John Grey
Apachen töten leise Ronco Band Nr. 145/10
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967...
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John Grey
Apachen töten leise Ronco Band Nr. 145/10
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Dreizehnjährig, und doch schon ein Apachenkrieger, dem einiges abverlangt wird. Little Friend – Unterhäuptling der Apachen, für den Ronco sein Leben riskiert. Major John Derrel – Will Geschichte machen und führt seine Soldaten über die mexikanische Grenze. Lieutenant Masters – Weist den Major auf die Verwicklungen mit Mexiko hin und desertiert. Schnelltöter – Reitet an der Seite Roncos, um Little Friend zu befreien. Cochise – Häuptling der Apachen, sucht nach einem Arzt für den schwerverwundeten Mangas Coloradas.
Apachen töten leise 2. Dezember 1875 Vor mir liegt Corpus Christi. Ich habe die Verfolger abgeschüttelt, glaube ich. Der Weg hierher ist hart gewesen. Ich habe ihn dennoch geschafft, und ich denke, ich werde es auch noch weiter schaffen. In diesem Moment glaube ich, daß ich meinem Ziel, meine Unschuld zu beweisen, sehr nahe bin. Aber ich darf mich keinen Illusionen hingeben. Wenn meine Wünsche in Erfüllung gehen, werde ich dieses Tagebuch bald abschließen können, weil es dann nicht mehr notwendig sein wird, meine Geschichte aufzuschreiben. Vielleicht ist dies sogar die letzte Eintragung. Aber ich will nicht vorgreifen. Ich bin zu oft enttäuscht worden. Damals auch, im Sommer 1858. Ich ritt mit den Apachen und hatte mir einen großen Sieg erhofft, als ich mit ihnen unter Führung von Mangas Coloradas und Cochise nach Texas gezogen war, um die weißen Eindringlinge zu vertreiben. Alles war anders gekommen. Mangas Coloradas, unser großer Häuptling, war von einer Kugel schwer getroffen worden und rang mit dem Tode. In Abwesenheit der Krieger hatten Soldaten unser Lager überfallen und alle Squaws, die uns begleiteten, niedergemetzelt. Unser Aufstand war zusammengebrochen. Wir zogen zurück nach Mexiko, um uns vor den Angriffen der weißen Soldaten in Sicherheit zu bringen und zu versuchen, Mangas Coloradas zu retten, wozu unsere Medizinmänner nicht in der Lage waren. Die Chancen standen schlecht für ihn, und wir boten weiß Gott keinen triumphalen Anblick, als wir den Rio Bravo südwärts überschritten und all unsere Hoffnungen und Träume, Texas wieder zum Land der Apachen zu machen, hinter uns zurückließen …
1. Sonnenaufgang über San Vincente. Graue Nebelschwaden schwebten
noch zwischen den Lehmziegelbauten. Vom Turm einer kleinen Kapelle klang ein helles Läuten. Wind strich von Süden heran. Er fächelte über die Maisfelder, die sich westlich der Stadt dehnten. Fünf Meilen südlich des Rio Bravo waren wir auf eine schmale Wagenstraße gestoßen und ihr gefolgt. Jetzt lag die Stadt vor uns. Die Straßen waren leer. Der Wind trieb Tumbleweedkugeln, verdorrte, kahle, ineinanderverfilzte Dornbüsche, vor sich her. Sie prallten an den Häuserwänden ab, rollten über die Plaza und blieben in einem Winkel seitlich des Glockenturms der Kapelle hängen. Ein Campesino stand am Rande eines der Felder. Er arbeitete an einem Bewässerungsgraben. Er war der einzige Mensch, den wir in diesem Moment sehen konnten. Wir sprengten aus einer Bodenfalte hinaus über das flache Land. Staub wallte unter den Hufen unserer Pferde auf. Wir waren fast zwanzig Krieger. Ich ritt an der Spitze, zusammen mit Little Friend, meinem Blutsbruder. Als der Bauer uns entdeckte, ließ er die Schaufel fallen, mit der er bis jetzt gearbeitet hatte, Er drehte sich um und rannte auf die Straße zu. Da stand sein flacher Wagen mit einem Pferd im Geschirr. Auf dem Bock lehnte ein Gewehr. Ich konnte es sehen und hob meinen Spencer-Karabiner. Eine Faust drückte mir den Lauf nach unten. Ich warf den Kopf herum. Little Friend war dicht neben mir. Sein Gesicht wirkte steinhart. Er schüttelte den Kopf. Ich senkte den Spencer. Little Friend hatte recht. Ein Schuß würde die ganze Stadt alarmieren. Seitlich von mir tauchte Schnelltöter auf. Er trieb sein geschecktes Pony an mir vorbei. Der Bogen lag in seiner Linken. Er legte einen Pfeil auf die Sehne und schoß aus vollem Galopp. Der Campesino vor uns hatte seinen Wagen erreicht. Er kletterte auf den Bock und griff nach seinem Gewehr. Es war ein uralter Schießprügel mit zerschrammtem Messingbeschlag und einem wuchtigen Steinschloß, so groß und so schwer, daß der mexikanische Bauer ihn kaum halten konnte. Da traf ihn Schnelltöters Pfeil. Der gefiederte Schaft ragte
plötzlich aus seiner rechten Schulter. Der Mann ließ das Gewehr fallen und stürzte brüllend nach hinten. Er fiel vom Bock, prallte auf das linke Vorderrad, überschlug sich fast und blieb betäubt im Straßenstaub liegen. Wenig später erreichten wir ihn. Er hatte sich halb aufgerichtet. Seine linke Faust lag unter dem Pfeil. Blut rann aus seiner Wunde über die Hand und tropfte auf den Boden. Er war nur mittelgroß und mager. Seine olivbraune Haut war faltig wie altes Leder. Sein Gesicht war hohlwangig, die Augen lagen in tiefen Höhlen. Auf dem Kopf trug er einen löchrigen Sombrero, unter dem strähniges, aschgraues Haar hervorquoll. Seine Hosen waren abgetragen und wirkten verwaschen, genauso wie sein viel zu weites Leinenhemd, das offen über dem Gürtel hing und dessen Stoff sich nun mit Blut vollsog. An den Füßen trug er einfache Sandalen. Er bot einen jämmerlichen Anblick. Fast tat er mir leid. Aber wir brauchten keinen Vorboten, der die Bürger von San Vincente vor uns warnte. Little Friend ritt auf ihn zu. Er konnte einigermaßen Spanisch, und ich hatte in den letzten Monaten auch ein wenig gelernt, so daß ich verstehen konnte, was gesprochen wurde. »Du brauchst keine Angst zu haben, viejo hombre«, sagte Little Friend. »Wir sind nicht hier, um dich zu töten.« Der Mexikaner glaubte ihm nicht. Er zitterte am ganzen Körper und wimmerte vor Schmerz. In seinen Augen flackerte wilde Furcht, als er seine Blicke über uns wandern ließ. »Gibt es einen Doktor in San Vincente?« fragte Little Friend. »Einen Doktore, alter Mann, verstehst du mich?« »Doktore …« Der Alte nickte. Sein Kopf bewegte sich, als hinge er an Fäden. »Si, einen Doktore.« »Bring uns zu ihm.« »Ich soll, hombre de Dios …« Little Friend zog sein Pferd herum, ohne die Antwort des Mannes abzuwarten. Der alte Mexikaner hockte einen Moment lang hilflos und unschlüssig auf dem Boden. Dann richtete er sich schwerfällig auf. Er schwankte. Mühsam setzte er sich in Bewegung. Mit kleinen Schritten tappte er durch den Staub. Er ging vor uns her, weit vornübergebeugt. Die verletzte rechte Schulter hing tief. Ab und zu drang ein Schmerzlaut über
seine Lippen. Aber er hielt nicht an. Er wußte, wir waren dicht hinter ihm. Auch wir ritten im Schritt, die Waffen schußbereit. So rückten wir der Stadt immer näher. * Die Glocke hörte auf zu läuten. Es wurde still. Die letzten Schleier des Frühnebels lösten sich auf. Knarrend öffnete sich das Tor der Schmiedewerkstatt. In diesem Moment begann der Campesino zu laufen. Seine Verwundung schien ihn auf einmal nicht mehr zu behindern. Er rannte mit seinen dürren Beinen, um die die verwaschenen Hosen nur so schlotterten, die Straße hinunter. Und er schrie dabei aus vollem Hals. Mit kreischender, überschnappender Stimme brüllte er einige Worte, die ich nicht verstehen konnte. Sie hallten durch die stille Stadt und brachen sich an den Fassaden der Lehmziegelhäuser. Einige Türen öffneten sich. Irgendwo begann wie verrückt ein Hund zu bellen. Ein Mann fluchte. Frauen schrien. Der Campesino stolperte und stürzte lang hin. Der Pfeilschaft, der aus seiner Schulter ragte, brach ab und riß die Wunde weiter auf. Die Spitze des Pfeils wurde durch den Aufprall am Boden noch tiefer in die Schulter getrieben. Sie trat am Rücken wieder aus. Das Geschrei des Mannes steigerte sich noch. Das Blut spritzte in den Staub. Er kämpfte sich wieder hoch, torkelte wie ein Betrunkener und versuchte, die offene Schmiedewerkstatt zu erreichen. Little Friend stieß die rechte Faust hoch. Wie schwärmten aus. Vor uns krachte ein Schuß aus einem Hofeingang. Ich spürte den heißen Luftzug, als die Kugel an meinem Kopf vorbeiflog. Hinter mir schrie ein Krieger auf und stürzte aus dem Sattel. Ich preßte meinen Spencer-Karabiner fest an die Hüfte und riß den Repetierbügel herum. Peitschend entlud sich das Gewehr. Zwei, drei Geschosse zerfetzten das Holz des Torrahmens. Ein Mann brüllte und torkelte mit blutendem Gesicht aus dem Hofeingang. Er hielt eine Hawkens-Rifle in den Fäusten, ließ sie jetzt fallen und schlug
sich beide Hände vor das Gesicht. Stöhnend sank er auf die Knie. Der magere Campesino hatte inzwischen die Schmiedewerkstatt erreicht und sackte neben dem Amboß zu Boden. Sein ganzer Oberkörper war voller Blut. Er verlor das Bewußtsein und blieb im Schmutz des Werkstattbodens liegen, keine drei Schritte entfernt von dem bulligen Schmied, der über dem nackten Oberkörper nur seine rußige Lederschürze trug und mit hängenden Armen wie gelähmt dastand. Ich ritt daran vorbei, ohne mich aufzuhalten. Ein Pulverdampfwölkchen stieg aus der Mündung meines Spencers. Weitere Schüsse krachten. Pferde wieherten grell. Ein paar Pfeile schwirrten durch die Hauptstraße von San Vincente. Ich erreichte die Plaza und zog den Braunen herum. Pulverrauch schwebte über der Straße. Ein Mann in grüner Uniform, der aus einer Gendarmerie stürmte, starb vor meinen Augen. Ein Pfeil durchbohrte seinen Hals. Er sackte gurgelnd in die Knie und wurde von einem zweiten Pfeil in den Leib getroffen. Sekunden später ging ein geschecktes Pony über ihn hinweg. Eine Frau hastete durch den Staub. Sie raffte immer wieder ihr knöchellanges Kleid, um nicht zu stolpern. Neben dem toten Gendarm sank sie zu Boden. Ihr Gesicht war naß von Tränen. Sie rang die Hände. Ich wandte mich ab und ritt quer über die Plaza zu einem Triangel, der zwischen zwei mannshohen, schenkelstarken Pfosten hing. Ein Mann rannte darauf zu, um es zu schlagen. Es war völlig sinnlos. Ich erreichte den Triangel vor ihm und richtete mein Gewehr auf ihn. Er warf beide Arme hoch und schien im Boden festzuwachsen. Reglos stand er da. Der Wind wehte Pulverdampfschleier vorbei, die die Morgenluft verpesteten, und über allem lag der Gestank von Schweiß, Blut und Angst. Der Tag war noch jung, aber in den Straßen von San Vincente wurde gestorben. Am Rande der Plaza wälzte sich ein junger Krieger im Staub. Ich kannte nicht mal seinen Namen. Er war ein Mimbreno, keine zwei Jahre älter als ich. Eine Kugel hatte ihn in den Bauch getroffen.
Seine Glieder streckten sich plötzlich. Er war tot. Vereinzelt krachten noch Schüsse. Dann wurde es still. Von der Kapelle her näherte sich ein Mann, ein Padre. Das Singen des Windes klang jetzt unwirklich laut. Ein paar Tumbleweedkugeln wirbelten über die Plaza, vorbei an dem toten Gendarm, neben dem noch immer die Frau kniete, und über die Leiche des jungen Kriegers hinweg. Der Wind bauschte die erdbraune Soutane des Padre. Er schritt in der Mitte der staubigen Straße. Die Frühsonne reflektierte auf dem silbernen Kreuz, das er auf der Brust trug. Er blieb stehen, als er die ersten Krieger erreichte. Sie schauten ihn mit ausdruckslosen Gesichtern an. Einer hob seine Lanze. Der Priester rührte sich nicht. Ein scharfer Befehl ertönte. Little Friend trieb sein Pferd vom Straßenrand auf den Padre zu. Der Krieger mit der Lanze zog sich zurück. Dann sprachen sie. Ich verstand damals noch nicht alles. »Der erste Schuß fiel nicht durch uns«, sagte Little Friend. »Wir haben nichts Gutes von euch zu erwarten«, sagte der Padre. »Obwohl wir nie einem Apachen etwas getan haben.« »Wir kommen in Frieden«, sagte Little Friend. »Wir wollen wissen, ob es bei euch einen Arzt gibt, einen Doktor, der Kugeln aus dem Leib eines Mannes schneiden kann.« »Das gibt es.« »Uns folgen viele Krieger«, sagte Little Friend. »Sie bringen Mangas Coloradas, den großen Häuptling der Apachen. Er ist verletzt und braucht Hilfe.« »Und ihr meint, diese Hilfe hier zu finden?« »Ihr werdet uns helfen.« Little Friends Stimme duldete keinen Widerspruch. Er verachtete die Gewalt, aber er wußte, daß wir gezwungen waren, Gewalt anzuwenden, solange wir in einer Welt des Krieges lebten, solange wir nur überleben konnten, wenn wir kämpften. »Diese Stadt wird sterben, wenn Mangas Coloradas keine Hilfe erhält«, sagte er. Ich wußte, wie schwer ihm diese Drohung fiel. »Ihr könnt mit dem Doktore sprechen«, sagte der Padre.
»Das werden wir.« Little Friend schaute sich um. Zwei oder drei Männer standen mit verkniffenen Gesichtern vor den Häusern. Einer blutete aus einer Streifwunde am Kopf. In ihren Augen lagen Haß und Furcht dicht nebeneinander. »Soll das rote Schwein doch verrecken!« gellte in diesem Moment eine Stimme aus einem der Häuser. Little Friend riß sein Pferd herum. Ein Schuß krachte. Little Friends Pony taumelte zur Seite, stieß ein klagendes Wiehern aus und kippte um. Little Friend warf sich blitzschnell aus dem Sattel, um nicht unter dem Pferdeleib begraben zu werden. Geschmeidig rollte er durch den Staub. Rechts und links von ihm wühlten Kugeln die Straße auf. Scheuend wichen die Pferde der anderen Krieger zurück und bäumten sich auf. Für einen Moment konnte ich Little Friend nicht mehr sehen. Er verschwand hinter einem Pulk von Pferden und Reitern. Ich stieß meinem Braunen die Absätze in die Weichen und sprengte über die Plaza. Hinter mir rannte der Mann, den ich in Schach gehalten hatte, zum Triangel, ergriff ein Schlageisen, das an den Haltebalken hing, und schlug wie verrückt auf den Triangel ein. Das grelle, klirrende Geräusch übertönte die Schüsse, die jetzt aufpeitschten und Lücken in die Reihe der dichtgedrängten Krieger rissen. Pfeile bohrten sich in Türrahmen, durchschlugen klirrend Fensterscheiben. Der Padre stand noch immer mitten auf der Straße. Er hatte beide Arme erhoben und schrie gegen den Lärm der Detonationen an. Sein braunes Gesicht war verzerrt, seine Stimme zu schwach. Die Lanze, die ihn tötete, sah ich erst, als sie sich in seinen Körper grub. Es war eine gut sechs Fuß lange Lanze mit scharfgeschliffener Spitze. Sie durchbohrte den Padre glatt. Einen Augenblick lang blieb er stehen, als sei nichts geschehen. Dann fiel er auf den Rücken. Aus seinem linken Mundwinkel sickerte ein dünner Blutfaden. In seinen weitaufgerissenen Augen spiegelte sich die Morgensonne. Der Lanzenschaft ragte aus seiner Brust wie ein mahnend aufgerichteter Zeigefinger. Dann brach die Hölle los.
Aus mehreren Häuserfenstern schoben sich plötzlich Gewehrläufe. Ein Stakkato von Schüssen hämmerte auf die Straße hinaus. Ich preschte auf Little Friend zu, der noch immer am Boden hockte. Er sah mich, sprang auf und warf sich hinter mir auf den Rücken des Braunen, als ich vorbeijagte. Sekunden später passierten wir bereits die Kapelle. Hinter uns galoppierten auch die anderen Krieger aus der Stadt. Einer wurde noch aus dem Sattel geschossen. Er warf beide Arme hoch und stürzte rücklings vom Pferderücken. * Wir hielten in einer Bodenfalte westlich der Stadt an und rissen die Pferde herum. Wir hatten fünf Krieger verloren. Die Schüsse hinter uns waren verhallt, das Scheppern des Triangels war verstummt. Männer rannten über die Hauptstraße von San Vincente und zerrten die Verletzten und Toten in den Schatten der vorgebauten Dächer. Den Padre ließen sie liegen, auch die toten Apachen. Sekunden später schien die Stadt wieder ohne Leben zu sein. In den Stützbalken der Vorbaudächer steckten Pfeile, in die Tür der Kapelle hatte sich ein Tomahawk gegraben. Es war still wie auf einem Friedhof. Als der Wind die Dunstwolke von Pulverdampf und Tod über San Vincente aufgelöst hatte, tauchten einige dunkle Punkte am Himmel auf. Sie glitten schattenhaft näher. Die wilden Schreie einiger Aasvögel hallten zu uns herunter. Wir stiegen aus den Sätteln. Schnelltöters Stirn war aufgerissen. Das Blut hatte ihm ein Auge verschlossen und verdeckte die lange Narbe auf seiner Wange. Mit dem Wasser aus seiner Kürbisflasche wusch er sein wollenes Tuch aus, das er um den Kopf trug, und wand es um die Stirn, nachdem er sein Gesicht gereinigt hatte. Wir anderen hatten Glück gehabt. Wir waren ungeschoren geblieben. Little Friend stand am Rand der Bodenfalte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Aus dunklen Augen spähte er zur Stadt hinüber. Ich trat neben ihn. Viel fehlte nicht mehr, dann war ich so groß wie er. In den letzten
Monaten war ich rasch gewachsen. Meine Schultern waren noch breiter geworden, und an meinen Armen hatten sich kräftige Muskeln entwickelt, die sich immer stärker ausprägten. Ich sah aus wie siebzehn, obwohl ich doch erst dreizehn Jahre alt war. Bei den Apachen war ich damit schon ein Mann. Mein Gesicht war kantig geworden, etwas hohlwangig. Ich ähnelte ein wenig einem hungrigen Wolf. Die Erfahrungen, die hinter mir lagen, hatten mich auch innerlich reifer und härter werden lassen. Ich sah viele Dinge heute mit anderen Augen als noch vor einem Jahr, mit den Augen eines Menschen, der in der Wildnis lebt, dessen tägliches Brot der Kampf ums Dasein ist. Meine Haut war braungebrannt. Mein von der Sonne ausgebleichtes blondes Haar fiel glatt und lang bis auf meine Schultern. Es gab nicht viel, was mich von einem geborenen Apachen unterschied. Ich schaute nach San Vincente hinüber, mit der Rechten stützte ich mich auf die Mündung des Spencer-Karabiners. »Sie sind so dumm«, sagte Little Friend plötzlich. »Jetzt werden viele von ihnen sterben.« Erbitterung schwang in seiner Stimme mit. Ich schwieg, die anderen auch. Wir waren in der Absicht nach San Vincente geritten, eine friedliche Vereinbarung zu treffen. Wir hatten gehofft, zumindest nicht auf Widerstand zu stoßen. Jetzt war ein Kampf unausweichlich. Little Friend hatte recht. Die Bürger von San Vincente waren dumm. Sie konnten einen Kampf nicht gewinnen. Wir waren nur die Vorhut von mehreren Hundert Apachen und würden den Widerstand von San Vincente niederwalzen. Wir würden die Hilfe für Mangas Coloradas erzwingen. Wieder würde es Blutvergießen geben. Der Krieg war nicht zu Ende, er war nie zu Ende. Ich blickte nach Norden. Dort ballte sich eine Staubwolke in der Luft, die langsam näher rückte. Glühend stand die Sonne über der Stadt. Es wurde rasch wärmer. Der Wind brachte keine Kühlung. Bald würde es noch heißer
werden, und bevor die Sonne den Zenit überschritt, würde San Vincente uns gehören. Die Stadt hatte nur noch eine Galgenfrist.
2. Die Apachen schienen die Ebene zu überfluten. Das Land verschwand unter den Hufen der vielen Pferde. Auf der Hauptstraße von San Vincente standen einige Männer. Sie schauten herüber. Vermutlich bereuten sie jetzt, daß sie nicht mit uns verhandelt hatten. Aber dazu war es zu spät. Wir hatten keine Zeit mehr, lange zu palavern. Mangas Coloradas brauchte sofort Hilfe. Er würde sie erhalten. Cochise und Black Hawk führten den Zug der Apachen an. Hinter ihnen wurde Mangas Coloradas gebracht. Er ruhte in einer Trage zwischen zwei Pferden, die von Nochalo, dem Medizinmann, und seinen Gehilfen geführt wurden. Wir bestiegen unsere Pferde wieder, nur Little Friend nicht, der kein Tier mehr besaß. Er ging zu Fuß den Häuptlingen entgegen. Cochise sprang aus dem Sattel. Little Friend war für einen Apachen schon ungewöhnlich groß. Cochise überragte ihn noch um einen halben Kopf. Seine hünenhafte Gestalt bewegte sich geschmeidig und leichtfüßig. Er trug ein schmuckloses Kalikohemd und eine einfache Wildlederhose. Er benötigte kein Zeichen, um sich als Häuptling auszuweisen. Vor Little Friend blieb er stehen und blickte ihn an. »Ich sehe die Zeichen des Kampfes an dir, mein Bruder.« »Wir sind in Frieden gekommen«, sagte Little Friend. »Aber die Leute von San Vincente wollen keinen Frieden. Sie haben keinen Kopf. Sie sind dumm.« Cochise schaute zu uns herüber. »Ich sehe fünf Krieger nicht mehr unter deinen Männern.« Little Friend deutete zur Stadt hinüber. Cochise folgte seiner Handbewegung. Er konnte die reglosen Körper sehen, die im Straßenstaub von San Vincente lagen. »Ich wußte, daß sie keinen Frieden mit uns wollen.« Die Stimme von Cochise klang düster. »Ich habe immer Frieden gewollt. Aber
Mangas Coloradas hat recht gehabt. Die Weißaugen wollen nicht den Frieden, sie wollen unsere Vernichtung.« Er schaute Little Friend wieder an. »Es ist schlimm«, sagte er. »Mangas Coloradas braucht Hilfe. Er braucht sie schnell. Wir müssen sie ihm erst erkämpfen. Die Zeit drängt. Er wird schwächer.« Er schwieg einen Augenblick. In seine Augen trat ein stahlharter Glanz. »Wenn er stirbt, wird es diese Stadt nicht mehr geben, wenn die Sonne untergeht.« Es klang wie ein Schwur. Ich war sicher, Cochise würde sein Wort halten. Er wandte sich den Kriegern zu. Seine Stimme hob sich. »Meine Brüder! Wir sind nicht hierhergezogen, um zu kämpfen. Wir sind hier, weil Mangas Coloradas leben soll. Wir sind in Frieden gekommen und wollten in Frieden wieder ziehen. Die Leute von San Vincente aber wollen den Kampf. Sie sollen ihn haben.« Mehr brauchte er nicht zu sagen. Das wütende Geschrei der Krieger, das ihm antwortete, zeigte, daß jeder verstanden hatte. Sie schwenkten ihre Waffen. Ich sah die Verbitterung und den Haß in ihren Gesichtern. Cochise wandte sich wieder zu Little Friend um. »Du hast kein Pferd mehr?« »Nein.« »Du wirst eines erhalten.« Cochise winkte einen Krieger heran und gab ihm einen Befehl. Der Mann ritt davon und brachte eines der reiterlosen Tiere, die wir immer mit uns führten. Little Friend bestieg es. Auch Cochise schwang sich wieder in den Sattel. Er brauchte nichts weiter zu sagen. Die Krieger schwärmten aus. Ich war mitten unter ihnen. Nochalo und seine Helfer blieben mit Mangas Coloradas zurück. Ich war an ihnen vorübergeritten und hatte einen kurzen Blick auf den Häuptling geworfen. Er war ein Riese von Gestalt, noch größer als Cochise. Davon war in diesem Moment nichts zu sehen. Er wirkte mager und ausgemergelt. Sein Gesicht war hohlwangig, die Haut so durchscheinend und hell wie dünnes Papier. Sie spannte sich über die scharf hervortretenden Wangenknochen. Seine Augen waren geschlossen. Er atmete flach. Er war nicht bei Bewußtsein. Vielleicht würde er nie mehr erwachen. Sein Körper war in viele Decken gewickelt, und so wirkte er fast wie eine Mumie.
