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Florian Schramm, Ulrich Zachert (Hrsg.): Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung . Mythen und Realität ISBN 978-3-86618-219-6, Rainer Hampp Verlag, München u. Mering, 2008, 417 S., € 34.80
Die Umsetzung von Arbeitsrecht in die betriebliche Praxis ist ein ebenso wichtiges wie seit Jahren kontrovers diskutiertes Thema, das bislang nur vereinzelt vertieft empirisch untersucht wurde. Der Band informiert umfassend über aktuelle, empirische Erkenntnisse aus dem Projekt Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung (AribA), dass sich diesem Thema an der Universität Hamburg über mehrere Jahre aus theoretischer und empirischer Perspektive gewidmet hat. Im Zentrum des Projektes stand die Frage nach der Wahrnehmung und Umsetzung des Arbeitsrechts durch Personalverantwortliche. In der Kenntnis dieser Zusammenhänge liegt ein Schlüssel für das Verständnis und für eine genaue Bewertung der personalwirtschaftlichen Wirkungen arbeitsrechtlicher Vorschriften. Das empirische Fundament des Projektes besteht aus einer qualitativen Primärerhebung der arbeitsrechtlichen Praxis von Geschäftsführern und Personalleitern mit Hilfe von über 40 leitfadengestützten Experteninterviews im Jahr 2006. Quantitativ gerahmt werden diese Daten durch eine standardisierte Befragung mit 750 Personalverantwortlichen im Jahr 2007. Herausgearbeitet werden Ergebnisse zur betrieblichen Praxis im Umgang mit dem Arbeitsrecht. Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass sich sowohl die Wahrnehmung und Bewertung des Arbeitsrechts als auch dessen Konfliktlastigkeit oftmals anders gestaltet, als die öffentliche Diskussion vermuten lässt. Dieser Band richtet sich an Wissenschaft und Praxis der betrieblichen Personalarbeit sowie des Arbeitsrechts. Schlüsselwörter:
Personalpolitik, Arbeitsrecht, Kündigungsschutz, Deregulierung
Prof. Dr. Florian Schramm, geb. 1964, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalwirtschaft an der Universität Hamburg. Prof. Dr. Ulrich Zachert, geb. 1943, Professor für Arbeitsrecht mit Schwerpunkt Tarifvertragsrecht, betriebliche Mitbestimmung, Unternehmensmitbestimmung, Europäisches und Internationales Arbeitsrecht an der Universität Hamburg.
Florian Schramm Ulrich Zachert (Hrsg.)
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung Mythen und Realität
Rainer Hampp Verlag
München und Mering
2008
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-86618-219-6 DOI 10.1688/9783866182196 1. Auflage, 2008 © 2008
Rainer Hampp Verlag Marktplatz 5
München und Mering D – 86415 Mering
www.Hampp-Verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. ∞
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Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht
I
Inhaltsverzeichnis
III
Abbildungsverzeichnis
XI
Tabellenverzeichnis
XII
Anhang
Einleitung Florian Schramm/Ulrich Zachert
1
Kapitel 1: Theorie und Methode Kapitel 1.1
Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell Florian Schramm/Michael Schlese/Ralph Kattenbach
Kapitel 1.2
7
Arbeitsrecht und die empirische Debatte - insbesondere um den Kündigungsschutz Ulrich Zachert
Kapitel 1.3:
33
Von der Wahrnehmung zur Handlung – Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht Cornelia Schmidt/Aleksandra Worobiej
Kapitel 1.4:
53
Das Projekt Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – methodische Grundlagen und Erläuterungen Marcus Bradtke-Hellthaler
94
Kapitel 2: Empirische Befunde Kapitel 2.1:
Einstellungen von Personalleitern gegenüber Arbeitsrecht und wahrgenommener Einfluss in der betrieblichen Praxis Marcus Bradtke-Hellthaler
117
I
Inhaltsübersicht
Kapitel 2.2:
Die Rolle des Kündigungsschutzes: Ergebnisse der qualitativen Analyse Michael Schlese/Florian Schramm (unter Mitarbeit von Ralph Kattenbach und Aleksandra Worobiej)
Kapitel 2.3:
156
Versuchskaninchen – Kündigungsschutz: Vorgeschlagene Änderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen Aleksandra Worobiej
Kapitel 2.4:
200
Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit Aleksandra Worobiej
Kapitel 2.5:
226
Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit Ralph Kattenbach
Kapitel 2.6:
240
Organisationales Lernen Carmen Krawetzki
Kapitel 2.7:
262
Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung Sabine Hübner/Ulrich Zachert
Kapitel 2.8:
290
Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen: empirische Analysen Michael Schlese/Florian Schramm
Kapitel 2.9:
301
AribA – Ergebnisse der standardisierten Befragung Florian Schramm/Michael Schlese
317
Fazit: Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – Mythen und Realität Florian Schramm/Ulrich Zachert (unter Mitarbeit von Marcus Bradtke-Hellthaler, Ralph Kattenbach, Carmen Krawetzki, Michael Schlese, Cornelia Schmidt und Aleksandra Worobiej) 354
II
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung Florian Schramm/Ulrich Zachert
1
Zum Band ...................................................................................................................................... 1 1
Charakteristika von AribA: Interdisziplinarität und empirische Fundierung............................ 1
2
Zum Aufbau dieses Bandes ................................................................................................... 3
3
Hintergrund und Förderung des Projektes ............................................................................. 4
4
Publikationen und Medienresonanz ....................................................................................... 5
Kapitel 1: Theorie und Methode
Kapitel 1.1
Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell Florian Schramm/Michael Schlese/Ralph Kattenbach
7
1
Sichtweisen auf das Verhältnis von Arbeitsrecht und Personalpolitik.................................... 7
2
Die drei Ebenen des Grundmodells ..................................................................................... 12
3
Kognitiven Erklärungen für das Denken und Handeln von Akteuren................................... 16
4
Grundmodell und Forschungsfragen im Überblick............................................................... 23
Literatur........................................................................................................................................ 29
Kapitel 1.2
Arbeitsrecht und die empirische Debatte - insbesondere um den Kündigungsschutz Ulrich Zachert
1
2
33
Hauptlinien der arbeitsrechtlichen Diskussion ..................................................................... 33 1.1
Kündigungsschutz im Brennpunkt der Kontroversen...............................................33
1.2
Niveau des Kündigungsschutzes und Arbeitsmarkt.................................................34
1.3
Kündigungsschutz und Überregulierung..................................................................34
1.4
Kündigungsschutz und Richterrecht ........................................................................34
Arbeitsrecht und Industrial Relations-Forschung/Empirie .................................................... 35 2.1
Die Max-Planck-Studie von 1981.............................................................................35
2.2
Die „REGAM-Untersuchung“ und die Studie der Universität Halle-Wittenberg „KÜPRAX“ ................................................................................................................35
2.3
Studien zur Wirkung des Kündigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt .....................37
III
Inhaltsverzeichnis
2.4 3
4
Wertschätzung des Kündigungsschutzes in der Bevölkerung.................................38
Rezeption der Empirie in der arbeitsrechtlichen Diskussion................................................ 38 3.1
Akzentverschiebung: Stimmungen, Gefühle, Ängste...............................................38
3.2
Thematische Kontinuitäten.......................................................................................39
Eine neue arbeitsrechtliche Debatte um „gefühltes und gelebtes Recht ?“ ......................... 40 4.1
Grundlinien der Diskussion ......................................................................................40
4.2
Legendenbildung und Flucht aus dem Arbeitsrecht.................................................40
4.3
Recht als Ausdruck gemeinsamer Anschauungen, überwiegend loyale Anwendung ..............................................................................................................41
4.4 5
Zugrunde liegende Hypothesen und Fragestellungen .............................................41
Einflussfaktoren auf „Rechtsgefühl“ und das Verhalten ....................................................... 42 5.1
Fragestellung............................................................................................................42
5.2
Allgemeine Einflussfaktoren für die Effizienz von Recht..........................................42
5.3
Einflussfaktoren für „gefühltes“ (Arbeits-)recht ........................................................42
5.3.1 Ausgangspunkt............................................................................................................42 5.3.2 Arbeitsrechtlicher Sachverstand, Informationsquellen ................................................43 5.3.3 Umgang mit dem Arbeitsrecht.....................................................................................44 6
Fazit zur Anwendung von Arbeitsrecht – offene Fragen ...................................................... 44
7
Empirie wofür?...................................................................................................................... 45 7.1
Die wissenschaftliche Debatte .................................................................................45
7.2
Die betriebliche Praxis .............................................................................................45
7.3
Der Gesetzgeber ......................................................................................................46
7.4
Die Rechtsprechung.................................................................................................46
7.5
Ergebnis ...................................................................................................................47
Literatur........................................................................................................................................ 47
Kapitel 1.3:
Von der Wahrnehmung zur Handlung – Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht Cornelia Schmidt/Aleksandra Worobiej
53
1
Einleitung.............................................................................................................................. 53
2
Rechtskenntnisse der Bevölkerung...................................................................................... 54 2.1
Besonderheit des Arbeitsrechts ...............................................................................56
2.2
Stellung des Beitrags in der empirischen Forschung der Rechtssoziologie ............58
2.2.1 Effektivitätsforschung ..................................................................................................58 2.2.2 Knowlegde and Opinion about Law (KOL) ..................................................................59 2.2.3 Rechtstatsachenforschung ..........................................................................................60 3
Rechtsgefühl......................................................................................................................... 61 3.1
‚Rechtsgefühl‘ – die emotionale Grundlage des Rechts? ........................................61
3.1.1 Das Rechtsgefühl als Gefühl .......................................................................................62 3.1.2 Das Rechtsgefühl als Emotion ....................................................................................62 IV
Inhaltsverzeichnis
3.1.3 Das Rechtsgefühl als Intuition.....................................................................................63 3.1.4 Das Rechtsgefühl in der Rechtswissenschaft .............................................................64 3.2
Zur Entstehung des ‚Rechtsgefühl‘ ..........................................................................65
3.2.1 Rechtsgefühl in der Entwicklungspsychobiologie .......................................................65 3.2.2 Rechtsgefühl in der Soziobiologie ...............................................................................66 3.3
Zur Funktion des ‚Rechtsgefühl‘...............................................................................67
3.3.1 Die kognitive Funktion des Rechtsgefühls ..................................................................67 3.3.2 Die kognitiven Funktionen der Rechtsempfindungen..................................................69 3.4 4
Zusammenfassung zum Rechtsgefühl.....................................................................71
Rechtsbewusstsein .............................................................................................................. 72 4.1
Definition ..................................................................................................................72
4.2
Theorien zur Entstehung von Rechtsbewusstsein ...................................................73
4.3
Rechtsbewusstsein und Handeln als stufentypisches Konstrukt.............................73
4.3.1 Gerechtigkeitsvorstellungen und Rechtsbewusstsein .................................................75 4.3.2 Rechtsbewusstsein und starke oder schwache Normen ............................................77 4.3.3 Rechtsbewusstsein und die Freiheit des Handelns ....................................................78 4.3.4 Rechtsbewusstsein als empirisches Konstrukt ...........................................................80 4.4 5
6
Zusammenfassung zum Rechtsbewusstsein...........................................................81
Rechtsakzeptanz .................................................................................................................. 82 5.1
Rechtsakzeptanz – Definition...................................................................................83
5.1
Andere Einflussfaktoren auf die Rechtsakzeptanz ..................................................84
5.2
Akzeptanzforschung – der Ansatz von Doris Lucke.................................................85
Fazit...................................................................................................................................... 87
Literatur........................................................................................................................................ 89
Kapitel 1.4:
Das Projekt Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – methodische Grundlagen und Erläuterungen Marcus Bradtke-Hellthaler
94
1
Einleitung.............................................................................................................................. 94
2
Anforderungen an die Methodik ........................................................................................... 95
3
Die Vorbereitungsphase....................................................................................................... 96
4
5
3.1
Die Erarbeitung der Fragestellungen ............................................................................97
3.2
Zur Hypothesenentwicklung..........................................................................................98
3.3
Methodische Grundlagen und Gestaltung der Experteninterviews...............................99
3.4
Leitfadengestaltung, Besonderheiten..........................................................................101
3.5
Auswahl der Stichprobe ..............................................................................................103
Die Feldphase .................................................................................................................... 106 4.1
Interviewdurchführung.................................................................................................106
4.2
Transkription der Interviews ........................................................................................107
Die Auswertungsphase ...................................................................................................... 108 V
Inhaltsverzeichnis
6
5.1
Vorgehen bei der Auswertung .....................................................................................108
5.2
Auswertung des Interviewmaterials ............................................................................109
5.3
Weiterführende Analysen: Ergänzende Datensätze und Telefonbefragung ...............112
Zur Güte der Forschungsergebnisse ................................................................................. 113
Literatur...................................................................................................................................... 116
Kapitel 2: Empirische Befunde Kapitel 2.1:
Einstellungen von Personalleitern gegenüber Arbeitsrecht und wahrgenommener Einfluss in der betrieblichen Praxis Marcus Bradtke-Hellthaler
117
1
Einführung .......................................................................................................................... 117
2
Einstellungen gegenüber Arbeitsrecht und Bewertung von Vorschriften........................... 119 2.1
Einstellungen..........................................................................................................119
2.1.1 Einstellungen gegenüber dem Arbeitsrecht ..............................................................120 2.1.2 Einstellungen gegenüber dem Kündigungsschutz ....................................................122 2.1.3 Einstellungen gegenüber Arbeitsplatzsicherheit .......................................................125 2.1.4 Einstellungen gegenüber Arbeitsrechtsreformen ......................................................128 2.1.5 Vorstellungen über Funktionen und Erwartungen an das Arbeitsrecht.....................130 2.2
Wahrnehmung und Beurteilung des Arbeitsrechts ................................................135
2.2.1 Wahrgenommene Präsenz des Arbeitsrechts...........................................................136 2.2.2 Bewertung des Arbeitsrechts ....................................................................................140 2.2.3 Empfundene Beeinflussung von Handlungsspielräumen..........................................146 2.3 3
Fazit
Auffällige Wahrnehmungs- und Intervieweffekte ...................................................148 ............................................................................................................................... 152
Literatur...................................................................................................................................... 153
Kapitel 2.2:
Die Rolle des Kündigungsschutzes: Ergebnisse der qualitativen Analyse Michael Schlese/Florian Schramm (unter Mitarbeit von Ralph Kattenbach und Aleksandra Worobiej)
156
1
Einleitung............................................................................................................................ 156
2
Zu Theorie und Methode .................................................................................................... 158
3
Die Wahrnehmung des Arbeitsrechts ................................................................................ 161
4
Kündigungsschutz und Neueinstellungen .......................................................................... 167 4.1
Forschungsstand und Hypothesen ..........................................................................167
4.2
Empirische Ergebnisse.............................................................................................172
4.3
Das Ausweichverhalten............................................................................................175
VI
Inhaltsverzeichnis
5
6
7
Innerbetriebliche Wirkung des Kündigungsschutzes ......................................................... 179 5.1
Vorbemerkungen......................................................................................................179
5.2
Empirische Ergebnisse.............................................................................................181
Präventive Wirkung des Kündigungsschutzes ................................................................... 184 6.1
Vorbemerkungen......................................................................................................184
6.2
Empirische Ergebnisse.............................................................................................185
Fazit.................................................................................................................................... 193
Literatur...................................................................................................................................... 198
Kapitel 2.3:
Versuchskaninchen – Kündigungsschutz: Vorgeschlagene Änderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen Aleksandra Worobiej
200
1
Einleitung............................................................................................................................ 200
