Matthias Küntzel
Djihad und Judenhaß Über den neuen antijüdischen Krieg
ça ira
Matthias Küntzel ist Politikwissenschaftler und Publizist und arbeitet als Berufsschullehrer in Hamburg. Jüngste Veröffentlichungen: Goldhagen und die deutsche Linke, Berlin 1997 (zusammen mit U. Becker et. al.) und Der Weg in den Krieg. Deutschland, die Nato und das Kosovo, Berlin 2000.
ca ira-Verlag Postfach 273 www.ca-ira.net
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© Matthias Küntzel © für diese Ausgabe: ça ira-Verlag, Freiburg 2002
Umschlaggestaltung: Volker Maas, Freiburg, unter Verwendung eines Fotos der dpa Druck: Druckwerkstatt im Grün, Freiburg ISBN 3-924627-07-X Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Inhalt Einleitung I. Die Muslimbrüder und der Palästinakonflikt Islamistische Avantgarde Von der „Kunst des Todes" Antideutscher Boykott Antijüdischer Djihad Die Muslimbrüder, der Mufti und der Nationalsozialismus Nashashibis gegen Husseinis Die Heimstätte des Nationalsozialismus Krieg gegen Israel II. Ägyptischer Islamismus von Nasser bis zur Gegenwart Die Demütigung Genosse Bruder Nasser Islamismus unter Sadat Einheit und Unterwerfung Sayyid Qutb Djihad gegen die Muslime Islamisierung unter Mubarak
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III. Der Djihad der Hamas Islamistischer Terror im Gaza-Streifen Die Charta der Hamas El-Husseini und Arafat Massenmord als Strategie
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IV. Der 11. September und Israel Bin Laden und die Muslimbrüder Haß auf Amerika Das antisemitische Fanal
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Epilog: Der Mufti und die Deutschen
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Anmerkungen
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Einleitung
Demgegenüber wirft Erkenntnis, damit sie fruchte, à fond perdu sich weg an die Gegenstände. Der Schwindel, den das erregt, ist ein index veri; der Schock des Offenen, die Negativität, als welche es im Gedeckten und Immergleichen notwendig erscheint, Unwahrheit nur fürs Unwahre. Theodor W. Adorno
Akademiker, die sich zum Zwecke der paradiesischen Selbstveredelung in die Luft sprengen, Priester, die jungen Frauen Salzsäure ins Gesicht schütten, um Verstöße gegen den Verschleierungszwang zu sühnen, Eltern, die ihre Kinder mit der Attrappe eines Sprengstoffgürtels freudig auf den Djihad vorbereiten - wer die Motive für derartiges Handeln aufspüren möchte, gerät in eine Welt, in der die Vernunft als Verrat, der Zweifel als Todsünde und die Juden als „Brüder der Affen, Mörder des Propheten, Blutsauger und Kriegshetzer“ gelten. Viele wollen sich in dieser Welt diesem „Schock des Offenen“ nicht aussetzen, sondern klammern sich lieber an das „Unwahre“. Dies fängt bei der Beurteilung der suizidalen Massenmorde an israelischen Zivilisten an. Die Videoaufzeichnungen der Täter, Dokumente ihres letzten Willens, zeigen stolze und begeisterte Männer, die geradezu erpicht darauf sind, sich in die Luft zu sprengen und möglichst viele Juden mit in den Tod zu reißen. Der ,aufgeklärte’ Geist will von dieser Begeisterung nichts sehen und nichts wissen, sondern besteht darauf, daß Hoffnungslosigkeit und Verzweifelung die Mörder motivieren. Die Frage, warum nirgendwo sonst Menschen aus ihrer verzweifelten Lage die Konsequenz ziehen, sich in vollbesetzten Bussen oder Restaurants in die Luft zu sprengen, kommt ihm nicht in den Sinn: Alle Hinweise
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und Fragen, die dem unbedingten Verlangen nach Selbstberuhigung widersprechen, werden unterdrückt. Seit dem 11. September 2001 werden die Anstrengungen, sich die Wahrheit zu ersparen, noch forciert. Wenige Monate nach dem Anschlag gab einer der engsten Mitarbeiter Osama bin Ladens bekannt: „Al-Qaida ist stolz darauf, die Elemente der amerikanischen strategischen Verteidigung ausgeschaltet zu haben.“1 Aber es half nicht: Je klarer die Verantwortung des Djihadismus für den Massenmord in Washington und New York zutage trat, desto beharrlicher wurden die vertrauten Weltbilder abgerufen und die CIA oder andere US-amerikanische Staatsorgane als Tatverdächtige ins Spiel gebracht. So verwies eine Zeitschrift der Linken noch Monate nach der Kommandoerklärung der al-Qaida deren Alleinverantwortung für den 11. September als „größte Verschwörungstheorie“ in den Bereich der Phantasie, um unbeirrt die Suche nach Indizien „für mögliche Interessen höchster Kreise [der USA] an einem trigger event für einen globalen Feldzug“ fortzusetzen.2 Dieses Buch wählt einen anderen Weg. Es folgt der Überzeugung, daß, wer immer sich dem Djihadismus nähern will, die Nestwärme des Gewohnten aufgeben und Einsichten in Kauf nehmen muß, die einen zwar frösteln lassen, aber gleichwohl durchzubuchstabieren sind. Es unterscheidet sich von anderen Publikationen über den Islamismus erstens darin, daß es die antijüdische Programmatik des Islamismus zur Kenntnis nimmt. Wie ungewöhnlich dies ist, macht der Umgang mit der Charta der islamistischen Hamas-Bewegung klar. Obwohl hier alle Beweggründe für ihren antijüdischen Krieg nachzulesen sind, tauchte das Papier in den Diskussionen über das Motiv der ‚Selbstmordattentate’ nicht einmal auf. In der Charta der Hamas werden die Juden nicht nur in Nazimanier für die Französische Revolution und die Oktoberrevolution verantwortlich gemacht. Ihnen wird zugleich die Verantwortung für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg in die Schuhe geschoben. Die Vereinten Nationen werden als Instrument jüdischer Weltbeherrschungspläne entlarvt; zur Bestätigung
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dieser Vorwürfe wird das berühmteste aller antisemitischen Machwerke angeführt, die Protokolle der Weisen von Zion. Das vorliegende Buch geht zweitens davon aus, daß eine sich als revolutionär verstehende Massenbewegung durchaus faschistischen Charakters sein kann, während zahlreiche Forscher der „Faszination“ des Islamismus insofern erliegen, als sie von seiner Massenhaftigkeit auf seine Progressivität und seine historische Berechtigung glauben schließen zu dürfen. Das Beispiel des Nationalsozialismus zeigt jedoch, daß auch eine auf den ersten Blick antikapitalistische Revolutionsbewegung gleichwohl antisemitisch und faschistisch orientiert sein kann. Drittens wird die Entwicklung des Islamismus hier nicht losgelöst von seinem gesellschaftlichen Kontext, sondern als der ideologische und kulturelle Widerhall spezifischer politischer und ökonomischer Voraussetzungen analysiert. Unter diesen Blickwinkeln führte die Lektüre der (hauptsächlich englischsprachigen) Studien zur Geschichte des Islamismus zu Ergebnissen, die eine neue Interpretation der Beziehung zwischen Djihad und Judenhaß erzwingen. Der Anspruch, den dieses Buch erhebt, ist gleichwohl bescheiden: Es versucht dem Neuen sich zu nähern, indem es die Genese des Islamismus seit den 20er Jahren nachvollziehbar macht. Um Enttäuschungen vorzubeugen, gesteht der Autor schon an dieser Stelle, die Rätsel mehr gezeigt, als gelöst zu haben. Das Material immerhin ist ausgebreitet, die faschismustheoretischen, sozialpsychologischen, anisemitismustheoretischen und sexualpsychologischen Analysen können beginnen. Im Zentrum dieser Untersuchung steht die wichtigste islamistische Bewegung, die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft. Es waren die Muslimbrüder, die im Kontext der Weltwirtschaftskrise die Idee des kriegerischen Djihad und die Todessehnsucht als Leitideal des Märtyrers neu entdeckten. Es sind die Muslimbrüder, die heute mit der Hamas die wichtigste palästinensische Djihad-Organisation stellen. Die Verbindungen zwischen der Bruderschaft von Palästina und
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der al-Qaida von Osama bin Laden waren stets besonders eng: Ein Gründungsmitglied der Hamas, Abdullah Azzam, machte Osama bin Laden in den 80er Jahren mit dem Djihadismus vertraut. Anders, als in vielen Darstellungen kolportiert, wurden die Muslimbrüder nicht vom ,Nasserismus’ der 60er, sondern vom europäischen Faschismus der 30er Jahre inspiriert. Bis 1951 waren ihre Kampagnen nicht antikolonial, sondern antijüdisch orientiert: Die judenfeindlichen Passagen des Koran wurden mit den antisemitischen Kampfformen des Dritten Reichs verknüpft und der Judenhaß als Djihad ausagiert. Sechs Monate nach dem Ende der Naziherrschaft provozierten die Muslimbrüder die größten antijüdischen Ausschreitungen der ägyptischen Geschichte. So kündigte sich die Verschiebung des antisemitischen Zentrums von Deutschland in die arabische Welt an. Doch erst mit dem Ende des Kalten Krieges trat der Djihad der Muslimbrüder in Palästina erneut in Aktion. Seit 1994 eskaliert er in Form von suizidalen Massenmorden gegen israelische Zivilisten. Und dann der 11. September: In zweifacher Hinsicht erwiesen sich die Massaker von Washington und New York als Signal: Erstens hat sich der Islamismus seither als Avantgarde eines antijüdisch aufgeladenen Antiamerikanismus profiliert. Zweitens erhielt der Antisemitismus neuen Schub: Die tödliche Wucht dieser Anschläge schlug in erster Linie auf Israel zurück. In den Wochen danach sah es sich nicht nur mit einer Eskalation der palästinensischen Suizidangriffe, sondern zugleich mit antisemitischen Mobilisierungen in Europa und der arabischen Welt konfrontiert. Als im April 2002 weit über zwei Millionen Menschen in den Hauptstädten der arabischen Welt auf die Straßen gingen, um die Politik der suizidalen Massenmorde gegen israelische Zivilisten anzufeuern, wurde das Potential einer neuen antijüdischen und antiamerikanischen Rebellion erstmals manifest; einer Rebellion, die statt Antikolonialismus Antisemitismus und statt Emanzipation Unter-
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drückung auf ihre Fahnen geschrieben hat; einer Rebellion, in der nicht objektive Vernunft, sondern religiöser Wahn wirksam ist und die gleichwohl alle anderen antiwestlichen Revolten quantitativ in den Schatten stellt. Die Führung dieser neuen Bewegung besteht nicht aus religiös verhetzten Bauerntölpeln, sondern aus kühl kalkulierenden Strategen. Ihr Maß an destruktiver Intelligenz erahnt, wer die Charta der Hamas zur Kenntnis nimmt. „Es ist notwendig, den Feind und sein materielles und humanes Potential gewissenhaft zu studieren und die Kräfte zu erkennen, die ihn unterstützen und ihm zur Verfügung stehen“, heißt es dort. „Gleichzeitig müssen wir uns Klarheit über die laufenden Ereignisse verschaffen, die Nachrichten verfolgen, die Analysen und Kommentare darüber studieren ... und jedes Phänomen untersuchen.“ Es ist diese Verbindung von antijüdischem Wahnsinn und rationaler Methodik, die den Islamismus zur erfolgreichsten Bewegung der letzten zehn Jahre macht. Hunger, Unterdrückung und Unterentwicklung können der Nährboden für einen Terrorismus der Verzweiflung sein. Beim Islamismus der al-Qaida oder der Hamas haben wir es aber nicht mit Verzweifelten zu tun, die spontan auf unmittelbare ökonomische Zwangslagen reagieren. Hier agieren Weltanschauungskrieger, Menschen mit einem rigorosen ideologischen Programm. Zielgenau wird die Unzufriedenheit mit Zuständen, die aus dem Gesamtzusammenhang des Kapitalismus resultieren, auf das „amerikanisch beherrschte“ Israel und die „von Juden dominierten“ USA fokussiert. Dieser antijüdische Wahn ist keinem metaphysisch „Bösen“, sondern einer historisch und systematisch erklärbaren Sichtweise auf den Kapitalismus entsprungen. Er führt vor Augen, daß es auf die Zerstörungen, die der Kapitalismus als Weltsystem anrichtet, zwei mögliche Antworten gibt; Antworten, die keinerlei Gemeinsamkeit aufweisen, sondern sich prinzipiell unterscheiden. Erstens die aufklärerische und emanzipatorische Antwort, die eine humanere Gesellschaftsform jenseits des Kapitalismus neu zu begründen sucht und
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deshalb die positiven Errungenschaften des Kapitalismus anerkennen und in sich aufnehmen wird. Zweitens die reaktionäre und antisemitische, die bestimmte Erscheinungsformen des Kapitalismus, etwa das Prinzip von Individualität und Kommerz, mit „Juden“ im weitesten Sinne gleichsetzt und sich durch Vernichtung von ihnen „befreien“ will. Schon in Auschwitz wurde die Illusion, daß keine Politik und keine Ideologie je so barbarisch sein könne, wie die Ökonomie, die sie angeblich bestimmt, widerlegt. Auch der Djihadismus ist ein Programm, das der zerstörerischen Wirkung des Kapitalismus etwas noch Schlimmeres, nämlich ein Konzept der Vernichtung, entgegensetzt und doch als Weltanschauung den Widersprüchen eben dieser Gesellschaftsordnung entspringt. Dies macht den Kapitalismus allerdings nicht besser, sondern offenbart seine destruktive Kraft lediglich in neuer Dimension. Es gibt daher keine Veranlassung, „westliche Standards“ oder gar die USA als den „zuverlässigen Garanten einer Weltordnung, der die Menschheit nicht im völkischen Hauen und ethnisch reinem Stechen eines Alle gegen Alle versinken läßt“, zu verteidigen, wie es seit dem 11. September bisweilen heißt. So hat man sich nach den Septemberanschlägen in Washington für den Zusammenhang von Djihad und Judenhaß kaum interessiert. Stattdessen wurde der Kampf gegen den Terror als Flaggenparade für „freedom & democracy“ zelebriert. Im Kampf gegen das „Böse“ wurden die Reihen geschlossen, arabisch aussehende Einwanderer drangsaliert, der Kriegshaushalt ins Unermeßliche gesteigert und Kampfmittel eingesetzt, die, wie die Streubomben, abzulehnen sind. Diese am Maßstab der Humanität orientierte Kritik ist freilich scharf von einer Haltung zu unterscheiden, die die amerikanische Außenpolitik ausgerechnet deshalb kritisiert, weil diese al-Qaida auch mit militärischen Mitteln bekämpft. Es gibt Schlimmeres als den Krieg. Es sind Schrecken möglich, von denen nur ein Militäreinsatz befreit. Diese Wahr-
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heit versteht sich in allen vom Nationalsozialismus überfallenen Ländern von selbst. Nur in Deutschland wird das Selbstverständliche nicht anerkannt, weil es dem eingefleischten Opfermythos widerspricht: Wer die ,Bombennächte’ zum größten Unheil stilisiert, kann die Notwendigkeit der alliierten Kriegsführung gegen die Deutschen nicht verstehen, weil er sich hinsichtlich der Verbrechen des deutschen Antisemitismus immer weiter an das „Unwahre“ klammern will. Haben nicht schon vor sechzig Jahren die Wochenschauen der Nazis „stolze und begeisterte“ Männer vor ihrem Abmarsch zur nächsten Vernichtungsaktion gezeigt, während später die ,aufgeklärten’ Geister Hoffnungslosigkeit, Befehlsnotstand und innere Opposition gesehen haben wollen? Ein Selbstbetrug fordert den nächsten. Zwischen der Weigerung, den Antisemitismus des Nationalsozialismus in all seinen Facetten wahrzunehmen, und der Anstrengung, sich den „Schock des Offenen“ im Hinblick auf den gegenwärtigen Antisemitismus zu ersparen, besteht offenbar ein Zusammenhang. Es sind aber die Zustände dieser Welt, die der antisemitischen Rebellion neuen Zulauf garantieren. Die Kombination von diesseitiger Wahnvorstellungen und jenseitiger Heilserwartung potenziert ihre destruktive Energie. Wer den politischen Umgang mit dem Djihadismus und die militärischen Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden, auf rationaler Grundlage kritisieren will, muß sich zuvor ein der Sache gemäßes Urteil über ihn gebildet haben. Dies aber setzt den schonungslosen Blick voraus, der vom Bann des „Gedeckten und Immergleichen“ sich gelöst hat. Dafür will dieses Buch eine Hilfe sein. Last but not least einige Worte der Dankbarkeit: Ich danke an erster Stelle Gabi Gumbel für ihr so hervorragendes Lektorat; ich danke Joachim Bruhn für viele gute Literaturhinweise und die kritische Durchsicht des Manuskripts. Ich danke Götz Nordbruch von der Berliner Zweigstelle des Middle East Research Institute (Memri) für die bereitwillige Überlassung zahlreicher ägyptischer und israelischer Texte, die hierzulande
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nicht erhältlich sind. Ich danke meinen Freundinnen und Freunden von der Gruppe 8. Mai, die meine Arbeit mit zahlreichen kritischen Anmerkungen und Diskussionen begleiteten, insbesondere Ulrike Becker und Frank Behn sowie Michael Spaney, Kera Nagel und Jürgen Starck. Den größten Dank schulde ich jedoch erneut meiner geliebten Frau.
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I. Die Muslimbrüder und der Palästinakonflikt
Am 2. November 1917 erklärte die britische Labour-Regierang durch ihren Außenminister, Lord Balfour, daß sie die Schaffung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina unterstütze. Die ,Balfour-Deklaration’ gut seither als Ausgangspunkt der jüdisch-arabischen Konfrontation. Diese Sichtweise blendet jedoch aus, daß wichtige Repräsentanten der damaligen arabischen Welt die zionistische Besiedlung unterstützten. Diese erhofften sich von der jüdischen Einwanderung einen Entwicklungsschub und die Annäherung des Orients an das europäische Niveau. So hatte Ziwar Pasha, der spätere ägyptische Premier, 1917 an den Feiern aus Anlaß der Balfour-Deklaration persönlich teilgenommen. Fünf Jahre später gratulierte Ahmed Zaki, ehemals Minister im ägyptischen Kabinett, der Zionistischen Exekutive in Palästina zu ihren Fortschritten. „Der Sieg der zionistischen Idee“, schrieb Zaki 1922, „ist der Wendepunkt für die Erfüllung eines Ideals, das mir so wesentlich ist: die Wiederauferstehung des Orients“. Zwei Jahre später reiste der Vorsitzende der Zionistischen Exekutive, Frederick H. Kisch, nach Kairo, um mit drei hochrangigen ägyptischen Repräsentanten Gespräche über die künftigen Beziehungen zu fuhren. Diese seien „gleichermaßen emphatisch in ihren pro-zionistischen Stellungnahmen“ gewesen, notierte Kisch in seinem Tagebuch. Jeder der drei habe „erkannt, daß der Fortschritt des Zionismus dazu beitragen könnte, die Entwicklung einer neuen östlichen Zivilisation sicherzustellen.“ 1925 ging der ägyptische Innenminister Ismail Sidqi gegen eine Gruppe von Palästinensern vor, die in Kairo gegen die Balfour-Deklaration protestierten: Er war zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg nach Jerusalem, um an der Eröffnung der ersten hebräischen Universität teilzunehmen.3 Zwanzig Jahre später war von dieser wohlwollenden Hal-
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tung kaum etwas geblieben. 1945 wurden in Kairo die größten antijüdischen Pogrome in der Geschichte Ägyptens verübt: Am 2. November 1945 brachen aus Anlaß des Jahrestages der Balfour-Erklärung Demonstranten „in das jüdische Viertel ein, plünderten dort Häuser und Geschäfte, griffen Nicht-Muslime an, verwüsteten die nahegelegene aschkenasische Synagoge und steckten sie schließlich in Brand“. Zurück blieben 400 Verletzte und ein toter Polizist, während in Alexandria bei noch gewaltsameren Ausschreitungen, „die ein Angehöriger der britischen Botschaft als klar antijüdisch und zu seiner Erleichterung - nicht gegen die Briten gerichtet bewertete“, mindestens fünf Menschen getötet wurden. Einige Wochen später gingen die Zeitungen islamischer Organisationen „zum Frontalangriff auf die ägyptischen Juden als Zionisten, Kommunisten, Kapitalisten, Blutsauger, Waffenund Mädchenhändler oder ganz generell als ‚ersetzendes Element’ aller Staaten und Gesellschaften über“ und riefen zum Boykott jüdischer Waren auf.4 In den folgenden Abschnitten geht es um die Gründe des zwischen 1925 und 1945 erfolgten Umschlags von einer eher neutralen und projüdischen zu einer rabiat antizionistischen und antisemitischen Stimmung in Ägypten; ein Wandel, der die gesamte arabische Welt verändert hat und bis heute prägt. Treibende Kraft dieser Veränderung war die 1928 gegründete „Gesellschaft der Muslimbrüder“ (Gamiyyat al-ikhwan alMuslimin). Die Bedeutung dieser Organisation reicht weit über Ägypten hinaus: Die Muslimbrüder sind für den gegenwärtig weltweit agierenden Islamismus das, was die Bolschewiki für die kommunistische Bewegung des 20. Jahrhunderts waren: der ideologische Bezugspunkt und der organisatorische Kern, der alle nachfolgenden Tendenzen maßgeblich inspirierte und bis heute inspiriert.
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Islamistische Avantgarde In den 20er Jahren war die ägyptische Situation von vielfältigen gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt: Mit Hilfe Großbritanniens hatten die arabischen Eliten im Ersten Weltkrieg die osmanische Despotie niedergerungen und 1924 das letzte Kalifat von Istanbul beseitigt. Europäische Ideologien wie Liberalismus und Nationalismus fanden in den führenden Schichten Ägyptens positiven Widerhall, die Literatur begann sich an okzidentalen Vorbildern zu orientieren, die Wissenschaften öffneten sich den westlichen Einflüssen und die ägyptischen Frauen legten ihren Schleier ab.5 Die Unabhängigkeit, die Großbritannien seiner ehemaligen Kolonie 1922 gewährt hatte, war jedoch unvollständig geblieben und die bilateralen Beziehungen zum Zerreißen gespannt. Nationale Widerstände gegen den britischen Imperialismus wurden durch die Eskalation der sozialen Widersprüche weiter angeheizt. So hatte der Erste Weltkrieg einen Industrialisierungs- und Beschäftigungsschub ausgelöst, der mit Kriegsende in sich zusammenbrach: Arbeitskämpfe in Kairo, Alexandria und der Kanalzone waren die Folge. Die Weltwirtschaftskrise verschärfte die ohnehin schon gespannte Situation: Der Weltpreis für Baumwolle, Ägyptens wichtigsten Exportartikel, sank zwischen 1928 und 1931 von 26 auf 10 Dollar pro Handelseinheit. In dieser kulturell, politisch und sozial vielfach aufgewühlten Situation gründete der charismatische Prediger Hassan alBanna im März 1928 mit sechs Arbeitern der Suez Canal Company die Muslimbruderschaft. Diese war einerseits eine religiöse Bewegung: Seinen Lehrern Muhammad Abduh und Rashid Rida folgend, forderte Hassan al-Banna die Rückkehr zum Urislam als der einzig wahren und aus diesem Grund zur Vorherrschaft bestimmten Religion. Der zeitgenössische Islam habe diese gesellschaftliche Dominanz verloren, weil die meisten Muslime von westlichen Einflüssen korrumpiert und zur Aufgabe ihrer Religiosität verleitet worden seien. Mit dem
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überlieferten Gesetze, die für alle Zeiten und für alle Lebensbereiche - von den Alltagsproblemen bis hin zur Organisation des Staates und der Welt - gültig seien. Nur die Rückkehr zum orthodoxen Islam könne somit den Unerträglichkeiten und Demütigungen für Muslime ein Ende bereiten und die gerechte muslimische Ordnung neu etablieren.6 Die Muslimbrüder waren andererseits eine politische Revolutionsbewegung und als solche in mehrfacher Hinsicht eine Avantgarde: Zunächst war die Bruderschaft die erste städtisch verankerte und Massen organisierende Bewegung des Islam. Im Gegensatz zu anderen salifistischen Reformern {as-salaf as-salih = die frommen Altvorderen) war al-Banna nicht elitär, sondern populistisch und aktivistisch orientiert: Die Bruderschaft betrachtete sich als Interessenvertretung der Arbeiter gegen die „Tyrannei der fremdländischen und monopolistischen Unternehmen“. Man gründete ein Komitee für die Arbeitslosen, bekämpfte die Beschäftigung britischer Arbeiter und strebte innerhalb der ägyptischen Gesellschaft eine Interessengemeinschaft zwischen Arbeit und Kapital an. Wo in Ägypten Krankenhäuser, Apotheken, Ambulanzen oder Schulen fehlten: die Muslimbrüder sprangen ein. Bedürftigen gewährten sie Kredite, für Arbeitslose gründeten sie eigene Industriebetriebe, deren Strukturen als Gegenentwurf zu den Ausbeutungspraktiken sonstiger Betriebe die Vorzüge einer islamischen Ökonomie demonstrieren sollten. Nach einer Phase der Kaderbildung stieg die Mitgliedschaft der Muslimbrüder von 800 (1936) auf 200 000 (1938) steil an und erreichte 1948 mit 500 000 Mitgliedern, 2000 Untergruppen und weiteren 500 000 Sympathisanten ihren Höhepunkt.7 Zweitens war die Bruderschaft die erste islamische Bewegung, die planmäßig den Aufbau einer Art ‚Islamistischer Internationale’ in Angriff nahm. So rekrutierten die Muslimbrüder gezielt ausländische Studenten in Kairo, um so den Kaderstamm ihrer Zweigstellen in anderen Ländern wie zum Beispiel Libanon (1936), Syrien (1937) und Transjordanien
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(1946) aufzubauen. 1940 gründeten sie ein Weltkomitee für Palästina und Islam, daß sich aus den Untergruppen NahostKomitee (Arabische Welt und Afrika, Türkei und Iran), Fernost-Komitee (Afghanistan, Turkmenistan, China, Indien, Indonesien und Japan) sowie einem Europa-Komitee zusammensetzte. Das Hauptquartier der ikhwan (= Bruderschaft) in Kairo wurde zum Zentrum und Sammelort für Repräsentanten aus der gesamten islamischen Welt ausgebaut.8 Drittens waren die Muslimbrüder die erste Revolutionsbewegung des Islam. 40 000 Mitglieder waren 1948 allein im paramilitärischen Flügel der Bruderschaft organisiert, der für eine bewaffnete islamische Erhebung gegründet worden war.9 Aufweiche Ziele war das revolutionäre Programm der ikhwan orientiert? Politisch forderte die streng nach dem Führerprinzip ausgerichtete Organisation die Abschaffung aller Parteien und die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie zugunsten einer „organischen“ Staatsordnung auf Basis von Scharia und Kalifat. Keine politische Strömung wurde freilich erbitterter bekämpft, als die als „ausländisch“ denunzierte Kommunistische Partei. Als diese 1946 an Einfluß gewann, widmete die Bruderschaft in ihrer Tageszeitung dem „Kampf gegen Kommunismus“ eine tägliche Kolumne, infiltrierte die KP mit ihrem organisationseigenen Geheimdienst und lieferte deren Kader den staatlichen Repressionsorganen aus.10 Ihr ökonomisches Programm propagierte die Abschaffung von Zins und Profit zugunsten einer egalitären Arbeitsdiktatur sowie die Interessengemeinschaft zwischen Arbeit und Kapital. Während man mit dem Finanz- und Zinskapital die als mysteriös und abstrakt wahrgenommene Seite des Kapitalismus zur Ursache allen Übels erklärte, wurden die konkret erscheinenden Momente - Maschine, Fabrik und Arbeitsdisziplin - glorifiziert und die Aneignung von „westlicher“ Wissenschaft und fortgeschrittenster Technologie als Voraussetzung für militärische Überlegenheit und islamische Weltherrschaft propagiert. So sah der Forderungskatalog der
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Muslimbrüder von 1952 folgende Maßnahmen vor: 1. Verbot der Zinswirtschaft und Abschaffung der Börse, 2. Nationalisierung der Naturschätze, 3. schnellstmögliche Industrialisierung mit Schwerpunktsetzung auf die Kriegsindustrie sowie autark belieferbare Industriezweige, 4. Nationalisierung der Banken, 5. Landreform durch Enteignung der Großgrundbesitzer, sowie 6. soziale Absicherung der Arbeiter und der Arbeitslosen.11 An erster Stelle aber stand der kulturelle Kampf der Muslimbrüder gegen alle sinnlichen und „materialistischen“ Versuchungen der kapitalistischen und kommunistischen Welt. Schon als 13jähriger gründete der pubertierende Hassan al-Banna eine „Gesellschaft zur Verhinderung des Verbotenen“12; und eben das waren und sind die Muslimbrüder in ihrem Kern: Eine Gemeinschaft eifernder Männer, die in erster Linie das nach ihrer Koranauslegung sexuell und sinnlich Verbotene verhindern will. Ihre Handschrift offenbarte sich am eindeutigsten immer dann, wenn sie die stets mit jüdischem Einfluß in Verbindung gebrachten Nachtclubs, Bordelle und Filmtheater ihrer Städte in Schutt und Asche legten, was in periodischen Abständen geschah. Auch wenn es an dieser Stelle nicht möglich ist zu erhellen, wie „Lust an der Unlust“ entsteht und sich „Libido ausgerechnet an ihre Unterdrückung heften kann“,13 ist doch zumindest zu konstatieren, daß die Muslimbrüder ihre eigenen libidinösen Wünsche und Träume auf die Welt der Ungläubigen projizierten. Projektion ist eine Abwehr, in der das Subjekt dem anderen Gefühle und Wünsche, die es ablehnt oder in sich verleugnet, unterstellt.14 Folgerichtig mußte sich die Aggression, mit der die Muslimbrüder die eigenen sinnlichen Bedürfnisse verleugneten, als Haß gegen „westliche Dekadenz“ und Jüdische Sittenlosigkeit“ austoben, bestand doch die einzig erlaubte Annäherung an das verbotene Begehren und das begehrte Verbotene darin, es zu zerstören. Mit dieser Phobie war die Gesellschaft der Muslimbrüder vom Tag ihrer Gründung an zugleich ein Zufluchtsort für alle
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auf die Restaurierung ihrer Vormacht erpichten Männer: Die Muslimbrüder waren zu fast 100 Prozent ein Männerbund. Zwar hatte al-Banna auch eine Gesellschaft der an ihren weißen Kopftüchern erkennbaren „Muslimschwestern“ ins Leben gerufen. Diese hatte organisationsintern jedoch einen schweren Stand und wurde in den 30er und 40er Jahren vom Gros der westlich erzogenen Ägypterinnen abgelehnt; ihre Mitgliederzahl betrug nie mehr als 5000.15 Schon zu Beginn der 20er Jahre hatten ägyptische Frauen eine eigenständige und einflußreiche Sektion innerhalb der Einheitspartei der nationalen Unabhängigkeitsbewegung (Wafd-Partei) ins Leben gerufen. 1923 warf die Vorsitzende der ägyptischen Frauenrechtsunion, Huda Scharawi, ihren Schleier demonstrativ ins Meer.16 Im selben Jahr gründete Mustafa Kemal, der den Ehrennamen Atatürk (Vater der Türken) erhielt und für die Gleichstellung der Frau eintrat, die Türkei. „Nichts in unserer Religion verlangt, daß Frauen den Männern unterlegen sein müßten“, erklärte der moderne Moslem Atatürk. Er schaffte die Polygamie ab, verordnete die rechtliche Gleichstellung, bekämpfte den Schleier und sorgte dafür, daß seine Adoptivtochter als Pilotin und eine hohe muslimische Aristokratin gar als Schauspielerin reüssierten.17 Während die Befreiung der Frau vom islamischen Inferioritätspostulat allmählich ihren Anfang nahm, formierte sich die Bewegung der Muslimbrüder als Sammelbewegung zur Wiederherstellung der patriarchalen Dominanz: Stand nicht im Koran geschrieben, daß „Männer die Herrschenden sind über die Frauen“ (Sure 4, Vers 35) und „eine Stufe über den Frauen stehen“ (Sure 2, Vers 229)? Frauen durften nach der Koranauslegung der ikhwan ihre Wohnung nur in undurchsichtiger Ganzkörperbekleidung verlassen. Spätes Heiraten und Verhütungsmittel galten als verpönt. Scheidungen wurden strikt abgelehnt, die Polygamie für Männer gestattet, in der Praxis aber auf Fälle weiblicher Unfruchtbarkeit, Krankheit oder „Verrücktheit“ beschränkt. Öffentliche Begegnungen von Männern und Frauen galten in
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der Regel als unerlaubt. Während nach dem Kodex der Bruderschaft der Mann von Natur aus für Führungsaufgaben infrage kam, wurden der Frau als „natürliche“ Bestimmung Haus, Familie und insbesondere die Erziehung des männlichen Nachwuchses überlassen. Weibliche Erwerbstätigkeit wurde nur für den Notfall erlaubt und auf die Bereiche Erziehung und Gesundheit konzentriert. Der Schulunterricht sollte Mädchen primär auf ihre „natürliche“ Bestimmung als Mutter und Ehefrau verpflichten. Ablehnung weiblicher Sexualität und die Idealisierung der Mutterrolle gingen Hand in Hand. Zu den ersten der von al-Banna aufgebauten Projekte gehörte ein „Institut für die Mütter der Gläubigen“, das später zum Hauptquartier der Organisation der „Muslimschwestern“ ausgebaut wurde. Die vierte und bedeutendste Neuerung der Bruderschaft war ihre Auslegung des Koran, die sich von den anderen zeitgenössischen Lehrmeinungen signifikant unterschied: Im Mittelpunkt dieser Auslegung stand das Konzept des Djihad als heiliger Krieg und damit verbunden das mit Sehnsucht verfolgte Ziel, im Krieg gegen die Ungläubigen als Märtyrer zu sterben. Die damaligen Strömungen des Islam hatten vor Gründung der Muslimbrüder unter Djihad (= Anstrengung) die individuelle Bemühung um den Glauben oder die missionarische Anstrengung verstanden, den Islam zu verbreiten. Nur wenn diese Missionsarbeit behindert wurde, durfte sie gegen die Widerstände der Ungläubigen auch gewaltsam verteidigt werden. Der Ausgangspunkt des Islamismus ist die Neuinterpretation des Djihad, den Hassan al-Banna als erster Prediger der Neuzeit entschieden militant auslegte.18 Die Deutung des Djihad als „Heiliger Krieg“ habe „vor der Gründung der Muslimbruderschaft in der islamischen Erziehung praktisch keine Rolle gespielt“, betont auch El-Awaisi in seiner Studie: „Politische Parteien steckten in politischen Auseinandersetzungen, während die Imame und Prediger der Moscheen den Djihad als für ihren religiösen Auftrag irrelevant betrachteten.“19
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Von der Kunst des Todes Schon im Emblem der Muslimbrüder ist das Djihad-Motiv zentral: Umgeben von zwei Schwertern sieht man auf dem Abzeichen die ersten zwei Worte eines den Djihad anpreisenden Koranverses. Dazu paßt das bei jeder Gelegenheit skandierte Gründungsmanifest der Brüder: „Gott ist unser Streben, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung, der Djihad unser Weg und für Gott zu sterben unser höchstes Ziel.“20 In einem berühmt gewordenen Leitartikel machte Hassan al-Banna unter der Überschrift „Die Todesindustrie“ 1938 auch die Öffentlichkeit mit seiner Djihad-Vorstellung vertraut - einer Vorstellung, bei der das Wort „Todesindustrie“ nicht den Horror, sondern das Ideal beschreibt. Al-Banna: „Derjenigen Nation, welche die Industrie des Todes perfektioniert und die weiß, wie man edel stirbt, gibt Gott ein stolzes Leben auf dieser Welt und ewige Gunst in dem Leben, das noch kommt.“21 Der Koran, so al-Banna, habe es den Gläubigen aufgegeben, den Tod mehr zu lieben als das Leben. Unglücklicherweise seien die Muslime jedoch von einer „Liebe zum Leben“ erfaßt: „Die Illusion, die uns gedemütigt hatte, besteht in nichts anderem, als der Liebe zum weltzugewandten Leben und dem Haß auf den Tod.“ Solange die Moslems ihre Liebe zum Leben nicht durch die im Koran geforderte Liebe zum Tod ersetzten, sei ihre Zukunft hoffnungslos. Siegen könne nur, wer es in „der Kunst des Todes“ zur Meisterschaft bringt. „Bereite dich also darauf vor, eine große Tat zu vollbringen“, heißt es in dem oben zitierten Artikel weiter. „Wenn du erpicht bist zu sterben, wird es dir gewährt sein zu leben, wenn du dich auf einen edlen Tod vorbereitest, wirst du vollständiges Glück erlangen.“22 1946 wurde dieser Aufsatz al-Bannas unter dem Titel Die Kunst des Todes neu publiziert. Diese Losungen stießen zumindest bei den „Truppen Gottes“, wie sich die Muslimbrüder gerne nannten, auf begeisterte
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Resonanz. Wann immer ihre Bataillone in strammer Formation durch die Straßen Kairos marschierten, erklang ihr Lied: „Wir haben keine Angst vor dem Tod, sondern wir ersehnen ihn... Wie wundervoll der Tod ist... Laßt uns für die Erlösung der Muslime sterben...Wir sind zufrieden, als Märtyrer zu sterben“, gefolgt von dem Sprechchor: „Djihad ist unser Aktionsziel..., und Tod für die Sache Gottes unser heißgeliebtester Wunsch.“23 Mit einer subjektiv verzweifelten Lebenssituation konnte dieser „heißgeliebteste Wunsch“ schon damals nicht erklärt werden, so sehr sich auch das an der Aufklärung orientierende Subjekt nach dieser rational scheinenden Begründung sehnt. Einen Djihad zugunsten „materieller oder egoistischer Ziele“ lehnten die Brüder als Verstoß gegen den Koran strikt ab.24 Nie also diente der Djihadismus der Muslimbrüder einer Verbesserung der Situation der zum Märtyrertod bereiten Subjekte, stets jedoch der Bekämpfung des zum absoluten Bösen gestempelten Feindes. Wer aber war dieser absolute Feind? Es waren nicht - und dies ist durchaus überraschend! - die Briten, die sich in Ägypten einmischten, sondern die Juden, die nach Palästina einwanderten. Die Juden aber hatten gerade in Ägypten einen ausgesprochen guten Ruf. Antideutscher Boykott Die ägyptische Revolution von 1919 hatte alle religiösen Gruppen des Landes unter der Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ vereinigt. Auch die säkulare Verfassung von 1923 erwähnte übernationale religiöse Bindungen mit keinem Wort. Mit ihrer Verabschiedung wurde Ägypten eine konstitutionelle Monarchie.25 Die innenpolitischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahrzehnte wurden von zwei Machtzentren dominiert: Erstens von der Wafd-Partei - der Einheitspartei der ägyptischen Unabhängigkeitsbewegung -, die zwischen 1922 und 1952 jede Wahl gewann. Sie orientierte sich an den bürgerlichen Demokratien des Westens und strebte
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gegenüber Großbritannien eine Art Juniorpartnerschaft an. Die Konstitutionelle Liberale Partei, die stärker die Interessen der Agrarbourgeoisie vertrat, war ihr wichtigster parlamentarischer Konkurrent.26 Das zweite Machtzentrum war der Königspalast, der von den eher deutschfreundlichen Königen Fuad (1917-1936) und Faruk (1937-1952) regiert wurde. Die Juden in Ägypten waren bis zum Amtsantritt von König Faruk eine geachtete und geschützte Gruppe des öffentlichen Lebens: Sie besaßen Mandate im Parlament, waren am Königspalast angestellt und besetzten bedeutende Posten in Wirtschaft und Politik. So war der 1924 zum Finanzminister ernannte Joseph Qatawwi ebenso Jude wie Leon Castro, der 1917 die ägyptische Abteilung der Internationalen Zionistischen Organisation etablierte und in den 20er Jahren nicht nur als Privatsekretär von Ministerpräsident Zaghul, sondern auch als Sprecher der Wafd-Partei fungierte. Auch die Konstitutionelle Liberale Partei, die Medien und die ägyptische Bevölkerung waren den Juden günstig gestimmt: „Es verdient hervorgehoben zu werden“, bekundete ein Wiener Journalist, „daß der jüdische Kaufmann und Kommissionär sich bei der einheimischen Bevölkerung großer Beliebtheit erfreut und zumeist als sehr reell gilt.“27 Dies gehört in der Tat hervorgehoben! Während der christliche Antijudaismus mit seinen Shylock- und Schacherphantasien die antisemitische Normalität in Wien und im restlichen Europa präfigurierte, war man in Ägypten von dieser ideologischen Prägung relativ frei. Entsprechend unbefangen wurde auch die zionistische Bewegung akzeptiert. Die leidenschaftslose Haltung gegenüber Palästina war von zwei Erwägungen diktiert: Ungeachtet der Tatsache, daß zwischen Ägypten und Palästina nur die SinaiHalbinsel liegt und die Entfernung zwischen Kairo und Jerusalem lediglich 400 km beträgt, galt doch im ersten Drittel des Jahrhunderts die Idee, daß das Schicksal Ägyptens mit irgendeinem Rest der arabischen Welt in einem Zusammenhang stehen könnte, als absurd. Hoffnungsfroh notierte 1931 Percy Loraine, der britische Hochkommissar, daß sich das Land von
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der arabischen Welt zu sehr isoliert habe, um in panarabische oder panislamische Bewegungen hineingezogen werden zu können.28 Des weiteren suchte die ägyptische Regierung alles zu vermeiden, was ein gütliches Miteinander zwischen den drei wichtigsten Religionsgruppen - Moslems, Juden und christlichen Kopten - hätte beeinträchtigen können. Also bereitete 1926 die ägyptische Regierung einer Delegation der Jüdischen Lehrervereinigung aus dem britischen Mandatsgebiet einen herzlichen Empfang. Später reisten Studenten der Ägyptischen Universität zu einem offiziellen Besuch nach Tel Aviv, um dort an sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen. Als 1929 die Unruhen in Palästina eskalierten, verpflichtete das ägyptische Innenministerium sein Pressebüro, alle antizionistischen und antijüdischen Artikel zu zensieren. Im Dezember 1930 schickte die ägyptische Regierung Dutzende Palästinenser, die nach der Zerschlagung ihrer „Revolte“ nach Ägypten geflohen waren, in das Mandatsgebiet zurück. 1933 erlaubte sie, daß 1000 neue jüdische Einwanderer in Port Said zur Weiterfahrt nach Palästina landen konnten.29 Die Machtübernahme des Nationalsozialismus provozierte in Ägypten massenhafte Proteste, der von der 70- bis 80 000 köpfigen jüdischen Gemeinde angeführt, jedoch auch von anderen Teilen der Bevölkerung getragen wurden. So fanden im März und April 1933 in zahlreichen ägyptischen Städten Großkundgebungen gegen die Nazis statt. Deutsche Produkte sowie Geschäfte, die deutsche Produkte anboten, wurden systematisch boykottiert und die Vorführung deutscher Filme in den Kairoer Kinos ebenso militant wie erfolgreich verhindert. Noch im selben Jahr gründeten jüdische Geschäftsleute, Anwälte und Organisationen wie die Bnai Brith-Loge eine „Liga gegen den deutschen Antisemitismus“, die 1500 Mitglieder zählte und die antideutschen Protestaktionen koordinierte.30 Das Deutsche Reich und seine Ableger in Ägypten waren über diese Stimmung alles andere als erbaut. Seit 1926 hatte Alfred Heß, der Bruder des späteren Hitlerstellvertreters Rudolf Heß, dessen Familie seit 1865 in Alexandria lebte, die
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einige hundert Mitglieder zählende Landesgruppe Ägypten der NSDAP/AO (= NSDAP-Auslandsorganisation) aufgebaut. Als die Nazi-Vertretung in Kairo als Reaktion auf den Boykott deutscher Waren die in deutsch und französisch verfaßte Broschüre Judenfrage in Deutschland verbreiten ließ, handelte sie sich prompt die Klage eines italienisch-jüdischen Geschäftsmanns wegen Verbreitung von Rassenhaß und Störung der öffentlichen Ordnung ein. Selbst die Einrichtung eines arabischsprachigen Pressedienstes verfehlte anfangs noch ihr Ziel.31 „Für das Verständnis der Rassentheorie ist der Bildungsgrad der breiten Masse nicht fortschrittlich genug“, rechtfertigte sich ein Sprecher der Kairoer NSDAP. „Das Verständnis für die Gefahren des Judentums ist hier noch nicht geweckt.“32 Also begann man, sich auf die Beeinflussung der ägyptischen Regierung zu konzentrieren. Das entscheidende Druckmittel war die Baumwolle, der wichtigste Exportartikel Ägyptens. Über den Reichsverband der deutschen Textilindustrie lancierten die Nazis die Drohung, die ägyptische Baumwollproduktion künftig zu boykottieren. Schon allein diese Drohung zeitigte Erfolg. Die ägyptische Regierung begann, die antideutsche Boykottbewegung zu kritisieren und versprach, schärfere Maßnahmen gegen die ägyptischen Juden einzuleiten.33 Auch in der ägyptischen Presse wurden angesichts der deutschen Drohung die Juden als Zerstörer der ägyptischen Ökonomie zunehmend an den Pranger gestellt. Als nächstes räumte die NSDAP dem Kairoer Strafverfahren, das gegen die antijüdische Hetzschrift Judenfrage in Deutschland angestrengt worden war, eine prinzipielle Bedeutung ein. So wurde in Berlin für den, wie es hieß, „Judenprozeß von Kairo“, eigens eine gemeinsame Sitzung von Propagandaministerium und Auswärtigem Amt anberaumt. In Geheimgesprächen mit der deutschen Botschaft versprach die ägyptische Regierung, die deutsche Verteidigung gegen die jüdische Anklage zu unterstützen. Als der jüdische Strafantrag wegen Verbreitung von Rassenhaß 1934 in erster und 1935
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in zweiter Instanz zurückgewiesen wurde, verzeichneten dies die deutschen Medien als großartigen Erfolg. Die antideutsche Boykottbewegung versandete. Noch im selben Jahr eröffnete das Deutsche Reich in Kairo eine Zweigstelle des deutschen Nachrichtenbüros. Drei Jahre später war Deutschland zum zweitgrößten Importeur für Waren aus Ägypten aufgestiegen. Der ökonomische Aufschwung in Nazideutschland und die disziplinierten Massenaufmärsche, die der Nationalsozialismus organisierte, beschäftigten und beeindruckten zunehmend die ägyptische Öffentlichkeit. Paramilitärische Aufmärsche der 1933 gegründete profaschistischen Bewegung Junges Ägypten, der Young Men’s Muslim Association (YMMA) wie auch der Muslimbrüder begannen immer häufiger das Straßenbild zu prägen und kündigten die Etablierung eines - nach Palast und Parlament - dritten Einflußzentrums in der ägyptischen Politik an. Die wachsende Sympathie der ägyptischen Öffentlichkeit für das Deutsche Reich - dem wichtigsten Gegenspieler Großbritanniens - war zunächst hauptsächlich antibritisch und nur zu geringerem Anteil antijüdisch motiviert. Doch auch in dieser Hinsicht fand schon bald eine Veränderung statt.
