auf der Welt, wo sie nicht illegal ist, elektronisch hergestellt und dann im Internet feilgeboten wird, wodurch nationale Regierungen die Möglichkeit verlieren, ihre eigenen Schicklichkeitsmaßstäbe durchzusetzen. Am Persischen Golf, wo Frauen mit nackten Armen als unzüchtig gelten, stammt ein großer Teil der verfügbaren Pornografie aus den Vereinigten Staaten. Durch die Globalisierung schrumpfen der Spielraum, die Reichweite und Macht von nationalen Regierungen, sodass sie weniger wichtig werden. Wenn Regierungen ihr eigenes wirtschaftliches Geschick nicht bestimmen können, warum sollten ihre Bürger sie dann politisch unterstützen? Sobald Regierungen kraftlos wirken, lässt die Bindung an sie nach. Kleine, erfolgreiche Stadtstaaten wie Singapur zeigen, dass niemand mit einem Nachbarn leben muss, der ihm nicht gefällt. Es ist nicht nötig, einen Kompromiss mit anderen ethnischen Gruppen einzugehen, um in einem größeren Land mit den für einen höheren Lebensstandard erforderlichen Skalenvorteilen zu leben. Nationale Skalenvorteile sind in einer globalen Wirtschaft nicht allzu bedeutsam. Man kann darauf verzichten und trotzdem ökonomischen Erfolg haben, weil die entscheidenden weltweiten Skalenvorteile jedem zugänglich sind, der an der globalen Wirtschaft beteiligt ist. Außenstehende werden sich nicht einschalten, um diese ethnische Zersplitterung zu verhindern. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die Supermächte wenig Interesse daran, die Auflösung anderer Länder aufzuhalten, es sei denn, sie befinden sich nebenan und das Chaos droht sich auszubreiten. Lokale Kriege in fernen Gegenden (Sudan, Sri Lanka) dürften keine militärischen Konflikte zwischen den Supermächten auslösen. Länder werden zunehmend selbst aufs Spiel gesetzt. Viele Staatengebilde sind bereits verschwunden (UdSSR, Tschechoslowakei, Jugoslawien), und viele Länder haben sich verpflichtet, wenigstens partiell unterzugehen: zum Beispiel sämtliche Mitglieder der EU und alle, die sich ihr anschließen wollen. Die Grenzen werden sich unzweifelhaft
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überall in Afrika verschieben.15 10 000 unterschiedliche Volksgruppen können nicht ewig in ein paar Ländern zusammenleben, die durch das zufällige Aufeinandertreffen von britischen und französischen Armeen im 19. Jahrhundert zustande gekommen sind. Im 20. Jahrhundert sahen Regierungen sich als Lotsen, die ihre Wirtschaftsströme kontrollierten. Doch im Zuge der Globalisierung verlieren große wie kleine Regierungen diese Einflussmöglichkeit. Sie sind in der wissensgestützten Wirtschaft immer noch von Bedeutung, aber statt die ökonomischen Ereignisse innerhalb ihrer Grenzen zu lenken, werden sie zunehmend zu Konstrukteuren von Plattformen, die die globale Wirtschaftstätigkeit (inländischer wie ausländischer Art) anziehen sollen. Sind sie in der Lage, einen guten Flugplatz zu bauen, auf dem ihre Bürger und Unternehmen starten und landen können, um in der globalen Wirtschaft mitzuwirken? Ist der lokale Flugplatz gut genug, um ausländische Unternehmen landen zu lassen? Er sollte ausgebildete Arbeitskräfte, eine soziale Infrastruktur (Rechtssysteme, persönliche Sicherheit) und eine physische Infrastruktur (Verkehrswesen, Energieversorgung, Kommunikationswesen) zu bieten haben. Um auf dem höchsten Niveau mitzuspielen, müssen Länder die grundlegende Forschung und Entwicklung finanzieren, welche die Technologie vorantreibt.16 Sie müssen die Kontrolle über Wissensströme gewinnen, um ihren Wohlstand zu maximieren, genau wie sich Unternehmen bemühen, Wissensströme zu kontrollieren, um rentabel zu werden. Darum benötigen Länder wie Unternehmen einen nationalen CKO. Man betrachte eine der vielen strategischen Möglichkeiten: Wo soll ein Staat seine Mittel für Forschung und Entwicklung investieren? Nicht einmal ein Land, das so groß ist wie die USA und über einen privaten und staatlichen Forschungs- und Entwicklungshaushalt in Höhe von insgesamt mehr als 300 Milliarden Dollar verfügt – ein Haushalt, der größer ist als das BIP der meisten Länder –, kann in alles investieren. Außer für die größten Länder sind die Entscheidungen darüber, wo man investiert, lebenswichtig. Wenn kleine oder mittelgroße Länder in alles investieren, verschwenden sie ihr Geld, denn sie können nicht genug anlegen, um wenigstens irgendwo Erfolg zu haben. Wenn sie andererseits ihre Investitionen konzentrieren, gehen sie das Risiko ein, dass der technologische Ertrag ausbleibt. Das System lässt sich mit dem
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Bohren nach Ölquellen vergleichen. Wenn man nur genug Geld hat, um eine einzige Ölquelle zu erschließen, ist das Risiko sehr hoch. Setzt man seine Mittel ein, um viele, aber nur hundert Meter tiefe Bohrungen vorzunehmen, findet man bestimmt kein Öl. Nationen brauchen genau wie Unternehmen eine technologische Strategie. Ministerien entstehen, wenn etwas wichtig genug erscheint, um einen neuen Kabinettsposten zu rechtfertigen. Die Auto- und Luftverkehrsprobleme der geografisch zerstreuten amerikanischen Wirtschaft führten 1966 zur Gründung des Verkehrsministeriums. Straßen und Flughäfen konnten nicht von privater Hand gebaut werden. Als Reaktion auf den ersten OPEC-Ölschock wurde 1977 das Energieministerium geschaffen. Das neue Ministerium für Heimatsicherheit mag als jüngste Illustration des Musters dienen. Nationale Krisen führen zu neuen Ministerien. Mit der Zeit breiten Ministerien sich aus, und nach ihrer Gründung ist es politisch unmöglich, sie zu verringern oder abzuschaffen. Die Einflusspositionen von Individuen, etwa des Vorsitzenden eines Kongressausschusses, werden von der Fortsetzung ihres Amtes abhängig. Mithin sind Kabinettsposten ein lebendiges historisches Verzeichnis einst wichtiger nationaler Probleme. Die Landwirtschaft ist das beste Beispiel. Heutzutage ist sie in den Vereinigten Staaten eine sehr kleine Branche, die nur 2 bis 3 Prozent der Erwerbsbevölkerung beschäftigt, zumeist als Teilzeitarbeiter, und die lediglich 5 Prozent des BIP hervorbringt. Aber das Landwirtschaftsministerium ist, was seinen Personalbestand angeht, eine der größten amerikanischen Behörden. Würden die USA heute gegründet, käme niemand auf den Gedanken, ein separates Ministerium für eine derart kleine Branche einzurichten. Und auch wenn der Krieg gegen den Terror gewonnen wird und jeder Terrorist der Welt verschwindet, dürfte feststehen, dass das neue Ministerium für Heimatsicherheit weiterbestehen wird. In der übrigen Welt sitzt in den meisten Kabinetten ein Handelsminister. Das ist in den USA nicht der Fall, weil der Außenhandel bis vor kurzem sehr geringfügig und nicht sehr wichtig für die amerikanische Wirtschaft war. Außerdem hat das Land nie eine internationale Finanzkrise durchgemacht. Wie im Fall der Terrorismusbekämpfung wurden auch die Einzelheiten der Handelsfunktionen über eine große Zahl von
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Behörden verteilt (das Amt des US-Handelsbeauftragten im Kabinettsrang, das Wirtschafts-, Finanz-, Verteidigungs-, Außen- und Justizministerium), weshalb die amerikanische Außenhandelspolitik äußerst schlecht koordiniert ist. Es wäre logisch, die bestehenden Ämter, die sich dem Handel widmen, zu einem einzigen Finanz- und Industrieministerium zu verschmelzen, aber wer das erwartet, dürfte politisch völlig naiv sein. Die vom Kongress ernannte US Trade Deficit Review Commission (der ich angehörte) vertrat die private Meinung, dass solch ein Ministerium sinnvoll wäre, machte sich jedoch nicht einmal die Mühe, diese Empfehlung in ihrem Bericht auszusprechen, da sie so weit außerhalb der politischen Realität lag. Sogar angesichts einer gewaltigen Krise zögerten andere Ministerien nämlich, Bestandteile ihrer Behörden aufzugeben, die in das neue Ministerium für Heimatsicherheit eingegliedert werden mussten. Wenn man wiederum logisch und genauso naiv dächte, würde dieses neue Handels- und Industrieministerium durch ein Wissensministerium ergänzt, das Kenntnisse darüber erzeugt, wie Amerika sich besser organisieren kann, um in einer wissensgestützten globalen Wirtschaft Erfolg zu haben. Es würde viele der technologischen Funktionen enthalten, die nun auf das Erziehungsministerium, die Nationale Wissenschaftsstiftung, das Landwirtschaftsministerium, die Nationalen Gesundheitsinstitute und das Amt des Wissenschaftsberaters des Präsidenten verteilt sind. Das Handels- und Industrieministerium würde versuchen, die heutigen Industriezweige zu festigen, während sich das Wissensministerium bemühen würde, die Branchen von morgen mit den modernsten neuen Technologien und Kenntnissen zu schaffen und zu stärken. Es bedarf großer Wirtschaftskrisen, damit auch nur eines dieser Ministerien gegründet wird. Amerika hat keine Außenhandelskrise erlebt, weshalb die Unterstützung für eine einzige Behörde ausbleibt, die sich auf den internationalen Handel konzentriert. Erst wenn die USA eine große Zahlungsbilanzkrise durchmachen, kann man sicher sein, dass die Gründung eines Handelsministeriums zu den ersten Erwägungen im Kongress gehören wird. Falls Amerika in der neuen wissensgestützten Ökonomie drastisch ins Hintertreffen gerät, wird es ein Wissensministerium erhalten, aber das bedeutet, der technologischen und wirt-
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schaftlichen Entwicklung hinterzulaufen, statt ihr voraus zu sein. Es ist viel schwerer, die anderen einzuholen, als mit ihnen mitzuhalten oder an der Spitze zu bleiben. Das Fazit: Eine nationale Behörde zu haben, in der man ständig darüber nachdenkt, wie die Wissensfortschritte genutzt werden können, um die Amerikaner wohlhabender zu machen, ist genauso wichtig für das Land wie die Existenz des Verteidigungsministeriums. Zweifellos wird es ohne eine Krise nicht dazu kommen, doch es lohnt sich, ins Auge zu fassen, was ein derartiges Ministerium tun könnte.
Entwicklungsmodelle verstehen Die Wirtschaftsentwicklung ist ein Prozess, der sich weder in der Ersten noch in der Dritten Welt automatisch abspielt. Wäre das der Fall, gäbe es keine unterentwickelten Länder oder solche wie Argentinien, die aus dem Reichtum in die Armut gestürzt sind. Sowohl entwickelte Staaten als auch Entwicklungsländer benötigen technologische Strategien, wenn sie ökonomisch erfolgreich bleiben oder werden wollen. Der Sozialismus (Regierungseigentum an Unternehmen) funktioniert nicht. Es gibt eine Zeit und einen Ort für die Schaffung freier Märkte, indem man Branchen privatisiert und dereguliert. Aber die Entwicklung beginnt mit der Einsicht, dass Wirtschaftswachstum etwas mehr als freie Märkte erfordert. Sie sind nötig, doch sie genügen nicht. Freie Märkte allein können kein hohes Maß an Wirtschaftswachstum erzeugen. Neuseeland ist das beste Beispiel. Kurz bevor es sein sozialistisches Erbe abwarf, war es ein ertragsstarker, doch rapide strauchelnder Staat. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts hinsichtlich des Pro-Kopf-Einkommens das drittreichste Land der Welt, war es in den frühen achtziger Jahren auf den 20. Rang zurückgefallen. 1984 begann es mit der Liberalisierung und ging am Ende weiter als jeder andere Staat. Es privatisierte sogar seinen Postdienst. Niemand hätte mehr tun können, und niemand hat mehr getan.17 Gemessen an einem Indikator der Wirtschaftsfreiheit, den eine rechte Denkfabrik schuf, rangiert
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Neuseeland an der Spitze.18 Es wird von keinem der Leiden geplagt, die unterentwickelte Länder bremsen. Vielmehr ist seine Bevölkerung eine der ehrlichsten, am besten ausgebildeten und sozial stabilsten der Welt. Aber seit der Liberalisierung ist es unter sämtlichen entwickelten Staaten am langsamsten gewachsen – weniger als halb so schnell wie der OECD-Durchschnitt.19 Sein Pro-Kopf-Wachstum hat sich nach den Reformen um etwas mehr als die Hälfte verringert. Dadurch ist Neuseeland auf den Ranglisten weiter abgerutscht und nimmt nun trotz seiner radikalen marktwirtschaftlichen Reformen den 23. Platz im ProKopf-BIP-Verzeichnis ein. Die Verteidiger der freien Marktwirtschaft als der einzigen, nicht zu übertreffenden Lösung für langsames Wachstum machen häufig die landwirtschaftliche Protektion in der übrigen Welt für die neuseeländischen Misserfolge verantwortlich. Diese Protektion verhindere, dass Neuseeland seinen gottgegebenen natürlichen Vorteil nutzen könne – nämlich die Tatsache, dass es die weltbeste Tierzuchtregion ist. Aber die Vorzüge der freien Marktwirtschaft sollten nicht davon abhängen, was andere tun, um ihren eigenen Markt zu liberalisieren. Warum schuf Neuseeland keinen künstlichen Vorteil für sich selbst, wenn die Maßnahmen anderer Nationen es seines gottgegebenen Vorteils beraubten? Offenbar benötigt man neben der freien Marktwirtschaft noch etwas anderes. Wenn unser nationaler CKO Erfolge der jüngeren Vergangenheit analysieren will, wird er auf Südkorea und Taiwan stoßen. Sie wurden nicht dadurch erfolgreich, dass sie freie Märkte aufbauten. Vielmehr bemühten sie sich zuerst darum, Technologien zu erwerben und zu nutzen, die ihnen gestatteten, auf den globalen Märkten konkurrenzfähig zu sein. Ihre Wirtschaft unterlag keiner zentralen Planung, doch beide hatten eine nationale Entwicklungsstrategie, die sich darauf richtete, die Vorrangstellung auf dem Gebiet einiger spezifischer Technologien zu erringen. Ihre Strategien unterschieden sich jedoch aus historischen und kulturellen Gründen voneinander, denn es gibt keine Einheitsrezepte. Was beide Länder gemeinsam haben, ist die Betonung des Bildungswesens. Beide investierten in Bevölkerungen mit einem hohen Grad an Analphabetismus, die heute zu den am besten ausgebildeten der Welt zählen.
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Da die herrschende Elite Südkoreas in einer ehemaligen, bis ans Ende des Zweiten Weltkriegs bestehenden japanischen Kolonie ausgebildet worden war, folgte das Land dem japanischen Beispiel. Sehr große, exportorientierte Unternehmen wurden im Rahmen eines abgeschirmten Binnenmarkts geschaffen, und man wies Auslandsinvestitionen zurück. Südkorea gab eine Menge Geld für Forschungszwecke aus – prozentual fast genauso viel wie die Vereinigten Staaten. Kein anderes Entwicklungsland kommt ihm auch nur nahe, und es ist das einzige, das globale Markennamen wie Samsung, LG oder Hyundai vorweisen kann. Samsung als weltgrößter Hersteller von Speicherchips und weltgrößter Verbraucherelektronik-Konzern ist kennzeichnend für beide Teile der Strategie. Wenn sich Erfolg am Pro-Kopf-BIP messen lässt, dann hat Taiwan eine noch größere Leistung vollbracht. Es entwickelte ein ganz anderes technologisches Modell. Vor dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls eine japanische Kolonie, wurde es von nationalistischen Einwanderern unter Chiang Kai-shek regiert, die 1949 vom Festland gekommen waren. Sie waren nicht mit den japanischen Sitten aufgewachsen und brachten großen Privatmonopolen Misstrauen entgegen. Während Südkorea Großunternehmen und Konzerngruppen förderte, wies Taiwan sie energisch zurück. Stattdessen unterstützte es kleinere Familienfirmen. Bis heute sind taiwanesische Unternehmen im Fall von horizontalen oder vertikalen Fusionen starken Beschränkungen unterworfen. Man lässt nicht zu, dass sich umfassende Konzerngruppen herausbilden. Die zehn größten Unternehmen in Südkorea erwirtschaften 67 Prozent, auf Taiwan dagegen nur 17 Prozent des BIP. Aber der sozialistische Teil des Festlanderbes ist ebenfalls nicht zu verkennen. Viele der größten taiwanesischen Unternehmen sind oder waren in Regierungsbesitz, und der Staatssektor ist auf der Insel zweimal so groß wie in Südkorea. Heute beherrschen taiwanesische Unternehmen die Lieferketten im Bereich Elektronik, denn sie produzieren sämtliche Scanner und die meisten Laptops der Welt. Die ausländischen Firmen, die diese Artikel verkaufen, stellten einen großen Teil der Technologie zur Verfügung, die Taiwan benötigte, um seine Strategie auszuführen. Sie brachten taiwanesischen Firmen bei, die gewünschten Bauteile zu fertigen. Doch die von der Regierung geförderten Technologiezentren trugen ebenfalls
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beträchtlich zum Erfolg bei. Sie zielten darauf ab, fortgeschrittene Produktionstechnologien zu schaffen, die taiwanesische Firmen für ihre Lieferketten benutzen konnten. Die Regierung investierte zudem in die Gründung neuer Konzerne wie der Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation und hält noch heute einige Anteile des Unternehmens, obwohl TSMC einer der größten Erfolge des Landes ist. Taiwan verfügt auch über ein komplexes System von Steuervergünstigungen für Hochtechnologie-Unternehmen, die, wenn sie genug investieren, kaum Steuern zu zahlen brauchen. Unser nationaler CKO weiß jedoch, dass die beiden Stadtstaaten, die häufig zur Illustration des geradlinigen Markterfolgs herangezogen werden, nämlich Singapur und Hongkong, unter der Oberfläche viel komplizierter und in manchen Wirtschaftsbereichen stark reglementiert sind. Der gesamte Boden von Hongkong ist in Regierungsbesitz, und es gab einen Zeitpunkt, zu dem 80 Prozent der Bevölkerung in regierungseigenen Häusern wohnten. Hongkong hat auch im Lauf von Börsenkrächen immer wieder Aktien gekauft. Unser nationaler CKO kennt die Geschichte: Hongkong war nicht reich, bevor Kontinentalchina Ende der siebziger Jahre seine Wirtschaftsreformen einleitete. Es wurde reich, indem es seine Produktionsstätten nach Kontinentalchina verlagerte, um die viel niedrigeren Arbeitskosten zu nutzen. Außerdem hatte es das Spitzenmanagement, das auf dem Festland benötigt wurde, um nach 30 Jahren der Isolation in die Auslandsmärkte vorzudringen, sowie die chinesischen Kontakte zu bieten, die Ausländer für ihre Tätigkeit in der Volksrepublik brauchten. Wegen seiner geografischen Position in China, ohne jedoch zu ihm zu gehören, benötigte Hongkong keine technologische Strategie. Verglichen mit Singapur, Taiwan oder Südkorea ist es in dieser Hinsicht rückständig. Während diejenigen, die stets in der Volksrepublik China gelebt haben, mehr Erfahrung in den Bereichen Management und Finanzwesen sammeln, wird sich zeigen, ob Hongkong seine wirtschaftliche Position ohne eine technologische Basis behaupten kann. (In Hongkong ist man sich dieses Mangels bewusst und versucht nun, ihn zu beheben.) Singapur ist bekannt für seine sozialen Reglementierungen, aber es besaß oder besitzt auch einen finanziellen Anteil an jedem großen einhei-
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mischen Unternehmen. Zum Beispiel gehören die Singapore Airlines, eine der besten und profitabelsten Fluggesellschaften der Welt, der Regierung. Sie ist auch ein Großaktionär von Charter Semiconductor, mit dem Singapur ins Gießereigeschäft vordringen will. Die Regierung bemühte sich entschlossen um ausländische Direktinvestitionen und die mit ihnen verbundene Technologie. Außerdem bewog sie ausländische Firmen, ihre Regionalzentralen nach Singapur zu verlagern, damit es der Hauptquartiermittelpunkt für Südostasien werden konnte. Zu diesem Zweck baute es die beste Infrastruktur der Region – und vielleicht der Welt. Wenn unser nationaler CKO den Blick nach oben auf Länder mit mittlerem Einkommen richtet, so wird er feststellen, dass Irland eine ganz andere Strategie verwendete, um die Technologie zu erwerben, mit der es innerhalb von zwei Jahrzehnten von einem der ärmsten Länder Westeuropas zu einem Staat mit einem Pro-Kopf-BIP wurde, das erstmals in seiner Geschichte höher ist als das des Vereinigten Königreichs. Dazu kam es nicht etwa, weil die irischen Märkte freier gewesen wären als die britischen. Statt sich wie Taiwan und Südkorea eine eigene technologische Basis zu schaffen, versuchte Irland bewusst, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Diese ausländischen Anleger würden Technologien und Fertigkeiten mitbringen, die das Land nicht besaß. Aber es musste diesen Unternehmen einen Grund dafür bieten, sich nicht anderswo niederzulassen. Irland begann mit einem guten Bildungssystem. Es brachte eine große Zahl von Technikern hervor, deren Löhne niedriger waren als die im übrigen Europa. Damit waren die Grundlagen vorhanden. Um einen Konkurrenzvorteil zu erlangen, bot Irland ausländischen Firmen einen Körperschaftsteuersatz von null an. Wenn ein Unternehmen seine Produkte in der Europäischen Union herstellen wollte, warum dann also nicht in Irland, wo es keine Körperschaftsteuer gab, statt anderswo, wo es hohe Beträge abführen musste? Und wenn eine Firma Produkte für Europa erzeugte, warum dann nicht in dem Land mit den niedrigsten Steuern? Später zwang die Europäische Union die Iren, den Körperschaftsteuersatz für ausländische und einheimische Unternehmen zu vereinheitlichen. Im Jahr 2003 trat ein allgemeiner Steuersatz von 12,5 Prozent in Kraft, der immer noch weit unter dem anderer Teile der Europäischen Union liegt.
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Gewiss erhielt Irland eine Menge Geld von der Europäischen Union für Investitionen in seine Infrastruktur, aber das Gleiche gilt für Griechenland. Beide wurden früher zu den ärmsten Ländern der Europäischen Union gerechnet. Der griechische Ministerpräsident hat erklärt, er wolle nicht, dass sein Land zu einer »irischen Steueroase« werde. Das wäre auch nicht nötig, wenn er eine alternative Strategie zum Erwerb der Technologien hätte, die Griechenland benötigt, um seine Position als ärmstes Land in der Europäischen Union hinter sich zu lassen. Aber er hat keine derartige Strategie, und Griechenland bleibt arm. Die Lektionen der Wirtschaftsentwicklung sind deutlich. Man muss der Technologiekurve voraus sein, um Erfolg zu haben. Gleichzeitig braucht man die Bereitschaft zu Privatisierung und Deregulierung. Aber freie Märkte führen nicht automatisch zu Wirtschaftswachstum. In einer wissensgestützten Ökonomie müssen Gesellschaften ihre eigenen relativen Vorteile erzeugen. Diese werden ihnen nicht von der Natur geschenkt wie Goldbergwerke oder Ölquellen. Es ist die Aufgabe des nationalen CKO, die künstlichen relativen Vorteile zu skizzieren, welche eine Region zum globalen Erfolg führen können. Amerika steht ökonomisch nicht deshalb an der Weltspitze, weil seine Märkte oder seine Handelspolitik freier wären als die der übrigen Länder. Vielmehr hat es seine Position inne, weil es eine führende Rolle – vielleicht die führende Rolle – beim Vorantreiben der Technologie spielt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn man es mit umwälzenden Technologien zu tun hat, die bedeutende Umstellungen verlangen. Amerika besitzt keine Strategien zur Identifizierung unternehmerischer oder gewerblicher Gewinner, und es zielt nicht darauf ab, HightechFirmen Steuervergünstigungen zu gewähren, aber es hat Mechanismen, die ihm ermöglichen, sich für erfolgversprechende Technologien zu engagieren. Dafür werden häufig Regierungsgelder eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg benutzte das Verteidigungsministerium zum ersten Mal einen Computer. Das Internet begann 1968 als Verteidigungskommunikationssystem. Die Nationalen Gesundheitsinstitute standen an der Spitze der biotechnologischen Revolution. Wenn es um einen künstlichen relativen Vorteil für Nationen oder Firmen geht, ist die Technologiepolitik für wirtschaftliche Erfolge oder Misserfolge verantwortlich. Wer der Welle nur ein wenig voraus ist,
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wird zum Sieger, und wer sich nur ein wenig hinter ihr befindet, wird zum Verlierer. Herauszufinden, wie man jenes wirtschaftlich-technologische Surfbrett besteigt, ist die Aufgabe des nationalen CKO.
Der Unternehmens-CKO Der nationale CKO kann viel Aufschluss für seine Arbeit erhalten, wenn er die Tätigkeit von Unternehmens-CKOs beobachtet und versteht. Genau wie Unternehmen müssen Länder die Regeln des globalen Spiels erlernen. Das mag ihnen schwerer fallen, da sie an Volkswirtschaftsspiele gewöhnt sind, bei denen sie die Regeln und Vorschriften kontrollieren. Wie Unternehmen müssen sie sich nun einem Spiel widmen, dessen Regeln und Vorschriften sie nicht kontrollieren und in dem sie nicht Schiedsrichter, sondern Spieler sind. Zwar weiß niemand genau, was ein Unternehmens-CKO tun sollte, aber es gibt eine Liste von Möglichkeiten. Sollte die Firma Technologien herstellen, kaufen oder verkaufen? Das ist keine Entscheidung, die vom Chef der Forschungsabteilung getroffen werden kann. Dessen Aufgabe ist es, neue Technologien so effizient wie möglich zu entwickeln, sobald man die Entscheidung dazu getroffen hat. Eine umfassendere Sicht des sozialen und wirtschaftlichen Systems ist nötig, um festzulegen, ob man Technologien herstellen, kaufen oder verkaufen sollte. Für derartige Empfehlungen ist der CKO zuständig. Bei Cisco Systems beschloss man, es sei die richtige Strategie, Technologie zu kaufen. Das Unternehmen selbst führte keine Forschungsarbeit durch, aber es verstand sich sehr gut darauf, gründlich forschende Personen in innovativen kleinen Firmen aufzuspüren, einzustellen und an sich zu binden. 18 dieser Firmen wurden 1999 und 22 im Jahr 2000 erworben.20 In den goldenen Jahren vor der Rezession von 2001, als Cisco eine Währung (nämlich einen hohen Aktienkurs) besaß, welche Einkäufe verbilligte, war es eine sehr erfolgreiche Strategie, »Technologie zu kaufen«. Was war der größte unternehmerische Fehler des letzten halben Jahrhunderts? Eine Fehleinschätzung, die bei den Spitzenkursen vom
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März 2000 559 Milliarden Dollar kostete: Steve Jobs’ Entscheidung, das Apple-Betriebssystem nicht zu verkaufen. Statt ein Unternehmen wie Apple Computer mit einem heutigen Marktwert von 23 Milliarden Dollar zu besitzen, hätte er Bill Gates sein können mit einem Konzern, der 582 Milliarden Dollar wert ist.21 Es gibt einen passenden Zeitpunkt für den Verkauf. Aber jemand muss darauf kommen, dass es die richtige Entscheidung ist, die Technologie eines Unternehmens zu verkaufen. Wahrscheinlich ist es nicht derjenige, der die Technologie erfunden hat, denn er hat eine zu starke Bindung an sie. Zum Glück für Microsoft erfand Bill Gates das ursprüngliche MS-DOS-Betriebssystem nicht, sondern er erwarb es von einer Nachbarfirma, die Bankrott gegangen war. Was gekauft wurde, lässt sich leichter verkaufen. Was erfunden wurde, ist schwerer zu verkaufen. Intel kauft oder verkauft nicht, sondern fertigt seine eigenen Technologien an, was für diesen Konzern eine sehr günstige Strategie ist. Der CKO weiß, warum »kaufen« für Cisco, »verkaufen« für Apple und »herstellen« für Intel angebracht ist. Länder stehen vor den gleichen Entscheidungen, und der nationale CKO sollte ebenfalls wissen, ob es im staatlichen Rahmen ratsam ist, erfolgversprechende Technologien herzustellen, zu kaufen oder zu verkaufen. In Unternehmen redet man davon, seine eigenen technologischen Systeme zu bewerten, aber sehr wenige nehmen diese Aufgabe ernsthaft in Angriff. Irgendein Praktiker erhält den Auftrag und kehrt mit einer von zwei vorhersehbaren Antworten zurück: Die Technologie unseres Unternehmens ist so gut wie die jedes anderen auf der Welt (wenn es anders wäre, würde ich keine gute Arbeit leisten und müsste entlassen werden); oder: Unser Unternehmen ist in technologischer Hinsicht äußerst rückständig und benötigt eine Menge neuer Investitionen, um wettbewerbsfähig zu werden (dieses teure Spielzeug wünsche ich mir seit langem). Praktiker können keine ehrlichen Maßstäbe setzen, denn sie sind zu eng mit den bestehenden Technologien verbunden. Die Leistungsbewertung ist eine Aufgabe für einen CKO, der etwas von Technologie versteht, aber nicht für die operativen Systeme des Unternehmens verantwortlich ist. Auch Länder müssen Maßstäbe setzen, um sich mit der Konkurrenz vergleichen zu können. Die Europäische
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Union erkannte diese Tatsache im Jahr 2000 auf ihrem Gipfeltreffen in Lissabon an, als sie ihren Rückstand gegenüber den Vereinigten Staaten einräumte und sich das Ziel setzte, bis 2010 die wettbewerbsfähigste Ökonomie der Welt aufzubauen. In den meisten Großunternehmen kann man erfahren, dass es gewaltige Unterschiede zwischen ihren technologisch fortgeschrittensten und ihren technologisch rückständigsten Sparten gebe. General Motors verkündet zum Beispiel, es habe irgendwo eine Anlage (eine Farb- oder Maschinenfabrik), die in jeder Hinsicht die beste der Welt sei, doch anderswo seien seine Fabriken weniger gut. Es ist die Aufgabe des CKO, dafür zu sorgen, dass eine solche Technologie das gesamte Unternehmen erfasst und dass die Produktivitätslücken beseitigt werden. Die technologischen Unterschiede zwischen den fortgeschrittensten und den am wenigsten fortgeschrittenen Teilen einer Volkswirtschaft sind viel größer als die innerhalb eines einzelnen Konzerns. Aber im Fall von Ländern wie von Unternehmen ist es wesentlich für den globalen Erfolg, solche technologischen Unterschiede zu verringern. Der CKO behält im Auge, wie sich die Technologie entwickelt und wo neue Konkurrenten auftauchen könnten. Intel braucht sich keine Sorgen zu machen, dass jemand einen besseren elektronischen Mikroprozessor erfinden wird. Das ist höchst unwahrscheinlich. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Unternehmens übertrifft alle anderen bei weitem und stellt die besten Experten ein. Intels wirkliche Sorge ist die Polaroid-Furcht: Sein Mikroprozessor wird – so wie die Sofortfotografie der Digitalfotografie weicht – von biologischen Computern verdrängt werden. Forscher am MIT und anderswo arbeiten an molekularbiologischen Computern, die den Intel-Mikroprozessor irrelevant machen könnten. Der CKO verfolgt die alternativen Technologien und achtet darauf, dass in den Intel-Laboratorien einige Biologen tätig sind. Er ist darüber informiert, was »heiß« ist und was nicht. Genau das müssen auch Nationen wissen. In einer wissensgestützten Wirtschaft werden Patente, Urheberrechte und Markennamen zum größten Vermögenswert eines Unternehmens und zu seiner größten Quelle juristischer Probleme. Milliarden-Dollar-Zahlungen für die Beilegung von Patentstreitigkeiten sind keine Ausnahme. Eine der wichtigsten Strategien der Hersteller gene-
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rischer Medikamente besteht darin, Patente vor ihrer legalen Ablauffrist zu brechen. Die Patentanmeldung weist nicht nur darauf hin, wie wesentlich eine neue Idee für das Unternehmen ist. Es mag nämlich auch aus strategischen Gründen notwendig sein, ein Patent-Portefeuille für den Austausch mit anderen Firmen anzulegen. IBM und Hewlett-Packard haben ein solches Arrangement getroffen. Wenn ein Unternehmen kein Patent-Portefeuille besitzt, fehlt es ihm an Tauschobjekten. Wie werden Patentkriege geführt? Das ist nicht die Aufgabe der Patentanwälte eines Konzerns. Sie melden neue Patente an, verteidigen alte und brechen die Patente anderer, wenn sie den Befehl dazu erhalten haben. Der Entwurf einer Strategie für den Patentkrieg ist ebenfalls Sache des CKO. Man nehme drei Begriffe: Cluster-, Picket- und U-BootPatente. Wenn der CEO ihre Bedeutung nicht kennt, braucht das Unternehmen unzweifelhaft einen CKO. Während der Weihnachtssaison des Jahres 2000 gab Amazon plötzlich bekannt, es besitze ein Patent für »One-Click«-Bestellungen und bemühe sich darum, andere elektronische Einzelhändler an der Benutzung dieses Systems zu hindern. Selbst wenn dieses Patent irgendwann von einem Richter für ungültig erklärt wird, hat es die Konkurrenz von Amazon für eine Weihnachtssaison durcheinander gebracht – und es kostet nur 15 000 Dollar, ein Patent anzumelden. In diesem Fall handelte es sich um ein U-Boot-Patent. Man sieht es nicht, bevor es seine Torpedos abgeschossen hat. Dell Computer besitzt 36 Patente für das Lieferkettenmanagement. Der Konzern hat bisher niemanden wegen eines Patentverstoßes verklagt, aber dazu kann es noch kommen. Was geschieht, wenn Dell plötzlich mit einer gerichtlichen Verfügung eintrifft, durch die einer Firma untersagt wird, ihr eigenes System des Lieferkettenmanagements zu verwenden, weil es Dell-Patente verletze? Der CKO müsste die Reaktion und die angemessene Verteidigung der Firma geplant haben, lange bevor sie die Verfügung erhält. Polaroid erhielt in einem Patentrechtsprozess über Sofortfotografie mehr als 1 Milliarde Dollar von Kodak, weil es seine wichtigsten Erfindungen durch ein Bündel (Cluster) von Patenten abgesichert hat. Ein einziges Patent reicht selten aus, um eine wichtige Idee zu schützen,
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und es kann häufig durch andere Erfindungen umgangen werden. Zur wirklichen Absicherung einer bahnbrechenden Idee benötigt man eine Gruppe von Patenten, die sich auf jedes kleine Detail einer Technologie beziehen. Jemand hat eine Schlüsselidee patentiert, die für die Zukunft Ihres Unternehmens unverzichtbar ist. Sie wollen auf die Idee zurückgreifen. Doch statt dafür zu bezahlen, könnten Sie eine Reihe trivialer Details um das wichtige Patent herum patentieren lassen. Das heißt, Sie errichten einen Lattenzaun (Picket) von Patenten, damit die anderen ihre eigene Idee nicht nutzen können. Dann tauschen Sie die Verwendung Ihrer nebensächlichen Patente gegen die Benutzung des Kernpatents der anderen Seite ein. Den Japanern wirft man häufig vor, sie würden Picket-Patente einsetzen, um bahnbrechende Ideen ohne finanziellen Aufwand zu erwerben. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist nichts wichtiger für den wirtschaftlichen Erfolg als ein solides System globaler geistiger Eigentumsrechte, das sowohl die Interessen der Reichen schützt, die bereits entwickelt sind, als auch die der Armen, die sich entwickeln wollen. Die Zyklen von Geburt, Wachstum, Reife, Niedergang und Tod von Unternehmen kommen durch eine Reihe komplexer Interaktionen zwischen Technologie und Wirtschaft zustande. Sie lassen sich nicht mithilfe linearer Hochrechungen verstehen. Im Lauf von industriellen Revolutionen ist die Technologie durch Zeiträume des gestörten Gleichgewichts gekennzeichnet – lange Perioden sich allmählich ändernder Umstände, die von Zeiten des plötzlichen Wandels durchsetzt sind. Umwälzende neue Technologien ersetzen die alten. Unternehmen stehen vor Wendepunkten, an denen Wachstumsraten jäh anschwellen oder sich verlangsamen. Geburts- und Todeszyklen sind mit einem Mal schwerer zu durchschauen. Die CKOs von Unternehmen wie von Nationen bemühen sich, diese Zyklen zu verstehen. Vermögende Industriewirtschaften haben potenzielle anhaltende Wachstumsraten von etwa 3 bis 4 Prozent. Die Zahl der Arbeitskräfte nimmt jährlich um 1 Prozent zu, während sich die Arbeitsproduktivität um jährlich 2 bis 3 Prozent erhöht. Wachstumsunternehmen sind dem Markt definitionsgemäß voraus und folglich in Branchen mit Wachs-
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tumsraten von mehr als 4 Prozent zu finden. Reife Unternehmen, die mit dem Markt Schritt halten, weisen jährliche Wachstumsraten von 2 bis 4 Prozent auf, und dahinsiechende, hinter dem Markt zurückbleibende Unternehmen sind in Branchen mit Wachstumsraten von weniger als 2 Prozent tätig. Der CKO weiß, dass jedes Produkt den Tag erreicht, an dem es reift und an dem sich seine Wachstumsraten verlangsamen. Die meisten Branchen erleben den Tag, an dem ihre Produktivität sowohl nach relativen als auch nach absoluten Maßstäben zurückgeht. Die Fähigkeit, zu erkennen, wann diese Änderungen bevorstehen, und auf sie zu reagieren, noch bevor sie deutlich werden, ist in einer Wachstumsbranche so wichtig wie die Wahl der geeigneten technischen Strategie. Jeder Markt erreicht irgendwann einen Grad der Sättigung und Reife. Der Personalcomputer zum Beispiel gelangt an einen technologischen Punkt, an dem höhere Geschwindigkeit und geringere Größe für die meisten Nutzer unwesentlich sind. Immer weniger Käufer wünschen sich einen neuen Computer, nur weil er leistungsfähiger ist. Wer aus wirtschaftlichen Gründen einen Personalcomputer benötigt oder haben möchte, besitzt bereits einen. Und nicht alle Apparate sind Fernsehgeräte, deren Sättigungsgrad bei 98 Prozent der Bevölkerung liegt. Bei Computern scheint die optimale Produktdurchdringung nur ungefähr zwei Drittel aller amerikanischen Haushalte einzubeziehen. Das andere Drittel benötigt entweder keinen Computer oder besucht Bibliotheken oder Internetcafés, wenn es online gehen will – genau wie viele Amerikaner lieber einen Waschsalon aufsuchen, als sich eine Waschmaschine zuzulegen. Wenn wie beim PC die optimale Durchdringung erreicht ist, wird der Wachstums- zu einem (unvermeidlich kleineren) Austauschmarkt. Der CKO hat die Aufgabe, diesen Zyklus zu durchschauen und das Unternehmen über die jeweilige Position von Computern zu informieren. Wie das Unternehmen dann auf die Information reagiert, ist Sache des CEO. Das Versäumnis vieler Firmen, der Konkurrenz durch die Einsicht in den Lebenszyklus ihrer Branche vorauszueilen, konnte an der Rezession von 2001 nachvollzogen werden. Während amerikanische Rezessionen durchaus üblich sind (seit dem Zweiten Weltkrieg hat es zehn gegeben), besaß die von 2001 einige besondere Merkmale, eben weil
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sie sich mitten in einer industriellen Revolution abspielte. Man denke an die Unternehmen mit großen Namen, die damals Bankrott machten: Swissair, Polaroid, Bethlehem Steel, K-Mart, Burlington, Chiquita, Global Crossing, Enron, WorldCom, Adelphi, Arthur Anderson, Arthur D. Little, United Airlines und US Airlines. Von den zehn größten Konkursen der amerikanischen Geschichte traten sechs in den Jahren 2001 und 2002 ein.22 In den zweieinhalb Jahren nach dem Börsenkrach von März/April 2000 machten 71 Unternehmen mit Aktivposten von mehr als 1 Milliarde Dollar Pleite.23 Die Bankrotte beschränkten sich also nicht auf kleine Start-ups. Man nenne die berühmten Konzerne, die in der größeren Rezession von 1990/91 scheiterten! Das ist unmöglich, denn es gab keine. Normalerweise gehen Großunternehmen, die bereits eine Reihe von Rezessionen hinter sich haben, in einem solchen Fall nicht Bankrott, schon gar nicht während einer derart milden Episode, die eine Zeit lang Debatten darüber auslöste, ob wirklich eine Rezession stattgefunden habe. Arthur D. Little war nach einer über 100-jährigen Geschichte die älteste Unternehmensberatung in Amerika. Die Firma hatte etliche Rezessionen hinter sich und ging wegen schlechter Internetinvestitionen Pleite. In keinem Fall waren die Konkurse auf die Rezession von 2001 zurückzuführen. Sie lieferte nur den zusätzlichen finanziellen Druck, der das Fass zum Überlaufen brachte. Mithin war sie der Auslöser, nicht jedoch die Ursache. Diese Unternehmen scheiterten nicht, weil ihre Direktoren plötzlich den Verstand verloren hätten, sondern weil ihre Welt durch eine technische Revolution verändert worden war. Plötzlich versagten ihre alten Geschäftsmodelle, und sie hatten keine neuen funktionsfähigen Modelle finden können – häufig deshalb, weil diese in ihren alten Branchen nicht existierten. Polaroid ging wegen der Erfindung der Digitalfotografie und wegen der Foto-Schnellentwicklung Bankrott – nicht, weil eine allgemeine Rezession zu Konsumkürzungen geführt hätte. Man kann einwenden, dass das Unternehmen bei der Bemühung, in die Digitalfotografie überzuwechseln, aggressiver hätte sein sollen, aber es machte tatsächlich einen »kompromisslosen« Versuch, der vorhersehbar scheiterte. Wie soll ein Unternehmen, dessen ganze technologische Stärke auf dem Gebiet der Chemie liegt, Marktführer im Bereich der
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neuen Elektronik werden, wenn es mit den besten Elektronikkonzernen der Welt, beispielsweise Sony, konkurrieren muss? Polaroid hatte keine Chance, das Rennen um die Digitalfotografie zu gewinnen. Die dafür ausgegebenen Gelder waren verschwendet. Da sich das Kerngeschäft von Polaroid, die Sofortfotografie, nur langsam abschwächte, hätte man die Verkaufskurve zu einem profitablen und sehr bequemen Ende kommen lassen können. Es wäre kein aufregendes Wachstumsunternehmen mit einem hohen Kurs-GewinnVerhältnis an der Börse gewesen (1968 dagegen besaß es ein KGV von 95), aber es hätte den Aktionären viel mehr Geld zurückgeben und für seine Angestellten viel mehr Arbeitsplätze bereitstellen können, wenn es sich dem Unvermeidlichen nicht widersetzt hätte. In Wirklichkeit benötigte es eine geschickt ausgeführte Verfallsstrategie. Fast niemand kann eine solche Strategie entwickeln oder ausführen. Ein geschickt abgewickelter Verfall ist kein Versagen der Geschäftsführung, wird jedoch gemeinhin als solches empfunden. Wenn eine Firma es schafft, als Letzte zu überleben, lässt sich häufig eine sehr einträgliche Nische finden. Heute gibt es mehr Pferde in Amerika als im Jahr 1900, und die Dienstleistungen (etwa in Form von Hufeisen) für die jetzige Luxusbranche sind sehr viel profitabler als für die damaligen Hauptbeförderungsmittel. Jemand verdient eine Menge Geld mit der Herstellung einer begrenzten Zahl äußerst teurer Pferdekutschen. General Electric, häufig als bestgeführtes Unternehmen Amerikas beschrieben, ist sozusagen eine Sammlung der letzten Überlebenden: der elektrischen Lokomotiven, Energiesysteme und Flugzeugtriebwerke. Man werfe einen Blick auf die Probleme bei der Swissair, als sie Konkurs anmeldete. Nur ein Jahrzehnt zuvor war sie eine der profitabelsten und angesehensten Fluggesellschaften der Welt gewesen. Ihre Schweizer Geschäftsführer litten nicht plötzlich an Gedächtnisschwund und vergaßen, wie eine Fluggesellschaft zu betreiben ist. Aber die Globalisierung erzwang einen Wandel im Management erfolgreicher Fluglinien. In der Luftfahrtindustrie des 21. Jahrhunderts gibt es Platz für globale Bündnisse wie die Star Alliance, die Hunderte von Flugzeugen zahlreiche Ziele ansteuern lässt, und für billige »Point-to-Point«-Gesellschaften, die sekundäre Flughäfen benutzen (South West in den Vereinigten Staaten oder die Swissair-Tochtergesellschaft Crossair in Eu-
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ropa), doch mittelgroße nationale Gesellschaften mit 80 Maschinen finden keine Verwendung. Die Swissair hoffte, sich einem der globalen Bündnisse anschließen zu können, aber diesen stand der Sinn nach größeren und besseren europäischen Partnern. Da die Großen sie verschmähten, versuchte sie, ihr eigenes globales Bündnis aufzubauen, indem sie Gesellschaften (wie Sabena) aufkaufte, die niemand sonst haben wollte. Doch es gab Gründe dafür, dass niemand sie haben wollte. Sie waren nicht die Bausteine, die man für die Schaffung einer leistungsfähigen globalen Fluggesellschaft benötigte. Durch den Versuch, ihr eigenes Bündnis aufzubauen, verlor die Swissair rascher Geld und machte schneller Bankrott, als wenn sie weiterhin auf eigenen Beinen gestanden hätte. Dabei hätte es eine überzeugende Strategie für die Swissair gegeben. Mitten in einer industriellen Revolution ist es für viele Unternehmen ratsam, ihre Vermögenswerte zu verkaufen und sich aus ihrer Branche zu verabschieden. Hätte die Swissair zwischen Mitte und Ende der neunziger Jahre ihre sehr wertvollen Landerechte auf einigen der geschäftigsten Flughäfen der Welt (Kennedy, Heathrow, Narita) verkauft und ihr Kerngeschäft aufgegeben, wäre sie in der Lage gewesen, eine Menge Geld an ihre Aktionäre zu verteilen. Sie besaß noch Crossair sowie ein erfolgreiches Flughafenservice-Unternehmen (Gateway) und hätte als Konzern mit diesen Sparten weiter existieren können. Aber die Aufgabe des Kerngeschäfts als profitabelste Strategie wollte niemandem einleuchten. Hätte der CEO versucht, die Landerechte zu verkaufen, wäre er wahrscheinlich gefeuert worden. Es ist die Pflicht des CKO, darauf hinzuweisen, dass sich das System geändert hat und alte Geschäftsmodelle nicht mehr wirksam sind. Der Abgang aus der Branche kann die richtige Lösung sein. Man betrachte Compaqs widerwillige Entscheidung, sich aus der Branche des individuellen Personalcomputer-Verkaufs zu verabschieden und sich von Hewlett-Packard übernehmen zu lassen. Es verkaufte PCs über Einzelhändler, aber es wusste, dass Dells elektronisches Build-toOrder-Modell mithilfe von Telefon und Internet viel preisgünstiger war. Im letzteren Fall bleiben Einzelhändler, wenn neue Computermodelle herauskommen, nicht auf einer Menge alter Geräte sitzen, die zu drastisch gesenkten Preisen verkauft werden müssen. Durch die elektroni-
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schen Verkaufskanäle erfahren die Hersteller außerdem sofort, was Anklang findet und was nicht. Sie brauchen nicht zu warten, bis sich die Lagerbestände bei den Einzelhändlern stapeln, bevor sie ihre Produktionspläne ändern. Compaq wusste auch, dass seine damaligen Händler seine Produkte nicht mehr verkaufen würde, sobald sie erfuhren, dass die Firma in den elektronischen Verkauf einsteigen wollte. Da es lange dauert, sich auf den elektronischen Handel umzustellen, konnte der Plan das Unternehmen den Absatz von sechs bis zwölf Monaten kosten. Während des Übergangs würde der Umsatz auf null fallen. Wenn die Käufer sich erst einmal an andere Lieferanten gewandt hatten, würden sie vielleicht nie mehr zurückkehren. Compaq wusste, welche Richtung es einzuschlagen hatte, aber jenen Punkt der Profitmaximierung zu erreichen war schwierig, teuer und vielleicht unmöglich. Das wirtschaftliche Dilemma liegt auf der Hand: Die gegenwärtige Verkaufsstrategie führt zum Untergang, doch der Firma gelingt nicht die Umstellung auf Verkaufskanäle, die das Überleben garantieren. Bis jetzt hat kein größeres Unternehmen den Mut gehabt, kurzfristige Verluste hinzunehmen und die Vertriebskanäle zu ändern. Vielleicht ist das auch besser so, denn die Verluste stellen sich früh ein, die Gewinne dagegen viel später. Es ist möglich oder sogar wahrscheinlich, dass der gegenwärtige diskontierte Kapitalwert des Gewinnstroms, der zum Untergang führt (weil man bei den alten Verkaufskanälen bleibt), größer ist als der Kapitalwert des Gewinnstroms, der langfristig das Überleben sichert (weil man neue Verkaufskanäle wählt). Die wirtschaftlich richtige Antwort auf dieses Problem ist ebenso einfach wie brutal: Wähle die alten Verkaufskanäle, die zum ökonomischen Selbstmord führen. Verschwende kein Geld für die Suche nach Wunderheilmitteln. Langsamer Verfall und späterer Untergang sind die vernünftigsten und rentabelsten Strategien. Das Ziel besteht darin, so viel Geld wie möglich, verglichen mit dem anfangs aufgewendeten Betrag, auszuzahlen, und nicht darin, das Unternehmen zu sein, das am längsten überleben kann. Hätte Compaq sich früher übernehmen lassen, wäre es für seine Aktionäre sehr viel mehr wert gewesen. Die Probleme von McDonald’s sind nicht die des Untergangs, sondern der Reife. Der Erfolg des Konzerns gründet sich auf eine
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Fastfood-Hamburger-Kette, die Familien mit Kindern in einer Zeit bediente, als immer mehr Mütter bezahlte Arbeitsplätze annahmen und immer mehr Mahlzeiten außer Haus gegessen wurden. In Anbetracht der Zahl bereits vorhandener Filialen in Amerika, der abnehmenden Zahl von Familien mit Kindern sowie der Tatsache, dass die Menge außer Haus gegessener Mahlzeiten ihren natürlichen Sättigungsgrad erreicht hat oder nicht weit von ihm entfernt ist, befindet sich McDonald’s in einer reifen Branche, deren Absatz sich nicht mehr so rasch erhöhen kann wie in der Vergangenheit. Außerhalb der Vereinigten Staaten mag er sich noch zügig steigern, doch innerhalb der USA ist dies mit dem bestehenden Geschäftsmodell unmöglich. Also würde es sich anbieten, mit einem neuen Geschäftsmodell einen Ausweg aus dem Dilemma zu suchen. Es ist jedoch nicht sicher, dass es einen solchen gibt. Bisher sind alle Versuche von McDonald’s gescheitert. Jeder dieser Fehlschläge kostet eine Menge Geld, lenkt die Aufmerksamkeit des Managements vom Kerngeschäft ab und verwirrt die Kunden, weil sich die Speisekarte dauernd ändert. Die vergebliche Suche nach einem alternativen Geschäftsmodell hatte zur Folge, dass McDonald’s Ende 2002 seinen ersten Vierteljahresverlust melden und die Schließung von mehr als 200 Restaurants in den Vereinigten Staaten und Japan bekannt geben musste.24 Bei McDonald’s sollte man einsehen, dass sich der Konzern in einer reifen Branche befindet, in der er noch eine Menge Geld verdienen wird, auch wenn an der Börse mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen zu rechnen ist, die für eine reife Branche mit langsamerem Wachstum angemessen sind – im Gegensatz zu rasch wachsenden Unternehmen in rasch wachsenden Branchen. Es ist vernünftig, diese Realität zu akzeptieren und mit ihr zu leben. Widersetzt man sich ihr, kann sich die Situation nur verschlechtern. McDonald’s braucht einen CKO, der es an diese nüchternen Tatsachen erinnert. Im Kapitalismus bleiben Unternehmen nicht sehr lange erfolgreich. Von den zwölf größten amerikanischen Konzernen des Jahres 1900 stand 100 Jahre später nur noch ein einziger, General Electric, auf der Liste; viele der übrigen elf existieren nicht einmal mehr. Der Untergang von Großunternehmen beeinträchtigt die Wirtschaftsleistung nicht, so-
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lange sie durch wachsende Großunternehmen ersetzt werden. Der Tod ist ein Teil des Lebens. »Wir wollen überleben« gegenüber »Wir wollen die höchstmöglichen Gewinne, gemessen an den Investitionen, erzielen« – diese Aussagen haben damit zu tun, ob es ratsamer ist, als Mischkonzern in vielen unterschiedlichen Branchen oder als Einzelproduktunternehmen tätig zu sein. Wenn es darum geht, Geld zu verdienen, belegen Mischkonzerne den zweiten Rang. Investoren können stets ein Unternehmensportefeuille erwerben, das ihnen die gleiche Risikostreuung bietet wie ein Mischkonzern. Sie wollen jedenfalls nicht, dass Gelder intern von den erfolgreichen Teilen des Konzerns auf die Stützung der weniger erfolgreichen umgelenkt werden. Geht es jedoch ums Überleben, so bieten Mischkonzerne die beste Chance. Der Transistor zerstörte das Vakuumröhrengeschäft von General Electric, einst dessen rentabelste Sparte, aber seine vielen anderen Aktivitäten halfen GE, als eines der größten Unternehmen Amerikas zu überleben. Andere, stärker produktorientierte Firmen auf der Liste der zwölf größten Konzerne des Jahres 1900, beispielsweise International Harvestor (Agrarmaschinen) und Anaconda (Buntmetalle), existieren dagegen nicht mehr. Der CKO versucht zu bestimmen, wann eine Branche reif geworden ist, wann sich der Rückzug empfiehlt und wann der Zeitpunkt des Abgangs gekommen ist. Diese Realitäten zu durchschauen ist noch schwieriger als zu wissen, wann und wo man voranschreiten sollte. Die Gestaltung der Abgangsstrategie ist Sache des CEO, während der CKO ausarbeitet, welche Schwierigkeiten Unternehmen zu bewältigen haben, während ihre Produkte die technologischen und wirtschaftlichen Zyklen durchlaufen. Das Wissen darum, wann sich ein Unternehmen aus einer Branche verabschieden muss, ist die beste Illustration der unverzichtbaren Rolle, die ein CKO spielen kann. Ego und Sozialprestige machen es fast unmöglich, einen CEO zu finden, der fähig und bereit ist, eine Abgangsstrategie zu vollziehen, selbst wenn sie eindeutig die rentabelste Möglichkeit bietet. Soziale und psychologische Gründe mögen den Abschied von der Branche verhindern, doch das Unternehmen sollte trotzdem verlässliche Informationen über seine Situation erhalten. Die für den operativen Betrieb Verantwortlichen werden verlässliche Informa-
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tionen vielleicht ignorieren, aber sie sollten gezwungen sein, sie anzuhören. Wie kann nun ein Unternehmen einen guten CKO finden angesichts der Tatsache, dass der Posten noch nicht existiert? Man wähle eine technologisch beschlagene, rasch aufsteigende junge Person zwischen 30 und 40 Jahren und teile ihr mit, sie sei der neue CKO. In zwei Monaten solle sie erneut vorsprechen und erklären, was sie tun werde.
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Bevor ein Produkt gekauft oder verkauft wird, sollte es eine Reihe destruktiver Tests durchgemacht haben, damit Käufer wie Verkäufer die äußersten Grenzen der Ware kennen. Im Idealfall würde man Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme ebenfalls destruktiven Tests unterziehen. Wo sind ihre Grenzen? Was geschieht, wenn sie versagen? Leider kann man jedoch Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen keine Proben entnehmen. Es gibt jeweils nur ein einziges System, und dieses absichtlich überzustrapazieren wäre allzu gefährlich. Doch es ist möglich, den gleichen Prozess durch »Gedankenexperimente« nachzuvollziehen. Was könnte die Globalisierung explodieren lassen? Und was geschähe, wenn sie explodierte? Die Schwachpunkte eines Systems zu untersuchen ist nicht pessimistisch, sondern klug. Wenn wir bereit sind, potenzielle Katastrophen zu studieren und Institutionen zu gründen, die uns veranlassen können, unsere Erkenntnisse zur Änderung unseres Verhaltens einzusetzen, dann bieten sich etliche Bereiche an, in denen wir unsere Leistung verbessern sollten. Prognosen über die Zukunft könnten präziser werden, Katastrophenverhütung ist zuweilen möglich, Krisen sind effektiver zu bewältigen, Überlebensquoten könnten höher und Schäden geringer sein. Ebenso wäre es möglich, das sich anschließende physische oder wirtschaftliche Chaos zügiger zu beseitigen. Man kann lernen, stabilere Systeme aufzubauen, die beim nächsten Mal nicht so leicht zusammenbrechen werden. In den vergangenen 20 Jahren sind Finanz- und Wirtschaftskrisen gekommen, gegangen, haben sich hingeschleppt und sind zurückgekehrt. Sie waren nicht geplant, aber durch sie ist die Globalisierung zahlreichen destruktiven Tests unterzogen worden. Keiner davon hat
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ihr Tempo auch nur annähernd verringert, geschweige denn sie explodieren lassen. Die allgemeine Stärke der globalen Wirtschaftsstruktur hat jedem dieser Tests standgehalten. Das System scheint unglaublich robust zu sein. Umfassende Wirtschaftskrisen der Dritten Welt sind so alt wie die mexikanische Krise von 1982 und so neu wie die argentinische von 2002. Südostasien und Südkorea erlitten 1997 je einen Kollaps. Mexiko wurde 1995/96 von einer weiteren Krise heimgesucht. Große Länder wie Argentinien und Indonesien sind wirtschaftlich niedergeworfen worden und haben sich nicht wieder aufrappeln können. Ihre Wirtschaftsprobleme wurden jedoch ignoriert, weil sie das globale System nicht bedrohten. Ende 2002 schoben sich ökonomische Gewitterwolken zwischen Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay hin und her. Aber das globale System nahm sie überhaupt nicht zur Kenntnis. Die Zweite Welt hat einen holprigen Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus vollzogen. Ein Jahrzehnt nach der Aufgabe des Kommunismus weisen viele Länder Mittel- und Osteuropas ein Produktionsniveau unterhalb oder in der Nähe ihres kommunistischen Gipfels auf. Russland selbst machte 1998 eine große Finanzkrise durch. Viele erwarteten, die übrige Welt werde ihm wegen seines Kernwaffenbesitzes zu Hilfe eilen. Doch davon war keine Rede. Das globale System zerbrach nicht und wurde nicht einmal erschüttert. In der Ersten Welt wurden Italien, die Vereinigten Staaten und Frankreich im Sommer 1992 von Währungskrisen heimgesucht. George Soros errang Ruhm dadurch, dass ihm seine Spekulation gegen die britische Währung innerhalb von ein paar Minuten 1 Milliarde Pfund einbrachte. Japan, die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt, erlitt einen Börsenkrach, der nach realen Maßstäben größer war als jener der Weltwirtschaftskrise, sowie einen gewaltigen Immobilienkollaps; daran schloss sich ein Jahrzehnt ohne Wachstum an. In beiden Fällen schritt die globale Wirtschaft voran. Amerika erlebte seine Spar- und Kreditkrise Mitte der achtziger Jahre, einen kurzen, heftigen Börsenkrach im Jahr 1987, einen längeren zwischen 2000 und 2002 sowie Rezessionen in den Jahren 1991 und 2001. Das globale System wurde daraufhin getestet, ob es internen
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amerikanischen Finanzkrächen und Konjunkturrückgängen widerstehen konnte. Das konnte es. Keine dieser Krisen in der Dritten, Zweiten oder Ersten Welt hatte Beben oder Nachbeben für die Globalisierung zur Folge. Aber all das schließt eine Krise nicht aus, welche die Grundlagen des Systems erschüttert. Die Angriffe vom 11. September ereigneten sich, weil die Amerikaner sich nichts Derartiges hatten vorstellen können. »Flieg mich in ein anderes Land« war bis dahin das einzige Ziel von Flugzeugentführungen gewesen. Sehr wenige Menschen hatten vor dem 11. September in solchen Fällen den Tod gefunden. Die Piloten hatten Anweisung, mit den Entführern zu kooperieren. In vieler Hinsicht ähnelt die gegenwärtige Wirtschaftssituation den zahlreichen kleinen terroristischen Angriffen, die sich vor dem 11. September ereigneten. Diese Angriffe waren ärgerlich, aber sie glichen Mückenstichen. Mücken kann man zerquetschen, und sie sorgen nicht für großen Aufruhr, da sie nichts Wichtiges bedrohen. Diese Meinung änderte sich durch die Attentate vom 11. September. Plötzlich galt derselbe Mückentyp als Überträger von Malaria. Ganze Terroristensümpfe mussten trockengelegt werden, um reale Schäden in der Zukunft zu vermeiden. Was – wenn es denn eine gibt – ist die Entsprechung in der globalen Ökonomie? Welchen Schädling sollten wir uns vorstellen, damit wir ihn daran hindern können, uns zu beißen? Da wirtschaftliche Erschütterungen überall sonst aufgetreten sind, ohne dem globalen System ernste Schäden zuzufügen, müsste das große wirtschaftliche Erdbeben, wenn überhaupt, durch eine schwere internationale Krise im Mittelpunkt des globalen Systems in Amerika ausgelöst werden. Der Verlauf dieser spezifischen Bruchlinie ist genau bekannt. Es kommt zu einem Ansturm auf den Dollar, und sein Wert zerbröckelt. Aber wie Geologen können Ökonomen weder den Zeitpunkt noch die Größe, noch das Ausmaß der Schäden dieses potenziellen wirtschaftlichen Erdbebens voraussagen. Die zweite potenzielle Krise, die allmähliche Zersetzung der geistigen Eigentumsrechte, ist wie das AIDSvirus eher epidemischer Art. Ohne die Garantie auf einen anständigen Ertrag will niemand in neue Technologien investieren. Die Globalisierung verliert langsam einen
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großen Teil der nötigen Energie, um neue Technologien hervorzubringen. Das Wirtschaftssystem gleitet in die Stagnation ab.