2
Allgemeine Änderungswünsche ......................................................................................... 201
3
Schwellenwerterhöhung im Kündigungsschutzgesetz ....................................................... 207
4
Abfindung statt Kündigungsschutz ..................................................................................... 213
5
Verlängerung der Wartezeit und Abschaffung der Zeitbefristung ...................................... 218
6
Fazit.................................................................................................................................... 223
Literatur...................................................................................................................................... 224
Kapitel 2.4:
Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit Aleksandra Worobiej
226
1
Einleitung............................................................................................................................ 226
2
Nutzungsintensität von Leiharbeit in untersuchten Betrieben............................................ 226
3
Interne und externe Flexibilisierung ................................................................................... 233
4
Fazit.................................................................................................................................... 237
Literatur...................................................................................................................................... 238
Kapitel 2.5:
Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit Ralph Kattenbach
240
1
Gegenstand und Problemstellung ...................................................................................... 240
2
Hypothesenbildung und methodisches Vorgehen.............................................................. 243
3
Allgemeine Wahrnehmung von Arbeitszeitflexibilität und Zeitkonflikten ............................ 244
4
Akzeptanz von Teilzeitarbeit .............................................................................................. 248
5
Beurteilung des Rechtsanspruches nach §8 des TzBfG ................................................... 255
6
Literatur .............................................................................................................................. 260
VII
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 2.6:
Organisationales Lernen Carmen Krawetzki
262
1
Einleitung............................................................................................................................ 262
2
Ressourcen und Strukturen................................................................................................ 264
3
Arbeitsrechtlicher Sachverstand......................................................................................... 266 3.1
Art des arbeitsrechtlichen Sachverstandes............................................................266
3.2
Einsatz des arbeitsrechtlichen Sachverstandes ....................................................269
3.3
Informationsaufnahme über weitere Quellen .........................................................272
4
Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit arbeitsrechtlichen Änderungen............................. 273
5
Vorausschauende Planung arbeitsrechtlicher Änderungen............................................... 278
6
Der Einfluss von Arbeitsrecht auf die Personalstrategie .................................................... 280
7
Verbreitung von arbeitsrechtlichen Kenntnissen im Unternehmen .................................... 284
8
Fazit.................................................................................................................................... 288
Literatur...................................................................................................................................... 289
Kapitel 2.7:
Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung Sabine Hübner/Ulrich Zachert
290
1
Hypothesen ........................................................................................................................ 290
2
Zur Methode ....................................................................................................................... 290
3
Ergebnisse der Auswertung ............................................................................................... 291 3.1
Art der Zusammenarbeit...........................................................................................291
3.2
Vorteile eines Betriebsrates .....................................................................................293
3.2.1 Der Betriebsrat als Interessenvertreter der Arbeitnehmer ........................................293 3.2.2 Der Betriebsrat als kompetenter Gesprächspartner und Mitgestalter.......................294 3.2.3 Der Betriebsrat als strukturierendes Element ...........................................................294 3.2.4 Der Betriebsrat als Mittler und Entscheidungsträger.................................................295 3.2.5 Der Betriebsrat als Korrektiv und Beratungsinstanz .................................................295 4
Nachteile eines Betriebsrates............................................................................................. 296 4.1
Stellungnahmen zur faktischen Zusammenarbeit ....................................................296
4.2
Stellungnahmen zum Betriebsverfassungsgesetz ...................................................297
5
Betriebe ohne Betriebsrat................................................................................................... 298
6
Zusammenfassung............................................................................................................. 299
Literatur...................................................................................................................................... 300
VIII
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 2.8: Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen: empirische Analysen Michael Schlese/Florian Schramm
301
1
Wie bekannt ist das Reformvorhaben Arbeitsvertragsgesetzbuch? .................................. 301
2
Kritikpunkte am Reformvorhaben....................................................................................... 302 2.1
Die Einschätzung des ArbVG als Einstellung der Befragten ...................................303
2.2
Positive Wirkungen eines einheitlichen ArbVG ........................................................306
2.3
Negative Urteile über ein ArbVG ..............................................................................307
3
Zum Zusammenhang von Erfahrung, Wahrnehmung und Urteil ....................................... 310
4
Zusammenfassung............................................................................................................. 315
Literatur...................................................................................................................................... 316
Kapitel 2.9:
AribA – Ergebnisse der standardisierten Befragung Florian Schramm/Michael Schlese
317
1
Einleitung............................................................................................................................ 317
2
Zur Methode und Güte der Befragung ............................................................................... 318
3
Das Schema der Analyse................................................................................................... 320
4
Einflussgrößen der betrieblichen Wahrnehmung des Arbeitsrechts .................................. 322
5
Die Wahrnehmung des Arbeitsrechts ................................................................................ 325
6
Einfluss des Arbeitsrechts auf personalwirtschaftliches Verhalten .................................... 334
7
Typen des Umgangs mit dem Arbeitsrecht ........................................................................ 346
8
Fazit.................................................................................................................................... 350
Kapitel 3:
Fazit: Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung - Mythen und Realität Florian Schramm/Ulrich Zachert (unter Mitarbeit von Marcus Bradtke-Hellthaler, Ralph Kattenbach, Carmen Krawetzki, Michael Schlese, Cornelia Schmidt und Aleksandra Worobiej)
354
1
Ziel und Grenzen des Kapitels ........................................................................................... 354
2
Arbeitsrecht und empirische Debatte ................................................................................. 355 2.1
Rechtliche und ökonomische Erwägungen beim Kündigungsschutz ......................355
2.2
Komplexität des Kündigungsrechts: Wahrnehmung, Praxis, Änderungsvorschläge ...............................................................................................................................356
2.3
Flucht aus dem Arbeitsrecht als Grundmuster?.......................................................357
2.4
Endogene Differenziertheit (arbeits-)rechtlicher Normen.........................................358
2.5
Fehleinschätzungen der Wirkung von Arbeitsrecht in der rechtlichen und rechtspolitischen Debatte.......................................................................................359
2.6
Empirie als Hilfe und Herausforderung für den rechtlichen Diskurs ........................360 IX
Inhaltsverzeichnis
3
Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht ........................ 360
4
Wesentliche Ergebnisse der Befragungen zum Kündigungsschutz .................................. 361 4.1
Ergebnisse „AribA“ im Abgleich zum Projekt „Regam“ (Überblick)..........................362
4.2
Ergebnisse AribA zum Kündigungsschutz (quantitative Analyse) ...........................363
4.2.1 Prohibitive Wirkung....................................................................................................363 4.2.2 Innerbetriebliche Wirkung..........................................................................................364 4.2.3 Präventive Wirkung ...................................................................................................364 4.2.4 Bewertung .................................................................................................................365 4.3
Ergebnisse AribA zum Kündigungsschutz (qualitative Analyse)..............................366
4.3.1 Prohibitive Wirkung....................................................................................................366 4.3.2 Innerbetriebliche Wirkung..........................................................................................366 4.3.3 Präventive Wirkung ...................................................................................................367 4.3.4 Kleinstunternehmen...................................................................................................368 4.3.5 Der Kündigungsschutz im Zeitablauf: ein Laboratorium für Experimente.................368 5
Wesentliche Ergebnisse der Befragungen zum allgemeinen Arbeitsrecht ........................ 371 5.1
Ergebnisse „AribA“ im Vergleich zum Projekt Regam (Überblick) ...........................371
5.2
AribA-Ergebnisse zum allgemeinen Arbeitsrecht (quantitative Analyse) .................372
5.3
Ergebnisse AribA zum allgemeinen Arbeitsrecht (qualitative Analyse) ...................373
5.3.1 Die Perspektive der Personalverantwortlichen .........................................................373 5.3.2 Die organisationale Perspektive................................................................................376 6
Fazit und Ausblick .............................................................................................................. 380 6.1
Bestandsaufnahme („Diagnose“) .............................................................................380
6.2
Perspektive („Therapie“)...........................................................................................382
Literatur...................................................................................................................................... 385
Anhang: (Interviewleitfaden)
XIII
X
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Grundmodell – Rezeptionsebenen .........................................................................25 Abbildung 2: Grundmodell AribA .................................................................................................29 Abbildung 3: Auswertung der Frage: Angenommen, Sie hätten drei Wünsche frei im Bereich des Arbeitsrechts: … .........................................................................................................202 Abbildung 4: Auswertung der Frage: Angenommen, Sie hätten drei Wünsche frei im Bereich des Arbeitsrechts: …? .......................................................................................................203 Abbildung 5: Auswertung der Frage: „Was halten Sie von dem Vorschlag, dass der Kündigungsschutz nur noch für Betriebe ab 21 Beschäftigte gelten soll?“ .......................208 Abbildung 6: Auswertung der Frage: „Was halten Sie von dem Vorschlag, dass der Kündigungsschutz nur noch für Betriebe ab 21 Beschäftigte gelten soll?“ .......................211 Abbildung 7: Auswertung der Frage: Was halten Sie von dem Vorschlag, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbaren können, dass der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung auf den Kündigungsschutz verzichtet? ...215 Abbildung 8: Verlängerung der Wartezeit und Abschaffung der Zeitbefristung ........................219 Abbildung 9: Verteilung der Innovationsbereitschaft .................................................................253 Abbildung 10: AribA – Telefonbefragung: Auswertungsschema ...............................................321 Abbildung 11: Funktionalität des Arbeistrechts für die Personalwirtschaft................................327 Abbildung 12: Funktionalität des Arbeitsrechts, einzelne Gesetze ...........................................328 Abbildung 13: Bedeutung der Betriebszugehörigkeit ................................................................329 Abbildung 14: Auswertung der Frage: Haben Sie in den vergangenen 3 Jahren wegen des Kündigungsschutzgesetzes… ...........................................................................................339 Abbildung 15: Gründe für Befristungen .....................................................................................340 Abbildung 16: Beendigungen im Zeitverlauf (SOEP) ................................................................341 Abbildung 17: Betriebsbedingte Kündigungen nach Betriebsgröße..........................................344 Abbildung 18: Verzögerung von oder Verzicht auf Kündigungen..............................................346 Abbildung 19: Telefonbefragung: Das Analyse-Schema...........................................................350
XI
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Funktionen des Rechtsgefühls ...................................................................................64 Tabelle 2: Kognitive Eigenschaften der Funktionen des Rechtsgefühls .....................................68 Tabelle 3: Kontextbereiche für Gerechtigkeitsurteile...................................................................77 Tabelle 4: Arbeitsrechtliche Kenntnisse der Interviewpartner (Selbsteinschätzung) ................161 Tabelle 5: Personelle Veränderungen in den letzten 5 Jahren .................................................171 Tabelle 6: Einflussfaktoren auf die Neueinstellungen ...............................................................174 Tabelle 7: Zusammenhang zwischen der Art der Flexibilisierung und der geäußerten Meinung über Kündigungsschutz (Kreuztabelle)..............................................................................237 Tabelle 8: Verteilung der Betriebsräte .......................................................................................290 Tabelle 9: Informiertheit .............................................................................................................325 Tabelle 10: Bedeutung Länge der Betriebszugehörigkeit .........................................................330 Tabelle 11: Betriebszugehörigkeit und Kündigungsschutz........................................................331 Tabelle 12: Allgemeine Einschätzung des Arbeitsrechts ..........................................................332 Tabelle 14: Statements zur Teilzeitarbeit ..................................................................................335 Tabelle 15: Konflikte intern oder vor dem Arbeitsgericht gelöst, nach Betriebsgröße ..............337 Tabelle 16: Rolle des Arbeitsrechts...........................................................................................338 Tabelle 17: Beendigungen von Arbeitsverhältnissen (Telefonbefragung) ................................342 Tabelle 18: Beendigung von Arbeitsverhältnissen 2000-2004 (SOEP) ....................................342 Tabelle 19: Betriebsbedingte Kündigungen pro Jahr ................................................................343 Tabelle 20: Betriebsbedingte Kündigungen (SOEP, Telefon) ...................................................344 Tabelle 21: Arbeitsrechtliche Ressourcen .................................................................................346 Tabelle 22: Umgang mit dem Arbeitsrecht ................................................................................347 Tabelle 23: Geschlecht der Befragten nach Clustern:...............................................................348 Tabelle 24: Unterschiede zwischen „Situativen“ und „Strategen...............................................349
XII
Einleitung
Einleitung Florian Schramm/Ulrich Zachert
Zum Band Dieser Band informiert umfassend über die bisherigen Forschungsergebnisse des Projektes AribA. Im Zentrum dieses Projektes steht die personalwirtschaftliche Rolle des Arbeitsrechts aus der Perspektive der Personalverantwortlichen. In dieser Einleitung wird zum einen über den Aufbau dieses Projektes mit seiner interdisziplinären Herangehensweise informiert. Zum anderen wird der Aufbau des Bandes erläutert.
1
Charakteristika von AribA: Interdisziplinarität und empirische Fundierung
Mit Hilfe des Projektes wird mit theoretischer, methodischer und empirischer Vorarbeit (vgl. Schramm/ Zachert 2005) die personalwirtschaftliche Rezeption des Arbeitsrechts erforscht. Für einen empirisch fundierten, praxisrelevanten und problemorientierten Zugang zum Thema ist der Rückgriff auf diverse Disziplinen nützlich und nach unserer Überzeugung auch notwendig. So ist neben den unmittelbar angesprochenen substanzwissenschaftlichen Gebieten der Rechtswissenschaft (insbesondere das Arbeitsrecht) und der Betriebswirtschaftslehre (insbesondere die Personalwirtschaftslehre) auch das methodische Gebiet der Organisations- und Personalforschung erforderlich. Darüber hinaus spielen auch die Soziologie (insbesondere die Organisationssoziologie) und die Psychologie (insbesondere die Sozialpsychologie) eine wichtige Rolle. Folgende Primärquellen wurden für AribA erschlossen: -
Erstens wurden Expertengespräche mit 41 verantwortlichen betrieblichen Akteuren (Geschäftsführung, Personalleitung) durchgeführt.
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Zweitens wurde im Jahr 2007 eine standardisierte Begleiterhebung mit 750 Personalverantwortlichen durchgeführt.
Darüber hinaus wurden weitere Daten im Kontext von AribA gewonnen: -
Erstens werden die Daten einer Befragung zur öffentlichen Wahrnehmung des Arbeitsrechts (ÖWAR) primäranalytisch genutzt. So bestand eine Kooperation mit der Arbeitsgruppe „Agenda Moderne Regulierung“ der Bertelsmann Stiftung. Im Zentrum dieser Kooperation steht die Erforschung der Wahrnehmung 1
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des Arbeitsrechts durch die Erwerbsbevölkerung. Hierzu liegen für Deutschland kaum Befunde vor. Daher wurde im Rahmen dieser Kooperation im Herbst 2005 eine Befragung von 1.500 Personen aus der Erwerbsbevölkerung durchgeführt. Themen dieser Erhebung waren u. a. das Image des Arbeitsrechts, Kenntnisse von Gesetzen und inhaltlichen Hauptaussagen von Gesetzen, Erfahrungen mit dem Arbeitsrecht und Bewertungen des Arbeitsrechts. -
Zweitens ist eine qualitative Ergänzungserhebung von Kleinstunternehmern sowie Betriebsräten durch ein studentisches Lehrprojekt des Masterprogramms Human Resource Management-Personalpolitik von Belang. An diesem an AribA angelehnten Projekt nahmen über 30 Studierende verschiedener sozialwissenschaftlicher Studienrichtungen teil. Die Studierenden haben in Ergänzung zu den Interviews von AribA unter Anleitung weitere 30 Expertengespräche vorbereitet, durchgeführt, transkribiert und ausgewertet. Die Zielgruppen dieser Interviews waren Betriebsräte und Kleinstunternehmer, die aus Gründen der Forschungskapazität im Rahmen des AribA-Projektes nicht in die Analyse einbezogen wurden.
