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Liebe SF‐Freunde! Wie angekündigt, setzen wir heute den Exklusivbericht über das britische SF‐Ereignis des Jahres fort. Lesen Sie bitte, was Thomas Schluck, der auch heuer dabei war, über den britischen Ostercon zu sagen hat: Nun zu den versprochenen ernsten Punkten des Programms. Ein Kreis von Autoren, zu denen Harry Harrison, Brian Stableford und James White gehörten, diskutierte über Inspirationen bei der Arbeit als Science‐Fiction‐Schriftsteller. Dabei kam zum Ausdruck, daß gerade ein Schriftsteiler, der keine geregelte Arbeitszeit hat, in seiner Arbeitsweise besonders diszipliniert sein muß und oft durch Kleinigkeiten angeregt wird. So wurde bei James White eine Szene mit einem Hund im Regen zu einer Story über die Invasion von Hundewesen aus dem All. Sämtliche Autoren lehnten den Gebrauch von Rauschgiften zur Phantasieanregung ab – denn die meisten Ideen, die im ersten Hochgefühl phantastisch aussehen, erweisen sich beim genauen Hinschauen oder bei der Ausarbeitung als leer und sinnlos. Joseph Green der als Publicity‐Mitarbeiter der NASA besondere Verbindungen zu aktuellen technischen Entwicklungen hat sprach über die Wechselwirkung zwischen SF und Weltraumfahrt und unterstrich, wie wichtig literarische Anregungen in der Forschung sein können. Das derzeitige Raumprogramm ist offenbar auf die Entwicklung einer sogenannten „Shuttle‐Rakete“ ausgerichtet, einen Raketenmantel, der zur Beförderung von Gütern in Umlaufbahnen dient und oft wiederverwendet werden soll. So ist möglicherweise der Bau einer größeren Weltraumstation schon in greifbare Nähe gerückt, da inzwischen wohl auch die Nutzlastfaktoren in Relation zu den Treibstoffgewichten eine große Verbesserung erfahren haben. Als nicht zu unterschätzende Folge der Weltraumforschung nannte Green auch den derzeitigen Boom im Taschenrechnergeschäft. Ohne die Miniaturisierung der Weltraumtechnik gäbe es solche leistungsstarken Geräte heute noch nicht zu solch niedrigen Preisen. Ein für mich besonders interessanter Programmpunkt war eine Buchrezensionssitzung, in der kompetente Leute Buchkritiken vortrugen – und zwar im Vergleich zu anderen Büchern, die gleichzeitig besprochen wurden. So wurde man in kurzer Zeit umfassend über Neuerscheinungen informiert. Besprochen wurden u. a. Bücher von Arthur C. Clarke, J. G. Ballard, John Boyce, Ursula LeGuin und Christopher Priest. Harry Harrison sorgte auf seine unnachahmliche Art wieder für eine heitere Note, indem er über seinen ersten und einzigen STAR TREK‐Con in New York berichtete. Wie sicher bekannt, ist in den USA die Fernsehserie ENTERPRISE ein ungleich größerer Erfolg als bei uns (obwohl sie auch hier viele Anhänger hat), wohl nicht wegen der absolut guten Qualität, sondern mehr wegen der Tatsache, daß diese Serie im Vergleich zu anderen, früheren SF‐Produkten besonders hervorstach. Noch Jahre, nachdem das Neu‐Programm eingestellt wurde (zur Zeit wird über einen ENTERPRISE‐Kinofilm mit der alten Besatzung verhandelt), gibt es in den USA ein begeistertes, zum Teil auch organisiertes Fandom, das sich mit allen Aspekten des Programms beschäftigt – und dabei manch seltsame Auswüchse und Blüten treibt – und das unter anderem dazu führt, daß noch heute überall in den USA die etwa 70 ENTERPRISE‐Folgen immer wieder gesendet werden. (Auch in England ist ENTERPRISE schon ‘mehrmals über den Kanal gegangen. Bei uns natürlich auch.) Aber erst die ENTERPRISE‐Kongresse machen das Phänomen besonders deutlich. Sicherlich nicht ohne Blick auf die Kasse organisiert, haben sie in den vergangenen Jahren wahre Menschenmassen angezogen. Zahlen zwischen 7000 und 10.000 Teilnehmer werden genannt – was natürlich auch das Fassungsvermögen der größten amerikanischen Kongreßhotels erreicht. Harry Harrison wurde jedenfalls eingeladen, für ein Honorar und gegen Erstattung der Reisekosten an einem Kongreß im
letzten Jahr teilzunehmen, den man auch ein wenig auf die allgemeine SF abstellen wollte. Und gerade Harry Harrison war in der Lage, das Alptraumhafte dieses Ereignisses lebhaft zu schildern: Ein Oberverkauf von Eintrittskarten führte dazu, daß das New Yorker Hilton wahrhaft überschwemmt wurde. Polizei mußte eingesetzt werden, protestierende Fans verlangten ihr Geld zurück, und angeblich sind zur Zeit noch Prozesse anhängig, um die wahren Hintergründe des Fiaskos aufzudecken. Jedenfalls waren natürlich besonders die Programmpunkte überlaufen, an denen die Schauspieler der ENTERPRISE‐Besatzung teilnahmen – wobei Spock einen besonderen Platz einnahm. Es kam sogar dazu, daß die Programme mehrfach vor verschiedenem Publikum wiederholt werden mußten, das in umständlichen Austauschverfahren in den Saal geschleust wurde. Ein ENTERPRISE‐Alptraum! Sam Moskowiiz aus den USA, ein anerkannter Fachmann für die Geschichte der Science Fiction sprach über vergessene Aspekte des Genres. Eine Autorengruppe diskutierte vor dem Publikum über neue Themen der Science Fiction, die sich abzeichneten. Eine Gedichtsitzung in kleinem Kreise, zahlreiche Parties, ein Quiz (Wann erschien wo wessen Geschichte im X‐Magazin?) rundeten das Programm ab. Auf einen in Manchester gezeigten Film möchte ich an dieser Stelle besonders hinweisen, weil ich das Gefühl habe, daß er vielleicht nicht nach Deutschland kommt. Das Con‐Komitee vermochte sich eine 35‐mm‐Kopie des eben in England angelaufenen Streifens THE MAN WHO FELL TO EARTH besorgen, mit David Bowie in der Hauptrolle, der hier keine Musik machen muß. Die Projektionsanlage in Manchester war miserabel, so daß ich ‘mir den Film anschließend in London ansah. Eine hervorragende Parabel über einen Außerirdischen auf der Erde (David Bowies eckiges Agieren paßte gut zur Rolle), der durch seinen überragenden Intellekt zum Industriemagnaten aufsteigt, um sich ein Raumschiff tür die Rückkehr in seine Heimat bauen zu können. Doch er gerät in die Mühlen der irdischen Maschinerie, die er selbst gebaut hat, und wird schließlich als geisteskrank eingesperrt. In Photographie, Musik und SF‐Atmosphäre sehr gut getroffen; allerdings war die Handlung stellenweise sprunghaft und für ein allgemeines Publikum daher nicht leicht verständlich. Außer dem Con‐Programm gab es die üblichen ständigen Einrichtungen: die Bar (für viele das Wichtigste überhaupt), den Verkaufsraum, einen Aufenthaltsraum für Klubmitglieder und die Art Show, in der Amateur‐ und Profikünstler ihre SF‐ und Fantasywerke ausstellen. Auffallend war die hohe künstlerische Qualität der Arbeiten. Im Anschluß wurden viele Originale an ein interessiertes Publikum versteigert. Auffallend war weiterhin, daß im Gegensatz zu den Cons in den 60er Jahren viele Frauen anwesend waren – und viele Kinder! Mehr und mehr werden solche Cons auch zu Familientreffen, was inzwischen sogar zu der Forderung geführt hat, das Con‐Komitee möge doch eine Kinderkrippe einrichten, damit die Fan‐Mütter Gelegenheit hätten, ungestört am Programm teilzunehmen. Für den Con im nächsten Jahr, – der in einem amerikanisch geführten Kongreßhotel in Leicester stattfinden soll, wurde eine solche Regelung in Aussicht gestellt. Unabhängig vom Rhythmus der jährlichen Cons in England bewirbt man sich für 1979 um die Veranstaltung eines Welt‐SF‐Kongresses. Der letzte Con dieser Art, der in Europa stattfand, wurde 1970 in Heidelberg durchgeführt. „Britain is fine in Seventy‐Nine!“ heißt es denn auch, und das vorbereitende Komitee berichtet, man habe im Kongreßort Brighton (wo die großen Parteikongresse Englands abgehalten werden) bereits grundsätzliche Absprachen getroffen und vorsorglich schon 1200 Betten belegt. Ja, das Fardom schaut weit voraus! Soweit unser TERRA‐Reporter, liebe Freunde! Im Band der nächsten Woche kommt an dieser Stelle unser Autor H. G. Ewers zu Wort. Das sagt Ihnen mit den besten Grüßen Die SF‐ und Fantasy‐Redaktion des PABEL‐VERLAGES Günter M. Schelwokat
Die Zwerge von Garal
von Harvey Patton Printed in Germany July 1975
Die Hauptpersonen des Romans:
John Cork – Kommandant des Raumschiffs ARLENE.
Jens Hagerup, Dr. Anne Young und Carl Morgan – Besatzungsmitglieder der ARLENE.
Nandu, Der Wissende – Sein Rat steht hoch im Kurs.
Regia – Eine Heilerin von Garal.
Ramto – Oberpriester von Garal.
Gernal – Meisterheiler von Garal.
1. Der gewaltige Blitz, der vom Himmel niederfuhr, schien förmlich das Firmament zu spalten. Nandu preßte sich tiefer in die Schlafnische und barg seinen Kopf in den Armen, um den grellen Lichtschein und den fast unmittelbar darauf folgenden schmetternden Donnerschlag von sich abzuhalten. Natürlich umsonst, denn die leere Fensterhöhlung ließ beides ungehindert durch. Nandu zitterte und bebte, denn er hatte eine fast panische Furcht vor Gewittern; und dieses war das schwerste, das er je erlebt hatte. Seit vielen Tagen hatte eine drückende Hitze auf dem Land gelastet und den Aufenthalt im Freien fast unmöglich gemacht. Menschen wie Tiere hatten unter ihr gelitten und es nur im Schatten einigermaßen aushalten können. Die meisten Pflanzen waren verwelkt, die Wasserläufe fast ausgetrocknet, und selbst die tiefen Zisternen gaben nur noch lauwarmes, fast ungenießbares Wasser her. Seit Menschengedenken hatte es keine solche Dürre mehr gegeben. Erst an diesem Morgen hatte sich wieder eine dunkle Wolkenwand vom Gebirge her vor die Sonne geschoben und die Hoffnung auf Regen gebracht. Sofort hatten die Priester ihre Stimmen erhoben und sich das Verdienst daran zugeschrieben, sich und ihren Gebeten und Opfern. Nandu hatte dazu nur müde gelächelt, denn er wußte genau, das nicht sie es waren, denen der kommende Regen zu verdanken war. Wären sie wirklich die Vertrauten der Götter gewesen, wie sie stets behaupteten, hätten diese ihre Gebete weit früher erhören müssen! Doch das war nicht geschehen
– kein Gott hatte Erbarmen gezeigt, und das Volk hatte lange leiden müssen und schwere Verluste an wertvollem Vieh erlitten. Das hatte Nandu einmal mehr in seiner Überzeugung bestärkt, daß die Existenz der Götter nicht mehr als eine bloße Sage war. Zugegeben, es existierte der uralte Palast, dessen Betreten streng verboten war, selbst den Priestern. Nandu war oft in seiner Nähe gewesen und hatte zu dem rätselhaften Gebäude aufgesehen, doch stets vergebens nach irgendwelchen Anzeichen von Leben darin gesucht. Nur Vögel umkreisten diese angebliche Wohnung der Götter und bauten dort ihre Nester – war das einer Residenz von Göttern würdig? Nein! Nandu war alt, vermutlich der älteste lebende Mensch, und wurde von allen nur Der Wissende genannt. Er wußte wirklich weit mehr als das ganze übrige Volk, die Priester eingeschlossen. Viele waren schon zu ihm gekommen, um sich Rat zu holen, und sie waren nur selten enttäuscht worden. Doch auch er durfte es nicht wagen, seine Stimme gegen die Priester zu erheben, so stark seine Zweifel an ihrem Können und ihrer Macht auch waren. Ihren Versprechungen war kaum mehr zu trauen als dem unberechenbaren Wetter, aber das Volk glaubte ihnen doch. „Alles nur Aberglaube!“ murmelte Nandu verbissen vor sich hin. Erneut ließen ihn Blitz und Donner zusammenzucken, aber gleich darauf nahmen seine Ohren ein anderes Geräusch wahr. Die ersten schweren Tropfen fielen – es hatte endlich zu regnen begonnen! Sekunden später stürzte eine wahre Wasserflut vom Himmel herunter, und zugleich ließ die Heftigkeit des Gewitters nach. Aufatmend erhob sich Nandu von seinem Lager, begab sich zum Ausgang und überwand mühevoll die hohen Stufen der Treppe, die ins Freie führte. Gleich darauf stand er vor dem Haus, breitete seine Arme weit aus und ließ den Regen auf sich niederprasseln. Er wurde völlig durchnäßt, doch das war ihm gleich! Für ihn zählte nur die Tatsache, daß das Wasser vom Himmel Menschen, Tieren und Pflanzen die ersehnte Labung brachte, die sie so lange hatten entbehren müssen. Jetzt war alles wieder gut. Das Gewitter zog rasch weiter, doch der Himmel blieb bedeckt, und der Regen fiel nun in ruhigem und gleichmäßigem Strom. Der alte Mann wußte aus Erfahrung, daß er nun mindestens einen ganzen Tag lang anhalten würde, und das war auf jeden Fall genug. Trotz des trüben Dämmerlichts, das nun über dem Land lag, sah Nandu, daß gleich ihm überall die Bewohner der uralten Gebäude ins Freie gekommen waren. Auch sie ließen sich willig vom Regen durchnässen, und am meisten Freude hatten natürlich die Kinder. Sie waren fast alle nackt, stürzten sich förmlich auf die Rinnsale, die sich auf den Straßen gebildet hatten, und wateten begeistert darin herum. Der Wissende sah ihnen lächelnd zu und erinnerte sich an ähnliche Begebenheiten aus seiner fernen Jugend. Doch gleich darauf wurden seine Züge wieder ernst, von tiefer Sorge umschattet. Die Kinder – warum gab es nur noch so wenige davon…? Früher einmal hatte es von Jugend förmlich nur so gewimmelt, aber mit jeder neuen Generation war sie weniger zahlreich gewesen! Alles auf Garal vermehrte sich
normal, alle Tiere und Pflanzen strotzten von Fruchtbarkeit, solange der belebende Regen nicht ausblieb. Die Menschen jedoch waren weit weniger abhängig von ihm – warum verminderte sich dann wohl laufend ihre Zahl, ohne daß es eine erkennbare Ursache dafür gab? Nandu seufzte resigniert, als er wieder einmal bei diesem Gedanken angekommen war. Auch er – Der Wissende – erkannte die Gründe dafür nicht – wie und woher hätte er sie auch kennen sollen… Sein Wissensschatz stützte sich vornehmlich auf lange Erfahrung, auf die Auswertung früherer Ereignisse, aus denen sich die Nutzanwendung für das Heute ziehen ließ. In dieser besonderen Hinsicht mußte er jedoch versagen, denn von Begriffen wie Inzucht und Degeneration hatte er noch nie etwas gehört! Seine trüben Gedanken brachen ab, als er die Kühle spürte, die der Regen gebracht hatte. Sein alter Körper erschauerte, und hastig klomm er wieder die viel zu hohen Stufen hinauf, um sich zurück ins Haus zu begeben. Er legte die durchnäßte Kleidung ab, rieb rasch seinen Körper trocken und hüllte sich dann in andere Sachen. Das Trommeln des Regens wirkte ermüdend, und willig gab sich Nandu dieser Mattigkeit hin. Sein alter Körper sehnte sich nach Ruhe. Es war noch zu früh, aber er bereitete sich schon jetzt seine Abendmahlzeit zu. An diesem Tage würde ihn ohnehin niemand mehr aufsuchen, das wußte er. Sein Essen fiel verhältnismäßig reichlich aus, denn jeder Ratsuchende pflegte ihn mit Naturalien zu entlohnen. So hatte er trotz der Dürre nie wirklich Mangel gelitten. Der Wissende aß mit gutem Appetit und verzog nur bei dem faulig schmeckenden Wasser das Gesicht. Nun, auch das würde sich jetzt ändern, nach dem Regen würden die Zisternen wieder ihre alte Fülle auf weisen. Zufrieden suchte Nandu seine Schlafnische auf und schlief bald darauf tief und traumlos. Er konnte nicht ahnen, daß dies für lange Zeit sein letzter ungetrübter Schlummer sein würde… * An Bord des irdischen Raumschiffs ARLENE war alles in bester Ordnung. Der Hyperantrieb sang leise summend sein monotones Lied, und mit jedem Tag Bordzeit, der verstrich, legte das Schiff rund dreißig Lichtjahre zurück. Einen Monat lang sollte es so bleiben. Erst dann konnte der Raumer den Hyperraum wieder verlassen und in der Nähe des irdischen Sonnensystems in das Normaluniversum zurückkehren. Nicht immer war es so einfach gewesen! Das Weltall ist groß, und zwischen den mehr als hundert Milliarden Sonnen der Milchstraße gibt es unzählige Gefahren. Das mußte die Menschheit oft genug erfahren, nachdem sie mit ihrer Expansion durch die Sternenräume begann. Im Anfang brauchten die Raumschiffe noch viele Jahre, um relativ nahegelegene Systeme zu erreichen, weil sie nicht imstande waren, die Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten. Oft genug kam es auf diesen langen Reisen zu Zwischenfällen, und
viele Schiffe kamen nie an ihr Ziel. Es war schon fast ein Wunder, daß die Menschen angesichts all dieser Schwierigkeiten nicht den Mut verloren und einfach aufgaben! Eine merkliche Besserung trat erst ein, als es den Technikern und Wissenschaftlern gelang, sich den Hyperraum als Transportmedium nutzbar zu machen. Nun schrumpften die Entfernungen zwischen den Sternen wie durch Zauberhand zusammen. Viele Lichtjahre konnten innerhalb von Wochen oder Monaten überbrückt werden. Zwar forderte nach wie vor das All seine Opfer, aber die Unfallquoten wurden erheblich geringer. Allmählich breitete sich die Menschheit über ihren gesamten Spiralarm aus, ohne auf nennenswerte Hindernisse durch fremde Rassen zu stoßen. Der wirkliche Durchbruch wurde aber erst im 25, Jahrhundert erzielt, als man den Materietransmitter erfand. Plötzlich gab es zwischen der Erde und den von ihr aus besiedelten fernen Welten überhaupt keine Reiseprobleme mehr! Menschen wie Güter wurden in die Transmitterstationen gebracht und verschwanden in ihren Kabinen. Nicht nur darin, sondern auch daraus, denn sie wurden dort strukturell aufgelöst und in energetische Impulse verwandelt. Die Sendeanlagen nahmen diese auf und strahlten sie in Form von vielfach differenzierten Funksignalen ab, die durch den Hyperraum gingen. Als solche überbrückten sie in Nullzeit viele Lichtjahre und wurden dann in entsprechenden Gegenstationen wieder in die ursprüngliche Materie zurückverwandelt. So einfach war das! Natürlich gab es auch hier anfangs noch Pannen, aber die Fehlerquellen wurden gefunden und ausgemerzt. Schließlich war dann für die Menschen eine Reise durch das Transmittersystem weit gefahrloser geworden als eine Fahrt auf einer Autobahn des 20. Jahrhunderts. Trotzdem gab es immer noch Raumschiffe. Man benötigte sie nach wie vor, um neue Welten auffinden und erschließen zu können. Das war aber nicht ihre einzige Aufgabe – es konnte nur eine dauerhafte Verbindung dorthin geben, wenn auch dort Transmitter existierten. Ihre Spezialistenteams führten also nicht nur die erforderlichen Forschungen und Erkundungen durch. Hatte sich ein Planet als zur Besiedlung geeignet erwiesen, bauten sie an einer geeigneten Stelle auch die erste Transmitterstation. Sobald diese einwandfrei funktionierte und die Welt an das interstellare Verbundsystem angeschlossen war, war auch ihre Aufgabe beendet. Während die ersten Siedler und Güter auf den Planeten gelangten, starteten die Raumer und flogen neue Ziele oder ihre Heimathäfen an. Eines dieser Spezialschiffe war die ARLENE unter ihrem Kommandanten Captain John Cork. Ihr granatförmiger Körper mit dem verdickten Triebwerksteil am Heck war zweihundert Meter lang und durchmaß im Mittel achtzig Meter. Ihre Besatzung war dreihundert Mann stark, doch nur fünfzig dieser Männer und Frauen gehörten zum eigentlichen Bordpersonal. Der überwiegende Teil bestand aus Wissenschaftlern und Technikern. Sie kamen aus allen Fachgebieten, die zur Erforschung neuer Welten und dem
anschließenden Aufbau von Transmitterstationen benötigt wurden. Alle Insassen des Schiffes waren nur Menschen, und so konnten zwangsläufig kleine Reibereien nicht ausbleiben. Trotzdem fühlten sich alle nur als ein Team, denn die meisten waren schon seit Jahren zusammen. Captain John Cork war ihnen ein guter Kommandant. Er war ein herkulisch gebauter Mann von nun achtunddreißig Jahren mit einem kantigen Gesicht unter dem dunklen Haar, 1.88 Meter groß und fast hundert Kilo schwer. Trotzdem wirkte er nicht plump – er konnte sich sogar sehr schnell bewegen, wenn es darauf ankam. Er wirkte wie die personifizierte Zuverlässigkeit, und dieser Eindruck entsprach auch voll seinen Fähigkeiten. Nicht umsonst wurde gerade sein Schiff vom irdischen Kolonialministerium stets zu den schwierigsten Aufgaben herangezogen. Und eine solche Aufgabe hatte die ARLENE soeben hinter sich. Sie war in die Randbezirke des Großen Orion‐Nebels entsandt worden, der infolge der anomalen Strahlungsverhältnisse in diesem Sektor bisher von der Menschheit gemieden worden war. Doch gerade darüber wollte man mehr erfahren, und der beste Weg dazu war die Einrichtung einer astronomischen Beobachtungsstation an Ort und Stelle. Captain Cork war von diesem Auftrag nicht gerade begeistert gewesen, hatte ihn jedoch trotzdem angenommen, da er um die Zuverlässigkeit seiner Crew wußte. Allerdings waren fast zwei Monate vergangen, ehe man innerhalb der kosmischen Staubmassen eine geeignete Welt entdeckt hatte. Der betreffende Planet bot nicht nur günstige Beobachtungsmöglichkeiten, auf ihm konnten Menschen auch ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen leben, was genauso wichtig war. Dort hatten die Techniker dann den obligaten Transmitter aufgebaut, durch den bald darauf ein Team von Astro‐Experten mit ihren Instrumenten ankam und mit der Errichtung einer Forschungsstation begann. Alles war fast reibungslos abgelaufen, dafür hatte die große Erfahrung des ARLENE‐ Teams gesorgt. Nun konnte das Schiff zur Erde zurückkehren, wo allen Männern und Frauen ein wohlverdienter Urlaub bevorstand. Neunhundert Lichtjahre waren bis dorthin zurückzulegen; eine reine Routinesache, über die sich niemand an Bord Gedanken machte. Und doch sollte gerade dieser scheinbar so gefahrlose Flug ihnen allen zum Verderben werden…! * Zehn Tage Bordzeit waren vergangen, ein Drittel des Weges zur Erde lag hinter dem Schiff. Die Besatzung versah ihren Routinedienst, für sie gab es nicht viel zu tun. Stark beschäftigt waren dagegen die Wissenschaftler. Zusammen mit einem Teil der Techniker werteten sie die zahllosen Daten aus, die man im Bereich des Großen Orion‐Nebels gesammelt hatte. Niemand dachte an etwas Böses, als es urplötzlich geschah. Das Schiff geriet in einen Hypersturm!
Diese Bezeichnung, im Anfangsstadium der Hyperraumflüge geprägt, war zwar längst als unrichtig erkannt, trotzdem aber beibehalten worden. Das Phänomen war keinesfalls mit den magnetischen Stürmen im Normalraum vergleichbar. Es handelte sich dabei vielmehr um eine Zone starker hypergravitatorischer Strahlung, die in geballter Form auftrat und von den Schutzschirmen nicht mehr aufgehalten werden konnte. Sie durchdrang mühelos die Wandungen der ARLENE, und ihre Auswirkungen zeigten sich rascher, als die Besatzung der Steuerzentrale ihr Auftreten registrieren konnte. Ihre Auswirkungen auf das Schiff im allgemeinen und die Menschen an Bord waren unbedeutend. Die Männer und Frauen spürten lediglich ein kurzes Schwindelgefühl, das aber rasch verging und keinerlei Nachwirkungen hinterließ. Dafür wurden jedoch innerhalb von Millisekunden sämtliche Geräte unbrauchbar, deren Funktion im Hyperbereich lag. Die Folgen zeigten sich augenblicklich: Der Hyperraumantrieb setzte aus, und übergangslos fiel der Raumer in das Normalkontinuum zurück! Als den Menschen zum Bewußtsein kam, daß eben etwas Außergewöhnliches geschehen war, war bereits alles vorbei. Funkelnd prangte auf den Bildschirmen die Sternenfülle der Milchstraße, die zuvor zehn Tage lang unsichtbar gewesen war. Jens Hagerup, der schmächtige Pilot vom Dienst, stieß einen unterdrückten Schreckenslaut aus, als er sie sah. „Was… was ist denn das?“ stotterte er, bleich im Gesicht, aber Captain Cork hatte schon begriffen. Beruhigend klopfte er ihm auf die Schulter. „Keine Sorge, Jens, es besteht keine Gefahr für das Schiff! Wir waren in einen Hypersturm geraten, und daraufhin hat uns der Hyperraum wie einen lästigen Fremdkörper ausgestoßen, weil der Antrieb ausfiel. Unangenehm für uns ist nur die Tatsache, daß wir jetzt werden nach Hause laufen müssen.“ „Laufen…?“ fragte der Pilot verständnislos, der dem manchmal etwas skurrilen Humor des Kommandanten nicht immer zu folgen vermochte. John Cork lachte humorlos. „Nicht im Sinne dieses Wortes, aber im Endeffekt kommt es doch fast auf dasselbe heraus. Unser Hyperantrieb ist nämlich hinüber, wir können nur noch mit den Normaltriebwerken navigieren! Um Hilfe funken ist uns auch nicht möglich, denn natürlich hat die Strahlung auch unsere Hyperfunkanlage demoliert – verstehen Sie jetzt?“ Jens Hagerup verstand, aber das trug nicht gerade dazu bei, sein Wohlbefinden wieder herzustellen. Der Captain dagegen war ein nüchtern und pragmatisch denkender Mann, der sich auch in ungewöhnlichen Situationen nicht aus der Fassung bringen ließ. Rasch schaltete er den Interkom auf Rundspruch, und dann klang seine Stimme in allen Sektoren des Schiffes auf. „Achtung, hier spricht der Kommandant! Die ARLENE wurde soeben durch die Auswirkungen eines Hypersturms in den Normalraum zurückgeworfen. Weitere Zwischenfälle hat es nicht gegeben, für uns alle besteht keine unmittelbare Gefahr. Eine Bitte an Dr. Rappan und sein Team: Suchen Sie die astronomische Beobachtungsstation auf, damit wir den jetzigen Standort des Schiffes ermitteln
können. Ende der Durchsage.“ Das Eingangsschott der Zentrale glitt auf, und der zweite Pilot Bert Keller kam hereingestürmt. „Was sollen wir jetzt tun, Captain?“ fragte er atemlos. John Cork hob die breiten Schultern, sah zuerst auf den großen Panoramaschirm und kontrollierte dann die Anzeigen des Fahrtschreibers. „Vorerst gar nichts, Bert. Unsere Geschwindigkeit ist fast Null, und die nächste Sonne ist mehr als einen Lichtmonat entfernt, uns kann also nichts passieren. Einen neuen Kurs können wir erst berechnen, wenn wir wissen, in welchem Sektor der Galaxis wir herausgekommen sind. Halten Sie beide hier Wache, ich gehe in die Astro‐Station.“ Äußerlich vollkommen ruhig stapfte er davon, doch innerlich war er längst nicht so gelassen, wie er sich gab. Dieser Zwischenfall warf sehr ernste Probleme auf, und er wußte es! Der Hyperraum unterlag eigenen physikalischen Gesetzen, die bisher noch nicht enträtselt worden waren. Man wußte von ihnen nur soviel, daß sie von denen des normalen Raumes vollkommen abwichen, mehr nicht. Solange sich ein Schiff in diesem Kontinuum befand und sich darin nach genau berechneten, auf Erfahrungswerten basierenden Kurswerten bewegte, war alles in bester Ordnung. Doch schon die geringste Abweichung von diesen Daten zog manchmal unübersehbare Folgen nach sich. Kleinste Rechenfehler in Dezimalstellen weit hinter dem Komma brachten schon erhebliche Fehlleistungen beim Wiedereintritt in den Normalraum hervor, die Dutzende von Lichtjahren betragen konnten. In diesem Fall ging es jedoch nicht nur um solche Lappalien – die ARLENE war durch den Hypersturm vollständig aus dem Kurs geworfen worden! Eine so starke hypergravitatorische Ballung wie die, in die sie geraten war, bewirkte stets eine beträchtliche Verzerrung der Struktur des Hyperraums. Wie sich diese auswirkte, konnte niemand vorhersagen. Es konnte sein, daß sie glimpflich davongekommen waren – es konnte aber auch sein, daß sich das Schiff jetzt auf der entgegengesetzten Seite der Milchstraße befand… Energisch unterdrückte der Kommandant seine pessimistischen Gedanken. Als er sich aus dem Antigravschacht schwang und auf den Beobachtungsraum zuging, waren seine Züge wieder vollkommen beherrscht. Als er ihn betrat, nickte er den sieben darin versammelten Astro‐Experten scheinbar völlig gelassen zu. „Was wäre das Leben ohne immer neue Überraschungen?“ meinte er und setzte ein leichtes Lächeln auf. „Die Aussichten, im Hyperraum auf eine Gravo‐Ballung zu treffen, stehen etwa eins zu zehntausend, und doch hat es uns erwischt! Finden wir uns damit ab und versuchen wir, das Beste aus unserer Lage zu machen. Wieviel Erfolg wir dabei haben, hängt allerdings ganz davon ab, in welcher Gegend der Milchstraße wir uns befinden; fangen wir also gleich damit an, das festzustellen.“ Dr. Rappan räusperte sich. Er war ein großer, schlanker Mann von zweiundfünfzig Jahren mit leicht angegrauten Schläfen, ein erfahrener Astronom und Astro‐Physiker. Er leitete das Astro‐Team der ARLENE nur, weil er der Älteste war, denn seine Kollegen standen ihm in bezug auf Wissen und Können in nichts nach.