Ich trieb den Braunen an und bemühte mich, diesen Anblick rasch zu vergessen. Unwillkürlich fiel mir der Tag ein, an dem ich Mangas Coloradas zum erstenmal gesehen hatte. Das war nur wenige Monate her. Es erschien mir kaum faßbar, daß dieser von Gesundheit, Kraft und Energie nur so strotzende Mann derselbe gewesen sein sollte, der jetzt halbtot unter den Decken lag. Die Sonne stand hoch am Himmel. Über den Dächern von San Vincente flimmerte die Luft. Unerträgliche Hitze lastete auf dem Land. Staub wogte unter den Hufen unserer Pferde auf. In weit auseinandergezogener Reihe näherten wir uns der Stadt. Langsam rückten die Flanken vor, so daß wir bald einen Halbkreis bildeten, dessen Enden sich zu einem Ring vereinigten, der die Stadt umschloß. In San Vincente blieb es still. Der Wind strich durch die Straßen und wehte gelbe Sandschleier auf die schmalen, hölzernen Stepwalks. Die Stadt wirkte wie ausgestorben, die Toten auf der Straße und die zerbrochenen Fensterscheiben hier und da verstärkten diesen Eindruck. Dumpf dröhnte der Hufschlag unserer Pferde. Der Boden erbebte leicht. Wir ritten durch die Maisfelder, die außerhalb der Stadt angelegt worden waren. Hohe Stauden, die mit schwerer Frucht behangen waren, beugten sich unter den Hufen unserer Tiere. Eine breite Schneise blieb in den Feldern zurück, als wir sie hinter uns ließen und bis auf fünfzig Yards an die ersten Häuser herangerückt waren. Unser Ring wurde immer dichter. Wir ritten nun schneller. Uns blieb keine Zeit. Jetzt zählte jede Minute. Mangas Coloradas brauchte die Hilfe eines Arztes. Wir hielten unsere Waffen schußbereit in den Fäusten. Fast jeder Krieger war mit einem Sharps-Hinterlader-Karabiner ausgerüstet. Wir hatten die Gewehre von einem Indianerhändler für den Krieg mit dem weißen Mann gekauft. Keine dreißig Yards trennten uns mehr vom Stadtrand. Noch immer war alles still. Die Aasvögel hoch über der Stadt drehten plötzlich ab und flatterten mit bösem Krächzen davon. In diesem Moment begann die Glocke zu läuten. Dann tauchten plötzlich Männer auf den Dächern der Adobebauten auf. Sie hielten
Gewehre in den Fäusten und begannen sofort zu schießen. Cochise stieß einen grellen Schrei aus. Er warf sich auf den Pferderücken nach vorn und trieb sein Tier an. Wir anderen hoben unsere Waffen und sprengten auf die Stadt zu, ungeachtet des Kugelhagels, der uns entgegenpeitschte. Die Stille des Mittags zerriß unter den belfernd hämmernden Detonationen. Ich ritt freihändig, repetierte meinen Spencer durch, feuerte, repetierte, feuerte und lud wieder durch. Neben mir wurde ein Krieger aus dem Sattel gerissen. Ich achtete nicht darauf, sondern ritt weiter und erreichte wenig später die Stadt. Zusammen mit einer Gruppe anderer Krieger preschte ich durch eine Seitengasse. Von den Dächern ging der heiße Bleiregen auf uns nieder. Von allen Seiten drangen die Apachen in San Vincente ein. Sie ritten wie die Teufel und schossen und stießen ihr Kriegsgeschrei aus. Ich schrie auch, grell, kollernd, bis mir die Kehle schmerzte. Noch bevor ich die Hauptstraße erreichte sprang ich aus dem Sattel des Braunen und stürmte in einen Hinterhof. Vor und hinter mir hatten es andere Krieger bereits genauso getan. Wir drangen in die Häuser ein oder erklommen Schuppendächer, um von da aus auf die Dächer der Häuser zu gelangen, wo die Verteidiger lagen. Die Glocke im Turm läutete nicht mehr. Im Turmfenster entdeckte ich statt dessen einen Mann mit einem Gewehr. Ich hob meinen Spencer, zielte kurz und schoß. Der Mann schrie. Ich hörte es nicht, ahnte es nur, denn er riß den Mund weit auf. Dann war er plötzlich verschwunden. Im nächsten Augenblick wurde ich angegriffen. * Ich stand auf dem schrägen Dach eines Schuppens und bemerkte den Schatten über mir erst, als er bereits auf mich zuflog. Ich wirbelte herum und sah ihn. Der Mexikaner schien keine Munition mehr für sein Gewehr zu haben. Er schwang es wie eine Keule und stürzte sich vom Dach des Hauses auf mich herunter. Ich konnte nicht mehr ausweichen. Der
Anprall seines Körpers traf mich voll und riß mich von den Beinen. Ich stürzte hart auf das Schuppendach, verlor den Halt und rollte zusammen mit dem Mexikaner über die Kante. Wir fielen fast zwei Yards tief. Der Aufprall am Boden lähmte mich für wenige Atemzüge. Dann richtete ich mich halb betäubt auf. In meinem Schädel drehte sich alles. Mein Brustkorb schmerzte, als seien sämtliche Rippen gebrochen. Ich hatte einen schalen Geschmack im Mund und spuckte Blut aus. Der Mexikaner kam gleichzeitig mit mir auf die Beine. Er war sicherlich doppelt so alt wie ich untersetzt, muskulös und stark behaart. Er blutete aus einer Schramme am Kinn. Ich handelte instinktiv, ohne zu überlegen und ohne besondere Kraft. Mein Spencer-Karabiner flog hoch. Die Laufmündung traf den Mann an den Hals. Er war von dem Sturz ebenfalls angeschlagen, sonst hätte der Schlag bestimmt kaum Wirkung gezeigt. So aber fiel er um. Ich wandte mich ab und taumelte zur Schuppenwand. Nach Atem ringend lehnte ich mich mit dem Rücken dagegen und schaute zu, wie der Mexikaner sich abquälte, um wieder auf die Beine zu gelangen. Er zog ein Messer aus dem Gürtel und tappte auf mich zu. Wir waren allein in dem Hinterhof. Ich hatte keine Hilfe zu erwarten, von keiner Seite. Das Gewehr war in diesem Moment zentnerschwer. Ich wußte nicht einmal mehr, ob es noch geladen war. Langsam hob ich es. Der Mexikaner blieb nicht stehen. Er sprang plötzlich mit einem Satz vor und riß das Messer zum Stoß hoch. Ich drückte ab. Der Rückschlag des Karabiners hieb den Kolben hart an meine rechte Hüfte. Der Mexikaner wurde in die Brust getroffen. Er taumelte noch zwei Schritte weiter und sank vor meinen Füßen zu Boden. Sein Messer bohrte sich in den Sand. Ich sprang zur Seite und drückte noch einmal ab. Der Hammer der Waffe schlug klickend auf den Schlagbolzen. Der Karabiner war leergeschossen. In Schweiß gebadet blieb ich an der Schuppenwand stehen und lud mit zitternden Fingern das Magazin neu auf. Auf der Hauptstraße von San Vincente wurde noch immer
geschossen. Das peitschende Stakkato der Schußdetonationen, die grellen Kriegsschreie der Apachen und das dumpfe Hämmern der Pferdehufe vereinigten sich zu einer grauenvollen Melodie, zu einer Symphonie der Vernichtung und des Todes. Pulverrauch wallte grauweiß über den Dächern der Stadt, süßlicher Blutgestank breitete sich in der Hitze aus. Ich erklomm das Schuppendach und kletterte von hier aus weiter auf das Dach des Hauses, an das der Schuppen angebaut worden war. Ich konnte jetzt die ganze Stadt überblicken. Pferdeleiber lagen auf der Straße. Dazwischen waren tote Krieger in den Staub gestürzt, verletzte Männer versuchten kriechend, eine Deckung zu erreichen. Am Ostrand der Plaza brannte ein Haus. Die Flammen schlugen hoch in den heißen Himmel. Dicke, schwarze Rauchwolken stiegen auf, wurden vom Wind erfaßt und auf die Plaza hinuntergedrückt. Noch immer lagen auf einigen Dächern Mexikaner und feuerten wahllos in den Pulk der Apachen. Doch sie konnten nicht verhindern, daß die Krieger in die Häuser eindrangen. Hinter dem brennenden Haus fing ein Stall Feuer. Eine kreischende Frau rannte herum, riß das Tor auf und jagte zwei magere Kühe, ein Pferd und einen ganzen Schwarm Hühner ins Freie. Die Tiere flohen vor den Flammen auf die Plaza hinaus. Eines der Hühner wurde von einem Querschläger getroffen. Es flatterte durch die Luft, Blut spritzte, Federn wirbelten wie Schneeflocken hoch. Gackernd stoben die anderen Hühner auseinander, und die beiden Kühe trotteten zum Brunnen hinüber, wo sie verharrten und verständnislos auf das Getümmel ringsum glotzten. Neben mir schlug eine Kugel ein. Ich stand am Rand des Daches, und das Geschoß grub sich keine zwei Zoll von meinem linken Fuß entfernt ins Holz. Ich ließ mich augenblicklich fallen. Eine weitere Kugel zirpte an meinem Kopf vorbei. Blitzschnell rollte ich mich über das Dach, bis ich den Kamin erreichte, der aus rohen Feldsteinen erbaut war und gut zwei Yards hoch aus dem Dach ragte. Ich wälzte mich dahinter. Eine Kugel traf den Kamin und schleuderte mir eine Handvoll
Mörtel- und Gesteinssplitter ins Gesicht. Ich zog den Kopf ein und preßte beide Fäuste auf die Augen. Ein paar Kratzer auf meinen Wangen brannten. Fluchend nahm ich mein Gewehr wieder hoch und sah den Schützen auf einem der Dächer auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich schoß, traf nicht, repetierte durch und zielte wieder. Da steckte in der Brust des Mannes plötzlich ein Pfeil. Das Gewehr entfiel seinen Händen. Er krampfte beide Fäuste um den Pfeilschaft und torkelte nach vorn. Als er das Gleichgewicht verlor, stürzte er kopfüber auf die Straße hinunter. Ich kroch bis an den Rand des Daches vor und bestrich mit meinem Karabiner die Hauseingänge der anderen Straßenseite. Auf der Plaza wurde noch immer gekämpft. Mexikaner und Apachen schlugen sich Mann gegen Mann. Das brennende Haus war mittlerweile eingestürzt. Die Flammen sanken in sich zusammen, nur noch der beißende Rauch trieb in dichten Schwaden über die Plaza und hüllte die Gestalten ein, die sich ineinanderverkrallt im Staub wälzten. Aus den Häusern kamen jetzt die Krieger. Sie trieben die Frauen und Kinder vor sich her und jagten sie durch die Straßen, in denen sich der stinkende Pulverdampf staute. Die heißen Luftmassen waberten wie ein zäher Brei. Der Wind war schwächer geworden, kaum noch wahrzunehmen. Die Sonne stand am höchsten Punkt des Himmels und schien Flammengarben auf das Land zu speien. Als die schreienden Frauen und Kinder die Plaza erreichten, war der Kampf zu Ende. * Ich richtete mich auf. Das Schloß meines Spencer-Karabiners war heiß. Ich lud das Magazin wieder auf und kletterte vom Dach hinunter. Im Hof lag noch immer die Leiche des Mexikaners, mit dem ich gekämpft hatte. Schmeißfliegen wimmelten über die Blutlache, die sich um ihn herum im Staub gebildet hatte. Ich ging rasch vorbei und verließ den Hof. Auf den Straßen irrten reiterlose Pferde herum. Als ich an einem zerbrochenen Fenster vorbeikam, blieb ich stehen und blickte ins
Haus. Drinnen lagen die Stühle am Boden. In der Tischplatte steckte ein Pfeil. Ein Schrank war umgekippt. Ich sah mein eigenes Spiegelbild in einer der Glasscherben, die noch im Fensterrahmen steckten, als ich weitergehen wollte. Zwei scharfe Falten, die die innere Anspannung und Erschöpfung widerspiegelten, durchzogen mein Gesicht. Schweiß und Pulverdampf hatten sich darin vermischt, sodaß meine Haut fast schwarz schimmerte. Verkrustetes Blut klebte auf meinen Wangen. Ich wandte mich rasch ab und eilte weiter bis zur Hauptstraße. Hier war die Luft wie zum Schneiden. Man konnte kaum atmen. Irgendwie fand ich zwischen den vielen Pferden meinen Braunen wieder, der freudig wieherte, als ich vor ihm auftauchte. Ich schwang mich in den Sattel und ritt zur Plaza. Hier hatten die Krieger die Frauen und Kinder der Stadt zusammengetrieben und einen dichten Ring um sie gebildet. Die Männer hatten den Kampf aufgegeben und wichen zurück. Sie legten ihre Waffen ab, die sich bald zu einem großen Haufen türmten. Ich sah Cochise, der am Südrand der Plaza auf seinem Pferd saß, und zwischen den Kriegern entdeckte ich Little Friend. Auf einen Befehl von Cochise setzten sich die Krieger wieder in Bewegung und drängten die Frauen und Kinder die Straße hinunter zur Kapelle hin. Ein Mann riß das Portal auf. Ich erkannte ihn. Es war Schnelltöter. Er war während der Kämpfe nicht mehr verletzt worden. Die Frauen und Kinder wurden in die Kapelle getrieben. Das Portal wurde verschlossen. Zehn Krieger postierten sich als Wachen davor. * Die Waffen der Männer von San Vincente befanden sich in einem Lagerhaus, die Männer waren in ihre Häuser zurückgekehrt. Sie würden uns keine Schwierigkeiten mehr bereiten, sie wußten ja, daß wir ihre Frauen und Kinder hatten. Nur ein Mann lief noch auf der Straße umher. Er trug eine schwarze, abgewetzte Tasche bei sich und kniete neben jedem der im Staub liegenden Mexikaner nieder.
Manchmal drückte er nur die Lider von gebrochenen Augen zu, meistens legte er Verbände an und verabreichte schmerzstillende Mittel. Er kümmerte sich nicht um die Apachen. Er tat still seine Arbeit, und er hatte viel zu tun. Ich ritt langsam zur Kapelle, wo er gerade wieder neben einem Mann niederkniete. Der Mann war tot. Cochise schritt zusammen mit mehreren Kriegern die Straße hinunter und blieb vor dem Mexikaner stehen, der sich gerade neben der Leiche erhoben hatte. Ich zügelte den Braunen und konnte verstehen, was sie sprachen. »Bist du der Doktor?« fragte Cochise. Der Mann war mehr als einen Kopf kleiner als er. Er war schmalschultrig und mager. Sein Gesicht war spitz. Er trug einen abgeschabten, häßlichen schwarzen Gehrock, der ihm viel zu weit war und fast bis zu den Knien reichte. Eine Kopfbedeckung trug er nicht. Sein Haar war angegraut und wucherte in dünnen Strähnen auf dem knochigen Schädel. »Ich bin Doktore Fangio«, sagte er mit leiser Stimme. Es war seltsam still in der Stadt nach dem Kampfeslärm. Ab und zu war lediglich das Stöhnen und Wimmern eines Verletzten oder Sterbenden zu hören. »Ich bin Cochise.« Cochise blickte den kleinen Mexikaner scharf an. Der atmete tief durch und machte eine unsichere Handbewegung. Er schwieg, aber er schien zu wissen, wen er vor sich hatte. »Bist du in der Lage, Kugeln aus dem Leib eines Mannes zu schneiden, auch wenn sie tief im Fleisch stecken?« »Jede Operation ist gefährlich«, sagte der Doktor. »Kannst du es, oder kannst du es nicht?« »Natürlich kann ich es.« »Dann wirst du Mangas Coloradas gesund machen.« Cochise schien sich etwas vorzubeugen. Seine Blicke hefteten sich in das schmale Gesicht des Doktors. »Du wirst sein Leben retten.« »Ich kann keine Wunder vollbringen«, sagte Fangio. »Du wirst ihn retten«, wiederholte Cochise. Seine Stimme duldete
keinen Widerspruch. Er gab einem seiner Begleiter ein Zeichen. Der Krieger lief zu seinem Pferd und ritt aus der Stadt. Wenig später sah ich, daß sich Nochalo und seine Helfer mit dem Häuptling der Stadt näherten. »Ich muß vielen Verwundeten helfen«, sagte Fangio zu Cochise. Er deutete auf die Männer, die ringsum im Staub lagen. »Sie können warten.« Cochise verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie werden sterben, wenn ihnen nicht geholfen wird.« »Wenn Mangas Coloradas stirbt, wird kein Mensch in dieser Stadt am Leben bleiben.« »Aber …« Der Arzt schaute Cochise ins Gesicht und schwieg. »Dann wird von dieser Stadt nicht mehr bleiben als rauchende Asche.« Ich sah, daß sich die rechte Hand des Arztes um den Griff seiner schwarzen Tasche krampfte, so daß die Fingerknöchel weiß unter der Haut hervorstachen. Doch er sagte kein Wort mehr. Nochalo hielt neben Cochise an. Er hatte sich schwarze Striche und Kreise ins Gesicht und auf den nackten, mageren Oberkörper gemalt. Sein eisgraues Haar fiel glatt auf seine knochigen Schultern. Feindselig blickte er den Arzt an. Fangio trat zu den beiden Pferden, zwischen denen die Trage hing, in der der Häuptling lag. Er warf einen Blick in Mangas Coloradas' Gesicht. »Ich glaube nicht, daß es ein Weißauge auf der Welt gibt, daß einem Apachen hilft«, sagte Nochalo. »Er wird helfen«, sagte Cochise. »Nochalo mag beruhigt sein. Mangas Coloradas wird leben.« Der Arzt ging quer über die Straße zu einem Haus unweit der Plaza. Davor hing ein Schild mit seinem Namen. Langsam folgten die Krieger mit dem Häuptling. Er war noch immer bewußtlos, und fast schien es, als atme er nicht mehr. Er wurde aus der Trage gehoben und in die Praxis getragen. Vor dem Haus zogen Wachtposten auf. Dann wurde es wieder still. Auf den Stepwalks und vor den Häusern hockten die Krieger zusammen. San Vincente gehörte uns.
Aber wir waren nicht glücklich mit unserer Eroberung. Die Stadt interessierte uns nicht. Sie hatte von uns nur wieder Kampf und Blut gefordert. Uns bewegte nichts als die Frage, ob Mangas Coloradas am Leben bleiben würde. Er war zäh, er war stark, er hatte ein kräftiges Herz. Aber er hatte viel Blut verloren, der lange Transport über den Rio Bravo hatte ihn zusätzlich geschwächt. Das Geschoß, das ihn getroffen und damit unseren Krieg in Texas beendet hatte, steckte noch immer in seiner Brust. Vielleicht wühlte schon die tödliche Entzündung in ihm. Er war nicht mehr jung, und niemand wußte, wieviel Widerstandskraft sein Körper noch aufbringen konnte. Es war ohnehin fast schon ein Wunder, daß er noch lebte. Wenn er starb, waren die Apachen ohne großen Führer. Mangas Coloradas hatte es verstanden, die untereinander zerstrittenen Stämme der Apachen weitgehend zu vereinigen. Auf ihn hörten fast alle Krieger. Wenn er starb, würde diese Einigkeit im Laufe weniger Monate auseinanderbröckeln. Das war Little Friends Überzeugung, und nicht nur er dachte so. Ich verstand nicht so viel davon. Aber ich hatte schon damals einen feinen Instinkt für Chancen, Gefahren und Entwicklungen. Ich ahnte die Probleme, die der Tod von Mangas Coloradas auslösen würde, und ich fürchtete mich davor. Cochise war ein mächtiger Häuptling, außer ihm gab es niemanden, der in der Lage gewesen wäre, die Nachfolge von Mangas Coloradas anzutreten. Aber er besaß noch nicht den Einfluß des großen Alten, und sein Wort hatte bei den vielen Stämmen der Apachen nicht überall das gleiche Gewicht wie das von Mangas Coloradas. Er würde es schwerer haben. Viele Stämme würden wieder abtrünnig werden und ihre sinnlosen Kleinkriege führen wie schon früher. Sie würden sich dabei aufreiben und langsam, aber um so sicherer, zugrunde gehen. Es hing also eine ganze Menge davon ab, wie die Operation ausging, die der mexikanische Arzt in seinem kleinen Haus an Mangas Coloradas ausführte. Ich wechselte ein paar Worte mit Schnelltöter, der die Wache vor der Kapelle leitete, und ging dann zur Plaza. Little Friend befand sich
mit Cochise, Black Hawk und anderen Häuptlingen und Unterführern im Haus des Arztes. Ich ging zum Brunnen mitten auf der Plaza. In der Nähe hockte ein verwundeter Mexikaner am Boden. Ich schenkte ihm keine Beachtung. Ich ließ einen Holzeimer in den düsteren Schacht hinab. Es dauerte lange, bis er ins Wasser eintauchte, und ich benötigte viel Kraft, um ihn gefüllt heraufzuziehen. Dann stand er auf der Brunnenfassung. Ich beugte mich darüber. Mein Gesicht spiegelte sich verzerrt in der Wasserfläche. Ich steckte kurzerhand den ganzen Kopf hinein. Das Wasser war eiskalt. Ich hielt den Atem an und schloß die Augen. Dann blieb ich so lange mit dem Kopf unter Wasser, wie ich konnte. Das tat gut in dieser Hitze, die mit dem Gestank nach Schweiß, Blut, Pulver, Brand und Tod geschwängert war. Ich hob den Kopf wieder aus dem Eimer. Mein klatschnasses Haar fiel auf die Schultern zurück. Unzählige dünne Wasserflächen rannen über meinen nackten Oberkörper. Die Sonne trocknete meine Haut schnell. Ich wartete, bis nur noch mein Haar feucht war. Dann hob ich den Eimer und kippte ihn über meinem Kopf aus. Naß von oben bis unten verließ ich die Plaza und hockte mich in den Schatten eines Vorbaudaches. Ein paar andere Krieger hockten bereits hier. Sie gehörten zum Stamme der Lipans. Ich kannte sie nur flüchtig. Sie sprachen nicht, und auch ich setzte mich nicht zu ihnen, um zu reden. Es war nicht die richtige Zeit dazu. Auch hier im Schatten war es fast unerträglich heiß. Ich wurde genauso schnell wieder trocken wie in der prallen Sonne. Ab und zu schauten wir zum Haus des Arztes hinüber. Aber dort blieb es ruhig. Nichts geschah. Zäh verstrich die Zeit. Die Stille, die brütende Hitze und die erzwungene Untätigkeit zerrten an den Nerven. Als sich die Tür des Arzthauses öffnete, warfen alle die Köpfe hoch. Aber nur Little Friend erschien. Er blieb auf der Schwelle stehen, blinzelte in die Sonne und blickte sich um. Dann ging er mit großen Schritten zur Plaza herauf. Er blieb unweit von mir stehen. Er
war völlig verschwitzt. Die nervliche Anspannung hatte auch ihn gezeichnet. Er wirkte hohlwangig und müde. »Was ist?« Ich schaute ihn an. »Es ist schwer«, sagte er. »Die Kugel steckt tief. Der mexikanische Doktor ist noch lange nicht fertig.« »Und …« »Mangas Coloradas lebt.« Little Friends Blick glitt einen Moment lang ins Leere. Dann schaute er mich und die Krieger an, die neben mir auf dem Stepwalk hockten. »Cochise will, daß das Umland beobachtet wird. Unser Kampf kann bemerkt worden sein. Wir müssen uns vor den Grünröcken der Mexikaner genauso vorsehen, wie vor den Langmessern in Texas. Es geht um das Leben von Mangas Coloradas.« »Soll ich mitkommen?« »Ihr sollt alle mitkommen.« Little Friend nickte auch den anderen Kriegern zu. Er kannte sie nur ebenso flüchtig wie ich. Aber das war unwichtig. Sie waren Apachen und tapfere Kämpfer. Ich richtete mich auf. Auch die anderen erhoben sich. Es waren acht Männer. Sie schienen froh zu sein, etwas tun zu können, das das nervenzermürbende Warten abkürzte. Es herrschte mittlerweile völlige Windstille. Kein Lüftchen, das uns ein wenig Kühlung hätte zufächeln können, regte sich mehr. Jede körperliche Anstrengung wurde zur Qual. Unsere Füße waren schwer wie Blei, als wir hinter Little Friend zu unseren Pferden schritten. Unsere Pferde waren genauso ausgepumpt von der Glut der Sonne wie wir. Träge trotteten sie hinter uns her. Als wir uns in die Sättel schwangen und nach Osten aus der Stadt ritten, bewegten sie sich schwerfällig und stampfend, fast wie Ackergäule. Staub wogte unter ihren Hufen auf. Da es keinen Wind gab, stieg er bis in Sattelhöhe und senkte sich nur langsam wieder. Er haftete an der Schweißschicht, die sich auf unseren Körpern gebildet hatte, und vereinigte sich mit ihr zu einer festen, graugelben Kruste, die uns die Poren verstopfte und die Qual der Hitze noch verstärkte. Wir hatten jeder eine gefüllte Kürbisflasche am Sattel hängen. Aber wir tranken nicht. Es wäre sinnlos gewesen. Die Sonne saugte jeden Tropfen Flüssigkeit aus uns heraus. Erst wenn es kühler wurde, am Abend,
würden wir unseren Durst löschen. Wir tauchten in eine Bodenfalte ein und wandten uns nach Norden. San Vincente versank hinter uns in der Weite des Landes.