Diese auf den o.a. Expertengesprächen beruhenden qualitativen Studien tragen zumeist auf quantitativen Analysen beruhenden Forschungsstand bei. Dabei werden innovative inhaltliche Akzente gesetzt, wenn beispielsweise die Hintergründe für verschiedene Muster des betrieblichen Umgangs mit dem Arbeitsrecht ausgeleuchtet werden. Die Analyse dieser verschiedenen Quellen und deren integrative Interpretation verschaffen in ihrer Kombination von qualitativer und quantitativer Forschung einen theoretisch wie empirisch fundierten Einblick in die "terra incognita" der Rezeption des Arbeitsrechts in der betrieblichen Personalpolitik, der über den gegenwärtigen Forschungsstand hinausweist und für Wissenschaft wie Praxis in bewegten Zeiten Nutzen verspricht.
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Einleitung
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Zum Aufbau dieses Bandes
Im ersten der zwei Hauptteile wird zunächst von Michael Schlese, Florian Schramm und Ralph Kattenbach auf die Theorie und Methode des Projektes eingegangen (Kapitel 1.1). Ausgangspunkt ist ein Ansatz, der problemorientiert die personalwirtschaftliche Rolle des Arbeitsrechts zu analysieren erlaubt. Dieser Ansatz ist interdisziplinär angelegt. Dabei wird insbesondere dem verhaltenswissenschaftlichen Ansatz in der Personalwirtschaftslehre gefolgt, wobei auch Elemente der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie Erwähnung finden. Für die Themenstellung wird ein Mehr-Ebenen-Modell entwickelt. Ergänzend hierzu schildert Ulrich Zachert in Kapitel 1.2 den juristischen Zugang zur Themenstellung. Stark rechtssoziologischem Gedankengut verhaftet sind die Ausführungen von Cornelia Schmidt und Aleksandra Worobiej in Kapitel 1.3, die einschlägige Konzepte und Wurzeln der Rechtssoziologie zur theoretischen Fundierung der empirischen Forschung von AribA identifizieren. Schließlich folgt in Kapitel 1.4 von Marcus Bradtke-Hellthaler ein Beitrag, der die empirische Methode von AribA sorgfältig beschreibt, wobei der Methode der Experteninterviews ein besonderer Stellenwert zukommt. Im zweiten Hauptteil werden die Ergebnisse der Experteninterviews, die den Kern des AribA-Projektes darstellen, vorgestellt und erörtert. Die neun Kapitel folgen nicht einer einzelnen Systematik, ihre Existenz ist vielmehr durch ihre jeweilige Relevanz begründet, was im folgenden erläutert wird: Das Arbeitsrecht besteht aus einer Reihe unterschiedlicher Gebiete, von denen insbesondere – als Gesetzesbereiche – der Kündigungsschutz (Michael Schlese und Florian Schramm, Kapitel 2.2), interne und externe Flexibilisierungsmaßnahmen (Aleksandra Worobiej, Kapitel 2.4), die Teilzeitarbeit und der entsprechende Anspruch auf Teilzeitarbeit (Ralph Kattenbach, Kapitel 2.5) und das Betriebsverfassungsgesetz (Sabine Hübner und Ulrich Zachert, Kapitel 2.7) betrachtet wurden, denen jeweils entsprechende Kapitel gewidmet sind. Als ein anwendungsorientiertes Projekt – und man erinnere sich der intensiven inhaltlichen Diskussion vor einigen Jahren – waren zudem mögliche Neuerungen im Arbeitsrecht von besonderem Interesse. Somit begründen sich die Kapitel zur Einschätzung des diskutierten Arbeitsvertragsgesetzbuchs (Michael Schlese und Florian Schramm, Kapitel 2.8) und zur Bewertung geplanter, arbeitsrechtlicher Neuerungen (Aleksandra Worobiej, Kapitel 2.3). Schließlich eher an den personalwirtschaftlichen Konzepten orientiert sind die Kapitel, in denen die individuelle Rezeption des Arbeitsrechts (Marcus BradtkeHellthaler, Kapitel 2.1) oder die organisationale Rezeption des Arbeitsrechts (Carmen Krawetzki, Kapitel 2.6) beschrieben und theoretisch fundiert erklärt werden. Des Weiteren werden die grundlegenden Ergebnisse der standardisierten Befragung von 750 3
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Personalverantwortlichen im Januar 2007 vorgestellt, die durch Ralph Kattenbach und Florian Schramm konzipiert und vom Markforschungsinstitut Produkt und Markt (Osnabrück) durchgeführt wurde. Die zentralen Ergebnisse dieser Befragung sind von Florian Schramm und Michael Schlese in Kapitel 2.9 dargestellt und kommentiert. Die Interviews mit den Experten wie mit den Laien haben übrigens gezeigt, dass mit Unkenntnis (trügerische) Selbstsicherheit einhergeht. Vice versa zeigt sich, dass mit zunehmendem Wissensstand die Unsicherheit über rechtliche Zusammenhänge wächst. Das gleiche Phänomen dürfte bei der Lektüre dieses Bandes auftreten: Eine intensive Auseinadersetzung mit der Thematik – sei es aus einer bestimmten disziplinären Perspektive, sei es mit einem eher theoretischen oder praktischen Interesse, sei es zu einem bestimmten juristischen oder personalwirtschaftlichen Handlungsfeld etc. – spricht Fragen an, die hier nicht umfassend abgehandelt werden konnten. Manche Aspekte werden selbst bei einer vertieften Analyse mit unserem Material nicht beantwortet werden können (etwa eine Analyse der Rolle des AGG). Viele der noch offenen Fragen jedoch lassen sich grundsätzlich mit den vorhandenen Informationsgrundlagen bearbeiten. Dies sind zum Beispiel die nach multivariaten Zusammenhängen, welche im Rahmen der qualitativen und quantitativen Daten zu beantworten sind. Schließlich ist auch das Verschränken, das Verknüpfen unserer vielfältigen Befunde bislang noch nicht vollständig erfolgt. Wenn deshalb die erhobenen Daten für spezifische Analysen in den nächsten Jahren noch vieles bieten können, hoffen wir dennoch mit dieser – soweit ersichtlich – erstmaligen Kombination von umfassender qualitativer und quantitativer Erhebung sowie der Auswertung von Sekundäranalysen den Schleier darüber, wie Personalverantwortliche mit dem Arbeitsrecht im täglichen Alltag tatsächlich umgehen, jedenfalls ein wenig angehoben zu haben.
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Hintergrund und Förderung des Projektes
Die Herausgeber und die Projektgruppe haben das Projekt in eigener wissenschaftlicher Verantwortung durchgeführt und stehen dafür, auch für eventuelle Defizite, ausschließlich ein. An der Planung und Umsetzung dieses Forschungsprojektes und den in diesem Band enthaltenen Beiträgen waren verschiedene Personen als Autoren beteiligt, denen unser Dank gilt. Aber auch über die Autoren hinaus waren zahlreiche weitere Personen mit weiteren Aufgaben betraut und haben mit jeweils unterschiedlichen Anteilen zum Gelingen des Projektes beigetragen. Dank gebührt hier insbesondere Cornelia Schmidt für ihre engagierte Mitarbeit vor allem bei der Analyse der Lage in den Kleinstunternehmen. Ebenso gilt unser Dank Kirsten Lübbers und Natalie BullingChabalewski für viele Stunden wertvolle Hilfe vor allem in organisatorischen Zusammenhängen. Nicht zuletzt danken wir den zahlreichen Interviewerinnen und Intervie4
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wern, insbesondere aus dem Masterstudiengang Human Ressource ManagementPersonalpolitik, für ihre engagierte Unterstützung während unserer Feldphase. Unser ganz besonderer Dank gilt den unzähligen Praktikern in den Unternehmen, die mit großer Offenheit und Interesse auch für lange Interviews zur Verfügung standen und uns wertvolle Einblicke in ihre betriebliche Praxis gewährten. Insbesondere ist es den Projektleitern ein Anliegen, der Hans-Böckler-Stiftung und dem WSI für die großzügige Förderung über zwei Jahre zu danken, ohne die das Projekt nicht hätte durchgeführt werden können. Der Dank gilt insbesondere der Geschäftsführerin der HBSt und Wissenschaftlichen Direktorin des WSI, Frau Prof. Heide Pfarr, für vielfältige Unterstützung und den anregenden, kritischen und sehr produktiven Dialog, mit dem sie das Projekt begleitete. Ferner danken wir Frau Dr. Gudrun Linne als zuständige Referatsleiterin in der Forschungsförderung, die half, das Projekt, auf den Weg zu bringen und Dr. Sebastian Brandl als deren Nachfolger für die kritischen und ebenfalls sehr hilfreichen Anregungen in seiner Endphase.
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Publikationen und Medienresonanz -
Böckler impuls (2006): Arbeitsrecht: Kaum Einfluss auf neue Jobs. 14/2006.
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Böckler impuls (2007): Personaler kommen gut zurecht. 8/2007.
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Bradtke, M./Schlese, M./Schramm, F. (2005): Personalpolitische Rezeption des Arbeitsrechts: Konzeptionen in umkämpftem Terrain. In: WSI-Mitteilungen. Heft 10. S. 589-595.
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o.V. (2007): Belastbar und funktional. Eine aktuelle Befragung von Personalchefs zur Rolle des Arbeitsrechts in der betrieblichen Praxis. In: Die Mitbestimmung. 5/2007.
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Schlese, M./Schramm, F./Bulling-Chabalewski, N. (2005): Zu den Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitskräften. In: WSI-Mitteilungen. Heft 2005. S. 568-574.
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Schramm, F. (2007): Das Arbeitsrecht in der öffentlichen Wahrnehmung – ausgewählte Befragungsergebnisse. Recht der Arbeit. Heft 5. Beck: München. S. 267-275.
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Schramm, F. (Hrsg.) (2007): Herausgabe eines Schwerpunkt-Hefts der management revue. Vol. 8. Hampp: München/Mering.
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Schramm, F./Schlese, M. (2005): Beschäftigungsbedingungen und Tarifpolitik in der Gebäudereinigung. In: Budäus, Dietrich (Hrsg.): Governance von Profitund Nonprofit-Organisationen in gesellschaftlicher Verantwortung. Deutscher Universitäts-Verlag/GWV Fachverlage GmbH: Wiesbaden. S. 123 -146.
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Schramm, F./Schlese, M. (2005): Working Conditions under Economic Pressure: The Case of the German Cleaning Industry. In: management revue, vol. 16, issue 4, 2005, S. 494 - 511.
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Schramm, F./Schlese, M. (2007): Fraglicher Gewinn?. Personal 1/2007. S. 29 34.
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Schramm, F./Schlese, M. (2007): The Role of Dismissal Protection in Personnel Management. In: management revue. Vol. 3/2007. Hampp: München/ Mering. S. 322 - 349.
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Zachert, U. (2007): Der Arbeitsrechtsdiskurs und Rechtsempirie - eine schwierige Debatte. In: WSI Mitteilungen 8. S. 421 - 426.
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Die Projektergebnisse wurden zudem von der Projektgruppe auf dem 6. HansBöckler-Forum zum Arbeits-und Sozialrecht am 8./9.März 2007 in Berlin vorgestellt und einer kritischen Diskussion unterzogen.