„Wir scheinen noch Glück im Unglück gehabt zu haben, Captain“, sagte er zuversichtlich. „Das Schiff ist zwar erheblich vom vorgesehenen Kurs abgekommen, aber es hätte weit schlimmer kommen können. Wir befinden uns jedenfalls immer noch innerhalb unseres Spiralarms, vermutlich sogar im Einflußbereich der Erde.“ Er betätigte einen Knopf an einem Instrumentenbrett, und langsam wurde die Decke des Beobachtungsraums transparent. Das Milchstraßenzentrum in seiner gleißenden Pracht wurde sichtbar, und nach einem eingehenden Rundblick nickte der Kommandant, der neben einer umfassenden astronomischen Ausbildung die nötige Erfahrung besaß. „Stimmt, Doc, allerdings haben sich die Perspektiven doch gewaltig verschoben. Trotzdem dürfte die Standortbestimmung keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten. Anhaltspunkte werden sich vermutlich genügend finden lassen. Gut, fangen wir also an.“ Die Decke wurde wieder stabil, und die Wissenschaftler verteilten sich an den verschiedenen Beobachtungsgeräten. Captain Cork fügte sich wie selbstverständlich mit in das Team ein, und die nächste halbe Stunde verging mit angestrengter Arbeit der acht Männer. Zahlreiche astronomische und radioastronomische Aufnahmen wurden mittels der bordeigenen Anlagen gemacht, die sich zu diesem Zweck aus der Hülle des Schiffes geschoben hatten. Sie wurden direkt dem leistungsfähigen Astro‐Computer zugeleitet, der sie innerhalb kürzester Zeit auswertete, koordinierte und mit den in seinen Speichern verankerten Sternenkarten verglich. Allmählich kristallisierte sich ein bestimmtes Schema heraus, und schließlich gab Dr. Rappan, der die Arbeit des Computers überwachte, das Zeichen zur Beendigung ihrer Tätigkeit. Das Licht wurde wieder eingeschaltet, und die Männer versammelten sich um den Rechner, auf dessen Hauptmonitor eine lange Reihe von Koordinatenzahlen erschienen war. Der Kommandant las sie ab, dann verdüsterte sich sein Gesicht, und seine Lippen preßten sich zusammen. Glück im Unglück, hatte Dr. Rappan gesagt. Das stimmte zwar in einer Hinsicht, war allerdings in einer anderen nur relativ zu werten! Die ARLENE befand sich noch im eigenen Spiralarm, aber war beträchtlich zur Seite hin versetzt worden. Sie war jetzt rund 650 Lichtjahre von der Erde entfernt und stand – von dort aus gesehen – im mittleren Sektor des Sternbildes, das Cygnus oder Schwan genannt wurde. In näherer Umgebung gab es eine ganze Reihe von Sonnen, doch darunter war keine, deren System bereits von Terra aus kolonisiert worden war. Die nächste Siedlungswelt befand sich bei der Sonne Sadir, 580 Lichtjahre von der Erde und 70 Lichtjahre vom augenblicklichen Standort des Raumers entfernt. „Siebzig Lichtjahre…!“ murmelte John Cork bedrückt. „Das sind wenig mehr als zwei Tage, wenn man durch den Hyperraum fliegen kann – aber dazu sind wir nicht mehr in der Lage!“ „Dann müssen wir eben über den Hyperfunk…“, begann Dr. Redstone, aber der Kommandant unterbrach ihn mit einer müden Handbewegung. „Da ist auch nichts mehr zu machen, Doc. Die überstarke Hyperstrahlung hat nicht nur unsere Triebwerke zu Schrott werden lassen; auch die zahlreichen kristallinen
Elemente in der Funkanlage sind zu Staub zerfallen. Dasselbe gilt auch für das Reservegerät und alle Ersatzteile. Wir können nur noch mit den normalen Funkgeräten arbeiten, und deren einfach lichtschnelle Impulse benötigen schon bis zum Sadir‐System volle siebzig Lichtjahre!“ Die anderen Männer, alles erfahrene Wissenschaftler, wurden bleich, als sie nun die volle Tragweite dieser Tatsache erfaßten. Was ihr Kommandant da eben in dürren Worten festgestellt hatte, bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als daß es für die ARLENE keine Rückkehr zu bewohnten Planeten mehr gab! Selbst wenn man das Schiff mit Hilfe der Normaltriebwerke bis auf annähernde Lichtgeschwindigkeit brachte, würde es bis zum Sadir‐System volle siebzig Jahre Reisezeit brauchen. Wohl würde infolge der dann eintretenden Zeitdilatation die Eigenzeit an Bord auf etwa zehn Jahre zusammenschrumpfen – aber die Vorräte der ARLENE an Lebensmitteln, Wasser und Sauerstoff reichten nicht viel länger als ein halbes Jahr. Zwar befand sich in relativer Nähe des Schiffes eine Sonne, doch sie anzufliegen, hatte vermutlich wenig Sinn. Sie gehörte zur Klasse der roten Zwergsterne, alter Gestirne also, bei denen es erfahrungsgemäß nur selten bewohnbare Planeten gab. Noch schlechter waren die Aussichten bei den beiden Doppelsternen in 2,6 und 5,4 Lichtjahren Entfernung; eine einzelne Sonne vom G‐Typ fand sich erst in rund acht Lichtjahren Distanz hinter dem Schiff. Bei strenger Rationierung aller Vorräte wäre es durchaus möglich gewesen, sie zu erreichen, ehe die Besatzung der ARLENE verhungerte, verdurstete oder erstickte. Wenn es aber dann dort keinen Sauerstoffplaneten gab, waren die dreihundert Männer und Frauen endgültig verloren! Schweigend standen die sieben Männer neben dem Kommandanten und starrten mutlos vor sich hin. Schließlich fragte Dr. Rappan stockend: „Was gedenken Sie nun zu tun, Captain? Was können wir überhaupt noch tun, um uns zu retten?“ Es gab eine lange Pause. John Cork sah überlegend zu Boden, in seinem Gesicht arbeitete es. „Es gibt für uns noch einen gangbaren Ausweg“, sagte er dann langsam, „ich weiß nur nicht, ob er Ihnen und den anderen sehr behagen wird. Ich denke an die Kühlkammern im Mittelschiff, in denen wir sonst immer Musterexemplare unbekannter Lebewesen von neu entdeckten Welten zur Erde bringen. Sie bieten notfalls Platz für die gesamte Besatzung, die darin im Zustand der Unterkühlung auch die Reise bis Sadir überstehen könnte. Zweifellos könnten unsere Mediziner alles Erforderliche arrangieren.“ „Ich verstehe.“ Der kleine, dickliche Astrophysiker nickte. „Dr. Bella, Sie würden das Schiff auf Kurs bringen und bis auf knapp LG beschleunigen, um es dann im freien Fall weitertreiben zu lassen. Wir aber würden in die Kühlkammern gehen und darin in scheintotem Zustand bleiben, bis wir nach siebzig Jahren, gleich zehn Jahren Bordzeit, im Sadir‐System angekommen wären. Der Gedanke ist nicht sonderlich angenehm – aber wenn es gar nicht anders geht…“
Der Captain lächelte freudlos. „Ob angenehm oder nicht, das spielt keine Rolle, wenn die Notwendigkeit es gebietet, Doc! Ich werde auf jeden Fall gleich mit unserem Ärzteteam reden, das sich Gedanken darüber machen soll. Von dieser Seite erwarte ich keine Schwierigkeiten ‐ wie es mit der Schiffsbesatzung steht, ist allerdings die Frage. Natürlich muß ihr diese Angelegenheit unterbreitet und ausführlich diskutiert werden. Gegen den Willen der Mehrheit kann ich Dinge von so einschneidender Bedeutung nicht in die Wege leiten.“ Er richtete seinen Blick voll auf die sieben Männer. „Sagen Sie vorerst nichts davon weiter, solange diese Sache nicht spruchreif ist. Ich möchte keine Unruhe unter den Leuten, ehe nicht die Mediziner ihr Okay gegeben haben, klar? Wenn es soweit ist, werde ich eine Vollversammlung der Besatzung einberufen, die dann darüber abzustimmen hat. Bis dahin geht alles an Bord seinen gewohnten Gang.“ Er fühlte förmlich die Blicke der anderen auf seinem Rücken, als er den Beobachtungsraum verließ. Nicht alle waren freundlich, aber das machte ihm nichts aus. In letzter Konsequenz trug er die Verantwortung für das Schiff und die dreihundert Männer und Frauen an Bord, und er wollte alles tun, um sie zu retten!
2. Nandu Der Wissende war alt und stand längst jenseits allen fleischlichen Begehrens. Trotzdem entfuhr ihm ein leiser Laut der Bewunderung, als er sah, daß sich Regia seinem Haus näherte. Dieses Mädchen war eine Schönheit! Sie war hochgewachsen und schlank. Alles an ihr besaß genau die richtigen Proportionen an den richtigen Stellen, um einen echten Mann zu entzücken. Das Gesicht war vielleicht etwas zu rundlich, aber es wirkte ausdrucksstark, nicht zuletzt wegen der großen, braunen Augen, die es weitgehend beherrschten. Langes, dunkelblondes Haar, stets sorgsam gepflegt, floß in weichen Wellen bis über die Schultern, deren sanfte Bräune unter dem knappen Kleid zu erkennen war. Nandu Der Wissende schmunzelte still vor sich hin. Wenn ich doch nur dreißig Jahre jünger wäre! dachte er wehmütig. Damals war ich noch ein Mann im besten Alter und durchaus noch fähig, auch ein junges Mädchen glücklich zu machen. Nicht mehr so ungestüm wie einer der Jungen, dafür aber zartfühlender und erfahrener, was den Altersunterschied ohne weiteres ausgeglichen hätte. Wenn mir damals ein Mädchen wie Regia begegnet wäre… * Er verzog sein Gesicht, als er an die beiden Frauen dachte, die er früher als
Gefährtinnen besessen hatte. Zugegeben, sie waren nicht besser oder schlechter gewesen als die meisten Frauen von Garal, aber sie hatten ihm nie das geben können, wonach er unbewußt immer gesucht hatte. Geistig nicht, weil ihr Horizont zu eng war, und körperlich nicht, weil sie ihm keine Kinder geschenkt hatten, die er doch so gern hätte haben wollen. Beide Frauen waren längst tot, und keine von ihnen hatte eine Lücke in seinem Leben hinterlassen. Zu einer dritten Ehe hatte sich Nandu nicht mehr entschließen können, er war allein geblieben, und er bedauerte es nicht. Ungestört hatte er sich nun dem Nachdenken hingeben können, das allein dem Wohle des Volkes von Garal galt. So war er zu Dem Wissenden geworden, zu dem man gern kam, um ihn um Rat zu fragen, und der von allen Menschen auf Garal hochgeachtet war. Nur von den Priestern nicht! Nandu zog eine Grimasse, als er an sie dachte. Immer hatten diese Scharlatane und Besserwisser etwas an ihm auszusetzen, jeder Ratschlag, den er anderen gab, wurde von ihnen kritisiert! Und doch hatte er immer wieder recht behalten – gab ihnen das in all ihrer vermeintlichen Klugheit gar nicht zu denken…? Der Wissende verbannte diese unerfreulichen Gedanken, denn Regia hatte sein Haus nun schon fast erreicht. Er setzte ein freundliches Lächeln auf, was ihm angesichts des blühenden Mädchens durchaus nicht schwerfiel. Auch Regia lächelte ihm entgegen. Sie warf keine scheuen Blicke um sich, wie die meisten anderen Ratsuchenden, um zu erkunden, ob der Besuch bei ihm auch nicht von den Priestern oder ihren Anhängern beobachtet wurde. Ihr Schritt war fest und sicher, ihre Rechte hielt die Tasche, die vermutlich eine Spende für ihn barg. Erst jetzt dachte er daran, wie ungewöhnlich es im Grunde doch war, daß sie zu ihm kam, um seinen Rat einzuholen. Regia gehörte zur Kaste der Heiler, zu einem Stand also, der bei der Bevölkerung von Garal gleich nach den Priestern kam. Bei Nandu rangierten sie jedoch weit vor ihnen, denn sie leisteten wenigstens etwas für das Volk, wogegen die angeblichen Vertrauten der Götter in seinen Augen nichts weiter als unnütze Schmarotzer waren. Sie hatten es noch nie zuwege gebracht, durch ihre Gebete das Eintreten bestimmter erwünschter Ereignisse zu erreichen! Trafen diese doch ein, schrieben die Priester sich das Verdienst daran zu – geschah es nicht, war das genauso selbstverständlich die Schuld des Volkes, das irgendwie den Zorn der Götter erregt hatte. Irgendeinen Vorwand fanden sie immer! Nandu wußte genau, daß es nicht daran lag. Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses, das nicht gerade ausgesprochen unnatürlich war, betrug stets genau die Hälfte des Möglichen. Wenn man nur lange genug abwartete, kam es ganz von selbst, so wie der Regen an den letzten drei Tagen, auch ohne Gebete zu irgendwelchen Göttern. Der Wissende hatte auf der obersten Treppenstufe vor seinem Haus gesessen, um seine alten Glieder in der Sonne zu wärmen, die an diesem Morgen wieder schien. Nun erhob er sich, um das Mädchen zu empfangen, und seine immer noch scharfen Augen ruhten mit Wohlgefallen auf ihrer Gestalt.
„Ich grüße dich, Regia“, sagte er gemessen. „Dieser Tag verspricht gut zu werden, wenn er mir als erstes deinen Besuch bringt. Komm herauf.“ Regia überwand mühelos die Stufen, die Nandus müde gewordenen Beinen immer Schwierigkeiten bereiteten. Dicht vor ihm blieb sie stehen, und nun sah Der Wissende, daß ihr Lächeln nicht mehr als eine Maske gewesen war. Gewiß, sie freute sich, ihn zu sehen, denn beide kannten sich lange und gut. Oft genug hatte Nandu sie als kleines Mädchen auf seinen Knien gewiegt, wenn ihre Familie draußen auf den Feldern oder den Weiden war und sich nicht um sie kümmern konnte. Doch in ihren sonst so klaren Augen stand das Leid, und es trat klar zutage, als nun das Lächeln von ihren Zügen verschwand. „Auch ich grüße dich, Nandu“, entgegnete sie, aber ihre Stimme klang matter als sonst. „Darf ich bei dir eintreten?“ „Welch dumme Frage!“ gab der Alte fast barsch zurück, aber sein aufmunterndes Lächeln nahm diesen Worten die Schärfe. „Deine Besuche bei mir sind rar geworden, aber du bist mir jederzeit willkommen, das solltest du doch wissen.“ Ihr gehauchter Dank und der Blick, den sie nun hinter sich warf, gaben ihm noch mehr zu denken. Auch sie, die sonst nie etwas auf die Meinung anderer gegeben hatte, schien sich nun vor den Priestern zu fürchten! Ihr Verhalten glich fast jenem der anderen Ratsuchenden, die nur verstohlen im Schutze der Dunkelheit zu ihm kamen. Die Stadt war so gut wie verlassen, fast alle Bewohner arbeiteten außerhalb, wo die Natur nach dem großen Regen wieder aufgeblüht war. Die Priester hatten das natürlich nicht nötig – sie rieben sich wahrscheinlich in den Tempeln eifrig die Hände, denn nun würden die Spenden für sie noch reichlicher fließen. „Komm, Mädchen“, sagte Nandu und führte Regia in den großen Wohnraum, den er immer peinlich in Ordnung hielt. „Setz dich und erzähle mir etwas von dir und deiner Familie. Wie geht es euch?“ Sie nahm zögernd Platz und stellte die aus Fasern geflochtene Tasche neben sich ab. Ein zaghaftes Lächeln erschien nun wieder auf ihrem Gesicht, aber ihre Augen blieben ernst. „Danke, Nandu, uns geht es gut. Der Regen war eine Wohltat für alle, das Vieh findet nun wieder Nahrung, und die Saat schießt förmlich aus dem Boden. Wir können also nicht klagen.“ Der Wissende kniff unwillkürlich die Brauen zusammen. Was war nur aus diesem Mädchen geworden, das er so ganz anders kannte? Das Selbstbewußtsein, das sonst alle Angehörigen der Kaste der Heiler auszeichnete, schien sie vollkommen verlassen zu haben! Sie saß vor ihm wie einst als kleines Mädchen, wenn sie ein liebes Spielzeug verloren hatte und trostsuchend zu ihm gekommen war. Es mußte also etwas geschehen sein, das sie vergleichsweise genauso tief getroffen hatte. Von selbst schien sie damit nicht herauskommen zu wollen, also mußte Nandu ihr eine Brücke bauen. Unwillkürlich verfiel er wieder in jenen väterlichwohlwollenden Ton lange zurückliegender Tage, als er behutsam fragte: „Bist du nur zu mir gekommen, um mir das zu erzählen, Regia? Oder führt dich
nicht vielmehr etwas anderes zu mir – etwas, das dir großen Kummer bereitet?“ Plötzlich war es um ihre Beherrschung geschehen. Der Kopf des Mädchens fiel auf die Tischplatte, von den Armen wie schützsuchend umschlungen. Ihre Schultern begannen zu beben, und dann erschütterte ein lautloses Schluchzen ihren ganzen Körper. Hilflos weinte sie still vor sich hin. Der Wissende störte sie nicht, denn er wußte um die Erleichterung, die Tränen oft bringen können. Als ihr Schluchzen schließlich abebbte, faßte er sie behutsam bei den Schultern und zog ihren Kopf zu sich empor. Regia wischte sich über die Augen und schmiegte sich gegen seine Brust. Dann kamen ihre Worte ganz von selbst. „Es ist schrecklich, Nandu! Meine Familie bedrängt mich schon seit langem, endlich zu heiraten, aber ich habe immer noch keinen gefunden, dem ich angehören möchte. Nun wollen sie mich ausstoßen, wenn ich nicht in eine Ehe einwillige – in eine Verbindung mit dem Priester Ramto!“ Nandu zuckte zusammen, und alles in ihm versteifte sich. Nein, nur das nicht! schrie es förmlich in ihm. Regias Familie war schon immer besonders ehrgeizig gewesen. Der Wissende erinnerte sich noch gut daran, wie stolz die Eltern gewesen waren, als sich herausgestellt hatte, daß ihre Tochter jene Gabe besaß, die ihr den Aufstieg in die Kaste der Heiler sicherte. Dieser Umstand hatte der Familie nicht nur großes Ansehen gebracht, sondern auch materielle Vorteile, denn die Heiler wurden gut entlohnt. Nun schien ihr Ehrgeiz vollends mit ihnen durchzugehen – anders war es nicht zu erklären, daß sie Regia ausgerechnet diesem Priester zur Frau geben wollten! Nandu Der Wissende kannte Ramto gut genug, um zu erfassen, was man dem Mädchen damit anzutun im Begriff war. Daß er weder jung noch strahlend schön war, hätte ihn kaum gestört. Der Alte wußte aus dem Schatz seiner langen Erfahrung, daß solche Äußerlichkeiten eine untergeordnete Rolle spielten. Auf den Charakter kam es vor allem an, und gerade in dieser Hinsicht haperte es bei Ramto beträchtlich. Er war einer der sechs Oberpriester von Garal und gehörte damit zu jenem Gremium, von dem alles Ungute für die Menschen ausging. Das allein hätte schon genügt, um ihn für Nandu und die Heiler als Partner für Regia indiskutabel zu machen. Hinzu kamen aber noch die Umstände, unter denen sein Aufstieg in seine jetzige Stellung erfolgt war, und die waren mehr als abstoßend. Machtkämpfe zwischen den Priestern hatte es schon immer gegeben. Natürlich wurden sie nur im geheimen geführt, aber jeder wußte darum, der einigermaßen hinter die Dinge zu sehen verstand. Die Macht – und mit ihr die reiche Futterkrippe – lockte, und jeder dieser Götzendiener strebte nach ihr. Doch noch nie, soweit sich Nandu zurückerinnern konnte, war dieser Kampf mit so schmutzigen Mitteln geführt worden, wie Ramto sie benutzt hatte. Drei Priester hatten seinem Aufstieg im Wege gestanden, und gerade sie waren innerhalb von knapp zwei Jahren unter geheimnisvollen Umständen gestorben! Nach außen hin waren es stets simple Unfälle gewesen, für die Ramto in keiner
Weise verantwortlich zu machen war. Was konnte er schließlich dafür wenn beispielsweise ein Hausdach plötzlich zusammenbrach und einen Priester unter sich begrub? Alle Häuser von Garal waren alt, auch die der angeblichen Vertrauten der Götter. Der nächste war im Dunkeln von einer Tempeltreppe gestürzt und hatte sich das Genick gebrochen – ein Unglücksfall, was sonst? Der dritte war beim Baden im Fluß ertrunken – warum war er auch nicht dem Wasser ferngeblieben, wo doch jedermann wußte, daß er nicht schwimmen konnte…? Trotzdem stand für Nandu und viele andere fest, daß Ramto dabei seine Finger im Spiel gehabt hat, wenn es auch keine Beweise gegen ihn gab. Natürlich hütete sich jeder, auch nur den leisesten Verdacht zu äußern, nur im engsten Kreis wurde darüber gesprochen. Daß die übrigen Priester stillhielten und nichts gegen ihren Genossen unternahmen, hatte denselben Grund: Alle hatten Angst vor Ramto und seinen Gehilfen – keiner wollte der nächste sein, der bei einem Unfall ums Leben kam. Beschämt mußte sich Nandu Der Wissende eingestehen, daß er auch dazugehörte. Er war nicht feige, aber er hing trotz seines hohen Alters immer noch am Leben und den wenigen kleinen Freuden, die es ihm zu bieten hatte. Sollte er es eines nichtswürdigen Mannes wie Ramto wegen leichtfertig aufs Spiel setzen? Trotzdem wallte nun Zorn in ihm auf. Wenn er nur daran dachte, daß der bullige Priester dieses liebliche Mädchen für sich beanspruchte, stieg Abscheu in ihm hoch. Wieviel schlimmer mußte das erst Regia selbst empfinden, die Ramto schon als Kind immer aus dem Wege gegangen war! Mit tränenüberströmtem Gesicht blickte sie jetzt zu ihm auf, und ihre großen Augen flehten ihn an. „Hilf mir, Nandu!“ bettelte sie. „Du bist alt und weise – bestimmt weißt du einen Ausweg, der mir diese Ehe erspart. Er soll mich nie bekommen, lieber bringe ich mich um!“ Der Wissende fühlte sich nun äußerst unbehaglich. Das Mädchen brachte ihm grenzenloses Vertrauen entgegen und rechnete fest mit seinem Rat. Er aber wußte beim besten Willen noch nicht, wie er ihr helfen konnte… „Laß mich überlegen, Mädchen“, murmelte er schließlich. Regia nickte stumm und trocknete ihr Gesicht, während Der Wissende seine Augen schloß und zu überlegen begann. Gab es wirklich keinen Ausweg aus dieser schlimmen Lage? Wenn Regia sich öffentlich weigerte, Ramto zu gehören, war sie so gut wie verloren! Wer von der eigenen Familie verstoßen wurde, mußte die Stadt und das bebaute Land in ihrer Umgebung verlassen. Außerhalb der großen Senke vor dem Gebirge gab es aber nur Ödland und unwegsame Wälder, durch die wilde Tiere streiften. Ein erfahrener Mann hätte sich dort vielleicht für einige Zeit behaupten können, niemals aber Regia. Lange Minuten vergingen, in denen Nandu vergeblich sein Gehirn zermarterte. Er wollte schon resignieren, als plötzlich ein vager Gedanke durch seinen Kopf schoß. Nandu überlegte hin und her und öffnete schließlich langsam die Augen. Ein listiges
Lächeln lag um seinen Mund, Regia sah es und atmete hoffnungsvoll auf. „Du weißt etwas, Nandu?“ fragte sie atemlos. Der Wissende nickte bedächtig. „Es hängt mit der besonderen Gabe zusammen, über die ihr Heiler verfügt. Ihr könnt fast alle Krankheiten und Gebrechen bannen – könnt ihr es auch fertigbringen, jemand eine Krankheit zu schicken?“ Das Mädchen sah ihn entsetzt an. „Das dürfen wir nicht!“ stieß sie hervor, aber plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Du meinst – du meinst, wir sollten Ramto…?“ Sie verstummte, und Nandu nickte nachdrücklich. „Ich weiß, daß dies gegen eure Ehre geht, aber in diesem besonderen Fall wäre es bestimmt gerechtfertigt“, meinte er. „Ramto hätte längst den Tod verdient, nur seine Zugehörigkeit zur Priesterkaste schützt ihn davor. Doch es ist ja gar nicht nötig, daß er stirbt – eine nicht lebensgefährliche, aber sehr langwierige Krankheit würde vollauf genügen! Die grünen Pocken wären da bestimmt besonders geeignet, sie würden ihm die Gedanken an eine Heirat wohl gründlich austreiben…“ Regias Gesicht erhellte sich allmählich, und plötzlich lachte sie befreit auf. „Ich wußte doch, daß du mir helfen würdest, Nandu! Vermutlich wird unser Meister Gernal Einwände gegen diesen Plan haben, aber am Ende wird er bestimmt nachgeben. Oh, ich danke dir so sehr!“ Ein Kuß streifte die Wange des Alten, dann sprang das Mädchen auf und eilte leichtfüßig aus dem Haus. Nandu sah ihr halb belustigt, halb wehmütig nach und strich dann vorsichtig mit den Fingern über sein Gesicht. * „Alles in Ordnung, Captain?“ fragte der Erste Offizier Carl Morgan. Er war ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit einem breiten Gesicht und einem archaisch anmutenden Vollbart. John Cork nickte seinem Ersten zu. „Unser Medo‐Team sieht keine Schwierigkeiten, das hat mir Dr. Singh ausdrücklich versichert. Er wird die Dinge selbst erläutern, alles Weitere hängt dann von der Besatzung ab. Sind alle vollzählig erschienen?“ Morgan bejahte, und die beiden Männer betraten die Schiffsmesse der ARLENE. Sie gingen zu dem kleinen Podium vor, auf dem sich bei den periodisch abgehaltenen Tanzabenden die Bordband produzierte. Allmählich erstarb die Unterhaltung der Männer und Frauen und machte erwartungsvollem Schweigen Platz. Der Kommandant stieg die kleine Treppe empor und griff nach dem Mikrophon der Sprechanlage. In wenigen Sätzen umriß er die Lage von Schiff und Besatzung und gab dann das Wort an Dr. Singh weiter, den Chefarzt der ARLENE. Auch der grauhaarige Inder beschränkte sich auf das Wesentliche. Er legte dar, daß die Mediziner nach den entsprechenden Vorbereitungen, die einige Tage Arbeit erfordern würden, ohne weiteres in der Lage seien, die gesamte Besatzung des Raumers in einen Kälteschlaf zu versetzen. Eine narrensichere Automatik würde dann darüber wachen, daß es zu keinen Unregelmäßigkeiten kam und alle diese