Antijüdischer Djihad Im Oktober 1933 - die jüdisch geführte Boykottbewegung gegen Deutschland war noch ungebrochen - diskutierte die Kairoer Ortsgruppe der NSDAP über das bisherige Scheitern ihrer antijüdischen Agitation. Wie könnte man „das Verständnis der breiten Masse“ speziell für die „Gefahren des Judentums“ wecken? In ihrer Stellungnahme für das Berliner Auswärtige Amt zog sie den Schluß, daß der Stellenwert publizistischer Kampagnen „für die Herbeiführung einer antijüdischen Stimmung unter der arabischen Bevölkerung verhältnismäßig gering ist“, vielmehr müsse man an „dem Punkt ansetzen, an dem wirkliche Interessengegensätze zwischen
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Arabern und Juden bestehen: Palästina. Der dortige Gegensatz zwischen Arabern und Juden muß nach Ägypten verpflanzt werden.“34 In der Tat war in Palästina die Situation stärker polarisiert. Hier existierte zwischen Arabern und Zionisten der reale Konflikt über Einwanderung und Landerwerb. Besonders aber gab es eine Möglichkeit, diesen Gegensatz in spezifischer Weise zu eskalieren, die den Nazis gefiel, wurde doch die arabische Bewegung von Amin el-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, geführt, dessen bedingungslose Judenfeindschaft sich auch von deutschen Nazis kaum überbieten ließ. Es sollte jedoch noch bis 1936 dauern, ehe die Auseinandersetzung in Palästina jenen Funken schlug, der die „Interessengegensätze zwischen Arabern und Juden“, so die Nazidiktion, auch in Ägypten entfachte. Den Anlaß lieferte der Nationalsozialismus selbst: Die vom Deutschen Reich provozierte Fluchtbewegung trieb die jüdischen Einwandererzahlen dermaßen in die Höhe, daß die arabische Reaktion nicht lange auf sich warten ließ. Im April 1936 rief schließlich der Mufti einen arabischen Generalstreik gegen die jüdische Einwanderung und die britische Mandatspolitik in Palästina aus. Wir kommen später auf diese Unruhen, die als „Arabischer Aufstand 1936-1939“ Geschichte machten, zurück. Für die Muslimbrüder war dieser Streik der Startschuß ihrer ersten fanatischen Solidaritätskampagne, in der sie den Gedanken des Djihad mit den Auseinandersetzungen in Palästina verbanden. Nun erst wurde die Bruderschaft zu einer Massenorganisation: Zwischen 1936 und 1938 stieg ihrer Mitgliederzahl von 800 auf 200 000 an.35 Schon im Mai 1936 riefen die Muslimbrüder zum Boykott der Geschäfte ägyptischer Juden auf.36 Das von al-Banna gegründete „Studentenkomitee zur Unterstützung von Palästina“ entwickelte sich zur Hochburg der Brüder und zum Zentrum ihrer neuen Mission. Von hier aus wurden propalästinensische Spendensammlungen und antijüdische Boykottkampagnen, Flugblattaktionen und Demonstrationen in
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Gang gesetzt.37 In Moscheen, Schulen und Betrieben alarmierte die Bruderschaft die Gläubigen mit der Legende, daß Juden und Briten die heiligen Stätten des Islam in Jerusalem zerstören und den Koran in Stücke reißen und zertrampeln wollten. Doch gerade im religiösen Establishment Ägyptens stießen sie mit dieser eigenwilligen Interpretation zunächst auf heftigen Widerspruch: So sahen sich die Muslimbrüder 1936 bei ihren Bemühungen, die Freitagspredigten der Moscheen zu politisieren, „mit einem großen Widerstand der Imame konfrontiert, die die Muslimbrüder mit physischer Gewalt aufzuhalten oder der Polizei zu übergeben suchten.“ Auch in der bedeutendsten Lehrstätte des sunnitischen Islam, der Moschee-Universität al-Azhar, waren die Muslimbrüder keineswegs gern gesehen. So hatte Mustafa al-Maragi, der Rektor der Azhar, seinen palästinensischen Studenten jedwede antijüdische Propaganda untersagt.38 Der Teilungsplan für Palästina, den die britische Peel-Kommission im Juli 1937 veröffentlichte, heizte die Protestbewegung in Ägypten weiter an. Diese Kommission schloß nicht zuletzt unter dem Eindruck der 1936 in Palästina begonnenen Unruhen das gütliche Miteinander von Arabern und Juden in einem gemeinsamen Staat aus. Der jüdische Staat sollte ihrem Teilungsplan zufolge nur aus der Küstenebene und Galiläa bestehen und weniger als ein Viertel des Territoriums beanspruchen, während der arabische Staat das restliche Gebiet umfassen sollte und dann mit Transjordanien hätte vereint werden können. Ein britischer, von Tel Aviv nach Jerusalem reichender Korridor sollte den jüdischen vom arabischen Teilstaat trennen und mögliche Übergriffe durch militärische Präsenz verhindern. Als dieser Plan bekannt wurde, war „Palästina“ als Topos der öffentlichen Debatte in Ägypten bereits etabliert. Nunmehr löste das Projekt eines jüdischen Ministaats parteiübergreifende Proteste und auch Vorbehalte von Seiten der ägyptischen Regierung aus. Der Charakter dieser Bedenken hatte mit den antijüdischen Kampagnen des Mufti und der Muslimbruderschaft jedoch wenig zu tun.
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So schlug die von der Wafd-Partei geführte Regierung einen einheitlichen palästinensischen Staat auf Basis gegenseitiger Toleranz und geregelter Einwanderung für alle vor. Später wurde diese Position von Ali Mahir, dem wichtigsten Berater König Faruks, präzisiert: Unter Bezugnahme auf die von ihm persönlich erlebte und lang bewährte arabisch-jüdische Harmonie in Ägypten lehnte Mahir einen eigenständigen jüdischen Staat zwar ab; jedoch „schätze und respektiere (er) das zionistische Ideal“ und erkenne „die Beharrlichkeit und Begabung der Juden“, die in Palästina seien, vollständig an. Die Araber seien bereit, ihnen alle Garantien und gute Zusammenarbeit anzubieten. Voraussetzung sei jedoch, daß das zionistische Ideal durch Begrenzung oder Beendigung der jüdischen Einwanderung revidiert werde.39 Die Kampagne der Muslimbrüder schlug demgegenüber einen anderen Ton an. „Auf gewalttätigen Studentendemonstrationen in Kairo, Alexandria und Tanta im April und Mai 1938 werden Rufe laut wie ,Nieder mit den Juden’, ‚Juden raus aus Ägypten und Palästina’... Flugblätter rufen erneut zum Boykott jüdischer Waren und Geschäfte auf.“40 Zugleich ergeht der Aufruf an junge Ägypter, nur noch islamische Produkte zu tragen und zu verzehren und „sich in allen Teilen Ägyptens für den Djihad zur Verteidigung der Aqsa-Moschee zur Verfügung zu stellen.“41 Um den atavistisch anmutenden Djihad anzustacheln, werden modernste Propagandamittel genutzt: So wird unter dem Titel „Feuer und Zerstörung in Palästina“ eine 80seitige Broschüre mit fünfzig Fotos über angebliche Gewalt- und Folterakte erstellt und in mehreren zehntausend Exemplaren von den Muslimbrüdern unter die Leute gebracht. Zeitgleich wird in der Zeitschrift der Bruderschaft, al-Nadhir, eine regelmäßige Kolumne mit der Kopfzeile: „Die Gefährlichkeit der Juden von Ägypten“ etabliert. Darin werden die Namen und Adressen von jüdischen Geschäftsinhabern und Besitzern angeblich jüdischer Zeitungen aus aller Welt veröffentlicht und alles Böse - vorn Kommunismus bis zum Bordell - auf die Jüdische Gefahr“ zurückgeführt.42
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Al-Nadhir ruft Kinder dazu auf, „für Palästina“ ihre Geschenke zu opfern, während deren Mütter sich gleich selbst opfern sollen: „Ich werde mein Leben als ein Opfer auf dem Altar der Verteidigung der Heiligen Stätten anbieten, um die Ehren des Djihad zu erlangen“, rühmt sich eine Fanatikerin in dem Blatt. Im Juni 1939 werden in einer Kairoer Synagoge und in jüdischen Privathäusern die ersten Bomben gelegt.43 Diese antijüdischen Exzesse wurden mittlerweile zwar auch von anderen islamischen Organisationen wie der YMMA (Young Men’s Muslim Association) unterstützt, „das Engagement der Muslimbrüder war in diesem Punkt aber intensiver und drang tiefer in das Gesamtgewebe der ägyptischen Gesellschaft ein, als die Aktivitäten der YMMA“, konstatieren Gershoni und Jankowski.44 Warum aber hatten die Muslimbrüder gerade Palästina zum Kristallisationspunkt aller ihrer Aktivitäten bestimmt? Seit 1936 war für al-Banna der Kampf für ein „judenfreies“ Palästina das wichtigste Instrument, um das Prinzip des Djihad „auf eine Weise zu reetablieren, die für die Epoche der Moderne beispiellos ist“.45 Der Djihad als religiöse Pflicht bedurfte der religiösen Begründung, um wirksam zu sein. Im Falle Palästinas war diese Bedingung gegeben. So war die Aqsa-Moschee in Jerusalem der nach Mekka und Medina drittwichtigste Ort, zu dem Muslime nach Auffassung des orthodoxen Islam pilgern sollten. Darüberhinaus soll der Sunna zufolge Muhammad einst ausgerechnet von Jerusalem aus eine mystische Nacht- und Himmelsreise gestartet haben. Nur der Kampf um Palästina konnte somit zu einer Auseinandersetzung um Leben oder Tod aufgebauscht werden, wo - so die Zeitung der Bruderschaft - „uns einer von zwei Vorteilen sicher ist: Sieg oder Märtyrertod“. Nur Palästina bot den Ansatzpunkt, die umma, das heißt die Gemeinschaft aller Muslime der Welt, hinter ein und demselben Ziel zu vereinen. Und war nicht bereits in den Überlieferungen Muhammads eine Entscheidungsschlacht für die umma „in Jerusalem und Umgebung“ vorhergesagt?46
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Die erste islamistisch motivierte Massenmobilisierung war durchaus ein Erfolg. Wenn auch der größere Teil der ägyptischen Presse die Teilnahme an einer antijüdisch geprägten Kampagne 1938 noch verweigerte, war doch am Ende des Jahrzehnts das Interesse der Öffentlichkeit an Palästina enorm geweckt und die Bereitschaft der ägyptischen Regierung, sich antizionistisch zu artikulieren, erheblich gestiegen.47 Dies zeigte sich im Oktober 1938 anläßlich einer in Kairo stattfindenden „Islamischen Parlamentarierkonferenz zugunsten von Palästina“. Es war die Bruderschaft, die in stiller Absprache mit dem saudischen Prinzen Feisal und dem Imam von Jemen diese Konferenz initiiert und deren reibungslosen Ablauf gewährleistet hatte: Al-Bannas Kameraden stellten den Ordnerdienst, sie empfingen die Delegationen, sie sorgten für die Trennung von Männern und Frauen - und sie ließen antisemitische Traktate verteilen, darunter die arabischen Versionen von Mein Kampf und den Protokollen der Weisen von Zion.48 Entscheidend aber war, daß auch die ägyptische Regierung sich zur Teilnahme an dieser Konferenz entschloß. Die Muslimbrüder konnten sich als bis dahin größten Erfolg ihrer Kampagne zugute halten, daß der ägyptische Premier Muhammad Mahmud für die Konferenzteilnehmer nicht nur ein Bankett gab, sondern erstmals auch eine pro-palästinensische Rede hielt. Weiter unten kommen wir auf diese Konferenz und den Eindruck, den sie in London hinterließ, zurück. Zunächst ist einer anderen Fragestellung nachzugehen: In welcher Hinsicht hat die Naziherrschaft die Eskalation in Ägypten und die Zuspitzung in Palästina mit geprägt?
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Die Muslimbrüder, der Mufti und der Nationalsozialismus Der Nationalsozialismus ist in der gesamten arabischen Welt oft auf Sympathie und nicht selten auf Begeisterung gestoßen. „Wir waren vom Nazismus fasziniert, lasen seine Bücher und die Urväter seines Denkens, besonders Nietzsche, Fichte und Chamberlain“, berichtete Sami al-Jundi, ein Führer der syrischen Baath-Partei, über die Stimmung vieler Araber in den 30er Jahren. „Und wir waren die ersten, die sich mit dem Gedanken trugen, Mein Kampf zu übersetzen. Wer in Damaskus lebte, dem konnte die Affinität des arabischen Volkes zum Nazismus als der Macht, zu der es sich hingezogen fühlte, nicht verborgen bleiben.“49 Die Affinität beruhte nicht allein auf der Gewißheit, gegen denselben Feind - Frankreich und Großbritannien - zu kämpfen. Denn zugleich war auch der deutsche Begriff von ,Volk’, der sich nicht durch Grenzen und politische Souveränität, sondern durch Sprache, Kultur und Blut definierte, mit der islamischen umma weitaus näher verwandt, als etwa das Staatsbürgerschaftskonzept französischer oder britischer Prägung: In der arabischen wie der deutschen Tradition stehen Gemeinschaften, nicht Individuen im Mittelpunkt.50 Schon 1932 hatte Antun Saadeh in Damaskus die Syrische Volkspartei gegründet, die eine Überlegenheit der Syrer über andere Völker postulierte und sich auch in ihren Äußerlichkeiten - einer hakenkreuzartigen Fahne, dem Gruß mit erhobener Hand usw. - an die NSDAP anlehnte.51 Die Regierung des Irak gründete 1935 eine staatliche Jugendorganisation namens Futuwa, die auf Weisung des Ministerpräsidenten „die irakische Jugend nach deutschem Muster im militärischen Geist“ erziehen sollte und mit einer Abordnung am Aufmarsch der Hitlerjugend auf dem Nürnberger Parteitag 1938 teilnahm. Aus der Hauptstadt des Libanon berichtete am 30. Januar 1933 ein deutscher Diplomat über die „Begeisterung weiter Kreise für die nationalsozialistische Erweckung Deutschlands.“ Hier wurden 1936 die ebenfalls nach dem Führerprinzip struktu-
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rierten Phalanges Libanaises (in Anlehnung an die spanische Falange) gegründet.52 In Ägypten schließlich gründete Ahmad Husayn 1933 die etwa 2000 Mitglieder umfassende Vereinigung Junges Ägypten, die er mit Faschistengruß, Fackelzügen und Führerkult paramilitärisch drillen ließ. 1936 nahm eine Delegation jener „Grünhemden“ am Nürnberger Reichsparteitag teil. Husayns rabiater Antisemitismus machte die Juden für „kulturellen Schmutz“ und „versaute Kunst“ verantwortlich. „Sie sind das Geheimnis dieses religiösen und moralischen Verfalls“, erklärte er 1939, „so daß man inzwischen recht daran tut zu sagen: ,Suche hinter jeder Perversion den Juden.’“53 Weitaus weniger ist über das Verhältnis zwischen den Muslimbrüdern und dem Nationalsozialismus bekannt. Zwar lehnte die Bruderschaft sowohl die Rassenpolitik als auch den „Deutschland über alles“-Nationalismus der Nazis ab, da beides ihrem Konzept von umma als universaler islamischer Brüderlichkeit widersprach. Im übrigen war al-Banna auch zu religiös orientiert, um sich einen nicht-muslimischen Führer wie den deutschen zum Vorbild zu nehmen.54 Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Muslimbrüder den Nazis nicht nur im Hinblick auf die Verbreitung der 1938 veröffentlichen arabischen Übersetzung von Mein Kampf zur Seite standen. So kollaborierte al-Banna-mit den ägyptischen Agenten des Deutschen Reichs und konferierte Anfang 1941 mit der jungägyptischen Führung über den Plan, mit Hilfe eines antibritischen Aufstands in Ägypten die deutschen Angriffe auf England zu unterstützen.55 Der paramilitärische Flügel der Muslimbrüder bot den Nazis ihre Unterstützung an, und nicht wenige dieser Aktivisten wurden von deutschen Geheimdienststellen rekrutiert.56 Von einem offenen Schulterschluß zwischen Nazis und Muslimbrüdern konnte dennoch keine Rede sein. Gänzlich anders sah es diesbezüglich mit Amin el-Husseini, dem seit 1921 amtierenden Mufti von Jerusalem aus. Wenn es in den 30er Jahren auch arabische Nationalisten gab,
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die in Deutschland einen antibritischen Bundesgenossen sahen, ohne sich um den Charakter des Hitlerregimes groß zu kümmern, so wußte der Mufti vom Charakter des Nationalsozialismus und fühlte sich gerade deshalb zu ihm hingezogen. Schon der Vater des Mufti hatte jüdische Einwanderer im osmanischen Palästina bekämpft. Im Ersten Weltkrieg hatte sich el-Husseini die in der Türkei übliche Bewunderung der deutschen Militärdisziplin zu eigen gemacht. Schon bald nach seiner Rückkehr in das Mandatsgebiet provozierte Amin elHusseini im April 1920 in Jerusalem wüste antijüdische Ausschreitungen, die erstmals Tote und zahlreiche Verletzte forderten.57 Sein Antisemitismus war also schon ausgeprägt, bevor der Nazismus seinen Sieg errang. Dies zeigte sich besonders im August 1929 anläßlich eines vom Mufti entfachten Pogroms in Jerusalem, das nicht gegen die Zionisten, sondern gegen Juden gerichtet war: Die Opfer der Ausschreitungen stammten aus den jahrhundertealten, nicht-zionistischen Gemeinden von Safed und Hebron. Husseinis paramilitärische Miliz brannte ganze Stadtviertel nieder, andere wurden vom arabischen Mob zerstört. In einem 1929 in Jerusalem verteilten Flugblatt hieß es: „0 Araber! Vergeßt nicht, daß der Jude euer schlimmster Feind ist und von jeher der Feind eurer Vorfahren war.“58 Die Ausschreitungen griffen auf ganz Palästina über, allein in Hebron wurden über sechzig Juden niedergemetzelt. Erst nach sechs Tagen konnte der Pogrom, der 133 Juden und 116 Arabern das Leben kostete, von britischen und zionistischen Truppen gestoppt werden.59 „Die Unruhen von 1929 markierten für die arabisch-jüdischen Beziehungen in Palästina einen Wendepunkt“, stellt Walter Laqueur zutreffend fest.60 In der Tat hat niemand die Frühgeschichte des Nahostkonflikts maßgeblicher geprägt als der Mufti, der als Präsident des Muslimischen Oberrats nicht nur die höchste religiöse Autorität, sondern aufgrund seines kompromißlosen antijüdischen Aktivismus zugleich die Zentralfigur des palästinensischen Nationalismus war. Die stärkste Bastion des Mufti war sein
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religiöses Amt: Unter seiner Ägide wurde der Widerstand gegen die jüdische Einwanderung grundlegend islamisiert. Immer wieder gelang es ihm und den ihm verpflichteten Predigern, mit religiösen Aufrufen Gefolgsleute in ländlichen Gebieten zu rekrutieren. Wer sich den Vorgaben des Mufti nicht beugte, wurde in den Freitagsgebeten der Moscheen namentlich denunziert und mit einem Ausschluß aus der Gemeinschaft der Muslime, die u.a. das Verbot muslimisch korrekter Heiraten und Beerdigungen implizierte, bedroht.61 Schon 1933 hatte er dem deutschen Gesandten in Palästina seine Sympathie für den Nationalsozialismus offenbart. Nicht zufällig schmückte sich Mitte der 30er Jahre der Jugendverband der vom Mufti gegründeten Palästinensischen Arabischen Partei mit dem Namen „Nazi-Scouts“ und verteilte Flugblätter mit nationalsozialistischen Parolen und Hakenkreuzen.62 Als Hitler 1935 die Nürnberger Rassengesetze verkündete, erhielt er zwar aus der ganzen arabischen und islamischen Welt Glückwunschtelegramme, insbesondere aber „aus Palästina, wo die deutsche Propaganda besonders aktiv gewesen war“.63 Wie sahen die Grundlinien der Propaganda und der Praxis der NSDAP gegenüber Palästina und dem Zionismus aus? Sehr frühzeitig schon hatten sich die Nazis als Antizionisten positioniert. 1921 hatte der spätere Chefpropagandist der NSDAP, Alfred Rosenberg, ein Buch unter dem Titel Der staatsfeindliche Zionismus veröffentlicht und darin die antisemitisch-völkische Kritik an der Balfour-Erklärung formuliert. „Den Juden ginge es in Palästina darum“, schrieb Rosenberg, „nach alter Methode, die eigentlichen, Jahrtausende hier lebenden Bewohner auf legalem Wege auszuwuchern, zu verdrängen und ein rein jüdisches ... Sammelbecken für eine weit ausgreifende Orientpolitik zu schaffen.“ Da „der Jude“ niemals „wirklich schöpferisch“ wirke, könne von „Staat“ ohnehin keine Rede sein.64 In Mein Kampf führte Adolf Hitler 1925 diesen Gedanken weiter aus: Die Juden „denken gar nicht daran, in Palästina einen jüdischen Staat aufzubauen, ...
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sondern sie wünschen nur eine mit eigenen Hoheitsrechten ausgestattete, dem Zugriff anderer Staaten entzogene Organisationszentrale ihrer internationalen Weltgaunerei: einen Zufluchtsort überführter Lumpen und eine Hochschule werdender Gauner.“65 Waren nicht schon in diesen Formulierungen die späteren antizionistischen Schmähworte wie „Gebilde“ oder „Siedlerregime“ enthalten? Und doch enthielt sich der Nationalsozialismus bis 1937 jedweder offen antizionistischen Politik: Solange die Deutschen noch einen Rest von Hoffnung hegten, auf gutem Fuß mit Großbritannien bleiben zu können, vermieden sie sorgfältig jeden erkennbar antibritischen Akt. Sie betrachteten das Mandatsgebiet als „einen nützlichen Abladeplatz für ihre unerwünschten Juden“ und gingen im übrigen davon aus, daß „die Araber“ sie dort „liquidieren (werden)... Der Untergang erwartet die Juden in Palästina; sie kommen dort vom Regen in die Traufe.“ 66 Im Sommer 1937 ergab sich jedoch aufgrund des Teilungsplans der britischen Peel-Kommission, der auch die Schaffung eines jüdischen Staates zum Inhalt hatte, eine neue Situation. Reichsaußenministers von Neurath betonte in einem Memorandum, daß die „Bildung eines Judenstaates ... nicht im deutschen Interesse“ liege, da er den Juden eine „zusätzliche völkerrechtliche Machtbasis ... schaffen würde, etwa wie Vatikan-Staat für politischen Katholizismus oder Moskau für Komintern.“ Es bestehe daher, so von Neurath, „ein deutsches Interesse an Stärkung des Arabertums als Gegengewicht gegen etwaigen solchen Machtzuwachs des Judentums“.67 Nun erst wurden die vom Mufti seit 1933 unermüdlichen wiederholten Bekundungen zur Zusammenarbeit erhört und in Form von Waffenlieferungen und Finanztransfers auch belohnt. Die Entscheidung, den „palästinensischen Aufstand“ in den Jahren 19371939 fortzusetzen, fiel nicht zuletzt in Berlin. „Der Mufti gab selbst zu“, schreibt Gensicke in seiner grundlegenden Studie, „daß es seinerzeit nur durch die ihm von den Deutschen gewährten Geldmittel möglich war, den Aufstand in Palästina durchzuführen. Von Anfang an stellte er hohe finanzielle
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Forderungen, denen die Nazis in sehr großem Maße nachkamen.“68 Über stille Kanäle wurden auch deutsche Waffen an die Aufständischen geschickt. Admiral Canaris, der Chef der deutschen Abwehr, räumte später ein, daß er mit dem Sekretär des Muftis kurz vor Kriegsausbruch „in Sachen eines Waffentransportes für die aufständischen Araber in Palästina einige Male persönlich verhandelt hatte“.69 Darüber hinaus hatte Saudi-Arabien 1937 und der Irak 1938 deutsche Waffen zum Zweck der Weitergabe an die Araber Palästinas gekauft.70 Unabhängig von derartigen Zuwendungen avancierte Amin el-Husseini im Laufe des Zweiten Weltkrieges zum weitaus engagiertesten Parteigänger des Nationalsozialismus in der arabischen Welt. Nach seiner Beteiligung an einem prodeutschen Putsch 1941 in Bagdad gelangte er nach Berlin, von wo aus er sich mit einem Stab von sechzig Arabern für den Nationalsozialismus und die islamische Welt verdient zu machen suchte.71 Die nach seiner Überzeugung wichtigsten Berührungspunkte zwischen islamischer und der nationalsozialistischen Weltanschauung faßte der Mufti wie folgt zusammen: 1. Monotheismus - Einheit der Führung, Führerprinzip. 2. Sinn für Gehorsam und Disziplin. 3. Der Kampf und die Ehre, im Kampf zu fallen. 4. Die Gemeinschaft nach dem Motto: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. 5. Hochschätzung der Mutterschaft und Verbot der Abtreibung. 6. Verhältnis zu den Juden - „In der Bekämpfung des Judentums nähern sich der Islam und der N.S. einander sehr.“ 7. Verherrlichung der Arbeit und des Schaffens: „Der Islam schützt und würdigt die Arbeit, welche sie auch sein mag.“72 Hinsichtlich des Antisemitismus nahm es der Mufti mit den deutschen Weltverschwörungsphantasten ohne weiteres auf. 1941 erklärte er aus Anlaß der Landung amerikanischer Truppen in Nordafrika, daß die „Amerikaner die willfährigen Knechte der Juden“ seien „und daher die Feinde des Islams und der Araber“.73 Auch darin, was mit den Juden geschehen
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solle, stimmte der Mufti mit den Nazis überein. In seinem 1940 formulierten Entwurf für eine deutsch-italienische Erklärung heißt es: „Deutschland und Italien anerkennen das Recht der arabischen Länder, die Frage der jüdischen Elemente, die sich in Palästina und in den anderen arabischen Ländern befinden, so zu lösen, wie es den nationalen und völkischen Interessen der Araber entspricht, und wie die Judenfrage in den Ländern Deutschland und Italien gelöst worden ist.“74 Einwände gegen die Nazipolitik wurden vom Mufti immer nur dann formuliert, „wenn er befürchtete, es könnten Juden dem Holocaust entkommen“.75 So war el-Husseini mit Heinrich Himmler, den er verehrte, zwar befreundet. Diese Freundschaft wurde jedoch einer Belastung ausgesetzt, als Himmler 1943 5000 jüdischen Kindern (als Propagandacoup sowie als Gegenleitung für die Freilassung von 20 000 gefangenen Deutschen) die Ausreise und damit ihr Überleben gestatten wollte. Unermüdlich kämpfte der Mufti, von dem ein deutscher Regierungsbeamter berichtete, „daß er sie (die Juden) am liebsten alle umgebracht sähe“, gegen diese Planung an. Erfolgreich! - Die Kinder wurden in die Gaskammern geschickt.76 Besonders initiativ zeigte sich der Mufti in Reaktion auf die Beschlüsse der Regierungen Bulgariens, Rumäniens und Ungarns, jeweils einigen Tausenden jüdischen Kindern nebst betreuenden Personen die Ausreise nach Palästina zu gestatten. Es sei „angebracht und zweckmäßiger“, schrieb er unverzüglich dem Außenminister Bulgariens, „die Juden an der Auswanderung aus ihrem Land zu hindern, und sie dorthin zu schicken, wo sie unter starker Kontrolle stehen, z.B. nach Polen.“ Auch dieser Intervention war ein Erfolg beschieden. Schon erteilte Ausreisegenehmigungen wurden zurückgezogen und die Rettung der jüdischen Kinder verhindert.77 Von el-Husseini wurde dieser antijüdische Kampf nicht nur zur religiösen Pflicht verklärt, sondern der Palästinakonflikt zugleich in einen panislamischen und panarabischen Kontext gestellt. In unermüdlichen Rundreisen sorgte er dafür, daß „die Palästina-Frage alle arabischen Länder in gemeinsamen Haß
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gegen die Engländer und Juden vereinigt(e)“, wie er schon 1941 stolz in einem Brief an Hitler schrieb.78 Hierbei war seine Zusammenarbeit mit den ägyptischen Muslimbrüdern besonders eng. Al-Banna hatte schon 1927, ein Jahr vor Gründung der Organisation, Kontakt zu el-Husseini geknüpft.79 Zwanzig Jahre später wurde der Mufti ungeachtet seiner Nazikollaboration zum Führer der Muslimbrüder in Palästina und zum Stellvertreter al-Bannas gekürt. Nicht minder groß war die Wertschätzung el-Husseinis für die Bruderschaft. „Ich glaube an die Muslimbrüder“, erklärte er 1946, „da sie die Truppen Gottes sind, die die Truppen des Satans besiegen werden.“80 Das Bündnis von Banna und Husseini wirkte sich, wie wir noch sehen werden, in der Vorbereitungsphase der Staatsgründung Israels für die jüdischen wie auch die arabischen Palästinenser verheerend aus. Die eigentliche Bedeutung dieser Kooperation tritt aber erst dann zutage, wenn die zeitgenössische Situation in Palästina mit in das Blickfeld rückt.
Nashashibis gegen Husseinis Auch in Palästina waren die Widersprüche zwischen nichtjüdischen Arabern und nicht-arabischen Juden zunächst weniger eindeutig ausgerichtet, als später oft kolportiert. Es waren um die Jahrhundertwende hauptsächlich die christlichen Araber, die in ihren Zeitungen unter dem Einfluß von Jesuiten und französischen Antisemiten gegen die jüdischen Einwanderer wüteten.81 Während auch die Balfour-Erklärung im arabischen Palästina mehrheitlich auf Widerstand stieß, distanzierte sich im März und April 1920 eine große Zahl der Dorfscheichs in Judäa und Galiläa von der Welle des Antizionismus, die zu dieser Zeit durch die Städte Palästinas ging, und unterzeichnete Petitionen, welche die jüdische Einwanderung in das Land befürworteten.82 Von den 970 000 Menschen, die 1931 im britischen Mandatsgebiet lebten, waren 70 Prozent Moslems, 10 Prozent
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Christen und knapp 20 Prozent arabisch-autochtone und zugewanderte Juden.83 Die Muslime waren in den ländlichen Gebieten überrepräsentiert, während der überwiegende Teil der christlichen Araber in den Städten lebte und fast ausnahmslos die gehobene urbane Mittelschicht - Rechtsanwälte, Mediziner, Journalisten - stellte. Dieses Verteilung korrespondierte mit dem Grad der Alphabetisierung: 70 Prozent der christlichen, jedoch nur 25 Prozent der muslimischen Araber konnten lesen. An der Spitze der arabischen Gesellschaft standen die als Effendis bezeichneten Persönlichkeiten der großen landbesitzenden Familien der Husseinis und Nashashibis, der Khalidis und Daganis. Zu dieser Elite und ihren dörflichen Ablegern standen die Notabeln der größeren und kleineren Städte Palästinas in enger Bindung und Abhängigkeit.84 Diese vertikale wie auch clanmäßig horizontale Segmentierung der palästinensischen Bevölkerung prägte die Auseinandersetzung mit dem Zionismus entscheidend. So machte sich der erbitterte Streit zwischen den beiden einflußreichsten Clans, den Nashashibis und den Husseinis, hauptsächlich an unterschiedlichen Einstellungen gegenüber den jüdischen Einwanderern und der britischen Mandatsbehörde fest. Auch die Nashashibis wollten die jüdische Einwanderung beschränken und eine zionistische Dominanz über Araber verhindern. Doch traten sie in allen Phasen des Konflikts für eine moderate Politik gegenüber Zionisten und Briten sowie für eine bedingte Zusammenarbeit mit beiden Gruppen ein. So amtierte Radschib Nashashibi seit 1927 mit einem jüdischen und einem christlichen Stellvertreter als Bürgermeister von Jerusalem.85 „Die Notabeln in den Städten und Dörfern schlugen sich Ende der zwanziger Jahre auf die Seite der Nashashibis“, schreibt Lionel van der Meulen. „Ihnen, die zu mehr als einem Drittel Christen sind, ist der betont islamische Kurs der Husseinis nicht geheuer. Unter einem Regime des Muftis fürchteten sie mehr Freiheiten und Einfluß zu verlieren, als unter einer Führung der eher weltlich und arabischnationalistisch gesonnenen Nashashibis.“86
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In offener Abgrenzung zu den Husseinis plädierten die Nashashibis 1936 für die Zusammenarbeit mit der britischen Peel-Kommission, die mit dem künftigen Status des Mandatgebiets befaßt war. An der Seite des transjordanischen Regenten Abdullah trat der Nashashibi-Clan 1937 für das von der Peel-Kommission empfohlene Projekt einer Teilung Palästinas in zwei unabhängige Staaten ein. Während auch der zionistische Weltkongreß den Teilungsplan akzeptierte, lehnte elHusseini jedwede staatlich-jüdische Präsenz in Palästina ab: Das erste Zweistaatenprojekt für Palästina scheiterte hauptsächlich an seiner Intransigenz.87 Der Machtkampf zwischen den Husseinis und den Nashashibis erreichte mit den nationalistischen Unruhen zwischen 1936 und 1939 seinen Höhepunkt. Da die jüdischen Einwandererzahlen als Konsequenz der Naziherrschaft in Deutschland sprunghaft angestiegen waren - von knapp 4000 (1931) auf 60 000 (1935) - suchten 1936 die nicht-jüdischen Araber unter Leitung des Mufti mit einem Generalstreik einen totalen Einwanderungsstop, ein Verbot des Landverkaufs an Juden und die Wahl einer palästinensischen Volksvertretung durchzusetzen. Während der Streik jedoch noch im Sommer wieder abzuflauen begann, schoben sich vorwiegend in ländlichen Regionen diverse Freischärlergruppen in den Vordergrund. Schrittweise wurde die Streikbewegung durch ein Art institutionalisiertes Bandentum ersetzt. Nicht alle diese Banden traten freilich konzeptlos auf den Plan: „Der Mufti schaltete bewußt mit äußerster Härte seine Gegner innerhalb des palästinensischen Lagers aus“, schreibt Abraham Ashkenasi: „Der palästinensische Aufstand von 1936-1939 war auch ein Angriff auf die Gegner des Mufti. Innerhalb des palästinensischen Lagers ist es zu mehr Mord und Totschlag gekommen als gegen Juden und gegen Briten.“88 In der Tat wurden zwischen 1936 und 1939 brachialer als je zuvor in den von den Mufti-Banden kontrollierten Gebieten neue Kleiderordnungen und Schariagerichte eingeführt und „unislamische“ Abweichler massenhaft liquidiert. Will-
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kürlich wurden Dorfbewohner erpreßt, bedroht und Gewalttaten ausgesetzt. Diese Praktiken bewirkten, daß immer größere Teile der Bevölkerung die .Aufständischen’ bei den britischen Behörden denunzierten und sich gegen Übergriffe der Mufti-Banden bewaffneten. Seit dem Herbst 1938 war die „offene Opposition arabischer Bevölkerungsteile gegen die Politik des Mufti“ nicht mehr zu übersehen, berichtet David Th. Schiller. „Unter Führung der Nashashibis begann sich dieser Widerstand zu formieren.“ Die Wirkungen dieser Jahre kamen für die arabische Gesellschaft einem Desaster gleich: „Alte Fehden waren aufgebrochen, neue Blutrachen hinzugekommen. Ärzte, Geschäftsleute und einflußreiche Familien hatten das Land verlassen und einen Teil ihres Besitztums aus Palästina herausgezogen.“89 1938 begann die britische Mandatsmacht den ,Aufstand’ mit harter Hand zu unterdrücken, was den Völkischen Beobachter zu einem Sperrfeuer an Beschimpfungen gegen die britische Brutalität in Palästina und zur Anpreisung der Aufständischen als Freiheitskämpfer veranlaßte.90 Die finanzielle und militärische Unterstützung, die Nazideutschland der Muftipartei in diesem Krieg gewährte, führt vor Augen, daß sich auch hier die Kontrahenten des Zweiten Weltkrieges in einer Art Vorhutgefecht gegenüberstanden. Eine 1943 in Berlin veröffentlichte Biographie über den Mufti macht die weltanschauliche Nähe zwischen Nationalsozialismus und Islamismus auch aus deutscher Perspektive transparent. Schon die Existenz dieses Buches ist bemerkenswert, offenbart sie doch, daß nicht nur der Mufti von den Deutschen, sondern ein deutsches Publikum ebenfalls von dem Mufti höchst eingenommen war. Noch aufschlußreicher ist jedoch die Bewunderung, die der Autor dem islamistischen Gleichschaltungsterror der Mufti-Banden zwischen 1937 und 1939 zollte. Das nachfolgende Textdokument illustriert, was in der deutschen und der arabischen Bewegung unter „Freiheitskampf verstanden wurde: Die Ausrottung jedweder
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Individualität, die vom dumpfen Kollektiv sich abzusetzen sucht. „In einer baumbestandenen Straße der Altstadt von Jerusalem findet sie die Polizei: zwei Araber, mit dem Gesicht auf dem Boden liegend, offenbar durch Schüsse in den Rücken niedergestreckt, die Einschußstelle aber sorgfältig mit jener bekannten Kopfbedeckung verdeckt, die man in Europa ,Fez’, im Orient jedoch ,Tarbusch’ nennt. Einer der beiden Toten ist ein namhafter Rechtsanwalt, der andere ein wohlhabender Hausbesitzer... Die beiden sind Araber, die von Arabern erschossen worden sind. Sie hatten das Verbrechen begangen, die letzten Anweisungen des Generals der Freischaren unbeachtet zu lassen, die wenige Tage zuvor an allen Ecken Jerusalems zu lesen waren. ,Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen! Das Hauptquartier der arabischen Revolution erinnert alle Araber Palästinas daran, daß der Tarbusch nicht die wahre nationale Kopfbedeckung des Arabers ist. Die Araber Palästinas müssen sich sofort des Tarbuschs entledigen, der die Bekleidung ihrer früheren Unterdrücker ist, und die nationale Kaffiyah tragen. Diejenigen, die trotz unserer Warnung darauf beharren, den Tarbusch zu tragen, werden wir als unsere Feinde betrachten. Sie werden ebenso behandelt werden wie diejenigen, die tätigen Anteil an der Bekämpfung unserer ruhmreichen revolutionären Armee nehmen, gez. Der Führer der revolutionären Araber.’ Fast von einem Tag auf den anderen verschwand nach dieser Anordnung des revolutionären Chefs der Tarbusch aus dem Straßenleben der palästinensischen Städte. Eine ähnliche Anweisung verbot den Frauen des Landes die europäischen Damenhüte, die unter den höheren Gesellschaftsschichten allgemein verbreitet waren, und mit gleicher Plötzlichkeit trugen die Araberinnen Palästinas wieder alle das arabische Kopftuch. So verschwanden Tarbusch und Pariser Modellhut aus den Straßen der Städte und mit ihnen die Kennzeichen, durch die sich die Gebildeten oder der Wohlhabende von dem einfachen Bauern unterscheiden wollte.“91
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Geradezu theatralisch hat hier der Naziautor eben jenes Gesellschaftsmodell dargestellt, das auch den Muslimbrüdern in Ägypten als diktatorisch-gleichmacherische Utopie vor Augen stand. Diese hatten, wie bereits dargestellt, die Unruhen in Palästina zum Anlaß ihrer antijüdischen Kampagnen genutzt. Doch auch im Kontext der innerpalästinensischen Auseinandersetzungen ergriffen die ägyptischen Muslimbrüder Partei: In den Nashashibis sahen sie Verräter, „Separatisten“ und Agenten der Briten. Sie unterbanden nicht nur jede Sendung ägyptischer Hilfsgüter an die Nashashibis, sondern riefen die Bevölkerung Palästinas dazu auf, alle Angehörigen und Unterstützer der Nashashibis in Allahs Namen totzuschlagen.92 Der Terror des Mufti hingegen wurde zu hundert Prozent unterstützt und in Ägypten zum Djihadfanal glorifiziert. Nicht ohne Erfolg! Die Zusammenarbeit zwischen al-Banna und el-Husseini führte im Oktober 1938 in Kairo zu der bereits erwähnten „Islamischen Parlamentarierkonferenz zugunsten von Palästina“, die zu unterstützen bereits einer Revision der ägyptischen Politik gleichkam. In London, wo man im Vorfeld des sich anbahnenden Weltkrieges auf gute Beziehungen zur arabischen Welt angewiesen war, wurde diese ägyptische Annäherung an die islamische Bewegung und die hier manifestierte Islamisierung des Palästinakonflikts mit äußerster Besorgnis wahrgenommen: Am 9. November 1938, als in Deutschland die Synagogen brannten, zog die britische Regierung die Notbremse. Vier Wochen nach der Konferenz von Kairo wurde der von den Juden akzeptierte und von el-Husseini abgelehnte Vorschlag der Peel-Kommission zur Teilung Palästinas zurückgewiesen, „da inzwischen die Araber“, so Hermann Meier-Cronemeyer, „auf einem Interparlamentarischen Weltkongreß der arabischen und moslemischen Länder zur Verteidigung Palästinas im Oktober 1938 in Kairo gedroht hatten, sich mit den Achsenmächten zu verbünden“.93 Es dauerte fast zehn Jahre, bis 1947 die Vereinten Nationen einen neuen Plan zur Teilung Palästinas vorlegten. Zwi-
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schen diesen beiden Daten nahm die nationalsozialistische Vernichtung der Juden in Europa ihren Lauf.