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1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Kapitel 1.1: Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell Florian Schramm/Michael Schlese/Ralph Kattenbach
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Sichtweisen auf das Verhältnis von Arbeitsrecht und Personalpolitik
In den Medien wird die wirtschaftliche Rolle des Arbeitsrechts tagtäglich kontrovers diskutiert. So wird beispielsweise regelmäßig ein enger Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Dynamik und der Rechtsordnung hergestellt. Neben dem Steuer- und Umweltrecht wird das Arbeitsrecht bevorzugt für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland verantwortlich gemacht: Steigt die Zahl der Arbeitslosen, haben Vorschläge zur Deregulierung des Arbeitsrechts Konjunktur, zumal die Arbeitsmarktlage auch die sozialen Sicherungssysteme tangiert. Der Politik werden seitens der arbeitgebernahen Interessenverbände Vorschläge für gesetzgeberisches Handeln angedient. Volkswirte bieten Konzepte der Änderung des Arbeitsrechts, mit denen der verkrustete Arbeitsmarkt aufgebrochen werden könne, Arbeitsrechtler sekundieren mit konkreten Vorschlägen. Gegenargumente werden u. a. seitens der Gewerkschaften vorgebracht. Auch hier werden vom Arbeitsrecht und – schon seltener – von der Ökonomie Argumente formuliert, die für eine Beibehaltung der arbeitsrechtlichen Regelungen sprechen (vgl. bspw. Herrmann 2005: 65). Diese öffentliche Diskussion wird zum einen äußerst wertgeladen und interessengeleitet geführt. Zum anderen herrschen nicht selten – wie etwa beim Zusammenhang von Kündigungsschutz und Arbeitslosigkeit – stark vereinfachende Zusammenhangsvermutungen vor, die für eine sachdienliche Erörterung kaum hilfreich sind (zu dieser Diskussion vgl. ausführlich: Zachert, Kapitel 1.2; sowie Worobiej, Kapitel 2.3). Aus juristischer Perspektive werden in den Fachmedien und der Rechtssprechung unter einer relativen Vernachlässigung sozialwissenschaftlicher und ökonomischer Erkenntnisse Recht, Rechtssprechung und evtl. Rechtswirklichkeit erörtert. In diesem Diskurs spielt – stark vereinfacht, verallgemeinert und mit einer Außenperspektive betrachtet – die divergierende Akzentuierung des Arbeitsrechts als Schutzrecht von systematisch unterlegenen Arbeitnehmern bzw. als Arbeitsvertragsrecht für die Akteure auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle. Dieser Diskurs orientiert sich jedoch in erster Linie an eigenen Regeln, was im Interesse des Erhalts des Rechtssystems als gesellschaftliches Funktionssystem auch erforderlich ist. Zwar werden Betriebe mit Hilfe von Recht aufgebaut und erhalten, so dass das Wirtschaftssystem eines funktionierenden Rechts7
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
rahmens bedarf. Im Sinne der Funktionstüchtigkeit des gesamten Rechtssystems darf dieses jedoch nicht systematisch durch einzelne wirtschaftliche Aspekte determiniert sein. Stattdessen teilt es mit anderen sozialen Systemen typische Grundeigenschaften wie Selbstreferenz, Selbsterzeugung und operative Geschlossenheit. So erstaunt es nicht, dass die Koppelung von Arbeitsrecht und Wirtschaftssystem – trotz der konstitutiven Funktion des Rechts für die Unternehmen und Marktbeziehungen – eher lose ist. Im arbeitsrechtlichen Diskurs müssen z.B. beim Kündigungsschutz andere Aspekte als die der Wirtschaftlichkeit zur Geltung gebracht werden. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt, die sich durch Parameter wie Erwerbstätige, Erwerbslose, Arbeitsvolumen, Einkommen charakterisiert, ist unbestritten eines der zentralen Themen der makroökonomischen Analyse, in der – unter Zugrundelegung einer Theorie – empirische Aussagen über den Zusammenhang von aggregierten Daten zum Wirtschaftsleben getroffen werden. Dabei lassen sich im internationalen Vergleich verschiedene Rechtssysteme bzw. in den Systemen hervorgebrachte Rechtstatsachen zu dem aggregierten Beschäftigungsverhalten (Beschäftigungsniveau) und den konjunkturellen Bedingungen in Beziehung setzen. Auf dieser Makroebene (vgl. z.B. OECD 2002) sind die Zusammenhänge von Arbeitsrecht und Arbeitsmarktlage uneinheitlich. Direkte Beschäftigungseffekte im Sinne eines generellen Zusammenhangs von „Rigidität des Arbeitsrechts“ und Arbeitslosigkeit sind kaum nachzuweisen, jedoch im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Die rechtlichen Vorschriften scheinen moderierend auf das Beschäftigungsverhalten bei konjunkturellen Schwankungen zu wirken. Ein restriktiver Rechtsrahmen (starker Kündigungsschutz) wirkt demnach verzögernd sowohl auf das Einstellungs- als auch auf das Entlassungsverhalten (vgl. OECD 1999: 50, 80; erläuternd Höland 2003: 6). Nachgewiesen sind weiterhin etwa nationale Differenzen bei der Anpassung der Beschäftigung an konjunkturelle Veränderungen, die als Folge der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen in verschiedenen Ländern interpretiert werden können (vgl. Sadowski 2004: 4; siehe auch: Zachert, Kapitel 1.2 und Worobiej, Kapitel 2.3). Diese Aspekte allein reichen für eine Beurteilung der personalwirtschaftlichen Rolle des Arbeitsrechts nicht aus, da eine Korrelation auf aggregierter Ebene um Erklärungen von Zusammenhängen der individuellen betrieblichen Mikroebene zu ergänzen ist. So wäre vorstellbar, dass z. B. eine rechtlich induzierte Verzögerung zu einem verantwortlicheren Umgang mit der Ressource Personal zwingt, welcher sich letztlich als positiver Effekt auf die betriebliche Effizienz zeigt. Die personalpolitische Diskussion wird unter verschiedenen Bezeichnungen geführt. Der Begriff der Personalpolitik selbst ist nicht einheitlich definiert. Weitere Begriffe wie 8
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Personalmanagement, Personalwesen etc. bedeuten oftmals Ähnliches, manchmal wird mit ihnen ein spezifischer Akzent gesetzt (vgl. Krell 1996). Wir verstehen unter „Personalpolitik“ die bewusste und tendenziell mittel- bis langfristig orientierte Gestaltung klassischer personalwirtschaftlicher Funktionsgebiete unter Berücksichtigung der Interessen der beteiligten Akteure. Derartige Funktionsgebiete sind etwa die Personalbedarfsplanung, die Arbeitszeitgestaltung oder die Vertragsgestaltung. In der Fachdiskussion lassen sich verschiedene Strömungen identifizieren, die sich – oftmals mit erheblichen Überschneidungen – in ihrer Perspektive, ihren Grundannahmen, ihrer wissenschaftlichen Methode etc. unterscheiden. In den letzten Jahren wurde dieser theoretischen Selbstbestimmung Raum gegeben (vgl. etwa Weber/Kabst 2004). Als prominente und divergierende Ansätze sind die an der Neuen Institutionenökonomie orientierte „Personalökonomie“ und die verhaltenswissenschaftlich orientierte Personalwirtschaftslehre zu nennen. Diese zwei ausgewählten Positionen decken natürlich nicht das ganze Spektrum ab. Sozialtheoretische Ansätze wie die Bezugnahme auf Coleman (vgl. Matiaske 2004) oder die systemtheoretische Perspektive (vgl. Mayrhofer 1996) stellen weitere Varianten dar, die für das Verhältnis von Arbeitsrecht und Personalpolitik von Belang sind. In einer systemtheoretischen Perspektive etwa würden Rechts- und Wirtschaftssystem als Funktionssysteme angesehen werden, die vor allem selbstreferent, d.h. an der Grundlage eigener Selbstbeschreibungen und der Beschreibungen anderer Lebensbereiche orientiert sind. Diese Funktionssysteme „beobachten“ einander in der Logik und Art und Weise ihres jeweils eigenen Operierens. Die Kopplung von Recht und Wirtschaft ist somit eher lose. In der Personalwirtschaftslehre werden mit der Neuen Institutionenökonomie mikroökonomische Ansätze vertreten, die mit dem Anspruch einer größeren Wirklichkeitsnähe die neoklassische Mikroökonomie entwickeln. Im Gegensatz zum neoklassischen Grundmodell werden etwa die für die aus der Teilnahme an Märkten entstehenden Kosten, die asymmetrische Informationsverteilung auf Arbeitsmärkten und die Rolle der Verfügungsrechte für das wirtschaftliche Verhalten berücksichtigt (vgl. jeweils Richter/Furubotn 1999). Institutionen sind hierbei Regeln, die das Zusammenleben von Menschen bestimmen, von der einfachen Absprache bis zum komplexen Regelwerk. Drei Teilgebiete seien genannt: Im Transaktionskostenansatz werden durch die Gründung, Nutzung und Veränderung von Institutionen reale Ressourcen verbraucht, so dass entsprechende Transaktionskosten entstehen. Je nach institutionellem Arrangement unterscheiden sich die Transaktionskosten in Art und Höhe. Die Höhe der Transaktionskosten bestimmt, ob eine wirtschaftliche Transaktion über den Markt, im Rahmen einer Organisation oder in einer Zwischenform getätigt wird.
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1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Der Property-Rights-Ansatz thematisiert, dass der Umgang mit den knappen Ressourcen von der Struktur der Verfügungsrechte innerhalb der Gesellschaft abhängt. Diese Verfügungsgewalt wird durch eine Ordnung bestimmt. Die Verfügungsrechte werden von Individuen wahrgenommen, die unter der Annahme vollständiger oder auch eingeschränkter Rationalität den Nutzen aus ihren Verfügungsrechten zu maximieren suchen. So lassen sich Vorhersagen zum Verhalten der Individuen aus der Verteilung der Verfügungsrechte ableiten. Der Principal-Agent-Ansatz: Gerade bei Arbeitsverträgen sind Informationen unterschiedlich verteilt: Der Arbeitskraftanbieter verfügt teilweise über Informationsvorsprünge gegenüber der Arbeitskraftnachfrage, die Zukunft ist für beide Seiten unsicher. Die Ausgestaltung eines relationalen Vertrages ist vor allem dann von Bedeutung, wenn ein oder beide Vertragspartner hohe Investitionen getätigt haben, die bei Abbruch der Beziehung verloren wären. Diese Situation ermöglicht es opportunistischen Vertragspartnern, durch vertragswidriges Verhalten Vorteile zu erzielen. Das Gegenüber kann sich nur in Maßen wehren, da die Erfüllung relationaler Vereinbarungen nicht eindeutig zu diagnostizieren ist. Daher sind Regeln der relationalen Verträge so zu fassen, dass sie trotz des Informationsproblems auf Dauer den Interessen beider Seiten gerecht werden. Innerhalb der Principal-Agency-Beziehung gilt es, den Opportunismus des Agenten, der durch seinen Informationsvorsprung hinsichtlich der Ausführung seiner Leistung begünstigt wird, durch geeignete Anreize zu reduzieren. Die ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, wie sie die Neue Institutionenökonomie pflegt, verknüpft explizit rechtliche Regeln und personalpolitisches Verhalten auf theoretischer Ebene. Aufgrund des Abstraktionsniveaus der Analyse werden Organisationen oftmals quasi als nutzenmaximierende, rationale Individuen gedeutet, für die Änderungen des Arbeitsrechts im wesentlichen Änderungen des zu berücksichtigenden Datenkranzes darstellen, die bewertet werden und in die Entscheidungen der Organisation einfließen. Das Menschenbild des Homo Oeconomicus als Ausgangspunkt der neueren mikroökonomischen Ansätze operiert vereinfachend: Menschen verfolgen als selbständige Akteure die Maximierung ihres Wohlbefindens. Hierfür wägen sie unter Berücksichtigung (subjektiver) Wahrscheinlichkeiten verschiedene Alternativen ihres Handelns ab. Es beinhaltet weder unbegrenztes Streben nach Gewinnmaximierung noch objektive Rationalität. Auch unterliegt die Informationsverarbeitung und -gewinnung dem subjektiven Nutzenkalkül. Diesbezügliche Entscheidungen basieren auf der individuellen Nutzeneinschätzung – sind also ökonomisch determiniert. Den oftmals vorgebrachten Einwendungen gegen die schlichten wie ernüchternden Annahmen beim Modells des Homo Oeconomicus – bzw. einer Variante – wird vorrangig methodisch entgegengetre10
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
ten: Ökonomen arbeiteten mit dem Abstraktionsprinzip, sie machen in einem Modell vereinfachende Annahmen, die andere Fragen eliminieren, um den interessierenden Gegenstand betrachten zu können. Wie oben ausgeführt, wird von etlichen Fachvertreter(innen) in der Personalwirtschaftslehre eine verhaltenswissenschaftlich orientierte Perspektive vertreten. Diese Perspektive zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: Fragestellungen werden problemorientiert entwickelt und Lösungen interdisziplinär gesucht, indem auf die jeweils besten Theorien unterschiedlicher Provenienz zurückgegriffen wird. So wird auch die erforderliche Wissensbasis bereitgestellt, die für die oftmals komplexen Problemstellungen nötig ist. In wissenschaftstheoretischer Hinsicht ist diese Perspektive am Kritischen Rationalismus orientiert (vgl. Martin 2004: 202). In inhaltlicher Hinsicht wird bei dieser Herangehensweise nach Bedarf auf Modelle und Theorien zurückgegriffen, in denen überwiegend die unterschiedenen Ebenen Individuum, Gruppe und Organisation unterschieden werden: Auf der Individualebene kommt in dieser Perspektive etwa den Konstrukten Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation eine zentrale Beutung zu. Auf der Gruppenebene sind beispielsweise Effekte der Zusammensetzung von Teams zu nennen, während auf der Organisationsebene beispielsweise die Kultur von Organisationen erörtert wird. Mit Blick auf das Menschenbild wird in der verhaltensorientierten Personalwirtschaftslehre nicht auf ein einfaches und einheitliches Modell zurückgegriffen. Stattdessen werden verschiedene Theorien herangezogen, um Verhaltensweisen geeignet beschreiben und erklären zu können. Dies gilt beispielsweise für die Formen der Informationsverarbeitung, für die Zuschreibung von Ursachen für Phänomene, die von den betrachteten Individuen vorgenommen wird, die Gewichtung von ggf. widersprüchlichen Informationen, die Verteilung von Werthaltung oder Persönlichkeitstypen. „Psychologische Gesetzmäßigkeiten“ sind nicht nur wesentliche Bestimmungsfaktoren wirtschaftlichen Handelns, sondern gelten auch für die Wahrnehmung arbeitsrechtlicher Regelungen (vgl. Wißmannn 2003: I). Wie weit diese Wirkungen reichen, ist im Wesentlichen noch ungeklärt. Hier bieten sich mit der Heiderschen Attributionstheorie (vgl. Försterling 1994) oder der Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger (1978) bewährte Konzepte der verhaltenswissenschaftlich geprägten Organisationsforschung zur wissenschaftlichen Analyse der zitierten "Gesetzmäßigkeiten" an. Diese unübersichtlichen, ggf. auch inkompatiblen Modelle vom Menschen unterscheiden sich deutlich vom Menschenbild des Homo Oeconomicus, wiewohl durchaus auch Gemeinsamkeiten existieren: Akteure und ihr Verhalten sind für das wirtschaftliche Geschehen relevant. Sie beurteilen Alternativen vor dem Hintergrund ihrer Ziele und suchen nach möglichst vorteilhaften Lösungen. 11
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Während in der oben skizzierten Neuen Institutionenökonomie das Recht expliziter Gegenstand der Analyse ist, ist dies bei den verhaltensorientierten Ansätzen eher implizit der Fall: „objektive“ Begebenheiten korrespondieren mit subjektiven Wahrnehmungen etc., die wiederum für das Verständnis des Verhaltens der Akteure ausschlaggebend sind. Das Arbeitsverhältnis selbst wird aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht als psychologischer Vertrag gesehen, der gegenseitige Erwartungen enthält und dessen Inhalte sich im zeitlichen Ablauf dynamisieren. Die Nähe zum oben erwähnten unvollständigen Vertrag ist offensichtlich. Die stilisierte Gegenüberstellung lenkt dabei von den Gemeinsamkeiten der skizzierten Perspektiven ab, die u. a. an der Ausrichtung am methodologischen Individualismus ersichtlich sind.
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Die drei Ebenen des Grundmodells
An die skizzierten Perspektiven anknüpfend wird nun ein Modell zur betrieblichen Rezeption des Arbeitsrechts vorgestellt, das das Verhalten der Akteure in Organisationen (insbesondere Personalverantwortliche) und das Verhalten der Organisationen selbst beschreibt. Wir unterscheiden drei Ebenen, wobei im Folgenden die Ebenen der Organisation und die Ebene der Akteure näher beschrieben werden. In diesem Modell werden die jeweils vorliegenden „Teilrationalitäten“ der Akteure in ihrem Funktionszusammenhang berücksichtigt. So erfolgt eine Beschreibung und Erklärung personalpolitischen Verhaltens im Kontext sozialer und individueller Faktoren. Dieser Ansatz folgt der Argumentationsfigur Colemans (1995), mit der "Makro-Variablen" durch Variablen auf der MakroEbene unter Einbezug der Mikro-Ebene erklärt werden. -
Recht und Wirtschaft bilden gesellschaftliche Teilsysteme (Funktionssysteme), die durch den wirtschaftswissenschaftlichen und den juristischen Diskurs repräsentiert sind.