Periode ohne gesundheitliche Schäden überstehen konnten. Die gleiche Automatik sollte später auch den Erweckungsprozeß einleiten, sobald das Schiff im Sadir‐System angekommen war. Dann konnte die ARLENE auf Sadir IV landen, und alle waren in Sicherheit. Sie konnten wohlbehalten – wenn auch mit einer Verspätung von siebzig Jahren Realzeit – von dort aus zur Erde zurückkehren. Allgemeines Gemurmel setzte ein, als der Arzt das Podium wieder geräumt hatte. John Cork wartete einige Minuten ab, um der Besatzung Gelegenheit zur Meinungsbildung zu geben. Dann erhob er sich, um die Abstimmung über das Vorhaben einzuleiten, als ihn ein Zuruf innehalten ließ. „Ich beantrage eine Debatte!“ rief Dr. Mbunga, der Astro‐Geologe, ein hünenhafter Afrikaner. Der Kommandant nickte ihm zu und zog sich wieder auf seinen Platz zurück, während der Geologe sich auf das Podium begab. „Ich sage nichts gegen die medizinische und technische Durchführbarkeit dieses Vorhabens“, erklärte er. „Was ich bezweifle, ist allein der Sinn des Ganzen! Was hätten wir davon, nach siebzig Jahren in eine Welt zu gelangen, in der wir uns nicht mehr zurechtfänden? Die Entwicklung der Menschheit schreitet ständig weiter fort – wir kämen praktisch als Fossilien zu den Menschen der Zukunft! Wir wären wohl gerettet und dem Leben wiedergegeben, aber wir stünden ihm hilflos gegenüber.“ Carl Morgan zog eine Grimasse und sah John Cork an, doch der Kommandant blickte starr geradeaus. Dr. Mbunga war einer der wenigen Mitarbeiter an Bord, der mit dem Captain nicht harmonierte und sich zu seinem Gegenspieler aufschwang, wo es ging. Er war intelligent, aber etwas überheblich, und seine eigene Meinung ging ihm über alles, das hatte sich schon öfters gezeigt. Da er der Leiter des Teams zur Planetenerforschung war, besaß seine Stimme auch einiges Gewicht. Aus den Reihen der Zuhörer kamen Zurufe, und Mbunga griff einen davon auf. „Sie verlangen ein Beispiel? Gut, das kann ich Ihnen ohne weiteres geben. Nehmen wir eine beliebige Epoche aus der irdischen Vergangenheit, etwa das Jahr 1900. Ein Mensch, aus dieser Zeit um siebzig Jahre in die Zukunft versetzt, wäre vor Angst fast gestorben! In seinen Tagen dominierte noch das Pferdefuhrwerk, es gab nur wenige primitive Automobile und überhaupt noch keine Flugzeuge. Die Phänomene Großstadtverkehr, Düsenclipper, Atombombe und Weltraumfahrt müßten ihm als wahre Alpträume erschienen sein. Uns dürfte es in siebzig Jahren nicht viel besser ergehen.“ Nach einer kurzen Pause klang ein überraschend starker Beifall auf, und Dr. Mbunga zog sich befriedigt lächelnd vom Podium zurück. Morgan runzelte die Stirn und sah den Kommandanten beunruhigt an. „Begreifen Sie, was er damit bezweckt?“ fragte er leise. „Man sollte dem Mann einfach das Wort verbieten.“ John Cork zuckte nur mit den Schultern. Er war zwar der Kommandant der ARLENE, aber seine Befugnisse erstreckten sich im wesentlichen nur auf jene Dinge, die mit der Führung und Sicherheit des Schiffes zusammenhingen. Ansonsten bildete die Besatzung ein Kollektiv, in dem jede Meinung ihr Gewicht besaß, ob sie ihm nun gefiel oder nicht. Zu ihrer Überraschung meldete sich nun die Ärztin Dr. Anne Young zu Wort. Sie
war eine attraktive junge Frau, hochgewachsen, dunkelhaarig und trotz ihrer Jugend bereits eine Kapazität auf dem Fachgebiet Astrobiologie. Streitlustig funkelten ihre großen blauen Augen den Geologen an. „Sie haben zwar nach einer Debatte verlangt, Dr. Mbunga, aber daraus ist nur einer Ihrer bekannten Monologe geworden! Betrachten wir die Sache doch einmal aus einem anderen Blickwinkel. Was verbindet uns denn noch mit einem Mann aus dem 19. Jahrhundert? Nichts, würde ich sagen! Wenn Sie uns nicht zutrauen, uns auch noch in siebzig Jahren zurechtzufinden, dann stellen Sie der ganzen Besatzung gewissermaßen ein geistiges Armutszeugnis aus, wissen Sie das auch? Ich persönlich würde es sogar begrüßen, in eine Zeit zu gelangen, in der viele jetzt noch unüberwindlich scheinende Probleme gelöst sind, und an diesem Fortschritt teilhaben zu können. Dazu gehört weiter nichts als eine gewisse Aufgeschlossenheit, die Ihnen jedoch erstaunlicherweise zu fehlen scheint.“ Bei den Zuhörern klang ein leises Gelächter auf, und sofort sprang Dr. Mbunga auf. „Wollen Sie wirklich, daß wir wie Tiere in die Kühlkammern transportiert werden?“ rief er erregt aus. „Können Sie uns auch garantieren, daß wir diese siebzig Jahre ohne alle Schäden überstehen? Ich denke dabei vor allem an geistige Defekte der unterkühlten Gehirne.“ Anne Young lächelte ironisch. „Sie fürchten natürlich vor allem für Ihr überragendes Gehirn, Dr. Mbunga“, gab sie genauso temperamentvoll zurück. „Dabei vergessen Sie allerdings, daß wir Ärzte bereit sind, ebenfalls das volle Risiko einzugehen, und das müßte Ihnen eigentlich zu denken geben. Meinen Sie wirklich, wir würden uns für diese Methode entscheiden, wenn wir dabei irgendwelche Bedenken hätten?“ Zustimmendes Gemurmel kam auf, und der Geologe schien bereits geschlagen, doch er gab nicht auf. Mit großen Schritten stürmte er auf das Podium zu, drängte die Ärztin beiseite und ergriff erneut das Wort. „Irren ist menschlich, wie das alte Sprichwort sagt – und auch Ärzte sind nur Menschen, das hat sich oft genug erwiesen! Ich will dem Medizinerteam nicht unterstellen, daß es leichtfertig handeln will, aber ein gewisses Risiko bleibt in jedem Fall. Dabei ist das alles gar nicht notwendig – es gibt eine echte Alternative zu diesem Plan!“ Carl Morgan grinste schief. „Aha, jetzt läßt er erst die Katze aus dem Sack“, flüsterte er dem Captain zu. „Wahrscheinlich wollte er damit bis später warten, aber Dr. Young hat ihn aus der Reserve gelockt.“ „Jawohl, es gibt sie!“ rief der Afrikaner. „Nur einen Lichtmonat von hier befindet sich eine rote Sonne, die wir im relativistischen Flug innerhalb weniger Tage erreichen können. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß wir dort einen Sauerstoffplaneten finden, und damit wären auf einmal alle Probleme gelöst. Nichts könnte uns dann daran hindern, dort eine Kolonie zu gründen. Sollte das jedoch nicht zu machen sein, könnten wir uns vielleicht wenigstens mit genügend Lebensmitteln und anderen Dingen versorgen und anschließend den Flug zum Sadir‐System in wachem Zustand antreten. So brauchten wir nicht zu befürchten,
unter Umständen als halbe Idioten aus einem Kälteschlaf zu erwachen!“ „Na, habe ich es nicht gesagt?“ flüsterte der Erste Offizier. John Cork nickte nur, denn er konnte Dr. Mbunga seine Anerkennung nicht versagen. Der Geologe hatte geschickt taktiert. Daß er damit Erfolg hatte, zeigte sich wenig später bei der Abstimmung über das Kälteschlafprojekt. Sie ergab 231 Stimmen für Dr. Mbunga, 40 Enthaltungen und nur 29 Gegenstimmen. Über eine eventuell doch notwendig werdende Durchführung des ursprünglichen Planes sollte erst dann wieder abgestimmt werden, wenn die Reise zu der roten Sonne keinen Erfolg brachte. Die Versammlung löste sich auf. Der Kommandant begab sich direkt in die Zentrale und gab dort die erforderlichen Anordnungen. Dann übergab er das Kommando an Carl Morgan und zog sich mißmutig in seine Kabine zurück. Wenig später ertönte dort der Türsummer, und John Cork war nicht wenig überrascht, als er Dr. Anne Young erkannte, die zu ihm kam. Sie lächelte ihn leicht verlegen an. „Es war schon immer so, daß sich die Geschlagenen nach der Schlacht zusammenfinden“, sagte sie mit ihrer wohlklingenden Altstimme. „Und wir sind heute beide geschlagen worden – warum sollten wir nicht versuchen, uns gegenseitig zu trösten?“ Der Captain nickte und lächelte zurück, dann glitt die Kabinentür hinter ihnen zu.
3. „Diesen Rat hat dir Nandu Der Wissende gegeben?“ fragte das Oberhaupt der Heilerkaste in ungläubigem Tonfall. Er war ein stämmiger Mann mit einem gutmütigen, runden Gesicht, das nun allerdings ein paar strenge Falten zeigte. Seine Augen ruhten forschend auf Regia, und das Mädchen begann sich unter diesem Blick unbehaglich zu fühlen. Sie kannte Gernais strenge Ehrauffassung in allen Dingen, die mit der Gabe zusammenhingen. Sie unter keinen Umständen zu mißbrauchen, war sein oberstes Gesetz, dessen strikte Beachtung er von allen Heilern forderte. Der Mut des Mädchens schwand dahin, ihre gerade erst erwachte Zuversicht geriet ins Wanken. Sie konnte nur stumm nicken, aber damit gab sich Gernal nicht zufrieden. „Ist das auch wirklich wahr, Regia?“ forschte er erneut, und seine Blicke schienen sie durchbohren zu wollen. „Oder hast du dir hier nur selbst etwas ausgedacht, weil du weißt, wieviel ich auf seinen Rat gebe? Sage die Wahrheit, Regia! Du weißt, daß ich sie ohne weiteres herausfinden kann – ich brauche nur selbst zu Nandu zu gehen!“ Regias Augen füllten sich erneut mit Tränen. „Ich habe die Wahrheit gesagt, Meister“, stieß sie heftiger hervor, als sie beabsichtigt hatte. „Du weißt genau, daß ich nie etwas Unehrenhaftes tun würde, nur um mir
einen Vorteil zu verschaffen. Oder hast du mich je bei einer Lüge ertappt?“ Gernal wiegte skeptisch den Kopf. „Nein, das nicht“, mußte er zugeben. „Ich weiß aber auch, daß fast jeder Mensch fähig ist, gegen seine Natur zu handeln, wenn er sich in einer Notlage befindet und keinen anderen Ausweg mehr sieht. Du befindest dich in einer solchen Notlage, denn auf der einen Seite droht dir eine Vermählung mit Ramto, auf der anderen die Verstoßung durch deine Familie, wenn du dich ihren Wünschen widersetzt. Unter diesen Umständen wäre es also vielleicht doch nicht ausgeschlossen…“ Regia unterbrach seine Rede mit einer entschiedenen Handbewegung. „Prüfe es doch selbst nach!“ rief sie erregt aus. „Geh meinetwegen zu Nandu und frage ihn – er wird dir bestätigen, daß ich die volle Wahrheit gesagt habe.“ Die Strenge verschwand von Gernais Gesicht, der Blick seiner Augen milderte sich. Er sah sinnend vor sich hin und nickte dann kurz. „Es ist gut, ich glaube dir. Ich habe auch nicht ernsthaft angenommen, daß du mich belügen würdest, aber ich mußte mir volle Gewißheit verschaffen, das mußt du verstehen. Was du hier von mir forderst, ist schließlich etwas, das noch nie einer von uns getan hat.“ Er schwieg wieder und überlegte, und das Mädchen störte ihn nicht dabei. Wie würde der Meister sich wohl entscheiden? Regia konnte seine inneren Kämpfe verfolgen, denn sein Gesicht spiegelte sie wider. Seine Stirn lag in Falten, seine Lippen waren eng zusammengepreßt, die Augen halb geschlossen. Das Schweigen in dem kleinen Raum wurde fast unerträglich, bis Gernal es nach langen Minuten brach. „Es ist schwer für mich, ungeheuer schwer!“ murmelte er düster vor sich hin. „Wir Heiler sind dazu berufen, mittels unserer Gaben Gutes unter den Menschen zu verbreiten, nicht das Gegenteil. Wohl sind wir auch dazu imstande, aber unsere Prinzipien verbieten es uns; so ist es schon immer gewesen. Kann ich – darf ich hier eine Ausnahme machen…?“ „Tu es, bitte!“ flehte das Mädchen. „Hast du nicht vorhin selbst gesagt, daß man zuweilen auch gegen seine Natur handeln muß, wenn es gar nicht anders geht?“ Gernal nickte ernst. „Ja, das habe ich, und es ist nicht nötig, daß du mich daran erinnerst. Doch so etwa zu sagen oder es zu tun, das sind zwei ganz verschiedene Dinge! Ich liebe Ramto genausowenig wie du, es kann kaum einen Zweifel daran geben, daß er ein Mörder ist, und eine vergleichsweise harmlose Krankheit wäre eine noch viel zu milde Strafe für ihn. Er aber würde nichts Eiligeres zu tun haben, als uns um Hilfe gegen eben diese Krankheit anzugehen, und wir dürften sie ihm nicht verweigern! Was können wir also dabei schon gewinnen?“ Regia fühlte instinktiv, daß sein Widerstand bereits weitgehend abgebaut war, daß er mehr und mehr auf ihre Seite einzuschwenken begann. Sie sah beschwörend zu ihm auf. „Wir gewinnen auf jeden Fall Zeit, Meister, viel mehr sogar, als du glaubst. In wenigen Tagen wird sich der Stand der Gestirne soweit verändert haben, daß unsere Fähigkeiten ernsthaft beeinträchtigt werden! Es könnte dann also leicht geschehen,
daß Ramto zwar wieder geheilt wird, aber dabei so starke Pockennarben zurückbehält, daß er für den Rest seines Lebens entstellt bleibt…“ Gernal sah sie verblüfft an und begann dann übergangslos laut zu lachen. Er lachte, bis ihm die Tränen kamen, und konnte sich nur schwer wieder beruhigen. „Nandu und du, ihr seid ein vortreffliches Gespann“, meinte er dann, noch immer schmunzelnd. „Der Wissende hat eine Idee, und du stehst ihm an Einfallreichtum kaum nach. Tatsächlich dürfte deine Mutter wohl einiges dagegen haben, ihre Tochter einem Mann zu versprechen, der für sein ganzes Leben entstellt ist, selbst wenn es sich dabei um einen hohen Priester handelt. Oh, in dieser Hinsicht kenne ich sie gut, zu gut sogar…“ Er schwieg und wurde unvermittelt wieder sehr ernst. Regia fühlte, daß er an etwas dachte, von dem sie nichts wußte und das vermutlich sehr lange zurücklag. Es schien eine schmerzliche Erinnerung zu sein, und so hütete sie sich, den Meister danach zu fragen. „Soll das heißen, daß du einwilligst?“ erkundigte sie sich statt dessen hoffnungsvoll. Gernal zögerte noch einen Augenblick, gab sich dann aber einen Ruck. „Wir werden tun, was Nandu Der Wissende vorgeschlagen hat!“ sagte er dann fast feierlich. „Allerdings werde ich dazu nur jene Heiler heranziehen, denen ich bedingungslos vertrauen kann – wenn die Priester nur ein Wort von unserem Vorhaben erfahren, sind wir verloren! Sie warten ja schon seit langem auf eine Gelegenheit, unseren Stand unter ihre Kontrolle zu bekommen, und diese Gelegenheit dürfen wir ihnen keinesfalls bieten.“ „Danke, Meister“, flüsterte Regia, und dann bekam auch Gernal einen Kuß von ihr… * Fünf Tage waren vergangen. Die ARLENE hatte den Raumsektor der namenlosen roten Sonne erreicht und wurde nun wieder abgebremst, nachdem sie bisher mit annähernder Lichtgeschwindigkeit geflogen war. Allmählich nahmen die Sterne auf den Bildschirmen wieder ihr vertrautes Aussehen an, die über fünf Tage Bordzeit hinweg nur als vage langgezogene Schemen zu sehen gewesen waren. Draußen, im Normalraum, war inzwischen ein voller Monat Standardzeit vergangen. Sobald sich die Verhältnisse entsprechend normalisiert hatten, begannen die Astro‐ Experten damit, die Umgebung des kleinen Sterns zu erkunden. Captain John Cork war inzwischen um einiges klüger geworden. Er hatte auf Umwegen erfahren, daß seine Abstimmungsniederlage über das Kälteschlaf‐Projekt durchaus kein Zufall gewesen war. Einer der Astronomen hatte nicht dichtgehalten! Dr. Redstone hatte, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, Mbunga von dem Vorhaben des Kommandanten erzählt und dabei einige Bedenken geäußert. Vermutlich hatte er sie selbst nicht besonders schwergenommen, aber damit John Corks Gegenspieler willkommenes Material geliefert. Dr. Mbunga hatte nicht gezögert, sich dessen zu bedienen, und so war an Bord
bereits eine rege Flüsterpropaganda im Gang gewesen, als der Captain noch mit den Ärzten konferierte. Nur deshalb hatten er und Anne Young von vornherein auf verlorenem Posten gekämpft. Der Kommandant hatte darauf verzichtet, Redstone zur Rede zu stellen, denn nun war ohnehin nichts mehr an den Geschehnissen zu ändern. Sie hatten immerhin dazu geführt, daß es zu einem engen menschlichen Kontakt zwischen ihm und der jungen Ärztin gekommen war, und dieser entschädigte ihn für vieles andere. Als er nun den Astro‐Beobachtungsraum betrat, hatten die Experten gerade ihre ersten Forschungen beendet. Dr. Rappan kam ihm entgegen und strahlte über das ganze Gesicht. „Manchmal geschehen doch noch Zeichen und Wunder, Captain!“ rief er begeistert aus. „Wir haben bei der Sonne gleich sechs Planeten gefunden, und der zweite davon scheint bewohnbar zu sein. Er ist im Mittel nur hundert Millionen Kilometer vom Muttergestirn entfernt, wird also ausreichend erwärmt und besitzt außerdem eine gute Sauerstoffatmosphäre. Was wollen wir mehr?“ Der Kommandant vermochte seinen Enthusiasmus nicht zu teilen, aber Rappan achtete nicht darauf. Er ignorierte John Corks knappes Nicken und eilte ihm voran auf die Monitoren zu, auf denen die Angaben über diese Welt erschienen. Wie üblich hatte man der Sonne einen provisorischen Namen gegeben, der von dem des Schiffes abgeleitet wurde, in diesem Falle ARLENIS. ARLENIS II war mit knapp 10.000 Kilometer Durchmesser kleiner als die Erde. Die Schwerkraft des Planeten betrug 0,82 Gravos, die Lufthülle enthielt neben dem Hauptbestandteil Stickstoff beachtliche 19,4 Prozent Sauerstoff. Sie war also gut atembar und schien keine schädlichen Bestandteile aufzuweisen. Außerdem deutete der hohe Sauerstoffgehalt auf eine erdähnliche Vegetation hin, die ihn durch Kohlenstoffassimilation und Fotosynthese erzeugt haben mußte. „Nicht schlecht, Doc“, gab John Cork zu, obwohl ihm diese Tatsachen nicht sonderlich behagten. Sie bedeuteten mit großer Wahrscheinlichkeit, daß seine Pläne nun endgültig hinfällig wurden; daß es für die Besatzung der ARLENE keine Rückkehr in die große menschliche Gemeinschaft mehr gab! „Liegen die Temperaturmessungen schon vor?“ erkundigte er sich. Dr. Bella nickte eifrig und hob eine Folie hoch, die mit den ersten genauen Auswertungen gerade aus dem Astro‐Computer gekommen war. „Ausgesprochen zufriedenstellend, Captain!“ erklärte er strahlend. „Die Durchschnittswerte sind nur um zwei Grad niedriger als auf der Erde, folglich muß ein großer Teil des Planeten bewohnbar sein. Welche Gegenden das sind, läßt sich allerdings erst sagen, wenn wir die Achsneigung dieser Welt festgestellt haben, was über diese Entfernung hin noch nicht möglich ist. Wasser gibt es dort auf jeden Fall auch genug, etwa zwei Drittel der Planetenoberfläche dürften von Ozeanen bedeckt sein.“ Der Kommandant dankte ihm und trat dann zu dem großen Elektronenteleskop, das auf ARLENIS II ausgerichtet war. Sein geübtes Auge sah sofort die beiden kleinen Lichtpunkte zu beiden Seiten, die ihm verrieten, daß der Planet von zwei kleinen Monden umkreist wurde.
Das ist also die Welt, auf der wir den Rest unseres Lebens verbringen sollen, dachte John Cork resigniert. Er hatte laut gedacht, aber niemand achtete momentan auf ihn. Alle waren eifrig damit beschäftigt, die Daten über das System auszuwerten, eine Arbeit, die für sie längst Routine geworden war. Fremde Welten stellten für die Menschen des 25. Jahrhunderts durchaus keine Besonderheit mehr dar. Es gab viele durch sie besiedelte Planeten, und schon lange war die Erde nicht mehr der alleinige Mittelpunkt. Im Grunde war es vielen Menschen bereits gleich, wo sie lebten, sofern ihnen ihre Umwelt annehmbare Bedingungen bot. Diese schien es auch auf ARLENIS II zu geben, aber konnte das allein genügen? Der Captain bezweifelte es sehr. Dreihundert Männer und Frauen waren an Bord des Schiffes, alles vorzüglich ausgebildete Fachleute. Ihr Handikap war, daß sich ihre Fähigkeiten fast ausschließlich auf Gebiete erstreckten, die für die Errichtung einer Kolonie auf einer unerschlossenen Welt vollkommen nutzlos waren! Selbst die Astro‐Geologen, ‐Ökologen und ‐Mediziner waren nur daran gewöhnt, Vorarbeiten für andere zu leisten, die nach ihnen kamen. Diesmal jedoch würde niemand kommen, um die eigentliche Arbeit zu tun, denn es gab keinen Transmitter – die dreihundert Menschen würden ganz auf sich allein gestellt sein! Daran hatte Dr. Mbunga offenbar nicht gedacht, er hatte wohl nur davon geträumt, sich zum Beherrscher der Kolonie auf ARLENIS II aufschwingen zu können. John Cork aber dachte daran. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß es die Techniker zusammen mit seinen Raumfahrern schaffen würden, die nötigen Gebäude für alle zu errichten. Auch die technischen Anlagen dafür warfen keine Probleme auf. Es gab noch eine Menge Material dafür an Bord, und im Notfall konnte auf die Aggregate der ARLENE zurückgegriffen werden. Doch was würde danach kommen? Es gab keine Samen von Nutzpflanzen an Bord, keine landwirtschaftlichen Geräte und keine Haustiere! Sauerstoff und Wasser waren auf dem Planeten vorhanden, wenigstens darum brauchte man sich also keine Sorgen, zu machen. Die Lebensmittelvorräte im Schiff reichten aber nur für ein halbes Jahr – und was sollte werden, wenn sie aufgebraucht waren, ohne daß man einen entsprechenden Ersatz dafür fand…? Fremde Welten hatten oft ihre Tücken, das wußte keiner besser als der Kommandant. Vielleicht würde man gezwungen sein, pausenlos um die nackte Erhaltung der bloßen Existenz zu ringen. Wer von den in dieser Hinsicht vollkommen unbewanderten Menschen würde dann – selbst, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben waren – dazu kommen, eine Landwirtschaft aufzubauen, die sie auf die Dauer erhalten konnte? All diese Gedanken schössen durch den Kopf des Captains, während er durch das Teleskop den Planeten betrachtete. Er war von Natur aus kein Pessimist, doch gezwungen, mit den ungünstigsten Voraussetzungen zu rechnen; in dieser Hinsicht machte er sich nichts vor. Wenn es später besser kam, als er erwartete, konnte ihm das nur recht sein, aber es wäre mehr als leichtsinnig gewesen, sich darauf verlassen zu wollen!