Ein sinkender Dollarkurs Bis Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts hatten die Vereinigten Staaten eine mehr oder weniger ausgewogene Handelsbilanz. Sie erzielten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hohe Überschüsse, doch diese verschwanden in den späten fünfziger Jahren. In den Sechzigern erlaubten kleine Handelsbilanzdefizite der übrigen Welt, dringend benötigte Devisenreserven aufzubauen. In den Siebzigern gingen die USA vom Goldstandard zu einem freien Wechselkurs für den Dollar über, da der Wunsch der Welt nach Reserven den amerikanischen Goldvorrat zu erschöpfen drohte. In den achtziger Jahren begann Amerika, mit hohen Handelsdefiziten zu leben. In den beiden vergangenen Jahrzehnten kam es nur Anfang der neunziger Jahre während des ersten Golf-Kriegs zu einer Ausnahme, als Japan und Deutschland die USA durch sehr hohe Beträge dafür entschädigten, dass keine deutschen und japanischen Soldaten halfen, die nahöstlichen Ölvorräte zu schützen. Wirtschaftlich gesehen glich Amerika seine Zahlungsbilanz aus, indem es eine Exportdienstleistung verkaufte: Soldaten, die den deutschen und japanischen Ölnachschub bewachten. Infolge dieser hohen Handelsbilanzdefizite wurden die Vereinigten Staaten von einer großen Nettogläubigernation des Jahres 1981, als ihre Vermögenswerte im Ausland die von Ausländern in den USA um 700 Milliarden Dollar übertrafen, im Jahr 2001 zu einer sehr großen Nettoschuldnernation, der 2 300 Milliarden Dollar weniger an Vermögenswerten im Ausland gehörten, als Ausländer in den USA besaßen. Während sich der Nettobestand amerikanischer Vermögenswerte bereits 1989 negativ entwickelte, war das bei den Nettozahlungen von Zinsen und Dividenden an die USA erst 1998 der Fall (die Abflüsse übertrafen die Zuflüsse).1 Da die Nettoanlageposition der USA durch die fortwährenden Handelsdefizite eine zunehmend negative Tendenz
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aufweisen wird, sollten die Nettodividenden- und Zinszahlungen in den kommenden Jahren rasch wachsen. Deshalb erwartet man, dass das amerikanische Leistungsbilanzdefizit von gegenwärtig 4,5 Prozent des BIP bis zum Ende des Jahrzehnts auf 7 bis 8 Prozent steigen wird, selbst wenn das Handelsdefizit nicht zunimmt. Das sind weit höhere Prozentsätze als die, bei denen andere Länder unweigerlich in Schwierigkeiten geraten.2 Wie auf allen Märkten üblich, wird der Wert des Dollars durch den Kurs festgelegt, bei dem die zum Verkauf stehende Dollarmenge genau mit der zu kaufenden Menge übereinstimmt. Wie viele Dollars will man verkaufen? Wie viele will man kaufen? Zwei Währungsströme fließen in den Dollarmarkt ein. Die erste Gruppe von Geldflüssen betrifft die »Leistungsbilanz«. Wie viele Güter und Dienstleistungen wollen die Amerikaner von der übrigen Welt erwerben? Um die Rechnung zu begleichen, müssen sie Dollars verkaufen, weil sie nur so an die erforderlichen Devisen herankommen. Wie viele Güter und Dienstleistungen wollen Ausländer von den Vereinigten Staaten erwerben? Zur Erfüllung ihrer Wünsche müssen sie im gleichen Umfang Dollars kaufen. Die zweite Gruppe von Geldflüssen betrifft die »Kapitalbilanz«. Wie viel Geld wollen die Amerikaner in die übrige Welt investieren? Dazu müssen sie Dollars verkaufen, um sich in entsprechender Höhe Devisen zuzulegen. Auf diese Weise entsteht ein Angebot an Dollars. Wie viel Geld möchten Ausländer in den Vereinigten Staaten anlegen? Um die dazu nötigen Mittel zu erhalten, müssen sie Dollars kaufen. So entsteht eine Nachfrage nach Dollars. Der Wert des Dollars ist der Kurs, bei dem sich die unterschiedlichen Nachfragen und Angebote entsprechen. Da Dollarangebot und nachfrage insgesamt ausgeglichen sein müssen, ist die Zahlungsbilanz als Ganzes ebenfalls stets ausgeglichen. Wenn ein Defizit der Leistungsbilanz vorliegt (das Angebot an Dollars, das durch amerikanische Käufe ausländischer Güter entsteht, ist größer als die Nachfrage nach Dollars, die sich aus ausländischen Käufen amerikanischer Produkte ergibt), so muss ein genauso großer Überschuss bei der Kapitalbilanz bestehen (die Nachfrage von Ausländern nach Dollars für Investitionen in den USA übertrifft das amerikanische Angebot an Dollars zur Finan-
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zierung von amerikanischen Investitionen im Ausland). Während sich die Ströme mathematisch stets ausgleichen, bleibt die Frage, welcher der beiden Faktoren eine treibende und welcher eine ausgleichende Funktion bei der Festsetzung des Dollarkurses hat. Als ich in den sechziger Jahren als Student meine ersten internationalen Wirtschaftskurse belegte, hörte ich von meinen Professoren in Harvard, die Kapitalbilanz sei die treibende Kraft des Dollarkurses. Der amerikanische Wunsch, ausländische Produkte zu kaufen, sei maßgeblich für das Dollarangebot, und der ausländische Wunsch, amerikanische Produkte zu kaufen, bestimme die Nachfrage nach Dollars. Private Kapitalströme waren gering, da man sie in den meisten Ländern strikt einschränkte. Da damals ein System fester Wechselkurse vorherrschte, in dem Regierungen den Wert ihrer Währung gegenüber dem Dollar beeinflussten, indem sie Dollars kauften oder aus ihren Devisenreserven verkauften, wurden die einzigen wichtigen Kapitalströme von Regierungsentscheidungen zum Eingreifen in die Devisenmärkte ausgelöst. In jener Welt hätte ein amerikanisches Handelsdefizit rasch zu einem Sinken des Dollarkurses geführt (das Angebot übersteigt die Nachfrage), wenn Regierungen nicht zu Interventionen bereit gewesen wären. Mit einem geringer bewerteten Dollar wären ausländische Waren teurer für Amerikaner und amerikanische Waren billiger für Ausländer geworden. Die Amerikaner hätten ihre Käufe ausländischer Produkte rasch verringert, und die Ausländer hätten ihre Käufe amerikanischer Waren rasch erhöht. Die Leistungsbilanz hätte sich ausgeglichen, sobald der Kurs des Dollars auf einem angemessen niedrigeren Niveau stabilisiert gewesen wäre. Vierzig Jahre danach existiert eine ganz andere Welt. Wenn ich selbst Vorlesungen über internationale Wirtschaftslehre halte, erkläre ich, dass die Leistungsbilanz die entscheidende Triebkraft für den Dollarkurs ist. Ein vom Markt bestimmtes System flexibler Devisenkurse hat ein von der Regierung bestimmtes System fester Wechselkurse abgelöst. Die Finanzmärkte haben nun globale Dimensionen, und man hat Kapitalkontrollen fast überall abgeschafft. Kapitalströme, die früher sehr schwach waren, haben sich nun stark ausgeweitet. Alljährlich überqueren Waren und Dienstleistungen im Wert von 5 000 Milliarden
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Dollar die nationalen Grenzen, doch jeden Tag durchlaufen 1 200 Milliarden Dollar die Devisenmärkte der Welt. Innerhalb von nur vier Tagen bewegen die Kapitalmärkte so viel Geld wie sämtliche Exporte der Welt in 365 Tagen. Und an einem ereignisreichen Tag können die Finanzmärkte erheblich mehr als 1 200 Milliarden Dollar in Umlauf bringen. Wenn sich Ausländer Sorgen über den künftigen Kurs des Dollars machten und ihr Geld nach Hause zurückholen wollten oder wenn sich Amerikaner ähnliche Sorgen machten und sich in die Sicherheit von Devisen flüchteten, deren Kurs dem Dollar gegenüber in einer Krise vermutlich anziehen würde, müsste man damit rechnen, dass wahrhaft enorme Beträge die Vereinigten Staaten verlassen. Wenn Kapitalströme das System antreiben, steigt der Dollarkurs, sobald Ausländer mehr Geld in den USA anlegen wollen als Amerikaner in der übrigen Welt. Bei einem höher bewerteten Dollar sind ausländische Produkte billiger für Amerikaner, und sie kaufen mehr davon. Im selben Fall sind amerikanische Produkte teurer für Ausländer, und sie kaufen weniger davon. Die Exporte sinken, die Importe steigen, und ein Handelsdefizit bildet sich heraus. Wenn andererseits die Nettokapitalzuflüsse zurückgehen, verringert sich der Überschuss der Kapitalbilanz und der Dollarkurs fällt. Die Importe verringern sich, da ein viel niedriger bewerteter Dollar zu höheren Einfuhrpreisen führt, und die Exporte steigen, weil die Ausfuhrpreise nun viel niedriger sind. Das Leistungsbilanzdefizit schrumpft. Den Amerikanern fällt es schwer, sich eine von den USA ausgelöste internationale Finanzkrise vorzustellen, da unsere außenwirtschaftlichen Aktivitäten früher nur ein sehr kleiner Schwanz an einem sehr großen Hund waren. Mein Freund Lester Taylor und ich schrieben Ende 1965 für den 1966 Economic Report of the President ein Kapitel, in dem wir versuchten, den Pfad der amerikanischen Wirtschaft für 1966 vorherzusehen. Darin erwähnten wir die übrige Welt kein einziges Mal. Was sich dort abspielte, hatte nicht den geringsten Einfluss auf die amerikanische Wirtschaftsleistung. Die USA waren damals Ölexporteur und importierten nichts von nennenswerter Bedeutung. Heute haben wir es mit einer neuen Realität zu tun. Seit 1965 haben sich Importe und Exporte von 5 auf 30 Prozent des amerikanischen BIP erhöht, und die USA importieren mehr als 60 Prozent ihres
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Öls. Die Ereignisse in der übrigen Welt spielen eine zentrale Rolle, wenn man die Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft in den Jahren 2003 und 2004 vorhersehen will. Sowohl die USA als auch die übrige Welt sind mittlerweile sehr abhängig vom amerikanischen Handelsdefizit und den Kapitalzuflüssen, durch die es aufrechterhalten wird. Diese Zuströme müssen sehr umfangreich sein, da sie sowohl das Handelsdefizit (etwa 450 Milliarden Dollar) absichern sollen als auch die amerikanischen Wünsche, im Ausland zu investieren. In den vergangenen fünf Jahren haben die Amerikaner alljährlich zwischen 350 und 600 Milliarden Dollar in die übrige Welt investiert. Um ihre Wirtschaft vorantreiben zu können, ist die übrige Welt auf die Nettonachfrage in Höhe von 450 Milliarden Dollar angewiesen, die sich aus dem amerikanischen Handelsdefizit ergibt. Sollte das Defizit sich rasch auflösen, würde es zu umfassenden Schäden kommen. Ein Absturz des Dollarkurses würde die existierenden Lieferketten sowohl für amerikanische als auch für ausländische Unternehmen vernichten. Bei einem sinkenden Dollar würden billige Gegenden zur Herstellung von Komponenten teuer und rentable Gegenden für den Verkauf von Fertigwaren unrentabel werden. Es wäre ein ökonomisches Erdbeben, dessen Epizentrum zwar in den Vereinigten Staaten läge, das jedoch den größten Schaden anderswo in der Welt anrichten würde. Wenn der Dollarkurs sinkt, verliert die übrige Welt rasch eine Nachfrage in Höhe von 450 Milliarden Dollar, während das amerikanische Handelsdefizit verschwindet. Auf dem Produktivitätsniveau der USA repräsentiert der Verlust von 450 Milliarden Dollar an Nettoumsatzerlösen die Streichung von 9 Millionen Arbeitsplätzen, doch die Länder, die in die Vereinigten Staaten exportieren, haben ein viel niedrigeres Produktivitätsniveau. In der übrigen Welt stünden ungefähr 20 bis 25 Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Autos sind ein gutes Beispiel. Nach einem heftigen Kurssturz des Dollars könnten sich die Amerikaner die 2,9 Millionen Automobile, die sie im Jahr 2000 importiert haben, nicht mehr leisten. Wenn der Dollar um 40 Prozent fiele, wären diese Autos ungefähr 40 Prozent teurer. Wie lange würden die amerikanischen Hersteller, darunter die
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amerikanischen Werke ausländischer Unternehmen, brauchen, um zusätzliche 2,9 Millionen Fahrzeuge zu liefern? Zurzeit fertigen sie fast 15 Millionen Autos und würden die Produktion nur um 20 Prozent erhöhen müssen. Wahrscheinlich wäre es innerhalb von drei Monaten zu schaffen, denn die Hersteller würden drei statt zwei Schichten pro Tag einführen. Wie lange würden die ausländischen Hersteller der zurzeit in die USA exportierten Autos brauchen, um andere Märkte für 2,9 Millionen Fahrzeuge zu finden? Das wäre unmöglich. Sie würden die ausländischen Anlagen, die diese Automenge gegenwärtig produzieren, schließen müssen. Die Auswirkungen auf Amerika hätten mit den geringeren Devisenzuflüssen zu tun. Sie liefern einige der für Amerikaner nötigen Mittel, um die gewünschten Investitionen im In- und Ausland zu tätigen. Dadurch können die Amerikaner zudem mehr verbrauchen und anlegen, als sie zu Hause produzieren. Ohne jene Mittel würden der amerikanische Konsum und die Inlandsinvestitionen sinken. Es handelt sich nicht um ein hypothetisches Erdbeben, sondern um eines, das definitiv eintreten wird. Die Gesetze der Finanzarithmetik verraten uns, dass kein Land unablässig mit einem hohen Handelsdefizit leben kann. Alljährlich muss Geld geborgt werden, um das Handelsdefizit des laufenden Jahres sowie die Kreditkosten der Vergangenheit zu bezahlen. Da sich das Handelsdefizit fortsetzt, muss man immer mehr Geld aufnehmen, um die Zins- und Dividendenzahlungen für vergangene Kredite abzudecken. Mathematisch muss ein Zeitpunkt erreicht werden, an dem die übrige Welt die erforderlichen Beträge entweder nicht mehr vorstrecken kann oder will. Darüber herrscht allgemeine Übereinstimmung. 1999 sorgte sich der Kongress um das Handelsdefizit und ernannte eine US Trade Deficit Review Commission: sechs Republikaner, darunter Donald Rumsfeld, der heutige Außenminister, Robert Zoellick, der gegenwärtige Handelsbeauftragte, und Anne Krueger, mittlerweile Nummer zwei beim IWF, sowie sechs Demokraten (zu denen auch ich gehörte). Der Ausschuss erstattete dem Kongress am 15. November 2000 Bericht. Der Bericht enthält eine Reihe von Punkten, die wir einstimmig verabschiedeten. Darunter war auch die Schlussfolgerung, dass zwar nie-
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mand vorhersagen könne, wann das Ende kommen werde, dass es jedoch unvermeidlich sei. Mit den Worten der sechs republikanischen Ausschussmitglieder: »Das Handelsdefizit kann sich im Verhältnis zum BIP nicht endlos weiter erhöhen. Irgendwann wird sich die Situation umkehren.«3 Das Fazit war simpel genug: Was geschehen muss (der Dollarkurs wird sinken), wird geschehen. Das ist wahr, obwohl es noch nicht geschehen ist und obwohl bis jetzt alle Experten falsche Voraussagen über den Zeitpunkt gemacht haben. Die Meinungsverschiedenheiten unter den zwölf Ausschussmitgliedern drehten sich darum, ob das Ende in Form einer »weichen Landung« (eine allmähliche Änderung des Dollarkurses und damit des Handelsdefizits über Jahre hinweg) oder einer »harten Landung« (ein jäher Kurssturz des Dollars und die rasche Beseitigung des Handelsdefizits innerhalb von Monaten) kommen werde. Um wieder die sechs republikanischen Mitglieder zu zitieren: »Ein chaotisches Ende mit negativen Folgen für die Gesamtwirtschaft kann nicht völlig ausgeschlossen werden, aber es ist höchst unwahrscheinlich.« Die sechs Demokraten hielten eine harte Landung nicht für sicher, doch für wahrscheinlicher. »Wenn das gegenwärtige Leistungsbilanzdefizit weiterhin wächst, werden wir irgendwann in naher Zukunft die Grenze unserer Fähigkeit erreichen, im Ausland Kredite aufzunehmen, um Handelsdefizite zu finanzieren. Dieser Umstand könnte die Vereinigten Staaten zwingen, das Defizit rasch zu reduzieren und eine ›harte Landung‹ oder eine abrupte Korrektur mit der klaren Möglichkeit der Auslösung einer Rezession zu riskieren. Dies hätte enorme Auswirkungen nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für die Weltwirtschaft.« Um die Gefahr einer unsanften Landung zu verringern, empfahlen die republikanischen Mitglieder, dass »diese Risiken am besten durch die Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse abgewendet werden könnten«. Wenn die Amerikaner mehr sparten, brauchten die USA weniger Kapital zu importieren, und die Chancen einer Attacke auf den Dollar würden abnehmen. Die amerikanischen privaten Ersparnisse sind tatsächlich zu niedrig. Wären sie höher, würde sich das Wachstum verstärken und die Gefahr einer Währungskrise nachlassen. Die privaten Sparquoten sind
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zwischen den Jahren 1992 und 2000 von 9 auf 1 Prozent des verfügbaren persönlichen Einkommens gesunken. Die Unternehmensersparnisse stiegen dagegen, aber nicht hinreichend, um den Rückgang der privaten Sparquote von 15,5 auf 13,4 Prozent des BIP auszugleichen. Die staatlichen Ersparnisse (auf Kommunal-, Staats- und Bundesebene) erhöhten sich gleichzeitig von minus 1,1 auf plus 7,8 Prozent des BIP. Das Nettoergebnis war eine höhere nationale Sparquote: von 14,4 auf 18,6 Prozent des BIP.4 Man füge die Nettokapitalzuflüsse hinzu, und die amerikanischen Investitionen konnten zwischen 1992 und 2000 trotz des Rückgangs der privaten Ersparnisse von 16 auf 22 Prozent des BIP steigen. Der Wirtschaftsboom und die dramatische Zunahme des Produktivitätswachstums in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurden teilweise durch diesen Anstieg der Investitionsausgaben verursacht. Obwohl einige der Ausschussmitglieder inzwischen wichtige Positionen in der Regierung Bush übernommen haben, ist nichts getan worden, um die nationale Sparquote der USA anzuheben. Die Regierung Bush bewegte sich mit ihren beträchtlichen Steuersenkungen von 2001 genau in die entgegengesetzte Richtung. Da ein Überschuss der Bundesregierung definitionsgemäß zu 100 Prozent aus Einsparungen besteht, führt jede Steuersenkung, die eine Verringerung der Regierungsüberschüsse bewirkt, letztlich zu weniger Ersparnissen. Einige dieser Steuersenkungsdollars werden die Bürger ausgeben. Falls die Regierung Überschüsse aufwiese, wäre jede Steuersenkung im Grunde eine bewusste politische Entscheidung, die amerikanische Sparquote zu verringern. Wenn die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse durch Bundesdefizite verringert werden und die Inlandsinvestitionen nicht fallen sollen, dann müssen die Befürworter einer Politik der Haushaltsdefizite der Meinung sein, die zusätzlichen Ersparnisse, die man zur Finanzierung des bestehenden Investitionsniveaus braucht, seien im Ausland zu finden. Also muss mehr Kapital in die Vereinigten Staaten fließen. Doch die erforderlichen ausländischen Mittel dürften nicht zur Verfügung stehen. In den späten neunziger Jahren flossen zwei Drittel der Investitionsmittel, die nationale Grenzen überschritten, in die Vereinigten Staaten. Damit die wirtschaftliche Arithmetik funktioniert, müsste die
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übrige Welt bereit sein, einen größeren Teil ihrer Gesamtersparnisse in die internationalen Märkte zu lenken, oder diese Märkte müssten willens sein, den Vereinigten Staaten einen viel größeren Prozentsatz der existierenden Mittel zuzuteilen. Beides ist unwahrscheinlich. Eine Finanzpolitik zu betreiben, die große Kapitalzuflüsse erfordert, ist vergleichbar mit der Erhöhung des Drucks in einem Dampfkochtopf, der bereits seine Höchstgrenze erreicht oder überschritten hat. Das gilt besonders dann, wenn langsames Wachstum und fallende Börsenkurse den finanziellen Zustrom ebenfalls bremsen. Während sich der Druck auf den Dollarkurs durch aufeinander folgende Handelsdefizite erhöht, unterscheiden sich amerikanische Defizite grundlegend von denen anderer Länder. Obwohl Ökonomen davon sprechen, dass Geld »geborgt« werde, um das Handelsdefizit zu bezahlen, verkauft Amerika in Wirklichkeit Vermögenswerte. Wenn Daimler-Benz Chrysler erwirbt, so dienen die Mittel, mit denen die Chrysler-Aktionäre abgefunden werden, dazu, unsere Leistungsbilanzdefizite zu bezahlen. Wenn die Japaner Immobilien in Amerika kaufen, finanzieren sie das amerikanische Handelsdefizit – genau wie ein Saudi, der sich Dotcom-Aktien zulegt. Amerika hat eine Menge zu verkaufen, nämlich private Vermögenswerte in Höhe von 30 000 Milliarden Dollar. Selbst wenn es bereits Nettoverkäufe von 2 300 Milliarden Dollar getätigt hat, kann noch eine Menge losgeschlagen werden. Wiewohl die USA, technisch gesehen, Geld von anderen Ländern borgen, gibt es einen Unterschied zwischen ihren Schulden und denen der übrigen Welt. Jeder nimmt Kredite in Dollars auf, doch nur Amerika kann Dollars drucken. Dadurch besteht kein Risiko, dass die USA ihre Kredite nicht zurückzahlen werden. Eine Vielzahl von Faktoren hat das amerikanische Handelsdefizit hervorgebracht, und die genaue Kombination dieser Faktoren hat sich mit der Zeit geändert. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren hohe amerikanische Zinssätze der Hauptanreiz für ausländische Anleger. Wegen dieser hohen Zinssätze floss Geld nach Amerika, und der Dollarkurs stieg. In den neunziger Jahren schwand das Zinsgefälle, doch die Anleger der Welt richteten ihre Aufmerksamkeit auf die florierende Börse, die höheren Wachstumsraten und die Führungsrolle der USA in den neuen Branchen der dritten industriellen Revolution. Das
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Gefühl herrschte vor, dass die übrige Welt immer weiter hinter Amerika zurückblieb und dass kluge Anleger einen Teil ihres Kapitals in Amerika investieren sollten. Die Gelder flossen mit Rekordgeschwindigkeit, und der Dollarkurs stieg, was zu immer gewaltigeren Handelsdefiziten führte. Neben dem steigenden Dollarkurs haben etliche andere Faktoren zum amerikanischen Handelsdefizit (oder zum Handelsüberschuss der übrigen Welt) beigetragen. Die hohen Defizite der neunziger Jahre waren teilweise auf eine amerikanische Wirtschaft zurückzuführen, die schneller wuchs als die Wirtschaft aller anderen Länder. Da die Einkommen in Amerika rascher stiegen als in der übrigen Welt, vergrößerten sich die Importe nach Amerika schneller als die Importe (unsere Exporte) in andere Staaten. Die Auswirkungen des höheren Wachstums verschärften sich durch die amerikanische Neigung, Importartikel in der übrigen Welt zu kaufen. Diese Neigung ist um 35 Prozent stärker als die von Ausländern, amerikanische Exportartikel zu erwerben.5 Das raschere Wachstum und die ausgeprägtere Vorliebe für Importe hatten zur Folge, dass das amerikanische Handelsdefizit sehr schnell gewaltige Dimensionen erreichte. Doch wenn man all diese makroökonomischen Faktoren in ein ökonometrisches Modell eingibt, das Handelsdefizite voraussagen soll, liegt das Ergebnis immer noch beträchtlich unter den konkreten Zahlen. Das amerikanische Handelsdefizit unterliegt einem mächtigen Aufwärtsschub, der sich aus vier strukturellen Realitäten ergibt: 1. Die USA waren früher ein Nettoölexporteur, doch heute macht die inländische Ölproduktion einen rapiden Niedergang durch, während der Verbrauch steigt. 60 Prozent des amerikanischen Öls werden mittlerweile eingeführt, und sie repräsentieren mehr als 10 Prozent der Gesamtimporte des Landes. Wenn die Ölpreise anziehen, wie etwa im Jahr 2002, schnellt das Leistungsbilanzdefizit der USA in die Höhe. 2. Amerikanische Unternehmen sind führend beim Vormarsch der Globalisierung. Sie richten viel rascher ausländische Produktionsbasen ein als Firmen aus anderen Teilen der Welt. Fast 50 Prozent der US-Exporte stammen aus den ausländischen Produktionsanla-
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gen amerikanischer Unternehmen, und in manchen Branchen, etwa im Telekommunikationswesen, sind es mehr als 70 Prozent.6 Da diese Firmen all die Produkte in die Vereinigten Staaten einführen, die sie in der Vergangenheit im Inland herstellten, steigen die Importe viel schneller, als man nach einer oberflächlichen Analyse der Einkommensänderungen in Amerika und der übrigen Welt vermuten würde. 3. Man kann sich darüber streiten, ob mehr Importbeschränkungen durch die amerikanische oder durch andere Regierungen ausgesprochen werden. Manche Länder verhängen mehr, viele jedoch auch weniger Handelsbeschränkungen. Vergleiche mit der übrigen Welt hängen davon ab, wie solche Beschränkungen gemessen werden, aber die Unterschiede sind ohnehin nicht groß. Die USA sind viel restriktiver, als die meisten Amerikaner glauben. Man denke an die Stahleinfuhrbeschränkungen der jüngeren Vergangenheit. Die großen Unterschiede haben nichts mit offizieller »Offenheit« zu tun, sondern vielmehr damit, um wie viel leichter die amerikanische Privatwirtschaft unterwandert werden kann. Ausländische Autohersteller brauchen keine Händlerketten einzurichten (wie es in der übrigen Welt Brauch ist), wenn sie ihre Produkte in den USA verkaufen wollen. Sie können auf die schon existierenden Händler zurückgreifen. Einzelhändler wie Wal-Mart lassen amerikanische Lieferanten viel rascher fallen, um sie durch billigere ausländische Lieferanten zu ersetzen, als Einzelhändler in der übrigen Welt es unter ähnlichen Umständen täten. 4. Wenn manche Länder beschließen, ihre Wirtschaftspolitik mithilfe von Handelsüberschüssen zu betreiben, was nachweislich der Fall ist, dann ergibt sich die mathematische Folgerung, dass andere Staaten Handelsdefizite verzeichnen. Im globalen Rahmen müssen sich Handelsbilanzdefizite und -überschüsse auf null summieren. Wenn Japan im Jahr 2001 einen Überschuss von 64 Milliarden, China von 31 Milliarden, Europa von 185 Milliarden und Korea/Taiwan von 51 Milliarden Dollar haben wollen, dann muss jemand anders über ein Defizit von 331 Milliarden Dollar verfügen. Das einzige Land, das groß genug ist, um die gemeinsamen Überschüsse der übrigen Welt zu absorbieren, sind die Vereinigten Staaten.
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Irgendwann wird man sich der systematischen und beharrlichen Verschlechterung der amerikanischen Handelssituation stellen müssen. Es gibt nur zwei offene Fragen: Wann wird sich die unvermeidliche Korrektur vollziehen? Und wenn sie sich vollzieht, werden die Vereinigten Staaten dann eine harte oder eine weiche Landung erleben? Der Zeitpunkt ist unbekannt. Vielleicht braucht man die erforderlichen Anpassungen in den nächsten Jahren noch nicht vorzunehmen. Ein großes Handelsdefizit könnte weitere 20 Jahre lang andauern. Das halte ich für unwahrscheinlich, aber es ist nicht unmöglich.
Harte und weiche Landungen Jeder weiß, was eine harte Landung bedeuten würde: eine eilige Flucht aus Dollaranlagen sowohl durch Ausländer als auch durch Amerikaner und einen Sturz des Dollarkurses, der Importe für die Amerikaner unerschwinglich machen würde. Wenn die übrige Welt plötzlich eine Gesamtnachfrage in Höhe von 450 Milliarden Dollar verlöre, würde sie in eine Rezession absinken. Die höheren Zinssätze, die notwendig wären, um die Kapitalflucht einzudämmen, würden in den Vereinigten Staaten sehr bald zu einer scharfen Wirtschaftskontraktion führen. Beides zusammen würde einen heftigen globalen Konjunkturabschwung verursachen. Bei Handelsdefiziten von der Größenordnung, wie sie nun in den USA zu beobachten sind, gibt es keine historischen Beispiele für weiche Landungen. Hätte irgendein anderer Staat diese Defizite aufzuweisen, würde man eine harte Landung für wahrscheinlich halten. Da dies eine Katastrophe nicht nur für Amerika, sondern auch für die Weltwirtschaft wäre, ist von einer harten Landung zumeist keine Rede – nicht, weil sie unmöglich wäre, sondern weil sie undenkbar zu sein scheint. Während die Auswirkungen einer harten Landung bekanntermaßen teuer wären, werden die wirtschaftlichen Folgen einer weichen Landung nicht mit der gleichen Klarheit erörtert. Bei einer weichen Landung würde das Handelsungleichgewicht durch ein allmähliches Sinken des Dollarkurses sowie durch die Reduktion der amerikanischen
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Wachstumsrate, verglichen mit der übrigen Welt, behoben. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich, dass eine weiche höchstwahrscheinlich rasch zu einer harten Landung eskalieren würde. Der Erste, der sein Dollarvermögen umtauscht, ist siegreich, der Letzte wird zum Verlierer. Der sehr reale Anreiz, der Erste zu sein, ist genau das, was harte Landungen verursacht. Deshalb sind weiche Landungen dünn gesät. Diejenigen, die an eine weiche Landung glauben, behaupten, die Situation in den Vereinigten Staaten sei anders. Da die USA ihre eigene Währung (Dollar) borgen würden, könnten die Devisenreserven, die zur Rückführung von Kapital erforderlich sind, nie ausgehen. Gewiss, das Risiko einer Nichtzahlung ist bei amerikanischen Schulden nicht gegeben, aber es ist weniger die Möglichkeit eines totalen Zahlungsversäumnisses als die Chance hoher Verluste, welche die Investoren die Flucht ergreifen lässt. Nur wenige ausländische Anleger werden einfach stillsitzen und dauernde Wertsenkungen ihres Dollarvermögens hinnehmen, auch wenn sie wissen, dass ein Zahlungsversäumnis unmöglich ist. Anleger suchen gewöhnlich dann das Weite, wenn sie meinen, dass der Marktwert ihrer Investitionen fallen könnte. Ihre Panik setzt sozusagen schon ein, bevor sie fürchten, dass ihr Vermögen demnächst ausgelöscht wird. Mithin ist die Kreditaufnahme in der eigenen Währung keine besonders gute Absicherung gegen Kapitalflucht. Diejenigen, die an eine weiche Landung glauben, behaupten häufig, es gebe keinen anderen Fluchtort für Personen, die ihr Geld aus den Vereinigten Staaten abziehen möchten.7 Aber das stimmt nicht, denn Japan und Europa gemeinsam besitzen eine Wirtschaft, die größer ist als jene der Vereinigten Staaten. Yen und Euro sind brauchbare Alternativen zum Dollar. Es gibt vernünftige Orte, zu denen man fliehen könnte. Wie auch immer, langfristige Vernunft ist mitten in einer finanziellen Panik eher selten. Diejenigen, die als Erste verschwinden, werden siegen, aber nicht alle können Erfolg haben, wenn sie nahezu gleichzeitig das Weite suchen. Die von einer weichen Landung Überzeugten bringen auch vor, dass ausländische Regierungen eine harte Landung nicht zulassen würden, da sie wissen, dass der Schaden für ihre eigene Wirtschaft viel größer wäre als für die amerikanische. Ausländische Regierungen sind sich unzweifelhaft über diese Tatsache im Klaren, aber nicht sie sind es, die die
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Flucht aus dem Dollar beginnen werden. Es sind Privatanleger – und nicht einmal unbedingt ihre eigenen. Wenn der Rückzug beginnt, dann wird er vermutlich von Amerikanern eingeleitet, die eine Gelegenheit sehen, durch die Abwanderung in teurer werdende Devisen mit besseren Wachstumsaussichten reich zu werden. In Währungskrisen sind es fast immer die Einheimischen, die als Erste die Flucht ergreifen. Sie beobachten die lokalen Verhältnisse aus nächster Nähe, haben das meiste zu verlieren und stürmen vor allen anderen zum Ausgang. Nach Meinung derjenigen, die an weiche Landungen glauben, würden ausländische Regierungen angesichts der ihnen drohenden Gefahr eiligst Dollars kaufen, um deren Kurs zu stützen. Vielleicht, aber die Interventionen müssten zügig und umfassend sein. Zudem müssten die betreffenden Regierungen ihren Steuerzahlern erklären können, warum sie, obwohl sie im Durchschnitt ärmer als die Amerikaner sind, ihr Geld zur Verfügung stellen sollten, um den amerikanischen Lebensstandard zu sichern. Aus der Perspektive anderer Länder wäre dies die richtige Handlungsweise, doch die Gründe zu erklären würde ihnen nicht leicht fallen. Es ist schwierig, den auf dem System lastenden Druck zu beseitigen, da das Leistungsbilanzdefizit nur ausgeglichen werden kann, wenn man die gewaltige Diskrepanz zwischen Exporten (1 298 Milliarden Dollar) und Importen (1 655 Milliarden Dollar) überwindet.8 Der Ausgleich würde einen Sturz des Dollarkurses verlangen, der kräftig genug wäre, um das Handelsdefizit auszulöschen und um einen Handelsüberschuss zu schaffen, der die Zins- und Dividendenzahlungen für ausländische Anlagen in den Vereinigten Staaten abdecken würde. In der einzigen Untersuchung, die sich auf diese Frage konzentriert, wird geschätzt, dass eine kurzfristige Abwertung des Dollars von 40 Prozent und eine langfristige Abwertung von 25 Prozent nötig wären, um das erforderliche Gleichgewicht herzustellen.9 In solchen Schätzungen wird vorausgesetzt, dass die Finanzmärkte nicht überreagieren würden, doch genau das ist für sie typisch. Der Dollar würde direkt aus der Über- in die Unterbewertung rutschen und wahrscheinlich mehr als die angenommenen 40 Prozent verlieren. Selbst wenn es nicht zu einer Überreaktion käme, dürfte die Schätzung von 40 Prozent allzu bescheiden sein. Was geschehen müsste, lässt sich
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nicht aus ökonometrischen Untersuchungen früherer marginaler Maßnahmen ableiten. Dies ist viel mehr als eine marginale Korrektur. Da Fertigwaren 80 Prozent des Welthandels ausmachen, würde der Bilanzausgleich größere Exporte und geringere Importe solcher Produkte voraussetzen. Die amerikanische Fertigungsindustrie müsste ihre Produktion enorm erhöhen, nämlich um ein Drittel. Zurzeit verfügen die USA jedoch nicht über die notwendige Herstellungskapazität. Davon abgesehen müssen auch neuere Fertigungskompetenzen geschaffen werden, die bisher nicht existieren. Was die übrige Welt importieren möchte (zum Beispiel Werkzeuggeräte) und was Amerika heute importiert (zum Beispiel elektronische Bauteile) ist nicht das, was gegenwärtig in den USA hergestellt wird. Es würde einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen, die neuen Kompetenzen und Kapazitäten aufzubauen. Neue Fabriken müssten errichtet werden, und es wäre nötig, Arbeits- und Führungskräfte in hoher Zahl in neue konkurrenzfähige Export- oder Importsektoren der Fertigungsindustrie umzulenken. Anleger bräuchten die Gewissheit, dass der Dollar lange auf einem niedrigen Stand bliebe, damit sie angemessene Erträge für neue Investitionen erhielten. All das braucht Zeit. Das Öl erschwert die Probleme. Da die Ölpreise heute in Dollar angegeben werden, würde eine Dollarabwertung technisch gesehen keinen höheren Preis für die Amerikaner nach sich ziehen. Allerdings würde Öl für die übrige Welt viel billiger werden. Doch wenn der Dollarkurs fiele, hätten die Öl exportierenden Länder einen enormen Anreiz, den Ölpreis an andere Währungen zu koppeln. Sonst wären sie nicht mehr in der Lage, genauso viele japanische oder europäische Waren zu kaufen wie heute, und müssten einen starken Rückgang ihres eigenen Lebensstandards hinnehmen. Sollten die Ölexporteure auf andere Währungen ausweichen, würden die Ölimporte viel teurer für die USA. Und die amerikanische Nachfrage ist nicht sehr flexibel: Eine 30-prozentige Erhöhung des Ölpreises führt zu einer 3-prozentigen Verringerung der Kaufmenge.10 Es gibt keine inländischen Vorkommen – und wird sie auch in Zukunft nicht geben –, die groß genug wären, die Importe zu ersetzen. Während die Dollarkosten von Ölimporten steigen, erhöht sich auch das Aus-
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maß der Dollarabwertung, die nötig ist, um das Handelsdefizit zu beseitigen. Wenn man einen erforderlichen Kursverfall von 40 Prozent für den Ausgleich der Leistungsbilanz annimmt, so impliziert man, dass der Ölpreis weiterhin in Dollar festgesetzt wird. Oftmals heißt es, die notwendigen Exporte seien im Dienstleistungssektor zu finden, in dem die USA einen Handelsüberschuss aufweisen. Diese These übersieht, dass der internationale Dienstleistungshandel gering ist und durch die Vorschriften ausländischer Regierungen eingeschränkt wird. All diese Faktoren lassen vermuten, dass nicht einmal eine 40-prozentige Dollarabwertung genügen würde, um das amerikanische Leistungsbilanzdefizit auszugleichen. Aber selbst wenn diese Schätzung zutrifft, ist sie bereits hoch genug, um sowohl Amerikaner als auch Ausländer zur Flucht aus Dollaranlagen zu veranlassen. Was als weiche Korrektur begann, würde zu einer harten Landung werden, wenn die Investoren einsähen, wie stark der Dollarkurs fallen müsste. Langsameres Wachstum, der zweite Weg zu einer weichen Landung, ist noch weniger attraktiv. Um das Leistungsbilanzdefizit durch niedrigeres Wachstum auszugleichen, wäre eine gewaltige amerikanische Rezession erforderlich. Gemäß den üblichen Schätzungen der amerikanischen Importnachfrage müsste das BIP um mehr als 20 Prozent reduziert werden, um die US-Leistungsbilanz auszugleichen. Selbst wenn die Amerikaner bereit wären, eine einmalige 40-prozentige Einkommenssenkung hinzunehmen, hätte die Möglichkeit des langsameren Wachstums sehr wenig Anreize zu bieten. Da die Nachfrage der Amerikaner nach Importen schneller steigt, wenn sich ihre Einkommen erhöhen, als die Nachfrage der übrigen Welt nach amerikanischen Exporten, wenn die ausländischen Einkommen steigen, müssten die USA auf ewig langsamer wachsen als die übrige Welt, falls Wachstum das ausgleichende Element für die Leistungsbilanz sein sollte. Von sieben kürzlich durchgeführten Studien, in denen man versuchte, die Nachfrageelastizität nach Importen bei amerikanischen Einkommen und die Nachfrageelastizität nach amerikanischen Exporten bei ausländischen Einkommen zu schätzen, wurde sie nur in einer einzigen für ungefähr gleich befunden.11 In sechs Untersuchungen stieß man auf große Differenzen. Nimmt man den Durch-
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schnitt aller sieben Untersuchungen, so ergibt sich die Schlussfolgerung: Wenn die übrige Welt langfristig um 4 Prozent pro Jahr wüchse, müsste Amerika für immer um 3 Prozent wachsen, um seine Leistungsbilanz auszugleichen. Ich betone: für immer. Die USA müssten bereit sein, einen Lebensstandard zu akzeptieren, der verglichen mit jenem der übrigen Welt permanent niedriger würde. Damit wäre eine weiche Landung unannehmbar. Außerdem wüssten amerikanische und ausländische Investoren, dass die USA permanent viel langsamer wachsen als die übrige Welt. Dieses Wissen allein würde eine weiche Landung zu einer harten machen. Warum sollte jemand Geld in einem Land anlegen, das viel langsamer wächst als die übrigen Staaten? Die Kapitalzuflüsse würden aufhören und die -abflüsse beginnen. Das Problem besteht, wie wir im letzten Kapitel sehen werden, nicht darin, was getan werden muss, sondern darin, wie wir uns motivieren können, es zu tun. Die Prophezeiungen einer amerikanischen Zahlungsbilanzkrise sind so oft gehört worden, ohne sich je zu bewahrheiten, dass man diese Warnrufe nun völlig ignoriert. Der Bericht der US Trade Deficit Review Commission wurde nicht zur Kenntnis genommen. Niemand wird eine amerikanische Zahlungsbilanzkrise für möglich halten, bevor sie eintritt. In diesem Sinne wird man an die Meldungen über mögliche terroristische Angriffe erinnert, die Präsident Bush vor dem 11. September erhielt. Nichts zu tun ist die Methode, für die man sich entschieden hat.12 Empfehlungen wie: »Die Amerikaner sollten ihr Wirtschaftssystem umstrukturieren, um höhere Sparquoten hervorzubringen« werden missachtet werden. Die Regierung Bush ignorierte entsprechende Ratschläge, obwohl sie von ihren eigenen Kabinettsmitgliedern ausgesprochen wurden. Die Empfehlung, dass Staaten ihre etwaigen Überschüsse abbauen sollten, ist ebenfalls sehr sinnvoll, da die Vereinigten Staaten nur dann über ein Handelsdefizit verfügen können, wenn andere Länder Handelsüberschüsse zu verzeichnen haben. Wenn die Letzteren Abhilfe schaffen, steigern sie ihre Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, sodass sich die Weltwirtschaft ausweitet. Wenn Länder mit Defiziten gezwungen sind, Abhilfe zu schaffen, müssen sie ihre Nachfrage nach
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Waren und Dienstleistungen reduzieren, und die Weltwirtschaft wird kleiner. Aber diese Empfehlungen sind schon oft ausgesprochen worden, und man wird sie in den Ländern mit hohen Überschüssen genauso ignorieren, wie die Vorschläge, die Sparquoten zu erhöhen, in den USA überhört werden. Offensichtlich wird man weder in Amerika noch im Ausland Maßnahmen ergreifen, um eine Dollarabwertung zu verhindern. Die Amerikaner werden warten, bis es zu einem Angriff auf den Dollar kommt, und erst reagieren, wenn sie wissen, wie viel Schaden angerichtet worden ist. Bei Devisenkrisen hat der IWF ein Standardrezept: Man hebe die Zinssätze drastisch an, um Kapitalflucht zu verhindern und um Kapitalzuflüsse zu fördern. Man erhöhe die Steuern, kürze die Ausgaben und erzeuge einen Haushaltsüberschuss, wodurch die lokalen Ersparnisse zunehmen, der Konsum zurückgeht und die Importe verringert werden. Wenn dieses Rezept in einer Devisenkrise auf die USA angewandt wird, so ist es genau das falsche. Eine amerikanische Rezession infolge hoher Zinssätze und fiskalischer Einschränkungen würde eine Rezession der übrigen Welt, hervorgerufen durch Kontraktionen der Lieferketten, noch verschlimmern. Aber es wird politische Schwierigkeiten aufwerfen, wenn man argumentiert, dass Amerika anders behandelt werden solle als die übrigen Länder. Der IWF wird offiziell geradezu fordern müssen, dass die Vereinigten Staaten das tun, was allen anderen befohlen wird: Zinsen und Steuern zu erhöhen und die Ausgaben zu senken. Da die USA die Dollars des Internationalen Währungsfonds nicht benötigen, um die Krise einzudämmen, wird der IWF nicht die Macht haben, dem Land seine Meinungen aufzuzwingen, doch Rufe nach einer energischen Sparpolitik werden die Situation zweifellos verwirren. Wie es bei Devisenproblemen in allen Ländern der Fall ist, werden auch die Amerikaner und ihre Regierung rasch ausländische Spekulanten verantwortlich machen. Enormer politischer Widerstand wird sich dagegen erheben, dass »Ausländer« den Amerikanern vorschreiben könnten, wie sie ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln hätten. »Zum Teufel mit ihnen.« In Krisen ist das Unerwartete zu erwarten. Zweifellos gibt es Aspekte einer Flucht aus dem Dollar, die man sich heute noch nicht vor-
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stellen kann. Deswegen ist es sinnvoll, Pläne für den Notfall zu haben. Dies war eine der Empfehlungen der demokratischen Mitglieder der US Trade Deficit Review Commission, aber soweit bekannt ist, wird sie von der Regierung Bush nicht zur Kenntnis genommen, da die republikanischen Ausschussmitglieder eine abweichende Meinung vertraten. Einfach ausgedrückt, ein Kurssturz des Dollars wird der Welt potenziell das zufügen, was der Zusammenbruch des Bankensystems den Vereinigten Staaten zu Beginn der Weltwirtschaftskrise angetan hat: Er wird die globale Wirtschaft in den Abgrund sinken lassen. Die Regierung Hoover wusste nicht, was sie nach dem Börsenkrach von 1929 tun sollte, und unternahm deshalb überhaupt nichts. Dadurch fiel das monetäre BIP um 46 und das reale BIP um 31 Prozent. Heutzutage ist die Option, nichts zu tun, sogar noch wahrscheinlicher. In den dreißiger Jahren besaß Amerika eine Regierung, die sowohl die Pflicht als auch die Macht zur Intervention hatte. Wenn dagegen im 21. Jahrhundert eine amerikanische Währungskrise ausbricht, wird es keine Weltregierung geben, die die Pflicht oder die Macht hätte, die Abwärtsspirale zu stoppen. Das einzige Land, das groß genug ist und die erforderliche globale Mentalität besitzt, wäre der von der Krise heimgesuchte Staat. Was wird im Verlauf und unmittelbar nach dem tiefen Sturz des Dollarkurses aus der Globalisierung? Fakt ist, dass niemand es weiß. Aber wenn es eine Krise gibt, die das globale System zerstören könnte, dann dürfte es die heutige sein. Letztendlich mag es sehr verheißungsvoll wirken, Handels- und Investitionsschranken zu errichten und sich in die stärker isolierten Volkswirtschaften zurückzuziehen.
Geistige Eigentumsrechte Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Möglichkeit, die daraus hervorgehenden Erzeugnisse zu besitzen, bilden den Kern des Kapitalismus. Eigentumsrechte erlauben Unternehmen, ihre Güter und Dienstleistungen zu kaufen und zu verkaufen. Ohne sie könnte eine Marktwirtschaft nicht existieren. Im Kapitalismus muss jeder wissen, wem was gehört und wer das Recht hat, was zu verkaufen.
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Eigentumsrechte bieten Unternehmen einen Anreiz, in Produktionsanlagen zu investieren und mehr Güter und Dienstleistungen zu erzeugen. Niemand pflanzt Apfelbäume, wenn man ihm nicht garantiert, dass ihm die Äpfel gehören werden. Eigentumsrechte veranlassen die Menschen, in die Verbesserung des Wertes schon bestehender Anlagen zu investieren. Der Einsatz kann später zurückgewonnen werden, wenn man die Immobilien verkauft. Eigentumsrechte liefern den Anreiz, den klügsten Gebrauch von Vermögenswerten zu machen. Der Meeresfischfang zerstört sich selbst, weil er über keine Eigentumsrechte verfügt. Jeder hat ein Motiv, so viele Fische wie möglich zu fangen und jemand anderem die Sorge um die Überfischung zu überlassen. Wenn man nicht sämtliche Fische des Meeres fängt, wird jemand anders es tun. Auch die Umweltverschmutzung geht aus einem Mangel an Eigentumsrechten hervor. Jeder hat einen Grund, seinen Abfall in der Luft oder im Wasser abzuladen, da sie niemandem gehören und da für ihre Nutzung nichts bezahlt werden muss. Um die erste industrielle Revolution einleiten zu können, mussten die physischen Eigentumsrechte klarer festgelegt werden. Die Einhegungsbewegung (die Verwandlung von Gemeindeland in Privatboden) stellte einen wichtigen Schritt dar. Der Feudalismus konnte mit einem vagen Kollektiveigentum leben, der Kapitalismus jedoch nicht. Jemand musste die Kohlebergwerke, die für den Antrieb der Dampfmaschine erforderlich waren, besitzen und ein Motiv haben, in sie zu investieren. Somit stehen Systeme der intellektuellen Eigentumsrechte im Mittelpunkt der heutigen wissensgestützten Wirtschaft. Wissen ist nicht gratis zu haben. Wie beim Goldabbau müssen Investitionen getätigt werden, um es hervorzuholen. Ähnlich wie Goldschürfer nur dann arbeiten, wenn sie das von ihnen entdeckte Gold behalten dürfen, schürfen geistige Bergarbeiter nur dann nach Wissen, wenn sie die gewonnenen Kenntnisse behalten dürfen. Die Fortschritte auf den Gebieten der Mathematik, der Software, der Biogenetik und der Geschäftsmethoden hängen alle bis zu einem gewissen Grade von Patenten, Urheberrechten und Markenzeichenschutz ab. In der dritten industriellen Revolution werden geistige Eigentumsrechte wichtiger, während andere Quellen des Wettbewerbsvorteils versiegt sind. Früher setzten Firmen sich durch, weil sie einen besseren
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und billigeren Zugang zu Rohstoffen hatten. Heutzutage kann sich jeder Rohstoffe zu günstigen Weltmarktpreisen kaufen. Stahlunternehmen aus Ländern ohne Eisen oder Kohle (Korea) vermögen sich an die Weltspitze zu setzen. Früher war die geografische Lage der Schlüssel zum Erfolg, doch heute können die Märkte aus jedem Teil der Welt bedient werden. Niemand setzt sich nur deshalb durch, weil er mehr Kapital besitzt als jeder andere in derselben Branche. Kapital ist überall verfügbar, und jeder hat Zugang zu Führungspersonal von den besten Universitäten. Die einzige Quelle wirklicher Wettbewerbsvorteile sind Technologien, die niemand anders besitzt, oder Markennamen, durch die man sich von der Konkurrenz abhebt. Beide sind auf Systeme zum Schutz von Patenten, Urheberrechten und Markenzeichen angewiesen. Die Geschichte der privaten Eigentumsrechte ist dadurch geprägt, dass die Gesetzgebung allmählich neue Rechte einführt, um die voranschreitenden Wirtschaftssysteme einzuholen. Bevor die Landwirtschaft erfunden wurde, benötigte man nicht einmal ein System des kollektiven Grundbesitzes. Nomadische Jäger und Sammler konnten darauf verzichten. Ein System der Abbaurechte war überflüssig, bevor Bergwerke ausgehoben werden konnten. Genauso wenig macht sich heutzutage jemand Sorgen darüber, wem der Mond gehört. Es hat keinen Sinn, etwas zu besitzen, das niemand verwerten kann. Andererseits ist das Eigentum am Meeresboden durch die Möglichkeit von Tiefwasserbohrungen nach Öl zu einer umstrittenen Frage geworden. Während sich physische Eigentumsrechte über einen langen Zeitraum hinweg nach und nach ausgeweitet haben, sind geistige Eigentumsrechte eine relativ neue Schöpfung. Die alten Griechen glaubten nicht, dass Wissen jemandes Besitz sein oder verkauft werden könne.13 Die vorneuzeitlichen chinesischen, islamischen, jüdischen und christlichen Gesellschaften wiesen sämtlich den Gedanken des menschlichen Eigentums an Ideen zurück. Erst die Druckerpresse ließ die Frage aufkommen, wem die in Büchern veröffentlichten Ideen und Texte gehörten. Zuvor waren die Kopiertechniken zu teuer gewesen, um das Eigentum an Ideen zum Thema zu machen. Danach erhoben Autoren allmählich den Anspruch, Schöpfer ihrer eigenen Werke und nicht nur Vermittler von Gottes ewigen Wahrheiten zu sein.14 In jedem Stadium der Ausweitung von Eigentumsrechten argumen-
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tieren die Gegner, Gott habe den betreffenden Naturschatz (Land, Nahrung, Musik, Geschichten, Technologie) geschaffen, damit er von jedermann gleichermaßen genutzt werden könne. Es widerspreche Gottes Plan, einzelnen Menschen das Eigentum an dem jeweiligen Naturschatz einzuräumen. Heute sind die gleichen Argumente im Zusammenhang mit der Biotechnologie zu hören. Es sei nicht richtig, wenn Individuen eine Pflanze, ein Tier oder ein Stück des menschlichen Genoms patentieren lassen könnten. Denn Gott habe die Lebewesen geschaffen. Es gibt Alternativen zu den Systemen privater Eigentumsrechte. Zum Beispiel kam man unter dem Kommunismus ohne sie aus. Wo private Eigentumsrechte nicht existieren, nimmt ein Kollektivgebilde, etwa der Staat, die erforderlichen Investitionen in Produktionsanlagen vor, verbessert und wartet bestehende Anlagen, verhindert Abnutzung und, was am wichtigsten ist, fördert die Erfindung neuer Dinge, die das Leben angenehmer machen. In hohem Maße sind private Eigentumsrechte und Sozialismus nur unterschiedliche Wege, die zum selben Ziel führen. Keine reale Wirtschaft hat sich jemals ausschließlich auf Eigentumsrechte gestützt. Es gibt immer Dinge – zum Beispiel Straßen und Erziehungswesen –, die kollektiv verwaltet werden. Keine reale Wirtschaft hat aber auch je auf private Eigentumsrechte verzichtet. Es gibt immer Dinge, die privat verwaltet werden, zum Beispiel die persönlichen Habseligkeiten in einem Kibbuz. Die Frage ist stets, wo genau die Grenze zwischen kollektivem und privatem Eigentum gezogen werden sollte. Man kann sie an unterschiedlichen Stellen ziehen, aber der Kapitalismus funktioniert nur dann, wenn der Verlauf der Grenze eindeutig ist. Am Ende erwiesen sich die staatlichen Investitionen unter dem Kommunismus als kein guter Ersatz für private Eigentumsrechte unter dem Kapitalismus. Der Kommunismus verstand sich nicht schlecht darauf, in neue Produktionsanlagen zu investieren, aber er versagte völlig infragen der Instandhaltung. Neue Wohnhäuser waren sehr bald in einem schäbigen Zustand, die Umweltverschmutzung geriet außer Kontrolle, und die Kreativität beschränkte sich auf den militärischen Bereich. Wenn sich der Sozialismus zurückzieht, ist die logische Folge, dass die Lücken durch eine Erweiterung der privaten Eigentumsrechte gefüllt werden müssen.
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In den meisten entwickelten Ländern machen die Forschungs- und Entwicklungsgelder der Regierung nur einen Bruchteil der Gesamtausgaben auf diesem Gebiet aus. Wenn die Regierungen von der Aufgabe zurücktreten, neues Wissen zu liefern, muss die Privatindustrie ihre Aktivitäten steigern, damit das Gesamtniveau unverändert bleibt. Aber das kann nur geschehen, wenn Privatunternehmen es mit einem System der geistigen Eigentumsrechte zu tun haben, durch das sie ihre Investitionen allem Anschein nach zurückerhalten und gute Erträge erzielen können. Infolge all dieser Faktoren spielen die geistigen Eigentumsrechte eine wesentlichere Rolle als in der Vergangenheit. Das lässt sich am schlagartigen Wachstum des Einsatzes und der Bedeutung von Patenten ablesen. In der entwickelten Welt stieg die Nachfrage nach internationalen Patenten bei der WTO in den beiden Jahren von 1999 bis 2001 um 25 Prozent.15 In den Vereinigten Staaten hat sich die Zahl der Patentanträge innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelt.16 Amerikanische Firmen verdienen mehr als 36 Milliarden Dollar durch Patentlizenzen.17 Beim bestehenden System der geistigen Eigentumsrechte treten zwei entscheidende Probleme auf. Erstens ist das gegenwärtige System nicht auf die heutigen Technologien eingestellt. Was sich im 19. Jahrhundert für die Welt des Maschinenbaus eignete, ist im 21. Jahrhundert nicht unbedingt tauglich für die Welt der Biotechnologie. Neue Technologien haben potenziell neue Formen der geistigen Eigentumsrechte geschaffen. Welche derartigen Rechte existieren, wenn jemand die Funktionsweise eines Gens entdeckt? Könnte man genetische Teile von Pflanzen, Tieren und Menschen patentieren lassen? Welche Eigentumsrechte gibt es, wenn Menschen neue Gene aufbauen, die ihre mangelhaften natürlichen Gene ersetzen? Wem gehören die neuen Pflanzen und Tiere, die entstehen werden? Neue elektronische Technologien haben außerdem zur Folge, dass alte Rechte nicht mehr vollstreckbar sind. Wenn man Bücher, Musik und Filme ungehindert aus einer elektronischen Bibliothek herunterladen kann, was hat ein Copyright dann noch zu bedeuten? Zwar kann man das Aussehen von Software und die von ihr ausgelösten Gefühle
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nicht patentieren lassen, doch darf man sie selbst legal kopieren, solange man nicht genau die gleichen Programmcodes benutzt. Was hat ein Softwarepatent in diesem Fall zu bedeuten? Gesetze, die nicht vollstreckt werden können, sind schlechter als überhaupt keine Gesetze, da sie Verachtung für das Rechtssystem hervorrufen. Zweitens gibt es keine globale Struktur vollstreckbarer geistiger Eigentumsrechte. Dies war eines der Hauptziele der GATT-Handelsrunde in Uruguay. Zwar verabschiedete man das so genannte TRIPS (TradeRelated Aspects of Intellectual Property Rights) -Abkommen über die Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, die den Handel betreffen, doch der größte Teil seiner Anwendungen wurde verschoben. Einige Punkte treten sogar erst im Jahr 2016 in Kraft. Seitdem ist deutlich geworden, dass geistige Eigentumsrechte ökonomisch wichtiger sind, als man zur Zeit der Uruguay-Runde dachte. Deshalb ist heute niemand mehr mit dem zufrieden, was damals ausgehandelt wurde, und die bereits in Kraft getretenen Bestimmungen werden nicht befolgt. Die Regierungen armer Länder glauben, keine Vorteile zu erhalten, und die Regierungen reicher Länder meinen, nicht geschützt zu werden. Es steht nicht fest, dass man TRIPS je in die Praxis umsetzen wird. In der Doha-Welthandelsrunde steht die Verfeinerung von TRIPS auf der Tagesordnung. Die gegenwärtigen Diskussionen konzentrieren sich darauf, die bisher noch nicht gültigen Bestimmungen abzuschwächen. TRIPS darf der Volksgesundheit nicht im Weg stehen, deshalb will man die Patentierung neuer Pflanzen und Tiere einengen.18 Das Ergebnis ist, dass es auf globaler Ebene keine von allen vereinbarten Vorschriften, keine Vollstreckungsbehörden und keine Rechtsordnung zur Beilegung von Disputen gibt. Doch wenn das System der geistigen Eigentumsrechte nicht im globalen Rahmen gilt, kann es nicht realisiert werden. Illegale Tätigkeiten können einfach in Regionen verlegt werden, wo sie legal sind oder wo man die Gesetze nicht vollstreckt. Die Verluste sind gewaltig. Man schätzt, dass globale Urheberrechtsverletzungen die amerikanische Wirtschaft jährlich mehr als 8 Milliarden Dollar und die europäischen Volkswirtschaften mehr als 9 Milliarden Euro kosten.19 Patentverletzungen sind noch folgenreicher. Der Weltführer im Bereich der Softwarepiraterie scheint Vietnam zu sein, wo man 97 Prozent der verwendeten Software illegal vervielfältigt.20
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Indien erkennt Arzneimittelpatente nicht an. Trotz seiner Größe verdrängen die dort angefertigten Kopien die Produkte der Erfinder nicht nur auf dem indischen Subkontinent. An den meisten Apotheken Afrikas könnte man ein Schild mit der Aufschrift »Made in India, sold in Africa« anbringen. Diese Missachtung von Patenten bedeutet, dass sich in Indien keine schöpferische Arzneimittelbranche entfalten kann, denn jeder weiß, dass sich Gelder, die man für die Entwicklung von Arzneimitteln für den indischen Markt ausgäbe, nicht amortisieren könnten, weil andere indische Unternehmen die Medikamente kopieren (stehlen) würden.21 Vielleicht ließe sich verstehen, dass Patente für lebensrettende Arzneimittel nicht respektiert werden, doch die Inder haben genauso wenig Achtung vor den Urheberrechten für MusikCDs, die mit Leben oder Tod nichts zu tun haben. Da es kein globales System der geistigen Eigentumsrechte gibt, besteht die heutige Lösung im Wesentlichen darin, dass die Vereinigten Staaten andere Länder schroff auffordern, geistiges Eigentum auf amerikanische Art zu schützen. China und Israel stehen ganz oben auf der Liste der größten Missetäter, die das amerikanische Außenministerium angelegt hat. Bevor China der WTO beitrat, hatte es nie offiziell einen Vertrag zum Schutz geistiger Eigentumsrechte unterzeichnet, doch es hatte sich inoffiziell verpflichtet, gegen Softwarepiraten vorzugehen. Dieses Versprechen wurde nicht erfüllt. In China werden 95 Prozent der verwendeten Software illegal kopiert. Microsoft und andere Unternehmen verlieren allein in China 16 Milliarden Dollar an potenziellen Umsätzen.22 Israel hält sich offiziell an das amerikanische System des geistigen Eigentumsschutzes, doch das ist reine Theorie. Im zentralen Busbahnhof von Süd-Tel Aviv finden sich Dutzende von Läden, die nichts als illegal vervielfältigte Waren verkaufen. Der Busbahnhof ist voll von Sicherheitsposten, die alles andere beschützen, nicht jedoch die geistigen Eigentumsrechte. Und Israel ist nicht allein. Viele Länder sind offiziell Mitglieder eines der bestehenden Schutzabkommen, ohne ihre eigenen Gesetze jedoch zu vollstrecken. Nationale Richtlinien, die man für fortgeschrittene Länder wie die Vereinigten Staaten entwickelt hat, können nicht zum allgemeinen Weltstandard werden. Sogar in Amerika, Europa und Japan gibt es unterschiedliche Regeln für den Schutz der geistigen Eigentumsrechte. Der größte Unter-
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schied ist, dass in Amerika das Patent demjenigen erteilt wird, der beweisen kann, dass er der Erfinder ist, während es in Japan und Europa an den ersten Antragsteller geht. Das amerikanische System begünstigt den unabhängigen Erfinder, während das europäisch-japanische System Großunternehmen hilft, die es sich leisten können, eine Menge Patentanträge zu stellen, bevor sie genau wissen, ob eine Idee erfolgreich und wertvoll sein wird. Sie lassen einfach sämtliche technischen Möglichkeiten in der Hoffnung patentieren, dass eine davon die richtige ist. Wenn die Welt kein funktionsfähiges System der geistigen Eigentumsrechte hat, wird sie enorme Verluste erleiden. Niemand möchte, dass sein Vater oder seine Mutter der Alzheimerkrankheit zum Opfer fällt. Um eine Heilmethode zu finden, müssen gewaltige Summen in die Biotechnologie investiert werden. Dazu wird es nicht kommen, wenn die Investoren keinen Gewinn erwarten können. Niemand möchte, dass Patienten jahrelang auf lebensrettende Organtransplantationen warten, doch viele werden warten müssen oder vorzeitig sterben, es sei denn, man investiert in transgene Tiere zur Züchtung verpflanzbarer Organe. Diese Gelder werden ausbleiben, wenn die Erfinder des transgenen Schweins nicht das Eigentum an ihrer Schöpfung erwerben können. Wir alle möchten durch Bücher, Musik und Filme unterhalten und angeregt werden. Aber sie werden in ihrer jetzigen Form aussterben, wenn wir keine Möglichkeiten entwickeln, die Rechte von Autoren, Künstlern und Produzenten zu schützen. Was in der Musik geschehen ist, wird sich auch in der Filmkunst ereignen.23 Mittlerweile können Filme aus dem Internet heruntergeladen werden, die noch nicht für die Kinos freigegeben sind, und die einschlägige Technologie macht rapide Fortschritte.24 Innerhalb sehr kurzer Zeit wird man einen Film genauso mühelos downloaden können wie eine CD. Schon heute wird eine halbe Million Filme pro Tag auf diese Weise vervielfältigt. Das Verfahren dauert mehrere Stunden, aber der Computer kann es abwickeln, während sein Besitzer schläft. Andererseits kostet es durchschnittlich 80 Millionen Dollar, einen Film zu drehen. Nicht allzu viele Downloads sind nötig, um die Zahl der produzierten Filme erheblich sinken zu lassen. Autoren, Künstler und Produzenten müssen sich ernähren. Wenn sie durch ihre Kreativität kein Geld verdienen können, werden sie den
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größten Teil ihrer Zeit anderen Dingen widmen müssen. Es wird stets Laien geben, die in ihrer Freizeit Bücher, CDs und Filme herstellen, doch dabei wird es sich um billige Amateurproduktionen ohne die professionelle Ausgefeiltheit handeln, die uns Vergnügen bereitet. Wie viel werden Amateure, die sich die Vorführung ihrer Filme nicht bezahlen lassen können, wohl investieren? Ohne einen juristischen Schutz der geistigen Eigentumsrechte wird Geheimhaltung zwangsläufig zum gängigen System. Geheimhaltung ist jedoch wenig effektiv, da man eine Menge Zeit darauf verschwenden muss, bereits erfundene Dinge neu zu erfinden, statt auf dem Bekannten aufzubauen. Und um eine Erfindung geheim zu halten, müssen die damit zusammenhängenden Güter oder Dienstleistungen in sehr begrenzter Zahl produziert werden. Bei jedem geistigen Eigentumsschutz kommt es darauf an, einen Ausgleich zwischen zwei gegensätzlichen Zielen zu finden. Erstens müssen solche Systeme einen starken Anreiz zur Schaffung neuen geistigen Eigentums bieten. Zweitens sollten sie neues Wissen, sobald es ersonnen oder entdeckt worden ist, rasch verbreiten. Traditionell besteht der Kompromiss darin, dass man Erfindern für begrenzte Zeit ein Monopol zum Gebrauch ihrer Erfindung einräumt und sie danach allen anderen zur freien Verfügung stellt.
Lebensrettende Ideen Was dem gegenwärtigen System vor allem fehlt, ist die Möglichkeit, lebenswichtige Dinge sofort allgemein zugänglich zu machen, auch wenn sie im privaten Bereich entdeckt oder erschaffen worden sind. Manche Bestandteile des geistigen Eigentums sind zu wichtig, als dass man sie irgendjemandem vorenthalten dürfte, aber ohne private Anreize werden sie gar nicht erst entstehen. AIDS-Medikamente sind ein gutes Beispiel. Von den 40 Millionen AIDS-Fällen der Welt treten 30 Millionen in Afrika auf, wo man in den nächsten fünf Jahren eine Verdoppelung dieser Zahl erwartet.25 Die Infektionsraten in Südafrika könnten 25
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Prozent erreichen.26 75 Prozent der in Afrika Betroffenen werden sterben, und zwar meistens in der Blüte ihrer Jahre.27 Dieser Verlust an Erfahrung, Talent und Kenntnissen ist überaus schädlich für die Wirtschaftsentwicklung. In Botswana ist die Lebenserwartung von über 60 auf unter 40 Jahre gefallen.28 Die dortige Produktionsmenge dürfte infolge von AIDS bis zum Jahr 2010 um 32 Prozent sinken. Indien scheint einen ähnlichen Weg zu beschreiten. In Indonesien hat sich die HIV-Verseuchung bei Blutspenden innerhalb von zwei Jahren um das Achtfache erhöht.29 Ein Chemikaliencocktail, der AIDS ein Jahr lang unter Kontrolle hält, kann für 700 Dollar hergestellt werden und wird in Amerika für 10 000 Dollar verkauft. Warum sollte es bedürftigen Afrikanern, die vielleicht 700, auf keinen Fall aber 10 000 Dollar aufbringen könnten, nicht erlaubt sein, ihr Leben zu retten? Natürlich sollte es ihnen erlaubt sein. Doch Patente aufzugeben und die Kranken auf der Grundlage der Grenzkosten mit billigen Arzneimitteln zu versorgen ist nicht die richtige Lösung. Gewaltige Unterschiede zwischen Herstellungskosten und Verkaufspreisen sind kein Beweis für die Habgier der Pharmakonzerne. Hier spiegelt sich die Tatsache wider, dass der größte Kostenanteil bei der Arzneimittelproduktion nicht im Herstellungsverfahren anfällt. Die überwiegenden Kosten werden vielmehr für die Erfindung von Medikamenten und die vielen vergeblichen Versuche sowie in noch höherem Maße für die klinischen Tests aufgewandt, mit denen man nachweist, dass die Mittel effektiv und sicher sind und dass nicht zu viele Kontraindikationen vorliegen. Zahlreiche Medikamente, nämlich 99 Prozent, machen nicht einmal die Kosten wett, die benötigt werden, um sie auf den Markt zu bringen.30 Rechnet man die Fehlschläge mit, so sind 800 Millionen Dollar und ein Zeitraum von zwölf Jahren erforderlich, um ein erfolgreiches Arzneimittel zu entwickeln. Man braucht ein paar so genannte Blockbuster, um all diese Kosten abzudecken. Wenn man Pharmakonzernen nicht erlaubt, ihre Blockbuster-Medikamente zu behalten, um ihre Realkosten zu bestreiten, werden sie kein Geld mehr in die Erfindung neuer Mittel investieren. Niemand investiert in die Entwicklung von Malaria-Medikamenten (Malaria hat nach AIDS und Durchfallkrankheiten die meisten Todes-
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fälle der Welt zu verzeichnen), weil jeder weiß, dass er Geld verlieren würde. Da die Krankheit arme Menschen in armen Ländern heimsucht, gibt es keinen potenziellen Markt. Zudem glauben Pharmakonzerne – zu Recht, wie ein Blick auf AIDS bestätigt –, dass sie für ein Malaria-Heilmittel keinen hinreichend hohen Preis verlangen dürften, um ihre Gesamtkosten abzudecken. Infolgedessen wird im Zusammenhang mit einer der wichtigsten Krankheiten der Welt keine Forschung betrieben. Die gleiche harte wirtschaftliche Realität gilt für Vakzine. Pharmaunternehmen erfinden keine neuen Impfstoffe zur Verhütung von Krankheiten, weil sich damit »kein Geld verdienen« lässt. Niemand kann einen so hohen Preis für Impfungen verlangen, dass damit die Kosten für die Entwicklung des Mittels und für Verbindlichkeiten bei möglichen Nebenwirkungen getragen werden. Die meisten derartigen Substanzen haben, wie sich aus den gegenwärtigen Diskussionen über die Pockenimpfung ersehen lässt, nachteilige Auswirkungen auf einen kleinen Prozentsatz der Behandelten. Solche Personen werden vor Gericht gehen. Wenn eine kranke Person unter schädlichen Nebenwirkungen leidet, können die Unternehmensanwälte argumentieren, die Vorteile hätten die Nachteile überwogen, aber in diesem Fall ist eine gesunde Person krank geworden. Kein Anwalt kann beweisen, dass die Vorteile die Nachteile für jene Person überwogen hätten, selbst wenn der soziale Nutzen enorm ist. Deshalb beschränkt sich die geringe Zahl von Arbeiten, die Impfstoffen gewidmet ist, auf staatlich finanzierte Laboratorien. Malaria mag auch als Analogie taugen, wenn man betrachtet, welche Folgen das Fehlen eines von allen vereinbarten und in die Praxis umgesetzten Systems der geistigen Eigentumsrechte für die Welt hat. Die Wirtschaftsentwicklung wird durch Malaria stark beeinträchtigt. Sämtliche Länder der Welt mit schweren Malaria-Problemen sind arm. Die Krankheit lässt ihre Opfer sehr langsam sterben und ist so entkräftend, dass sie schon lange vor ihrem Tod nicht mehr die physische Energie haben, sich selbst zu versorgen. Da die Opfer dahinsiechen, müssen Familienmitglieder sehr viel Zeit für ihre Pflege aufwenden, worunter ihre eigene sonstige Arbeit leidet. Nachdem die Malaria den Kranken und den Pflegern ihren Tribut abgefordert hat, reichen Ener-
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gie, Zeit und Geld für eine positive Wirtschaftsentwicklung nicht mehr aus. Obwohl es kein medizinisches Heilverfahren für Malaria gibt, könnte die Krankheit mithilfe der richtigen sozialen Organisation (Trockenlegung von Sümpfen und Dezimierung von Moskitos) ausgerottet werden. Genau das haben reiche Länder in warmen Klimazonen geschafft. Früher gab es Malaria auch im Süden der USA. Beim Bau des Panamakanals wurden die Franzosen von der Malaria besiegt, während die Amerikaner Erfolg hatten, weil sie sich zuerst auf die Kontrolle der Malaria und dann erst auf die Konstruktion des Kanals konzentrierten. Erfolg setzt die richtige soziale Organisation im Zusammenhang mit der richtigen Anordnung der Ziele voraus. Auch AIDS ist zwar nicht medizinisch zu heilen, doch könnte die Epidemie durch einen Wandel der sozialen Organisation und des Sozialverhaltens gestoppt werden. Der Erfolg wird ausbleiben, wenn man armen Ländern den Zugang zu den von ihnen benötigten Medikamenten verweigert. Der AnthraxSchrecken und die Drohung der amerikanischen Regierung, Patente an sich zu reißen, damit die Bürger notfalls über billige Medikamente verfügen, hätte die Amerikaner überzeugen sollen, dass beide Seiten in der Auseinandersetzung Recht haben. Man benötigt ein System, in dem Bedürftige die erforderlichen Arzneimittel erhalten, ohne dass die Erfindung neuer Medikamente dadurch gestoppt wird.