3. Die Soldaten erreichten den Rio Bravo. Sie hatten einen harten Ritt hinter sich. Ihre Uniformen waren staubbedeckt, auch das Fell ihrer Pferde. In ihre Gesichter hatten sich scharfe Falten gegraben. Sie wirkten übermüdet. Die Sonne stand schräg über dem Fluß. Sie war weit nach Westen gesunken und schimmerte rötlich. Das sandige Ufer des breiten Stromes war von den Hufen unbeschlagener Pferde zertrampelt. Ein Offizier stieg aus dem Sattel, ein Major. Er sah aus wie ein Kavallerieoffizier aus dem Bilderbuch. Er maß etwas über sechs Fuß, war schlank, breitschultrig und schmalbrüstig und bewegte sich federnd und geschmeidig. Sein braunes Haar war sorgfältig nach hinten gekämmt, sein kurzer Vollbart sauber gestutzt. Seine Gesichtszüge wirkten streng wie alles an ihm. Er stieg die Uferböschung hinunter und blieb an der Anschlagkante des Wassers stehen. Der Fluß war flach hier. Der Major konnte bis auf den Grund des Bettes sehen. Er spähte zum anderen Ufer hinüber, das gut fünfzig Yards entfernt war. Dort drüben wucherten Dornbüsche, dazwischen ragten ein paar Säulenkakteen in den Himmel. In der Mitte des Stromes begann Mexiko. Der Major drehte sich um. Ein Lieutenant trieb sein Pferd vor. Er stieg steifbeinig aus dem Sattel. Er war noch jung und sah aus, als komme er frisch von West Point. »Sie sind uns entwischt, Sir«, sagte er. »Die Spuren sind mindestens einen Tag alt.« »Ihr Vorsprung ist nicht so groß.« Der Major stieg die Böschung wieder hinauf. »Lassen Sie absitzen, die Feldflaschen füllen und die Pferde tränken«, sagte er zu einem hageren Sergeant. Er wandte sich
zu dem Lieutenant um, während der Sergeant den Befehl weitergab. Erleichtert rutschten die Männer aus den Sätteln. »Wollen Sie diese roten Bastarde etwa entwischen lassen, Masters?« Der Lieutenant schüttelte hilflos den Kopf. »Ich verstehe nicht, Sir, ich meine …« »Dieser Mangas Coloradas und seine Halunken haben auf der Ebene vor den Kinney-Bergen zwei unserer Kompanien zusammengeschossen, die das Indianerlager ausheben sollten. Das Ganze war ein schlecht geplantes und überhastet ausgeführtes Unternehmen. Die Kompanieführung war unfähig. Sie haben die Nerven verloren und sich von den Apachen in die Enge treiben lassen.« »Diese Fakten sind mir bekannt, Sir, aber …« »Dann ist Ihnen auch bekannt, Lieutenant, daß die Rothäute unsere Kameraden Tag und Nacht gejagt haben. Sie wollten sie vernichten, beinahe wäre es ihnen geglückt. Sie haben die Prärie angezündet und eine Büffelherde in Stampede versetzt, so daß unsere Leute um ein Haar zu Mus zertrampelt worden wären.« »Ich weiß, Sir.« »Und das wollen Sie hinnehmen, Lieutenant Masters?« »Auf keinen Fall, Sir, aber wir sind zu spät gekommen.« Der Major legte die Hände auf dem Rücken zusammen. Er wippte leicht auf den Absätzen der hochschäftigen Reitstiefel. Er blickte auf die Soldaten seiner Kompanie, die ihre Pferde zum Saufen ins flache Flußbett führten. Auf dem Wasser lag ein rötlicher Schimmer. Es wurde Abend. »Männer wie diese, Lieutenant«, der Major deutete auf die Kavaleristen, die ihre Tiere versorgten, »garantieren die Sicherheit der guten weißen Siedler in diesem Land. Die US-Armee hat den Respekt dieser Pioniere, auch wenn manchmal anderes behauptet wird. Die Erschließung und Zivilisierung dieses Landes ruht auf unseren Schultern. Wenn Soldaten wie diese, Soldaten wie wir, Lieutenant, das Gesicht verlieren, hat das verheerende Folgen für die Besiedlung des Westens. Wir können es nicht hinnehmen, daß primitive Wilde uns demütigen.«
»Ich bin Ihrer Meinung, Sir.« »Ich bin Adjutant des Kommandanten von Fort Clark, Lieutenant. Colonel Reynolds hat mir den Auftrag erteilt, die Apachen zu verfolgen und nach Möglichkeit zu stellen. Sie sind selbst angeschlagen. Wir haben also eine reelle Chance, den Rothäuten einen Denkzettel zu verpassen. Zumal wir ihnen an Taktik haushoch überlegen sind. Wenigstens das werden Sie doch in West Point gelernt haben, Lieutenant.« »Natürlich, Sir.« »Lautete unser Auftrag so, wie ich ihn beschrieben habe?« »Jawohl, Sir.« Der Lieutenant atmete tief durch, als wolle er Mut schöpfen. »Aber die Apachen haben die Grenze nach Mexiko überschritten, Sir.« »Wir haben den Auftrag, ihnen zu folgen. Von einer Grenze war nicht die Rede.« Der Major wandte sich um, als ein Corporal sein Pferd vom Tränken brachte. Er stieg in den Sattel. »Und wir werden ihnen folgen.« Für einen Moment wurde sein gut geschnittenes Gesicht zu einer Fratze des Hasses. Fanatisch glühte es in seinen Augen auf. »Wir werden diese Bastarde niederkämpfen, bis sie um Gnade winseln.« »Sir.« Die Stimme des jungen Lieutenants klang plötzlich hart. »Wir sind Soldaten der US-Armee. Wir tragen die amerikanische Uniform. Wir haben nicht das Recht, mexikanisches Territorium zu betreten.« »Nicht das Recht? Wir haben die Pflicht, die Ehre der US-Armee wieder herzustellen und dieses rote Pack zu Paaren zu treiben.« »Major Derrel, ich fühle mich verpflichtet, in allem Respekt auf die Dienstordnung hinzuweisen, die uns das eigenmächtige Verletzen fremder Staatsgrenzen streng untersagt.« »Wer führt hier den Befehl, Lieutenant Masters?« »Sie, Sir, aber …« »Sie haben zu gehorchen, Lieutenant Masters.« Der Lieutenant schluckte. »Ich habe Sie auf den Verstoß gegen die Vorschriften hingewiesen, Sir.« »Sie haben Ihre Pflicht getan, in Ordnung. Und nun haben Sie zu tun, was ich Ihnen sage. Steigen Sie in den Sattel.« Major Derrel
wandte sich um. »Sergeant, lassen Sie aufsitzen. Wir überqueren den Rio in Doppelreihe. Abstand halten und Vorsicht bei Vertiefungen im Flußbett.« Lieutenant Masters stand noch immer unschlüssig auf der Kante der Uferböschung. Als Major Derrel ihn scharf anblickte, ging er zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Da hatte der Major sein Pferd bereits die Böschung hinuntergetrieben. Er ritt als erster ins Wasser. Der Lieutenant folgte. Nach ihm kam die Truppe. Der Himmel glühte wie ein niederbrennendes Herdfeuer, als die Soldaten mexikanischen Boden betraten. Die Schatten waren lang, und plötzlich kam wieder Wind auf, nicht besonders stark, aber kräftig genug, um die Tageshitze zu vertreiben. Major Derrel zügelte sein Pferd und drehte sich zu Lieutenant Masters um. »Sehen Sie die Spuren?« Er zeigte auf die Hufabdrücke und das niedergetrampelte Gras. Masters nickte. Sein Gesicht wirkte verschlossen. Er fühlte sich nicht sehr wohl in seiner Haut. Nervös blickte er auf die breite Spur, die die Apachen hinterlassen hatten. »Sie sind langsam geritten, Lieutenant.« Der Major wirkte gutgelaunt. »Aus was für Gründen auch immer. Ihr Vorsprung ist nicht groß. Wir können es schaffen.« Er grinste breit. »Sie sagen ja gar nichts, Lieutenant.« »Ja, Sir.« »Reißen Sie sich zusammen, Mann. Denken Sie daran, was für eine Uniform Sie tragen, welchen Rang Sie bekleiden.« »Ja, Sir.« Der Major wandte sich verstimmt nach vorn. Er hob die Rechte und winkte herrisch. Der Sergeant hinter ihm schrie: »Vorwärts, in Viererformation!« So ritten sie nach Mexiko hinein und folgten der Fährte der Apachen.
4.
Ich sah die Soldaten, als ich über einen Hügel ritt, und glaubte, zu träumen: amerikanische Soldaten in Mexiko. Aber ich träumte nicht. Die Soldaten waren da, sie waren Wirklichkeit, genau wie ich selbst. Sie entdeckten mich, bevor ich meinen Braunen herumziehen und davonreiten konnte. Es war nicht meine Schuld. Ich befand mich auf einer deckungslosen Ebene, auf der lediglich kurzes, von der Sonne bräunlich verbranntes Gras wucherte. Ich sprengte über die Hügel und hielt nach Little Friend Ausschau. Wir hatten uns vor kaum einer Viertelstunde getrennt. Einen Moment überlegte ich, während mir der Reitwind ins Gesicht peitschte, was ich tun sollte. Nachdem ich ohnehin entdeckt war, war es egal, wie ich die anderen Krieger alarmierte. Ich hob meinen SpencerKarabiner und feuerte einen Schuß in den Abendhimmel ab. Die peitschende Detonation hallte weit über das Land. Als ich mich im Sattel umwandte, sah ich, daß mir drei Soldaten folgten. Sie hatten sich von der Kompanie gelöst und sprengten ins Hügelland. Ich trieb den Braunen an, ritt noch schneller und sah einen der Lipans, die Little Friend und mich begleitet hatten, vor mir auftauchen. Ich ritt auf ihn zu und zügelte den Braunen dicht vor ihm. Ich brauchte nicht viel zu sagen. Er sah hinter mir die Verfolger auftauchen. »Da sind noch mehr«, sagte ich. »Eine ganze Kompanie mindestens.« Da krachten bereits Schüsse, Die Kugeln flogen weit an uns vorbei, aber wir zogen es vor, lieber nicht zu warten, bis die Soldaten näher heran waren und sicherer schossen. Wir jagten davon. Von Süden tauchte ein weiterer Lipan auf, der sich uns anschloß. Zusammen waren wir genauso stark wie die drei Soldaten, die uns folgten. In einer Bodensenke hielten wir an und sprangen aus den Sätteln. Von Little Friend und den anderen Kriegern war nichts zu sehen. Doch darum konnten wir uns jetzt nicht kümmern. Die Soldaten galoppierten auf uns los. Ich hob meinen Spencer und schoß. Eines der Pferde sackte in vollem Galopp nach vorn und überschlug sich. Der Reiter flog im hohen Bogen durch die Luft und blieb wie betäubt im Gras liegen.
Die beiden anderen Soldaten rissen ihre Pferde herum, um zu fliehen. Die Lipans neben mir schossen. Einer der Uniformierten wurde aus dem Sattel gerissen. Der zweite entwischte. Fast gleichzeitig rappelte sich der Mann wieder auf, dem ich das Pferd unter dem Leib weggeschossen hatte. Er taumelte angeschlagen durch das Gras, stolperte und stürzte wieder. Einer der Lipans legte seine Sharps an die Schulter und zielte. »Laß ihn«, sagte ich. »Wir müssen sehen, wo Little Friend geblieben ist.« Er setzte das Gewehr ab und blickte mich kurz an. Ein wenig verwirrt, wie ich den Eindruck hatte. Ich wandte mich ab und lief zu meinem Braunen. Als ich in den Sattel stieg, krachte hinter mir ein Schuß. Der Krieger ging mit der rauchenden Waffe zu seinem Pony. Der zweite saß bereits im Sattel, Draußen auf der Ebene brach der Soldat zusammen. Ich fühlte, wie mir das Blut in den Kopf stieg, aber ich sagte nichts und zog den Braunen herum. In diesem Moment hörten wir nördlich von uns Schüsse in schneller Folge aufpeitschen. Ich trieb den Braunen an, ohne ein Wort zu sagen. Die beiden Lipans folgten mir. Wir ritten durch den Abend. Unsere Erschöpfung und Trägheit war wie fortgeblasen, seit die Hitze des Tages gewichen war. Im Westen verglühte gerade die Sonne. Sie hatte den Tiefpunkt des Horizonts erreicht, schien die Erde zu berühren und in Brand zu setzen. Die Dämmerung lag bereits wie ein feingewebter dunkler Schleier über dem Land und verdrängte mehr und mehr den letzten Rest des Tageslichts. Wir verließen die langgestreckte Bodenfalte. Vor uns in der Ebene wimmelte es plötzlich von blauuniformierten Soldaten. In einem Arroyo, keine Meile entfernt, blitzten immer wieder Schüsse auf. Wir ritten weiter, und ich sah Little Friend die steinige Böschung des Arroyos hinaufklettern. In diesem Augenblick überquerten Soldaten das ausgetrocknete Flußbett und kreisten die Krieger, die zusammen mit Little Friend darin Deckung gefunden hatte, ein. Sie hatten keine Chance mehr. Ich biß mir auf die Unterlippe, um nicht zu schreien. Little Friend – wenn sie ihn nun töteten …
Ich wagte nicht, weiterzudenken. Er war mein Blutsbruder. Er hatte mich zu einem Apachen gemacht. Ohne ihn wäre es mir vielleicht nie gelungen, bei den Indianern Fuß zu fassen und zu überleben. Er hatte mir immer geholfen. Ein starkes, nicht zu beschreibendes Gefühl verband mich mit ihm. Was war ich denn schon? Ein Waisenjunge. Ohne Little Friend war ich wieder ganz allein. Mir waren in meinem kurzen Leben schon viele Menschen genommen worden, die mir etwas bedeutet hatten. Little Friend mußte leben. Leben! Was wußte ich schon groß vom Leben? Vom Sterben wußte ich mehr, denn ich erlebte es fast täglich. Der eine der beiden Lipan-Krieger, die neben mir ritten, rief mir etwas zu. Ich verstand es nicht. Der Reitwind zerfetzte es, der hämmernde Hufschlag der Pferde übertönte die Worte. Ich ritt weiter, und erst als ich sah, daß die Soldaten ins Arroyo eindrangen, zügelte ich meinen Braunen. Da verstand ich, was der Krieger neben mir rief. »Es hat keinen Sinn, weiterzureiten. Wir können nicht mehr helfen.« Ich wandte den Kopf. Verzweifelt blickte ich den Mann an. In meinen Schläfen hämmerte das Blut, »Aber – wir können sie doch nicht im Stich lassen.« »Wir können nichts für unsere Brüder tun.« Der Krieger wirkte uralt, obwohl er wahrscheinlich erst Ende Dreißig war. Sein eingefallenes, faltiges Gesicht fiel mir erst jetzt richtig auf. Sein Oberkörper war nackt, hager und sehnig, von zahlreichen Narben gezeichnet. Der zweite Krieger schwieg. Er war jünger. Er war es, der vorhin den Soldaten erschossen hatte. »Und wenn die Blauröcke sie umbringen …« »Es ist das Los des Kriegers, im Kampf zu sterben«, sagte der Ältere. Ein Kloß steckte in meinem Hals. Ich schaute wieder nach vorn. Das Schießen hatte aufgehört. Soldaten füllten das Arroyo. Seitlich von uns näherte sich die restliche Kompanie. Sie hatten uns
erspäht. Mehrere Reiter lösten sich aus dem Trupp und lenkten ihre Pferde in unsere Richtung. Es gab keine Chance mehr für uns, etwas für Little Friend und die sechs anderen Krieger zu tun. Hilfloser Zorn erfaßte mich. Und dann dachte ich an die Krieger in San Vincente, dachte an Cochise, Black Hawk und an Mangas Coloradas. Sie mußten gewarnt werden. Ich riß fast brutal an den Zügeln des Braunen. Er drehte sich und warf wiehernd den Kopf hoch. Dann jagte er los. Die beiden LipanKrieger konnten mir kaum folgen. Ich beugte mich weit im Sattel nach vorn. Meine Augen brannten. Ich war sicher, daß ein paar Tränen herausrannen. Das sollten die beiden Krieger nicht sehen. Ich wollte auch nicht mehr zurückschauen. Ich wollte nicht sehen, was mit Little Friend geschah. Vielleicht wurden er und die anderen Krieger sofort erschossen. Vielleicht wurden sie nur gefangen und mitgeschleppt. Hinter uns krachten Schüsse. Ich konnte nur vermuten, daß sie uns galten. Sie trafen nicht. Unsere Verfolger schienen zurückzufallen. Ein schwacher Trost. Wir galoppierten über die Ebene nach Westen. Die Sonne war untergegangen. Es wurde immer dunkler. Die Nacht kam. Ein kühler Wind traf uns von der Seite. Irgendwann tauchten Lichter vor uns auf. Die Umrisse einer Stadt schälten sich aus der Dunkelheit. San Vincente lag vor uns. * Wir ritten durch die Hauptstraße, die nur von ein paar Fackeln erhellt wurde. Auf der Plaza brannte ein Feuer. Darüber briet an einem Spieß eine Kuh. Ich sah Schnelltöter neben dem Feuer stehen. Er hatte ein Stück Fleisch auf sein Messer aufgespießt und nagte daran. Black Hawk und Cochise waren nicht zu sehen. So ritt ich mit den beiden Lipans zur Plaza und sprang aus dem Sattel. Meine Knie gaben nach. Meine Beine zitterten etwas. Ich fing mich rasch wieder und lief zum Fenster hinüber. Schnelltöter wandte sich um und hielt mir das Fleisch hin, das auf
seinem Messer steckte. »Ihr seid lange fortgeblieben. Das Fleisch ist gut. Ihr seid gerade rechtzeitig zurückgekehrt. Bald ist nichts mehr da.« »Little Friend ist gefangen«, sagte ich. Schnelltöter ließ das Fleisch sinken. »Was ist passiert?« »Soldaten«, sagte ich. Mir war plötzlich schwindlig. Ich schloß für einen Moment die Augen und atmete tief durch. In mir fraß die Sorge um Little Friend. »Blauröcke«, sagte ich. »Sie müssen den Fluß überquert haben. Die Ebene ist voll von ihnen. Sie haben Little Friend und sechs andere gefangen.« »Blauröcke?« Schnelltöter schaute mich zweifelnd an. »Die Weißaugen sind über den großen Strom geritten«, sagte der Lipan-Krieger mit dem faltigen Gesicht hinter mir. »Sie folgen unserer Fährte.« Schnelltöter faßte mich am Arm. »Komm mit«, sagte er. Wir überquerten die Plaza mit großen Schritten und blieben vor dem Haus des Arztes stehen. Schnelltöter sprach mit dem Wachtposten. Dann wurde ich hineingelassen. Ich ging durch einen schmalen, dunklen Flur. Eine der Türen im Gang stand offen. In dem Raum dahinter brannte Licht. Ich schaute hinein. Mitten in der Kammer stand ein großer Tisch. Darauf lag Mangas Coloradas. Er war bis zur Hüfte zugedeckt. Der mächtige Oberkörper, der jetzt eingefallen und knochig wirkte, war nackt. Um die Brust wand sich ein weißer Verband. Es stank nach Eiter, Blut und Schweiß. Von der Decke hingen zwei Petroleumlaternen. In ihrem Schein wirkte Mangas Coloradas noch bleicher und schmaler. Der kleine, mexikanische Arzt stand seitlich vom Körper des Häuptlings. Er wirkte abgespannt und müde. Er trug nur noch sein weißes Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte. Um die Hüften hatte er sich eine knöchellange weiße Schürze gebunden, die mit Blut befleckt war. Er bemerkte mich nicht, genausowenig wie Cochise, der unweit von Mangas Coloradas auf einem Stuhl saß. Für einen Moment vergaß ich, was geschehen war. Als sich eine Hand schwer auf meine rechte Schulter legte, fuhr ich erschrocken
herum. Black Hawk stand vor mir und schaute mich ernst an. Sein graues Haar schimmerte silbrig. Meine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Ich stotterte etwas, dann sagte ich, was zu sagen war. Black Hawk schwieg einen Moment, ließ mich plötzlich stehen und betrat den Raum, in dem Mangas Coloradas lag. Er ging zu Cochise. Ich dachte wieder an Little Friend. Eine große Unruhe war in mir. Ich wußte selbst nicht, was eigentlich geschehen sollte, aber irgend etwas mußte getan werden, um Little Friend und den anderen Gefangenen zu helfen. Black Hawk redete noch immer mit Cochise. Der erhob sich auf einmal und trat auf den Gang hinaus. »Wo sind die Blauröcke jetzt?« »Etwa vier Meilen vor San Vincente«, antwortete ich. »Wie viele?« »Vielleicht eine Kompanie.« Ich hob ein paarmal beide Hände, um mit den Fingern die Zahl anzugeben. »Hundert vielleicht.« Cochise nickte nachdenklich. Ich schaute ihn abwartend an. »Es ist gut«, sagte er. »Enju.« »Komm!« Black Hawk ging an mir vorbei zur Haustür. Ich folgte zögernd. Draußen blieb ich stehen. Ein kühler Lufthauch traf mich. Ich fröstelte unwillkürlich. »Was ist mit Mangas Coloradas?« »Er braucht jetzt Ruhe«, sagte Black Hawk. »Er wird leben.« Wir gingen nebeneinander her. Schnelltöter gesellte sich zu uns. Er hatte gewartet. Er war fast so aufgeregt wie ich, und er konnte es schlechter verbergen. Black Hawk sprach kein Wort. Neben dem Feuer auf der Plaza hielt er an und schickte nach den Unterhäuptlingen. Sie erschienen sofort, und Black Hawk brauchte nicht viel zu erklären. Es verging keine Viertelstunde, dann hatten die Krieger ihre Positionen eingenommen. Sie hatten einfache Barrikaden aus umgekippten Wagen auf den Straßen errichtet. Sie bezogen Stellung auf den Dächern der flachen Häuser und luden ihre Waffen. Ich wartete vergeblich, daß Black Hawk den Befehl gab, daß
einige Krieger losreiten sollten, um die Gefangenen zu befreien. Ich wußte selbst nicht, warum ich darauf hoffte. Ich war lange genug bei den Apachen und wußte, daß so etwas nicht üblich war. Jeder Krieger trug sein Risiko allein. Wenn er gefangen wurde, erwartete er auch keine Hilfe mehr von seinem Stamm. Das hätte andere in Gefahr gebracht. Ich akzeptierte diese Regel. Nur diesmal fiel es mir schwer. Diesmal war Little Friend betroffen, mein Blutsbruder. Ich schaute Black Hawk nach, der die Plaza wieder verließ und zurück zum Haus des Arztes ging. Schnelltöter stand noch immer, neben mir. Als er mich ansprach, wandte ich langsam den Kopf. Ich war mit meinen Gedanken weit fort und verstand erst nicht, was er sagte. »Du denkst an Little Friend?« Er wiederholte es zum drittenmal. Ich nickte. »Vielleicht ist er tot«, sagte Schnelltöter. »Nein.« Ich sagte es heftig. Ich wollte es nicht wahrhaben. Und ich fühlte instinktiv auch, daß es nicht stimmte. Little Friend war noch nicht tot. »Warum reitest du nicht allein?« Ich überlegte. Warum eigentlich nicht? Ich war ein Krieger der Chiricahua-Apachen. Ich war ein freier Mann. Wenn ich gehen wollte, konnte ich gehen und auf eigene Faust versuchen, Little Friend freizukämpfen. Niemand würde mich halten. Apachenstämme waren keine Armeeeinheiten. Es gab keinen absoluten Befehl. Jeder Krieger war frei in seinen Entschlüssen. Die Hauptsache war, daß er sich nicht wie ein Feigling benahm und nicht Schande über seinen Stamm brachte. »Ich reite«, sagte ich. »Ich werde Little Friend finden und befreien, wenn er noch lebt.« Einen Augenblick schwieg ich und fuhr dann langsam fort: »Wenn er tot ist, werde ich ihn rächen.« Ich drehte mich um und ging zu meinem Braunen hinüber. Er hatte an diesem Tag nicht viel Ruhe gehabt. Mit hängenden Zügeln stand er da. Ich führte ihn zur Tränke und zog dann die Sattelgurte wieder fest. Als ich aufsteigen wollte, stand plötzlich Schnelltöter neben mir. Er führte sein geschecktes Pony am Zügel.
»Ich begleite dich«, sagte er nur. »Aber …« Ich wollte widersprechen. Dann schwieg ich. Es war besser, wenn ich nicht allein ritt. Ich konnte froh sein, daß Schnelltöter mich begleitete. Stumm ritten wir nebeneinander zum östlichen Stadtrand. Die Wachtposten ließen uns passieren. Keiner sprach ein Wort. Wir ritten ins nächtliche Land hinaus.
5. Little Friend stellte den Widerstand ein, als er sah, daß gut ein Dutzend Gewehrmündungen auf ihn gerichtet waren. Er ließ seinen leergeschossenen Sharps-Karabiner fallen. Ein Corporal trat auf ihn zu und stieß ihm wuchtig den Lauf seines Springfield-Gewehrs in den Leib. Der jähe Schmerz durchfuhr Little Friends Körper. Er krümmte sich zusammen und konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Ein Schlag mit dem Gewehrkolben traf ihn an die Stirn. Er kippte kraftlos um und blieb am Boden liegen. Neben ihm wurden die sechs Lipans-Krieger, die bei ihm waren, zusammengeschlagen. Oberhalb des Arroyos stieg Major John Derrel vom Pferd. Er hatte ein höchst zufriedenes Gesicht. Gleichgültig schaute er in das ausgetrocknete Flußbett hinunter, wo die Apachen am Boden lagen. Zwei bluteten aus dem Mund. »Ich habe recht behalten, Lieutenant.« Er drehte sich um. Lieutenant Masters saß noch auf seinem Pferd und schien auch nicht die Absicht zu haben, abzusitzen. Er sah aus wie das schlechte Gewissen in Person und schnitt ein Gesicht, das ständig zu sagen schien: Ich habe mit allem hier nichts zu tun. »Die Apachen haben keinen großen Vorsprung. Vermutlich sind wir hier auf eine Nachhut gestoßen. Schade, daß uns die drei anderen entwischt sind. Die werden jetzt den Haupttrupp warnen. Aber das kann uns gleichgültig sein. Wir kriegen sie. Haben Sie übrigens gesehen, Lieutenant, bei den entkommenen drei Kriegern war einer mit einem blonden Skalp dabei, ein Weißer. Vermutlich das Bürschchen, das Cochise uns als Spion nach Fort Clark geschickt
hatte. Wirklich schade, daß wir ihn nicht erwischt haben. Den hätte ich mir gern einmal vorgenommen.« Derrel rief einen Befehl ins Arroyo hinunter. Die gefangenen Apachen wurden auf die Beine geprügelt und aus dem Arroyo getrieben. »Was haben Sie denn, Lieutenant?« fuhr Derrel den jungen Offizier an. »Sie wissen, Sir, daß wir hier eine illegale Operation unternehmen, die zu schwersten Verwicklungen zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten führen kann.« »Ach, gehen Sie doch zum Teufel, mit Ihrer illegalen Operation, Lieutenant Masters.« Derrel blickte den jungen Offizier mißbilligend an. »Was zählt, ist der Erfolg, nicht mehr und nicht weniger. Wenn es uns gelingt, die Apachen zu stellen und zu schlagen, so daß wir in den nächsten Jahren in Texas Ruhe vor ihnen haben, dann fragt kein Mensch mehr, wie wir das hingekriegt haben.« »Und wenn es uns nicht gelingt, Sir, werden wir alle unehrenhaft aus der Armee ausgestoßen, wenn nicht gar standrechtlich erschossen.« »Sie haben oft genug betont, mit welchem Widerwillen Sie meinen Befehlen gehorchen, Lieutenant.« Die Stimme Derrels hob sich. »Es langt jetzt. Ich kann Ihre Sprüche bald auswendig daherbeten. Seien Sie versichert, Lieutenant, daß ich Ihre Haltung in meinem Bericht gründlich darstellen werde, so daß Sie nichts zu befürchten haben werden. Ich werde schreiben, daß Sie nur auf meinen ausdrücklichen Befehl mitgeritten sind und immer wieder protestiert haben. Wenn es Ärger geben sollte, werden Sie also davon verschont bleiben. Ich möchte allerdings bezweifeln, daß es Ärger geben wird. Dankbar wird man mir sein. Die verdammten Mexikaner werden ja mit den Rothäuten nicht fertig.« Der Lieutenant antwortete nicht, und Derrel kümmerte sich nicht weiter um ihn. Die Gefangenen wurden gebracht. Der hagere Sergeant baute sich neben Derrel auf. Er sprach einen Apachendialekt. Derrel legte die Hände auf dem Rücken übereinander und blickte Little Friend, der als erster zu ihm geführt wurde, prüfend ins Gesicht.