Er wurde abgelenkt, denn Dr. Rappan trat zu ihm. „Nun, was sagen Sie zu dem Planeten?“ fragte er halblaut. Etwas in seiner Stimme machte John Cork stutzig. Der Captain sah Rappan an und bemerkte nun, daß der Optimismus aus den Zügen des Astro‐Experten verschwunden war. Der Mann wirkte auffällig ernst. Auf seiner Stirn stand eine steile Falte, und aus seinem ganzen Gesicht sprach unverhüllte Besorgnis. „Eine schöne Welt, wie es scheint“, gab der Kommandant zurück, aber er ahnte bereits, was nun kommen würde. Seine Vermutung hatte ihn nicht getrogen, denn nun zog ihn Dr. Rappan vom Beobachtungsstand weg in einen stillen Winkel, wo niemand sie belauschen konnte. „Sie haben es gesagt, Captain, es scheint so! Aber wissen wir, was uns wirklich dort erwarten mag – ob wir dort auch werden bestehen können, wenn unsere Vorräte aufgebraucht sind?“ „Wen fragen sie das…?“ John Cork seufzte. * Der Abend war angebrochen. Die Bewohner von Garal kehrten von den Feldern und Weiden in der Umgebung zurück. Die Menschen waren abgearbeitet und müde, aber trotzdem zufrieden, denn nun ging es endlich wieder aufwärts. Nach dem ausgiebigen Regen war die Natur förmlich aufgeblüht, und schon in wenigen Tagen würde es wieder reichlich zu essen geben. Auch der Viehbestand war nun nicht mehr gefährdet. Sie hatten also allen Grund, sich zu freuen. Vielen wurde diese Freude jedoch verdorben, als bald nach ihrer Heimkehr der Ausrufer der Priester durch die Straßen zog. Er verkündete, daß in der Zeit gleich nach dem Aufgang des ersten Mondes in allen Tempeln Dankgottesdienste stattfänden. Die Götter hätten den Menschen geholfen und endlich den ersehnten Regen geschickt. Nun wäre es die Pflicht des Volkes von Garal, ihnen seinen Dank abzustatten – nicht nur durch Gebete, sondern auch durch reichliche Spenden! Die meisten folgten diesem Aufruf, viele widerspruchslos, manche auch nur murrend. Sie wußten, daß die Spenden in Wirklichkeit gar nicht für die Götter bestimmt waren, sondern nur den Priestern selbst zugute kamen. Trotzdem zog es der Großteil der Bevölkerung vor, die Gottesdienste zu besuchen und Spenden in die Tempel zu bringen, obwohl sie jeder sich buchstäblich vom Munde absparen mußte. Die Priester und ihre Gehilfen hielten ihre Augen stets offen und registrierten genau, wer sich ihrem Verlangen widersetzte. So wälzte sich bald nach Aufgang des Mondes eine lange Schlange von Menschen in die Tempel. Nur die Kaste der Heiler genoß hier eine Ausnahmestellung. Ihren Mitgliedern stand es frei, zu den Andachten zu erscheinen oder nicht. Auch waren sie nicht dazu angehalten, Spenden zu bringen, das geschah nur auf freiwilliger Basis. Die Priester wußten genau, wie ungemein wichtig die Existenz dieser Männer und Frauen war, deren besondere Fähigkeiten allgemein als Gaben der Götter angesehen wurden. Deshalb hüteten sie sich, wenn auch mit innerem
Widerstreben, ihnen irgendwelche Vorschriften zu machen. An diesem Abend jedoch konnten sie befriedigt feststellen, daß auch ein Großteil der Heiler zu den Gottesdiensten erschien. Daß Gernal und einige andere fehlten, war nur natürlich. Es mußte immer eine gewisse Anzahl von Heilern bereitstehen, um plötzlich auftretenden Krankheitsfällen mit ihrem Wirken zu begegnen. Alle Straßen von Garal waren menschenleer, aus den Tempeln erschollen die rhythmisch an‐ und abschwellenden Gesänge der Priester. Niemand sah die vereinzelten Gestalten, die sich durch die vom Mondlicht schwach erhellten Gassen bewegten! Ihr Ziel war das Haus Gernais, ihres Meisters. Sieben Heiler fanden sich nach und nach dort ein, unter ihnen auch Regia, die bevorzugte Schülerin Gernais. Ihr Herz klopfte heftig, und sie sah sich immer wieder um, während sie leichtfüßig durch die Stadt eilte. Regia atmete erst erleichtert auf, als sich auf ihr Klopfzeichen hin die Haustür Gernais öffnete und sie hastig hineinschlüpfen konnte. Von den Ereignissen dieses Abends sollte es schließlich abhängen, in welchen Bahnen ihr künftiges Leben verlaufen würde! Der Meister empfing sie mit einem leichten, wissenden und verstehenden Lächeln. „Keine Sorge, Regia, es ist alles in bester Ordnung! Unsere besten Leute sind heute abend hier versammelt, und alle wissen, worum es geht. Wir werden dich nicht enttäuschen – wir brennen förmlich darauf, dir zu helfen und dem gewissenlosen Ramto einen Denkzettel zu geben, den er so rasch nicht vergessen soll!“ „Danke, Meister“, entgegnete das Mädchen leise und wollte an ihm vorbeigehen, doch Gernal hielt sie auf. „Dieser Abend wird eine besondere Stunde für dich bringen, Regia. Es ist dein Anliegen, das uns hier zusammenführt; ein ungewöhnliches Anliegen, dem aber alle zugestimmt haben. Du selbst sollst es sein, die dabei die Hauptrolle spielt – alle unsere Kräfte werden sich in deinem Geist vereinen, um dem ehrlosen Priester zu schaden!“ „Das… das kann ich nicht, Meister!“ flüsterte Regia mit zuckenden Lippen. „Ich habe so etwas noch nie getan, dabei werde ich ganz bestimmt versagen…“ „Du kannst es, glaube mir“, gab Gernal ernst zurück. „Ich weiß am besten, daß deine Gabe stark genug ausgebildet ist, sonst würde ich es dir gar nicht zumuten. Komm jetzt weiter, die anderen warten schon.“ Er führte sie hinauf in das Obergeschoß, in dessen größtem Raum bereits die anderen Heiler versammelt waren. Unter ihnen befand sich nur ein weiteres Mädchen, denn seltsamerweise trat die Gabe bei Frauen nur verhältnismäßig selten auf. Dafür war sie dann aber meist sehr stark ausgebildet und überstieg fast immer die Fähigkeiten der männlichen Kastenmitglieder. Ein Ungewisses Halbdunkel erfüllte den Raum, der nur durch eine Öllampe mangelhaft erhellt wurde. Schemenhaft erkennbare Gesichter wandten sich dem Mädchen zu und begrüßten es. Regia zögerte unwillkürlich, aber der Meister schob sie energisch auf den großen Tisch zu und drückte sie in einen bereitstehenden Stuhl. Es war der Sitz, den Gernal selbst sonst einzunehmen pflegte, wenn sie zusammenkamen! In diesem Moment erst begriff Regia ganz, daß nun in letzter
Konsequenz alles von ihr abhängen würde. Alle, die an diesem magischen Zirkel teilnahmen, würden sich nur auf sie konzentrieren – wenn sie dabei versagte… Sie durfte nicht versagen! das erkannte sie nun in einer fast schmerzhaften Klarheit. Sie mußte sich alle Mühe geben, sonst stand ihr in jedem Fall ein schlimmes Schicksal bevor. Entweder die Ehe mit Ramto oder die Verstoßung mit all ihren Folgen, und beides erschien ihr gleichermaßen furchtbar. „Beginnen wir!“ mahnte der Meister, und das Mädchen fuhr aus seinen Gedanken auf. Die anderen hatten bereits rings um den Tisch Platz genommen. Gernal saß rechts neben Regia. Er streckte ihr seine Hand entgegen, und das Mädchen ergriff sie. Dann nahm sie die Hand Kerpans, der links von ihr saß. Auch die übrigen reichten sich die Hände, so daß eine geschlossene Kette entstand. Die Phase der Konzentration begann. Im allgemeinen setzten die Heiler – einzeln oder zu mehreren, je nach Schwere des Falles, den es zu behandeln galt – ihre Fähigkeiten nur in Anwesenheit desjenigen ein, der geheilt werden sollte. Das Fernwirken wurde nur selten praktiziert und war ungleich schwerer. Man bediente sich dieser Methode nur, wenn sich jemand in akuter Lebensgefahr befand und die Zeit nicht mehr ausreichte, den Kranken aufzusuchen. Kein Wort wurde mehr gesprochen. Mit fortschreitender Konzentration gerieten die acht Heiler in eine Art Trance, in der ihre normalen Sinne nicht mehr funktionierten. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Körper fast erstarrt, aber dafür begannen nun ihre seltsamen Fähigkeiten wirksam zu werden. Sie wußten, daß sich Ramto jetzt in seinem Tempel aufhielt, und auf diesen Mann konzentrierten sie sich. Unter Regias geschlossenen Lidern begann die Dunkelheit zu weichen, und plötzlich sah sie den Tempel vor sich wie im hellen Tageslicht. Sie erblickte einige Nachzügler, die eilig auf die große Pforte zustrebten, und erkannte sie auch. Sie vernahm aus dem Innern die monotonen Gesänge, die den Gottesdienst einleiteten, und unwillkürlich schreckte sie sekundenlang zurück. Ihre Konzentration ließ nach und ihr Körper begann sich zuckend zu bewegen, doch in diesem Moment griff der erfahrene Gernal ein. Ein besänftigender Impuls sprang von ihm auf das junge Mädchen über, das sich augenblicklich wieder beruhigte. Das Bild in ihrem Geist, das für kurze Zeit verschwommen war, kehrte wieder, und nun sah sie bereits das Innere des Tempels. Es war, als schwebte sie hoch über den Gottesdienstbesuchern, die auf dem harten Steinboden knieten und zu den Altären aufblickten, auf denen die steinernen Abbilder der vier Gottheiten thronten. Vor jedem Altar stand ein Priester in seinem prunkvollen goldverzierten Ornat, doch die Heiler wandten sich ausschließlich Ramto zu, der gerade seine Arme erhob, um einen neuen Gesang anzustimmen. Regia schien plötzlich direkt vor ihm zu stehen. Sie sah seinen plumpen Körper, die dicken Arme mit den unförmigen Fingern und sein feistes Gesicht. Es war in würdevolle Falten gelegt, doch der Ausdruck seiner Augen unter den buschigen Brauen redete eine andere Sprache. Es schien Regia, als
blicke Ramto sie direkt an, und dieser Blick löste unsagbaren Abscheu in ihr aus. Eisige Kälte sprach aus ihm, gepaart mit Verachtung, die den Gläubigen galt, die ehrfurchtsvoll zu ihm aufsahen. Regia fühlte die Aura von Grausamkeit und Verschlagenheit, die von seinem Geist ausging, und plötzlich breitete sich ein Gefühl grimmiger Entschlossenheit in ihrem Innern aus. Mochte kommen, was da wollte – diesem Mann würde sie nie gehören! In diesem Moment wäre sie ohne Bedenken bereit gewesen, ihn durch geistige Einwirkung zu töten, was durchaus in der Macht des Zirkels der Heiler gelegen hätte, in dem sie jetzt die führende Rolle innehatte. Niemand hätte je beweisen können, daß der Priester nicht eines natürlichen Todes gestorben war, aber das Mädchen schreckte instinktiv vor diesem Entschluß zurück. Die Aufgabe ihrer Kaste bestand darin, zu heilen, nicht zu töten! Es war schon schlimm genug, daß sich Heiler bereitgefunden hatten, etwas zu tun, das gegen alle ihre Prinzipien verstieß – die vorgesehene Strafe mußte genügen. Ramto sang aus Leibeskräften. Mühelos schwang sich seine sonst leicht fistelnde Stimme in die Höhe, um die Götter zu preisen, doch immer wieder irrten seine Augen zu den Gaben ab, die in reicher Fülle vor seinen Füßen lagen. Sie hatten sich fast verausgabt, die Bewohner von Garal, um ihre Dankbarkeit zu zeigen, obwohl ihnen das nach der langen Dürre bestimmt nicht leichtgefallen war. Ein kaum fühlbar mahnender Impuls des Meisters erinnerte Regia daran, daß sie bereits zu lange gezögert hatte. Die intensive Konzentration ließ sich nicht beliebig lange aufrecht erhalten, die Kräfte der Heiler mußten bald erlahmen. Sofort besann sich das Mädchen wieder auf seine Aufgabe, ihr Geist führte die anderen in die nächste Phase. Sie alle kannten die Symptome der grünen Pocken, einer unangenehmen Krankheit, die vor allem zu Beginn des Sommers auftrat, wenn bestimmte Pflanzen blühten. Es war verhältnismäßig leicht, die Krankheit zu heilen, also konnte es auch nicht schwer sein, sie herbeizuführen! Die Konzentration des Mädchens und der durch übersinnliche Brücken mit ihr verbundenen Männer verstärkte sich noch. Vor ihrem geistigen Auge begann sich Ramtos Gesicht plötzlich zu verändern. Winzige Pusteln bildeten sich auf seiner Haut, mit einem wäßrigen Sekret gefüllt, die die Vorstufe der Krankheit anzeigten. Dieser Vorgang vollzog sich nicht nur im Geiste der Heiler, sondern auch in Wirklichkeit. Das genügt! sagte unhörbar die Stimme Gernais irgendwo in Regia. Ihre innere Anspannung löste sich ebenso wie bei den anderen, das Bild aus dem Tempel begann allmählich zu verblassen. Doch ehe es ganz verschwand, war noch zu erkennen, wie Ramtos Hand zum Nacken fuhr, um sich zu kratzen…
4. Die ARLENE hatte das unbekannte System erreicht.
Die Ortungsgeräte liefen pausenlos, aber sie brachten keine neuen Daten mehr herein. Die Astro‐Experten wußten inzwischen genauestens über sämtliche Planeten der Sonne ARLENIS Bescheid, doch es gab nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß es auf einem davon intelligentes Leben gab. Damit hatte auch niemand ernsthaft gerechnet, obwohl diese Möglichkeit natürlich nicht ganz auszuschließen war. Dieser Typ alter Sterne, bei denen der Prozeß des Verlöschens bereits unmerklich eingeleitet war, hatte seine Umläufer schon vor acht bis zehn Milliarden Jahren gebildet. Falls auf ARLENIS II jemals intelligente Wesen existiert hatten, mußte der Zeitpunkt ihres Entstehens schon so weit zurückliegen, daß sie längst wieder vergangen waren. Das Vorhandensein einer reichlichen Vegetation auf dieser Welt war durchaus nicht ungewöhnlich und kein Gegenbeweis. John Cork wußte das alles aus langer Erfahrung, aber er fühlte sich trotzdem nicht wohl in seiner Haut. Das war allerdings nicht auf das Wirken seines Gegenspielers zurückzuführen, obwohl Dr. Mbunga eifrig weiter unter der Besatzung agitierte. Im Gegenteil – der Kommandant hatte mit stiller Befriedigung feststellen können, daß sich die Anhängerschaft des Wissenschaftlers inzwischen eher vermindert hatte! Es gab viele kleine Anzeichen dafür, daß so mancher sein Votum für ihn bereute und wieder auf die Seite des Captains umzuschwenken begann. Doch nun war es natürlich zu spät, denn die ARLENE war fast am Ziel. Jetzt noch einmal umdisponieren zu wollen, wäre direkt widersinnig gewesen. Außerdem bestand ja durchaus die Möglichkeit, daß sich alles trotzdem noch relativ günstig entwickelte. Wenn es auf dieser Welt genügend Tiere und Pflanzen gab, die sich zum Verzehr durch Menschen eigneten, brauchte man nicht hier zu bleiben. Dann konnten die Vorräte soweit aufgestockt werden, daß sie auch für einen Flug ins Sadir‐System reichten, ohne daß die Besatzung in die Kältekammern ging. Captain Cork wußte, daß Mbunga auf das Gegenteil hoffte, denn nur ein Verbleiben auf ARLENIS II konnte seinen Absichten gelegen kommen. Der Kommandant nahm sich vor, alles zu tun, um das Gegenteil zu erreichen. Die ARLENE hatte sich dem Planeten nun schon soweit genähert, daß die Bremsperiode eingeleitet worden war. Wie ein großer blaugrüner Ball stand sein Bild auf den Sichtschirmen, neben ihm die beiden Monde, die vollkommen öde waren, weil es auf ihnen keine Atmosphäre gab. „Alles in Ordnung, Jens?“ fragte der Kommandant, und der Pilot nickte, ohne von seinen Instrumenten aufzusehen. „Nur noch zwanzig Minuten, Captain, dann können wir in einen Orbit gehen. Eine Bahn von Pol zu Pol, wie üblich?“ John Cork bestätigte, trat dann zurück und unterhielt sich mit Dr. Rappan, der sich in der Schiffszentrale aufhielt. Er hatte dem Captain mitgeteilt, daß ARLENIS II eine Achsneigung von zwölf Grad zur Ekliptik besaß, also nur relativ kleine Polarzonen aufwies. Außerdem hatten die Experten festgestellt, daß der Planet nur ein schwaches Magnetfeld besaß, daß also auf besondere Vorsichtsmaßnahmen beim Anflug verzichtet werden konnte.
„Unter normalen Umständen wäre das eine ideale Welt zur Besiedlung“, meinte er nachdenklich. „Vielleicht wäre es doch gar nicht so falsch, hier zu bleiben, Captain. Früher oder später wird ein anderes Erkundungsschiff auch hierherkommen, Sadir ist ja nur siebzig Lichtjahre entfernt. Vielleicht brauchen wir nur ein paar Jahre auszuhalten, und dann erledigen sich unsere Schwierigkeiten ganz von selbst.“ Der Kommandant hob die Schultern. „Durchaus möglich, Doc, aber darauf möchte ich mich lieber doch nicht verlassen. Sie wissen ja, wie das so ist: Etwas Unverhofftes tritt schnell einmal ein – wenn man jedoch auf etwas Bestimmtes wartet, wird man meist enttäuscht! Warten wir also erst einmal ab, was uns diese Welt wirklich zu bieten hat; dann können wir weitersehen.“ Die ARLENE wurde vom Piloten in einen sanften Bogen gelenkt und schwenkte schließlich in der Höhe von fünftausend Kilometern in den vorgesehenen Orbit ein. John Cork und Dr. Rappan verließen die Zentrale und begaben sich in den Beobachtungsraum, wo die Experten bereits eifrig damit beschäftigt waren, die Oberfläche des Planeten zu erkunden. Ihre erste Diagnose erwies sich als richtig, denn ARLENIS II besaß nur Poleiskappen, die kaum ein Viertel von denen der Erde ausmachten. Die nördliche bedeckte den größten Teil eines in dieser Region gelegenen kleinen Kontinents, die südliche nur freies Meer. Außerdem wurden drei mittelgroße Landmassen entdeckt, die sich ziemlich gleichmäßig über den Planeten verteilten und sowohl über die tropischen wie auch die gemäßigten Zonen erstreckten. Vorerst konnten nur zwei davon eingehend beobachtet werden, weil sich der dritte Kontinent innerhalb der Nachtzone befand. Sie waren zum überwiegenden Teil von ausgedehnten Wäldern bedeckt, die in den äquatorialen Zonen Dschungelcharakter besaßen, aber es gab auch große savannenartige Gebiete mit reichlichem Bewuchs von grasähnlichen Pflanzen. Wie erwartet, war jedoch nirgends etwas zu entdecken, das auch nur entfernt auf eine Gestaltung durch intelligente Wesen hingewiesen hätte. „Eigentlich unverständlich“, meinte Dr. Jordan, der Xenologe des ARLENE‐Teams. „Auf einer so guten Sauerstoffwelt müßte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rasse von Primaten entwickelt haben; die Voraussetzungen sind mehr als günstig. Warum mag das wohl hier nicht der Fall sein?“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Die Evolution geht auf jeder Welt andere Wege, Doc. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß wir es mit einem ziemlich alten Planeten zu tun haben. Es ist durchaus möglich, daß es hier vor Millionen von Jahren Intelligenzen gegeben hat, die aber inzwischen längst wieder vergangen sind, ohne Spuren zu hinterlassen.“ Nach der dritten Umkreisung des Planeten wurden die Arbeiten vorerst eingestellt, weil für das Schiff die Nachtperiode gekommen war. John Cork unterrichtete die Besatzung über Interkom von den bisherigen Feststellungen, bestimmte eine Wache für die Zentrale, und dann senkte sich Ruhe über alle Decks der ARLENE. Es war die letzte ruhige Nacht für die Besatzung, aber das konnte selbst der pessimistische Kommandant nicht ahnen…
*
Die aufsehenerregende Entdeckung wurde am nächsten Morgen gemacht, als das Schiff den dritten Kontinent überflog. Er lag zum größten Teil innerhalb der Äquatorzone, besaß die Form einer riesigen Niere und unterschied sich im übrigen nicht wesentlich von den beiden anderen Kontinenten. Die Experten nahmen die üblichen Beobachtungen vor, die Aufzeichnungsgeräte surrten eifrig, zeichneten alles auf, und die Auswertungscomputer erstellten danach Reliefkarten von großer Genauigkeit. Erst, als sich der Raumer über dem Südteil der vorwiegend gebirgigen Landmasse befand, geschah das, womit schon niemand mehr ernsthaft gerechnet hatte. „Eine Stadt – eine richtige Stadt!“ stieß Dr. Bella hervor, der sich zu dieser Zeit am Hauptteleskop befand, und seine Stimme überschlug sich fast. Captain Cork, der kurz zuvor in den Beobachtungsraum gekommen war, war mit einem Sprung bei ihm, und dann starrten beide Männer in atemloser Spannung auf das Bild, das ihnen der Spiegel des Geräts in starker Vergrößerung zeigte. Die ARLENE hatte gerade ein langgestrecktes Gebirgsmassiv überflogen, an das sich eine ausgedehnte Senke anschloß. Sie war zum Teil von niedrigen Wäldern bedeckt, aber es gab auch größere Steppen und Savannen, die von breiten Flüssen durchzogen wurden. An einem von diesen lag die Stadt, und John Cork hielt in diesem Moment unwillkürlich den Atem an. War das möglich – konnte es so einen Zufall geben…? Die Stadt war nicht groß, sie konnte höchstens einige tausend Bewohner haben, wenn man menschliche Vergleichsmaßstäbe anlegte. Das tat der Captain aber unwillkürlich, ohne erst lange zu überlegen, und erst danach wurde ihm bewußt, warum. Alles deutete darauf hin, daß diese Stadt von Menschen angelegt worden war! Natürlich war es aus dieser Höhe nicht möglich, genaue Feststellungen zu treffen, aber dem konnte abgeholfen werden. Rasch begab sich der Kommandant zum nächsten Interkomanschluß und stellte eine Verbindung zur Schiffszentrale her. „Passen Sie auf, Jens: Die ARLENE ist sofort abzubremsen und in fünfzig Kilometer Höhe in einen stationären Orbit zu bringen, die genauen Koordinaten gebe ich Ihnen anschließend durch. Wir haben eben etwas entdeckt, das vielleicht unsere Situation von Grund auf ändern kann.“ Jens Hagerup nickte nur und verzichtete auf Fragen, denn er wußte aus Erfahrung, daß er jetzt noch keine Antwort bekommen würde. John Cork gab ihm die Positionsdaten der Stadt, über die die ARLENE inzwischen längst hinweggeschossen war. Der Pilot wiederholte sie und leitete dann sofort das Manöver ein. Das Schiff wurde stark abgebremst und in eine weite Kurve gezwungen, während es gleichzeitig tiefer ging. Dann stand es, vom Antigrav gehalten, über dem Rand der Senke, und nun konnte das Team im Beobachtungsraum alles genau sehen. Diese Stadt auf dem namenlosen Planeten war tatsächlich von Menschen erbaut, daran konnte es nun keinen Zweifel mehr geben! Die Häuser waren in jener auf reine Zweckmäßigkeit ausgerichteten Bauweise errichtet, die auf alle architektonischen
Spielereien verzichtete und typisch für Kolonialwelten war. Daß sie bewohnt war, bewiesen die Felder, die sie umgaben, und Dr. Rappan sah den Kommandanten aus leuchtenden Augen an. „Wir haben wirklich unverschämtes Glück, Captain! Jetzt braucht uns um unsere Zukunft nicht mehr bange zu sein, denn zweifellos gibt es dort unten auch einen Transmitter. Über ihn können wir alle nötigen Ersatzteile für unser Schiff bekommen, und dann ist es nur noch eine Frage weniger Tage, bis wir uns auf den Rückflug zur Erde machen können.“ Dr. Bella nickte, und auf seinem feisten Gesicht zeigte sich ein schadenfrohes Lächeln. „Ich bin nur gespannt, was der gute Mbunga wohl dazu sagen wird. Er wollte unbedingt, daß wir dieses System anfliegen – daß es nun so kommen würde, hätte er sich wohl bestimmt nicht träumen lassen…“ Die sonst so ernsten Wissenschaftler freuten sich fast wie Kinder, John Cork dagegen hielt sich sichtlich zurück. Etwas in seinem Unterbewußtsein sagte ihm, daß in dieser Stadt nicht alles so war, wie es hätte sein müssen, doch dieses Gefühl blieb vage und ohne stichhaltige Erklärung. Er zermarterte sich den Kopf, aber es wollte ihm nicht gelingen, dieser Unstimmigkeit auf die Spur zu kommen. So gab er es schließlich auf und ging erneut zum Interkom. Diesmal stellte er eine Rundspruchverbindung her und setzte der Besatzung in nüchternen Worten die Sachlage auseinander. Mit voller Absicht enthielt er sich jedes überschwenglichen Kommentars und kündete nur an, daß man in der Nähe der Stadt landen würde, sobald die Beobachtungen abgeschlossen wären. Trotzdem brach unter den Männern und Frauen der ARLENE eine wahre Euphorie aus. Als sich der Captain auf den Rückweg in die Zentrale machte, wurde er ständig von lachenden Menschen umringt, die ihn beglückwünschten und mit Fragen bestürmten. Er war froh, als er endlich den Kommandoraum erreicht hatte, in dem es wohltuend ruhig war. Alle diensttuenden Männer standen vor den Bildschirmen und sahen fast andächtig auf die Stadt hinab, die ihnen das Ende der Unsicherheit ihrer Zukunft versprach. Fast widerwillig begaben sie sich auf ihre Plätze zurück, als der Kommandant eintrat, und dieser wandte sich sofort an den Funker. „Versuchen Sie, die Stadt über den Normalfunk zu erreichen, Sheer, allgemeine Verkehrsfrequenz. Wir wollen nicht unhöflich sein und uns anmelden, wie es bei gesitteten Menschen Brauch ist. Sobald Sie Verbindung haben, übernehme ich.“ Der Funker bestätigte und schaltete sofort seine Geräte ein. Sekunden später glitt das Schott der Zentrale auf, und Dr. Mbunga kam hereingestürmt. Sein dunkles Gesicht strahlte vor Triumph, um seine wulstigen Lippen lag ein hämisches Lächeln. „Nun, sehen Sie jetzt ein, wie recht ich hatte, Captain?“ fragte er in aggressivem Ton. „Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, befänden wir uns jetzt schon im Kälteschlaf, aus dem wir vielleicht nie mehr erwachen würden! Sie werden doch wohl zugeben müssen…“ Er verstummte, und sein Lächeln gefror förmlich, als er dem eisigen Blick John Corks begegnete. Der Captain hatte sich mit diesem Mann noch nie gut verstanden, und in