Die Heimstätte des Nationalsozialismus 8. Mai 1945: Allmählich begann die Weltöffentlichkeit zu ahnen, welch Verbrechen in Auschwitz, Treblinka und den anderen Zentren der industriellen Menschenvernichtung stattgefunden hatte. Wurde der Zionismus bis 1945 als die falsche Antwort auf den Antisemitismus von einer Mehrheit der Juden - von den Nichtjuden ganz zu schweigen - noch abgelehnt, so hatte er sich nunmehr „grauenhafterweise erst im Nachhinein als die einzige nach dem Zustand der Geschichte vorläufig angemessene Antwort erwiesen“.94 Nicht nur die USA unterstützten jetzt die Schaffung eines jüdischen Staates. Am 14. Mai 1947 gab auch der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko in einer Rede vor den Vereinten Nationen die „sowjetische Balfour-Erklärung“ zu Protokoll: „Die Erfahrung ... während des Zweiten Weltkrieges zeigt, daß kein westeuropäischer Staat in der Lage war, dem jüdischen Volk in der Verteidigung ... seiner bloßen Existenz vor der Gewalttätigkeit der Hitleristen und ihrer Verbündeten hinreichend Schutz zu bieten... Dies erklärt die Bestrebungen der Juden, ihren eigenen Staat zu errichten... Es wäre ungerechtfertigt, dem jüdischen Volk dieses Recht abzusprechen, insbesondere angesichts allem, was es erlitten hat.“ Am 26. November 1947 setzte sich Gromyko mit der arabischen Auffassung auseinander, derzufolge die Teilung Palästinas historisches Unrecht sei. Dies, so Gromyko, sei „unannehmbar, wenn auch nur, weil schließlich das jüdische Volk über einen ansehnlichen Zeitraum der Geschichte eng mit Palästina verbunden gewesen ist. Davon abgesehen dürfen wir nicht übersehen..., daß durch den Krieg, den Hitlerdeutschland entfachte, die Juden als Volk mehr gelitten haben, als irgendein anderes Volk.“95
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Wie aber wurde in der arabischen Welt und in Ägypten auf das Leiden der Juden reagiert? Wie erging es nun dem Mufti von Jerusalem, der nicht nur der prominenteste Führer des arabischen Palästina, sondern zugleich der emsigste Zuarbeiter der Nazis in der islamischen Welt gewesen war? Erst in den letzten Tagen des Regimes verließ der Mufti Berlin, noch im April 1945 nahm er 50 000 Reichsmark vom Auswärtigen Amt in Empfang.96 Seine Flucht in die Schweiz führte zur Auslieferung nach Frankreich, wo er bis 1946 mit Chauffeur, einer zweiköpfigen Leibgarde sowie seinem Sekretär in der Villa Les Roses im Pariser Vorort Louvecienne residierte. Jugoslawien aber hatte den Mufti auf die Kriegsverbrecherliste gesetzt und forderte seine Auslieferung, da er als Organisator der muslimischen SS-Division in Bosnien und Herzegowina für die Ermordung tausender Serben und Kroaten verantwortlich war.97 Frankreich und Großbritannien wurden bedrängt, den Mufti dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zu überstellen. Die Muslimbrüder aber betrachteten Amin el-Husseini als den einzigen Repräsentanten Palästinas und kündigten gegen seine Auslieferung den entschiedensten Widerstand an. Nachdem sich die Arabische Liga dem Standpunkt der Muslimbrüder angeschlossen hatte, gaben Großbritannien und Frankreich nach: Niemand wollte es sich mit der arabischen Welt verderben; auch Jugoslawien folgte schließlich diesem Druck.98 Nun aber wollte Großbritannien, bedrängt von den USA, den Mufti zumindest als „politischen Verbrecher“ auf die Seychellen verbannen und wandte sich mit entsprechenden Auslieferungsbegehren an Paris. „Die französische Weigerung, den Großmufti auszuliefern, rief ein Echo im Orient hervor“, schreibt Wiesenthal. „Der französische Botschafter in Kairo empfing viele Delegationen, welche der französischen Regierung ihren Dank für diese Haltung aussprechen wollten.“99 Am 28. Mai 1946 schließlich konnte der Mufti - rasiert und inkognito - Frankreich verlassen und traf tags darauf in
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Kairo, wo König Faruk ihm Asyl gewährte, ein. Das britische Begehren, ihn auszuliefern, wies die ägyptischen Regierung mit Verweis auf das über den Mufti verhängte politische Betätigungsverbot zurück. 10° Der Mufti dachte aber gar nicht daran, sich im Zaum zu halten. Als habe er sich in Berlin keineswegs kompromittiert, baute er als Vorsitzender des Arab High Committee in Palästina seine paramilitärischen Jugendbanden al-Futuwwa wieder auf und konferierte mit der Arabischen Liga, um auch für alle Zukunft die strikte Zurückweisung aller Teilungspläne für Palästina sicherzustellen.101 Als die ägyptische Regierung dennoch gewisse „politische Fehler“ des Mufti zu thematisieren begann, die el-Husseini in seiner Verbindung zum Nationalsozialismus unterlaufen seien, folgte die überaus empörte Zurückweisung der Muslimbrüder auf dem Fuß. Der Mufti, so erklärten sie, habe keinen einzigen Fehler gemacht, sondern auch von Berlin aus einzig und allein den Djihad vollzogen.102 So bahnten die Muslimbrüder der zweiten Karriere des Mufti, in dessen pronationalsozialistischer Vergangenheit sie eine Quelle des Stolzes, nicht der Scham erblickten, den Weg. Mehr noch: Durch die Straflosigkeit, die seinem Nazi-Engagement folgte, stieg das Prestige des Mufti unter Arabern nur noch weiter an. „In dieser Straflosigkeit sehen sie nicht nur eine Schwäche der Europäer“, konstatiert 1947 Simon Wiesenthal, „sondern auch Absolution für geschehene und kommende Ereignisse. Ein Mann, der alle zu umgehen versteht, der der Feind Nr. 1 eines mächtigen Imperiums ist - und dieses Imperium kann sich seiner nicht erwehren - scheint ihnen gerade ein passender ,Führer’ zu sein“.103 Der Mufti war freilich nicht der einzige Nazi, den es nach Ägypten zog. Eine große Anzahl von Naziverbrechern - man schätzt sie auf mehrere Tausend - entzog sich durch Flucht nach Ägypten der Justiz. Warum gerade Ägypten? Auf der einen Seite war hier die Deutschlandverehrung besonders groß. Als Rommel Anfang 1942 die britischen Streitkräfte besiegte und nach Ägypten vorrückte, bot nicht nur ein Teil
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des ägyptischen Generalstabs - darunter die Offiziere Gamal Abdel Nasser und Anwar as-Sadat - den Deutschen ihre Unterstützung an. Zugleich wurde der Feldmarschall auf Demonstrationen mit Vorwärts-Rommel-Rufen und der Parole Wir sind Rommels Soldaten begrüßt. Ein zionistischer Geheimbericht dieser Tage ging davon aus, daß 90 Prozent der ägyptischen Intellektuellen und Beamten mit der Achse sympathisierten.104 Bedeutsamer noch ist der Umstand, daß die Akzeptanz des Antisemitismus in den vergangenen zehn Jahren enorm gewachsen war, was dazu führte, daß Naziverbrecher in Ägypten nicht lediglich Unterschlupf fanden: „In Ägypten konnten sie ihren Krieg gegen die Juden fortsetzen.“105 „Sie“ - das waren zum Beispiel Johannes von Leers, der Hauptschriftleiter der Nazizeitung Wille und Weg, den der Mufti nach Ägypten holte und ihn dort mit einem Verweis auf „die Mächte der Finsternis ..., die im Weltjudentum Gestalt angenommen“ hätten, höchstpersönlich begrüßte.106 Unter dem Decknamen Omar Amin wurde der ehemalige Goebbelsmitarbeiter politischer Berater des Informationsbüros der ägyptischen Regierung und blieb bis zu seinem Tode im Jahre 1965 in Ägypten. „Wenn es überhaupt eine Hoffnung gibt, die Welt von jüdischer Tyrannei zu befreien“, erklärte später von Leers, alias Omar Amin, dem amerikanischen Nazi H. Keith Thompson, „dann mit Hilfe der Moslems, die sich unerschütterlich Zionismus, Kolonialismus und Imperialismus widersetzen.“107 Karrieren wie die von Omar Amin aber waren Legion. SS-Standartenführer Leopold Gleim, Gestapoführer in Polen, organisierte in Ägypten unter dem Namen Ali Al-Nacher die Geheimpolizei und überwachte die Juden Ägyptens. SSObersturmbannführer Berhard Bender, der bei der Gestapo in Polen und Rußland tätig war, änderte seinen Namen in Ben Salem um und war unter der Leitung Gleims für die politische Abteilung der ägyptischen Geheimpolizei zuständig. SSSturmbannführer Joachim Däumling wurde zum Berater im ägyptischen Innenministerium ernannt, SS-Sturmführer
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Wilhelm Boekler der Abteilung Israel im Geheimdienst zugeteilt. SA-Gruppenführer Heinrich Stellmann wurde 1958 dank seiner Kenntnisse der jiddischen Sprache zum Berater der Gegenspionage ernannt. Andere Naziverbrecher nahmen als militärische Berater an der Ausbildung von Fedajin und anderer Terror- und Sabotageorganisationen teil. Eine große Anzahl von Nazis wurde für die antijüdische Propaganda eingesetzt: Dazu gehörten Louis Heiden vom Reichssicherheitshauptamt, der unter dem Namen Louis AlHadj Hitlers Mein Kampf ins Arabische übersetzte und für die Verbreitung dieses Buches unter den ägyptischen Offizieren und in den arabischen Ländern sorgte, sowie Hans Appler, der für den Islamischen Kongreß tätig war. Auch der Nazijournalist Franz Bünsche setzte seine Tätigkeit durch zahlreiche antijüdische Veröffentlichungen in Ägypten und anderen arabischen Ländern fort.108 Diese Durchdringung der ägyptischen Nachkriegsinstitutionen mit einer Kohorte nationalsozialistisch orientierter Meinungsmacher dürfte auf ihre Weise dazu beigetragen haben, daß das deutsche Verbrechen an den Juden bis heute so gut wie keinen Eingang in das öffentliche Bewußtsein Ägyptens gefunden hat. Seit nun bereits fünfzig Jahren ist in ägyptischen Medien die Wahnvorstellung dominant, derzufolge der „Holocaust zu keiner Zeit des 20. Jahrhunderts etwas anderes gewesen (ist), als ein Vorwand, der vom internationalen Zionismus beständig zur Rechtfertigung der Existenz Israels“ angeführt worden sei.109 In seiner Analyse einer im Mai 2001 gesendeten al-jazeera-Fernsehdebatte über Zionismus und Nazismus kommt Götz Nordbruch zu dem Resultat, daß in der arabischen Welt jedwede Position „als Verrat an den palästinensischen und arabischen Rechten ... gebrandmarkt (wird), welche auf die Fragwürdigkeit holocoustleugnender Argumentationen hinweist“, da schließlich - so etwa der jordanische Schriftsteller Ibrahim Alloush - „das Anerkennen des Holocaust das Herzstück der kulturellen Normalisierung mit dem zionistischen Feind“ bedeute.110
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Die Leugnung oder Nichtwahmehmung der Shoah hat mehr als alles andere jenes geschichtspolitische Schisma produziert, das die arabische intellektuelle Welt heute von der westlichen trennt. Die Folgen dieser historiographischen Leerstelle sind immens und bestimmen bis heute den arabisch-jüdischen Konflikt: Solange er die Shoah leugnet, kann der Islamismus damit fortfahren, die internationale Rückendeckung, die die Gründung Israels 1947 erfuhr, ausschließlich unter Rückgriff auf antisemitische Denkmuster, also verschwörungstheoretisch, zu erklären: als ein von Juden gelenkter Angriff der USA und der Sowjetunion gegen das Arabertum. Die Anerkennung der historischen Realität hingegen müßte notwendig die von Andrej Gromyko 1947 formulierten Schlußfolgerungen nach sich ziehen. Der Teilungsbeschluß für Palästina, den die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 29. November 1947 verabschiedete, war dementsprechend für al-Banna nichts anderes als ein „internationaler Komplot, ausgeführt von den Amerikanern, den Russen und den Briten unter dem Einfluß des Zionismus“.111 Um so kompromißloser wurde zeitgleich an drei Schauplätzen - in den Dörfern Palästinas, in den Städten Ägyptens sowie im Hauptquartier der Vereinten Nationen der antijüdische heilige Krieg forciert. „Warum sollten wir noch zögern und uns zurückhalten“, so al-Banna, „wo schon der sanfte Wind des Paradieses weht und den Duft des Märtyrertums in sich trägt?“112
Krieg gegen Israel Im März 1945 hatten die Muslimbrüder ihre erste palästinensische Zweigstelle in Jerusalem eröffnet. Bis 1947 verfügten sie im damaligen Mandatsgebiet über 25 Zweigstellen und 20 000 Mitglieder.113 El-Husseini, der Ägypten nicht verlassen durfte, wurde symbolisch zum Vorsitzenden der
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Muslimbrüder in Palästina und zum Stellvertreter al-Bannas gekürt. Damit war sein Ruf als arabischer Held und Führer Palästinas wiederhergestellt: „Jeder zehnte Araber ist ein Anhänger des Mufti“, betonte 1948 The Magazine of the Year, „weshalb es unklug ist, Haj Amin in der Öffentlichkeit zu kritisieren.“114 Im Mai 1946 empfahl eine von den USA und Großbritannien gebildete Kommission die unverzügliche Einreise von 100 000 Überlebenden des Holocaust nach Palästina. Die Antwort der Muslimbrüder ließ Mißverständnisse nicht zu: „70 Millionen Araber, die 400 Millionen Moslems unterstützen, werden die Umsetzung dieser Empfehlung mit den Muslimbrüdern an der Spitze verhindern. Das Blut wird wie Flußwasser in Palästina fließen,... so daß es zionistischen Vagabunden nicht als eine leichte Beute in die Hände fällt.“115 Noch im selben Monat organisierten die Muslimbrüder in Ägypten einen Streik gegen die angloamerikanische Kommission und beriefen im Namen des ägyptischen Königs Faruk eine Konferenz der arabischen Könige, Prinzen und Staatsführer ein. Die hier beschlossene Ablehnung der britisch-amerikanischen Kommissionsempfehlung durften sich die Brüder als Erfolg anrechnen.116 Im Frühjahr 1947 lösten die Vereinten Nationen die bis dahin verantwortliche Mandatsmacht Großbritannien ab und gründeten das United Nations Special Committee on Palestine (U.N.S.C.O.P.). Nachdem UN-interne Versuche, el-Husseini aufgrund seiner Nazikollaboration zu disqualifizieren, fehlgeschlagen waren, lud dieses Komitee sowohl die Jewish Agency als auch den Mufti zur Berichterstattung ein. El-Husseini aber boykottierte die UN mit der Begründung, sie sei durch „imperialistische Interessen“ dominiert. Auch Emissäre, die zu ihm nach Kairo reisten, um inoffiziell die Möglichkeit einer Teilung zu erörtern, wies er ab. Stattdessen „gab der Mufti zu verstehen, die Araber ,sollten gemeinsam über die Juden herfallen und sie vernichten’, sobald sich die britischen Streitkräfte zurückgezogen hätten.“117
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Nun spitzten sich die Widersprüche zu. Noch bevor 1947 der UN-Teilungsplan verabschiedet wurde, ordnete al-Banna den Djihad an und schickte ein erstes Bataillon ägyptischer Kriegsfreiwilliger nach Palästina. Am 29. November 1947 beschloß die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit den Stimmen der UdSSR und den Staaten des Ostblocks die lang erwartete Teilung: 56 Prozent des Mandatsgebiets wurden dem jüdischen Staat (für 500 000 Juden und 500 000 Araber) und 43 Prozent dem arabischen Staat (750 000 Araber und 10 000 Juden) zugeteilt, während für Jerusalem die Einrichtung einer internationalen Zone vorgesehen war.118 Wie schon beim Peel-Plan von 1937 wurde der Plan von den Juden zähneknirschend akzeptiert, von der Gruppe um Husseini hingegen unverzüglich abgelehnt. „Schon am 30. November, dem Tag nach der Abstimmung, beginnen arabische Freischärler mit bewaffneten Überfällen auf jüdische Siedler und Einrichtungen. Bis Ende Dezember sterben dabei 205 Juden und 122 Araber.“119 Zeitgleich kam es in Ägypten zur größten Palästina-Demonstration in der Geschichte des Landes. Über 100 000 marschierten durch die Straßen und applaudierten Rednern, die ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, Palästina möge durch Blut befreit werden. Jüdische und europäische Institutionen wurden angegriffen und zum Teil zerstört. „Der Muslimbruderschaft“, so Gudrun Krämer, „muß zumindest die moralische Verantwortung für die neuerlichen Ausschreitungen angelastet werden.“120 In der massenhaften Zurückweisung des UN-Teilungsplans und der mühelosen Mobilisierung für den antizionistischen bewaffneten Kampf- binnen 48 Stunden hatten die Brüder mehr als 2000 freiwillige Palästinakämpfer rekrutiert! - zeigte sich in der Tat, wie erfolgreich ihre jahrelange Agitation gewesen war.121 Wie aber sah die Lage in Palästina aus? Wie schon im Bürgerkrieg 1936-39 kämpfte der Mufti auch jetzt zu einem guten Teil gegen jene Palästinenser, die ihm im Weg standen. Da war zum Beispiel Fawzi Darwish Husseini, ein Cousin des
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Mufti, der Ende 1946 mit Vertretern der Jewish Agency eine Abmachung über einen binationalen Staat unterzeichnen wollte, basierend auf dem Prinzip: Keine Nation dominiert die andere. Am 11. November 1946 unterschrieben fünf Mitglieder der Fawzi-Gruppe ein Abkommen betreffs gemeinsamer Aktivitäten mit den Juden. Zwölf Tage später wurde Fawzi von Schergen des Mufti ermordet; seine Gruppe zerfiel.122 Dawar Sami Taha, ein bekannter arabischer Gewerkschaftsführer in Haifa, der Sympathien für einen arabisch-jüdischen Staat hatte erkennen lassen: Im September 1947 wurde er von Muftileuten getötet.123 Auch Fausi al-Kawukdschi war ein entschiedener Gegner des Mufti geblieben. Kawukdschi gehörte zu den legendären Kommandanten des Bürgerkrieges der 30er Jahre und wurde von der arabischen Liga finanziert. 1948 war er mit dem Hauptteil seiner Streitmacht bemüht, die Freischärlergruppen des Mufti in Schach zu halten. Im Gegensatz zum Mufti war Kawukdschi zu einer Kooperation mit den Zionisten bereit. Im März 1948 kam er mit einem führenden Repräsentanten der Jewish Agency zusammen und schlug einem Waffenstillstand und, nach dem Abzug der Briten, eine jüdisch-arabische Förderation unter seiner Führung vor. Um ihn auszuschalten, hielt das Kairoer Büro des Mufti die Geldund Waffenlieferungen für Kawukdschis Truppen zurück und schanzte sie den eigenen Vertrauten zu.124 Zu den Gegnern des Mufti gehörte weiterhin der einflußreiche Nashashibi-Clan, der eher Palästina teilen wollte, als alles zu verlieren. Der wichtigste Verbündete der Nashashibis war König Abdullah von Transjordanien, dem ebenfalls an einer friedlichen Lösung des jüdisch-arabischen Interessenwiderspruchs gelegen war, und der schon im Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit Großbritannien gegen die Nazis und deren palästinensischen Freunde gekämpft hatte. „Abdullah stellte bald eines klar“, schrieb Golda Meir, damals Leiterin der politischen Abteilung der Jewish Agency, in ihren Erinnerungen: „Er würde sich an keinem Angriff gegen uns beteiligen. Er würde immer unser Freund bleiben, sagte er, und genau wie wir wollte er vor allen
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Dingen Frieden. Schließlich hatten wir einen gemeinsamen Feind, den Mufti von Jerusalem.“125 Angefeuert von den dem Mufti getreuen Muslimbrüdern wandte sich die übrige arabische Welt von Abdullah jedoch ab und brachte ihre Unterstützung für al-Husseini als dem „rechtmäßigen“ Oberhaupt Palästinas zum Ausdruck.126 Niemand freilich hat die arabische Bevölkerung Palästinas so in die Katastrophe geführt, wie eben jener Mufti von Jerusalem. Im Bündnis mit al-Bannas Bruderschaft war er es, der mit allen Mitteln eine gleichberechtigte Zusammenarbeit von Arabern und Juden torpedierte, der mit seiner Intransigenz jeden Teilungsplan zunichte machte und mit seiner Politik die arabische Bevölkerung Palästinas geradezu zwangsläufig in die Flüchtlingslager trieb. In Übereinstimmung mit dem Beschluß der Generalversammlung der Vereinten Nationen rief David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 in Tel Aviv den jüdischen Staat Palästina mit Namen Israel aus. Wenige Stunden später überschritten die Armeen Ägyptens, Transjordaniens, des Irak, Syriens und des Libanons die Grenzen Palästinas. Abd ar-Rahman Assam, der Generalsekretär der Arabischen Liga, bemühte auf einer Pressekonferenz in Kairo blutrünstige historische Vergleiche: „Dieser Krieg wird ein Vernichtungskrieg sein und zu einem furchtbaren Massaker führen, von dem man in Zukunft ebenso sprechen wird, wie von den Massakern der Mongolen und Kreuzritter.“127 Das neu gegründete Land hatte nun keine Wahl. Es stand, so der Historiker Benny Morris, vor der Alternative Verteidigung oder Bankrott, „und Bankrott meinte angesichts der abgrundtiefen arabischen Feindschaft gegen den Zionismus eine mögliche Wiederholung, wenn auch in kleinerem Maßstab, des Holocaust.“128 Am Ende dieses Krieges, im Januar 1949, hatten die Israelis mehr als 4000 Soldaten und 2000 Zivilisten als Todesopfer zu beklagen. Die Niederlage der arabischen Armeen, die keine Verlustzahlen nennen, war nahezu total, äußerst demütigend und von der Flucht von über 80 Prozent aller ursprünglich im neuen Staat Israel le-
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benden Araber gekennzeichnet. Das palästinensische Flüchtlingsproblem, so Benny Morris, „entstand als Produkt des Krieges und nicht der Planung, weder auf jüdischer noch auf arabischer Seite... Teilweise war es das Ergebnis ... böswilliger Aktionen jüdischer Kommandeure und Politiker, zum kleineren Teil waren arabische Kommandeure und Politiker für seine Schaffung durch Anweisungen und Unterlassungen verantwortlich.“129 In Ägypten aber, wo nur wenige Jahrzehnte zuvor der Antisemitismus keine Chance hatte, verhängte die Regierung das Kriegsrecht und ließ noch in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1948 2000 Juden verhaften, von denen ein gutes Viertel noch im Juni hinter Gittern saß.130 Auch wenn es 1948 keine großangelegte und kontinuierliche Verfolgung von Juden durch die Regierung gab, mußte die jüdische Bevölkerung in den Kriegsmonaten doch die Zerstörungen in Wohnvierteln, von Kinos, Geschäften und Kaufhäusern sowie wahllose Angriffe auf Einzelpersonen über sich ergehen lassen, wobei die Urheber der Attacken und Anschläge in der Muslimbruderschaft zu finden waren. Diese aber standen Ende 1948 auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Mit einer Million Mitgliedern und Sympathisanten waren sie längst zu einem Staat im Staate und somit gefährlich geworden, mit eigenen Fabriken, Waffen, Schulen, Hospitälern und Militäreinheiten.131 Im Dezember 1948 wurde die Bruderschaft verboten. Zwar meinte al-Banna auch hinter dieser Maßnahme „die verborgenen Finger des ‚internationalen Zionismus’, des Kommunismus, sowie der Anhänger von Atheismus und Verdorbenheit“ ausmachen zu können.!32 Tatsächlich aber sah sich die ägyptische Regierung angesichts ihrer Kriegsniederlage veranlaßt, einem Umsturzversuch der Brüder zuvorzukommen. Nachdem ein Mitglied der Organisation den ägyptischen Premier Mahmud Fahmi al-Nugrashi ermordet hatte, wurden die Muslimbrüder systematisch und erbarmungslos verfolgt und al-Banna im Februar 1949 von Agenten des Regimes auf offener Straße umgebracht. Der
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Islamismus wurde unter den Bedingungen des Terrors jedoch nicht ausgelöscht, sondern in den Gefängnissen Ägyptens radikalisiert, wie die folgenden Kapitel zeigen. Diejenigen Brüder aber, die entkommen konnten, verbreiteten ihre Botschaft um so wirkungsvoller in den Ländern ihres Exils. Welche Erkenntnisse hat unser Blick auf den Ursprung des modernen Djihadismus erbracht? Erstens ist festzuhalten, daß der Aufschwung des Faschismus und der Aufstieg des Islamismus in dieselbe Zeit fielen. Dies war kein Zufall, stellten doch beide Bewegungen den Versuch einer Antwort auf die Zuspitzung der kapitalistischen Krise dar. So unterschiedlich die faschistische und islamistische Antwort auch ausfielen, stimmten beide Bewegungen in einem Punkt überein: Hier wie dort wurden volksgemeinschaftliche Identität und umma-Gefühl durch Kriegs- und Pogrommobilisierung gegen die Juden formiert. Weder der Mufti noch der Gründer der Muslimbrüder sind Kreationen des europäischen Faschismus gewesen. Doch wurden beide von diesem bestärkt. Wie ein großer Bruder hatte besonders der Nationalsozialismus die aufkeimende islamistische Bewegung als Stichwortgeber, ideeller Ansporn und Financier flankiert. Mit dem „Judenprozeß von Kairo“ hatten die Nazis ihren Antisemitismus nach Ägypten exportiert. Es waren die Vorbilder der Massenaufmärsche im Nationalsozialismus, nach denen die ägyptischen Bewegungen vom „Jungen Ägypten“ bis zu den Muslimbrüdern ihre Marschkolonnen in Bewegung setzten. Den Waffenlieferungen und Finanztransfers der Nazis war es schließlich zu verdanken, daß der Mufti seinen Aufstand in Palästina fortsetzen und al-Banna diesen Impuls für die Formierung seiner Djihad-Bewegung aufgreifen konnte. Zweitens wurde deutlich, daß die Zuspitzung des Palästinakonflikts keine „naturwüchsigen“ oder „historisch determinierten“ Ursachen hat, sondern das Resultat einer zielgerichteten Kampagne war und ist. Während der jüdische Fundamentalismus im zionistischen Projekt stets in der Minderheit
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blieb, setzte sich im arabischen Lager die von el-Husseini und al-Banna geführte antijüdisch-eliminatorische Fraktion in blutigen Kämpfen gegen ihre Widersacher durch. Ihr „heiliger Krieg“ zielte niemals auf Lebenschancen oder auf individuelles Glück, sondern diente einer „höheren“ Mission: Der Durchsetzung einer totalen religiösen Identität, die das Fremde ausmerzt und noch den Zögernden als Deserteur verfemt. Drittens ist darauf hinzuweisen, daß weder allein die Bruderschaft noch allein der Mufti die Entwicklung der Palästinafrage derart hätten prägen können, wie es durch die Banna-Husseini-Connection geschah. Ohne die Muslimbrüder wäre el-Husseini nach 1945 seiner Wirkungsmöglichkeiten beraubt gewesen, während sich al-Bannas Djihad unter den Nashashibis nur lächerlich gemacht hätte. In diesem historischen Bündnis wirkte al-Banna als ein kriegerischer Priester, der die Palästinafrage instrumentalisierte, um die islamische Welt für ein neues Kalifat zu vereinen, während der Mufti als weltgewandter Politiker agierte, der den Islam instrumentalisierte, um die „Befreiung“ Palästinas (und damit auch seine Machtposition) voranzubringen. Doch ausgerechnet der Religiöse repräsentierte das städtische Element mit einer Massenpolitik auf modernstem propagandistischen Niveau, während der Mufti für ländliche Bevölkerung, Clanverwurzelung und Bandenbildung stand. Es war dieses Zusammenspiel von ägyptisch-großstädtischen mit den palästinensischagrarischen Elementen, das der Banna-Husseini-Kooperation zu einer Ausstrahlung auf die gesamte arabische Welt verhalf. Es ist viertens bemerkenswert, daß sich seither der Zusammenhalt der arabischen Welt nicht über die Religion oder ein bestimmtes Verhältnis gegenüber Großbritannien und den USA, sondern über den Widerstand gegen den Zionismus respektive Israel definiert: der Haß auf die Juden wurde zur wichtigsten gemeinsamen Klammer. Es war nicht die britische Öl-, sondern die britische Palästinapolitik, die im Verhältnis zwischen arabischer und britischer Welt über Freundschaft oder Feindschaft entschied, so wie die USA heute nicht wegen
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ihrer Politik im IWF, sondern wegen der Unterstützung Israels kritisiert werden. Das Feindbild Israel hat darüber hinaus eine innenpolitische Funktion: Wann immer etwas schiefgeht, liegt es nicht am eigenen Regime, sondern am scheinbar übermächtigen Feind. Fünftens aber zeigt die Geschichte der Muslimbrüder, daß der sich revolutionär artikulierende Antisemitismus nicht nur eine Beigabe zum modernen Djihadismus darstellt, sondern dessen Kern ausmacht. In den frühen Aktivitäten der Bruderschaft war der Antisemitismus hauptsächlich als eine Struktur des Denkens und der Weltanschauung zu erkennen. Relativ beliebig wurden bestimmte Mächte oder Gruppen für den Abfall der Ägypter vom Glauben und für die Demütigungen der Moslems verantwortlich und zu Feinden erklärt: Kommunisten, der Westen, christliche Missionare, Hedonisten, Zionisten oder die Suez Canal Company. Wichtigstes Merkmal dieser Denkform war die Wut auf Differenz, die sich je nach Zuschreibung des zu verfolgenden Objekts entlud.133 Mit der Palästinakampagne der Brüder setzte 1936 eine zweite Etappe ein: Nun wurde der Hauptfeind im Juden identifiziert. Koranpassagen über die vorgebliche Minderwertigkeit von Juden wurden mit horriblen Gerüchten aus dem britischen Mandatsgebiet und Elementen des europäischen Antisemitismus vermengt und Kampfformen wie der „Judenboykott“ aus Deutschland adaptiert. 1945 wird die dritte Phase dominant. Nun wird aus pogromistischem Antisemitismus eine Weltverschwörungstheorie. Der Antiamerikanismus von Hassan al-Banna entstand mit der prozionistischen Parteinahme in den USA, für die er nur eine einzige Ursache kannte: „Jüdisches Gold“, „zionistischen Einfluß“ sowie die „vom Zionismus dominierte“ Meinungs- und Unterhaltungsindustrie. Auch die Palästinaaktivitäten der Vereinten Nationen waren für al-Banna lediglich „eine neue Erklärung des zionistischen Kreuzfahrerkrieges gegen die arabischen und islamischen Völker“. „Europäisches Kreuzfahrertum“ und Jüdisches Kreuzfahrertum“ wurden von nun an als synonyme Begriffe
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benutzt.134 Mit dieser Theorie der Weltverschwörung, die die Juden unmittelbar nach der Stillegung der Gaskammern zur weltbeherrschenden Macht stempeln sollte, erreichte die ideologische Annäherung der Muslimbrüder an den Nationalsozialismus ihren Höhepunkt. Mithin fand die in Deutschland seit dem 8. Mai 1945 unterdrückte Wahnidee in der arabischen Welt, in der die Muslimbrüder inzwischen über eine millionenstarke Anhängerschaft verfügten, ihr seither wirkungsmächtigstes Exil.
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II. Ägyptischer Islamismus von Nasser bis zur Gegenwart
Ist Amin el-Husseini, der 1974 gestorbene Mufti von Jerusalem, wieder auferstanden? Die Kommentare bedeutender ägyptischer Tageszeitungen legen diesen Eindruck nahe. „Hinsichtlich des Schwindels mit dem Holocaust haben viele französische Studien bewiesen, daß dies nichts als Fabrikation, Lüge und Betrug ist“, erklärt zum Beispiel der Kairoer Kolumnist Fatma Abdallah Mahmoud am 29. April 2002 und fährt fort: „Ich aber beschwere mich bei Hitler und erkläre ihm vom tiefsten Grunde meines Herzens: ,Wenn du es nur getan hättest, mein Bruder, wenn es doch nur wirklich geschehen wäre, so daß die Welt ohne ihr [der Juden] Übel und ihre Sünde erleichtert aufseufzen könnte.’“135 Diesen Herzenswunsch, endlich alle Juden vernichtet zu sehen, veröffentlichte die zweitgrößte Tageszeitung des Landes, die von der ägyptischen Regierung kontrollierte Al Akhbar. Nicht nur der Mufti, sondern auch Hassan al-Banna scheint im Ägypten der Gegenwart mitsamt seiner 1948er-Freiwilligenbewegung für den Djihad zurückgekehrt zu sein. So gaben die Muslimbrüder im März 2002 bekannt, daß sie klandestine Trainingsstätten für Djihad-Freiwillige eingerichtet hätten und Meldungen für Selbstmordeinsätze gegen Israel sich hoher Popularität erfreuten: Nur zwei Tage nach Beginn der Erfassung habe man bereits 2000 zum Selbstmord bereite Studenten auf der Liste gehabt. Einen Monat später konnte die neue Bewegung ihren ersten, von israelischen Soldaten erschossenen „Märtyrer für die palästinensische Sache“ feiern und Schulen zu dessen Andenken umbenennen. „In Ägypten haben die Islamisten die ideologische Führung übernommen“, konstatierte zutreffend die Frankfurter Allgemeine Zeitung.136 Ein solches Revival der 30er und 40er Jahre versteht sich
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nicht von selbst. Die damaligen Zeitumstände unterscheiden sich von den gegenwärtigen signifikant. Der Aufschwung des modernen Djihadismus fand im Kontext und mit der Rückendeckung des Nationalsozialismus statt. 1945 wurde dieser militärisch besiegt. Wieso aber ist der Islamismus so unbeschadet davon gekommen und im gegenwärtigen Ägypten ideologisch dominant? War es nicht der gefeierte Gamal Abdel Nasser, der die Islamisten erfolgreich unterdrückt und das Land seit Mitte der Fünfziger Jahre zum antiimperialistischen Vorbild der Blockfreienbewegung ausgebaut hatte? Wurde sein Nachfolger Anwar as-Sadat für den Friedensschluß mit Israel nicht mit dem Friedensnobelpreis geehrt? Und wird nicht stets der seit 1981 regierende Hosni Mubarak für seine Maßnahmen gegen den Islamismus gerühmt? Ägypten ist die einflußreichste Macht der arabischen Welt und das Land, von dem der moderne Djihadismus nicht nur seinen Ausgang nahm, sondern von hier wurden sämtliche Weiterentwicklungen des Djihadismus bis zur Gründung der al-Qaida entscheidend geprägt. Die folgenden Kapitel behandeln die Metamorphosen, die der ägyptische Islamismus seit 1948 durchlief. Die entscheidende Zäsur, die alle weiteren Entwicklungen bestimmte, fand 1967 statt. „Die historische Wende zugunsten des DjihadIslamismus trat mit dem dritten arabisch-israelischen Krieg, dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 ein“, konstatiert Bassam Tibi im Einklang mit der den Islamismus erforschenden Zunft.137 In der Tat! Die Niederlage der arabischen Armeen gegen Israel erwies sich als der historische Wendepunkt für die Durchsetzung der Djihad-Idee. Wie ist die Koinzidenz von Kriegsdebakel und Aufschwung des Islamismus zu erklären? Warum hatte nicht irgendeine andere, sondern gerade die islamistische Ideologie von der Niederlage gegen den jüdischen Staat profitiert? Fangen wir also mit Gamal Abdel Nasser und dessen Niederlage im Junikrieg an.
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Die Demütigung 1952 führte Gamal Abdel Nasser die Julirevolution der „Freien Offiziere“ an, die die Monarchie abschaffte, die Republik ausrief, die bestehenden Parteien auflöste und die alten Eliten entmachtete. Gemeinsam mit Pandit Nehru (Indien), Achmed Sukarno (Indonesien) und Josip Tito (Jugoslawien) gehörte er zu den Begründern des Blocks der nicht-paktgebundenen Staaten, die eine eigenständige Entwicklung unter Ausnutzung der Widersprüche zwischen Nato und Warschauer Pakt zum Ziel hatten. Zum antikolonialistischen Helden der arabischen Welt avancierte Nasser 1956, als er gegen britische und französische Widerstände den Suezkanal nationalisierte. Kurz darauf griff Israel im sogenannten Sinai-Krieg Ägypten an. Nahezu zeitgleich intervenierten französische und britische Truppen, um ihre Kontrolle über den Suezkanal wiederherzustellen.138 Wenn es auch keineswegs der Widerstand der ägyptischen Armee, sondern die ablehnende Haltung der USA und der Sowjetunion war, die einen raschen Rückzug der europäischen Mächte und Israels aus Ägypten erzwang, ging aus dieser Affäre allein Präsident Nasser als politischer Sieger hervor. 1967 fühlte sich Nasser politisch und militärisch stark genug, um nach dem Suezkanal auch den Golf von Akaba für israelische Schiffe zu sperren und seine Truppen auf dem Sinai zusammenzuziehen. Am 20. Mai 1967 verkündete Nasser im Kairoer Radio das Motiv dieser Aktionen: „Mit der Schließung des Golfes von Akaba steht Israel zwei Alternativen gegenüber, von denen jede es zerstören wird. Es wird entweder zu Tode gewürgt durch die arabische ökonomische Blockade, oder es wird vernichtet werden unter dem Feuer der arabischen militärischen Kräfte.“ „Unser hauptsächliches Ziel“, wiederholte Nasser sechs Tage später vor einer Versammlung arabischer Gewerkschaftler, „wird darin bestehen, Israel zu zerstören.“139 Israels Antwort auf die akute Bedrohung seiner Existenz ging als Sechstagekrieg in die Geschichte ein. Die israelische
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Armee konnte schon am ersten Tag die startbereite ägyptische Luftwaffe ausschalten und so den vereinten Streitkräften von Ägypten, Syrien und Jordanien eine verheerende Niederlage zufügen. Die psychologische Wirkung dieser Niederlage erklärt sich nicht nur aus der Tatsache, daß der Nasser’sche Nimbus der Unbesiegbarkeit im Junikrieg ebenso schmachvoll wie überraschend zusammenbrach. Weitaus entscheidender war der Umstand, daß es ausgerechnet die unter Muslimen als „verweichlicht“ und „feige“ verspotteten Juden waren, die die arabischen Armeen besiegten. Ein Blick auf die frühislamische Geschichte des 7. Jahrhunderts ist hilfreich, um zu verstehen, warum gerade gläubige Muslime den Sechstagekrieg als schier unerträgliche Demütigung wahrgenommen haben. In der christlichen Mythologie, die die antijüdischen Pogrome des Mittelalters anstachelte, waren Juden stets als dunkle und dämonische Macht dargestellt worden. Diese Zuschreibung hatte einen einfachen Grund: Da den Juden selbst der Mord am Gottessohn gelang, waren ihnen auch alle möglichen anderen Taten von kosmischer Bosheit zuzutrauen. All die Märchen von der jüdischen Weltverschwörung bauen auf dieser christlichen Anfangslegende auf. Das antijüdische Vorurteil der moslemischen Tradition geht demgegenüber von einer gänzlich anderen Erzählung aus, den Erfahrungen Muhammads mit den Juden in Medina. Hier hatten nicht die Juden den Gottessohn besiegt, hier ging der Prophet als klarer Sieger aus der Auseinandersetzung hervor. Im Jahre 622 sah sich Muhammad, da seine Anschauung in Mekka keine Unterstützung fand, zur sogenannten Hijra, der Übersiedlung nach Medina gezwungen. Von den Einwohnern Medinas, einschließlich der dort lebenden Juden, wurde seine Lehre zunächst übernommen. Später aber entwickelte sich aus einer theologischen Auseinandersetzung mit den Juden ein kriegerischer Konflikt, in welchem die Juden angeblich mit den polytheistischen Mekkanern gegen Muhammad paktierten. Nacheinander belagerte und überwältigte Muhammad nunmehr die drei jüdischen Stämme Medinas. Zwei von
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ihnen wurden vertrieben, die Männer des dritten aber getötet und ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft. Von dieser Auseinandersetzung ist das muslimische Judenbild bis heute in dreierlei Hinsicht geprägt. Erstens war seither der Islam den Juden noch etwas feindlicher gesonnen als den Christen. In den Worten des Korans (Sure 5.85): „Die Juden und die Polytheisten sind die schlimmsten Feinde der Gläubigen.“140 Zweitens wird die Vertreibung und Tötung der Juden von Medina von islamistischen Predigern seit 1967 als Vorbild der gegenüber Israel einzuschlagenden Politik zitiert. Und drittens hat die Leichtigkeit, mit der Muhammad die Juden angeblich überwinden und gehörig bestrafen konnte, deren Image als eine zwar feindliche, aber doch schwächliche Gruppe geprägt: Mehr Objekt der Lächerlichkeit, als Subjekt der Furcht. Diese beiden Faktoren - hier die Dominanzphantasie der Muslime, die auf der Überzeugung beruht, im Besitz der einzigen göttlichen Offenbarung zu sein, dort das speziell für die Juden reservierte Stereotyp der Feigheit und der Schwäche sind in Rechnung zu stellen, um den Schock zu ermessen, den der Sieg der israelischen Armee 1967 in der gesamten islamischen Welt auslöste. Das kollektive Gefühl einer grundlegenden Demütigung war immens und verlangte nach Schuldzuweisung und Deutung. Beides lieferte die Religion. Noch im Sommer 1967 traten in Kairo muslimische Religionsführer aus 33 Ländern zur „Vierten Konferenz der alAzhar-Akademie für Islam-Forschung“ zusammen, um über die Ursachen der Niederlage und den aus ihrer Sicht besonders schmerzhaften „Verlust“ von Jerusalem zu beraten. Die Schlußfolgerungen dieser autoritativen Versammlungen waren sonnenklar: Die Niederlage im Junikrieg galt dieser Versammlung als Beweis, daß Nassers „islamischer Sozialismus“ von Allah nicht gewollt und somit eine Erlösung von der Schmach nur durch eine erneute und verstärkte Hinwendung zum Glauben zu erreichen sei.141 Als Antwort auf die Frage, warum der Islamismus nach 1967 Dominanz gewann, reicht diese Wegweisung der reli-
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giösen Eliten jedoch nicht aus. Bis zum September 1970, dem Zeitpunkt seines Todes, blieb Nasser immerhin im Amt. Die Wende hin zum Islam hatte er selbst noch auf den Weg gebracht. Eine zweite Antwort findet sich in Nassers Biographie. Im folgenden geht es um diejenigen Schlüsselpunkte seines Lebens, die in den Hagiographien sowjetischer Provenienz stets sorgfältig ignoriert wurden: Nassers Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft etwa.
Genosse Bruder Nasser In den 30er Jahren wurde Nasser, Jahrgang 1918, politisch von der Bewegung „Junges Ägypten“ geprägt, die dem Nationalsozialismus nahe stand und deren Mitglied er war.142 Anfang der 40er Jahre war es der prominenteste Hitleranhänger in Ägypten, General Aziz al-Misri, der seine Karriere protegierte.143 Für diese Hilfe konnte Nasser sich später revanchieren: 1942 wurden auf Betreiben Großbritanniens Aziz al-Misri und der ägyptische Premier Ali Mahir wegen ihrer explizit prodeutschen Haltung abgesetzt. Zehn Jahre später waren jedoch beide durch den Putsch der „Freien Offiziere“ rehabilitiert: Während al Misri als der „geistige Vater“ der Julirevolution tituliert wurde, ernannten die Offiziere Ali Mahir zum neuen Premier.144 Der Führer der Muslimbrüder, Hassan al-Banna, war mit Aziz al-Misri befreundet und arrangierte 1940 zwischen ihm und Anwar as-Sadat, dem Freund und späteren Nachfolger Nassers, den Kontakt. 1941 wurde Sadat Mitglied in der Militärorganisation der Bruderschaft, 1943/44 stießen auch Nasser und weitere Offiziere hinzu. Zwischen 1944 und 1948 führten diese Offiziere wöchentliche Sitzungen mit dem Militärverantwortlichen der Muslimbrüder, Mahmud Labib, durch und beteiligten sich an der klandestinen militärischen Ausbildung von Freiwilligen für den 1947 in Palästina beginnenden Krieg. Zu Nassers Freundeskreis zählte auch Amin el-
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Husseini, der umtriebige Mufti von Jerusalem, den er darum bat, bei König Faruk für die Erlaubnis einer Teilnahme ägyptischer Offiziere an den Kämpfen in Palästina zu intervenieren: 1948 war Gamal Abdel Nasser Befehlshaber an der palästinensischen Front. Die Vorbereitungen auf den Militärputsch von 1952 fanden in engster Abstimmung mit den seit 1951 legalisierten Muslimbrüdern statt. So bot Nasser der Bruderschaft die vollständige Machtübertragung an - ein Plan, der jedoch aus Furcht vor einer britischen Militärintervention fallengelassen wurde. Noch am Vortage des Putsches bekräftigte Nasser den Treueeid, den er gegenüber den Muslimbrüdern geleistet hatte und versprach, die islamische Scharia-Rechtsprechung zumindest schrittweise einzuführen.145 Als am 22. Juli die Revolution der Freien Offiziere siegte, wurde dieser Coup zutreffend als ein Sieg der Muslimbrüder interpretiert. Immerhin hatten zehn der 14 Putschisten, die Ägypten nunmehr beherrschten, den Muslimbrüdern gegenüber ihre Loyalität erklärt. Die Sowjetunion verurteilte den Putsch zunächst als „faschistisch“ und die Junta als „reaktionäres und von den USA gesteuertes Regime“. Dem damals prominentesten Bruder, Sayyid Qutb, bot Nasser, wenn auch vergeblich, verschiedene hohe Regierungsämter an.146 Im Januar 1953 wurden unter dem Beifall der Muslimbrüder alle Parteien und Organisationen mit Ausnahme der Bruderschaft verboten. Schon bald begannen sich die Beziehungen zwischen der Bruderschaft und dem Revolutionsrat zu verfinstern. Die ikhwan stellten fest, daß Nasser der Stärkung säkularer Schulen und einer Landreform weitaus mehr Gewicht beimaß als der Einführung der Scharia. Darüber hinaus schloß Ägypten im März 1954 ein erstes Handelsabkommen mit der bei den Brüdern besonders verpönten Sowjetunion, dem weitere Abkommen folgten. Als im Oktober 1954 ein Muslimbruder ein Attentat auf Nasser verübte, war es mit den guten Bezie-
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hungen endgültig vorbei: Nun wurde auch die Bruderschaft verboten, Tausende ihrer Mitglieder inhaftiert und das ikhwanHauptquartier in Kairo in Brand gesteckt. Ende 1954 setzte die als al-mihna (= Heimsuchung) bezeichnete Phase der Geschichte der Muslimbrüder ein, die sich in den Gefängnissen und Folterkammern des Regimes abspielte und die für die Theorie und Praxis des Islamismus nicht ohne Wirkung blieb.147 Ungeachtet dieser Repressalien blieb Gamal Abdel Nasser den Muslimbrüdern in bestimmten weltanschaulichen Grundsätzen jedoch treu. Bevor sich der sowjetische Einfluß in Ägypten konsolidierte, hatten die neuen Herrscher Ägyptens aus ihren Nazisympathien keinen Hehl gemacht. Nicht zufallig war Ägypten das El Dorado großdeutscher Nazis, die in den fünfziger Jahren scharenweise ihre Wohnsitze dorthin verlegten. Und nicht aus humanitären Gründen, sondern aus politischen Überzeugungen wurden sie von den Freien Offizieren mit offenen Armen begrüßt. So veröffentlichte Anwar as-Sadat 1953, als das Gerücht umging, daß Hitler noch am Leben sei, eine Hommage auf den Führer: „Mein lieber Hitler“, hieß es darin, „ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen. Auch wenn Sie scheinbar besiegt worden sind, sind Sie in Wirklichkeit doch der Sieger... Sie dürfen stolz darauf sein, der unsterbliche Führer Deutschlands zu werden. Wir werden nicht überrascht sein, wenn wir Sie in Deutschland wieder hochkommen sehen oder wenn nach Ihnen ein neuer Hitler aufsteigt.“148 Mit Sympathiebekundungen für Hitler hielt sich Nasser schon aus Rücksicht auf seine sowjetischen Freunde zurück. Anders sah es mit seiner Besessenheit gegenüber Israel und den Juden aus. Bernard Lewis hat in seiner Studie über den arabischen Antisemitismus die enorme Verbreitung und Beliebtheit der antisemitischen Schmähschrift Die Protokolle der Weisen von Zion in der arabischen Welt dargestellt. Er betont zugleich, daß „zu Lebzeiten Präsident Nassers ... die Hauptquelle solcher Propaganda Ägypten war“.149
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1957 hatte Nasser erstmals auch öffentlich für die Lektüre der Protokolle der Weisen von Zion geworben. Dieser Text, so der Staatspräsident, „beweist wider jeden Zweifel, daß dreihundert Zionisten, die sich alle untereinander kennen, das Geschick des europäischen Kontinents bestimmen.“ Später wurden die Protokolle von hohen Regierungsbeamten in offiziösen Zeitschriften angepriesen und halbamtliche Broschüren mit dem „Nachweis“ veröffentlicht, daß die Vereinigten Staaten in Wirklichkeit eine Dependance von Israel seien.150 Ebenso wie die Muslimbrüder erkannte auch Nasser die Realität des Holocaust nicht an. In einem Interview, das die Deutsche Nationalzeitung am 1. Mai 1964 veröffentlichte, betonte er, daß „während des Zweiten Weltkriegs unsere Sympathien den Deutschen gehörten“ und fuhr dann fort: „Die Lüge von den sechs Millionen ermordeten Juden wird von niemandem ernst genommen.“151 Offenkundig gingen Nassers Antiimperialismus und seine Beziehungen zur Sowjetunion mit seinem Antisemitismus und seiner Leugnung des Holocaust bis 1967 außerordentlich gut zusammen.152 Doch erst nach der Niederlage von 1967 bestimmte der Umstand, daß Nasser seine Karriere als Muslimbruder begann, erneut auch seine Politik. Die Schlußfolgerungen, die Nasser aus der Niederlage seiner Streitkräfte zog, folgten seiner antijüdischen und verschwörungstheoretischen Obsession. Schlußfolgerung Nr. 1: Die Araber seien nicht von den israelischen Streitkräften besiegt worden, sondern in Wirklichkeit das Opfer der vom Weltjudentum eingespannten Großmächte gewesen. „Es wurde von Anfang an sehr klar“, gab Nasser schon am 9. Juni 1967 bekannt, „daß hinter dem Feind andere Mächte standen... Wir sind die Opfer ... einer politischen Täuschung, weil wir uns nicht vorstellen konnten, daß eine größere Macht selbst involviert sein würde.“ Schlußfolgerung Nr. 2: Auf in den nächsten Krieg! Noch im Sommer 1967 bot die israelische Regierung bei Abschluß eines Friedensvertrages die Rückgabe der von ihr besetzten Gebiete an. Diesem Angebot wurde am 1. September 1967 mit
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dem arabischen Gipfel von Khartoum ein dreifaches „Nein“ entgegengesetzt: Nein zum Frieden mit Israel, Nein zur Anerkennung Israels, Nein zu Verhandlungen mit Israel. Stattdessen wurden neue Kriegsvorbereitungen forciert. Nasser am 23. Juli 1968: „Das Leben wird für uns bedeutungslos und wertlos sein, bevor nicht jeder Fußbreit arabischen Bodens befreit ist... Der Kampf gegen den Feind muß Priorität über alles sonstige haben.“ Schlußfolgerung Nr. 3: Gott habe die Araber mit dieser Niederlage bestraft, weil sie vom rechten Pfade abgewichen sind. Nasser am 23. Juli 1967: „Vielleicht wollte der allmächtige Gott eine Lektion erteilen, um ... unsere Seelen von den Makeln zu reinigen, die uns ergriffen haben und von den Mängeln, die wir beim Bau unserer neuen Gesellschaft vermeiden müssen.“153 Es war Nasser selbst, der nach dem Junikrieg unerwartet in eine islamische Rhetorik verfiel und die bis in die Gegenwart reichende religiöse Wende einzuleiten begann. Unter Nasser wurden die ägyptischen Militärs mit Lehrmaterial über die Bedeutung des Djihad und die von Muhammad einst geführten Kämpfe eingedeckt. Unter Nasser wurden die staatlich kontrollierten Medien dazu gedrängt, den Islam in den Mittelpunkt ihrer Sendungen zu rücken und eine ausschließlich den Koran rezitierende Rundfunkstation in Betrieb genommen. Unter Nasser wurden im April 1968 einige hundert Muslimbrüder amnestiert und erstmals die Trennung von muslimischen und christlichen Kindern in den Schulen durchgesetzt.154 Nasser reagierte auf die Veränderungen seinerpolitischen Umgebung stets wie ein Chamäleon, wobei die dominanten Färbungen - Faschismus, Antiimperialismus und Islamismus - im Programm der Muslimbrüder bereits enthalten waren. „Die historische Wende zugunsten des Djihad-Islamismus“, von der Bassam Tibi spricht, ist somit auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens auf die Demütigung, die die Niederlage der arabischen Armeen auslöste, sowie zweitens auf Nassers Deutung dieser Krise, der sich auf seine islamistischen
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Wurzeln zurückbesann und in die von el-Husseini und alBanna vorbereitete Kerbe schlug. Gamal Abdul Nasser starb 1970 noch einen natürlichen Tod. Sein Nachfolger Anwar asSadat wurde 1981 von Islamisten ermordet. Zwischen diesen beiden Daten veränderte sich das Land erneut.