Nachahmen, um aufzuholen Ein globales System durchsetzbarer geistiger Eigentumsrechte ist notwendig, um eine wissensgestützte Ökonomie funktionieren zu lassen. Die Art des Schutzes, die unterschiedliche Länder sich wünschen, benötigen und haben sollten, hängt jedoch vom jeweiligen Niveau ihrer Wirtschaftsentwicklung ab. Jeder ahmt andere nach, um sie einzuholen. In den heutigen Entwicklungsländern würde man argumentieren, man tue nichts anderes als die inzwischen vermögenden Länder, während diese sich im Entwicklungsstadium befanden. Die Amerikaner bauten die britischen Textilfabriken im 19. Jahrhundert ungeniert nach. Die Ja-
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paner folgten im 20. Jahrhundert genauso ungeniert dem amerikanischen Beispiel in der Auto- und der Konsumelektronikbranche. Wollte man das Kopieren verhindern, könnten diejenigen, die heutzutage im Hintertreffen sind, nie zu den Marktführern aufschließen.31 Zurzeit fühlen sich alle ungerecht behandelt. Aus der Perspektive der entwickelten Welt stehlen die Piraten das geistige Eigentum der fortgeschrittenen Länder. Aus der Perspektive der Entwicklungsländer will jeder, der geistige Eigentumsrechte durchsetzen möchte, ihnen das Wissen entziehen, das sie benötigen, um sich ihrerseits zu entwickeln oder ihr Gesundheitsniveau anzuheben. Der Aufbau einer kraftvollen globalen Wirtschaft fordert ein System durchsetzbarer geistiger Eigentumsrechte, das allen Bedürfnissen gerecht wird: denen der wirtschaftlich Rückständigen und der wirtschaftlich Führenden und denen der bereits Reichen und der noch Armen. Entwicklungsländer brauchen gewisse Kopierrechte, um nicht im Rückstand zu bleiben, doch entwickelte Länder benötigen einen gewissen Schutz vor Nachahmungen, um angemessene Renditen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, also für die weitere Förderung des Wissens, garantieren zu können. Ein globales System wird eine Vielfalt wirtschaftlicher Situationen berücksichtigen müssen, und die zulässige Nachahmung wird sich in dem Maße verringern, wie die Einkommen steigen.
Benötigt: ein globales System Die Welt kann nicht reich werden, wenn sie sich nicht mit der Frage der geistigen Eigentumsrechte beschäftigt. Niemand wird langfristig eine erfolgreiche globale, wissensgestützte Wirtschaft betreiben können, wenn keine geistigen Eigentumsrechte existieren und durchgesetzt werden. Die Doha-Verhandlungen sind in diesem Zusammenhang wichtig, was jedoch nicht bedeutet, dass man die konkreten Bedürfnisse der AIDS-Opfer in Afrika oder derjenigen, die eine bessere Wirtschaftsentwicklung für ihr Land anstreben, ignorieren darf. Im Unterschied zu einem Ansturm auf den Dollar würde das Fehlen
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globaler geistiger Eigentumsrechte das System nicht explodieren lassen. Es untergräbt lediglich nach und nach die Gesundheit einer globalen wissensgestützten Wirtschaft, die ihre Möglichkeiten nicht annähernd realisieren kann. Das Fortschreiten des Wissens verlangsamt sich, während die Investitionsanreize unterhöhlt werden. Dadurch können unsere künftigen Wirtschaftsbedingungen ihr Potenzial nicht annähernd erfüllen. Die Kreativität und Energie, die sie auszeichnen sollten und könnten, werden nicht vorhanden sein. Vor allem aber werden wir ohne geistige Eigentumsrechte nicht einmal wissen, was uns in unserem Leben entgeht. Unbekannte Dinge, die hätten erfunden werden können, werden nicht auf der Bildfläche erscheinen. Man stelle sich unsere Welt ohne Fernsehen vor. Es existiert, weil die Erfinder reich werden wollten. Die Auseinandersetzungen darüber, wer es wirklich erfunden hatte und wer ein Vermögen erhalten würde, führten zu einem Patentprozess, der durch alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof gelangte. Filo Farnsworth trug den Sieg über die Radio Corporation of America (RCA) davon, doch da seine Patente vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs abgelaufen waren, wurde er nie reich.32 Es mag stimmen, dass Menschen von Natur aus schöpferische Wesen sind, aber es stimmt auch, dass es zahlreiche unkreative Gesellschaften gibt und gegeben hat, in denen nichts Neues erfunden oder geschaffen wird. Eine kreative, Erfindungen begünstigende Umwelt muss sozial organisiert werden, und die geistigen Eigentumsrechte sind ein Teil dieser notwendigen Organisation.
7 Erfolg und Misserfolg in der Dritten Welt
Die Wirtschaftsentwicklung der Dritten Welt wird häufig als hoffnungsloses Unterfangen dargestellt. Niemand wisse, wie man vorgehen soll. Wer diese Meinung vertritt, ignoriert Länder wie Südkorea, das Erfolg hatte, und China, das dabei ist, Erfolg zu erringen. Wirtschaftlich und entwicklungstechnisch gesehen weiß jeder genau, was zu tun ist. Das Problem besteht in der Ausführung, denn dafür benötigt man die soziale Organisation, die den meisten Drittweltländern fehlt. Für die Ausführung kommt es auf eine bestimmte Geisteshaltung an, denn die Wirtschaftsentwicklung verlangt die Mentalität eines Marathonläufers, nicht die eines Sprinters. Der Aufholprozess ist langwierig, niemand kann ihn rasch bewältigen. Die Vereinigten Staaten brauchten 100 Jahre, um das Pro-Kopf-Einkommen von Großbritannien zu erreichen. Japan jagt seit mehr als 100 Jahren hinter den Vereinigten Staaten her und hat immer noch nicht zu deren Pro-Kopf-BIP in Kaufkraftparität aufgeschlossen. Taiwan verzeichnet seit einem halben Jahrhundert Wachstumsraten von 7 bis 8 Prozent, und doch beläuft sich sein Pro-Kopf-BIP auf nur zwei Drittel des amerikanischen.1 Das Aufholen dauert so lange, weil die wirtschaftliche Spitzennation der Welt nicht stillsteht, sondern fast definitionsgemäß rasch voranschreitet. Die Anführer können mühelos schneller sein als die ihnen Folgenden. Das geschah in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als Amerika voranspurtete und seinen Abstand zu fast allen anderen Ländern vergrößerte. Viele suchen nach der Patentlösung. Sie wünschen sich einen Aufholplan von 20 oder höchstens 30 Jahren. Solche Lösungen gibt es nicht. Brasilien mag hierfür als Beispiel dienen: Frustriert darüber, dass sie nach weniger als einem Jahrzehnt der Hinwendung zu freieren
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Märkten und der verringerten Regierungsinterventionen immer noch zurückliegen, haben die Brasilianer im Jahr 2002 einen neuen Präsidenten gewählt, der ihnen ein anderes, bisher unspezifiziertes Wirtschaftsmodell verspricht. Es sieht eine aktivere Regierungsbeteiligung und weniger Elend vor. Brasilien wechselt seine Strategien so häufig, dass es keine Zeit hat, sich zu entfalten – und dann ist es erstaunt darüber, dass es zurückfällt. Das Bildungswesen ist ein weiterer Grund dafür, dass sich der Aufholprozess so lange hinzieht. Länder können nicht rasch von analphabetischen zu gut ausgebildeten Arbeitskräften überwechseln. Die brasilianische Regierung erklärt stolz, dass 90 Prozent der Kinder nun eine Schule besuchen, aber die durchschnittliche Schulausbildung der brasilianischen Arbeitskräfte umfasst viereinhalb Jahre und nimmt nur allmählich zu. Wenn in der Erwachsenenbildung keine drastischen Schritte ergriffen werden, wird es noch weitere 40 bis 50 Jahre lang analphabetische Arbeitskräfte in der Wirtschaft geben.
Bevölkerungswachstum Bei den wirtschaftlich führenden Nationen der entwickelten Welt erhöht sich das Pro-Kopf-Einkommen jährlich um ungefähr 2 Prozent. Ein Land mit einer BIP-Wachstumsrate von 4 und einer Bevölkerungswachstumsrate von 1 Prozent erzielt eine 3-prozentige jährliche Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens und schließt nur langsam mit der Rate von jährlich 1 Prozent zur industriellen Welt auf. Dasselbe Land, das eine 3-prozentige Bevölkerungswachstumsrate besitzt, fällt mit jährlich 1 Prozent zurück. Um aufzuholen, braucht man unbedingt niedrige Bevölkerungswachstumsraten. Alle vermögenden Staaten haben wenigstens ein Jahrhundert hinter sich, in denen die Bevölkerung durchschnittlich kaum mehr als 1 Prozent pro Jahr wuchs. Die Gründe liegen auf der Hand: Bevor die ProKopf-Einkommen steigen können, müssen neue Individuen, die zu jeder Gesellschaft hinzukommen, mit all den Dingen versorgt werden, die nötig sind, um das bereits existierende Pro-Kopf-BIP zu erzeugen.
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Man muss Neugeborene ernähren, unterbringen und medizinisch betreuen, bis sie sich dem Arbeitsmarkt anschließen und für sich selbst sorgen können. All das kostet in den Vereinigten Staaten knapp über 8 000 Dollar pro Person und Jahr. Der Durchschnittsbürger, der mit 20 Jahren in den Arbeitsmarkt eintritt, benötigt während dieser Zeit also Lebenshaltungskosten in der genannten Höhe. Um einen durchschnittlichen Arbeitsplatz zu erhalten, braucht er ein durchschnittliches Ausbildungsniveau. In Amerika kosten die Grundschul- und die höhere Schulbildung 7 200 und das Studium 14 200 Dollar pro Jahr. Man braucht nicht lange nachzurechnen, um zu ermitteln, was in die Ausbildung investiert werden muss, wenn jeder zwölf Jahre lang die Schule besucht und wenn 34 Prozent der Bevölkerung ein Universitätsstudium absolvieren. Für die Schaffung eines amerikanischen Durchschnittjobs braucht man 122 700 Dollar an Kapitalausstattung. Ungefähr zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung arbeiten. Die soziale Infrastruktur, zum Beispiel Straßen und Flughäfen, erfordert weitere 21 000 Dollar pro Person. Insgesamt werden also Investitionen in Höhe von etwas weniger als 400 000 Dollar benötigt, um jeden neuen Amerikaner zu einem Durchschnittserwachsenen zu machen.2 Menschliche Bevölkerungen können maximal um 4 Prozent pro Jahr wachsen. Kein Land hat je ein 4-prozentiges Bevölkerungswachstum verzeichnet, doch einige (zum Beispiel Mexiko) sind dieser Marke eine Zeit lang nahe gekommen. Nehmen wir an, die amerikanische Bevölkerung wüchse mit 4 Prozent pro Jahr. Dann würden jährlich 11,3 Millionen neue Amerikaner auftauchen, in die 4,4 Billionen Dollar pro Jahr investiert werden müssten. Das amerikanische BIP beläuft sich jedoch nur auf 11 Billionen Dollar. 40 Prozent davon müssten also aufgewendet werden, um diese neuen Bürger zu Durchschnittsamerikanern zu machen. Dazu wäre es notwendig, den Lebensstandard der existierenden Amerikaner erheblich zu senken. Sie wären jedoch nicht dazu bereit, eine starke Verringerung der durchschnittlichen Pro-KopfEinkommen hinzunehmen. In armen Ländern ergeben sich in jeder Kategorie andere Investitionszahlen, doch wenn man das lokale BIP zugrunde legt, erhält man ähnliche Ergebnisse: ungefähr 40 Prozent des BIP. Infolgedessen ist es so gut wie unmöglich, mit Bevölkerungswachstumsraten von viel mehr
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als 1 Prozent zu den Industrienationen aufzuschließen. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die wirtschaftlichen Aussichten Chinas optimistisch und diejenigen Indiens pessimistisch einzuschätzen sind. Der eine Staat hat seine Geburtenrate unter Kontrolle, der andere nicht. Länder benötigen sowohl Sozialkapital als auch soziale Fähigkeiten, um die Wirtschaftsentwicklung voranzutreiben. Sozialkapital und soziale Organisation sind nicht das Gleiche wie große politische Führer. Die USA liefern das beste Beispiel. Kaum ein Amerikaner kann sich an den Namen irgendeines Präsidenten zwischen Abraham Lincoln und Theodore Roosevelt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnern. Man kennt ihre Namen nicht mehr, weil sie nichts taten, was der Erinnerung wert gewesen wäre. Doch wirtschaftlich schlossen die USA genau in jenem Zeitraum zu Großbritannien auf. Die Namen, an die sich die Amerikaner aus dem späten 19. Jahrhundert erinnern, sind die der großen Industriellen – Edison, Rockefeller, Eastman, Carnegie, Vanderbilt, Morgan –, die an der Spitze des wirtschaftlichen Fortschritts standen. Sie waren wichtiger als die Präsidenten – nicht nur, weil sie erfolgreiche Unternehmen führten, sondern auch wegen der bahnbrechenden Art und Weise, mit der sie später ihr Vermögen einsetzten. Der Gedanke mildtätiger Stiftungen ging von diesen Männern aus. Carnegie errichtete in jeder Stadt Bibliotheken, Rockefeller und Eastman bauten Universitäten. Sie spielten eine führende Rolle nicht nur beim Erwerb ihres Vermögens, sondern auch als der Zeitpunkt kam, Spenden zu leisten und die Gesellschaft im Hinblick auf Leben und Arbeit zu verbessern. Die Präsidenten Truman und Roosevelt werden wegen ihres Wirkens in der Weltwirtschaftskrise und im Zweiten Weltkrieg in die Geschichte eingehen, doch in 100 Jahren dürfte das 20. an das 19. Jahrhundert erinnern. Kaum ein Präsident wird sich dem Gedächtnis künftiger Generationen einprägen. Die Namen des 20. Jahrhunderts, die in den Geschichtsbüchern auftauchen, werden nicht die von Präsidenten, sondern die von Ford, Sloan (General Motors), Watson (IBM), Hewlett und Packard sowie Bill Gates sein. Führer sind unerlässlich, aber es braucht sich nicht unbedingt um Politiker zu handeln. Mit dem Begriff »Sozialkapital« sind die sozialen Netze gemeint, denen sich Individuen anschließen, um ihren Lebensstandard zu heben.
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Zum Beispiel schätzt man, dass der bilaterale Handel zwischen ethnisch chinesischen Ländern um fast 60 Prozent höher ist, als es der Fall wäre, wenn nicht beide Seiten aus Chinesen bestünden.3 Vertrauen, Kultur, gesellschaftliche Solidarität und eine gemeinsame Sprache sind von Bedeutung. Auf lokaler Ebene erhöhen ländliche Bewässerungssysteme die Produktionsmenge, wozu jedoch Bauern benötigt werden, die bereit sind, die Bewässerungskanäle auszuheben und instand zu halten und sich die verfügbaren Wasservorräte zu teilen. Gemeinsam arbeitende Individuen erzielen eine höhere Produktivität als solche, die allein arbeiten. Mit dem Begriff »soziale Fähigkeiten« ist das Geschick gemeint, sich zu organisieren: Dorfschulen einzurichten, Trinkwasser von Abwasser zu trennen, vorbeugende Maßnahmen gegen die Verbreitung von AIDS zu ergreifen sowie einen institutionellen Rahmen (in Form von politischen, sozialen und juristischen Grundregeln) zu schaffen, der für die Wirtschaftsentwicklung notwendig ist.4 Das kann nicht von Außenstehenden bewerkstelligt werden, so gut ihre Absichten auch sein mögen. Kein Land kann ein Schulsystem für ein anderes Land organisieren. Eine solche Aufgabe muss jeder Staat selbst erledigen. Manche verstehen sich jedoch viel besser darauf als andere: Ägypten und Ecuador haben das gleiche Pro-Kopf-Einkommen, aber die Analphabetenquote liegt in Ecuador bei nur 9 und in Ägypten bei 40 Prozent.5 Wenn die Dritte Welt ihre eigenen Schulen organisiert, kann die Erste Welt zu deren Bezahlung beitragen. Ohne diese interne Organisationsfähigkeit werden die Gelder der Ersten Welt durch Korruption verschwendet und landen auf Schweizer Bankkonten. Außenstehende können finanzielle Unterstützung leisten, doch die Einheimischen müssen die Anstrengungen – in Form der grundlegenden Organisationsarbeit – auf sich nehmen. Vor kurzem besuchten meine Frau und ich eine Reihe von MungDörfern am Mekong, wobei uns ein lokaler Landwirtschaftsexperte als Führer diente. Sämtliche Dörfer besaßen Land von etwa der gleichen Größe und Qualität für ihren Kaffeeanbau. Die Dichte der Fernsehantennen schien überall ähnlich zu sein. Aber während ich mich durch manche Dörfer an die Schweiz erinnert fühlte (Trinkwasser und Abwasser getrennt, Kinder gepflegt, Häuser sauber und ordentlich), emp-
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fand ich andere als chaotisch (Trinkwasser und Abwasser gemischt, Kinder ungepflegt, Häuser schlampig). Der Unterschied bestand in der lokalen politischen Führung und in der Bereitschaft zusammenzuarbeiten. Manche Dörfer verfügten über Sozialkapital und soziale Fähigkeiten, andere hingegen nicht.
Korruption Länder müssen in der Lage sein, die persönliche Sicherheit zu gewährleisten und Verbrechen unter Kontrolle zu halten. Kapitalisten, die sich darauf konzentrieren, Reichtum zu schaffen, müssen vor Verbrechern geschützt werden, wenn sie nicht fernbleiben sollen. Verbrechen zerstören den Kapitalismus, denn sie sind eine im Wesentlichen unberechenbare, irreguläre Steuer, die dem wirtschaftlichen Erfolg auferlegt wird. Untersuchungen zeigen, dass die Folgen der Korruption denen von Zolltarifen sehr ähnlich sind: Eine 10-prozentige Erhöhung führt zu einer 5-prozentigen Reduktion des Handels.6 Die Sachlage ist jedoch komplex. Der Kapitalismus scheint manche Arten der Korruption mühelos tolerieren zu können, während er andere überhaupt nicht verkraftet. In einer jüngst hergestellten Ehrlichkeitstabelle stand China, gegenwärtig das erfolgreichste Entwicklungsland, unter 102 Staaten auf dem 59. Platz. Viele wirtschaftliche Versager wiesen weniger Korruption auf, zum Beispiel Belarus auf dem 36., Jordanien auf dem 41. oder Ghana auf dem 50. Rang. Das ehrlichste arme Land ist Botswana, das den 24. Platz einnimmt, also einen höheren als weitaus reichere Staaten wie Frankreich oder Italien.7 Griechenland auf Rang 44 ist der korrupteste unter den relativ vermögenden Staaten. Sämtliche der am wenigsten korrupten und ehrlichsten Länder an der Tabellenspitze sind reich, doch was ist Ursache und was Wirkung? Sorgt Ehrlichkeit dafür, dass Wohlstand aufkommt, oder können die Wohlhabenden es sich leisten, ehrlich zu sein? Probleme der persönlichen Sicherheit, etwa die Entführung oder Ermordung ausländischer Manager, sind für die Wirtschaftstätigkeit noch abschreckender als Bestechlichkeit. Neulich begegnete ich einem
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japanischen Freund, der die Geschäfte eines großen Autoersatzteilherstellers in Nord- und Südamerika leitet. Er erzählte mir, er habe gerade die beiden schlimmsten Monate seines Lebens damit verbracht, Verhandlungen mit kolumbianischen Kidnappern zu führen, die zwei seiner Manager in ihrer Gewalt hätten. Was wird mein japanischer Freund wohl tun, wenn seine Manager zurückkehren? Wahrscheinlich wird er die Tätigkeit der Firma in Kolumbien einstellen. Geschäftsleute können mit ihrem Leben und ihrer Zeit Besseres anfangen. Sämtliche Indikatoren der persönlichen Sicherheit lassen große Unterschiede zwischen Afrika, Lateinamerika und Asien erkennen. In Subsahara-Afrika sind Angriffe und Raubüberfälle fünfmal so wahrscheinlich wie in Asien. In Lateinamerika sind zumeist Einheimische von Entführungen betroffen, während in Afrika die Mehrheit der Opfer aus Ausländern besteht (80 Prozent in Nigeria).8 Bestechlichkeit ist etwas, das Außenstehende viel schwerer verkraften als Einheimische. Korrupte Systeme sind, wie sich versteht, undurchsichtig. Niemand veröffentlicht die Regeln. Einheimische kennen die lokalen Korruptionsbräuche (wen man bestechen muss, wie hoch der Betrag zu sein hat, wann man besser Nein sagt, wer seine Versprechen wirklich erfüllt), Fremde dagegen nicht. Wenn es hin und wieder zu politischen Maßnahmen gegen die Korruption kommt, werden Fremde zudem viel eher verhaftet als Einheimische. Länder mit sehr wenig Korruption haben einige gemeinsame Merkmale. Da Bestechlichkeit gewöhnlich mit Beamten zu tun hat, die offizielle Genehmigungen vergeben können, findet man in Ländern mit weniger Vorschriften auch weniger Korruption. Wenn Beamte, darunter auch Polizisten, sehr niedrige Gehälter beziehen, müssen sie ihr Familieneinkommen irgendwie aufstocken. Die leichteste Methode ist es, Bestechungsgelder zu verlangen. Bei ihren kümmerlichen Gehältern haben die Beamten wenig zu verlieren, wenn sie ertappt und entlassen werden. Ein kambodschanischer Polizist wird Besucher zu den gewünschten, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Tempeln führen, wenn er das angemessene »Schutzgeld« einstecken kann. Zahlt man Beamten dagegen hohe Gehälter wie in Singapur, haben sie viel zu verlieren und brauchen keine Bestechungsgelder, um ihre Familie zu ernähren.
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Allerdings spielt die Tradition in diesem Fall eine wichtige Rolle. Wenn Bestechlichkeit sich einmal ausgebreitet hat, ist sie sehr schwer zu beseitigen. Nur wenige werfen ihren Müll auf die Straßen, wenn diese sauber sind, während fast jeder seinen Abfall auf bereits schmutzigen Straßen hinterlässt. Ähnlich verhält es sich mit der Korruption: Kaum jemand will das System als Erster auf die Probe stellen, aber viele sind bereit, an der Korruption teilzuhaben, wenn sich das System als bestechlich erweist. In einigen globalen Branchen hat man gelernt, mit Mord und Terror zu leben. Zum Beispiel arbeitete die Ölbranche während des gesamten Bürgerkriegs in Nigeria weiter, und heute ist sie im Chaos von Zentralasien tätig. Andere Rohstoffbranchen arbeiten und investieren mitten in den gegenwärtigen Bürgerkriegen und dem Chaos Afrikas. Wenn die Anleger in Rohstoffbranchen keinen offiziellen Schutz erhalten, verstehen sie sich darauf, Privatarmeen anzuheuern. Sie sind abgebrüht genug, ein paar Leute in der Gegend umzubringen, um zu demonstrieren, dass man sie in Ruhe lassen sollte. Zum Beispiel erhöhte ein sehr rentables Bergbauunternehmen in Indonesien die Gehälter der Berufssoldaten in seiner Umgebung, um von ihnen beschützt zu werden. Die Soldaten hatten anscheinend große Erwartungen, wenn sie in die Nähe des Bergbauunternehmens versetzt wurden, und zeigten sich sehr enttäuscht, als die Firma ihre Bezahlung und ihre Sonderzulagen verringerte.9 Daraufhin töteten sie zwei amerikanische Lehrer und verwundeten acht, um das Unternehmen zur Weiterzahlung der früheren Beträge zu zwingen. Die meisten globalen Anleger erzielen jedoch zu niedrige Gewinne, um solche Aktivitäten in Kauf zu nehmen, und außerdem fehlt ihnen der Mut dazu. All diese Faktoren vervielfachen sich, wenn man es mit systematischem Terrorismus zu tun hat. Investoren werden Gegenden meiden oder sich aus ihnen zurückziehen, in denen ihre Angestellten sich körperlich bedroht fühlen. Die Ermordung von Missionaren im Jemen hat zur Folge, dass kein globaler Konzern dort investiert. Die Explosion einer Diskothek auf Bali hat zur Folge, dass kein globales Unternehmen – vielleicht abgesehen von denen der Rohstoffindustrie – geneigt sein wird, Geld in Indonesien anzulegen. Die Ermordung eines Journalisten und die Sprengung von christlichen Kirchen in Pakistan setzen weiteren
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Investitionen in diesem Land ein Ende. Wenn die muslimische Welt als gefährlich gilt, wird sie insgesamt – mit Ausnahme jenes Teils, der Öl liefert – von der Globalisierung ausgeschlossen werden. Es gibt viele andere Gebiete ohne Terrorismus, die für Unternehmen attraktiver sind. Was Korruption und persönliche Sicherheit angeht, so existiert eine klare wirtschaftliche Toleranzgrenze, die allerdings nicht immer auf den ersten Blick zu identifizieren ist. Irgendwann haben diese Probleme so starke Auswirkungen, dass der Kapitalismus sie nicht dulden kann und will. Er ist darauf angewiesen, dass Regierungen die Korruption auslöschen. Einzelne Firmen sind dazu nicht in der Lage, da es bequemer für sie ist, Bestechungsgelder zu zahlen. Kurzfristig ist dieses Verfahren weniger teuer und weniger zeitraubend, als im Verein mit anderen Unternehmen auf Regierungen einzuwirken, damit diese der Korruption ein Ende setzen. Langfristig jedoch können Firmen sich mit solchen Verhältnissen nicht abfinden, weshalb ihnen nichts anderes übrig bleibt, als in eine weniger korrupte Umgebung umzuziehen. Damit bleiben korrupte Länder außerhalb der globalen Wirtschaft. Korruption muss vor Ort bekämpft werden. Die Gesetze der Ersten Welt, die Unternehmen verbieten, Bestechungs- oder Lösegelder zu zahlen, sind unwirksam. Solche Gesetze können nicht vollstreckt werden oder verstärken einfach nur die Absicht, geschäftliche Kontakte mit den betreffenden Ländern zu meiden. Unternehmen sehen es nicht als ihre Aufgabe an, Völker zur Ehrlichkeit zu bekehren.
Der Erwerb von Technologie Sobald die sozialen Voraussetzungen gegeben sind, hängt jegliches Wirtschaftswachstum von Verbesserungen der Technologie ab. Erfolgreiche Länder durchlaufen bei deren Erwerb drei Phasen: In der ersten mobilisieren sie menschliche und finanzielle Ressourcen, um die existierenden Technologien vollauf zu nutzen. In der zweiten Phase kopieren sie die Technologien fortgeschrittenerer Länder, um den Abstand zu verringern. Und in der dritten Phase bauen sie neue Branchen auf der
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Grundlage der Wissensfortschritte auf, die sich aus ihrer eigenen Forschung und Entwicklung ergeben. Da Japan das einzige nicht über Öl verfügende Land ist, das im letzten Jahrhundert von Armut zu Reichtum aufgestiegen ist, lohnt es sich, seine Wirtschaftsentwicklung genauer zu betrachten.10 Nach der MeijiRestauration mobilisierte Japan seine Kapitalressourcen, um eine Gesellschaft mit hohen Ersparnissen zu schaffen. Zu seinem Glück begann es seine ökonomische Entwicklung mit einer Bevölkerung, die so gut ausgebildet war wie die Großbritanniens, der führenden Wirtschaftsnation der Welt. Es brauchte kein Schulsystem aufzubauen,11 und sein Bevölkerungswachstum war gering. Alle erfolgreichen Ökonomien Ostasiens des letzten halben Jahrhunderts sind dem japanischen Vorbild gefolgt. Sie verfügten über eine große Zahl an Arbeitskräften und arbeiteten auf sehr hohe Sparquoten hin, damit sie sich massive Investitionen in neue Betriebsanlagen leisten konnten. China mit seiner internen Sparquote von 30 Prozent ist das jüngste Beispiel eines Landes, das diesen Pfad beschritten hat.12 Ein umgekehrtes und doch ähnliches Muster ist zu erkennen, wenn man sich die Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anschaut. Da es Amerika an Arbeitskräften fehlte, wurden Menschen statt Kapital mobilisiert. Man warb Einwanderer aus Europa und China an. Millionen von Bauern wechselten von ihren Höfen, auf denen sie relativ wenig Stunden pro Jahr gearbeitet hatten, in Fabriken über, wo sie jährlich fast 3 000 Stunden ableisteten.13 Die Ausbildung ist der zweite Teil der Mobilisierung von Ressourcen. Wissenschaftler, die untersuchen, wie die Vereinigten Staaten Anfang des 20. Jahrhunderts das britische Pro-Kopf-BIP erreichten, führen dies größtenteils auf besser ausgebildete Arbeitskräfte zurück.14 Man redet oftmals von einer digitalen Kluft zwischen Arm und Reich, doch die wirkliche Kluft hat mit der Ausbildung zu tun. Jedes Land, das sich eine Armee leisten kann – und alle können es –, ist in der Lage, die Hardware für die Überbrückung der digitalen Kluft bereitzustellen. Dabei handelt es sich nur um eine Frage der Prioritäten. Die Ausbildungskluft ist dagegen ernster zu nehmen. Technologie kann ohne kundige Arbeitskräfte nicht angewendet werden, deshalb müssen Gesellschaften, die sich entwickeln wollen, die Ausbildung ihrer Beschäftigten organisieren.
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Wenn ein Land sein Ausbildungsniveau wirklich erhöhen will, muss es auch die Fähigkeiten der Frauen fördern und vollständig nutzen. Die Amerikaner hätten nicht ihren jetzigen Lebensstandard, wenn nur Männer außerhalb des Haushalts arbeiteten. In den Vereinigten Staaten machen Frauen 47 Prozent der Arbeitskräfte aus, und sie verdienen ein Drittel des durchschnittlichen Familieneinkommens. Aber Fachwissen ist wichtiger als reine Zahlen: Die Amerikaner könnten ihren Lebensstandard nicht halten, wenn der weibliche Anteil der Bevölkerung nicht gut ausgebildet wäre. Die in Nord-Pakistan lebende muslimische Sekte der Ismailiten, deren einem Hauptzweig der Aga Khan vorsteht, hält die Ausbildung der Mädchen für notwendig und bringt an vielen ihrer Schulen eine einfache Parole an: »Wer einen Mann erzieht, erzieht einen Mann; wer eine Frau erzieht, erzieht eine Familie.« Männer, deren Mutter nicht lesen oder schreiben kann, dürften keine gut ausgebildeten Erwachsenen werden. Ähnliches gilt für die uneingeschränkte Nutzung der Talente von Minderheiten. Das Kastensystem Indiens dagegen bremst die Entwicklung. Solange das Land Gesellschaftskasten besitzt, wird es nicht reich werden. Der dritte Teil der Mobilisierung der Ressourcen ist der Aufbau einer Infrastruktur, damit die produktiven Kräfte des Landes fruchtbarer zusammenwirken. Die amerikanischen Investitionen in transkontinentale Eisenbahnlinien waren entscheidend für die Wirtschaftsentwicklung des 19. Jahrhunderts. Die Elektrifizierung spielte eine große Rolle zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Staaten verbindende Schnellstraßen und Flughäfen waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von großer Bedeutung. Die Kommunikationssysteme des 21. Jahrhunderts leisten den gleichen Beitrag wie die Eisenbahnlinien im 19. Jahrhundert. Arbeitskräfte, Kapital und Rohstoffquellen wurden produktiver, als man sie miteinander verknüpfte. Der nächste Schritt nach der Mobilisierung ist die Motivation. Die kommunistischen Regierungen verstanden sich darauf, große Mengen von Arbeitern zu mobilisieren. (In der UdSSR bestand die Arbeitspflicht für sämtliche Frauen, und wer alt genug ist, wird sich an die Bilder von Millionen Chinesen erinnern, die mit jeweils einer Hand voll Sand Dämme bauten.) Aber es wurde wenig produziert, weil die Indivi-
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duen für sich selbst keinen Vorteil aus harter Arbeit ziehen konnten. Deshalb implodierte die Sowjetunion, und deshalb beschloss das kommunistische China, sich freieren Märkten zuzuwenden. Jedes Land muss individuelle Motivationssysteme aufbauen, die tatsächlich funktionieren. An dieser Stelle wird der Kapitalismus unerlässlich. Der Sozialismus kann die erforderliche Struktur individueller Anreize nicht bereitstellen. Israelische Kibbuzim hatten Kapital, Fachwissen und Infrastruktur im Überschuss, aber sie konnten nicht eine Generation nach der anderen motivieren. Deshalb haben sie wirtschaftlich versagt und verschwinden nun allmählich aus der israelischen Ökonomie. Kurzfristig sind Individuen bereit, ihre eigenen Interessen zu opfern und ihren Nachbarn zu helfen. Doch niemand hat bisher eine Gesellschaft organisieren können, in der die Einzelnen langfristig so handeln. Auf lange Sicht wollen Menschen sich selbst helfen, wenn sie arbeiten, investieren und Opfer bringen. Nachdem man Kapital und Ausbildung mobilisiert, sie mit der erforderlichen Infrastruktur des Systems verknüpft und starke individuelle Anreize geboten hat, kann ein Land in das zweite Stadium vorrücken, in dem es neue Technologien erwirbt. Jedes beginnt damit, dass es die Technologien anderer Staaten kopiert. Großbritannien als erste industrielle Führungsmacht war die einzige Ausnahme. Die Amerikaner waren im 19. Jahrhundert als Nachahmer berüchtigt, genau wie später die Japaner vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Wen man kopiert, hängt vom eigenen technischen Entwicklungsmodell ab. Bevor die Japaner ein alternatives Modell lieferten, galt der Produktzyklus als der übliche Weg für die weltweite Verbreitung der Technologie.15 Im Lauf der Zeit wurden Hightech- zu LowtechBranchen, da jede spezifische Technologie allmählich aus den fortgeschrittensten in die rückständigsten Länder gelangte. Textilien waren das prototypische Beispiel. Die Textilindustrie begann im frühen 19. Jahrhundert in Großbritannien als Hightech-Branche, verbreitete sich im selben Jahrhundert in den am dichtesten hinter Großbritannien liegenden Ländern, nämlich in den Vereinigten Staaten und Deutschland, und schob sich den wirtschaftlichen Entwicklungszyklus hinunter, bis sie fast zwei Jahrhunderte später zu der Branche wurde, mit
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der jedes arme Land seinen industriellen und technologischen Aufstieg einleitet. Nach dem Produktzyklusmodell der Wirtschaftsentwicklung kopieren Länder die Staaten, die ihnen nur einen Schritt voraus, also eine Stufe weiter in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung sind. Die neu erworbenen Technologien werden dann für ein Importsubstitutionsmodell der Wirtschaftsentwicklung verwendet. Produkte, die man früher importiert hat, weil die zu ihrer Herstellung erforderlichen Technologien fehlten, werden nun im Inland selbst gefertigt. Die Japaner demonstrierten, dass ein Bocksprungmodell eingesetzt werden konnte. Statt sich an das historische Muster zu halten und sich an Ländern zu orientieren, die nur ein wenig vermögender als sie selbst waren, richteten die Japaner den Blick auf die wirtschaftlichen Führungsstaaten und analysierten, welche Richtung diese einschlugen. Dann skizzierte Japan einen technologischen Pfad, der sich mit dem der führenden Länder überschneiden sollte, ohne ihm zu folgen. Nach diesem Modell werden wirtschaftliche Nachfolgerstaaten rasch zu technologischen Wettbewerbern der wirtschaftlichen Führungsstaaten.16 Damit diese Strategie gelingt, benötigt man technologische Maßnahmen zur Beschleunigung des Kopierverfahrens. Im 19. Jahrhundert wurden japanische Delegationen um die Welt gesandt, um die führenden Modelle der sozialen Organisation und der technologischen Entwicklung zu untersuchen. Diese Modelle gelangten dann zurück nach Japan, wo man sie übernahm und den lokalen Bedingungen anpasste.17 Nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete man eine breite Vielfalt spezifischer Richtlinien, um das Kopierverfahren zu beschleunigen.18 In Washington entstand ein Produktivitätszentrum, das naturwissenschaftlich-technische Artikel übersetzte und sie den japanischen Unternehmen schickte, denen der Inhalt nützen konnte. Angestellte von Privatunternehmen wurden zum Studium an führende US-Universitäten entsandt, wo sie die für ihre Arbeitgeber relevanten Technologien meistern sollten. Nach dem 1957 verabschiedeten Kartellgesetz, das den Bell Labs von AT&T vorschrieb, ihre Technologien uneingeschränkt mit anderen Unternehmen zu teilen, eröffneten die Japaner ein Büro in New Jersey, das die Bell-Labs-Technologien überwachte und gegebenenfalls in ihre Heimat transferierte. Mit Kameras ausgerüstete Japa-
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ner, die amerikanische Fabriken besichtigten, waren so häufig zu beobachten, dass Fernsehkomiker sich im Abendprogramm über sie lustig machten. Wenn Technologien gekauft werden mussten, trat die japanische Regierung als monopsonistischer Kunde auf und setzte ihre Verhandlungsstärke ein, um einen niedrigen Preis zu erzielen. Danach verstreute sie die erworbenen Technologien über das gesamte Spektrum der japanischen Wirtschaft. Die Japaner wussten, dass historisch gesehen keine enge Verbindung zwischen wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Führerschaft besteht. Das amerikanische Pro-Kopf-BIP übertraf das deutsche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, obwohl Deutschland damals die wissenschaftliche Führungsposition innehatte. Die technologische Lücke war gewaltig. Zu der letzten globalen Physikkonferenz vor dem Zweiten Weltkrieg (dem Solvay-Kongress von 1936) lud man nur einen einzigen Amerikaner ein.19 Im heutigen Europa hat die Höhe der Forschungs- und Entwicklungsausgaben keine enge Beziehung zur Rangfolge der Pro-Kopf-Einkommen.20 Gemessen an der Kaufkraftparität verfügt Luxemburg über das höchste Pro-Kopf-BIP Europas, ohne dass es in wissenschaftlicher Hinsicht führend wäre. Worauf es ankommt, ist technisches Wissen. Die Grundlagen der Naturwissenschaft kann man sich aus Lehrbüchern aneignen, aber technische Kenntnisse sind schwer zu erwerben, weil sie aus zwangloser praktischer Erfahrung, nicht aus dem formalen Studium an einer technischen Hochschule gewonnen werden. Ein Studienabschluss in Elektrotechnik genügt nicht, um konkurrenzfähige Halbleiterchips zu entwerfen und herzustellen. Die japanische Entwicklungsstrategie beschränkte sich nicht darauf, nur technisches Know-how zu kopieren. Das Land investierte auch stark in die Verbesserung des technischen Wissens. Es gab etwa den gleichen Anteil seines BIP für Forschung und Entwicklung aus wie Amerika, obwohl es viel ärmer war. Allerdings hatte man es mit sehr unterschiedlichen Ausgabenmustern zu tun. Zwei Drittel der japanischen Forschungs- und Entwicklungsgelder wurden dazu verwandt, existierende Verfahren zu optimieren, während die USA zwei Drittel ihrer Beträge in die Förderung neuer Produkte steckten. Die japanische Strategie bestand darin, die Technologien der übrigen Welt zu kopie-
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ren, diese um 10 Prozent zu verbessern oder zu verbilligen und den Vorsprung dann zu nutzen, um die Erfinder der Technologien aus dem Feld zu schlagen. Roboter und Kopiergeräte mögen als Beispiel dienen. Die Japaner erfanden keines von beiden, doch innerhalb von ein paar Jahren wurden sie zu Marktführern auf beiden Gebieten.21 Die kurz zuvor erworbenen und verbesserten Technologien wurden dann eingesetzt, um ein exportgeleitetes Modell der Wirtschaftsentwicklung zu stützen. Japanische Unternehmen, die mithilfe ihrer neuen Technologien hergestellte Produkte erfolgreich exportierten, wurden durch den Zugang zu den geschützten lokalen Märkten belohnt, wo Gewinne erzielt werden konnten, welche die beim Vordringen auf die ausländischen Märkte erlittenen Verluste wettmachten. Japan, dessen Pro-Kopf-Einkommen 1950 weniger als 10 Prozent des amerikanischen betrug, hatte 1989 ein Pro-Kopf-Einkommen, das nach Währungsmaßstäben über dem der Vereinigten Staaten (36 996 gegenüber 25 980 Dollar), wenn auch nach der Kaufkraftparität darunter lag (18 880 gegenüber 23 223 Dollar).22 Zu Beginn der neunziger Jahre galt Japan im In- und Ausland als Amerika technologisch ebenbürtig. Südkorea ist das beste Beispiel eines Entwicklungslandes, das dem japanischen Modell planmäßig gefolgt ist, um die vor ihm liegenden Staaten einzuholen. Das Modell erfordert einen hohen Grad an sozialer Organisation, wenn es erfolgreich realisiert werden soll. Gut ausgebildete Arbeitskräfte und hohe Investitionen in Verfahrenstechnologien sind die Voraussetzung, wenn kopierte Produkte im Ausland Abnehmer finden sollen. Die Nachahmungen müssen billiger herzustellen sein oder bessere Leistungskriterien aufweisen als die ursprünglichen Erzeugnisse. Es wird nicht verwundern, dass Südkorea das einzige Entwicklungsland ist, dessen Investitionen in Forschung und Entwicklung im Verhältnis zum BIP denen der Weltführer gleichkommen und die vieler bei weitem reicherer Industriestaaten übertreffen.23 Globale Markennamen müssen etabliert werden, was nicht nur schwierig, sondern auch teuer ist. Südkorea wendet die für diesen Zweck nötigen Gelder auf. Japan hatte Glück, da es für einige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg besonders leicht war, Kopien anzufertigen. Die amerikanische Regierung förderte diese Methode sogar, um wohlhabende militä-
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rische Verbündete für den Kalten Krieg zu gewinnen. Außerdem trug sie einen Teil der Kosten für das Studium ausländischer Studenten an ihren führenden technischen Hochschulen. Aus der Perspektive des Kalten Krieges mussten die USA Japan unterstützen, weil es als reicher, unversenkbarer Flugzeugträger an der Ostküste der Sowjetunion dienen konnte. Nach dem Korea-Krieg wurde Südkorea auf ähnliche Art als Land eingestuft, dem man helfen musste. Amerikanische Unternehmen schützten ihre Technologie nicht sehr aufmerksam, da diese nicht als entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg galt. Man meinte, der Erfolg stütze sich auf die Kontrolle über Bodenschätze oder auf Skalenerträge. Länder, die günstig gelegene Eisen- und Kohlevorkommen besaßen, beherrschten die Stahlproduktion; Länder, die Skalenerträge erzielen konnten, beherrschten die Autoproduktion. Die Kontrolle über die Verbreitung von Technologie war unwesentlich, um den Wettbewerbsvorteil eines Landes oder eines Unternehmens aufrechtzuerhalten. Auch die amerikanische Arroganz erleichterte die Kopierverfahren. Der technologische Vorsprung der USA war nach dem Zweiten Weltkrieg so groß, dass man bei amerikanischen Unternehmen glaubte, man werde die nächste Technologiegeneration erreichen, bevor die übrige Welt Amerikas letzte Generation gemeistert habe. Daher machte man sich keine Sorgen über diejenigen, die versuchten, die aktuellen Technologien nachzuahmen. Vielleicht ist es übertrieben, zu behaupten, dass der japanische Weg des direkten Kopierens nicht mehr existiere, aber die Methode ist jedenfalls viel schwieriger geworden. Die japanischen und europäischen Fortschritte der siebziger und achtziger Jahre ließen den Amerikanern die Arroganz vergehen. Die Technologie wird nun viel besser geschützt, da die Kontrolle ihrer Verbreitung als wesentlich für künftige Erfolge gilt. Betrachtet man jüngere wirtschaftliche Erfolgsgeschichten – etwa Singapur, Taiwan, Irland, Malaysia, China, Thailand –, so wird beim Kopieren ein ganz anderer, indirekter Weg eingeschlagen. Die betreffenden Regierungen bemühen sich, globale Unternehmen anzuziehen, die ausländische Produktionsanlagen einrichten wollen, um ihre Kosten zu reduzieren. In diesen ausländischen Produktionsanlagen setzen
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die globalen Konzerne ihre neuesten – oder nahezu neuesten – Technologien ein. Sie bringen dem einheimischen Personal die nötigen Produktionsfertigkeiten bei und bilden über etwas längere Zeiträume hinweg lokale leitende Angestellte aus, welche die ausländischen Führungskräfte ablösen. Das Endergebnis ist, dass die neuesten Technologien eher »vermittelt« als »kopiert« werden. Heutzutage hängt die Wirtschaftsentwicklung, realistisch gesehen, davon ab, ob ein Land ausländische Direktinvestitionen (ADI) anziehen kann. Dabei geht es nicht bloß um Geld, denn Kredite kann man leicht aufnehmen. Globale Unternehmen verfügen über Märkte, Technologien und rare Managementfähigkeiten oder technische Kenntnisse, wie sie die Entwicklungsländer benötigen, wenn sie an der globalen Wirtschaft teilhaben wollen. Ohne ADI sind Märkte schwer zu erschließen, neue Technologien mühsam zu erwerben und fehlende technische oder Managementfähigkeiten nicht zu bekommen. Aus eigener Kraft können Entwicklungsländer nicht auf dem Qualitätsniveau produzieren, das für Branchen mit hoher Wertschöpfung erforderlich ist, und ihre Erzeugnisse nicht einmal in Branchen mit niedriger Wertschöpfung wie der Textil- oder Schuhindustrie vermarkten. Es gibt eine enge Verbindung zwischen der Fähigkeit, ADI anzuziehen, und wirtschaftlichem Erfolg.24 Nicht zufällig ist China der größte ADI-Empfänger der Dritten Welt und besitzt die sich am zügigsten entwickelnde Ökonomie der Erde. Ähnlich verhält es sich mit den Vereinigten Staaten, dem bei weitem größten ADI-Empfänger und dem erfolgreichsten entwickelten Land der Welt. In den zwölf Jahren zwischen 1990 und 2002 erhielt Amerika 1,27 Billionen Dollar an ausländischen Direktinvestitionen – mehr als Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen.25 Deutsche und japanische Autowerke tragen entscheidend dazu bei, dass Amerika seine Position in der Automobilbranche behauptet. Manche Unternehmen, etwa Honda, könnte man fast als amerikanische Gesellschaften bezeichnen. Ohne ADI wären die Vereinigten Staaten nicht annähernd so erfolgreich, wie sie es sind. In jeder Phase der Wirtschaftsentwicklung müssen neue Dinge erlernt werden, und dafür empfiehlt es sich, einen erfahrenen Lehrer zu haben. Wenn man sich ADI im Verhältnis zur Bruttokapitalbildung eines
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Landes anschaut, bleibt kein Zweifel an ihrer Bedeutung. In Irland, dessen Wirtschaft in den neunziger Jahren die erfolgreichste Europas war, machten ADI 88 Prozent der Kapitalbildung aus. Trotz der gewaltigen Größe des Landes repräsentieren ADI in China – genau wie in Mexiko – 11 Prozent der Gesamtinvestitionen. Im Gegensatz dazu erbringen sie in Indien nur 2 Prozent der Bruttokapitalbildung.26 Ein sehr geringer Anteil der ADI der Welt geht in die ärmsten Länder, weil sie nicht über die unternehmerischen Voraussetzungen verfügen.27 Afrika erhält fast nichts an ADI. Wenn die Voraussetzungen verschwinden, wie es in Indonesien der Fall war, ziehen globale Konzerne rasch in bessere Gegenden. In Indonesien ist ein jährlicher ADI-Zufluss von 2 Milliarden Dollar, den das Land in der ersten Hälfte der neunziger Jahre erhielt, in den Jahren 2000 und 2001 zu einem Abfluss von jeweils fast 4 Milliarden Dollar geworden.28 Die Anziehung von ADI hat den Vorteil, dass sie viel weniger soziale Organisation erfordert als die Kopiermethode. Lokale Unternehmen brauchen sich nicht die Fähigkeit anzueignen, mit den Spitzenerzeugern der Welt zu konkurrieren. Länder brauchen Technologien nicht von widerwilligen ausländischen Eignern zu erwerben. Stattdessen müssen sie sich so präsentieren, dass sie von den globalen Konzernen als geeignete Produktionsbasen angesehen werden. Wenn diese Konzerne ihre Investitionsentscheidungen treffen, halten sie nach billigen Produktionsbasen Ausschau, wobei »billig« nicht gleichbedeutend mit den niedrigsten Löhnen der Welt ist. Die Unternehmen wünschen sich relativ niedrig bezahlte, doch gut ausgebildete Arbeiter, Techniker und leitende Angestellte. Singapur gibt mehr als jedes andere Land der Welt für sein Erziehungssystem aus. Irland hat ein gutes Ausbildungswesen und einen reichen Vorrat an relativ preiswerten Ingenieuren zu bieten. Auch Steuern und Marktzugang spielen eine Rolle. Irland hat eine sehr niedrige Körperschaftsteuer und Zugang zum europäischen gemeinsamen Markt. Aus Mexiko lässt sich der amerikanische Markt erreichen. Unternehmen, die Investitionen erwägen, benötigen eine solide Infrastruktur: eine verlässliche Stromversorgung, ein sicheres Verkehrswesen und so weiter. Singapur erhebt den Anspruch, über die beste Infrastruktur der Welt zu verfügen. Außerdem brauchen die Unternehmen gesellschaftliche Ordnung: Sicherheit
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vor Kriminalität, Eingrenzung der Korruption et cetera. Das alles erhalten sie auf Taiwan. Es kostet sowohl Zeit als auch Geld, eine Tochtergesellschaft in einem neuen Land einzurichten. Bezeichnenderweise gibt es eine Differenz von 20:1 zwischen Entwicklungsländern, die am meisten und am wenigsten Zeit für die Abwicklung wesentlicher Aktivitäten wie Grunderwerb und anderer Zugangsvoraussetzungen benötigen.29 Zeit ist Geld. Wenn die Kosten steigen, gehen Produktionsmöglichkeiten verloren.30 Daraus, wie mühelos Außenstehende mit den lokalen Bürokratien umgehen können, kann man eine Menge Aufschlüsse über die ADI-Unterschiede ziehen. Sobald die richtigen Bedingungen gegeben sind, werden internationale Konzerne ihren lokalen Tochtergesellschaften oder ihren lokalen Zulieferern die spezifischen Produktionstechnologien und Marktbeziehungen vermitteln, die man für die Mitwirkung in der globalen Wirtschaft benötigt. Die Zulieferer sind gewöhnlich einheimische Arbeiter und Angestellte, die von den globalen Konzernen ausgebildet und dann ermutigt werden, eigene Unternehmen zu gründen, um im Auftrag der Originalhersteller (OEMs: Original Equipment Manufacturers) bestimmte Waren zu produzieren. Die OEMs vermitteln den einheimischen Firmen direkt die erforderlichen Technologien zur Fertigung der Komponenten, die sie von ihnen kaufen wollen. Mit der Zeit machen die von den lokalen Firmen hergestellten Komponenten einen immer größeren Anteil des gesamten Produkts aus, das von den ausländischen Konzernen verkauft wird. Die einheimischen Unternehmen steigen in der Lieferkette auf und werden zu so genannten Systemlieferanten. Wie das Beispiel Taiwan zeigt, erzeugen diese lokalen Firmen irgendwann das gesamte Produkt (Laptops, Scanner), und nur der Markenname der OEMs bleibt erhalten. Letzten Endes müssen Drittweltfirmen einen direkten Zugang zum ausländischen Markt und ihre eigenen Markennamen erhalten. In mancher Hinsicht scheint es schwieriger zu sein, sich den Marktzugang zu sichern als die Technologie. Im Prinzip sollte eine der neuen Technologien, der elektronische Einzelhandel, den Verkauf auf ausländischen Märkten erleichtern, denn potenzielle Exporteure brauchen keine Infrastruktur aus herkömmlichen Warenhäusern mehr aufzubauen. Bevor der japanische Konjunkturabschwung den Prozess stoppte, hatte es
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den Anschein, als werde LL Bean sich mit seinem Webkatalog in Japan durchsetzen können, aber bisher ist es niemandem gelungen, mithilfe von elektronischem Einzelhandel in ausländische Märkte vorzudringen. Das wirkliche Problem hat nicht mit dem lokalen Absatz, sondern mit den Markennamen zu tun. Warenhausketten wie Wal-Mart machen es leicht, ausländische Produkte zu vertreiben, doch sie tun es unter ihrem eigenen Markennamen, und die Vereinbarungen sehen vor, dass Wal-Mart praktisch sämtliche Gewinne erhält. Im Prinzip sollte der Wechsel von Industriewirtschaften zu wissensgestützten Ökonomien den Aufholprozess erleichtern. In manchen Bereichen sollten die neuen Technologien in der Lage sein, die Entwicklung enorm zu beschleunigen. Normalerweise ist es eine langwierige Angelegenheit, ein Potenzial von gut ausgebildeten Arbeitskräften hervorzubringen, da Lehrer nicht in ausreichender Zahl für eine Erziehung vom Kindergarten bis zum letzten Schuljahr zur Verfügung stehen und da die meisten Beschäftigten für eine konventionelle Ausbildung ohnehin zu alt sind. Wäre man in der Lage, ein funktionsfähiges System des elektronischen Unterrichts zu entwickeln, könnte die Zahl der für eine umfassende Schulausbildung erforderlichen Lehrer reduziert werden. Die überschüssigen Lehrkräfte wären dann für die Erwachsenenbildung verfügbar, und die Qualifikationen der Beschäftigten könnten viel rascher als je in der Vergangenheit verbessert werden. Industriewirtschaften waren in hohem Maße darauf angewiesen, eine große Zahl natürlicher Ressourcen im Verhältnis zur Bevölkerungsdichte zu besitzen. Es ist kein Wunder, dass Asien das industrielle Schlusslicht bildete. Ökonomien, denen es an natürlichen Ressourcen mangelt, können daran nichts ändern, doch wenn es ihnen an menschlichen Ressourcen (Ausbildung und Fertigkeiten) mangelt, können sie Abhilfe schaffen. Es gibt viele Beispiele von Ländern – Taiwan, Korea und Singapur –, denen genau das gelungen ist. Es ist möglich, große technologische Sprünge zu machen und die entwickelte Welt zu erreichen. China, das ein Viertel der Bevölkerung sämtlicher Entwicklungsländer besitzt, scheint dabei zu sein, einen solchen Sprung zu vollziehen. Einfach ausgedrückt: Wir haben es mit einem radikalen Unterschied zwischen Ökonomien zu tun, die sich zum Sprung organisieren können, und den übrigen, die dazu nicht in der Lage sind. Das lässt sich
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deutlich an den Statistiken ablesen. Eine Gruppe von Ländern hat Erfolg, die zweite scheitert, und sehr wenige Länder befinden sich dazwischen. Die reichsten Staaten der Welt verfügen über ein Pro-Kopf-BIP von annähernd 40 000 Dollar, und es gibt 28 Länder mit einer Gesamtbevölkerung von 847 Millionen, in denen das Pro-Kopf-BIP zwischen 15 000 und 40 000 Dollar liegt. (Um diese Zahlen in einen Bezugsrahmen zu setzen: Die Weltbank glaubt, dass ein Pro-Kopf-BIP von 5 000 Dollar erforderlich sei, damit ein Land die Grundbedürfnisse seiner Bürger – Ernährung, Unterkunft, Erziehung, Gesundheitswesen – befriedigen kann. Oberhalb dieses Niveaus erwerbe man nicht mehr lebensnotwendige Dinge, sondern Luxusartikel.) Andererseits zählt man 169 Länder mit 5 Milliarden Menschen, deren Pro-Kopf-Einkommen keine 7 500 Dollar erreicht. In der Mitte findet man nur elf Länder mit 130 Millionen Menschen, deren Pro-Kopf-Einkommen sich zwischen 7 500 und 15 000 Dollar bewegt.31 Bei einer normalen Verteilung sollte man viel mehr Länder in der Mitte als entweder an der Spitze oder im unteren Bereich erwarten. Aber die Spärlichkeit der mittleren Einkommensgruppe ist nicht schwer zu erklären. Wenn die Grundvoraussetzungen der Entwicklung vorhanden sind, bereitet es keine Mühe, in der Ersten Welt zu bleiben oder zu ihr aufzuschließen. Das Letztere ist Japan, Taiwan, Südkorea, Singapur, Hongkong, Irland und Finnland gelungen. China, Malaysia und Thailand sind dabei, den Sprung zu machen. Wenn einem Land die Grundvoraussetzungen fehlen, bleibt es in der unteren Gruppe. Diese ist so groß, weil viele nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügen. Die kleine Gruppe in der mittleren Einkommenskategorie dagegen besteht aus Ländern, die die Voraussetzungen erfüllen und offensichtlich auf dem Weg in die entwickelte Welt sind. Sie werden diese mittlere Kategorie hinter sich lassen, denn kein Land bleibt sehr lange dort. Deshalb ist die Gruppe so klein. Letzten Endes weiß die Welt, wie Länder sich wirtschaftlich entwickeln können. Die konkreten Schritte sind mühsam, doch das Rezept ist klar und allgemein bekannt.
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Boomendes China Da China gegenwärtig die große Erfolgsgeschichte unter den Entwicklungsländern zu bieten hat, lohnt es sich, die Ursachen dieser Tatsache zu betrachten. Was können andere Entwicklungsländer und all jene, die ihre Wirtschaftsentwicklung fördern möchten, daraus lernen? Leider erzeugt China eher Furcht als den Hang, ihm nachzueifern, da es infolge seiner Größe alle Konkurrenten in der Dritten Welt zu verdrängen droht. Spricht man mit führenden Geschäftsleuten oder Regierungsvertretern irgendeines Entwicklungslands, so wendet sich die Unterhaltung rasch den Sorgen über den Wettbewerb mit China und Geschichten über einheimische Branchen zu, die sich dorthin verlagern. China scheint alles aufzusaugen, und man liest immer wieder alarmierende Schlagzeilen: »Asiatischer Tiger fürchtet Letztes Abendmahl wegen chinesischen Heißhungers«32; »Seoul spürt den Vormarsch des chinesischen Kapitalismus«33. China macht tatsächlich den Eindruck eines beachtlichen Konkurrenten. Es erhält den Löwenanteil der ADI, die in die Entwicklungsländer fließen. Im Jahr 2003 könnte es mehr davon anziehen als die Vereinigten Staaten. Wegen seiner gewaltigen Größe wird der Vorrat des Landes an niedrig bezahlten Arbeitskräften recht lange erhalten bleiben, selbst wenn seine Ökonomie rasch wächst. Die Zahl seiner gut ausgebildeten Arbeitnehmer reicht aus, um China – durch den Zugang zu Technologie, Management und Märkten, der ausländische Direktinvestitionen begleitet – die zügige Herstellung von Produkten zu ermöglichen, die zurzeit in der entwickelten Welt gefertigt werden. Während sein Wirtschaftswachstum zunimmt, meinen diejenigen, die China fürchten, dass sich das Wachstum in den übrigen Entwicklungsländern verlangsamen müsse. Die Ängste und die Konkurrenzgefahr sind stark übertrieben. Die chinesische Geschichte muss mit etwas mehr Realitätssinn und der Einsicht beginnen, dass der wirtschaftliche Erfolg des Landes keine Bedrohung für die übrige Welt ist. Aber wenn ein Staat von der Größe Chinas (20 Prozent der Weltbevölkerung), der 30 Jahre lang abseits gestanden hat, plötzlich beschließt, sich dem globalen System anzuschließen, dann ändern sich die Umstände, wie wir sehen werden.
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Manche sind der Ansicht, aus dem wirtschaftlichen Erfolg Chinas gehe eine militärische Gefahr hervor. Es ist bereits eine bedeutende Militärmacht – vielleicht die Nummer zwei auf der Welt nach den Vereinigten Staaten und mindestens Nummer drei hinter den Vereinigten Staaten und Russland.34 Im 21. Jahrhundert wird es zweifellos eine politische und militärische Großmacht sein. Gegenwärtig ist es die beherrschende Militärmacht in seiner Region. Absolute Größe bestimmt die militärische Stärke, und China ist riesig. Aber das Wachstum dieser Gefahr ist nur sehr locker mit der Wirtschaftsentwicklung verbunden. Es kommt weniger auf Chinas Kapazität an als darauf, welche militärischen Absichten es seinen Nachbarn gegenüber hegt. Wirtschaftsmacht ist etwas ganz anderes. Sie hängt vom Pro-KopfBIP, nicht vom absoluten BIP ab. Modernste Produkte werden an führende Konsumenten verkauft, die ein hohes Einkommen haben müssen. Im Jahr 2000 betrug Chinas Pro-Kopf-BIP 847 Dollar, wenn man den Wechselkurs des Yuan zugrunde legt. Das amerikanische ProKopf-BIP belief sich auf 36 000 Dollar. Der ökonomische Wandel nimmt genau deshalb in den USA seinen Anfang, weil sie über Verbraucher mit einem hohen Einkommen verfügen. China mag in Zukunft eine bedeutende Wirtschaftsmacht werden, doch der Zeitpunkt ist noch fern. Um sich diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, kann man das ProKopf-BIP Chinas und Amerikas niederschreiben und sich überlegen, welche Wachstumsrate beide im kommenden Jahrhundert zu erwarten haben (im vergangenen Jahrhundert wuchs das amerikanische ProKopf-BIP um jährlich 2,1 Prozent). Man berücksichtige, dass kein Land im Lauf eines Jahrhunderts je mehr als durchschnittlich 3 Prozent pro Jahr geschafft hat und errechne dann, welches Pro-Kopf-BIP China im Jahr 2100, verglichen mit den Vereinigten Staaten, aufweisen wird. Wenn man keine ganz unwahrscheinliche Wachstumsrate für das nächste Jahrhundert einsetzt, wird China im Jahr 2100 immer noch ein Pro-Kopf-BIP weit unter dem der USA haben. Da die chinesische Bevölkerung viermal so groß ist wie die amerikanische, wird das absolute chinesische BIP bis dahin wahrscheinlich höher sein, doch das ist irrelevant. Die entscheidende Rolle spielt das Pro-Kopf-BIP. Wenn uns ein
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von der chinesischen Wirtschaft geprägtes Jahrhundert bevorsteht, dann dürfte es das 22., nicht das 21. sein. Solche Berechnungen schmälern den gegenwärtigen oder zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg Chinas nicht. Sie zeigen einfach an, dass ökonomische Erfolge von Marathonläufern, nicht von Sprintern errungen werden und dass China noch beweisen muss, welcher Kategorie es angehört. Selbst wenn es ein Marathonläufer ist, muss es das Rennen zunächst hinter sich bringen – und den Sieg davontragen. Wichtig ist es zudem, die Vor- und Nachteile der gegenwärtigen Situation des Landes zu verstehen. Die vergangenen Wachstumsraten sind nicht so gut, wie sie aussehen, die gegenwärtigen sind nicht so hoch, wie behauptet wird, und die künftigen werden nicht so gut sein wie die der Vergangenheit.