diesem Augenblick war seine Aversion besonders stark. Das Verhalten Mbungas stieß ihn regelrecht ab, und entsprechend fiel auch seine Antwort aus. „Ich bin mir nicht bewußt, Sie in die Zentrale bestellt zu haben, Dr. Mbunga“, sagte der Captain frostig. „Darf ich Sie also bitten, diesen Raum umgehend wieder zu verlassen? Ihre Anwesenheit ist nicht nur unerwünscht, sondern wirkt auch störend auf den Dienstbetrieb, und gerade jetzt haben wir viel zu tun. Falls ich Sie irgendwie brauchen sollte, werde ich Sie rufen lassen, klar?“ Das Gesicht des Astro‐Geologen verzerrte sich vor mühsam unterdrückter Wut über diese Abfuhr, doch er war machtlos, denn der Kommandant war formal vollkommen im Recht. Wortlos wandte Mbunga sich um und verließ die Zentrale. Der Erste Offizier lachte leise auf. „Dem haben Sie es aber gut gegeben, Captain! Jetzt bildet sich dieser bornierte Herr doch tatsächlich auch noch ein, unser alleiniger Retter zu sein, nur weil er den Anstoß dazu gegeben hat, daß wir hierhergeflogen sind.“ John Cork lächelte, aber seine Augen blieben ernst. „Eigentlich hat er ja recht, er hätte es nur nicht so penetrant hervorheben sollen. Wenn er sich einfach gefreut hätte wie all die anderen, wäre alles in Ordnung gewesen; aber er dachte auch jetzt nur in erster Linie daran, mir seine angebliche Überlegenheit beweisen zu müssen, und das stieß mich ab. Sobald wir wieder auf der Erde sind, werde ich um seine oder meine Versetzung aus diesem Team einkommen, Carl.“ „Es kann nur Mbunga sein, der gehen muß, Captain!“ sagte Carl Morgan überzeugt. „Wenn es hart auf hart geht, werden sich achtzig Prozent der Besatzung auf Ihre Seite stellen, daran ist kaum zu zweifeln. Einen neuen Teamleiter finden wir schnell wieder, nicht aber einen Kommandanten wie Sie.“ Der Captain verzichtete auf eine Antwort und begab sich statt dessen hinüber zum Funker. „Wie sieht es aus, Sheer?“ fragte er knapp. Herb Sheer, ein kleiner schmächtiger Mann mittleren Alters, aber eine Kapazität in allen Dingen, die sein Fach betrafen, sah ihn ratlos an. „Ich versuche es pausenlos, Sir, aber ich bekomme keine Antwort. Ich kann es mir nur so erklären, daß die Funkstation da unten gar nicht besetzt ist.“ Der Kommandant runzelte die Stirn. „Das kann ich mir nicht gut vorstellen, denn es wäre ein grober Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen. Auch eine relativ kleine Siedlung wie hier muß die Funkgeräte ständig auf Empfang halten, weil jederzeit der Befehl kommen kann, den Transmitter einzuschalten. Zumindest den Hyperfunk“, setzte er dann hinzu, „versuchen Sie es noch einmal darauf.“ Sheer nickte und schaltete seine Apparaturen um, in John Cork aber stieg wieder jenes seltsame Gefühl des Unbehagens auf, das er sich nicht erklären konnte. Er wandte sich zu dem Ersten Offizier um. „Mit dieser Welt stimmt etwas nicht, Carl, darauf könnte ich wetten! Es erscheint mir schon seltsam genug, daß es hier eine Kolonie gibt, die in keinem Verzeichnis enthalten ist, aber so etwas kann der Bürokratie schon einmal unterlaufen. Daß sich da unten niemand meldet, ist dagegen schon sehr merkwürdig.“
„Sie meinen, in der Stadt könnte etwas geschehen sein, das die Bewohner zum Verlassen des Planeten gezwungen hat?“ fragte Carl Morgan bestürzt. Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Ich will es nicht beschreien, aber möglich ist bekanntlich alles. Deswegen aber keine Panik. Warten wir erst einmal ab, ob die Funkverbindung nicht doch noch zustande kommt.“ * Eine Viertelstunde später stand es endgültig fest: Die Stadt auf dem Planeten ARLENIS II gab kein Lebenszeichen! Captain Cork ließ Dr. Rappan zu sich rufen und setzte ihm die Sachlage kurz auseinander. Auch der Wissenschaftler zeigte sich bestürzt. „Das wäre einfach furchtbar, Captain, anders kann ich es nicht ausdrücken. Unsere Männer und Frauen jubeln und freuen sich; die Enttäuschung würde sie fast umwerfen. Gibt es denn irgendwelche Anhaltspunkte dafür, was da unten geschehen sein könnte?“ „Nicht die geringsten, Doc; alles sieht vollkommen friedlich und ordentlich aus, soweit man das von hier aus beurteilen kann. Ich bin deshalb dafür, vorerst darüber zu schweigen und trotz allem eine Landung vorzunehmen. Dann können wir uns an Ort und Stelle von den Gegebenheiten überzeugen.“ Dr. Rappan gab ihm recht, und so setzte die ARLENE schließlich eine Viertelstunde später zur Landung an. John Cork hatte dafür einen freien Platz in der Nähe des Flusses ausgesucht, von dem aus die Stadt innerhalb weniger Minuten zu erreichen war. Die Gefühle der Männer in der Kommandozentrale waren zwiespältig. Sie wußten nicht, was sie erwarten würde, aber sie waren auf alles gefaßt. Es war besser, mit einem Minimum an Erwartungen zu landen und dann angenehm enttäuscht zu werden, als voller Hoffnung, die sich nicht erfüllt. „Was tun wir, wenn da unten alles tot ist, Sir?“ fragte der Erste Offizier leise, während das Schiff antriebslos, nur mit Hilfe der Antigravprojektoren, dem Boden zusank. „Ich fürchte stark, daß es dann zu Tumulten unter unseren Leuten kommen könnte. Viele würden es nicht verkraften, die Enttäuschung wäre zu groß.“ Der Kommandant lächelte humorlos. „Das würden vermutlich jene sein, die letzthin Dr. Mbunga unterstützt haben, dem sie es im Grunde auch zu verdanken hätten. Sie haben ihren Willen bekommen, uns könnte niemand die Schuld daran geben, wenn wir in eine tote Stadt kommen.“ Carl Morgan nickte bekräftigend. „Natürlich nicht – aber wahrscheinlich würden sie es doch tun! In solchen Situationen neigen die Leute zur Inkonsequenz, und Mbunga würde bestimmt alles tun, um das Feuer noch mehr zu schüren.“ John Cork lachte hart auf. „Das ist anzunehmen, es würde mich aber wenig berühren. Ich würde ihn und seine Anhänger kurz und bündig vor die Wahl stellen: Entweder ihr benehmt euch
anständig oder ihr könnt hier auf dem Planeten bleiben, während die ARLENE mit dem Rest der Besatzung ins Sadir‐System fliegt!“ „Sie würden sie einfach hier zurücklassen?“ fragte der Erste Offizier konsterniert. „Nun ja, im Grunde wäre das nur konsequent gehandelt, und sie würden wahrscheinlich schnell wieder zur Besinnung kommen, wenn sie sich vor diese Wahl gestellt sähen.“ Inzwischen hatte sich das Schiff dem Boden bis auf tausend Meter genähert, und nun waren bereits deutlich Einzelheiten zu erkennen. Gebannt sahen die Männer auf die Bildschirme, und dann stieß Morgan einen Ausruf der Erleichterung aus. „Da, sehen Sie doch, Sir: Die Stadt ist nicht tot – man kann Menschen in den Straßen sehen, die nach oben blicken! Also waren unsere Befürchtungen grundlos, Gott sei Dank. Auch die Felder sind frisch bestellt, und auf den Wiesen läuft Vieh herum, Kühe und Schweine.“ Der Kommandant nickte nur, aber ihm war eine schwere Last von der Seele genommen. Seine Augen glänzten ebenso wie die der anderen Männer in der Zentrale, denn nun konnte es keinen Zweifel mehr daran geben, daß alle Sorgen hinfällig waren. Jens Hagerup brachte die ARLENE sicher zu Boden. Sie setzte sanft auf und stand dann fest auf ihren Teleskopstützen, die sich den Unebenheiten des Bodens automatisch anglichen. Das Schiff war darauf eingerichtet, auf unbewohnten Planeten zu landen und besaß entsprechend große Auflageteller unter den Landestützen, so daß es trotz seines großen Gewichts kein Einsinken gab. Für einige Sekunden war es in der Zentrale still, dann griff John Cork nach den Schaltern des Interkoms. „Kommandant an alle: Wir sind glatt gelandet, die ARLENE steht etwa einen Kilometer vor der Stadt. Ich selbst werde mich dorthin begeben, um mit den Anführern der Kolonie Kontakt aufzunehmen; sonst verläßt vorläufig niemand das Schiff. Achtung, Techno‐Abteilung: Einen Schwebewagen fertigmachen und in der Lastenschleuse bereitstellen. Ende.“ Er schaltete wieder ab und wandte sich dann an Dr. Rappan. „Sie kommen doch sicher mit mir, Doc? Sie auch, Carl, dazu noch der Fahrer, das genügt fürs erste. Wenn wir drüben in der Stadt alles geklärt haben, können auch die anderen etappenweise Ausgang bekommen.“ Ein Antigravschacht brachte die drei Männer zu der Schleuse, wo Wagen und Fahrer schon bereitstanden. Wenig später glitt das Fahrzeug ins Freie, schwebte zum Boden hinab und nahm dann mit leise summendem Feldantrieb Kurs auf die Stadt, deren erste Häuser in der Ferne zu erkennen waren. Der Captain betätigte einen Knopf, das Verdeck des Wagens glitt auf, und dann sogen alle in tiefen Zügen die nach Erde, Pflanzen und Leben duftende Luft des Planeten ein. Erst jetzt entspannte sich der Kommandant ganz. Alle Befürchtungen waren grundlos gewesen, auch für den Ausfall der Funkstation würde sich wohl eine Erklärung finden. Die Stadt war bewohnt, es gab Menschen in ihr, und bald würde man ihnen gegenüberstehen. Was konnte nun noch passieren?
5.
Nandu Der Wissende saß vor seinem Haus in der Sonne, deren warme Strahlen seine alten Glieder wohlig erwärmten. Er war mit sich und der Welt zufrieden. Schon früh am Morgen, noch ehe die Sonne aufgegangen war, war Regia wieder zu ihm gekommen. Diesmal allerdings mit einem strahlenden Gesicht, das ihm alles verriet, ehe sie noch zu sprechen begann. „Wir haben es geschafft, Nandu!“ hatte sie gejubelt und ihn so stürmisch umarmt, daß ihm fast die Luft wegblieb. „Es war eine harte Arbeit, zumal wir so etwas noch nie versucht hatten. Der Meister hat mich selbst das Fernwirken leiten lassen – Nandu, Ramto hat die grünen Pocken!“ Der Wissende hatte sich mit ihr gefreut, aber auch schon weiter gedacht. Er äußerte die gleichen Bedenken, die Gernal im Anfang vorgebracht hatte. „Was wird aber sein, wenn er nun zu euch kommt und verlangt, daß ihr ihn sofort wieder heilt, wie es eure Aufgabe ist? Ihr könnt euch keinesfalls weigern, das wißt ihr.“ Ein perlendes Lachen des Mädchens hatte ihm geantwortet. „Nein, das Können wir nicht, schon gar nicht bei einem der Priester. Gernal wird natürlich sofort einige Heiler zu sich rufen – allerdings jene Männer, die auch gestern abend dabei waren. Sie werden alles versuchen, Ramto zu heilen, es wird nicht anders sein als sonst auch. Wenn es ihnen nicht oder nur unvollständig gelingen sollte, kann ihnen niemand die Schuld daran geben…“ Nandu hatte still vor sich hin gegrinst. „Daran war die ungünstige Stellung der Gestirne schuld, ich weiß. Mädchen, ich hätte dir diesen Rat nicht gegeben, wenn ich nicht gewußt hätte, daß ihr euch notfalls auch irgendwie aus der Schlinge ziehen könntet. Keiner, der nicht selbst eurem Stand angehört, wird euch das Gegenteil beweisen können, also dürfte es kaum Schwierigkeiten geben.“ „Doch – für Ramto!“ Regia hatte gelächelt, und dann hatte Der Wissende einen zweiten Kuß von ihr bekommen. Diesmal auf die andere Wange. Und nun saß er in der Sonne und fühlte sich rundum wohl. Von den Stufen aus konnte er einen großen Teil der Stadt überblicken, und so entging ihm auch nicht der Tempeldiener, der sich mit ungewohnter Eile zu Gernais Haus begab. Nandu lächelte in sich hinein, denn er wußte genau, zu welchem Zweck das geschah. „Dir gönne ich alles, nur nichts Gutes, Ramto!“ murmelte er halb belustigt, halb grimmig vor sich hin. Allmählich begannen sich nun die Straßen zu beleben. Männer und Frauen eilten hin und her und gingen ihren üblichen Verrichtungen nach. Die Feldarbeiter und Viehhüter sammelten sich auf dem kleinen Platz nahe bei Nandus Haus, und mancher freundliche Gruß kam von jenen, denen er schon einmal mit seinem Rat geholfen hatte. Alle waren wie ausgewechselt, da nun die Natur, von der sie lebten,
wieder aufgeblüht war. Dann sah er Gernal, der zusammen mit dem Tempeldiener sein Haus verließ und nun wohl die Männer für Ramtos „Heilung“ zusammenrief. Dadurch wurde Nandu wieder an Regia erinnert, und ihn überkam erneut die alte Sorge. Ramto war vorerst ausgeschaltet, aber er stellte im Grunde nur ein Problem von untergeordneter Bedeutung dar. Weit wichtiger war die Frage, warum es auf Garal nur noch so wenige Kinder gab. Auch Regia würde früher oder später einen Gefährten finden, aber selbst bei ihr, die viele gute Anlagen besaß, war es fraglich, ob sie Kinder haben würde. Wenn es so weiterging, mußten die Menschen von Garal in absehbarer Zeit aussterben – warum nur? Gewiß, er würde das nicht mehr erleben, aber das machte seine Sorge nicht geringer. Der Wissende wurde jäh aus seinem Grübeln aufgeschreckt, als weit über der Stadt ein ungewöhnliches Geräusch zu hören war. Es klang wie das Brausen eines fernen Sturmes, und Nandu sah beunruhigt auf. Der Himmel war blau und fast wolkenlos, es gab also keine erkennbare Ursache dafür. Was, bei allen Göttern, konnte es dann aber sein? Gleich darauf erkannte er den Grund, und seine alten Augen weiteten sich; zuerst vor Schreck, dann vor ungläubigem und doch freudigem Erstaunen. Ein dunkler Punkt war am Himmel erschienen, genau über der Stadt! Er wurde allmählich größer, wurde zu einem länglichen Körper von gewaltigen Ausmaßen, der im Licht der noch tiefstehenden Sonne blitzte. Von ihm ging jenes seltsame Geräusch aus, das nicht nur Den Wissenden erschreckte, sondern auch alle anderen in der Stadt. Sie blieben stehen und sahen mit allen Anzeichen von Furcht und Entsetzen zum Himmel auf. Auch Nandu erhob sich nun so hastig, wie es sein alter Körper zuließ. Nun bewies sich, daß man ihn nicht umsonst Den Wissenden nannte, denn er hatte inzwischen begriffen, was geschah. Was da auf Garal herabkam, war nichts, vor dem sich die Menschen von Garal fürchten mußten. Es war etwas, auf das frühere Generationen inbrünstig gewartet hatten, dessen Kenntnis aber inzwischen fast ganz verlorengegangen war. Nandu wußte noch darum: Es war ein Fahrzeug der Götter! Nicht jener Götter, die von den unwissenden Priestern dem Volk zur Verehrung offeriert wurden – nein, der wahren Götter, die von den Sternen kamen… So schnell er konnte, humpelte der Alte zu einer kleinen Gruppe von Männern, Frauen und Kindern hinüber, die sich inzwischen gebildet hatte und sich wie schutzsuchend zusammendrängte. Fassungslos starrten sie zu dem immer größer werdenden Gebilde empor, dessen Vorhandensein sie ängstigte, weil es ihr Begriffsvermögen weit überstieg. „Ein Stern fällt vom Himmel!“ rief einer der Männer in panischer Furcht aus. „Er fällt genau auf die Stadt – er wird uns alle zerschmettern…“ „Unsinn, du Dummkopf!“ fuhr ihn Der Wissende heftig an, und alle Gesichter wandten sich nun ihm zu. „Was da kommt, ist ein Fahrzeug der Götter, nichts sonst, das könnt ihr mir glauben. Sie steigen zu uns herab, um uns zu besuchen – warum
sollten sie uns dann wohl zerschmettern wollen?“ Auch Gernal und der Tempeldiener hatten sich zu der Gruppe gesellt, und der Meister der Heiler sah Nandu ungläubig an. „Woher willst du das wissen?“ fragte er zweifelnd, und Nandu richtete sich hoch auf. „Ich weiß es eben“, behauptete er im Brustton der Überzeugung. „Ich weiß noch vieles, was ihr längst vergessen habt, und auf mich könnt ihr getrost hören. Oder habe ich euch schon einmal einen falschen Rat gegeben?“ Das konnte ihm niemand nachsagen. Und so akzeptierten die Menschen auch das, was er berichtete, doch dafür begannen sie zu fragen. „Welche Götter, Nandu?“ wollte Gernal wissen. „Lanzer, der Gott der Hoffnung, oder Dekker, der Gott des Verderbens – oder Morwig, der Allgütige? Oder gar alle zusammen?“ Nandu winkte überlegen ab. „Keiner von ihnen, Gernal, keiner jener steinernen Götter aus dem Tempel, die ohne jedes Leben sind. Es sind die wahren Götter von den Sternen, auf die unsere Vorfahren gehofft haben, die sich aber keinem Menschen von Garal je zeigten! Sie kommen bestimmt, um den Berg der Götter wieder in Besitz zu nehmen, und sie werden uns ihren Segen bringen, glaubt mir das.“ „Lästerer!“ stieß der Tempeldiener hervor und entfernte sich hastig. Er gehörte zu jenen Männern, die Ramto bedingungslos gehorchten und seine willigen Werkzeuge waren, und Der Wissende sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Doch nur für einen Augenblick, dann beanspruchte das Fahrzeug der Götter wieder seine ganze Aufmerksamkeit. Es war nun nur noch wenige hundert Meter hoch und deutlich zu erkennen. Es würde nicht auf die Stadt herabstürzen. Langsam schwebte das riesige, lange Gebilde immer tiefer, sein Ziel schien die Gegend unten am Fluß zu sein. Die Menschen atmeten auf, und erneut wurde Nandu mit Fragen bestürmt, doch er winkte ab. „Wartet doch, bis sie sich uns zeigen. Ich habe sie nie gesehen, woher soll ich dann wissen, wie sie sind? Wartet geduldig, dann werdet ihr alles erfahren.“ Seine Worte wurden rasch weiter verbreitet, und allmählich wich die Angst von den Menschen von Garal. Sie wußten nicht, was sie sich von den unbekannten Göttern erwarten sollten, aber sie vertrauten auf Den Wissenden, den jeder achtete, die Priester ausgenommen. Diese wußten noch nichts, denn zu dieser frühen Stunde war außer Ramto, den die Pocken plagten, noch keiner wach. Doch es dauerte nur wenige Minuten, bis sie der Alarmruf des Tempeldieners auf die Beine gebracht hatte, und dann starrten sie genauso angstvoll zum Himmel auf wie zuvor alle anderen. „Kein Zweifel, in diesem Gefährt müssen Götter sein!“ sagte der Zweite Priester Wonka schließlich mit heiserer Stimme. „Doch welche Götter – kannst du es uns sagen, Ramto?“ Der Angesprochene fühlte sich doppelt unbehaglich. Nicht nur sein Gesicht, sondern sein ganzer Körper war von den grünen Pocken bedeckt, und er mußte sich fast unaufhörlich irgendwo kratzen. Daß nun ausgerechnet jetzt ein weiteres, so gut wie
unlösbares Problem auftauchte, überforderte ihn vollends. Doch er wäre nicht der gerissene Ramto gewesen, wenn er nicht schließlich doch einen Rat gewußt hätte. „Sucht eure Häuser auf und werft euch in eure besten Gewänder“, bestimmte er, als das Gebilde vom Himmel verschwunden und das Brausen und Pfeifen der Luftmassen verstummt war. „Wenn wirklich Götter zu uns kommen, dann kann es nur die Aufgabe der Priester sein, sie würdig zu empfangen. Wir müssen unbedingt als erste mit ihnen sprechen, auch wenn es nicht jene Götter sind, von denen wir zum unwissenden Volk reden. Nur dann kann es uns gelingen, unsere Überlegenheit zu behalten, die uns allein zusteht.“ Die anderen waren froh, angesichts ihrer Ratlosigkeit einen Anführer zu haben, der ihnen eindeutige Anweisungen gab. Rasch befolgten sie seinen Rat, und kaum zehn Minuten später befanden sie sich, in ihre Prunkgewänder gehüllt, auf dem Weg zum Stadtausgang. In gebührendem Abstand schlossen sich ihnen viele der anderen Bewohner an, und so bewegten sich schließlich fast zweihundert Menschen auf der Straße nach Norden, dem Landeplatz der ARLENE entgegen. * Auf John Corks Anweisung ließ der Fahrer den Schweber nur mit langsamer Fahrt dahingleiten. So hatten die Männer ausreichend Zeit, sich die Umgebung genau zu betrachten, und bald meldete sich Dr. Rappan zum Wort. „Diese Gegend scheint eine längere Dürreperiode durchgemacht zu haben“, meinte er. „Man sieht es an dem Zustand der Bäume und an dem Gras, das gerade erst wieder frisch nachwächst. Das allein kann aber nicht daran schuld sein, daß es hier – ja, wie soll ich es sagen? – irgendwie primitiv aussieht.“ Der Kommandant nickte. „Vernachlässigt, könnte man auch sagen, aber das hängt vielleicht ursächlich mit der Trockenheit zusammen. Die Leute hier hatten vermutlich alle Hände voll zu tun, um ihre Versorgung aufrechtzuerhalten, und da blieb ihnen nicht viel Zeit für andere Dinge.“ Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. „Das stimmt zwar, aber das habe ich nicht gemeint, Captain. Sehen Sie sich doch nur die Straße an, über die wir jetzt hinwegfliegen: Sie ist garantiert seit langer Zeit nicht mehr von irgendwelchen modernen Fahrzeugen befahren worden. Jede normale menschliche Kolonie verfügt über robuste, bodengebundene Laster und entsprechende landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge, die ihre ganz charakteristischen Fahrspuren hinterlassen. Hier gibt es aber nur ganz schmale Fahrtrinnen, die weit eher auf primitive Gefährte hindeuten, wie sie normalerweise schon seit langer Zeit nicht mehr benutzt werden.“ „Das ist allerdings seltsam“, räumte John Cork ein. „Doch wir sollten uns nicht lange die Köpfe darüber zerbrechen, denn gleich werden wir mit den Bewohnern der Stadt zusammentreffen, und dann klärt sich alles ganz von selbst auf.“
„Ich glaube, da kommen die ersten schon“, meinte Carl Morgan und wies nach vorn, wo zwischen Buschwerk sich nähernde Gestalten sichtbar wurden. Auf einen Wink des Captains stellte der Fahrer den Antrieb ab und ließ das Fahrzeug auf den Boden sinken. Die vier Männer von der ARLENE erhoben sich in ihren Sitzen und sahen den Ankömmlingen erwartungsvoll entgegen, doch als sie voll in Sicht kamen, wurden ihre Augen groß. „Himmel – das sind ja Kinder!“ staunte Dr. Rappan. „Wirklich merkwürdig, daß man uns die entgegenschickt…“ „Das sind keine Kinder!“ fiel ihm der Erste Offizier erregt ins Wort. „Sehen Sie doch: Einige von ihnen haben Barte, also müssen sie voll ausgewachsen sein; und doch sind sie höchstens einen Meter groß…“ Fassungslos sahen die Raumfahrer den kleinen Leuten ihren seltsamen, nicht nur bunten, sondern auch bunt zusammengewürfelten Kleidern entgegen. Dann sagte John Cork heiser: „Das sind zweifellos Menschen wie wir, aber Zwerge! Haben Sie je etwas von einer so kleinwüchsigen Menschenrasse gehört, Doc?“ Dr. Rappan schüttelte den Kopf. „Früher soll es einmal sogenannte Liliputaner gegeben haben, die nicht viel größer wurden, aber die moderne Genetik hat sie inzwischen ausgemerzt. Ich könnte mir höchstens denken, daß es sich hier um eine eigenständige Rasse handelt, die sich unabhängig von den Menschen entwickelt hat.“ „Ausgeschlossen“, wehrte der Kommandant sofort ab. „Vergessen Sie nicht die Häuser der Stadt, deren Bauweise vollkommen der unseren entspricht. Eine derartige Parallelität kann es gar nicht geben, das steht für mich fest.“ Inzwischen war der Zug bis auf zehn Meter an das Fahrzeug herangekommen und hielt nun an. Cork und Dr. Rappan stiegen aus, und dann sahen sie etwas, das sie noch mehr in Erstaunen versetzte. Die sieben kleinen, in besonders farbenprächtige togaähnliche Gewänder gekleideten Männer an der Spitze sanken vor ihnen auf die Knie! Sie breiteten ihre Arme aus, neigten ihre Gesichter fast bis zum Boden hinab und stimmten dann einen lauten, nicht besonders melodisch klingenden Singsang an. „Merken Sie etwas, Doc?“ raunte der Captain dem Wissenschaftler zu. „Diese Zwerge halten uns für Götter…! Zweifellos haben sie die Landung der ARLENE bemerkt und sind nun gekommen, um uns mit der gebührenden Verehrung zu empfangen; die Sänger sind bestimmt so etwas wie Priester. Das darf doch einfach nicht wahr sein…“ Auch Carl Morgan und der Fahrer hatten nun den Schweber verlassen und betrachteten nicht weniger verständnislos die seltsame Szene. Die Priester sangen pausenlos weiter, und das gab den Männern Zeit, auch die weiter im Hintergrund Stehenden zu beobachten. Sie sahen neben Männern auch weibliche Wesen, die nicht größer als achtjährige Mädchen waren, aber trotzdem alle Attribute voll entwickelter Frauen besaßen. Zwischen ihnen entdeckten sie auch einige Kinder, die neugierig zu den vier Männern aufsahen, die ihnen wie wahre Riesen erscheinen mußten, denn sie selbst
waren kaum größer als fünfzig Zentimeter, John Cork schüttelte leicht den Kopf, aber dann kam ihm etwas zum Bewußtsein, was er schon zuvor erfaßt hatte, ohne es jedoch in voller Tragweite zu begreifen. Er konnte verstehen, was diese Zwerge sangen! Nicht alles, aber doch viele Worte, die auch in der terranischen Umgangssprache existierten, und das beseitigte seine letzten Zweifel. Diese kleinen Leute waren keinesfalls Geschöpfe des Planeten ARLENIS II, sondern richtige Menschen wie er selbst… Und doch sangen sie immer wieder nur von den Göttern, die zu ihnen gekommen waren. Sie besangen mit unbeholfen gesetzten Worten den Himmelswagen, aus dem sie gestiegen waren, und flehten die Fremden an, ihnen ihre Gunst zu schenken. Sie baten sie, mit in die Stadt und in den Tempel zu kommen, um dort die dürftigen Geschenke in Empfang zu nehmen, die man für sie bereitgestellt hätte, und das erschütterte den Captain noch mehr. Dr. Rappan stieß ihn verstohlen an. „Sie hatten recht, es sind Menschen“, flüsterte er ihm zu. „Sie benutzen Altenglisch, die heute tote Sprache, die nur noch an den höheren Schulen gelehrt wird. Captain, ich glaube, hier sind wir einem bedeutsamen Rätsel auf der Spur.“ John Cork nickte nur, denn die Priester hatten inzwischen ihre Gesänge beendet. Sie knieten immer noch in unterwürfiger Haltung auf der grob gepflasterten Straße, sahen aber nun mit erwartungsvollen Gesichtern zu den vier Männern auf. Nur einer, der Priester mit den seltsamen grünen Flecken, bewegte seine Schultern immer wieder wie in unwillkürlichen Zuckungen. Dr. Rappan verständigte den Captain durch einen kurzen Blick und übernahm dann die erste Antwort, da ihm die Sprache der Zwerge am besten geläufig war. Er hatte sich noch nie in einer auch nur annähernd vergleichbaren Situation befunden, und deshalb wählte er seine Worte besonders sorgfältig. „Wir danken euch für diesen ehrenvollen Empfang“, sagte er langsam und deutlich akzentuiert. „Wir sind auch gern bereit, zu euch in die Stadt zu kommen, möchten aber nicht, daß ihr uns Opfer bringt. Ihr sollt wissen, daß wir keine Götter…“ Er wurde mitten im Satz unterbrochen, denn die Priester stimmten erneut einen Gesang an, der aber diesmal eindeutig den Tenor eines Klagelieds besaß. Rappan hörte heraus, daß sie inständig darum baten, ihre Opfer nicht zurückzuweisen, sondern sie in Gnade anzunehmen. In diesem Ton ging es noch eine ganze Weile weiter, und der Wissenschaftler sah John Cork ratsuchend an. Der Captain nickte ihm zu. „In Ordnung, tun wir ihnen diesen Gefallen, das ist besser, als sie zu kränken. Später können wir ihnen dann immer noch beibringen, wer und was wir in Wirklichkeit sind.“ Dr. Rappan unterbrach den Gesang der Priester durch eine entschiedene Handbewegung. Sofort wurde es still, doch als er dann die Zusage aussprach, setzte ein neuer Lobeshymnus auf die vermeintlichen Götter ein. Nun erhoben sich die Zwergenpriester wieder, einer von ihnen eilte zu der im Hintergrund wartenden Menge und gab ihr Anweisungen. Gleich darauf setzte sie sich in Bewegung und trat den Rückweg zur Stadt an, immer wieder Gebete vor sich hin murmelnd.