Islamismus unter Sadat Als Nasser starb, waren 15 000 sowjetische Berater und militärische Fachkräfte in Ägypten stationiert.155 Sadat komplimentierte diese zügig in ihre Heimat zurück und öffnete die ägyptischen Märkte für das internationale Kapital. Der private Sektor wurde gefördert und die Landreform schrittweise rückgängig gemacht. Die sozialen Widersprüche verschärften sich. 1974 stieg die Inflationsrate auf 24 Prozent. Permanente Versorgungsschwierigkeiten, steigende Lebenshaltungskosten, Wohnungsnot, hohe Arbeitslosigkeit sowie mangelnde Arbeitsmöglichkeiten für Hochschulabsolventen, und im Kontrast dazu eine neue Bourgeoisie, die bei der Zurschaustellung ihres Reichtums nicht gerade Feingefühl bewies, provozierten Unruhen und lösten Revolten wie die spontane „Brotrevolte“ Anfang 1977 aus.156 Um derartige Proteste gegen seine neue ökonomische Politik in religiöse Fahrwasser zu kanalisieren, forcierte Anwar as-Sadat die von Nasser eingeleitete Wende zum Islam mit aller Kraft. In den Fabriken etablierte seine Regierung Hunderte islamischer Vereinigungen, um den atheistischen Marxismus zu bekämpfen. An den Universitäten wurden islamistische Gruppen gefördert, um gegenüber den sozialistischen und kommunistischen Gruppen ein, wie er glaubte, besser kontrollierbares Gegengewicht zu etablieren. Nationalismus und Panarabismus wurden auf allen Ebenen durch die Rückbesinnung auf den Islam und den universalistischen umma-Gedanken ersetzt.157
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Sadat verfügte, daß die staatsbetriebenen Rundfunk- und Fernsehstationen, Medien also, die auch die Masse der Analphabeten erreichten, fünfmal täglich die Gebete sendeten und auch den sonstigen religiösen Programmen breiten Raum widmeten.158 Am laufenden Band ließ er neue Moscheen aus dem Boden stampfen: Innerhalb seiner elfjährigen Regierungszeit verdoppelte sich ihre Anzahl von 20 000 (1970) auf 46 000 (1981), wobei von den letztgenannten nur 6000 der staatlichen Kontrolle unterlagen.159 Am 11. September 1971, genau dreißig Jahre vor den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, wurde in der ägyptischen Verfassung festgeschrieben, daß „die Prinzipien der Scharia“ künftig als „eine Hauptquelle der Gesetzgebung“ zu berücksichtigen seien. 1980 wurde der unbestimmte Artikel durch den bestimmten ersetzt, so daß seither die Scharia nicht „eine“, sondern „die“ Hauptquelle der ägyptischen Gesetzgebung ist.160 Gezielt wurde speziell der Islamismus der Muslimbrüder zu neuer Blüte gebracht: Im Sommer 1971 bot Sadat den Exilgruppen der Muslimbrüder jede Garantie für ein freies Leben in Ägypten an. Zwischen 1973 und 1975 wurden alle in Ägypten inhaftierten Muslimbrüder auf freien Fuß gesetzt, eine Maßnahme, die in der gesamten arabischen Welt für Aufsehen sorgte.161 Bis zu seiner Reise nach Jerusalem 1977 blieb somit das Verhältnis zwischen Sadat und den Islamisten, die sich vergleichsweise frei entfalten konnten, von „vollkommener Harmonie“ geprägt.162 Unter Sadat entwickelte sich die Studentenschaft zum wichtigsten Träger einer neuen islamistischen Bewegung: Ab Mitte der 70er Jahre waren sämtliche Studentenvertretungen der Universitäten Ägyptens von den radikalislamistischen Gruppen dominiert.163 Als bedeutendste Organisation etablierte sich die von dem ehemaligen Muslimbruder Sukri Mustafa 1973 gegründete gama‘at al-muslimin (= Islamische Gemeinschaften). Mustafas Entwicklung ist exemplarisch für den radikalisierten Teil seiner Generation: 1942 geboren, wurde er im Alter
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von 23 Jahren als Aktivist der Muslimbrüder erstmals festgenommen und 1971 unter Sadat amnestiert. Zwischenzeitlich hatte in den Gefangenenlagern des Nasser-Regimes eine umfangreiche Theoriediskussion unter den inhaftieren Muslimbrüdern stattgefunden. In diesen Debatten bildeten sich unter dem Einfluß des (noch zu behandelnden) Qutbschen Gedankenguts neue radikalislamistische Gruppen, denen die Politik der Muslimbrüder zu reformistisch war. Diese Zusammenschlüsse, von denen die gama‘at nur eine war, sahen nicht nur die jeweiligen Staatsführungen, sondern die gesamte ägyptische Gesellschaft in einen Zustand heilloser Ungläubigkeit versetzt. Diese Einschätzung resultierte nicht zuletzt aus ihrer konkreten Situation: Konnten die Folterknechte, denen sie ausgesetzt waren, wirklich Muslime sein? Konnte ein Herrscher wie Nasser, der ihnen die Folterbefehle gab, Muslim sein? Waren nicht auch alle diejenigen, die diesen ungläubigen Führern Gefolgschaft leisteten, in Wirklichkeit vom Glauben längst abgefallen? In der Konsequenz dieser Überlegungen sonderte sich ein Teil der Gruppen hermetisch von allen Einflüssen der Außenwelt ab, um islamistische Gegengesellschaften der wahrhaft Gläubigen zu etablieren. Andere betrieben Islamismuswerbung an den Universitäten, indem sie geschickt bestimmte Angebote bedarfsorientierter Dienstleistungen mit religiöser Agitation verbanden. So wurde den Studentinnen das „islamische Gewand“ (Schleier, langer weiter Mantel und Handschuhe) aufgrund von Zuschüssen, deren Herkunft unklar blieb, zu Schleuderpreisen angeboten und gleichzeitig die massenhafte Anlegung des Schleiers als Ausdruck von Widerstand gegen die westliche Zivilisation romantisiert. So durften Kommilitoninnen, sofern sie den Schleier trugen, Transportmittel nur für Frauen unentgeltlich Anspruch nehmen. Zunehmend wurde aber auch in den Bankreihen der Hörsäle die Geschlechtertrennung eingeführt.164 Wer in diesen Gepflogenheiten die Multikulti-Version einer faszinierend-widerspenstigen Weltsicht erblicken will,
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wird ihrer inhaltlichen Tragweite nicht gerecht. Es ist für säkularisierte und an den Postulaten der Aufklärung sozialisierte Menschen nicht einfach, die sonderbaren Prämissen des orthodoxen Islam nachzuvollziehen. Diese Anstrengung muß aber unternehmen, wer die beunruhigende Bedeutung erkennen will, die die massenhafte Verankerung des Islamismus an ägyptischen Universitäten bis heute hat. Einheit und Unterwerfung Zunächst zur Klärung der Begrifflichkeiten: Der orthodoxe Islam unterscheidet sich vom reformerischen Islam durch die Antwort auf die Frage, ob die alte Religion neu interpretiert oder lediglich erneut angewandt werden muß. Während säkularisierte Muslime die islamische Orthodoxie historisieren, sie also in ihren geschichtlichen Kontext stellen und sich ihrer lückenlosen Übertragung auf die Verhältnisse der Gegenwart widersetzen, wird sie von Islamisten wörtlich genommen und zwecks Lösung aller gegenwärtigen Probleme adaptiert.165 Zwischen dem Islamismus und dem orthodoxen Islam gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Weitgehend einig ist man sich beispielsweise über den Inhalt des Glaubens und die Formen des religiösen Rituals. Auf letzteres legen Islamisten jedoch nicht allzu großen Wert, da etwas anderes ihnen wichtiger erscheint: der bewaffnete Kampf gegen den Ungläubigen, der Djihad in seiner militanten, alle Fortschritte der Waffentechnik berücksichtigenden Form. Während Djihadismus und Islamismus Synonyme sind, liegt der Unterschied zwischen orthodoxen Gläubigen und Islamisten hauptsächlich in der Konsequenz, die aus dem Glaubensbekenntnis gezogen wird: Die Übergänge sind fließend.166 Wodurch zeichnet sich nun die gemeinsame Weltanschauung von Islamisten und islamisch Orthodoxen aus? Die erste und wichtigste Prämisse betrifft die Erkenntnislehre des Islam. Schon die ziemlich banale Erkenntnis, daß
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menschliche Vernunft die grundlegende Quelle für Wissen und wissenschaftlichen Fortschritt sei, gilt orthodoxen Muslimen als Sakrileg. Ihrer Doktrin zufolge ist der Mensch außerstande, Wissen zu produzieren. In seinem Streben nach Wissen sei ihm deshalb nur eines vergönnt: durch das Studium der heiligen Texte Gottes Willen - als umfassendes Wissen genauer zu erforschen, um sein Handeln damit in Übereinstimmung zu bringen. Gottesglauben und Wissenschaft bilden eine Einheit, da die Vertiefung der Kenntnisse nichts anderes als die immer bessere Deutung der von Gott gegebenen Zeichen sei.167 Die auf Zweifel und individuelle Erkenntnis basierende westliche Wissenschaft komme an dieses „Wissen“ nicht heran. Im Gegenteil! Ihr Fehler bestehe gerade darin, daß sie „die Sicht der Welt spalte“, während allein der „islamische tawhid (Theozentrismus) die Einheit des von Gott beherrschten Kosmos wieder her (stellt)“.168 Der „westliche Imperialismus“ wird deshalb weniger als ökonomischer oder politischer Angriff, sondern in erster Linie als „intellektuelle Invasion“ in die Welt des Islam wahrgenommen. In den Worten des Islamisten al-Attas: „Die heutige Herausforderung durch die westliche Zivilisation... ist die Herausforderung durch Wissen ..., das Skeptizismus ... hervorbringt, das Zweifeln und Vermuten zu ‚wissenschaftlichem Rang’ in der Methodologie erhoben hat.“169 Das vorrangige Ziel des akademischen Islamismus besteht darin, die Wissenschaften zu „entwestlichen“, das heißt sie vom Prinzip des Zweifels und der Vermutung zu lösen. Dies erklärt die Schärfe der Angriffe, denen sich 1969 der aus Damaskus stammende Philosoph Sadik al-Asm mit seinem Buch Kritik des religiösen Diskurses ausgesetzt sah. Die darin enthaltene Behauptung, die menschliche Vernunft sei die Quelle des Wissens, weshalb „die wissenschaftliche Methode in vollständigem Widerspruch zur religiösen Methode steht“, brachte dem Buch ein Verbot und dem Autor einen Gefängnisaufenthalt sowie den Verlust seiner Professur an der American University of Beirut ein. Während 1969 hiergegen noch
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öffentliche Proteste laut geworden waren, war zwanzig Jahre später, so Bassam Tibi, „ein solcher Protest nicht mehr denkbar. Der islamische Fundamentalismus ist zum Hauptmerkmal des öffentlichen Lebens im Nahen Osten geworden. Die zitierte Schrift al-Asms wurde zum Ziel zahlreicher Schmähschriften in arabischer Sprache, die bis heute zirkulieren.“170 Diese Absage an die menschliche Vernunft wirkt sich notwendig auch auf das Verständnis von Herrschaft aus. Schon das Wort Islam bedeutet „Unterwerfung“, verstanden als Unterwerfung unter Gott. Wenn der Mensch durch Vernunft schon kein Wissen erlangen kann, ist er noch weniger dazu fähig, sein eigenes Schicksal zu formen und zu bestimmen. Während die säkulare Antwort auf die Frage: „Kann der Mensch sich selbst regieren“ positiv ausfällt, wird sie als islamistische a priori verneint: Nur Gott kann regieren, nur Gott ist der Souverän. Sein Stellvertreter auf Erden aber ist der Kalif, dessen künftige Herrschaft für Islamisten außer Frage steht. „Der Islamische Staat, der durch den Kalifen verkörpert wird, ... ist weder demokratisch, noch ist er diktatorisch aufgebaut“, schrieb exemplarisch die in der Bundesrepublik verbreitete islamistische Zeitschrift explizit. „Der Aufbau dieses Staates ... ist nicht irgendwann von Muslimen ‚erfunden’ worden, so daß man sagen könnte, diese Staatsform sei für uns nicht bindend, da sie ja nur von fehlbaren Menschen stammt, vielmehr geht jede dieser Institutionen in ihrer Grundlage auf eine Handlung des Propheten zurück. Deshalb ist diese Staatsstruktur in ihrem Wesen für uns nicht frei wählbar, sondern stellt ein islamisches Gebot dar, das in dieser Form von uns erfüllt werden muß.“171 Die dritte Prämisse des Islamismus ist sein Prinzip der Dominanz. Seine Absage an individuelle Selbstbestimmung und kritische Vernunft basiert auf der Überzeugung, schon im Besitz eines vollständigen und abgeschlossenen Wissens zu sein. Im Unterschied zu anderen Tendenzen im Islam gehen Islamisten deshalb davon aus, daß nur ihre Sicht der Welt zur Vorherrschaft bestimmt sei. „Es gehört zur Natur des Islam“,
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erklärte der Gründer der Muslimbrüder, Hassan al-Banna, „daß er dominiert, anstatt dominiert zu werden, daß er sein Gesetz auf alle Nationen ausdehnt und seine Macht auf den gesamten Planeten.“172 Ähnlich formulierte es sechzig Jahre später Suleiman Abu Gheith, der Sprecher der al-Qaida in seiner Stellungnahme „Why We Fight America“. Wie könne ein Muslim nur all die Demütigungen akzeptieren, fragte Gheith, wo er doch wisse, „daß seine Nation erschaffen wurde, um im Zentrum der Führung und im Zentrum von Hegemonie und Herrschaft... zu stehen“, wo er doch wisse, „daß es Gottes Wille ist, daß die gesamte Erde der Religion Gottes unterworfen sein muß.“173 Vom Dominanzprinzip wird das Verhältnis gegenüber allen anderen Religionsgruppen und Ländern definiert. Für Islamisten ist die Welt bis heute in zwei Sphären aufgeteilt: die Welt des Dar al-Islam (Haus des Islam) und die Welt des Dar alharb (Haus des Krieges), in welcher der Unglaube herrscht. Diese Zweiteilung wird bestenfalls vorübergehend durch den Begriff Dar al-ahd (Haus des Vertrags) relativiert, der die stets nur für eine Übergangszeit mögliche Koexistenz beider Sphären sichert. So zielt die technologische Zusammenarbeit mit den Ungläubigen des Dar al-harb nicht darauf ab, jene Koexistenz zu stabilisieren, sondern, so der Islamist Hasan alScharqawi, unser „Ziel ist es zu lernen, wie man moderne Waffen anwendet und mehr als das, wie man sie produziert und weiterentwickelt, damit wir unsere Feinde schlagen können.“174 Die Zweiteilung der Welt in eine islamische und eine nichtislamische erklärt teilweise den Haß der orthodoxen Muslime auf Israel: Seit 1948 sieht sich die islamische Gemeinde erstmals mit dem Tatbestand eines jüdischen Staates inmitten des Dar al-Islam konfrontiert. Für viele Muslime wiederholt sich damit in einer zeitgenössischen Variante der frühislamische Antagonismus zwischen Muhammad und den Juden, weshalb sich ihnen die Vertreibung und Tötung der Juden im 7. Jahrhundert als das Vorbild für die heute gegenüber Israel einzu-
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schlagende Politik präsentiert. Der radikalste und zugleich populärste Ideologe dieser djihadistischen Idee ist Sayyid Qutb, dessen Ideologie nur zwei gesellschaftliche Formationen kennt: Die Welt des Islam und die der Barbarei.
Sayyid Qutb Der Aufstieg des Islamismus seit 1967 ist untrennbar mit der Verbreitung der Schriften des ägyptischen Muslimbruders Sayyid Qutb (sprich: Kutup) verbunden. Seine Schriften werden zwischen Marokko und Mindanao gelesen und wurden in fast alle Sprachen der islamischen Welt übersetzt. „Aufgrund meiner Beobachtungen in der Welt des Islam“, schreibt Bassam Tibi, „kann ich feststellen, daß militante Fundamentalisten mit den Hauptschriften Sayyid Qutbs weit vertrauter sind, als mit dem Korantext selbst. Oft kennen sie nur die von Qutb selektiv zitierten Koranstellen.“ Man könne Qutbs Schriften hinsichtlich ihrer Verbreitung und ihres Einflusses „ohne Übertreibung mit dem Kommunistischen Manifest in der Zeit der frühen Arbeiterbewegung in Europa“ vergleichen.175 Sayyid Qutb wurde 1906 geboren. Sein Vater war ein säkular-nationalistischer Aktivist. Auf diesen Spuren folgte ihm zunächst auch der Sohn, der 16 Jahre im ägyptischen Ministerium für Erziehung tätig war und sich zwischen 1939 und 1947 insbesondere als Literaturkritiker der führenden ägyptischen Kulturzeitschrift Al-Risalah einen Namen machte. Es war beispielsweise Qutb, der 1945 den späteren ägyptischen Nobelpreisträger für Literatur, Najib Mahfuz, entdeckte.176 Erst in den 40er Jahren wandte sich Qutb dem Koran zu, teils wegen dessen literarischer Qualität, teils um in persönlicher Hinsicht Trost und „festen Boden“ zu finden. Probleme hatte Qutb besonders mit Frauen. Nachdem 1940 die von ihm verehrte Mutter gestorben war, flüchtete er sich zunächst in eine Liebesbeziehung und dann, nach ihrem Scheitern, in den Ko-
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ran.177 Sein zuvor schon ausgeprägter Moralismus, der von einer Abneigung gegen alles „städtische“ geprägt war, steigerte sich nun zum Haß gegen jede „lasterhafte“ Sinnlichkeit. So polemisierte er gegen das „krankhafte Singen“ in Rundfunksendungen, da dies den Stolz und die Moral Ägyptens untergrabe. Er regte Zensureinrichtungen und die Gründung öffentlicher Komitees an, um dieses „Gift“ zu eliminieren. Besonders entsetzten ihn „obszöne Filme“, lockere Sitten sowie die Sparsamkeit der weiblichen Bademode an den Stränden von Alexandria. „Wie ich diese europäische Zivilisation hasse und verachte“, schrieb er 1946 in Al-Risalah, „ihren Glamour, ihren Lärm und ihre sinnliche Vergnügungen, in denen die Seele erstickt und das Bewußtsein abstirbt, während die Instinkte und Sinne berauscht, aggressiv gemacht und erregt werden.“178 1949 wurde Qutb im Auftrag seines Ministeriums für zweieinhalb Jahre in die Vereinigten Staaten geschickt, wo seine Obsessionen sich noch steigerten. Unmittelbar nach seiner Rückkehr trat er 1951 in die Muslimbruderschaft ein und stieg 1952 in deren Führungszirkel auf. In dieser Funktion pflegte er mit Nasser und anderen Verantwortlichen der Freien Offiziere engen Kontakt. 1954 wurde Qutb Herausgeber der Tageszeitung der Bruderschaft, die nach dem Attentat auf Nasser im Oktober 1954 jedoch verboten wurde. 1955 wurde Qutb zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und hinter Gefängnismauern gefoltert. 1964 begnadigt, rückte er unverzüglich an die Spitze einer Geheimbewegung zur Reorganisierung der Bruderschaft. Nach wenigen Monaten - inzwischen war sein im Gefängnis verfaßtes Buch Wegmarken erschienen - wurde er erneut festgenommen, unter Berufung auf sein Buch wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und 1966 gemeinsam mit zwei weiteren Muslimbrüdern hingerichtet.179 Wodurch zeichnet sich Qutbs neue Lehre aus? Wenn Hassan al-Banna ein radikaler Reformer war, dann war Sayyid Qutb der Revolutionär. Qutbs Schriften machen aus frommen Moslems selbstbewußte Soldaten, die freudig den Krieg gegen die Feinde des Islam zu ihrer Lebensaufgabe
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machen. Sein Programm zielt nicht auf Erziehungsarbeit und Kompromiß, sondern auf radikale Abkehr von der gottlosen Gesellschaft und Orientierung auf die islamische Weltrevolution. Qutbs Botschaft ist einfach und schematisch: Die Freiheit der Menschen bestehe darin, die in der Scharia verfestigte Gottesordnung zu leben. Gerechtigkeit ist, was die Scharia vorschreibe, während Tyrannei überall dort herrsche, wo Allahs Souveränität verdrängt worden sei.180 Qutbs Schlüsselbegriff ist deshalb die jahiliyya. Dieses Wort kennzeichnet die vorislamische Barbarei und Ignoranz, die vor Ankunft des Propheten auf der Erde geherrscht haben soll. Das Eindringen westlicher Kultur habe, so Qutb, auch die muslimische Zivilisation in jene vorreligiöse Barbarei zurückgeworfen, die unter den Beduinenstämmen vor Muhammad geherrscht habe und durch soziales Chaos, sexuelle Freizügigkeit, Polytheismus, Ungläubigkeit und Götzendienst, kurz: durch Willkür statt göttlicher Bestimmung gekennzeichnet gewesen sei. Wie seinerzeit Muhammad seine hijra genannte Auswanderung aus dem ungläubigen Mekka vollziehen mußte, um anschließend gestärkt zurückkehren und die jahiliyya-Gesellschaft in Mekka vernichten zu können, so betonte auch Qutb die Notwendigkeit einer neuen hijra als Vorstufe zum heiligen, blutigen Krieg. Mit dieser jahiliyya-Erklärung beschuldigte Qutb die Machthaber der islamischen Welt der Apostasie, des Abtrünnigwerdens vom Glauben. Für Apostaten ist im Islam die Todesstrafe vorgesehen und darauf, diese Strafe zu vollstrekken, kam es Qutb auch an. Gleichzeitig aber kündet sein jahiliyya-Verdikt von der sicheren Erwartung einer befreiten und gerechten Welt, die nur durch den bewaffneten Kampf herbeigeführt werden kann und deren verheißungsvolle Qualität noch jeden Märtyrertod zu rechtfertigen scheint. Für Qutb war der gottverlassene Zustand der Welt die letzte Stufe in der Vorgeschichte eines sozialen und gerechten Gottesreiches, wie es bisher wohl am ehesten noch unter den iranischen Mullahs oder den Taliban zur Geltung kam.
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Wer aber wird bei Qutb als der Widersacher jener Gottesherrschaft und als Todfeind jedes Gläubigen ausgemacht? Ist es der sich als Muslim gebende Apostat in Kairo, in Bagdad oder in Ankara? Sind es die Vertreter der britischen und USamerikanischen Regierung in Ägypten? Keineswegs. Wie für alle modernen Djihadisten gab es auch für Qutb nur den einen ewigen Feind. In seinem 1950 verfaßten Essay Unser Kampf mit den Juden, der 1970 von der Regierung SaudiArabiens nachgedruckt und in der gesamten islamischen Welt verbreitet wurde, werden die Juden nicht nur als die ewigen Widersacher des Islam seit Muhammad, sondern zugleich als die Drahtzieher aller Widersprüche innerhalb der islamischen Nation an den Pranger gestellt.181 In diesem Schlüsseltext wird ein originär islamischer Judenhaß mit den verschwörungstheoretischen Elementen des europäischen Antisemitismus geradezu perfekt zu einem beispiellosen Machwerk synthetisiert. Im ersten Teil seines Textes greift Qutb auf die Rolle zurück, die die Juden angeblich in den frühislamischen Auseinandersetzungen gespielt haben sollen. „Von ihrem ersten Tag an waren Juden die Feinde der muslimischen Gemeinschaft“, schreibt Qutb und fahrt fort: „Der erbitterte Krieg, den die Juden gegen den Islam angezettelt haben, ist ein Krieg, der in beinahe 14 Jahrhunderten nicht für einen einzigen Moment unterbrochen worden ist und der sich bis zu diesem Moment fortsetzt und sein Feuer in allen Ecken dieser Erde auflodern läßt.“ Qutb stellt hier alle historischen Realitäten auf den Kopf, um mit umso größerem Aplomb die kurz vor Abfassung seines Essays erfolgte Gründung Israels skandalisieren zu können. Im zweiten Teil wird die Wahnidee von der jüdischen Weltverschwörung in grellen Farben neu ausgemalt. „In der jüngsten Ära sind Juden an jedem Punkt dieser Erde die Drahtzieher des Kampfes gegen den Islam geworden“, behauptet Qutb und fahrt fort: „Die Juden benutzen auch das Christentum und die Götzenverehrung in diesem umfassenden Krieg... Sie greifen jede Grundlage dieser Religion in einem kreuzfahrerisch-
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zionistischen Krieg an!!“ Fünf Jahre nach Abbruch der Shoah wurden damit Juden bei Qutb als diejenigen dämonisiert, die weltweit das Christentum dominieren und für eigene Ambitionen instrumentalisieren. In Qutbs Phantasie sind nicht nur alle Juden böse, sondern alles Böse ist jüdisch. Als ganz besonders böse gelten ihm aber Sinnlichkeit und Sexualität. Qutb in Anspielung auf Karl Marx, Sigmund Freud sowie Emile Durkheim: „Hinter der Doktrin des atheistischen Materialismus steckte ein Jude; hinter der Doktrin der animalistischen Sexualität steckte ein Jude; und hinter der Zerstörung der Familie und der Erschütterung der heiligen gesellschaftlichen Beziehungen steckt ebenfalls ein Jude... Die Juden befreien die sinnlichen Begierden von ihren Beschränkungen und sie zerstören die moralische Grundlage, auf der der reine Glauben basiert. Sie tun dies, damit der Glaube in eben jenen Dreck gezogen wird, den sie so reichlich auf dieser Erde verbreiten.“ Mit besonderem Haß werden all jene muslimischen Führer bedacht, die auch nur ein Jota von der reinen Lehre der Scharia und des Korans abgewichen sind. Derartige Kreaturen könnten aus objektiven Gründen, so Qutb, nur eines sein: die Agenten Zions. „Die mehrere Dutzend Persönlichkeiten, die der muslimischen Gemeinschaft als ,Helden’ angedreht worden sind, wurden vom Zionismus geschaffen, damit diese ,Helden’ für die Feinde des Islam eben das erledigen, was diese Feinde nicht selbst öffentlich erreichen können... Jeder, der diese Gemeinschaft von seiner Religion und seiner heiligen Schrift wegführt, kann nur ein jüdischer Agent sein, ob er dies nun bewußt oder unbewußt, willentlich oder unwillentlich tut.“ Wenn jene „Agenten“ aber das Gegenteil des ihnen von Qutb Unterstellten praktizieren, so handelt es sich um einen besonders infamen Trick: Nicht nur, daß „der Jude“ die islamische Gemeinschaft „über die Realität ihrer Feinde und deren ultimative Ziele täuscht“. Auch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit ist von arglistiger Täuschung geprägt. „Die heutigen
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Agenten des Zionismus ... stimmen mit jedem anderen in einer Hinsicht überein...: die Zerstörung des islamischen Glaubens bei der ersten vielversprechenden Gelegenheit... Diesen jüdischen Konsens wird man niemals in einem Vertrag oder auf einer offenen Konferenz ausgesprochen finden. Sondern es handelt sich um die heimliche Übereinstimmung zwischen dem einen Agenten und dem anderen im Hinblick auf dieses wichtige Ziel.“ Qutbs überbordende Judeophobie hat ebenso wie seine These von der jahiliyya-Welt das Denken und Handeln der ihm folgenden islamistischen Bewegungen maßgeblich geprägt. Der von al-Banna und den frühen Muslimbrüdern propagierte Djihad war auf das zionistische Projekt in Palästina konzentriert. Die Djihad-Bewegungen der 80er Jahre folgten der Qutbschen Linie und suchten ihre Ziele in Ägypten selbst. Djihad gegen die Muslime 1977 brach Ägyptens Staatspräsident Anwar as-Sadat überraschend den Bann. Am 19. November sprach er als erster arabischer Politiker vor der Knesset, dem israelischen Parlament. Es folgten Verhandlungen in Camp David, die 1979 zu einem Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel führten. Was Tel Aviv seit 1967 für den Fall einer Normalisierung der Beziehungen angekündigt hatte, wurde jetzt realisiert: Mit der Sinai-Halbinsel räumte Israel 90 Prozent der 1967 besetzten Gebiete.182 Dieser Frieden mit Israel kostete Anwar as-Sadat zwei Jahre später das Leben: Am 6. Oktober 1981 wurde er von einem Kommandotrupp der ägyptischen Organisation Tanzim al-Djihad erschossen. Dieses Attentat war als der Auftakt einer islamischen Revolution konzipiert. In Kairo versuchte alDjihad, den Rundfunk und das Fernsehen unter Kontrolle zu bekommen. Zentren der Staatssicherheit wurden gezielt attakkiert und der Flughafen von Kairo besetzt.183
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Dem Aufstandsversuch ging eine leidenschaftliche AntiSadat-Kampagene der Muslimbrüder voraus. Sie erklärten den Frieden mit Israel für unvereinbar mit den Bestimmungen des Koran. Mehr noch: Der Friedensvertrag wurde in Qutbscher Diktion als eine gegen den Islam gerichtete jüdische Verschwörung - mit Sadat in der Rolle des zionistischen Agenten - dämonisiert.184 Trotz strikter Demonstrationsverbote waren islamistisch orientierte Studenten unter der Losung „Kein Frieden mit Israel“ in Alexandria und Assiut auf die Straßen gegangen, während die auflagenstarke Monatszeitung der Bruderschaft, al Daawa, unter der Schlagzeile „Es ist unmöglich mit Juden in Frieden zu leben“ sämtliche antijüdischen Kampagnen Muhammads aus dem 7. Jahrhundert in Erinnerung rief.185 Mit den Muslimbrüdern war Tanzim al-Djihad zwar ideologisch, nicht aber organisatorisch verbunden. Viele Mitglieder der Bruderschaft waren mittlerweile in die Jahre gekommen und stellten einen gewichtigen Teil des ägyptischen Bürgertums. Ihr Verhältnis zu den neuen militanten Djihad-Organisationen war ambivalent. Sie verstanden sich weiterhin als Bestandteil der islamistischen und antizionistischen Bewegung, lehnten jedoch Anschläge gegen ägyptische Machthaber und die Qutbsche Doktrin der jahiliyya ab. Die al-Djihad-Gruppe war demgegenüber eine junge und rebellische Bewegung, die 1980 über 5000 bis 10 000 Mitglieder und über Hunderttausende von Sympathisanten verfügte. Der Gründer der Gruppe, der Ingenieur Abd an-Salam Farag, dessen Vater wegen seiner Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern mehrfach im Gefängnis saß,186 wurde insbesondere als Autor des Anfang der 80er Jahre erschienenen Manifests al-djihad al-farida al-ga‘iba (der Djihad, die abwesende religiöse Pflicht) berühmt, in dem er die Qutbsche Doktrin weiter radikalisierte. Als Hauptursache für alle Demütigungen, die die islamische Welt erleide, wurde die Abkehr vom Djihad und die Hinwendung zu den „Annehmlichkeiten des Lebens in der diesseitigen Welt“ ausgemacht, obwohl diese „gering sind im
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Vergleich zu den Annehmlichkeiten in der himmlischen Welt“. Um diesen Zustand zu beseitigen, müßte der Djihad in seiner militanten Interpretation als die sechste Verpflichtung aller Muslime angesehen und als permanenter Feldzug auch in die Gefilden der Ungläubigen getragen werden.187 In Anknüpfung an Qutbs jahiliyya-Konzept betonte Farag, daß Israel und der Imperialismus nur deshalb existierten, weil es bestochene Moslemführer zuließen, daß sie existierten. Vor dem „Feind in der Ferne“ sei zunächst der „Feind in der Nähe“ - der abtrünnige muslimische Staatsführer - zu bekämpfen.188 Mit diesem Revolutionskonzept hatte Farag besonders an den Universitäten großen Erfolg. 45 Prozent der 1981 nach dem Aufstandsversuch verhafteten al-Djihad-Mitglieder waren Studenten, 43 Prozent waren zwischen 20 und 25 Jahre alt. Die Mehrheit dieser Studentengeneration kam aus den ländlichen Regionen in die Städte und wurde dort auf besondere Weise mit der Zuspitzung sozialer Widersprüche - Inflation, horrende Wohnungspreise, das Nebeneinander von Massenarmut und extremem Reichtum, die Aussichtslosigkeit der eigenen beruflichen Perspektive - konfrontiert.189 Der Djihad war die Verheißung, dieser Misere zu entfliehen. Er gewährte die Möglichkeit, Herrschaft über Ungläubige auszuüben oder durch Märtyrertod ins Paradies zu kommen. Michael Youssef, der diese Gruppe in seiner Studie Revolt against Modernity untersuchte, konstatiert, daß al-Djihad zwar keineswegs als marxistische Bewegung gegründet worden sei: „Wenn man jedoch einige Stunden mit Mitgliedern verbringt“, fährt er fort, „die bitter die ,Reichen’ und ,Korrupten’ angreifen, ist es unmöglich zu ignorieren, daß der Geist des Marxismus in seiner revolutionären Energie außerordentlich klar in Herz und Seele der Bewegung vorhanden ist.“ Mit dieser Einschätzung unterliegt Youssef einem Irrtum, der für viele Beobachter und Sympathisanten des Islamismus typisch ist. Er läßt außer acht, daß „revolutionäre Energie“ mit emanzipativer Orientierung nicht das Geringste zu tun zu haben braucht. Er unterschlägt, daß Massenbewegungen auch
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für faschistische Revolutionskonzepte mobilisierbar sind. Für die Massenbewegungen des Nationalsozialismus war unbestreitbar das revolutionäre, „antikapitalistische“ und antisemitische Selbstverständnis konstitutiv.190 Deshalb sollte die Idealisierung von Massenbewegungen, deren „Antikapitalismus“ aus antisemitischen Denkformen sich speist, ausgeschlossen sein. Doch gerade das Gegenteil ist der Fall. Ehe sie ihre Blütenträume von der Unschuld und Progressivität „der Massen“ aufgeben, scheinen sich viele Linke und Exlinke lieber antisemitischen Massenbewegungen anschließen zu wollen. Warum haben sich so „viele ehemalige Marxisten“, fragt der Islamismusforscher Gilles Kepel, „in der gesamten islamischen Welt für die Sache des Islamismus engagiert?“ Weil sie von der Überzeugung geleitet wurden, „daß man, nachdem sich die ,Massen’ dieser Bewegung angeschlossen haben, ihren ‚progressiven’ und volksnahen Charakter betonen muß, um aus dem Islamismus eine antiimperialistische und antikapitalistische Bewegung zu schmieden.“191 Nie aber haben „Antiimperialismus“ und „Antikapitalismus“ islamistischer Bewegungen sich progressiv artikuliert. Stets wurde der Kampf um individuelle und gesellschaftliche Mündigkeit als Glaubensabkehr terroristisch bekämpft. Assiut zum Beispiel, die mit 200 000 Einwohnern drittgrößte Stadt Ägyptens, ist eine Hochburg der al-Djihad-Bewegung gewesen. Organisationseigene Patrouillen zwangen hier Männer und Frauen, die nicht verheiratet waren, auf verschiedenen Straßenseiten zu gehen. Frauen, die aus der Sicht von al-Djihad nicht korrekt gekleidet waren, wurden aggressiv beschimpft, und wer Widerspruch leistete, zusammengeschlagen. Verkäufer von Alkohol, die nicht ihre Geschäfte schlossen, prügelte man zu Tode. Ein Schuhverkäufer wurde, da er sein Radio bei Musik laut, bei Gebetsübertragungen aber leiser stellte, für vierzig Tage inhaftiert, was die Polizei damit entschuldigte, daß andernfalls auch er von den al-DjihadBanden getötet worden wäre. 1981 hatte al-Djihad in Assiut in der Tat mehr Einfluß als die Stadtregierung oder die Polizei.
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Wie später ein lokaler Polizeichef bekundete, hatte ausgerechnet Sadat diese Form einer Doppelherrschaft akzeptiert. „Wir erhielten von der Regierung die Anweisung, die Gruppe nicht aufzuhalten und uns in ihre Aktivitäten nicht einzumischen.“192 Auch unter dem Sadat-Nachfolger Husni Mubarak ist Assiut eine Hochburg islamistischen Terrors geblieben. So wurden in Kämpfen zwischen Islamisten und Staatsapparat in und um Assiut 1992 nicht nur 84 Polizisten, sondern auch 14 Angehörige der Kopten, einer christlichen Religionsgemeinschaft, getötet. Die Morde an den Kopten hatten einen einzigen Grund: Sie waren als Minderheit in eben jene Rolle geraten, die die antisemitische Denkform ansonsten für die Juden reserviert. So stiegen in Assiut einige Kopten, die von einem gut entwickelten christlichen Schulsystem profitieren konnten, zur Mittelschicht auf. Die Islamisten begriffen es jedoch als Skandal, daß Christen, die nach ihrer Ideologie in demütiger Bescheidenheit zu leben hätten, ihren Wohlstand zeigten, während Muslime litten. Infolgedessen wurde in islamistischen Flugblättern „der Christ als ein perverses Wesen“ gezeichnet, „das seine ungerechtfertigte soziale Überlegenheit schamlos ausnützt“. In anderen Erklärungen wurde er als „ausländischer Agent oder Kreuzritter, der den Muslim... beständig zu bestechen versucht“ an den Pranger gestellt.193 Immer häufiger kam es zu antikoptischen Terroraktionen. „Die Menschen zu verstümmeln durch Knochenbrüche, ihre Schulen anzugreifen, so daß sie unter Polizeischutz gestellt werden mußten, und die Kirchen zu belagern, wohin sich viele flüchteten, das waren bevorzugte Methoden der Terroristen dort. Die Kopten sollten das Land umgehend verlassen.“194 In Assiut wurde die Terrorherrschaft über „ungläubige“ Muslime mit projektivem Haß gegen die Kopten kombiniert: Bedürfnisse, die die Djihadisten bei sich selbst verleugneten, wurden bei den Kopten wiedererkannt, die man dafür bestrafte. Die terroristisch erzwungene Gemeinschaftlichkeit setzte notwendig den Ausschluß der als „anders“ Stigmatisierten voraus.
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Als zweites Beispiel ist ein Islamismusprojekt der 80er Jahre im Kairoer Stadtteil Embaba genauer zu betrachten. Hier zeigt sich der Zusammenhang zwischen sozialer Verelendung und islamistischer Indoktrination besonders prägnant. 1984 begann die islamistische gama‘a al-Islamiyya (= Islamische Gemeinschaft) mit einer systematischen Infiltration des eine Million Bewohner zählenden Stadtteils, um diesen in eine islamisierte Zone umzuwandeln.195 Die am Stadtrand gelegene Elendssiedlung zeichnete sich durch unerträgliche Mißstände aus: Mangelhafte Elektrifizierung, desaströse hygienische Bedingungen, 42 Prozent der Männer, 57 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Kinder über zehn Jahre waren Analphabeten; 21 Prozent der Kinder unter 14 Jahren arbeiteten als „Ungelernte“, und die Kindersterblichkeitsrate lag bei 75 Prozent. Ein guter Boden also für die Agitation der Islamisten, die hier regelrechte Sozialbehörden gründeten und all jene Sozialleistungen erbrachten, die der ägyptische Staat aufzubringen nicht willens oder fähig war. Doch auch hier wurde das soziale Zuckerbrot mit der djihadistischen Peitsche kombiniert. Während die gama‘a die schulpflichtigen Waisenkinder mit Schulutensilien und Kleidung ausstatteten, wurden Musik und Theater einem strikten Verbot unterstellt. Während sie Beratungsstellen für familienrechtliche Fragen einrichtete, drohte sie allen unverschleierten Frauen brutalste Körperstrafen an. Während sie islamistisch geführte Unternehmen gründete, untersagte sie jeden Verkauf von Videokassetten, und kleine Läden, die dem zuwiderhandelten, machte sie dem Erdboden gleich. Besonders hart traf es auch in Embaba die Kopten, die hier über 21 Kirchen verfügten. Da es keine Juden gab, an denen sich die islamistische Gemeinschaftswut hätte austoben können, wurden die von Kopten geführten Läden geplündert und ihre Kirchen in Brand gesteckt. Als 1992 die gama’a gegenüber einer internationalen Nachrichtenagentur verkündete, daß in Embaba ein „islamischer Staat“ auf der Basis der Scharia entstanden sei, war das Maß jedoch voll: der ägyptische Staatsapparat schlug zurück.
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14000 Polizisten besetzten im Dezember 1992 wochenlang das Viertel und verhafteten 5000 Personen. Für den anschließenden Wiederaufbau inklusive der Einrichtung einer sozialpolitischen Infrastruktur wurden beträchtliche Summen zur Verfügung gestellt.196 Doch auch derartige Maßnahmen konnten den Vormarsch des Islamismus nicht stoppen, wie das nachfolgende Kapitel zeigt.