Die Vergangenheit Das chinesische Wirtschaftswunder ist nicht in den blühenden Städten zu finden, die jedermann besucht, sondern in den Landgebieten. 1978 begann China seine Reformen, indem es die Kommunen abschaffte und jeder Bauernfamilie ein Grundstück zuwies. Offiziell erhielten die Bauern auf 15 Jahre bemessene Pachtverträge für Feldfrüchte und 50 Jahre geltende Verträge für Baumfrüchte. Unter dem »Familienverantwortungssystem« haben sie das Recht, anderen ihre Pachtverträge zu übertragen (das heißt zu verkaufen). In Wirklichkeit jedoch wissen alle Bauern, dass das Land für immer ihnen gehört und dass der Staat es nicht zurückerhalten wird. Die Abschaffung der Kommunen verbesserte die Motivation, was zu einer starken Erhöhung der Agrarproduktion führte, ohne dass man in Bewässerung, Düngemittel, Maschinen, Pestizide oder Verkehrsverbindungen investiert hätte. Innerhalb von nur sechs Jahren – zwischen 1978 und 1984 – schnellte die landwirtschaftliche Produktionsmenge Chinas um zwei Drittel in die Höhe. Die Serviceleistung eines Trägers, der am Flughafen die Koffer eines anderen beförderte, war im Kommunismus keine legitime Tätigkeit. Die sprachliche Wurzel des Begriffs »Service« ist in den lateinischen Wörtern für Sklave und Sklaverei zu finden. Als Teil des alten Ausbeutungs-
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systems wurden Dienstleistungen deshalb unter dem Kommunismus nicht geschätzt; sie gingen nicht in die kommunistischen Produktionsstatistiken ein und waren notorisch knapp. Man berücksichtige das, was es schon immer gegeben hat, und lasse den Privatsektor die Dienstleistungen bereitstellen, die unter dem Kommunismus zurückgehalten wurden. Dann wird es in der Dienstleistungsproduktion fast ohne Einsatz von Geldmitteln zu einem einmaligen Boom kommen. Unter dem Kommunismus wurden hohe Investitionen getätigt, die sich wegen dürftiger Motivationssysteme nicht bezahlt machten. Ein seit langem existierendes Hotelgebäude könnte durch eine gute Geschäftsführung und verlässlichen Service ohne weiteres zu einem wirklichen Hotel werden. Wenn man die gewerbliche Ineffizienz des Kommunismus durch ein besseres Motivationssystem korrigiert, ist es möglich, aus den Investitionen der Vergangenheit mit sehr geringem neuen Kapitalaufwand hohe Erträge zu erzielen. Der Effekt ist mit dem der Reparatur der Rheinbrücken nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Eine einzige Brückenreparatur hat zur Folge, dass viele frühere Investitionen erneut aktiviert werden. Aber es handelt sich um einen einmaligen, nicht wiederholbaren Produktionsaufschwung. Irgendwann schnellt die Investitionsmenge, die für eine spezifische Wachstumsrate erforderlich ist, in die Höhe. Wenn man die früheren Dienstleistungen mitzählt und zu den Ergebnissen von Landwirtschaft und Industrie addiert, erscheinen die zweistelligen Wachstumsraten, die China in den achtziger Jahren meldete, überaus plausibel – wenn auch nicht wiederholbar.
Die Gegenwart Doch in den chinesischen Wirtschaftsstatistiken wiederholen sich diese Zahlen. Die veröffentlichten Wachstumsraten von 9,7 Prozent sind eine grobe Übertreibung des in den neunziger Jahren erzielten Erfolgs. Eine detaillierte Untersuchung der chinesischen Statistik und der Beziehung zu Variablen wie dem Stromverbrauch, die eng mit dem BIPWachstum verknüpft sind, deutet auf Wachstumsraten zwischen 4 und
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5 Prozent hin.35 Das ist ein wunderbares Ergebnis für ein großes Land, und es hat den zusätzlichen Vorteil, glaubwürdig zu sein. Falls China eine annähernd 5-prozentige Wachstumsrate, verbunden mit einem 1-prozentigen Bevölkerungswachstum, ein Jahrhundert lang aufrechterhalten kann, wird es den Rekord für die höchste langfristige Pro-Kopf-BIP-Wachstumsrate der Menschheitsgeschichte brechen. Japan, der bisherige Rekordhalter, schaffte es im ersten Jahrhundert seiner industriellen Entwicklung lediglich, sein Pro-Kopf-Einkommen mit einer Rate von jährlich 3 Prozent zu steigern. Die übertriebenen Zahlen für die neunziger Jahre bedeuten nicht, dass jemand in Beijing die Daten bewusst nach oben manipuliert. Lokale Amtsträger in China erhalten Prämien und Beförderungen im Zusammenhang mit der Wachstumsrate ihrer Region. Dieselben Ortsfunktionäre sind dafür verantwortlich, die lokalen Wirtschaftsstatistiken zu berechnen und weiterzumelden. Sie schreiben die Zahlen nieder, die ihre Vorgesetzten in der Zentralregierung ihrer Ansicht nach hören wollen. Wer möchte schon der Erste sein, der negative Daten weitergibt? Nur ein Heiliger würde sein Licht unter den Scheffel stellen, und chinesische Provinzfunktionäre sind keine Heiligen. Hin und wieder bestraft Beijing irgendeinen lokalen Amtsträger dafür, dass er die Wirtschaftsleistung seines Gebiets übertrieben hat. Dadurch will man dem gesamten System einen Anstrich von Ehrlichkeit verleihen. Im Jahr 2001 gab es 60 000 eingestandene Verletzungen des Meldeverfahrens, und der Chef der zentralen Statistikbehörde gab zu, dass alle Provinzen bis auf eine im selben Jahr Wachstumsraten von mehr als 8,5 Prozent gemeldet hätten. Er selbst habe den Durchschnitt auf 7,3 Prozent gesenkt – auf welcher Basis, blieb unbekannt.36 Manche Teile der chinesischen Wirtschaft blühen offensichtlich, während andere genauso offensichtlich stagnieren. Niemand wird leugnen, dass die Exportwirtschaft gedeiht und dass die chinesischen Großstädte zügig voranschreiten. Die Exporte Chinas in die Vereinigten Staaten haben im Lauf der letzten fünf Jahre um 82 Prozent zugenommen, und der Boom in den Küstenstädten ist unverkennbar.37 Weniger deutlich ist das, was sich in den Landgebieten abspielt, wo weiterhin die meisten Chinesen leben. Da 73 Prozent der chinesischen Beschäftigten in der Landwirtschaft arbeiten und 80
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Prozent der Menschen auf dem Lande wohnen, ist es schwierig, eine hohe nationale Wachstumsrate zu erzielen, es sei denn, die Landwirtschaft macht rapide Fortschritte. Doch im letzten Jahrzehnt stagnierte die Agrarproduktion, wie Beijing einräumt. Wenn die Einkommen von 80 Prozent der Bevölkerung stillstehen, erfordert eine nationale Wachstumsrate von 10 Prozent mathematisch, dass das Einkommen der übrigen 20 Prozent pro Jahr um 50 Prozent steigt. Das ist unmöglich.
Die Zukunft Sogar jene niedrigere Wachstumsrate wird sich in den kommenden Jahren kaum wiederholen lassen, denn in China zeichnen sich einige große Wirtschaftsprobleme ab. Der Kommunismus investierte in zahlreiche Projekte, die von niemandem gewünschte Dinge erzeugen, und das zu Kosten, die in einer kapitalistischen Gesellschaft Verluste nach sich ziehen würden. Viele dieser Fabriken büßen gewaltige Beträge ein und können nur durch öffentliche Subventionen überleben. Sie haben keine langfristige Zukunft. Staatseigenen Betrieben (State-Owned Enterprises, SOEs) gehören 63 Prozent der chinesischen Industrieanlagen, sie produzieren 70 Prozent des Industrieumsatzes, beschäftigen 40 Prozent der städtischen Arbeitskräfte und zahlen, was am wichtigsten ist, 74 Prozent der Steuern.38 Wenigstens ein Drittel dieser staatseigenen Betriebe wird irgendwann geschlossen werden müssen. Wenn das geschieht, wird es die Statistiken des Wirtschaftswachstums beeinträchtigen. Die potenziellen Schließungen beschränken sich nicht auf Unternehmen, die heute, wie offiziell bestätigt wird, Geld verlieren. Unter dem Kommunismus waren viele Dinge (Verkehr, Rohstoffe, Energie) kostenfrei oder wurden heftig vom Staat subventioniert. Wenn China seine Marktöffnung vollendet hat, wird der Preis vieler Produkte für die Betriebe drastisch steigen. Rentabel wirkende Unternehmen könnten rasch unrentabel werden, sodass sie ihre Geschäfte einstellen müssen. Die nicht lebensfähigen staatseigenen Betriebe können nur existie-
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ren, weil sie durch die Banken unterstützt werden. Diese müssen ihnen riesige Kredite gewähren, damit die städtische Arbeitslosigkeit nicht erheblich zunimmt. Man weiß von vornherein, dass es sich um schlechte Kredite handelt, deren Rückzahlung nicht zu erwarten ist. Deshalb werden die Bankprobleme Chinas mit den SOEs manchmal als sich abzeichnendes, noch größeres Enron beschrieben. Das Bankwesen werde infolge der notleidenden Kredite implodieren, und die Kontoinhaber würden ihr Geld verlieren. Dazu wird es jedoch nicht kommen, denn die Regierung wird den Banken die Mittel zur Erstattung der Kontoeinlagen bewilligen. Da die Regierung Geld druckt, fehlt es ihr nicht an den erforderlichen Beträgen, und da die Ortsbanken in China sämtlich in staatlicher Hand sind, gibt es keine Privataktionäre, die den Schaden davontragen würden. Das wirkliche Problem besteht darin, neue Arbeitsplätze für Hunderte von Millionen Städtern zu finden, die von den SOEs beschäftigt werden. 27 Millionen Menschen wurden bereits zwischen 1998 und 2002 entlassen, und man muss noch weiteren Abermillionen kündigen.39 Die Schwierigkeiten sind wirtschaftlicher und sozialer, nicht finanzieller Art. Für die Unternehmen, die rentabel gemacht werden können, stehen gewaltige Umstrukturierungskosten an. Die Mittel zur Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Produktivitätsniveaus dieser SOEs werden aus anderen Bereichen abgezogen werden müssen, in denen das Wachstum zurückgehen wird. Zunächst könnte man das Wachstum in den Küstengebieten fördern, wo wenig neue Infrastruktur benötigt wird, insbesondere an jenem Teil der Küste, der die Infrastruktur von Hongkong zu nutzen vermag. Aber China ist ein großer kontinentaler Staat, in den enorme Infrastruktur-Investitionen vorgenommen werden müssen, wenn die Einkommen im Landesinnern nicht stagnieren sollen. Infolge seiner Geschichte verfügt China über ein noch weniger ausgeprägtes Kommunikations-, Verkehrs- und Elektrifizierungssystem als kleinere, ärmere Länder wie Indien. Obwohl China dreimal so groß ist wie Indien, besitzt es 20 Prozent weniger Eisenbahnkilometer. In Indien baute die britische Armee im 19. Jahrhundert ein Eisenbahnnetz, um das Land effektiv okkupieren zu können. China hatte den Nachteil, eine QuasiKolonie zu sein, in der keine der beteiligten ausländischen Mächte
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(Großbritannien, Frankreich, Russland, Deutschland, Japan, Vereinigte Staaten) die Verantwortung für den Aufbau der nationalen Infrastruktur übernahm. Nach seinen Erfahrungen im Kampf gegen die Japaner während des Zweiten Weltkriegs war der Vorsitzende Mao zudem vom Wert der regionalen Autonomie überzeugt und ließ das Verkehrssystem nicht in dem Maße ausbauen, wie es in anderen kommunistischen Ländern, etwa der Sowjetunion, geschah. Die Regionen sollten autonom sein, damit es anderen Staaten unmöglich gemacht wurde, China militärisch zu erobern. Die chinesische Armee würde die Ressourcen der autonomen Gebiete nutzen und sich einfach zurückziehen, bis der Angreifer nicht mehr genug Soldaten hatte, um das Land zu besetzen. Die Infrastrukturprobleme verschlimmern sich durch das Eingreifen von Personen, die man nur als regionale Wirtschaftskriegsherren bezeichnen kann. Diese Warlords versuchen, das Wirtschaftswachstum für ihre Gegend zu monopolisieren, indem sie sich weigern, Geld für genossenschaftliche regionale Infrastrukturprojekte auszugeben, durch die sich die Kosten für alle langfristig senken ließen. China benötigt zwar mehr Häfen und Flughäfen, aber es besitzt schon etliche, die extrem unausgelastet sind, weil man sie an den falschen Orten gebaut hat. Das beste Beispiel dafür sind die vier neuen Flughäfen, die in Südchina unweit von Hongkong entstehen. Ein einziger Flughafen mit Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnverbindungen zu den größten Städten der Gegend wäre billiger gewesen und hätte für ein gebietsweites Verkehrsnetz gesorgt. Stattdessen hat man sich eine Menge Schulden und ungenutzte Kapazitäten aufgebürdet. China kann sich nicht leisten, Geld für sich duplizierende oder schlecht positionierte Anlagen auszugeben. Außerdem verschwendet China viel Geld, weil es seine Leistungsbilanzüberschüsse nicht für etwas Wichtigeres als die Schaffung von Devisenreserven nutzt. Im letzten Jahrzehnt hat das Land unablässig hohe Handelsüberschüsse erzielt, sodass sich im Jahr 2003 Devisenreserven von 260 Milliarden Dollar angesammelt haben (Hongkong verfügt über weitere 110 Milliarden Dollar).40 China ist zu arm, um mit solchen Überschüssen zu leben. Es braucht für seine internationalen Wirtschaftsgeschäfte nicht annähernd so hohe Beträge wie die, die es gehor-
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tet hat. 50 Milliarden Dollar an Reserven würden ohne weiteres ausreichen, um auch die internationalen Geschäfte abzusichern. Wenn das Land über einen hohen Handelsüberschuss verfügt, bedeutet das, dass arme Chinesen reichen Amerikanern Darlehen gewähren. Chinesische Handelsüberschüsse sind wirtschaftlich unsinnig.41 Statt es in Form von Devisenreserven anzuhäufen, sollte das Geld in Projekte investiert werden, die Millionen von Menschen beschäftigen und ihnen die Möglichkeit bieten, Nützliches zu leisten. 15 Millionen Menschen sind in städtischen Gebieten arbeitslos, und niemand weiß, wie viele auf dem Lande un- oder unterbeschäftigt sind.42 Manchen Schätzungen zufolge liegt die Zahl bei über 100 Millionen. Man muss Investitionen tätigen, um die großen Einkommenslücken zu schließen, die sich nun überall in China offenbaren. In den östlichen Städten wachsen die Einkommen im oberen Bereich viermal so schnell wie im unteren.43 Zu Beginn der Marktreformen bestand eine 4:1-Lücke zwischen dem oberen und dem unteren Fünftel der chinesischen Bevölkerung. Dieser Abstand hat sich nun auf 13:1 ausgeweitet.44 Ein großer Teil davon ist auf den Unterschied zwischen Land und Stadt zurückzuführen. Die ländlichen Einkommen stagnieren und sind von 58 auf 38 Prozent der städtischen Bezahlungen gefallen. Zwischen der reichsten und der ärmsten Provinz Chinas gibt es einen Abstand von 14:1. Gelder werden benötigt, um den Boom aus den östlichen Städten auf die Landgebiete übergreifen zu lassen, wo 80 Prozent der Menschen leben. Man muss massiv in Düngemittel, Pestizide, Maschinen, Verkehrs- und Kommunikationswesen sowie Elektrifizierung investieren, um die ländliche Produktivität und die Einkommen zu erhöhen, damit dort lebende Chinesen nicht in die Stadtgebiete übersiedeln (bis zu 50 Millionen könnten bereits umgezogen sein). Der OstküstenBoom muss auch die Mitte und den Westen des Landes erfassen. Selbst wenn China die Gelder, die zurzeit in seine Devisenreserven eingehen, effektiv nutzt, wird es einige der Mittel, die nun in die Leichtindustrie oder in den Dienstleistungssektor fließen und sich dort in kürzester Zeit amortisieren, für langfristige Investitionen in Infrastruktur und Landwirtschaft verwenden müssen. Wenn das geschieht, wird sich das Wachstum verlangsamen. Da die Infrastruktur hohe Kapitalinvestitionen für jeden Ertragsdollar erfordert, wird diese Umorientierung
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den chinesischen Kapitalkoeffizienten steigen lassen. Mit jeder höheren Investitionsstufe sinken dann die Erträge. Aus all diesen Gründen wird die Wachstumsrate Chinas in Zukunft niedriger sein als in der Vergangenheit. Außenstehende sollten die chinesische Wirtschaft in drei Bereiche teilen: 1. Es gibt die Lieferkettenwirtschaft, in der Komponenten hergestellt werden. Diese wiederum baut man zu Produkten für die wohlhabende Industriewelt zusammen. Das ist ein sehr rentabler Bereich, in dem die chinesischen Löhne infolge des Wechselkurses und der inländischen Lebenshaltungskosten äußerst niedrig sind. 2. Im zweiten Wirtschaftssektor werden Investitionsgüter an die Chinesen verkauft. Hier sind die Erstverkäufe einträglich, doch weitere Geschäfte hängen davon ab, ob die Verkäufer ihre geistigen Eigentumsrechte schützen können. Die Ausrüstungsgüter werden häufig von einheimischen Zulieferern kopiert, die sowohl den lokalen Markt übernehmen als auch mit dem ursprünglichen Verkäufer in einen Exportwettbewerb treten. Die Verkäufer, die ihre Geschäfte fortsetzen wollen, müssen etwas für sich behalten, das die Chinesen nicht nachahmen können. Dieser lokale Wettbewerb kommt nicht zufällig zustande. Ausländer sind nämlich gezwungen, in China über Joint Ventures zu operieren. Das ist Teil einer Strategie, die auf technologische Ausstrahlungseffekte abzielt, damit die Chinesen später lernen, die Produkte, die sie zunächst mit ihren Joint-Venture-Partnern herstellen, ohne fremde Hilfe anzufertigen. Solche Joint Ventures bereiten den ausländischen Partnern eine Reihe erheblicher Probleme. Wie sollen sie diese Projekte mit chinesischen Firmen erfolgreich gestalten, wenn Joint Ventures im Allgemeinen nicht einmal zwischen amerikanischen Unternehmen bei ihren geringen kulturellen Unterschieden funktionieren? Westliche Joint Ventures enden rasch auf dreierlei Art: Eine Firma übernimmt die andere; ein Unternehmen wird zum stillen Teilhaber, während der andere Partner die Geschäfte führt; beide Firmen bekriegen einander und zerstören ihr Joint Venture.
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Jedes Unternehmen, das sich auf den chinesischen Markt begibt, sollte einen Ausstiegsvertrag (das heißt einen Ehekontrakt) mit dem chinesischen Partner abschließen. Das tun nur wenige. 3. Im dritten chinesischen Wirtschaftssektor verkaufen ausländische Firmen ihre Waren direkt an chinesische Kunden. Dies ist überwiegend ein Trugbild. Ausländische Unternehmen träumen von einem riesigen Markt, aber wenn sie in China eintreffen, ist der Markt entweder nicht vorhanden oder existiert noch nicht sehr lange. Die Produkte der Ersten Welt sind zu teuer für chinesische Einkommen, und lokale Firmen verstehen sich darauf, ausländische Unternehmen, die ihre Produkte in China herstellen wollen, zu verdrängen. Kaum ein ausländisches Unternehmen verdient Geld durch den Verkauf von Waren an chinesische Kunden.
Ein chinesisches Entwicklungsmodell China hat viele Vorteile zu bieten. Der Kommunismus und die konfuzianische Kultur haben das Interesse an der Erziehung wechselseitig verstärkt. Des Lesens und Schreibens unkundige Eltern möchten, dass ihre Kinder eine gute Erziehung erhalten. Verglichen mit anderen großen Entwicklungsländern wie Indien, Indonesien oder Brasilien besitzt China eine besser und umfassender ausgebildete Bevölkerung. Es ist viel leichter, Menschen mit einer guten Grundausbildung moderne Produktionsfertigkeiten beizubringen, als Analphabeten unterrichten zu müssen. China profitiert erheblich von seinen Emigranten. Das durch Familienbeziehungen geschaffene Vertrauen ermöglicht den Auslandschinesen, die Menschen in der Volksrepublik viel rascher darüber aufzuklären, wie das globale kapitalistische Spiel gespielt wird, als wenn die Chinesen der Volksrepublik diese Kenntnisse von Amerikanern, Europäern oder Japanern beziehen müssten – ohne zu wissen, ob sie ihren Lehrern Glauben schenken können oder nicht. Die Aufgaben des Managements sind unter dem Kommunismus und dem Kapitalismus sehr verschieden. Im Kommunismus fungieren die
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Manager mehr oder weniger als Wirtschaftsoffiziere. Es gibt einen zentralen Wirtschaftsplan – oder Schlachtplan –, der in Moskau oder Beijing festgeschrieben wird. Man teilt den Managern mit, was sie herzustellen haben, und schickt ihnen die erforderlichen Materialien, Bauteile, Arbeitskräfte und Lohngelder. Sie werden benachrichtigt, wann ein Plattformwagen eintreffen und ihre Erzeugnisse an einen unbekannten Ort befördern wird. Sollte die vorgeschriebene Produktionsmenge nicht fertig sein, werden sie bestraft (vor ein Kriegsgericht gestellt). Kommunistische Manager kaufen nie etwas, verkaufen nie etwas, verhandeln nie mit einem Partner, studieren nie Marktinformationen, machen sich nie Gedanken über Gewinne und Verluste und sprechen nie mit einem Kunden. Sie sind die Obersten in einer Wirtschaftsarmee und führen die Befehle des Generalstabs aus. Doch das Geschäftsleben verlangt eine völlig andere Mentalität. In China haben Auslandschinesen, die das kapitalistische Spiel kennen, da sie in kapitalistischen Gesellschaften aufgewachsen sind, die alten Wirtschaftsobersten abgelöst. Anfangs fungierten die Auslandschinesen als Fabrikleiter, während Hongkong als Hauptquartier diente. Diese Personen, die in Hongkong, auf Taiwan, in Amerika, Südostasien und Singapur gelebt hatten, brachten nicht nur Geld und Technologie, sondern auch die für das kapitalistische Spiel notwendigen Kenntnisse und Kontakte mit. Innerhalb und außerhalb Chinas diskutiert man ausgiebig über den Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation (WTO). Es war ein psychologisch wichtiges Ereignis. Dadurch hat man innerhalb und außerhalb Chinas erfahren, dass die Führung am globalen kapitalistischen Spiel interessiert ist. Als bedeutendes Wirtschaftsereignis kann man Chinas WTO-Beitritt jedoch nicht betrachten. Er kann als Instrument der Führer in Beijing gesehen werden, um die Bürokraten der mittleren und unteren Ränge zu überzeugen, dass sie die chinesischen Wirtschaftsinstitutionen weiterhin reformieren müssen. Die Führung kann die notwendigen Änderungen damit verteidigen, sie müsse die WTO-Bedingungen erfüllen (Schuld haben die Ausländer), obwohl sie in Wirklichkeit den ökonomischen Fortschritt in Gang halten will. Wenn die chinesischen Führer nicht davon überzeugt wären, dass diese Reformen für ihren eigenen künftigen Erfolg unverzichtbar sind, hät-
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ten sie sich der WTO nicht angeschlossen, denn China kam auch ohne sie sehr gut zurecht. Wenn die chinesische Regierung in Zukunft nicht akzeptiert, dass die WTO-Bedingungen ihrem langfristigen Eigeninteresse entsprechen, wird sie den Auflagen einfach nicht gehorchen – genau wie Europa den Auflagen für Hormonrückstände im Fleisch nicht gehorcht und wie Amerika sich nicht an die Vorschriften hält, was ausländische Steuervorteile für seine Unternehmen betrifft. Die Chinesen wissen, dass man sie nicht aus der WTO ausschließen wird. Die Geldstrafen für die Nichtbefolgung der Vorschriften sind gering, und man kann immer geschickte Methoden finden, um die Regeln zu umgehen. Südkorea zum Beispiel ordnete Steuerprüfungen für alle Ford-Taurus-Käufer an, als die Regierung meinte, dass zu viele importierte Ford-Modelle verkauft würden. Die WTO-Vorschriften enthalten keine Details darüber, wer einer Steuerprüfung unterzogen werden kann. China hatte eine brillante Strategie und setzte sie klug in die Praxis um. Am Anfang beschränkte es seine Experimente mit freien Märkten auf spezielle Wirtschaftszonen, statt in einem ökonomischen Big Bang Marktreformen für das gesamte Land durchzuführen. Die Regierung wollte allmählich voranschreiten, wobei ein Erfolg den anderen ablösen würde. Die Privatisierung der Landwirtschaft führte zur Privatisierung der Dienstleistungen, diese wiederum zur Privatisierung des Kleinhandels, woran sich die Privatisierung der Kleinproduktion anschloss. Der Exportsektor wurde vor dem Importsektor liberalisiert. Während sich die speziellen Wirtschaftszonen erweiterten, nahm auch der Umfang des Marktes zu. Man erinnere sich an die oben diskutierten Entwicklungsmechanismen. Lassen sie sich auf den Fall China anwenden? Dort weiß man, dass der wirtschaftliche Aufholprozess langfristig angelegt sein muss. Was Sozialkapital und soziale Fähigkeiten angeht, so besitzt China beides. Die Rolle der Auslandschinesen für die Wirtschaftsentwicklung entspricht dem, was mit Sozialkapital gemeint ist. China hat eine effektive Regierung, die Strategien entwerfen und – sobald man sich über diese Strategien geeinigt hat – Entscheidungen treffen und durchsetzen kann. Die gegenwärtige Strategie ist konsequent, auf lange Sicht angelegt und in den letzten beiden Jahrzehnten überzeugend realisiert wor-
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den. Die Regierung hat ihre organisatorischen Fähigkeiten durch die Gründung und Erweiterung der speziellen Wirtschaftszonen unter Beweis gestellt. Die ländlichen Kommunen sind abgeschafft worden, und die staatseigenen Betriebe werden privatisiert. Individuelle Motivationssysteme sind wirksam. China investiert riesige Beträge in die Infrastruktur – der große Damm am Jangtsekiang ist lediglich das sichtbarste Projekt. Das Bevölkerungswachstum Chinas ist unter Kontrolle und liegt bei etwa 1 Prozent pro Jahr. Die Regierung hat das früher knappe Element, nämlich Kapital, zugänglich gemacht und eine arme Gesellschaft mit einer Sparquote von 30 Prozent geschaffen. Obwohl Ausbildungs- und Gesundheitsstandards in den städtischen Gebieten weit höher sind als in den Dörfern, hat China, verglichen mit anderen großen Entwicklungsländern, ein gutes Bildungssystem und ein vortreffliches Gesundheitswesen. Für eine bessere ländliche Bildung zu sorgen ist wahrscheinlich das größte Erfordernis des Landes, wenn auch nicht seine höchste Priorität. Die Frauen werden voll im Arbeitsprozess eingesetzt. Sie sind gut ausgebildet und haben wichtige Ämter in der Wirtschaft und der Regierung inne. Terrorismus ist keine Bedrohung. Ausländische Geschäftsleute sind ihres Lebens sicher und brauchen nicht mit Entführungen oder Morden zu rechnen. Korruption existiert zwar, doch die chinesische Führung ist sich des Problems bewusst und versucht, es unter Kontrolle zu bringen. Die Regierung ist sich der Tatsache bewusst, dass sie China als gute Umgebung für den Abschluss von Geschäften darstellen muss. Sie kümmert sich um ausländische Direktinvestitionen. Unter den Schwellenländern erhält China dreimal so hohe Summen wie Brasilien, der zweitgrößte Empfänger, und 30-mal so viel wie Indien.45 Da Joint Ventures vorgeschrieben sind, haben einheimische Firmen eine bessere Chance, von den Ausländern zu lernen. China erfüllt alle Entwicklungsvoraussetzungen, und genau deshalb hat es Erfolg. Eine produktive Wirtschaftsentwicklung ist kein Rätsel. Was getan werden muss, steht fest, und es gibt funktionsfähige Modelle.
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Niedergang in Subsahara-Afrika Während China eine Eins für die Schönheit seiner Wirtschaftsentwicklung verdient hätte, steht Subsahara-Afrika nur eine ungenügende Note zu. Die Produktivität ist gestiegen, doch das Bevölkerungswachstum hat sich noch schneller erhöht, weshalb das reale Pro-Kopf-BIP fällt und unter dem der mittleren sechziger Jahre liegt. Der Nenner des Bruchs wächst einfach viel schneller als der Zähler. In Gesamtafrika leben neun von zehn Menschen von weniger als 2 Dollar, und im Kongo existieren mehr als neun von zehn Menschen von weniger als 1 Dollar pro Tag.46 Von den Menschen in der Welt, die weniger als 1 Dollar pro Tag zur Verfügung haben, leben 66 Prozent in Afrika. Das war nicht immer der Fall. Als Afrika nach der Kolonialzeit Mitte der sechziger Jahre unabhängig wurde, war es, was das ProKopf-Einkommen angeht, erheblich wohlhabender als Asien. Heute ist es ärmer. In den letzten 30 Jahren hat sich der afrikanische Anteil an den sehr Armen der Welt von 11 auf 66 Prozent erhöht, während der asiatische Anteil von 76 auf 15 Prozent gesunken ist.47 Afrika ist ein am falschen geografischen Ort liegender Kontinent, auf dem alles, was misslingen konnte, auch misslungen ist. Es handelt sich um einen Kontinentalblock mit der im Verhältnis zu seiner Fläche kürzesten Küstenlinie der Welt, doch die Wirtschaftsentwicklung ist ein Küstenphänomen. Fast 70 Prozent des Welt-BIP werden in weniger als 100 Kilometer Entfernung von der Küste produziert. Afrika besitzt wenige natürliche Häfen. Da der Kontinent aus einer großen Hochebene besteht, an deren Rand sich die meisten Flüsse in die Tiefe ergießen, sind diese nur für kurze Entfernungen befahrbar. Die einzige Ausnahme ist der Nil. Nordafrika ist, abgesehen von ein paar Kilometern landeinwärts am Mittelmeer und am Nil, eine brutale Wüste.48 Südlich davon findet man fast nur Tropengebiete. Mit Ausnahme der Stadtstaaten Hongkong und Singapur gibt es in den Tropen keine erfolgreiche Volkswirtschaft. In Ländern wie Brasilien, die sowohl tropische als auch gemäßigte Zonen enthalten, sind die Letzteren viel reicher. Unverkennbare physische Hindernisse erschweren die Entwicklung in den Tropen. Um sie in Gang zu setzen, benötigt man in den länd-
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lichen Gebieten Lebensmittelüberschüsse, mit denen die Stadtbevölkerung ernährt werden kann. Technologische Fortschritte kommen in städtischen Kulturen zustande. Aber die Produktivität in der tropischen Landwirtschaft ist sehr niedrig, und ohne die erforderlichen Lebensmittelüberschüsse wurden Städte im tropischen Afrika viel später als anderswo gegründet. Die Probleme bei der Erzeugung von Lebensmittelüberschüssen beginnen mit Pflanzen- und Tierschädlingen. Der Winter dämmt ihre Verbreitung gewöhnlich ein, doch wenn er fehlt, ist es nahezu unmöglich, sie in Schach zu halten. Bisher ist es niemandem unter solchen Umständen gelungen. Die Argrarprobleme verschärfen sich durch schwere saisonale Regenfälle, die den Boden auslaugen und ihn unfruchtbar machen, weil er am Ende kaum noch organische Substanz enthält. Der Regenzeit folgt eine Periode extremer Dürre. Der Boden wird hart und ist schwer zu bestellen. Die Größe des Tierbestandes hängt davon ab, wie viele Tiere in diesen trockenen Monaten ernährt werden können. Traditionell bot die nomadische Wirtschaft die einzige Möglichkeit, Tiere während der Trockenzeit am Leben zu halten. Niemand konnte an einem festen Ort bleiben. Seuchen wie die von der Tsetsefliege übertragene Schlafkrankheit hatten zur Folge, dass man Pferde und Ochsen nicht zum Ziehen von Pflügen einsetzen konnte. Die Menschenkraft ließ sich in Afrika nicht durch Tierkraft ergänzen. Für kaufmännische Reisen musste man auf Träger und sonstige menschliche Anstrengungen zurückgreifen. Das ist das teuerste und am wenigsten effektive aller Transportsysteme. Die Handelsmuster, die sich anderswo vor der Industrialisierung herausbildeten, blieben in Afrika unbekannt. Es gab kaum einen gewerblichen Austausch neben dem Sklavenhandel, denn Sklaven konnten Entfernungen auf eigenen Beinen zurücklegen. Auch menschliche Krankheiten waren schwer einzudämmen. Eine große Zahl von Krankheiten ist anderswo überhaupt nicht anzutreffen oder viel leichter zu bekämpfen. Flussblindheit und Malaria sind nur zwei von vielen Beispielen. Viel später scheiterte die grüne Revolution, die in gemäßigten Ländern wie China und Indien landwirtschaftliche Wunder wirkte, in den Tropen. Auch sie wurde von den Böden, Regenfällen, Schädlingen und Krankheiten Afrikas zunichte gemacht.
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Die Kolonialgrenzen wurden dort gezogen, wo die britischen und französischen Armeen im 19. Jahrhundert aufeinander getroffen waren. Die Grenzen hatten nichts Vernünftiges an sich (was Sprache, ethnische Gruppen und geografische Bedingungen betraf), doch sie konnten nach der Unabhängigkeit nicht politisch geändert werden. Niemand fühlte sich mit »seinem« Land verbunden. Die lokalen Regierungen, die den Kolonialverwaltungen folgten, erwiesen sich ausnahmslos als katastrophal. Politische Systeme lieferten die Bühne für die Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden ethnischen Gruppen, statt die sozialen Interessen aller Bürger zu fördern. Am Fuß der Hierarchie bezogen Beamte, etwa Polizisten, so niedrige Gehälter, dass sie Bestechungsgelder eintreiben mussten, um zu überleben. Gesetz und Ordnung wurden zuerst durch Korruption angegriffen und brachen dann völlig zusammen, nachdem sie ihre Legitimation verloren hatten. Warum sollte jemand eine Regierung unterstützen, die nicht einmal die elementarste öffentliche Dienstleistung garantieren kann: persönliche Sicherheit? Länder, in denen es kleine, gebildete Eliten gibt (nach dem Muster der britischen und französischen Kolonialherrschaft), fallen oftmals schlechten Regierungen und Korruption zum Opfer. Gewöhnlich übernehmen kleine Interessengruppen die Macht. Sie kennen den Lebensstandard der entwickelten Welt und streben ihn für sich selbst an. Das ist in einem armen Land nur durch Ausbeutung möglich. Der Anblick dieser Interessengruppenführer, die 2002 auf dem G-7-Gipfel in Kanada versprachen, im Gegenzug für ausländische Unterstützung Besseres zu leisten, hätte lächerlich sein können, wäre er nicht so traurig gewesen. Der Entwicklungsmechanik, das heißt den Kriterien, die China erfüllt, wird Afrika nicht gerecht. Es besitzt kein Sozialkapital, keine sozialen Fähigkeiten oder politischen Führer, die langjährige, konsequente Wirtschaftsstrategien vorweisen können. Das Bevölkerungswachstum ist hoch, die persönliche Sicherheit ist nicht gewährleistet, und die vom Kolonialismus ererbte Infrastruktur löst sich auf. Die Ersparnisse sind niedrig, die Ausbildung ist dürftig, und die weiblichen Arbeitskräfte werden nicht vollständig in die Wirtschaft einbezogen. Ein solches Chaos zerstört die persönliche Motivation, in sich selbst oder in eigene
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Geschäfte zu investieren. Afrika zieht, von seinen Rohstoffindustrien abgesehen, kaum ausländische Direktinvestitionen an. Was amerikanische Unternehmen angeht, so sind zwei Drittel ihrer Afrika-Investitionen im Bergbau zu finden. Statt sich um die Sympathie potenzieller Anleger zu bemühen, tun diese Länder alles, um sie abzuschrecken. Beobachter sehen, wie Simbabwe seine weißen Farmer behandelt, und bleiben dem Land fern. Es ist nicht schwer zu erkennen, was Afrika tun sollte. Es muss all die erwähnten Sachverhalte umkehren, indem es seine Bürger ausbildet und das Bevölkerungswachstum kontrolliert. Nur ein Drittel der Kinder, die in der Schule sein sollten, besuchen wirklich eine. Der Kontinent sollte attraktiv für ausländische Direktinvestitionen werden. Am falschen Ort entstandene Grenzen müssen entweder neu gezogen werden, oder man muss unterschiedliche ethnische Gruppen lehren, miteinander auszukommen. Es gilt, die Korruption zu reduzieren und die persönliche Sicherheit wiederherzustellen. Kurz, Afrika muss seine politische und gesellschaftliche Kultur ändern. Leicht gesagt, aber wie ist das zu bewerkstelligen? Wo sind die Ausgangspunkte und Einflussmöglichkeiten, die den Umschwung gestatten? Niemand weiß es.
Hilfe für die Dritte Welt Die Möglichkeiten der Ersten Welt, die Wirtschaftsentwicklung in der Dritten Welt zu stimulieren, sind äußerst begrenzt. Jedes Entwicklungsland muss das Sozialkapital für die erforderliche Zusammenarbeit erwerben sowie sein eigenes Bildungssystem organisieren und betreiben. Niemand kann ihm diese Aufgabe abnehmen. Wenn es einem Land gelingt, sich zu organisieren, kann die Erste Welt den Prozess durch den Zugang zu offenen Märkten und durch finanzielle Unterstützung beschleunigen. Die Dritte Welt ist voll von Ländern, die kein effektives Erziehungssystem organisieren können, und die Erste Welt ist voll von Ländern, die anderen Staaten, wiewohl sie über die notwendige soziale Organi-
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sation verfügen, wenig Hilfe (in Form von Geld und Handelsgelegenheiten) leisten. Amerika ist vermutlich das schlimmste der entwickelten Länder, da es weniger als 0,1 Prozent seines BIP für Auslandshilfe aufwendet, wobei ein großer Teil davon aus militärischen Gründen Staaten wie Israel oder Ägypten zufließt. Es verhängt die schärfsten Beschränkungen bei Agrarprodukten, also bei genau den Waren, welche die ärmsten Länder der Dritten Welt exportieren könnten. Umfragen zufolge glauben die amerikanischen Bürger, sie seien in Sachen Entwicklungshilfe viel großzügiger, als es wirklich der Fall ist. Abgesehen von den Jahren des Marshall-Plans hat Auslandshilfe in Amerika nie eine große Rolle gespielt, doch sie ist mit der Zeit im Verhältnis zum BIP noch unbedeutender geworden. In absoluten Dollarbeträgen macht die amerikanische Auslandshilfe nur ein Fünftel der Summe von 1949 aus, und nach BIP-Prozenten gibt es nicht einmal einen annähernden Vergleich.49 Die Gründe für den Rückgang sind nicht schwer zu entdecken. Viele Amerikaner sind in der Tat weniger großzügig, aber andererseits meinen etliche, Entwicklungshilfe sei »unwirksam« und komme korrupten Individuen in der Dritten Welt zugute, die vermögender seien als der durchschnittliche amerikanische Steuerzahler. Wenn diese simple Anschauung wirklich zuträfe, sollte kein Steuerzahler der entwickelten Welt dulden, dass seine Steuern in die Dritte Welt umgeleitet werden. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit, denn es gibt Länder, die Hilfe verdient haben. Die globale Ungleichheit ist heute durch die neuen Kommunikationstechnologien zu einem drängenden Problem geworden. Den größten Teil der Menschheitsgeschichte hindurch lebten die Armen der Welt in Dörfern, wo sie wenig oder nichts über die reichen Stadtgebiete erfuhren. Doch heutzutage haben sogar die ärmsten Dörfer in China, Indien, Afrika oder Lateinamerika ein Gemeinde-Fernsehgerät. Hier wird den Bewohnern eine übertriebene Darstellung dessen vorgeführt, wie gut der Durchschnittsbürger in der entwickelten Welt lebt. Dies führt zu einem weltweiten Muster der legalen und illegalen Migration. Warum sollte jemand in einem mexikanischen Dorf mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1 000 Dollar bleiben, wenn er nach Kalifornien abwandern kann, dessen Bevölkerung ein Pro-Kopf-Einkommen von 40 000 Dollar hat? Wer die nötige Energie besitzt, macht
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sich auf. Im Allgemeinen stehen diejenigen, die abwandern, am Ende wirtschaftlich viel besser da. Auf ähnliche Weise sitzen die Menschen in der entwickelten Welt vor den Fernsehschirmen und schauen sich die Armut in der Dritten Welt an. Das führt zu dem vagen Glauben, es müsse etwas gegen das globale Elend unternommen werden, wobei niemand weiß, was zu tun ist oder wie die wohlhabende Welt eine positive Rolle spielen kann. Gleichzeitig bekommen Angehörige der Ersten Welt Personen der Dritten Welt zu Gesicht, die häufig korrupt und vermögender als die Betrachter sind und sich ausschweifendem Konsum hingeben. »Wenn sie so reich sind, sollen sie, nicht ich besteuert werden, um die Schulen der Dritten Welt zu bezahlen!« In einer Beziehung hat sich die Auslandshilfe bezahlt gemacht: auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung. Die Lebenserwartung in den Entwicklungsländern ist sehr rasch gestiegen und unterscheidet sich nach dem ersten Geburtstag meist nicht sehr von der Lebenserwartung in der entwickelten Welt. Gleichwohl sind sich alle Experten einig, dass das Gesundheitswesen mit etwas mehr Mitteln viel effektiver sein könnte.50 Es schafft eine tatkräftige Bevölkerung, die konzentrierter arbeiten kann. Kenntnisse werden nicht mehr durch Gebrechen oder einen verfrühten Tod ausgelöscht. Die Befürworter von mehr ausländischer Unterstützung für das Gesundheitswesen weisen darauf hin, dass die jährliche Produktionsleistung dreimal so schnell steigen könnte wie die zusätzlichen Gesundheitskosten.51 Was die Wirtschaftsentwicklung angeht, ist eine bessere Gesundheitsversorgung jedoch ein zweischneidiges Schwert. Die Sterbeziffern fallen, aber die Geburtenrate sinkt erst mit einer langen Verzögerung. Höhere Bevölkerungswachstumsraten machen es schwieriger, das ProKopf-BIP und den Lebensstandard anzuheben. Aus Gründen, die bereits im Zusammenhang mit der Entwicklungsmechanik untersucht worden sind, ist Gesundheitsversorgung ohne Bevölkerungskontrolle eine Geldverschwendung, wenn man den wirtschaftlichen Aufschwung plant. Häufig wird vorgeschlagen, den ärmsten Ländern der Welt einen Schuldenerlass zu gewähren, aber in diesem Zusammenhang müssen einige Bedingungen gestellt werden. Wenn eine solche Maßnahme einer gescheiterten Regierung erlaubt, einfach wieder auf den Kreditmärkten
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Darlehen aufzunehmen und die Gelder zum zweiten Mal zu verschwenden, dann hat ein Schuldenerlass nicht den geringsten Wert. Das Gleiche gilt, wenn er einem Land lediglich ermöglicht, größere Beträge in seine Militäreinrichtungen zu stecken. Bei den Hilfe Leistenden glaubt man seit langem an eine Reihe von Binsenweisheiten über wirtschaftliche Unterstützung. Die Spender brauchen eine stärkere Koordination untereinander, wie Präsident Truman im Jahr 1949 und der Präsident der Weltbank im Jahr 2002 betonte. Man sollte eine strengere Auswahl vornehmen, erklärten Präsident Kennedy im Jahr 1963 und die Internationale Entwicklungsassoziation (IDA) im Jahr 2001. Man sollte sich auf Armut konzentrieren, meinten Weltbankpräsident McNamara im Jahr 1973 und die IDA im Jahr 2001. Die Afrikaner sollten ihre Regierungen verbessern – so die Weltbank in den Jahren 1983 und 2002.52 Ungesagt blieb, dass die Empfänger in der Lage sein müssen, sich zu organisieren. Andernfalls kann auch die beste Koordination auf Seiten der Geldgeber keine Wirtschaftsentwicklung einleiten. Wie sollten die Menschen in der wohlhabenden entwickelten Welt denen in den armen Entwicklungsländern helfen? Die Antwort lautet, dass man sich auf diejenigen mit der erforderlichen sozialen Organisation konzentrieren muss. Auslandshilfe darf nicht bedeuten, dass Gelder unabhängig vom Ergebnis nur an die ärmsten Länder gezahlt werden. Man sollte nicht alle armen Länder unterstützen, sondern nur diejenigen, die die Beträge effektiv nutzen, denn sonst wird vornehmlich die Korruption gefördert. Zum Beweis dafür, dass Entwicklungshilfe ohne soziale Organisation unnütz ist, schaue man sich Nigeria an. Es hat seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1960 250 Milliarden Dollar an Öleinnahmen erhalten, doch sein Pro-Kopf-BIP liegt bei nur einem Drittel des damaligen Niveaus.53 Fremde Hilfe ist wichtig, aber sie markiert nicht den Ausgangspunkt der Wirtschaftsentwicklung. Dieser ist vielmehr in der sozialen Organisation zu finden. Der Wunsch, die globale Armut zu bekämpfen, beherrscht einen großen Teil der öffentlichen Diskussionen in der jüngsten Doha-Handelsrunde der WTO. Die frühere Uruguay-Runde hatte viele Jahre gekreißt und eine Maus geboren. Nach neun Verhandlungsjahren schätzten Weltbank, IWF und GATT (der einstige Name der WTO), dass das
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Welt-BIP innerhalb der nächsten acht Jahre um 140 bis 274 Milliarden Dollar steigen würde.54 Die OECD war optimistischer und sagte 200 bis 500 Milliarden Dollar innerhalb der nächsten sechs Jahre voraus. Im globalen Rahmen überwogen die positiven Faktoren, doch es gab einige bedeutende negative Elemente. Die OECD rechnete mit einem BIP-Rückgang von 1 Milliarde Dollar in Subsahara-Afrika.55 Niemand hat nachgeprüft, ob sich diese Voraussagen tatsächlich erfüllt haben. Im Grunde sind die angenommenen Erhöhungen im Verhältnis zum globalen BIP so geringfügig, dass es unmöglich wäre, sie ausfindig zu machen. Eine Zunahme von 500 Milliarden Dollar, verteilt über sechs Jahre, ist bei einem jährlichen Welt-BIP, das sich 45 000 Milliarden Dollar nähert, so gut wie unsichtbar. Die Doha-Runde ist für fünf Jahre geplant, aber sie wird viel länger dauern und vermutlich noch weniger hervorbringen. Die Gewinne, die sich durch weitere Senkungen der Zolltarife und Quoten für Fertigwaren erzielen lassen, werden kaum der Rede wert sein, da es nur noch wenige derartige Restriktionen gibt, die eliminiert werden können. Dies ist die erste Handelsrunde, die zu einer Zeit stattfindet, da sich die Trends der öffentlichen Meinung unzweifelhaft gegen die Liberalisierung des Handels richten. Der Versuch, Landwirtschaft und Dienstleistungen für den freien Handel zu öffnen, prallt sowohl in der entwickelten wie in der unterentwickelten Welt auf politischen Widerstand. Die entwickelte Welt möchte ihre Bauern schützen und hält nichts von freiem Handel für die Landwirtschaft. Die unterentwickelte Welt möchte ihre Dienstleistungsbranchen schützen und hält nichts vom freien Handel auf diesem Sektor. Meinungsverschiedenheiten über den Irak-Krieg werden eine Einigung erschweren. Jede Maßnahme wird zumindest teilweise im Licht der Ausübung oder der Kontrolle amerikanischer Macht gesehen werden. Die Doha-Runde bringt von vornherein Komplikationen mit sich, da scheinbar unüberwindliche Hindernisse bewältigt werden müssen. Was sich die unterentwickelte Welt wünscht, nämlich gelockerte geistige Eigentumsrechte sowie leichteren und billigeren Zugang zu den Märkten, ist genau das Gegenteil von dem, was sich die entwickelte Welt wünscht, nämlich den Schutz ihrer Patente, Urheberrechte und Markennamen. In der Ersten Welt fordert die Linke, dass künftige Handelsverträge auch Arbeitsnormen und Umweltfragen abzudecken
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hätten. Doch die Länder der Dritten Welt wehren sich dagegen, dass ihre Arbeits- und Umweltmaßstäbe von der Ersten Welt festgelegt werden. Falls man diese Themen allerdings ausspart, ist es zweifelhaft, ob das Verhandlungsergebnis von den Parlamenten der entwickelten Welt ratifiziert wird. Ein großer Teil der Sorgen über die Dritte Welt hat mit ihren Finanzkrisen zu tun. Es ist wichtig hervorzuheben, dass diese Krisen nicht die ärmsten Länder betreffen oder wirtschaftlich beeinträchtigen. Das Problem plagt die oberen Ränge der Entwicklungsländer, die kreditwürdig genug sind, um Geld aufzunehmen, und ihre Wirtschaftsentwicklung fördern möchten – also Staaten wie Mexiko oder Thailand. Eine Reform des Systems zur Bewältigung von Krisen in der Dritten Welt würde den Ärmsten der Armen kaum helfen. Man betrachte die Kernschmelze in Argentinien. Wie immer hatte sie mehrere Ursachen. 40 Prozent der Argentinier bezahlen ihre Steuern nicht.56 Unternehmen bemühen sich um Protektion, statt Gewinne auf ausländischen Märkten anzustreben. Die Exportbranchen sind klein. Die Wählerschaft ist wankelmütig und begehrt Patentlösungen. Beamte zu bestechen ist normal. Kein Land kann sich unbegrenzt Schulden aufladen, die rascher wachsen als sein BIP, doch zwischen 1976 und 2001 stiegen die argentinischen Auslandsschulden von 8 auf 171 Milliarden Dollar, was fast 60 Prozent des BIP entspricht.57 Argentinien hatte ein »Currency Board«, das den Wechselkurs zwischen Dollar und Peso auf 1:1 fixierte. Kein Land kann seine Währung für immer auf einen bestimmten Kurs im Verhältnis zu einer anderen Währung festlegen. Um eine feste Währungsparität unbegrenzt aufrechtzuerhalten, müssten die beiden Länder das gleiche Produktivitätswachstum, die gleiche Inflationsrate, die gleiche BIP-Wachstumsrate und die gleichen Importquoten aufweisen; außerdem müssten sie identische Kapitalzuflüsse anziehen und über gleichermaßen attraktive Exportgüter verfügen, die zu gleichen Anteilen auf denselben Märkten abgesetzt werden. Es gibt keine zwei Länder, die einander so ähnlich sind. Als die Kapitalzuflüsse abnahmen und nicht mehr ausreichten, um das Handelsbilanzdefizit aufzuwiegen, begannen die Dollars aus Argentinien abzufließen. Nach den Regeln des Currency Board, die das
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Drucken von Pesos an die Höhe der Dollarreserven des Landes knüpften, schrumpfte das interne Geldangebot Argentiniens. Dadurch kam es zu einer Rezession. Der Auslöser, wenn auch nicht die Ursache der argentinischen Notlage von 2002 war eine brasilianische Krise mit der scharfen Abwertung des Real im Jahr 2000. Brasilianische Waren wurden in Dollars plötzlich viel billiger. Argentinien begann, weniger Güter an Brasilien zu verkaufen und mehr von ihm zu erwerben. Das Handelsdefizit wurde größer, die restriktive Geldpolitik verschärfte sich, und die Rezession wuchs. Kein Land kann eine Rezession auf Dauer politisch überleben, indem es sein Einkommen und damit seine Importe verringert. Argentinien gab 2002 auf – im fünften Jahr seiner Rezession, als seine Arbeitslosenquote 25 Prozent erreichte.58 Angst führt zur Flucht, aber Angst und Flucht sind angemessen für diejenigen, die ihr Vermögen in einer Situation wie der Argentiniens schützen wollen. Marineoffizieren wird beigebracht, die Mutigsten gingen mit dem Schiff unter. Niemand hat je einen kapitalistischen Anleger sagen hören, er wolle mit dem Schiff untergehen. Im Kapitalismus werden die Mutigen zu Ratten umgezüchtet, die das sinkende Schiff verlassen, wenn sie fürchten, ihr Reichtum sei in Gefahr. Dieser Instinkt ist in den Genen des kapitalistischen Lebewesens enthalten. Ihm wird eingetrichtert, sein Kapital zu schützen. Die Stabilität des globalen Finanzsystems ist nicht seine Sorge. Außenstehende wie der Internationale Währungsfond (IWF) können bestenfalls eine Nebenrolle bei der Entscheidung spielen, wer in einer Finanzkrise siegt und wer scheitert. Die Hauptaufgabe des IWF besteht darin, einem Land Devisen zu leihen, damit es mehr Zeit hat, die Dinge wieder in den Griff zu bekommen, doch er kann nicht selbst eingreifen. Das bleibt den Einheimischen überlassen. Der IWF übernimmt auch die Rolle des Sündenbocks für die Durchführung notwendiger Maßnahmen. Seine Geschäftsführung ist nicht auf den Wählerwillen angewiesen und kann die Verantwortung für unpopuläre Aktionen tragen. Dadurch bietet die Organisation den Regierungen, die diese Maßnahmen zu vollstrecken haben, einen gewissen politischen Schutz. Dem IWF wird mit einiger Berechtigung vorgeworfen, er sei ein Arzt mit nur wenigen Medikamenten (fiskalische Sparmaßnahmen,
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hohe Zinssätze, liberalere Kapitalmärkte, Privatisierung staatlicher Unternehmen), die er ungeachtet der jeweiligen Krankheit routinemäßig verschreibe.59 Hohe Zinssätze schränken die Kapitalflucht ein. Haushaltsüberschüsse der Regierung werden gefordert, um die Sparquote zu erhöhen, die Einkommen zu verringern und die Importe zum Abbbau von Handelsbilanzdefiziten zu reduzieren. Diese Maßnahmen mögen in Lateinamerika mit seinen geringen Sparquoten angebracht sein, doch nicht unbedingt in Ländern wie Südkorea, das bereits eine nationale Sparquote von 40 Prozent aufweist. Eine derartige Einschränkung ist auch dann ungeeignet, wenn sie vielen Ländern gleichzeitig verordnet wird, da das die weltweite Gesamtnachfrage einschränkt und die Probleme durch Verlangsamung des weltweiten Wachstums verschlimmert. Historisch gesehen hat der IWF sehr gute Ergebnisse bei der Wiederherstellung der internationalen finanziellen Stabilität erzielt (seine primäre Aufgabe), doch wenn es darum ging, für inländischen Wohlstand zu sorgen (seine sekundäre Aufgabe), ist er kläglich gescheitert. In Indonesien wurden die internationalen Gläubiger gerettet und die Ordnung wiederhergestellt, aber das mittlere indonesische Familieneinkommen ist immer noch geringer als bei Krisenbeginn. Im Rückblick zeigt sich, dass die IWF-Voraussagen immer zu optimistisch sind, was die Senkung der lokalen Wachstumsraten durch seine Einschränkungsmaßnahmen betrifft. In späteren Jahren liegt das BIP stets unter dem vom IWF prognostizierten Niveau. Kein Land, das gezwungen war, die IWF-Empfehlungen zu akzeptieren, um seine Finanzkrise zu überwinden, verzeichnete in den fünf Jahren danach ein höheres Wachstum als in den fünf Jahren davor. In Amerika hat die Linke genau wie die Rechte Einwände gegen die IWF-Politik. Die Linke meint, dem IWF sei zu sehr an internationalen Gläubigern, Großkonzernen und Makrostabilität gelegen. Er verhänge seine Einschränkungsmaßnahmen, ohne an die Auswirkungen auf die Mittelschicht und die Armen zu denken. Wenn der IWF einschreite, würden die Armen in Mitleidenschaft gezogen, obwohl nicht sie die Probleme geschaffen hätten. Die Rechte hingegen meint, der IWF untergrabe die Realität des Risikos in kapitalistischen Gesellschaften. Er finanziere Rettungsaktionen
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für Kreditgeber, Kreditnehmer und Länder, die falsche Entscheidungen getroffen haben. Dadurch lasse er eine moralisch zwiespältige Situation entstehen, in der riskante Kredite absichtlich erteilt und akzeptiert werden, weil man sicher ist, dass der IWF im Notfall aushilft. Aus der Sicht der Rechten sind es Konkurse, welche die kapitalistische Disziplin und Ordnung aufrechterhalten. Sie nimmt auch deshalb Anstoß am IWF, weil sie meint, er repräsentiere den ersten Schritt zur Weltregierung, denn er sei eine internationale Behörde, die Länder mehr oder weniger dominiere. Die Entwicklungsländer werfen dem IWF häufig vor, ihre Probleme nicht zu verstehen. Vielleicht wäre die Aussage zutreffender, dass er das Misstrauen der Bürger gegenüber ihrer eigenen Regierung oft unterschätzt. Trotz der Schließung Tausender von Banken während der amerikanischen Spar- und Kreditkrise kam es nicht zum Ansturm auf die vom Bund versicherten Institute. Alle amerikanischen Kontoinhaber wussten, dass sie ihre Einlagen bald zurückbekommen würden. Ihr Geld war nicht gefährdet, denn man hatte den Konkurs von Banken bereits früher erlebt, ohne dass die Kontoinhaber je einen Cent verloren hätten. Im Gegensatz dazu existierte in Indonesien zwar eine Bankeinlagenversicherung, doch niemand glaubte, dass sie sein Konto schützen werde. Das System war nie auf die Probe gestellt worden. Wer wusste, ob er sich auf die Garantien wirklich verlassen konnte? Warum sollte der durchschnittliche Kontoinhaber annehmen, dass man die Garantien einhalten würde? Außerdem war dem Wort der Regierung auch in anderen Bereichen häufig nicht zu trauen. Infolgedessen kam es in Indonesien zu einem Ansturm auf die Banken, den der IWF nicht erwartet hatte. Dadurch wurde das Problem noch verschlimmert. Oftmals überschätzt der IWF auch die Fähigkeit von Regierungen, ihre Versprechen zu erfüllen. Umstrukturierungen erfordern eine solide Basis, die weder in Indonesien noch in Russland existierte. Indonesien ist mit der alten UdSSR vergleichbar, da es von kaum mehr als militärischer Macht zusammengehalten wird. Im Unterschied zu China hat es keine lange nationale Geschichte. Man spricht zahlreiche Sprachen; religiöse und ethnische Gruppen verteilen sich über Tausende weit verstreuter Inseln, zwischen denen es zu kaum einem Austausch kommt. Die ursprüngliche Eroberung dieser Inseln durch die Niederländer, ihre
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zeitweilige Ablösung durch die Japaner während des Zweiten Weltkriegs und die dauerhafte Übernahme durch eine Militärregierung in Jakarta nach dem Krieg ließen Indonesien genauso wenig zu einem einheitlichen Staat werden, wie die russischen Eroberungen die alte UdSSR zu einem einheitlichen Land machten. Was internationale Organisationen während einer Finanzkrise unternehmen sollten, ist umstritten unter denen, die für den IWF und die Weltbank – also für die beiden internationalen Behörden, die sich solchen Problemen widmen – gearbeitet haben. Ein Teil der Dispute hat mit den Unterschieden in der institutionellen Verantwortlichkeit zu tun. Die Weltbank hat den Zweck, armen Ländern zu einer rascheren Entwicklung zu verhelfen. Der IWF existiert, um das Finanzsystem der Welt zu schützen. Seine üblichen Heilmittel können dem Land, dem sie verabreicht werden, wehtun, aber sie tragen dazu bei, das Vertrauen in das Weltfinanzsystem wiederherzustellen und Geldmittel weiterhin über nationale Grenzen hinweg fließen zu lassen.60 Genau das ist der Vorwurf, den Joseph Stiglitz, der ehemalige Chefökonom der Weltbank, erhebt.61 Der IWF unterstützt nach seiner Ansicht weniger die globale wirtschaftliche Stabilität (das Wachstum) als das globale Finanzwesen. Er ziele durch Einschränkungsmaßnahmen (Schocktherapie) stets auf eine rasche Liberalisierung, Privatisierung und Stabilisierung ab, wodurch die Armut und die Einkommensabstände zunähmen. Liberalisierung und Privatisierung könnten zwar von Vorteil sein, aber sie müssten nach und nach realisiert werden, weil Entwicklungsländer nicht die unternehmerische Begabung besäßen, um die alten öffentlichen Dienstleistungen weiterzuführen oder die neuen Branchen aufzubauen, die man benötige, wenn der freie Handel die alten Branchen eines Landes vernichtet habe. Nach Stiglitz’ Meinung hat der IWF die Vollbeschäftigung vergessen und ist im Wesentlichen zu einem Kolonialherrscher (oder finanziellen Souverän) über seine Klientenländer geworden.62 Wenig überraschend gibt er den Standpunkt der Weltbank und nicht des IWF wieder. In vielerlei Hinsicht macht er dem IWF zum Vorwurf, dass dieser seine Aufgaben erfüllt. Es fällt nicht schwer einzuräumen, dass sich der IWF im Gefolge von Finanzkrisen zu stark in das Mikromanagement der Drittweltökonomien einmischt. In der 1998 zwischen Indonesien und dem IWF aus-
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gehandelten Absichtserklärung versprach der Inselstaat, Subventionen für Reis, Fischmehl und eine Reihe von Getreidesorten allmählich abzubauen und die Einfuhrmonopole für andere Getreide als Reis zu beseitigen. Indonesien verpflichtete sich, Marktabsprachen und territoriale Beschränkungen für den Viehhandel abzuschaffen, damit Firmen ihre Produkte ungehindert verteilen konnten. Des Weiteren gelobte das Land, die regionalen Monopole für Knoblauch, Nüsse, Orangen und Vanille aufzuheben, den Preis von Kerosin, Dieselkraftstoff und Strom zu erhöhen, Zolltarife für Chemikalien und Metallprodukte zu verringern sowie regulierte Zementpreise zu beseitigen. Es verpflichtete sich, zwölf Infrastrukturprojekte zu streichen und die Finanzbuchführung zu verbessern. Außerdem versprach die Regierung, Handel und Auslandsinvestitionen zu liberalisieren sowie Exportsteuern und Importbeschränkungen stufenweise abzubauen. Das alles sieht tatsächlich nach einem sehr detaillierten Mikromanagement aus. Teilweise als Reaktion auf die Kritik entwickelte der IWF den Gedanken, ein offizielles Konkursverfahren für Länder zu etablieren, das ihnen gestatten würde, sich ihrer Schulden leichter zu entledigen.63 Doch öffentliche Schulden sind häufig verstaatlichte Privatschulden. Die Regierungen haben die Verpflichtungen ihrer Firmen übernommen, um zu verhindern, dass ausländische Gläubiger sie in den Konkurs zwingen und die als Sicherheit dienenden lokalen Objekte, die den Kreditgebern juristisch zustehen, an sich nehmen. Ein glatter Regierungskonkurs wird im Grunde zu einem noch glatteren privaten Konkurs. Was jedoch wichtiger ist: Wer würde das System für Landeskonkurse verwalten? Wer wäre der Richter, der dem Konkursgericht vorsitzt? Bei einem privaten Bankrott wird stets eine neue Geschäftsführung für die Firma eingesetzt, was im Falle eines Landes jedoch nicht möglich ist. Dabei sind die alten Geschäftsführer, die versagt haben, offenkundig nicht geeignet, den Wohlstand wiederherzustellen, wenn die Schulden erst einmal abgeschrieben sind. Beim amerikanischen Schatzamt war man nicht begeistert über den IWF-Vorschlag, staatliche Konkurse zuzulassen, und der Gedanke verschwand bald wieder von der Bildfläche. Präsident Bushs früherer Finanzminister Paul O’Neill vertrat die Meinung, dass sowohl der IWF als auch die Weltbank im Irrtum seien.
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Jegliche Hilfe habe auszubleiben. Die Länder sollten Bankrott machen, damit sie und ihre Kreditgeber lernten, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Rettungen würden nur zu einem noch schlampigeren Benehmen führen (moralische Gefahr), da die Gläubiger wüssten, dass man sie nicht im Stich lassen werde. Das O’Neill-Verfahren wurde in Argentinien ausprobiert, doch rasch fallen gelassen, als auch in Brasilien und Uruguay Probleme auftauchten. Anfang 2002 wurde der IWF von seinen Mitgliedsregierungen angewiesen, Argentinien erneut Kredite zu gewähren. Die Regierungen wollten bei dem, was noch kommen mochte, kein Risiko eingehen. Letzten Endes beweist Argentinien, dass Nichtstun wirklich keine Lösung ist. Reformen sind notwendig, und einige Möglichkeiten werden im letzten Kapitel erörtert, wenn unsere Untersuchung der globalen Wirtschaft abgeschlossen ist.