Menschen – auch wenn sie aus noch ungeklärten Umständen nur die Größe von Zwergen besaßen – beteten zu anderen Menschen… Es war unfaßbar! Der Captain zog eine Grimasse und nahm sich vor, mit diesem Unsinn so schnell wie möglich aufzuräumen. Vorerst blieb es jedoch bei diesem Vorsatz, denn nun kam der älteste Priester in devoter Haltung auf ihn zu. Offenbar hielt er Cork wegen seiner goldverzierten Uniform für das Oberhaupt der Götter, und entsprechend unterwürfig fiel auch seine Rede aus. Mit blumenreichen Worten bat er ihn und seine Begleiter, ihnen nun in die Stadt zu folgen. Der Captain hatte sich bereits an das seltsame Idiom gewöhnt, das hier gesprochen wurde, und konnte fast alles verstehen. Er setzte ein etwas gezwungenes Lächeln auf und nickte. „Es ist gut, wir kommen“, gab er zurück. „Geht voraus, wir folgen euch mit unserem Wagen.“ Er wurde ebenfalls verstanden, und die Priester formierten sich unter neuen Gesängen zum Rückmarsch. Der Kommandant winkte dem nachdenklich dastehenden Dr. Rappan und ging mit ihm zum Schweber zurück. Erst jetzt bemerkte er, daß der Erste Offizier sich eine Kamera geholt hatte und die ganze Szene aufnahm. Carl Morgan sah seinen fragenden Blick und grinste kurz. „Das Ganze ist so phantastisch, daß ich es einfach festhalten mußte, Captain. Die Bilder werden zugleich in die ARLENE übertragen, dort wird man vielleicht Augen machen…“ John Cork lag eine Rüge auf der Zunge, aber er sprach sie schließlich doch nicht aus. Vermutlich war es ganz gut, daß die Männer und Frauen im Schiff bereits jetzt auf diese Weise auf das vorbereitet wurden, was hier auf sie zukam. Leise summend hob der Wagen vom Boden ab und schwebte langsam hinter der buntgekleideten Schar der Priester her. So hielten die Männer der ARLENE ihren Einzug in die Stadt der Zwerge von Garal.
6. Drei Tage waren vergangen, und vieles hatte sich geändert. Die vier Männer hatten im Tempel, der wohl noch nie so voll gewesen war, eine langwierige Zeremonie über sich ergehen lassen müssen, von deren Riten sie kaum etwas verstanden. Dafür hatten ihre wachsamen Augen bald festgestellt, daß es in dem großen Tempelraum einige leere Steinsockel gab, von denen offenbar erst kurz vor ihrer Ankunft irgendwelche Statuen entfernt worden waren. Demnach hatte man also zuvor hier ganz andere Götter verehrt, die nun eilig hatten weichen müssen; die Zwergenpriester schienen also recht anpassungsfähig zu sein. In John Corks Augen sprach das nicht gerade für sie, aber er hütete sich, das auszusprechen. Später hatte man ihnen dann das größte Haus der Stadt als Wohnsitz zugewiesen, das offenbar ebenfalls in aller Eile für sie geräumt worden war. Es war noch verhältnismäßig gut erhalten, während sich die übrigen Gebäude zumeist in einem
jammervollen Zustand befanden. Sie schienen bereits uralt zu sein, und offenbar war niemand mehr imstande, sie zu reparieren. Das überraschte die Männer aber weit weniger als die offenkundige Diskrepanz zwischen der Größe der Häuser und der ihrer Bewohner. Alle Gebäude waren eindeutig terranischer Herkunft und für normal große Menschen gebaut. Bewohnt wurden sie jedoch von Zwergen, die zwar ebenfalls menschliche Gestalt besaßen, aber in dieser Umgebung eindeutig fehl am Platze waren. Wie ließ sich das erklären? John Cork wußte es nicht, doch er war entschlossen, diesem Rätsel so bald wie möglich auf die Spur zu kommen. Er hatte Morgan und den Fahrer zurückgelassen und war schon nach kurzer Zeit zur ARLENE zurückgekehrt, um die entsprechenden Anordnungen zu treffen. Das war geschehen, nachdem er und Dr. Rappan in der Messe vor versammelter Besatzung einen ersten Bericht gegeben hatten. Natürlich hatte er den Bewohnern der Stadt keine regelrechte Invasion von „Göttern“ zumuten wollen, und so hatte er nur ein Dutzend Wissenschaftler nach Garal beordert. Schon ihre Ankunft am nächsten Morgen hatte erhebliches Aufsehen verursacht. Die Priester waren sogar regelrecht bestürzt gewesen, denn sie hatten die ersten vier Besucher wohl für die einzigen Insassen des „Himmelswagens“ gehalten. Der Captain und Dr. Rappan hatten ihnen schonend beigebracht, daß ihre Zahl noch erheblich größer war, und das hatte sie vollends verwirrt. Trotzdem ließen sie sich nicht davon abbringen, die Fremden nach wie vor als Götter anzusehen, die sie allerdings nun in verschiedene Kategorien einstuften. John Cork und seine ursprünglichen Begleiter genossen die meiste Verehrung, während alle, die erst später kamen, sozusagen als „Untergötter“ angesehen wurden. Dieses Vorgehen war von Ramto ausgeklügelt worden, der nun bereits wieder von den grünen Pocken geheilt war. Die Heiler hatten das bereitwillig getan, denn angesichts der radikal veränderten Lage war vorerst doch nicht daran zu denken, daß er weiter seinen Heiratsgedanken nachging. Er agierte nun eifrig hinter den Kulissen, aber davon bemerkten die Leute von der ARLENE natürlich nichts. Sie waren vollauf damit beschäftigt, die Zwergmenschen zu studieren und alle erreichbaren Daten über sie zu sammeln. Sie hatten absolutes Neuland vor sich, aber das hinderte sie nicht daran, in gewohnt methodischer Weise vorzugehen. Die Wissenschaftler hatten verschiedene Geräte mitgebracht, darunter auch transportable Hochleistungsrechner, störten sich nicht an der verständlichen Scheu der Stadtbewohner, sondern gingen unbeirrt ihrer Tätigkeit nach. Bald hatte John Cork auch herausgefunden, daß die Zwergmenschen infolge der eben erst überstandenen Dürre unter Nahrungsmangel litten, und er hatte sofort Abhilfe geschaffen. Drei Schweber voller Lebensmittel waren nach Garal gebracht worden, und man hatte diese gerecht auf die rund siebenhundert Köpfe zählende Einwohnerschaft verteilt. Das steigerte das Ansehen der „Götter“ natürlich erheblich, wenn auch das Volk nach wie vor einen möglichst großen Abstand zu ihnen hielt. Bei den Priestern dagegen sank es in gleichem Ausmaß, denn John Cork hatte einen in ihren Augen unverzeihlichen Fehler begangen: Er hatte es versäumt, ihnen einen größeren Anteil zukommen zu lassen, wie es ihrer Meinung nach angebracht
gewesen wäre, und sie damit ernstlich verstimmt. Ein kleiner Fehler nur, doch er sollte später noch erhebliche Folgen zeitigen… Natürlich bekam auch die Masse der Besatzung Ausgang, wenn auch nicht direkt in die Stadt. Ihnen kam zugute, daß sich die Bevölkerung nicht in die Nähe des Raumschiffs wagte, und so konnten sie sich in ihrer Freizeit im Freien aufhalten. Das Wetter war gut, und der nahe Fluß bot ihnen eine willkommene Badegelegenheit. Von Streifzügen in die Umgebung wurde aber vorerst abgesehen. Ein großer Teil von Garal war unbewohnt, und die Häuser befanden sich überwiegend in sehr schlechtem Zustand. Der Captain suchte zusammen mit dem Ersten Offizier einige noch relativ gut erhaltene Gebäude aus, die nahe beisammen standen und als Quartiere für die Wissenschaftler geeignet erschienen. Anschließend beorderte er einen Trupp vom technischen Personal dorthin, der mit den erforderlichen Maschinen anrückte und sofort daran ging, die Schäden zu beseitigen. Am dritten Tage traf John Cork dann mit Nandu Dem Wissenden zusammen. Er war bei den Priestern gewesen, weil er sich von ihnen Auskünfte über die Entstehung der Stadt und die Herkunft der Zwergmenschen erhofft hatte, doch er war enttäuscht worden. Keiner von ihnen schien etwas darüber zu wissen, ihre Erinnerung reichte kaum bis zur vorigen Generation zurück. Über das, was vorher gewesen war, schien sich keiner jemals Gedanken gemacht zu haben. Der Kommandant – er hatte inzwischen durch einen Hypnokurs seine Kenntnis der alten Sprache vervollkommnet – hatte geduldig weitergefragt, aber das Ergebnis blieb gleich Null. Überhaupt schien es mit der Intelligenz der kleinen Leute nicht sehr weit her zu sein. Sie wußten gerade soviel, wie sie für die Behauptung ihrer Existenz brauchten, schienen aber nicht imstande zu sein, etwas Neues aufzunehmen. Sie staunten zwar die Schweber und sonstigen Maschinen der Menschen an, es war jedoch nicht möglich, ihnen deren Funktionen begreiflich zu machen. Ihr Horizont schien unveränderlich eng begrenzt zu sein. Carl Morgan war inzwischen mit dem Schweber zur ARLENE zurückgeflogen, um dort Gebrauchsgegenstände zu holen, und so machte sich John Cork zu Fuß auf den Weg durch Garal. Die Stadt wirkte wie ausgestorben, die meisten Bewohner waren indessen wieder zur Tagesordnung übergegangen und bei ihrer Arbeit. Nur einige Kinder tollten umher, zogen sich aber sofort ängstlich zurück, sobald sie des „Gottes“ ansichtig wurden. Nandu saß wie üblich auf den Stufen vor seinem Haus, als sich John Cork diesem näherte. Der Wissende erhob sich und verneigte sich tief, verharrte jedoch nur Sekunden in dieser Haltung. Dann richtete er sich wieder auf und sah den Captain an, und in seinem Blick fand dieser endlich das, was er bisher überall vergeblich gesucht hatte: den Ausdruck eines wachen Verstandes und einer unverhüllten Wißbegierde! Der Kommandant blieb unwillkürlich stehen, grüßte zurück und ließ seine Blicke über das runzlige Gesicht gleiten. Dies war der älteste Bewohner von Garal, den er bisher zu Gesicht bekommen hatte; ob er vielleicht von ihm etwas mehr als zuvor erfahren konnte? Er bedeutete Dem Wissenden, sich wieder zu setzen, und nahm dann auf der
Einfassung der Treppe Platz, so daß sich sein Gesicht in gleicher Höhe mit dem des Zwergmenschen befand. Dieser zeigte keinerlei Scheu vor ihm, und während John Cork noch nach den einleitenden Worten suchte, sprach er ihn selbst an. „Darf ich dich etwas fragen, hoher Herr?“ Der Captain war verblüfft, aber er zeigte es nicht. Er nickte dem Alten nur freundlich zu und gab zurück: „Selbstverständlich darfst du das, nenne mich aber bitte nicht ,hoher Herr’. Ich heiße John Cork und bin ein Mensch wie du, kein Gott, wie die Priester sagen.“ „Ich weiß es!“ Nandu nickte zurück. „Der dicke Ramto und die anderen Tempelmänner haben uns bisher nur an Götter aus Stein zu glauben gelehrt, die sie selbst geschaffen haben, bis ihr gekommen seid, um uns zu besuchen. Sie müssen nicht schlecht erschrocken sein, als euer Fahrzeug aus dem Himmel kam, hihi… Nein, ihr seid nicht wie jene Figuren – ihr seid die wahren Götter.“ Enttäuschung erfaßte John Cork. Mit voller Absicht hatte er sich selbst einen Menschen genannt, in der Hoffnung, daß der Alte darauf eingehen würde. Daß dieser die Männer von der ARLENE nur als eine andere Personifizierung von Gottheiten ansah, machte seine Hoffnung wieder zunichte. Doch er fand sich damit ab und fragte weiter: „Wie kommst du darauf, daß wir die „wahren Götter“ wären? Weißt du von früher her etwas darüber, mehr als die Priester?“ Der Alte richtete sich hoch auf, und um seinen fast zahnlosen Mund lag ein stolzes Lächeln. „Man nennt mich nicht umsonst Nandu Den Wissenden, John Cork. Ja, ich weiß mehr als diese armseligen Priester, die an ihre angeblichen Gottheiten selbst nie geglaubt haben! Schon einmal ist ein Fahrzeug wie das eure nach Garal gekommen, vor langer Zeit, als es hier noch keine Menschen gab. Mit ihm kamen Götter wie ihr, aber niemand weiß mehr, wohin sie später gegangen sind. Nur wenige haben überhaupt die Erinnerung an sie behalten, ich bekam sie von meinem Vater übermittelt, und der wieder von seinem Vater. Wahrscheinlich sind sie im Berg der Götter verschwunden, der drüben jenseits der Ebene steht.“ Cork überlegte lange und sorgfältig, dann fragte er: „Was ist das für ein Berg, und was weißt du darüber, Nandu?“ Der Wissende schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich kann dir leider nichts weiter darüber sagen, John Cork. Der Berg der Götter und seine Umgebung sind für uns Menschen verbotenes Gebiet, das niemand je betreten darf. Ich wollte es einmal tun, doch ich wurde dabei beobachtet, und die damaligen Priester hätten mich am liebsten umgebracht. Es vergingen viele Jahre, bis ich es wieder hätte versuchen können, aber inzwischen war ich zu alt dazu geworden. Jetzt sitze ich nur noch hier und warte darauf, daß Menschen zu mir kommen, denen ich raten kann.“ Ein Summen klang auf, und weiter hinten in der Straße erschien der Gleiter des Captains. John Cork erkannte, daß Anne Young mit Carl Morgan gekommen war, und er erhob sich. „Darüber müssen wir später noch einmal reden, Nandu, jetzt habe ich keine Zeit
mehr. Ich muß alles über diesen Berg wissen, verstehst du?“ „Ich werde scharf nachdenken, John Cork“, versprach der Alte, und auch das erschien dem Kommandanten der ARLENE bemerkenswert. Keiner dieser menschlichen Zwerge hatte bisher in ihm auch nur den Anschein erweckt, daß er zu scharfem Nachdenken überhaupt fähig war. * „Schlechte Neuigkeiten, John“, sagte die Ärztin bedrückt. „Mbunga macht wieder einmal Schwierigkeiten. Es gefällt ihm nicht, daß er bei den anderen drüben am Fluß bleiben soll, und so hat er prompt wieder zu agitieren begonnen. Er fordert, daß die gesamte Besatzung der ARLENE in die Stadt übersiedeln soll, Platz genug für alle wäre ja da. Wir sollen Garal für uns in Besitz nehmen und die Zwerge in eine Art Reservation verbannen, um dann hierzubleiben.“ Der Captain lächelte grimmig. „Etwas Ähnliches hatte ich fast erwartet, aber diesmal hat er sich in den Finger geschnitten. Mbunga kann fordern, was er will – laut Dienstvorschrift habe ich die absolute Befehlsgewalt über die gesamte Besatzung, sobald das Schiff auf einem unbekannten Planeten gelandet ist! Die gedenke ich auch auszuüben, und das wird er umgehend zu spüren bekommen. Bis jetzt kennen wir nur Garal und seine unmittelbare Umgebung, und das genügt nicht. Von den kleinen Leuten habe ich erfahren, daß es in dieser Gegend verschiedene wilde Tiere gibt, die uns gefährlich werden können, sobald sie in größerer Anzahl auftreten. Wir werden zumindest einige Zeit hierbleiben, und so wird es nicht zu umgehen sein, daß auch die weitere Umgebung eingehend erkundet wird. Ich werde deshalb schon morgen das Planeten Forschungsteam aussenden, zu dem auch der gute Dr. Mbunga gehört. Das wird ihn für einige Wochen davon abhalten, sein eigenes Süppchen zu kochen, denke ich.“ „Vielleicht findet das Team dabei auch noch weitere Ansiedlungen der Zwerge“, warf der Erste Offizier ein. „Es ist doch sehr unwahrscheinlich, daß das Auftreten dieser Rasse nur auf diesen einen Ort beschränkt sein sollte.“ „Dieser Ansicht bin ich auch“, meinte Anne Young. „Vermutlich waren ihre Vorfahren Nomaden, bis sie dann zufällig auf diese verlassene Stadt stießen und sie für sich in Besitz nahmen. Im Laufe der Zeit ist dann die Kenntnis über ihre Herkunft in Vergessenheit geraten, und…“ Sie stockte und schüttelte dann verwirrt den Kopf. „Nein, das kann ja auch nicht stimmen! Sie sehen nicht nur aus wie wir, sondern sprechen auch noch altenglisch – John, jetzt komme ich einfach nicht mehr mit.“ John Cork drückte ihren Arm und lächelte sie an. „Aha, jetzt hast du es also auch gemerkt. Wir werden mit Sicherheit nirgendwo noch weitere Zwergmenschen finden, es gibt sie nur hier. Alles weist darauf hin, daß sie tatsächlich die direkten Nachkommen einer terranischen Schiffsbesatzung sind, die vor etwa 350 Jahren auf diese Welt gekommen ist.“ Die junge Ärztin und der Offizier sahen ihn überrascht an, und nun berichtete der Captain über seine Unterhaltung mit Nandu Dem Wissenden.
„Ich bin sicher, daß er nicht nur der älteste, sondern auch der klügste Bewohner der Stadt ist“, schloß er. „Was er sagte, klang zwar reichlich mystisch, aber wenn man eingehend darüber nachdenkt, kommt man auf den wahren Kern, der dahintersteckt. Ich habe mir auch schon einen Reim darauf gemacht, was es mit diesem geheimnisvollen Berg der Götter auf sich hat, der für alle Bewohner von Garal tabu ist, sogar für die herrschsüchtigen Priester. Für mich besteht kein Zweifel daran, daß es sich dabei um das Raumschiff handelt, mit dem einst die ersten Siedler auf diese Welt gekommen sind.“ Carl Morgan wiegte den Kopf. „Diese Ansicht hat viel für sich, aber trotzdem bleibt immer noch eine Menge von wesentlichen Fragen ungeklärt. Wenn es wirklich normale Menschen gewesen sind, die damals auf diesen Planeten kamen – wie ist es dann möglich, daß ihre Nachkommen zu Zwergen geworden sind? Wie konnte es geschehen, daß ihnen nicht nur alles Wissen abhandengekommen, sondern daß ihre Intelligenz weit unter die menschliche Norm abgesunken ist? Sie sind so primitiv, daß es einem fast schon weh tut.“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Darüber konnte mir auch Nandu nichts sagen, Carl. Er sprach davon, daß die ,wahren Götter’ vermutlich in ihren Berg zurückgegangen sind, also in das Raumschiff, aber das ergibt in meinen Augen auch keinen Sinn. Sobald hier die ersten Arbeiten abgeschlossen sind, werde ich mich auch darum kümmern, vielleicht kommt dann etwas Licht in die Sache. Wir sind schließlich erst seit drei Tagen hier, ein jahrhundertealtes Rätsel läßt sich in dieser Zeit nicht lösen. Jetzt will ich erst einmal unsere Wissenschaftler hier in der Stadt besuchen, um zu erfahren, was sie bisher festgestellt haben.“ Die beiden anderen schlossen sich ihm an, und gemeinsam verließen sie das Haus, das der Captain bewohnte. Es hatte sich sehr verändert, denn die Techniker der ARLENE hatten es sich inzwischen vorgenommen. Das brüchige Dach war mit einer Kunststoffschicht überzogen worden, in den zuvor leeren Fensterhöhlen saßen wieder Scheiben, und auch das nötigste Mobiliar war vorhanden. Man war sogar auf die Relikte einer Wasserleitung und sanitärer Anlagen gestoßen. Der Schweber brachte John Cork und seine Begleiter zu dem Haus, in dem das Team der Wissenschaftler seine provisorische Zentrale aufgebaut hatte. Dort saß dessen Leiter Dr. Dombrowski über einen Tisch voller Notizen gebeugt. Er trug nur ein kurzärmeliges Hemd und Shorts, schwitzte aber trotzdem. Als er die Besucher entdeckte, erhob er sich ächzend und wischte mit einem Erfrischungstuch über sein nasses Gesicht. „Wir kommen einfach nicht richtig voran, Captain“, beklagte er sich. „Die Stadt selbst gibt uns kaum noch Rätsel auf, es steht fest, daß sie vor etwa 350 Jahren erbaut wurde und eindeutig terranischen Ursprungs ist. Dafür haben wir mit ihren Bewohnern um so mehr Schwierigkeiten. Man kann nicht vernünftig mit ihnen reden, dazu ist ihr Horizont zu klein, und der Umstand, daß sie uns als Götter ansehen, erschwert alles noch weiter. Sie sterben fast vor Ehrfurcht und Angst, sobald man ihnen nahe kommt.“
John Cork lächelte, denn er kannte Dombrowski als einen ebenso tüchtigen wie pessimistischen Mann. Er wies auf die zahlreichen Papiere auf dem Tisch. „Sie untertreiben wieder einmal, Doc, das beweisen die Berge von Zetteln auf Ihrem Tisch. Ich will Sie aber keinesfalls drängen, lassen Sie sich nur mit allem ausreichend Zeit. Mir genügt jetzt ein kurzer Umriß der bisherigen Ergebnisse.“ Der Wissenschaftler nickte und wurde überraschend sachlich. „Wir haben ein rundes Dutzend der Zwergmenschen untersucht, Captain“, berichtete er. „Der Einfachheit halber haben wir sie kurzzeitig betäubt, weil sonst ihre hochgradige Erregung alle Körperanalysen verfälscht hätte. Ganz kurz gesagt: Ihr ganzer Metabolismus stimmt mit dem unseren bis ins letzte Detail überein! Sie sehen nicht nur aus wie wir, sie sind Menschen. Ihre Hirndiagramme zeigen allerdings gravierende Abweichungen, ihre Intelligenz beträgt höchstens die Hälfte der terranischen Norm.“ „Wie erklären Sie sich das?“ fragte Anne Young interessiert, doch ihr Kollege zuckte nur mit den Schultern. „Überhaupt nicht“, meinte er resigniert. „Proportional gesehen sind ihre Gehirne genauso leistungsfähig wie unsere, daran kann kein Zweifel bestehen. Sie arbeiten aber sozusagen nur mit halber Kraft, das haben die Computeranalysen eindeutig bewiesen. Das und ihre seltsame Kleinwüchsigkeit sind die Rätsel, an denen wir uns die Zähne ausbeißen.“ „Lassen Sie sich nur Zeit, Sie werden es schon noch herausfinden“, tröstete ihn John Cork. „Wie steht es aber mit dem Vieh, das sie sich halten, Doc? Beim Anflug auf die Stadt haben wir Rinder und Schweine gesehen, gibt es hier auch Unterschiede?“ „Sie züchten außerdem auch noch Pferde und Hühner“, erklärte Dr. Dombrowski, „und hier tritt ein weiteres Phänomen auf. Die Pferde, Rinder und Schweine sind ebenfalls nur Miniaturausgaben ihrer terranischen Vorfahren, die Hühner dagegen sind normal groß! Auch das Gemüse und Getreide, das wohl durch die Dürre in Mitleidenschaft gezogen worden ist, unterscheidet sich in keiner Weise von dem unseren. Gewiß, es gibt ein paar geringfügige Modifikationen infolge Anpassung an die planetaren Verhältnisse, aber sonst…“ Er hob ratlos die Hände, und Cork klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. „Nur nicht verzagen, Doc, wir stehen ja erst am Anfang. Arbeiten Sie weiter wie bisher, Ihnen stehen alle Mittel der ARLENE zur Verfügung.“ Sie verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg zum Schiff.