Islamisierung unter Mubarak Im Juli 1997 zog die Führungsriege der gama’a die Konsequenzen aus ihrer gescheiterten Offensivstrategie und rief zum Waffenstillstand auf. 34 000 ihrer Mitglieder waren zu diesem Zeitpunkt inhaftiert und etwa 1000 bei verschiedensten Polizeioperationen getötet worden.197 Der Terror der vergangenen Jahre hatte sich totgelaufen. Die Dimension dieses Bürgerkrieges hat man im Westen selten wirklich erfaßt. So wurden 1993 in Kämpfen zwischen Islamisten und der ägyptischen Staatsmacht 207 Menschen getötet, darunter 90 Polizisten, sechs Kopten, drei Touristen, 39 Passanten und 69 Islamisten. 1994 waren es bereits 279 Opfer, darunter 94 Polizisten. 1995 schließlich wurden 453 Menschen getötet; eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent.198 Auch die Staatsorgane reagierten nicht zimperlich. So ließ Mubarak innerhalb von 17 Monaten, von Dezember 1992 bis April 1994, fünfzig Islamisten hinrichten. Der Vergleich mit der Zahl der Todesurteile, die Nasser verhängte, ist instruktiv. Unter dessen Regime wurden innerhalb von 18 Jahren - zwischen 1952 und 1970 - insgesamt neun Todesurteile vollstreckt. Es war aber nicht diese Repression, mit der die gama‘aGründer ihren Kurswechsel begründeten. Wie ihr Anwalt Muntassir az-Zayyat erläuterte, habe sich für die gama‘a nicht der Weg, sondern das Ziel verändert. „In der gama‘a hat man erkannt, daß der eigentliche Feind nicht die ägyptische Regierung, sondern Israel ist.“ Die Führung der gama‘a habe
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sich geschämt, „daß sie gegen das zu tiefe Décolleté einer Schauspielerin kämpfte, während andere Gruppen wie die Hizbullah oder Hamas für die Befreiung ihres Landes ihr Leben aufs Spiel setzten.“199 Die islamistische Bewegung wechselte somit erneut ihre Strategie: Aus dem Kampf gegen den „Feind in der Nähe“, den Qutb und Farag zur Priorität erhoben hatten, wurde der Kampf gegen den „Feind in der Ferne“, konkret: Israel. Folgerichtig wurde die Terrorstrategie gegen „korrumpierte Muslime“ durch die Strategie eines islamistischen „Marschs durch die Institutionen“ ersetzt. Dieser Marsch fand in der Praxis schon seit vielen Jahren statt. Nur drei Jahre nach der Ermordung Sadats dominierten die Islamisten alle wesentlichen Sektoren der Gesellschaft: 1984 waren sie in den Universitäten wieder die stärkste Kraft. Darüber hinaus konnten sie fast ausnahmslos die Wahlen für die Vorstände der 22 Berufsverbände Ägyptens für sich entscheiden.200 Scheinbar unaufhaltsam gewann der Islamismus auch in den staatlichen Institutionen an Boden. 1984 wurde die Scharia als Grundlage der Gesetzgebung weiter gestärkt. Das ägyptische Parlament schaffte eine zuvor von Sadat (unter dem Einfluß seiner Frau Jihan) durchgesetzte Gesetzesklausel ab, derzufolge ein Ehemann, trotz der grundsätzlichen Gewährung der Polygamie, seine Frau, bevor er eine zweite heiratet, um Zustimmung bitten muß.201 1985 wurden im staatlichen Fernsehen alle Sendungen, die „mit islamischen Werten nicht vereinbar waren“, beispielsweise Sendungen über den Tanz, verboten. Zugleich wurden 14 000 Stunden im Jahr religiösen Themen reserviert. Damit war der hegemoniale Einfluß der oft den Muslimbrüdern nahestehenden „Telekoran“-Prediger sichergestellt.202 Gleichzeitig suchte man die verbliebene laizistische Intelligenz nicht nur auf dem Prozeßwege einzuschüchtern: Ihr prominentester Vertreter, Farag Foda, wurde 1992 von Islamisten umgebracht. Foda gehörte zu den wenigen, die vehement und öffentlich für eine Normalisierung der ägyptisch-
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israelischen Beziehungen eingetreten waren. Seine Ermordung wurde von einem Angehörigen der offiziösen al-Azhar-Moschee, dem Muslimbruder Scheich Muhammad al-Ghazzali, ausdrücklich unterstützt: Ein geborener Muslim, so al-Ghazzali, der gegen die Scharia kämpfe, verdiene nur das Todesurteil. Da ein islamischer Staat als Ordnungsinstanz aber noch fehle, dürfe man denen, die für die Vollstreckung dieses Urteils sorgten, nicht böse sein.203 Ein weiteres Opfer war Nasr Hamid Abu Zaid, Professor für Linguistik, der zum „Glaubensabtrünnigen“ erklärt und auf höchstrichterlichen Beschluß von seiner Frau zwangsgeschieden wurde, da - so das Urteil - ein Glaubensabtrünniger mit einer muslimischen Frau nicht verheiratet sein darf. Als die Morddrohungen sich häuften, mußte das Paar nach Europa fliehen. Im Oktober 1994 wurde selbst der Nobelpreisträger für Literatur, Nagib Mahfus, durch den Mordanschlag eines gama‘a-Mitglieds schwer verletzt. Wie Yusif al-Badri, ein Kairoer Imam, erläuterte, habe Mahfuz durch die häretische Symbolik seiner Romane offenbart, daß er vom Glauben abgefallen sei.204 Das jüngste prominente Opfer ist der 63jährige Saad Eddin Ibrahim, ein international renommierter Soziologe, der im August 2002 mit der lachhaften Begründung, EU-Forschungsmittel erhalten zu haben, zu sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde.205 Derartige Prozesse und Attentate dienen nicht nur dem Vormarsch des Islamismus in Ägypten, sondern unmittelbar auch dem dort herrschenden Regime. Immerhin hatte Hosni Mubarak den 1981 nach der Ermordung von Sadat verhängten politischen Notstand bis heute nicht aufgehoben. Er ist vermutlich froh, seinen Kritiker Ibrahim im Steinbruch zu wissen. Doch als das eigentliche „Böse“, das für alles Unglück Ägyptens die Verantwortung trägt, werden nicht die laizistischen Intellektuellen, sondern Israel und die Juden identifiziert. In diesem Punkt ist mittlerweile die gesamte ägyptische Gesellschaft islamisiert. Hier ist die Ächtung und Dämonisierung der Juden kein Thema, das noch der Erörterung bedürfte, sondern selbstverständliche Voraussetzung des Alltagsge-
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sprächs. Als habe es den ägyptisch-israelischen Friedensvertrag nie gegeben, werden Israel und die Israelis bis heute von allen ägyptischen Berufsorganisationen - Rechtsanwälten, Journalisten, Ärzten, Künstlern -, von sämtlichen ägyptischen Universitäten, von allen Sportverbänden, Theatern und Orchestern umfassend boykottiert. Als sich 1995 der syrische Dichter Adonis auf einer Konferenz mit israelischen Kollegen traf, wurde er von allen politischen Lagern in Ägypten angegriffen. Der Mord an Farag Foda erhielt, da Foda für die ägyptisch-israelische Aussöhnung sprach, auch von der nationalistischen Linken Applaus.206 Wenn es im zeitgenössischen Ägypten irgendein Thema gibt, das Islamisten, Liberale, Nasseristen und Marxisten zusammenschweißt, dann die kollektive Halluzination des gemeinsamen Feinds in Gestalt Israels und der Juden, die fast immer mit dem Wunsch, Israel auszulöschen, korreliert. Typisch für den religiösen Wahn ist das 1998 erschienene Buch von Sheikh Muhammed al-Tantawi über Die Söhne Israels in Koran und Sunna. Als Vorsteher der al-Azhar-Universität in Kairo ist al-Tantawi die oberste Autorität des sunnitischen Islam. In seinem Buch werden die Protokolle der Weisen von Zion als authentische Quelle der jüdischen Geschichte ausgewiesen und das Bild vom Juden als dem Antipoden jeder menschlichen Gemeinschaft gemalt. Tantawis Studie schließt mit der Warnung: „Die Juden sind eine Gefahr für das Land. Wenn sie eindringen, werden sie es zerstören und verderben.“207 Nicht minder typisch ist die weltlich orientierte Zuschreibung, die Muhammad Qutb in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch Die Muslime und die Globalisierung vornimmt. Hinter der Globalisierung, so Qutb, stehe „das internationale jüdische Kapital, das bereits seine Ursprungsländer beherrscht und danach strebt, diese Herrschaft über die ganze Welt auszudehnen.“ Hierbei wende es eine besonders perfide Strategie an: Denn die „Geschichte der jüdischen Herrschaft über die Menschen“ äußere sich in „der Verbreitung moralischer
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Verderbnis, sexueller Anarchie, Ketzerei, Drogen und verschiedenen Formen des Wahns und Besessenheiten.“208 Wer derart obsessiven Zuschreibungen Glauben schenkt, muß sich als Bewohner eines an Israel grenzenden Landes einer permanenten und besonders unheimlichen Bedrohung ausgesetzt sehen. Auffällig häufig wird diese Bedrohung in der israelischen Frau personifiziert. Wie sich Muhammad Atta, der Attentäter des 11. September, in seinem Testament für den Fall seines Ablebens jedwede Berührung seines Körpers durch eine Frau strikt verbat, so wird in der ägyptischen Mainstream-Berichterstattung auch nur die Berührung durch eine Jüdin dämonisiert. Die Verkaufsstände in den ägyptischen Straßen bieten eine Vielzahl von Büchern an, in denen die perfidesten Angriffe der angeblich vom Mossad geschickten Prostituierten auf die männliche Jugend Ägyptens halluziniert werden: Diese Lockvögel dienten nicht nur einer raffiniert eingefädelten „Normalisierung“ der zwischenstaatlichen Beziehungen durch Sex, also dazu, die natürlichen arabischen Abwehrkräfte gegen Israel zu zersetzen, sondern sie zielten durch systematische Aids-Verbreitung auch direkt auf Ausrottung der arabischen Population.209 Von einer „sexuellen Invasion“ ganz besonderer Art fühlte sich Ägypten bedroht, als die arabische und transsexuelle Israelin Dana International den Grand Prix d’Eurovision für Israel gewann und mit ihren arabischen Liedern auch bei ägyptischen Jugendlichen Anhänger fand. „Auf diese Weise will uns Israel um jeden Preis zerstören“, warnte zum Beispiel eine ägyptische Zeitung. „Wird es damit erfolgreich sein, oder wird unsere Jugend beweisen, daß sie wirkliche Ägypter sind?“210 Zur Abschreckung wurde ein Anti-Dana-Buch publiziert, welches die Beliebtheit von Dana International als „freimaurerisch-jüdische Verschwörung“ entlarvt: Dana befürworte schließlich das Recht des Individuums auf Glück und sinnliche Freude und damit eben jene Prinzipien, die die Freimaurer und die Juden einst erfunden hätten, um die Gesellschaft zu zerstören.211 Vorsorglich wurden alle Musikkassetten
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von Dana International verboten und die Anzahl der Polizeirazzien in Musikgeschäften erhöht. Derartige Präventionsakte sind Indizien fur die Attraktivität, die eine weniger restriktive Sexualmoral für eine Jugend besitzt, deren sexuelle Entfaltungsmöglichkeiten die ägyptische Gesellschaft in zweifacher Hinsicht unterbindet: Erstens durch äußerst rigide und von der Scharia geprägte Ahndung jedes vorehelichen Geschlechtsverkehrs und zweitens durch den Tatbestand, daß der gesellschaftliche Kodex dem Mann die (für sich genommenen schon sehr kostspielige) Heirat nur bei ausreichendem Lebensunterhalt erlaubt, wovon ein Großteil der ägyptischen Universitäts- oder Schulabgänger allerdings nur träumen kann. Erneut erweist sich so der Mechanismus der Projektion, welcher das individuelle Begehren nach sexuellem und sinnlichem Glück nach außen wirft, in Israel lokalisiert und dort zu vernichten sucht, als wichtiger Bestandteil des antisemitischen Hasses. Die sexuelle Selbstverleugnung, die dieser Projektion zugrunde liegt, resultiert aus der „religiösen Angst“ (Wilhelm Reich), die der Islamismus systematisch schürt. Damit kommen wir auf unsere Ausgangsfrage zurück: Warum ist der Islamismus heute noch in Ägypten dominant? Soviel zumindest ist evident: Ägypten, das mit al-Banna und seinen Muslimbrüdern den Djihadismus einst hervorbrachte, ist auch in den letzten fünfzig Jahren das Zentrum des sunnitischen Islamismus geblieben. Zwar konnten seine Kader nach dem Attentatversuch auf Nasser und dem Anschlag auf Sadat zwischen 1954 und 1967 und zwischen 1981 und 1984 nur klandestin und hinter Gefängnismauern agieren. Während aller sonstigen Perioden der Nachkriegszeit gewann der Islamismus ideologisch und politisch jedoch beständig an Gewicht. Ist es die materielle Notlage, die die verarmte Masse in die Arme der Islamisten trieb? Der Zusammenhang zwischen Armut und Islamismus ist komplexer, als das Schema von Ursache und Folge es nahelegt: Die Radikalisierung des Islam ist
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weniger eine Folge von Armut und Perspektivlosigkeit, als vielmehr eine ihrer Ursachen. Sich so lange zu beugen, bis der Kopf den Staub berührt, gilt dem Islamisten als ein Zeichen von Erhabenheit, während er das Streben nach individueller Entfaltung, nach Wohlstand und Reichtum als äußerlich und damit unwesentlich denunziert. Islamismus bedeutet insofern Selbstverarmung des Individuums und Auslöschung der Entwicklungsmöglichkeiten, die es auch unter widrigen Umständen noch besitzt. Gleichzeitig befördert Unterwicklung die Hinwendung zum radikalen Islam, bietet doch der Koran noch dem ärmsten Glaubigen den Trost, zumindest über die Frau herrschen und sich an religiösen Säuberungen beteiligen zu dürfen. Mit der Unterentwicklung ganzer Weltregionen werden den islamistischen Ideologen stets neue Rekrutierungsfelder gestellt, da sie den Zerfall von Staaten und den Zusammenbruch öffentlicher Bildungs- und Gesundheitssysteme weiter forciert. Insofern besteht zwischen dem Erfolg des Islamismus und der unablässig Armut erzeugenden Gesellschaftsform des Kapitalismus ein Zusammenhang. Durch zweifelhafte politische Prioritäten wird dieser Zusammenhang oft noch verstärkt. Da beispielsweise Pakistan seine kargen Haushaltsmittel eher in die „islamische Bombe“ als in öffentliche Bildungseinrichtungen investiert, kommen die von Saudi-Arabien finanzierten religiösen Fanatiker zum Zug, die mit Tausenden von Koranschulen den zur Abrichtung preisgegebenen Jugendlichen nicht nur einen Aufenthaltsort, sondern auch Nahrung bieten. In Ägypten ist die Stärke des Islamismus jedoch noch weniger als in Pakistan auf die Eigenlogik des kapitalistischen Weltmarkts zurückzuführen. Erstens sind Wirtschaftsentwicklungen im arabischen Raum nicht selten von politischen Entscheidungen determiniert: Ohne ihren politisch begründeten Boykott gegenüber Israel stünde die arabische Welt auch in wirtschaftlicher Hinsicht besser da. Zweitens stand Ägypten Anfang der 90er Jahre auf einer ökonomisch weitaus höheren Stufe als etwa Polen, Süd-
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afrika oder die Türkei. Nach 1989, zu einem Zeitpunkt also, als der Islamismus neue Höhenflüge erlebte, ist die ägyptische Volkswirtschaft sogar „mit beeindruckenden Raten gewachsen. Dann setzte 1999 ein Abschwung ein.“212 Wenn Armut für die Ausbreitung der Ideologie des Djihad auch förderlich sein mag, so ist sie doch offenkundig nicht die Ursache des Islamismus und die Erzeugung von Wohlstand kein Gegenrezept. Eher ist der ägyptische Islamismus das Resultat einer bestimmten staatlichen Politik. So griff Sadat die religiöse Wende seines Vorgängers auf und radikalisierte sie, bis er der von ihm geförderten Bewegung zum Opfer fiel. Die Saat, die er während der 70er Jahre an den Universitäten gesät hatte, ging unter Mubarak erst richtig auf. Beide Präsidenten hatten den islamistischen Terror zur Sicherung der eigenen Herrschaft instrumentalisiert. Ist der ägyptische Islamismus also eine gezielt eingesetzte Herrschaftsideologie, die die potentiell widerständige Masse manipulieren soll? Auch diese These geht an der Wirklichkeit vorbei. Niemand hatte einst die Muslimbrüder al-Bannas finanziert, die gleichwohl zu einer Massenbewegung wurden. Insbesondere zeugt der Märtyrerkult von dem blutigen Ernst, mit dem man den islamistischen Krieg um seiner selbst willen führt: hier sind keine Söldner am Werk, die ihr Leben an einen ihnen äußerlichen Zweck binden. Es ist deshalb wenig erstaunlich, daß diejenigen, die darauf hofften, den Islamismus für ihre Zwecke einspannen zu können, stets eines Besseren belehrt worden sind. Das gilt für die USA, die Osama bin Laden aufrüsteten, um die Sowjetunion zu besiegen, das gilt für Israel, das die Hamas tolerierte, um der PLO zu schaden, und das gilt für Sadat, der mit Hilfe der gama‘a seine Herrschaft stabilisieren wollte und seine Totengräber schuf. Stattdessen beruht die Stärke des ägyptischen Islamismus auf einer Besonderheit, die mit seiner manichäischen Weltanschauung korreliert. Auf die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche, die der vordringende Kapitalismus provo-
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zierte und provoziert, hat der Islamismus mit einer Denkstruktur geantwortet, welche alle Erscheinungen des Lebens binär codiert: Überall schien und scheint das bedrohte Gute im existentiellen Kampf gegen das Böse zu stehen. Entweder eigener Untergang oder endgültige Vernichtung des Bösen, so wurde und wird stets die Alternative formuliert. Gleichzeitig wurde erst mit der Konstruktion jener überaus bedrohlichen, wesenhaft bösen Feindgruppe „das Eigenkollektiv als homogene, an sich harmonische Wir-Gemeinschaft konstruiert: ,Sie’ sind ,unser Unglück’. Alles bei ,uns’ wäre gut, wenn es ,sie’ nicht gäbe.“213 Erst dieses Feinbild hat das konstituiert, was Islamisten am dringlichsten suchen: die festen Halt und sichere Identität gebende Gemeinschaft. Es waren die zionistische Einwanderung in Palästina und die Gründung des Staates Israel, die dem ägyptischen Islamismus zu seinem Feindbild und somit zu seiner wichtigsten Konstitutionsvoraussetzung verhalf. Nicht deshalb, weil der Zionismus und sein staatliches Projekt einen tatsächlichen Anlaß für Idiosynkrasie geliefert oder gar eine reale Bedrohung der ägyptischen Bevölkerung dargestellt hätten, sondern weil der Zionismus und Israel für den Homogenitätswahn des Islamismus von funktionaler Bedeutung waren und sind. Dieser Erklärungsansatz hat mit der weitverbreiteten Einstellung, derzufolge sich der arabische Haß auf die Juden in erster Linie aus den konkreten Erfahrung mit der israelischen Politik speiste und speist, nichts zu tun. Wenn es stimmt, daß von der Aufrechterhaltung des Feindbilds „Jude“ die gemeinschaftliche islamistische Identität abhängt, kommt es auf eine bestimmte israelische Politik ohnehin wenig an. Dann wird jeder Schritt, den die israelische Regierung unternimmt, jener Sichtweise eingeschrieben, die von der unbedingten Notwendigkeit eines Feindbildes diktiert wird. So war für den Judenhaß der Muslimbrüder und des Mufti das konkrete zionistische Handeln nie wirklich relevant. Das „konkrete Israel“, dessen Regierung und dessen Bevölkerung durch politisches Handeln beeinflußt werden könnte, ist für
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Islamisten bis heute im Grande völlig uninteressant. Denn nur als „Abstraktion des Bösen“ erfüllt der jüdische Staat die ihm zugedachte Funktion. Warum wurde als das absolut Böse nicht eine Kolonialmacht, zum Beispiel Großbritannien, ausgewählt? Erstens ging der Auseinandersetzung mit den Briten die religiöse Symbolik ab: Sie waren nicht an bestimmten „heiligen Stätten“ interessiert und beanspruchten im Nahen Osten keinen eigenen Staat. Zweitens waren die Briten zu stark, um ihre Existenz infrage stellen zu können. Diese Stärke wiederum erlaubte ihnen im Umgang mit den arabischen Staaten ein gewisses Maß an politischer Flexibilität. Als gemeinschaftsstiftendes Haßobjekt schied Großbritannien somit aus. Bei Israel und den Juden sahen die Voraussetzungen für die Feindbildkonstruktion hingegen wesentlich besser aus. Erstens gab es hier das stets von einer jüdischen Mehrheit bewohnte Jerusalem als zentrales muslimisches Symbol. Zweitens galt das gesamte Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reichs als „Haus des Islam“. Nach orthodoxer muslimischer Auslegung stand mit der Etablierung jüdischer Herrschaft innerhalb des Dar al-Islam der Krieg auf der Tagesordnung. Drittens konnte mit der Kampflinie Jude versus Muslim die Erinnerung an die antijüdischen Kämpfe Muhammads in Medina mobilisiert werden. Was jedem Laizisten als wahnwitzige Idee erscheint - die unmittelbare Übertragung beduinischer Religionskämpfe des 7. Jahrhunderts auf die Gegenwart -, gilt orthodoxen Islamisten hingegen als religiöses Gesetz. Viertens verhalf diese Feindbestimmung auch dem Diktum des Koran, die Juden seien die schlimmsten Gegner der Gläubigen, zu seinem Recht. Und doch war auch diese Form islamistischer Feindmarkierung durch objektive Voraussetzungen in keiner Weise determiniert, wie das Beispiel des tunesischen Staatspräsidenten Habib Bourguiba beweist. Bourguiba trat nicht nur frühzeitig für die Anerkennung Israels ein, er legte auch den Koran in Bezug auf die Rechte der Frauen vollständig anders als die
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Muslimbrüder aus: 1957 ließ er - religiös untermauert - die Polygamie verbieten, gewährte den Frauen gleiche Rechte in Bezug auf Scheidungsverfahren und gewährte jeder Frau gleich ob verheiratet oder ledig - das Recht auf freie Abtreibung in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft.214 Bourguiba bewies, daß in Bezug auf Frauen und in Bezug auf Israel auch im Rahmen des Islam eine weitgehend andere Entwicklungsrichtung als die islamistische möglich war. Hätte die zionistische Einwanderung im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts nicht genauso gut als eine Chance fur die Entwicklung der Region betrachtet und die selbstbewußte jüdische Präsenz im Dar al-Islam als Anstoß zur Überwindung des längst anachronistisch gewordenen islamischen Dominanzpostulats genutzt werden können? An dieser Stelle kommt die Rolle und die Bedeutung des europäischen Faschismus und vor allem des deutschen Nationalsozialismus, als dessen Besonderheit der eliminatorische Antisemitismus auszuweisen ist, ins Spiel. Sie konstituierten in den 30er Jahren jenen ausschlaggebenden äußerlichen Impuls, der dafür sorgte, daß nicht die progressive und von Atatürk und Bourguiba bereits eingeleitete Reform des Islam, sondern das identifikatorische „Der Jude ist unser Unglück“Angebot zur Geltung kam. Der Mufti von Jerusalem agierte im damaligen britischen Mandatsgebiet wie ein lokaler Statthalter des Nationalsozialismus. Mit Waffen und Parolen feuerten Hitlers Agenten den antizionistischen Kampf der Muslimbrüder in Palästina und damit auch den der Muslimbrüder in Ägypten mit an. Davon aber wurde der Islamismus bis in die Gegenwart hinein geprägt. Schon in der 1946 erfolgten Rehabilitierung des Mufti von Jerusalem war die gesamte Rehabilitierung des Nationalsozialismus und seines antizionistisch-antisemitischen Feindbilds enthalten. Die Faszination, die die Protokolle der Weisen von Zion auf die arabische Intelligenz seither ausüben, steht mit dieser Rehabilitation in engstem Zusammenhang. Mit der Verbreitung der Protokolle wurde der obsessive Wunsch nach
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Vernichtung des jüdischen Staates immer wieder und in jeder Generation neu geschürt. Die bis heute anhaltende hartnäkkige Weigerung, die Naziaktivitäten des Mufti und die Muftiaktivitäten der Muslimbruderschaft kritisch zu reflektieren, ist mit der medialen ‚Verarbeitung’ des Holocaust auf das Engste verknüpft. „Wenn du es nur getan hättest, mein Bruder“ rief der Kommentar der ägyptischen Al-Akhbar seinem deutschen Idol, Adolf Hitler, zu. Mit diesem Aufruf wird der posthume Sieg des Mufti von Jerusalem manifest. „Wenn du es nur getan hättest...“ - in Wirklichkeit waren zu diesem Zeitpunkt andere dabei, „es zu tun“: Ein beinahe täglicher Judenmord fand in diesen Tagen weiter östlich statt, in Tel Aviv und in Netanja.
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III. Der Djihad der Hamas
„Tausende von Demonstranten eroberten die Straßen und riefen: Allah ist groß, nieder mit dem Kommunismus, lang lebe der Islam. Am Rande der Demonstration wurden Cafes, VideoShops und Alkoholläden demoliert. Zwei Tage später wurden von Islamisten die Büros der säkularen al-Quds-Zeitang in Brand gesetzt und ein Kino, eine Billard-Halle und eine Bar geschlossen.“ Wo spielte sich dieses Szenario ab? In Kairo 1948? In Assiut 1988? Keineswegs. Diese Zusammenstöße fanden 1980 im von Israel besetzten Gazastreifen statt. Veranstalter war die Mujama al-Islami (= Islamischer Kongreß). Aus der Mujama ging 1987, als die Intifada begann, die Islamistische Widerstandsbewegung (Harakat al-Muqawama al-Islamiyya), kurz: Hamas, hervor. Die Hamas beruft sich auf die ägyptische Muslimbruderschaft und versteht sich als deren palästinensischer Zweig. Die Bedeutung, die Hassan al-Banna für die historischen Muslimbrüder hatte, kommt in Palästina dem Mujama- und Hamasgründer Scheich Ahmed Jassin zu. 1936 im Mandatsgebiet geboren, gerät Jassin schon früh mit ägyptischen Muslimbrüdern, die die Schule und die Moschee seines Dorfes leiten, in Kontakt. 1948 flieht seine Familie in den Gazastreifen. 1955 tritt er der Bruderschaft des Gazastreifens bei und gründet 1973 die Mujama. In den ersten Jahren ihrer Existenz verschafft sich diese Organisation durch Sozialarbeit und erzieherische Dienste eine solide Verankerung: Sie etabliert kleine Kliniken, Zahnarztpraxen, Kindergärten, Sporteinrichtungen und Koranschulen. Saudi-Arabien, Kuwait und Jordanien finanzieren derartige Aktivitäten. Die Organisation gibt keine eigenen Schriften heraus, sondern verbreitet die Texte von al-Banna und Qutb. „Wir müssen geduldig sein“, erklärt Jassin, der die Philosophie al-Bannas
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auch in diesem Punkt übernahm, „weil der Islam sich früher oder später verbreiten und die gesamte Welt beherrschen wird. Geduld wird die Reise des Islam verkürzen.“215 Nach der Entwicklung einer Massenbasis durch Sozialpolitik setzte die Politik der Mujama zu ihrer zweiten Etappe an.
Islamistischer Terror im Gazastreifen Der Zionismus und die israelische Besatzung waren der Mujama ziemlich gleichgültig. Als Hauptgegner wurden stattdessen die palästinensische Linke und der säkulare Nationalismus, ausgemacht und seit 1980 systematisch bekämpft. Die wichtigste Kampfarena war die Islamische Universität in Gaza, die Mitte der achtziger Jahre mit 4500 Studenten die größte in den besetzten Gebieten war. Systematisch hat die Mujama diese Universität zur islamistischen Kaderschmiede geformt. In Campus-Kellern wurden kleine Waffenlager angelegt. Mit bewaffneten Gangs wurden Studenten und Hochschullehrer überfallen, die der orthodoxen Auslegung des Islam nicht folgten. Als erstes wurden Männer ohne Bart und Frauen ohne hijab (Kopftuch) und thobe (Ganzkörpermantel) verprügelt. Anschließend wurden Studentinnen und Studenten auch für „unislamische Verhaltensweisen“, als „Drogenhändler“ und „Prostituierte“ aufgespürt und bestraft.216 Gleichzeitig wurden alle Lehrinhalte rigoros islamisiert. In zeitgenössischen Interviews weist die Hamasführung gern auf die Erfolge dieser Ausbildungsstätte hin. „Wir sind nicht irgendein abergläubisches Volk“, beteuerte beispielsweise der Hamasvorsitzende Mahmoud al-Zahar in einem Interview der Süddeutschen Zeitung. „Wir sind Ärzte, Ingenieure. Die Leute mit der besten Ausbildung finden sich bei Hamas. Wir leben nicht mit Mythen. Wir haben die höchsten akademischen Grade in dieser Gesellschaft.“217 Wie aber sehen die Inhalte jener „besten Ausbildung“ aus? Beverley Milton-Edwards stellt in seiner Studie Islamic
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Politics in Palestine das Schicksal eines Studenten namens Bassam exemplarisch dar, der der linksnationalistischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) nahestand. Bassams Professor erklärte seinem Seminar, daß die Darwinsche Entdeckung über die Genese der menschlichen Spezies jüdischen Ursprungs sei: Allein die Juden hätten Darwin dazu verleitet, die Entstehung der Menschheit mit der Entwicklung der Affen in Verbindung zu bringen. Da der Mensch dem Koran zufolge von Gott geschaffen wurde, kann für Islamisten die Evolutionstheorie nur eine Fälschung sein. Bassam aber, der kein Islamist war, riskierte hiergegen öffentlichen Widerspruch. Die Folgen waren fatal. Seit seinem Zwischenruf wurde der PFLP-Sympathisant immer wieder verprügelt. Seine Familie wurde gegen den „Atheisten“ aufgehetzt. Schließlich wurde ein Attentat mit Säure auf ihn verübt. Bassam rettete sein Leben, indem er den Islamisten schließlich nachgab und sich den Gebetsritualen in der Moschee unterwarf.218 Bis heute ist es an der Islamischen Universität in Gaza nahezu ausgeschlossen, den Abschluß zu erreichen, ohne Antisemit geworden zu sein. „Lügen sind über ermordete Juden und den Holocaust ans Tageslicht gekommen“, gab beispielsweise Dr. Issam Sissalem, Geschichtsprofessor dieser Universität, in einer Fernsehsendung der palästinensischen Autonomiebehörde im November 2000 bekannt. „Und natürlich sind das alles Lügen und unbegründete Behauptungen. Kein Chelmno, kein Dachau, kein Auschwitz! Das waren Desinfektionsstellen.“ Im selben Fernsehsender rief der ehemalige Direktor der Islamischen Universität, Dr. Ahmad Abu Halabiya, zum Massaker auf: „Habt keine Gnade mit den Juden, egal wo sie auch sind, egal in welchem Land. Wenn ihr ihnen begegnet, tötet sie. Wo ihr auch seid, tötet die Juden und Amerikaner, die wie sie sind, und die ihnen beistehen. Sie liegen alle in ein- und demselben Schützengraben gegen die Araber und Moslems.“219 „Wir sind nicht irgendein abergläubisches Volk“, hatte Hamasführer al-Zahar dem Publikum der Süddeutschen
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Zeitung erklärt. „Wir leben nicht mit Mythen.“ Die Hamas ist aber nur deshalb nicht „abergläubisch“, weil sie unbedingt an Allah glaubt. Sie lebt nur deswegen nicht mit „Mythen“, weil sie sich wortgetreu an die Koranmythen hält. Und ihre Mitglieder haben aus dem einzigen Grund die höchsten Universitätsabschlüsse, weil es für die Hamas den Ausweis höchster akademischer Gelehrsamkeit darstellt, Charles Darwin für einen bezahlten Lügner, Auschwitz für eine Hygieneanstalt und die Juden für den Hauptfeind der Menschheit zu halten. In Orwellscher Verdrehung bedeuten Begriffe wie „Aberglaube“, „Mythos“ und „Akademiker“ für Islamisten gerade das Gegenteil von dem, was säkularisierte Gesellschaften darunter verstehen. Zurück in den Gazastreifen des Jahres 1980. Auch außerhalb der Universität wurde das islamistische Regiment gewalttätig durchgesetzt. Schon 1980 ging die von einem Linksnationalisten geleitete Zentrale des Palästinensischen Roten Halbmondes (das Äquivalent zum Roten Kreuz) einschließlich ihrer Bibliothek in Flammen auf. Im ganzen Gazastreifen wurden Kinos, Alkoholläden und Restaurants, die Alkohol ausschenkten geschlossen oder demoliert. Hochzeiten, die angeblich der islamischen Tradition widersprachen, wurden überfallen und Musikdarbietungen, westliche Brautkleider und die Vermischung der Geschlechter bei derartigen Feiern verboten. 1987 war im Gazastreifen, Milton-Edwards zufolge, kaum noch eine andere als die konservativ-islamische Kleidung zu sehen.220 Wie aber hatte sich die israelische Besatzungsmacht dem islamistischen Terror gegenüber verhalten? In der Hoffnung, dem eigenen Sicherheitsbedürfnis einen Dienst zu erweisen, ließ man dem islamistischen Terror gegen PLO und PLFP freie Hand. Die Ideologie und die Methoden der Islamisten wurden vollständig verkannt. Auch im Westjordanland waren Islamisten, die sich hier Muslimbrüder nannten, die wichtigste Gegenorganisation zur PLO.221 Sie konnten insbesondere nach der Niederlage der
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PLO im Libanonkrieg 1982 politisch an Boden gewinnen. Ihre Aktivitäten waren jedoch fast ausschließlich auf die Universitäten konzentriert. So mußten wegen der heftigen Kämpfe zwischen Linksnationalisten und Islamisten sowohl die Bir-ZeitUniversität wie auch die Najah-Universität in Nablus vorübergehend geschlossen werden. An der Hebron-Universität blieben derartige Auseinandersetzungen einzig und allein wegen der eindeutigen Dominanz der Islamisten aus. Als wahres Vorbild djihadistischen Geistes wurde hier besonders der Afghanistankämpfer und Hamasgründer Abdullah Azzam verehrt, dem die Studentenschaft eigens eine Gedenkstätte errichtete. Zuerst also hatte sich die Bewegung Ahmed Jassins eine Massenverankerung geschaffen. Anschließend hatte sie im Kampf gegen palästinensische Widersacher ihre organisatorische Zentren aufgebaut. Nun leitete sie die dritte Phase ein: den Konfrontationskurs gegen Israel. Auslöser war der palästinensische Volksaufstand, dessen arabische Bezeichnung Intifada am ehesten mit shake off also mit „Abschütteln“ oder „Loswerden“ (der israelischen Besatzer) übersetzt werden kann.
Die Charta der Hamas Im Dezember 1987 explodierten Wut und Frustration über die zwanzigjährige israelische Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands. Der ungeplante Aufstand entzündete sich an einem Verkehrsunfall. Massendemonstrationen im Gazastreifen breiteten sich schnell auch auf die Westbank aus. Alle israelischen Versuche, den Aufstand zu unterdrücken, fachten das Feuer nur weiter an. Als im Januar 1988 die Hamas zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat, begann im Aufstand gegen die israelische Besatzung zugleich der innerpalästinensische Kampf um die künftige Hegemonie: Hier die PLO-gestützte und nationalistisch ausgerichtete „Vereinte Nationale Führung“, dort die islamistische Hamas.222 Nun
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zahlte sich das von den Islamisten entwickelte Netz sozialer Einrichtungen aus. Wenn anfangs auch der PLO-orientierte Flügel den Aufstand dominierte, erzielte die Hamas schon im Sommer 1988 vorübergehend eine Dominanz: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Palästinenserbewegung war es den Islamisten gelungen, den Nationalisten ihren Willen aufzuzwingen.“223 D er Kampf zwischen diesen zwei Linien fand erstens als Papierkrieg statt: Beide Seiten griffen mit Dutzenden von Flugblättern in die Auseinandersetzungen ein. Mit den folgenden Worten begann das erste im Januar 1988 verbreitete Flugblatt der Hamas: „Oh gesamtes Volk, Männer und Frauen, oh Kinder: Die Juden - Brüder der Affen, Mörder des Propheten, Blutsauger, Kriegshetzer - ermorden euch und rauben euch das Leben, nachdem sie eure Heimat und eure Häuser geplündert haben. Nur der Islam kann die Juden zerbrechen und ihren Traum zerstören.“ Die Befreiung, heißt es hier weiter, „wird nicht vollendet werden ohne Opfer, Blut und Djihad, der bis zum Sieg fortgesetzt wird.“ Zugleich wurde allen sogenannten Kollaborateuren mit dem Tod gedroht: „Jene, die Verrat begehen, sind selber Schuld. Ihr alle seid sichtbar und wohl bekannt.“224 Mit dem letztgenannten Hinweis ist die zweite Ebene der innerpalästinensischen Konfrontation benannt. Nach dem Vorbild der Unruhen von 1936-1939, in deren Verlauf der Mufti seine palästinensischen Gegner liquidierte, wurden fünfzig Jahre später im Zuge der Intifada hauptsächlich Palästinenser von Palästinensern umgebracht: „In den israelisch besetzten Gebieten haben die fundamentalistischen Qassam-Brigaden [der Hamas] mehr Muslime getötet als etwa die israelischen Besatzungstruppen.“225 Als die israelische Regierung 1989 300 Anhänger der Hamas vor Gericht stellte, wurden diese unter anderem „der Tötung von Kollaborateuren und der brutalen Durchsetzung der Gesetze des Aufstands in der Bevölkerung“ angeklagt.226 Mit welchen Methoden jene „Gesetze des Aufstands“ in der Bevölkerung durchgesetzt wurden,
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macht die von einem palästinensischen und israelischen Wissenschaftler gemeinsam verfaßte Studie Collaborators in the Occupied Territories unzweideutig klar. Demnach wurden nach vorsichtiger Schätzung allein zwischen 1987 und 1993 mindestens 942 Palästinenserinnen und Palästinenser als „Kollaborateure“ ermordet. Darunter waren etwa 130, die unter dem Vorwand „moralischer Verfehlung“(„Drogen“, „Prostitution“, „Videohandel“) getötet wurden. Diese Hinrichtungen wurden, wie Milton-Edwards resümiert, „als eine religiöse Verpflichtung betrachtet und als ein Mittel, die Religion gegenüber Israel zu schützen.“ Darüber hinaus fanden aber auch Morde aus höchst persönlichen Motiven statt.227 Drittens aber setzten die Islamisten die PLO besonders durch die Verabschiedung einer eigenen Charta unter Druck. In jeder Hinsicht stellte das neue Dokument der Hamas die PLO-Charta von 1968 in den Schatten: Während das PLOPapier die Notwendigkeit der Beseitigung Israels noch ohne den Rückgriff auf allzu expliziten Antisemitismus zu begründen sucht, legt sich die Charta der Hamas gerade in diesem Punkt nicht die geringste Zurückhaltung mehr auf: Hier wird der Djihad gegen Israel als die erste Etappe eines weltweiten antijüdischen Vernichtungskrieges dargestellt. Die Charta der Hamas ist das wohl wichtigste programmatische Dokument des Islamismus der Gegenwart und reicht in seiner Bedeutung über den Palästinakonflikt weit hinaus. Als „größte Islamische Bewegung der modernen Ära“ und als „Welt-Organisation“ preist die Charta die Muslimbruderschaft an, als deren palästinensischer Flügel sich die Hamas definiert. Unabhängig davon begreift sich auch die Hamas als „universalistische Bewegung“, deren Djihad von den Muslimen in allen Teilen der Welt zu unterstützen sei. Dementsprechend wird als Gegner nicht allein Israel ausgemacht, sondern der „Welt-Zionismus“, ergo: das sogenannte „Internationale Judentum“. Die Hamas, heißt es in der Charta, sei „die Speerspitze und die Avantgarde“ im Kampf gegen den „WeltZionismus“.228
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Dieser Gegner aber habe es in ganz besonders infamer Weise auf die muslimischen Frauen abgesehen: „Die Feinde haben erkannt“, so in Artikel 17 der Charta, „daß sie diesen Krieg gewinnen würden, wenn sie die muslimischen Frauen in einer Weise beeinflussen könnten, die sie vom Islam entfernt.“ Mit dieser Formel ist jede emanzipative Regung einer muslimischen Frau a priori als direkte oder indirekte Kollaboration mit dem Feind denunziert, auf die bekanntlich die Todesstrafe steht. Zur Fernsteuerung der muslimischen Frau setzten die Feinde, so die Hamas weiter, alle nur erdenklichen Mittel in Form von „Werbung und Filmen, Lehrplänen und Kultur“ ein, „wobei sie als ihre Mittelsmänner Spezialisten verwenden, die Mitglieder verschiedenster zionistischer Organisationen sind, die alle möglichen Namen und Formen annehmen wie die Freimaurer, die Rotary Clubs, Banden von Spionen und dergleichen mehr.“ Um sich derartiger Gefahren zu erwehren, plädiert die Charta für Ausrottung, Säuberung und Verbot. Wenn der Islam erst einmal an Stärke gewonnen habe, heißt es weiter in Artikel 17, „wird er diese [zionistischen] Organisationen, die die Feinde der Menschheit und des Islam sind, ausrotten.“ Darüber hinaus seien grundlegende Veränderungen der Lehrpläne erforderlich, „um sie von allen Rudimenten der ideologischen Invasion zu säubern.“ Sogar ein „Lach-Verbot“ kommt in der Charta vor: „All dies sind ernsthafte Fragen und keine spaßigen“ wird ernsthaft in Artikel 19 erklärt. „Denn die umma im Djihad kennt keinen Spaß.“ Ist in diesem einzigen Satz, diesem Verbot zu lachen, nicht die gesamte Essenz des Islamismus konzentriert? Als hätten die Autoren dieser Charta beim Abfassen ihres Textes die Seiten der Protokolle der Weisen von Zion vor sich gehabt, werden dem „Welt-Zionismus“ alle Bösartigkeiten der Weltgeschichte unterstellt: „Die Juden standen hinter der Französischen Revolution und hinter der kommunistischen Revolution“. Sie standen „hinter dem Ersten Weltkrieg, um so das islamische Kaliphat auszuschalten... und standen auch hinter
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dem Zweiten Weltkrieg, in dem sie immense Vorteile aus dem Handel mit Kriegsmaterial zogen.“ Sie veranlagten „die Gründung der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats, ... um die Welt durch ihre Mittelsmänner zu beherrschen. Es gab keinen Krieg an irgendeinem Ort, der nicht ihre Fingerabdrücke trüge.“ In ihrem Kampf um Weltherrschaft würden sie im Anschluß an Palästina ihre Expansion „vom Nil bis zum Euphrat“ vorantreiben, um anschließend „nach mehr Expansion zu streben“. Und hier endlich, in Artikel 32 der Charta, wird auch das Original benannt: „Das Programm der Zionisten wurde in den Protokollen der Weisen von Zion ausgebreitet und ihr gegenwärtiges Verhalten ist der beste Beweis für das, was dort gesagt wurde.“ Man möchte über derartigen Irrsinn die Schultern zucken, wie auch das Gebrabbel eines Adolf Hitler hilflos belächelt worden ist. Doch eben dieser Wahnwitz ist es, der der palästinensischen Begeisterung über die suizidalen Massenmorde an israelischen Zivilisten das Motiv verleiht. Mit dieser Charta setzt die Hamas die Politik des Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, nahtlos fort. Die Tatsache, daß bei der unendlichen journalistischen Motivforschung für jene Selbstmordattentate das Programm der Hamas nicht einmal zur Kenntnis genommen wurde - das Selbstverständlichste also nicht geschah! - verleiht der 1969 formulierten Warnung Léon Poliakovs neue Aktualität: „Wer den Antisemitismus in seiner primitiven und elementaren Form nicht anprangert, und zwar gerade deshalb nicht, weil er primitiv und elementar ist, der muß sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht dadurch den Antisemiten in aller Welt ein Zeichen heimlichen Einverständnisses gibt.“229 Aus den Schlußfolgerungen, die die Hamas in Bezug auf Israel zieht, macht ihr Programm jedenfalls keinen Hehl. Die Hamas werde, so Artikel 6, „das Banner Allahs über jedem Zentimeter Palästinas hissen... Für das palästinensische Problem gibt es keine Lösung außer dem Heiligen Krieg. Initiativen, Resolutionen und internationale Konferenzen sind reine Zeitverschwendung.“
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Erstaunlich wohlwollend befaßt sich die Charta hingegen mit der PLO. Diese sei eine Bewegung, für die die Hamas „Vater, Bruder, Blutsverwandter und Freund ist... Wenn die PLO den Weg des Islam beschreitet, werden wir uns ihrer Streitmacht anschließen.“230 Warum nur dieser maßvolle Ton? Woher die Hoffnung, auch die PLO könne früher oder später „den Weg des Islam“, so wie die Hamas ihn versteht, beschreiten?
El-Husseini und Arafat Das bis heute nachwirkende Image der PLO wurde 1974 geprägt. In diesem Jahr zogen sich die USA aus Saigon zurück: Der Vietnamkrieg war vorbei. In eben diesem Jahr stand Jassir Arafat mit dem Colt im Gürtel vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen und ließ sich als neues Symbol einer weltweiten antiimperialistischen Bewegung feiern. Gefördert von der Propagandamaschine der Sowjetunion, von der Arabischen Liga, von der Organisation islamischer Länder und von der Blockfreienbewegung begannen die Fedayin (= die sich selbst Opfernden) der PLO im antiimperialistischen Bewußtsein eben jenen Platz einzunehmen, den bis dahin der Vietcong eingenommen hatte. Schon damals hätte eine Prüfung der 1968 verabschiedeten PLO-Charta den fortschrittsfeindlichen Charakter dieser Organisation erweisen können, so etwa hinsichtlich der programmatischen Verankerung des völkischen Prinzips. Das größte Problem, das schon den Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, nach 1948 bewegte, war die Sorge, daß die Flüchtlinge aus Palästina von ihren arabischen Aufnahmestaaten eingebürgert, das heißt wie Bürger behandelt werden könnten. In Schriften, Reden und Konferenzbesuchen kämpfte der umtriebige el-Husseini hiergegen unermüdlich an.231 Eben dieser Sorge wurde in den Artikeln 4 und 5 der PLO-Charta mit der Festschreibung eines rigiden jus sanguinis Rechnung
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getragen: „Die palästinensische Identität ist ein echtes, essentielles und angeborenes Charakteristikum; sie wird von den Eltern auf die Kinder übertragen... Jedes Kind eines palästinensischen Vaters, das nach 1947 geboren wurde, in Palästina oder außerhalb, ist ebenfalls Palästinenser.“232 Diese Position, die die Existenz von Flüchtlingslagern in arabischen Staaten als Druckmittel gegen Israel zu verewigen suchte, war völkisch ausgerichtet und hatte mit Progressivität nicht das Geringste gemein. Nicht minder reaktionär ist die Zielsetzung in Artikel 15, Israel zu beseitigen („den Zionismus in Palästina auszutilgen“) wie auch die Behauptung, daß der Teilungsbeschluß von 1947 und die Schaffung des Staates Israel „völlig illegal“ zustande gekommen seien. Das Postulat von der jüdischen Weltverschwörung taucht in Artikel 22 dieser Charta in der Formel: „Israel ist eine ständige Quelle der Bedrohung des Friedens ... in der ganzen Welt“ sowie in der Charakterisierung des Zionismus als einer politischen Bewegung wieder auf, „die organisch mit dem internationalen Imperialismus verbunden ist.“ In säkularer Formulierung wird schließlich auch der Gedanke des Djihad formuliert. Jeder Palästinenser, heißt es in Artikel 7, „muß auf den bewaffneten Kampf vorbereitet werden und bereit sein, Besitz und Leben zu opfern, um sein Vaterland wiederzugewinnen... Der bewaffnete Kampf ist der einzige Weg zur Befreiung Palästinas.“ Über die soziale oder politische Orientierung jener „Befreiung“ verliert diese Charta nicht ein Wort. Die tatsächliche Bedeutung des Islamismus für die politische Entwicklung des PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat blieb in diesen Formulierungen verhüllt. Seit 1987 gewann dieser Aspekt mit der beginnenden Islamisierung der palästinensischen Politik an Gewicht - ein Grund, Arafats Werdegang genauer zu betrachten. Jassir Arafat, dessen vollständiger Name Rahman Abdul Rauf Arafat el-Kudwa el-Husseini ihn als einen Verwandten des Mufti von Jerusalem erkennen läßt, wurde 1929 geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Jerusalem, wo es für ihn
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keinen größeren Helden gab als seinen Großonkel, den Mufti. An den von el-Husseini angezettelten Unruhen nahm er siebenjährig als Steinewerfer bereits teil.233 Seine Jugend verbrachte Arafat ab 1942 in Kairo, wo er in den prodeutsch eingestellten ägyptischen Kreisen zu Hause war. Nachdem 1946 sein Großonkel nach Kairo zurückkehren durfte, hielt er sich, 17jährig, auch bei ihm oft auf. Abdel Kader el-Husseini, ein Verwandter des Mufti, der in Palästina antizionistische Kampfgruppen anführte, kam zwischendurch nach Kairo zurück, um junge Freiwillige auszubilden. ,“Er war mein Ausbilder. Ich war siebzehn und einer der jüngsten Offiziere’, erinnert sich Arafat... Mehrfach erhielten Arafat und andere Studenten auch geheime Unterrichtsstunden von einem deutschen Offizier, der mit Hadsch Amin [el-Husseini] nach Ägypten gekommen war. Der Zweck war die Ausbildung für militärische Kommandounternehmen.“234 Zwei Jahre lang soll Arafat in dieser Zeit für el-Husseinis Geheimorganisation Waffen für den Einsatz in Israel organisiert haben. Gemeinsam mit einer Gruppe von Muslimbrüdern, denen sich Arafat angeschlossen hatte, brach er im April 1948 zum Kampf gegen die Gründung Israels auf.235 1950 verließ er erneut die Ingenieursakadamie, um mit den Muslimbrüdern Überfalle auf britische Truppen in der Kanalzone durchzuführen. 1952 schließlich ließ er sich - von Amin el-Husseini ermuntert und von der Muslimbruderschaft unterstützt - zum Vorsitzenden des Palästinensischen Studentenverbands wählen. Auch mit Nasser und den „Freien Offizieren“ stand Arafat zunächst auf bestem Fuß. Nach dem Attentat von 1954 wurde er als bekannter Anhänger der Muslimbrüder inhaftiert. Wie viele andere Muslimbrüder der Nasser-Periode ging auch Arafat 1957 nach Saudi-Arabien, wo er 1959 gemeinsam mit Khalil al Wazir, der später unter dem Kampfnamen Abu Jihad (= Vater des Djihad) berühmt geworden ist, die Fatah gründete. Ihr erstes Projekt war eine Zeitung, die unter dem Titel Unser Palästina neue Militärangriffe gegen Israel propagierte. In dieser Phase wurden alle Aktivitäten der Fatah
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hauptsächlich aus der Schatulle des Mufti, Amin el-Husseini, finanziert, der jedoch nicht nur in materieller Hinsicht bei der Fatahgründung Pate stand. Noch 1967 und 1968, berichtet ein Schwiegersohn des Mufti, pflegten sich Arafat und el-Husseini in seinem Haus in Amman zu treffen. „Hadsch Amin [el-Husseini] hatte den Eindruck, daß Arafat der richtige Führer für die palästinensische Nation war. Er fand, er sei fähig, die Verantwortung zu tragen.“236 Die propagandistischen Erfolge der Fatah, die Nasser als eine Tarnorganisation der Muslimbrüder einstufte, veranlaßten 1964 den ägyptischen Staatspräsidenten zur Gründung der als Gegenkraft gedachten PLO - ein Schritt, der insbesondere bei Amin el-Husseini aufheftige Widerstände stieß, erschien ihm diese PLO doch viel zu lasch. „El-Husseini und die Fatah waren beide der Auffassung, daß terroristische Aktivitäten jenseits der Waffenstillstandslinie mit Israel ermutigt werden sollten, um Rache-Aktionen zu provozieren und so die arabischen Staaten in einen allumfassenden Krieg gegen Israel zu treiben.“237 Auch Saudi-Arabien griff in dieser Phase für die Fatah Partei, da ihr deren Zusammenarbeit mit den Nasser feindlich gesonnenen Muslimbrüdern gelegen kam.238 Der Sechstagekrieg von 1967 markierte auch für diese Auseinandersetzung eine Zäsur. Die Fatah blieb sich in rhetorischer Hinsicht weiter treu. „Wir waschen die Schande der Niederlage mit dem Blut unserer Märtyrer weg“, erklärte sie 1968. „Wir erklären offen den Djihad für die Reihen unserer Jugend, und wir opfern die besten von ihnen auf diesem Pfad.“239 Die PLO aber wurde zu einer vollständig neuen Kraft. Denn nun trat ihr die Fatah als dominante und bis heute dominierende Organisation bei. Wenige Monate später wurde Jassir Arafat zum neuen PLO-Vorsitzenden bestimmt. Auf Veranlassung von Amin el-Husseini, der Arafat mit dem saudischen König Feisal bekannt machte, flossen nun auch saudische Gelder an die PLO.240 Diese Vorgeschichte ist es, die die freundliche Beurteilung der PLO in der Charta der Hamas erklärt. Wenn auch die PLO
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seit 1968 ihre diversen Kursänderungen nicht vom Koran, sondern von ihren Geldgebern oder dem jeweils herrschenden Zeitgeist abhängig gemacht hatte, so stimmten und stimmen Arafat und Jassin doch in den wichtigsten politischen und religiösen Positionen stets überein. Nie hatte Arafat - Punkt eins - das Ziel der Auslöschung Israels aus dem Auge verloren. „Frieden bedeutet für uns die Zerstörung Israels“, erklärte er 1980 in der in Caracas erscheinenden Zeitung El Mundo. „Wir sind auf einen totalen Krieg eingerichtet, einen Krieg, der sich über Generationen hinziehen wird.“241 Insofern war für ihn das 1993 in Oslo vereinbarte Abkommen über die Schaffung palästinensischer Autonomiegebiete nur ein Interimsspiel, wie Arafat mit Verweis auf die muslimische Geschichte zu erkennen gab: „Wir respektieren Abkommen auf eben dieselbe Art, wie der Prophet Muhammad und Salah alDin [Saladin] die von ihnen unterschriebenen Abkommen respektierten.“242 Die Waffenstillstandsabkommen von Muhammad und Salah al-Din, auf die Arafat hier anspielt, wurden freilich in Zeiten der Schwäche unterschrieben und von den islamischen Führern, kaum daß sie stärker waren, gebrochen. Die Weigerung, Israel anzuerkennen, manifestiert sich besonders deutlich darin, daß in all den Schulbüchern und Landkarten, die die Palästinensische Autonomiebehörde ,nach Oslo’ neu konzipierte, jeder Hinweis auf Israel und die Geschichte der Juden fehlt. Auch auf den modernsten der in den Schulen benutzten Landkarten ist die Beseitigung von Israel antizipiert: Zwischen Jordan und dem Mittelmeer ist hier nur ein einheitlich arabisches Palästina zu sehen.243 Zweitens blieb und bleibt für Jassin und Arafat der Holocaust - die für die israelische Staatsgründung und Staatsräson zentrale Erfahrung - ebenso Tabu wie die Rolle des Mufti im Nationalsozialismus. In keinem ,nach Oslo’ verfaßten Schulbuch der Autonomiebehörde wird Auschwitz auch nur erwähnt. Als ein Beamter der Palästinensischen Autonomiebehörde vorschlug, dies zu ändern, stieß er auf wütenden Protest: Sein Ansinnen wurde abgelehnt. Der Vorsitzende des
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Erziehungskomitees des Palästinensischen Parlaments erklärte: „Wir haben kein Interesse an Unterricht über den Holocaust.“ Sein Parlamentskollege und Führer der Fatah, Hatem Abd Al-Qader, fügte hinzu, daß Unterricht über den Holocaust „eine große Gefahr“ für das palästinensische Selbstbild sei. „Wenn dies geschieht, wird es die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Palästinenser vollständig auslöschen.“244 Nicht die geringste Gefahr für das palästinensische Selbstbild scheint demgegenüber die von der Autonomiebehörde ausdrücklich autorisierte Verbreitung von Adolf Hitlers Programmschrift Mein Kampf zu sein, die 1999 auf der Bestsellerliste im palästinensischen Autonomiegebiet auf Platz sechs rangierte. Der Übersetzer dieser arabischen Ausgabe weist in seiner Einleitung auf die Aktualität seines Autors hin: „Adolf Hitler gehört nicht den Deutschen allein; er ist einer der wenigen großen Männer, die die Bewegung der Geschichte beinahe gestoppt und ihren Kurs verändert hätten... Der Nationalsozialismus ist mit dem Tod seines Verkünders nicht gestorben. Seine Saat ist vielmehr unter jedem Stern aufgegangen.“245 Während die Autonomiebehörde den Nationalsozialismus auf diese Weise nicht nur „sät“, sondern als eliminatorische antijüdische Praxis auch erntet, wird die israelische Politik in all ihren Medien als eine Fortsetzung oder gar Steigerung der Nazipolitik charakterisiert. Die permanente Ineinssetzung von israelischer und nationalsozialistischer Politik „Nazismus der Juden“, „nazihafter Feind“, „nazi-zionistische Praktiken“ - impliziert die Auschwitzleugnung in anderer Form, welche die Fortsetzung einer antijüdischen Vernichtungspolitik legitimieren und gleichzeitig auf das prospektive Opfer projizieren soll. Als devoter Muslim blieb Arafat drittens auch dem Djihad stets treu. Anläßlich einer Pilgerreise nach Mekka hielt er 1978 eine bemerkenswerte Rede, in der er den Kampf für die „Befreiung“ von Jerusalem als zwingende Verpflichtung eines jeden Muslims auswies: „Ich erkläre von hier“, rief er aus, „von dem Land des Propheten und von der Wiege des Islam
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die Eröffnung des Tores zum Heiligen Krieg für die Befreiung von Palästina und die Wiederherstellung von Jerusalem.“246 Im Zuge der al-Aqsa-Intifada hat Arafat seine religiöse Rhetorik verstärkt. Neben seinem wiederholt geäußerten Wunsch, als „Märtyrer“ sterben zu wollen, bezeichnete er Palästina in einer Fernsehansprache als „Territorium des Ribat“ - und gebrauchte somit einen religiösen Begriff, der die vorderste Front des Djihads gegen die Ungläubigen markiert.247 Ist es da noch verwunderlich, daß auch in den neuen, ,nach Oslo’ konzipierten Büchern für Schüler der 6. und 7. Klasse der Djihad und das Märtyreridol in Textpassagen wie: „Die edle Seele hat zwei Ziele: Den Tod und das Streben danach“ angepriesen und der Krieg um jeden Quadratmeter islamischen Lands zur religiösen Verpflichtung verklärt wird?248 „Wenn die PLO den Weg des Islam beschreitet, werden wir uns ihrer Streitmacht anschließen“, hatte 1988 die Hamas in ihrer Charta erklärt. Gut zehn Jahre später schloß sich die PLO den Islamisten an.