Das Ende des exportgeleiteten Wachstums Die bedeutendste Entwicklungsherausforderung für die Drittweltländer besteht jedoch nicht darin, dass sie lernen, effektiver mit Finanzkrisen umzugehen. Viel wichtiger ist, dass alle einen Ersatz für ihre gegenwärtigen exportinduzierten Strategien des Wirtschaftswachstums finden müssen. Dieses Modell der Wirtschaftsentwicklung wird zurzeit zermalmt zwischen dem Wunsch Chinas, genau diesem Vorbild zu folgen, und der Unfähigkeit Amerikas, permanent mit hohen Handelsdefiziten zu leben. Alle in den vergangenen 40 Jahren erfolgreichen Länder sind dem exportgeleiteten Modell der Wirtschaftsentwicklung gefolgt: Japan in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren; Taiwan, Singapur, Südkorea und Hongkong in den achtziger und neunziger Jahren. Südostasien folgte dem Beispiel in den neunziger Jahren, und heute hält sich Kontinentalchina daran. Nach dem von Japan erfundenen exportgeleiteten Modell führen lokale Firmen ihre Produkte in vermögende Industrieländer aus, deren Märkte so groß sind, dass eine dortige geringfügige Steigerung des
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Marktanteils in eine sehr hohe Wachstumsrate in dem viel kleineren Entwicklungsland umgesetzt wird. Dadurch können die Exporte weitaus rascher wachsen als das BIP des Entwicklungslands und die gesamte Wirtschaft vorantreiben. In Japan nahmen die Exporte in den Jahren seines raschen Wachstums zweimal so schnell zu wie das BIP. Bei exportgeleiteten Wachstumsstrategien liegt der Nachdruck stets darauf, die Ausfuhr zu steigern. Wenn die Exporte jährlich um 15 bis 20 Prozent zulegen können, vermag das Land so viel zu importieren, dass die eigene Wirtschaft jährlich um 7 bis 8 Prozent wächst. Die dadurch entstehenden Handelsbilanzüberschüsse bewirken, dass sich die Ausfuhr viel schneller erhöht als die Einfuhr, und sie können benutzt werden, um die Ausrüstung, die Rohstoffe, die Ersatzteile und die Technologie zu kaufen, die man für noch höhere Effizienz benötigt. Außerdem kann man die Verbrauchsgüter erwerben, die sich die Bürger wünschen. Es ist ein Tugendkreis. Daneben zwingt das exportinduzierte Modell die Unternehmen in den Entwicklungsländern, rasch leistungsfähiger zu werden, weil sie ihre Produkte ohne staatliche Unterstützung auf ausländischen Märkten mit einem äußerst harten Wettbewerb verkaufen müssen. In Japan wurden Firmen auf ihren Heimatmärkten geschützt, damit sie die Verluste aufwiegen konnten, die sie erlitten, während sie lernten, auf den ausländischen Märkten am Wettbewerb teilzunehmen, aber sie erhielten in der Heimat nur dann Unterstützung, wenn sie ihre Erzeugnisse erfolgreich exportierten. Das erfolgreiche exportgeleitete Modell der Wirtschaftsentwicklung löste das erfolglose Importsubstitutionsmodell ab, das zuvor in Lateinamerika entstanden war. Dabei verhängten Regierungen Zolltarife und Quoten über Importgüter aus den reichen Industrieländern und ermutigten lokale Firmen, die geschützten Märkte zu nutzen. Häufig handelte es sich dabei um staatseigene Unternehmen. Da die lokalen Märkte klein waren, blieben die Wachstumsraten niedrig, nachdem man Importgüter ausgeschlossen hatte. Die Firmen genossen die Protektion und die damit einhergehenden hohen Gewinne, doch sie hatten keinen Anreiz, effizient zu werden oder die dafür nötigen Investitionen zu tätigen. Während die lokalen Einkommen stiegen, überflügelte der Import den Export, und es kam zu Handelsbi-
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lanzdefiziten. Man musste entweder freiwillig Sparmaßnahmen einführen oder sie sich vom IWF aufzwingen lassen. Die Ergebnisse waren niedriges Wachstum sowie chronische Zahlungsbilanzprobleme. Importsubstitutionsmodelle für die Wirtschaftsentwicklung haben nie irgendwo funktioniert. Was in jedem Land für sich genommen vernünftig klingt (exportiert mehr), wird unsinnig, wenn auf der ganzen Welt jeder versucht, mehr zu exportieren. Wie kann jeder einzelne Staat seine Exporte um jährlich 15 bis 20 Prozent steigern, wenn die Weltwirtschaft nur um 3 oder 4 Prozent pro Jahr wächst? Das ist unmöglich. Nicht jeder kann sich einen Handelsbilanzüberschuss zulegen, denn im globalen Rahmen müssen sich Defizite und Überschüsse auf null summieren. Das exportgeleitete Modell des Wirtschaftswachstums stirbt, wenn alle es benutzen wollen. Sobald ein überwiegender Teil der Welt und große Länder wie China oder Indonesien sich an dem Spiel beteiligen möchten, ist es zu Ende. Ein exportinduziertes Wachstum kommt nur dann zustande, wenn lediglich ein paar kleine Länder in dem Spiel mitwirken. Die wichtigsten Akteure der achtziger und neunziger Jahre – Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur – haben zusammen 65 Millionen Menschen. Japan hatte 110 Millionen Einwohner, als es das Spiel in den sechziger und siebziger Jahren spielte. Definitionsgemäß kann die Ausfuhr nur dann schneller wachsen als das BIP, wenn die Importe ebenfalls schneller steigen. In unserer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden Exporte zum BIP addiert und Importe von ihm subtrahiert. Insgesamt müssen Einfuhr und Ausfuhr gleichermaßen wachsen, sodass jegliche Nettodynamik ausbleibt. Sämtliche während der Asienkrise von 1997 kollabierenden Länder folgten exportgeleiteten Wachstumsstrategien. Doch 1997 wiesen sie alle hohe Handelsdefizite auf, und zwar folgende für die beiden vorhergehenden Jahre: 13 Milliarden Dollar in Indonesien, 10 Milliarden Dollar in Malaysia, 18 Milliarden Dollar in Thailand, 8 Milliarden Dollar auf den Philippinen und 31 Milliarden Dollar in Südkorea.64 Ihr Schwenk von Überschüssen zu Defiziten kann direkt zurückverfolgt werden zu der Entscheidung Kontinentalchinas, sich dem exportgeleiteten Wachstumsspiel anzuschließen. Da China besser ausgebildete, doch billigere Arbeitskräfte als Südostasien sowie einen viel größeren
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Binnenmarkt zu bieten hatte, erreichte es rasch einen Handelsbilanzüberschuss von 40 Milliarden Dollar, indem es anderen asiatischen Ländern Exporte wegnahm. Dieser Trend setzt sich noch heute fort. Zum Beispiel verlegt Dell seine Computerfertigung aus Malaysia nach China. Die ausländischen Direktinvestitionen in Malaysia machen weniger als ein Drittel des Betrages vor den Krisen von 1997 aus.65 Und das Land ist nicht allein. Um China ökonomisch auszuweichen, hätten diese Länder ihr technologisches Niveau sehr rasch anheben müssen, doch die meisten waren dazu nicht qualifiziert genug. Südkorea besaß die fachlichen Voraussetzungen und verlagerte die Herstellung seiner mit Niedriglöhnen hergestellten Exportartikel nach China. Aber es konnte diese Artikel wegen der japanischen Konkurrenz und des sich rapide erhöhenden japanischen Außenhandelsüberschusses nicht durch für den Export bestimmte Hochlohnprodukte ersetzen. Wie so oft in seiner Geschichte wurde Südkorea von seinen beiden riesigen Nachbarn in die Zange genommen. Mit Ausnahme Südkoreas ist es keinem der asiatischen Länder, die durch die Krise von 1997 betroffen waren, gelungen, seine früheren wirtschaftlichen Wachstumsraten erneut zu erreichen. Südkorea konnte China zwar nicht beiseite drängen, aber eine sehr starke Abwertung ermöglichte ihm, Japan einige Exportmärkte wegzunehmen. Im Jahr 2001 waren die Pro-Kopf-Einkommen, das von Südkorea eingeschlossen, immer noch niedriger als 1996, in manchen Fällen sogar beträchtlich niedriger (die indonesischen Einkommen sind um 40 Prozent gesunken).66 Lässt man die Krisenjahre (1997 und 1998) außer Acht und vergleicht die drei Jahre davor mit den fünf Jahren danach, macht die Wachstumsrate Indonesiens nur noch ein Drittel, die Malaysias nur noch die Hälfe und die Thailands nur 40 Prozent des früheren Niveaus aus. Die Philippinen schlossen sich dem zügig voranschreitenden Südostasien-Club mit Verspätung an. Sie verzeichneten 1991 eine negative sowie 1992 und 1993 sehr niedrige Wachstumsraten, weshalb sich der Fünfjahresdurchschnitt vor der Krise und der Dreijahresdurchschnitt nach der Krise kaum voneinander unterscheiden. Der Dreijahresdurchschnitt nach der Krise liegt jedoch um 30 Prozent unter dem Dreijahresdurchschnitt vor der Krise.67
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Inzwischen verhindert China, dass diese Länder zu ihren exportinduzierten Wachstumsstrategien zurückkehren können. Durch seine Größe ist dessen Entscheidung, seinerseits eine exportinduzierte Wirtschaft aufzubauen, vergleichbar mit dem Vorsatz sämtlicher Regierungen, genauso zu handeln – eine mathematische Unmöglichkeit. Infolge seiner kommunistischen Vergangenheit (viele Grundbedürfnisse, etwa das der Unterbringung, wurden kostenlos oder für sehr wenig Geld befriedigt) und einer unterbewerteten Währung ist die interne Kostenstruktur Chinas günstiger als die aller anderen Länder. Ebenfalls infolge des Kommunismus sowie des konfuzianischen Glaubens an die Erziehung ist seine Bevölkerung besser ausgebildet als die der übrigen Entwicklungsländer. Es verfügt über einen gewaltigen Binnenmarkt, und wegen seiner Größe werden die Löhne nicht zu schnell steigen, wenn Unternehmen ihre ausländischen Produktionsstätten nach China verlagern. Während Firmen mit ihren ausländischen Produktionsanlagen aus Südostasien nach China umziehen, um die niedrigeren Kosten zu nutzen, bewegen sich die Handelsüberschüsse in die gleiche Richtung. Südostasien besitzt keine exportgeleiteten Ökonomien mehr. Diese Realität war die überwiegende Ursache der Krise von 1998. Die südostasiatischen Länder, die im Rahmen ihrer exportgeleiteten Wirtschaftsentwicklung Handelsüberschüsse hätten erzielen müssen, verzeichneten stattdessen Handelsdefizite. China ist die Ursache dafür, dass sie alle ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als zu Beginn der Krise aufweisen. Um ihre Löhne senken und dadurch mit China konkurrieren zu können, haben alle ihre Währung stark abwerten müssen. Auf der anderen Seite der exportinduzierten Wachstumsgleichung füge man die Nettoexporte hinzu, die nach öffentlichen Statements etlicher Regierungen unbedingt zunehmen müssen. Es handelt sich um immense Beträge. Aber niemand kann höhere Nettoexporte erzielen, wenn nicht jemand anders höhere Nettoimporte verzeichnet. Es gibt nur drei Gegenden, die hohe Handelsbilanzdefizite hinnehmen könnten: Japan, Europa und Amerika. Zwei davon, Japan und Europa, haben sich bereits gegen diese Möglichkeit entschieden, denn sie streben ihrerseits größere Handelsbilanzüberschüsse an, um ihr Wachstum zu stimulieren. Damit bleiben die USA als einzig verfügbarer Markt für
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neue Exporte übrig, doch sie haben bereits ein Handelsdefizit von mehr als 450 Milliarden Dollar. Sollte es sich noch um ein paar Hundert Milliarden Dollar erhöhen, dürften die internationalen Anleger abgeschreckt werden, die mit ihren amerikanischen Investitionen kein Risiko eingehen wollen. Für Währungsspekulanten, die sich die zunehmenden amerikanischen Defizite anschauen, würde es attraktiv werden, Dollars zu verkaufen. Jedes Land, das sich auf eine exportinduzierte Wachstumsstrategie stützt, muss sich auf einen Kurssturz des Dollars gefasst machen, wenn das amerikanische Handelsdefizit untragbar wird. Geschäftliche Transaktionen würden in diesen Ländern von einem Moment zum anderen viel teurer werden. Die globalen Lieferketten müssten zerrissen und anderswo neu geknüpft werden. Auf den amerikanischen Markt konzentrierte Fabriken wären plötzlich wertlos, da sie ihre Erzeugnisse angesichts des niedrigeren Dollarkurses nicht mehr mit Gewinn verkaufen könnten. Und es würde auf dem gesamten Globus keinen anderen Absatzmarkt für ihre Produkte geben. Niemand kann das genaue Ende voraussagen, aber das Spiel des exportgeleiteten Wachstums ist schlicht vorbei.
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Finanzkrisen und schwache Wirtschaftsleistungen in der Dritten Welt sind global gesehen Randereignisse. Dafür gibt es sowohl mathematische als auch ökonomische Gründe. Die Dritte Welt bringt nur ein Fünftel der globalen Produktionsmenge hervor, und alle erfolgreichen Länder sind von Exporten in die Erste Welt abhängig. Die Höhen und Tiefen der globalen Wirtschaft werden von den Ereignissen in den Vereinigten Staaten, in Europa und Japan bestimmt. Hier haben wir es ebenfalls sowohl mit mathematischen als auch mit ökonomischen Gründen zu tun. Der mathematische Gesichtspunkt: Wäre die japanische Wirtschaft in den neunziger weiterhin wie in den achtziger Jahren mit jährlich 5 Prozent gewachsen, hätte das Welt-BIP 2002 um weitere 2,3 Billionen Dollar angezogen – eine Zunahme von ungefähr 5 Prozent gegenüber den realen Zahlen. Sogar wenn man unrealistischerweise annimmt, dass die chinesische Wirtschaft in den neunziger Jahren mit der offiziell bekannt gegebenen Rate von 9,7 Prozent wuchs, hat China der globalen Wirtschaft nur 750 Milliarden Dollar hinzugefügt. Japan hat durch sein Scheitern dreimal so viel verloren wie China durch seinen Erfolg gewonnen hat. Ähnlich verhält es sich, wenn China um 5 Prozent pro Jahr wächst, denn dann fügt es der Weltwachstumsrate 0,2 Prozent hinzu. Wächst Amerika dagegen um 5 Prozent, erhöht sich die Weltwachstumsrate um 1,6 Prozent. In den achtziger Jahren antwortete die Welt mit ökonomischen Mitteln auf die von Japan ausgehende Wettbewerbsgefahr. Zu Beginn der neunziger Jahre hatte es den Anschein, dass die europäische Vereinigung zu einer beachtlichen Wettbewerbspräsenz führen werde, aber dazu kam es nicht. In den neunziger Jahren waren die USA das erste
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Land, das die neuen Technologien der dritten industriellen Revolution einsetzte, und die Welt war gezwungen, auf ihre Führung zu reagieren. Die Vereinigten Staaten sind die globale Wirtschaftslokomotive. Nur Amerika greift zu antizyklischen steuerlichen und monetären Maßnahmen, um Rezessionen und Konjukturrückgänge zu bekämpfen. Europa hingegen gibt sich damit zufrieden, genau wie die übrige Welt von der amerikanischen Wirtschaftslokomotive gezogen zu werden. Dieses Verfahren birgt zwei große globale Risiken in sich: Die Lokomotive könnte vorübergehend an Dampf verlieren, und die übrige Welt kann sich, wie wir gesehen haben, nicht ewig darauf verlassen, dass sie durch ihre Außenhandelsüberschüsse vorangetrieben wird, die sich aus dem amerikanischen Handelsdefizit ergeben. In den neunziger Jahren hörten die Japaner auf zu wachsen und wurden zu einem Bremsklotz des globalen Systems. Schlimmer noch, sie erkrankten an der schlimmsten Seuche des Kapitalismus, der Deflation, die sich nun ausweitet. In Südostasien sinken die Preisindizes, wohin man auch blickt. In Amerika und Europa verlangsamen sich die jährlichen Preissteigerungen und liegen in vielen Ländern bereits nahe null. Unter den drei bedeutenden Wirtschaftsmächten sind die Vereinigten Staaten und Japan in den letzten drei Jahrzehnten aktiv gewesen, während Europa nur reagiert hat. Deshalb muss man Japan und die USA betrachten, wenn man die gegenwärtige und künftige Wirtschaftsleistung der Erde durchschauen will.
Japan – ein riesiger Bremsklotz und gefährlicher Krankheitsträger Japan sollte jedes Land bescheiden und vorsichtig werden lassen. Es gibt eine Reihe von Umständen, die den größten Erfolg von einem Moment zum anderen in den größten Misserfolg verwandeln können. Diese Umstände sind von Land zu Land verschieden, aber sie existieren unzweifelhaft in jedem einzelnen. Für die Vereinigten Staaten gingen
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sie aus der Weltwirtschaftskrise hervor, der erst zehn Jahre später durch den Zweiten Weltkrieg ein Ende gesetzt wurde. Wann oder ob sie ohne den Krieg geendet hätte, ist durchaus nicht sicher. Japan begann die neunziger Jahre nach den vorausgegangenen drei Jahrzehnten als leistungsfähigste Wirtschaftsmacht der Ersten Welt. Sein wirtschaftlicher Organismus schien vortrefflich für seine äußeren Umstände geeignet zu sein. In den achtziger Jahren, nachdem Japan bereits reich war, erzielte es im Durchschnitt eine Wachstumsrate von 5 Prozent – viel mehr als Amerika mit nur 2 Prozent. Die meisten Beobachter glaubten, die Ära der wirtschaftlichen Vorherrschaft Amerikas gehe ihrem Ende entgegen und eine Zeit der japanischen Vorherrschaft breche an. Die japanische Krise begann 1990/91 mit einem Rückgang des Nikkei-Index von 39 000 auf 13 000 Punkte. Deflationsbereinigt stellte der japanische Börsenkrach einen prozentual höheren Kurssturz dar als derjenige, der sich zwischen 1929 und 1932 in den Vereinigten Staaten ereignete. Die Grundstückspreise folgten der Börse unerbittlich nach unten. Nach einigen Höhen und Tiefen in den neunziger Jahren sackten die Kurse im Jahr 2000 nach dem Crash der amerikanischen Internetfirmen erneut ab, bis sie im März 2003 unter 8 000 Punkten lagen – ein Fall von insgesamt 80 Prozent. Im Jahr 2002 verloren die Grundstückspreise in den sechs größten Städten Japans 84 Prozent gegenüber ihren Höchstständen und büßten langsam, aber sicher jährlich 5 Prozent ein. 2002 war das elfte Verfallsjahr hintereinander.1 Das Sinken der japanischen Börsenkurse und Grundstückspreise war nicht weiter verwunderlich. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Aktien hatte vor dem Crash weit über 100 gelegen. Im Kapitalismus müssen Börsenkurse früher oder später durch Gewinne gerechtfertigt werden. Dies geschah in Japan nicht, was zu einem Abfallen der Kurse führte. Ebenso müssen Grundstückswerte früher oder später durch Miet- oder Pachteinnahmen untermauert werden. Ist das, was auf dem Grundstück getan werden kann, produktiv genug, um die Preise zu stützen, zu denen Liegenschaften gekauft und verkauft werden? Wenn der Grundstückswert des Kaiserpalastes in Zentral-Tokio – gemessen an den Preisen der Privatgrundstücke um den Palast herum – den Gesamtwert des Staates Kalifornien übertrifft, dann muss etwas im Argen
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liegen.2 Das BIP von Kalifornien kann nicht durch ein Grundstück von der Größe des Kaiserpalastes in Tokio erwirtschaftet werden. Man errichtete Gebäude, von denen jeder vernünftige Mensch schon am Tag ihrer Planung genau wusste, dass sie sich nicht bezahlt machen konnten. Doch solche Fehler spielten keine Rolle, da die steigenden Grundstückspreise sie verdecken würden. Das Ende der Spekulationsblase leitete in Japan ein Jahrzehnt des geringen Wachstums ein. Das gemessene BIP war im Jahr 2002 niedriger als 1991. Deflationsbereinigt war der reale Ertrag gestiegen, wenn auch nur geringfügig: um 1 Prozent gegenüber 1995 und um 3 Prozent gegenüber 1991. Im Jahr 2003 hatte die japanische Krise bereits länger gedauert als die Weltwirtschaftskrise, und es gibt kein Licht am Ende des Tunnels. Niemand glaubt, dass die 2-prozentige reale Wachstumsrate von 2002 den Abschluss der Stagnationsära anzeigt. Das nominale BIP ist gesunken, und ein großer Teil der höheren Wachstumsrate geht auf Änderungen der Bewertungstechniken zurück. Zu Beginn des Jahres 2003 waren sich 14 japanische Wirtschaftsprognoseunternehmen einig, dass das nominale BIP im Jahresverlauf fallen werde. Die durchschnittliche Voraussage belief sich auf 1,3 Prozent, während man ein Wachstum des realen BIP von durchschnittlich 0,3 Prozent erwartete.3 Die Probleme scheinen sich sogar noch zu verschlimmern, da Japan in ein zweites Jahrzehnt mit schwachem Wachstum eintritt. Die Wirtschaftskrise in Japan wurde nicht durch die Kapitalflucht und die Zahlungsbilanzprobleme ausgelöst, welche die Dritte Welt heimsuchen. 1991 war Japan die größte Kreditgebernation mit dem höchsten Zahlungsbilanzüberschuss der Welt. Weder seine Regierung noch seine Privatunternehmen schuldeten irgendjemandem Geld. Die Schwierigkeiten wurden ausschließlich durch inländische Ereignisse verursacht. Jeder kann aus den japanischen Fehlern lernen. Sie könnten geradezu als Lehrbuch für das dienen, was keinesfalls zu tun ist. Die misslungene Wirtschaftspolitik führte in Japan zum so genannten verlorenen Jahrzehnt, und man könnte auch von der Großen Stagnation sprechen, wollte man auf die amerikanische Terminologie der dreißiger Jahre zurückgreifen. Manchmal werde ich gefragt, was mein größter Fehler als Berufsökonom gewesen sei. Wann hätte ich mich am stärksten geirrt? Die
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Antwort ist nicht schwer: In den frühen neunziger Jahren schrieb ich ein Buch mit dem Titel Kopf an Kopf über die kommenden Schlachten zwischen Japan, Europa und Amerika um die globale Wirtschaftsvorherrschaft. Die japanische Börse war bereits zusammengebrochen, und die Bodenpreise sanken unablässig. Ich erwähnte diese Ereignisse, ohne sie jedoch eingehend zu kommentieren, weil ich annahm, dass Japan – wie die USA in der damals kurz zurückliegenden Spar- und Kreditkrise – die Dinge rasch ins Lot bringen und voranschreiten werde. Mein Irrtum hätte nicht eklantanter sein können. Niemand innerhalb oder außerhalb Japans wusste, dass das Land eine genetische Schwäche hatte. Derartige Schwächen tauchen auf, wenn Organismen mit nie da gewesenen Umständen fertig werden müssen. Japan hatte nie einen großen Finanzkrach erlebt, und es hatte sein Volk und seine Institutionen nie einen Konkurs durchmachen lassen. Nun war es der Aufgabe nicht gewachsen. Im Jahr 1990 hatte es eine Position der Stärke. Zwölf der 15 größten Finanzinstitutionen der Welt befanden sich in Japan, ebenso wie sechs der zehn Spitzenunternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung. Nach einem Jahrzehnt ohne Wachstum dagegen fand man keine der 15 Spitzenbanken der Welt mehr in Japan, und nur eines der zehn größten Industrieunternehmen (Toyota) war noch japanischer Herkunft.4 Unter den 500 wertvollsten Firmen der Welt fiel die Zahl japanischer Unternehmen im Lauf der neunziger Jahre von 149 auf 50, während die Zahl der amerikanischen von 151 auf 238 anzog.5 Die Parität mit der industriellen Stärke Amerikas war durch eine Unterlegenheit von fast 1:5 abgelöst worden. Und die Krise setzt sich fort: Im Jahr 2002 gelang es einem einzigen japanischen Finanzinstitut, der Mizuho Bank, 16,5 Milliarden Dollar einzubüßen.6 Durch seine Finanzkrise wurde Japan auch daran gehindert, eine Führungsrolle in der dritten industriellen Revolution zu spielen. Unternehmen, die am Rand des Konkurses stehen, haben einfach nicht die Mittel, in riskante neue Aktivitäten zu investieren. Zeit und Energie des Managements konzentrieren sich darauf, die Vermächtnisse der Vergangenheit zu bewältigen, statt darauf, die Produkte und Dienstleistungen der Zukunft hervorzubringen. Man entdeckt noch einige interessante, aus der dritten Revolution hervorgegangene Unternehmen, zum
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Beispiel den Mobilfunkkonzern DoCoMo, aber es gibt nicht sehr viele von ihnen. Vor allem aber erlitten die Japaner durch ihre verminderten wirtschaftlichen Erwartungen auch eine verminderte Selbsteinschätzung. Sie hielten sich für ein zweitklassiges Land von nachlassender Bedeutung, das keine nennenswerte Rolle in der Welt der Ideen spielen könne.7
Von der Unfähigkeit, die Situation zu bewältigen Überraschend ist nicht die Tatsache der japanischen Kernschmelze – früher oder später macht jedes Land eine derartige Erfahrung –, sondern das Unvermögen, den Schlamassel zu beseitigen. Solche Aufräumaktionen können durchaus erfolgreich sein. Einer der Vorteile einer langen Geschichte von Finanzkrächen besteht darin, dass jeder weiß, was getan werden muss, um zur Normalität zurückzukehren und das Wirtschaftssystem rasch wieder auf Touren zu bringen. Man braucht keine neuen Lösungen zu finden, denn alle denkbaren Optionen sind erforscht worden. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass sich eine schmerzhafte wirtschaftliche Umstrukturierung nicht vermeiden lässt. Theoretisch weiß man in Japan, was getan werden muss, doch man ist nicht bereit, die mühsamen kurzfristigen Anpassungen vorzunehmen, die für ein neuerliches langfristiges Wachstum notwendig wären. In gewisser Hinsicht verstehen sich die Japaner zu gut darauf, Schmerzen miteinander zu teilen. Auf den Finanzseiten der Zeitungen ist man sich der Krise bewusst, nicht jedoch im täglichen Leben. Trotz eines Jahrzehnts ohne Wachstum liegt die Arbeitslosigkeit mit knapp über 5 Prozent unter dem Niveau der USA oder Europas. Die 95 Prozent, die Arbeitsplätze haben, erhalten eine um 10 Prozent höhere Bezahlung als in den Vereinigten Staaten. Ohne eine offensichtliche Krise ist jeder gern bereit, über einen fundamentalen Wandel zu reden, doch niemand möchte ihn vollziehen. Es kann keine Führer geben, wenn sich keine Gefolgsleute finden. Was zu tun ist, erinnert an den Ratschlag für diejenigen, die einen
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Dornenstrauch aus dem Boden reißen müssen, um Platz für einen Blumengarten zu machen. Der Strauch muss brutal gepackt und blitzschnell mit großer Kraft hochgezerrt werden. Dies verursacht einen anfänglichen Schock, doch der Schmerz geht rasch vorbei. Wenn der Griff kräftig genug ist, kann man den Strauch leicht aus dem Boden ziehen und hat Platz für fruchtbarere Pflanzen. Man wischt sich das Blut von den Händen und wendet sich anderen Tätigkeiten zu. Die durch die Dornen entstandenen Schrammen sind nicht tief und heilen in Kürze. Aber wenn man versucht, den Strauch behutsam anzufassen, ist der Schmerz schlimmer, und man kann das Gewächs nicht sofort aus dem Boden ziehen. Man muss mehrere Male zugreifen, was mehr Wunden und mehr Schmerzen verursacht. Die Wunden haben keine Möglichkeit zu heilen, und der Boden wird nie für eine neue Phase produktiven Wachstums gesäubert. Der unfruchtbare Dornenstrauch wird immer größer, kräftiger und widerstandfähiger, je länger die Periode der Furchtsamkeit anhält. Lösungen beginnen mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme durch einen Dritten, der die Aktiva und Passiva des Bankgewerbes voneinander trennt. Banken und Unternehmen mit soliden Finanzen (Aktiva übertreffen Passiva) können durch regierungsgestützte Darlehen den Zeitraum überstehen, in dem die Kreditmärkte eingefroren sind, in dem sie ihre bestehenden kurzfristigen Darlehen nicht verlängern können, in dem Lieferanten die normalen Kreditbedingungen verweigern oder in dem nervöse Kontoinhaber ihr Geld abheben wollen. Diejenigen, deren Bilanzen im roten Bereich liegen (Passiva übersteigen Aktiva), müssen sich in die Obhut einer Regierungsstelle begeben. Was in Japan zu tun war, stimmte fast genau mit dem überein, was die Vereinigten Staaten nach ihrer Spar- und Kreditkrise fünf Jahre zuvor in die Wege geleitet hatten. Große Mengen von Staatsgeldern werden benötigt, um die Kontoinhaber bei den Banken auszuzahlen. Eine Auffanggesellschaft (die amerikanische hieß Resolution Trust, und die japanische wird international als Resolution and Collection Corporation bezeichnet) kümmert sich um die notleidenden Kredite. Sie versucht, ihre eigenen Verluste gering zu halten und so viel wie möglich vom Geld der Kontoinhaber zu retten, indem sie die von ihr übernommenen besicherten Vermögenswerte rasch an den Höchstbietenden verkauft.
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Laut japanischen Schätzungen benötigt man 800 bis 1 700 Milliarden Dollar, um die Kontoinhaber auszuzahlen.8 Auf dem Höhepunkt der Spar- und Kreditkrise wurde angenommen, dass der American Resolution Trust 924 Milliarden Dollar benötige.9 Am Ende brauchte er »nur« 550 Milliarden Dollar. Niemand kennt die erforderlichen Nettobeträge, bevor der Schlamassel beseitigt ist. Ein Teil des den Kontoinhabern erstatteten Geldes – hoffentlich der Löwenanteil – kann dann wiedererlangt werden, indem man die zusammen mit den notleidenden Krediten übernommenen Sicherheiten verkauft. Während der Sparund Kreditkrise war der Betrag, den der Resolution Trust den Kontoinhabern zahlen musste, um 196 Milliarden Dollar höher als die Summe, die er durch Verkäufe von Vermögenswerten hereinholte. Niemand weiß, welcher Betrag genau erforderlich ist, bevor man nicht sämtliche Banken mit mangelndem Eigenkapital geschlossen und die Sicherheiten zur Stützung ihrer notleidenden Kredite versteigert hat. Der Steuerzahler muss bereit sein, die Verluste zu tragen – wie hoch sie auch sein mögen. Es gibt keine andere Möglichkeit, wenn man notleidende Kredite aus den Geschäftsbüchern tilgen und die Kontoinhaber auszahlen will. Vorher kann sich das Wachstum nicht fortsetzen. Der Kapitalismus funktioniert nicht mit überschuldeten Vermögenswerten. Die Zins- und Kapitalrückzahlung übersteigt die den Vermögenswerten innewohnende Produktivität, und kein Manager, wie geschickt er auch sein mag, kann dieses mathematische Problem lösen. Da der Preis der Vermögenswerte arg gesunken ist, müssen die Schulden entsprechend fallen, wenn das Wachstum erneut beginnen soll. Das Verfahren, bei dem Schulden abgeschrieben und wieder mit dem Wert der Vermögensgegenstände in Einklang gebracht werden, wird als Konkurs bezeichnet. Man muss im Gedächtnis behalten, dass in einem Konkursverfahren nichts verschwindet. Sämtliche Grundstücke, Wohnhäuser, Fabriken, Maschinen und Bürogebäude, die mit dem Konkurs zu tun hatten, existieren noch. Sie haben lediglich andere Eigentümer, produzieren aber die gleiche BIP-Menge. Niedrigere Kapitalbeträge ersetzen höhere Schuldbeträge. Die Wirtschaft wird nicht kleiner. Im Kapitalismus ist jedes Besitztum zu irgendeinem Preis ein positiver Wert. Ein Verluste schreibendes Hotel auf Hawaii, das Japanern gehörte, wurde, nachdem man es zu 15 Prozent des Wertes seiner
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Schulden verkauft hatte, zu einem rentablen Unternehmen. Das wäre mit seiner alten Schuldenstruktur unmöglich gewesen. Banken, deren Passiva größer sind als ihre Aktiva, sollten ihre Geschäfte einstellen. 3 000 Banken wurden während der Spar- und Kreditkrise zwangsweise geschlossen. Der Resolution Trust verkaufte ihre guten Kredite an andere Banken und übernahm ihre notleidenden Kredite. Einige der betroffenen Banken waren sehr groß, und sogar Citibank (die größte der Nation) kam der Schließung gefährlich nahe. In solchen Fällen wurden nur die Kontoinhaber entschädigt. Die Aktionäre verloren ihr Geld, und die Direktoren mussten ohne goldene Fallschirme auskommen. Firmen, die ihre Kredite nicht zurückzahlen können, werden entweder verkauft oder geschlossen, wonach man ihre Vermögenswerte an den Höchstbietenden versteigert. Individuen, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können, werden für bankrott erklärt, und man fügt die Vermögenswerte, die sie als Sicherheit für ihre eigenen notleidenden Kredite benutzt haben, den Gegenständen hinzu, die so rasch wie möglich versteigert werden sollen. Technisch gesehen hat man es mit »schlechten« Krediten zu tun, wenn die regelmäßigen Rückzahlungen von Zinsen und Kapital nicht geleistet werden. In Japan sind viele der Kredite, die reduziert werden müssen, theoretisch »gut«. Man nehme ein junges Ehepaar, das sich 1989 für 1 Million Dollar ein Haus in Tokio kaufte, wobei es 100 000 Dollar als Anzahlung leistete und sich durch den Abschluss einer ZweiGenerationen-Hypothek 900 000 Dollar borgte. Heute ist das Haus 200 000 Dollar wert, und der Preis sinkt langsam weiter. Das Ehepaar hat ein negatives Nettoeigenkapital von 700 000 Dollar und ertrinkt in Schulden, aber es zahlt regelmäßig seine monatlichen Hypothekenraten. Damit sind seine Schulden, technisch betrachtet, »gut«. 40 Prozent der japanischen Familien gehören in diese Kategorie, denn sie haben Hypotheken, die erheblich über dem Wert ihres Hauses oder ihrer Wohnung liegen. Doch monetäre und steuerliche Maßnahmen können nicht greifen, wenn die Zinsen für diese »guten« Schulden weiterhin bezahlt werden. Selbst ein Zinssatz von 0 Prozent wird das Ehepaar nicht zum Konsumieren bewegen, denn die beiden wollen sich auf keinen Fall noch mehr Schulden aufbürden – gleichgültig zu welchem
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Zins. Auch eine Steuersenkung wird sie nicht zum Konsumieren veranlassen, sondern ihnen nur erlauben, ihre Schulden ein wenig schneller abzuzahlen. In den Vereinigten Staaten waren Ehepaare während der Spar- und Kreditkrise in einer ähnlichen Situation. Sie gaben der Bank die Hausschlüssel zurück und begannen ein neues Leben – im Grunde machten sie ohne großen Ärger Bankrott. Das ist in Japan unmöglich. Dort sind Hypotheken Schuldverschreibungen auf das Lebenseinkommen der Kreditnehmer und ihrer Kinder. Es gibt keine Flucht. Wenn die japanische Wirtschaft jedoch erneut wachsen soll, müssen diese Familien wieder konsumieren, aber dazu sind sie nur in der Lage, wenn sie ihre Schuldenlast irgendwie abwerfen können. Man braucht nicht von Bankrott zu sprechen, doch ihre früheren Darlehen müssen verziehen werden. Japan war zu den erforderlichen Schritten nicht fähig. Seine genetische Schwäche gestattete ihm nicht, jene Banken, die ihre Kontoinhaber nicht auszahlen, sowie die Firmen, die ihre Darlehen nicht zurückzahlen konnten, zu schließen. Japan war aus politischen und sozialen Gründen unfähig, Individuen zum Bankrott zu zwingen. Dadurch wären sie als moralische Versager gebrandmarkt worden. Ein Bankrott gilt als Zeichen eines permanenten persönlichen Makels. Wer für ein bankrottes Unternehmen tätig war, bekommt danach keinen guten Arbeitsplatz mehr, weil »moralische Versager« nicht eingestellt werden. Wie sollten ältere Entlassene auf dem japanischen Markt, wo man nur unmittelbar nach dem Abschluss des Gymnasiums oder der Universität einen Posten erhält, eine neue Anstellung finden? Die Bezeichnungen ähneln einander, aber die japanische Resolution and Collection Corporation folgte nicht dem Beispiel des Resolution Trust in den Vereinigten Staaten. In Japan entstand eine Behörde, die das Geld, das Privatbanken nicht einziehen konnten, von den Kreditnehmern einzutreiben versuchte. Stattdessen hätte sie besicherte Vermögenswerte, die nach raschen Konkursanhörungen beschlagnahmt wurden, versteigern müssen.10 So aber verlängerte sie die Krisen, denn sie gestattete Individuen und Firmen nicht, ohne ihren Schuldenberg neu zu beginnen. Bei Konkursen beschlagnahmte Vermögenswerte müssen rasch an den Höchstbietenden verkauft werden – gleichgültig, wie niedrig das
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Gebot sein mag. Einmal hielt der amerikanische Resolution Trust die Rechtstitel für 1,5 Millionen Grundstücke. Für kurze Zeit versuchte er, diese Vermögensgegenstände zu verwalten, bis sie »mehr wert« waren. Aber er scheiterte erwartungsgemäß. Niemand kann einem so uneinheitlichen Portefeuille von Werten wieder zur Gesundheit verhelfen. Sie haben keinen gemeinsamen Nenner außer der Tatsache, dass der vorherige Eigentümer Pleite gegangen ist. Rasche Auktionen haben den zusätzlichen Vorteil, dass sie eine untere Grenze für den Preis von Vermögenswerten festsetzen. Wenn zahlreiche Besitztümer gleichzeitig versteigert werden, erzielt man definitionsgemäß Minimalpreise, die sich in Zukunft nur erhöhen können. Aber noch viel wichtiger ist, dass durch den Verkauf dieser Werte eine Kapitalwirtschaft an die Stelle einer Schuldenwirtschaft tritt. Wenn man neue Aktionäre gewinnen will, muss man häufig zulassen, dass sich Außenstehende am Kauf beteiligen. Zu Beginn der Spar- und Kreditkrise waren alle texanischen Banken Eigentum von Texanern. Nach der Krise gehörte keine Bank mehr einem Einheimischen. Viele der liquidierten amerikanischen Banken wurden an ausländische Finanzinstitute verkauft. Eine neue Eigentümerschaft ist unverzichtbar für die Umstrukturierung. Die Einheimischen werden von Schulden erdrückt, und nur Außenstehende verfügen über genug Kapital. Einheimische Manager tragen außerdem den Makel des früheren Scheiterns. Nur Fremde scheinen die tadellose Managementbegabung zu besitzen, die einen Misserfolg zu einem Erfolg machen kann. Japan wollte die als Sicherheit in Konkursverfahren beschlagnahmten Vermögenswerte nicht versteigern, eben weil sie Ausländern in die Hände fallen konnten. 18 Prozent des amerikanischen BIP und 24 Prozent des deutschen BIP werden von ausländischen Firmen erwirtschaftet. In Japan ist es weniger als 1 Prozent. Die Sorge über ausländische Eigentümer hätte jedoch Japans geringste sein sollen. Statt Firmen zur Konkurserklärung zu zwingen, kaufte die japanische Regierung Unternehmensanteile auf dem Aktienmarkt. Das erwies sich als Fehler, denn nicht abnorm niedrige Aktienkurse sind das Problem, sondern die Zinszahlungen, die nicht durch die Produktivität der mit den hohen Schulden belasteten Vermögenswerte abgedeckt werden können. Aktienkäufe durch die Regierung ermöglichen lediglich, dass
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sich Privatanleger mit geringeren Verlusten aus dem Markt zurückziehen. Letztlich trägt der Steuerzahler die Verluste, die eigentlich von den Aktionären eingesteckt werden müssten. Das Gleiche gilt für Grundstückskäufe durch die Regierung. Sie lösen das wahre Problem nicht, denn dieses hat nichts mit den Bodenpreisen, sondern mit den Schulden zu tun, die durch die inhärente Produktivität des Bodens nicht zu decken sind. Die Grundstückspreise können nicht höher sein, als es von den Pachten diktiert wird. Wenn man das Sinken der Grundstückspreise verhindert, machen die Banken und die Immobilienfirmen zeitweilig einen besseren Eindruck, denn sie brauchen ihr Anlagenportefeuille nicht in so hohem Maße abzuschreiben. Aber das ist so, als wolle man eine schwer infizierte Wunde mit Schminke behandeln: Die Schminke verdeckt den Schaden, aber sie heilt die Infektion nicht. Niedrigere Grundstückspreise im Einklang mit der zugrunde liegenden Produktivität sind notwendig, wenn es zu einer Erholung kommen soll. Probleme werden nicht durch das Verstreichen der Zeit gelöst. Aufschub ist der Feind des Erfolgs. Wenn Regierungen sich weigern, Pleite gegangene Banken und Unternehmen zu schließen, werden die Probleme nur noch größer. Im Fall der Unternehmen häufen sich unbezahlte Zinsen an und werden dem Fremdkapital zugeschlagen. Die Schulden nehmen unablässig zu, und die Firmen haben immer weniger Aussichten, sie zu begleichen. Da die Banken ihren Kontoinhabern mehr Zinsen zahlen, als sie durch ihre notleidenden Kredite einnehmen, verringern sich ihre Barreserven stetig. Der Endbetrag, den der Steuerzahler den versicherten Kontoinhabern erstatten muss, wird immer größer. Um mit Shakespeare zu sprechen: »Wär’s abgetan, so wie’s getan, wär’s gut, ’s wär schnell getan.« Für die Überwindung eines Finanzkrachs müssen die Steuerzahler – und Wähler – um gewaltige Summen gebeten werden. Es gibt keine andere Möglichkeit, denn nur so kann man das Wirtschaftssystem wieder in Schwung bringen. Damit der Steuerzahler/Wähler diese unangenehme Wahrheit akzeptiert, muss er das Gefühl haben, nicht übervorteilt worden zu sein. Die Verursacher der Probleme dürfen nicht reich werden und es dann dem durchschnittlichen Steuerzahler überlassen, die Zeche zu zahlen.
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In den Vereinigten Staaten waren vier Dinge erforderlich, um die Übernahme der Schulden des Bankwesens für den Steuerzahler politisch tragbar zu machen. Erstens: Sämtliche Aktionäre verloren ihre gesamten Investitionen, bevor öffentliche Mittel herangezogen wurden. Die Aktionäre wurden nicht gerettet, denn sie sind im Kapitalismus die Risikoträger und müssen für ein Scheitern geradestehen. Sie erhalten die Gewinne, und deshalb müssen sie sich auch mit den Verlusten abfinden. Zweitens: In allen gescheiterten Unternehmen wurde das gesamte Spitzenmanagement ohne goldenen Fallschirm entlassen. Man bemühte sich nicht herauszufinden, ob das Spitzenmanagement für das Versagen direkt verantwortlich war oder nicht. Diese Personen sind die Entscheidungsträger, sie hätten das Unheil verhindern müssen, und in dieser Funktion sind sie letzten Endes, ungeachtet der detaillierten, konkreten Ursachen, für Misserfolge haftbar. Drittens: Wo es zu kriminellen Aktionen gekommen war, etwa Insiderhandel, wurden die Schuldigen inhaftiert. Wer in der vorhergehenden Spekulationsblase reich geworden war, durfte nicht als Nutznießer der staatlichen Rettungsaktion erscheinen. Während der Spar- und Kreditkrise wurden Mike Milliken, der damals berühmteste Unternehmer Amerikas, sowie Hunderte anderer Geschäftsleute zu Gefängnisstrafen verurteilt. Viertens: Wenn Politiker in eine kriminelle Tätigkeit verwickelt waren, landeten sie ebenfalls im Gefängnis. Wurde ihnen eine nicht kriminelle Beteiligung nachgewiesen, verloren sie ihr Amt. Während der amerikanischen Spar- und Kreditkrise mussten 20 Kongressabgeordnete (vier erhielten außerdem Gefängnisstrafen) und fünf US-Senatoren, bekannt als die »Keating Five«, ihren Posten abgeben (Mr. Keating selbst wurde eingesperrt).11 In Japan glaubt nach einem Jahrzehnt niemand mehr, dass irgendein Schuldiger bestraft werden könnte. Hin und wieder verhaftet man Beamte des Finanzministeriums unter Trompetengeschmetter, doch man erhebt nie Anklage gegen sie, stellt sie nie vor Gericht und schickt sie schon gar nicht ins Gefängnis. Genauso ergeht es den führenden Unternehmern. Wenn die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, warum sollte der Steuerzahler/Wähler der Regierung dann sein Geld überlassen?
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Es ist unmöglich zu verhindern, dass sich spekulative Blasen bilden und dass sie irgendwann platzen. Aber man kann die sich anschließende Unordnung beseitigen. Regierungen sollten nach ihrer Fähigkeit beurteilt werden, genau das zu tun. Die japanische Regierung bestand den Test nicht und verlor dadurch ihre Glaubwürdigkeit. Regierungen haben unbedingt glaubwürdig zu sein, denn dadurch beschleunigt sich der Effekt nützlicher politischer Maßnahmen: Unternehmer handeln, ohne abzuwarten, ob die angekündigten Pläne verabschiedet werden (das setzt man voraus) und wie sie sich auf den Markt auswirken (man setzt voraus, dass sie erfolgreich sind). In Japan dagegen wird ausgiebig über eine Umstrukturierung geredet, ohne dass etwas geschieht. Niemand schenkt den Versprechen der japanischen Regierung Glauben.
Schlechte Geld- und Steuerpolitik Die japanische Geldpolitik war furchtsam und ineffektiv und hat sich nun, da die Zinssätze nahe null liegen, erschöpft. Große, jähe Zinssenkungen zu Beginn der Krise hätten eine ganz andere Wirkung gehabt als kleine, über einen langen Zeitraum verteilte Reduktionen. Japan ist in dem gefangen, was Lord Keynes während der Weltwirtschaftskrise als »Liquiditätsfalle« bezeichnete: Die Zinssätze des Geldmarktes sind extrem niedrig, doch da die Preise fallen, erweisen sich die realen Zinsen als hoch. Die Steuerpolitik war noch weniger wirksam. Fiskalische Anreizpakete haben keine Wirkung, wenn die Wirtschaft in ihren Schulden ertrinkt. Welche Vorteile haben niedrige Steuern für eine stark verschuldete Familie? Sie führen nicht zu erhöhten Konsumausgaben, denn die normalen Multiplikatoreffekte verschwinden. Auch wer durch ein neues Investitionsprogramm der Regierung einen Arbeitsplatz findet, wird sein höheres Einkommen nutzen, um Schulden zurückzuzahlen, statt Geld in neue Projekte zu stecken oder neue Waren und Dienstleistungen zu erwerben. Der steuerliche Anreiz hätte mit einem einzigen großen Schlag realisiert müssen, nachdem man die Schulden abgeschrieben hatte. Das ist
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eine Lektion, die man aus den vergeblichen amerikanische Bemühungen, sich der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren zu entziehen, hätte lernen müssen – und aus der Leichtigkeit, mit der die USA sich retteten, sobald die enormen Ausgaben für die Finanzierung des Zweiten Weltkriegs begonnen hatten. Japans steuerlicher Anreiz versickerte und gab der Wirtschaft nie den starken Anschub, den sie benötigt hätte. Zaghafte steuerliche Anreizpakete kamen und gingen ohne großen Effekt. Nach jeder dieser kleinen Steuersenkungen folgte eine schwache Erholung der BIP-Wachstumsrate, die sich dann sehr bald wieder verflüchtigte. Rezessionen eignen sich gut dazu, Geld für die nötige Infrastruktur auszugeben. Die Grundstückspreise sinken, die Projekte werden gebraucht, und genug Bauarbeiter stehen zur Verfügung. Infrastrukturausgaben erhöhen die Regierungsdefizite nicht, wenn die Wirtschaft wieder voll in Schwung ist, denn bis dahin sind die Projekte abgeschlossen. Doch wenn man rezessionsbekämpfende Ausgaben für Infrastrukturprojekte tätigen will, müssen die Vorhaben sofort realisierbar sein (Pläne verabschiedet, Boden erworben, Genehmigungen erteilt, Ausschreibungsverträge abgefasst), bevor der Konjunkturrückgang begonnen hat. Andernfalls dauert es zu lange, bis die Projekte in Gang kommen. Da es zu viel Zeit gekostet hätte, die notwendigen Arbeiten in den Großstadtgebieten zu beginnen, und da niemand erwartete, dass der Abschwung so lange anhalten würde, baute Japan in ländlichen Gebieten unnötige Projekte, nur weil sie rasch in Angriff genommen werden konnten. Was gebaut wurde, wurde nicht benötigt; was benötigt wurde, wurde nicht gebaut. Es gibt etliches zu tun. Die Japaner sind arme Menschen, die in einem reichen Land leben, denn sie haben viel weniger Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung als Bürger in weit ärmeren Ländern. Selbst Staaten mit einer erheblich höheren Bevölkerungsdichte wie die Niederlande besitzen mehr Wohnraum pro Person. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dieses Problem auch künftig schwelen zu lassen, aber die Änderungen der Schatten- und Erdbebengesetze, die zu einem Wohnungsbauboom hätten führen können, sind ausgeblieben. Wenn der Begriff »Regierung« eine Institution meint, die fähig ist, eine Erholung einzuleiten, dann besitzt Japan keine Regierung. Sie redet, sie debattiert, sie macht Versprechen, doch sie handelt nicht.
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Die politischen Gründe dafür, dass Japan die notwendigen Maßnahmen nicht ergreifen kann, sind zwar einfach, aber schwer zu lösen. Japan ist eine Konsensgesellschaft mit einem schmalen Establishment an der Spitze. Wann immer Probleme durch äußere Kräfte verursacht werden (etwa die Niederlage am Ende des Zweiten Weltkriegs), haben Konsensgesellschaften beträchtliche wirtschaftliche Vorteile. Sie eignen sich vorzüglich dazu, Menschen zu vereinigen und ihre Energie auf gemeinsame Lösungen zu konzentrieren. Aber sie weisen in turbulenten Zeiten, wenn die Probleme interne Ursachen haben, große Schwächen auf. Man kann Insider nicht zum Kampf gegen Insider aufrufen. Es ist unmöglich, einen Konsens darüber zu erzielen, dass eine Firma ihre Geschäfte aufgeben und Konkurs machen sollte, wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der die Firmenmanager und -besitzer der um einen Konsens bemühten Gruppe angehören. Wie kann man Menschen dem Konkurs oder dem Gefängnis ausliefern, wenn sie die eigenen Söhne, Personen aus demselben gesellschaftlichen Umfeld, Kommilitonen oder Schwiegereltern sind? Mit einem Konsens ist nichts zu erreichen, wenn es darauf ankommt, nach einer Spekulationsblase aufzuräumen. Um zu tun, was getan werden muss, hat man keine andere Wahl, als den Konsens wenigstens zeitweilig hinter sich zu lassen. Das existierende System hat bewiesen, dass es die notwendigen Schritte nicht einleiten kann. Wenn man ihm mehr Zeit einräumt, werden sich die Probleme nur noch verschlimmern. Ein Wirtschaftszar muss ernannt werden, der die Macht besitzt, hoffnungslos bankrotte Unternehmen zu schließen und ihre Vermögenswerte an den Höchstbietenden zu verkaufen. Der amerikanische Resolution Trust hatte einen solchen Zaren, die japanische Finanzaufsichtsbehörde dagegen hat keinen.
Deflation Durch das Versäumnis, die finanzielle Unordnung zu beseitigen, hat Japan sich die am heftigsten gefürchtete Krankheit des Kapitalismus zugezogen: eine Deflation. Der Kapitalismus kann mit Inflation leben, so-
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gar mit einem erheblichen Maß davon. Viele Länder, darunter China, sind mit Inflationsraten von nicht weniger als 10 bis 15 Prozent rasch gewachsen. Aber im letzten Jahrhundert war keine kapitalistische Gesellschaft fähig, in einem Umfeld der Deflation und der sinkenden Preise zu wachsen. Systematische Deflation hat fast immer ein negatives BIP-Wachstum zur Folge. Hat sie einmal begonnen, ist es äußerst schwierig, ihr Einhalt zu gebieten. Der japanische Produzentenpreisindex (er misst die Preise, die Unternehmen für den Kauf von Waren und Dienstleistungen zahlen) begann 1991 zu sinken. Die Verbraucherpreise schlossen sich 1998 an. Weder der Produzentenpreis- noch der Verbraucherpreisindex fallen rapide. In einem Jahrzehnt haben die Produzentenpreise um 10 Prozent nachgegeben, während die Verbraucherpreise seitdem um ungefähr 2 Prozent jährlich fallen. Der BIP-Deflator (der umfassendste Inflationsindex) verliert rund 1 Prozent pro Jahr. Doch all diese Indizes enthalten Regierungs- und private Dienstleistungen, in denen die Preise stabil sind oder sogar steigen. Die Preise für in Japan hergestellte und verkaufte Waren sinken jährlich um 5 bis 6 Prozent, und in manchen Bereichen ist der Preisrückgang noch viel stärker. Der Verfall ist nun dauerhaft geworden und scheint sich sowohl auszubreiten als auch zu beschleunigen. Ein Teil dieser Deflation ist auf für Japan typische Probleme zurückzuführen (ein Jahrzehnt ohne Wachstum), ein Teil hat mit den umfassenderen globalen Realitäten zu tun. Die Inflation der siebziger und achtziger Jahre verschwand nicht plötzlich in fast jedem Land der Welt, weil die Zentralbanken besser geführt wurden. Sie verschwand, weil die Technologie die Verkaufspreise in vielen Branchen, etwa in der Mikroelektronik, nach unten drückte. Ein weiterer Grund war, dass die Globalisierung die Preise in Sektoren, in denen man mit Waren und Dienstleistungen handeln konnte, sinken ließ. Man nenne ein beliebiges Produkt, addiere die Menge, die die Welt davon herstellen könnte, wenn sämtliche Fabriken auf Hochtouren arbeiteten, und subtrahiere, was die Welt kaufen wird. Dann stellt man fest, dass das Produktionspozential der Erde den erwarteten Konsum um wenigstens ein Drittel übertrifft. Autos, Halbleiterchips und Öl sind nur drei von vielen Beispielen. Bei normalem Betrieb könnten die
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Autowerke der Welt 22 Millionen mehr Fahrzeuge herstellen, als man im Jahr 2003 kaufen wird. Ein Teil dieser Überkapazität entsteht durch neue Technologien, welche die Produktivität drastisch erhöht haben. Ein anderer Teil geht auf den Konkurrenzdruck zurück, der Firmen zwingt, in neue, billige Produktionsanlagen im Ausland zu investieren, obwohl es ihnen in der Heimat nicht an Kapazität fehlt. Bei einem solchen Überhang der Produktionskapazität sind sinkende Preise kein Wunder. Firmen sind stark motiviert, die Preise zu senken, damit ihre Anlagen enger an ihrer Kapazitätsgrenze arbeiten. Infolge der Technologie und des internationalen Wettbewerbs sind die Löhne im Lauf der letzten 25 Jahre für die unteren 60 Prozent der amerikanischen Beschäftigten jährlich etwa um einen Prozentpunkt geschrumpft. Irgendwann führen Einkommenssenkungen zu einem Preisverfall. Kernschmelzen wie die asiatische von 1997 vergrößern den Abwärtsdruck auf die Preise erheblich. Länder wie Südkorea können mehr exportieren, und die viel niedrigeren Devisenkurse verhelfen ihnen dabei zu Gewinnen. Wenn die globalen Wettbewerber ihren Marktanteil nicht verlieren wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich den koreanischen Preissenkungen anzuschließen. Rationalisierungen und Auslagerungen reduzieren die Preise. Es ist in Amerika weithin üblich, dass Unternehmen mit ihren Lieferanten Verträge abschließen, die jährliche Preissenkungen verlangen. Autoteilefertiger unterzeichnen zum Beispiel mit den großen Zulieferern der Automobilindustrie Verträge, in denen eine jährliche Preissenkung von 3 Prozent gefordert wird. Outsourcing spielt bei diesen harten Verträgen eine wichtige Rolle, denn in Preisfragen kann man gegenüber einem externen Lieferanten unnachgiebiger sein als gegenüber einem internen. Wenn der Erstere infolge der neuen, niedrigeren Preise keinen Gewinn erzielt, ist das sein eigenes Problem, doch wenn der Letztere Geld verliert, büßt der Konzern in einer seiner Verkaufsabteilungen das ein, was er in einer seiner Einkaufsabteilungen gewinnt. So kommt es zu keiner Zunahme des Gesamtgewinns. Die verarbeitende Industrie, der Bergbau und das Bauwesen können ihre Preise mühelos niedrig halten, da sie Riesenreserven an billigen Arbeitskräften haben. Viele der nun im Dienstleistungssektor beschäftig-
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ten Personen würden ihre niedrig bezahlten Jobs mit Vergnügen aufgeben und besser bezahlte Stellen in der Fertigungsindustrie annehmen. Deshalb führten in den neunziger Jahren nicht einmal beispiellos niedrige Arbeitslosenzahlen zu inflationären Lohnerhöhungen in der verarbeitenden Industrie, im Bergbau und Bauwesen. Der Kapitalismus kann in einer deflationären Umgebung nicht funktionieren. Da der Geldwert steigt, während der Wert anderer Vermögensgegenstände sinkt, ist es am klügsten, sich für die risikolose Option zu entscheiden, indem man Bargeld spart und nichts tut. Jeder gesparte Dollar wird morgen eine größere Kaufkraft haben. Man beeilt sich nicht, das Gewünschte zu erwerben, da es im nächsten Jahr billiger sein wird. Wann immer möglich, werden Käufe verschoben. Doch wenn jeder den Konsum hinauszögert, wie soll sich dann Wachstum einstellen? Da die Geldmarktzinssätze nicht negativ sein können (wenn das der Fall wäre, würde jeder sein Bargeld behalten), sind die realen Zinsen zwangsläufig sehr hoch. Bei einer 10-prozentigen Deflationsrate wird ein Zins von 1 Prozent zu einem Realzins von 11 Prozent. Neue Investitionen müssen sehr rentabel sein, bevor man sich darauf einlässt. In einer deflationären Umgebung funktioniert die Geldpolitik nicht mehr, sodass die Aktivitäten der Zentralbank nahezu irrelevant werden. Japan senkte die Zinssätze fast auf null (0,25 Prozent), was kaum Wirkung hatte. In einem deflationären Umfeld sind Schulden um jeden Preis zu vermeiden, da sie mit Geldern von höherem Wert als jenen, die man sich ursprünglich geborgt hat, abgetragen werden müssen. Wenn die Preise um 10 Prozent fallen, kostet es ein Jahr später effektiv 110 Dollar, eine Schuld von 100 Dollar zu begleichen. Unter solchen Umständen nimmt man keine Darlehen auf und zahlt alte Schulden so rasch wie möglich zurück. Aber wenn die Verringerung der Schulden den Vorrang hat, investiert niemand in die neuen Dinge, die Wachstum verursachen. Da Kostensenkungen in einer deflationären Welt die Hauptrolle spielen, bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als die Gehälter ihrer Angestellten zu kürzen. Wenn sie es nicht tun, steigen die realen Bezüge ihres Personals (da die Preise fallen), und sie verlieren ihre Konkurrenzfähigkeit. Die Gewinner sind diejenigen, welche die Gehälter
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unter die Deflationsrate senken können. Das ist schwierig, denn um eine 3-prozentige Kürzung der Realgehälter in einem Umfeld mit 10 Prozent Deflation zu erzielen, müssen die Nominalgehälter um 13 Prozent verringert werden. Aber je mehr Druck die Firmen ausüben, desto rascher fallen die Preise. Außerdem widersetzen sich die Beschäftigten starken Gehaltskürzungen entweder offen (Streiks) oder insgeheim (Sabotage). In der Weltwirtschaftskrise fielen die Nominaleinkommen in Amerika und die Realeinkommen stiegen, weil die Preise rascher absackten als die Bezahlung, obwohl sich die Arbeitslosigkeit 30 Prozent näherte. In Hongkong sind die Preise um 13 Prozent zurückgegangen, aber es fällt der Regierung schwer, die Beamtengehälter um 6 Prozent zu reduzieren.12 Wenn die Reallöhne so schnell steigen, wie der Umsatz sinkt, verlieren die Unternehmen Geld und müssen sich einschränken oder das Geschäft aufgeben. Die Regierungen stellen fest, dass ihre Steuereinnahmen sinken, da sich Einkommen und Gewinne verringert haben. Zwar gehen die Kosten für den Kauf von Waren und Dienstleistungen ebenfalls zurück, doch andere Verpflichtungen, etwa die monatliche Sozialrente für ältere Bürger oder die Angestelltengehälter, sind politisch nicht leicht zu reduzieren. Deshalb kürzen die Regierungen ihre Ausgaben für die Waren und Dienstleistungen, die von der Privatwirtschaft bereitgestellt werden, damit sie schmerzhaftere Einschnitte in ihrer eigenen Zuständigkeit, wo die Wähler sie direkt verantwortlich machen würden, vermeiden können.
Perspektiven Japan ist in einer deflationären Todesspirale gefangen. Es hat ein Jahrzehnt ohne Wachstum hinter sich und vermutlich ein weiteres vor sich. Die Industrieproduktion hat mit negativem Wachstum im Jahr 2001 ein 14-Jahres-Tief erreicht.13 2002 waren wieder ein paar positive Quartale zu verzeichnen, aber es gab keinen Grund zu der Annahme, dass dieser Aufschwung länger anhalten würde als jene der neunziger Jahre. Und Anfang 2003 endete er tatsächlich. Durch seine Konzentration auf die Erholung verpasst Japan die dritte industrielle Revolution.
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Japan verfügt über eine starke Ökonomie, die in eine schwache Wirtschaftsstruktur eingebettet ist. Es hat intelligente, gut ausgebildete, fleißige Arbeitskräfte, und seine Unternehmen sind führend auf den Gebieten Technologie, Produktivität und Marketing, aber es geht unter, und immer mehr seiner mächtigen Konzerne müssen Verluste melden. Das Land kann seine Stärken einfach nicht zum Einsatz bringen, bevor es den Schutt, der sich am Ende seiner Spekulationsblase ansammelte, nicht beseitigt hat. Rezessionen und Kernschmelzen sind immanente Teile des Kapitalismus und gehen aus seinem genetischen Code hervor. Sie haben sich in der Vergangenheit oftmals und an vielen Orten ereignet und werden sich auch in Zukunft wiederholen. Jedes Wirtschaftsgebilde, das langfristig Erfolg haben soll, muss beide Probleme bewältigen können. Das japanische System muss umgebaut werden, damit es Rezessionen und Finanzkatastrophen gewachsen ist. Diese Umstrukturierung ist auch für die übrige Welt von Belang, denn eine prosperierende globale Wirtschaft wird kaum zustande kommen, wenn die drittgrößte Ökonomie der Erde weiterhin versagt. In Japan droht die wirtschaftliche Stagnation sich bis in die ferne Zukunft fortzusetzen. Aber die Ursachen sind nicht in der Wirtschaft, sondern in einer unbewältigten politischen Krise zu finden: in der Unfähigkeit zu handeln, wenn es notwendig ist. Die erforderlichen Schritte sind nicht nebensächlich, und sie könnten unter dem Rubrum »Ändert eure Kultur« zusammengefasst werden. Leicht gesagt, aber wie ist das zu schaffen?
Amerika – Quelle der wirtschaftlichen Instabilität und bedeutende Lokomotive für den globalen Erfolg Abgesehen von der Übergangszeit zwischen Krieg und Frieden im Jahr 1945 hat Amerika 2001 seine zehnte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Die so genannte neue Wirtschaft war nicht rezessionssicher. Die neun vorherigen Rezessionen dauerten im schlimmsten Fall 16 und im besten Fall sechs Monate, der BIP-Rückgang lag zwischen
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0,5 und 3,6 Prozent. Die Rezession von 2001 führte zu einem Sinken des BIP von 0,6 Prozent und währte neun Monate. Ende 2001 setzte sich das Wachstum fort. Im Jahr 2002 expandierte die Wirtschaft um 2,4 Prozent. Das einzig Ungewöhnliche an der Rezession von 2001 war die Tatsache, dass sie zehn Jahre hatte auf sich warten lassen. Die Rezession von 2001 weckte unangenehmere Gefühle, als die Statistik anzuzeigen scheint, denn die verarbeitende Industrie trat in ihren schlimmsten Konjunkturrückgang seit dem Zweiten Weltkrieg ein. Zudem halbierten sich die Gewinne der 500 größten globalen Konzerne zwischen 2000 und 2001.14 Aber Amerika war nicht der »Jahrtausendflut« ausgesetzt (wie sich Cisco-Chef John Chambers ausdrückte) oder dem »perfekten Sturm« (eine Wendung, die man häufig am Pazifikrand benutzt). Vielmehr war die Rezession von 2001 ein ganz und gar normales Ereignis, wie es in Amerika durchschnittlich alle fünf Jahre zu beobachten ist. Wenn man Erholungen datiert, müssen zwei Definitionen berücksichtigt werden. Für Ökonomen handelt es sich schlicht um eine Rückkehr zu stetigen positiven Wachstumsraten. Eine Erholung liegt schon bei einer Wachstumsrate von 0,1 Prozent vor, wenn diese sich Quartal für Quartal fortsetzt. Aber Geschäftsleute benutzen eine andere Definition. Sie sehen keinen Unterschied zwischen einem BIP-Verfall von 0,1 und einem BIP-Anstieg von 0,1 Prozent. Wenn sie von einer Erholung reden, meinen sie eine Wachstumsrate, die hoch genug ist, um Expansion, nicht Schrumpfung zum Hauptfaktor für mehr Rentabilität zu machen. Für eine Erholung im Unternehmersinne braucht man eine Wachstumsrate von ungefähr 4 Prozent. Von den zehn Rezessionen seit dem Zweiten Weltkrieg hatten sieben eine gemeinsame Ursache und waren leicht zu beheben.15 In all diesen Fällen hob der Zentralbankrat den Zinssatz an, um die Wirtschaft zu bremsen und die Inflation zu stoppen. Bei zu hohen Zinsen fiel der Absatz von Häusern und Autos (der beiden großen Artikel, die auf Kredit gekauft werden). Die Wirtschaft hielt an, doch da sie durch die Erhöhung der Zinsen gestoppt worden war, konnte man sie durch eine Senkung der Zinsen rasch erneut starten. Der Zentralbankrat reduzierte den Zinssatz, und der Verkauf von Häusern und Autos schnellte wieder in die Höhe. Deshalb waren die meisten amerikani-
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schen Rezessionen kurz und gingen in eine jähe Erholung über. Ökonomen sprechen von »V«-Rezessionen: rasch hinunter, rasch wieder hinauf. Was die Japaner in ihrem Jahrzehnt ohne Wachstum durchmachen, ist eine »L«-Rezession: hinunter in die Tiefe, um dort zu bleiben. Die Zeit der Weltwirtschaftskrise war eine »L«-Rezession für Amerika. Drei der amerikanischen Rezessionen – und die von 2001 ist eine davon – hatten andere Ursachen und damit einen anderen Zeitablauf. In diesen Fällen sprechen die Ökonomen von einer »U«-Rezession: in die Tiefe, um dort eine Weile zu bleiben und sich dann zu erholen. Die zweite der zehn Nachkriegsrezessionen (1953–54) wurde durch scharfe Kürzungen der Militärausgaben nach dem Korea-Krieg ausgelöst, die man nicht durch Steuersenkungen oder die Erhöhung anderer Regierungsausgaben wettmachte. Die sechste Rezession (1973–75) wurde durch den ersten OPEC-Erdölschock verursacht. Die Steuerbehörden begriffen nicht, dass ein gewaltiger Anstieg der Ölpreise einer gewaltigen Steuererhöhung entspricht – mit dem einzigen Unterschied, dass das Geld nicht an die amerikanische Regierung, sondern an den König von Saudi-Arabien gezahlt wird. Der Anteil der Verbrauchereinkommen, der für andere Produkte ausgegeben werden konnte, sackte ab. Um eine solche Rezession zu vermeiden, hätte die Ölpreiserhöhung durch eine lokale Steuersenkung aufgefangen werden müssen. Die dritte dieser »U«-Rezessionen, also die von 2001, geht auf eine komplizierte Wechselwirkung zwischen den Rezessions-Genen des Kapitalismus und dem technologischen Wandel zurück, der ein Bestandteil der dritten industriellen Revolution war.