»Sprichst du meine Sprache?« Er räusperte sich. »Verstehst du mich?« Little Friend schwieg. Sein Gesicht war starr wie eine Maske aus Holz. Er hielt die Augen halb geschlossen und hatte noch immer starke Schmerzen im Leib, so daß er nicht aufrecht stehen konnte. Die Hände waren ihm auf den Rücken zusammengebunden worden. »Fragen Sie ihn, was das Ziel seines Stammes ist, Sergeant«, sagte Derrel, ohne den Sergeant anzuschauen. »Fragen Sie ihn, wie groß der Vorsprung der anderen Krieger ist. Der Bursche sieht aus, als sei er der Anführer der anderen. Ich habe einen Blick dafür.« Der Sergeant mühte sich redlich mit dem kehligen Dialekt der Apachen ab. Little Friend reagierte überhaupt nicht. Er schaute den Soldaten nicht mal an. Derrels Schläfenadern schwollen an. Urplötzlich holte er aus und schlug Little Friend den Handrücken seiner Rechten zweimal ins Gesicht. Er trug einen goldenen Siegelring, der Little Friends Oberlippe aufriß. Little Friends Kopf wurde zurückgeworfen. Betäubungsschleier stiegen in ihm auf. Er verbiß sich den Schmerz, während ihm das Blut über das Kinn rann. »Ich kriege dich zum Reden«, sagte Derrel. Seine Stimme klang heiser. »Dieser verdammte Bastard.« Er wandte sich den anderen sechs Gefangenen zu. »Lipans, Sir«, sagte der Sergeant eifrig. »Der andere Kerl ist ein Chiricahua.« »Wir nehmen sie mit.« Derrel musterte sie verächtlich. »Besonders der Anführer ist wichtig. Wir kriegen ihn schon noch dazu, daß er das Maul aufreißt. Vielleicht brauchen wir ihn noch. Wir brechen gleich wieder auf. Lassen Sie alles bereitmachen, Sergeant.« »Jawohl, Sir.« Derrel ging zu seinem Pferd zurück. »Sir.« Lieutenant Masters saß noch immer steif wie ein Ladestock im Sattel. »Sir, ich darf darauf hinweisen, daß die Männer seit fast achtzehn Stunden im Sattel sitzen. Sie brauchen Ruhe, die Pferde auch. Es ist unmöglich, daß sie jetzt in der Nacht weiterreiten.«
»Unmöglich?« Derrel lachte scharf auf. »Ich werde Ihnen zeigen, was unmöglich ist, Mister Masters. Wir reiten weiter, und jeder, der den Schwanz einzieht, kann was erleben. Auch Sie, Lieutenant. Hier im Westen geht es anders zu als in West Point.« »Das ist mir bereits aufgefallen, Sir.« »Um so besser.« Derrel ritt so dicht an dem Lieutenant vorbei, daß dessen Pferd beinahe gerammt wurde, scheute und den jungen Offizier fast abwarf. Masters preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Aber er schwieg und folgte dem Major, während hinter ihm die Soldaten auf Befehl des Sergeants müde wieder eine Viererformation bildeten. Little Friend schaute zu den beiden Offizieren hinüber. Sie hatten sich gestritten. Er wußte nicht, warum. Aber es zeigte ihm, daß die Soldaten sich nicht einig waren. Ein schlechter Ausgangspunkt, um gegen Apachen zu kämpfen. Ein Corporal trat zu Little Friend. Er blickte ihn schweigend an und spuckte ihm dann mitten ins Gesicht. Little Friend rührte sich nicht. Zorn flackerte für einen Moment in seinen Augen auf. Aber er tat nichts, und auch auf seinem Gesicht zeigte sich keine Reaktion, als der Speichel über seine rechte Wange rann. Wegwischen konnte er ihn mit seinen gefesselten Händen nicht. »Wenn es nach mir ginge, würde ich dich bei lebendigem Leibe am Spieß braten, du dreckiges rotes Schwein«, sagte der Corporal. »Auf was warten Sie, Corporal?« Die Stimme der Sergeants klang von der Truppe herüber, die das Arroyo überquerte und nach Westen in die Nacht zog. »Beeilen Sie sich, Mann.« »Jawohl, Sergeant.« Der Corporal versetzte Little Friend einen Fausthieb in den Magen. Little Friend hatte den Schlag nicht kommen sehen. Der Schmerz zerriß ihn fast. Sein Körper bäumte sich auf. Er ging in die Knie und wäre gefallen, wenn ihn nicht von hinten zwei Soldaten an den Oberarmen gepackt hätten. Sie ließen ihm nicht die Zeit, seinen Schmerz zu überwinden. Sie schleiften ihn zu den Pferden hinüber. Er mußte in den Deckensattel seines eigenen Ponys steigen und wurde darauf festgebunden. Dann wurden die anderen Krieger gebracht. Einer war bewußtlos. Er blutete aus einer klaffenden Wunde an der Stirn. Niemand
versorgte ihn. Er wurde quer über den Rücken seines Ponys geworfen und wie ein alter Sack darauf festgebunden. Schlaff hingen seine Beine an der einen, sein Kopf, sein Oberkörper und seine Arme an der anderen Seite herunter und pendelten im Rhythmus des Pferdetritts mit, als dje Soldaten ihre Tiere antrieben und die Ponys der Apachen hinter sich her zerrten. * Die Lichter von San Vincente waren weit über die Ebene hin zu sehen. Noch immer brannte das Feuer auf der Plaza, aber der Bratspieß mit der geschlachteten Kuh war weggenommen worden. Trommeln dröhnten dumpf in monotonem Rhythmus. Um das Feuer tanzte Nochalo. Er war fast nackt und trug nur noch einen schmalen Lendenschurz. Sein magerer Körper war von oben bis unten bemalt. Sein Oberkörper wand und beugte, hob und senkte sich. Seine nackten, schwieligen Füße stampften im Rhythmus der Trommeln auf den Boden. Er schwang die Arme. In der Rechten hielt er eine einfache Rassel. Und er sang. Seine heisere Stimme übertönte die Trommeln, drang durch die nächtliche Stadt, war noch in den entlegendsten Winkeln zu hören. Er sang klagend und flehend, fordernd und mahnend. Seine Stimme war voller Kraft und Ausdruck. Es gab niemanden in San Vincente, der nicht wie gebannt zuhörte. Auch die Mexikaner, die in ihren eigenen Häusern Gefangene waren und nicht auf die Straße durften, auch die gefangenen Frauen und Kinder in der Kapelle, die auf den harten Bänken im Kirchenschiff saßen, die nicht schlafen konnten, die beteten. Selbst bis hierhin, durch die starken Adobemauern und die Tür aus dicken, schweren Eichenholz, drang Nochalos Stimme. Er sang zum Großen Geist und flehte um das Leben von Mangas Coloradas. Im Feuerschein wirkte er wie ein zuckender Schatten aus dem Reich der Finsternis. Nur wenige Yards entfernt vom Feuer saßen die vier Gehilfen des Schamanen und schlugen mit den bloßen Händen die Trommeln, die aus Totenschädeln bestanden und mit Menschenhaut bespannt waren. Nochalo tanzte und sang und geriet immer mehr in Ekstase. Er
schien die Trommelschläge nicht mehr wahrzunehmen. Er tanzte immer schneller, sein Singen klang immer gehetzter, immer wilder, immer lauter. Die Krieger, die auf den Dächern der Häuser und am Stadtrand lagen und auf die Soldaten warteten, die ihnen bis nach Mexiko gefolgt waren, lauschten. Ab und zu schauten sie zum Haus des Doktors Fangio hinüber, wo sie Mangas Coloradas wußten. Cochise hielt sich noch immer dort auf, und Black Hawk ließ sich nur ab und zu einmal sehen, um Ausschau zu halten, ob die Soldaten schon aufgetaucht waren. Keiner wußte, wie es um den Häuptling stand. Aber alle wußten, daß er noch lebte, solange Nochalo tanzte, solange Cochise das Haus der Arztes nicht verließ. Kaum eine Meile von San Vincente ließ Major Derrel seine Kompanie anhalten. Die Fackeln, die in den Straßen des Ortes loderten, waren aus dieser Entfernung nicht viel mehr als fingerkuppengroße Lichtpunkte. Derrel spähte schweigend hinüber. Dann zog er sein Pferd herum. »Sergeant!« »Jawohl, Sir.« »Lassen Sie absitzen, Sergeant. Sattelgurte der Pferde lockern. Rast bis zum Morgen. Kein Feuer. Zehn Wachen, die alle zwei Stunden abgelöst werden. Sonderwachen für die Gefangenen.« »Jawohl, Sir.« Der hagere Sergeant wandte sich im Sattel um. »Absitzen!« brüllte er. Die Soldaten glitten erleichtert aus den Sätteln. »Kommen Sie her, Sergeant.« »Jawohl, Sir.« Der Sergeant lenkte sein Pferd zu Derrel hinüber. »Sehen Sie die Lichter, Sergeant?« »Jawohl, Sir.« »Sieht aus wie eine Stadt.« »Stimmt, Sir. Die Spur der Apachen führt genau in diese Richtung.« »Es ist also anzunehmen, daß die Apachen eine Stadt besetzt haben.« Derrel nickte, wie um sich selbst zu bestätigen. »Von den drei Kriegern, die uns vorhin entwischt sind, sind sie natürlich
gewarnt worden. Wahrscheinlich brennen deshalb die Fackeln.« »Anzunehmen, Sir. Vermutlich ist die ganze Horde in Alarmbereitschaft versetzt.« »Sie erwarten uns noch in dieser Nacht.« Derrel zog seinen breitrandigen Hut und wischte mit seinem Halstuch das Schweißband trocken. »Da können sie lange warten. Morgen früh, wenn sie müde sind, werden wir angreifen. Wir verstehen auch etwas vom Nervenkrieg, nicht wahr, Sergeant?« »Natürlich, Sir.« »Wir werden ausgeschlafen und ausgeruht sein, während das rote Pack zermürbt ist. Wir werden sie hinwegfegen, Sergeant.« »Jawohl, Sir.« Lieutenant Masters trieb sein Pferd auf Derrel zu. Er hatte mit wachsendem Zorn dem Dialog zwischen dem Major und dem Sergeant gelauscht. Derrel ignorierte ihn, obwohl er im Rang über dem Sergeant stand. »Habe ich recht gehört, Major, daß Sie eine mexikanische Stadt angreifen wollen?« Derrel wandte den Kopf und schaute den Lieutenant an wie ein lästiges Insekt. »Wenn Sie schon zugehört haben, Lieutenant, ja.« »Sir, ich protestiere. Ich …« »Halten Sie den Mund, Masters. Sie haben jetzt lange genug protestiert. Sie sind renitent. Sie sind ein Schwätzer, ein lahmarschiger Besserwisser. Sie sind kein Offizier, Sie sind ein Idiot in Uniform. Ich habe es jetzt satt mit Ihnen. Was Sie hier betreiben, ist Meuterei. Sie zersetzen die Moral und die Kampfkraft unserer Kompanie. Mann, wie sind Sie nur nach West Point gekommen?« »Das entzieht sich wohl Ihrer Beurteilung und Kompetenz, Sir. Ihre Beleidigungen weise ich zurück. Sie werden dafür geradezustehen haben, wenn wir zurückkehren, wenn das Militärgericht Sie nicht ohnehin wegen eklatanter Überschreitung Ihrer Befugnisse schimpflich aus der Armee verjagt.« »Das würde Ihnen so passen, wie? Aber das werden Sie nicht erleben, Sie jämmerlicher Intrigant, und ich hoffe, nie zu erleben, daß die Armee Schlappschwänzen und Klugscheißern wie Ihnen überlassen wird.«
Masters Gesicht färbte sich rot. Er rang sichtlich um seine Fassung. »Sergeant, Sie sind Zeuge für die ungeheuerlichen Beleidigungen des Majors.« »Ich habe nichts gehört, Sir. Es tut mir außerordentlich leid.« Der Sergeant grinste höhnisch und zuckte mit den Schultern. Ihm war anzusehen, daß ihm gar nichts leid tat. Derrel grinste auch. Masters schnappte nach Luft. »Das werden Sie bereuen, Sergeant.« »Ich glaube kaum, Sir. Ich höre prinzipiell nichts, was ich nicht hören soll. Major Derrel weiß das, Sir.« »Es ist gut, Sergeant.« Derrel nickte wohlwollend. »Sie können sich jetzt hinlegen. Die Nacht ist schnell vorbei. Morgen früh brauche ich eine ausgeruhte Truppe, die den Rothäuten das Fürchten lehrt.« »Danke, Sir. Gute Nacht, Sir.« Der Sergeant salutierte knapp und nickte auch Lieutenant Masters zu. Dann ritt er davon. »So ein subalterner Unteroffizier weiß immer, an wen er sich zu halten hat, Masters.« Derrel rutschte schwerfällig aus dem Sattel. Auch er wirkte jetzt müde und abgespannt. »Nehmen Sie es nicht tragisch. Ich bin nun mal länger in Fort Clark als Sie. Ich bin stärker.« »Nicht mehr, wenn wir nach Texas zurückkehren.« Der Lieutenant stieg nun auch ab. Er lockerte den Sattelgurt seines Pferdes. »Egal, was Sie hier erreichen: Sie haben einen der schwersten Verstöße gegen die Dienstordnung begangen, den ich mir denken kann. Das werden Sie nicht ungeschoren überstehen.« »Ich denke, Lieutenant, daß Sie noch lernen müssen, mit dem, was Sie sagen, vorsichtiger zu sein.« »Sollte das eine Drohung sein, Derrel?« Derrel verzog das Gesicht, als der Lieutenant ihn nicht mit seinem Rang ansprach. »Nur ein guter Rat, Masters, nicht mehr.« »Das hoffe ich.« Der Lieutenant trat auf Derrel zu. Er blieb dicht vor dem Major stehen, der ihn um einen halben Kopf überragte und erheblich breitere Schultern hatte. Der Lieutenant wirkte schmächtig neben ihm. Seine Stimme wurde beschwörend. »Ich bin bereit, alles zu vergessen, was Sie hier gesagt haben, Sir,
wenn Sie von dem wahnwitzigen Vorhaben, morgen früh die Stadt anzugreifen, ablassen und statt dessen umkehren, bevor uns eine Patrouille der mexikanischen Grenzpolizei entdeckt.« »Ich pfeife darauf, ob Sie etwas vergessen oder nicht, Masters.« »Wenn Sie eine mexikanische Stadt angreifen, kann das Krieg mit Mexiko bedeuten, verdammt noch mal. Sehen Sie das denn nicht?« »Die Stadt ist von Apachen besetzt. Die Bürger werden uns dankbar sein. Im übrigen diskutiere ich nicht mehr mit Ihnen über meine Maßnahmen. Meine Befehle werden ausgeführt, auch von Ihnen, sonst stelle ich Sie unter Arrest und lasse Sie zusammen mit diesen stinkenden Apachen fesseln und bewachen.« Der Lieutenant musterte den Major mit Verachtung und Haß. »Ich glaube, dann würde ich Sie umbringen, Derrel.« Seine Stimme klang leise. Derrel erwiderte seinen Blick, nachdenklich erst, dann gleichgültig. »Nicht Sie, Masters. Sie nicht. Ich bezweifle, daß Sie abdrücken würden, wenn Sie einen Apachen vor sich hätten.« Der Lieutenant schwieg. Als seine Rechte hochflog, rührte Derrel sich nicht. Die offene Hand klatschte dem Major ins Gesicht. Er wandte den Kopf zur Seite, während sich auf seiner linken Wange die Abdrücke der Finger zeigten. Der Lieutenant trat einen Schritt zurück. Er erwartete Derrels Konterschlag. Aber Derrel lächelte nur. Es war ein dünnes, böses Lächeln. Er richtete den Kopf wieder auf. »Ist Ihnen jetzt wohler, Masters?« Er lachte. »Ihnen ist nicht wohler. Ich sehe es. Sie können Ihre inneren Empfindungen nicht verbergen, Masters. Noch etwas, das Sie lernen müssen. Ich kann in Ihrem Gesicht lesen wie in einem Buch. Sie sollten wissen, Masters, daß ich ein gutes Gedächtnis habe. Ich vergesse so leicht nichts. Auch diesen Schlag nicht. Eines Tages wird es Ihnen leid tun.« Der Lieutenant wandte sich ab und ging mit seinem Pferd davon. Abseits der Mannschaft breitete er seine Decke am Boden aus und legte sich nieder. Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, einfach in den Sattel zu steigen und allein nach Texas zurückzureiten. Wer hätte ihn daran hindern können? Er wischte den Gedanken
beiseite und schloß die Augen. Aber er konnte nicht einschlafen. Die Idee ließ ihn nicht los. Er dachte daran, was Major Derrel vorhatte. War es nicht sogar seine Pflicht, nach Texas zurückzureiten und Derrels Vorgesetzte zu informieren? Was für Folgen konnte es haben, wenn Derrel wirklich am Morgen diese mexikanische Stadt angriff, deren Namen niemand in der Kompanie kannte. Masters sträubte sich noch immer gegen diese Gedanken, aber sie hatten bereits Besitz von ihm ergriffen, sie ließen ihn nicht mehr los. Erschöpfung und Müdigkeit waren verflogen. Würde er als Desserteur dastehen, wenn er sich entschloß, die Truppe zu verlassen? Masters dachte über die »Army-Regulations« nach, die Dienstvorschriften der amerikanischen Armee. Sie gestatteten es, sich Befehlen zu widersetzen, wenn ein Kommandeur seine ihm vom Rang her zustehende Autorität und Befehlsgewalt mißbrauchte und damit seine Untergebenen willkürlich in Gefahr brachte. Hier aber brachte Major Derrel noch mehr in Gefahr – den Frieden zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko. Mit vernünftigen Argumenten ließ Derrel sich nicht von seinen Plänen abbringen. In Masters wurde der Entschluß, auf eigene Faust nach Texas zurückzukehren, immer stärker. Die Zweifel wichen immer mehr. Gleichzeitig wuchs die Wut auf Derrel. Masters dachte daran, wie sehr er sich hatte demütigen lassen müssen, wie sehr Derrel ihn beleidigt hatte. Derrel verdiente es nicht besser. Er würde vor ein Militärgericht gestellt werden, wenn er aus Mexiko zurückkehrte, und er, Masters, wollte nicht daneben stehen. Er hatte getan, was er konnte, um Derrel zur Vernunft zu bringen. Masters streifte die Decke ab und richtete langsam den Oberkörper auf. Er schaute sich um. Die Soldaten schliefen tief und fest. Kein Wunder, nach dem, was hinter ihnen lag. Auch beim Major rührte sich nichts. Masters erhob sich. Er faltete die Decke zusammen und zog die Sattelgurte seines Pferdes an. Er stülpte sich den breitrandigen Kavalleriehut auf. Ein letzter Blick zum Lager von Major Derrel überzeugte ihn, daß auch der Offizier fest schlief. Er nahm sein Pferd am Zügel und schritt in die Nacht hinaus. Schemenhaft tauchte ein Wachtposten vor ihm auf. Der Mann riß
sein Gewehr in den Hüftanschlag. Knackend spannte sich ein Hahn. »Ich bin es.« Der Lieutenant blieb stehen und wartete, bis der Wachtposten auf ihn zugetreten war und ihn erkannte. »Ach, Sie, Sir. Entschuldigen Sie.« »Sie tun nur Ihre Pflicht.« »Wollen Sie fortreiten, Sir?« »Ja.« »Seien Sie vorsichtig, Sir. Es kann da draußen von Indianern wimmeln. Ich würde an Ihrer Stelle nicht allein durch die Nacht reiten.« »Bin bald wieder da, Private.« Die Lüge war erlaubt, dachte Masters. Es hatte keinen Sinn, längere Diskussionen mit dem Posten zu führen. »Dann ist es ja gut, Sir. Geben Sie auf sich acht.« »Danke, Private. Halten Sie die Ohren steif.« Masters atmete scharf aus, als er den Posten passiert hatte. Jetzt konnte ihn nichts mehr aufhalten. Er ging noch fast hundert Yards, bevor er sich in den Sattel schwang und seinem Pferd die Sporen gab. Er fühlte sich auf einmal von einem mächtigen, immer unerträglicher werdenden Druck befreit. Die Entscheidung, die Truppe zu verlassen, war richtig gewesen. Er war felsenfest davon überzeugt. Zweifel hatte er nicht mehr. Und selbst wenn – es wäre zu spät gewesen, zurückzukehren.
6. Die Soldaten tauchten vor uns auf wie ein Heer von Schatten. Wir sahen sie noch rechtzeitig genug, um uns in Deckung zu bringen, bevor sie auf der Ebene, keine hundert Yards vor uns, anhielten. Sie stiegen aus den Sätteln und schlugen ihr Lager auf. Wir hätten gern gewußt, was sie vorhatten, aber wir hörten nur einige Wortfetzen, die der Wind zu uns herübertrug. Verstehen konnten wir nichts. Dann sah ich Little Friend. Ich stieß Schnelltöter an und zeigte auf die Gefangenentruppe, die zu einem Platz ein Stück abseits des Lagers getrieben wurde. Ich ballte die Hände zu Fäusten und preßte die Lippen fest
aufeinander, um nicht zu schreien, als ich sah, daß die Soldaten die Gefangenen einfach aus den Sätteln ihrer Ponys rissen. Die Krieger stürzten hart zu Boden, da sie mit ihren gefesselten Händen den Fall nicht abfangen konnten. Mit Kolbenhieben trieben die Soldaten die Apachen wieder auf die Beine. Ich fühlte fast körperliche Schmerzen, als ich sah, daß einer der Hiebe Little Friend ins Kreuz trafen. Er hatte sich gerade aufrichten wollen und fiel nun wieder zu Boden, direkt aufs Gesicht. Die Hand Schnelltöters lag auf einmal auf meiner rechten Schulter. Ich wandte den Kopf. »Hauptsache, sie leben noch«, sagte er. Ich nickte, aber ich schaute nicht mehr hin. Wir hockten inmitten der Buschinsel, in der wir Deckung gefunden hatten, am Boden und warteten ab. Die Zeit verstrich unendlich langsam. Dann endlich wurde es ruhig im Lager der Soldaten. Wir krochen wieder zum Rand der Buschinsel und spähten hinüber. Die Soldaten hatten sich zum Schlafen niedergelegt. Wir sahen einige Wachen, auch bei den Gefangenen. Sie zu befreien, würde schwierig werden. Wir kehrten zu unseren Pferden zurück und verließen unsere Deckung. Zu Fuß, versteht sich. Wir führten die Tiere am Zügel hinter uns her, um keinen Lärm zu verursachen. So gelang es uns, größeren Abstand zu dem Lager zu gewinnen. Dann schlugen wir einen Bogen. Wie wir es anstellen sollten, an die Gefangenen zu gelangen, wußten wir noch nicht. Als wir die nächste Buschinsel erreichten, hielten wir an. In diesem Moment klang unweit von uns Hufschlag auf, der sich rasch näherte. Ich schaute mich zu Schnelltöter um. Er hatte den Kopf gehoben und lauschte in die Nacht. Ich ließ die Zügel des Braunen los und faßte meinen SpencerKarabiner mit beiden Fäusten. Der Hufschlag wurde immer lauter. Es knackte im Unterholz. Dann tauchte auf einmal ein Schatten vor uns auf. Der Braune hinter mir scheute und stellte. Seine Vorderhufe wirbelten durch die Luft. Ich sprang vor, um mich in Sicherheit zu
bringen. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß sich Schnelltöter zur Seite warf. Da brach ein Reiter durchs Gebüsch und jagte auf mich zu. Ich sah die breite, muskulöse Brust des Pferdes auf mich zurasen, sah die trommelnden Hufe … Verzweifelt schnellte ich hoch und stieß einen grellen Schrei aus. Der Pferd wirbelte herum. Seine Vorderläufe streiften mich nur leicht. Ich wurde rücklings zu Boden geschleudert. Als ich wieder auf die Beine kam, hatte der Reiter sein scheuendes Pferd unter Kontrolle. Er zerrte einen schweren Dragoon-Revolver aus einem Sattelhalfter. Im selben Moment sprang Schnelltöter hoch. Er umschlang die Hüfte des Reiters und zerrte ihn aus dem Sattel. Gemeinsam stürzten sie zu Boden und rollten durch das hohe Gras. Ich hob meinen Spencer-Karabiner auf. Der Reiter lag jetzt auf dem Rücken und holte mit seinem Dragoon-Revolver zum Schlag aus. Schnelltöter zog den Kopf weg. Er wurde trotzdem getroffen. Er stöhnte und sackte betäubt zur Seite. Der andere wälzte sich unter ihm weg und packte seinen Revolver mit beiden Fäusten. Da war ich heran. Der Lauf meines Karabiners traf das rechte Handgelenk des Mannes. Er schrie auf und ließ den Revolver fallen. Erst jetzt fiel mir auf, daß er eine Uniform trug. Als ich ihm die Mündung meines Spencer gegen die Brust stieß, sah ich seine Schulterstücke. Ein Offizier. Er fiel stöhnend auf den Rücken. Ich stand neben ihm, und er versuchte, nach meinen Beinen zu greifen, um mich zu Fall zu bringen. Als ich ihm die Mündung meines Gewehrs auf die Stirn setzte, ließ er sofort die Finger von mir. Er war noch jung, sehr jung, und anscheinend auch noch verdammt grün hinter den Ohren. Ich empfand das so, obwohl er bestimmt fast zehn Jahre älter war als ich. Aber ich hatte auch Erfahrungen hinter mir, Erfahrungen, die mancher fünfzigjährige Mann in seinem Leben nicht hatte sammeln müssen. Ich kannte mich aus, im Gegensatz zu diesem Grünschnabel, der keine Ahnung hatte. Aus geweiteten Augen, in denen sich das milchige Mondlicht spiegelte, starrte er mich an wie eine Geistererscheinung. Es schien
ihm schwerzufallen, zu begreifen, daß er gefangen war. Schnelltöter wälzte sich stöhnend im Gras herum. Ich besann mich darauf, daß ich nicht als Apache geboren war und Englisch sprach und nahm die Spencer-Mündung von der Stirn des jungen Offiziers. »Stehen Sie auf«, sagte ich. Meine Stimme klang dunkel und rauh. Ich hatte den Stimmbruch schon fast hinter mir. Ich trat einen Schritt zurück, um ihm Bewegungsfreiheit zu geben. Er hatte wirklich keine Ahnung. Er versuchte sofort wieder, mich anzugreifen. Ich klopfte ihm mit dem Gewehrlauf auf den Kopf, so daß er sofort wieder eine Etage tiefer sackte. Ich sagte: »Lassen Sie den Blödsinn. Stehen Sie auf und nehmen Sie die Hände hoch.« Er lernte schnell. Er stellte keine Dummheiten mehr an. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand er auf und faltete die Hände hinter dem Kopf. Noch immer starrte er mich ungläubig an. Vermutlich irritierte ihn mein blondes Haar. Schnelltöter rappelte sich auf. Er hatte eine beachtliche Beule am Schädel. Er bückt sich sofort nach dem Revolver des Offiziers und steckte ihn in seinen Gürtel. Er musterte den jungen Mann feindselig. Doch er griff ihn nicht an. Er sah wie ich, daß wir einen Gefangenen hatten, der anscheinend recht wertvoll war. »Was tun Sie hier?« fragte ich. »Antworten Sie, los!« »Wir – ich …« Er stammelte, seine Stimme klang brüchig. »Ich wollte weg.« »Was heißt das?« »Ich wollte nach Texas zurück.« »Um Verstärkung zu holen?« »Um Himmels willen, nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich – ich wollte einfach weg.« »Desertieren?« »Nein, zurück nach Fort Clark.« »Reden Sie keinen Unsinn«, sagte ich scharf. »Sagen Sie die Wahrheit.« »Beim Himmel, ja, ich – was soll ich denn sagen?« Er wollte die Hände sinken lassen. Als ich das Gewehr leicht bewegte, zuckten sie sofort wieder hoch.