Massenmord als Strategie Zwischen der ersten Intifada von 1987 und der zweiten Intifada, die im Herbst 2000 begann, liegt eine tiefe Zäsur. Der erste Aufstand wurde unter den Prämissen des Kalten Krieges geführt. Noch Mitte 1988 erschienen in den Kommuniques der PLO-nahen Vereinten Nationalen Führung Verweise auf die freundlich gesonnene Sowjetunion.249 Trotz aller Aufweichungen hatte der Säkularismus der PLO in dieser Konstellation immerhin noch einen Halt. Die Intifada endete folgerichtig in traditioneller Form: Friedensgespräche unter Obhut der Supermächte in Madrid; Abkommen zwischen Israel und der PLO nach geheimen Verhandlungen in Oslo. In einem vollständig veränderten Kontext hingegen begann die zweite Intifada.
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Seit 1990 hat der Islamismus in Palästina aus mehreren Gründen an Gewicht gewonnen. Erstens fiel der säkulare Antiimperialismus in Teilen der PLO, der in den realsozialistischen Staaten eine Stütze gefunden hatte, ins Bodenlose, als diese von der Bildfläche verschwanden. Die ideologische Leerstelle wurde vom Islamismus gefüllt. „Nach dem Fall des Marxismus“, erklärte 1991 Ahmad Khomeini, der Sohn des iranischen Ayatollah, habe „der Islam ihn ersetzt.“250 In der Tat ist seither der Islamismus als einzige Kraft zurückgeblieben, die dem Kapitalismus mit einer umfassenden ideologischen Begründung entgegentritt, die mit enormen finanziellen Ressourcen ausgestattet ist und die global agiert. Zweitens hatte Hamas 1994 die Taktik der suizidalen Massenmorde etabliert und damit die PLO auf der Aktionsebene überholt. Das erste Selbstmordattentat am 4. April 1994 war eine Reaktion auf den Amoklauf eines rechtsradikalen jüdischen Siedlers, der im Februar 1994 in Hebron 29 in einer Moschee betende Muslime erschoß. Das zweite Selbstmordattentat folgte am 13. April 1994. Während das Hebron-Massaker in Israel Entsetzen und sofortige politische Gegenmaßnahmen auslöste, geschah hinsichtlich der Massaker der Hamas im palästinensischen Autonomiegebiet das Gegenteil: Die Hamas konnte unwidersprochen die auf Videobändern aufgezeichneten heroischen Testamente ihrer Massenmörder zur Werbung und als Propaganda veröffentlichen.251 Ab Juli 1994 verfügten Arafats Behörden in den Autonomiegebieten über die alleinige Polizeigewalt. Mit der unverdrossenen Fortsetzung der Selbsttötungsmassaker setzte Hamas die PLO gleich zweifach unter Druck. So wurden die anfänglichen Bemühungen der PLO, derartige Morde zu unterbinden, als Kollaboration mit Israel denunziert. Als im November 1994 die neu etablierte palästinensische Polizei das Feuer auf eine Demonstration der Hamas eröffnete und 16 Personen tötete, war Arafats Ansehen auf einem Tiefpunkt angelangt.252 Gleichzeitig dienten die Selbsttötungsmassaker dem strategischen Zweck, in Israel der der PLO jeweils feindlichsten Par-
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tei zur Macht zu verhelfen: Die wohlkalkulierten Selbstmordattentate brachten 1996 Binyamin Netanjahu und vier Jahre später Ariel Sharon an die Macht. Diese Selbstmordattentate sind zum Wesensmerkmal der zweiten Intifada geworden. Der Selbstmordkrieg ist ein kühl kalkuliertes Mittel der Politik, deren taktische Ratio in der Hamas-Charta festgeschrieben ist: Kampf gegen jeden Versuch einer friedlichen Lösung des Konflikts. Der vordergründige Zweck der Anschläge besteht somit darin, jeden noch so zaghaften Versuch eines israelisch-arabischen Dialogs mit Vorsatz zu zerbomben und jede Gemeinsamkeit mit Israelis, die ihrerseits den Rückzug ihres Staates aus den besetzten Gebieten fordern, zu torpedieren. Unabhängig von dieser taktischen Überlegung sind die antijüdischen Massaker zugleich Programm: Die Art und Weise, wie Juden getötet werden, gibt Auskunft, warum sie getötet werden. Es handelt sich nicht um Attentate gegen hohe Politiker oder Militärs, sondern um Massenmorde an der Zivilbevölkerung, egal, ob die Opfer religiös oder säkularisiert, jung oder alt, Befürworter oder Gegner Sharons sind. Je mehr Unschuldige getötet, verstümmelt und verletzt werden, desto erfolgreicher ist das Attentat. Je scharfkantiger die Metallsplitter und Nägel in der Bombe, desto größer ihr Wert. Wer so tötet setzt eine spezifische, islamfaschistische Weltanschauung in die Praxis um. Aus dem mythischen und projektiven Antisemitismus dieser Weltanschauung, der die Juden als das absolute Böse dämonisiert, folgt notwendig die Absicht, dieses Übel überall auf dem Globus zu beseitigen. Die neue Strategie der suizidalen Massenmorde wurde von anderen prominenten Muslimbrüdern mit Nachdruck unterstützt. Besonders tat sich hierbei der als „Fernsehprediger“ in der gesamten arabischen Welt bekanntgewordene Muslimbruder aus Ägypten, Scheich Yusuf Qaradawi, hervor, der seit 1961 in Qatar lebt und seit 1996 allwöchentlich seine Sendung Das Leben und das islamische Gesetz über den Nachrichtenkanal al-Jazeera unter die arabischen Massen bringt.
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Während der Selbstmord im Islam als verboten gilt, wurde die Praxis der Hamas durch die von Qaradawi ausgesprochene fatwa: „Hamas-Operationen sind Djihad, und wer bei ihrer Ausführung getötet wird, gilt als Märtyrer“, ausdrücklich unterstützt.253 Darüber hinaus konnte Hamasführer Ahmed Jassin auch außenpolitische Erfolge verbuchen. So zog er 1998 in einem triumphalen Werbezug für die Liquidierung des Osloer Abkommens und des israelischen Staates durch die gesamte arabische Welt; auch der saudische König empfing ihn zur lukrativen Audienz: Um 25 Mio. Dollar allein aus der saudischen Kasse beschwert, kehrte Jassin in den Gazastreifen zurück.254 Ebenso unwillig wie unfähig, eine prinzipielle Auseinandersetzung mit dem Islamismus zu führen, versank die PLO immer tiefer im islamistischen Sumpf. Nachdem die israelische Armee im Mai 2000 den Südlibanon aus freien Stücken verlassen hatte (bzw. aus islamistischer Sicht „der Widerstand der Hizbullah die zionistische Armee aus dem Südlibanon vertrieben hatte“), ließ Arafat das in Camp David unterbreitete Angebot einer palästinensischen Kontrolle über 96 Prozent der Westbank platzen, entzündete im September 2000 die neue Intifada und ließ zum Auftakt des neuen Djihads 120 der in seinen Gefängnissen einsitzenden Hamas-Terroristen frei.255 Im Unterschied zur Intifada von 1987 hatte 13 Jahre später die Hamas jedoch von Anfang an das Gesetz des Handelns in der Hand. So wurde ihre Strategie der Selbstmordbomber von allen „säkularen“ palästinensischen Gruppen kopiert und die Linie zwischen „Befreiungs-“ und Vernichtungsbewegung systematisch verwischt. „Nach dem Fall des Marxismus hat der Islam ihn ersetzt“, hatte der Khomeini-Sohn 1991 prophezeit „und solange der Islam existiert“, fuhr er fort, „wird die US-Feindlichkeit ihm gegenüber existieren und solange die US-Feindlichkeit existiert, wird der Kampf existieren.“ Er warnte davor, den Kampf auf die unmittelbaren Schauplätze des Nahen Ostens zu begrenzen, „denn der Kampf gegen Israel ist ein Krieg gegen die
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USA und Europa ohne absehbares Ende.“256 Der Kampf gegen Israel als Krieg gegen die USA: Besser läßt sich die Botschaft des 11. September kaum zusammenfassen. Welche Auswirkungen hatte dieses Attentat auf den Islamismus in Palästina und in der gesamten arabischen Welt?
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IV. Der 11. September und Israel
In den meisten Bewertungen des 11. September wird der politische Kontext der Flugzeugattentate ignoriert. Dies beginnt mit der Weigerung, wahrzunehmen, daß sich die Attentäter von Washington und New York nicht einfach als „Terroristen“, sondern als kriegführende Djihadkämpfer verstanden. Hunderte von Flugpassagieren in den eigenen Selbstmord hineinzureißen, damit Tausende an ihren Arbeitsplätzen verbrennen - das ist monströs und beispiellos. Und doch gilt auch für diese Form des Krieges der Satz von Clausewitz: Der Angriff des 11. September ist die Fortsetzung einer bestimmten Politik mit anderen Mitteln. Immer wieder hat Osama bin Laden die Zielsetzung dieser Politik erklärt. Im Unterschied zur Qutbschen Doktrin, die an erster Stelle den Kampf gegen die vom Glauben abgefallenen Muslime propagierte, gelten ihm die USA und Israel als der vorrangig anzugreifende Feind. Zwar will auch er den Sturz aller „ungläubigen“ Regierungen der arabischen Welt erzwingen. Er sieht jedoch keine Chance, dieses Ziel zu erreichen, bevor nicht die Juden aus Palästina und die USAmerikaner von der arabischen Halbinsel vertrieben worden sind. „Bin Laden glaubte, daß die jüdische Lobby die Drähte der Politik in den USA zieht und ... daß diese Hegemonie gebrochen werden müsse“, berichtete der albanische Djihadist Ahmad Ibrahim al-Najjar über ein Gespräch, das er Anfang 1998 mit bin Laden führte. „Deshalb müßten der Islamische Djihad und alle anderen islamistischen Terrororganisationen ,ihre Gewehre drehen’ und sie auf Israel und die USA anstatt auf Ägypten, Saudi-Arabien oder andere arabischen Länder richten. Ohne die Entfernung der USA aus dem Mittleren Osten und ohne die Zerstörung Israels würde es für die isla-
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mistischen Kräfte so gut wie unmöglich sein, die von den USA gestützten ,Marionetten-Regimes’ zu beseitigen.“257 Dies ist bei aller Wahnhaftigkeit in der Zielsetzung eine gewiß nachvollziehbare Strategie. In ihr sind Selbstmordattentate, wie die vom 11. September, als Kampfmittel integriert. Noch vor diesen Anschlägen hatte der Stellvertreter bin Ladens, Ayman al-Zawahiri, in seinem Buch Ritter unter dem Banner des Propheten die Gründe dargelegt: „Sie bringen dem Feind das größtmögliche Grauen bei relativ geringen Verlusten für die Islamistische Bewegung.“ Am besten aber seien die Anschläge, die möglichst viele Zivilisten töten: „Das verbreitet bei den Völkern des Westens den größten Schrecken. Das ist die Sprache, die sie verstehen.“258 Derartige Dokumente sollten eigentlich auch den letzten davon überzeugen, daß die vermeintlich gut gemeinten „Richtigstellungen“, wonach die Greuel des 11. September mit dem Islam und den Islamisten nichts zu tun haben könnten, der Selbstberuhigung oder der Täuschung dienen und mit der Wirklichkeit nicht zu vereinbaren sind. In anderen Bewertungen des 11. September wird die politische Zielsetzung der Massaker ignoriert. Man weigert sich, deren antizionistische und antijüdische Bedeutung zu erfassen und hält angestrengt daran fest, in der Ermordung amerikanischer Zivilisten durch bin Laden und der Ermordung israelischer Zivilisten durch Hamas zwei vollständig unterschiedliche Dinge zu sehen. Diese „Ignoranz“ ist politisch zweifellos opportun. Sie begünstigt das europaweite Ressentiment gegen die USA und ermöglicht es den Wortführern des Antiamerikanismus, selbst noch der Tötung von 3000 Zivilisten eine emanzipatorische Aura zu verleihen: „Ich behaupte, daß der 11. September nur der radikalste Ausdruck ist für die Auflehnung gegen die westliche, vor allen Dingen von den USA verkörperte Dominanz“, erklärte prototypisch für zahllose Globalisierungskritiker und Antiimperialisten der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, in einem Gespräch mit der den Grünen nahestehenden
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taz.259 Wie die folgenden Abschnitte zeigen werden, ist der Angriff auf das World Trade Center jedoch untrennbar mit der Ambition verknüpft, Israel auszulöschen. Unsere erste Beweisführung setzt an der Geschichte der Muslimbrüder an: Programmatisch wie personell ist die al-Qaida mit der Bruderschaft und ihren Nachfolgeorganisationen auf das Engste verknüpft.
Bin Laden und die Muslimbrüder In zweierlei Hinsicht war das Jahr 1979 für die islamistische Szene ein Schlüsseljahr. So wie einmal die Französische Revolution oder die Oktoberrevolution als Hoffnungsträger gefeiert wurden, so feierten die Islamisten den Sieg Khomeinis im Iran als einen Triumph ihrer Politik. Dieser Euphorie folgte ein Schock, als noch im selben Jahr die Rote Armee das muslimische Afghanistan unter ihre Fittiche nahm. Damit gab es einen neuen Schauplatz für den Heiligen Krieg. Zu den ersten Arabern, die den Djihad gegen die Sowjetunion organisierten, gehörte der wohl wichtigste Mentor Osama bin Ladens, der Muslimbruder Abdallah Azzam. Wie kein zweiter verkörperte der 1941 im heute palästinensischen Jenin geborene Azzam die Verbindung zwischen den beiden Hauptkampfplätzen der Islamisten, Palästina und Afghanistan. „Azzam gehört zu den Gründern der palästinensisch-islamistischen Terrororganisation Hamas“, berichtet Khalid Duran von der Zeitschrift TransIslam. „Er mußte sich zeitlebens gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, mit dem Afghanistan-Einsatz lenke er von Palästina ab, das doch schließlich das ,zentrale Anliegen des Islam’ sei. Azzam wollte ernsthaft für Afghanistan kämpfen, um hier die Basis für den späteren Kampf gegen Israel zu schaffen.“260 1960 wurde Azzam zum Sprecher der Muslimbrüder an der Universität von Damaskus ernannt. Zwischen 1971 und 1973 promovierte er an der ägyptischen al-Azhar-Universität und
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nahm dort Kontakt mit ägyptischen militanten Islamisten auf. Anschließend wurde er Professor für die islamischen Pflichtfächer an der König Abd-al-Aziz-Universität im saudischen Dschidda. Hier war der Einfluß der ägyptischen Muslimbrüder besonders stark. Diese Stadt war nicht nur der Eingangshafen für Druckerzeugnisse aus Ägypten, hier lehrte auch Muhammad Qutb, der Bruder des 1966 in Ägypten hingerichteten Sayyid Qutb, die islamischen Pflichtfächer an der Universität und gab die Werke seines Bruders heraus. Osama bin Laden, der in Dschidda bei Muhammad Qutb studierte, machte sich zwischen 1974 und 1978 mit den Schriften Sayyid Qutbs vertraut; in allen Trainingslagern, die er später in Afghanistan etablierte, gehörten die Texte Qutbs zum Pflichtprogramm.261 Die stärkste persönliche Beziehung aber entwickelte bin Laden zu seinem anderen Universitätslehrer, dem Palästinenser Azzam, dessen Vorlesungen stets nur um einen Punkt kreisten: Djihad statt Verhandlungen mit Israel, Djihad statt Konferenzen über Afghanistan, Djihad statt Dialog mit den Ungläubigen. Wie kein Zweiter propagierte Abdullah Azzam den Märtyrerkult. Stets pries er in seinen Schriften die Selbstheiligung bzw. paradiesische Selbstveredelung durch djihadistische Selbstauslöschung an, die der eigentliche Lebenszweck jedes gläubigen Muslim sei.262 1982 gründete Azzam im pakistanischen Peschawar mit seinem Schüler Osama bin Laden das „Dienstleistungsbüro für die Mudjahidin“ und gab hier die Zeitschrift AI Djihad heraus. In keiner seiner Publikationen vergaß er, daraufhinzuweisen, daß der Kampf in Palästina für jeden Muslim ebenso Pflicht sei wie der Kampf in Afghanistan.263 1984 richtete bin Laden zusätzlich das „Haus der Prophetengefährten“ ein, als Anlaufstelle für die „arabischen Afghanen“. Dort legte er, der ein Diplom in Verwaltungswesen besaß, ein Basisregister aller arabischen Djihadkämpfer an. Bald wurde diese Koordinationsstelle nur noch al-Qaida (= die Basis) genannt. Im selben Jahr, als das „Haus der Prophetengefahrten“ gegründet wurde, kam aus einem ägyptischen Gefängnis die zweite
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maßgebliche Bezugsperson bin Ladens frei: Ayman al-Zawahiri. Zawahiri verkörpert wie kein zweiter die Radikalisierungsschübe der islamistischen Politik: 1951 geboren, schloß er sich früh den ägyptischen Muslimbrüdern an. 1974 beendete er sein Studium in Kairo als Kinderarzt. Noch in den 70er Jahren gab er seine Arztpraxis auf, um sich ganz dem bewaffneten Kampf zur Errichtung der islamischen Diktatur hinzugeben. Anfang der 80er Jahre war er als Mitglied von al Djihad an den Vorbereitungen des Anschlags auf Sadat beteiligt. 1981 inhaftiert, wurde er bereits 1984 wieder aus dem Gefängnis entlassen. 1985 schloß er sich den Mudjahidin (= Kämpfer für den Djihad) in Afghanistan an und rückte 1995 zum Stellvertreter bin Ladens auf.264 Unter Zawahiris Einfluß machte sich bin Laden nicht nur die Doktrin von al djihad zu eigen, derzufolge dem bewaffneten und terroristischen Kampf der Vorzug vor Aufklärung und Propaganda einzuräumen sei.265 Zawahiri überzeugte ihn darüber hinaus von der Notwendigkeit der bereits erwähnten Neuordnung der djihadistischen Strategie. Danach solle der Djihad zwar weiterhin auf die ungläubigen Regierungen in den arabischen Ländern zielen. Amerikaner und Israelis seien jedoch die vordringlich zu bekämpfenden Feinde. Als Berufsrevolutionär legte Zawahiri auf die Entwicklung des Bewußtseins seiner Kämpfer stets besonderen Wert. Dies belegen Informationen über seine Rekrutierungspraxis, die in ägyptischen Prozessen zur Sprache kam. Der praktischen Ausbildung im Bombenbau, Paßfälschung etc. gingen jeweils intensive theoretische Kurse in den Fächern „Islamisches Recht“, „Ideologie des Islamischen Djihad“ und „Politische Geschichte der militanten islamischen Bewegungen“ voran.266 Auf diese Weise wurden zwischen jeder neuen Generation von Kämpfern und den Ursprüngen der Muslimbrüder die Verbindung geknüpft. Auch Osama bin Laden ist von jener Ideologie und jener Geschichte geprägt. Den ägyptischen Einfluß auf sein Wirken veranschaulicht die Videoaufzeichnung, mit der er im Oktober 2001 auf die Angriffe der USA gegen die Tali-
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ban reagierte: Bin Laden ist hier in der Mitte zweier ägyptischer al-Djihad-Funktionäre positioniert. Zu seiner Linken befindet sich der Ägypter Muhammad Atef, seinerzeit Militärkommandant der al-Qaida und zu seiner Rechten Ayman al-Zawahiri, der nach bin Laden das Wort ergreift und geradezu programmatisch erklärt: „Amerika steht an der Spitze der Kriminellen, weil es dieses Israel, dieses seit fünfzig Jahren bestehende Verbrechen geschaffen hat.“267
Haß auf Amerika Das USA-Bild der al-Qaida ist von einer Vielzahl sich überlagernder antisemitischer Wahnvorstellungen geprägt. Die erste und reduzierteste ist das Zerrbild von New York als jüdische Metropole, in der beinahe schon jede Bombe die Richtigen trifft. Diese Vorstellung hatte bei dem 1993 verübten Anschlag auf das World Trade Center offenkundig eine Rolle gespielt. Verantwortlich für diesen Anschlag war der später in den USA verurteilte Ramzi Ahmed Yousef, der zwischen 1992 und 1995 in der von Azzam und bin Laden in Peshawar errichteten Mudjahidinzentrale lebte. 1995 erklärte Yousef in einem Interview, „daß er das World Trade Center als Ziel gewählt hatte, weil er den einen Turm in den anderen stürzen lassen und so insgesamt 250 000 Menschen töten wollte“.268 Der an der Planung dieses Anschlags beteiligte Abdul Rahman Yasin hat dessen Vorgeschichte weiter konkretisiert: „Ich möchte die jüdischen Viertel in Brooklyn in die Luft jagen“, habe ihm Ramzi Yousef anfangs mitgeteilt. Nach einem Erkundungsgang durch die New Yorker Stadtviertel Crown Heights und Williamsburg habe Yousef diesen Plan jedoch korrigiert. „Laßt uns lieber eine große Explosion machen, statt mehrere kleine in den jüdischen Vierteln“, habe er mit Verweis auf das World Trade Center vorgeschlagen. „Die Mehrzahl der Menschen, die im World Trade Center
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arbeiten, sind Juden.“269 Hiernach hatte dieser erste Anschlag also nicht die Wirtschaftsmacht USA, sondern die Juden von New York im Visier, die von Yousef - der antisemitischen Codierung folgend - dem World Trade Center zugeordnet worden sind. Die zweite Wahnvorstellung im islamistischen Amerikabild suggeriert eine heimliche jüdische Dominanz an allen Schaltstellen amerikanischer Macht. Mit dem Wort: „Die jüdische Lobby hat Amerika und den Westen als Geiseln genommen“, brachte bin Laden diese Vorstellung im November 2001 auf den Punkt.270 Die schlimmste Bedrohung durch diese Lobby gehe aber von ihren Versuchen aus, die moralischen Grundlagen der islamischen Gesellschaft zu zerstören, erläuterte der Sprecher der al-Qaida, Suleiman Abu Gheit. „In Zusammenarbeit mit den Juden“, schrieb er im Juni 2002 unter der Überschrift Warum wir Amerika bekämpfen, „ist Amerika der Anführer des Verfalls und des Zusammenbruchs der Werte, sei es der moralischen, der ideologischen, der politischen oder der ökonomischen Werte. Es verbreitet Abscheulichkeiten und Lasterhaftigkeiten, die es mit Hilfe von minderwertigen Medien und widerlichen Lehrplänen unter die Menschen bringt.“271 Die dritte Facette des djihadistischen Antiamerikanismus basiert auf einer Denkform, die auch bei Globalisierungskritikern anzutreffen ist: Mit obsessiver Beharrlichkeit wird die Welt in Gut und Böse sortiert. Sich selbst als Opfer mythologisierend und alle Selbstverantwortung dementierend, werden die USA für alles Unheil der muslimischen Welt verantwortlich gemacht. Abu Gheith: „Amerika ist der Grund für alle Unterdrückung, alles Unrecht, alle Lasterhaftigkeit und alle Unterdrückung, die die Muslime unterjocht. Es steht hinter all den Katastrophen, die die Muslime heimgesucht haben und immer noch heimsuchen.“ Könnte sich des Beifalls von Globalisierungskritikern erwehren, wer in Abu Gheiths Philippika das Wort Muslime durch den Begriff Menschen ersetzt? Selbst dann, wenn bin Ladens „Weltfront“ die ökonomi-
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sche Ausbeutung der arabischen Halbinsel durch amerikanische Ölkonzerne und die Stationierung von US-Militärs in Saudi-Arabien anprangert, hat diese Form von „Antiimperialismus“ mit einer wie auch immer verkürzten emanzipatorischen Kritik des Imperialismus so viel gemein wie die iranischen Haßtiraden der Khomeini-Nachfolger gegen die USA: Gar nichts. Der religiöse Krieg der Islamisten hat weder die individuelle Freiheit noch die Handlungsfreiheit abhängig gehaltener Staaten zum Ziel, sondern die Errichtung eines absoluten Regimes, das einzig und allein die Unterordnung unter Allah und seines Stellvertreters, des Kalifen, kennt. „Ihnen geht es nicht im Entferntesten um die Eröffnung einer antikapitalistischen Befreiung oder um emanzipatorischen Protest ..., sondern um die eliminatorische Bekämpfung derjenigen Aspekte der kapitalistisch deformierten ,Moderne’, welche die Grundlagen traditioneller (despotisch-autoritärpatriarchalischer) Herrschaftsstrukturen, Privilegien und Rechtfertigungsideologien bedrohen.“272 Die vierte Facette der al-Qaidaschen Kritik an den USA ist auf die amerikanische Unterstützung für Israel konzentriert. Diese Kritik war bereits in der Gründungserklärung der von bin Laden und al-Zawahiri 1998 gegründeten Islamischen Weltfront für den Djihad gegen Juden und Kreuzfahrer enthalten. Hier wurde der Krieg gegen die USA mit der fortwährenden Neigung Washingtons begründet, „dem jüdischen Kleinstaat zu dienen und die Aufmerksamkeit von dessen Besetzung von Jerusalem und dem Mord an den dortigen Muslims abzulenken“. Die Tötung von Amerikanern sei demnach „eine individuelle Pflicht für jeden Moslem, um die al-AqsaMoschee [in Jerusalem] und die heilige Moschee [in Mekka] aus ihren Fängen zu befreien.“273 Als im August 1998 zwei von der „Weltfront“ lancierte Bomben die US-Botschaften in Kenia und Tansania in die Luft sprengten, wurde auch dieser Anschlag mit „Israels Rolle bei den Tragödien, die die Muslime befallen haben“ legitimiert: „Zusammenarbeit mit den Israelis, während diese die al-Aqsa-Moschee besetzen“, heißt
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es darin weiter, „bedeutet eine Kriegserklärung gegen alle Muslime in der Welt.“274 Dieser antiisraelischen Stoßrichtung blieb al-Qaida auch nach dem 11. September treu. Seine erste Videoansprache nach den Anschlägen beschloß bin Laden mit den Worten: „Ich schwöre bei Gott, daß Amerika nicht in Frieden leben wird, bevor Frieden in Palästina herrscht und bevor alle Armeen der Ungläubigen das Land Muhammads verlassen haben.“275 In seiner zweiten Videoaufzeichnung nach dem 11. September wiederholte bin Laden diese Botschaft. Der Terrorismus gegen Amerika, erklärte er hier, „verdient es, angepriesen zu werden, weil er eine Antwort auf Unrecht ist und darauf abzielt, Amerika zur Beendigung seiner Unterstützung für Israel zu zwingen.“276 Mit welchem Ziel wurde also am 11. September das Pentagon und das World Trade Center attackiert? Bin Ladens Antwort hätte eindeutiger nicht sein können: Um „Amerika zur Beendigung seiner Unterstützung für Israel zu zwingen“. Kann es da noch verwundern, daß der 11. September von den Islamisten und den Islamistenfreunden aller Länder gefeiert worden ist?
Das antisemitische Fanal Schon vor dem 11. September war Osama bin Laden ein in der arabischen Welt gefeierter Held. 1989 reiste er nach dem Abzug der Roten Armee aus Afghanistan in einem Triumphzug durch Saudi-Arabien. Über 250 000 Kassetten mit seinen Reden wurden legal verkauft, unzählige Raubkopien unter der Hand verbreitet. Die zweite Sympathiewelle folgte 1998. Nachdem al-Qaida die US-Botschaften in Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania) in die Luft gejagt und über 250 Menschen getötet hatte, schlugen die USA mit 66 auf al-QaidaTrainingscamps in Afghanistan gerichteten Cruise-MissilesRaketen zurück. Da bin Laden diesen Angriff überlebte, wurde er nun erst recht zur Kultfigur. Osama bedeutet ,Löwe’ und
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so lautete die Parole auf damaligen Demonstrationen: „Osama der Löwe kommt aus seinem Käfig, um die Feinde des Islam zu verschlingen“. Der sudanische Islamistenführer Hassan al-Turabi erklärte 1998, daß die muslimische Jugend in ihm ihr Vorbild sähe: Der Haß auf die USA werde „10 000 bin Ladens hervorbringen“.277 Dieser Kult hat seit dem 11. September neue Steigerungen erlebt: Falls bin Laden tatsächlich der Urheber des 11. September gewesen sein sollte, schwärmte der ägyptische Kolumnist Salim Azzouz in der islamistischen Tageszeitung Al-Ahrar, „dann werde ich ein Statue von ihm bauen und in meiner Wohnung aufstellen und sein Bild in mein Büro hängen. Denn er hat bewiesen, daß die USA gedemütigt werden können.“ In der Wochenzeitung der ägyptischen Muslimbrüder, Afaq Arabiya schrieb ein Dr. Ahmad Al-Magdoub verzückt: „Oh Osama ..., du bist ein Held im eigentlichen Sinne dieses Wortes. Du besitzt all die männlichen Tugenden, denen es jenen Halb-Männern fehlt, die die muslimischen und arabischen Ressourcen kontrollieren.“278 Auch in den palästinensischen Autonomiegebieten löste der 11. September Beifallsstürme aus. Besonders euphorisch wurde bin Laden von den Islamisten im Gazastreifen unterstützt, standen doch al-Qaida und die Hamas stets in engem Kontakt. Mehr als ein Dutzend Kader der Hamas wurden in afghanischen Trainingslagern der al-Qaida geschult. Jassin persönlich händigte den nach Afghanistan entsandten Kadern seiner Organisation die Reisespesen aus.279 Wiederholt sahen sich die palästinensischen Behörden genötigt, Kundgebungen und Demonstrationen zugunsten der al-Qaida im Gazastreifen auseinanderzusprengen.280 Wenig anders sah es auf der Westbank aus: Unmittelbar nach Bekanntwerden des Anschlags strömten 3000 Menschen in Nablus zusammen, um unter „Gott ist groß“-Gesängen ihre Begeisterung kundzutun.281 Wie aber hatte die islamische Geistlichkeit auf das religiös begründete Massaker in Washington und New York reagiert? Zwar hatte Scheich Muhammad Sayed Tantawi, der Vorsteher
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der für den Sunni-Islam maßgeblichen al-Ahzar-Moschee in Kairo, die Aktionen des 11. September als „unislamisch“ kritisiert. Von größerer Bedeutung ist jedoch der Umstand, daß weltweit kein muslimischer Rechtsgelehrter bin Laden als Oberhaupt einer Terrorbruderschaft zum Ungläubigen erklärte. Von einer umfassenden Zurückweisung des Islamverständnisses, das bin Laden auf seinen Videobändern propagiert, konnte erst recht keine Rede sein. Nur in Ausnahmefällen wurde in der islamischen Welt der überfällige Ruf nach Ächtung der suizidalen Massenmorde und des modernen Märtyrerkults laut.282 Als sich 54 islamische Staaten im April 2002 zur Islamischen Weltkonferenz in Malaysia versammelten, wurde der Vorschlag der Gastgeber, zukünftig jeden Anschlag auf Zivilpersonen als Terrorakt zu werten, zurückgewiesen. Als habe sich al-Bannas Djihadismus in der islamischen Welt mittlerweile durchgesetzt, wurden hier der Schulterschluß mit den palästinensischen Selbstmordattentätern fast einstimmig vollzogen.283 War das Verhalten der Europäischen Union nach dem 11. September weniger skandalös? Es wäre „vollkommen unverantwortlich“, warnte schon am 14. September 2001 Frankreichs Botschafter in Israel, Jacques Huntzinger, den Terroranschlag in den USA mit den Selbstmordattentaten gegen Israelis zu vergleichen, da ihr Kontext ganz und gar verschieden sei.284 Auch Huntzinger wird darüber informiert gewesen sein, daß al-Qaida und Hamas derselben Qutbschen Tradition entstammen und personell miteinander verflochten sind. Dennoch mildernde Umstände für die Massenmorde der Hamas? Dennoch ein Stück weit mehr europäisches Verständnis für Massaker, bei denen nicht die amerikanische Großmacht, sondern „nur“ israelische Juden betroffen sind? Diese Gewichtung erleichtert den Europäern das Geschäft mit der arabischen Welt: Nur wer al-Qaida und Hamas kategorisch voneinander trennt, kann den palästinensischen Terror gegen Zivilisten als überbordende Ausdrucksform eines palästinensischen ‚Befreiungskampfes’ interpretieren und
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unverdrossen beim iranischen Finanzier dieser Kämpfe auch weiterhin auf Akquise gehen. Die Tatsache, daß die PLO bei der Europäischen Union den Antrag stellte, suizidale Massenmörder dadurch zu belohnen, daß man deren Angehörigen von Brüssel aus finanzielle Hilfen zukommen läßt, wurde nur durch Indiskretion bekannt. Für den Posten „Lebensmittel und Bargeldunterstützung an die Familien der Märtyrer“ setzte der palästinensische Planungsminister Nabil Schaath in seiner im April 2002 vorgelegten Wunschliste einen Betrag in Höhe von 20,6 Millionen Euro an.285 Wenn dies auch abgelehnt wurde, gab Brüssel doch deutlich genug zu verstehen, daß Arafat die Selbstmordkampagne unterstützen und sogar unter Zuhilfenahme von EU-Geldern finanzieren könne, ohne Gefahr zu laufen, von seinen europäischen Förderern fallengelassen zu werden. Brüssel schlug alle Warnungen und Informationen Israels in den Wind und ließ zu, daß „mindestens hundert, vielleicht mehrere hundert Mitglieder verschiedener FatahMilizen“, die an den Terroranschlägen gegen israelische Zivilisten beteiligt waren, „zugleich europäischen Förderlohn für ihre Dienste im Sicherheitsapparat [der Autonomiebehörde] erhielten“.286 Anstatt also die Konsequenzen aus der Verbindungslinie zwischen den Selbstmordanschlägen in Tel Aviv und den Attentätern von Washington und New York zu ziehen, wurde ein Kausalzusammenhang zwischen der israelischen Politik und dem Anschlag des 11. September hergestellt. Sie habe angeblich den „Nährboden des Terrors“ bereitet. Sie sei der Anfangsspunkt jener „Spirale der Gewalt“ und einer Eskalation, die jetzt zu der Explosion von New York geführt habe. Während Arafats Behörde noch im Februar 2002 60 Millionen Euro ohne jede politische Auflage geschenkt bekam, wurde Israel von den Europäern für eben jenen „Kampf gegen den Terror“ angegriffen, in welchem man der Regierung in Washington, verbal zumindest, zur Seite stand.287 So entwickelte sich aus dem Beifall, den die islamischen Staaten den palästinensischen Selbstmordattentätern zollten,
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und dem wohlwollenden Verständnis, das die europäischen Regierungen diesen gegenüber aufbrachten, eine höchst paradoxe Situation: Als habe heimlich ein al-Qaida-Regisseur im massenpsychologischen Welttheater die Regie geführt, schlug der 11. September ausgerechnet gegen Israel zurück. Zuweilen wurde der jüdische Staat für die Massaker des 11. September sogar direkt verantwortlich gemacht. Millionenfach und in Windeseile ging die von der libanesischen Hizbullah verbreitete Legende um die Welt, derzufolge 4000 Juden am 11. September nach einer Warnung des israelischen Geheimdienstes Mossad nicht an ihre Arbeitsplätze im World Trade Center gegangen seien: „Hey USA!! Why 4000 Jewish Can Escape From Boom?“ lautete fortan die Parole in der islamischen Welt. Welches Bild vom „Juden“ wird in dieser Geschichte gemalt? Erstens unterstellt die Legende, daß der Mossad, um der arabischen Sache zu schaden, tausendfach über Leichen geht. Zweitens wird suggeriert, daß sich jeder Jude außerhalb Israels, wenn es darauf ankommt, den Anweisungen aus Tel Aviv mit geradezu soldatischer Disziplin fügt. Drittens wird eine Vernichtungsabsicht gegenüber der nicht jüdischen Bevölkerung unterstellt: Kaltblütig lieferten der Legende zufolge die Juden von New York ihre nicht jüdischen Arbeitskollegen dem Tode aus. Konsequent wurde hier die Goebbelssche Regel, daß eine Lüge nur ungeheuerlich genug sein muß, um geglaubt zu werden, praktiziert. Millionenfach wurde das antiisraelische „I hate you“-Virus per Internet über alle Erdteile proliferiert. Schon diese globale Verbreitung und Akzeptanz markiert eine Zäsur: Über Nacht wurde das Konstrukt der jüdischen Weltverschwörung als zentrales Deutungsmuster eines weltweit beachteten Ereignisses popularisiert. Während der 11. September nicht nur Israel, sondern auch zahlreiche jüdische Gemeinden in Europa in eine unerwartete politische Isolation gedrängt hat, entpuppte er sich für die Antisemiten in Europa und der arabischen Welt hingegen als Fanal: Die brennenden Türme des World Trade Center waren
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das Feuerzeichen, das den Aufbruch zu einer globalen Renaissance des antisemitischen Wahns angekündige.288 Beginnen wir mit der arabischen Welt: Diese erlebte im Frühjahr 2002 eine Eskalation des Djihad, wie sie vor dem 11. September nicht denkbar gewesen war. Den Anstoß gab die Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten. Hier stärkten die Intifada und der Anschlag die mit Osama bin Laden verbundene Hamas. Während Umfragen zufolge die Zustimmung zur PLO zwischen Oktober 2000 und Oktober 2001 von 33 Prozent auf 20 Prozent sank, stieg im selben Zeitraum die Popularität der Hamas von 23 Prozent auf 31 Prozent an. Bei den ersten Wahlen zu einem Studentenparlament nach dem 11. September lag die Hamas in Nablus mit 60 Prozent gegenüber der Fatah mit 34 Prozent weit vorn.289 Zugleich schwoll der Beifall für die palästinensischen Selbstmordbomber unaufhörlich an. So sprach sich im Dezember 2001 der von Arafat ernannte Mufti von Jerusalem, Scheich Ikrama Sabri, „deutlicher als bisher für die Selbstmordanschläge aus“. Während zu diesem Zeitpunkt der höchste sunnitische Religionsgelehrte, Muhammad Saied Tantawi von der al-Azhar-Moschee derartige Anschläge in einer fatwa noch untersagte, war einige Monate später auch diese Hürde geräumt: Im April 2002 verkündete Tantawi, daß jeder Selbstmordanschlag „gegen irgendeinen Israeli, einschließlich Kinder, Frauen und Teenager, gemäß der Religionsgesetze ein legitimer Akt und ein islamisches Gebot sei, bis das Volk von Palästina sein Land wiedererhält und den grausamen israelischen Aggressor zum Rückzug veranlaßt“290 Entgegen der bis dahin von Arafat praktizierten Sprachregelung wurde nun auch von der Palästinensischen Autonomiebehörde öffentlich für suizidale Massenmorde geworben, während die PFLP „die Liebe zum Märtyrertum“ als „göttliche Waffe“ zu heroisieren begann.291 In einem „Brief von al-Qaida an die Muslime und das heldenhafte Volk der Palästinenser“ meldete sich schließlich auch Osama bin Laden zu Wort: Er stellte die Selbstmordanschläge in Israel und New York in eine Reihe und
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rühmte sie als „große Ereignisse“ und als „gesegneten Heiligen Krieg.“292 Und so begann sich die palästinensische Gesellschaft im Frühjahr 2002 tatsächlich in jene „Industrie des Todes“ zu verwandeln, die Hassan al-Banna 1936 so herbeigesehnt hatte. Der Massenmord an jüdischen Zivilisten war zu einem selbstverständlichen Leitideal der Alltagskultur geworden! Die islamfaschistische Charta der Hamas wurde in der Vernichtungspraxis realisiert. Makabre unwirkliche Welt: Im Gazastreifen erklärten 700 von 1000 befragten Jugendlichen, sich im Djihad als Selbstmordbomber in die Luft sprengen wollen. Die Hamas verkaufte Do-it-yourself-Videos zur Herstellung von Sprengstoffgürteln. In den Kindersendungen des Fernsehens, die die Selbstmordanschläge in Animationsfilmen nachstellten, wurde der Djihad für Vorschulkinder eingeübt. Und in den makabren Abschiedsfilmen junger Massenmörder tauchten immer häufiger auch deren Mütter auf, um keineswegs hoffnungslos oder verzweifelt, sondern mit Stolz und mit Freude die Opferung des eigenen Sohns nicht zur Rettung, sondern zur Tötung anderer anzupreisen. Als die israelische Regierung gezwungenermaßen zu militärischen Gegenmaßnahmen griff, ging das Kalkül der Islamisten vollends auf: Antisemitischer Furor ergriff die arabische Welt. Wochenlang wurden die technisch perfekten, politisch aber vollständig aus dem Kontext gerissenen Bildern von Jenin und anderswo als flammende Appelle über das Arab News Network (ANN) und das „Hizbullah TV“ in alle Haushalte der muslimischen Welt transportiert: Keine Worte, nur Bilder, von martialischer Musik unterlegt.293 Skrupellos wurden die israelischen Militäraktionen von ihrer Ursache - dem Blutrausch der suizidalen Massenmorde - abgekoppelt, um die reale Vernichtungspraxis der Hamas auf deren Opfer, die Juden, zu projizieren. Gleichzeitig heizten auch andere Regierungen den Selbstmordkrieg gegen Israel weiter an. Der Irak erhöhte seine Zahlungen an Familien von Selbst-
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mördern von 10 000 auf 25 000 Dollar und sicherte den Palästinensern eine Sonderhilfe in Höhe von 8,7 Millionen Dollar zu. Saddam Hussein ließ einen Gruß an die selbstmörderischen Palästinenser senden, insbesondere an die „tapferen palästinensischen Frauen, die ihre Söhne voller Genugtuung in die Selbstopferung verabschieden, damit sie die zionistische und die amerikanische Verwaltung erschrecken und in den Zustand der Verzweiflung treiben“.294 In Saudi-Arabien publizierte die staatlich kontrollierte Zeitung AI-Watan einen zweiteiligen Artikel, der von dem „höllischen Plan der Juden, die Weltherrschaft zu übernehmen“ handelt. Der eliminatorische Antisemitismus eskalierte durch Predigten in Mekka und Medina, die der Fernsehsender der saudischen Regierung übertrug. Am 19. April 2002 wurde in Medina gebetet: „Allah, zerstöre die Juden, treibe sie auseinander, vernichte sie bald, habe Gnade mit unseren Brüdern und Schwestern in Palästina. Hilf unseren unterdrückten Brüdern in Tschetschenien, Kashmir und anderswo.“ Zeitgleich wurde in der Moschee von Mekka gelehrt: „Die Juden von gestern waren schlimme Vorgänger und die Juden heute sind noch schlimmere Nachfolger. Sie sind der Abschaum der Erde. Allah schleuderte ihnen seine Flüche entgegen und machte aus ihnen Affen und Schweine und Götzenanbeter der Tyrannen. Dies sind die Juden: ein fortdauerndes Geschlecht von Bösartigkeit, Gerissenheit, Widerspenstigkeit, Tyrannei, Boshaftigkeit und Korruption.“295 Im Iran schließlich berief dessen religiöses Oberhaupt, Ayatollah Khamenei, eine „Weltkonferenz zur Unterstützung der Intifada“ ein, um dem „Krebsgeschwür“ Israel, das ausgerottet werden müsse, die Selbstmordbomber als „Höhepunkt von Mut, Ehre und Würde einer Nation“ gegenüberzustellen und vor der „israelisch-amerikanischen Falle“ zu warnen, die darin bestehe, „die Palästinenser zu neuen Verhandlungen zu drängen“.296 Mit eben dieser Stoßrichtung - keine Verhandlungen! fanden im Frühjahr 2002 in allen großen arabischen Städten
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gigantische, oftmals von den Muslimbrüdern veranstaltete Demonstrationen zur Unterstützung der Selbstmordintifada statt. So demonstrierten eine Million Menschen in Rabat (Marokko). Je 300 000 gingen in Saana (Jemen) und Kartoum (Sudan) auf die Straße, je 100 000 in Tripolis (Libyen), Kairo und Bagdad sowie je 20 000 in Amman (Jordanien) und im Golfemirat Bahrein. „Bin Laden, bin Laden, zerstöre Tel Aviv“, skandierte die Menge in Amman. „Die Armee Muhammads wird zurückkehren, die Armee Muhammads steht schon an der Grenze!“, lautete eine andere Parole. Hier stellten die jordanischen Muslimbrüder das Hauptkontingent.297 In Ägypten war das wichtigste Anliegen der an fünf Tagen nacheinander stattfindenden Großdemonstrationen die Forderung nach „Erlaubnis für Ägypter, sich dem bewaffneten Kampf der Palästinenser gegen die israelische Besatzungsmacht anzuschließen.“ Dieselbe Forderung wurde in einem Aufruf erhoben, der von islamistischen Gruppen aus zwanzig Ländern unterschrieben war, darunter Gruppen aus Südafrika, Nigeria, Sudan und Bangladesh, sowie der Hamas, der Hizbullah und dem türkischen Islamisten Erbakan.298 Hier war sie nun - die muslimische Massenbewegung, die durch das Fanal des 11. September maßgeblich ausgelöst worden ist. Sechs Monate nach Einsturz des World Trade Center feierte der eliminatorische Antisemitismus im Vorgriff auf künftige Massaker über Wochen hinweg sein seit 1945 größtes Fest. Es war nicht der Krieg der USA gegen die Taliban, der die islamischen Massen auf die Straßen brachte, sondern die von der Hamas angezettelte Offensive gegen Israels Existenz. Zur guten Stimmung dieser Djihadfeier trug allerdings nicht nur das nach Millionen zählende Fußvolk in den Hauptstädten der arabischen Staaten bei, sondern ebenso die Solidarisierungsaktionen auf dem europäischen Kontinent. Schon der Anschlag auf das World Trade Center hatte die Naziszene elektrisiert und das historische Bündnis zwischen dem Mufti und dem Führer als Bündnis zwischen Neonazis und Djihadisten revitalisiert. „Die Allianz ist geschaffen“,