7. Dr. Mbunga schäumte vor Wut. „Das haben Sie sich doch nur ausgedacht, um mich kaltzustellen!“ schrie er unbeherrscht den Captain an. „Sie haben erfahren, daß ich dafür bin, mit der gesamten Besatzung in die Stadt zu ziehen; nur deshalb haben Sie sich den Plan mit der Erkundung ausgedacht. Sie wollen mich aus dem Weg schaffen, weil ich Ihnen
unbequem geworden bin, geben Sie es doch zu.“ John Cork lächelte unpersönlich. „Sie nehmen sich selbst viel wichtiger, als ich das tue, Doc“, erklärte er frostig. „Hier im Schiff haben unsere Leute alle Bequemlichkeiten, die sie brauchen, es wäre also blühender Unsinn, sie nach Garal umzuquartieren, wo zu diesem Zweck erst einige Dutzend Häuser repariert werden müßten. Das kann immer noch geschehen, wenn es sich wirklich als unumgänglich erweisen sollte, daß wir hierbleiben müssen.“ Mbunga setzte zu einer hitzigen Erwiderung an, doch der Kommandant schnitt ihm das Wort mit einer energischen Handbewegung ab. „Lassen Sie mich bitte ausreden, ich bin noch nicht am Ende. Das Erkundungsteam muß auf jeden Fall starten, ob wir nun auf ARLENIS II bleiben oder nicht. Wir brauchen für die eventuelle Reise zum Sadir‐System erhebliche Mengen von Nahrungsmitteln, und die können uns die kleinen Leute unmöglich liefern. Zum einen, weil sie eben erst eine lange Dürreperiode hinter sich haben und selbst noch hungern. Zum anderen, weil ihr Vieh, das als Fleischlieferant in Frage käme, viel zu klein ist. Ein paar hundert Rinder oder Schweine, die nicht größer sind als anderswo Kälber oder Ferkel, könnten unsere Besatzung im Höchstfall ein Jahr lang ernähren – die Reise aber dauert zehn Jahre! Wir sind also dazu gezwungen, unseren Bedarf auf andere Weise zu decken, aus der eigentlichen Tierwelt dieses Planeten. Das ist der Hauptgrund dafür, daß das Team starten soll, klar?“ „Ich weigere mich kategorisch!“ stieß der Geologe unbeherrscht hervor. „Von Tieren verstehe ich ohnehin nichts, meine Teilnahme an dieser Expedition wäre also vollkommen sinnlos.“ „Das meinen Sie“, konterte der Captain. „Es ist durchaus möglich, daß wir aus dem einen oder anderen Grunde hier auf dem Planeten bleiben müssen, und dann würden wir auch jene Daten brauchen, die in Ihr Fachgebiet schlagen. Sollen wir etwa dann erst ein zweites Team losschicken, nur weil es einem gewissen Herrn nicht in sein Konzept gepaßt hat, beim ersten Mal mitzugehen? Niemand hat Einwände erhoben, Sie sind der einzige Quertreiber! Sie haben die Wahl: Entweder gehen Sie hinaus wie alle anderen, oder Sie werden wegen Insubordination festgesetzt und von einem Bordgericht verurteilt. Ich habe die Berechtigung für eine solche Maßnahme, solange wir auf dieser Welt sind, vergessen Sie das nicht.“ Diese Kontroverse fand in einem der Aufenthaltsräume der ARLENE statt, und ein gutes Drittel der Besatzung war zugegen. Zuerst hatten die Männer und Frauen geschwiegen, aber nun erklärten sich auch jene mit dem Kommandanten solidarisch, die zuvor geneigt gewesen waren, auf den Wissenschaftler zu hören. Ausrufe des Unmuts gegen Dr. Mbunga wurden laut, und das bewog ihn schließlich zum Rückzug. „Gut, ich werde mitgehen“, erklärte er wütend, „doch nur, weil Sie mich dazu zwingen. Ich werde ein Verfahren gegen Sie anstrengen, sobald wir uns wieder auf einem zivilisierten Planeten befinden, darauf können Sie sich verlassen, Captain!“ „Dem sehe ich in Ruhe entgegen“, erwiderte John Cork. Zornbebend verließ Mbunga den Raum, und auch die anderen gingen nach und nach. Nur die Mitglieder des Planeten‐Forschungsteams blieben zurück, und der Captain gab ihnen seine
Anweisungen für die geplante Exkursion. Diese sollte am nächsten Tag beginnen, zuerst mit dem Beiboot des Schiffes aus größerer Höhe, um einen allgemeinen Überblick zu bekommen. Anschließend sollten mehrere Schweber in jene Gebiete des Kontinents fliegen, die von besonderem Interesse waren, vor allem in bezug auf Wildreichtum. Daß die meisten Tiere des Planeten sich zum Verzehr eigneten, hatte man inzwischen von den Zwergmenschen erfahren. John Cork blieb anschließend in der ARLENE und verbrachte auch die Nacht im Schiff. Für ihn und Carl Morgan war es eine Wohltat, wieder einmal in gut temperierten Räumen schlafen zu können, denn in Garal blieb es auch in den Nächten für ihre Begriffe viel zu warm. Am nächsten Morgen startete das Beiboot mit fünfzehn Personen und allen erforderlichen Geräten an Bord. Der Captain bereitete sich darauf vor, wieder nach Garal zu fliegen, wo er eine Unterhaltung mit den Priestern führen wollte, doch der Meteorologe Dr. Gargunsa hielt ihn zurück. „Wir werden innerhalb weniger Stunden ein schweres Unwetter bekommen, Sir“, eröffnete er ihm. „Von den Bergen her zieht eine dichte Wolkenfront auf, und der Luftdruck fällt mit einer geradezu beängstigenden Schnelligkeit. Noch scheint hier die Sonne, aber ich rate trotzdem, schon jetzt die Besatzung darauf vorzubereiten, daß es mit dem angenehmen Leben im Freien in Kürze vorbei sein dürfte.“ John Cork entsprach seinem Verlangen, flog dann mit Morgan in die Stadt und wurde dort von sehr aufgeregten Priestern empfangen. Ramto stellte sich in Positur, aber längst nicht mehr so unterwürfig wie noch vor kurzer Zeit. „Ihr müßt so bald wie möglich etwas unternehmen, hohe Herren des Himmels!“ forderte er in klagendem Ton. „Das Wetter beginnt umzuschlagen. Bald wird die Sonne ihr Haupt verhüllen. Stürme werden kommen und alles wieder zunichte machen, was uns der letzte Regen an Gutem beschert hat. Ihr müßt sie bannen, sonst wird erneut Not über unser Volk kommen.“ Für einen Moment war der Captain ratlos. Er warf dem Ersten Offizier einen kurzen Blick zu, doch Carl Morgan konnte auch nur verstohlen mit den Schultern zucken. Es blieb John Cork nichts weiter übrig, als die Wahrheit zu sagen. „Das können wir nicht, Ramto“, erklärte er. „Ich habe schon bei unserer ersten Begegnung gesagt, daß wir keine Götter sind, ihr selbst habt uns erst dazu gemacht. Und wir sind erst recht keine Wettergötter – ein Sturm ist eine Naturgewalt, gegen die wir nichts ausrichten können, so leid uns das auch tut.“ Der Oberpriester verneigte sich tief, aber die beiden Männer konnten trotzdem noch sehen, wie es in seinen Augen tückisch aufblitzte. „Ich habe verstanden, hohe Herren des Himmels“, sagte er mit scheinbar unbewegter Stimme. „Erlaubt ihr, daß wir im Tempel wieder die Statue des Wettergottes Pabal aufstellen, um zu ihm zu beten?“ John Cork hatte ein ungutes Gefühl. Ramto war seiner Meinung nach geradezu ein Muster an Verschlagenheit, es hätte gar nicht erst der Worte Nandus Des Wissenden bedurft, ihn darüber zu belehren. Er sagte sich aber, daß es im Grunde gar nicht darauf ankam, was die Priester von den Menschen der ARLENE dachten, und so nickte er langsam.
„Tut das, wenn ihr wollt, ich kann es euch weder verbieten noch erlauben. Es wird euch nur nichts nützen, fürchte ich, ein Gott aus Stein kann auch nicht mehr als wir.“ Ein frostiges Schweigen und sieben geneigte Rücken machten ihm klar, daß an eine weitere Unterhaltung mit den Priestern vorerst nicht zu denken war. Die beiden Männer verließen den Tempel wieder, und draußen lachte Carl Morgan humorlos auf. „Es sieht ganz so aus, als hätten wir eben einige Punkte auf dem Pluskonto dieser Zwerge verloren, wie? Machen Sie sich nichts daraus, Captain – wenn wir zaubern könnten, säßen wir nicht hier auf diesem verlassenen Planeten…“ * Das Unwetter brach kurz nach Mittag mit voller Wucht herein. Captain Cork hatte nach seinem Abflug vom Tempel noch einmal Nandu Den Wissenden aufgesucht, um Näheres über die voraussichtlichen Folgen dieses Unwetters zu erfahren. Der Alte hatte ihm aufgrund seiner langen Erfahrung sagen können, daß für Garal und seine Bewohner keinerlei unmittelbare Gefahr bestand. Die Stadt lag hoch genug, um von einem Anschwellen des Flusses, den die Zwerge Gar nannten, nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden, selbst wenn es längere Zeit hindurch regnen sollte. Nur durch die durchweg undichten Hausdächer und offenen Fenster würde schließlich das Wasser dringen und den Aufenthalt in den Räumen mehr als ungemütlich machen. Der Kommandant hatte daraufhin sofort gehandelt. Er hatte über Funk vom Gleiter aus die Anweisung gegeben, sämtliche verfügbaren Männer aus der ARLENE mit Schwebern und den entsprechenden Geräten nach Garal zu schicken. Eine halbe Stunde danach waren die Helfer bereits eingetroffen und hatten sich umgehend an die Arbeit gemacht. Zwei Stunden später konnten die einzelnen Kommandoführer melden, daß ihre Aufgabe beendet war. Die Dächer aller bewohnten Häuser waren mit einer Spritzmasse überzogen worden, die kein Wasser durchließ. Vor allen Fenstern befanden sich Kunststoffolien, die den gleichen Zweck erfüllten. Auch die Gebäude, in denen die Priester wohnten, waren miteinbezogen worden, obwohl John Cork diesen Herren nasse Füße und eine entsprechende Erkältung gegönnt hätte. Der Captain hatte die Wissenschaftler aus Garal zurückholen wollen, aber Dr. Dombrowski hatte heftig protestiert. Er wollte „wegen ein paar Liter Regen“ die Arbeit keinesfalls unterbrechen, und der Captain hatte ihm und seinen Mitarbeitern den Willen gelassen. Die Kommandos waren ins Schiff zurückgekehrt, auch Cork und der Erste Offizier. Gegen Mittag befand sich niemand mehr außerhalb der ARLENE; auch alle Gegenstände, die sich draußen befunden hatten, waren an Bord. Zu dieser Zeit war es ringsum bereits fast völlig dunkel geworden. Dicke, schwarze Wolkenbänke waren vom Gebirge her aufgezogen, wo es unaufhörlich wetterleuchtete. Noch blieb die Luft still, aber es war die Stille vor dem großen Sturm. Gerade noch rechtzeitig kehrte das Beiboot mit dem Planeten‐Erkundungsteam
zurück. Dessen Mitglieder berichteten, daß sie ihre Arbeit Hals über Kopf hätten abbrechen müssen, weil über dem Nordteil des Kontinents bereits schwere Unwetter tobten. Die Ursache war eine ausgedehnte Kaltfront, die vom Polargebiet heranzog, mit den warmen Luftmassen kollidierte und Luftturbulenzen von Orkanstärke erzeugte, die von schweren Gewittern und sintflutartigen Regengüssen begleitet waren. Als das Gewitter die Umgebung von Garal erreicht hatte, brach ein Sturm los, der alles in den Schatten stellte, was die Besatzung der ARLENE bisher erlebt hatte. Brüllend fegte der Orkan über das Land, knickte und entwurzelte Bäume. Er trieb ungeheure Wassermassen vor sich her, die sich vom Himmel ergossen, und immer wieder zuckten titanische Blitze zum Boden herab. Schon innerhalb der ersten Minuten wurde das Schiff von siebzehn Blitzschlägen getroffen, die ihm allerdings nichts anhaben konnten, weil es wie ein Faradayscher Käfig wirkte. Dafür wurde jedoch sehr bald eine andere Gefahr akut. Der Fluß schwoll innerhalb einer Stunde derart an, daß er weit über die Ufer trat. Er wurde zu einem reißenden Strom, der den sandigen Boden auswusch und mit sich riß. Seine Fluten überspülten auch den Landeplatz der ARLENE, und wenig später machten sich auch hier die Folgen bemerkbar: Trotz der großen Landeteller begann das Schiff auf der dem Fluß zugewandten Seite abzusacken! Der Alarmruf erreichte John Cork in seiner Kabine, und er begab sich hastig in die Kommandozentrale. Als er dort ankam, hatte Jens Hagerup bereits die Antigravprojektoren einschalten müssen, um das Schiff aufrecht halten zu können. Rasch informierte sich der Kommandant über die Gegebenheiten, dann erteilte er die nötigen Befehle. „Achtung, Maschinenraum: Sofort alle Vorbereitungen für einen Alarmstart treffen! Wir müssen diesen Landeplatz verlassen, ehe er vollständig unterspült wird und das Schiff umkippen kann. Dr. Mbunga, bitte sofort in die Zentrale kommen! Wir benötigen Ihren Rat bezüglich einer anderen Landestelle, die uns ausreichend Sicherheit bietet.“ Der dunkelhäutige Geologe hastete bereits zwanzig Sekunden später in die Zentrale, und angesichts der drohenden Gefahr war alle Rivalität vergessen. Mbunga nannte dem Captain eine Stelle etwa einen Kilometer westlich von Garal, an der eine leichte felsige Erhebung die Gewähr dafür bot, daß die ARLENE auch bei länger anhaltendem Regen einen sicheren Stand finden würde. John Cork gab dem Piloten die entsprechenden Befehle, gleich darauf erhob sich das Schiff einige hundert Meter in die Luft und setzte sich dorthin in Bewegung. Nun wurde es voll vom Orkan und den peitschenden Regenfluten erfaßt, und für seine Insassen gab es eine bange Schrecksekunde. Der Schiffskörper begann heftig zu taumeln, und Jens Hagerup mußte sein ganzes Können einsetzen, um ihn durch stabilisierende Gegenschübe der Triebwerke im Gleichgewicht zu halten. Das gelang ihm auch, und wenig später setzte die ARLENE sicher wieder auf festem Boden auf. Carl Morgan zog eine Grimasse und bemerkte: „Ein Glück, daß die Götzendiener aus Garal das nicht sehen konnten! Ihr ohnehin angeknackster Glaube an uns ,Götter’ wäre endgültig dahin gewesen…“
Der Orkan und das Gewitter tobten bis zum Abend. Die gesamte Gegend wurde in diesen wenigen Stunden derart verwüstet, daß sie einem wahren Schlachtfeld glich. Dann zog das Unwetter nach Süden ab, doch die dichten Wolken blieben, und aus ihnen ergoß sich ein Dauerregen über das Land. Er hielt drei volle Tage lang an, von böigen Winden begleitet, die nicht einmal die Ausschleusung eines schweren Schwebers erlaubten. Das Kommando der Wissenschaftler in Garal war während dieser Zeit vom Schiff abgeschnitten und konnte nur über Funk die Verbindung halten, doch die Berichte von Dr. Dombrowski klangen beruhigend. In der Stadt waren nur einige baufällige, ohnehin unbewohnte Häuser eingestürzt, alle anderen hatten den Naturgewalten standgehalten. Trotzdem hatte das Unwetter unter den Zwergmenschen mehrere Opfer gefordert, Männer, die draußen bei den Viehherden geblieben waren. Aber die Bewohner von Garal nahmen das Unglück mit stoischem Fatalismus hin. Viel schlimmer trafen sie die Verluste unter dem Vieh, das ohnehin durch die vorhergehende Dürre bereits dezimiert worden war. Erneut drohte Hungersnot und John Cork sah sich gezwungen, als erstes mehrere Schweber mit Lebensmitteln in die Stadt zu schicken, als die Umstände wieder einen Flugverkehr zuließen. „Es ist fast zum Weinen!“ sagte er. „Wir sind auf diese Welt gekommen, um uns mit Lebensmitteln für den Flug zum Sadir‐System einzudecken, doch was tun wir statt dessen? Wir versorgen die Zwergmenschen mit Nahrung und verringern dadurch unsere eigenen Vorräte.“ Anne Young strich ihm tröstend über das Haar. „Nimm es nicht weiter schwer, John, das Schlimmste ist ja jetzt überstanden. Bald wird die Sonne wieder scheinen, und dann sieht alles viel freundlicher aus. Für uns kommt es ja wirklich nicht auf ein paar Wochen oder Monate an, die sich zu den siebzig Lichtjahren addieren.“ Der Captain nickte ihr zu und strich sich über die Uniform. „Das stimmt zwar, aber trotzdem scheint mich das alles doch mehr mitgenommen zu haben, als ich dachte. Ich habe erheblich an Gewicht verloren, meinst du nicht auch?“ Die Ärztin sah ihn prüfend an und nickte dann zögernd. „Jetzt, wo du es sagst, merke ich es ebenfalls, aber nicht nur an dir. Auch mir sind die Kombinationen und Kleider plötzlich viel zu groß. Seltsam, nicht wahr?“ John Cork lächelte ihr zu. „Das war bestimmt nur der Streß der letzten Tage. Jetzt ist alles vorbei, und morgen lachen wir schon wieder darüber, das wirst du sehen. Selbst Dr. Mbunga hat inzwischen eingesehen, daß wir alle am gleichen Strang ziehen müssen. Bald wird alles wieder gut.“ Hier irrte der Kommandant gewaltig – genau das Gegenteil war der Fall! * Am vierten Tag schien die Sonne wieder, die Temperaturen stiegen auf die Normalwerte von ARLENIS II an. Der Captain schickte erneut das Beiboot mit dem
Forschungsteam aus, während er selbst sich mit Carl Morgan in die Stadt begab, um dort nach dem Rechten zu sehen. Der Fluß führte zwar nach wie vor Hochwasser, aber in der Umgebung von Garal hatten sich die Fluten inzwischen verlaufen. Sie hatten aber auf den Feldern große Schäden angerichtet. Die gerade erst wieder aufkeimenden Pflanzen waren ausgespült und davongeschwemmt worden. John Cork blickte düster vor sich hin. „Das sieht ziemlich schlecht aus, Carl“, bemerkte er. „Nicht nur für die Zwergmenschen, die jetzt mehrere Monate auf eine neue Ernte warten müssen, sondern auch für uns. Wir können dieses kleine Volk nicht einfach seinem Schicksal überlassen, sondern müssen ihm helfen, dazu sind wir moralisch verpflichtet. Das heißt, daß wir laufend Lebensmittel zu seiner Ernährung beisteuern müssen, und das wird uns bald selbst in Verlegenheit bringen. Die kleinen Leute essen ja erheblich weniger als wir, aber unsere Besatzung verbraucht nach wie vor die üblichen Mengen. Man braucht kein rechnerisches Genie zu sein, um überschlägig herauszufinden, daß unter diesen Umständen die Vorräte der ARLENE in etwa drei Monaten aufgebraucht sein werden! Und was dann…?“ Der Erste Offizier zuckte mit den Schultern. „Sie sollten das nicht ganz so pessimistisch ansehen, Sir. Die Zwerge haben bestimmt in der Vergangenheit öfters solche Katastrophen erlebt, in einem gewissen Rahmen werden sie sich selbst zu helfen wissen. Vielleicht können wir auch einiges dazu tun, indem wir ihnen mit Plänen zur Rationalisierung unter die Arme greifen. Was uns selbst angeht, können wir immer noch darauf hoffen, daß die Leute im Beiboot einiges herausfinden, das die Lage wieder rosiger erscheinen läßt. Resignieren sollten wir auf keinen Fall.“ „Hoffen wir, daß Sie recht behalten“, sagte John Cork. „Im Moment bin ich nur darauf gespannt, wie sich die Herren Priester uns gegenüber verhalten werden. Wir haben zwar für die Bevölkerung getan, was wir konnten, aber ich halte jede Wette, daß sie nach wie vor nicht besonders gut auf uns zu sprechen sein werden.“ Bald darauf stellte er voll Überraschung fest, daß er sich geirrt hatte. Ramto mit zweien seiner Genossen empfing die beiden Männer genauso unterwürfig wie am ersten Tag. Er dankte ihnen überschwenglich für die Hilfen, die es den Bewohnern der Stadt ermöglicht hatten, das Unwetter relativ gut zu überstehen. Zugleich bat er sie um Vergebung dafür, daß die Statue des Wettergottes wieder aufgestellt und angebetet worden war. „Wir haben sie wieder entfernt, denn nun wissen wir, daß nur ihr die wirklich echten Götter seid“, schloß er seine wohlgesetzte, wie einstudiert wirkende Rede. „Wir sehen ein, daß eure Kräfte gegenüber einer solchen Übermacht von dämonischen Einflüssen nicht ausreichen konnten. Deshalb bitten wir euch, uns auch weiterhin gnädig gesinnt zu bleiben und unserem Volk zu helfen, die Folgen der Katastrophe zu überwinden.“ Der Captain sagte dies zu und erntete dafür unterwürfige Danksagungen und tiefe Bücklinge der Priester. Als er dann wieder im Freien stand, grinste er den Ersten Offizier belustigt an. „Merken Sie etwas, Carl?“ meinte er sarkastisch. „Unsere Wissenschaftler billigen
den Zwergen zwar nur die Hälfte unseres Intelligenzpotentials zu, aber in ihrer Art sind sie doch recht schlau! Die Priester haben sehr schnell begriffen, daß ohne unsere Hilfe schlechte Zeiten für sie anbrechen würden, und deshalb haben sie umgehend eine Kehrtwendung gemacht.“ Carl Morgan nickte tiefsinnig. „Dieser Ramto ist wirklich ein selten verschlagener Bursche, das Ganze geht bestimmt nur von ihm aus. Vielleicht wäre es gut, ihn kraft unserer ,göttlichen’ Vollmachten aus seinem Amt zu entfernen, er könnte uns sonst noch ernstliche Schwierigkeiten bereiten, falls er sich wieder anders besinnt.“ John Cork winkte kurz ab. „Ich denke nicht daran, mich in die inneren Angelegenheiten von Garal einzumischen, Carl. Wir werden tun, was wir für das Wohl der Zwergmenschen für erforderlich halten, aber in dieser Hinsicht sollten wir neutral bleiben. Schließlich beabsichtigen wir nicht, für längere Zeit auf dieser Welt zu bleiben, deshalb müssen wir alles vermeiden, was später zu Machtkämpfen unter den kleinen Leuten führen könnte. Selbst wenn wir gut wieder von hier wegkommen, müssen doch mindestens zwanzig Jahre vergehen, ehe wieder ein terranisches Schiff den Planeten anfliegen kann, vergessen Sie das nicht.“ Sie begaben sich wieder zu ihrem Fahrzeug und flogen zu dem provisorischen Center der Wissenschaftler in der Stadt. Dort trafen sie einen sehr erregten Dr. Dombrowski an. „Ich weiß nicht, was seit kurzer Zeit mit meinen Kollegen los ist!“ beklagte er sich in seiner gewohnt cholerischen Art. „Die Daten, die sie mir neuerdings bringen, sind teilweise direkt widersprüchlich und zu einem großen Prozentsatz völlig unbrauchbar. Wenn ich sie den Rechenanlagen eingebe, kommt nichts als Unsinn heraus; so etwas habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt“ Der Captain zog die Brauen zusammen. „Das ist allerdings in höchstem Maße ungewöhnlich, darin muß ich Ihnen recht geben. Kann das irgendwie mit den anomalen Verhältnissen der letzten Tage zusammenhängen, Doc? Die Luftfeuchtigkeit war in dieser Zeit enorm hoch, und das kann sich negativ auf die empfindlichen Computer ausgewirkt haben.“ Dombrowski schüttelte entschieden den Kopf. „Das halte ich für ausgeschlossen, Captain. Unsere Geräte sind so gut gegen Umwelteinflüsse aller Art isoliert, daß schon ein mittleres Erdbeben dazu gehören würde, ihnen entsprechend zu schaden. Es liegt nicht an den Rechnern, sondern an unseren Leuten, das steht für mich fest.“ John Cork überlegte kurz. „Reden Sie ihnen einmal ins Gewissen, Doc“, empfahl er dann dem Wissenschaftler. „Ich kenne sie alle als ausgezeichnete Fachkräfte, aber vielleicht hat sich das Unwetter mit seinen Folgen irgendwie auf ihre Psyche ausgewirkt. Berichten Sie mir umgehend, falls keine Änderung eintreten sollte. Gegebenenfalls müssen wir dann eben das gesamte Team auswechseln.“ Dr. Dombrowski versprach das, und die beiden Männer ließen ihn wieder mit seinen Sorgen allein. Anschließend gab der Captain dem Fahrer Anweisung, zum Haus
Nandus zu fliegen, und der Erste Offizier sah ihn verwundert an. Er begriff nicht,
was sein Kommandant an diesem uralten Zwergmenschen fand, auch wenn dieser
den Beinamen Der Wissende führte.
John Cork verstand ihn auch ohne Worte und lächelte ihm versonnen zu.
„Nandu ist für mich so etwas wie die wahre Stimme des Volkes, Carl“, bemerkte er.
„In seiner Art bildet er ein Gegengewicht zu den unaufrichtigen Priestern, verstehen
Sie? Es ist nie gut, sich nur nach einer Quelle zu orientieren, und deshalb möchte ich
hören, was er uns zu sagen hat.“
* Diesmal war Nandu nicht allein. Er saß wie üblich auf den Stufen in der Sonne, und bei ihm war Gernal, der Meister der Heilerkaste von Garal. Der Wissende stellte ihn den beiden Männern vor, und der Captain zeigte sich ehrlich überrascht, denn er hatte bisher nichts von der Existenz der Heiler erfahren. Er und Carl Morgan waren geradezu verblüfft, als sie zu hören bekamen, auf welche Weise deren Wirken erfolgte und beide wußten sofort, daß es sich dabei um parapsychische Kräfte handeln mußte. Diese Tatsache ließ die Zwerge von Garal in einem ganz neuen Licht erscheinen. Auch im 25. Jahrhundert der irdischen Zeitrechnung war der Bereich der übersinnlichen Phänomene erst zu einem winzig kleinen Teil erforscht. John Cork nahm sich vor, umgehend Anne Young und die übrigen Mediziner der ARLENE über die Neuigkeit zu informieren. Doch vorerst waren für den Captain andere Probleme wichtiger, und so kam er bald auf sie zurück. „Eure Priester bereiten mir Sorgen“, eröffnete er den beiden Männern freimütig. „Sie reden heute so und morgen wieder anders – wie weit kann ich ihnen trauen?“ Er bemerkte augenblicklich, daß er hier an ein ausgesprochen heikles Thema gerührt hatte. Nandu und Gernal blickten verlegen zur Seite. John Cork ahnte, was in ihnen vorging, und so baute er ihnen eine Brücke. „Ihr braucht nicht zu befürchten, daß den Männern aus dem Tempel etwas von dem zu Ohren kommt, was ihr zu uns sagt“, erklärte er mit Nachdruck. „Wir tun für euch, was wir können, aber wir halten uns aus allen Dingen heraus, die allein euer Volk angehen. Trotzdem müssen wir in Erfahrung bringen, was es von uns hält, damit wir keine Fehler begehen. Eure Priester sind die wichtigsten Männer von Garal, ihre Meinung über uns ist also vermutlich auch für eure Leute ausschlaggebend; nur deshalb wollen wir sie erfahren.“ Der Wissende überlegte kurz und gab sich dann einen Ruck. Er nickte bedächtig. „Ich fürchte, ihr habt bereits einen großen Fehler gemacht, John Cork“, gab er offen zurück. „Die Priester, allen voran der dicke Ramto, sind falsch und verschlagen. Sie denken immer nur an ihr eigenes Wohlergehen, und so sind sie auch jetzt nach Kräften bemüht, aus eurer Anwesenheit ihren Nutzen zu ziehen. Ihr solltet ihnen also so wenig wie möglich trauen, das ist meine Meinung, die auch von der Kaste der Heiler geteilt wird.
Der Fehler, den ich meine, besteht darin, daß ihr sie von Anfang an falsch behandelt habt! Ihr habt ihnen alle Freiheit gelassen und euch als milde Götter gezeigt, anstatt sie von vornherein in ihre Schranken zu weisen. Ihr hättet strenge Befehle erteilen müssen – sie hätten zwar mit den Zähnen geknirscht, die Anordnungen aber widerspruchslos befolgt, weil sie sonst fürchten mußten, ihre einträglichen Posten zu verlieren. Das habt ihr nicht getan, ihr habt, im Gegenteil, sogar Wert darauf gelegt, nicht als Götter behandelt zu werden. Das gab für sie den Ausschlag, und sie werden immer wieder versuchen, euch zu übervorteilen, ganz gleich, was ihre Zungen sagen.“ Carl Morgan zog die Brauen zusammen. „Habe ich es nicht gesagt?“ meinte er. „In ihrer Art sind diese Burschen gerissen und sehr clever – hätten wir ihnen von Anfang an mehr Respekt beigebracht, würden sie jetzt schön brav kuschen, statt nur nach außen hin so zu tun.“ Der Kommandant nickte langsam. „Das sehe ich jetzt auch ein“, bemerkte er nachdenklich, „doch woher hätten wir wissen sollen, welches Verhalten in dieser ungewöhnlichen Situation angebracht war? Wir hatten schließlich alle damit gerechnet, hier auf normale Menschen zu stoßen: jetzt dürfte es schwierig sein, Korrekturen vorzunehmen.“ Er wandte sich wieder an die beiden Zwergmenschen, die dem Dialog offenbar nicht ganz hatten folgen können, weil darin Worte vorkamen, die es in ihrem vergleichsweise einfachen Sprachschatz nicht gab. „Wir wissen jetzt also, daß wir euren Priestern nicht trauen können“, stellte John Cork fest. „Doch sie sind nur wenige, nicht das ganze Volk – wie denken die anderen über uns?“ Gernal zuckte mit den Schultern. „Das Volk verehrt euch und hält euch nach wie vor für gute Götter, denen es viel zu verdanken hat. Es ist allerdings so daran gewöhnt, auf die Priester zu hören, daß auch deren Einfluß geblieben ist. Da ihr zudem gesagt habt, daß ihr nicht für immer bei uns bleiben wollt, werden die Leute kaum wissen, zu wem sie halten sollen, wenn es Ärger geben sollte.“ „Durchaus verständlich“, gab John Cork zu. „Die ,Götter’ kommen und gehen, aber die Priester bleiben – und sie werden wohl kaum vergessen, wenn sich jemand gegen sie gestellt hat! Eure Kaste scheint doch aber mehr auf unsere Seite zu neigen, nicht wahr?“ Der Meister der Heiler nickte bekräftigend. „Wir sind anders als die meisten, und mit den Priestern haben wir uns noch nie sonderlich gut verstanden. Sie dulden uns nur, weil wir gebraucht werden, sogar von ihnen selbst. Wenn Ramto jedoch wüßte, was wir getan haben, um Regia vor ihm zu retten…“ Auch ohne daß er diesen Satz vollendete, verstanden ihn die beiden Männer von der ARLENE. Ein Mann wie Ramto würde eine solche gegen ihn gerichtete Handlung wohl kaum ungesühnt lassen, und die zahlenmäßig kleine Heilerkaste mußte trotz ihrer ungewöhnlichen Fähigkeiten auf verlorenem Posten stehen, wenn er das Volk gegen sie aufwiegelte!