Neue Branchen Neue Firmen in jeder neuen Branche nehmen im Grunde an einer Lotterie teil. Niemand weiß, was gelingen wird; viele Geschäftsmodelle werden ausprobiert. Die meisten neuen Firmen gehen Pleite, doch einige sind sehr erfolgreich. Der durchschnittliche Anleger verliert sein
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Geld, aber ein paar Investoren machen ein Vermögen. Genauso ist es historisch immer wieder abgelaufen. Man nehme die Autoindustrie. Mehr als 2 000 Automobilunternehmen wurden vor 1929 gegründet. Jeder Fahrradhersteller wie Henry Ford wandte sich der Autoproduktion zu. In den späten fünfziger Jahren waren nur noch drei Konzerne übrig: Ford, General Motors und Chrysler. Ein Anleger, der genug Glück hatte oder klug genug war, in diese drei Unternehmen zu investieren, wurde in den fünfziger Jahren märchenhaft reich, obwohl es 1929 zu einem Börsenkrach und in den dreißiger Jahren zur Weltwirtschaftskrise kam. Aber alle, die in die anderen 1997 Firmen investiert hatten, verloren ihr Geld. Die Ökonomen wissen, warum die drei Firmen überlebten. Ford erfand das Geschäftsmodell für die Autoproduktion: Fließbänder, Teilefertigung und Lieferkettenmanagement. Alfred Sloan von General Motors erfand das Geschäftsmodell für den Autoverkauf: jährliche Modellwechsel, unterschiedliche Farben und die Ansicht, dass das Auto Teil der Persönlichkeit des Besitzers ist, weshalb der Käufer es nicht wie einen Kühlschrank behandelt und nur alle 25 Jahre ein neues erwirbt. Chrysler konsolidierte einige der erfolgreichsten Firmen unter den Mitläufern und ist deshalb ebenfalls stets ein Mitläufer gewesen, bis es 1998 seine Unabhängigkeit an Daimler-Benz verlor. Aber wenn man mitten in einer industriellen Revolution vorausblickt, ist es sehr schwierig, erfolgreiche Geschäftsmodelle zu identifizieren. Nehmen wir an, Moses wäre 1983, zu Beginn der PC-Revolution, den Berg Sinai hinaufgestiegen, um mit Gott über das PersonalcomputerGeschäft zu reden. Gott teilt ihm mit, dass man im Jahr 2001 auf der Welt 140 Millionen PCs verkaufen werde. In welche Aktie hätte Moses nach dieser Insiderinformation investiert? Wahrscheinlich in Commodore Computer, den seinerzeit führenden PC-Hersteller, der einen Marktanteil von 33 Prozent aufwies und rasch wuchs. 1994 gab Commodore Computer das Geschäft auf.16 Damals hätte man nicht in den großen Sieger, nämlich Microsoft, investieren können, da es 1983 noch keine Aktiengesellschaft war. Jede neue Branche legt in ihrer Entwicklung den Weg aus einer allzu optimistischen, vom Medienrummel begleiteten Phase, in der alles gelingen wird, zu einer allzu pessimistischen, kaum beachteten Phase zu-
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rück, in der nichts gelingen wird. Man hat es mit einer Goldrauschmentalität zu tun. Jeder erwartet, reich zu werden. Überall ist Gold – oder man meint, es gebe überhaupt kein Gold. Vergessen wir das! Die Wahrheit liegt immer in der Mitte. Manche Dinge gelingen, die meisten jedoch nicht. Jedenfalls ist es sehr schwer herauszufinden, welche wenigen Geschäftsmodelle erfolgreich sein werden.
Alles wird gelingen – nichts wird gelingen Der Rhythmus dieser Gefühlsumschwünge führt unweigerlich zu Finanzkrächen. Nur ihr Zeitpunkt ist ungewiss. Die Rezession von 2001 begann im März und April 2000 mit einem Börsenkrach der Internetfirmen. Der elektronische Einzelhandel wechselte aus der »Alles-wirdgelingen-und-wir-alle-werden-reich-werden«-Phase in die »Nichtswird-gelingen-und-wir-alle-werden-Pleite-machen«-Phase über. Nach dem ursprünglichen Dotcom-Krach griff die Schwäche im Jahr 2002 auf den Technologiesektor und dann auf alle anderen Bereiche über. Die Technologiebörse NASDAQ verlor 80 Prozent, während der S&P500 45 Prozent abgab. Zum ersten Mal seit der Weltwirtschaftskrise verzeichneten die Börsen in drei aufeinander folgenden Jahren Rückgänge. Nur der vierjährige Verfall am Beginn der Weltwirtschaftskrise war schlimmer gewesen. Ein anhaltender Bärenmarkt hatte begonnen. Wie bei allen Finanzkrächen sollte man nicht nach der Ursache fragen, sondern danach, wie die Werte überhaupt in solche Höhen hatten steigen können. Internetfirmen ohne Gewinne und mit geringem Umsatz waren Milliarden wert gewesen. Angesichts so aufgeblasener Werte konnten die Märkte nur zusammenbrechen. Die einzige Frage war: wann? Einem großen Börsenkrach folgt unweigerlich eine Rezession. Genau das war der Fall. Da ein Sündenbock gesucht wird, bezichtigt man den Zentralbankrat nun, die Geldpolitik nicht gestrafft und die Aktienkurse nicht nach unten getrieben zu haben. Laut der Finanzpresse: Das Versäumnis des Zentralbankpräsidenten Alan Greenspan, »Boom and Bust« zu verhindern, »hat seinen Glanz verblassen lassen«.17 Aber solche Maßnahmen
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sind schlicht unmöglich, obwohl die Zentralbank, um mit Alan Greenspan zu sprechen, bereits 1996 – vier Jahre vor dem Markthöhepunkt und dem Zusammenbruch – einen »irrationalen Überschwang« in den amerikanischen Finanzmärkten entdeckte. Um zu verhindern, dass Aktienkurse mitten in einer Blase stiegen, hätte man sehr hohe Zinssätze benötigt – so hoch, dass sie die reale Wirtschaft in eine scharfe Rezession gestoßen hätten. Ein Zentralbankrat, der versucht hätte, sich an diesen Plan zu halten, wäre zu Recht abgesetzt worden. Denn die Heilung wäre viel schlimmer gewesen als die Krankheit. Wahrscheinlich hätte man die Mindesteinschüsse (die bei der Eröffnung einer Aktienposition erforderlichen Mindestbeträge) anheben sollen, doch nichts lässt vermuten, dass sich die Blase dann nicht gebildet hätte.18 Es gab viele andere, welche die Kurse der Internetfirmen wie Greenspan für eine Blasenbildung hielten und entsprechend handelten. Sie verkauften die Aktien der elektronischen Einzelhändler 1998 und 1999 ohne Deckung, weil sie ein Sinken der Kurse erwarteten. Langfristig hatten sie Recht, aber da ihr Timing nicht stimmte, verloren sie trotzdem Geld. Als der Crash schließlich eintrat, gab es nur noch wenige, die mutig und vermögend genug waren, um in einer Hausse weiterhin Aktien leer zu verkaufen. Man mag fragen, warum Finanzanalysten, Buchprüfer, Bond-Rating-Agenturen, die Finanzpresse und die Ökonomen kaum jemals einen Börsenkrach vorausahnen. Im Rückblick sind alle Zeichen sichtbar. Auch beim Vorausblick sollten sie sichtbar sein, doch jeder möchte glauben, dass sich der Boom fortsetzen kann. Der Wunsch versperrt die Sicht auf die klaren Zeichen dafür, dass der Boom außer Kontrolle geraten ist. Wer das Verhängnis vorhersieht, hat ohnehin nichts davon. Niemand ist mitten in einem Aufschwung bereit, die Warnungen von Börsenanalysten zu bezahlen. Ähnliches gilt für die Finanzpresse. Niemand will mitten in einem Boom finstere Artikel lesen. Es ist riskant, die Oberfläche des Optimismus zu durchstoßen, denn dann macht sich die Presse lächerlich, wenn der Boom nicht sehr bald endet. Es gibt immer ein paar Analysten, die einen negativen Standpunkt beziehen und Recht haben, aber andererseits gibt es immer ein paar Analysten, die jede Aktie, sei sie gut oder schlecht, zu allen Zeiten ne-
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gativ beurteilen.19 Falls sie Recht behalten, feiert man sie als großartige Propheten. Das sind sie keineswegs. Wenn man hartnäckig und lange genug Schlimmes vorhersagt, dann müssen sich die Prognosen irgendwann bewahrheiten. Bond-Rating-Agenturen sind gewinnorientierte Firmen. Deshalb wollen sie die Kosten für das Aufspüren von Informationen, die nicht in Geschäftsberichten vorliegen, vermeiden. Erst einige Tage bevor Enron Konkurs anmeldete, ahnten sie bei dem Konzern etwas Böses.20 Ein paar Analysten, die Verdacht geschöpft hatten, schenkte man keinen Glauben. Erfahrene Großbanken wie Citicorps gewährten Enron hohe Kredite.21 Banken verdienen dadurch Geld, dass sie Darlehen vergeben, nicht dadurch, dass sie »sich zurückhalten«. Sie werden in erster Linie durch den Glauben motiviert, dass die großen Kreditnehmer ihre Schulden begleichen können, und nehmen die Details nicht sehr gründlich unter die Lupe. Die bedeutenden Investmentfonds erhöhten ihre EnronAktienanteile bis zum Ende.22 Es waren nicht nur die Kleinanleger, die in die Mangel genommen wurden.
Schlechtes Timing Wirtschaftsmodelle sind brauchbar, wenn es um fundamentale Kräfte und Zwänge geht, doch sie können das präzise Timing von Ereignissen nicht prognostizieren. Abschwünge vorauszusagen, die dann nicht eintreten, ist der Weg in den Untergang. Der Konjunkturbeobachter macht sich lächerlich und verliert Klienten. Als die Aktienkurse der Internetfirmen zusammengebrochen waren, begann man, auch die anderen Sektoren neu zu bewerten. Die Ursachen der Rezession von 2001 sind darin zu finden, dass Investitionen in den Telekommunikationsbereich durch den Markt und durch die Firmen neu eingestuft und deshalb zurückgestellt wurden. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2000 stiegen die Unternehmensinvestitionen in Betriebseinrichtungen, hauptsächlich in die Telekommunikation im weitesten Sinne (Internet, Server, Router, Glasfasertechnik, Telekommunikationssoftware etc.), um jeweils 31 Milliarden Dollar. Im vierten
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Quartal 2000 fielen die Unternehmensinvestitionen, wiederum fast ausschließlich in Telekommunikationsgeräte, um 9 Milliarden Dollar und dann in den vier Quartalen 2001 um jeweils 31 Milliarden Dollar. Schaut man sich dieses Muster der Telekommunikationsinvestitionen an, so ist die Rezession von 2001 kein Wunder. Der Rückgang der Telekominvestitionen ist leicht zu verstehen. Mehr als 70 Milliarden Dollar zu viel waren allein in die Glasfasertechnik gesteckt worden.23 Doch 90 bis 98 Prozent der im amerikanischen Boden vergrabenen Glasfaserkabel wurden nicht benutzt.24 Allenthalben in der Telekommunikationsbranche herrschte Überkapazität. Warum die Investitionen überhaupt derart in die Höhe geschossen waren, ist ebenfalls kein Wunder. Man erinnere sich an die oben skizzierten universalen Ursachen von »Boom and Bust«: Habgier, Optimismus und Herdenmentalität. Nie waren sie so offensichtlich am Werk gewesen wie beim Finanzkrach von 2000 bis 2002 und bei der Rezession von 2001. Die Telekombranche muss ihre Infrastruktur aufbauen, bevor eine Nachfrage besteht. Da Internet und Mobiltelefone eine stürmische Nachfrage erlebten, nahm man an, dass die Telekommunikationsunternehmen ebenfalls rasch wachsen würden. Jede Firma setzte voraus, sie werde ihren Marktanteil ausbauen können – Optimismus. Um diese Situation zu nutzen, mussten alle Unternehmen enorme Summen in die Infrastruktur investieren. Jemand würde der Henry Ford der neuen Telekombranche werden. Diejenigen, die am meisten investierten und über mehr Infrastruktur als die anderen verfügten, würden die beste Chance haben, in den Telekommunikationskriegen den Sieg zu erringen. Die Manager und die Eigentümer dieses Unternehmens würden reich werden – Habgier. Alle schlossen sich dieser Meinung an und eilten herbei – die Herdenmentalität. Fünf Lizenzen der dritten Mobilfunkgeneration (3G) wurden in Großbritannien für 35 Milliarden Dollar versteigert. Man stelle sich vor: 35 Milliarden Dollar für fünf Stücke Papier, die nur das Recht verleihen, noch viel mehr Geld in die Infrastruktur zu investieren.25 Die Ergebnisse im Vereinigten Königreich waren keine Anomalie. In Deutschland boten sechs Konzerne 46 Milliarden Dollar.26 In ganz Europa beliefen sich die siegreichen Gebote auf 150 Milliarden Dollar.
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Der Marktwert jedes der erfolgreichen Unternehmen sank nach den Versteigerungen, da der Markt meinte, sie hätten zu viel bezahlt. Ökonomen sprechen vom »Fluch des siegreichen Gebots«: Der Gewinner einer Versteigerung ist definitionsgemäß derjenige, der den Wert des Gegenstands höher einschätzt als jeder andere auf der Welt. Falls er keine Insiderinformationen besitzt, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass er Recht hat und alle anderen im Irrtum sind. Wahrscheinlich trifft sogar das Gegenteil zu. Höchstwahrscheinlich hat der Gewinner zu viel bezahlt. Aber jedes der siegreichen europäischen Unternehmen glaubte, dass die Besitzer des Mobilfunknetzes der dritten Generation die Telekomkriege gewinnen und damit, ungeachtet der kurzfristigen Einschätzung des Marktes, letztlich auch den wirtschaftlichen Sieg davontragen würden. Außerdem wussten die Unternehmen, dass sie, wenn sie keine 3GLizenz erhalten sollten, legal kein entsprechendes Mobilfunknetz aufbauen könnten und somit gezwungen sein würden, sich aus der Telefonbranche zurückzuziehen. Ihre Aktienkurse würden in einem solchen Fall auf null sinken. Sie mussten daher unbedingt eine Lizenz erwerben, selbst wenn der Preis streng genommen zu hoch war – und viele waren sich darüber im Klaren, dass sie zu viel boten. Nach dem Kurszusammenbruch der Internetfirmen im Jahr 2000 ließ die Finanzherde die Technologie-Aktien im Stich, und die Unternehmen wurden für ihre zu hohe Verschuldung streng bestraft. Die Telekomkurse stürzten ab. Der Marktwert von WorldCom sank innerhalb weniger Monate von 180 auf 7 Milliarden Dollar. Würde man die europäischen Telekomlizenzen der dritten Generation heute erneut versteigern, hätten sie wahrscheinlich keinen Wert. Viele – möglicherweise die meisten – würden den Standpunkt vertreten, man könne auf die Telekommunikationstechnologie der vierten Generation warten und die dritte einfach überspringen. Die Lizenzen haben unter Umständen sogar einen negativen Wert, da sie die technische Verpflichtung beinhalten, ein Netz der dritten Generation einzurichten, dessen Aufbau sich niemand leisten kann. Da diese Rezession durch einen separaten Verfall der Unternehmensinvestitionen und nicht durch zu hohe Zinssätze verursacht wurde, unterscheiden sich ihre ökonomischen Muster von denen der
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sieben vorhergehenden »inflationsbekämpfenden« Rezessionen. Die Zahl der Haus- und Autoverkäufe stieg im Jahr 2001 sogar. Das lag vor allem daran, dass die Wirtschaft nicht unter den Zinsen zu leiden hatte – ganz im Gegenteil. Der amerikanische Zentralbankrat senkte die Zinssätze im Dezember 2000 und nahm auch im Jahr 2001 wiederholte Zinskürzungen vor. Wie in einem Agatha-Christie-Krimi liefert der Hund, der nicht bellte, den Schlüssel zum Verständnis des Zeitraums zwischen den Jahren 2000 und 2003. Zwischen 1992 und 2001 verringerte sich die Sparquote des durchschnittlichen amerikanischen Haushalts von 9 auf 2 Prozent und erreichte im vierten Quartal 2001 sogar weniger als 1 Prozent. Die amerikanische Familie lastete sich enorme Verbraucherschulden auf. Die privaten Haushaltsschulden stiegen von 89 auf 117 Prozent des verfügbaren Einkommens.27 Scheinbar hörten die Amerikaner auf, für ihre Zukunft zu sparen. Aber in Wirklichkeit machten sie sich weiterhin Gedanken über die Ausbildung ihrer Kinder und ihren eigenen Ruhestand. Der Aktienmarkt schnellte in die Höhe, und sie wurden reich, ohne einen Teil ihres Jahreseinkommens sparen zu müssen. Die steigenden Aktienkurse würden ihnen gestatten, für ihre Zukunft zu sorgen und gleichzeitig ihr Konsumniveau anzuheben. Ökonomen nennen dies den »Vermögenseffekt«, denn es ist das Vermögen, nicht bloß das Einkommen, das den Konsum beeinflusst. Die Experten haben herausgefunden, dass ein Dollar zusätzlichen Vermögens im Durchschnitt zu einem um ungefähr 5 Cent erhöhten Jahreskonsum führt.
»Double-Dip«-Rezessionen Doch bis zum Sommer 2002 hatten die amerikanischen Familien 7 000 Milliarden Dollar ihres Vermögens eingebüßt.28 Eine rationale ökonomische Analyse deutet darauf hin, dass ein negativer Vermögenseffekt hätte einsetzen müssen. Mit auf null tendierenden Ersparnissen und erschöpften Kreditkartendarlehen hätte die ärmer gewordene amerikanische Familie keine andere Wahl haben sollen, als ihren Konsum zu sen-
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ken – und erneut zu sparen. Damit wäre der Konjunkturrückgang von 2001 eine »Double-Dip«-Rezession gewesen.29 Die erste Einbruchsphase wäre durch die Senkung der Unternehmensinvestitionen und die zweite durch einen Konsumverfall verursacht worden. Aber das trat nicht ein. Hätte es sich ereignet, wäre die Rezession von 2001 nicht so kurz und milde gewesen. Der Grund ist zum Teil verständlich und zum Teil rätselhaft. Alan Greenspan und der Zentralbankrat senkten die Zinssätze im Jahre 2001 aggressiv. Die Senkungen hatten nicht den Zweck, die Unternehmensinvestitionen wieder zu beleben, denn das war, wie jeder wusste, infolge der gewaltigen Überkapazität unmöglich. Vielmehr hatten sie den Zweck, die zweite Phase der »Double-Dip«-Rezession zu stoppen. Für 90 Prozent der amerikanischen Familien ist der Wert ihres Hauses dreimal so wichtig wie der ihres Aktienportefeuilles.30 Der durchschnittliche Haushalt steckt viermal so viel Kapital in sein Heim wie in die Börse.31 Was Amerikaner für ein Haus bezahlen, hängt von der Größe der monatlichen Hypothekenbelastung sowie davon ab, ob niedrigere Zinsen ihnen gestatten, mehr für ihr Haus aufzubringen. Niedrigere Zinssätze führen zu höheren Hauspreisen. Die Strategie der Zentralbank war erfolgreich. Trotz der Rezession und des Börsenkrachs stiegen die Hauspreise in Amerika. Der negative Vermögenseffekt der Börse wurde durch den positiven Vermögenseffekt des Häusermarktes ausgeglichen. Die gestiegenen Hauspreise bedeuteten, dass sich das Vermögen der meisten Familien erhöhte. Durch die niedrigeren Zinsen wurde außerdem Bargeld für andere Ausgaben verfügbar. Familien konnten ihre bestehenden Hypotheken refinanzieren, ihre Monatszahlungen senken und die eingesparten Beträge zum Kauf anderer Güter nutzen. Viele Familien nahmen auch höhere Hypotheken auf, um sich beispielsweise ein Auto zu kaufen. Niedrigere Energiepreise und ein warmer Winter sorgten in den Jahren 2001 und 2002 ebenfalls für zusätzliche Mittel. Das Geld, das man für Heizkosten sparte, konnte für andere Dinge ausgegeben werden. Zusammengenommen verhinderten diese Faktoren eine »DoubleDip«-Rezession. Aber vielleicht lautet die einfachere Antwort, dass der amerikanische Verbraucher seinen Konsum nie einschränkt, solange noch andere Möglichkeiten existieren. Es gibt kein Kreditkartenlimit,
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denn man kann sich ja stets eine neue Karte besorgen. Wer je darauf gewettet hat, dass der amerikanische Verbraucher sich einschränken würde, hat seinen Einsatz immer verloren.
Skandale Angesichts einer Spekulationsblase und eines starken Konjunkturrückgangs waren Skandale unausweichlich. Jeder Boom endet mit einem Skandal, denn dann ist der Druck, die guten Zeiten noch ein wenig zu verlängern, ganz enorm. Jeder muss den Erwartungen gerecht werden (Umsätze und Gewinne sollten in dem Maße steigen, wie es die Analysten vorausgesagt haben), und diese Anforderungen bewegen sich die Unternehmenspyramide hinauf und hinunter. Bei Enron erlaubte eine Scheintransaktion über 60 Millionen Dollar dem Konzern im Dezember 1999, sein Ziel in letzter Minute zu erreichen, das heißt, den Gewinn pro Aktie von 24 auf 31 Cent zu erhöhen. Dadurch zog der Aktienkurs bis zum Wochenende um 27 Prozent an.32 Wer die Erwartungen nicht erfüllt, wird gefeuert, ob er sich oben oder unten auf der Unternehmenspyramide befindet. Die Zahlen zu manipulieren ist besser, als entlassen zu werden. Kleine werden allmählich zu großen Manipulationen. WorldCom wies schließlich buchhalterische Unregelmäßigkeiten von mehr als 7 Milliarden Dollar auf, denn es erhöhte die Gewinne, indem es operative Ausgaben fälschlich als Umsätze einstufte und für die Abdeckung von notleidenden Schulden gedachte Rücklagen in die normale Umsatzgenerierung verschob. Niemand will sich die Zahlen ganz genau anschauen, um nicht verkünden zu müssen, dass die guten Zeiten vorbei sind – denn eine solche Botschaft zu überbringen ebnet in keinem Unternehmen den Weg zu Beförderungen und persönlichem Erfolg. Niemand möchte seinen Traum aufgeben, märchenhaft reich zu werden. Alle machen sich vor, dass die guten Zeiten bald zurückkehren werden. Es ist nur ein zeitweiliger Konjunkturabschwung. Die kleine Änderung der Zahlen in diesem Quartal wird in Vergessenheit geraten, wenn die guten Zeiten zurückkehren. Die guten Zeiten werden diese
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falschen Zahlen sogar als korrekt bestätigen. Einige der steigenden Umsätze und Gewinne des nächsten Quartals können zurückdatiert werden, damit die gemeldeten Zahlen dieses Quartals überzeugend wirken. Äußerst berechenbare, doch nicht genau identifizierbare Skandale brechen aus. Die amerikanischen Behauptungen von 1997, dass die asiatische Krise durch »Vetternkapitalismus« ausgelöst worden sei, waren extrem unverschämt. Die Amerikaner ignorierten ihre eigene Geschichte. Vetternkapitalismus existiert überall, und er kann nicht ausgerottet werden. Wer das Ende jedes Finanzbooms in der amerikanischen Geschichte untersucht, stößt auf Skandale. Die Skandale während des Booms vor der Weltwirtschaftskrise führten zur Gründung der Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission) und zu den meisten buchhalterischen und finanziellen Regeln, mit denen die Amerikaner nun leben. Alle, darunter auch Präsident Bush, die die jetzige Runde von unternehmerischen Buchführungsskandalen behandeln, als seien sie im amerikanischen Kapitalismus eine Ausnahme, haben ein sehr kurzes Gedächtnis. In Texas gingen fast alle Banken vor weniger als zwei Jahrzehnten während der Spar- und Kreditkrise Bankrott, und zwar infolge von Krediten, die schon am Tag ihrer Gewährung zweifelhaft waren. Manche erwarben kleine Sparkassen, nur um sich selbst Darlehen erteilen zu können. Wie wir gesehen haben, landeten Hunderte von Geschäftsleuten im Gefängnis. Es ist interessant, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob der Zusammenbruch von Enron in der Presse genauso ausführlich behandelt worden wäre, wenn er sich während eines Börsenbooms und nicht in der Mitte eines Börsenkrachs ereignet hätte. Ich vermute, die Berichterstattung wäre viel weniger umfassend gewesen. Es ist nur allzu menschlich, glauben zu wollen, dass amerikanische Familien nicht deshalb so viel Geld an der Börse verloren, weil sie dumm genug gewesen waren, sich in eine Spekulationsblase hineinziehen zu lassen, sondern weil böse Personen die Bücher gefälscht hatten. Außerdem hätten die Analysten von Merrill Lynch Wertpapiere empfohlen, die, wie sie wussten, nichts als »Ramsch« waren. Andererseits ahnte jeder mit der linken, rationalen Gehirnhälfte, dass Unternehmen ohne Gewinne nicht Dutzende von Milliarden Dollars wert sein konnten. Individuen investierten nicht deshalb, weil sie
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irregeführt wurden, sondern weil sie mit der rechten, emotionalen Gehirnhälfte glauben wollten, mühelos reich werden zu können. Jeder von uns hat einen Pensionsplan, dessen Wert sich drastisch verringert hat. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Situation zu betrachten: Ich war dumm und ließ mich in eine Spekulationsblase hineinziehen, oder ich bin betrogen worden. In beiden Fällen habe ich eine Menge Geld verloren, aber es ist viel leichter, mit der zweiten Überzeugung zu leben. Die Verteufelung der Helden von gestern ist längst im Gang. Ein jüngst erschienenes Buch über den Crash der Internetfirmen, Dot.Con: The Greatest Story Ever Sold von John Cassidy, beginnt mit dem Satz: »Haben Sie je das Gefühl gehabt, hereingelegt worden zu sein?«33 Als der Börsenwert des Telekomkonzerns WorldCom von 180 Milliarden auf 7 Milliarden Dollar sank, wurde der CEO und Gründer des Unternehmens in der Financial Times zum ersten Mal als möglicher Gauner beschrieben, der sich auf unmoralische Weise 40 Millionen Dollar von seinem eigenen Konzern geborgt habe.34 Aber die Financial Times wusste schon sehr viel früher von diesen Darlehen. Fälle wie der von Enron und WorldCom sind keine Abnormitäten in einem ansonsten gesunden System. Vielmehr sind Skandale völlig normal. Gleichwohl ist das System »gesund« in dem Sinne, dass es sich aufrappelt und mit geringem wirtschaftlichen Schaden voranschreitet. Doch in dem gesunden System wimmelt es auch von Menschen, die unter dem Druck wirtschaftlicher Ereignisse in ein unmoralisches und vielleicht kriminelles Verhalten abgeglitten sind. Was ein Skandal ist, hängt auch von der Wahrnehmung ab. Man denke an den großzügigen, völlig legalen Versorgungsplan des GeneralElectric-Chefs Jack Welch: ein Appartement in Manhattan, ausgestattet mit Lebensmitteln, Wein, Koch und sonstigem Personal; Benutzung des Unternehmensflugzeugs; Limousinen, Büro und persönlicher Finanzplanungsservice.35 Nehmen wir an, all das wäre in einem Jahr enthüllt worden, in dem der GE-Aktienkurs um 40 Prozent gestiegen statt gefallen wäre.36 Dann hätte Welchs Versorgungsplan wenig oder überhaupt keine Aufmerksamkeit erregt. Vielleicht waren die Details ein wenig üppiger als in den meisten Fällen, doch jeder hätte gesagt, er habe es verdient. Die Sache wurde nur deshalb für einen Skandal gehalten, weil der GE-Kurs abgestürzt war.
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Es gibt stets Insider, die das Ende kommen sehen und ihre Aktien verkaufen, bevor die Öffentlichkeit die gleichen Informationen erhält. In einem Exposé teilte die Financial Times mit, leitende Angestellte von Pleite gegangenen Firmen hätten unmittelbar vor dem Konkurs 3,3 Milliarden Dollar an Gehältern und durch Aktienverkäufe eingenommen.37 Der erste Preis in dem Rennen, das meiste für sich selbst aus einem Fiasko herauszuholen, gebührt einem Direktor des Telekomunternehmens Global Crossing mit 512 Millionen Dollar an Aktienverkäufen und Gehältern. Den 25. Platz hielt ein weiterer Direktor von Global Crossing mit lediglich 38 Millionen Dollar. Wer glaubt, dass sich das Problem von Skandalen, die sich einem Wirtschaftsboom anschließen, durch die Änderung der Regeln für das Buchführungswesen dauerhaft lösen lasse, ist unglaublich naiv. Diese Branche beruht auf einem fundamentalen Interessenkonflikt. Niemand schwärzt diejenigen an, die einen einstellen oder feuern können und die festlegen, welches Honorar man erhält. Um eine völlig ehrliche Buchführung durchzusetzen, müsste die amerikanische Bundesregierung eine finanzielle Polizeitruppe gründen und bezahlen, welche die Bücher einer Firma nach juristisch definierten Regeln beliebig kontrollieren kann. Dazu wird es nicht kommen. Außerdem würden die Skandale auch dann nicht völlig enden. Die Unternehmen würden Gebiete finden, auf denen die Regeln nicht gelten, und schöpferischen Schwindel betreiben. Neue Vorschriften zur Verhinderung von Finanzskandalen erinnern an die französischen Generale beim Bau der Maginotlinie nach dem Ersten Weltkrieg. Wäre die Maginotlinie vor dem Ersten Weltkrieg errichtet worden, hätte sie die Frontalangriffe Deutschlands über die Grenze hinweg gestoppt. Aber 1939 konnte sie den deutschen Blitzkrieg durch Belgien hindurch nicht verhindern. Die Skandale von morgen werden sich auf anderen Schauplätzen abspielen, deshalb werden die Regeln von heute ihnen nicht entgegenwirken können. Nach der Krise vorgenommene Änderungen der Organisation und Regulierung der Spar- und Kreditbranche sorgen dafür, dass sich dieser spezifische Skandal der achtziger Jahre nicht wiederholt, aber sie waren untauglich, um die Buchführungsskandale von 2002 zu stoppen. Neue Regeln sollten verabschiedet werden, um zu verhindern, dass sich die heutigen
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Skandale morgen wiederholen, doch niemand sollte glauben, dass sie geeignet sind, mit den nächsten Skandalen des Kapitalismus fertig zu werden. Es gibt zwei Möglichkeiten, auf die typischen Skandale des Kapitalismus zu reagieren. Die erste und richtige Lösung besteht darin, ein mächtiges Warnschild für den Kleinanleger aufzustellen, auf dem steht: »Die Karten sind gezinkt, und du hast nicht die gleichen Chancen wie die Großanleger und die Insider.« Der Kapitalismus ist ein Nullsummen-Kasino, in dem die Betreiber (die großen Kerle) eine Gebühr erhalten. Regierungen sollten dafür sorgen, dass die Gebühren unter Kontrolle bleiben, und die großen Kerle widrigenfalls bestrafen, aber sie können nicht garantieren, dass der kleine Mann die gleiche Gewinnchance hat. Die zweite – und falsche – Lösung besteht darin, so zu tun, als könnten Regeln zur Verhinderung künftiger Finanzskandale aufgestellt werden, die dem kleinen Mann eine gleichwertige Chance geben. Das wäre der größte Betrug von allen, denn kein Regelwerk kann völlige Fairness und Durchsichtigkeit garantieren. Die Regierung, die das behauptet, wäre der unverschämteste Lügner des Systems. Wenn Warren Buffett, der größte Individualinvestor Amerikas, den CEO von General Motors zum Lunch treffen möchte, um die Zukunftsaussichten des Konzerns zu erörtern, wird sein Wunsch erfüllt. Der Durchschnittsanleger dagegen braucht nicht damit zu rechnen, dass sein Anruf auch nur beantwortet wird. Paul Allen (ein bedeutender Investmentbanker, der auf Medienanlagen spezialisiert ist) hält in Idaho Medienmoguln-Sommerkonferenzen ab, auf denen man allgemeine Insiderinformationen austauscht. Auch dazu wird der Durchschnittsinvestor nicht eingeladen.
Globaler Konjunkturrückgang: Inkompetenz bei der Europäischen Zentralbank Im Jahr 2003 leiden Japan, Europa und Amerika gleichzeitig unter Konjunkturrückgängen. Wenn alle drei der bedeutenden und entwi-
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ckelten Regionen, die manchmal als Triade bezeichnet werden, ins Stocken geraten sind, ist es viel schwerer, die Weltwirtschaft erneut in Gang zu setzen, als wäre nur eine von einer Rezession betroffen. Genau wie Wildgänse viel weniger individuelle Mühe aufbringen müssen, wenn sie in Keilformation fliegen, so bewegt sich auch die Weltwirtschaft viel zügiger voran, wenn die großen Drei ökonomisch gemeinsam agieren. Die Geschichte Japans ist bereits erzählt – es hat in wirtschaftlicher Hinsicht ein Jahrzehnt verloren. Die Situation war so schlimm, dass der globale Finanzkrach und die Rezession am Ende des Jahrzehnts die Dinge in Japan nicht merklich verschlechterten. Der Konjunkturrückgang und die Rezession Europas von 2001/02 wurden von der Inkompetenz der Zentralbank ausgelöst. Zentralbanken können Rezessionen nur dann verhindern, wenn sie die Zinsen schon lange zuvor aggressiv senken. Das ist meistens unmöglich, da man normalerweise nicht sicher genug sein kann, dass sich eine Rezession abzeichnet, um Maßnahmen zu ergreifen. Doch in diesem Fall hatte Europa zahlreiche Warnungen erhalten, denn es konnte beobachten, wie sich die Rezession in den Vereinigten Staaten sechs bis neun Monate früher entwickelte. Anfang Herbst 2000 sagte die Europäische Zentralbank voraus, dass die Euro-Staaten im Jahr 2000 ein Wachstum von 3,6 Prozent aufweisen würden.38 Im Lauf des Jahres, als der US-Zentralbankrat begonnen hatte, die amerikanischen Zinssätze zu senken, wurde die Prognose auf 3,2 Prozent reduziert. Die amerikanische Rezession, so hieß es, werde keine starken Auswirkungen auf Europa haben, da die EULänder nur einen Bruchteil ihres BIP in die Vereinigten Staaten exportierten. Sechs Monate später wurde die Voraussage auf 2,5 Prozent verringert, und weitere sechs Monate danach, als das Jahr fast verstrichen war, redete man nur noch von 1,5 Prozent Wachstum.39 In Wirklichkeit betrug die europäische Wachstumsrate im Jahr 2001 lediglich 1,0 Prozent. Große Länder wie Deutschland und Italien beendeten das Jahr mit negativen BIP-Wachstumsraten. Vom Gipfel bis zur Talsohle waren die Börsenkräche in Europa prozentual gewichtiger als die in den Vereinigten Staaten.40 Die deutschen und die französischen Kurse fielen doppelt so stark wie die amerikanischen.41 Die
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Arbeitslosenzahlen waren zweimal so hoch wie die der Vereinigten Staaten, und die langfristige Arbeitslosigkeit (mehr als zwölf Monate) erreichte einen siebenmal so hohen Stand.42 Im Jahr 2002 hatte Europa nur ein Drittel des Wachstums der Vereinigten Staaten zu verzeichnen. Die Europäische Zentralbank hatte jedoch vergessen, dass die gleichen Faktoren, welche die Rezession in den Vereinigten Staaten ausgelöst hatten, etwa die Überinvestition in den Telekommunikationsbereich, in noch ausgeprägterer Form in Europa vorhanden waren und dort eine womöglich noch größere Rezession verursachen würden. Die amerikanischen Firmen steckten zu viel Geld in ihre Ausrüstung, die sie jedoch irgendwann verwenden können, während die europäischen Unternehmen in Stücke Papier – jene 3G-Lizenzen – überinvestierten, die keinen realen Wert haben. Aber selbst als deutlich wurde, dass Europa in eine genauso schwere Rezession wie die der Vereinigten Staaten eintrat, folgte die Europäische Zentralbank nicht dem Beispiel des amerikanischen Zentralbankrats mit seinen aggressiven Zinssenkungen. Während Alan Greenspan den Zinssatz zwölfmal verringerte, zauderte die Europäische Zentralbank und reduzierte ihre Zinsen nur dreimal. Die einzige Erklärung für dieses Verhalten, abgesehen von Dummheit, ist die, dass die Europäische Zentralbank als neue Institution meinte, ihre größere Härte im Vergleich mit der ehemaligen Deutschen Bundesbank beweisen zu müssen, um Glaubwürdigkeit zu erringen. »Härte« bedeutet in der Zentralbanksprache, dass man die Zinssätze länger auf einem höheren Stand ließ, um die Inflation heftiger zu bekämpfen. Noch als sich die Rezession von 2001 entwickelte, sprach man bei der Europäischen Zentralbank von den Gefahren eines Inflationsausbruchs (die Maul- und Klauenseuche hatte zu einer Erhöhung der Fleischpreise geführt). Die wirkliche Sorge hätte der am Horizont sichtbaren Deflation gelten müssen. Zentralbanker sollten vor politischen Einflüssen in Schutz genommen werden, nicht jedoch vor den Auswirkungen ihrer Inkompetenz. Wenn es je ein Beispiel dafür gegeben hat, dass die Zentralbanker einer Region wegen wirtschaftlicher Unfähigkeit gefeuert werden sollten, dann ist es dieses. Die Prognosen der Europäischen Zentralbank waren
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unmäßig schlecht und ihre Aktionen noch schlimmer. Die Gründe für eine Entlassung könnten nicht deutlicher sein. Die Europäer haben sich zudem in einen »Stabilitätspakt« verstrickt, der den Einsatz von fiskalischen Maßnahmen verhindert. Die BIP-Defizite dürfen im Jahr 2003 nicht über 3 Prozent liegen. Steuerkürzungen kommen nicht infrage. Außerdem verlangt der Stabilitätspakt, dass Haushaltsdefizite bis 2005 beseitigt werden. Mitten in einer sehr schwachen Erholung wird man die Steuern erhöhen oder die Ausgaben kürzen müssen. Im Gegensatz dazu erhielten die US-Bürger zwischen 2000 und 2002 steuerliche Anreize in Höhe von 4 Prozent des BIP.43 Der Bundeshaushalt, der im Jahr 2000 einen Überschuss von 236 Milliarden Dollar verzeichnete, wies im Jahr 2002 ein Defizit von 165 Milliarden Dollar auf. Der europäische Konjunkturrückgang hat eindeutig begonnen, doch es gibt keine Pläne zu seiner Überwindung. Der deutsche Sachverständigenrat empfahl in seinem Jahresgutachten 2001/2002 mit dem Titel »Für Stetigkeit – gegen Aktionismus«, nichts zu tun und sich darauf zu verlassen, dass die amerikanische Erholung Deutschland und Europa mit sich reißen werde.44 Das war sein Rat sogar für den Fall, dass die europäische Wirtschaft noch schlechter als 2002 erwartet dastehen würde. In ihrem Gutachten für 2002/03 gelangten die Sachverständigen zu dem Schluss, dass die ungenügende Leistung des Landes auf strukturellen, nicht auf zyklischen Ursachen beruhe.45 Die meisten der 20 von ihnen vorgeschlagenen strukturellen Maßnahmen hatten den Zweck, deutsche Löhne oder Sozialleistungen zu reduzieren und die Entlassung überflüssiger Arbeitskräfte zu erleichtern. Aber genauso, wie man gleichzeitig spazieren gehen und Kaugummi kauen kann, so ist es möglich, antizyklische steuerliche und monetäre im Verein mit strukturellen Maßnahmen zu ergreifen. Die Gefahren der europäischen Passivität liegen auf der Hand. Ein längerer globaler Konjunkturrückgang könnte zu einer allgemeinen Deflation führen. Die Deflation Japans hat bereits auf den größten Teil Ostasiens übergegriffen. Technisch gesehen ist die amerikanische Inflationsrate positiv: 1,2 Prozent auf dem BIP-Deflator im Jahr 2002. Doch ein großer Teil dieser Inflation konzentriert sich auf das Gesundheitswesen. Die Gesundheitskosteninflation wird nicht von den gleichen Fakto-
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ren verursacht wie die Inflation in der übrigen Wirtschaft, sondern vor allem durch neue, teurere Technologien für die Behandlung chronischer Krankheiten bei einer viel größeren Altenbevölkerung. Höhere Zinssätze oder eine Verlangsamung des BIP-Wachstums können sie nicht stoppen. Wenn man die Gesundheitskosteninflation subtrahiert, liegt die Inflationsrate für die übrige amerikanische Wirtschaft bei 0,3 Prozent. Die USA sind noch nicht in einem deflationären Zustand angelangt, aber sie sind ihm sehr nahe. In Europa würde Deutschland unter Deflation leiden, wenn es nicht so viele bürokratische Regeln und Vorschriften hätte, die ein Sinken der Preise verhindern. Bei einer durchschnittlichen Inflationsrate nahe null müssen viele Branchen mit sinkenden Preisen rechnen. Nach der Inflations-Deflations-Messung für 2002 hatten sich die Computerpreise um 22 Prozent verringert, Gebrauchtwagen kosteten 6 Prozent und Audiogeräte 5 Prozent weniger, während Benzinpreise um 26 und Arzneimittelpreise um 5 Prozent gestiegen sowie juristische und Bestattungsdienste um 4 Prozent teurer geworden waren.46 Branchen, denen sinkende Preise bevorstehen, müssen die notwendigen Defensivmaßnahmen ergreifen, selbst wenn die durchschnittliche Inflationsrate noch positiv ist. Die amerikanische Wachstumsrate von 2,4 Prozent für 2002 war nicht überragend, aber auch nicht allzu schlecht. Allerdings hatten viele das Gefühl, dass die Situation übler war, als sie schien. Die Produktionsmenge war gestiegen, doch die Produktivität hatte noch schneller zugelegt, sodass die Beschäftigtenzahl gefallen war. Da die Arbeitslosigkeit zunahm, hatten die Menschen nicht den Eindruck, eine wirtschaftliche Erholung zu erleben. Außerdem fürchtete man, dass das zweite Tief der »Double-Dip«-Rezession kurz bevorstand, obwohl man kaum einen Verbraucher finden konnte, der tatsächlich weniger ausgab. Als die Weihnachtssaison 2002 die seit langem geringste Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr aufwies, verstärkten sich diese verschwommenen Gefühle einer drohenden Katastrophe. Und im letzten Quartal des Jahres 2002 verlangsamte sich das Wachstum tatsächlich mit einem Schlag.
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Auf dünnem Eis Obwohl die Wendung »sich auf dünnem Eis bewegen« häufig benutzt wird, weiß kaum jemand, wie es wirklich ist, über dünnes Eis zu laufen. Das Eis beginnt zu knarren und zu ächzen. Während es bricht, ertönen kleine Explosionen wie von Pistolenschüssen. Plötzlich sieht das Eis unter den Füßen aus wie eine Fensterscheibe, die von einem Stein getroffen wurde. Wellen schwappen über die Oberfläche hinweg, und was vorher fest war, wird nun elastisch. Die Furcht, die von der »Bewegung auf dünnem Eis« ausgelöst wird, ist viel schlimmer als ein konkreter »Sturz durchs Eis«. Dann wird man nämlich durch den Adrenalinschub so rasch aus dem Wasser getrieben, dass man sich an den Sturz kaum noch erinnert. Die nasse Kleidung und die Kälte sind unbequem, aber sie verursachen keine Angst. Die Metapher lässt sich auf die gegenwärtige amerikanische Wirtschaftssituation anwenden. Die USA stürzten plötzlich durch das Wirtschafts-Eis und erlebten in den ersten drei Quartalen 2001 eine Rezession. Sie war nicht sehr schmerzhaft und schon vorbei, bevor die meisten wussten, dass sie begonnen hatte. Während der gesamten Periode des negativen Wachstums behaupteten viele Analysten, Amerika befinde sich eigentlich nicht in einer Rezession. Aber im Jahr 2002 hatten die Amerikaner den Eindruck, sich trotz einer ansehnlichen Wachstumsrate von 2,4 Prozent auf dünnem Eis zu bewegen. Ein dramatischer Rückgang des Wachstums auf 1,4 Prozent im vierten Quartal 2002 vertiefte den Eindruck, und auch im Jahr 2003 bleibt das unbehagliche Gefühl. Die amerikanische Wachstumsrate scheint sich ein wenig verlangsamt zu haben, doch die Furcht hat nichts mit dem prognostizierten Rückgang von 0,2 Prozent zwischen 2002 und 2003 zu tun. Für den Normalbürger ergibt sich ein großer Teil des Unbehagens aus den wenigen Arbeitsplätzen, welche die Erholung mit sich bringt. Trotz der Milde der Rezession von 2001 (ein BIP-Verfall von insgesamt nur 0,6 Prozent) und positiven Wachstumsraten für 2002 und 2003 macht die Zahl der Neueinstellungen ihren schlimmsten Einbruch seit 20 Jahren durch.47 Die Stelleninserate haben ein 40-Jahres-Tief erreicht. In der Gebrauchsgüterindustrie ist einer von neun Arbeitsplät-
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zen verschwunden. Eine Million Menschen finden keinen Job und haben sich aus dem Arbeitskräftebestand zurückgezogen. Dadurch lassen sie die offizielle Arbeitslosigkeit in einem viel günstigeren Licht erscheinen. Doch diese Million beschäftigungsloser Menschen existiert wirklich, sie wollen Arbeit und haben Freunde und Verwandte, die wissen, dass sie in Wirklichkeit arbeitslos sind. In der Volkswirtschaftslehre heißt es, eine Erholung sei dann im Gang, wenn die Ökonomie eine anhaltende positive Wachstumsrate verzeichnet. Eine positive Rate von 0,1 Prozent kann als Erholung bezeichnet werden, wenn sie sich Quartal für Quartal wiederholt. Aber kein Geschäftsmann ist interessiert daran, ob die offizielle Wachstumsrate der Wirtschaft bei plus oder minus 0,1 Prozent liegt. Der durchschnittliche Arbeiter spricht ebenso wie der Unternehmer dann von einer Erholung, wenn die Zeit der Schrumpfung vorbei ist und eine Expansion begonnen hat. Die Erholung von 2002/2003 hat keine Arbeitsplätze entstehen lassen, da sie eher theoretischer Art ist. Die Wachstumsrate genügt nicht, um die allgemeinen Rationalisierungen zu beenden. Um Arbeitsplätze zu schaffen, muss das Produktionswachstum einer Wirtschaft höher sein als ihr Produktivitätswachstum. Wenn man die Zahl der verlorenen Arbeitsplätze, gemessen in Arbeitsstunden, ermitteln will, wird die Produktivitätswachstumsrate von der Produktionswachstumsrate abgezogen. Im Jahr 2001 verringerte sich die Wachstumsrate der Wirtschaft durch drei negative Quartale auf 0,3 Prozent, während die Produktivität um 1,1 Prozent wuchs. Infolgedessen verlor die amerikanische Wirtschaft 0,8 Prozent ihrer Arbeitsplätze, gemessen in Arbeitsstunden. Im Jahr 2002 beschleunigte sich das Produktivitätswachstum auf 4,7 Prozent – die beste Leistung seit 50 Jahren. Das bedeutet jedoch, dass die Produktion um mehr als 4,7 Prozent wachsen muss, wenn die Beschäftigtenzahl zunehmen soll. Das war im Jahr 2002 nicht der Fall, denn das BIP wuchs nur um 2,4 Prozent. Wenn man 4,7 von 2,4 Prozent abzieht, erhält man einen Arbeitsplätzeverlust von 2,3 Prozent. Im Erholungsjahr 2002 gingen fast dreimal so viele Arbeitsplätze verloren wie im Rezessionsjahr 2001. Und da die Produktivität rascher gestiegen ist als die Produktion, hat sich die Zahl der Arbeitsplätze auch 2003 verringert.
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Eine Beschleunigung des Produktivitätswachstums infolge der Einführung neuer Technologien ist langfristig von Vorteil, wenn auch auf kurze Sicht lästig. Die Arbeitsplätzezahl ist gesunken, doch die ProKopf-Produktion hat angezogen. Ein Teil des amerikanischen Produktivitätszuwachses ist allerdings auf eine andere Ursache zurückzuführen. Jede Ökonomie verfügt über Gruppen von Unternehmen, die auf unterschiedlichen Produktivitätsniveaus operieren. Einige sind sehr effizient und andere relativ ineffizient. Wenn die Globalisierung die ineffizienten veranlasst, sich ins Ausland zu verlagern, steigt die durchschnittliche Produktivität. Die Durchschnittsleistung verbessert sich, wenn man sich der schlechteren Akteure entledigt. Die Produktion pro Arbeitsstunde nimmt zu, doch weniger Amerikaner arbeiten. Dadurch kann die Pro-Kopf-Produktion sogar fallen, obwohl die Produktion pro Arbeitsstunde steigt. Um diese Quelle des Produktivitätszuwachses zu einem landesweiten Vorteil zu machen, muss man durch makroökonomische Maßnahmen dafür sorgen, dass Arbeitsplätze in der Mitte und an der Spitze der Produktivitätsverteilung schneller geschaffen werden, als sie am unteren Ende verloren gehen. Im Jahr 2002 war dies nicht der Fall. Das Gefühl, sich auf dünnem Eis zu bewegen, hat auch mit der Möglichkeit jener »Double-Dip«-Rezession zu tun. Sie ist noch nicht eingetreten, aber unser logisches Denken führt zu der Überzeugung, dass sie unvermeidlich ist. Die Amerikaner können nicht einen so großen Teil ihres Aktienvermögens einbüßen, ohne dass der Konsum irgendwann darunter zu leiden hätte. Im Jahr 2002 fiel der Dollarkurs um rund 20 Prozent gegenüber dem des Euro. Ist dies etwa ein Vorbote größeren Unheils? Wiederum erscheint es uns logisch, dass der Dollar an Wert verlieren sollte. Amerika hat ein gewaltiges Handelsbilanzdefizit, und auch seine Börsenentwicklung bietet Ausländern kaum einen Anreiz, Hunderte von Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten anzulegen. Was den Dollarkurs betrifft, so gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dass Amerika sich auf dünnem Eis bewegt. Jeder wäre froh über eine dynamische Erholung, doch dazu muss irgendein Bereich sehr rasch gesunden. Es gibt nur sieben Möglichkeiten, da folgende Punkte zusammen das BIP ausmachen: persönlicher
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Konsum, Unternehmensinvestitionen, Investitionen in Wohngebäude, Änderungen der Lagerbestände, Nettoexporte, Staats- und Kommunalausgaben sowie Ausgaben der Bundesregierung. Zwei davon werden die Erholung eindeutig nicht herbeiführen. Die Unternehmensinvestitionen haben die Abwärtsentwicklung der Wirtschaft eingeleitet, und es gibt einfach zu viel Überkapazität, als dass sie nun den gegenteiligen Effekt haben könnten. Wenn die Nettoexporte (Exporte minus Importe) die Erholung herbeiführen sollten, müsste die übrige Welt prosperieren. Davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil, die übrige Welt wartet darauf, von einem amerikanischen Boom angeschoben zu werden. Angesichts der sehr niedrigen Sparquoten der Verbraucher, ihrer Rekordkreditkartenschulden im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen und ihres jüngst verlorenen Aktienvermögens in Höhe von 7 000 Milliarden Dollar ist es schwer vorstellbar, dass ein Verbraucherboom die Wirtschaft antreiben könnte. Die Mittel sind einfach nicht vorhanden. Diese Tatsache wurde durch den starken Rückgang der Ausgaben für Weihnachten 2002 unterstrichen. Der amerikanische Konsument hat nach dem Börsenzusammenbruch einen stärkeren BIP-Verfall verhindert, doch er wird nicht in der Lage sein, die Wirtschaft energisch voranzutreiben. Die Zinssenkungen der Zentralbank haben einen Boom des Wohnungsbaus ausgelöst, aber Investitionen in Wohngebäude bewirken keine Erholung der Gesamtwirtschaft. Man kann einem Boom nicht einen weiteren Boom hinzufügen, und es ist schwierig, die Wirtschaft voranzutreiben, indem man einen Sektor ankurbelt, der nur 4 Prozent des BIP ausmacht. Investitionen in den Wohnungsbau haben uns vor einer heftigen Rezession gerettet, aber sie sind nicht der für eine dynamische Erholung benötigte Treibstoff. Lagerinvestitionen sind definitionsgemäß nicht fähig, das geeignete Umfeld für ein langfristiges Wachstum zu schaffen. Die Bestände passen sich den Umsatzerwartungen an, sie können die Umsätze jedoch nicht in die Höhe treiben. Staats- und Kommunalausgaben werden die Wirtschaft niederdrücken. Die Haushalte der US-Staaten und Kommunen werden durch die Steuereinnahmen des jeweils letzten Jahres bestimmt. Da die Einnah-
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men im Jahr 2000 hoch waren, stiegen die Staats- und Kommunalausgaben trotz der Rezession im Jahr 2000 stark an. Aber infolge der Rezession gingen sie im Jahr 2001 drastisch zurück. Ein Jahr lang konnte man mithilfe der angesammelten »Notgroschen« einen großen Teil der Lücke stopfen und die Notwendigkeit von Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen verschieben, doch im Jahr 2003 erwogen 19 Staaten, die Steuern beträchtlich zu erhöhen, und 38 sprachen davon, ihre Haushalte um insgesamt 50 Milliarden Dollar zu kürzen.48 Man wird nicht alle diese Pläne realisieren, doch viele dürften in die Praxis umgesetzt werden und das BIP nach unten zwingen. Früher gab es ein Bundesprogramm der antizyklischen Einnahmeaufteilung, um zu verhindern, dass sich Rezessionen auf diese Weise verschärften, aber das Programm wurde in den neunziger Jahren nicht erneuert, weil man glaubte, dass Rezessionen der Vergangenheit angehörten. Die Demokraten schlugen die Verabschiedung eines antizyklischen Einnahmeaufteilungsplans in ihrem Anreizpaket von 2003 vor, doch Präsident Bush brachte ein anderes Paket ein. Wenn es zu einer dynamischen Erholung kommen soll, die das Produktivitätswachstum übertrifft, muss der Startschuss durch die Steuern und Ausgaben der US-Bundesregierung gegeben werden. Andere Möglichkeiten kommen nicht infrage. Präsident Bushs gegenwärtiges Finanzpaket genügt, um Amerika eine Erholung im theoretischen Sinne zu verschaffen, doch es dürfte nicht ausreichen, um eine praktische Erholung herbeizuführen. Eine stärkere Erholung bedarf einer stärkeren Finanzpolitik der Bundesregierung. Dazu sind kurzfristig höhere Defizite, verbunden mit der Erwartung von anhaltenden Haushaltsüberschüssen, erforderlich. Wenn man mit solchen anhaltenden Haushaltsüberschüssen nicht rechnet, steigen die langfristigen Zinssätze in Erwartung künftiger Kapitalknappheiten und beenden die gegenwärtigen Ausgaben etwa für den Wohnungsbau, wodurch die stimulierende Wirkung größerer kurzfristiger Haushaltsdefizite zunichte gemacht wird. Solange kein besseres institutionelles System für finanzpolitische Maßnahmen entworfen wird, die »Boom and Bust« entgegenwirken (siehe das Kapitel »Die Globalisierung umgestalten«), wird Amerika eine kraftvolle, doch unstete Lokomotive für die globale Wirtschaft
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bleiben. Konjunkturabschwünge sind in den Genen des Kapitalismus enthalten, und die USA sind das kapitalistischste Land der Welt. Da sie die einzige Lokomotive sind, wird der globalen Wirtschaft, wenn sich Amerikas Wachstum verlangsamt oder wenn es in eine Rezession stürzt, das Gleiche widerfahren. Wären Japan und Europa willig, unabhängige Lokomotiven zu werden, verliefe die Fahrt des globalen Wirtschaftszuges sanfter. Ihre unvermeidlichen, doch separaten Konjunkturdämpfungen würden sich nicht zur selben Zeit ereignen wie die Amerikas, sodass der globale Zug weiterfahren könnte, wenn der amerikanische Motor abgeschaltet wäre. Käme dagegen eine der beiden anderen Lokomotiven zum Stillstand, würde die amerikanische weiterrollen. Der globalen Wirtschaft würde es mit drei Lokomotiven eindeutig besser gehen als mit einer einzigen, aber diese beiden anderen Lokomotiven müssen noch gebaut werden. Zurzeit existieren sie noch nicht. Ihre Konstruktion könnte schwierig sein, doch das wirkliche Problem ist eine Änderung der Mentalität. Europa und Japan müssten Lokomotiven sein wollen, statt sich mit dem Zustand von Anhängern zufrieden zu geben.
9 Die Globalisierung umgestalten
In Amerika sind Flugzeuge pro zurückgelegte Meile 45-mal sicherer als Autos.1 Ein Teil dieser Diskrepanz hat mit dem zentralisierten Flugliniensystem in den Händen von Experten zu tun, im Gegensatz zu einem dezentralisierten System in den Händen von Millionen Autobesitzern, aber in hohem Maße ist sie auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass Amerika Institutionen besitzt, welche die Ursachen jedes einzelnen Flugzeugunglücks gründlich untersuchen (das National Transportation Safety Board) und die Befolgung der Sicherheitsempfehlungen im Anschluss daran durchsetzen (die Federal Aviation Administration). Fluggesellschaften sind gezwungen, mit dem Unerwarteten zu rechnen, auch wenn der Zeitpunkt nicht feststeht. Im Gegensatz dazu werden Autounfälle nicht einmal ansatzweise wissenschaftlich erforscht. Es gibt keine Institutionen, die den verschiedenen Beteiligten (Hersteller, Fahrer, Straßenbauer) abverlangen, ihr Verhalten zu ändern. Amerika besitzt keine Rückkopplungsschleife, die das Ziel hat, seinen Autoverkehr zu verbessern. Hin und wieder verabschiedet der Kongress Ad-hoc-Sicherheitsmaßnahmen – Sicherheitsgurte, Airbags, Aufprallstandards für Stoßstangen –, aber niemand stellt gründliche Ermittlungen an und erzwingt nach Art des Luftverkehrs Verhaltensänderungen auch im Autoverkehr. Auto- und Flugzeugunfälle sind ihrem Wesen nach Teil jeglichen Straßen- oder Luftverkehrssystems, doch es handelt sich um künstliche Systeme, die nach sehr unterschiedlichen Sicherheitsmaßstäben aufgebaut werden können. Selbst innerhalb der Vereinigten Staaten besteht ein Unterschied von mehr als 3:1 hinsichtlich der Todesunfälle im Autoverkehr zwischen dem am stärksten betroffenen (2,7 Todesfälle pro 100 Millionen zurückgelegter Meilen in Mississippi) und dem am
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wenigsten betroffenen Staat (0,8 Todesfälle pro 100 Millionen zurückgelegte Meilen in Maine).2 Solche Unglücksfälle können nicht völlig ausgeschaltet werden, doch Gesellschaften entscheiden in gewissen Grenzen, wie viele Tote sie zu tolerieren bereit sind. Wenn die Amerikaner von Berufsfahrern gesteuerte Busse benutzten, läge die Quote der Verkehrstoten mehr oder weniger bei null.3 Aber die Amerikaner lieben ihre Autos und sind nicht geneigt, sich auf das geringere Leistungsvermögen, die eingeschränkte Bequemlichkeit und die Standardisierung des sichereren Busverkehrs einzustellen. Man entscheidet sich für das bestehende System in dem Wissen, dass damit Gefahren verknüpft sind, welche jedoch durch die Vorteile aufgewogen werden. Auf ähnliche Art können Menschen innerhalb der technologisch gezogenen Grenzen das globale System aufbauen, das sie sich wünschen. Wie im Fall der Autos entscheiden sich die meisten für das riskantere Verfahren von Wirtschaftsreisen, das heißt für den Kapitalismus mit seiner Instabilität und Ungleichheit, weil ihnen das Leistungsvermögen und der Komfort des Systems gefallen. Verglichen mit dem Sozialismus bringt der Kapitalismus einen höheren und schneller steigenden Lebensstandard hervor. Da die Globalisierung einer der Effekte der dritten industriellen Revolution ist, sind die Menschen nun dabei, ein zwei Jahrhunderte altes System des nationalen Kapitalismus auslaufen zu lassen und es durch ein neues System des globalen Kapitalismus zu ersetzen. Man kann keine kluge Wahl treffen, ohne sowohl den Pfad als auch die Dynamik der alten nationalen Systeme sowie die neuen technologischen Kräfte zu verstehen, die gemeinsam die neue globale Struktur hervorbringen. Die besten und ehrlichsten Informationen werden benötigt. Das Verständnis der Situation bildet sich nicht von allein heraus. Jemand muss die Verantwortung für die Umstände übernehmen und für Abhilfe sorgen. Es ist die Aufgabe des von mir so genannten Chief Knowledge Officers, uns bei der Überlegung zu leiten, wie wir das globale Spiel, an dem wir teilnehmen werden, beeinflussen können. Obwohl Menschen gern über ihre Bereitschaft sprechen, sich zu ändern, sind die meisten jeglichem Wandel abhold. Ein großer Teil der Sorge über die Globalisierung beruht auf dem Gefühl, dass jeder seine üblichen Verhaltensweisen ändern muss. Der Eindruck, dass ein Wan-
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del vonnöten sein wird, ist korrekt. Jeder braucht neue Regierungsund Geschäftsmodelle, wenn er wirtschaftlichen Erfolg haben will. Einige der Kräfte, die diesen Wandel erzwingen, gehen aus der Globalisierung hervor, doch die meisten entstammen den neuen Technologien der dritten industriellen Revolution. CD-Absätze von nationalen wie internationalen Musikern gehen ihrem Ende entgegen. Das Wirtschaftsspiel auf neuen Wachstumsmärkten mit neuen Technologien unterscheidet sich erheblich von dem auf alten, ausgereiften Märkten mit alten Technologien. Das Wissen darum, wann und wie man sich zurückzuziehen hat, ist genauso wichtig wie das Wissen darum, wann man in den Markt eintreten sollte. Einige ewige Wahrheiten bleiben bestehen. Jeder wird weiterhin lernen müssen, wie er im Lauf von Rezessionen und Finanzkrächen erfolgreich agieren kann. Regierungen und Unternehmensführungen müssen begreifen, wo sie ihre Forschungs- und Entwicklungsdollars investieren und welche Kenntnisse sie aufbauen sollten. Schon jetzt haben Regierungen einen Teil ihrer wirtschaftlichen Kontrolle verloren, und dieser Prozess wird sich fortsetzen. Die Globalisierung wird sich darauf auswirken, welche Steuern nationale Regierungen einziehen können. Man wird Systeme mit hohen Sozialabgaben und Körperschaftsteuern aufgeben und sich stattdessen den Mehrwertsteuern zuwenden müssen. Länder sollten lernen, ihre Vorzüge gegenüber internationalen Anlegern herauszustreichen. Ausländische Direktinvestitionen werden denen zufließen, die sich dieser Realität bewusst sind. Die Länder, die der technologischen Welle vorauseilen, werden enorme Vorteile genießen.
Wirtschaftliche Instabilität verringern Die Globalisierung einfach zu beenden, indem man Handels- und Kapitalflüsse einschränkt, ist keine Lösung. Sämtliche Einkommen würden fallen, besonders die der Ärmsten. Aber es ist möglich, negativen Prognosen über die Globalisierung dadurch entgegenzuwirken, dass man sie ernst nimmt.