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Organisationen als korporative Akteure und soziale Systeme eigener Art handeln im Rahmen des Wirtschafts- und Rechtssystems und orientieren dabei ihr Verhalten an den Regeln beider Funktionssysteme. Welche konkreten Ziele und Aufgaben verfolgt die Personalpolitik, die durch Arbeitsrecht tangiert wird? Zunächst ist eine langfristige Personalstrategie von den eher operativen Tätigkeiten zu unterscheiden. Recht kann sich direkt auf operatives Geschehen auswirken, wenn etwa rechtliche Rahmenbedingungen für die Arbeitszeitgestaltung geändert werden. Fraglich ist dagegen, ob und wie sich mittelbare Effekte 12
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
auf langfristige Strategien nachweisen lassen (vgl. Klimecki/Gmür 1998: 481; Peuntner 2002: 305). Zu den wesentlichen, von der Personalpolitik verfolgten Aufgaben und Ziele zählen nach Nienhüser (2004: 229) folgende: Erstens gilt es, die Produktionskosten zu senken, wobei Recht entsprechende Kalküle berührt, wenn beispielsweise ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Zweitens sind die Transaktionskosten im Rahmen der Personalarbeit zu senken, die ebenfalls durch Arbeitsrecht beeinflusst werden. Drittens ist das Problem der Transformation von grundsätzlicher Verpflichtung zur tatsächlichen Arbeitsleistung zu bewältigen. Hier greift Recht konkret durch die Existenz von Regelungen zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen wie insb. dem Kündigungsschutzgesetz ein. Viertens handelt es sich bei Personalpolitik auch immer um das Formulieren, Realisieren, Durchsetzen Aushandeln von Interessen und das Ausloten temporärer Koalitionen. Im Mittelpunkt stehen dann Machtstrukturen (vgl. Nienhüser 1998; 2003), deren Basis durch Recht unmittelbar und mittelbar beeinflusst wird, indem etwa eine Kündigung von Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich ausgeschlossen ist oder die Gestaltung der Beschäftigtenstruktur durch z.B. das Teilzeit- und Befristungsgesetz oder Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in bestimmte Bahnen gelenkt wird. -
Akteure: Auch die Personalpolitik ist das Ergebnis und die Aggregation individuellen Handelns. Um die konkreten Ergebnisse der Personalpolitik und deren Gründe nachzuvollziehen, lohnt es sich, die Ziele, Aufgaben der einzelnen Akteure zu vergegenwärtigen. Die Akteure innerhalb der Organisationen berücksichtigen den organisationalen und systemischen Kontext und werden dabei von ihren Wahrnehmungen, Erfahrungen, Werten und Einstellungen geleitet. Die Ziele der Personalverantwortlichen mögen – schon aus Legitimationsgründen – in weiten Teilen den obigen der Personalpolitik entsprechen. Jedoch existieren hierbei bestimmte Verhaltensspielräume (vgl. Klimecki/Gmür 1998: 484). Eine erste qualitative empirische Befragung von Personalleitern sowie Betriebsräten zu ihrem Umgang mit dem Arbeitsrecht machte bereits deutlich, dass sich die Unternehmen und verantwortlichen Akteure bei ihrem arbeitsrechtlichen Umgang verschieden Typen zuordnen lassen (zu dieser Typologie vgl. Hübner 2005: 471ff.). Hier stellt sich die Frage nach den Ursachen der jeweiligen Ausgestaltung existierender oder auch erwirkter Freiräume. Verhaltensweisen sind zudem Ergebnis der jeweilig wechselseitig vorgenommenen Zuschreibungen, „Erwartungserwartungen“, die in ihrer Konsequenz Verhaltensweisen zeitigen können, die „win-win“-Situationen nutzen oder in ein Gefangenendilemma führen, in dem auch trotz durchaus rationalen Beweggründen 13
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
der einzelnen Akteure das Gesamtsystem Betrieb Kooperationsgewinne nicht realisieren kann. Dabei scheinen Leitbilder und Vorurteile für die Akteure oftmals wichtiger als die konkreten Situationen (mit ihren Problemlösungsmöglichkeiten) zu sein. Da die Akteure nur einen Teil ihrer Einstellungen in ihr Verhalten umsetzen können, ist ihre organisatorische Einbindung von Interesse. Der so nahe liegende Zusammenhang zwischen Arbeitsrecht, dem Verhalten der Akteure in den Betrieben und der betrieblichen Personalpolitik ist an eine Reihe von expliziten oder impliziten Annahmen über die Funktionsweise betrieblicher Personalpolitik und des Verhaltens der Akteure geknüpft, wie im folgenden skizziert wird (vgl. auch Bradtke et al. 2004: 138f.). Beim Arbeitsrecht sind insbesondere das Kündigungsschutzgesetz, das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sowie das Betriebsverfassungsgesetz von Interesse. Neben Recht und Rechtsänderungen stellen z.B. technologische Entwicklungen, makroökonomische und politische Entwicklungen, sozialstrukturelle und kulturelle Entwicklungen relevante Umweltvariablen der Makro-Ebene dar. In dieser sich kontinuierlich verändernden Umwelt reagieren Akteure in den Betrieben auf der Mikro-Ebene auf derartige Einflüsse, sofern von ihnen ein entsprechender Handlungsbedarf wahrgenommen wird. Nachfolgend werden betriebliche Entscheidungen getroffen und umgesetzt, zu denen dann auch personalpolitische Entscheidungen wie beispielsweise Beschäftigungsentscheidungen zählen. Diese innerbetriebliche Entscheidungsfindung ist in gewachsene Strukturen eingebunden. Im Ergebnis entstehen Verhaltensweisen des Betriebs auf der MesoEbene. In diesen Grenzen verfügt die Personalpolitik zwar über erhebliche Handlungsspielräume in strategischer wie taktischer Hinsicht, jedoch sind aufgrund der Bedeutung der Mitbestimmung und der zentralen ökonomischen Bedeutung der Einstellungen und Verhaltensweisen der Beschäftigten auch für den wirtschaftlichen Erfolg die Belange und Interessen der Beschäftigten zu berücksichtigen (vgl. Oechsler 1998: 472ff.). In der Aggregation wird damit auf der Meso-Ebene, ex post betrachtet, ein "Output" von Gütern und Dienstleistungen erzeugt, der mit einem bestimmten Beschäftigungsumfang, einer bestimmten Anzahl von Einstellungen und Entlassungen etc. erstellt wurde. Diese einzelwirtschaftlichen Beschäftigungsvolumina wiederum aggregieren sich schließlich zu einem gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsvolumen auf der Makro-Ebene, das als Arbeitsnachfrage wesentlich auf die Struktur und Dynamik des Arbeitsmarktes einwirkt. Wir müssen die Operation des Arbeitsrechts zugleich auf der Ebene der Funktionssysteme, der Organisationen und der Akteure untersuchen, um ein adäquates Bild zu gewinnen. Hierzu ist die in unserem Forschungsprojekt im Zentrum stehende Methodik des leitfadengestützten Experteninterviews besonders geeignet, individuelle betriebli14
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
che Problemlagen sowie die damit verbundenen Einstellungen und Motivationen der Personalverantwortlichen herauszuarbeiten (vgl. Bogner et al. 2002). So leisten wir sowohl einen theoretischen als auch einen empirischen Beitrag zur Debatte über die Rolle des Arbeitsrechts in der betrieblichen Personalpolitik. Unabhängig von der tatsächlichen Wirkung des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts mit seinen Bestandteilen wie Arbeitsvertragsrecht, Kündigungsschutz, Teilzeit- und Befristungsregelungen, Regelungen bei Betriebsübernahmen, Umwandlungen und ähnlichem, Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsrecht etc. ist die subjektive Wahrnehmung desselben bei den Betroffenen (Arbeitnehmern und Arbeitgebern) zu betrachten, zu denen auch jener Teil der Erwerbsbevölkerung gehört, der nicht arbeitet (zum Beispiel aufgrund von Arbeitslosigkeit). Die subjektive Wahrnehmung des Arbeitsrechts stellt einen eigenen Untersuchungsgegenstand dar. Soweit man die These vertritt, dass subjektive Wahrnehmungen handlungsleitend für die Wirtschaftssubjekte sind, hat diese natürlich auch eine Bedeutung für die objektiven Wirkungen des Arbeitsrechts im Beschäftigungssystem. Bezüglich der Wahrnehmung des Arbeitsrechts unterscheiden wir drei Bezugsebenen: 1. Einstellungen zum Arbeitsrecht 2. Wissen über das Arbeitsrecht 3. Erfahrungen mit dem Arbeitsrecht Einer systemtheoretischen Grundposition folgend, gehen wir zunächst davon aus, dass diese Bezugsebenen unabhängig voneinander existieren können: Wir können stabile Einstellungen vertreten, die weder mit unserem konkreten Wissen über einen Gegenstand noch mit tatsächlichen Erfahrungen mit diesem Gegenstand zu tun haben. Diese Einstellungen können zudem in sich widersprüchlich sein oder die tatsächliche Widersprüchlichkeit des Gegenstandes widerspiegeln oder auch beides. Auch das Wissen über einen Gegenstand muss nicht von eigener Erfahrung gesättigt sein. Es mag in einzelnen Aspekten (nicht) zutreffen; und es kann praktisch zutreffend sein, obwohl wir es nicht systematisch erworben und abgespeichert haben – insbesondere die Systematik der Experten muss uns nicht geläufig sein, obwohl wir zutreffende Teilaspekte kennen können. Unsere Erfahrungen können zu einer Anreicherung mit Wissen führen, die Einstellungen beeinflussen, oder diese Aspekte weitgehend unberührt lassen. Zudem kann das Ausmaß der tatsächlichen Erfahrung mit einem gesellschaftlichen Gegenstand unabhängig von der Intensität der Diskussion über diesen Gegenstand sein. Das gilt auch und insbesondere, wenn sich verschiedene Fachkulturen dieses Gegenstandes annehmen und er seinen Eingang in die „veröffentlichte Meinung“ gefunden hat. 15
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
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Kognitiven Erklärungen für das Denken und Handeln von Akteuren
Die oben skizzierten Größen sind Komponenten umfassenderer Modelle der kognitiven Sozialpsychologie, von der im Folgenden mehrere Konzepte vorgestellt werden, denen im Rahmen der empirischen Analysen Erklärungskraft zukommt. Hierbei handelt es sich um Effekte, die im Rahmen der Theorie der kognitiven Dissonanz (Subtyping und anekdotische Evidenz), im Rahmen der Motivationstheorie (Reaktanz) beschreibbar sind oder als „psychologischer Vertrag“ firmieren. Dieser „Vertrag“ steht für die gegenseitigen Erwartungen und Verpflichtungen in der Arbeitsbeziehung. Zur Dissonanztheorie: Die Welt liefert uns eine nicht zu verarbeitende Masse an Sinneseindrücken und Informationen. Entsprechend des Bottleneck-Ansatzes in der Aufmerksamkeitstheorie (vgl. Pashler 1984) zwingt uns die beschränkte Verarbeitungskapazität der Sinnesorgane, unsere Aufmerksamkeit zu fokussieren, wichtige von weniger wichtigen Informationen zu unterscheiden und diese schnell und ohne großen Aufwand kognitiv zu verarbeiten, um handlungsfähig zu bleiben. Die Dissonanztheorie bietet uns Erklärungen, welche Mechanismen und Selektionen bei der Informationsverarbeitung wirken. Auf die Theorie und die praktische Relevanz im Rahmen der vorliegenden Studie wird im Folgenden eingegangen. Nicht nur von der informationsökonomischen Seite betrachtet, sondern auch aus motivationaler Sicht gibt es gute Gründe, eingehende Informationen nicht objektiv und gleichgewichtet zu behandeln und extensiv zu prüfen, sondern entsprechend vorherrschender Einstellungen und Schemata in bestehende Denkmuster einzuordnen. Dies lässt sich anhand der kognitiven Dissonanz und anderer Ansätze der Kognitionsforschung illustrieren (vgl. Kunda 2000; Frey/Irle 1993). Die Theorie der kognitiven Dissonanz (vgl. Festinger 1962) besagt im Wesentlichen, dass der Mensch bestrebt ist, ein Gleichgewicht im kognitiven System herzustellen und zu erhalten. Das kognitive System soll in sich schlüssig, konsistent und zeitlich stabil sein. Unter Kognitionen werden die mentalen Prozesse eines Individuums wie Gedanken, Einstellungen, Absichten etc. verstanden. Kognitionen stehen im wechselseitigen Einfluss mit Emotionen und mit dem Verhalten eines Individuums. Dementsprechend fügen sich mit bestehenden Schemata konsonante Informationen problemlos in das kognitive System ein, während widersprüchliche, dissonante Informationen das Gleichgewicht stören. Das Individuum ist motiviert, wahrgenommene Dissonanzen zu beseitigen, wofür es verschiedene Strategien gibt. Dies kann bspw. durch Aufnehmen neuer Kognitionen 16
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
(Addition), bzw. durch das Ersetzen dissonanter Kognitionen (Substitution) geschehen oder auch durch Verdrängen störender Kognitionen (Subtraktion). Es können auch Dissonanzen zwischen Kognitionen und Verhalten auftreten, so dass entweder das Verhalten dem Denken oder das Denken dem Verhalten angepasst werden muss, um die Dissonanz zu beseitigen. Bestehende Überzeugungen und Einstellungen leiten bereits die Informationsaufnahme und Bewertung. So werden dissonante Informationen als Bedrohung für bestehende Schemata im Allgemeinen1 weniger beachtet oder in ihrer Bedeutung abgewertet. Nach Festinger haben Kognitionen einen größeren Änderungswiderstand, wenn sie in einem Geflecht mit vielen anderen konsonanten Kognitionen verwoben sind und wenige Verbindungen zu dissonanten Kognitionen haben. Daneben hat aber auch die Umwelt erheblichen Einfluss auf unsere Denkmuster. Kognitionen, die mit vielen anderen nahe stehenden oder autoritären Personen geteilt werden, wie allgemeine Normen und Werte sind bspw. sehr änderungsresistent. Ein dritter Einflussfaktor sind die Konsequenzen von kognitiven Veränderungen. Die Aufhebung einer Dissonanz kann weitere und größere Dissonanzen hervorrufen, was die Änderungswahrscheinlichkeit reduziert (vgl. Frey/Greif 1997). Die Dissonanztheorie findet in vielen Bereichen wie bspw. bei Kaufentscheidungsprozessen Anwendung und wurde verschiedentlich weiterentwickelt und dem jeweiligen Forschungsgegenstand angepasst. Bezogen auf die interviewten Personalverantwortlichen lassen sich ebenfalls zentrale Dissonanzen vermuten. Gerade den Personalverantwortlichen kommt im Betrieb eine konfliktreiche Rolle zu, da sie nicht im eigentlichen Vorgesetztenverhältnis zu den Arbeitnehmern stehen, sondern die Aufgabe haben, sich um die Bedürfnisse der Arbeitnehmer zu kümmern, gleichzeitig vertreten sie aber auch den Arbeitgeber und somit betriebliche Belange gegenüber den Angestellten. Spätestens, wenn es zu betrieblich notwendigen Kündigungen und den absehbaren sozialen Folgen kommt, aber auch bei Teilzeitwünschen, die organisatorische Probleme mit sich bringen oder ähnlichen Konflikten, sind Dissonanzen bei Personalverantwortlichen zu erwarten, die mittels oben beschriebener Strategien abgebaut werden können. Dissonanzreduktion liefert Rechtfertigungen und Entschuldigungen für das eigene Handeln. Das kognitive System wird hier also dem Verhalten angepasst. Dies gilt umso mehr, je stärker die Folgen oder je geringer die Möglichkeiten auf Wiedergutmachung oder Umkehrbarkeit sind.