»Weil der Major morgen die Stadt angreifen will … Ich meine, wir dürfen doch gar nicht hier sein, in Mexiko.« »Warum seid ihr dann hier?« »Weil der Major euch folgen wollte, und …« Er verstummte. Er schien sich langsam zu fassen. Der Schreck war ihm tief in die Knochen gefahren. Deshalb hatte er so bereitwillig geplaudert. Jetzt wurde er verstockter. »Was passiert mit den Gefangenen?« drängte ich. »Ich sage kein Wort mehr«, erklärte er. »Das würde ich Ihnen nicht raten«, erwiderte ich. »Wir kennen Mittel, um einen Taubstummen zum Reden zu bringen.« Hilflos blickte er mich an. »Aber Sie – du bist doch ein Weißer.« »Ich bin ein Chiricahua-Apache«, sagte ich. »Und bei den Gefangenen in eurem Camp ist mein Blutsbruder. Wenn ihm etwas passiert, bringe ich Sie eigenhändig um, ganz langsam.« »Ich weiß doch nicht, was er mit den Gefangenen vorhat.« Er warf einen unsicheren Blick zu Schnelltöter hinüber, der der Unterhaltung nur mühsam folgen konnte. »Der Major ist doch unberechenbar. Im Moment will er sie leben lassen, weil er glaubt, daß er sie noch braucht. Wenn er das nicht mehr glaubt, läßt er sie wahrscheinlich erschießen.« »Das hoffe ich nicht – für Sie.« Ich nickte Schnelltöter zu. Er trat zu dem Offizier, riß ihm die Hände auf den Rücken und fesselte sie mit einem dünnen Lederriemen. »Wann will Ihr Major die Stadt angreifen?« fragte ich. »Morgen«, sagte er. »Wann genau?« »Im Morgengrauen. Er sagt, dann sind die Krieger vom Wachen müde, und …« »Wir werden ihm was husten.« Ich ging auf den jungen Mann zu und stieß ihn mit dem Spencer-Karabiner zu einem Baum hin. Schnelltöter band ihn daran fest. »Was – was macht ihr mit mir?« Er hatte jetzt Angst. Ich sah es ihm an und konnte ihn sogar verstehen. »Nichts«, sagte ich. »Im Moment jedenfalls. Wenn Sie vernünftig
sind. Wir wollen uns um unsere gefangenen Brüder kümmern. Sie werden uns jetzt sagen, wie viele Soldaten sie bewachen.« »Ich habe schon viel zu viel gesagt.« »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ich glaube, Sie werden uns noch viel mehr erzählen.« »Drei«, sagte er. Seine Stimme klang schwach. »Sie wechseln alle zwei Stunden.« »Und wieviel Mann bewachen das Lager?« »Zehn.« »In Ordnung«, sagte ich. »Wir werden Sie abholen, wenn wir fertig sind.« Ich nickte Schnelltöter zu. Wir ließen den jungen Lieutenant gefesselt zurück und verließen die Strauchgruppe. Wir waren mehrere hundert Yards vom Lager entfernt und konnten es in der Dunkelheit nicht sehen, aber wir wußten, wo es sich befand. Wir liefen los. * Ich hockte mich nieder, riß einige Grasbüschel aus, grub beide Hände tief in den Boden und schmierte mir dunkle Erde auf Oberkörper und Gesicht. Schnelltöter kniete neben mir. Er hatte es einfacher. Seine Haut war dunkler als meine, und sein Haar war schwarz. Ihn schützte die Nacht besser als mich. Wir sahen die Wachtposten vor uns. Ihre Gestalten ragten schemenhaft aus der Dunkelheit auf. Wir befanden uns nördlich des Lagers und direkt hinter dem Gefangenencamp. Unsere Ausgangslage war nicht schlecht, wenn nur die Wachen nicht gewesen wären. Ich faßte meinen Spencer-Karabiner fester, als ich auf allen vieren durch das Gras kroch. Schnelltöter war ein Stück hinter mir. Wir gelangten nur langsam voran. Das Risiko, das wir eingingen, war groß. Entsprechend vorsichtig waren wir. Fast geräuschlos glitten wir dahin. Ein paar einzeln stehende Sträucher tauchten vor uns auf. Wir blieben dahinter liegen, um auszuruhen und neue Kraft zu sammeln.
Vielleicht dreißig Yards trennten uns noch von den Gefangenen, von Little Friend und den sechs Lipans. Sie lagen gefesselt nebeneinander auf dem nackten Boden. Sie waren auch nicht zugedeckt worden. Die drei Wachtposten hielten etwas Abstand. Zwei standen, gestützt auf ihre Springfield-Gewehre, einer hatte sich ins Gras gehockt. Der Mann schlief. Die beiden anderen schienen auch nicht gerade frisch zu sein, soweit ich das in der Dunkelheit erkennen konnte. Ich kroch um den Strauch herum und schob mich langsam weiter. Ich hielt den Atem an. Schweiß rann mir über das Gesicht. Meine Muskeln an Armen und Beinen schmerzten. Alle zwei Yards blieb ich liegen, ruhte einen Moment aus, lauschte auf eventuelle Gefahren und kroch dann weiter, ohne die Posten aus den Augen zu lassen. Die aber rührten sich nicht. Sie hatten die Köpfe gesenkt und die Hüte tief ins Gesicht gezogen. Sie schienen im Stehen zu schlafen. Trotzdem durften wir uns nicht in Sicherheit wiegen. Wenn auch von den Posten keine unmittelbare Gefahr ausging – das kleinste Geräusch konnte sie alarmieren. Dann waren wir verloren. Im Moment lagen wir deckungslos im niedrigen Gras. Ein dichter Palo-Verde-Busch, dem wir zustrebten, war noch gut fünf Yards entfernt. Das war die Distanz zwischen Leben und Tod, wenn es ernst werden sollte. Ich warf einen kurzen Blick zu den Gefangenen hinüber. Sie lagen reglos nebeneinander. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie schliefen. Sicher waren sie wach und würden sofort zur Flucht bereit sein. Ich hatte mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wie wir aus dem Lager entwischen sollten. Das würde erheblich schwieriger werden als die Befreiung. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Ich glitt langsam weiter. Meine Muskeln und Sehnen zitterten vor Anstrengung. Ich mußte durchhalten. Durchhalten! In meinen Schläfen hämmerte das Blut. Schwindel stiegen plötzlich in mir auf, und auf einmal hatte ich Durst, brennenden
Durst. Ich verharrte wieder, schöpfte Atem und schmeckte salzig den Schweiß auf meinen Lippen. Ich durfte nicht schlappmachen, auf keinen Fall, nicht so kurz vor dem Ziel. Ich biß die Zähne zusammen, stemmte den Oberkörper wieder ein paar Zentimeter vom Boden hoch und bewegte mich auf Händen und Zehen weiter. Ich brauchte mehr als zehn Minuten, bis ich den Palo-VerdeBusch erreichte. Aber alles ging glatt. Die Wächter bemerkten nichts. Wenige Minuten später lag Schnelltöter neben mir, im Schutz der dichten Zweige des Strauches. Hier konnten wir uns so sicher fühlen wie in Abrahams Schoß. Keine zehn Yards trennten uns nun noch von Little Friend und den sechs Lipan-Kriegern. Ich streckte mich unter dem Strauch aus und entspannte die schmerzenden Muskeln. Schnelltöter sah mich an. Wir sprachen kein Wort und flüsterten auch nicht. Es erschien uns zu gefährlich. Wir verständigten uns mit Blicken. Ich bereute inzwischen, daß ich meinen Spencer-Karabiner mitgenommen hatte. Er hing wie eine Zentnerlast an mir, wenn ich mich Zoll um Zoll, dicht an den Boden gepreßt, durch das Gras schob. Liegenlassen konnte ich ihn nicht. Dafür war er zu wertvoll. Ich wälzte mich herum und spähte durch das dichte Gezweig zu den Gefangenen. Ich erkannte Little Friend genau, trotz der Dunkelheit. Er lag rechts von den anderen Kriegern. Er war krumm gefesselt worden. Seine Handgelenke waren mit seinen Fußgelenken zusammengebunden worden. Ich schluckte einen Fluch hinunter. Little Friend schlief bestimmt nicht. Er mußte unheimliche Schmerzen haben. Es wurde Zeit, daß ihm geholfen wurde. Ich wandte den Kopf zu Schnelltöter und nickte ihm zu. Er blickte mich ruhig an, legte seine Rechte auf meine Schulter und nickte zurück. Ich griff nach meinem Spencer-Karabiner und wollte weiterkriechen. Da spürte ich plötzlich unter mir, daß der Boden leicht vibrierte. Ich preßte ein Ohr an die Erde und hörte leise ein rythmisches Hämmern, das sich stetig näherte. Hufschlag.
Ich fröstelte plötzlich, obwohl mir der Schweiß in Strömen über das Gesicht rann. Langsam hob ich den Kopf. Ich spürte einen Anflug von Verzweiflung in mir. Sollte alles umsonst gewesen sein? Vielleicht hatte der Hufschlag nichts zu bedeuten, vielleicht … Jetzt konnte ich ihn schon hören, ohne daß ich mein Ohr an die Erde legte. Ich schaute mich zu Schnelltöter um. Er hatte das Geräusch ebenfalls wahrgenommen. Er war erfahrener als ich und hob zweimal die rechte Hand mit gespreizten Fingern. Zehn Reiter, wollte er mir sagen. Ich wußte, daß er sich nicht irrte. Zehn Reiter, die von Süden kamen. Soldaten? Indianer? Ich blieb liegen, wartete ab, zusammen mit Schnelltöter. Solange wir unter dem Palo-Verde-Strauch lagen, waren wir relativ sicher. Noch rührten sich die Wachtposten nicht. Sie hörten den Hufschlag noch nicht. Sie waren zu erschöpft, ihre Sinne waren fast ausgeschaltet. Diesmal fiel es mir schwerer, einen Fluch zu unterdrücken. Noch zehn Yards trennten mich von Little Friend, lausige zehn Yards. Von einer Sekunde zur anderen aber waren sie fast unüberbrückbar geworden. Ich schob mich tiefer in den Schutz des Gebüsches, kauerte mich neben Schnelltöter und fluchte lautlos in mich hinein. * Das dumpfe Hämmern der Hufe zerriß die Stille der Nacht. Die Wachtposten schreckten auf. Sie reagierten langsam, träge. Die Erschöpfung der letzten beiden Tage, die sie kaum zur Ruhe gekommen waren, steckte in ihnen. Major Derrel hatte sie immer nur vorwärtsgetrieben, hatte selten rasten lassen und wenn, dann immer viel zu kurz. Ihre Kraftreserven waren fast erschöpft. Wenn sie in diesem Zustand gegen die Apachen kämpfen sollten, hatten sie keine Chance. Wir beobachteten sie aus unserem Versteck. Dicht an uns ging einer der Posten vorbei. Er rief den anderen etwas zu. Sie hoben ihre Gewehre.
Im Lager entstand Bewegung. Mehrere Soldaten erhoben sich verschlafen. Auch Major Derrel, aber den sahen wir erst, als eine Fackel neben ihm aufflammte. Ich erkannte die Rangabzeichen und dachte an das, was uns der gefangene Lieutenant erzählt hatte. Da hörten wir schon seine Stimme. »Sergeant!« Derrel strich seine zerknitterte Uniform glatt und rückte den Gürtel zurück. »Sergeant Flanders!« »Jawohl, Sir.« Wir sahen einen hageren Soldaten mit drei gelben Winkeln am Ärmel auf den Offizier zuwieseln. Was gesprochen wurde, konnten wir gut hören. Es wurde laut genug geredet, und wir waren ja weiß Gott nicht weit entfernt. »Holen Sie Lieutenant Masters, Sergeant. Er scheint einen gesunden Schlaf zuhaben.« »Lieutenant Masters ist nicht da, Sir«, sagte ein Soldat. »Was sagen Sie da?« Derrel drehte sich um. Ich konnte nun sein Gesicht sehen. Es war ein kantiges, scharf geschnittenes Gesicht, das Rücksichtslosigkeit ausdrückte. »Ich hatte die erste Wache, Sir«, sagte der Soldat. »Lieutenant Masters hat mit seinem Pferd das Lager verlassen und ist nicht zurückgekehrt. Ich habe ihn noch gewarnt, Sir. Schließlich kann das Land draußen von Rothäuten nur so wimmeln, und dann …« »Warum haben Sie mich nicht sofort geweckt, Sie verdammter Trottel?« »Sir, Lieutenant Masters ist Offizier, Ihr Stellvertreter, Sir. Warum hätte ich melden sollen, daß er das Lager verlassen hat? Sie hatten nicht angeordnet, daß Lieutenant Masters das Lager nicht verlassen darf.« Ich sah, wie sich das Gesicht des Majors verzerrte. Er starrte den jungen Soldaten fast eine Minute schweigend an. Dann sagte er: »Wohin ist er geritten?« »Nach Norden, Sir.« »Nach Norden.« Derrel wandte sich wieder dem Sergeant zu. »Er ist davongelaufen, der feige Hund, dieser subversive Drecksack. Frisch aus West Point, den Kopf voller krauser Ideen, die Dienstordnung ständig unter dem Arm und durch und durch
verweichlicht. Ein Deserteur, Sergeant, ein Verräter. Nichts weiter, als ein schmutziger, jämmerlicher Deserteur und Verräter ist dieser Lieutenant Masters, und ein Denunziant. Er will zurück nach Texas, nach Fort Clark. Dort will er sich bei Colonel Reynolds ausweinen. Er wird uns alle in die Pfanne hauen, Sergeant, dieser saubere Mister Masters. Wir sind weit gekommen in dieser Armee. Womöglich kriegt er auch noch recht.« Der Sergeant sagte kein Wort. Er schien ein kluger Mann zu sein. Er wußte immer, wann er zu schweigen hatte, er wußte auch immer, an wen er sich zu halten, wessen Meinung er zu vertreten hatte, um gut zu fahren. »Wir werden auch ohne Lieutenant Masters fertig«, sagte der Major. In diesem Moment tauchten schattenhaft Reiter aus der Nacht auf. Es waren zehn, wie Schnelltöter es gesagt hatte. Sie trugen große Hüte und hüftkurze, grüne Uniformjacken. Es waren Rurales.
7. Der Capitano sah aus wie ein Mann, der sich nicht einschüchtern läßt. Er saß in einem silberbeschlagenen Sattel, und als er zu Boden sprang, klirrten handtellergroße Sporen an seinen hochschäftigen Stiefeln. Er war nur mittelgroß, aber breitschultrig und kräftig. Links baumelte ein kurzer gekrümmter Säbel an seinem Gürtel, rechts hatte er eine doppelläufige Pistole stecken. Er blieb etwa fünf Schritte vor dem Major stehen, stemmte die Fäuste in die Hüften und schaute sich um. Mittlerweile war das ganze Lager wach. Die Soldaten standen abwartend neben ihren Decken und blickten zu den Rurales hinüber, die einen Halbkreis bildeten und kurzläufige Karabiner schußbereit in den Fäusten hielten. Derrel tippte an die Hutkrempe. »Ich entbiete Ihnen meinen Gruß, Senor«, sagte er. Der Mexikaner ignorierte Derrels Worte. Er musterte ihn verächtlich von oben bis unten.
»Was treiben Sie hier, Mann?« Er sprach annehmbares Englisch. Seine Stimme klang barsch. »Sie befinden sich auf dem Boden der Republik Mexiko. Mit welcher Legitimation sind Sie hier?« »Wir verfolgen eine Apachenbande, die drüben in Texas viel Unheil angerichtet hat und über den Rio Bravo geflohen ist«, sagte Derrel. »Sie hat nun die Stadt besetzt, die eine Meile westlich von hier liegt.« Mit der Rechten wies er in Richtung San Vincente, wo noch einige Fackeln glühten. »Sie haben also ohne Genehmigung unsere Grenze überschritten, als Offizier der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika, zusammen mit Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte.« Der Capitano verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist schon fast eine Kriegserklärung. Ich glaube, Sie werden noch viel Ärger kriegen, Senor.« »Was erlauben Sie sich, Sie mexikanischer Eselstreiber!« Derrel beugte sich vor. »Sie stehen im Rang unter mir, ist Ihnen das nicht klar? Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe? Wir verfolgen eine Indianerhorde, die eine Ihrer Städte, Senor, besetzt hat. Wir tun hier eine Arbeit, die Sie tun müßten.« »Niemand hat Sie darum gebeten, Senor. Wir werden mit unseren Problemen allein fertig. Ihr Rang zählt hier gar nichts. Der Grund, warum Sie die Grenze überschritten haben, interessiert mich nicht. Sie haben sich eines illegalen Grenzübertritts schuldig gemacht. Als Capitano der Rurales erkläre ich Sie im Namen der Republik Mexiko für verhaftet.« »Verhaftet, ich? Sie wollen mich verhaften?« Ich hörte Derrel lachen. Er wandte sich dem Sergeant zu, und auch dieser lachte pflichtschuldigst. »Ich habe eine Kompanie gut ausgebildeter Kavalleristen bei mir, Mann«, sagte Derrel. »Sie haben neun Männer hier, wie ich sehe.« »Sie wollen Widerstand leisten, Senor?« »Wenn ich mit dem kleinen Finger schnippe, gibt es Sie und Ihre Patrouille nicht mehr«, sagte Derrel. Der Mexikaner musterte den Major wieder von oben bis unten. »Ich glaube, der Ärger, den Sie kriegen werden, Senor, wird noch viel größer sein, als ich zunächst annahm.«
Derrel erwiderte: »Sie werden den größten Ärger Ihres Lebens kriegen, wenn Sie und Ihre Leute nicht verschwinden. Sie sollten uns auf den Knien danken, daß wir Ihnen das Apachenproblem abnehmen. Im Morgengrauen werden wir die besetzte Stadt befreien. Ich gestatte Ihnen, sich uns anzuschließen und mitzuhelfen. Wenn Sie weiter so uneinsichtig sind, sehen Sie zu, daß Sie verschwinden.« »Sie haben weder etwas zu gestatten noch zu verbieten, Senor.« Ich hörte an der Stimme, daß der Mexikaner nun langsam zu kochen begann. Ich sah, wie sich seine Augen verengten. »Sie werden keinerlei Aktionen auf mexikanischen Boden ausführen. Ich ersuche Sie noch einmal, Senor, sich freiwillig der Verhaftung zu beugen und mir Ihre Waffen zu übergeben. Ich darf …« »Sie dürfen einen Scheißdreck. Sie sind größenwahnsinnig, Mann.« Derrel wandte sich ab. »In zwei Stunden bin ich zurück, Senor.« Der Mexikaner ging zu seinem Pferd. »Unserer Armee werden Sie sich beugen müssen.« »Gegen Ihre lächerliche Armee, Senor, habe ich schon vor zehn Jahren gekämpft«, sagte Derrel. »Ich habe gesehen, wie Ihre Soldaten gelaufen sind wie die Hasen.« »Sie können sich später mit mir darüber unterhalten«, sagte der Capitano. Ihm war anzusehen, daß er sich zur Ruhe zwingen mußte. »Wenn Sie in Ihrer Zelle sitzen.« Der Mexikaner zeigte keinerlei Furcht, obwohl er mit seinen neun Leuten den Amerikanern hoffnungslos unterlegen war. Ich sah, wie er sich in den Sattel schwang und die Zügel hochnahm. »Ihre Regierung wird in Schwierigkeiten geraten«, sagte der Ruraleoffizier. »Sollte sich herausstellen, daß Sie mit Genehmigung Ihrer Vorgesetzten unsere Grenze verletzt haben, wird das Folgen haben.« »Sie werden niemanden alarmieren, Capitano.« Derrel wirkte plötzlich merkwürdig ruhig. »Sie werden hierbleiben, wie es Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist. Es handelt sich um Ihre Landsleute, die sich in der Hand der Rothäute befinden.« »Hasta la vista, Senor. Für unsere Landsleute sorgen wir. Sie
werden in nächster Zeit viel zu tun haben, für ich selbst zu sorgen.« »Ich befehle Ihnen hierzubleiben, Capitano!« Der Mexikaner lachte nur und zog sein Pferd herum. Mir stockte der Atem. Ich sah, daß der Major die Lederklappe seiner Revolvertasche öffnete und einen Navy-Colt herauszog. »Sir …« Der Sergeant trat einen Schritt auf den Major zu. Da krachte ein Schuß. Pulverdampf zerflatterte über der Mündung des Revolvers. Das Lachen des Mexikaners brach abrupt ab. Die Kugel traf ihn seitlich in den Kopf. Sie trat an der Schädeldecke wieder aus und riß den Sombrero mit sich. Der Capitano wurde nach vorn auf den Pferdehals geworfen und sackte seitlich aus dem Sattel. Sein Kopf war voller Blut. Er schien kein Gesicht mehr zu haben. Sein Pferd scheute und bäumte sich auf. Der tote Capitano wurde durch die Luft geschleudert. Er stürzte hart zu Boden. * »Sir!« Der Sergeant schrie fast. Er griff nach der Rechten des Majors und riß sie herunter. Die Rurales starrten einen Moment entsetzt auf ihren toten Capitano. Dann rissen sie die Pferde herum. »Haltet sie auf!« Die Stimme des Majors überschlug sich. »Schießt sie aus den Sätteln. Sie dürfen nicht entwischen.« Ein paar Soldaten hoben ihre Gewehre und schossen in die Dunkelheit. Sie trafen nicht. Die Reiter verschwanden in der Nacht. Der Hufschlag verhallte. »Sie, sie haben … Was sollen wir jetzt …« Der Sergeant schüttelte hilflos den Kopf. Derrel schaute ihn müde an. »Lassen Sie die Leiche wegschaffen, Sergeant.« Jetzt war das ganze Lager hellwach. Schnelltöter und ich hatten keine Chance, etwas für Little Friend und die sechs Lipans zu tun. Wir konnten froh sein, wenn wir selbst unentdeckt blieben. Dicht an uns vorbei liefen die Soldaten, die die Leiche des Mexikaners aufhoben und forttrugen. Sie brachten ihn in die Steppe hinaus und hoben dort eine Grube aus.