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erklärte der Nazi und konvertierte Muslim Ahmed Huber, der mit al-Qaida-Militanten mehrfach zusammengetroffen war. „Der 11. September hat beide Seiten zusammengebracht, weil die Neue Rechte in ihrer großen Mehrheit auf die Anschläge positiv reagiert hat.“299 In der Tat sind die Anschläge von dieser Szene als ein Angriff auf die, jüdische-plutokratische“ Wall Street und das Zentrum des „Zionist Occupied Government“ geradezu bejubelt worden.300 „Nach dem Verrat Yassir Arafats an seinem Volk“, rühmte NPD-Sprecher Horst Mahler, sei „die Initiative im Kampf gegen die jüdische Herrschaft auf die Heiligen Islamischen Krieger übergegangen.“ Damit habe „das Jahrzehnt des Niedergangs des Judäo-Amerikanischen Imperiums“ begonnen.301 Die Schlußfolgerungen aus dieser Einschätzung wurden von einem „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen“ so formuliert: Die Islamisten von Hamas und al-Djihad seien die natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die „US-Terroristen“ und ihre „Befehlsgeber“ in Israel, die die eigentlichen „geheimen Weltherrscher“ seien.302 Also rief man gemeinsam mit Horst Mahler zur „weltweiten Intifada“ als Aufstand gegen die „Agenturen der jüdischen Macht“ auf.303 Weltweite Intifada! - diese Parole findet auch bei linken Globalisierungskritikern Applaus, besonders in Italien. Erst in diesem Kontext bewegt sie Massen und entfaltet politische Wirkung. Die in der westlichen Welt bislang größte Unterstützungsdemonstration für die Selbstmord-Intifada in Palästina wurde von der italienischen Antiglobalisierungsbewegung organisiert und fand mit 100 000 Teilnehmern am 9. März 2002 - fast zeitgleich mit der arabischen Djihadismuswelle in der italienischen Hauptstadt statt. Mit den Vorbereitungen auf diese Demonstration war unmittelbar nach dem 11. September begonnen worden. Presseberichte, nach denen diese Demonstration sich von zionistischer und palästinensischer Gewalt habe distanzieren wollen, wies einer der Veranstalter, das „Anti-Imperialist Camp“, wütend zurück. Dieser Aufmarsch habe „einen klar antiimpe-
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rialistischen Charakter“ gehabt, denn er habe die Freilassung „aller Militanten der Intifada“ aus den Gefängnissen der Palästinensischen Autonomiebehörde gefordert und das Recht der Palästinenser verteidigt, „alle Mittel einzusetzen, die ihnen für die Befreiung von Palästina geeignet erscheinen“.304 Zu eben diesem Zeitpunkt - März 2002 - erreichte die Eskalation der suizidalen Massenmorde in Israel ihren Höhepunkt. Während Massaker an der Zivilbevölkerung bis dahin in der Linken stets und zu Recht als faschistisch eingeordnet worden sind - so im Fall der Anschlagserie 1974 im italienischen Brescia oder beim Münchner Oktoberfestattentat von 1980 - wurde das Ungeheuerliche nun als selbstverständlich akzeptiert. Mehr noch: Während die Eskalation der Selbstmordattentate zu einer Zunahme der Solidarisierung mit den zumeist jüdischen Opfern und zur Entsolidarisierung mit den Organisatoren dieser Anschläge hätte führen müssen, vollzog sich in jener Linken genau das Gegenteil: Je unterschiedsloser palästinensische Kommandos israelische Zivilisten töteten, desto frenetischer wurde diese Intifada mit „antiimperialistischem“ Beifall bedacht. Was aber haben Faschismus und antiimperialistische Globalisierungskritik mit dem Islamismus, den sie rühmen oder verteidigen, gemein? Die Antwort hat mit der Wende von 1989/90 zu tun. Wenn auch die kommunistische Idee als Alternative zum Kapitalismus spätesten seit Stalin zerstört war, hat doch erst diese Wende ihr vollständiges Verschwinden bewirkt. Da sich die Verhältnisse in der Welt seither aber nicht zum Besseren gewandelt haben, setzte mit dem Wegfall der kommunistischen Utopie die Suche nach attraktiven „antikapitalistischen“ Ersatzideologien ein. Als Gewinner dieses diffusen Wettbewerbs hat sich als neue Kraft vorerst die Antiglobalisierungsbewegung durchgesetzt. Diese zeichnet sich durch eine grob verkürzende und oft auch romantisierende Form von Kapitalismuskritik aus. Sie rückt nicht die objektive Totalität einer kapitalisierten Welt in
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das Blickfeld, welche den Kleinbetrieb in Mogadishu und den Multikonzern in den USA in ein und dieselbe Logik zwängt. Stattdessen werden die als abstrakt oder übermächtig wahrgenommenen Bestandteile des Kapitalismus - „die Börse“ etwa oder „die Wall Street“, „das Finanzkapital“ oder „die USA“ - vom Gesamtzusammenhang des Kapitalismus abgetrennt, um auf sie all die Verwüstungen, die die kapitalistische Gesellschaftsform anzurichten pflegt, zu übertragen. Mit dieser Herauslösung einzelner Phänomene aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang wird unbewußt oder bewußt an antisemitische Stereotype, die den Juden mit „Geld“ und „Geldherrschaft“ in eins zu setzen pflegen, wieder angeknüpft. Dies macht die Globalisierungskritik gerade bei Nazis so populär: Schon lange hält sich hinter www.gegen-globalisierung.de die NPD-Jugend versteckt. Es ist diese mit dem Antisemitismus kompatible Denkform, die die „geschundenen und abgeweideten Völker“ den „Globalisten“ gegenüberstellt und die das mit den Attributen der „Künstlichkeit“ und der „Fremdheit“ versehene Israel mit der Romantik eines als „authentisch“ empfundenen palästinensischen Kampfes um Heimat, Gemeinschaft und Boden kontrastiert. Als Jassir Arafat Israel einen „künstlich geschaffenen Fremdstaat in der Mitte einer arabischen Welt“ nannte, brachte er diese Dichotomie auf den Punkt. Der führende Ideologe der Nazis, Alfred Rosenberg, drückte diese antizionistische Blutund Bodenideologie nur zeitgemäßer aus, als er 1938 auf das „arabische Land“ verwies, in welches „das Judentum gleichsam wie eine dauernde Giftzufuhr hineingepreßt werde“.305 Beide propagieren den „organischen“ Staat, der nur über konkretes Blut - das völkische jus sanguinis - zusammengehalten werden könne, während Israel als Einwandererland für Juden aus aller Welt der Prototyp des nach dem jus soli organisierten politisches Staates und schon deshalb nicht nur allen Faschisten, sondern auch den auf „völkische Identität“ fixierten Antiimperialisten ein Dorn im Auge ist. Die Kontra-
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stierung von „zionistischem Gebilde“ und „palästinensischem Volk“ geht über die Metaphorisierung unterschiedlicher Kategorien von Staatlichkeit aber weit hinaus, weil „Israel“ gleichzeitig für „globalisierte jüdische Macht“ (= Kapitalismus), das „palästinensische Volk“ aber für die „Befreiung“ von dieser Macht in der Tradition der faschistischen Bewegungen steht. Während Nazis und Islamisten sich zumindest in der lautstarken Artikulation ihres eliminatorischen Antisemitismus einig sind, ist es die extrem manichäische und somit zumindest implizite antisemitische Denkform, die das Gros der Antiglobalisierungsbewegung mit dem faschistisch orientierten Antizionismus vereint. Für die al-Qaida ist jedenfalls die Angleichung ihrer Parolen an die Bewegung der Globalisierungskritik Bestandteil ihrer politischen Strategie. Der in mehreren arabischen Zeitungen als führender Mitarbeiter Osama bin Ladens bezeichnete Abu Ubeid al-Qurashi führte dies in einem im Februar 2002 veröffentlichten Grundsatzpapier aus: Die islamische Bewegung, heißt es darin, „muß ihr Interesse an der Da‘wa (Werbung für den Islam) verstärken und für die öffentliche und politische Unterstützung der Völker werben... Alte Strategen wie Clausewitz und Mao Tse-Tung haben darauf bereits hingewiesen.“ Worauf diese politischen Anstrengungen zu konzentrieren seien, machte al-Qurashi in einem vier Wochen später veröffentlichten Aufsatz klar: “Die Islamische Nation kämpft gegenwärtig gegen die Globalisierung und sie fährt mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der westlichen Rhetorik und ihren Erklärungen fort.“306 Im Frühjahr 2002 zeigte dieser aus Verschwörungsphantasien gespeiste Antikapitalismus erstmals auch in Europa sein wirkliches Gesicht: Während der Neuaufschwung des Djihadismus die arabischen Hauptstädte erschütterte, fanden hier zeitgleich die massivsten antisemitischen Ausschreitungen seit der Pogromnacht von 1938 statt. In Frankreich schlug die bislang lautlose Islamisierung der
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Vorstädte durch von Saudi-Arabien finanzierte Imame („Benladenisation des banlieues“) in antisemitische Angriffe um: Jüdische Schulen und Synagogen wurden in Brand gesetzt und jüdische Friedhöfe geschändet. Über vierhundert Verbrechen mit Gewaltanwendung gegen Menschen listete das Weißbuch Les Antijeufs auf. Die Ausschreitungen, die mit der Intifada im September 2000 begonnen hatten, weiteten sich nach dem 11. September deutlich aus. In Brüssel wurden jüdische Geschäfte gebrandschatzt und Synagogen mit Molotowcocktails beworfen.307 In Italien nahm die Zahl der Übergriffe auf jüdische Einrichtungen zu, während der Antisemitismus in der Bundesrepublik zu einem populistischen Renner und damit erstmals zu einer im bürgerlichen Spektrum wirksamen Kraft avancierte. Im April 2002 gaben in einer repräsentativen Umfrage 20 Prozent der deutschen Bevölkerung den Juden die Schuld an den großen Konflikten in der Welt. Wie hartnäckig sich eine Denkform, die immer und überall die Juden verantwortlich macht, bereits etabliert hat, stellte einer der berühmtesten Globalisierungskritiker unter Beweis. So hatte Josef Bové, der berühmt wurde, weil er ein McDonalds-Restaurants zerstörte und heute nicht nur als der informelle Anführer der jüngeren französischen Linken, sondern auch als Anführer der weltweiten Antiglobalisierungsbewegung einiges Ansehen genießt, die Drahtzieher der antisemitischen Ausschreitung in Frankreich intuitiv erkannt. Gegenüber dem französischen TV Kanal Canal Plus erklärte Bové, „daß die Angriffe auf französische Synagogen entweder vom Mossad arrangiert oder vom Mossad ausgeführt worden sind“.308 Massenhafte antijüdische Eruptionen in der arabischen und der europäischen Welt: Mit dieser Resonanz auf die Anschläge des 11. September konnte al-Qaida zufrieden sein, auf solche Nachbeben hatte sie gesetzt. So stellte sie in Auswertung der Septemberattentate besonders deren Signalwirkung heraus. Die Massaker seien ein „Rekordbrecher der Propaganda-Verbreitung“ für den Islamismus gewesen, hob ein Sprecher der
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al-Qaida hervor. „Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat der gesamte Planet davon gehört.“ Der Anschlag von New York „läutete die Glocken des wiederkehrenden arabischen und islamischen Ruhms“.305 Auch wenn dieses Pathos etwas übertrieben klingt: Das Todesglöckchen läutet für den Islamismus ganz gewiß noch nicht. Zwar haben die militärischen Maßnahmen der USA die Infrastruktur der Djihadisten in Afghanistan zerstört und die Kader der al-Qaida in Deckung gezwungen. Von nachhaltigen politischen Erfolgen gegen den Vormarsch des Djihadismus in der islamischen Welt kann jedoch keine Rede sein. Der Antisemitismus wurde nach dem 11. September nicht geächtet und in seine Schranken gewiesen, er wurde im Gegenteil zu einer weltweit wirksamen Macht. Wer aber den Antisemitismus nicht bekämpfen will, der hat gegen den Djihadismus ohnehin keine Chance. Der Rückblick auf die Voraussetzungen des Djihadismus hat gezeigt, daß der moderne Djihad von Anfang an und untrennbar mit dem Judenhaß verkoppelt ist. Das versteht sich nicht von selbst. Die Auswirkungen der britischen Kolonialpolitik und der kapitalistischen Krise hatten den Islamismus Ende der 20er Jahre als Widerstandsbewegung gegen die „kulturelle Moderne“ hervorgebracht und den Ruf nach einer neuen Ordnung der Scharia provoziert. Dennoch nahm die Mobilisierung der Muslimbrüder zum Djihad fast durchgängig nur den Zionismus und die Juden ins Visier: Nicht als antikoloniale, sondern als antijüdische Bewegung wurden die Muslimbrüder zur Massenorganisation.310 Der Djihadismus stachelte den Antisemitismus nicht nur an, sondern wurde durch diesen zugleich konstituiert. Der Judenhaß der ikhwan, der sich 1936-1938, 1945 und 1947/48 in Demonstrationen und Pogromen entlud, speiste sich aus den antijüdischen Passagen des Koran sowie dem Antisemitismus und dem Antizionismus des Nationalsozialismus. Es war das Zusammenfließen dieser unterschiedlichen und eigenständigen Quellen, die den antijüdischen Kampagnen in Ägypten erst ihre Durchschlagskraft
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verlieh. Um so erstaunlicher also, daß dieser Antisemitismus ohne jede Brechung auch nach 1945 seine Fortsetzung fand. Wieso ist der Djihadismus nicht gemeinsam mit all den anderen semifaschistischen Bewegungen der 30er Jahre nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus von der historischen Bühne abgetreten? Wieso konnte der islamfaschistische Judenhaß der Muslimbrüder ungeachtet der Erkenntnisse über die Shoah die Zeitenwende von 1945 überleben und mit der antisemitischen Programmschrift Sayyid Qutbs von 1950 sogar noch gesteigert werden? Die Antwort hat in erster Linie mit dem proarabischen Opportunismus der Großmächte nach 1945 zu tun. So trugen alle Siegermächte des Zweiten Weltkrieges auf ihre Weise zur Rehabilitierung von Amin el-Husseini bei. Fangen wir mit den westlichen an: In Frankreich durfte der Kriegsverbrecher wie ein Staatsgast residieren. Großbritannien zog sein Auslieferungsbegehren nach dem Einspruch der Arabischen Liga kleinlaut zurück. Nach der Flucht des Mufti nach Ägypten ließen auch die USA, die zuvor noch auf Bestrafung gepocht hatten, von ihm ab. Simon Wiesenthal traf den Punkt, als er 1947 den Mufti mit einer „nicht explodierten Bombe“ verglich, „welche man umgeht, weil sich der Pyrotechniker noch nicht gefunden hat, welcher sie entschärfen und für die Umwelt unschädlich machen soll“, und, an die Adresse der Alliierten gerichtet, fügte Wiesenthal hinzu: „Keine der Regierungen versuchte aber bis heute, die Sache beim Namen zu nennen.“311 Die wichtigste Weichenstellung für das Fortwirken des Islamismus fand somit zwischen 1945 und 1948 statt. Den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges waren ihre guten Beziehungen zur arabischen Welt wichtiger als der Widerspruch gegen das weltanschauliche Gebräu, das der Mufti wie kein zweiter verkörperte, und das aus Antisemitismus, Hitlerbewunderung, Holocaust-Leugnung und dem unbändigen Wunsch bestand, Israel auszulöschen. Die Folgewirkungen dieser Prioritätensetzung sind kaum zu überschätzen. Indem die Staatengemeinschaft den Mufti amnestierte, wurde für einen Groß-
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teil der arabischen Welt auch der Nationalsozialismus und dessen Antisemitismus rehabilitiert. Als dem Mufti nicht nur zahllose flüchtende Nazis, sondern auch die offiziöse Verbreitung der Protokolle der Weisen von Zion folgten, weigerten sich wiederum die Alliierten, „die Sache beim Namen zu nennen“. Wenn Nazideutschland als machtpolitischer Konkurrent auch geschlagen wurde, so hat die antisemitische Ideologie den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet überlebt. Kaum anders sah die Außenpolitik aus, die die sowjetische Führung seit Mitte der 50er Jahre betrieb. Von der Zurückweisung des arabischen Antizionismus, wie sie der sowjetische Außenminister vor den Vereinten Nationen einst betrieben hatte, war nun keine Rede mehr. Mit Nassers Leugnung der Shoah konnte der Kreml sich arrangieren wie mit dessen antisemitischem Engagement. Als Nassers Ziel, Israel auszulöschen, 1967 scheiterte, und der Islamismus seine Renaissance erlebte, bedurfte es für dessen Ausbreitung keiner flankierenden Nazimacht in Deutschland mehr: Der sich an den Protokollen der Weisen von Zion orientierende Antizionismus hatte in der arabischen Welt längst ein neues Domizil gefunden und sich in Ägypten besonders fest etabliert. Doch erst in den 90er Jahren wurde der Islamismus zu einer weltweit agierenden Kraft. Während zum Beispiel in Afrika der Islam auf dem Höhepunkt der Unabhängigkeitsbewegungen in den 60er Jahren selbst in den mehrheitlich muslimisch orientierten Ländern Westafrikas kein Rolle gespielt hatte, breitete sich von nun an die islamistische Position in Sudan, Nigeria und Somalia aus. Während das sowjetische Lager bis 1990 den wichtigsten Antipoden des Kapitalismus darstellte, schickte sich nun der Islamismus an, dieses Lager zu ersetzen und die „Kritik“ des Kapitalismus antisemitisch zu buchstabieren. Der neue antijüdische Krieg - jetzt konnte er beginnen. In Palästina - der am meisten vorgelagerten Front der Kämpfe gegen das „Internationale Judentum“ - kündigte er sich Ende der achtziger Jahre mit der Gründung der Hamas und der 1988
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erfolgten Verabschiedung ihrer islamfaschistischen Charta an. 1994 begann die Serie der suizidalen Massenmorde, mit der sich die palästinensische Muslimbruderschaft als Avantgarde des auf die Auslöschung Israels zielenden Djihad präsentierte. Mit dem Fanal des 11. September setzte sich der Islamismus zugleich auch an die Spitze der antijüdisch gefärbten Amerikakritik. Wenn aber Israel als die „eigentlich“ amerikanische und die USA als die „eigentlich“ jüdische Macht in das islamistische Schußfeld geraten sind, ist der offene Beifall der linken und der rechten Globalisierungskritiker (wie auch der versteckte der Europäischen Union) nicht weit. Und so werden heute mit schlafwandlerischem Instinkt wesentliche Muster der nationalsozialistischen Kapitalismuskritik als Empörung über den „Unilateralismus“ der USA und als Verdammung des Scharonschen „Vernichtungskrieges“ gegen die Palästinenser mit neuem Leben gefüllt. Gleichzeitig gewinnt die Anbiederung der europäischen Großmächte an den Antisemitismus der arabischen Welt eine neue Qualität. Im Ringen um eine neue Weltordnung wollen die europäischen Mächte, insbesondere aber Deutschland, die Zentren des Islamismus um jeden Preis auf ihre Seite ziehen. Als im Februar 2002 die Regierung des Iran die Akkreditierung eines neuen britischen Botschafters mit der einzigen Begründung ablehnte, daß dieser Jude sei, wurde diese Politik von der Bundesregierung öffentlich nicht mit einer Silbe kritisiert.312 So wird der Aufschwung des Islamismus perpetuiert. Djihad und Judenhaß gehören zusammen. Jede Billigung des Antisemitismus verleiht der djihadistischen Barbarei neuen Schub. Aus jeder antikapitalistischen Artikulation, die sich antisemitischer Denkmuster bedient, geht der Djihadismus gestärkt hervor. Der Kampf gegen den Djihadismus setzt somit die zero-tolerance-Position gegenüber dem Antisemitismus voraus. Falls der Judenhaß überall in der Welt geächtet, isoliert, verfolgt und bestraft würde, wäre es auch mit dem Djihadismus vorbei.
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Wenn die Mühlen des Islamismus auch langsam mahlen, das Ziel bleibt stets im Visier: Das erste Zentrum aller gegenwärtigen Angriffe ist Israel. Wie Achmed Jassin, der Führer der Hamas, beiläufig bemerkte, setzt er den Zeitpunkt der Auslöschung Israels auf das Jahr 2027 an: vierzig Jahre nach Beginn der Intifada und der Gründung der Hamas soll das Refugium der Juden von der Landkarte verschwunden sein. Die Ölstaaten der Golfregion stimmen mit dieser Perspektive überein. Millionen islamistisch aufgehetzter Muslime spenden ihr Applaus. Dies macht die Sorge akut, daß etwas mit Auschwitz Vergleichbares sich wiederholen könne. In dieser vor uns liegenden Auseinandersetzung geht es jedoch nicht um Israel allein. Israel ist heute ein Symbol für Anderssein und Differenz. Das Gegenkonzept ist die faschistisch durchgesetzte Homogenität. Das Bemühen um eine Gesellschaft, die die Emanzipation des Individuums jenseits des Kapitalismus neu zu begründen sucht, setzt eine kategorische Absage an das islamistische Homogenitätsideal voraus. Israel ist kein besseres Land als andere Länder, aber seine Existenz entscheidet über die Zukunft der Welt. „Der Sieg der zionistischen Idee ist der Wendepunkt für die Erfüllung eines Ideals, daß mir so wesentlich ist: die Wiederauferstehung des Orients“, hatte der ägyptische Politiker Ahmed Zaki vor achtzig Jahren zum fünften Jahrestag der Balfour-Deklaration formuliert. Weil diese Hoffnung zerschlagen wurde, erhalten Zakis Worte heute neuen Sinn: Anerkennung und Verteidigung des jüdischen Staates oder islamistische Barbarei - dies ist der „Wendepunkt“, vor dem die Menschheit im gegenwärtigen Moment ihrer Geschichte steht.
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Epilog: Der Mufti und die Deutschen
Meine Blickweise auf den Palästinakonfiikt zwischen 1920 und 1948 unterscheidet sich signifikant von anderen Darstellungen. Dies gilt besonders für Texte, die, wie Walter Hollsteins Kein Frieden um Israel oder Helga Baumgartens Palästina: Befreiung in den Staat vorzugsweise in der Linken rezipiert worden sind. Warum wird darin so selten die Stärke der palästinensischen Fraktionen erwähnt, die sich mit den Zionisten arrangieren wollten? Warum wird noch seltener der Einfluß des Islamismus auf die 1936 beginnenden Unruhen thematisiert, warum der Beitrag der Nazis zur Entfachung dieser Unruhen vollständig ignoriert? Diese voneinander abweichenden Betrachtungsweisen haben mit der unterschiedlichen Beurteilung des Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, zu tun. Seit 1947 ist dessen Bündnis mit den Nazis dokumentiert. In diesem Jahr veröffentlichte Simon Wiesenthal seine material- und fotoreiche Dokumentation Großmufti - Großagent der Achse. Die Fotos zeigen den Mufti gemeinsam mit Hitler, Goebbels, Himmler, Eichmann und immer wieder bei den bosnischen Freiwilligen der Waffen-SS. 1988 veröffentlichte Klaus Gensicke seine Dissertation Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten, die auf einer Untersuchung aller einschlägigen unveröffentlichten Aktenbestände basiert. Damit war der Kenntnisstand über Ausmaß und Dimension der Nazi-Muftikooperation im deutschsprachigen Raum in seither unerreichter Güte präzisiert. Die Einflußnahme der Nazis auf die Frühgeschichte des Nahostkonflikts ist ebenso bedeutsam wie folgenreich gewesen. Zweifellos hat die NSDAP bei der Formulierung des antisemitischen Antizionismus eine Vorreiterrolle gespielt. 1920 wurden die Protokolle der Weisen von Zion erstmals in
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deutscher Sprache publiziert. Alfred Rosenberg, einer der Chefideologen der NSDAP, der die Protokolle 1918 von Moskau nach Deutschland gebracht haben soll, zog schon 1921 in seinem Buch Der staatsfeindliche Zionismus die aus diesem Machwerk abgeleitete Konsequenz: „Zionismus ist ... meistens ein Mittel für ehrgeizige Spekulanten, sich ein neues Aufmarschgebiet für Weltbewucherung zu schaffen.“ Adolf Hitler schloß sich dieser Position an: „Die jüdische Heimstätte in Palästina“ sei „nichts anderes ... als ein staatlicher Mittelpunkt für den destruktiven Einfluß der jüdischen Interessen.“313 Dieser eliminatorische Antizionismus veranlaßte den Mufti, die neuen deutschen Machthaber ab 1933 mit immer neuen Kooperationsangeboten zu traktieren. Doch erst als 1937 mit dem britischen Teilungsplan die ,Gefahr’ eines jüdischen Staates Aktualität erhielt, wurde sein Begehren unterstützt. Nun begann Nazideutschland, den vom Mufti geleiteten ,Aufstand’ in Palästina mit Waffenlieferungen und Finanzhilfen zu unterstützen. Ohne diese Hilfe aus Berlin hätte der ,Aufstand’ nicht durchgeführt werden können, räumte der Mufti später ein. Die von Deutschland unterstützte Erhebung zeichnete sich durch zwei Besonderheiten aus: Erstens nutzte der Mufti die Kämpfe gegen Briten und Zionisten, um mit seinen Widersachern unter den Palästinensern, die nicht auf Juden schießen wollten, aufzuräumen. Zweitens wurden erstmals „islamistisch“ kontrollierte Zonen etabliert, in denen schon die Abweichung von der Kleiderordnung mit dem Tod bestraft wurde. Beides stieß bei den deutschen Unterstützern dieser Erhebung auf Sympathie. Das langfristige Kalkül der Nazis wurde 1938 von Alfred Rosenberg benannt: „Je länger der Brand in Palästina anhält, um so mehr festigen sich die Widerstände gegen das jüdische Gewaltregime in allen arabischen Staaten und darüber hinaus auch in den anderen moslemischen Ländern.“314 So fanden alle wichtigen Weichenstellungen zur Torpedierung einer arabisch-jüdischen Verhandlungslösung schon in
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der Phase der Zusammenarbeit zwischen Nazis und Mufti statt: Ausschaltung der palästinensischen Politiker, die eine Zweistaatenlösung befürworteten, Einschwörung der arabischen Welt auf den eliminatorischen Antizionismus, Islamisierung des Palästinakonflikts. All dies ist evident. Um so verblüffender ist die Hartnäckigkeit, mit der man gerade diese Kooperation besonders in Deutschland in vielsagendes Schweigen hüllt. Bis heute wird Gensickes Studie in Fachbüchern, in Universitätsseminaren (zum Beispiel den Islamseminaren der Freien Universität Berlin) wie auch in der medialen Öffentlichkeit systematisch ignoriert. Eine Nachfrage bei Gensickes Verleger ergab, daß sein Buch - mit der Ausnahme eines Achtzeilers im „Jahrbuch 1989 für Extremismus und Demokratie“ - in keiner deutschen Zeitschrift je besprochen wurde.315 Auch die Fachliteratur schweigt das Buch, obwohl es als „Ärgernis“ durchaus registriert wurde, angestrengt tot: nicht nur in der PLO-Studie Helga Baumgartens von 1991, sondern selbst in so einschlägigen Werken wie Gerhard Höpps Mufti-Papiere aus dem Jahr 2001 oder in Gudrun Krämers Geschichte Palästinas von 2002. Die Nichtbeachtung von Gensickes Werk wirft ein bezeichnendes Licht auf den Umgang mit der Kollaboration zwischen dem Mufti und den Nazis: in der Regel wird sie entweder vollständig ignoriert (Walter Hollstein) oder indigniert als Marginalie abgetan. So findet sich in Gudrun Krämers mehr als 400 Seiten starker Studie über die gesamte Affäre nur der einzige Satz: „Besonders kontrovers“ - lautet ihre verunglückte Formulierung - „ist und bleibt seine Rolle im Nationalsozialismus, die ihn für viele - und keineswegs nur jüdische Beobachter - nachhaltig diskreditierte.“ Auch Helga Baumgarten beschränkt sich in ihrer nicht minder umfangreichen Studie auf die folgende Behauptung: „Am Schluß stand der sowohl für ihn selbst als auch für die palästinensische Nationalbewegung verhängnisvolle und folgenreiche Aufenthalt im nationalsozialistischen Berlin.“ Dem Palästinaspezialisten aus
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früheren DDR-Zeiten, Klaus Polkehn, dürfte freilich schon diese ,Kritik’ zu weit gegangen sein: Des Muftis Tätigkeit „beschränkte sich... in Nazi-Deutschland wesentlich darauf, kurz für einige Propaganda-Auftritte zur Verfügung zu stehen und anschließend in einer Art ,goldener Käfig’ zu schwinden.“ Karam Khella, ein Hamburger Dozent, der in der antiimperialistischen Linken einen guten Ruf haben soll, wäscht des Muftis Naziaktivitäten schließlich vollends rein: „1940 (hat) Husseini einen richtigen Schritt gemacht... Er ist nach Deutschland gefahren, um Druck auf die Nazis auszuüben, mit politischen Mitteln, aufzuhören mit dieser Verfolgung, die Probleme schafft.“ Der Mufti also als verkappter Widerstandskämpfer gegen die Judenverfolgung? Anläßlich eines Seminars der Autonomen Palästina Gruppe Wien geht Khella auch auf die Rekrutierung bosnisch-muslimischer SS-Einheiten durch den Mufti ein: „Husseini hat die Palästinafrage islamisch legitimiert, hat versucht, muslimische Freunde zu gewinnen, und so kann ich mir gut vorstellen, daß er diese Funktion auch in anderen islamischen Gemeinden auf dem Balkan getragen hat.“316 In all diesen Darstellungen bleibt nicht nur die Unterstützung des Mufti für die Shoah, sondern überdies die Einflußnahme der Nazis auf die Verhältnisse in Palästina vollständig ausgeklammert. Die meisten der hier zitierten Autorinnen und Autoren würden sich gewiß ohne jedes Zögern als „Antifaschisten“ bezeichnen. Im Fall Palästinas wird dieser Anspruch jedoch in einer höchst auffälligen Weise nicht erfüllt. Wer als Antifaschist die Politik des Mufti als verbrecherisch bewertet, da sie mit der Nazistrategie vollständig kompatibel war, wird den Opponenten des Mufti - den Nashashibis, dem jordanischen Königshaus, den christlichen Notabeln - politische Sympathie entgegenbringen müssen und sei es nur aus einem einzigen Grund: Diese Gruppen hatten auf eine wie auch immer bedingte Kooperation mit dem Zionismus gesetzt, nicht aber auf seine Eliminierung. Genau entgegengesetzt sieht das freilich eine linke Palästinasolidarität, die sich weitaus lieber im Lager des „radi-
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kalen“ el-Husseini als auf der Seite der als „opportunistisch“ kritisierten Nashashibis positioniert. Exemplarisch sei die Studie von Helga Baumgarten zitiert. Während der Mufti hier als „der charismatische und einflußreiche Führer an der Spitze der Bewegung“ charakterisiert wird, „der über die breiteste Anerkennung im gesamten Land verfügt“, fällt das Urteil über seine nichtfaschistischen und den Zionisten gegenüber gesprächsbereiten Widersacher geradezu vernichtend aus: „Die zionistische Bewegung und ihre Agenten bestachen wiederholt palästinensische Notablen“, heißt es hier über die Nashashibis, „um gemeinsam mit ihnen die Position Hajj Amins [el-Husseini] zu untergraben oder mit gekaufter - oder erzwungener - palästinensischer Legitimation ihre eigenen Ziele zu verfolgen.“317 Hier wird a priori unterstellt, daß die „eigenen Ziele“ selbstsüchtiger Natur waren und den Interessen des „palästinensischen Volks“ widersprachen. Das dieser Darstellung zugrunde liegende Paradigma wird weder hinterfragt noch erklärt: Es versteht sich von selbst. Es mißt die „Fortschrittlichkeit“ eines Palästinensers allein am Maßstab seiner antizionistischen Radikalität, während die am wenigsten antiisraelisch eingestellten Kräfte als a priori verräterisch, feige, bestochen und reaktionär hingestellt werden. Die Möglichkeit, daß es im Interesse der Palästinenser liegen könnte, sich mit den jüdischen Einwanderern zu verständigen, kommt nicht vor. Stattdessen werden selbst die Aktivitäten des Mufti unter das Paradigma eines „revolutionären“ (ergo: gerechten) palästinensischen Widerstands subsumiert. Diese Position setzt in der Tat die Leugnung des nationalsozialistischen Antizionismus und der Funktion, die der Mufti in diesem Zusammenhang spielte, voraus. Ist es da weiter erstaunlich, daß diese Autorinnen und Autoren die arabisch-jüdischen Auseinandersetzungen im britischen Mandatsgebiet eher nach dem Maßstab eines antisemitischen Antizionismus als nach dem Maßstab des Antifaschismus beurteilen?
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Zum Beispiel den antisemitischen Pogrom von 1929, der sich gegen die autochthonen Juden entlud und 133 von ihnen das Leben kostete: Walter Hollstein beschönigt diese Ereignisse als arabische „Unruhen, die sich gegen die zionistische Machtpolitik in Palästina richteten“. Die Zeitschrift der deutschen Palästinasolidarität, AI Karamah, feierte den Pogrom gar als den „Aufstand von 1929“.318 Oder die Gewaltausbrüche der Jahre 1936-39: Sie gelten den Marxistischen Blättern als „Guerilla-Krieg und palästinensischer Widerstand“, während AI Karamah sie gar als „bewaffnete Revolution“ glorifiziert. Auch Helga Baumgarten idealisiert sie als „arabische Revolte, mit der die Massen der Bauern... gegen die zionistische Implantation in ihrem Lande rebellierten“. Daß der Mufti in dieser von den Nazis finanzierten Revolte seine Widersacher beseitigte und Teile Palästinas terroristisch islamisierte - davon ist so gut wie nie die Rede. Eine Ausnahme macht Gudrun Krämer, die den islamistischen Terror jedoch nicht anprangert, sondern verklärt: So stößt der drakonisch durchgesetzte Schleierzwang bei ihr auf eine geradezu empathische Sympathie. Sie erwähnt „die Frauen der Jerusalemer Aristokratie“, die „als Damen der Gesellschaft“ gern „europäisch gewandet und das Gesicht frei“ spazierengingen, und fährt fort: „Gegen diese Zeichen der Verwestlichung, gegen den Verfall der Sitten, für Moral und Anstand und in diesem Zusammenhang auch für den Schleier sprachen sich islamische Gelehrte und Aktivisten vom Mufti ... aus.“ Mehr noch: Die gewalttätig erzwungene Unterwerfung unter das islamistische Diktat lobt die Berliner Professorin als Ausdruck für „ausgeprägtes Bewußtsein für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit“, das „mit sozialen Ressentiments gegen ,die da oben’„ verbunden gewesen sein könne.319 Warum haben sich in den letzten 35 Jahren derartige Interpretationen des Palästinakonflikts durchgesetzt, die den Nationalsozialismus und den Antisemitismus weitgehend ignorieren, den Mufti und seine Anhänger dagegen anpreisen und den Islamismus idealisieren?
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Zunächst entspricht diese Sichtweise dem Selbstverständnis der PLO. 1968 definierte sie ihren Antizionismus als „Nationalen Befreiungskampf und stellte ihn rhetorisch mit den Guerillakriegen eines Che Guevara oder Mao Tse-Tung auf eine Stufe. Diese Zuschreibungen wurden nachträglich auf die Auseinandersetzungen der vergangenen fünfzig Jahre zurückprojiziert, die man als eine Kette kontinuierlichen Volkswiderstands und heroischer Aufstände zu feiern beschlossen hatte. Da paßte eine Kritik am Mufti wahrlich nicht hinein. Im Gegenteil: Da der Heldenmut vergangener Kämpfe den für die Zukunft benötigten Heroismus inspirieren sollte, wurden zurückliegende Gewaltakte, falls sie für die Heroisierung wenig hergaben, retouchiert: Aus dem 1929 vollzogenen Pogrom an alten und wehrlosen Juden wurde ein Aufstandsversuch und aus den tribalistischen Bandenkämpfen von 1937/ 38 eine Revolution. Man gab sich nicht nur den Anschein, Mao und Che zu kopieren, sondern erweckte zugleich den Eindruck, deren eigentliche Vorläufer zu sein.320 Diese Form von Geschichtsklitterung kam den neuen Palästinasolidaritätsbewegungen nach 1968 nur allzu gut zupaß, war man doch daran interessiert, auch den jüdisch-arabischen Konflikt ungeachtet seiner historischen Spezifik in das Korsett eines antiimperialistischen Manichäismus zu zwängen. „Die Welt im Nahen Osten ist in zwei Fronten geteilt,“ formulierte es prototypisch die DKP-Zeitung Unsere Zeit: „Da sind die arabischen Völker, die von den progressiven Kräften der Welt im Sinne des Fortschritts unterstützt werden, demgegenüber stehen die zionistischen Kreise, die jüdische Bourgeoisie und Monopole in und außerhalb Israels, die von der ganzen kapitalistischen Welt unterstützt werden.“321 Dieser Standpunkt hat schon immer jedes objektivierbare Kriterium von Fortschrittlichkeit vermissen lassen. Ob in den arabischen Staaten der Feudalismus, eine Militärdiktatur oder noch die Sklaverei herrschte, ob sie Kommunisten hinrichteten, Juden verfolgten und Frauen unterdrückten - dies war und ist egal. Der Umstand, daß jordanische Soldaten 1970 im „Schwarzen
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September“ 20 000 Palästinenser töteten und die syrische Regierung 1982 in Hamah erst 20 000 islamistisch orientierte Araber und später - 1983, 1985 und 1988 - Tausende von arafatloyalen Palästinensern töten ließ, hat bis heute kaum jemanden interessiert. Entscheidend ist allein, „daß sie sich mit dem ‚imperialistischen Israel’ und wegen der Weigerung der USA, diesen ihren .Brückenkopf durch die Araber liquidieren zu lassen, partiell auch mit dem amerikanischen Imperialismus im Konflikt befinden“, schreibt 1971 Michael Landmann in seinem auch heute noch aktuellen Buch über die Gedankenwelt der ,Pseudolinken’ Deshalb seien die Araber „nur vordergründig reaktionär und korrupt, in der Tiefe dagegen potentielle Träger der sozialistischen Weltrevolution. Das beweisen sie auch durch ihre kompromißlose Weigerung, mit Israel zu verhandeln, durch ihr Beharren auf der Gerechtigkeit der Gewalt.“322 So setzte sich in der deutschen Linken unbewußt-bewußt die Logik des größten palästinensischen Nazis durch. Israel wird als ein Produkt des Imperialismus imaginiert, obwohl es doch in Abwehr des britischen Imperialismus entstand.323 Man bezeichnet es als einen Brückenkopf des Imperialismus, obwohl es - im Gegensatz zu Saudi-Arabien - noch jeder imperialistischen Macht die Einrichtung eines Militärstützpunkts am Mittelmeer verweigerte. Nie aber wird die Fortschrittlichkeit eines arabischen Landes danach bemessen, ob es bereit ist, Israel anzuerkennen und eine Normalisierung der Beziehungen in die Wege zu leiten. Die eher auf Ausgleich orientierenden Ansätze der Nashashibis konnten dieser Logik gemäß stets nur ignoriert oder denunziert werden. Der wichtigste Grund für die Weigerung, die Verbindung zwischen dem Mufti und den Nazis auch nur ins Auge zu fassen, hat mit den Fallstricken einer Vergangenheit zu tun, die vorzugsweise im Unbewußten wirkt. So hat die Tatsache, daß kein anderes Land deutsche Linke derart reflexhaft zu Vergleichen mit dem Nationalsozialismus provoziert wie Israel, mit den spezifischen Identifikations- und Projektionsbedürfnissen
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der Deutschen zu tun.324 Die radikale Linke der 70er Jahre hatte den unbewußten Wunsch nach Entlastung, der hinter derartigen Analogieschlüssen stets steckt, als erste ausleben dürfen. Heute wird derartigen Bedürfnissen auch vom gesellschaftlichen Mainstream nachgegangen, wie Norbert Blüms Rede vom israelischen „Vernichtungskrieg“ und der rhythmische Applaus, mit dem PLO-Repräsentanten neuerdings auf CDU-Veranstaltungen verabschiedet werden, beweist. Klaus Gensickes Studie über den Mufti wird auch aus diesem Grund konsequent boykottiert: Die Erkenntnis der vom Mufti verkörperten Verbindung zwischen palästinensischer Nationalbewegung und Nationalsozialismus würde die Identifikation mit den Palästinensern ebenso komplizieren, wie die Projektion der deutschen Vernichtungspolitik auf Israel. Da formt sich die nach Entschuldung strebende psychologische Disposition der Deutschen doch lieber ihre eigene Realität, in der es partout keine Verbindung zwischen Nationalsozialismus und palästinensischem Widerstand gibt.325 So blieb es dem Computerwissenschaftler David Gelernter vorbehalten, eine Forderung zu stellen, auf die nur kommt, wer sich vollständig außerhalb des so disponierten Kollektivs bewegt. Einige Wochen nach dem 11. September bat Gelernter die Deutschen um den Gefallen, der Welt den eliminatorischen Antisemitismus der al-Qaida zu erklären, denn nur sie, die Vollstreckerinnen und Vollstrecker des Holocaust, kennten sich damit aus. Gelernter schrieb: „Bin Ladins Terroristen haben versucht, die größte jüdische Stadt der Welt in ein Brandopfer zu verwandeln. Ich weiß nicht, ob diese Symbolik intendiert war; aber ich weiß, daß die Deutschen dies der Welt erklären sollten. Die Amerikaner verstehen das nicht: reiner, unmotivierter Haß auf die Juden? Purer Haß aus Prinzip? Deutsche verstehen das sehr wohl.“ Und er wiederholte: „Die Deutschen sind die einzigen, die uns den Grund dafür erklären können.“326 Gelernter hat um eine Selbstverständlichkeit gebeten und damit zugleich eine Zumutung für Deutsche formuliert. Die
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Erkenntnisblockade, die schon den Blick auf den Mufti verstellt, läßt noch viel weniger den von Gelernter vorgeschlagenen Blick auf die brennenden Twin Towers zu. Je näher sich ein Ereignis dem historischen deutschen Verbrechen - der Leiche im Keller - anzunähern scheint, desto wirkungsvoller wird der Blick darauf verwehrt, desto rigoroser werden Erkenntnis und Einsicht darüber blockiert. In Deutschland setzt sich das Schweigen über den Mufti als das Schweigen über den Antisemitismus der Islamisten fort. Von den wichtigsten programmatischen Texten des islamistischen Antisemitismus - der „Charta“ der Hamas von 1988 und dem 1950 veröffentlichten Aufsatz Unser Kampf mit den Juden von Sayyid Qutb - liegen bis heute keine vollständigen deutschen Übersetzungen vor. Die deutsche Islamwissenschaft wird hieran kaum etwas ändern. Weder in ihren Interpretationen der „Charta“ noch in ihrer Darstellungen Sayyid Qutbs taucht das Begriff des Antisemitimus auch nur auf.327
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Bin Laden Lieutenant Admits to September 11 and Explains AlQa'ida's Combat Doctrine, in: MEMRI-Report No. 344 vom 10. Fe bruar 2002, einsehbar über www.memri.org. Jürgen Elsässer, Secret Services, in: Konkret 7/2002, S. 30. Vgl. Abd Al-Fattah Muhammad EI-Awaisi, The Muslim Brothers and the Palestine Question 1928-1947, London 1998, S.22 und 69, sowie Frederick H. Kisch, Palestine Diary, New York 1974, S. 109 f. Bei den hochrangigen Ägyptern handelte es sich um Aziz Bey Ali (alias Aziz al-Misri, der 1939 zum Kommandeur der ägyp tischen Streitkräfte ernannt wurde), Hasan Sabri (1940 zum Regie rungschef ernannt) sowie um Sayyid Kamil Pasha, einen Sohn des ehemaligen Großwesirs von Sultan Abd al-Hamid. Gudrun Krämer, Minderheit, Millet, Nation? Die Juden in Ägypten 1914-1952, Wiesbaden 1982, S.320f. und S.408. Israel Gershoni, James P. Jankowski, Redefining the Egyptian Na tion, 1930-1945, Cambridge (UK) 1995, S.2f. Richard P. Mitchell, The Society of the Muslim Brothers, London 1969, S. 14; unter Sunna (‚gewohnte Handlung, eingeführter Brauch’) wird die Sammlung der überlieferten Worte und Handlun gen des Propheten Muhammad verstanden. Vgl. Ralf Elger (Hg.), Kleines Islam-Lexikon, Bremen 2001, S.290. El-Awaisi, a.a O., S. 98, sowie Richard P. Mitchell, a.a.O. S. 328. El-Awaisi, a.a.O., S. 138 ff. Mitchell, a.a.O., S.203. Mitchell, a.a.O., S.39. Mitchell, a.a.O., S.272 ff. El-Awaisi, a.a.O., S. 118. Natascha Wilting, Psychopathologie des Islam, in: Bahamas Nr. 38 (Frühjahr 2002), S. 44. J. Laplanche, J. B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt/M. 1999, S.403. Vgl. Mitchell, a.a.O., S. 175 und 254ff. Naila Minai, Schwestern unterm Halbmond. Muslimische Frauen zwischen Tradition und Emanzipation, München 1989, S.82. Naila Minai, a.a.O., S. 76 ff, sowie Eberhard Serauky, Im Namen Allahs. Der Terrorismus im Nahen Osten, Berlin 2000, S.99ff.