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Bei stark elaborierten Schemata können auch dissonante Informationen aufgenommen werden, da diese keine Bedrohung, sondern eine Herausforderung darstellen, das bestehende System anzupassen und zu verbessern. 17
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Zudem sind arbeitsrechtliche Themen stark politisch geprägt. Politische Überzeugungen wiederum sind kognitive Schemata, welche die Einstellung bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Fragestellungen einheitlich steuern. Es ist bspw. zu beobachten, dass die Argumentationen der favorisierten politischen Partei vom Individuum übernommen werden und eine hohe Übereinstimmung mit den Positionen der Partei entsteht. Dementsprechend werden Argumente, die die eigene Position bestätigen, tendenziell überbewertet, während die Bedeutung dissonanter Informationen eher unterschätzt wird (Inertia-effect, Edwards, 1968). Bei einem Außenauftritt, wie einem Interview, kommt zum Bestreben nach konsonanten Kognitionen auch die Motivation, sozial erwünscht, professionell und rational aufzutreten. Der Personalverantwortliche dürfte also umso mehr bemüht sein, konsistent und schlüssig zu argumentieren. Auf Basis der kognitiven Dissonanz lässt sich das Phänomen des Sub-Classing (vgl. Kunda, 2000) bei der Verarbeitung allgemeiner Kognitionen illustrieren. Wie bereits beschrieben, sortiert der Mensch seine Umweltwahrnehmung in Strukturen, die Informationen über bestimmte Objekte oder Konzepte in allgemeiner oder generalisierter Form enthalten. Das Sub-Classing bezeichnet eine kognitive Strategie, die erklärt, wie sich dominante Schemata, wie auch Stereotype konsistent über verschiedene Situationen und über die Zeit konstant manifestieren. Dabei werden dissonante Informationen in dem Sinne abgewertet, dass sie nur in Bezug ihres direkten Kontextes als relevant angesehen werden, ihnen aber keine globale oder zeitlich stabile Bedeutung beigemessen wird. Entsprechend dem Motto „Ausnahmen bestätigen die Regel“ gliedern sich so dissonante Informationen in bestehende Schemata ein, weil besondere Umstände zur Erklärung herangezogen werden können. Diese Strategie ist in der Stereotypenforschung bei personen- und gruppenbezogenen Kognitionen unter dem Begriff Sub-Classing vielfach untersucht. Sie erklärt bspw., dass positive Erfahrungen mit einem ausländischen Nachbarn bei Personen mit negativen Vorurteilen gegenüber Ausländern nicht zu einer Einstellungsänderung führen müssen (vgl. Kunda, 2000). So werden Argumente gesucht, die begründen, dass der Nachbar kein typischer Vertreter der Gruppe der Ausländer ist. Das vom Stereotyp abweichende Verhalten wird dem Individuum, seiner Historie und seiner spezifischen Situation zugeschrieben. Auf diese Weise entsteht ein Subtyp, für den die globalen stereotypen Annahmen nicht gelten. Die „Ausnahme“ fügt sich in die globalen Überzeugungen zu den Eigenschaften von Gruppen ein und stellt keinen Widerspruch mehr dar. Nach Kunda (2000) entscheiden die folgenden vier Beziehungen, ob Schemata angepasst werden oder ein Sub-Classing auftritt:
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1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
-
Je mehr Einzelinformationen über atypische Beobachtungen vorliegen, desto eher findet ein Sub-Classing statt, da sich die Abweichungen aus der spezifischen Situationen heraus erklären lassen.
-
Je komplexer die Wirklichkeit ist, desto eher findet ein Sub-Classing statt.
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Je mehr atypische Erfahrungen gemacht werden, desto eher wird das entsprechende Schema angepasst.
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Je stärker der Einzelfall von den Erwartungen abweicht, desto unwahrscheinlicher ist eine Anpassung des Schemas.
Diese Strategie spielt bei der kognitiven Verarbeitung widersprüchlicher, also dissonanter Informationen im Kontext der Personalarbeit und des Arbeitsrechts eine interessante Rolle. Da hier aber vorrangig das wirtschaftliche, politische und arbeitsrechtliche System Gegenstand der Betrachtung sind, spricht man allgemeiner vom Sub-Classing. Wie oben beschrieben, sind Überzeugungen zur Wirkung von Arbeitsrecht auf der einen Seite politisch aufgeladen. In der Interviewsituation treten solche Diskrepanzen durch Befragung nach allgemeinen Überzeugungen und nach konkreten Erfahrungen oftmals offen zu tage und stellen die Gültigkeit der politischen Äußerungen in Frage. In diesem Fall liegt es nahe, die persönlichen Erfahrungen in ihrer Bedeutung abzuschwächen. Die Dissonanz wird dadurch aufgehoben, dass die spezifischen Umstände im eigenen Betrieb als atypisch angesehen werden und als Sonderfall in bestehende Ansichten zu wirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Prozessen integriert werden. Diese Strategie ist nahe liegend, da betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Überzeugungen änderungsresistent, konsistent und zeitlich stabil sind. Zudem ist es aufgrund der Vielfalt an Betriebsformen und der Komplexität des Wirtschaftssystems einfach, die eigene betriebliche Konstellation als atypisch zu betrachten. Zuletzt muss noch genannt werden, dass vor allem große und sehr große Unternehmen in der Berichterstattung präsent sind, so dass sie vermutlich oftmals als betrieblicher Prototyp angesehen werden, während die Mehrzahl der Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Betrieben arbeiten. Wenn das Sub-Classing bei Personalverantwortlichen weit verbreitet ist, stellt dies die Validität standardisierter Interviews in Frage, die versuchen, betriebswirtschaftliche Effekte arbeitsrechtlicher Änderungen zu antizipieren oder zu evaluieren. So könnten eher politische Überzeugungen als die eigentliche Praxis erfasst werden, die mit der Realität nicht übereinstimmen müssen. In der vorliegenden Studie ist gezielt darauf geachtet worden, wie stimmig eigene Erfahrungen und allgemeine Überzeugungen beim Personalverantwortlichen sind. Ein 19
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
deutliches Indiz für Sub-Classing ist es, wenn bspw. Personalverantwortliche das Arbeitsrecht selbst als problemlos erfahren, aber überzeugt sind, dass es für alle anderen Betriebsformen ein erhebliches Hindernis darstellen muss. Oder aber die eigene Situation wird generell als nicht „repräsentativ“ angesehen. Die Theorie der psychologischen Reaktanz: Die Reaktanztheorie nach Brehm (1981) illustriert ein weiteres Phänomen, das bei der Wahrnehmung von ArbeitsrechtsRegeln durch Personalverantwortliche von Bedeutung sein kann. Nach dieser Theorie reagiert eine Person auf Einschränkungen ihrer wahrgenommenen Freiheit mit Widerstand und versucht, die bedrohte oder bereits reduzierte Freiheit zu verteidigen, bzw. wiederzuerlangen. Im Unterschied zur Dissonanztheorie tritt Reaktanz nur bei externem Druck, also bei unfreiwilliger Verhaltensbeschränkung auf. Dissonanzen entstehen dagegen bei frei gewähltem Verhalten. Die Reaktanz macht sich umso stärker bemerkbar, je mehr Freiheiten bedroht sind, je wichtiger diese der Person sind und je stärker die wahrgenommenen, bzw. antizipierten Autonomieverluste sind. Insbesondere ist zu erwähnen, dass bedrohliche Zukunftsszenarien unabhängig von dem realen Autonomieverlust die Reaktanz erhöhen können. Bezogen auf Personalverantwortliche wäre dies der Fall, wenn beispielsweise einzelne Gesetzesänderungen als Zeichen eines Trends hin zu einer politisch oder juristisch gewollten stärkeren Arbeitnehmerorientierung gesehen werden. Anekdotische Evidenz: In diesen Zusammenhang ist das Phänomen der anekdotischen Evidenz einzuordnen. Exemplarische Vorfälle, die eigene Überzeugungen stärken (siehe Dissonanz/Inertia-Effekt) werden als typisch betrachtet und verallgemeinert. Diese Vorfälle müssen nicht selbst erlebt sein, sondern können über die Medien oder von Kollegen berichtet werden. Reaktanz kann daher auch entstehen, wenn Personalverantwortliche stellvertretende Autonomieverluste bei Kollegen wahrnehmen, die vor dem Arbeitsgericht durch den Urteilsspruch „in die Schranken verwiesen wurden“, bzw. Teile ihrer praktizierten Autonomie einbüßen mussten. Diese Beobachtung kann vor allem bei extremen, auffälligen Urteilssprüchen sehr leicht erinnert werden. Übertragen auf die eigene Situation führt dies zu Reaktanz, die sich auf die konkrete Situation oder auch auf die Rechtsprechung an sich beziehen kann. Der Bezug auf so eine „anekdotische Evidenz“ findet sich in den Interviews oft im Zusammenhang mit emotionalen Äußerungen und Urteilen zum System des Arbeitsrechts. Das kann bedeuten, dass sich Widerstände nicht gegen Gesetzesinhalte richten, sondern gegen die wahrgenommenen Autonomieeinbußen, die durch die Gesetze verursacht werden. Personalleiter, die von sich aus z.B. jedem Teilzeitantrag positiv gege20
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
nüberstehen, können den Rechtsanspruch auf Teilzeit nach dem Teilzeit und Befristungsgesetz (TzBfG) dennoch ablehnen, da ihnen damit die Entscheidungsgewalt über solche Anträge abgenommen wird. Beschränkungen, die seit eh und je den Rahmen für die Personalarbeit bilden, sollten eher keine Reaktanz auslösen, da keine Verschlechterung, bzw. kein Verlust an Handlungsfreiheit wahrgenommen wird. Dementsprechend sind Reaktanzphänomene eher bei jüngeren Gesetzesänderungen (wie dem Teilzeitanspruch) oder bei geplanten Vorhaben zu erwarten (vgl. hier die Ergebnisse zum Teilzeitanspruch in: Kattenbach, Kapitel 2.5; sowie zu den geplanten Änderungen: Worobiej, Kapitel 2.3, insb. Abschnitt 3). Die Reaktanz kann sich auf verschiedene Weisen äußern. Entsprechend der Dissonanztheorie sind kognitive Verarbeitungsstrategien (z.B. die Abwertung der inhaltlichen Bedeutung der eingebüssten Autonomie) zu erwarten. Der Widerstand kann sich auch im konkreten Verhalten z.B. durch Missachtung von Gesetzesvorgaben äußern. Hemmend sollten sich dabei allgemeine Werte der Unternehmenskultur und auch die Kontrolle durch einen Betriebsrat auswirken. Allerdings kann auch die soziale Erwünschtheit in der Interviewsituation dazu geführt haben, dass die Interviewten die Verhaltensauswirkungen nicht (im vollen Maße) zugegeben haben. Der psychologische Vertrag: Gegenstand des Psychologischen Vertrages (psychological contract, PC) sind die Regeln, nach denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihr Arbeitsverhältnis leben. Im Gegensatz zum schriftlich festgelegten, juristischen Arbeitsvertrag bezieht sich der PC auf die individuelle Wahrnehmung des Austauschverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (vg. Rousseau 1995; Isaksson et al. 2003). Arbeitsverträge sind von ihrer Natur her „unbestimmt“, da es nicht möglich und auch nicht gewollt ist, jede einzelne Tätigkeit des Arbeitnehmers genau festzulegen. Formal gilt also der „juristische“ Arbeitsvertrag, real wirkt jedoch der „psychologische Vertrag“, in dem die empfundenen wechselseitigen Erwartungen zum Ausdruck kommen. Das psychologische „Vertragsverhältnis“ bildet sich ebenso aus rationalen Aspekten und Eigeninteresse wie auch aus Orientierungen an Normen, Werten und Weltbildern. Dabei ist immer die Wechselseitigkeit zu beachten. Nur bei entsprechenden Gegenleistungen von Seiten der anderen Partei werden solche Überzeugungen als verpflichtend wahrgenommen. Hierbei ist zu beachten, dass die eigentliche Verhaltenswirkung von der Wahrnehmung und Interpretation der eigenen und der Gegenleistungen abhängt. Es zählt das, was der Arbeitnehmer als angemessene Leistung empfindet und nicht die im Arbeitsvertrag beschriebene Leistungserwartung. Daher ist die eigentlich verhaltensbestimmende Vertragsgrundlage der psychologische und nicht der juristische Vertrag (vgl. Martin/Bartscher-Finzer, 2003). Neben der vertraglich festgelegten Tätigkeit am Arbeitsplatz, dem sog. In-Role Behavior spielt das darüber hinaus21
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
gehende Engagement (Extra-Role Behavior) im HRM eine zentrale Rolle (vgl. Williams/Anderson 1991; Organ 1988). Altruismus, Engagement, Eigeninitiative und Commitment stellen wichtige Faktoren für eine gut funktionierende Organisation dar. Seitens der Arbeitnehmer werden hingegen bspw. Arbeitsplatzsicherheit, Karrieremöglichkeiten, Transparenz, Wertschätzung, Ehrlichkeit und Gleichberechtigung vom Arbeitgeber erwartet. Im Arbeitsvertrag wird man diese Begriffe jedoch nicht finden, genauso wie die Erwartungen der Mitarbeiter an Betriebsklima und andere Leistungen des Unternehmens. Der Psychologische Vertrag beschreibt diese „unsichtbaren“ Austauschbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nicht schriftlich festgehalten sind und auch nicht verbalisiert sein müssen. Der Begriff des „psychological work contract“ wurde bereits 1960 von Argyris eingeführt. (Van den Brande 2002 gibt eine historische Übersicht über die Entwicklung in den Definitionen.) Der PC beschreibt damit die Beziehung zwischen Vorarbeiter und Arbeiter, in der beide Partner die Bedürfnisse des jeweils anderen Partners respektieren, um einen optimalen Ablauf der Produktion zu gewährleisten. Bei diesem Austauschmodell beruht die Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses darauf, dass die gegenseitigen Erwartungen erfüllt werden. Nur wenn beide Vertragspartner ihr Engagement und ihren Ertrag als gleichwertig erleben, betrachten sie ihren psychologischen Vertrag als tragfähig und gerecht (vgl. Raeder/Grote, 2004). Die neuere Forschungsrichtung initiiert durch Rousseau (1995) richtet sich verstärkt auf die Wahrnehmung des Arbeitnehmers und wird eher als kognitives Konzept denn als Austausch-Konzept verstanden (vgl. de Cuyper et al. 2003). Mit dem relationalen Vertrag und dem transaktionalen Vertrag werden zwei Ausrichtungen des PC unterschieden. Der relationale Vertrag beinhaltet nach Wilkens (2006) sozio-emotionale Elemente einer langfristig angelegten, umfassenden Austauschbeziehung. Ziele solch einer Austauschbeziehung ist der Aufbau einer langfristigen Zusammenarbeit mit internen Weiterentwicklungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer und einer loyalen Bindung zum Unternehmen. In Arbeitsverhältnissen, die nicht auf einer langfristigen, festen Bindung aufgebaut sind, wie bspw. bei befristet Beschäftigten, wird nach anderen Formen der Tauschbeziehung (vgl. Marr/Fliaster, 2003) gesucht. Anstelle der langfristigen Bindung treten bspw. direkte finanzielle Ausgleiche auf transparenter ökonomischer Grundlage (vgl. Wilkens, 2006). Solch ein transaktionaler Vertrag ist eher sachlich orientiert und schließt die soziale Beziehung zwischen den Parteien nicht mit ein. Sie beinhaltet ein geringes Commitment und ist durch wenige Qualifizierungsangebote gekennzeichnet (vgl. Raeder/Grote 2004). In Bezug auf die Interviews mit Personalverantwortlichen zum Umgang mit Arbeitsrecht ist das kognitive Modell zu verwenden, da vor allem allgemeine Kognitionen und Ein22
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
stellungen zu den Rechten und Pflichten der beiden Vertragsparteien erfasst werden und nicht individuelle, reale Austauschbeziehungen. Für das Verständnis vom psychologischen Vertrag im Rahmen der vorliegenden Studie soll die vom europäischen Forschungsprojekt PSYCONES gewählte Definition übernommen werden. „…the perceptions of reciprocal expectations and obligations implied in the employment relationship.”’ (Isaksson et al. 2003). Auch wenn diese Definition die Perspektive der Organisationsseite nicht ausschließt, wird dieses Konzept in der Forschung meist auf individuelle Überzeugungen des Arbeitnehmers über die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen ihm und seiner Organisation angewendet.