Wir verhielten uns still. Glücklicherweise verfiel niemand auf die Idee, die nähere Umgebung abzusuchen, ob sich weitere Mexikaner in der Nähe befanden. Der Major stand noch immer an der Stelle, an der der Rurale niedergestürzt war. Er hatte den Navy-Colt zurück in die Halfter gesteckt. Schweigend hatte er nach Süden gespäht. Aber die Rurales waren verschwunden geblieben. Der Hufschlag ihrer Pferde war verhallt. Langsam drehte Derrel sich um, so, als erwache er aus einem bösen Traum. »Sergeant, kommen Sie zu mir.« Der hagere Soldat stand abseits bei den Männern, die den Mexikaner begruben. Er folgte dem Befehl Derrels und nahm Haltung an. Noch immer glühte eine Fackel. Der Sergeant wirkte im flackernden Feuerschein totenbleich. »Stehen Sie bequem, Sergeant.« Derrel legte die Hände auf dem Rücken zusammen und wippte einmal leicht auf den Absätzen. »Sergeant Flanders, in Anbetracht der Tatsache, daß sich Lieutenant Masters als unfähiger, renitenter Störenfried erwiesen hat, der durch sein unerlaubtes Entfernen von der Truppe zum Deserteur geworden ist, fehlt mir nun ein Adjutant. Aufgrund Ihrer vorbildlichen Pflichterfüllung, Ihrer Disziplin, Tapferkeit und Einsatzbereitschaft ernenne ich Sie hiermit zum Lieutenant.« Der Sergeant starrte den Major einige Sekunden lang verwirrt an. »Aber, Sir, ich – ich meine, Sie können …« »Sie wollen sagen, ich könne Sie nicht befördern, Sergeant?« »Nun, ich meine, Sir, wenn ich mir erlauben darf, zu bemerken …« »Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, Flanders. Wir sind allein auf uns gestellt. Ich bin der kommandierende Offizier dieser Kompanie und habe das Recht, zu degradieren und zu befördern. Wenn wir nach Fort Clark zurückkehren, werde ich dafür sorgen, daß die Beförderung bestätigt wird. Tun Sie weiter Ihre Pflicht, Lieutenant Flanders.« »Jawohl, Sir. Danke, Sir. Aber die Sache mit dem Mexikaner …«
»Vergessen Sie das. Diese Greaser sind nicht mehr wert als die Rothäute. Es ist nicht schade um diesen aufgeblasenen Kerl.« »Sie haben sicher recht, Sir. Aber wir werden vielleicht Ärger kriegen. Seine Leute sind entwischt.« »Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf. Die Mexikaner sind ein langsames, verschlafenes Volk. Bis die aufwachen und sich auf den Weg begeben, um uns zu suchen, haben wir die Apachen längst in die Hölle gejagt und sind auf dem Rückmarsch.« Der frischgebackene Lieutenant salutierte und ging davon. Derrel schaute ihm nach. Es wurde wieder ruhig im Camp, aber kaum noch jemand schlief fest. Die Wachen wurden fast alle von der Nordflanke abgezogen und an den Südrand des Lagers gestellt. Bei den Gefangenen blieb nur ein Mann zurück. Ideale Voraussetzungen für eine Befreiung, aber jetzt waren alle wachsam und nicht mehr so leicht zu übertölpeln. Ich blickte wieder zu Little Friend hinüber. Dann schaute ich Schnelltoter an. Seinem Gesicht war nicht anzusehen, was er dachte, doch in seinen Augen las ich eine gewisse Besorgnis. Mir war auch nicht gerade wohl in meiner Haut. Unsere Lage war wirklich nicht die beste. Genaugenommen konnten wir im Moment weder vor noch zurück. Im Augenblick waren wir unter dem dichten Palo-VerdeStrauch sicher. Aber bald würde es Tag werden, die Sonne aufgehen und unsere Deckung würde nicht mehr viel wert sein. Wir mußten weg, und zwar schnell. Aber wenn wir das Gebüsch jetzt verließen, würde sicher der Wachtposten bei den Gefangenen aufmerksam werden, der jetzt alles andere als schläfrig wirkte. Schon stiegen Nebel aus den Niederungen, krochen über das Land und überschwemmten die Ebene. Uns blieben im besten Falle noch zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang. Der Nebel ließ die Luft kühl und klamm werden. Er verschlechterte die Sicht. Ich registrierte es und schöpfte wieder Hoffnung. Vielleicht hatten wir doch noch eine Chance. Reglos lagen Schnelltöter und ich unter dem Strauch, auf dessen Blättern und Zweigen sich schwere Tautropfen bildeten. Wir froren, aber wir rührten uns nicht. Ich verspürte nach einiger Zeit wieder Durst und zog einen Zweig ein Stück herunter, um die Feuchtigkeit
von den Blättern zu lecken. Grauweiß wallten die Nebel. In dichten Schwaden schoben sie sich heran. Trübe Schleier legten sich über uns und das Lager der Soldaten. Der Nebel dämpfte auch alle Geräusche, er überzog das Land wie ein milchiger Filter. Der Wachtposten am Gefangenenlager verwandelte sich mehr und mehr in einen konturenlosen Schatten. Ich stieß Schnelltöter an und legte mich auf den Bauch. Meine Rechte umschloß den Schaft des Spencer-Karabiners. Zoll um Zoll schob ich mich unter dem Busch hervor und auf die Gefangenen zu. Wenn wir es schon bis hierher geschafft hatten, wollte ich nicht so kurz vor dem Ziel aufgeben. Zumal der Rückzug in diesem Moment nicht gefährlicher war als das weitere Vordringen. Die Gefahr des Entdecktwerdens war genauso groß, und selbst wenn wir erwischt wurden, bevor wir die Fesseln der Gefangenen hatten durchschneiden können, hatten wir es immerhin versucht und waren nicht tatenlos wieder abgezogen. Die Chancen für die Flucht standen ohnehin nicht gut. Das Gras war naß vom Tau, der Boden kalt. Ich fröstelte wieder. Langsam kroch ich weiter. Der Wachtposten hatte sich einen dunklen Umhang um die Schultern geworfen. Er schien ebenfalls zu frieren. Er rührte sich nicht von der Stelle. Ich glaubte nicht, daß er mich sehen konnte, hoffte es zumindest. Ich schob den Karabiner ein Stück vor und glitt hinterher. Noch fünf Yards bis zu den Gefangenen, noch fünf Yards bis zu Little Friend. Ich tastete zu meinem Messer im Gürtel. Ich war jetzt allein. Schnelltöter blieb unter dem Strauch zurück. Er würde den Wachtposten töten, sowie er mich entdeckte, so daß ich unverzüglich flüchten konnte, ohne mich aufzuhalten. Noch zwei Yards. Die Köpfe der Gefangenen lagen vor mir. Meine Muskeln schmerzten wieder. Ich atmete mit offenem Mund, um kein Geräusch zu verursachen. Ein letzter Blick zum Wachtposten. Er stand noch immer reglos an seinem Platz wie ein hoher, schwarzer Pfahl im Nebel.
Noch einen Yard. Die Anstrengung wurde jetzt fast unerträglich. Ich zitterte am ganzen Körper, ohne zu wissen, warum. Ein Kopf vor mir im Gras drehte sich auf die Seite. Ich war heran, hatte es geschafft und schaute in die Augen Little Friends. Sein Gesicht glich einer Maske. Es war hohlwangig, von scharfen Falten durchschnitten, vom Schmerz gezeichnet. Verkrustetes Blut klebte an seiner rechten Schulter und auf seinen Wangen. In seinen Augen leuchtete es kurz auf, als er mich sah. Das war seine ganze Reaktion. Ich kroch weiter und legte mich neben ihn auf den Rücken. Ich nahm die gleiche Lage ein wie die gefesselten Gefangenen. Wer die Krieger nicht gerade zählte, würde nicht bemerken, daß statt sieben jetzt acht Männer nebeneinander im Gras lagen.
8. Die sechs Lipans hatten mich auch bemerkt. Sie bewegten sich nicht. Gesprochen wurde kein Wort. Es war ohnehin überflüssig. Ich zog mein Messer aus dem Gürtel und nahm es in die Linke. Meine Hand glitt zu Little Friend hinüber. Ich tastete nach dem Strick, der seine Hand- und Fußgelenke aneinanderfesselte. Zwei Schnitte genügten, dann war er frei. Er streckte Beine und Arme nur langsam aus. Jede Bewegung schien ihm Schmerzen zu bereiten. Mir kamen Zweifel, ob es ihm gelingen würde, notfalls schnell zu laufen. Ich nahm das Messer in die rechte Hand und fuhr zu dem LipanKrieger auf meiner rechten Seite hinüber. Als er frei war, übernahm er das Messer und durchschnitt die Fesseln seines Nebenmannes. Alles ging sehr schnell und einfacher, als ich gedacht hatte. Ich spähte über das Lager. Die Wachen auf der Südseite waren kaum zu erkennen. Die vielen Soldaten, die in ihre Decken gerollt am Boden lagen, glichen großen Maulwurfshügeln. Sie schienen alle wieder zu schlafen. Doch ich war sicher, daß sie längst nicht mehr so fest schliefen, wie vor dem Zwischenfall mit den Rurales. Ein unachtsam verursachtes Geräusch würde ausreichen, sie zu wecken. Die Probleme begannen jetzt erst für uns. Wir brauchten Pferde und
Waffen. Es war unmöglich, beides zu beschaffen. Die Pferde standen auf der anderen Seite des Lagers. Schon der Versuch, einige Tiere zu erbeuten, würde das ganze Camp alarmieren. Wir mußten das Lager so verlassen, wie ich es erreicht hatte. Ich stieß Little Friend leicht an und wälzte mich wieder auf den Bauch. Ich trat den Rückweg an. Es wurde Zeit. Kaum merklich lichtete sich im Osten bereits der Nebel. Ich warf einen Blick auf den Posten. Er stand noch immer reglos an seinem Platz. Lautlos schob ich mich auf den Palo-Verde-Strauch zu, unter dem Schnelltöter lag und wartete. Ich hörte hinter mir ein leises Scharren auf dem Boden. Little Friend und die Lipans folgten mir. Ihre Glieder waren durch die straffe Fesselung und das lange Liegen steif geworden. Sie hatten ihre Geschmeidigkeit verloren und konnten nicht so lautlos durch das Gras robben wie ich. Unruhe stieg in mir auf. Meinen überreizten Nerven erschien das Geräusch übermäßig laut. Wenn der Posten aufmerksam wurde und sich umdrehte … Vielleicht würde er uns nicht sofort sehen, aber daß die Gefangenen nicht mehr an ihren Plätzen lagen, mußte er mit Sicherheit sofort entdecken. Ich versuchte, mich schneller zu bewegen. Der Schutz bietende Palo-Verde-Busch rückte immer näher. Ein Gewehrschloß klirrte plötzlich. Ich erstarrte und blieb liegen, preßte mich fest gegen den Boden. Ein Seitenblick zeigte mir, daß der Wachtposten sein Gewehr aufgehoben hatte. Er trat von einem Fuß auf den anderen und stützte sich mit beiden Händen auf den Lauf. Ich kroch weiter, erreichte den Strauch und sah Schnelltöter vor mir. Er nahm mir den Spencer-Karabiner ab. Ich robbte in das Gebüsch und warf noch einen letzten Blick auf den Wachtposten. Da drehte sich der Mann um. *
Ich hielt den Atem an. Der Soldat zog fröstelnd die Schultern hoch und warf einen Blick zu dem Platz hinüber, wo die Gefangenen bis vor wenigen Minuten gelegen hatten. Jetzt war alles aus. Der Soldat beugte den Oberkörper vor. Noch immer war der Nebel so dicht, daß nicht viel zu erkennen war. Aber daß die Gefangenen fort waren, das sah er. Er fuhr herum und ging ein paar Schritte auf uns zu. Hinter mir lagen Little Friend und die sechs Lipans im Gras. Sie rührten sich nicht. Der Wachtposten beugte sich noch weiter vor. Ein Fluch löste sich von seinen Lippen. Er hatte uns entdeckt. Er riß sein SpringfieldGewehr hoch. In diesem Moment krachte unmittelbar vor meinem Kopf ein Schuß. Schnelltöter hielt meinen Spencer-Karabiner in den Fäusten und feuerte durch die tiefhängenden Zweige und Blätter. Die Mündungsflamme versengte ein paar Blätter. Der Wachtposten wurde nach hinten gestoßen, als habe ihn ein Keulenhieb getroffen. Sein langer Umhang flatterte hoch. Das Gewehr fiel zu Boden. Er stürzte auf den Rücken. Wir waren auf den Beinen, bevor er den Boden berührte. Im Lager fuhren die Soldaten aus dem Schlaf. Die Wachtposten auf der anderen Seite des Camps stürzten heran. Wir stürmten nordwärts durch den Nebel. Little Friend war neben mir. Ein Stück dahinter liefen Schnelltöter, der meinen SpencerKarabiner hielt, und die sechs Lipans. Rauhe Stimmen schrien Befehle. Schüsse peitschten auf. Wir liefen um unser Leben. Hinter uns flackerten Fackeln auf. Major Derrel schrie wie ein Irrer. Seine verschlafenen Soldaten liefen durch die sich lichtenden Nebelschwaden. Immer noch krachten Schüsse. Die Kugeln strichen dicht an uns vorbei. Einmal spürte ich den heißen Luftzug eines Geschosses an meinem Kopf. Little Friend fiel etwas zurück. Seine schmerzenden Glieder bereiteten ihm Schwierigkeiten beim Laufen.
Ich drehte mich zu ihm um. Sein Gesicht war vom Schmerz verzerrt. Seine Bewegungen waren längst nicht so geschmeidig und locker, wie ich es von ihm gewöhnt war. Er lief steifbeinig, knickte immer wieder in den Knien ein und stolperte. Im selben Moment trat ich in eine Vertiefung im Boden. Ein stechender Schmerz durchzuckte mein linkes Fußgelenk. Ich stürzte nach vorn aufs Gesicht und schlug mit der Stirn hart auf einen Stein. Betäubungsschleier wallten in mir auf. Grellfarbene Punkte tanzten vor meinen Augen. Benommen hob ich den Kopf und stützte mich mit beiden Händen auf. Little Friend blieb neben mir stehen und versuchte, mich aufzuheben. »Lauf – weiter …« Ich erkannte meine Stimme nicht mehr. Die Zunge lag schwer in meinem Mund und schien angeschwollen zu sein. Ich kämpfte mit der Bewußtlosigkeit, die bleiern in meine Glieder kroch. Little Friend zerrte mich hoch. Sofort durchzuckte mich der Schmerz, ausgehend von meinem linken Fuß. Ich sackte wieder in die Knie. Mir wurde es schwarz vor den Augen. Little Friend zog mich mit. Wie in Trance taumelte ich einige Schritte. Die Schüsse und Schreie der Verfolger hörte ich wie durch dicke Mauern. Jemand packte mich am rechten Arm. Durch dicke, schleimige Schleier sah ich, daß mich nun auch einer der Lipan-Krieger stützte. Schnellster übernahm die Führung. Er lief voraus. Wir näherten uns der Buschinsel, in der wir die Pferde und den gefangenen Lieutenant zurückgelassen hatten. Aber es waren nur drei Tiere, die auf uns warteten, meines, das von Schnelltöter und das Pferd des Lieutenants, Das war viel zu wenig. Wir sind am Ende, durchzuckte es mich. Im selben Moment wurde der Lipankrieger neben mir nach vorn gestoßen. Er ließ mich los und torkelte mit weit aufgerissenen Augen noch einige Schritte weiter. Dann stürzte er. Aus einer großen Wunde im Rücken strömte sein Blut. Ich verlor den Halt, als ich nicht mehr von ihm gestützt wurde. Ich trat mit dem linken Fuß auf und knickte sofort wieder um. In meinem linken Knöchel schien ein Feuer zu glühen. Ich stürzte ins Gras.
Little Friend konnte mich nicht halten. Ich entglitt seinem Griff. Als er sich bücken wollte, um mich wieder hochzureißen, traf ihn eine Kugel in den linken Unterarm. Der Aufschlag wirbelte ihn herum. Blut spritzte. Die Kugel hatte den Arm glatt durchschlagen. »Lauf doch!« schrie ich, »Verdammt noch mal, lauf doch!« Er schaute mich an. Trauer lag in seinem Blick – und Schmerz. Ich stemmte den Oberkörper hoch und gab ihm einen Stoß. Er nickte, drehte sich um und lief hinter den anderen her. Von seinem Arm tropfte das Blut und zeichnete eine häßliche Linie ins Gras. Ich raffte mich auf. Auf dem rechten Fuß hüpfend versuchte ich, zu entkommen. Die Buschinsel, in der unsere Pferde standen, war nicht mehr weit. Die anderen verschwanden darin. Ich humpelte hinterher. Hufschlag klang donnernd auf. Als ich das Gesträuch erreichte, sprengten auf der anderen Seite Little Friend, Schnelltöter und die Lipans davon. Sie saßen teilweise zu dritt auf einem Pferd. Weit würden sie auf diese Weise nicht gelangen. Aber es würde ausreichen, um San Vincente zu erreichen. Sie schauten sich nicht mehr nach mir um. Ich erwartete es auch gar nicht. Ich war lange genug bei den Apachen, um ihre ungeschriebenen Regeln zu kennen, die sich bewährt hatten. Der einzelne Krieger war für sich selbst verantwortlich und hatte auf die Gemeinschaft Rücksicht zu nehmen. Ich hatte mich verletzt und hätte die anderen nur aufgehalten. Deshalb mußte ich zurückbleiben. Eine andere Lösung gab es nicht. Ich akzeptierte das und hätte an Stelle von Little Friend oder Schnelltöter nicht anders gehandelt. Ich hinkte in das Gebüsch und stürzte wieder. Vor mir sah ich, nur wenige Yards entfernt, den jungen Lieutenant gefesselt an dem Baum stehen, an dem wir ihn zurückgelassen hatten. Er war sehr bleich und starrte mir aus großen Augen entgegen. Ich mußte an das denken, was ich im Soldatencamp aus dem Mund des großen, bärtigen Majors gehört hatte. In diesem Moment glaubte ich, aus den Blicken des Lieutenants zu lesen, daß er lieber zu uns in die Gefangenschaft gegangen wäre als zurück zu Major Derrel. Hinter mir waren Schritte zu hören. Männer brachen durch das Dickicht. Ich versuchte noch einmal, mich hochzurappeln. Es gelang
mir nicht. Die Soldaten stürmten auf mich zu. »Da ist noch einer!« schrie ein Corporal. »So eine Mistkröte!« »Es ist die blonde Rothaut«, sagte ein anderer. »Der Bastard ist uns schon einmal entwischt. Diesmal haben wir ihn.« Ich zog den Kopf ein, als einer sein Springfield-Gewehr hochschwang. Als der Lauf mich traf, explodierte eine glühende Sonne vor meinen Augen. Ich glaube, ich schrie. Um mich herum versank alles in tiefe, schwarze Finsternis. Ich selbst stürzte in einen Abgrund, aus dem es keine Rückkehr zu geben schien. * Ein Donnern und Dröhnen erfüllte meine Ohren. Mein Kopf schien zerspringen zu wollen. Ich wälzte mich hin und her und hatte das Gefühl, in einer brennenden Hölle zu versinken. Die Flammen leckten gierig nach mir. Mir wurde heiß und immer heißer. Ich wollte mich bewegen. Aber meine Beine und Arme waren gelähmt. Langsam nur wich die Betäubung. Ich war gefesselt. Das Dröhnen in meinen Ohren war mein eigenes Blut, das heftig durch die Adern pulsierte. Das Fegefeuer, in das ich zu versinken geglaubt hatte, war ein Lagerfeuer, neben dem ich am Boden lag. Der Hieb mit dem Gewehr hatte mich schwer getroffen. Dumpfer, hämmernder Schmerz erfüllte meinen Schädel. Als ich die Augen öffnete, lag ein flimmernder, schwarzer Schleier über den Pupillen, der nur nach und nach verblaßte. Das Rauschen in meinen Ohren ließ nach. Ich hörte Stimmen. Eine davon drang tief in mein Bewußtsein. Ich schüttelte die bleierne Schwere der Bewußtlosigkeit ab. Der Kopfschmerz blieb, aber ich konnte wieder klar sehen. Keine zehn Schritte von mir entfernt stand der große Major mit dem sauber gestutzten Vollbart und dem scharf geschnittenen, brutalen Gesicht, das mir nach allem, was ich vorhin gesehen hatte, wie eine teuflisch gut modellierte Maske erschien, die mich abstieß und anekelte.
Er stand breitbeinig da wie sein eigenes Standbild und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Lieutenant Flanders!« Der Sergeant tauchte in meinem Blickfeld auf. Er hatte die drei gelben Winkel von den Ärmeln seiner Uniformbluse entfernt und trug nun keine Rangabzeichen mehr. »Sir.« »Lassen Sie Masters herbringen.« »Jawohl, Sir.« Mühsam wandte ich den Kopf. Ich sah, daß zwei Soldaten den jungen Lieutenant brachten, den Schnelltöter und ich gefangengenommen hatten. Er war nicht gefesselt, wurde aber mit schußbereiten Gewehren begleitet. Der zum Lieutenant avancierte Sergeant trat ihm entgegen und führte ihn zum Major. Ich konnte alles genau beobachten. Niemand kümmerte sich um mich. Es ging mir bereits wieder besser. Ich war hart im Nehmen. »Sir, ich protestiere gegen diese Behandlung!« Die Stimme des jungen Lieutenants klang hell und zitterte. »Es ist die Behandlung, die Deserteuren zusteht.« Derrel blickte Masters von oben bis unten an. »Deserteur?« Masters lachte, doch es klang nicht ganz echt. »Mit Ihrem eigenmächtigen Schritt, die Grenze nach Mexiko zu überqueren, haben Sie sich außerhalb des Rechts gestellt und im Grunde eine ganze Kompanie zum Desertieren gezwungen, Derrel.« »Wir befinden uns im Krieg mit den Apachen. Sie haben meine Bemühungen, die Indianer zu schlagen, sabotiert. Sie haben Ihre Kameraden feige im Stich gelassen, Masters. Sie sind ein schmutziger, kleiner Feigling.« Masters holte tief Luft. Er sagte: »Das verbitte ich mir.« »Sie haben sich nichts zu verbitten, Masters. Bereiten Sie sich auf Ihren Abschied von dieser Erde vor.« Masters schwieg einen Moment. Er blickte den Major ungläubig an. »Was soll das heißen?« fragte er dann. Derrel wandte sich dem Sergeant zu. »Lieutenant Flanders, stellen Sie aus einigen Scharfschützen ein Exekutionskommando zusammen.«
»Was – was soll das heißen?« Masters trat einen Schritt auf Derrel zu. Die beiden Soldaten rechts und links von ihm packten ihn an den Armen und hielten ihn fest. Er wollte sich losreißen. Es gelang ihm nicht. »Wieso nennen Sie den Sergeant Lieutenant?« »Nachdem Sie unerlaubt die Truppe verlassen hatten, Masters, brauchte ich einen zuverlässigen Adjutanten. Ich habe Sergeant Flanders zum Lieutenant befördert. Sie wissen, daß ich das Recht dazu habe. Sie, Masters, erkläre ich hiermit aller militärischen Funktionen enthoben.« Derrel beugte sich vor. Seine rechte Faust langte nach den Schulterstücken des Lieutenants. Es gab ein reißendes Geräusch, als er erst das linke, dann das rechte Schulterstück herunterfetzte. »Sie – Sie Schwein …« Masters bäumte sich in den Griffen der Soldaten auf. »Wir sind im Krieg, Masters. Sie sind ein Deserteur. Ich lasse Sie standrechtlich erschießen.« »Das – das wagen Sie nicht, nein …« Masters schüttelte den Kopf. Er zitterte plötzlich am ganzen Körper. »Selbst wenn ich desertiert wäre, was ich nicht bin, so läge die Höchststrafe dafür bei sechs Monaten verschärftem Arrest. Die Todesstrafe ist nur zulässig, wenn das Kriegsrecht verhängt worden ist. Wir befinden uns aber nicht offiziell im Krieg mit den Apachen, und hier in Mexiko gilt das amerikanische Militärrecht nicht.« Derrel lächelte kalt. »Eine schöne Rede. So etwas lernt man in West Point. Lauter dummes Geschwätz. Sie werden daran sterben, Masters. Hier gilt mein Wort, mein Wort ist Gesetz. Ich verurteile Sie zum Tode durch Erschießen. Seien Sie froh, daß ich Sie nicht aufhängen lasse.« »Sie – Sie sind ja verrückt!« Masters Stimme überschlug sich fast. »Sie müssen wahnsinnig sein, total irrsinnig!« Derrel lachte. Es lief mir kalt den Rücken hinunter, als ich dieses Lachen hörte. Masters schrie: »Was haben Sie vor? Was wollen Sie erreichen? Wozu mißbrauchen Sie diese Männer hier? Haben Sie den Verstand verloren?« »Angst, Masters?« Derrels Lachen brach jäh ab. Sein Blick wurde
starr. »Todesangst, wie? Ich habe mir lange genug etwas vorschreiben lassen. Ich habe lange genug Rücksichten nehmen müssen. Immer wieder habe ich vorgeschlagen, den Rio Bravo zu überqueren und die verfluchten roten Hunde bis in die Sierra Madre zu jagen. Immer wieder ist das abgelehnt worden. Kein Mensch wollte auf mich hören. Jetzt gibt es niemanden, der meine Pläne stören kann. Ich werde alles so ausführen, wie ich es seit Jahren schon immer tun wollte. Ich werde die Apachen in einem Feldzug vernichten, von dem noch nach Generationen gesprochen werden wird, von dem die Geschichtsbücher schreiben werden. Wer sich mir in den Weg stellt, den werde ich zertreten. Und ich sage Ihnen, Masters, ich werde beweisen, daß ich schon immer recht gehabt habe, und wenn ich zurückkehre, wird ganz Texas mir zujubeln. Die Schreibstubenhocker und Arschkriecher beim Generalstab, die mir seit Jahren Knüppel zwischen die Beine werfen, werden sich vor mir verstecken müssen, und der Präsident persönlich wird mir einen Orden umhängen.« Derrel hatte den Kopf gehoben, während er gesprochen hatte. Er blickte in den nebelverhangenen Morgenhimmel. Seine Augen glühten. Als er verstummte, blieb er so stehen und schien seinen Worten nachzulauschen. Masters schwieg einen Moment. Sein Gesicht drückte Verwirrung und Entsetzen aus. »Kehren Sie um, Sir«, sagte er leise. »Es ist noch nicht zu spät.« Derrel schwieg. »Sie glauben doch selbst nicht an das, was Sie gerade gesagt haben«, fuhr Masters fort. »Wenn Sie es glauben, können Sie nicht normal sein. Dann …« Er schüttelte wieder den Kopf. »Dann sind Sie verloren, Derrel, Sie und alle diese Männer hier, die für Ihre Wahnsinnspläne ins Gras beißen müssen. Sie sind mit Ihnen zum Untergang verdammt. Nicht einer wird nach Texas zurückkehren, nicht einer, Derrel.« Der Major holte aus und schlug so schnell zu, daß der junge Lieutenant den Kopf nicht mehr zur Seite nehmen konnte. Der Siegelring an der Rechten des Majors riß Masters die linke Wange auf. Die Wucht des Schlages warf seinen Kopf zurück und betäubte ihn fast. Hätten die beiden Soldaten rechts und links ihn nicht
gehalten, wäre er gestürzt. »Sie werden mir die Truppe nicht mit Ihren zersetzenden Reden kaputtmachen, Masters. Sie werden die Moral dieser Kompanie nicht weiter untergraben. Sie sind einer von denen, die sich mir in den Weg stellen wollen. Ich werde Sie niedertreten. Große Taten in der Geschichte sind immer mit Blut erkauft worden. Ihr jämmerliches Leben zählt einen Scheißdreck, wenn es mir gelingt, die Rothäute auszurotten und damit Hunderten von guten amerikanischen Siedlern das Leben zu retten. Ich werde Sie erschießen lassen, Masters, Sie und jeden anderen, der nicht bedingungslos hinter mir steht. Jeder, der mir folgt, wird ein Held werden, dessen Namen man in goldenen Lettern in die Mauern des Capitols in Austin meißeln wird. Und aus jedem, der zu schwach ist, vor der Geschichte zu bestehen, aus jedem, der mir nicht folgt, werde ich eine gute Leiche machen, die den Geiern und Kojoten zum Fraß dient.« Derrel verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe mich entschieden, Masters. Ich gehe meinen Weg. Ihrer ist zu Ende.« Er wandte sich an die Soldaten, die den jungen Lieutenant festhielten. Ihre Gesichter waren ausdruckslos. Sie wirkten ausgebrannt und erschöpft. Sie waren vielleicht Mitte Zwanzig, sahen aber mindestens zehn Jahre älter aus. Sie dienten seit einiger Zeit in der Armee. Das sah man ihnen an. Sie widersprachen keinem Befehl. Das war ihnen abgewöhnt worden. Sie zerbrachen sich auch nicht den Kopf über einen Befehl. Das hatten sie verlernt. Ein Befehl war heilig, und ein Soldat hatte zu gehorchen. So war es ihnen beigebracht worden. Im Laufe der Jahre, die sie die Uniform trugen, hatten sie gelernt, wie man sich verhalten mußte, um sich keinen Ärger einzuhandeln. Sie gehorchten blind – wie gut funktionierende Maschinen. »Schafft ihn weg!« Derrel deutete mit dem Kopf zu Flanders, der fünf Männer aus der Kompanie ausgewählt hatte, die mit ihren Gewehren bereitstanden. Derrel wandte sich ab, als die beiden Soldaten den Lieutenant fortschleppten. Masters wehrte sich. Er sträubte sich, bäumte sich in den harten Griffen auf und schrie jetzt auch. »Laßt mich los! Hört nicht auf diesen Wahnsinnigen! Macht euch
doch nicht unglücklich! Der Kerl stürzt euch alle ins Verderben. Was ihr hier tut, ist illegal. Kein Gesetz der Welt wird euch schützen. Das ist Mord! Hört ihr? Mord!« Sie hörten nicht. Sie schleiften ihn weiter. Flanders stand ein Stück abseits vom Lager. Er hatte die fünf Männer, die er ausgewählt hatte, in einer Reihe antreten lassen. Die übrigen Soldaten der Kompanie standen reglos neben ihren Deckenlagern. Die meisten hielten die Köpfe gesenkt. »Ihr – ihr seid alle verloren!« brüllte der Lieutenant. »Keiner von euch wird nach Texas zurückkehren, wenn ihr Derrel nicht das Handwerk legt. Er führt euch in den Tod, sage ich euch!« Major Derrel schaute ihm nach. Er schwieg. Sein Gesicht wirkte fahl und verkniffen. Die Soldaten schleppten Masters an dem Exekutionskommando vorbei zu einem Baum, um den die sich auflösenden weißen Nebelschwaden schwebten. Der Lieutenant schwieg jetzt. Seine Lippen bewegten sich noch immer, aber sie formten keine Worte mehr. Seine Haltung hatte sich gestrafft. Er war bleich, wirkte aber gefaßt. Er leistete keinen Widerstand mehr, als ihn die Soldaten an den Baum fesselten. Einer riß ihm das gelbe Halstuch ab und wollte es ihm über die Augen binden. Masters schüttelte wortlos den Kopf. Flanders hob den rechten Arm. Auch er war blaß. Er warf einen letzten, unsicheren Blick zu Major Derrel hinüber. Der aber stand unbeugsam an seinem Platz, abwartend, den Kopf gehoben. Seine Augen schimmerten wie Eis. »Legt an!« Die Stimme des neuen Lieutenants klang hohl. Er wartete, bis die Schützen ihre Springfield-Gewehre an die Schultern gehoben hatten. Fünf große, schwarze Mündungen richteten sich auf den jungen Lieutenant am Baum. Er hielt die Augen geöffnet und schaute dem Tod entgegen. Flanders schien zu zögern. Die Zeit verstrich zäh. Sekunden wurden zu Minuten. Von Osten drang ein erster heller Schimmer durch den Frühdunst. Der Flügelschlag eines Vogels klang gedämpft im Nebel, ein müdes
Krächzen folgte. Ein Windhauch strich von Norden über die Ebene. »Feuer!« Flanders senkte den rechten Arm. Die Gewehre krachten gleichzeitig, so daß es klang, als sei nur ein Schuß abgefeuert worden. Ein stinkendes Pulverwölkchen stieg auf. Der junge Lieutenant bäumte sich in seinen Fesseln auf, als die Geschosse seine Brust zerrissen. Sein Oberkörper war voller Blut, als er nach vorn sackte. Die Soldaten setzten ihre Gewehre ab. »Wegtreten!« Flanders wandte sich um und ging mit schleppenden Schritten zu Major Derrel hinüber. Er salutierte knapp. »Befehl ausgeführt, Sir.« »Sie haben Ihre Sache ausgezeichnet erledigt, Lieutenant Flanders.« Derrel nickte dem Mann befriedigt zu. Seine Stimme hob sich. »Von jetzt an werden wir jeden unbarmherzig ausmerzen, der uns daran hindern will, unsere große Aufgabe zu erfüllen. Lassen Sie satteln, Lieutenant Flanders. Wir greifen die Stadt an, in der sich die Apachen verkrochen haben.« Derrel schaute zu mir herüber. »Den Jungen nehmen wir mit. Ich bin sicher, es ist der, den uns Cochise als Agent nach Fort Clark geschickt hatte. Wir werden ihn nach Texas mitnehmen, wenn wir zurückkehren. Dort wird er sich verantworten. Sie haften mit Ihrem Kopf dafür, Flanders, daß der Junge nicht flieht.« »Jawohl, Sir.« Flanders drehte sich um und schrie seine Befehle über das Lager. Dann rief er einen untersetzten Corporal heran. Der Mann hatte Säbelbeine und ein verschlagen wirkendes Gesicht. Flanders führte ihn zu mir. »Er ist wach, sehen Sie, Sir«, sagte der Corporal. »Um so besser. Ich dachte schon, die Leute hätten ihn totgeschlagen.« »Viel hätte nicht gefehlt«, sagte der Corporal, »nachdem der Posten niedergeschossen worden war. Aber der Junge hat blonde Haare, und er war nicht bewaffnet. Ich meine, so ohne weiteres erschlägt man ja keinen Jungen, der eine weiße Haut hat, auch wenn er bei den Apachen lebt.« »Lassen Sie sich davon nicht beeinflussen, Corporal.« Flanders' Stimme klang hart. »Der Bursche ist ein raffinierter und mit allen
Wassern gewaschener Apachenkrieger. Sehen Sie sich den Medizinbeutel an, den er trägt. Dazu das Halsband mit den Wolfszähnen. Das sagt genug. Bedenken Sie, daß er es immerhin geschafft hat, die Gefangenen zu befreien. Der Junge ist gefährlich. Wenn er flieht, muß ich meinen Kopf dafür hinhalten. Aber Sie auch, Corporal.« »Der Junge hat keine Chance, Sir.« »Nur im Notfall schießen, Corporal. Der Major will ihn lebend mit nach Fort Clark nehmen.« »Alles klar, Sir.« Flanders nickte und ging davon. Der Corporal beugte sich über mich. Sein Mund verzog sich zu einem häßlichen Grinsen. »Ich soll nicht auf dich schießen, wenn du versuchst, abzuhauen oder Krawall anzustellen. Du hast es gehört. Aber ich verspreche dir, dich so zu verprügeln, daß du dir wünschst, erschossen zu werden, Freundchen.« Ich sagte kein Wort. Ich leistete auch keinen Widerstand, als er mich an den Armen packte und hochriß. Für kurze Zeit war sein Gesicht dicht vor mir. Ich spürte seinen heißen Atem an meinem Hals. Dann saß ich auf dem Rücken eines Armeepferdes, das mich an meinen Braunen erinnerte. Hinter mir stieg der Corporal auf. Vor uns formierte sich die Kompanie des Major Derrel. Er selbst saß bereits im Sattel. Der Corporal ritt mit mir dicht an ihm vorbei. Wieder sah ich den fanatischen Glanz in den Augen des Offiziers. Ich wandte den Kopf. Der tote Lieutenant hing noch immer an dem Baum, an den er gefesselt worden war. Seine Leiche war noch ein Stück zur Seite gerutscht. Er hing fast schräg in seinen Fesseln, der hinabbaumelnde Kopf berührte beinahe die Spitzen des Grases. Unter seinem Oberkörper hatte sich am Boden eine dunkle Pfütze gebildet. Ich blickte rasch wieder nach vorn. Im selben Moment gab Lieutenant Flanders das Signal zum Aufbruch.