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Wenn Globalisierungsgegner wirtschaftliche Instabilität voraussagen, haben sie unzweifelhaft Recht, aber sie sind sich nicht über die Ursachen im Klaren. Instabilität wird durch den Wechsel zum Kapitalismus ausgelöst, nicht durch den Wechsel von separaten Volkswirtschaften zu einer globalen Ökonomie. Man braucht sich nur die Finanzkräche und Rezessionen in Japan und den Vereinigten Staaten anzuschauen, um in dieser Meinung bestätigt zu werden. Ein globaler Überbau wird auf einem kapitalistischen Unterbau errichtet. Deshalb gehören zu den Merkmalen des globalen Überbaus auch Rezessionen, finanzielle Zusammenbrüche und Skandale. Sie sind nicht zu verhindern, doch man kann zuverlässige Maßnahmen treffen, um danach für Ordnung zu sorgen und diejenigen zu bestrafen, welche die Grenze zu einem inakzeptablen Benehmen überschritten haben, und um ohne große Schäden zu einer dauerhaften Wirtschaftsleistung zurückzukehren. Das ist die Lektion, die sich aus dem Vergleich zwischen der amerikanischen Spar- und Kreditkrise und dem japanischen verlorenen Jahrzehnt lernen lässt. Betrachtet man die amerikanischen BIP-Daten für die achtziger Jahre, so ist die Spar- und Kreditkrise unsichtbar. Sie wirkte sich kaum oder überhaupt nicht auf die Gesamtwirtschaftsleistung aus. In den USA konnte man die Schuldigen bestrafen, einen »Zaren« zur Beseitigung des Chaos ernennen, die nötigen Mittel vom Steuerzahler einziehen, Konkurse abwickeln, Familien von Hypotheken befreien, wenn deren Wert den Hauspreis überstieg, als Sicherheit dienende Vermögenswerte an den Höchstbietenden versteigern und diejenigen, die sich strafbar gemacht hatten, ins Gefängnis werfen. Das System war solide. Japan war zu nichts von alledem imstande, und seine Krise lässt sich ebenfalls mühelos an den BIP-Daten ablesen. Das Land, das in den achtziger Jahren die besten Leistungen der industriellen Welt erbracht hatte, wies in den neunziger Jahren die schlechtesten Leistungen auf. Das System war nicht solide. Nur die Japaner können entscheiden, ob die Welt in den kommenden Jahrzehnten eine Rückkehr des Landes zu den achtziger oder zu den neunziger Jahren erleben wird. Lösungen lassen sich nur dann finden, wenn sich die japanische Kultur wandelt, und das können allein die Einheimischen selbst be-
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werkstelligen. Systeme, die nicht funktionieren, müssen geändert werden, aber das geschieht nicht automatisch. Nun, da die USA und andere entwickelte Länder begreifen, dass sie in keine rezessionsfreie neue Wirtschaftsära eingetreten sind, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um ein paar institutionelle Veränderungen vorzunehmen, durch welche die übergroße Abhängigkeit von der Geldpolitik zur Verkürzung von Rezessionen ausgeglichen werden könnte. Um die Steuerpolitik zu einem gleichwertigen Partner der Geldpolitik zu machen, benötigt man einige neue Verfahren. Das Problem sind die Verzögerungen, die durch die Geschäftsordnung des Kongresses hervorgerufen werden. Eine Möglichkeit bestünde darin, vom Kongress im Voraus Steuer- und Ausgabenpläne verabschieden zu lassen, die durch einen Wirtschaftsindikator oder ein unabhängiges Organ nach Art des Zentralbankrats in Kraft gesetzt werden könnten.4 Ein großer Teil der antizyklischen Ausgaben sollte wahrscheinlich in schon geplante Infrastrukturprojekte gesteckt werden, was den großen Vorteil hat, dass die zusätzlichen Ausgaben mit dem Abschluss des Projekts enden. Folglich werden langfristige Defizite dadurch nicht erhöht. Das Bildungswesen ist der andere Bereich, in dem die Ausgaben im Lauf von Rezessionen steigen sollten. Viele Arbeitskräfte haben nichts zu tun, und dies ist der perfekte Zeitpunkt zur Umschulung. Firmen sollten subventioniert werden, um einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitsstunden für die Umschulung aufzuwenden, wodurch die Arbeitslosigkeit verringert und zugleich der Kenntnisstand der Arbeitskräfte erhöht würde. Da alle kapitalistischen Lokomotiven über Stop-and-go-Motoren verfügen, würde es erheblich zur Verringerung der globalen Instabilität beitragen, wenn man statt einer (Amerika) drei globale Lokomotiven (Japan, Europa und Amerika) besäße. Sobald ein Motor ausfiele, würden die beiden anderen noch auf Hochtouren laufen. Das Problem besteht nicht in dem, was zu tun ist, sondern darin, in Europa und Japan eine Mentalität zu schaffen, welche die erforderlichen Schritte ermöglicht.
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Die wirtschaftliche Ungleichheit der Ersten Welt verringern Der Einfluss der Globalisierung auf die Ungleichheit hängt davon ab, wie exakt Ungleichheit gemessen werden kann, doch die Voraussagen der Globalisierungsgegner, dass sie steigen werde, treffen vermutlich zu. Wiederum ist die Hauptursache jedoch nicht die Globalisierung, sondern der wissensintensive Wandel, der in die dritte industrielle Revolution eingebaut ist. Unqualifizierte Arbeitskräfte werden immer weniger wert sein. In der entwickelten Welt sind schrumpfende Kenntnisdiskrepanzen die richtige Lösung, um steigende Lohndiskrepanzen zu beseitigen. Auseinandersetzungen über die relative Größe der Rolle, die von Globalisierung, Kapitalismus und dem Übergang zu einer wissensgestützten Wirtschaft im Hinblick auf stärkere Einkommensungleichheit gespielt wird, sind belanglos. In allen der drei genannten Fälle liefern Verbesserungen der Ausbildung und der Qualifikationen die Antwort. Folglich braucht man eine energische Anstrengung, um dafür zu sorgen, dass sich jeder eine Reihe marktfähiger Kenntnisse sowie die Kompetenz aneignet, im Lauf seines Lebens neue Qualifikationen zu erwerben. Nur selten wird man Kenntnisse, die man sich bis zum Alter von 18 oder 20 Jahren angeeignet hat, sein ganzes Arbeitsleben lang nutzen können. Erwachsenenweiterbildung wird demnach zu einer Realität werden müssen, statt nur eine häufig erwähnte, doch kaum je in die Praxis umgesetzte Parole zu bleiben. Erziehung und Ausbildung müssen als Hauptmittel gegen die sich immer mehr verstärkende Ungleichheit dienen. Alles andere wäre so, als wolle man eine schwere Wunde mit Kosmetika behandeln – statt Antibiotika einzusetzen, um deren gravierende Folgen zu vermeiden. In den Vereinigten Staaten gilt es, diese verbesserten Qualifikationen mit Mechanismen für die Verringerung der Lohnunterschiede zwischen dem Dienstleistungssektor und der verarbeitenden Industrie zu koppeln, damit Beschäftigte, die in Dienstleistungsjobs überwechseln, keine erheblichen Einbußen an Löhnen und Lohnnebenleistungen hinnehmen müssen. Millionen haben ihre Tätigkeit bereits in den Dienstleistungssektor verlegt, und Millionen werden es noch tun.
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Der richtige Ausgangspunkt ist die Abschaffung der Gesetze, welche Arbeitgeber von Teilzeitbeschäftigten von einer Zuzahlung zu den Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen befreien. Durch diese Gesetze wird die Einstellung von Teilzeitbeschäftigten zwar billiger, aber deren Fluktuationsrate ist sehr hoch, weshalb sie fast nie eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Wenn Unternehmen gezwungen wären, Teilzeitbeschäftigten die vollen Zusatzleistungen zu gewähren, würden sie Vollzeitbeschäftigte bevorzugen, weil diese dann verhältnismäßig weniger kosteten. Man würde mehr Mitarbeiter an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen lassen, und die Durchschnittsgehälter im Dienstleistungssektor würden unzweifelhaft steigen. Gezieltere und in manchen Ländern höhere Sozialleistungen könnten ebenfalls erforderlich sein, um Ungleichheit zu verhindern. Die Globalisierung steht weder der Ausweitung von Sozialleistungen noch ihrer Konzentration auf die Armen im Weg. Der Druck, im Hinblick auf Sozialausgaben »etwas zu unternehmen«, hat mit den Motivationsschwierigkeiten zu tun, die dann entstehen, wenn die Einkommensunterschiede zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen zu gering sind, sowie mit dem rasch steigenden Anteil von Ruheständlern, die Renten benötigen und einer umfassenden Gesundheitsversorgung bedürfen. Die älteren Bürger wünschen sich im Zuge der fortschreitenden Technologie natürlich die bestmögliche Versorgung. Aber diese besteht aus immer aufwändiger und damit auch immer teurer werdenden Behandlungen. Solche Probleme werden allerdings auch dann akut, wenn man sich von der Globalisierung abschirmt. Sollten die Sozialmaßnahmen jedoch ausgeweitet werden, so verlangt die Globalisierung, dass dieser Schritt durch Mehrwertsteuern und nicht durch Sozialabgaben finanziert wird. Da Mehrwertsteuern den Importen zugeschlagen und von den Exporten subtrahiert werden, erhöhen oder senken sie die Preise inländischer Waren und Dienstleistungen im Vergleich mit den Preisen internationaler Waren und Dienstleistungen nicht. Infolgedessen wirken sich lediglich Mehrwertsteuern nicht auf den globalen Wettbewerb aus. Die Globalisierung verlangt im Rahmen der Wettbewerbsfähigkeit nicht, Sozialleistungen zu beschneiden, aber sie macht es erforderlich, ein anderes Steuersystem zu ihrer Finanzierung aufzubauen.
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Die Ungleichheit der Dritten Welt verringern Für die Dritte Welt sollte der Umstrukturierungsprozess beim IWF und der Weltbank beginnen. Beide wurden 1944 gegründet, um Aufgaben zu erfüllen, die mittlerweile überflüssig geworden sind. Deshalb müssen sie von Grund auf umgestaltet werden. Die Weltbank hatte den Zweck, Kredite für profitable, große Infrastrukturprojekte bereitzustellen, die von Drittweltländern nicht finanziert werden konnten. Heute hat sich diese Funktion erledigt, denn die Weltkapitalmärkte verfügen über reichliche Mittel und brennen darauf, derartige Projekte zu finanzieren. Und falls sie nicht profitabel sind, sollte ohnehin niemand die Gelder bereitstellen. Die Weltbank war ursprünglich nicht dafür gedacht, als Institut für die allgemeine Wirtschaftsentwicklung in der Dritten Welt zu dienen – doch genau das ist die Aufgabe, die sie zurzeit wahrnimmt. Der IWF hatte den Zweck, sich zeitweiligen Zahlungsbilanzproblemen zwischen vermögenden Industrieländern zu widmen. Von dieser Funktion hat er sich seit den frühen siebziger Jahren entfernt. Er war nicht als Weltzentralbank gedacht, welche die Zahlungsfähigkeit von Ländern in Finanzkrisen sichert – doch genau das ist die Aufgabe, die er zurzeit erfüllt. Die Weltbank sollte nun ein globales Bildungsministerium werden, das heißt eine multilaterale Hilfsorganisation mit einem konzentrierten Auftrag. Ihre zahlreichen anderen Aktivitäten müsste sie fallen lassen. Wenn zum Beispiel globale Gesundheitsprobleme auftauchen, sollte sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) darum kümmern. Die Welt benötigt keine Agentur, die allgemeine technische Hilfe in Fragen der Wirtschaftsentwicklung leistet und Mittel für Infrastrukturprojekte bereitstellt. Die Weltbank sollte ein Mandat erhalten, zusammen mit armen Ländern in die Bildung zu investieren, wann immer neue Mittel das Wissensniveau heben können. Wirtschaftswachstum erfordert ein höheres Maß an Erziehung und Ausbildung sowie eine bessere Verteilung der Kenntnisse. Häufig bedeutet das, dass man der Grundschulausbildung für jedermann erneute Aufmerksamkeit schenkt, statt zu hohe Summen für das Hochschulstudium der Elite auszugeben – das lateinamerikanische Muster.
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Keine außenstehende Organisation kann Afrika oder Indien zwingen, den sozialen Wandel herbeizuführen, der für ein allgemeines Bildungswesen nötig ist. Kulturelle Veränderungen, etwa die Überwindung der Unberührbarkeit in Indien, müssen eintreten. Nur die lokalen politischen Regime selbst können den Wandel durchführen. Regierungen müssen im buchstäblichen und metaphorischen Sinne Flughäfen bauen, damit die Flugzeuge der globalen Wirtschaft landen können. Außenstehende haben die Möglichkeit, bei der Bezahlung der Start- und Landebahnen mitzuhelfen, doch sie sind nicht dazu in der Lage, den Bau der erforderlichen Bahnen zu erzwingen. Die letztliche Verantwortung für die Lenkung der Wirtschaft liegt bei den jeweiligen Nationalstaaten. Das wird der Fall sein, solange nationale Regierungen existieren. Sie sind die Akteure, die die Dinge vor Ort in die Wege leiten können. Die übrige Welt mag Ratschläge erteilen und sollte Gelder bereitstellen, wenn sie meint, dass man ihren Ratschlägen Folge leistet, aber sie kann Ländern, die sich nicht ändern wollen, keinen Wandel aufzwingen. Infolgedessen stellt die neue Weltbank kein Geld für Schulen zur Verfügung, wenn Länder nicht nachweisen können, dass sie die soziale Organisation besitzen, um Schulen zu eröffnen und Kinder zu deren Besuch zu veranlassen. Die Hilfsfonds reicher Regierungen sollten sich ebenso auf Länder konzentrieren, in denen das für die Eltern kostenlose allgemeine Schulwesen erfolgreich in Angriff genommen worden ist. Wenn ein Land ein gutes Schulsystem betreiben kann, besitzt es immer auch die soziale Organisation, um auf seine eigene Wirtschaftsentwicklung hinzuarbeiten. Es wird dann zu Recht die ausländischen Direktinvestitionen anziehen, die für den Erfolg unerlässlich sind. Erziehung ist der geeignete Selbsthilfe-Indikator, der die Hilfe von außen rechtfertigt. In den Finanzkrisen der Dritten Welt entsteht noch kein wirklicher Schaden, sondern erst in den langen Perioden der Einschränkung, die sich anschließen. Diese Perioden können vermieden werden. Der IWF sollte sich weiterhin mit den Finanzkrisen der Dritten Welt beschäftigen, aber die Lösung sind weder großzügigere, weniger lästige Rettungsmaßnahmen mit einer kleineren Zahl von Auflagen noch glattere, besser organisierte Konkurse. Die Lösung besteht auch nicht darin, krisengeschüttelten Ländern Hilfe zu verweigern, damit Kreditgeber und
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-nehmer den realen Risiken ins Auge schauen müssen. Moralische Gefahren sind ein Scheinproblem. Vielmehr sollte der IWF ein System der internationalen Liquiditätsversicherung nach Art der Bankeinlagenversicherung einführen. In normalen Zeiten, also bevor eine Krise eingetreten ist, könnte der IWF die politische Mischung festlegen, die ein Land für die internationale Liquiditätsversicherung qualifiziert. Wenn ein Staat diese Bedingungen erfüllt und dann in eine internationale Finanzkrise verwickelt wird, erhält er die versprochenen Mittel, ohne seine Politik ändern zu müssen. Die Kriterien der wirtschaftlichen Stabilität werden vor einer Krise – nicht in deren Mitte oder im Anschluss daran – spezifiziert. Sobald eine Krise begonnen hat, kann der IWF keine neuen Kriterien mehr hinzufügen. Er verteilt einfach nur die versprochenen Gelder. Man könnte das Versicherungssystem auf zwei verschiedenen Ebenen unterstützen. Die erste Ebene würde durch eine Formel bestimmt, die von der Größe des Landes abhängt und dem Maße, in dem es die IWF-Bedingungen erfüllt. Die zweite Ebene könnte aus zusätzlichem Schutz und zusätzlicher Liquidität bestehen, die ein Land sich durch jährliche Devisenzahlungen an den IWF erkauft. Statt während einer Krise die Steuern erhöhen, die Ausgaben kürzen und die Zinsen anheben zu müssen (wodurch sich das BIP verringert), wüssten Regierungen, dass ihre Politik offiziell als solide gilt und dass sie die erforderliche internationale Liquidität haben werden, um den wirtschaftlichen Sturm zu überstehen. Diejenigen, die sich für die internationale Liquiditätsversicherung qualifizieren, könnten die extrem schädliche Einschränkungsphase nach der Krise überspringen. Wenn der IWF die seiner Meinung nach richtigen Strategien für wirtschaftliches Wachstum vor einer Krise zu allgemeinen bekannten Auswahlkriterien machte, könnte er als eine Organisation angesehen werden, die das Wachstum nicht verlangsamt, sondern vielmehr beschleunigt. Man würde ihn nicht mehr für eine Quasi-Kolonialmacht halten, die das Mikromanagement von Volkswirtschaften übernimmt, obwohl sie keinen Wählerauftrag dazu hat. Drittweltländer können sich gegen die Globalisierung entscheiden und ihren Außenhandel sowie ihre Kapitalzuflüsse reduzieren, doch dadurch würden sie die Ungleichheit nur verschlimmern. Wer aus der
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Globalisierung aussteigt, nimmt praktisch auch von der Wirtschaftsentwicklung Abschied und muss sogar darauf achten, nicht zermalmt zu werden. Diese Tatsache lässt sich nachvollziehen am Beispiel Chinas, das an der Globalisierung teilnimmt, und Subsahara-Afrikas, das es nicht tut. Im Großen und Ganzen schließt die Dritte zur Ersten Welt auf, aber das ist das Ergebnis von zwei gegensätzlichen Trends. China verringert den Abstand zur Ersten Welt in wirtschaftlicher Hinsicht, während andere, kleinere Gebiete wie Subsahara-Afrika zurückfallen. Diese Beispiele zeigen, dass die Mechanik der Entwicklung bekannt ist. Man muss nur in der Lage sein, sie in die Tat umzusetzen. Einfach ausgedrückt, Länder müssen sich für ausländische Direktinvestitionen attraktiv machen. Ist das der Fall, wird man ihnen die Technologien beibringen, die sie zum Voranschreiten benötigen. Und wenn sie für ADI attraktiv sind, eignen sie sich auch gut für die Geschäfte lokaler Unternehmer.
Exportgeleitetes Wachstum Gerade hat sich größte Teil der Dritten Welt von den Vorzügen des exportinduzierten Wachstums überzeugen lassen, und plötzlich geht das Modell dem Untergang entgegen: zerrieben zwischen Chinas Entscheidung, dem Modell zu folgen, und der Unfähigkeit der Vereinigten Staaten, ständig mit großen Handelsdefiziten zu leben. Was im letzten halben Jahrhundert erfolgreich war, wird im kommenden nicht die gleiche Wirkung zeitigen. Wer in Zukunft erfolgreich sein will, wird neue Wachstumsstrategien entwerfen müssen. Die exportgeleiteten Wachstumsstrategien dürften sich durch interne Modelle ersetzen lassen, wie sie die USA im 19. Jahrhundert anwendeten. Nach dem amerikanischen Modell trieben kräftige Infrastrukturinvestitionen (Eisenbahnen, Elektrizität, Telegraf) die Wirtschaft an und ließen sie zudem effektiver werden: Mit dem gleichen Input ließ sich ein höherer Output erzielen – bessere Verkehrs- und Kommunikationssysteme machten es möglich, eine Volkswirtschaft aufzubauen, die der In-
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dustrie inhärente Skalenvorteile zu nutzen verstand. Die Elektrizität ermöglichte den Wechsel von den zentralisierten Energiequellen des Dampfzeitalters zu dezentralen Energiequellen. Maschinen mit jeweils eigenem Antrieb konnten in weit produktiverer Form angeordnet und im Gegensatz zu großen Dampfmaschinen in kleine Motoren eingesetzt werden. Inländisch erzeugtes Wachstum hat nichts mit dem gescheiterten Modell des Quasi-Sozialismus und der Importsubstitution zu tun, das in den fünfziger und sechziger Jahren von den meisten Ländern der entwickelten Welt ausprobiert wurde. Vielmehr wird die Wettbewerbsfähigkeit dadurch unterstützt, dass man die gleichen Vorschriften für Ausländer wie für Einheimische gelten lässt. Ausländer werden sogar ermutigt, lokale Firmen nach Möglichkeit aus dem Geschäft zu drängen, um die Wachsamkeit der einheimischen Unternehmer zu schärfen. Dieser interne Wettbewerb – im Unterschied zu den externen Anstrengungen um den Export – erhöht den Konkurrenzdruck, der Firmen effizienter werden lässt. Die Industrie ist weder im Besitz der Regierung, noch wird sie von ihr finanziert oder protegiert. Beide Modelle sind auf Auslandsinvestitionen angewiesen. Die Briten steckten im späten 19. Jahrhundert hohe Summen in den amerikanischen Markt. Sie kamen also für viele Investitionen auf, die den Amerikanern erlauben sollten, sie im frühen 20. Jahrhundert wirtschaftlich zu überholen. Heutzutage haben die dringend benötigten Infrastrukturinvestitionen einen ganz anderen Charakter. Statt in die Telegrafie steckt man Gelder in die internationale Telekommunikation. Aber im weiteren Sinne ähneln die Kategorien einander. Noch heute benötigt man in den meisten Entwicklungsländern Investitionen in Kommunikationswesen, Verkehr und Elektrifizierung, um die Wirtschaft voranzutreiben und leistungsfähiger werden zu lassen. Die Sieger kommen der Welle zuvor – sie führen Änderungen ein, kurz bevor alle anderen dazu gezwungen werden. Es ist natürlich schwierig, das exportgeleitete Wachstum als Erster aufzugeben, denn es war so erfolgreich für diejenigen, die den Anfang gemacht hatten. Durch Chinas Größe wird dieses Spiel jedoch nachteilig für alle anderen und letztlich auch für China selbst. Wenn der Dollarkurs abstürzt,
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könnte es auf zahlreichen wertlosen Fabriken sitzen bleiben, in denen Produkte für den amerikanischen Markt hergestellt werden. Das exportgeleitete Modell der Wirtschaftsentwicklung könnte noch etwas länger am Leben bleiben, wenn Japan und Europa bereit wären, sich die Last der Handelsdefizite mit den Vereinigten Staaten zu teilen. Aber davon kann keine Rede sein. Auf die Frage, wie sie ihre gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme überwinden wollen, erklären die Regierungen in Deutschland und Japan, sie planten, den Export in die Vereinigten Staaten zu erhöhen. Auch die übrige entwickelte Welt hat beschlossen, sich auf das exportgeleitete Modell des Wirtschaftswachstums zu stützen, was dessen Untergang nur beschleunigen kann.
Die WTO-Handelsrunde Wer die Globalisierung ablehnt, weil sie Drittweltländer schädige, sollte daran erinnert werden, dass die Landwirtschaft der einzige Wirtschaftssektor ist, in dem sich die Globalisierung auf dem Rückzug befindet. Nationale Autonomie scheint dabei das landwirtschaftliche Ziel der Ersten Welt zu sein. Wenn sich die vermögenden Industrieländer wirklich Sorgen über die Armut in der Dritten Welt machen, werden sie ihre Agrarmärkte für den freien Handel öffnen müssen. Nichts würde der Dritten Welt rascher helfen. Auf landwirtschaftlichem Gebiet weiß diese nämlich, wie sie die Bedürfnisse der Ersten Welt erfüllen kann. Sie besitzt die notwendigen Fertigkeiten, denn die Landwirtschaft ist eine arbeitsintensive Branche, in der die Dritte Welt über enorme Vorteile verfügt. Sie braucht nur den Zugang zum Markt. In diesem Fall genügt es, einfach nur die Gesetze der Ersten Welt zu ändern, um die Dritte Welt wohlhabender zu machen. Wenn Stadtbewohner in der Ersten Welt ihren eigenen Bauern Geld zukommen lassen wollen, können sie es weiterhin tun, aber sie dürfen die Größe ihres Geschenks nicht von der bäuerlichen Produktionsmenge abhängig machen. Man wird dafür bezahlt, dass man Bauer ist, nicht dafür, dass man Landwirtschaft betreibt. Ein solches System wäre
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vernünftiger als das gegenwärtige. Weil es aber auf den ersten Blick absurd erscheint, dass städtische Steuerzahler ländliche Subventionssammler unterstützen, wird es bisher nicht praktiziert. Obwohl nicht die gesamte Palette von Umwelt- und Arbeitsschutzmaßnahmen aus der Ersten in die Dritte Welt exportiert werden sollte, ist es angebracht, im Rahmen der WTO-Doha-Runde auch über solche Maßnahmen zu verhandeln. Es gibt Bereiche, in denen Vereinbarungen sowohl möglich als auch wünschenswert sind. Arme Länder können sich nicht die gleichen Umweltschutznormen leisten wie reiche Staaten, aber manche Umweltprobleme ziehen die Dritte Welt genauso stark – wenn nicht stärker – in Mitleidenschaft wie die Erste Welt. Wirtschaftliche Aktivitäten, die Trinkwasser verseuchen, gehören dazu. Sauberes Trinkwasser ist ein angemessenes Thema für globale Umweltschutzverhandlungen, wenn die entwickelte Welt ihre medizinische Hilfe auf die Entwicklungsländer ausweiten sollte, wie viele vorgeschlagen haben. Durch Wasser übertragene Durchfallkrankheiten sind die zweitgrößte Todesursache in der Welt nach AIDS. Wenn die Erste Welt mehr für die Gesundheitsversorgung bezahlt, ohne zu verlangen, dass die jeweiligen Länder ihre Wasserzufuhr reinigen, handelt es sich um Verschwendung. Handelsabkommen sollten nicht darauf abzielen, die Löhne für Drittweltländer festzulegen oder das gesamte Sortiment von Arbeitspraktiken der Ersten Welt zu exportieren, doch sie können sich mit Fragen wie der Kinderarbeit befassen. Nichts spricht dagegen, dass sich ein Amerikaner Sorgen um die sehr kleinen pakistanischen Kinder macht, die Fußbälle für den US-amerikanischen Markt nähen. Diese Kinder sollten die Schule besuchen und von Erwachsenen im lokalen wie im globalen Rahmen beschützt werden. Die Kinderarbeit verschwand in den Vereinigten Staaten nicht allmählich, während die Amerikaner reicher wurden. Vielmehr wachten sie irgendwann auf und erklärten Kinderarbeit für illegal. Eine solche Maßnahme ist im Eigeninteresse jedes Landes. Kinder, die ganztags arbeiten, werden nicht zu produktiven Erwachsenen erzogen. Kinderarbeit wird niemanden in das gelobte Land der Wirtschaftsentwicklung führen. Vor allem aber ist sie schlicht ein moralisches Unrecht. Es gibt in jedem Land der Welt, wie arm es auch sein mag, ein Alter, in dem es ausbeuterischer Missbrauch ist, Kinder zur Arbeit außerhalb ihrer häuslichen Umgebung zu
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zwingen. Vernünftige WTO-Regeln können festlegen, wie und wann Kinder legal außerhalb ihrer Wohnung arbeiten dürfen. Niemand redet davon, Sommerjobs für Teenager gesetzlich zu verbieten.
Migration Die Globalisierungsgegner haben sowohl Recht als auch Unrecht, was die Migration betrifft. Die Globalisierung beschleunigt die Migration in der Tat, doch diese ist keine wirkliche Gefahr für lokale Kulturen. Kraftvolle lokale Kulturen absorbieren Einwanderer und begrüßen die von ihnen ausgehenden Impulse. Nur schwache, unattraktive Kulturen haben etwas zu befürchten. Zwar sind die Ängste nicht so intensiv wie in Europa, doch ähnliche Sorgen sind den politischen Auseinandersetzungen in den USA darüber zu entnehmen, ob Englisch durch das Eintauchen in die Sprache oder in einer Periode zweisprachiger Erziehung gelehrt werden sollte. Dabei geht es in Wirklichkeit nicht um die beste Methode zum Erlernen einer neuen Sprache, sondern um die Befürchtung, dass die neuen Amerikaner letztlich keine »wirklichen Amerikaner« werden könnten. Sämtliche Untersuchungen zeigen jedoch, dass die heutigen Einwanderer mit der gleichen Geschwindigkeit wie ihre Vorgänger »wirkliche Amerikaner« werden. Immigranten bringen eine Menge Talent und Energie mit nach Amerika und gestatten US-Unternehmen, die fähigsten Kandidaten für ihre ausländischen Filialen zu rekrutieren. Die Klügsten und Besten wissen, dass sie in US-Firmen Karriere machen können, gleichgültig ob sie einen amerikanischen Pass besitzen oder nicht.
Kultur Der Eindruck, dass zu viel von der sich neu entwickelnden globalen Kultur durch Amerika vermittelt wird, trifft zu, doch die Annahme, dass es sich in zu vielen Fällen um Exporte der traditionellen amerika-
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nischen Kultur handelt, ist falsch. Zwar wird ein großer Teil der neuen globalen Kultur in Amerika aufgebaut, aber mehr als die Hälfte der Bestandteile kommt aus anderen Gegenden. Durch diese neuen globalen Komponenten ändert sich die traditionelle amerikanische Kultur so rasch wie jede andere der Welt – wenn nicht rascher. Im Wesentlichen importiert Amerika Kulturen, modifiziert sie und exportiert dann seinerseits eine neue globale Kultur. Andere sollten nicht danach streben, diese in Amerika entstehende globale Kultur von sich fern zu halten, sondern darauf, aktiver an ihrem Aufbau teilzunehmen. Das geschieht in gewissem Maße bereits. Der Erfolg in Amerika hergestellter Fernsehprogramme war offensichtlich nur vorübergehend. Die meisten Länder der Welt begannen die Fernseh-Ära mit einem staatseigenen Netz. Während des Übergangs zu Privatbesitz und vielfachen Netzen entstand zeitweise ein Mangel an Programmen, sodass amerikanische Produktionen die Privatkanäle in vielen Ländern dominierten. Aber nachdem die neuen Sender gereift waren und Zeit hatten, ihre eigenen Programme zu verbessern, löste sich die amerikanische Vorherrschaft weitgehend auf. Wenige amerikanische Erzeugnisse werden nun in anderen Teilen der Welt zur Hauptsendezeit gezeigt. Lokale Produktionen haben sie abgelöst. Das gleiche Muster dürfte sich im Filmwesen und in vielen anderen Kulturbereichen wiederholen. Die US-Bürger sehen sich bereits taiwanesisch-amerikanische Filme wie Tiger & Dragon und indisch-amerikanische Streifen wie Monsoon Wedding an, und sie werden sich wahrscheinlich bald Filme aus diesen Ländern anschauen, die nichts mit Amerika zu tun haben.
Globale Regierung Wer eine globale Regierung (entweder in Form internationaler Institutionen oder einer amerikanischen Hegemonie) ablehnt, steht vor einem unlösbaren Problem. Die globale Wirtschaft bedarf einiger weltweiter Regulierungen, aber keine demokratisch gewählte Landesregierung würde die Direktwahl von Führern internationaler Organisationen ak-
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zeptieren oder solchen Institutionen die Vollmacht erteilen, selbstständig Steuern von ihren Bürgern einzuziehen. Einrichtungen wie die Vereinten Nationen, IWF, WTO und Weltbank sind schlicht unerlässlich. Da diese Organisationen die Aufgabe haben, sich den meisten internationalen Wirtschaftsproblemen zu widmen, werden unilaterale amerikanische Interventionen fast immer durch politische und militärische Ereignisse ausgelöst. Der Irak ist natürlich das beste aktuelle Beispiel. Solche geopolitischen militärischen Ereignisse würden sich mit oder ohne Globalisierung abspielen, und man würde Amerika stets auffordern, einzuschreiten oder nicht einzuschreiten. Wenn es um den Einsatz der amerikanischen Militärmacht geht, ist die übrige Welt offenbar unschlüssig. In der Hälfte der Fälle bittet sie Amerika zu intervenieren (Kosovo, Bosnien, Uganda), und in der anderen Hälfte der Fälle bittet sie es, nicht zu intervenieren. Einerseits möchte sie, dass die Vereinigten Staaten multilateral mit Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat vorgehen (Irak), und andererseits möchte sie, dass die Vereinigten Staaten allein vorgehen (Nordkorea). Während man den amerikanischen Entscheidungen viel Aufmerksamkeit widmet, konzentriert sich kaum jemand auf die Weigerung Japans und Europas, eine Rolle zu spielen, die ihrem wirtschaftlichen Wohlstand und ihrem nationalen Eigeninteresse entspricht. Japan kümmert sich kaum um jene Teile der Welt, zu denen es keinen direkten Kontakt hat. Nur China und Nordkorea sind seiner Beachtung wert. Und selbst dann ringt die japanische Regierung eher die Hände, als aktiv zu werden, um Probleme zu vermeiden oder zu lösen. Europa ist so sehr vom Aufbau und der Ausweitung der Europäischen Union in Anspruch genommen, dass es der übrigen Welt wenig Aufmerksamkeit schenkt. Einfach ausgedrückt, Europa ignoriert Nordkorea, und Japan ignoriert Jugoslawien. Wenn es darum geht, sich aus dem Morast der Rezession von 2001 zu ziehen, und die Europäer einander nur empfehlen können: »Wartet auf eine amerikanische Erholung«, dann hat die Welt in der Tat ein Problem, doch es ist kein Problem der übermächtigen amerikanischen Führerschaft, sondern der mangelnden Führerschaft durch die beiden anderen großen Akteure. Europa und Japan müssen bereit sein, auf die Lösung einiger geopolitischer Probleme hinzuwirken, wenn Amerika nicht zu dominant wer-
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den soll. Das bedeutet natürlich auch, dass sie Gelder für die Aufrechterhaltung ihrer militärischen Schlagkraft ausgeben müssen. Letzten Endes »kommt alle Macht aus dem Gewehrlauf«, wie der Vorsitzende Mao sagte, selbst wenn die Gewehre nie eingesetzt werden. Im Irak hätten die Inspekteure Saddam Hussein vielleicht entwaffnen können, doch sie wurden erst wieder ins Land gelassen, als in der Nachbarschaft einige Gewehre aufgetaucht waren. Wer die militärische, politische oder wirtschaftliche Macht der USA einschränken möchte, muss die Lösung darin sehen, sie in einer Troika mit Europa und Japan anzuschirren. Aber das ist nur möglich, wenn Europa und Japan ihre Kräfte in der Troika einsetzen. Sind sie dazu nicht bereit, werden die Amerikaner weiterhin selbst die Entscheidung treffen, wann und wo sie Aufforderungen, sich fern zu halten oder einzuschreiten, akzeptieren oder zurückweisen sollen. Das ist unvermeidlich, solange Amerika ein Drittel des Welt-BIP erzeugt und mehr für die Verteidigung ausgibt als die nächsten 14 Länder zusammen.
Geistige Eigentumsrechte für alle Ein von allen Seiten akzeptiertes, durchsetzbares globales System der geistigen Eigentumsrechte wird benötigt und kann realisiert werden. Man muss es einfach nach Maßstäben aufbauen, die folgende Gruppen nicht benachteiligen: solche, die sich entwickeln wollen, jene, die billige Arzneimittel für Kranke brauchen, und diejenigen, die motiviert werden müssen, enorme Summen in neue Ideen zu investieren. Um die Wirtschaftsentwicklung zu fördern, sollte die Menge legaler Kopierverfahren zum Zweck des Aufholens umgekehrt proportional zum Pro-Kopf-Einkommen eines Landes sein, das heißt, sie verringert sich, wenn das Pro-Kopf-Einkommen steigt. Die Doha-Gespräche könnten eine Gebührentabelle für den Gebrauch von Patenten festlegen, die bei null für sehr arme Länder beginnt, sich mit dem Pro-KopfEinkommen erhöht und sich am Markt orientiert, wenn das Pro-KopfEinkommen ein gewisses Niveau übersteigt. Die Versorgung bedürftiger Menschen mit lebensrettenden Arz-
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neien ist ein gutes Beispiel für die komplexen Interaktionen, die eine wissensgestützte Globalwirtschaft hervorbringt. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Pharmaindustrie unablässig die profitabelste Branche Amerikas. Die durchschnittliche Kapitalrendite ist höher als die jeder anderen Branche. Die Umsätze sind jährlich um ungefähr 8 Prozent gestiegen und liegen heute bei mehr als 400 Milliarden Dollar pro Jahr. Aber dieses sehr alte, sehr erfolgreiche Geschäftsmodell dürfte bald von drei Stürmen fortgeblasen werden. Einer der Stürme kommt aus Doha. Etwas muss getan werden, um die Arzneimittelkosten für Krankheiten wie AIDS in armen Ländern zu senken. Die Alternative, die in der Doha-Handelsrunde zurzeit diskutiert wird, sieht vor, dass arme Länder die Arzneimittelpatente für schwere Krankheiten einfach missachten dürfen. Sie hätten die Genehmigung, Medikamente zu den Grenzkosten herzustellen und zu kaufen. Hier erheben sich eine nebensächliche und eine wichtige Frage. Die Erstere ist die des Schmuggels. Bei hohen Preisunterschieden besteht ein gewaltiger Anreiz, Arzneimittel billig in Afrika einzukaufen und sie zu viel höheren Preisen in Amerika loszuschlagen. Die wichtige Frage ist politischer Art. Amerikanische Familien mit AIDS-Patienten werden nicht 10 000 Dollar für die erforderlichen Arzneien ausgeben wollen, wenn sie wissen, dass andere die gleichen Mittel für 700 Dollar bekommen. 10 000 Dollar sind eine Menge Geld für die meisten amerikanischen Familien. Warum sollten sie nicht ebenfalls billige Medikamente erhalten? Viele Patienten, die solche Mittel in der Ersten Welt benötigen, sind arm, obwohl sie in vermögenden Ländern leben. Mittelständische Wähler in wohlhabenden Ländern werden sich nicht mit einem zweistufigen Preissystem abfinden, durch das sich nur die Armen billige Medikamente verschaffen können. Vielleicht könnten sie sich leisten, mehr zu zahlen, doch das lehnen sie ab. Sie werden auf der politischen Bühne verlangen, dass ihnen erlaubt wird, Arzneimittel zu den gleichen Preisen wie in der Dritten Welt zu kaufen. Ein zweiter Sturm geht von den Senioren der Ersten Welt aus. Die Regierungen wollen die emporschnellenden Gesundheitskosten bremsen, und Medikamente machen den größten Kostenpunkt aus. Deshalb wird enormer Druck ausgeübt, um die Arzneimittelpreise in der Ersten ebenso wie in der Dritten Welt zu regulieren und in Schach zu halten.
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Der dritte Sturm ist die Biotechnologie. Sie revolutioniert die Suche nach Medikamenten und deren Herstellung, doch die Erfolge stellen sich quälend langsam und unter hohen Kosten ein. Alles, was sich leicht finden lässt, ist offenbar schon entdeckt worden. Das Sortiment neuer Arzneien ist karg, und von den 100 am besten verkäuflichen Medikamenten der Welt verlieren 53 im Jahr 2012 ihren Patentschutz. Im Jahr 2000 verstrich die Patentfrist von nur 13 Arzneien.5 Folglich werden die Erträge ab 2012 drastisch sinken. Man hat die Forschungsund Entwicklungsetats in die Höhe getrieben, um einen Ersatz zu finden, aber die Einführung neuer chemischer Substanzen ist aus bisher unklaren Gründen zurückgegangen. Und von der kleineren Zahl neuer Substanzen, die entdeckt werden, überstehen nun weniger als früher ihre klinischen Tests. Das Fazit: Kaum einer der großen Pharmakonzerne macht genug neue Medikamente ausfindig, um die gegenwärtigen Kosten für die Markteinführung von Arzneien zu decken. Das alte, sehr profitable Geschäftsmodell löst sich auf. Wenn jeder das bekommt, was er sich wünscht, wird das jetzige Finanzierungssystem für die Entwicklung neuer Medikamente zusammenbrechen. Innovative Pharmaunternehmen haben ihre Investitionen in neue Arzneien noch nicht gekürzt, doch sie werden es bald tun. Wie in der Musikbranche wird ihr Geschäftsmodell explodieren, bevor sie es ersetzen können. Irgendjemand muss im Kapitalismus schließlich genug zahlen, um Investitionen in neue Medikamente rentabel werden zu lassen. Andernfalls wird man keine neuen Mittel für die Behandlung alter Krankheiten erfinden. Im Moment möchte niemand für die neuen Medikamente aufkommen, doch jeder möchte die neuen Wundermittel billig einkaufen. Damit bedürftige Menschen lebensrettende Arzneimittel erhalten, braucht man ein System der Enteignung für öffentliche Zwecke wie im Fall von Grundstücken, die für nationale Infrastrukturprojekte benötigt werden. Reiche entwickelte Länder könnten einfach ein Patent kaufen und es allen kostenlos zur Verfügung stellen. Wenn das Erfinderunternehmen den Verkauf ablehnt, setzt ein Gericht den fairen Preis fest. Damit bleibt der Anreiz für Erfindungen erhalten, während alle Bedürftigen in reichen wie armen Ländern billige Medikamente beziehen können.
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Funktionsfähige Systeme der geistigen Eigentumsrechte sind eine Sache, ihre Durchsetzung ist eine andere. Doch wenn Länder das vereinbarte System nicht übernehmen oder vollstrecken wollen, so gibt es einfache Methoden, sie dazu zu zwingen. Die Vereinigten Staaten könnten bekannt geben, dass sie den jährlichen Umsatzverlust, der durch die Verletzung amerikanischer geistiger Eigentumsrechte entsteht, von Land zu Land verfolgen würden. Dann würde man amerikanischen Unternehmen gestatten, legal und ungehindert Patente oder Urheberrechte von Firmen des betreffenden Landes zu nutzen, bis sie ihre Umsatzverluste ausgeglichen hätten. Manche Länder wie Israel, welche die Regeln nicht befolgen, doch bereits ein erhebliches geistiges Eigentum besitzen, werden sich dann sehr rasch den Spielregeln anpassen. Länder ohne erhebliche geistige Eigentumsrechte könnten die Spielregeln noch eine Zeit lang brechen, aber sie werden wissen, dass sie enorme intellektuelle Schulden für die Zukunft anhäufen. Deshalb werden sie sich schließlich ebenfalls unterordnen.
Deflation Die größte unmittelbare globalwirtschaftliche Gefahr ist die Verbreitung der Deflation. Ihr Einhalt zu gebieten ist nicht leicht. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts probierte man eine Vielzahl von Rezepten aus (Mindestverkaufspreise, Preisstützungen durch die Regierung), und alle blieben wirkungslos. Selbst die Überflutung der Wirtschaft mit Liquidität, das heißt mit Geld, mag scheitern. Die Menschen geben ihr Bargeld einfach nicht aus. Das beste Mittel ist Vorbeugung. Europa sollte seine Wirtschaft aggressiv durch geld- und steuerpolitische Maßnahmen anheizen, um eine Deflation auf dem Kontinent zu verhindern. Hat die Deflation einmal eingesetzt, gibt es nur ein Heilmittel: einen gewaltigen, jähen steuerlichen Anreiz. Zur Beendigung der Weltwirtschaftskrise wurden dieser Anreiz sowie die durch den Zweiten Weltkrieg veränderte Erwartungshaltung benötigt, um das Ziel zu erreichen.
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In Japan wird eine erhebliche Wertverminderung der noch offenen Schulden, gefolgt von einem starken steuerlichen Anreiz, erforderlich sein. Die Reduzierung solcher Schulden braucht nicht als Bankrott bezeichnet zu werden. Ein großer Teil des steuerlichen Anreizes könnte in der Abschreibung sämtlicher Schulden um einen gewissen Prozentsatz – beispielsweise um 60 Prozent – bestehen. Wer seine Schulden dann immer noch nicht zurückzahlt, wird zum Konkurs gezwungen werden. Die Japaner verweisen häufig auf ihr hohes Haushaltsdefizit, um zu bekräftigen, dass sie nicht viel mehr tun können. Die Größe ihres gegenwärtigen Haushaltsdefizits ist jedoch belanglos für die Schritte, die unternommen werden müssen. Wenn die Japaner sich von der Deflation freigekämpft haben, können sie anfangen, sich Sorgen über die Wiederherstellung ihrer Steuerbilanz zu machen. Die Anhäufung früherer Fehler darf künftige Gelegenheiten zur Wiederbelebung der japanischen Wirtschaft nicht behindern.
Ein sinkender Dollar Der Komet, der auf die globale Wirtschaft zustürzt, ist ein »scharf fallender Dollar«, im Verein mit einer raschen Verringerung des amerikanischen Zahlungsbilanzdefizits. Da der (handelsgewichtete) Gesamtkurs des Dollars in den vorausgegangenen zwölf Monaten um 12 Prozent gesunken war, sah der Komet im Frühjahr 2003 nicht mehr wie ein Science-Fiction-Objekt aus. Was gegen die Gefahren eines fallenden Dollarkurses unternommen werden sollte, ist gut bekannt. Es gibt nur einen einzigen Weg zu einer sanften Landung. Länder mit Handelsüberschüssen sollten geld- und steuerpolitische Maßnahmen ergreifen, um das Wachstum ihrer Wirtschaft zu stimulieren. Ihre höheren Einkommen würden dann zu größeren Importen aus Amerika und einem niedrigeren US-Handelsdefizit führen. Das Welt-BIP würde sich erhöhen, während sich das amerikanische Handelsdefizit verringert. Wenn die Korrektur dadurch zustande kommen muss, dass die Vereinigten Staaten ihre Importnachfrage reduzieren, würde das globale BPI zusammen mit dem amerikanischen Handelsdefizit schrumpfen.
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Da die allerbeste Lösung nicht realisiert werden dürfte, sollte die Welt begreifen, dass sämtliche Länder im Lauf der zweitbesten Lösung, wenn der Dollar unvermeidlich abstürzt, sofort stark stimulierende geld- und steuerpolitische Maßnahmen einleiten werden. Man wird das keynesianische Pedal voll durchtreten müssen, damit die globale Wirtschaft nicht abgewürgt und zerstört wird. Ohne solche Aktionen wird ein fallender Dollarkurs einen starken Rückgang der globalen Nachfrage auslösen. Unter diesen Umständen wäre die traditionelle Einschränkungsempfehlung des IWF schlicht falsch. Es gilt, Krisenpläne für den Fall eines sinkenden Dollarkurses auszuarbeiten. Der IWF müsste diese Aufgabe zusammen mit der US-Regierung übernehmen. Ein neues Modell für den Umgang mit Devisenkrisen ist erforderlich, denn man wird es mit ganz anderen Verhältnissen als in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben.
Schlussfolgerung Man kann eine andere globale Wirtschaft aufbauen. Es ist möglich, einige der Wirtschaftsprobleme der Erde zu lösen, etwa das der geistigen Eigentumsrechte und der Deflation. Doch manche der globalen ökonomischen Schwierigkeiten erweisen sich als Dilemma. Ein Dilemma ist ein Problem, für das es keine akzeptable Lösung gibt. Der Sozialismus kann Finanzkrisen eliminieren, aber das ist keine brauchbare Lösung, weil dadurch auch das Wirtschaftswachstum unterbunden wird. Allerdings kann man die Ausmaße fast aller globalen Dilemmas verringern. Wirtschaftliche Instabilität und Ungleichheit sind zwei gute Beispiele, denn beide können nicht eliminiert, doch gleichwohl, wie wir gesehen haben, reduziert werden.
10 Den Sprung wagen – Struktur und Merkmale des Erfolgs
Die wirtschaftlichen Institutionen, Maßnahmen und Praktiken, die man für eine reibungslose Globalisierung benötigt, stehen zur Verfügung. Schwieriger ist es, die erforderlichen geistigen Haltungen in die richtigen sozialen Strukturen einzubauen. Jedes gesellschaftliche und wirtschaftliche System verlangt eine Reihe passender Haltungen, um erfolgreich zu sein. Das antike Ägypten hatte den höchsten Lebensstandard aller damaligen Länder und besaß die größte Wirtschaft der Welt. Die Elite hatte lesen und schreiben gelernt. Man konnte Botschaften verschicken und Aufzeichnungen führen. Es war die erste Gesellschaft, die ein Bewässerungssystem aufbaute. Ägypten hatte die erforderliche soziale Organisation, um die Kanäle nicht nur zu bauen und instand zu halten, sondern auch das durch sie hindurchfließende Wasser zu verteilen. Für die Ägypter bestand Kühnheit darin, Bauprojekte in Angriff zu nehmen, deren Resultate sich in den Himmel erhoben (die Pyramiden) oder tief in der Erde vergraben waren (das Tal der Könige). Solche Projekte waren nie zuvor durchgeführt worden, und es sollte Tausende von Jahren dauern, bis man etwas von ähnlichen Dimensionen erneut unternahm. Ägypten war keine Demokratie, sondern es wurde von einem Pharao beherrscht. Um herrschen zu können, brauchte er Anhänger, die an die Kontinuität und Weisheit des Pharaos glaubten, selbst wenn er nicht weise war. Im Rückblick können heutige Menschen die Haltungen, die den ägyptischen Erfolg hervorbrachten, wahrscheinlich nicht einmal verstehen. Man stelle sich einen Glauben an das Jenseits vor, der so stark war, dass er die Errichtung der für Tausende von Jahren größten Gebäude der Welt bewirkte: der Pyramiden, die für die Ewigkeit ge-
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plant, doch für einen einzigen Mann nach dessen Tod gebaut worden waren. Man stelle sich den Aufwand in Form von Arbeitsstunden vor. Heutige Menschen würden Aufruhr und Revolutionen anzetteln, wenn man ihnen derartige wirtschaftliche Opfer abverlangte. Passende Haltungen, soziale Organisation und Kultur verhalfen Ägypten zum Erfolg, während der größte Teil der Welt noch von analphabetischen Jägern und Sammlern bevölkert wurde. Spätere Erfolgsgeschichten wie die des antiken Griechenland oder des antiken Rom weisen Parallelen auf. Jedes dieser Reiche war zu seiner Zeit der Wirtschaftsführer der Welt, weil es neue Technologien erworben hatte und fähig war, sie zu neuen Produktionssystemen zu organisieren. Man stelle sich die Stadien vor, die überall im Römischen Reich für Gladiatorenspiele entstanden. An einem einzigen Tag wurden im römischen Kolosseum Tausende von Menschen und Tieren hingemetzelt. Dies ist nicht vergleichbar mit modernen Autorennen, bei denen die Zuschauer von der Möglichkeit eines Unfalls fasziniert sind. In Rom war eine Militärkarriere Voraussetzung für den wirtschaftlichen und politischen Erfolg. Der Aufbau und die Verteidigung des römischen Militärreichs verlangten den Nahkampf gegen den Feind, das heißt eine individuelle Bereitschaft zum Sterben, und eine Bevölkerung, die den Tod nicht für abscheulich hielt. Die Gladiatorenspiele waren nötig, um für die richtige Einstellung zu sorgen. Das britische Empire wurde durch die erste industrielle Revolution ermöglicht. Als industrielle Pioniermacht hatte Großbritannien das Vermögen, ein Reich zu erobern, und die Technologie für eine Flotte, um es zu verteidigen. Die Überzeugungen und Einstellungen der Bürger – die soziale Organisation des Landes – schufen ein typisch britisches Reich. Nichts daran hatte Ähnlichkeit mit dem zuvor größten Imperium der Welt, dem Römischen Reich. Die beiden wurden nicht auf die gleiche Weise geschaffen oder aufrechterhalten. Das eine war ein zusammenhängender Block, das andere um den Globus verstreut. Das eine beharrte darauf, dass jeder an der römischen Kultur teilhatte, das andere ermutigte die unterworfenen Völker nicht, die britische Kultur zu übernehmen. Die Einstellungen hinter dem britischen Empire unterschieden sich stark von jenen des Römischen Reiches. Sie gestatteten den Briten, Vorteile aus der ersten industriellen Revolution zu schlagen.
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Heutzutage könnte niemand eine erfolgreiche Gesellschaft nach dem ägyptischen, römischen oder britischen Vorbild organisieren. Die Technologien haben sich geändert, aber in erster Linie sind es radikal neue menschliche Einstellungen, die eine Rückkehr in die ruhmreiche Vergangenheit verhindern. Diejenigen, die den Kapitalismus behandeln, als sei er eine Religion und kein von Menschenhand geschaffenes Wirtschaftssystem, sprechen gern vom kapitalistischen Bedarf an Risikoträgern. Ihrer Meinung nach verhilft die individuelle Risikobereitschaft dem Kapitalismus zum Erfolg und rechtfertigt, was noch wichtiger ist, die sehr hohen Einkommen führender Kapitalisten. Dabei vergessen sie, dass auch jeder Verbrecher ein Risikoträger ist. Nach objektiven Maßstäben gibt es mehr individuelle Risikoträger in armen als in reichen Ländern. Afghanistan oder Somalia sind voll von Individuen, die ihr Leben für fast nichts aufs Spiel setzen würden. Während ich als junger Mann im Untertagebergbau arbeitete, begegnete ich vielen Personen, welche die gefährlichsten Aufgaben ohne zusätzliche Bezahlung übernahmen. Dadurch wurden sie in ihren eigenen Augen und in denen ihrer Freunde zu »Machos«. Sein Leben aufs Spiel zu setzen galt als begrüßenswert, nicht als etwas, das man vermeiden sollte. Doch die Bergwerke wurden nicht durch die Risikobereitschaft dieser Männer produktiv. Eher verringerte sich die Produktivität dadurch, dass man die von den Risikoträgern angerichtete Unordnung beseitigen musste (wenn sie zum Beispiel zu viele Dynamitstangen in ein Loch gesteckt oder unnötige Sprengungen ausgelöst hatten). Individuen, die Risiken auf sich nehmen wollen, sind nicht das Geheimnis des Kapitalismus. Viel näher kommt man der Wahrheit, wenn man die Organisation einer Reihe produktiver Risiken betrachtet, unter denen die Menschen wählen können, und einer Reihe unproduktiver Risiken, unter denen sie nicht wählen dürfen. In produktiven Gesellschaften müssen Individuen zum Lernen bereit sein, doch niemand lernt lesen und schreiben als isolierter Risikoträger. Individuen müssen unterrichtet werden; die soziale Organisation bringt qualifizierte Menschen hervor. Gesellschaften, in denen jeder gut ausgebildet ist, sind viel produktiver als die, in denen nur ein paar Personen eine hochwertige Ausbildung haben. Meine Ausbildung macht sich für mich bezahlt,
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wenn du den gleichen Werdegang hinter dir hast. Das Ganze ist viel mehr als die Summe der Teile. In produktiven Wirtschaften darf niemand unausgebildet bleiben. Das ist kein zulässiges Risiko. Individuen müssen mutig sein. Aber was das heißt, ändert sich je nach Zeit, Ort und verfügbaren Technologien. Die erste industrielle Revolution benötigte technologische Bastler (Watt, Bessemer, Arkwright), die mutig genug und willens waren, mit neuen Apparaten herumzuspielen, um mechanische Geräte mit neuen Energiequellen zu verbinden. Mut ist jedoch nicht nur ein individuelles Merkmal. Für den Erfolg war zudem eine englische Gesellschaft notwendig, die den Mut hatte, in unerprobte Technologien zu investieren. Diese brachten dann die Textilien, die Eisenbahnen und die Stahlindustrie hervor, die England zum Pionier machten. In der zweiten industriellen Revolution mussten Gesellschaften bereit sein, sich für die allgemeine Schulpflicht zu engagieren und auf der Grundlage der Hochschulwissenschaft Investitionen in Forschung und Entwicklung zu tätigen. Die allgemeine, kostenlose Schulpflicht war ein mutiges Unterfangen. Nach diesem Vorbild werden Gesellschaften – nicht Individuen – entscheiden müssen, ob sie bereit sind, sich der dritten industriellen Revolution und der Globalisierung anzuschließen. Geografische wie technologische Forschungsreisen müssen gesellschaftlich organisiert werden. Sozialkapital und soziale Fähigkeiten sind die wesentlichen Voraussetzungen. Wenn die Ägypter mit den Pyramiden mutig in den Raum vorstießen und mit dem Tal der Könige mutig zum Erdmittelpunkt vordrangen, was sind dann die entsprechenden Gelegenheiten des 21. Jahrhunderts? Und werden wir als Individuen und Gesellschaften kühn genug sein, sie zu nutzen? Es gibt zwei Lackmustests, um herauszufinden, ob wir mutig genug sein werden, den Sprung in die Globalisierung und in die dritte industrielle Revolution zu wagen. Der erste Test wird von der Biotechnologie geliefert. Wir leben technologisch gesehen im Jahrhundert der Biologie. Die Fähigkeit, unsere eigene Genstruktur zu ändern, wird in Zukunft als wichtigster technologischer Fortschritt der gesamten Menschheitsgeschichte anerkannt werden. Wie wir gehört haben, hat Biotechnologie nicht nur mit neuen Medikamenten, neuen Lebensmit-
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teln oder neuen Tieren zu tun. Vielmehr geht es dabei auch um neue Materialien, neue Formen des Computerwesens und neue Aktivitäten, die wir uns heute nicht einmal ausmalen können. Für den Erfolg wird man sowohl Individuen als auch Gesellschaften benötigen, die mutig genug sind, die moderne Biotechnologie zu erforschen. Religiöse Menschen, die glauben, Gott habe das Leben in all seinen Erscheinungsformen geschaffen, werden hinnehmen müssen, dass die dritte industrielle Revolution Gesellschaften benötigt, die bereit sind, »Gott zu spielen«. In gewisser Weise gründen sich alle Naturwissenschaften darauf, dass man lernt, Gott nachzueifern. Die Entwicklung der Wasserstoffbombe beruhte darauf, dass Gottes Energiequelle, nämlich die Sonne, angezapft wurde. Sämtliche Arzneimittel setzen voraus, dass sich die Menschen in Gottes Pläne für Leben und Tod einmischen. Schließlich war er es, der Bazillen und Krankheiten schuf. Aber irgendetwas an der Veränderung unserer eigenen Genstruktur erweckt den Eindruck, dass die Biologie der Nachahmung Gottes viel näher kommt. Etliche Religionen teilen uns mit, wir seien nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, doch nun werden Menschen dieses Bild umgestalten. Selbst diejenigen von uns, die nicht religiös sind, möchten an ihre Einzigartigkeit glauben. Deshalb lässt das Klonen so viele Ängste aufkommen. Ein zweites Ich könnte hergestellt werden. Die Biotechnologie bedroht mein Gefühl, einzigartig zu sein. Ich will nicht, dass man eine mit mir identische Person anfertigt. Aber wenn ich eine Organtransplantation benötige, möchte ich, dass die moderne Biologie mithilfe transgener Schweine eine Niere für mich klont, die von meinen Antikörpern nicht abgestoßen wird. Ich möchte nicht sterben, weil das Klonen nicht zugelassen wurde. Schizophrenie herrscht vor. Die Gegner genetisch veränderter Nahrungsmittel glauben nicht wirklich, dass die versehentliche Züchtung von Superunkraut das Hauptproblem sei. Tief im Unterbewusstsein glauben sie, obwohl sie nicht religiös sind, dass wir Dinge verändern, ohne das moralische Recht dazu zu haben. Das Hauptproblem ist nicht die Gefahr, sondern das »Gottspielen«. Da diese Menschen jedoch nicht religiös sind, können sie ihren wahren Einwänden nicht offen Ausdruck verleihen. Die Antworten auf die von der modernen Biologie aufgeworfenen Fragen sind nicht in den Zehn Geboten zu finden. Man braucht Mut,
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um die ethischen Prinzipien für eine neue Welt zu entdecken, die in unseren alten religiösen Texten noch nicht erdacht werden konnte. Theoretisch könnte man einige Teile der dritten industriellen Revolution erforschen und andere (die Globalisierung) zurückweisen. Doch in Wirklichkeit hat man keine Möglichkeit, wählerisch zu sein. Wer die ökonomische Globalisierung nicht erforscht, wird sich auch der Biotechnologie nicht widmen. Wer die Biotechnologie nicht erforscht, wird die wissenschaftliche Globalisierung außer Acht lassen. Der zweite Test für diejenigen, die den Sprung in eine wissensgestützte Wirtschaft wagen wollen, dreht sich um die angemessene Rolle von Männern und Frauen. Man könnte historische Gründe dafür anführen, wie die Männer es schafften, die Frauen zu dominieren und in allen Gesellschaften einen überwältigenden Anteil der entscheidungsmächtigen Positionen zu erringen. Es gibt Mythen über Amazonengesellschaften, doch sie haben nie existiert. Männer sind körperlich kräftiger als Frauen, und physische Stärke war in der Vergangenheit stets wesentlich für den wirtschaftlichen Erfolg. In Jäger- und Sammlergesellschaften waren die Männer mit der Jagd und die Frauen mit dem Sammeln betraut. Das Letztere könnte mehr zum Familieneinkommen beigetragen haben (wirtschaftliche Untersuchungen scheinen dies zu bestätigen), doch wegen der realen Gefahren, welche die Jagd mit sich bringt, wurde das Prestige den Jägern zuteil. In sesshaften Agrargesellschaften wirkten sich Kriege entscheidend auf den wirtschaftlichen Erfolg aus, da man mehr Nahrungsmittel produzieren konnte, wenn man mehr Land besaß. Der in der Kriegführung übliche Nahkampf setzte physische Kraft voraus. Die Verlierer der Kriege wurden zu Sklaven der Gewinner. Auch in den Industriegesellschaften herrschten noch Arbeitsplätze vor, für die man Kraft benötigte. Der Kohlenbergbau, der die Energie für das System lieferte, bildete den Kern der ersten industriellen Revolution, und Millionen von Männern waren in diesem Gewerbe beschäftigt. Noch heute spielen sie eine dominierende Rolle in den Branchen (Kohlenbergbau, Öl- und Gasförderung, Stromerzeugung), die Energie produzieren. Da all unsere Religionen unter Bedingungen entstanden, in denen Frauen einen niedrigeren ökonomischen Rang einnahmen, ist es kein
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Wunder, dass diese Tatsache auch eine religiöse Ausdrucksform fand. Frauen sitzen auf den weniger wichtigen Plätzen (hinten oder oben) und dürfen nicht den Posten des Rabbiners, des christlichen, hinduistischen oder buddhistischen Priesters oder des Mullahs bekleiden. Dieser Sachverhalt wird gewöhnlich damit verteidigt, dass Frauen keinen geringeren, sondern nur einen anderen Platz innehätten. Aber das ist Sophisterei der schlimmsten Art. Religionsführer bekleiden extreme Machtpositionen, denn sie diktieren anderen, was im Namen Gottes zu tun sei. Jeder, der von dieser Rolle ausgeschlossen ist, übt in der jeweiligen Religion oder Gesellschaft einen sekundären Einfluss aus. Es ist eine Rolle, die Frauen vorenthalten wurde (und häufig noch vorenthalten wird). In einer wissensgestützten Ökonomie sind Arbeitsplätze, die mehr Körperkraft als die einer normalen Frau erfordern, dünn gesät. Man kann Tests durchführen, in denen große Lasten Feuerleitern hinaufgeschleppt werden müssen, weshalb Frauen nicht für die Feuerwehr arbeiten dürfen, aber in Wirklichkeit braucht man solche Lasten im Einsatz nie zu tragen. Außerdem verlangt die Feuerwehr nicht, dass Männer den Test jeden Monat bestehen, um zu beweisen, dass sie noch gut in Form sind und nicht entlassen werden müssen. Im Krieg gibt es wahrscheinlich noch ein paar Aufgaben, die physische Kraft erfordern, doch sie sind für den Sieg nicht entscheidend. Kriege werden von der Armee mit den besten Wissensarbeitern gewonnen. In modernen Streitkräften können Frauen die meisten wichtigen Aufgaben übernehmen. Ein Pilot in einem sehr teuren Kampfflugzeug kann mühelos von einer unbemannten Drohne besiegt werden, die von einem Computerschirm aus ferngesteuert wird. Ein junger israelischer Freund von mir meint, dass eine Frau zu den besten Piloten in seinem Geschwader gehört. Wie auch immer, die Eroberung von Land und Bodenschätzen ist nicht mehr ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg. Es mag der Erwähnung wert sein, dass der Sport das einzige Gebiet ist, auf dem männliche Kraft noch eine überragende Rolle spielt. Da dies im wirklichen Leben nicht mehr der Fall ist, erfindet die Gesellschaft entsprechende Spiele. Doch der Mann, der das Siegtor erzielt, ist nicht mit dem Mann zu vergleichen, der einen Bison erlegt hat, sodass
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die Familie den Winter überleben kann. Der eine ist ein künstlicher und der andere ein wirklicher Held. Die Hälfte des potenziellen menschlichen Wissens ist in weiblichen Köpfen gespeichert. Die Gesellschaften, die dieses potenzielle Wissen nutzen, werden den anderen wirtschaftlich davoneilen. Damit potenzielle zu realen Ideen werden, muss man Frauen Gleichberechtigung in der Ausbildung und im Wirtschaftsleben einräumen. Ein Land, das diese beiden Aspekte vernachlässigt, wird hinter den führenden Staaten zurückbleiben. Amerika ist nicht das perfekte Vorbild für die uneingeschränkte Nutzung weiblicher Fähigkeiten, aber kein Land wird den amerikanischen Lebensstandard erreichen, wenn es seine weibliche Begabung nicht wenigstens genauso gut einsetzt. Frauen stellen 47 Prozent der amerikanischen Arbeitskräfte und beziehen ein Drittel des amerikanischen Gesamtlohns. Mehr als die Hälfte der Studenten an den medizinischen Fakultäten der USA sind Frauen, und bald werden sie mehr als die Hälfte des Ärztepersonals ausmachen. Die Vereinigten Staaten beharren nicht auf Gleichberechtigung für Frauen in anderen Staaten, da große Teile des amerikanischen Establishments (etwa die katholische Kirche und die Southern Baptists) immer noch keine weiblichen Geistlichen akzeptieren. Deshalb haben die USA das UN-Abkommen gegen Frauendiskriminierung nicht unterzeichnet. Und deshalb protestieren sie nicht in der Weise gegen Länder, die Frauen diskriminieren, wie früher gegen solche, die Schwarze diskriminierten. Einer der Gründe dafür, dass die Japaner sich nie für ihr entsetzliches Verhalten während des Zweiten Weltkriegs (beispielsweise in China) entschuldigt haben, ist der, dass der Kaiser nach dem Krieg nicht bestraft wurde. Wenn er keine Schuld auf sich geladen hatte, konnten auch die Durchschnittsjapaner nicht schuldig sein, denn er war ihr höchster Führer. Heutzutage spielen die Religionen eine ähnliche Rolle den Frauen gegenüber. Weist die organisierte Religion ihnen einen geringeren Rang zu, dann ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jede andere Institution das Gleiche tut. Schließlich dienen die Kirchen als moralisches Vorbild. Meiner Ansicht nach sollten Länder, die Frauen keine Gleichberech-
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tigung gewähren, von den Amerikanern genauso behandelt werden wie Südafrika, als es Apartheid praktizierte. Die Tatsache, dass diese Länder ihre Diskriminierung religiös begründen, ist irrelevant. Schließlich gab es auch einige Kirchen, die Schwarze aus religiösen Gründen niedriger einstuften. Wir können andere nicht zwingen, ihre Überzeugungen zu ändern, aber wir können offiziell gegen diese Überzeugungen protestieren. Selbstbewusstsein ist entscheidend für den Erfolg der Globalisierung. Die Mutigen sehen sie als Gelegenheit: Meine Kultur wird bereichert, meine Erfahrungen werden erweitert und meine wirtschaftlichen Umstände verbessert. Die Furchtsamen sehen die Globalisierung als Gefahr: Meine Kultur wird absterben, die neuen Erfahrungen werden mir nicht gefallen, und die Globalisierung wird unzweifelhaft wirtschaftliche Verluste mit sich bringen. Die Vorteile mögen viel größer sein, aber ich konzentriere mich einzig und allein auf die Nachteile. Die Globalisierung benötigt Individuen, die den Mut haben, in einer Umgebung aktiv zu werden, in der sie nicht aufgewachsen sind und in der sie sich von Natur aus nicht wohl fühlen. Aber sie benötigt auch Gesellschaften, die mutig genug sind, Individuen von unterschiedlicher Herkunft aufzunehmen und in eine neue, noch nicht spezifizierte Kultur zu integrieren. Sich auf ethnische und nationale Vielfalt einzustellen wird zu einer wirtschaftlichen Notwendigkeit, ganz davon abgesehen, dass es moralisch wünschenswert ist. Zuwanderer sind keine Gefahr, sondern sie bieten eine Chance. In einer Globalwirtschaft werde ich mit anderen leben und zusammenwirken müssen, unabhängig davon, ob sie in mein Land ziehen oder nicht. Jene Individuen und Gesellschaften, die selbstbewusst genug sind, die von der dritten industriellen Revolution geforderten Änderungen zu akzeptieren und an ihren Grundwerten festzuhalten – selbst wenn diese sich wandeln –, werden letzten Endes die Oberhand gewinnen, denn die dritte industrielle Revolution und die aus ihr hervorgehende Globalisierung können auf keinen Fall gestoppt werden. Manche werden es versuchen, aber sie werden sich auf dem Globus, nicht jedoch in der globalen Wirtschaft befinden. Wer sich entscheidet, nicht mitzuwirken, wird ökonomisch zurückfallen. Solche Länder und Menschen werden in einer industriellen Welt der Nationalstaaten bleiben, wäh-
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rend sich alle anderen in einer globalen, wissensgestützten Wirtschaft bewegen werden. Sie werden sich jenen anschließen, die nicht an der Dampfkraft- und der Elektrifizierungsrevolution teilnahmen und allmählich relativ arm wurden. In allen Gesellschaften, die über lange Zeit hinweg erfolgreich waren, wusste man, wann ein Wandel angezeigt war. Wir stellen uns vor, das antike Rom oder das antike Ägypten seien stets erfolgreich gewesen, aber in Wirklichkeit war ihre Geschichte von Höhen und Tiefen geprägt. Es kam zu Rückschlägen, doch sie führten keineswegs zur Auflösung. In Ägypten waren die Zeiträume zwischen alten und neuen Reichen durch Besatzung und Ausländerherrschaft gekennzeichnet. Auch Rom verlor die eine oder andere Schlacht. Aber beide Imperien überdauerten Tausende beziehungsweise Hunderte von Jahren, weil sie Rückschläge und Änderungen hinnehmen konnten, ohne zusammenzubrechen. Und wie sehr sie sich auch änderten, sie blieben für ihre Bürger immer noch das mächtige Ägypten und das kaiserliche Rom. Beide gingen erst unter, als sie die Fähigkeit verloren, sich den wechselnden Umständen anzupassen. Sieger setzen sich vor die Welle, damit sie auf ihrem wirtschaftlichen Surfbrett zum Erfolg steuern können. Sie sind nicht immer die Ersten, die aktiv werden, denn die Ersten handeln oft übereilt. Aber sie beobachten die Ersten sehr aufmerksam, um zu erfahren, auf welcher Welle sie reiten sollten. Die perfekte Welle der heutigen Zeit wird von der globalen, wissensgestützten Ökonomie geschaffen, welche die nationalen Industriewirtschaften der beiden vergangenen Jahrhunderte ersetzt. Wer mutig genug ist, kann auf dieser Welle reiten. Alles, was auf geografischen Reisen entdeckt werden kann, ist bereits gefunden worden, doch wer weiß, welche aufregenden neuen Kontinente durch die Technologien der dritten industriellen Revolution aufzuspüren sind? Wie die früheren Forschungsreisenden, die Kompasse und Schiffe besaßen, haben wir heute alle erforderlichen Geräte, um in ganz neue, unbekannte Gebiete vorzudringen. Wer den Sprung wagt, mag zuweilen scheitern, aber wer ihn nicht wagt, scheitert immer. Das Glück gehört dem Tüchtigen.