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Grundmodell und Forschungsfragen im Überblick
Was uns also interessiert, ist die Beziehung von Meinung, Wissen und Erfahrung bezüglich des Arbeitsrechts aus unterschiedlichen Perspektiven (Arbeitnehmer und Arbeitgeber) sowie die Rolle der kognitiven Prozesse bei der Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht. Unser Projekt im engeren Sinnen deckt nur einen Teilbereich davon ab. Mit den in der Einleitung genannten Kooperationen und Recherchen haben wir aber die Möglichkeit, den Fokus zu erweitern (vgl. Schramm, Einleitung: Abschnitt 3). Mit Arbeitnehmern meinen wir dabei Menschen, die sich in einer abhängigen Beschäftigung befinden (als Arbeiter oder Angestellte) oder innerhalb eines Betrachtungszeitraums befunden haben. Mit Arbeitsgebern sind entweder tatsächliche Arbeitgeber im Sinne natürlicher Personen (z.B. Eigner von Firmen, die selbst ihre Geschäfte führen) oder Vertreter derselben (Vorstände, Geschäftsführer, Personalverantwortliche) gemeint. Angelehnt an die Systematik des Gesetzes gehen wir davon aus, dass beide Gruppen unterschiedliche Funktion haben, die sie in einen sozioökonomischen und psychologischen Widerspruch führen können. Das muss nicht in der Selbstwahrnehmung der Betroffenen präsent sein. Es liegt nahe, dass diese Selbstwahrnehmung z.B. der interviewten Arbeitgebervertreter widersprüchlich ist: Einerseits sind sie für den Erhalt der Arbeitsplätze im Interesse einer funktionierenden Unternehmung verantwortlich, andererseits für personelle Einzelmaßnahmen, die sich durchaus gegen einzelne Beschäftigte oder ganze Belegschaftsteile richten können. Diese Doppelfunktion sollte den Akteuren bewusst sein: Einerseits sind sie Sachwalter des Kapitals, das man ihnen anvertraut hat, und welches eine „konkrete“ Seite (der betriebliche Prozess, den sie als Fachleute zu steuern haben) und eine „abstrakte“ Seite (die Verwertung von eigenem oder fremdem Geldund Sachkapital) hat. Anderseits sind sie Angestellte oder Unternehmer, die menschli23
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
che Bedürfnisse nach intakten Beziehungen, einem positiven Image in der Gesellschaft, Selbstachtung etc. haben. Auch dürfte den Akteuren bewusst sein, dass ihre menschlichen und zwischenmenschlichen Bedürfnisse zu ihrer Rolle als Funktionsträger, die selbst widersprüchlich ist, in Widerspruch treten können. Diese verschiedenen Widersprüche prägen die Arbeitsbeziehungen auf Seiten der Arbeitgeber. Auch den Arbeitnehmern dürfte durchaus bewusst sein, dass sich ihre Rolle widersprüchlich gestalten kann: Zum einen sind sie als Akteure in den betrieblichen Ablauf eingebunden, an deren Funktionieren sie ein Interesse haben sollten, und der ihnen als „ihre“ Organisation Rolle und Funktion aber auch zwischenmenschliche Erfahrung vermittelt. Zum anderen haben sie das Interesse, ihre Arbeitskraft zu einem angemessenen Preis einzubringen und zu reproduzieren und sich dabei hinreichende Dispositionsgewalt über die eigene Arbeitswelt zu sichern, die von der Organisation als Leistungszurückhaltung oder Anspruchshaltung wahrgenommen werden kann. Gegen mögliche Sanktionen gilt es sich dann ebenso zu schützen wie gegen persönliche Übergriffe der Vorgesetzten. Widersprüchliche Interessen und Erwartungen auf beiden Seiten können also die Arbeitsbeziehungen prägen und dabei den Akteuren als solche bewusst sein. Das Arbeitsrecht hat die Aufgabe diese widersprüchlichen Interessen und Erwartungen zu vermitteln. Dabei entwickelt es als soziales Teilsystem eine gewisse Eigenwertigkeit, welche unabhängig zu betrachten ist von den organisatorischen Bedingungen seiner Anwendung und der persönlichen Wahrnehmung durch die Betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. So finden wir drei Ebenen Rezeption des Arbeitsrechts vor, wie die folgende Abbildung zeigt:
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1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell Abbildung 1: Grundmodell – Rezeptionsebenen
Grundmodell
Funktionssysteme
Wirtschaft
Organisationen
Unternehmen
Recht
korporative A.
Akteure
Personalverantwortliche
Individuelle A.
Quelle: Eigene Darstellung
Diese Rezeption findet auf folgenden Ebenen statt: -
Gesellschaftliche Funktionssysteme, wie das Rechts- oder das Wirtschaftssystem. Wirtschaftswissenschaftlicher und juristischer Diskurs vertreten diese Funktionsebenen in unserem Projekt.
-
Organisationen als Sozialsysteme eigener Art, z.B. Betriebe. Mit unserer Methodik haben wir dazu keinen direkten Zugang, es sei denn über die Schilderungen der Befragten.
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Die psychischen Systeme der Akteure des Rechts mit ihren Einstellungen, ihren Kenntnissen und Erfahrungen. Diese können wir versuchen, durch die Interviews zu erschließen. Hierbei spielen die Eindrücke, welche die Interviewer vor Ort gewonnen haben, einen wichtige Rolle. Die Kooperationen helfen uns, neben der Arbeitsgeber- auch die Arbeitnehmerseite zu berücksichtigen.
Die Materie des Arbeitsrechts selbst ist dabei vielfältig. Es sind unterschiedliche Gesetze zu berücksichtigen, zu denen in vielen Fällen die Rechtssprechung kommt, die selbst rechtssetzenden Charakter hat: -
Kündigungsschutzgesetz und allgemeiner Kündigungsschutz laut BGB
-
Teilzeitgesetz und Elternzeitgesetz
-
Befristungsgesetz und Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
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Betriebsverfassungsgesetz und Tarifvertragsgesetz. 25
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Zudem sind bei der Rezeption des Rechts auf betrieblicher Ebene verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, welche diese beeinflussen: -
Betriebsgröße
-
Personalkostenintensität bzw. Personal als Ressource
-
Wirtschaftliche Lage.
Hinsichtlich der Akteure lassen sich unterschiedliche Variablen unterscheiden, die mit Begriffen wie „Gefühltes Recht“, „Erfahrenes Recht“, „Rechtsgefühl“, „Rechtsbewusstsein“, „Rechtskenntnisse“, „praktische Rechtserfahrung“ umschrieben werden können (hierzu siehe Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3). Die Akteure weisen bestimmte Wahrnehmungen, Einstellungen und ein Verhalten auf, welche ihren Beitrag zur Anwendung von Arbeitrecht in der betrieblichen Organisation bestimmen. Zu unterscheiden sind wiederum verschiedene Muster der Art und Weise, wie mit Arbeitsrecht umgegangen wird, die mehr oder weniger aktiv und mehr oder weniger konform angelegt sind. Die betrieblichen Akteure sind zum einen Funktionsträger mit einer bestimmten Rolle, die ihnen u. a. vom Arbeitsrecht zugewiesen wird. Zum anderen handeln sie in einer Arbeitswelt, die Teil ihrer je persönlichen Lebenswelt ist. Der formale, systemische Aspekt und die subjektiv empfundene Arbeitswelt bestimmen gemeinsam die Arbeitsbeziehungen, in denen sich die Akteure befinden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich die Bedeutung des Arbeitsrechts für die Arbeitsbeziehungen differenziert darstellt: Zunächst gibt es den expliziten Arbeitsvertrag, der – schriftlich festgehalten oder nicht – die Rechte und Pflichten beider Seiten festhält. Ihm zur Seite tritt aber der psychologische, implizite Vertrag, der die wechselseitigen Erwartungen der Vertragspartner definiert, welche nicht im expliziten Vertrag formuliert werden, gleichwohl aber eine handlungsleitende Funktion haben (vgl. auch Abschnitt 3 dieses Beitrags). Hierzu gehört z.B. der „Tausch“ von Loyalität und Leistungsbereitschaft gegen Arbeitsplatzsicherheit und subjektiv gerechte sowie auskömmliche Bezahlung als wichtige Bezugsgröße für eine funktionierende Arbeitsbeziehung. Beide Seiten des Arbeitsvertrages haben eine wichtige Funktion für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Im Alltag bestimmt der implizite Vertrag das Handeln. Erst in Konfliktfällen ziehen sich die Vertragspartner auf den expliziten Vertrag zurück, was allein schon als Verletzung einer Loyalitätsbeziehung gedeutet werden kann – besonders dann, wenn externe Experten (Rechtsanwälte) oder Schiedsrichter hinzugezogen werden. Von daher dürfte es nicht wundern, wenn die Vertragsparteien Konflikte unterhalb der Problematisierung des expliziten Vertrages auszutragen suchen und das 26
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Ausmaß der explizit ausgetragenen Konflikte z.B. vor Arbeitsgerichten verhältnismäßig gering ist. Entsprechend zu relativieren ist dann auch die tatsächliche Bedeutung des Arbeitsrechts, das trotzdem als „gefühltes Recht“ ein wichtiger Handlungsrahmen sein kann, der jedoch eher aus dem Hintergrund wirkt. Zudem weist das Arbeitsrecht als Vertrags- und Schutzrecht einen Doppelcharakter auf: Zum einen regelt das Arbeitsrecht die formale Gestaltung der Arbeitsbeziehungen hinsichtlich des Schuldverhältnisses, des Arbeitsortes, der Arbeitszeit (Umfang, Lage und Verteilung derselben), Tätigkeit etc. sowie die Bedingungen der Auflösung desselben (Art der Auflösung, Gründe, Form und Fristen einer Kündigung, Abfindungen und ähnliches). Zum anderen hat es die Funktion, den Arbeitnehmer vor Übergriffen des Arbeitgebers und unbillige Härten aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Auflösung zu schützen. Die dahinter stehende Figur ist die Vorstellung einer asymmetrischen Vertragsbeziehung, bei der eine Seite seine Interessen her durchsetzen kann, als eine andere. Art und Umfang dieser Asymmetrie freilich können unterschiedlich sein. Insofern kann ein legitimes Schutzbedürfnis durchaus von der anderen Seite als Einschränkung der notwendigen Dispositionsfreiheit über die vertraglich gebundene Arbeitskraft empfunden werden, was durchaus zutrifft. Die im Arbeitsrecht zum Ausdruck kommende asymmetrische Vertragsbeziehung stellt einen objektiven Widerspruch dar, dem das gelebte Recht quasi – um einen marxistischen Terminus zu verwenden – die Bewegungsform gibt. Ein Widerspruch liegt deshalb vor, weil das Recht als Vertragsrecht auf der regulativen Idee der Vertragsfreiheit beruht, die eine Gleichheit der Macht-Ressourcen der vertragsschließenden Parteien voraussetzt. Gleichzeitig aber soll das Arbeitsrecht Macht-Ungleichgewichte ausgleichen, Arbeitsverhältnisse sichern und die Akteure vor ungerechtfertigten Übergriffen schützen. Das Recht kann hier nicht so funktionieren, dass es für alle Seiten eindeutige und nachvollziehbare Entscheidungen liefert (auch wenn es als Recht auf der Fiktion beruht, dass das möglich sein sollte): sowohl die der Entscheidung zugrunde liegenden Informationen als auch der Entscheidungsprozess und die Folgen sind ambivalent. Das sollte sich auch auf die Erfahrungen mit diesem Recht und auf die Einstellungen dazu auswirken. Unser Untersuchungsmodell hat also verschiedene Dimensionen zu berücksichtigen, die den Raum aufspannen, in dem sich unsere Forschungsfragen bewegen: -
Verschiedene Ebenen der Untersuchung: Funktionssysteme (Recht, Wirtschaft), Organisationen (Betriebe), Akteure (Arbeitgebervertreter, Arbeitnehmer, betriebliche Interessenvertretungen). 27
1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
-
Die Materie des Arbeitsrechts (Kündigungsschutzgesetz und Allg. Kündigungsschutz laut BGB, Teilzeitgesetz und Elternzeitgesetz, Befristungsgesetz und Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Antidiskriminierungsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz und Tarifvertragsgesetz).
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Verschiedene Gegenstände des Arbeitsrechts (Verträge, Beschäftigungsdauer, Arbeitszeit, Auflösung des Arbeitsverhältnisses etc.) und seine Funktionen (Vertragsrecht, Schutzfunktion).
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Faktoren, welche die Rezeption des Rechts auf betrieblicher Ebene beeinflussen (Betriebsgröße, Personalkostenintensität, Personal als Leistungsträger, Branche oder Sektor, Wirtschaftliche Lage).
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Einstellungen der Akteure zum, Wissen über und Erfahrungen mit dem Arbeitsrecht. Kompetenzstufen der Akteure, welche die individuelle Wahrnehmung des Rechts zum Ausdruck bringen.
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Das psychische System der Akteure selbst, das durch Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensabsichten gekennzeichnet werden kann.
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Die Art und Weise, wie mit dem Arbeitsrecht auf betrieblicher Ebene umgegangen wird: (Orientierung am Arbeitsrecht (passiv), Störungsbewältigung (reaktiv), Aktiver und produktiver Umgang mit Arbeitsrecht, Instrumentalisierung des Arbeitsrechts, Ignorieren des Arbeitsrechts).
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Unterschiedliche Betroffenheiten: Arbeitnehmer bzw. Erwerbsbevölkerung und Arbeitgeber bzw. Vertreter derselben. Hierzu gehören auch betriebliche Interessenvertretungen, die – ähnlich wie Geschäftsführungen und Personalabteilungen – also korporative Akteure handeln können.
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Explizite und implizite Rolle des Arbeitsrechts bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen.
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1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Grundmodell
Die folgende Abbildung zeigt noch einmal die wichtigsten Elemente unseres Untersuchungsmodells: Abbildung 2: Grundmodell AribA 1.
Funktionssysteme
Wirtschaft
Recht
4.
Betriebsgröße Personalkostenintensität Personal als Leistungsträger Branche oder Sektor Wirtschaftliche Lage
Organisationen
2. 3.
Unternehmen bzw. Betriebe
1. 2. 3. 4. 5.