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Bassam Tibi, Fundamentalismus im Islam. Eine Gefahr für den Weltfrieden?, Darmstadt 2000a, S. 117; ders., Die neue Weltord nung. Westliche Dominanz und islamischer Fundamentalismus, München 2001a, S. 134ff., sowie Elger, a.a.O., S.146f. El-Awaisi, a.a.O., S. 124. Franz Kogelmann, Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat (1970-1981), Berlin 1994, S.29, sowie ElAwaisi, a.a.O., S. 125. Das Lob der Nation, die wisse, „wie man edel stirbt“, ist hochaktu ell. So begründeten die als Hamas bekannte Organisation der Mus limbrüder von Palästina den Erfolg ihrer suizidalen Massenmordstrategie mit der von al-Banna formulierten Differenz: Im Unter schied zu ihnen, die die Kunst des Sterbens beherrschten, bestehe die Schwäche „der Juden“ gerade darin, daß sie „das Leben mehr als irgendwelche anderen Leute lieben und es vorziehen, nicht zu sterben“, erklärte anläßlich der Ostermassaker 2002 der Hamasspre cher Ismail Haniya gegenüber der Washington Post. Vgl. Thomas Friedman, Suicidal Lies, in: New York Times (NYT), 31. März 2002. Zitiert nach: El-Awaisi, a.a.O., S. 125; vgl. auch Mitchell, a.a.O., S.207. El-Awaisi, a.a.O., S. 125f. El-Awaisi, a.a.O., S. 12. Krämer 1982, S 253. Auslöser der später als „Revolution von 1919“ titulierten Unruhen war die Weigerung Großbritanniens, eine ägyp tische Abordnung (=Wafd) auf der Friedenskonferenz von Versailles zuzulassen. Joel Beinin, Zachary Lockman, Workers on the Nile. Nationalism, Communism, Islam, and the Egyptian Working Class, 1882-1954, S. 13. El-Awaisi, a.a.O., S. 68. Was der Wiener Journalist 1904 notierte, habe auch für die kommenden Jahrzehnte Bestand gehabt, betont Gudrun Krämer, a.a.O., S. 158. Ägypten, so Loraine, habe „niemals eine große Begeisterung für die islamische Bewegung“ gezeigt. Vgl. El-Awaisi, a.a.O., S. 26. Vgl. el-Awaisi, a.a.O., S.22ff. Krämer, a.a.O., S. 261 ff., sowie Albrecht Fueß, Propaganda at the Pyramids: The German Community in Egypt 1919-1939, in: Wa gen Atik, Wolfgang G. Schwanitz (Hg.), Ägypten und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert im Spiegel der Archivalien,Kairo 1998, S. 111 f.; an diesen Darstellungen orientieren sich die folgenden Aus führungen. Im September 1933 schloß sich die Liga der im Juli 1933 gegründeten Ligue Internationale Contre l’Antisemitisme Allemand
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(LICA) an, dessen Vizepräsident Leon Castro wurde. Vgl. Krämer, a.a.O., S.263. Krämer, a.a.O., S.260 und S. 298, sowie Fueß, a.a.O., S. 102. Krämer, a.a.O., S.278. Fueß, a.a.O., S. 114. Krämer, a.a.O., S. 278, sowie Fueß, a.a.O., S. 112. Gestützt auf die judenfeindlichen Passagen des Koran hatten die Muslimbrüder zwischen Zionisten und Juden keinen Unterschied gemacht. Vgl. el-Awaisi, a.a.O., S. 8. Krämer, a.a.O., S.290f, und el-Awaisi, a.a.O., S.39. El-Awaisi, a.a.O., S.35ff. El-Awaisi, a.a.O., S.40, sowie Krämer, a.a.O., S.297. Diese Darlegung Mahirs auf der Londoner St. James-Konferenz (7. Februar bis 15. März 1939) gebe den offiziellen ägyptischen Stand punkt der Zwischenkriegsperiode am besten wider, betonen Gershoni und Jankowski in: Gershoni/Jankowski, a.a.O., S. 187f. so wie S. 177. Krämer, a.a.O., S.292. El-Awaisi, a.a.O., S.92. El-Awaisi, a.a.O., S. 70ff. Krämer, a.a.O., S.295. Gershoni/Jankowski, a.a.O., S. 180. El-Awaisi, a.a.O., S. 14 ff., dessen Interpretation ich hier folge. El-Awaisi, a.a.O., S. 14f. Krämer, a.a.O., S.290 und S. 298. El-Awaisi, a.a.O., S. 81 f., sowie Krämer, a.a.O., S. 295. Itamar Rabinovich, Germany and the Syrian Political Scene in the late 1930s, in: Jehuda, L. Wallach (Hg.), Germany and the Middle East 1835-1939, Internationales Symposium der Universität von Tel Aviv, April 1975, zitiert nach: Robert Wistrich, Der antisemiti sche Wahn. Von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel, Ismaning 1987, S. 307 f. Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“ Die Geschichte des Anti semitismus, Frankfurt/M. 1987, S. 173, sowie Bassam Tibi, Der Islam und Deutschland. Muslime in Deutschland, Stuttgart 2000 b, S. 158 ff. Tibi 2000b, a.a.O., S. 158 ff. Die Syrische Volkspartei ist auch un ter dem Namen Syrische Nationalsozialistische Partei (in neuerer Zeit umbenannt in Sozialnationalistische Partei) bekannt, schreibt Lewis, a.a.O., S. 176. Fueß, a.a.O., S. 125, sowie Fritz Steppat, Das Jahr 1933 und seine Folgen für die arabischen Länder des Vorderen Orients, in: Gerhard
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Schulz (Hg.), Die Große Krise der dreißiger Jahre. Vom Nieder gang der Weltwirtschaft zum Zweiten Weltkrieg, Göttingen 1985, S.273f. 53 Husayns Begeisterung für die Nazis fand mit dem deutschen Ein marsch in Prag ein jähes Ende. Fortan verurteilte er die Achsen mächte wegen ihrer Aggressionen gegen kleine Nationen. Dennoch blieb die jungägyptische Bewegung in ihrer Ideologie nationalso zialistisch geprägt. Vgl. Wistrich, a.a.O., S.309 f., sowie Lewis, a.a.O., S. 176f., und Gershoni/Jankowski, a.a.O., S. 15. 54 Edmond Cao-Van-Hoa, ltDer Feind meines Feindes ... „ Darstel lungen des nationalsozialistischen Deutschland in ägyptischen Schriften, Frankfurt/M, S. 98. 55 El-Awaisi, a.a.O., S. 111. 56 Martin A. Lee, The Swastika & the Crescent, Intelligence Report 2002, S. 2. Eine systematische Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen liegt derzeit noch nicht vor. 57 Taysir Jbara, Palestinian Leader Hajj Amin al-Husayni, Mufti of Jerusalem, Princeton 1985, S. 32 ff., sowie Krämer 2002, S. 245 ff. 58 Zitiert nach: David Gelernter, Warum Amerika? Bin Ladins Haß ist Judenhaß, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 27. Oktober 2002. 59 Lionel an der Meulen, Fremde im eigenen Land. Die Geschichte der Palästinenser und der PLO, München 1989, S. 67; Mordecai Naor, Eretz Israel. Das 20. Jahrhundert, Köln 1998, S. 156. 60 Walter Laqueur, A History of Zionism, New York 1972, S.256. 61 David Th. Schiller, Palästinenser zwischen Terrorismus und Diplo matie. Die paramilitärische palästinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, a.a.O., S. 146, sowie Nels John son, Islam and the Politics of Meaning in Palestinian Nationalism, London 1982, S. 51 f. 62 Lionel van der Meulen, a.a.O., S. 77. 63 Lewis, a.a.O., S.I76. 64 Alfred Rosenberg, Der staatsfeindliche Zionismus, München 1921 (zitiert nach der Auflage München 1938), S. 85 ff. 65 Adolf Hitler, Mein Kampf (Bd. II), München 1925, S. 356. 66 So 1937 der Chefredakteur der Parteizeitung Angriff, Lewis, a.a.O., S.169. 67 Lewis, a.a.O., S. 170. 68 Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten, Frankfurt/M. 1988., S. 234. 69 Gensicke, a.a.O., S.94. 70 , Steppat, a.a.O., S. 268. Die Information wird in den Erinnerungen
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des ehemaligen Orientbeauftragten der Nazis, Fritz Grobba, bestä tigt. Demnach habe König Ibn Saud ihm gegenüber erklärt, „die Zu stimmung gegeben zu haben, Waffen für Palästina in den Sendun gen für Saudisch-Arabien zu schicken. In dieser Angelegenheit stehe er in enger Verbindung mit dem Mufti, der sein persönlicher Freund sei.“ Vgl. Fritz Grobba, Männer und Mächte im Orient, Göttingen 1967, S. 112. Über geplante Waffenlieferungen via Irak berichtete der Mufti in einem Memorandum von 1943. Vgl. Gerhard Höpp (Hg.), Mufti-Papiere. Briefe, Memoranden, Reden und Aufrufe Amin al-Husainis aus dem Exil, 1940-1945, Berlin 2001, S.81. 7' Dieser Putschversuch kostete 600 Juden in Bagdad das Leben. Vgl. Lewis, a.a.O., S. 189, sowie Gensicke, a.a.O., S.238. 72 Vortrag des Muftis vor den Imamen der bosnischen SS-Division am 4.Oktober 1944, zitiert nach: Höpp (Hg.), a.a.O., S.219 ff. 73 Gensicke, a.a.O., S. 120. 74 Der Wortlaut des Erklärungsentwurfs ist dokumentiert in: Gobba, a.a.O., S. 197 f. 75 So Klaus Gensicke, der Autor der äußerst instruktiven, in Deutsch land jedoch weithin ignorierten Studie über die Nazikollaboration des Mufti, in seinem Resümee. Vgl. a.a.O., S. 288. 76 Gensicke, a.a.O., S. 156. 77 Höpp (Hg.), a.a.O., S. 149ff., und Wiesenthal, a.a.O., S.42ff. 78 Höpp (Hg.), a.a.O., S.21. 79 El-Awaisi, a.a.O., S.28. 80 El-Awaisi, a.a.O., S. 191. 81 Laqueur, a.a.O., S.212. 82 DavidTh. Schiller, a.a.O., S.91 f. 83 Hermann Meier-Cronemeyer, Geschichte des Staates Israel Bd. 1, Schwalbach/Ts. 1997, S. 106. 84 David Th. Schiller, a.a.O., S.92f. 85 Naor, a.a.O., S. 144. 86 Lionel an der Meulen, a.a.O., S.67. 87 David Th. Schiller, a.a.O., S. 138f. 88 So Ashkenasi in seinem Geleitwort zu Gensickes Studie, a.a.O., S. 7. Die Glorifizierungen sind zitiert nach: David Th. Schiller, a.a.O., 5. 111. 89 David Th. Schiller, a.a.O., S. 163 sowie S. 145 ff. 90 Nicholas Bethell, Das Palästina-Dreieck. Juden und Araber im Kampf um das britische Mandat 1935-1948, Frankfurt/M. 1979, S.35. 91 Kurt Fischer-Weth, Amin al-Husseini. Großmufti von Palästina, Berlin 1943, S. 82 f.
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El-Awaisi, a.a.O., S.89. Meier-Cronemeyer, a.a.O., S. 105. Initiative Sozialistisches Forum, Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie, Freiburg 2000, S. 50. Rolf Tophoven, Der israelisch-arabische Konflikt, Bonn 1990, S.92. Gensicke, a.a.O., S. 239 und S. 251. Warum er den Nazis dieses Geld bis zuletzt wert war, schildert Gensicke detailliert. Gensicke, a.a.O., S.210 „Über jene „Waffen-Gebirgs-Division-SS Handschar“, für welche der Mufti mit Himmler vereinbart hatte, „daß der Nationalsozialismus als völkisch bedingte deutsche Welt anschauung und der Islam als völkisch bedingte arabische Weltan schauung unter Herausstellung der gemeinsamen Feinde (Judentum, Anglo-Amerikanismus, Kommunismus, Freimaurerei, Katholizis mus) gelehrt werden“ solle, berichtet detailliert Gensicke, a.a.O., S. 171 ff. Philip Mattar, The Mufti of Jerusalem. Al-Hajj Amin al-Husayni and the Palestinian National Movement, New York 1988, S. 109. Simon Wiesenthal, Großmufti - Großagent der Achse, Wien 1947, S.55. Jbara, a.a.O., S. 186. Mattar, a.a.O., S. 108. El-Awaisi, a.a.O., S. 189. Wiesenthal, a.a.O., S.2. Krämer, a.a.O., S. 307, sowie von der Meulen, a.a. O., S.95. Lewis, a.a.O., S. 192. Lewis, a.a.O., S.251. Martin A.Lee, a.a.O., S. 3. S. Barel, Tatsachen zum Nahostkonflikt, in: Michael Landmann, Das Israelpseudos der Pseudolinken, Berlin 1971, S. 132 f. Götz Nordbruch, Leugnungen des Holocaust in arabischen Medi en. Reaktionen auf ,Die Gründungsmythen der israelischen Politik' von Roger Garaudy, in: Wolfgang Benz (Hg), Jahrbuch für Antise mitismusforschung 10, Frankfurt/M. 2001, S. 184-203, hier: S. 193. Götz Nordbruch, Holocaustleugnung und Kampf gegen ‚Normali sierung’. Arabische Diskussionen um den Holocaust, in: Der Rechte Rand, Nr. 72, Sept./Okt. 2001, S. 19 f. El-Awaisi, a.a.O., S. 195. El-Awaisi, a.a.O., S. 199. El-Awaisi, a.a.O., S. 155f., und Mitchell, a.a.O., S.56. Qensicke, a.a.O., S. 143.
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El-Awaisi, a.a.O., S.I84. El-Awaisi, a.a.O., S.I 85. Gensicke, a.a.O., S.254. Van der Meulen, a.a.O., S. 106f. Van der Meulen, a.a.O., S. 108. Krämer, a.a. O., S.410f., sowie Mayer, a.a.O., S. 107. El-Awaisi, a.a.O., S. 196, und Mitchell, a.a.O., S. 56. Laqueur, a.a.O., S.267. Laqueur, a.a.O., S.267. Van der Meulen, a.a.O., S. 111, sowie Gensicke, a.a.O., S. 256. Janet Wallach, John Wallach, Jassir Arafat. Der lange Wegzur Ver söhnung, München 1994, S.305. 1951 wurde König Abdullah von einem Schergen des Mufti ermor det. Van der Meulen, a.a.O., S. 116. Reiner Bernstein, Geschichte des Staates Israel II. Von der Grün dung 1948 bis heute, Schwalbach/Ts. 1998, S. 18. Bernstein, a.a.O., S.27, sowie Benny Morris, Vertreibung, Flucht und Schutzbedürfnis. Wie 1948 das Problem der palästinensischen Flüchtlinge entstand, in: FAZ, 29. Dezember 2001. Krämer, a.a.O., S.415. Seit 1940 baute al-Banna paramilitärische ,Spezialeinheiten' der Bruderschaft auf, die systematisch Offiziere der ägyptischen Armee rekrutierten, Waffenlager anlegten und die Mehrzahl der freiwilli gen Kriegsteilnehmer von 1948 stellten. Vgl. el-Awaisi, S. 110. Mitchell, a.a.O., S.70. „Jene Wut auf die Differenz... steht als Ressentiment der beherrsch ten Subjekte ... auf dem Sprung gegen die natürliche Minderheit, auch wo sie fürs erste die soziale bedrohen“, analysierten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1947. „Nicht erst das antise mitische Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität über haupt.“ Vgl. Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmen te, Frankfurt/M. 1988, S.217. Mitchell, a.a.O., S.228f. Zitiert nach The Middle East Media Research Institute (MEMRIj, Bericht Nr. 375, 3. Mai 2002. Schon im April 2001 veröffentlichte Al Akhbar wiederholt die Beschwerde, daß Hitler sich an den Juden nicht umfassend genug „gerächt“ hätte. Vgl. MEMRI-Berichte Nr. 208 und 212. MEMRI, Special Dispatch No. 363,7. April 2002; Max Rodenbeck, Taking the tragedy personally, in: International Herald Tribune (IHT), 18. April 2002, sowie Tim Golden, Young Egyptians Hea-
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ring Call of ,Martyrdom', in: NYT, 26. April 2002; Rainer Hermann, Suche nach dem Konsens, in: FAZ, 8. Juli 2002. Bassam Tibi, Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, München 2001 b, S. 243 f. „Weitgehend mitbestimmend“ für den israelischen Feldzug von 1956 waren die Verstärkung der ägyptischen Militärstützpunkte auf dem Sinai „zusammen mit einer sprunghaften Vermehrung der Mord- und Sabotageanschläge auf israelischem Gebiet“, berichtet S. Barel in dem Aufsatz „Tatsachen zum Nahostkonflikt“ in: Michael Landmann, Das Israelpseudos der Pseudolinken. Anwort an Isaak Deutscher, Berlin 1971, S. 134. Während der israelische General stabschef Moshe Dayan schon 1955 zurückschlagen wollte, mach te Israels Präsident Ben-Gurion den Militärschlag von einer Unter stützung durch mehrere Großmächte abhängig. Diese Unterstützung wurde 1956 von Frankreich und Großbritannien gewährt, die durch eine militärische Intervention die Verstaatlichung des Suezkanals durch Nasser rückgängig machen wollten. Vgl. Naor, a.a.O., S. 333. Keine andere Aktion in der Geschichte Israels war freilich mehr geeignet, der von Ägypten und der Sowjetunion verbreiteten Komplotthese (Israel als Agent des Imperialismus im arabischen Raum) Glaubwürdigkeit zu verleihen. Michael Landmann, a.a.O., S.72, sowie Walter Laqueur, Barry Rubin (Hg.), The Israel-Arab Reader. A Documentary History of the Middle East Conflict, New York 1984, S. 176. Als Bibel- oder Buchgläubige sind Juden und Christen im islami schen Machtbereich seit dem 8. Jahrhundert als dhimmis (=Schutz befohlene) mit einem besonderen, jedoch minderwertigen Status versehen. Im allgemeinen entsprach die Einstellung der Moslems ihnen gegenüber „der eines Herrenvolkes gegenüber einem Unter tanenvolk, das sie mit einer Art großmütiger Herablassung zu behan deln bereit waren, solange es sich gebührend unterwürfig benahm.“ Juden durften zum Beispiel keine Waffen tragen, nicht zu Pferde reiten und mußten zur besseren Kenntlichkeit besondere Kleidung tragen. So liegt zum Beispiel der Ursprung der gelben Kennzeich nung für Juden nicht im mittelalterlichen Europa, sondern in Bag dad. Vgl. Lewis, a.a.O., S. 148 ff., sowie Robert Wistrich, Muslim Anti-Semitism: A Clear and Present Danger, Studie für das Ameri can Jewish Committee, Washington 2002, S.4. Yvonne Haddad, Islamists and the ,Problem of Israel': The 1967 Awakening, in: Middle East Journal, Volume 46, No. 2, S. 278 ff. James Jankowski, „Nasserism“ and Egyptian State Policy, 1952}958, in: James Jankowski, Israel Gershoni, Rethinking Nationalism
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in the Arab Middle East, New York 1997, S. 151. Kirk J. Beattie, Egypt during the Nasser Years. Ideology, Politics and Civil Society, New York 1994, S. 45. Beattie, a.a.O., S. 45 und S. 69. Beattie, a.a.O., S.47ff. und S.57; Mitchell, a.a.O., S.96; Jbara, a.a.O., S. 190. Beattie, a.a.O., S. 72ff. A. Bennigsen, Paul B. Henze, George K. Tanham, S. E. Wimbush, Soviet Strategy and Islam, London 1989, S. 83, sowie Gudrun Krämer, Gottes Staat als Republik. Reflexio nen zeitgenössischer Muslime zu Islam, Menschenrechten und De mokratie, Baden-Baden 1999, S.212f. Dilip Hiro, Holy Wars. The Rise of Islamic Fundamentalism, New York 1989, S.66; Bennigsen et. al, a.a.O., S.83f, und Mitchell, a.a.O., S. 152; Krämer 1999, a.a.O., S. 195. Wistrich 1987, a.a.O., S.314. Lewis, a.a.O., S. 253 f. Derzeit existieren von den Protokollen 60(!) arabischsprachige Versionen, die in allen städtischen Buchläden der arabischen Welt zum Verkauf ausliegen. Vgl. Wistrich 2002, a.a.O., S.21. Die Protokolle wurden zwischen 1894 und 1899 in Frank reich zusammengeschrieben, und in Rußland erstmals 1903 von rechtsextremen Kreisen mit dem Hinweis verbreitet, es handle sich um die Übersetzung von Sitzungsprotokollen eines „Weltbundes der Freimaurer und Weisen von Zion“. Der Text gibt - als bekenntnis hafte Rede des Vorsitzenden einer „Jüdischen Geheimregierung“ die Methoden und Ziele der .jüdischen Verschwörung“ wider: Manipulation der Massen, Schüren von Parteienstreit und Arbeiter unruhen, Verbreitung liberaler Ideen, Verderbnis der Sitten, Entfesslung von Terror und Krieg. Von Deutschland aus traten die Proto kolle ab 1920 ihren weltweiten Siegeszug an. Seit 1935 ist der Tat bestand der Fälschung auch juristisch verbrieft. Vgl. Michael Ha gemeister, Die ‚Protokolle der Weisen von Zion’ und der Basler Zionistenkongress von 1897, in: Heiko Haumann (Hg.) Der Erste Zionistenkongress von 1897 - Ursachen, Bedeutung, Aktualität, Ba sel 1997, S. 336 ff. Wistrich 1987, a.a.O., S.317, sowie Lewis, a.a.O., S.253. Lewis, a.a.O., S. 194. Über die „Springflut des Antisemitismus“, der seit 1956 ausgerech net die Entstalinisierung in den realsozialistischen Ländern „die Schleusen öffnete“, berichtet Wistrich 1987, a.a.O., S. 355 ff. Das Wechselverhältnis zwischen sowjetischer Politik gegenüber arabi schen Staaten und sowjetischem Antizionismus bzw. Antisemitis mus wurde meines Wissens bisher noch nicht untersucht.
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Die Reden Nassers sind dokumentiert in: Laqueur/Rubin, a.a.O., S. 190 ff. Dilip Hiro, a.a.O., S. 69, sowie Neil MacFarquhar, Egyptian Group Patiently Pursues Dream of Islamic State, in: NTT, 20. Januar 2002. Beattie, a.a.O., S.225. Kogelmann, a.a.O., S.84. Hiro, a.a.O., S.70. Hiro, a.a.O., S.70. Kogelmann, a.a.O., S.I68. Tibi2001a, a.a.O., S.304. Serauky, a.a.O., S.47. So Gilles Kepel, in: Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, München 2002, S. 105. Vgl. auch Ko gelmann, a.a.O., S. 82 und 89. Ulrike Dufner, Islam ist nicht Islam. Die türkische Wohlfahrtspar tei und die ägyptische Muslimbruderschaft: Ein Vergleich ihrer po litischen Vorstellungen vor dem gesellschaftspolitischen Hinter grund, Opladen 1998, S.67. Kepel, a.a.O., S. 104. Johannes J.G. Jansen, The Dual Nature of Islamic Fundamentalism, London 1997, S. 29. Jansen, a.a.O., S.9 f. Bassam Tibi etwa definiert den Islamismus als „eine Ideologie der offenen oder - durch Täuschung - versteck ten Djihad-Konfrontation“, vgl. Tibi 2001 a, S.247. Bassam Tibi, Islamischer Fundamentalismus, moderne Wissen schaft und Technologie, Frankfurt/M. 1992, S.87. Während der Islam in seiner Blütezeit große Physiker, Astronomen und Geogra phen hervorbrachte, wurde später, so die Beschwerde des Premier ministers von Malaysia, Mahathir bin Mohamad, „Wissen als aus schließlich religiöses Wissen interpretiert. Das Studium anderer Dinge wurde als sündhaft, als wenig verdienstvoll oder als irrele vant für das Leben nach dem Tode betrachtet. Also wurde das Stre ben nach Wissen, sofern es kein spezifisch religiöses Wissen war, vernachlässigt. Bis heute vernachlässigen wir solcherart Wissen. Muslimische Studenten, die nicht religiöse Fächer studieren, füh len sich schuldig.“ Vgl. Majathin bin Mohamad, The Muslim world is hopelessly weak, in: IHT, 30. Juli 2002. Tibi 1992, a.a.O., S. 108. Syed M. N. al-Attas; zitiert nach: Tibi 1992, a.a.O., S. 139. Tibi 1992, a.a.O., S.47. Der Aufbau des islamischen Staates, in: explizit. Das politische Ma gazin für islamisches Bewußtsein, Nr. 29, Nov./Febr. 2001/02, S. 28.
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Zitiert nach: Neil MacFarquhar, Muslim Brotherhood Patiently Working Toward an Islamic State, in: IHT, 24. Januar 2002. „Why We Fight America”: Al-Qa’ida Spokesman Explains Septem ber 11 and Declares Intentions to Kill 4 Million Americans with Weapons of Mass Destruction, MEMRI, Special Dispatch, 18. Juni 2002. Tibi, 2000a, a.a.O., S.49. Tibi 1992, a.a. O., S. 124f; Tibi 2001 a, a.a. O., S. 137. Qutb könne „als der bestdokumentierte Vertreter der ägyptischen Muslimbruder schaft, wenn nicht der modernen islamistischen Bewegung über haupt gelten“, betont auch Gudrun Krämer, 1999, a.a.O., S.211. Adnan Musallam, Sayyid Qutb. The Emergence of the Islamist 1939-1950, Jerusalem 1997, S. 34, sowie Barry Rubin, Islamic Fun damentalism in Egyptian Politics, London 1990, S.49. Musallam, a.a.O., S.52 f. Musallam, a.a.O., S.60. Michael Youssef, Revolt Against Modernity. Muslim Zealots and the West, Leiden 1985, S.74, sowie Kogelmann, a.a.O., S.48. Krämer 1999, a.a.O., S.214. Vgl. Ronald L. Nettler, Past Trials and Present Tribulations: A Mus lim Fundamentalist Speaks on the Jews, in: Michael Curtis (ed.), Antisemitism in the Contemporary World, London 1986, S. 99. Hier ist Qutbs Aufsatz in großen Auszügen zitiert. Sadats Neuorientierung resultierte aus der vollständig desolaten ökonomischen Situation Ägyptens, die das Land von den USA ab hängig hatte werden lassen und eine weitere Steigerung des Vertei digungsetats, wie sie für die militärische Rückgewinnung der SinaiHalbinsel erforderlich gewesen wäre, unmöglich gemacht hatte. Die Vorgeschichte der Sadatinitiative beschreibt David Kimche in: The Last Option. After Nasser, Arafat & Saddam Hussein, London 1991, S. 44-87. Serauky, a.a.O., S.57f. Kogelmann, a.a.O., S. 104, sowie Nettler, a.a.O., S. 105. Hiro, a.a.O., S.76. Youssef, a.a.O., S. 124, sowie Kogelmann, a.a.O., S. 134f. und S. 131. Die üblichen fünf Verpflichtungen aller Muslime enthalten das Glau bensbekenntnis, das Fasten im Monat Ramadan, das fünfmal am Tag nach ritueller Waschung zu vollziehende Gebet, die Entrichtung von Almosen für die Armen sowie die Pilgerfahrt nach Mekka. Farags Manifest ist nahezu vollständig dokumentiert in: Youssuf, a.a.O., S. 146ff.
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Youssef, a.a.O., S.I 19. Ulrike Becker, Matthias Küntzel et. al., Goldhagen und die deut sche Linke, Berlin 1997, S. 157; hier wird (S.85ff.) auf den feti schistischen „Antikapitalismus“ der Nazis, der die abstrakte Dimen sion des Kapitalismus im „Juden“ personifiziert, näher eingegan gen. Kepel, a.a.O., S.89. Youssuf, a.a.O., S. 102 sowie S.95. Kepel, a.a.O., S.342. Serauky, a.a.O., S. 117. Aus der gama'at islamiyya (Pluralform), die in den 70er Jahren unterschiedliche Strömungen der islamistischen Gruppen in sich vereinte, ging in den 80er Jahren die durchorganisierte und von Scheich Omar abdel Rahman geführte gama'a islamiyya (Singular form) hervor. Zur Embaba-Politik siehe Kepel, a.a.O., S. 345 ff., sowie Serauky, a.a.O., S.92ff. Kepel, a.a.O., S. 354, sowie Serauky, a.a.O., S. 17 Serauky, a.a.O., S. 128, S. 131 und S. 152. Abschied vom Jihad. Kehrtwende von Ägyptens Jamaa al-islamiya, in: Neue Züricher Zeitung vom 27. März 2002. Die hinter Git tern geschriebenen vier Bücher der gama'a-Gründer, die ihre Neu orientierung begründeten, wurden binnen weniger Wochen 100 000 mal verkauft. Kepel, a.a.O., S.336. Serauky, a.a.O., S.68. Kepel, a.a.O., S.336. Kepel, a.a.O., S.342f., sowie Serauky, a.a.O., S.112ff. Tibi 2000a, a.a.O., S. 105. Thomas L. Friedman, Shame on Washington, in: IHT, 5. August 2002. S.E. Ibrahim ist unter anderem Autor von Egypt, Islam, and Democracy, Kairo 1996. Kepel, a.a.O., S.342. Götz Nordbruch, Teuflische Feinde, in: Jungle World Nr. 49 vom 28. November 2001. Nordbruch, a.a.O. Vgl. Götz Nordbruch, Holocaustleugnung und Antisemitismus in der arabischen Welt, unveröffentl. Manuskript, 2002. Ted Swedenburg, Sa'ida Sultan/Dana International: Transgender Pop and the Polysemiotics of Sex, Nation, and Ethnicity on the Israeli-Egyptian Border, in: Walter Armbrust (ed), Mass Mediati ons. New Approaches to Popular Culture in the Middle East and
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Beyond, San Francisco 2000, Internet-Version S. 20. Den Hinweis auf diesen Aufsatz verdanke ich Götz Nordbruch. Swedenburg, a.a.O., S. 3. Rainer Hermann, Der 11. September legt die Versäumnisse der Wirt schaftspolitik offen, in: FAZ, 11. Februar 2002, sowie Serauky, a.a.O., S. 15. Thomas Haury, Der Antizionismus der Neuen Linken in der BRD, in: Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hg.), Anti semitismus - die deutsche Normalität. Geschichte und Wirkungs weise des Vernichtungswahns, Freiburg 2001, S.218. Haurys Beschreibung der basalen Denkstruktur des Antisemitismus trifft gleichermaßen für die Denkstrukturen des Islamismus zu. Minai, a.a.O., S.80f. Beverley Milton-Edwards, Islamic Politics in Palestine, London 1996, S. 100. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an die ser Darstellung. Ziad Abu-Amr, Shaykh Ahmad Yasin And The Origins Of Hamas, in: R. Scott Appleby (Hg.), Spokesmen for the Despised. Funda mentalist Leaders of the Middle East, Chicago 1997, S.239. Süddeutsche Zeitung vom 19. Juli 2002. Milton-Edwards, a.a.O., S. 113f. Gal Ben-Ari, Die Saat des Hasses, Juden und Israel in den arabi schen Medien, Holzgerlingen 2002, S.28 und 22. Halabiya sprach in seiner Funktion als Mitglied des von der palästinensischen Auto nomiebehörde ernannten ,Fatwa-Rates’. Erst ab 1990 konnte die PLO das Monopol der Islamisten im Gaza streifen brechen, indem sie mit der Al-Azhar-Universität eine zweite, diesmal von ihr kontrollierte Hochschule ins Leben rief. Vgl. AbuAmr, a.a.O., S. 254, Anm. 14. Im auch Westbank (= Westufer des Jordanflusses) oder „Judäa und Samaria“ genannten Westjordanland, das bis 1967, als Israel es annektierte, zu Jordanien gehörte, leben auf einer etwa doppelt so großen Fläche wie dem Saarland ca. 2 Millionen Menschen, davon 80 Prozent Muslime, 12 Prozent Juden und 8 Prozent Christen. Nablus und Hebron sind mit 100 000 bzw. 120 000 Einwohnern die größten Städte (Fischer-Weltalmanach 2002). Zur Vereinten Nationalen Führung gehörte die Fatah, die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die Demokratische Front zur Be freiung Palästinas (DFLP) sowie die Palästinensische Kommuni stische Partei; vgl. Milton-Edwards, a.a.O., S. 145. Kepel, a.a.O., S.203. Über die zweitwichtigste islamistische Organisation in Palästina, den „Islamischen Djihad“, berichtet
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Yehudit Barsky in seiner im Juli 2002 fertiggestellten Studie Isla mic Jihad Movement in Palestine. Siehe unter www.ajc.org. Schaul Mishal and Reuben Aharoni, Speaking Stones. Communi ques from the Intifada Underground, Syracuse 1994, S.201. Tibi 2000, a.a.O., S.24. Milton-Edwards, a.a.O., S. 152. Saleh Abdel Jawad, Yizhar Be'er, Collaborators in the Occupied Territories: Human Right Abuses and Violations, Februar 1995; diese Studie ist unter www.birzeit.edu/crdps veröffentlicht; MiltonEdwards, a.a.O., S. 157. Siehe Artikel 2, Artikel 7 und Artikel 32 der Charta, deren englisch sprachiger Wortlaut unter www.palestinecenter.org/cpap/documents/ charter.html veröffentlicht ist. Léon Poliakov, Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg 1992, S. 104. Zitiert nach: Tophoven, a.a. O., S.74 f. Zvi Elpeleg, The Grand Mufti. Haj Amin al-Hussaini, Founder of the Palestinian National Movement, London 1993, S. 13 6 f. Die Charta ist dokumentiert in: Laqueur /Rubin, a.a.O., S. 136ff. Die folgende Darstellung folgt insbesondere der 1992 verfaßten Bio graphie von Janet Wallach und John Wallach, Jassir Arafat. Der lange Weg zur Versöhnung, München 1994, sowie der 1990 ge schriebenen Biographie von Andrew Gowers und Tony Walker, Arafat. Hinter dem Mythos, Hamburg 1994. Wallach/Wallach, a.a.O., S. 107. Wallach/Wallach, a.a.O., S. 128 und S. 110. Zitiert nach: Wallach/Wallach, a.a.O., S. 143 und S. 331. Elpeleg, a.a.O., S. 147. Gowers and Walker, a.a.O., S. 58. Nels Johnson, Islam and the Politics of Meaning in Palestinian Na tionalism, London 1982, S.75. Wallach/Wallach, a.a.O., S. 335. Zitiert nach: Wistrich, a.a.O., S.331. Yossef Bodansky, Bin Laden. The Man Who Declared War on America, Rocklin 1999, S. 278. Götz Nordbruch, Narrating Palestinian Nationalism. A Study of the New Palestinian Textbooks, Washington 2002, S. 14 und 22. Palestinians Debate including Holocaust in the Curriculum, in: MEMRI Special Dispatch Series, No. 187, 21. Februar 2001. Hitlers Mein Kampf in East Jerusalem and PA Territories, in: MEM RI Special Dispatch Series, No. 48, 1. Oktober 1999. Johnson, a.a.O., S.75.
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Joseph Croitoru, Was ist Ribat? in: FAZ, 18. Dezember 2001. Nordbruch 2002, a.a.O., S. 17. Mishal and Aharoni, a.a.O., S. 84. Bodansky, a.a.O., S.XVI. Milton-Edwards, a.a.O., S. 166f. Kepel, a.a.O., S.388f. Rainer Hermann, Fernsehprediger, in: FAZ, 10. November 2001, sowie Yehudit Barsky, Hamas - the Islamic Resistance Movement of Palestine, Februar 2002, S. 3; siehe unter www.ajc.org/Terrorism/ BriefingsDetail.asp?did=221&pid=1055. Bodansky, a.a.O., S.276f., sowie MEMRI, Special Dispatch Se ries, No. 3, 30. Mi 1998, sowie Barsky über Hamas, a.a.O., S.4. Vielleicht hatte auch der im selben Sommer verbuchte unglaubliche Erfolg der völkisch-muslimischen UCK im Kampf um das Kosovo den Entschluß zur Intifada mit animiert. Im Sommer 1999 hatten die islamistischen Organisationen in einer in London veröffentlich ten Stellungnahme immerhin eine klare Verbindung zwischen der Situation im Kosovo und in Palästina gezogen und erklärt, „daß wir den Djihad gegen die serbischen oder die israelischen Besetzer nicht beenden werden, egal, was die Vereinten Nationen sagen oder tun“. Zuvor hatte die UCK die alte Taktik der Fatah, mit Hilfe von „ter roristischen Aktivitäten“ israelische „Rache-Aktionen zu provozie ren“, um so die arabischen Staaten „in einen allumfassenden Krieg gegen Israel zu treiben“ auf Serbien und die Nato-Staaten bezogen geradezu perfekt realisiert. Im Kosovo hatten - so ein im Dezem ber 2000 von der Parlamentarischen Versammlung der NATO ver abschiedeter Bericht - „die Angriffe der UCK“ den Konflikt vor sätzlich eskaliert, „um eine humanitäre Krise zu erzeugen, welche die NATO zur Intervention bewegen würde“; vgl. Dieter S. Lutz, Krieg nach Gefühl, in: FAZ, 15. Dezember 2000. In mehrfacher Hinsicht weisen UCK und PLO/Hamas interessante Parallelen auf. In beiden Fällen gehörte und gehört der Terror gegen „Kollabora teure“ zum Geschäft, in beiden Fällen wurde und wird der Strate gie der Spannung zuliebe die eigene Bevölkerung massenhaft in Tod und Elend getrieben und das humanitäre Elend gewaltsam verschärft (es wurden zum Beispiel Kosovo-Albaner zum Verbleib in Flücht lingslagern gezwungen), um mit Hilfe professioneller PR-Strategen die Krise anzufeuern. Vgl. M. Küntzel, Der Weg in den Krieg. Deutschland, die Nato und das Kosovo, Berlin 2000, S. 114 f. und 178. Bodansky, a.a.O., S.XVI. Zitiert nach Bodansky, a.a.O., S. 222 f.
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Zitiert nach: Julia Gerlach, Bin Ladens Schriftsteller, in: Berliner Zeitung, 8. März 2002. Interview mit Karl Laniers, in: taz, 9. Juli 2002. Khalid Duran, Der einen Teufel, der anderen Held, in: FAZ, 20. Sep tember 2001. Kepel, a.a.O., S. 374; Bassam Tibi, Ein mit Haß erfülltes Bild des Westens, in: Weltwoche, 18. Oktober 2001. Bodansky, a.a.O., S. 11; Khalid Duran, Lieblicher Geruch. Selbst mordattentäter und Märtyrerkult, in: FAZ, 24. September 2001. Yossef Bodansky, a.a.O., S. 11; Kepel, a.a. O., S. 181 und 374; Bas sam Tibi, ebd., in: Weltwoche, 18. Oktober 2001. Rainer Hermann, Stellvertreter und Anwärter auf die Nachfolge Bin Ladins, in: FAZ, 1. Oktober 2001. Kepel, a.a.O., S.498; Bodansky, a.a.O., S.309. Susan Sachs, An Investigation in Egypt Illustrates AI Qaeda's Web, in: NYT, 21. November 2001. Zitiert nach: John F. Burns, Bin Laden Taunts U.S. and Praise Hi jackers, in: NYT, 8. Oktober 2001. Judith Miller, Dan von Natta Jr., U.S. Long Underestimated Qaeda's Scope, Officials Say, in: NYT, 9. Juni 2002. Über das einstündige Interview der US-Sendung CBS-News mit Abdul Rahman Yasin berichtet Tina Kelley, Suspect in 1993 Bom bing Says Trade Center Wasn „t First Target, in: NYT, 1. Juni 2002. Siehe zu den Hintergründen dieses Anschlags: Laurie Mylroie, Study of Revenge, Washington D. C, 2000. „The Jewish lobby has taken America and the West hostage“, so bin Laden im Interview mit Hamid Mir von der Zeitschrift Dawn, in: www. dawn, com/2001/11/10/topl .htm. „Why We Fight America”: Al-Qa'ida Spokesman Explains Septem ber 11 and Declares Intentions to Kill 4 Million Americans with Weapons of Mass Destruction, MEMRI Special Dispatch, 18. Juni 2002, S. 2. Abu Gheith aktualisiert hier einen Uralt-Topos der anti semitischen Literatur. Das große Ziel der Juden, hetzte schon 1919 der antisemitische deutsche Klassiker Judas Schuldbuch, sei kei neswegs „nur die wucherische Ausbeutung der anderen“, sondern „viel höher gesteckt: Juda giert... vor allen Dingen nach ihrer Seele. Deshalb ist es ihm allererstes und grundlegendes Bedürfnis, die ... seelischen Kräfte der anderen ... loszulösen von ihren geschichtli chen Wurzeln, sie umzupflanzen in den Boden der ,reinen Ver nunft’.“ Vgl. Judas Schuldbuch. Eine deutsche Abrechnung von Wilhelm Meister, München 1919, S. 25. Religiöser Terrorismus und der asymmetrische Krieg zwischen spät-
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moderner und antimoderner Herrschaftskultur: Die Kampfhunde Allahs, der verwundete Züchter Rambo und das Ende der post modernen ,Spaßgesellschaft’, Stellungnahme der Redaktion der Zeitschrift Hintergrund, in: Hintergrund 3/2001, S.7f. Die Gründungserklärung der „Weltfront“ ist dokumentiert in: www.fas. org/irp/world/para/docs/980223-fatwa. htm. Bodansky, a.a.O., S.292 und S.i31. Reuters, 7. Oktober 2001. NYT , 27. Dezember 2001. Bodansky, a.a.O., S.28 und S.295ff. The Egyptian Government, Opposition, and Independent Press All Celebrate the Terrorists Attacks on the U.S., MEMRI, Special Dis patch Series, No. 281, 4. Oktober 2001. Douglas Frantz, Chris Hedges, Faintly Connected Dots Portray a Qaeda Man, in: NYT, 11. Januar 2002, sowie Udo Ulfkotte, Die Fäden des pan-islamischen Terrornetzes, in: FAZ, 17. September 2001, sowie Barsky, a.a.O., S. 5f. Autonomiebehörde verhaftet Islamisten, in: FAZ, 11. Oktober 2001. Hamburger Abendblatt, 12. September 2001. Douglas Jehl, Speaking in the Name of Islam, in: NYT, 2. Dezem ber 2001, sowie Rainer Hermann, Die Ich-Erzählung Gottes, in: FAZ, 28. Dezember 2001. Verurteilung von Attentaten abgelehnt, in: FAZ, 3. April 2002. French Envoy Irritates Israelis, in: IHT, 15. September 2001. DiePLO will, daß die EU Selbstmordattentate bezahlt, in: Die Welt, 27. April 2002. Yoel Esteron, Europa Finally Wakes Up and Recognizes Arafat's Nastiness, in: IHT, 14. Dezember 2001 sowie Thomas Kleine-Brockhoff, Unbeugsame Gutgläubigkeit, in: Die Zeit, 15. August 2002. Die der EU von Israel vorgelegten Dokumente sind einzusehen un ter: www.zeit.de/eu-hilfsgelder. Deutsche Presseagentur, 26. Februar 2002: EU hilft Palästinensern mit Millionen-Finanzspritze; NZZ, 25. April 2002: Scharfe Verur teilungIsraels durch den Europarat; FAZ, 15. April 02: Scharping: Keine Rüstungsexporte. Andere kehrten die Vorzeichen dieser Dop pelmoral lediglich um: Während sie den Antiterrorkrieg der israe lischen Regierung noch guthießen, wurde der Antiterrorkrieg des „Barbaren“ Bush um so prinzipieller verdammt. Die öffentliche Meinung in den USA unterschied sich von der europäischen jedoch signifikant: Dort stiegen im April 2002 die Sympathien für Israel deutlich an. 59 Prozent der US-Amerikaner sahen zwischen den is raelischen Militäraktionen auf der Westbank und den militärischen
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Maßnahmen der USA gegen al-Qaida hinsichtlich ihrer Berechti gung keinen Unterschied. Vgl. Patrick E. Tyler, Shock of Sept. 11 Is Making Americans More Supportive of Israel, Polls Suggest, in: NYT, 13. Mai 2002. Fanal bedeutet etymologisch Leuchtfeuer oder Feuerzeichen. James Bennet, In Hamas, a Rising Peril to Arafat, in: IHT, 7. Dezember 2001. Zitiert nach: MEMRI, Special Dispatch, No. 363, 7. April 2002. Joseph Croitoru, Israel und der Medienkrieg, in: FAZ, 12. April 2002, sowie Nahost Focus, 5. Juni 2002. NZZ, 28. März 2002. Thomas L. Friedman, Global Village Idiocy, in: NYT, 12. Mai 2002. Philip Smucker and Nicholas Blanford, Arab States Vent Rising Wrath, in: Christian Science Monitor, 22. April 2002, sowie Hussain Al-Mozany, Tarife für Gotteskrieger, in: FAZ, 26. Juli 2002. Saudi Government Daily: The Jews are Taking Over the World, MEMRI Special Dispatch Series, No. 321, 28. Dezember 2001, sowie Saudi Government TV broadcasts sermon calling to anni hilate the Jews „annihilate them soon”, in: Middle East-FBIS Report, 19. April 2002. Nahost Focus, 5. Juni 2002. Neil MacFarquhar, Cairo Conferees Demand International Action Against Israel, in: NYT, 9. März 2002, sowie ders., Anger in the Streets Is Exerting Pressure on Arab Moderates, in: NYT, 3. April 2002. Heiliger Krieg gegen Israel, in: taz, 11. April 2002. Peter Finn, Joined in mutual hate, Europe's fringe right courts Mus lims, in: IHT, 30. April 2002. So die Homepage der White Power MP 3, zitiert nach: K. Eschrich, Ein Feind, ein guter Feind, in: Jungle World, 19. Dezember 2001. Horst Mahler, Heil Juda! Wir kommen!, in: Netzsplitter, 18. Juni 2002. Der Rechte Rand, Nr. 73, Nov/Dez 2001, S.4. Alfred Schobert, Im Haß auf Israel vereint, in: Allgemeine Jüdi sche Wochenzeitung, 11. Oktober 2001. Support the new Intifada!, Stellungnahme des antiimperialistischen Camps vom Juni 2001. Laqueur/Rubin, a.a.O., S.373; A. Rosenberg, Die Judenfrage im Weltkampf, in: A. R., Tradition und Gegenwart. Reden und Aufsät ze 1936-1940, München 1943, S.207. Bin Laden Lieutenant Admits to September 11 and Explains AlQa'ida's Combat Doctrine, in: MEMRI, Special Dispatch Series,
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No. 344, 10. Februar 2002, sowie: Al-Qa'ida Activist, Abu Ubeid al Qurashi: Comparing Munich (Olympics) Attack 1972 to Septem ber 11, in: MEMRI, Special Dispatch Series, No. 353,12. März 2002. Jürg Altwegg, Intifada in Paris, in: FAZ, 14. März 2002; Michael Meyer-Resende, Kritik an Israel wird oft nur als Vorwand benutzt, in: Berliner Zeitung, 16. März 2002; Jüdische Geschäfte in Brüs sel ausgebrannt, in: NZZ, 18. April 2002; Christopher Caldwell, Liberté, Egalité, Judeophobie, in: Weekly Standart, Issue 33, Vol. 007, 5. Juni 2002. Al-Qa'ida Activist, Abu Ubeid AI Qurashi: Comparing Munich (Olympics) Attack 1972 to September 11, in: MEMRI-Report, No. 353,12. März 2002; Bin Laden Lieutenant Admits to September 11 andExplains Al-Qa'ida's Combat Doctrine, in: MEMRI-Report,No. 344, 10. Februar 2002. Die diese Regel bestätigende Ausnahme ereignete sich Ende 1951. Im Oktober dieses Jahres hatte der ägyptische Ministerpräsident Nahhas Pasha den anglo-ägyptischen Kooperationsvertrags von 1936 einseitig gekündigt. Unmittelbar danach hatten die Muslim brüder den in der Kanalzone stationierten britischen Truppen den Djihad erklärt (vgl. Mitchell, a.a.O., S. 88 ff.). Wiesenthal, a.a.O., S.l. Teheran lehnt britischen Botschafter ab, in: FAZ, 11. Februar 2002. Zitiert nach Bernd Philipp Schröder, Deutschland und der Mittlere Osten im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 1975, S.200, sowie A. Rosenberg 1938, a.a.O., S.86. A.Rosenberg, a.a.O., S. 208. Die einzige Kurzbesprechung ist in der Schweizer Zeitschrift Mit teilungen erschienen, einen weiteren englischsprachigen Kurzver weis veröffentlichte die Zeitschrift Shofar. Zionismus und palästinensischer Widerstand. Seminar mit Dr. Karam Khella, Wien 1989, S. 71 und 73; Klaus Polkehn, Zusammen arbeit von Zionismus und deutschem Faschismus. „Der Deutsche“ und der Mufti - und die Zionisten, in: AI Karamah 9/1988, S. 17; Helga Baumgarten, a.a.O., S. 36, sowie Gudrun Krämer, a.a.O., S. 256. Die zahlreichen sprachlichen und grammatikalischen Fehl leistungen dieser Textauszüge wurden beibehalten, da sich in ih nen der Nexus zwischen gedanklicher und sprachlicher Verwirrtheit offenbart. Es sieht aus als hätten die Autorinnen und Autoren selbst noch auf die unwillig hingeworfene Andeutung lieber gänz lich verzichtet. Helga Baumgarten, Palästina: Befreiung in den Staat. Die palästi nensische Nationalbewegung seit 1948, Frankfurt/M. 1991, S. 33 ff.
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' Walter Hollstein, Kein Frieden um Israel, Zur Sozialgeschichte des Palästina-Konflikts, Frankfurt/M. 1973, S. 120, sowie Omar Ibra him, Zur Geschichte der palästinensischen Aufstände, in: Al Karamah 8/1988, S. 12 ff. 319 Krämer, a.a.O., S. 337 ff;. Fischer-Weth, a.a.O., S. 83; Baumgarten, a.a.O., S. 35; Ibrahim, a.a.O., S. 15, sowie Martin Robbe, Die Pa lästinenser: Kapitulation oder Eigenstaatlichkeit? Zur Geschichte und Problematik eines Konflikts, in: Marxistische Blätter (Flug schriften 08), Essen 2001, S. 21 ff. 320 Yehoshafat Harkabi, AI Fatah 's Doctrine, in: Laqueur/Rubin, a.a.O., S.388f. 321 Unsere Zeit vom 13. März 1975, zitiert nach Haury, a.a.O., S. 222. 322 Michael Landmann, Das Israelpseudos der Pseudolinken. Antwort an Isaak Deutscher, Berlin 1971, S.27. 323 Während der Mandatszeit hielt England die jüdische Einwande rungsquote trotz steigender Verfolgung in Europa mit Rücksicht auf die Araber niedrig. Als der Sieg der Alliierten gegen die Nazis si cher war, begannen sich jüdische Untergrundorganisationen mit Ter roraktionen gegen die britischen Restriktionen für die von den Nazis verfolgten Juden zu wehren. Großbritannien trug 1948 dazu bei, den Widerstand gegen die Errichtung des Staates Israel zu organisie ren, den es, als das Mandat auslief, dem konzentrierten arabischen Angriff überließ. Als später Israel in die UNO aufgenommen wur de, enthielt sich Großbritannien der Stimme (vgl. Landmann, a.a.O., S.38). 324 U. Becker, M. Küntzel et. al., a.a.O., S. 106ff. 325 Die Weigerung der deutschen Öffentlichkeit wahrzunehmen, daß 1999 Juden in Pristina von UCK-Banden vertrieben worden sind, stellt ein weiteres Beispiel fur derartige Erkenntnisblockierungen dar. Vgl. M. Küntzel, Deutschland und das Kosovo, in: S. Jäger, J. Paul (Hg.), „ Diese Rechte ist immer noch Bestandteil unserer Welt“. Aspekte einer neuen Konservativen Revolution, Duisburg 2001, S.324. 326 David Gelernter, Warum Amerika? Bin Ladins Haß ist Judenhaß, in: FAZ vom 27. Oktober 2001. 327 Siehe zum Beispiel Andreas Meier, Politische Strömungen im modernen Islam. Quellen und Kommentare, Wuppertal 1995, S. 126ff., sowie Krämer 1999, S.215f.
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