Anmerkungen
Die Zukunft der Weltwirtschaft 1 Brian Knowlton, »A Rising Anti-American Tide«, in: International Herald Tribune, 5. Dezember 2002, S. 1. 2 Robert Kagan, Macht und Ohnmacht, Siedler (Berlin: 2003). 3 Technisch gesehen hat die Welt eher ein Bruttoprodukt als ein Bruttoinlandsprodukt (BIP), da der Begriff »inländisch« nur im Kontext von Volkswirtschaften sinnvoll ist. 4 Guy de Jonquieres, »Companies ›Bigger‹ than Many Nations«, in: Financial Times, 13. August 2002, S. 3. 5 »Operations of US Multinational Companies«, in: Survey of Current Business, Bureau of Economic Analysis, März 2002, S. 24, und Dezember 2002, S. 115. 6 »Measuring Globalization«, in: Foreign Policy, Januar/Februar 2003, S. 69. 7 Atlas of the 20th Century, Hammond (London: 1996), S. 18 f.; »World Maps«, in: Atlas of the World, Oxford University Press (New York: 2002), S. 4 f. 8 »Table 1.1 Gross Domestic Product«, in: Survey of Current Business, Bureau of Economic Analysis, 31. Juli 2002; Managing the Crisis: the FDIC and RTIC Experience 1980 –1994, FDIC (Washington, D.C.: 1997); History of the Eighties: Lesson for the Future, FDIC (Washington, D.C.: 1997), S. 39. 9 James Glanz, »In Collapsing Towers, a Cascade of Failures«, in: New York Times, 11. November 2001, B-1, B-11; »Wounded Buildings Offer Survival Lessons«, in: New York Times, 4. Dezember 2001; James Glanz und Michael Moss, »Poor Fireproofing Played Role in Collapse of Towers«, in: International Herald Tribune, 14. Dezember 2001, S. 3; Jim Dwyer, »Firefighters Piece Together What Went Wrong Sept. 11«, in: International Herald Tribune, 1. Februar 2002, S. 2; James Glanz und Eric Lipton, »Towers Withstood Impact But Fell to Fire, Report Says«, in: New York Times, 29. März 2002, S. 1; James Glanz, »Study of Sept 11 Collapse Ends Mostly in Questions«, in: New York Times, 1. Mai 2002, S. C18. 10 David Leonhardt, »The Long Boom’s Ugly Side«, in: New York Times, 12. Mai 2002, S. 1. 11 Natalie Angier, »The Urge to Punish Cheats: It Isn’t Merely Vengeance«, in: New York Times, 22. Januar 2002, S. F1.
Anmerkungen
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Drei gleichzeitige Revolutionen 1 Angus Maddison, Dynamic Forces in Capitalist Development: a Long-Run Comparative View, Oxford University Press (Oxford, New York: 1991). 2 Rudi Dornbush, Keys to Prosperity, MIT Press (Cambridge: 2000), S. 4 (zitiert nach Angus Maddison). 3 Global Economic Integration: Opportunities and Challenges, Symposium, gesponsert von der Federal Reserve Bank of Kansas City, Jackson Hole, Wyoming, 24.– 26. August 2000. 4 David S. Landis, The Wealth and Poverty of Nations: Why Some Are so Rich and Some so Poor, WW Norton (New York: 1998). 5 Nicholas Crafts, »Forging Ahead and Falling Behind«, in: The Journal of Economic Perspectives, Frühjahr 1998, S. 200. 6 International Monetary Fund, International Financial Statistics Yearbook 2001 (Washington: 2001). 7 Zu einer gründlicheren Erörterung der Auswirkungen einer wissensgestützten Ökonomie siehe Lester C. Thurow, Die Reichtums-Pyramide, Metropolitan Verlag (Düsseldorf, Regensburg: 1999). 8 »Waiting for Organ Transplants«, in: US Today, 22. Januar 2003, S. 1. 9 Richard Lewontin, »Genes in the Food!«, in: New York Review of Books, 21. Juni 2001, S. 81. 10 »Soft as Silk, Strong as Steel«, in: The Economist, 16. März 2002, S. 10. 11 Anahad O’Connor, »Altered Tomato Thrives in Salty Soil«, in: New York Times, 14. August 2001, S. D3. 12 Kenneth Chang, »Scientists Shrink Computing to Molecular Level«, in: New York Times, 25. Oktober 2002, S. PA–18. 13 Nami M. Abe, »Fuel Cells Ready for Prime Time«, in: Nikkei Weekly, 14. Oktober 2002, S. 1. 14 Mark Sagoff, »Genetic Engineering and the Concept of the Natural«, in: Philosophy & Public Policy Quarterly, Frühjahr/Sommer 2001. 15 Richard Lewontin, a. a. O. 16 Ibid., S. 83. 17 »Seeds of Uncertainty«, in: The Economist, 9. Februar 2002, S. 70. 18 »Biotechnology: Saving the World in Comfort«, in: The Economist, 29. März 2003, S. 14. 19 »Genetically Modified Crops«, in: The Economist, 19. Januar 2002, S. 98. 20 »A New Kind of Solidarity«, in: The Economist, 16. November 2002, S. 10. 21 John Schmidt, »Recession Looms in Germany«, in: International Herald Tribune, 22. November 2001, S. 1 und 4. 22 Thomas Paul D’Aquino und David Stewart-Patterson, Northern Edge, Stoddart (Toronto: 2001), S. 179. 23 John Vinocur, »Fortuyn Dared to Touch Hot Topic«, in: International Herald Tribune, 10. Mai 2002, S. 1. 24 »Globalism and the World’s Poor«, in: The American Prospect, Winter 2002, S. A– 15. 25 A. T. Kearney, »Measuring Globalization«, in: Foreign Policy, Januar/Februar 2001, S. 56. 26 The Economist, 8. Dezember 2001, S. 87. 27 A. T. Kearney, a. a. O., S. 60.
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Instabilität und Ungleichheit 1 Charles P. Kindleberger, Manien – Paniken – Crashs: die Geschichte der Finanzkrisen dieser Welt, Neuauflage, Börsenmedien (Kulmbach: 2001), Anhang B. 2 Mark Hulbert, »Is It Free Fall, or Just a Blip«, in: New York Times, 21. April 2002, S. BU 7. 3 »Comparing Three Markets – Nasdaq, NYSE and Amex«, in: The Nasdaq Stock Market, Inc., http://www.marketdata.nasdaq.com/asp/Sec1Summary.asp 4 Doug Henton, Kim Walesh, Liz Brown et al., »2002 Index of Silicon Valley«, in: Joint Venture: Silicon Valley Network (2002), S. 4. 5 »Do You Sincerely Want to Go Crazy?«, in: The Economist, 19. Januar 2002, S. 75. 6 Saul Hansell, »Online Sales Fall Short of Hopes«, in: The New York Times, 17. Januar 2001, S. 3. 7 Bob Tedeschi, »E-tail Welcomes Ho-Hum Season«, in: International Herald Tribune, 26. November 2001, S. 11. 8 Martha McNeil Hamilton, »Some Online Yuletide Cheer for Traditional Stores«, in: International Herald Tribune, 5. Dezember 2000, S. 19. 9 Geraldine Fabrikant, »A Dwindling Few in Search of Value«, in: New York Times, 18. Juni 2000, S. 7. 10 FT.com, 14. August 2002, S. 1. 11 Danny Hakim, »Now That the Thrill Is Gone, Investors Turn Back to Basics«, in: New York Times, 30. Oktober 2000, S. 1. 12 William Hanley, »Hot Stock«, in: Financial Post, 11. Dezember 1999. 13 The Guardian, 13. März 2000. 14 Time Magazine, 25. Oktober 1999. 15 Sunday Times, 9. Januar 2000. 16 The Independent, 19. Februar 2000. 17 Warren Buffett, To the Shareholders of Berkshire Hathaway, 1. März 2000. 18 Paul Krugman, »For Richer«, in: New York Times Magazine, 20. Oktober 2002, S. 64. 19 Barbara Hagenbaugh, »Nation’s Wealth Disparity Widens«, in: USA Today, 23. Januar 2003, S. 1. 20 »Forbes World’s Richest People 2002«, in: Forbes.com, http://www.forbes.com 21 Lawrence Mishel, Jared Bernstein und Heather Boushey, The State of Working America, Cornel University Press (Ithaca: 2003), S. 167. 22 Daniel Altman, »Blunt Portrait Drawn of the US Work Force in 2020«, in: New York Times, 30. August 2002, S. C4. 23 Thomas Piketty und Emmanuel Saez, »Income Inequality in the United States 1913–1998«, in: The Quarterly Journal of Economics, Februar 2003, S. 1. 24 Council of Economic Advisers, Economic Report of the President, Government Printing Office, Washington, D. C., Februar 1999, S. 357. 25 U.S. Department of Commerce, Economics and Statistics Administration, U.S. Census Bureau, Statistical Abstract of the United States: 2001 (Washington, D. C.: 2001), S. 802 ff.; The World Bank, »2001 World Development Indicators CD-ROM«. CIA, »The World Factbook 2001«, http://www.cia.gov/cia/ publications/factbook/ 26 U.S. Department of Commerce, Economics and Statistics Administration, U.S. Census Bureau, Statistical Abstract of the United States: 1980 (Washington, D. C.: 1980), S. 421; Ibid., Statistical Abstract of the United States: 1974 (Washington, D.
Anmerkungen
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28 29 30
31 32 33 34
335
C.: 1974), S. 347; The Bank of Japan, Statistics Department, Economic Statistic of Japan: 1980, S. 285 ff.; Euromonitor Publications Ltd., European Marketing Data and Statistics 1972 (London), S. 144. U.S. Department of Commerce, Economics and Statistics Administration, U.S. Census Bureau, The Big Payoff: Educational Attainment and Synthetic Estimates of Work-Life Earnings, Juli 2002, S. 3. Thomas Crampton, »As China Rises, Some Ask: Will it Stumble?«, in: International Herald Tribune, 18. Dezember 2001, S. 1. »Adult Illiteracy«, in: The Economist, 24. November 2001, S. 106. Bureau of Labor Statistics, »Job Creation and Destruction within Washington and Baltimore«, Monthly Labor Review Online, September 2001, www.bls.gov/opub/ mlr/2001/09/art3exc.htm Richard Lewontin, »Genes in the Food!«, in: New York Review of Books, 21. Juni 2001, S. 84. »Employment Costs«, in: The Economist, 16. November 2002, S. 102. Dani Rodrik, Grenzen der Globalisierung: Ökonomische Integration und soziale Desintegration, Campus Verlag (Frankfurt/New York: 2000). Peter Kilborn, »Global Economy Taking Toll on Small Towns«, in: New York Times, 16. Februar 2002, S. 1.
Die Stimmen der Globalisierungsgegner 1 »Meanwhile in Another World«, in: The Economist, 9. Februar 2002, S. 32. 2 George Gray und David Ropeik, »What, Me Worry?«, in: Boston Globe, 11. November 2001, S. E8. 3 Nicholas D. Kristof, »What Does and Doesn’t Fuel Terrorism«, in: International Herald Tribune, 8. Mai 2002, S. 8. 4 Tony Judt, »America’s Restive Partners«, in: New York Times, 28. April 2002, S. wk15. 5 Niall Ferguson, »2011«, in: New York Times Magazine, 2. Dezember 2001, S. 76. 6 Karl Marx, Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie, Neuauflage, Kröner (Stuttgart: 1957). 7 »Globalism and the World’s Poor«, in: The American Prospect, Winter 2002. 8 Steven Erlanger, »European Right Taps into Fears of an EU ›Invisible Invasion‹«, in: International Herald Tribune, 6. Mai 2002, S. 5; Tony Judt, a. a. O. 9 Jane Perlez, »Australians Fear Their Idyll Will Be Upset by the Boatload«, in: International Herald Tribune, 10. Mai 2002, S. 2. 10 U.S. INS (Immigration and Naturalization Services), »Report on H1-B Petitions. Annual Report Fiscal Year 2000« (Washington: 2000), S. 3, http://www.ins.gov/ graphics/services/employerinfo/FY2000R.pdf 11 »Outward Bound«, in: The Economist, 28. September 2002, S. 24. 12 Gregory Rodriguez, »The Overwhelming Allure of English«, in: New York Times, 7. April 2002, S. 3. 13 »Outward Bound«, a. a. O. 14 Amy Chua, World on Fire: How Exporting Free Market Democracy Breeds Ethnic Hatred and Global Instability, Doubleday (New York: 2003). 15 »The Wasps Did It«, in: Foreign Policy, Januar/Februar 2002, S. 14. 16 »Living with a Superpower«, in: The Economist, 4. Januar 2003, S. 19.
336
Die Zukunft der Weltwirtschaft
17 Council of Economic Advisers, Economic Report of the President, Government Printing Office, Washington, D.C., Februar 1999, S. 366. 18 Brian Knowlton, »A Rising Anti-American Tide«, in: International Herald Tribune, 5. Dezember 2002, S. 1. 19 Donald NcNeil jun., »Not Only in America: Gun Killings Shake the Europeans«, in: New York Times, 11. Mai 2002, S. A3. 20 Edward Rothstein, »Damning (Yet Desiring) Mickey and the Big Mac«, in: New York Times, 2. März 2002, S. A17. 21 Alexander Stille, »Globalization and Cinema«, in: Correspondence: An International Review of Culture and Society, Herbst/Sommer 2001, S. 1. 22 Philippe Burrin, La France à l’heure allemande: 1940–1944, Ed. Du Seuil (Paris: 1997). 23 Philip H. Gordon, »Liberté! Fraternité! Anxiety!«, in: Financial Times, 19. Januar 2002, S. 10. 24 Adam Pasick, »Philips Shuns New Anti-Piracy CDs«, in: International Herald Tribune, 19. Januar 2002, S. 11. 25 Tyler Cowen und Eric Crampton, »Uncommon Culture«, in: Foreign Policy, Juli/August 2001, S. 28. 26 A. T. Kearney, »Measuring Globalization«, in: Foreign Policy, Januar/ Februar 2001, S. 56. 27 Susan Dominus, »Shabana Is Late for School«, in: New York Times Magazine, 29. September 2002, S. 40. 28 Carlotta Gall, »Long in Dark, Afghan Women Say to Read Is Finally to See«, in: New York Times, 22. September 2002, S. 1. 29 »Sudan War Zone Leaves Its Print; Aid Worker Sees Grace Amid Death«, in: The Washington Times, 21. März 2002. 30 Stanley Hoffmann, »Why Don’t They Like Us?«, in: The American Prospect, 19. November 2001, S. 18.
Gesucht: Chief Knowledge Officer 1 »A Survey of Japan«, in: The Economist, 20. April 2002, Special Section, S. 1. 2 »Health and Living Standards – Japan«, in: Euromonitor, http://www.euromonitor.com 3 Ashling O’Connor, »Online Piracy Plagues Music Industry«, in: Financial Times, 13. Juni 2001, S. 8. 4 Matt Richtel, »Music Services Aren’t Napster But the Industry Still Cries Foul«, in: New York Times, 14. April 2002, S. C1; Steve Morse, »Burned«, in: Boston Globe, 21. April 2002, S. L1; »World Music Sales«, in: The Economist, 4. Mai 2002, S. 106. 5 Brent Schlender, »All You Need Is Love, 50 Billion Dollars, and Killer Software Code-Named Longhorn«, in: Fortune Magazine, 8. Juli 2002, S. 56–68. 6 James Dao und Andrew C. Revkin, »A Revolution in Warfare«, in: New York Times, 16. April 2002, S. D1. 7 Eric Schmitt und James Dao, »Use of Precise Airstrikes Comes of Age in Afghanistan Missions«, in: New York Times, 24. Dezember 2001, S. B3. 8 »A New Breed of Soldier«, in: Newsweek, 10. Dezember 2001, S. 16. 9 Andrew C. Revkin, »High-Tech U.S. Sensors Can Find Quida Hideouts«, in: International Herald Tribune, 22. November 2001, S. 4.
Anmerkungen
337
10 Stephen Filder, »A Superpower Displays Its Fighting Caliber«, in: Financial Times, 9. Dezember 2001, S. 6. 11 »A Survey of the Defense Industriy Transformed«, in: The Economist, 20. Juli 2002, S. 3 f. 12 »KPMG Auto Industry Research: Summary of Research Findings«, in: Applied Research & Consulting LLC., Januar 2000, S. 6, http://www.kpmg.co.uk/kpmg/ uk/image/industry%20_research.pdf 13 David Johnston, »US Toolmaker’s Shareholders Approve ›Move‹ to Bermuda«, in: International Herald Tribune, 10. Mai 2002, S. 14. 14 Wie von der brasilianischen und der israelischen Presse gemeldet, als der Autor diese Länder besuchte. 15 Ian Fisher und Norimitsu Onishi, »Congo’s Struggle May Unleash Broad Strife to Redraw Africa«, in: New York Times, 12. Januar 1999, S. 1. 16 In der entwickelten Welt bewegen sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung zwischen fast 4 Prozent des BIP in Schweden und knapp über 1 Prozent in Spanien, siehe »Research and Development Spending«, in: The Economist, 28. August 1999, S. 85. 17 Bruce Knect, »New Zealand Pays for Policies«, in: Asia Wall Street Journal, 18. März 2002, S. A4. 18 Zwei Stadtstaaten, Singapur und Hongkong, nehmen einen höheren Rang ein, doch Stadtstaaten sind nicht vergleichbar mit Staatsgebilden, die über Landgebiete und eine stark protektionierte Agrarproduktion verfügen. 19 »New Zealand’s Economy«, in: The Economist, 2. Dezember 2000, S. 93. 20 Cisco Systems, Inc., »Acquisition Summary«, http://www.cisco.com/warp/public/ 750/acquisition/summarylist.html 21 Datastream International Limited, »Value of Apple Computer and Microsoft«, Datastream Advance 3.5. 22 Simon Romero und Riva D. Atlas, »Worldcom Files for Bankruptcy; Largest U.S. Case«, in: New York Times, 22. Juli 2002, S. A1. 23 »Companies with over 1 Billion Dollars in Assets« (Meldungen von 2000, 2001 und 2002), http://www.bankruptcydata.com 24 Vanessa Valkin, »McDonald’s to Post Its First Ever Loss«, in: Financial Times, 17. Dezember 2002, S. 15.
Wirkliche Gefahren 1 Samuel Brittan, »The Best Path to Prosperity«, in: Financial Times, 14. Februar 2002, S. 11. 2 James Glans und Eric Lipton, »Burning Diesel Is Cited in Fall of 3rd Tower«, in: New York Times, 2. März 2002, S. 1. 3 Serge Schmemann, »Annan Cautions Business as Forum Ends«, in: New York Times, 5. Februar 2002, S. A14. 4 Sämtliche Angaben entstammen den National Income and Product Accounts, Tabelle 5.1., http://www.bea.doc.gov/bea/dn1.htm 5 Samuel Brittan, »Why World Deflation is Remote«, in: Financial Times, 22. November 2001, S. 15. 6 »Counterfeiting in Asia«, in: The Economist, 10. November 2001, S. 58. 7 Robert Norton, »Economic Hypochondria«, in: Fortune, 27. Mai 2002, S. 42.
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Die Zukunft der Weltwirtschaft
8 Diese Zahlen gelten für das dritte Quartal 2000. 9 US Trade Deficit Review Commission, a. a. O., S. 50. 10 C. Smith, S. Hall und N. Mabey, »Econometric Modeling of International Carbon Tax Regimes«, in: Energy Economics, London Business School, April 1995, S. 133–146. 11 Ibid., S. 55. 12 Robert Norton, a. a. O. 13 »On Intellectual Property«, in: Daedalus, Frühjahr 2002. 14 Ibid. 15 Frances Williams, »Demand for Patents up Almost 25 %«, in: Financial Times, 14. Februar 2001, S. 6. 16 Amy Harmon, »In the ›Idea Wars‹, a Fight to Control a New Currency«, in: The New York Times, 11. November 2001, S. 2. http://web.lexis-nexis.com/universe/ (besucht 5. Juni 2002). 17 »The Right to Good Ideas«, in: The Economist, 23. Juni 2001, S. 21. 18 World Trade Organization, »The Doha Declaration Explained«, www.wto.org/english/tratop_e/dda_e/dohaexplained_e.htm 19 IIPA (International Intellectual Property Alliance), »2201–2002 Estimated Trade Losses Due to Copyright Piracy« und »2000–2001 Estimated Levels of Copyright Piracy«, 14. Februar 2002, A-417, http://www.iipa.com/Paul Meller; »Europe Offers Plan to Fight Counterfeit Goods«, in: New York Times, 31. Januar 2003, S. W1. 20 »Vietnam Trade Pact Already Boosting Trade – US Official«, in: The Wall Street Journal Online, 7. Mai 2002. 21 »The Right to Good Ideas«, in: The Economist, 23. Juni 2001, S. 21. 22 »Counterfeiting in Asia«, in: The Economist, 10. November 2001, S. 58. 23 Devin Leonard, »This Is War«, in: Fortune, 27. Mai 2002, S. 83. 24 A. R. Lakshmanan, »China Losing Its Campaign against Piracy«, in: Boston Globe, 26. Mai 2002, S. E1; Devin Leonard, a. a. O. 25 »AIDS’ Unhappy Anniversary«, in: The Economist, 1. Dezember 2001, S. 76. John Donnelly, »World’s AIDS Crisis Worsening Report Says«, in: Boston Globe, 16. Juni 2002, S. 1. 26 Henri I. Cauvin, »HIV Survey in South Africa Suggest Plateau in Infections«, in: New York Times, 11. Juni 2002, S. A11. 27 »The Spectre Stalking the Sub-Sahara«, in: The Economist, 2. Dezember 2000, S. 52. 28 »How to Live with It, not Die of It«, in: The Economist, 11. Mai 2002, S. 12. 29 UN AIDS and World Health Organization, »Global Summary of the HIV/AIDS Epidemic«, Dezember 2001, S. 6. 30 Geoff Dyer, »The Book of Life Has Yet to Transfer to the Bottom Line«, in: Financial Times, 27. November 2001, S. I; Robert Pear, »Research Cost for New Drugs Said to Soar«, in: New York Times, 1. Dezember 2001, S. C1. 31 W. Lesser, »The Effects of Trips-Mandated Intellectual Property Rights on Economic Activities in Developing Countries«, Cornell University, New York, 17. April 2001. 32 David E. Brown, Inventing Modern America: From the Microwave to the Mouse, MIT Press (Cambridge, Mass.: 2002), S. 58.
Anmerkungen
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Erfolg und Misserfolg in der Dritten Welt 1 Asian Development Bank, »Key Indicators of Developing Asian and Pacific Countries«, http://www.adb.org/Documents/Books/Key_Indicators/2001/tap.pdf; World Bank, 2001 World Development Indicators (Washington, D. C.: 2001). 2 Bureau of Economic Analysis, »Table 2.6 Personal Consumption Expenditures by Type of Product«, 2. August 2002, http://www.bea.gov/bea/dn/nipaweb/index.asp 3 James E. Rauch und Vitor Trindade, »Ethnic Chinese Networks in International Trade«, in: The Review of Economics and Statistics, Februar 2002, S. 116. 4 Joel Sobel, »Can We Trust Social Capital«, in: Journal of Economic Literature, März 2002, S. 139. 5 »Adult Illiteracy«, in: The Economist, 24. November 2001, S. 106. 6 James E. Anderson und Douglas Marcouiller, »Insecurity and the Pattern of Trade: An Empirical Investigation«, in: The Review of Economics and Statistics, Mai 2002, S. 342; Shang-Jin Wei und Andrei Schleifer, »Local Corruption and Global Capital Flows«, in: Brookings Papers on Economic Activity, Nr. 2, 1. Januar 2000, S. 321–326. 7 »Transparency International Corruptions Perception Index 2002«, www. transparency.org/pressreleases_archive/2002/dnld/cpi2002.pressrelease.en.pdf 8 »Hostage, Inc.«, in: Foreign Policy, Juli/August 2002, S. 27–30. 9 Raymond Bonner, »US Links Indonesian Troops to Deaths of Two Americans«, in: New York Times, 30. Januar 2003, S. A3. 10 Lester C. Thurow, Kopf an Kopf: Wer siegt im Wirtschaftskrieg zwischen Europa, Japan und den USA?, Econ Verlag (Düsseldorf: 1993); Bradford De Long, »Productivity Growth Convergence, and Welfare«, in: American Economic Review, Dezember 1988, S. 140 f.; Robert Summers und Alan Heston, »The Penn World Table (Mark 5): An Expanded Set of International Comparisons, 1950–1988«, in: The Quarterly Journal of Economics, Mai 1991, S. 351–354. Natürlich gibt es ein paar kleine, dünn bevölkerte Nichtindustrieländer, die durch Öl reich geworden sind. 11 Edwin O. Reischauer, Japan: The Story of a Nation, Knopf (New York: 1998). Im Jahr 1830 waren Männer in Japan so gut qualifiziert wie in Großbritannien, und Frauen hatten sogar eine bessere Ausbildung als ihre britischen Pendants. 12 International Monetary Fund, International Financial Statistics Yearbook 2001 (Washington: 2001), S. 360. 13 US Department of Commerce, Long-Term Economic Growth, Government Printing Office (Washington: 1973), S. 212. Während Bauern saisonal täglich viele Stunden arbeiten, leisten sie in kalten Klimazonen relativ wenige Arbeitsstunden pro Jahr. Im Winter oder im Sommer, wenn die Pflanzen wachsen, gibt es wenig zu tun. In wärmeren Ländern bringen Bauern es auf viel mehr Arbeitsstunden pro Jahr, weil die Pflanzen ganzjährig wachsen und unterschiedliche Saat- und Erntezeiten haben. Deshalb wächst die Zahl der Arbeitsstunden dort nicht im selben Maße, wenn jemand aus der Landwirtschaft in die Industrie überwechselt. 14 Nicholas Crafts, »Forging Ahead and Falling Behind«, in: The Journal of Economic Perspectives, Frühjahr 1998, S. 200. 15 Raymond Vernon, Exploring the Global Economy, University Press (Cambridge: 1985). 16 Ezra Vogel, Japan as Number One, Harvard University Press (Cambridge: 1979). 17 Ronald Dore, Taking Japan Seriously, Athlone Press (London: 1987). 18 Lester C. Thurow, a. a. O., Kapitel 4.
340
Die Zukunft der Weltwirtschaft
19 Edoardo Amaldi, »The First 17 Solvay Conferences in Physics (1911–1978)«, Istituto di Fisica Guglielmo Marconi, Università degli Studi di Roma. 20 National Science Board, Science & Engineering Indicators, 1996, Government Printing Office (Washington: 1996), S. 3.25. 21 Michael L. Dertouzos (Hrsg.), Die Krise der USA, Keip (Frankfurt am Main: 1990). 22 International Monetary Fund, International Financial Statistics Yearbook 2001 (Washington: 2001), S. 602 und 1028. 23 National Science Board, a. a. O. 24 »Still Reluctant«, in: The Economist, 18. Mai 2002, S. 25. 25 »FDI Inflows«, in: The Economist, 17. August 2002, S. 24. 26 World Bank, »FDI and Indicators of Financial Market Development, Selected Countries«, in: World Development Indicators 2001, a. a. O. 27 »Globalization and Its Critics«, in: The Economist, 29. September 2001, Special Section, S. 3 und 6. 28 »Indonesia Country Report«, in: The Economist Intelligence Unit (London: 2002), S. 37. 29 Jacques Morisset und Olivier Lumenga Neso, »Administrative Barriers to Foreign Investment in Developing Countries«, World Bank Working Papers, Mai 2002, S. 11. 30 Ibid., S. 13. 31 World Bank, 2001 World Development Indicators, a. a. O. CIA; »The World Factbook 2001«, http://www.cia.gov 32 Richard McGregor und Sumathi Bala, »Asian Tigers Fear Last Supper Thanks to Ravenous China«, in: Financial Times, 12. Juni 2002, S. 22. 33 James Brooke, »Seoul Feels the March of Chinese Capitalism«, in: International Herald Tribune, 9. Januar 2003, S. 10. 34 China Statistics Press, China Statistical Yearbook (Beijing: 2001), S. 59. 35 Ning Zhou, Yunshi Want und Lester Thurow, »The PRC’s Real Economic Rate of Growth«, zurzeit von American Economic Review zur Veröffentlichung geprüft. 36 Ian Cheng, »Survivors Who Laughed All the Way to the Bank«, in: Financial Times, 31. Juli 2002, S. 8. 37 U.S. Department of Commerce, Economics and Statistics Administration, U.S. Census Bureau, Statistical Abstract of the United States: 2001 (Washington, D.C.: 2002), S. 802 ff. 38 Jeffrey G. Williamson und Kevin H. O’Rourke, Globalization and History, MIT Press (Cambridge, Mass.: 2000), S. 17; »Employment in SOE – Urban Percentage«, in: China Statistical Yearbook, China Statistics Press (Beijing: 2001), S. 107. 39 Chi-Chu Tschang, »China Production Rises as Spending Takes Hold«, in: International Herald Tribune, 16. Januar 2003, S. B1. 40 »Economy«, in: The Economist, 30. November 2002, S. 98. 41 Man nehme noch Taiwan (160 Milliarden Dollar) hinzu, und die drei verfügen zusammen über fast ein Viertel der Weltreserven. Vielleicht geht dies auf den alten chinesischen Brauch zurück, Gold im Boden zu vergraben. 42 Chi-Chu Tschang, a. a. O. 43 Thomas Crampton, »As China Rises, Some Ask: Will It Stumble?«, in: International Herald Tribune, 18. Dezember 2001, S. 1. 44 »Income Gap Wider as China Reforms«, in: New York Times, 22. Juli 2002, Section B6. 45 »FDI Flows among Emerging Countries 2000«, in: The Economist, 18. Mai 2002, S. 25.
Anmerkungen
341
46 »Emerging-Market Indicators«, in: The Economist, 13. Juli 2002, S. 90. 47 Carlos Lozada, »Economic Growth Is Reducing Global Poverty«, in: The NBER Digest, Oktober 2002, S. 5. 48 Andy Kamarck, »Why Africa Has Lagged« (Text einer E-Mail von Andy Kamarck,
[email protected], an Studenten vom 1. Juni 2002). 49 Laura D’Andrea Tyson, »It’s Time to Step up the Global War on Poverty«, in: Business Week, 3. Dezember 2001, S. 14. 50 Daniel Altman, »Diagnosis of the World’s Health Focuses on Economic Benefit«, in: New York Times, 21. Dezember 2001, S. W1. 51 »The Health of Nations«, in: The Economist, 22. Dezember 2001, S. 83. 52 William Easterly, »The Cartel of Good Intentions: The Aid Cartel’s Golden Oldies«, in: Foreign Policy, Juli/August 2002, S. 42. 53 Michael Peel, »Nigeria Struggles to Shake off Economic Legacy of Years of Military Misrule«, in: Financial Times, 31. Januar 2003, S. 4. 54 Warwich J. McKibbin und Dominick Salvatore, »The Global Economic Consequences of the Uruguay Round«, in: Brookings Discussion Papers No. 110, Februar 1995, S. 3; David Buchan, »GATT Deal May Enrich World by $270 Billion«, in: Financial Times, 10. November 1993, S. 7. 55 Oxfam Policy Papers, »A Genuine Development Agenda for the Doha Round of the WTO Negotiations«, http://www.oxfam.org.uk/what_we_do/issues/trade/wto_ doha.htm 56 Clifford Krauss, »Argentina’s New Chapter in an Epic of Frustration«, in: New York Times, 22. Dezember 2001, S. A8. 57 Jorge Nef, »The Argentinean Crisis of 2001–2002: Analysis and Implications«, Vorlesung am Moravian College, Bethlehem, Pennsylvania, März 2002. 58 Richard Lapper, »Private Forecasts over Argentina Grow Gloomier«, in: Financial Times, 19. Juli 2002, S. 3. 59 Benjamin M. Friedman, »Globalization: Stiglitz’s Case«, in: The New York Review, 15. August 2002, S. 48 ff. 60 »Doubts inside the Barricades«, in: The Economist, 28. September 2002. 61 Michael Massing, »Challenging the Growth Gurus«, in: New York Times, 19. Oktober 2002, S. A–19. 62 Joseph E. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, Siedler (Berlin: 2002). 63 Anne O. Krueger, A New Approach To Sovereign Debt Restructuring, International Monetary Fund, Washington, D.C., April 2002. 64 World Bank, 2001 World Development Indicators, a. a. O. 65 Word Bank, Global Development Finance (Country Table) 2002 (Washington, D. C.: 2002). 66 »Per Capita GDP Change in Asian Tigers«, in: Milken Institute Review, 3. Quartal 2002, S. 91. 67 World Bank, World Development Indicators (1990–1999) (Washington, D. C.: 1999); The Economist Intelligence Unit, Country Report (2000–2001) (London: 2001).
Die Dynamik der Ersten Welt 1 Yumiko Suzuki, »Real Estate Market«, in: The Nikkei Weekly, 22. April 2002, S. 3.
342
Die Zukunft der Weltwirtschaft
2 »A Survey of Japan«, in: The Economist, 20. April 2002, Special Section, S. 5. 3 »Economic Forecasts Still Gloomy«, in: The Nikkei Weekly, 24. Februar 2003, S. 2. 4 »Capitalism and Its Troubles«, in: The Economist, 18. Mai 2002, Special Section. 5 »Fortune Global Five Hundred«, in: Fortune Magazine, 22. Juli 2002, S. 144 ff. und F-1-F-3; »An Uncertain Giant«, in: The Economist, 7. Dezember 2002, S. 9. 6 Ken Belson, »Record Loss Is Foreseen by Japanese Bank«, in: New York Times, 22. Januar 2003, S. W1. 7 Howard French, »Japan Anxiously Looks Ahead«, in: New York Times, 11. August 2002, S. 5. 8 »Country Report Japan«, in: The Economist Intelligence Unit (London: 2002). Siehe auch The Economist, 20. April 2002. 9 »Table 1.1 Gross Domestic Product«, in: Survey of Current Business, Bureau of Economic Analysis (Washington, D. C.: 1997), http://www.bea.gov/bea/pub/ 1297bjGuide.htm; Managing the Crisis: the FDIC and RTIC Experience 1980– 1994, FDIC (Washington, D.C.: 1997). History of the Eighties – Lesson for the Future, FDIC (Washington, D. C.: 1997), S. 39. 10 Gavin Buckley, »A Banking Crisis: Reformers Do Not Reform. Blame Is Difficult«, in: Milken Institute Review, 3. Quartal 2002, S. 29. 11 David E. Rosenbaum, »The Savings Debacle: A Special Report. A Financial Disaster With Many Culprits«, in: New York Times, 6. Juni 1990, S. 1. 12 Keith Bradsher, »Hong Kong Reducing Benefits and Wages«, in: New York Times, 26. Februar 2003, S. A7. 13 Ken Belson, a. a. O. 14 »Fortune Global Five Hundred«, a. a. O. 15 Stephen L. Slavin, Macroeconomics, Fifth Edition, Irwin McGraw-Hill (Boston: 1999), S. 13. 16 Commodore International Ltd, www.thocp.net 17 Alan Beattie, »How the Reputation of the ›Maestro‹ Crumbled«, in: Financial Times, 26. September 2002, S. 11. 18 Ibid. 19 Derek DeCloet, »Enron’s Reports Contained Sings of Rot Early Last Year: Ontario Pension Manager Sold in First Half of 2001«, in: The Financial Post, 26. März 2002, S. IN3. 20 Daniel Altman, »How Citigroup Hedged Bets on Enron«, in: New York Times, 8. Februar 2002, S. C1. 21 Patrick McGeehan, »2 Early Enron Lenders Didn’t See the End Coming«, in: New York Times, 22. Januar 2002, S. C1. 22 Scott Nelson, »As Price Fell, Funds Bought Enron Stock«, in: Boston Globe, 2. Februar 2002, S. C1. 23 Peter J. Howe, »Fiber Optic Cost $70B More than Necessary«, in: Boston Globe, 11. März 2002, S. C1. 24 Barnaby J. Feder, »New Math Turns Fiber Glut into Strategic Inventory«, in: International Herald Tribune, 26. November 2001, S. 10. 25 »3G Licence Winners Revealed«, in: Communications World, 5. Mai 2000. 26 Dianne See Morrison, »Germany Gets Greedy with 3Gs«, in: Red Herring, 21. August 2000, http://www.redherring.com/Article.aspx?f=articles%2farchive%2finsider %2f2000% 2f0821%2ftech-madness082100.xml 27 »Dicing with Debt«, in: The Economist, 29. Januar 2002, S. 22. 28 »Cramming Them in«, in: The Economist, 11. Mai 2002, S. 34. 29 »Will There Be a Double Dip?«, in: The Economist, 10. August 2002, S. 58.
Anmerkungen
343
30 Alan Beattie, »After the Binge«, in: Financial Times, 31. Oktober 2002, S. 11. 31 »Going through the Roof«, in: The Economist, 30. März 2002, S. 59. 32 David Barbosa, »Ex-Executives Say Sham Deal Helped Enron«, in: New York Times, 8. August 2002, S. A1, C12. 33 John Cassidy, Dot.Com: The Greatest Story Ever Sold, Harper Collins (New York: 2002). 34 Richard Water, »Pressure Forces Ebbers to Leave WorldCom«, in: Financial Times, 1. Mai 2002, S. 1. 35 Associated Press Newswires, 6. September 2002, Internet-Website. 36 »Face Value a Helluva Problem«, in: The Economist, 21. September 2002, S. 66. 37 Ian Cheng, »Survivors Who Laughed all the Way to the Bank«, in: Financial Times, 31. Juli 2002, S. 8. 38 »European Growth Forecast Slashed«, in: International Herald Tribune, 14. Dezember 2001, S. 13. 39 Tony Major, »ECB Slashes Prediction for 2002 Growth in Eurozone«, in: Financial Times, 14. Dezember 2001, S. 9. 40 »Stockmarkets in America and Europe: Stop this Dream«, in: The Economist, 20. Juli 2002, S. 63 f. 41 Floyd Norris, »A Bad Quarter for US Markets Was Worse in Other Countries«, in: New York Times, 1. Oktober 2002, S. C1. 42 »Long-Term Unemployment«, in: The Economist, 3. August 2002, S. 80. 43 »Government Budget Balances«, in: The Economist, 12. Oktober 2002, S. 97. 44 Gutachten des Sachverständigenrats: »Für Stetigkeit – gegen Aktionismus«, in: Jahresgutachten 2001/2002, Deutscher Bundestag (Bonn: 2002). 45 Gutachten des Sachverständigenrats: »20 Punkte für Beschäftigung und Wachstum«, in: Jahresgutachten 2002/2003, Deutscher Bundestag (Bonn: 2003), 1. Kapitel. 46 David Leonhard, »A Sinking Feeling at the Register«, in: New York Times, 19. Januar 2003, Section 3, S. 10. 47 Ibid.; »Hiring in Nation Hits Worst Slump in Nearly 20 Years«, in: New York Times, 6. Februar 2003, S. 1. 48 Francis X. Clines, »Painful Choices for States Facing Wider Budget Cuts«, in: New York Times, 8. Februar 2002, S. A17.
Die Globalisierung umgestalten 1 George Gray und David Ropeik, »What, Me Worry?« in: Boston Globe, 11. November 2001, S. E8. 2 US Census Bureau, »No. 1092. Motor Vehicle Accidents – Number and Deaths: 1980 to 1999«, in: Statistical Abstract of the United States: 2001 (Washington, D. C.: 2001), S. 684. 3 Ibid. 4 »Remember Fiscal Policy«, in: The Economist, 19. Januar 2002, S. 64. 5 Anthony J. Sinskey, »Economic Perspective on Drug Discovery and the New Biology«, MIT Program on the Pharmaceutical Industry, Vortrag beim 5th Annual Symposium for Japanese Industry.
Register
Adelphi 156 Afghanistan 113, 324 Aga Khan 208 Ägypten –, Analphabeten 202 –, antikes 322–323, 331 – als Nährboden für Terrorismus 96 AIDS 192–195, 196, 317 Airbus 136 Alcoa 123 Algerien, Milizen 110 Allen, Paul 288 Allgemeine Gleichgewichtsanalyse 125, 127 Amazon 64, 153 Anaconda 161 Analphabetismus 75–76, 145, 202 Annan, Kofi 116 Anthrax 195 Antiamerikanismus 105–114 Apple 135, 151 Arbeitsintensive Produktion 91 Arbeitslosenversicherung 80 Argentinien, Wirtschaftskrise 58, 97, 164, 241–242 Arkwright, Sir Richard 325 Arthur Anderson 156 Arthur D. Little 156 AT&T 210 Ausbildung 54, 77, 80, 99, 123, 207, 217, 232, 324 Autoindustrie 134 Bell Labs 210 Berlusconi, Silvio 101 Bermuda 137
Bessemer, Sir Henry 325 Bethlehem Steel 156 Bevölkerungswachstum 199–203 Bildung(ssystem, -swesen) 54, 77, 79–80, 145, 199, 232, 236, 306–307 Biotechnologie 37, 38, 42, 43, 187, 188, 191, 318, 325–327 Bismarck, Otto von 80 Blocher, Christoph 101 Bloomingdales 66 BMW 138 Bocksprungmodell der Wirtschaftsentwicklung 210 Boeing 123, 136 Bond-Rating-Agenturen 278–279 Börsenkrach 61, 63, 156, 164, 277–279, 283, 296 Botswana 193 Brasilien 198–199 –, Wirtschaftskrise 58, 164, 242 Brennstoffzellen 39, 92 Bruttoinlandsprodukt (BIP) 82, 83 –, global 15–18, 19, 34, 233 –, national 19, 55 Buffett, Warren 64–65, 288 Bundesbank 290 Burlington 156 Bush, George W. 120, 173, 182, 184, 285, 296 Camp David 119 Carnegie, Andrew 201 Cassidy, John 286 Cayman Islands 139 Chambers, John 274 Chang, Morris 103
Register Charter Semiconductor 148 Chiang Kai Chek 146 Chief Executive Officer (CEO) 129, 130, 131, 155, 158, 161 Chief Financial Officer (CFO) 129, 130, 132 Chief Knowledge Officer (CKO) 123, 129–162 –, nationaler 132–144 –, Unternehmens- 150–162 Chief Technical Officer 130 China –, Ablösung vom Kommunismus 31 –, Agrarproduktion 221, 224 –, Bevölkerungswachstum 232 –, Bruttoinlandsprodukt 17 –, Dienstleistungsbereich 221–222 –, Einkommensentwicklung 75,227 –, geistiges Eigentum 190 – und globale Einkommensgleichheit 47 –, Handelsüberschüsse 176, 226–227 –, Infrastrukturprobleme 226 –, Joint Ventures 228, 232 –, Pro-Kopf-Einkommen 220–221, 223 –, Sprung in die globale Ökonomie 46 –, staatseigene Betriebe 224–225, 232 –, technischer Niedergang 29 – in der Welthandelsorganisation (WTO) 230–231 –, wirtschaftliche Entwicklung 198, 213, 218, 219–233, 249–251 Chiquita 156 Chow Yun Fat 108 Chrysler 19, 60, 123, 134, 174, 276 Chua, Amy 104 Churchill, Winston 80 Cisco Systems 150, 274 Citibank 261 Citicorp 279 Cluster-Patente 153–154 Coca-Cola 102 COMECON 51 Commodore Computer 276 Compaq 158–159 Computertechnik 36, 37 Cooper Industries 137 Copyright 188 »Cowboy-Kapitalismus« 96
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Crossair 157, 158 Crowe, Russell 108 Cruz, Penelope 108 Da Gama, Vasco 32 Daimler-Benz 19, 134, 174, 276 Dampfmaschine 34, 35, 45, 78, 98, 185 Davis, Gray 29 Deflation 254, 268–272, 291–292, 319– 320 Dell Computer 153, 158, 250 Demokratie 71, 79, 81–82 – und ethnische Konflikte 104 Deregulierung 55, 85, 149 Destruktive Tests 163 Deutschland –, Bruttoinlandsprodukt 46, 47 –, erste industrielle Revolution 34 –, Faktorpreisausgleich 73–74 –, Sachverständigenrat 291 Dienstleistungssektor 76, 85 Digital Equipment 123 Direktinvestitionen, ausländische 46, 73, 75, 148, 214–215, 216, 236, 250, 301, 309 DoCoMo 257 Doha-Handelsrunde 189, 196, 239, 240, 311–312, 316, 317 Dollarkurs 166–177, 178, 179, 184, 295, 320 – und Arbeitsplätze 170 Dotcoms 63, 64, 65, 277 Double-Dip-Rezession 282–284, 292, 295 Drake, Sir Francis 44 Dritte industrielle Revolution 31, 36–45, 46, 49, 70, 77, 83, 257, 272, 301, 325–327, 330, 331 Dritte Welt 46, 73, 76, 77, 82, 83, 90, 198–252 –, Finanzkrisen 57, 58, 241, 307–308 – und Globalisierung 306–309, 311 – und Kommunismus 51 –, Wirtschaftskrisen 164 Eastman, George 201 Eastman Kodak 123 Ecuador 202
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Die Zukunft der Weltwirtschaft
Edison, Thomas 201 Eigentum(srechte) –, geistige 53, 97, 154, 164, 184–192, 194, 195–197, 240, 316–319 –, physische 185 Einkommensungleichheit (siehe auch Bruttoinlandsprodukt) 46–47, 66–71, 74, 78 – im Dienstleistungssektor 76 – und Globalisierung 81 – und Qualifikation 75–77, 80 – und Sozialsysteme 76, 84–85 –,wachsende 68, 71, 73, 75, 76, 84, 89 Elektrifizierung 34, 35, 45, 208 Elfter September 95, 96, 97, 165 Enron 156, 225, 279, 284, 285 Entwicklungsländer 16–18, 75, 92 Erste industrielle Revolution 34, 45, 78, 185, 325 Erste Welt 46, 73, 76, 77, 82, 83 E-Tail 63–64 Ethnische Problematik 100–102 Europäische Union 137, 140, 148, 152 –, Bruttoinlandsprodukt 16–18 – und Globalisierung 49 – und militärische Aktivitäten 13 –, Rezession 288–292 –, Stabilitätspakt 291 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 51 Europäische Zentralbank (EZB) 288– 290 Exportgeleitetes Modell der wirtschaftlichen Entwicklung 61, 212, 247–252, 309–311 Exxon 20 Faktorpreisausgleich 72–75, 77 Farnsworth, Filo 197 Federal Aviation Administration 299 Feudalismus69, 78, 97, 98, 185 Fiat 134 Financial Times 286, 287 Finanzkrisen 25, 60, 80, 97, 142, 277– 279, 280 –, Ablauf 58–59 – und Globalisierung 57–66 Finanzskandale 284–288 Finnland
–, Einkommensunterschiede 67–68 –, Wirtschaftsentwicklung 218 Food and Drug Administration (FDA) 43 Ford Motor Company 102, 123, 134, 231, 276 Ford, Henry 201, 276 Fortuyn, Piet 101 Frankreich –, antiamerikanische Ressentiments 110–111, 133 –, Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt 46, 47 Frauen in der Wirtschaft 70, 112–113, 208, 232, 235, 327–330 Fundamentalismus, religiöser 93, 110 Gates, Bill 36, 67, 131, 151, 201 Gateway 158 GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) 50, 189, 239 Gedankenexperimente 163 General Electric 134, 135–136, 157, 160–161, 286 General Motors 123, 134, 152, 201, 276 Generische Medikamente 153 Gentechnik 38, 41–43 Geografische Perspektiven 25 Gesundheitsversorgung 238 Gimbals 66 Global Crossing 156, 287 Globale Gesellschaften – aus (multi)nationalen Konzernen 19– 21, 49 – und nationale Identifizierung 20–21 Globaler Hegemon 116–117 Globale Interventionen und Interessenlagen 118, 119 Globale Kultur 108–112 Globale Lokomotive(n) 254, 297–298, 303 Globale Ökonomie 31, 72, 100, 102, 114, 117, 136 – und nationale Skalenvorteile 140 Globale Optionen 30 Globale Produktivität 15–18 –, Messmethoden 15–18 Globale Regierung 114–120
Register Globalisierung –, Ablehnung 48, 81–82 –, amerikanisches Modell 52, 53 – und ethnische Vermischung 102 – und Finanzkrisen 99, 100 –, Folgen der Ablehnung 48, 89–93, 308–309 –, Forderung nach Beendigung 90–93 –, Infrastruktur 48 –, negative Effekte 11 –, positive Effekte 11, 21, 102 – und technologischer Wandel 19–20 –, Teilnahme an der 46–50 – und Ungleichheit 81–83, 97, 99, 304 Globalisierungsgegner 10, 89–122, 302, 304, 313 –, religiös motivierte 93–96 Globalisierungsindex 48 Goldman Sachs 50, 130, 134 Golfkrieg, erster 166 Greenspan, Alan 139, 277, 278, 283, 290, 291 Griechenland 149 Großbritannien –, erste industrielle Revolution 34, 323 –, British Empire 323 –, Bruttoinlandsprodukt 46, 47 Habgier 61–62, 280 Haider, Jörg 101 Handelsbilanzüberschüsse 248 »harte Landung« 172, 177–178, 181, Herdenmentalität 63, 280 Hewlett–Packard 123, 153, 158 Hitler, Adolf 94 Hochlohnländer 72 Honda 21 Honeywell 134, 135–136 Hongkong 147, 218 Hoover, Edgar 184 Howard, John 101 Hussein, Saddam 14, 120, 133, 316 Hysterese 126 Hyundai 146 IBM 153, 201 Ideologie 50, 94, 95
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Importsubstitutionsmodell 248–249 Indien 48, 52, 193 –, Analphabetismus 76 – und Arzneimittelpatente 190 –, Einkommensanstieg 75 –, Eisenbahnnetz 225 –, Kastensystem 208, 307 Indonesien 193 –, ausländische Investitionen 215 –, IWF in 244–245 –, Wirtschaftskrise 57, 164, 250 Industrieländer –, periphere 15–18 –, zentrale 15–18, 91 Industrielle Ökonomie 31 Infrastruktur –, öffentliche Investitionen in 81, 149, 227, 309, 310 –, physische 53, 141, 208, 215, 280 –, soziale 54, 141, 200 Ingersoll-Rand 137 Intel 19, 102, 138, 151, 152 International Harvestor 161 Internationale Entwicklungsassoziation (IDA) 239 Internationale Institutionen 115–117 Internationaler Währungsfonds (IWF) 10, 115, 118, 139, 171, 183, 239, 242–247, 306–308, 315, 321 Internet 37, 44, 128, 149, 158, 191 – als globale Technologie 19, 121, 140 Internet-Blase 61, 62–63 Internetfirmen 62–64, 277, 278, 281 Irak-Krieg 14, 116–117, 132–133 Iran 121 Irland –, Bildungssystem 148, 215 –, Faktorpreisausgleich 72–73 –, Steuerpolitik 137 –, Wirtschaftsentwicklung 213, 218 Ismailiten 208 Israel –, geistiges Eigentum in 190, 319 –, Standortpolitik 138 Italien –, Bruttoinlandsprodukt 46, 47 –, Währungskrise 164
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Die Zukunft der Weltwirtschaft
Jaguar 134 Japan –, Bruttoinlandsprodukt 16–18 –, Deflation 254, 272 –, erste industrielle Revolution 34, 45 –, Einkommensunterschiede 76 –, Faktorpreisausgleich 73–74 –, Finanzkrise 60, 89–90, 97, 126 –, Forschung und Entwicklung 211 –, Geld- und Steuerpolitik 266–268 – und Globalisierung 13 –, kulturelle Grundlagen der Krise 124– 125, 127 –, Produzentenpreisindex 269 –, Unfähigkeit, die Wirtschaft zu drehen 258–266, 320 –, wirtschaftliche Versäumnisse 52 –, Wirtschaftskrise 60, 255–258 –, Wirtschaftsentwicklung 207, 212– 213, 218 Jobs, Steve 151 Johnson & Johnson 123 Just-in-Time-Management 124 Kalter Krieg 13, 50, 94, 106, 140 Kanada 47 Kapitalbilanz 167, 168 Kapitalflucht 59, 60, 61, 178, 183 Kapitalintensive Produktion 91 Kapitalismus –, globaler 50–51, 100, 300 – löst den Kommunismus/Sozialismus ab 31 – und Mobilität 69 –, Übergangsprobleme 54–56, 187 – und Ungleichheit 66–71, 77–78 – und wirtschaftliche Instabilität 27, 57, 61, 63, 65, 89 – und wirtschaftliche Unsicherheit 69 Kapitalmanagement 130 Kartellrecht 134 Kaufkraftparität (Purchasing Power Parity) 16–18, 198, 211, 212 Kennedy, John F. 239 Keynes, John Maynard 266 Kibbuzim 209 Kidman, Nicole 108 Kinderarbeit 312
Kjaersgaard, Pia 101 K-Mart 156 Kodak 153 Körperschaftsteuern 137, 148 Kolonialismus 23–25 Kolumbus, Christoph 29, 32, 40–41 Kommunikationstechnologien 19, 29, 31, 36, 37, 45, 237 Kommunismus 27, 31, 66 – als Idee 98 – und Lebensstandard 27 –, Untergang des 50–52 – und wirtschaftliche Sicherheit 69 Korea-Krieg 121 Künstliche Materialien 37, 39, 40 Korruption 203–206 Krueger, Anne 171 Landwirtschaft – als Hauptproduzent der Dritten Welt 82 –, Protektionismus 82, 83 –, Subventionierung 82, 83 Lateinamerika –, Bruttoinlandsprodukt 17 –, Wirtschaftskrise 58 Leadership-Manufacturing-Programm 123 Lebensstandard 90, 91, 92, 99, 112, 114, 139, 179, 180, 201 Leistungsbilanz(defizit) 167, 168, 172, 174, 175, 179 Le Pen, Jean-Marie 101 Lewontin, Richard 41 LG 146 Lieferketten 52, 170, 183 Lieferkettenmanagement 52, 153, 276 Lieferkettenwirtschaft 228 Lincoln, Abraham 201 Liquiditätsfalle 266 LL Bean 217 Long-Term Capital Management 50, 139 Louisiana-Blase 57 L-Rezession 275 Ludditen 67 Luxemburg 18, 211 Magellan, Fernando 32
Register Makroökonomische Maßnahmen 80 Malaria 193–195 Malaysia –, Wirtschaftsentwicklung 213, 218 –, Wirtschaftskrise 57, 250 Mao Zedong 226, 316 Markennamen 152, 185, 186, 216, 240 »Marktbeherrschende Minderheiten« 104 Marshall-Plan 237 Marx, Karl 79, 89, 97–98, 123 McDonald’s 111, 159–160 McNamara, Robert 239 Mehrwertsteuer 78–88, 137, 301, 305 Mercedes-Benz 19, 134, 138, 174 Merrill Lynch 285 Mexiko 164, 215 Microsoft 19, 67, 131, 134–135, 151, 276 Migration 101–103, 107–108, 120–121, 139, 237–238, 313 Mikroelektronik 36, 269 Miniaturisierung 37 MIT (Massachusetts Institute of Technology) 43, 123, 130, 152 Mizuho Bank 257 Monroe-Doktrin 23 Morgan, John Pierpoint 201 Motivation 208–209, 221–222 Motorola 123 MP3 128 MTV 109 Mugabe, Robert 104 Musikbranche 128–129 Nabors Industries 137 NAFTA (North American Free Trade Association) 115 Napster 128 Nationalstaat 15 National Transportation Safety Board 299 NATO (North Atlantic Treaty Organization) 13, 116 Networking-Effekte 135 Neuseeland 144–145 Newton, Sir Isaac 58 Niedriglohnländer 72
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Nissan 134 Nokia 21, 68 Nordkorea 13 OECD Organization for Economic Cooperation and Development) 85, 145, 240 O’Neill. Paul 246–247 OPEC-Erdölschock 142, 275 Optimismus 63, 280 Originalhersteller (OEMs) 216 Ovid 32 Paraguay, Wirtschaftskrise 58, 164 Patente 152–154, 185, 186, 188, 193, 197, 240, 318 Peugeot 134 Philippinen, Wirtschaftskrise 57–58, 250 Picket-Patente 153, 154 Polaroid 123, 152, 153, 156, 157 Procter & Gamble 19 Privatisierung 144–145, 149 Produktzyklusmodell der Wirtschaftsentwicklung 210 Profitmaximierung 69, 71–72 Produktionsstätten, Verlegung 107, 137, 138–139, 215 Progressive Einkommensteuern 80 Pro-Kopf-Einkommen 18, 33, 35, 46– 48, 78, 144, 198, 199, 218 Qualifikation – und Arbeitsplätze 102 – und ausländische Investitionen 75 – und Einkommensunterschiede 73–75, 77, 80 RCA (Radio Corporation of America) 197 Regierungen und Globalisierung 9, 21, 22,48–49, 51, 136–144, 301 Renault 134 Resolution Trust 259, 260, 261, 262, 263, 268 Resolution and Collection Corporation 259, 262 Rezession(en) 26, 60, 61, 80, 155–156,
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Die Zukunft der Weltwirtschaft
183, 267, 273–275, 277, 280 281, 293 Robotik 37 Rockefeller, John 201 Rolls-Royce 134 Rom, antikes 323, 331 Roosevelt, Franklin D. 80 Roosevelt, Theodore 201 Rover 134 Rumsfeld, Donald 171 Russland (siehe auch UdSSR) –, Finanzkrise 164 –, Wirtschaftskrise 58 Saab 134 Sabena 158 Samsung 146 Samuelson, Paul 61 SAP 47 Saudi-Arabien 23, 95 Schwarzenegger, Arnold 108 Schweden, Sozialsystem 84 Sears 66 Securities and Exchange Commission (SEC) 285 Shiba, Shoji 124 Simbabwe 104 Singapur 48, 61, 140, 147–148, 213, 218 –, Erziehung 215, 217 Sloan, Alfred 201, 276 Sloan Management School 123 Somalia 324 Sony 157 Soros, George 164 South West 157 Sozialabgaben 85–88, 137, 301, 305 Sozale Fähigkeiten 202, 203 Sozialismus 31, 67, 95, 120, 209 Sozialkapital 201, 202, 231, 235, 236 Sozialsysteme 80, 84–88, 123 – und Arbeitslosigkeit 85 –, Finanzierung 86, 87–88 – und Ungleichheit 76 Sparquoten 207, 232 Spencer, Herbert 66 Standage, Tom 37 Stanley Works 137
Star Alliance 157 Stiglitz, Joseph 245 Subsahara-Afrika –, Agrarprobleme 234 –, Analphabetismus 76 –, Ausbildung 236 –, Bevölkerungswachstum 233, 235 –, ethnische Konflikte 235 –, Infrastrukturprobleme 235 –, Korruption 235 –, Krankheiten 234 –, Nicht-Teilnahme an der Globalisierung 46 –, Pro-Kopf-Einkommen 46, 100, 233, 240 –, wirtschaftlicher Niedergang 233–236 Südafrika 192 Südkorea –, Bildungssystem 217 –, Forschung und Entwicklung 212 –, Wirtschaftsentwicklung 145, 198, 212, 213, 218, 249–250 –, Wirtschaftskrise 58, 164 Südseeblase 57, 58 Swissair 156, 157, 158 Systematische industrielle Forschung und Entwicklung 34, 35 Systemkrisen, Lernen aus 25–30 Taba-Gespräche 119 Taiwan 61, 103, 145, 146, 198, 213, 215, 216, 217, 218 –, Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt 146 Taliban 113 Taylor, Lester 169 Technologische Führerschaft 112, 114, 149 Technologischer Wandel 19, 24, 40, 43, 44, 47, 67, 127, 156, 188 – und Ethik 40 Telegraph 37 Telekommunikation 19, 36, 279–281 Terrorismus 95, 96, 98, 165, 205–206 Thailand –, Wirtschaftsentwicklung 213, 218 –, Wirtschaftskrise 57, 250 Tobin-Steuer 138 Total Quality Management (TQM) 124
Register Toyota 19, 134, 257 Triade (USA, Europa, Japan) 12–13, 289, 311 – und globale Verantwortung 315–316 TRIPS-Abkommen 189 TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation) 103, 147 Tulpenmanie 57, 62 TV und globale Interventionen 118–119 U-Boot- Patente 153 UdSSR 27, 31, 51, 55–56, 106 »Überleben des Tüchtigsten« 66,79 Ultramacht 132–133 UNESCO-Untersuchung kultureller Exporte 112 United Airlines 156 United Technologies 123 Universal Studios 110 Unsicherheit, wirtschaftliche 69, 84, 107 U-Rezession 275 Urheberrechte 128, 152, 185, 186, 189, 190, 240 Uruguay, Wirtschaftskrise 58, 164 US Airlines 156 US Trade Deficit Review Commission 143, 171, 182, 184 Vakzine 194 Van Damme, Jean-Claude 108 Vanderbilt, Cornelius 201 Vereinigte Staaten von Amerika –, Arbeitslosigkeit 73–74, 107, 293–295 –, Börsencrash 61 –, Bruttoinlandsprodukt 16–18, 46, 47, 184 –, Einkommensunterschiede 76 –, erste industrielle Revolution 34 –, Faktorpreisausgleich 73–74 –, Finanzkrise 139, 165 – als Gestalter/Modell der Globalisierung 12–15, 106, 175 – und globale Kultur 108, 313–314 –, Handelsbilanzdefizit 166–184, 295, 320 –, Landwirtschaft 82–83, 142 –, Leistungsbilanzdefizit 167, 168, 172, 174, 175, 179, 181
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–, militärische Macht 12–13, 133, 315– 316 –, Ölimporte 180 –, Produktivität 294–295 –, Rezessionen 164, 273–275, 277 –, Spar- und Kreditkrise 164, 262, 263, 265, 302 –, Sparquote 172–173, 182, 183, 282, 296 –, Steuerpolitik 303 –, Wirtschaftskrise 61 Vereinte Nationen (UN), Sicherheitsrat 14, 115, 116, 122, 315 Vespucci, Amerigo 32 Versorgungsketten, globale 21 Versorgungskettenmanagement 18 Vetternkapitalismus 104, 285 Vietnam 189 Vivendi 110 Volkswagen 134 Volkswirtschaften, Ersetzung durch globale Ökonomie 22, 31, 49 Volvo 134 V-Rezession 275 Wal-Mart 66, 68, 176, 217 Watson, Tom 201 Watt, James 325 Weatherford International 137 »weiche Landung« 172, 177–178, 181, 182 Welch, Jack 286 Weltbank 10, 115, 239, 245, 306, 315 Weltgesundheitsorganisation (WHO) 306 Welthandelsorganisation (WTO) 10, 115, 117, 230–231, 239, 311–313, 315 Weltsozialforum Brasilien 2002 90 Weltwirtschaftsforum Davos 90 Weltwirtschaftskrise 25–26, 27, 57, 59, 60, 65, 71, 89, 164, 201, 266, 272, 277, 285, 319 Wirtschaft, geografische Definition 18– 19 Wissensgestützte Ökonomie(n) 31, 36, 46, 53, 65, 70, 71, 74, 76, 97, 99, 126, 127, 132, 143, 149, 152, 185,
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Die Zukunft der Weltwirtschaft
195, 196–197, 217, 304, 327, 328, 331 –, und Arbeitsqualifikation 74–77, 304 Wissensmanagement 130 Wohlfahrtsstaat 79, 84–88, 89 WorldCom 156, 281, 284, 286 World Trade Center, Anschlag auf das 11, 13, 28, 96
Zentralbank, amerikanische (Federal Reserve Board) 277, 278, 281–282, 283, 290, 296, 303 Zoellick, Robert 171 Zweite industrielle Revolution 34, 45