„Wir sollten uns verbünden“, schlug der Captain nach einer kurzen Pause vor. „Falls ihr in Schwierigkeiten kommt, werden wir euch gern helfen. Dafür verlangen wir nur, daß ihr uns sofort davon unterrichtet sobald die Priester etwas gegen uns planen sollten. Seid ihr einverstanden?“ Nandu und Gernal erhoben und verneigten sich mit einer Würde, die ihre Kleinheit völlig vergessen ließ. John Cork reichte beiden die Hand, und das wohl seltsamste Bündnis in seinem Leben war geschlossen.
8. Carl Morgan erwachte in seiner Schiffskabine, als der Gong durch alle Räume der ARLENE hallte und das Signal zum Aufstehen gab. Er gähnte ausgiebig, dehnte sich und langte dann nach dem Schalter über seinem Bett, um die Beleuchtung zu aktivieren. Doch er konnte sich strecken, so weit er wollte – er erreichte den Knopf einfach nicht! „Verdammt, was ist denn das…?“ murmelte er verdutzt und richtete sich halb auf. Nun gelang es ihm, den Schaltknopf zu drücken, und augenblicklich flammte auch das Licht auf. Der Erste Offizier sprang elastisch von seinem Lager, aber gleich darauf stöhnte er fassungslos auf. Er war mit den Füßen unverhältnismäßig hart auf den Kabinenboden geprallt, doch das war es nicht allein, was ihn an seinem klaren Verstand zweifeln ließ. Verblüfft starrte er auf sein Bett, das ihm plötzlich viel höher und länger als früher erschien. Sein Kopf ragte kaum noch über die Umrandung hinaus, die etwa 1,20 Meter hoch war! Ein jäher Schreck durchfuhr ihn, und unwillkürlich sah er an sich hinab. Jetzt erst bemerkte er, daß sein Schlafanzug nur so um seinen Körper schlotterte und über Nacht plötzlich um mindestens fünf Nummern größer geworden war… So kam es ihm wenigstens vor, doch er mußte diese Auffassung schon nach wenigen Sekunden korrigieren. Ein kurzer Rundblick durch seine Kabine zeigte ihm, daß darin alles beim alten geblieben war und daß auch der Schlafanzug nach wie vor seine frühere Größe besaß. Nicht seine Umgebung hatte sich verändert – er selbst war über Nacht fünfzig Zentimeter kleiner geworden! Nein, nicht über Nacht, korrigierte er sich gleich darauf. Dieser Vorgang mußte schon vor einiger Zeit begonnen haben, nur hatte niemand groß darauf geachtet. Wer dachte schon an derart unwahrscheinliche Dinge, nur weil ihm seine Sachen zu groß vorkamen? Fast alle hatten in letzter Zeit abgenommen. Trotzdem war die Schnelligkeit, mit der die Verkleinerung vor sich gegangen war – fast sechzig Zentimeter in einer Nacht! – wirklich erschreckend. Carl Morgan faßte sich an den Kopf und fand seine Stirn von dicken Schweißtropfen bedeckt. Er hatte Angst, was aber angesichts dieser Situation kaum verwunderlich war. Das Denken fiel ihm schwer, aber er glaubte eines mit absoluter Sicherheit zu wissen: Er würde keineswegs der einzige sein – die gesamte Besatzung des Schiffes würde
dieses grausame Schicksal erleiden! Daneben kam ihm die Tatsache, daß er nicht wußte, was er jetzt anziehen sollte, fast bedeutungslos vor. Er kramte in seinen Sachen und fand eine Stretch‐Unterhose, die sich seinen verringerten Proportionen anpaßte. Nur mit ihr bekleidet, verließ er seine Kabine und lief geradewegs in ein wahres Tollhaus hinein. Alle Korridore der ARLENE waren mit notdürftig bekleideten, ebenfalls verkleinerten Menschen erfüllt. Sie wirbelten und schrien durcheinander, viele weinten hemmungslos; andere wieder hatten zu toben begonnen und schlugen wahllos auf die ein, die sich gerade in ihrer Nähe befanden. Das Chaos unter der durchweg aus hochqualifizierten Männern und Frauen bestehenden Besatzung war vollkommen. Niemand achtete auf die Stimme des Kommandanten, die aus den Lautsprechern des Interkoms drang, in dem allgemeinen Durcheinander aber einfach unterging. Der Erste Offizier zog sich hastig zurück und begab sich zu einem Antigravschacht, der wenig benutzt wurde und jetzt leer war. In ihm schwebte er zum Zentraldeck hinauf, fand es verlassen und eilte in den Kommandoraum. Dort saß John Cork vor der zentralen Sprechanlage und atmete auf, als er seinen Stellvertreter sah. „Wenigstens einer, der vernünftig geblieben ist!“ meinte er mit tonloser Stimme und schaltete das Mikrophon ab, „Carl, Sie müssen mir hellen, irgendwie die Leute wieder zur Vernunft zu bringen.“ „Wie sollen wir das anfangen, Sir?“ fragte Morgan mutlos. „Dieser Schock war zu stark, er hat den Leuten vollkommen die Besinnung geraubt. In diesem Zustand dürften sie fürs erste keinerlei sachlichen Argumenten zugänglich sein.“ Der Captain zog die Decke zusammen, die seinen Körper umhüllte und von den schmächtig gewordenen Schultern zu gleiten drohte. Sein Blick glitt über die Bildschirme des Bordnetzes, die zeigten, daß der Aufruhr immer schlimmere Formen annahm. „Rufen Sie die Medostation an“, bestimmte er dann. „Dort dürfte wohl am ehesten noch jemand vernünftig genug geblieben sein, um Abhilfe schaffen zu können. Ersuchen Sie einen Arzt um Einleitung der Maßnahmen nach Notfallplan C? unter den vorliegenden Umständen dürfte er allein angebracht sein.“ Carl Morgan strich sich fahrig über die Stirn. Er hörte und verstand wohl die Worte seines Kommandanten, aber es fiel ihm ungewöhnlich schwer, ihren Sinn voll zu begreifen. „Notfallplan C“ – was war das denn nur…? Er zermarterte sich vergeblich den Kopf, und so entging ihm der zugleich verstehende und resignierende Blick des Captains. Schließlich stellte dieser selbst die Verbindung her, und auf dem Schirm des Interkoms erschien das Gesicht von Dr. Singh. Es wirkte wie versteinert, aber relativ gefaßt. „Wissen Sie noch, worum es bei Notfallplan C geht, Doc?“ fragte John Cork gespannt. Der Inder sah ihn verwundert an. „Natürlich weiß ich das“, gab er mit erstaunt hochgezogenen Augenbrauen zurück. „Das gesamte Schiff wird über die Luftumwälzanlage mit Sedativum X geflutet, einem Spezialgas, das auch die erregtesten Gemüter innerhalb weniger Sekunden zur Ruhe bringt. Ich habe bereits mit einer entsprechenden Anweisung gerechnet und
alle Vorbereitungen dafür getroffen.“ „Gott sei Dank“. Der Captain atmete auf. „Ich ordne sofortige Durchführung an, die Zentrale ausgenommen, denn ich werde meinen klaren Verstand jetzt sehr nötig brauchen.“ „Ein Glück, daß Sie ihn behalten haben!“ meinte Singh und verschwand für einige Sekunden, aber gleich darauf tauchte sein Gesicht wieder auf der Bildfläche auf. „Notfallplan C ist durchgeführt, Sir“, meldete er förmlich, aber der Kommandant winkte kurz ab. „Verzichten wir ab sofort auf alle Formalitäten, Doc, in dieser katastrophalen Situation sind sie unsinnig und überflüssig. Ich nehme an, daß Sie inzwischen auch erfaßt haben, was da über uns hereingebrochen ist.“ Der Arzt nickte düster. „Das war für mich nicht schwer zu begreifen, Captain. Wir sind dabei, das Schicksal der Bewohner von Garal zu teilen – wir werden zu Zwergen, genauso wie sie!“ John Cork preßte die Lippen zusammen. Sein Blick suchte die anderen Bildschirme, die ihm zeigten, daß das Gas bereits zu wirken begann. Fast übergangslos beruhigten sich die vielen tobenden Männer und Frauen. Rasch schaltete der Kommandant die Sprechanlage wieder ein. „Notfallplan C ist in Kraft getreten“, sagte er mit kaum merklich schwankender Stimme. „Ich ersuche alle, die sich über Sinn und Zweck dieser Maßnahme im klaren sind, umgehend den Kommandoraum aufzusuchen, damit wir über weitergehende Planungen beraten können.“ Seine Stimme hob sich und nahm einen fast beschwörenden Ton an. „Die übrige Besatzung begibt sich in ihre Kabinen und bleibt dort, bis ich weitere Anweisungen gebe. Gehen Sie!“ Es war fast verblüffend, zu sehen, wie seine Worte wirkten. Etwa ein Viertel der Männer und Frauen befolgte den ersten Aufruf. Sie standen zwar auch unter der Einwirkung des Psychogases, doch ihre Blicke waren klar und verständig. Alle anderen sahen fast stumpfsinnig vor sich hin, befolgten aber den zweiten Aufruf und trotteten langsam zu ihren Kabinen zurück. „Merken Sie etwas, Doc?“ fragte John Cork und wies auf den Ersten Offizier, der noch immer grübelnd mitten in der Zentrale stand. „Wir teilen nicht nur rein körperlich das Schicksal der Zwerge von Garal – bei einem Großteil der Besatzung ist im gleichen Ausmaß auch eine Reduzierung der Verstandestätigkeit erfolgt! Selbst Carl Morgan wurde davon erfaßt, und außer ihm eine ganze Menge anderer Leute, die bisher als psychisch ausgesprochen stabil gelten konnten. Viele von ihnen bekleiden ebenfalls wichtige Posten in unserem Team, fallen jetzt aber zweifellos für jede sinnvolle Tätigkeit aus. Können Sie mir sagen, wie es unter diesen Umständen für uns weitergehen soll?“ Dr. Singh zuckte ratlos mit den Schultern, und das allein sagte mehr aus, als eine lange und ausführliche Antwort… *
Zehn Minuten später hatten sich etwa fünfzig zumeist nur notdürftig bekleidete Männer und Frauen in dem Kommandoraum eingefunden. Dr. Anne Young war nicht unter ihnen, folglich hatte auch ihr Verstand gelitten, und das traf den Captain schwer. Es gab einfache Besatzungsmitglieder im Mannschaftsrang, die voll und ganz Herr ihrer Sinne geblieben waren, während viele hervorragende Kräfte des wissenschaftlichen Teams in den Reihen der „Normalen“ fehlten. Dr. Singh, der sich gleichfalls in die Zentrale begeben hatte, unterrichtete den Kommandanten leise über seine diesbezüglichen Schlußfolgerungen. „Die Anfälligkeit vieler Leute für den rätselhaften Einfluß, dem wir unterliegen, scheint nichts mit dem Intelligenzquotienten zu tun zu haben, Captain. Ich hätte jeden Betrag verwettet, auch Dr. Mbunga hier zu sehen, aber er ist nicht gekommen! Dafür sind ,einfache’ Maschinisten und Techniker hier aufgetaucht, die in bezug auf Intelligenz weit unter ihm liegen. Verstehen Sie das?“ John Cork zuckte mit den Schultern. Er war jetzt auch nicht mehr größer als ein zehnjähriges Kind, doch da alle kleiner geworden waren, fiel das kaum auf. „Das ist zwar vom wissenschaftlichen Standpunkt her interessant, im Moment aber vollkommen nebensächlich, Doc. Mich hätte es vor allem interessiert, ob wir noch genügend Leute haben, um diesen Planeten verlassen zu können, aber das ist offensichtlich nicht der Fall.“ „Sie wollten mit der ARLENE starten?“ fragte der Arzt verwundert. „Meinen Sie wirklich, daß Sie dadurch eine Änderung der Verhältnisse hätten herbeiführen können?“ Der Kommandant wiegte den Kopf. „Nicht unbedingt, aber es wäre immerhin möglich gewesen“, erklärte er. „Wir unterliegen dem gleichen Prozeß, der auch die Zwerge von Garal hervorgebracht hat, die doch zweifellos von normalen Siedlern einer früheren Epoche abstammen. Damit scheint für mich erwiesen zu sein, daß die Veränderung durch irgendwelche Eigentümlichkeiten dieser Welt verursacht wird, die vielleicht wieder rückgängig gemacht werden kann, wenn wir ihnen entzogen sind.“ Der Inder lachte humorlos auf. „Eine Nacht im Raum, und alles wäre wieder wie zuvor?“ erkundigte er sich spöttisch. „Das wäre zwar höchst wünschenswert, ist aber mehr als unwahrscheinlich, Captain! Wir unterliegen hier einem Einfluß, der so tiefgreifend ist, daß Sie jede derartige Hoffnung umgehend begraben sollten. Ich vermute vielmehr, daß…“ „Später, Doc“, unterbrach ihn John Cork, denn die anderen begannen bereits unruhig zu werden. Der Captain bat um Ruhe und unterrichtete die Anwesenden dann über die Schlußfolgerungen, die er und Singh aus dem Geschehen gezogen hatten. Die meisten standen noch so sehr unter dem gewaltigen Schock dieses Morgens, daß sie kaum auf diese Eröffnungen reagierten. Nur Dr. Rappan, der alles von der sachlichen Warte des erfahrenen Wissenschaftlers aus zu betrachten schien, meldete sich zum Wort. „Gibt es Anhaltspunkte dafür, worauf diese geradezu sprunghaften Effekte
zurückzuführen sind?“ erkundigte er sich. Dr. Singh hob mutlos die Hände. „Nicht die geringsten, Ernest“, bekannte er. „Es muß irgendwie mit dem Planeten zusammenhängen, das ist die einzige Schlußfolgerung, zu der Mr. Cork und ich bisher gekommen sind. Der Captain hatte vor, mit der ARLENE in den freien Raum zu starten, aber das wäre – ganz davon abgesehen, daß infolge der Verstandesreduzierung die Leute dazu fehlen – vermutlich absolut sinnlos gewesen.“ „Ganz recht“, meinte der Astro‐Experte. „Diese Veränderung ist so tiefgreifender Art, daß sie unmöglich auf diese Art wieder rückgängig gemacht werden kann. Sie muß ihren Ursprung hier auf Garal haben – liegt es da nicht nahe, auf dem Planeten zu bleiben und danach zu suchen?“ „Sie meinen, die Verkleinerung und alles, was damit zusammenhängt, könnten einen irgendwie – sagen wir unnatürlichen Prozeß darstellen?“ fragte John Cork verblüfft. Dr. Rappan nickte nachdrücklich. „Eine Mutation infolge irgendwelcher Umwelteinflüsse ist völlig ausgeschlossen“, erklärte er. „Bei den hiesigen Menschen hätte das eventuell noch zutreffen können, sie leben immerhin schon jahrhundertelang auf dieser Welt. Wir halten uns aber erst so kurze Zeit hier auf, daß uns selbst eine ungewöhnlich starke Strahlung nicht hätte beeinflussen können.“ „Denken Sie an eventuelle Manipulationen einer fremden Rasse?“ fragte der Pilot Jens Hagerup atemlos. Der Wissenschaftler wiegte den Kopf. „Wo natürliche Ursachen ganz offensichtlich ausscheiden, muß nach einer anderen Erklärung gesucht werden“, gab er zurück. „Ich will nicht unbedingt behaupten, daß unser Zustand auf das Wirken fremder Intelligenzen zurückzuführen ist, aber möglich wäre es durchaus. Wir sollten deshalb alle Kräfte darauf konzentrieren, den Planeten eingehend zu erforschen. Vielleicht stoßen wir dann auf die entsprechenden Anhaltspunkte.“ John Cork lachte sarkastisch auf. „Gut gesagt, Doc, aber wie stellen Sie sich das vor? Vergessen Sie nicht, daß etwa fünf Sechstel unserer Mannschaft schlagartig den größten Teil ihrer Intelligenz verloren haben! Das bedeutet, daß nur noch fünfzig Männer und Frauen für diese Aufgabe zur Verfügung stehen, die aber zugleich alle Hände voll zu tun haben dürften, für die restlichen 250 zu sorgen.“ „Wir müssen es trotzdem versuchen“, beharrte der Stro‐Experte. „Wenn wir es nicht tun, sind wir dazu verurteilt, auf ewig hierzubleiben, und dann werden wir bald das Schicksal der Leute von Garal teilen. Ich übersehe keineswegs die Schwierigkeiten, doch irgendwie…“ Der Kommandant unterbrach ihn mit einer Handbewegung, denn das Funkgerät hatte angesprochen, über das die ARLENE mit dem Wissenschaftlerteam in der Stadt in Verbindung stand. Als der Bildschirm aufleuchtete, erschien auf ihm das verstörte Gesicht Dr. Dombrowskis. „Hier bei uns ist der Teufel los, Captain!“ stieß er erregt aus. „Wir alle sind über Nacht zu Zwergen geworden, die kaum größer sind als die Einwohner von Garal; aber das ist noch nicht alles. Entsinnen Sie sich noch dessen, was ich Ihnen über die
unsinnigen Ergebnisse gesagt habe, die wir zuletzt erzielt haben? Jetzt wundert mich das gar nicht mehr, denn nur zwei meiner Leute sind noch normal; alle anderen wissen einfach nicht mehr, wie sie einen Computer bedienen oder auch nur einen Gleiter fliegen sollen…“ Er schnappte nach Luft, und John Cork nickte ihm niedergeschlagen zu. „Trösten Sie sich, Doc, uns hier ergeht es auch nicht besser. An eine Fortsetzung Ihrer Arbeit ist natürlich vorerst nicht mehr zu denken. Deshalb werde ich dafür sorgen, daß Ihr Team abgeholt und ins Schiff gebracht wird.“ „Dann müssen Sie sich aber verdammt beeilen“, gab der Wissenschaftler zurück. „Hier tut sich nämlich allerhand – die Bewohner von Garal haben inzwischen gemerkt, was mit uns los ist! Bisher waren wir Riesen und Götter für sie, aber unsere sprunghafte Verwandlung hat sie allen Respekt vor uns verlieren lassen. Die Nachricht davon ist natürlich sofort zu den Priestern gelangt, und sie haben umgehend begonnen, die Leute gegen uns aufzuwiegeln. Bisher trauen sie sich noch nicht, offen gegen uns vorzugehen, aber wenn die berüchtigte Volksseele erst einmal kocht…!“ Der Captain versprach, umgehend für Abhilfe zu sorgen und unterbrach dann die Verbindung. Er überlegte kurz und wandte sich dann an die in der Zentrale anwesenden Männer und Frauen. „Ich fürchte, daß hier noch einiges auf uns zukommt, das unsere Lage erheblich kompliziert“, erklärte er. „Die Stadtbewohner an sich sind harmlose Naturen, aber Ramto und seine Genossen sind einfach unberechenbar, das habe ich schon lange gemerkt. Kommen Sie, Jens, außerdem brauche ich noch vier Freiwillige, damit wir drei Gleiter bemannen können, mit denen wir Dr. Dombrowskis Team abholen. Paralysatoren sind mitzunehmen, sie dürften die ,kochende Volksseele’ am besten zur Abkühlung bringen können.“
9. Schon die Steuerung der Gleiter allein bereitete den sechs Männern einige Schwierigkeiten. Alle Anlagen darin waren für normal große Menschen gedacht, und so war deren Bedienung für sie infolge ihrer um rund ein Drittel verringerten Maße nicht eben einfach. Sie behalfen sich, indem der zweite Fahrzeuginsasse einen Teil der Schaltvorgänge übernahm, bis die Automatik einspringen konnte. Das war zwar kein Idealzustand, aber es mußte eben so gehen. John Cork war nicht übereilt gestartet, sondern hatte rasch dafür gesorgt, daß die Schiffsanlagen Kleidung produzierten, die der jetzigen Größe der Männer entsprach. Sie brauchten also nicht halbnackt loszufliegen, aber trotzdem fühlten sie sich nicht sonderlich wohl. Für die mitgenommenen Lähmstrahler mußten sie zwei Hände zu Hilfe nehmen, wo früher eine spielend genügt hatte… Schon bei der Annäherung an die Siedlung bemerkte der Captain, daß sich ein Großteil der Bevölkerung von Garal in Aufruhr befand. An diesem Morgen schien
niemand seiner gewohnten Tätigkeit nachzugehen, die verwahrlosten Straßen wimmelten nur so von Menschen. Ein großer Teil davon stand vor den Häusern, in denen sich das Wissenschaftlerteam befand, und es fiel John Cork nicht schwer, in ihrer Mitte die auffällig gekleideten Priester zu entdecken. Sie gestikulierten heftig und redeten auf die Bevölkerung ein. Der Captain lachte humorlos auf. „Diese Herren glauben anscheinend, daß wir alle nicht nur so klein, sondern auch so dumm wie sie geworden sind“, knurrte er. „Gut, wir werden ihnen das Gegenteil beweisen! Achtung, an alle: Wir landen direkt vor den Häusern, die von unseren Leuten belegt sind, und dann werde ich die Priester zur Rede stellen. Die Waffen werden nur auf meine ausdrückliche Anweisung hin gebraucht, klar?“ Die Männer in den anderen Gleitern bestätigten, und bald darauf senkten sich die Fahrzeuge in die Straße nieder. Die dort befindlichen Zwergmenschen wichen hastig aus, und selbst die Priester zogen sich erschrocken zurück. Ihr Verhalten änderte sich jedoch sofort wieder, als sie erkannten, daß die Männer in den Flugmaschinen nicht mehr viel größer waren als sie selbst. Mit offenem Trotz sahen sie John Cork entgegen, der mit unbewegtem Gesicht auf sie zukam. „Was geht hier vor?“ fragte er scharf. „Warum sind eure Leute nicht bei ihrer Arbeit und stehen müßig hier herum?“ Doch seine Worte erzielten nicht die gewünschte Wirkung. Er hatte Ramto aufs Korn genommen, mußte aber sofort sehen, wie ein geradezu unverschämtes Grinsen auf dessen feistem Gesicht erschien. „Was wollen diese Männer noch von uns?“ rief der Priester aus, die dicken Arme theatralisch ausgebreitet. „Seht doch, sie sind alle nicht mehr größer als wir! Sie sind als Götter gekommen, aber jetzt zeigt sich, daß sie auch nicht mehr als gewöhnliche Menschen sind. Wohl besitzen sie Maschinen, mit denen sie durch die Luft fliegen, aber das können wir vermutlich auch, wenn wir nur wissen, wie man damit umgehen muß. Ergreift sie, nehmt ihnen die fliegenden Wagen ab, den falschen Göttern!“ Seine Worte erzielten allerdings nicht die gewünschte Wirkung, dafür saß die Scheu vor den „Göttern“ noch zu tief in den schwerfällig arbeitenden Hirnen der Zwergmenschen. Nur eine Anzahl von weiter entfernt stehenden Männern ließ Rufe der Zustimmung hören, doch sie verstummten bald wieder, als der Kommandant erneut seine Stimme erhob. „Ich möchte keinem von euch raten, das zu versuchen“, entgegnete er fest. „Diese Fahrzeuge gehorchen nur uns, selbst der größte Zauber eurer Priester könnte nichts daran ändern. Wir sind zwar kleiner geworden, doch wir sind nach wie vor mächtiger als ihr! Ich werde es euch beweisen, indem ich…“ Er unterbrach sich, denn er mußte erkennen, daß sein Auftritt bereits gründlich verdorben war. Aus den von Dr. Dombrowskis Team bewohnten Häusern kamen halb bekleidete Männer gestürzt, die einen geradezu jammervollen Anblick boten. Sie waren nicht nur zu Zwergen geworden, sondern hatten auch ihre Intelligenz weitgehend eingebüßt! Nur der dumpfe Drang der Gewohnheit trieb sie voran, auf die wartenden Gleiter zu. Sie drängten sich um die Fahrzeuge, doch sie hatten nun erhebliche
Schwierigkeiten, sie auch zu besteigen, und Ramto stieß ein schrilles Gelächter aus. „Seht sie doch an, die ,Götter’!“ hetzte er von neuem. „John Cork spricht große Worte, aber die Leute ergreifen bereits die Flucht vor uns… Wollt ihr wirklich auf diese Jammergestalten hören?“ Gelächter klang unter den Männern und Frauen von Garal auf, zuerst nur vereinzelt, dann in lautem Chor. Der Captain wollte noch einmal versuchen, dagegen anzugehen, doch nun hörte ihm niemand mehr zu. Nichts kann tödlicher wirken als Lächerlichkeit, das mußte er entmutigt erkennen; und diese Männer, die verzweifelt versuchten, die für sie viel zu hoch gewordenen Einstiegsluken der Gleiter zu erklimmen, wirkten in höchstem Maße lächerlich! Nur Dr. Dombrowski und zwei seiner Begleiter versuchten noch, das Verhängnis abzuwenden, aber sie schafften es einfach nicht. Ohnmächtig mußten sie zusehen, wie ihre früher so tüchtigen Mitarbeiter die Flucht ergriffen, womit sie den Priestern direkt in die Hände spielten… Der cholerische Wissenschaftler schluchzte fast, als er bei John Cork angelangt war. „Diese Schande!“ ächzte er verzweifelt. „Captain, wenn ich so könnte, wie ich wollte, dann würde ich…“ „Wir können nicht mehr so, wie wir wollen, weder Sie noch ich, Doc“, gab der Captain resignierend zurück. „Wir haben hier verspielt, die Priester haben eindeutig die Oberhand, begreifen Sie es doch.“ Es kam zu keinen tätlichen Angriffen, dafür sorgten die gezückten Paralysatoren der sechs Männer aus den Gleitern, gegen die die Bewohner von Garal nicht anzugehen wagten. Nach und nach verschwanden die verdummten Wissenschaftler in den Fahrzeugen, und anschließend zog sich auch John Cork mit seinen Begleitern zurück. Doch das nicht endenwollende Gelächter klang auch dann noch in seinen Ohren nach, als sich die vier Fahrzeuge bereits in der Luft befanden, um zur ARLENE zurückzukehren. „Wie soll es nun weitergehen, Sir?“ fragte Dombrowski nach einer Weile. „Alle unsere Unterlagen sind zurückgeblieben, die Anlagen werden ungewartet bald dem Verfall preisgegeben sein! Und das alles nur, weil sich über Nacht etwas ereignet hat, das es praktisch überhaupt nicht geben dürfte – sind wir wirklich so hilflos geworden?“ Der Captain lachte freudlos auf. „Warten Sie nur ab, bis wir wieder an Bord der ARLENE sind, Doc, dann werden Sie erst das volle Ausmaß der Katastrophe erkennen! Nur fünfzig von dreihundert Männern und Frauen können noch klar denken, wir sind also noch viel hilfloser, als Sie bisher angenommen haben. Und wenn nicht ein Wunder geschieht, werden wir für immer das bleiben, was wir jetzt sind – Zwerge von Garal…“
ENDE