9.
Nebelfetzen hingen über San Vincente. Fackelschein glühte durch den trüben Morgen. Das Feuer auf der Plaza war erloschen. Die Krieger waren in ihren Deckungen nicht zu sehen. Die Stadt schien zu schlafen. Die Soldaten schwärmten aus, als sich die Konturen der Häuser vor ihnen aus dem Nebel schälten. Ich sah alles mit an. Der Corporal, auf dessen Pferd ich saß, hielt sich mit mir abseits. Langsam rückte die Reihe der Soldaten gegen die Stadt vor. Die Dunstschleier rissen plötzlich auf. Grelles Frühlicht flutete auf die Ebene. Im selben Moment gab der Major seinem neuen Lieutenant den Befehl zum Angriff. Der hagere Mann richtete sich steil im Sattel auf. Er schwenkte seinen breitrandigen Kavalleriehut, an dessen Krone gekreuzte Messingsäbel mit dem Buchstaben der Kompanie steckten. »Attacke!« Seine Stimme überschlug sich fast. Ein Hornist setzte sein Instrument an die Lippen. Blechern schallte das Signal zum Angriff über die Köpfe der Soldaten. Sie trieben ihre Pferde an. Im vollen Galopp jagten sie über die Ebene auf die kleine Stadt zu. Hinter ihnen ging die Sonne wie eine glühende Kugel auf. Die Soldaten schienen aus ihr herauszureiten. Major Derrel war an ihrer Spitze. Ich sah ihn reiten. Feige war er nicht. Besessen von einer wahnwitzigen Idee und fanatisch in seinem Glauben daran, rücksichtslos und menschenverachtend, getrieben von einem übersteigerten Ehrgeiz, führte er seine Kompanie an. Die Soldaten hatten ihre Säbel aus den Scheiden gezogen. Das Sonnenlicht brach sich gleißend auf den Klingen. Donnernder Hufschlag ließ den Boden erbeben. Staub wallte auf und hüllte die Reiter ein. Der Corporal, auf dessen Pferd ich saß, zog sein Tier zur Seite und blieb zurück. Er war nervös. Ich hörte, wie er den Atem scharf einzog. Seine Fäuste krampften sich so fest um die Zügel seines Tieres, daß die Knöchel weißlich unter der Haut hervortraten. »Jetzt«, hörte ich ihn hinter mir sagen. Er hatte eine seltsam gepreßt klingende Stimme. »Jetzt wird unter deinen roten Bastarden aufgeräumt, mein Junge.«
Haß zuckte in mir auf. Für einen Moment schloß ich die Augen. Meine Lippen preßten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Schüsse krachten. Ich riß die Augen wieder auf und sah auf den Dächern der Häuser die Krieger auftauchen. Sie standen hinter provisorisch errichteten Barrikaden auf den Straßen von San Vincente und feuerten mit ihren Sharps-Karabinern. Die Soldaten hatten sich bis auf weniger als fünfzig Yards dem Stadtrand genähert. Rechts schwangen sie ihre Säbel, links hielten sie ihre schwerkalibrigen Colts. Pulverdampf stieg auf. Das Krachen der Schüsse schändete den jungen Morgen, übertönte das Trommeln der Pferdehufe. Die Sonne hatte sich hinter den Bergen im Osten erhoben. Blutrot stand sie am Horizont. Die letzten Nebelfetzen lösten sich auf. Ich hörte Verwundete schreien, hörte Pferde schrill wiehern, sah Männer sterben. Die Kugeln der gut gedeckten Apachen rissen Lücken in die breite Front der angreifenden Soldaten. Pferde stürzten zu Boden, wühlten im Todeskampf mit ihren Hufen die Erde auf, begruben Soldaten unter sich. Männer wurden aus den Sätteln gerissen, schienen sekundenlang fliegen zu können, wenn sie mit ausgebreiteten Armen durch die Luft segelten, und prallten hart am Boden auf. Der grüne Rasen färbte sich grau vom Staub, rot vom Blut und wurde von den hämmernden Hufen zertreten. Die Soldaten drangen bis an den Stadtrand vor. Einigen gelang es, die Barrikaden der Apachen zu überspringen. Sie jagten schreiend durch die Straßen von San Vincente und wurden von den Dächern aus aus den Sätteln geschossen. Ein Trompetensignal ertönte. Derrel ließ zum Rückzug blasen. Der Angriff war gescheitert. Die Soldaten rissen ihre Pferde herum und sprengten auf die Ebene hinaus, um außer Schußweite der Gewehre der Apachen zu gelangen. Reiterlose Pferde stürmten in dem dichten Pulk mit. Einige Soldaten, die verwundet worden waren und ihre Tiere verloren hatten, schleppten sich zu Fuß über die Ebene. Östlich von San Vincente sammelten sich die Soldaten in der Bodenfalte, aus der auch wir Apachen unseren Angriff begonnen
hatten, als wir San Vincente erobert hatten. Die Luft war erfüllt mit dem Dunst von Pulverkampf und Staub, der sich zu einer Wolke geballt hatte, die wie eine Pestbeule über dem Land schwebte. Der Wind von Süden trug sie mit sich fort. Der säbelbeinige Corporal ritt mit mir hinter den flüchtenden Soldaten her in die Bodenfalte. Er stieg hier ab und zerrte mich aus dem Sattel. Nachdem er mir die Beine zusammengebunden hatte, ließ er mich am Boden liegen und blickte sich unter den Verwundeten um, die auf der nackten Erde lagen und sich gegenseitig verbanden. Fliegenschwärme wurden von dem süßlichen Blutgeruch angezogen und wimmelten über der Bodensenke. Schmerzensschreie waren zu hören. Keine zehn Schritte von mir entfernt starb ein Mann. Er war noch sehr jung, vielleicht fünf Jahre älter als ich. Ein unerfahrener Rekrut. Als er starb, war er allein. Eine Kugel hatte ihn in den Leib getroffen. Er krümmte sich vor Schmerzen und schrie immer wieder um Hilfe. Aber da waren noch so viele andere, die schrien. Keiner kümmerte sich um den Jungen. Sein bleiches, sommersprossiges Gesicht hatte sich verzerrt. In wenigen Minuten war es uralt. Seine verkrampften Glieder hatten sich plötzlich gestreckt. Jetzt lag er still. Seine Augen schimmerten glasig, seine Gesichtszüge erstarrten, die Haut wirkte wächsern bleich. Ich fragte mich, wie es in San Vincente aussah, ob viele Apachen bei dem Angriff der Soldaten verletzt und getötet worden waren. Ich dachte an Little Friend, an Schnelltöter und die Lipans-Krieger. Ob sie es geschafft hatten, San Vincente zu erreichen? Derrel hatte keine Verfolger hinter ihnen hergejagt, soweit ich gesehen hatte. Er hatte sich nur mit der Liquidierung des jungen Lieutenants befaßt. Nun, vom Lager der Soldaten bis nach San Vincente war es nicht weit gewesen. Bestimmt hatten Little Friend und die anderen es geschafft. Bestimmt hatten die Pferde solange durchgehalten. Ob Little Friend den Kampf jetzt heil überstanden hatte? Was war mit Mangas Coloradas? Lebte er noch, war er wieder bei Bewußtsein, oder war er gestorben? Es waren so viele Fragen, die mir durch den Kopf gingen. Über
meine eigene Zukunft sorgte ich mich nicht. Ich hatte bereits zu viele Erfahrungen. So leicht warf mich nichts mehr um. Der Tod war nichts, was mich erschrecken konnte. Bei den Apachen lernt man, mit dem Tod zu leben. Außerdem fühlte ich instinktiv, daß ich nicht unmittelbar in Gefahr war. Major Derrel hatte andere Pläne mit mir. Sein Wort galt, auch wenn es vermutlich einige unter den Soldaten gab, die mich gern mit Genuß massakriert hätten. Ich sah Major Derrel durch die Reihen der Soldaten gehen, die verletzt am Boden lagen oder sich einfach nur erschöpft ins Gras gehockt hatten. Sie alle waren gezeichnet vom Kampf. In ihren verschwitzten Gesichtern klebten Blut und Pulver. Ihre Uniformen waren verdreckt und löchrig. Ein jämmerlicher Haufen, mit dem Derrel Geschichte machen wollte. Derrel blieb häufig stehen und spähte auf die Ebene hinaus. Hier und da waren im Gras blaue Flecken zu sehen. Dort lagen tote Soldaten. Unweit von ihnen waren tote Pferde niedergestürzt. Auf den Dächern der flachen Lehmziegelhäuser von San Vincente standen die Apachen. Sie warteten. Sie brauchten sich nicht zu sorgen. In diesem Spiel waren sie die Stärkeren. Ich fühlte plötzlich eine tiefe Befriedigung in mir. Wenn ich schon sterben sollte, so hatten Derrel und seine Soldaten alle Chancen, ebenfalls zum Teufel zu gehen. Ich würde sie alle in der Hölle wiedertreffen. Ein heftiger Tritt mit einem schweren Reiterstiefel traf mich in den Rücken. Ich glaubte, verrückt zu werden vor Schmerz. Ich kippte kraftlos nach vorn. Mir stieg das Wasser in die Augen. Sekundenlang konnte ich nichts sehen. Dann erkannte ich verschwommen einen jungen Soldaten über mir, der ein durchblutetes Halstuch um die Stirn trug. »Verschwinde!« sagte eine Stimme. Der Corporal, der mich bewachen sollte, war plötzlich wieder da. Er stand neben mir und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Sieh dich doch um, verdammt«, hörte ich den jungen Soldaten sagen, während der mächtige, wühlende Schmerz in mir langsam abebbte. »Diese Teufel müssen getötet werden, man muß sie
ausrotten. Dieser Bastard sitzt hier, hat vielleicht schon Dutzende von unseren Kameraden umgebracht, ist kerngesund und sieht zu, wie hier einer nach dem anderen abkratzt.« »Laß ihn in Ruhe.« Der Corporal stellte sich vor mich. »Wenn der Major ihn zum Abschuß freigibt, knall ich ihm eine Kugel in den Schädel. Aber solange der Major will, daß der Junge lebt, solange er ihn von mir bewachen läßt, damit wir ihn lebend nach Fort Clark schaffen können, solange werde ich dafür sorgen, daß er am Leben bleibt. Ich hab keine Lust, so zu enden wie der Lieutenant.« Der andere warf mir einen gehässigen Blick zu. »Der Major ist verrückt«, sagte er. Seine Stimme klang leise und zitterte leicht. »Wir sollten diesen Bastard totschlagen und dann umkehren. Wir können doch nichts gegen die Rothäute ausrichten.« »Laß den Alten das nicht hören. Er läßt dich am nächsten Baum aufhängen.« Der Corporal hockte sich neben mich ins Gras, ohne mich eines Blickes zu würdigen. »Es ist alles Wahnsinn«, sagte der junge Soldat. »Kompletter Wahnsinn.« Er starrte mich wieder voller Wut an und schien mich nochmals treten zu wollen. Unwillkürlich krümmte ich mich zusammen und spannte alle Muskeln an, um die Wucht des Tritts abzufangen. »Laß das«, sagte der Corporal neben mir. »Es hilft nichts, und ich kriege den Ärger, wenn dem Jungen etwas passiert. Der Major will ihn vor Gericht stellen.« »Gericht!« Der andere lachte freudlos und hart. In diesem Moment schrie Lieutenant Flanders: »Fertigmachen zur Attacke! Aufsitzen!« Der junge Soldat ging an mir vorbei zu seinem Pferd. Der Corporal schaute ihm nach. Dann blickte er mich plötzlich an. »Ich würde dich auch lieber abmurksen«, sagte er. »Mit Wonne, verstehst du? Aber ich darf nicht. Ich muß auf dich aufpassen. Bilde dir also nur nichts ein. Wenn du glaubst, frech werden zu können, weil der Major dich lebend mitnehmen will, schlage ich dich krumm und lahm.« »Ich habe Durst«, sagte ich. Ich blickte den Corporal ohne Furcht an. Meine Kehle brannte, meine Mundhöhle schien sich zu
entzünden. Der Corporal beugte sich verblüfft vor. »Du hast was?« »Durst«, sagte ich. Er nahm wortlos seine Feldflasche vom Gürtel, entkorkte sie und hielt sie mir hin. Als ich den Mund öffnete, stieß er mir den Flaschenhals hart gegen die Zähne. Ich schmeckte Blut im Mund. Das Wasser, das aus der Flasche spritzte, rann mir größtenteils wieder aus den Mundwinkeln heraus und netzte Kinn und Hals. Mit leisem Stöhnen sank ich zurück. Der Corporal grinste mich tückisch an. »Da siehst du, wohin du mit Frechheit kommst«, sagte er. »Du kriegst dein Wasser und deine Mahlzeiten dann, wenn auch wir anderen essen und trinken.« Er rammte den Korken wieder in den Hals der Feldflasche und hängte sie an seinen Gürtel zurück. Ich sagte kein Wort mehr. Mein ganzer Mund schien zu glühen. Mein Zahnfleisch blutete. Mein Durst brannte unvermindert. In der Bodensenke waren die Soldaten wieder in die Sättel gestiegen. Auch die Verwundeten waren von Derrel in die Sättel gehetzt worden. Der Trompeter blies ein Signal. Die Männer trieben ihre Tiere an. Sie galoppierten auf die Ebene hinaus, auf die die Sonne des frühen Vormittags gnadenlos herunterbrannte. Die ausgedörrte Erde hatte das vergossene Blut gierig in sich aufgesogen. Die Soldaten schwärmten aus. Diesmal klafften große Lücken in ihren Reihen. Viele Männer fehlten, die diese Lücken beim ersten Angriff noch gefüllt hatten. * Ich schaute ihnen nach. Mein Bewacher und ich blieben in der Bodenfalte zurück. Der Corporal war zum Rand der Senke gegangen. Er spähte zur Stadt hinüber. Aufwogender Staub vernebelte ihm die Sicht. Ich hörte das Krachen der Schüsse und richtete den Oberkörper auf, so gut es ging. Die Apachen feuerten. Ich sah Mündungsblitze zucken. Die Krieger ließen die Soldaten diesmal nicht so nahe heran wie beim
ersten Angriff. Der grelle Trompetenton, der alles übertönte, brach plötzlich ab. Ich suchte mit Blicken den Hornisten. Da sah ich ihn fallen. Das Signalhorn wirbelte durch die Luft. Es schimmerte wie pures Gold im Sonnenlicht und versank im hohen Gras. Die Soldaten sprengten weiter. Sie stürmten gegen die Stadt an. Jeder konnte sehen, daß es sinnlos war. Nur Major Derrel schien es nicht zu begreifen. Ich sah ihn dahingaloppieren. Er schwang seinen Säbel und schrie so laut seine Befehle, daß seine Stimme bis zur Senke herüberhallte. Er hetzte seine Soldaten nach vorn, er trieb sie in den Tod, nur ihn selbst ereilte es nicht. Das pausenlose Krachen der Schüsse dröhnte in meinen Ohren. Eine Zeitlang starrte ich hinüber zur Stadt, wo Soldaten aus den Sätteln stürzten, verwundet über den Boden krochen und zwischen stampfenden Pferdehufen starben, schweigend oder auch schreiend. Ich starrte dorthin, wo der aufwogende Pulverdampf über San Vincente ein Zeichen des Todes in den glühenden Himmel malte. Ich sah hier und da einen Apachen getroffen von einem der Dächer fallen, und ich sah sie hinter ihren Barrikaden sterben. Überall waren Tod und Verderben. Ich wandte den Kopf ab. Müdigkeit war in mir. Langsam lehnte ich mich zurück, so gut ich das mit meinen auf dem Rücken gefesselten Händen konnte. Ich wollte nicht mehr sehen, wie gekämpft und gestorben wurde. Ich dachte plötzlich daran, was für ein beschissenes, gottverdammtes Leben ich doch führte. Ekel erfüllte mich. Am liebsten hätte ich gekotzt. Ich verfluchte in diesem Moment den Tag, an dem mich die guten Padres aus den halbverbrannten Wagen eines niedergemetzelten Goldsuchertrecks gerettet hatten. Es war reiner Zufall gewesen, daß ich damals überlebt hatte. Alle waren sie umgekommen – auch meine Eltern. Ich war für tot gehalten worden, ich, ein blutbeflecktes Bündel. So hatte ich im Wagen meines Vaters gelegen, den ich nie kennengelernt hatte. Die Indianer, die den Treck vernichtet hatten, hatten es nicht für erforderlich gehalten, die brennenden Wagen zu durchsuchen. Sonst wäre ich vielleicht schon damals bei den Apachen gelandet. Und
wären damals die Padres nur zwei oder drei Stunden später vorbeigezogen, hätten sie mich vielleicht wirklich tot gefunden, zerhackt von den Geiern und anderen Aasvögeln, die bereits über die Leichen hergefallen waren. Was wäre mir alles erspart geblieben! Ich dachte an die Farmersöhne am Pease River, die meine Freunde gewesen waren, mit denen ich zusammen in der Missionsschule gesessen und geschwitzt hatte, mit denen ich gespielt, getobt und Unfug getrieben hatte. Was wußten sie schon vom Leben in der Wildnis? Beim Anblick eines Indianers rannten sie schreiend davon. Eine Waffe faßten sie höchstens an, um auf die Jagd zu gehen. Manchmal sehnte ich mich nach einem solchen Leben – manchmal. Jetzt zum Beispiel, in diesem Augenblick. Gleichzeitig aber sagte mir ein Gefühl, daß ich ein solches Leben nicht mehr würde führen können, nach allem, was hinter mir lag. Das Schicksal hatte seine Weichen für mich gestellt und mich auf den Weg geschickt, der für mich vorgezeichnet war. Ich mußte ihn weitergehen. Man konnte seinem Schicksal nicht entrinnen. Ich hob wieder den Kopf. Bis jetzt hatte ich zu Boden gestarrt. Wie hilflos waren wir doch alle. Wie sehr glaubten wir, daß alles nur von unseren eigenen Entschlüssen abhängig sei, daß wir frei seien in unserem Willen. Dabei waren wir alle doch nur Gefangene unseres Schicksals. Auch Major Derrel und auch die Soldaten, die seinem Befehl ausgeliefert waren. Auch der junge Lieutenant, den Derrel hatte exekutieren lassen. Und auch ich, und ich hätte viel darum gegeben, hätte ich gewußt, was noch vor mir lag. Vielleicht war ich in einer Stunde schon tot, vielleicht würde ich aber auch uralt werden und auf dem Totenbett den Tag meiner Geburt verfluchen. Die Schmerzen in meinem Körper hatten nachgelassen. Nur der Durst brannte immer schlimmer. Aber ich wagte nicht mehr, den Corporal um etwas zu bitten. Ich wälzte mich auf die Seite, legte das Gesicht auf den Boden und konnte mit den Lippen einen kleinen, fingerkuppengroßen Kiesel fassen, den ich aufnahm und in den Mund gleiten ließ. Ich schob ihn mit der angeschwollenen Zunge hin und her. Erst vergrößerte sich der Schmerz noch, dann aber wurden
die Speicheldrüsen angeregt. Meine Mundhöhle wurde feucht. Es war keine Lösung, aber es linderte den Durst etwas. Auch das dumpfe Pochen in meinem Schädel ließ nach und wurde zumindest erträglich. In diesem Moment stieß der Corporal hinter mir am Rand der Bodensenke einen leisen Ruf auf. Für einen kurzen Moment schien er für seine angestaute Spannung, seine Nervosität ein Ventil zu suchen. Dann schwieg er wieder.
10. Ich wandte mich um. Der Corporal stand oberhalb der Bodenfalte. Mich schien er vergessen zu haben. Seine Körperhaltung wirkte verkrampft, wie die eines in die Enge getriebenen Tieres. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und starrte zur Stadt hinüber. Ich richtete meinen geschundenen Oberkörper wieder auf. Mein Inneres sträubte sich dagegen, doch ich schaute auf die Ebene hinaus, auf die der Schatten des Todes gefallen war. Eine Staubwolke verdunkelte die Sonne. Ich sah einen Pulk von schreienden Reitern. Die Soldaten waren abgeschlagen worden und flohen vor den Schüssen der Apachen über die Steppe. Major Derrel jagte hinter ihnen her. Er schwang noch immer seinen Säbel und schrie irgend etwas. Seine Stimme wurde vom Donnern der Hufe übertönt. Er schien die Soldaten zurückbefehlen zu wollen. Aber sie hörten nicht. Unmittelbar vor der Stadt sah ich Pferdeleiber im Gras liegen, daneben tote Kavalleristen. Der Boden war aufgewühlt und von Hufen zerstampft. Eine Staubwolke schwebte über dem Land. Und aus der Stadt strömten jetzt die Krieger. Sie hatten sich auf der Plaza gesammelt. Nun sprengten sie in die Prärie hinaus, hinter den Soldaten her. Cochise führte sie an. Ich sah ihn an der Spitze reiten. Er hatte einen Sharps-Karabiner quer vor sich im Sattel liegen. Ich schaute mir fast die Augen aus dem Kopf, um Little Friend zu entdecken, konnte ihn aber nicht unter den Kriegern sehen. Wieder
stieg die Sorge um ihn in mir auf. Aber da sah ich Schnelltöter. Er ritt sein geschecktes Pony und schwenkte eine Lanze. Er lebte. Er war durchgekommen. Wenn er es geschafft hatte, war es auch den anderen gelungen. Ich vergaß meinen Bewacher und kämpfte mich, trotz meiner Fesseln, auf die Knie hoch. Der Corporal achtete nicht auf mich. Er beobachtete wie gebannt, was sich unweit der Bodensenke, in der wir uns befanden, abspielte, und was wie ein schreckliches, gigantisches Schauspiel vor unseren Blicken abrollte. Major Derrel hatte die flüchtende Kompanie eingeholt. Er ritt an ihr vorbei und erreichte Flanders, den Lieutenant von seinen Gnaden. Er fuchtelte mit dem Säbel in der Luft herum und schrie wie ein Verrückter. Flanders zog plötzlich sein Pferd herum. Gemeinsam mit ihm gelang es Derrel, die Kompanie zu stoppen. Für wenige Augenblicke bildete sich ein dichter Reiterpulk um den Major. Dann schien es Derrel zu gelingen, die kopflosen Soldaten wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie drehten um und schwärmten aus, um die Apachen zu empfangen. Nur Sekunden später prallten Apachen und Kavalleristen aufeinander. * Säbelklingen durchschnitten die Luft. Tomahawks und Schädelbrecher wurden geschwungen. Revolverschüsse krachten. Ineinander verkrallt stürzten Apachen und Soldaten aus den Sätteln, Ein erbitterter Kampf Mann gegen Mann entspann sich. Das Splittern von zerbrechenden Knochen übertönte die Schreie der Sterbenden und hallte bis zu uns in die Bodensenke herüber. Ich warf einen Blick auf den Corporal. Was er sah und hörte, schien ihm fast den Magen umzudrehen. Ich sah es ihm an. Er bemerkte mich gar nicht. Er hatte anscheinend längst vergessen, daß ich überhaupt da war. Die Reihen der Kämpfenden verkeilten sich mehr und mehr. Ich sah Cochise, der mit Flanders kämpfte. Er hielt seinen Tomahawk in der Rechten und wehrte geschickt die wilden Säbelhiebe des Mannes
ab. Flanders drängte sein Pferd gegen das Tier von Cochise und versuchte, es aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber das zottige, zähe Apachenpony wich geschickt aus, und Flanders verlor für einen kurzen Moment die Kontrolle über sein Tier. Im selben Augenblick schlug Cochise mit seinem Tomahawk zu. Der Säbel fiel plötzlich herunter. Am Griff hing die verkrallte Faust von Flanders. Blut strömte aus dem Armstumpf. Flanders brüllte wie am Spieß. Cochise schlug noch einmal zu. Flanders hatte kein Gesicht mehr, als er aus dem Sattel stürzte. Cochise hatte bereits sein Pferd herumgezogen und ging den nächsten Gegner an, noch bevor Flanders im Gras versank. Einmal sah ich auch für kurze Zeit Schnelltöter. Er wurde von einem Soldaten aus dem Sattel gerissen, nachdem er einem anderen seine Lanze in den Leib gerammt hatte. Er kämpfte verbissen und stach den Angreifer nieder. Dann verlor ich ihn aus den Augen. Und dann glaubte ich plötzlich, Little Friend inmitten der Kämpfenden zu entdecken. Aber ich war nicht ganz sicher. Ich starrte angestrengt hinüber, bis meine Augen zu tränen begannen. Doch er blieb verschwunden. In mir aber festigte sich die Überzeugung, daß er es gewesen sein müsse. Er hatte überlebt. Ich wurde immer sicherer. Erleichtert ließ ich mich nach hinten gleiten und setzte mich wieder auf den Boden. Ich hatte genug gesehen. Lange würde der Kampf nicht mehr dauern. Die Apachen würden siegen. Sie waren in der Überzahl, und sie kämpften besser. Meine Zukunft sah nicht so düster aus, wie ich geglaubt hatte. Ich drehte mich um, um etwas tiefer in die Senke hinunterzurutschen. Da bemerkte ich die Staubwolke im Süden.
11. Hinter mir versank das Kampfgetümmel auf der Ebene vor San Vincente. Ich sah nur noch die Staubwolke, die größer und größer wurde und sich stetig näherte. Ich lebte lange genug in der Wildnis und hatte bei den Apachen genug gelernt, um die Zeichen der Natur zu erkennen. Ich wußte, wie
Staubwolken aussahen, die von Tierherden aufgewirbelt wurden. An Form, Dichte und Höhe einer Staubwolke konnte ich unterscheiden, ob sich Büffel oder reiterlose Wildpferde näherten, ob ein Antilopenrudel oder eine in Formation getriebene Rinderherde. Dort kamen Reiter. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Viele Reiter. Der Größe der Staubwolke nach zu urteilen, weit über hundert. Mir fiel der Vorfall in der Nacht ein, als eine Ruralespatrouille das Camp der Soldaten entdeckt und Major Derrel den Anführer der mexikanischen Grenzpolizei kaltblütig ermordet hatte. Die Männer des Capitano aber hatten fliehen können. Major Derrel hatte zuviel Fehler begangen. Er würde dafür bezahlen, das hatte ich sicher im Gefühl. Die Krieger, die in San Vincente zurückgeblieben waren, hatten die Staubwolke jetzt auch entdeckt. Sie feuerten ihre Gewehre ab, um die kämpfenden Apachen auf der Ebene zu warnen. Auch der Corporal am Rande der Senke, der mich bewachen sollte, drehte sich um und erspähte die Staubwolke. Hilflos stand er einen Moment da und schien krampfhaft zu überlegen, was er tun sollte. Ich blickte ihn abwartend an. Er übersah mich. Als er wieder zu den Kämpfenden hinüberschaute, sah er, daß sich die Apachen von den Soldaten lösten und zur Stadt zurückstrebten, während die Soldaten offenbar noch gar nicht begriffen hatte, was auf sie zukam. Sie wollten die Verfolgung der Krieger aufnehmen. Da erspähte Major Derrel die Staubwolke im Süden. Seine Stimme rief die Kompanie zurück. Derrel schien über sich selbst hinauszuwachsen. Ich glaube, in diesem Moment begriff er, daß er am Ende war. Lieutenant Masters hatte recht behalten. Er und seine Leute waren zum Untergang verdammt. Es gab keinen Ausweg mehr. Auch ein sofortiger Rückzug hätte nichts mehr genutzt. Die Soldaten waren zu erschöpft. Sie hätten keine Chance gehabt, den Rio Bravo zu erreichen und sich übef den Fluß zu retten. Der Corporal sprang in die Senke hinunter. Er blieb vor mir stehen. Er war blaß. Plötzlich bückte er sich und zerschnitt meine Fußfesseln. »Steh auf«, sagte er.
Ich blieb sitzen. »Steh auf, verflucht!« Jetzt schrie er. Ich stand auf. Ein wenig spürte ich noch Schmerzen im linken Knöchel. Der Corporal packte mich am rechten Oberarm und zerrte mich zu seinem Pferd. Er hob mich hinauf und schwang sich in den Sattel. Aus der Staubwolke im Süden ritten grünuniformierte Männer heraus. Sie trugen breitrandige Hüte auf dem Kopf. Ein Fähnchen flatterte im Wind. Der Corporal trieb sein Pferd aus der Senke auf die Ebene. Er jagte nach Süden und wollte an der Kompanie, die auf die Senke zustrebte, vorbeireiten. Es gelang ihm nicht. Eine Gruppe Soldaten mit Major Derrel an der Spitze erreichte ihn vorher. Derrel riß die Zügel seines Pferdes brutal zurück. »Wo wollen Sie hin, Corporal?« Schweiß rann über seine Stirn, über seine Wangen, sickerte in den Bart. »Lassen Sie mich durch, Major.« Der Corporal zerrte sein Pferd herum. Er war fast verrückt vor Angst. »Ich habe keine Lust, abzukratzen.« »Und der Junge?« »Mit dem kaufe ich mich von der Bestrafung frei, wenn ich nach Fort Clark zurückkehre. Ich werde mich nicht vor Gericht stellen lassen, weil ich Ihnen gefolgt bin. Wenn ich einen Gefangenen mitbringe, läßt man mich vielleicht laufen.« »Sie sind ein Idiot.« Derrel hielt seinen Säbel in der rechten Faust. »Sie glauben, daß Sie abhauen können, obwohl Sie wissen, was mit Masters passiert ist?« »Den haben Sie umgebracht. Das werde ich in Fort Clark melden. Genauso werde ich melden, daß Sie mich gezwungen haben, Ihnen nach Mexiko zu folgen.« Derrels Gesicht verzerrte sich. »Dort kommen die Rurales, und Sie wollen kneifen? Sie wollen mir in den Rücken fallen?« »Sie haben sich alles selbst eingebrockt. Wir hätten nie auf Sie hören dürfen.« Der Corporal nahm die Zügel hoch. »Masters hat
recht gehabt. Ein Idiot ist jeder, der das nicht einsieht.« »Solange alles gutging, haben Sie anders gedacht. Jetzt wollen Sie desertieren.« Der Corporal erwiderte nichts mehr. Er gab seinem Pferd die Sporen. Da schlug Major Derrel mit dem Säbel zu. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein. Warmes Blut traf meinen nackten Rücken, als der Säbel den Hals des Corporals traf. Der Mann stieß einen gurgelnden Laut aus. Er kippte hinter mir aus dem Sattel. Ich wandte den Kopf zur Seite und sah ihn ins Gras stürzen. Der Schädel war fast völlig vom Rumpf getrennt worden. »Nehmt den Jungen!« rief Derrel den Soldaten zu. Er zeigte mit dem blutigen Säbel auf den Toten. »Und seht euch den feigen Verräter an. Wer abhauen will, endet genauso.« Niemand dachte daran, es dem Corporal gleichzutun. Es hätte auch wenig Sinn gehabt. Die Rurales waren bereits heran. Sie waren keine zweihundert Yards mehr entfernt. Flucht war ausgeschlossen. Wer jetzt noch bei Major Derrel war, würde kämpfen müssen. Ich sah eine Chance und warf meinen Oberkörper nach vorn auf den Pferdehals. Meine Hände waren zwar gefesselt, aber ich hatte lange genug unter Apachen gelebt, um freihändig reiten zu können. Ich hämmerte dem Tier meine Absätze in die Weichen. Es sprang nach vorn, so daß ich fast aus dem Sattel geschleudert wurde. Ich preschte an einem Soldaten vorbei, der meine Bewachung übernehmen wollte. Sein Pferd scheute. Er stürzte beinahe zu Boden. Ich aber jagte über die Ebene und schaute nicht zurück. Hinter mir krachten Schüsse. Ich wußte nicht, ob die Soldaten sie abfeuerten, oder ob die Rurales das Feuer auf die Soldaten eröffnet hatten. Mein Herz hämmerte. Ich schaute nach vorn. Der Reitwind peitschte mein Gesicht. Vor mir lag nur die sonnenverbrannte Steppe und die Freiheit. Da taumelte das Pferd plötzlich. Geistesgegenwärtig warf ich den Oberkörper zurück. Im selben Moment knickte das Tier mit den Vorderläufen ein und überschlug sich. Ich hatte mich vorher fallen lassen und kam glimpflich davon. Schwindel stiegen in mir auf, als ich mich aufzurichten versuchte. Ich war hart gestürzt. In meinen
Schultern fraß der Schmerz. Ich kippte wieder um, fiel ins Gras und wälzte mich auf den Bauch. Ich wurde nicht verfolgt. Die Soldaten hatten keine Zeit mehr dazu. Sie waren in die Bodensenke geflüchtet und versuchten, sich gegen die angreifenden Mexikaner zu behaupten. Kugeln flogen bis zu mir herüber. Ich war nicht scharf darauf, von einem fehlgehenden Geschoß getötet zu werden. Ich kroch, so gut ich das mit auf den Rücken gefesselten Händen konnte, hinter das tote Armeepferd, das von einem Geschoß seitlich in den Hals getroffen worden war. Hinter dem Pferdeleib legte ich mich nieder. Hier war ich einigermaßen sicher. Von hier aus konnte ich das ganze Kampfgeschehen überblicken. Einmal warf ich kurz einen Blick nach San Vincente. Am Stadtrand waren keine Apachen mehr zu sehen. In die Stadt hineinschauen konnte ich nicht. Von der Bodensenke aus hatte ich eine bessere Sicht nach San Vincente gehabt. Ich war ein wenig beunruhigt. Die Ruralestreitmacht war stärker als Derrels Kompanie. Wenn die Mexikaner mit Derrel fertig waren, würden sie vermutlich San Vincente angreifen. Cochise und Black Hawk würden es schwer haben, sich zu behaupten. Ich ließ meinen Blick zurück zur Bodensenke gleiten, wo sich für Major Derrel und seine Leute das Inferno bereits abzeichnete. Noch kämpften sie, noch verteidigten sie sich zäh. Aber ihre Kräfte ließen nach. Sie waren in der Minderzahl, sie waren abgekämpft und ausgelaugt. Ihre Munition ging zur Neige. Die Worte von Lieutenant Masters erfüllten sich auf grauenvolle Weise: Keiner von Derrels Leuten würde mehr nach Texas zurückkehren. Und hätte der Corporal, der mich hatte bewachen sollen, nicht vor lauter Angst den Versuch unternommen, zu fliehen, dann würde ich mich mit den Soldaten in dem Todeskessel befinden und wäre vielleicht schon von einer Kugel getötet worden. Die Mexikaner hatten die Senke umringt. Sie griffen pausenlos an und feuerten aus allen Rohren. Ab und zu stürzte ein Rurale aus dem Sattel. Sein Platz wurde sofort von einem anderen eingenommen. Derrels Kompanie aber wurde immer kleiner. Ich sah ihn im Gras knien. Er hatte nichts von seinem Fanatismus
verloren. Er kämpfte, obwohl es aussichtslos war. Vor ihm lag ein Mann, der von einem Apachenpfeil getötet worden war. Er öffnete die Munitionstasche am Gürtel des Toten und lud seinen Revolver erneut auf. Mehrere Mexikaner ritten auf ihn zu. Er erhob sich und schoß. Drei Reiter stürzten aus den Sätteln. Derrel warf sich wieder ins Gras und feuerte seine Leute an, forderte sie zum Durchhalten auf. Und sie hielten durch, sie schossen. Aber einer nach dem anderen starb. Nach fast einer Stunde zogen sich die Rurales zurück und formierten sich neu. Die Sonne hatte den Zenit überschritten. Ihre Strahlen brannten auch auf mich herunter. Das tote Pferd, hinter dem ich lag, begann zu stinken. Fliegenschwärme umkreisten mich. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, um sie zu vertreiben. Ich wollte die Aufmerksamkeit der Mexikaner nicht auf mich lenken. Vielleicht hatte ich noch eine Chance, mich ungeschoren zu verziehen. Ich schaute wieder zur Stadt hinüber. In San Vincente blieb es ruhig. Kein Apache ließ sich sehen. Ich vermutete, daß sie sich in den Häusern verschanzt hatten. Ein Blick zu den Rurales zeigte mir, daß sie ihre Verletzten versorgt hatten. Sie nahmen erneut Aufstellung und gingen zum Angriff über. Langsam ritten sie durch den Pulverdampf, den der Südwind in dichten Schwaden vor sich hertrieb. Unvermittelt spornten sie ihre Pferde an und galoppierten los. * Ich sah, wir die Truppe Derrels kämpfend unterging. Die Männer hatten begriffen, daß nur noch der Tod auf sie wartete, daß es keinen Ausweg mehr gab. Vielleicht waren viele unter ihnen, die Major Derrel am liebsten in Stücke gerissen hätten, denn er trug die Schuld am Tod jedes einzelnen der Kompanie. Aber sie sagten sich wohl, daß sie an ihrer Situation dann auch nichts mehr ändern konnten. So verkauften sie sich so teuer wie möglich. Sie setzten den Rurales verdammt zu. Ich habe später kaum noch einmal Männer so verbissen kämpfen sehen. Die Mexikaner schossen in den schmalen Talkessel und töteten
alles, was sich bewegte. Major Derrel starb als einer der letzten. Er hatte sich mit dem letzten Überlebenden hinter einigen toten Pferden verschanzt. Er hatte Soldatenleichen als Barrikaden aufstapeln lassen. Breitbeinig stand er da, in jeder Faust einen Revolver. Er blutete aus zahllosen Verletzungen. Seine Uniform war zerfetzt, er selbst war von Blut und Pulverrauch gezeichnet. Er schoß zwei Mexikaner aus dem Sattel, dann trafen ihn drei oder vier Kugeln gleichzeitig in den Oberkörper. Sie rissen ihn fast in Stücke. Er sank zu Boden, ohne seine Waffen loszulassen. Die fünf Soldaten, die übriggeblieben waren, starben innerhalb weniger Minuten. Dann trat Stille ein. Der Kampf war zu Ende. Er hatte viele Stunden gedauert. Es wurde Abend. Der Himmel schimmerte so rot wie das Blut, das an diesem Tag auf der Ebene von San Vincente geflossen war. Penetrant lag der Leichengeruch über der Bodenfalte. Die Rurales ritten in die Senke, sammelten die Toten, schichteten sie übereinander und warfen Erde über sie. Sie hielten es nicht einmal der Mühe für wert, ein Grab auszuheben. Ich war sicher, daß bald schon Kojoten erscheinen, die Erde herunterscharren und über die Leichen herfallen würden. Die Sonne verglühte im Westen. Ich hielt den Gestank des toten Pferdes nicht mehr aus und konnte mich kaum noch der Schmeißfliegen erwehren, die sich auf dem eingetrockneten Blut des Tieres niederließen, in sein offenes Maul krochen oder ihm die Augen ausfraßen. Ich beobachtete, wie die Rurales sich sammelten und in breit auseinandergezogener Formation auf San Vincente zuritten. Dort war es noch immer still. Ich begriff das nicht. Die Rurales erreichten die Stadt und zogen in die Hauptstraße ein. Sie verschwanden damit aus meinem Blickfeld. Ich erwartete, Schüsse zu hören. Aber ich hörte nichts. Ich fragte mich, was geschehen sein konnte. Oder war ich nach dem Kampfgetümmel, das einen ganzen Tag lang getobt hatte, abgestumpft und taub geworden und nicht mehr in der Lage, Schußdetonationen wahrzunehmen?
Ich richtete mich halb auf, als die Ebene leer war. Am Sattel des toten Tieres hing der Säbel des Corporals. Es gelang mir, ihn aus der Scheide zu ziehen. Mühselig konnte ich meine Handfesseln an der Klinge zerschneiden. Als ich frei war, huschte ich geduckt zu einigen Pecan-Bäumen hinüber und versteckte mich dazwischen. Meine Handgelenke waren angeschwollen und rot gescheuert. Sie schmerzten. Die Fesseln hatten die Blutzirkulation behindert. Nachdem die Stricke gefallen waren und der Kreislauf wieder richtig in Gang kam, schienen glühende Nadeln darin zu toben. Ich massierte die Gelenke, bis der Schmerz nachließ. Ich hörte Stimmengewirr von der Stadt her. Doch jetzt war es zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Die Sonne war gesunken. Ein kühler Wind strich über die Ebene. Er trug den Gestank von Kampf und Tod fort. Lichter flammten in der Stadt auf. Wenig später verließen Reiter San Vincente. Die Rurales zogen ab. Noch immer war kein Schuß gefallen. Ich verstand die Welt nicht mehr.
12. Der Durst trieb mich aus meinem Versteck. Ich ging zurück zu dem toten Pferd und nahm die Feldflasche des Corporals an mich. Nachdem ich meinen Durst gestillt hatte, suchte und fand ich in den Satteltaschen auch noch die eiserne Ration. Ich riß das Fettpapier auf und schlang das harte Brot und die getrockneten Früchte in mich hinein. Leer lag die Ebene im bleichen Mondlicht vor mir. Mir drohte keine Gefahr. Alles, was am Tag vorher passiert war, wäre mir wie ein böser Traum erschienen, hätten nicht hier und da noch die Leichen von Männern und die toten Leiber der Pferde im Gras gelegen. Der Schrei eines Aasvogels klang manchmal durch die Dunkelheit. In der Ferne heulten Kojoten. Ich ging zur Senke hinüber. Ein Schwarm Krähen stob auf, als ich sie erreichte. Der Leichengestank war hier noch immer intensiv. Der Wind konnte ihn nicht vertreiben. Wenn am nächsten Tag die Sonne
auf die Senke scheinen würde, würde es noch schlimmer werden. Ich hielt mir die Nase zu, fand noch ein totes Pferd mit einer Feldflasche am Sattel, hängte sie mir an den Gürtel und steckte auch die eiserne Ration ein. Später, als ich wieder auf die Ebene hinausgelaufen war, stieß ich auf einen toten Soldaten. Er hielt einen Navy-Colt in seiner erstarrten Faust. Ich hatte Mühe, die Finger zu öffnen und die Waffe an mich zu nehmen. Fünf Kammern der Trommel waren noch geladen. Ich steckte ihn in den Gürtel und nahm auch ein Messer mit. Kurz darauf fand ich auch einen Sharps-Karabiner im Gras sowie eine Ledertasche mit Patronen. Ich war nicht schlecht ausgerüstet, als ich auf San Vincente zuschritt. Ich lebte. Ich hatte wieder einmal Glück gehabt. Man konnte es auch Zufall oder Schicksal nennen. Aber ich lebte, das allein zählte. Doch ich fühlte mich nicht wohl. Eine undefinierbare Unruhe erfüllte mich. Noch wußte ich nicht, warum. Als ich das erste Haus des Ortes erreichte, blieb ich stehen. Die Wand, an die ich mich lehnte, war von Kugeln förmlich zerhackt worden. Die Fenster waren zerbrochen. Ich lauschte eine Weile in die Dunkelheit, bevor ich weiterging. Nirgends sah ich einen Apachen. Als ich die Kapelle passierte, hörte ich endlich Stimmen. Aber es waren keine kehligen Apachenlaute, die an meine Ohren drangen. Zwei Männer unterhielten sich. Sie sprachen spanisch. Ich preßte mich an die Wand der Kapelle und hielt den Atem an. Ich verstand nichts, nur eines wurde mir klar: Die Apachen waren nicht mehr da. Sie hatten offenbar die Kampfkraft der Rurales richtig eingeschätzt und hatten die Gelegenheit benutzt, abzuziehen, während sich die Rurales und Derrels Soldaten ineinander verbissen hatten. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, einem schweren Kampf auszuweichen und Mangas Coloradas, wenn er noch lebte, was ich annahm, ungefährdet abtransportieren zu können. Sie hatten richtig gehandelt. Es war wichtig gewesen, Mangas Coloradas zu retten. Bei einer möglichen Niederlage gegen die Rurales hätte es keine Möglichkeit gegeben, den Häuptling
ungefährdet aus der Stadt zu bringen. Ich überlegte nicht lange und schlich aus dem Ort. Am Stadtrand steckte eine Lanze im Boden. Ich zog sie heraus und schulterte sie. Am Himmel tauchte der Mond hinter einer dunklen Wolke unter. Die Sicht wurde schlecht. Ich setzte mich in Marsch. * Ich umrundete San Vincente und fand die Spuren der Krieger ohne Schwierigkeiten. Es war so, wie ich vermutet hatte. Die Fährte von zwei Pferden, die eine Schleppbahre zogen, war leicht zu erkennen. Mangas Coloradas lebte noch, und er wurde in Sicherheit gebracht. Ich schaute nach Westen, wo die breite Spur sich in der Nacht verlor. Der Vorsprung der Krieger konnte nicht groß sein. Ich mußte versuchen, sie einzuholen. Der Weg würde hart werden. Ich besaß kein Pferd. Aber ich war sicher, daß ich mich durchbeißen würde. Ich kannte das Land nicht und wußte nicht, was für Gefahren vor mir lagen. Doch was es auch sein würde, nichts konnte mich abhalten. Ich war allein wie so oft in meinem Leben. Ich war ein Apache und hatte viele Feinde. Aber ich hatte auch Mut und war es gewöhnt, zu kämpfen. Ich folgte der Fährte und lief westwärts. Mein Weg führte ins Ungewisse …
ENDE
Vorschau Aus einer Seitengasse am Hafen raste eine schwarzverhangene Kutsche heran. Auf dem Bock hockte John Nye, der Hilton-Mann. Vor dem Zweispänner des Colonels hielt die Kutsche. Burt Mulford sprang heraus. Mahon Tabor packte den Ex-Colonel brutal am Arm. In diesem Moment ertönte ein schneidender Ruf hinter ihm. »Tabor!« Erschrocken wirbelte Tabor herum. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Ronco stand breitbeinig vor ihm, keine zehn Schritte entfernt. Den Colt hielt er schußbereit in der Faust. Die Mündung zielte auf Tabors Brust. Colonel Lester wirkte völlig verstört, als ihn Mahon Tabor losließ und sich Ronco stellte. Plötzlich geschah das Unvorhergesehene … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 146 dieser großen deutschen WesternSerie:
Diese Kugel ist für Tabor