Kündigungsschutzgesetz und Allg. Kündigungsschutz laut BGB Teilzeitgesetz und Elternzeitgesetz Befristungsgesetz und Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Betriebsverfassungsgesetz und Tarifvertragsgesetz
Orientierung am AR (passiv) Störungsbewältigung (reaktiv) Aktiver und produktiver Umgang mit AR Instrumentalisierung des AR Ignorieren des AR
Akteure Arbeitnehmer/innen / Erwerbsbevölkerung ÖWAR
Explizierter und impliziter Vertrag
Personalverantwortliche / Arbeitgebervertreter AribA
Einstellungen zum Recht Wissen über Recht Erfahrungen mit Recht
Betriebsräte HRM-Lehrprojekt
Quelle: Eigene Darstellung
Wir erkennen, dass unsere ursprünglichen drei Ebenen (Funktionssystem, Organisation, Individuum) unterschiedlich stark „aufgefaltet“ werden, wobei der primäre Datenzugang über die individuelle Ebene erfolgt. Hier kombinieren wir verschiedenen Untersuchungen mit Schwerpunkt AribA und versuchen, Schlussfolgerungen für die organisatorische und die gesellschaftliche Ebenen abzuleiten.
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29
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32
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte- insbesondere um den Kündigungsschutz
Kapitel 1.2: Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz Ulrich Zachert
1
Hauptlinien der arbeitsrechtlichen Diskussion
1.1
Kündigungsschutz im Brennpunkt der Kontroversen
Obwohl sich die Situation am Arbeitsmarkt seit Mitte des Jahres 2006 erheblich verbessert hat, dauert die Debatte um Lösungsansätze des Problems der Massenarbeitslosigkeit an. Sucht man in der jüngeren Vergangenheit Antworten bei den Juristen, so mischen und überlagern sich die Argumente. Wie man sich auseinandersetzt, soll nachfolgend exemplarisch am Kündigungsschutz gezeigt werden. Zwar hat das Projekt auch die Einschätzung der Personalverantwortlichen nach Befristung, Leiharbeit und Teilzeitarbeit erfragt. Dennoch sprechen für eine Fokussierung auf den Kündigungsschutz zumindest drei Gesichtpunkte: Zum einen steht er im Mittelpunkt der arbeitsrechtlichen, vor allem der arbeitsgerichtlichen Praxis. Zum anderen rufen Eingriffe in sein Schutzniveau zwar nicht Proteste mit Volksbewegungscharakter hervor wie in Italien im Jahr 2002 (Nogler 2003: 321; Fuchs NZA 2004: 956, 964) und in Frankreich 2006 (Le Friant 2006: 423). Gleichwohl kommt ihm in Deutschland ebenfalls eine hohe Symbolfunktion zu. Damit hängt drittens zusammen, dass es zwar auch zu den anderen Themen, die Gegenstand des Projektes waren, heftige rechtspolitische Auseinandersetzungen gegeben hat. Sie beschränkten sich jedoch auf Einzelfragen und hatten längst nicht den grundsätzlichen Charakter, der für die Kontroverse um den Kündigungsschutz kennzeichnend ist. So war und ist bei der Teilzeitarbeit vor allem der Rechtsanspruch auf Verringerung der Arbeitszeit umstritten. Im Hinblick auf die Leiharbeit gab es dramatische Prognosen, dass die radikale Novellierung dieses Arbeitsvertragstyps durch das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vom 1. Januar 2003 die Leiharbeit unattraktiv machen würde (z.B. Ankersen 2003: 425). Tatsächlich waren die Voraussagen entweder falsch, wie zur Leiharbeit, die zu den dynamisch wachsenden Vertragstypen gehört (Alewell et al. 2005; Ulber 2006, Einl.C, Rn. 1ff.) oder die Gerichtspraxis hat für eine quantitativ verhältnismäßig geringe Anzahl von Verfahren, wie den Rechtsanspruch auf Teilzeit, pragmatische Lösungen gefunden, die im Grundsatz akzeptiert sind (Krawetzki/Thiel in: Schramm/Zachert 2005: 175ff.). 33
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
Aus der Diskussion um den Kündigungsschutz, die seit dem Inkrafttreten des (ersten) sog. „Beschäftigungsförderungsgesetzes“ durch die konservativ/liberale Regierung des Jahres 1985 mit großer Heftigkeit geführt wird, lassen sich drei Grundaussagen herausfiltern.
1.2
Niveau des Kündigungsschutzes und Arbeitsmarkt
Zum einen wird behauptet, das Arbeitsrecht sei insgesamt zu starr. An vorderer Stelle für Fehlsteuerungen stehe insoweit der (materiell) überzogene Kündigungsschutz. Seine Rigiditäten würden nicht nur die Arbeitskosten in die Höhe treiben, sondern auch die notwendigen Anpassungen im Strukturwandel behindern (Möschel 2006: 113): Argument der Flexibilitätsverhinderung am Arbeitsmarkt.
1.3
Kündigungsschutz und Überregulierung
Zum zweiten und zugleich damit zusammenhängend, wird vorgetragen, dass die negative Situation des Arbeitsmarktes auf Überregulierungen zurückzuführen sei, die zu einer bei weitem zu hohen Regelungsdichte führten. Zu den Ansatzpunkten für eine Modernisierung des Arbeitsrechts, die eine dringend notwendige Vereinfachung und Beschleunigung der Abläufe verbessern könnte, gehöre wiederum und vorrangig das Kündigungsschutzrecht (z.B. Löwisch 2005a, 2005b: I.; Bauer 2005: 1046ff.; angelehnt an die Begründung zum Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Arbeitsrechts 2003: 1; dagegen z.B. Huber 2005: 1340ff.): Bürokratie/Komplexitätsargument.
1.4
Kündigungsschutz und Richterrecht
Dazu komme drittens, dass nicht nur die Regeln selbst in unerträglicher Weise Rechtsunsicherheit ausstrahlten (Bauer 2005, a.a.O.). Vielmehr habe die (höchstrichterliche) Rechtsprechung die gesetzlichen Generalklauseln, „die soziale Rechtfertigung“ nach § 1 KSchG, im Wege einer unbegrenzten Auslegung zu Lasten der Arbeitgeberseite grundlegend umgedeutet. Hierzu trage insbesondere bei, dass die Kündigung nach der Rechtsprechung lediglich als „ultima ratio“ in Betracht komme und zudem eine „Prognose“ über die zukünftige Entwicklung verlangt werde. Das alles führe zu unangemessenen Ergebnissen, was zur Folge habe, dass kleinere und mittlere Unternehmen davon abgeschreckt würden, Neueinstellungen vorzunehmen. Diese Ansicht wird im Arbeitsrecht seit vielen Jahren dezidiert von prominenter wissenschaftlicher Seite mit Breitenwirkung und meinungsbildend für das politische Umfeld vertreten (nur beispielhaft Rüthers 1998: 1433ff.; letztens wieder Rüthers 2006: 1640ff.; 34
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
zur Übernahme dieser Position durch den Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, Rn. 677ff., 681f.). Zur Illustration weist man auf einige Beispiele aus der Rechtsprechung hin. So wird die Ablehnung der verhaltensbedingten Kündigung eines U-Bahn-Fahrers der Berliner Verkehrsbetriebe durch alle drei Instanzen, der am Steuer seines Pkw mit 2,73 ‰ volltrunken angetroffen wurde, scharf kritisiert (BAG 4.6.1997, Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 137 zu § 626 BGB): „Wer als alter Wahlberliner ausgesprochen gern U-Bahn fahre, tue dies seit dieser Rechtsprechung eher mit gemischten Gefühlen“ (Rüthers 2006: 1640, 1641): Fundamentalkritik der Rechtsprechung.
2
Arbeitsrecht und Industrial Relations-Forschung/Empirie
2.1
Die Max-Planck-Studie von 1981
Nun gibt es kaum ein arbeitsrechtliches Gebiet, das besser erforscht ist als der Kündigungsschutz. Nachfolgend werden auszugsweise und stark vereinfacht wichtige Ergebnisse der einschlägigen Studien vorgestellt. Wegweisend war zunächst die „Max-Planck-Studie“ aus dem Jahr 1981. Diese hatte außer einer umfassenden Befragung der Betroffenen von Kündigungen und Beteiligten an Kündigungsschutzverfahren über 1.500 Kündigungsschutzakten ausgewertet (Falke et al. 1981). Die ForscherInnen fanden u. a. heraus: -
Ca. 1/3 der Kündigungen wurden aus betrieblichen Gründen, 1/3 personen- und 1/3 verhaltensbedingt ausgesprochen.
-
Lediglich etwa 10% aller gekündigten Arbeitnehmer setzten sich durch eine Klage vor Gericht zur Wehr.
-
Etwa 60% aller Kündigungsschutzverfahren endeten durch einen Vergleich.
-
Nur 1,7% aller Kündigungsschutzkläger konnten gerichtlich ihre Weiterbeschäftigung durchsetzen.
2.2
Die „REGAM-Untersuchung“ und die Studie der Universität HalleWittenberg „KÜPRAX“
Die „Max-Planck-Untersuchung“ wurde durch eine Gruppe von Forschern und Forscherinnen des Projektes „Regulierung des Arbeitsmarktes“ („REGAM“) des WSI in der Hans Böckler Stiftung im Jahre 2001 und folgend aktualisiert sowie zugleich ergänzt und vertieft. Grundlage war eine quantitative Befragung, die „Infratest“ in Kooperation 35
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
mit der Forschergruppe als repräsentative Stichprobe bei mehr als 2.400 Personen durchführte (aus den zahlreichen Veröffentlichungen nur: Bielinski et al. 2003; Pfarr et al. 2005; Bielinski/Ullmann 2005). Eine weitere Forschungsarbeit der Universität Halle-Wittenberg „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis“ („KÜPRAX“) wertete im Jahre 2003 über 1.600 Kündigungsschutzverfahren aus (Höland et al. 2005a und 2007). Sie kommt in vielem zu ähnlichen Ergebnissen wie die „REGAM-Untersuchung“ und ergänzt diese zugleich vor allem im Hinblick auf Effekte arbeitsgerichtlicher Verfahren. Deshalb werden beide Studien zusammengefasst. Hervorzuheben ist: -
Die Fluktuation am deutschen Arbeitsmarkt erweist sich als hoch, bei vorsichtiger Bewertung der REGAM-Forschungsgruppe waren es zwischen fünf und sieben Millionen Personalabgänge jährlich (neuere vergleichende Angaben Fink/Tálos 2005: 386ff.).
-
Arbeitgeber kündigen die Arbeitsverhältnisse in (nur) etwa 1/3 der Fälle. Die Begründung hat sich deutlich zur betriebsbedingten Kündigung verschoben, die nunmehr ca. 2/3 der Kündigungen ausmacht. Die Häufigkeit von Kündigungsschutzklagen liegt bei etwa 15%. In Klein(st)betrieben ist sie geringer als in größeren Betrieben.
-
Von den in absoluten Zahlen ca. 330.000 Kündigungsschutzprozessen sind etwa 2/3 in erster Instanz nach spätestens drei Monaten beendet, in lediglich 4% aller Verfahren wird Berufung eingelegt, (nur) 2% dauern länger als ein Jahr.
-
Abfindungen, die in der rechtspolitischen Diskussion eine besondere Rolle spielen (Walwei 2000 mit zum Teil abweichenden Ergebnissen und Bewertungen) werden, bezogen auf Arbeitgeberkündigungen sowie zusätzlich auf sozialplanbedingte Abfindungen nur an ca.15% der Betroffenen bezahlt. Sie orientieren sich an der Gesetzeslage, §§ 1a Abs. 2, 10 KSchG: Grundlage ist ein halbes Brutto-Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Die Höhe der Abfindung, die maßgeblich durch die Dauer der Beschäftigung bestimmt wird, liegt überwiegend (knapp 60%) in einer Größenordnung von maximal sechs Monatseinkommen.
-
Veränderungen des Kündigungsschutzes haben, wie die Anhebung des Schwellenwertes bereits in den Jahren 1996-1999 bei Kleinbetrieben zeigte (statt ab 6 ab 11 Beschäftigte), keine signifikanten Auswirkungen auf das Einstellungsverhalten im Sinne arbeitsplatzschaffender Effekte (Pfarr et al. 2003 mit Nachw. auch der Gegenposition).
36
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
-
Die Regelung zur Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen nach § 1 Abs. 3 KSchG ist wegen ihrer Komplexität vielfach kritisiert worden. Jedoch verlieren lediglich 8% der Arbeitgeber in erster und entsprechend in zweiter Instanz die Kündigungsschutzverfahren, weil die Sozialauswahl falsch getroffen wurde (Höland et al. 2005b: 561, 565).
-
Bemerkenswert ist auch, dass es oft ein Delta zwischen Einschätzung und tatsächlicher Wirkung des Kündigungsschutzes gibt. So bejahten etwa 2/3 der Inhaber aller Kleinbetriebe dessen Bedeutung für ihre Praxis, obwohl das Kündigungsschutzgesetz auf sie gar keine Anwendung fand.
2.3
Studien zur Wirkung des Kündigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt
Weitere Untersuchungen bestätigen ganz überwiegend, dass der bestehende Kündigungsschutz jedenfalls keine signifikanten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Wissenschaftler des IAB (Bauer et al. 2004) betonen, die Beschäftigungsstatistik gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Änderungen der Schwellenwerte im deutschen Kündigungsrechts in der zweiten Hälfte der 90er Jahre einen Einfluss auf Einstellungen oder Entlassungen gehabt hätten. Auch dort, wo es keinen Kündigungsschutz gebe, nehme die Beschäftigungsdynamik nicht zu. Hypothetisch gehen sie davon aus, dass der Kündigungsschutz möglicherweise die Struktur der Beschäftigten beeinflusse, indem z.B. mehr oder weniger Teilzeitbeschäftigte oder geringfügig Beschäftigte eingestellt werden oder dass er sich zu Lasten der schwächeren Gruppen etwa von Frauen und Langzeitarbeitslosen auswirken könnte(„Sortierverhalten“). In diese Richtung gehen auch die Auffassungen einiger Ökonomen: Positive und negative Effekte des Kündigungsschutzes würden sich im Sinne einer „Nullsummenwirkung“ die Waage halten, allerdings sei eine Auswirkung auf die Zusammensetzung der Beschäftigten und Arbeitslosen möglich (Sadowski 2004; Kessing 2004). Die Kernaussage, es gebe keinen statistisch klaren Zusammenhang zwischen hohem Kündigungsschutz und hoher Arbeitslosigkeit wird auch in internationalen Studien bestätigt (OECD 1999: 50; zu den Schwierigkeiten der Methode: Jahn 2002: 89ff.): „Robust estimates of the impact of employment protection legislation on employment and unemployment have proven elusive…“. Zugleich wird vermutet, dass ein Zusammenhang zwischen Kündigungsschutzniveau und einer hohen Arbeitslosigkeit bestimmter Gruppen, besonders jüngere Arbeitnehmer, bestehen könnte. Dies wird, wie bereits bei nationalen Untersuchungen (Bauer et al. 2004; Sadowski 2004), allerdings nicht als empirisch gesichertes Ergebnis gewertet (OECD 1999: 51): „However this latter finding must be regarded as tentative, since it is not supported by the evidence 37
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
from the multivariate regressions …“ (siehe aber auch OECD 2005: 60 und Pfarr/Zeibig 2006; zu rechtlichen und empirischen Quervergleichen einzelner Länder: Zachert 2004a und b mit Nachw.). Nur vereinzelt wird aus empirischen Umfragen abgeleitet, der geltende Kündigungsschutz verhindere die Schaffung neuer Arbeitsplätze. So gaben in einer auf „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ in 859 Unternehmen durchgeführten Untersuchung auf die gestellte Frage: „Unter welchen Bedingungen würden Sie in ihrem Unternehmen Arbeitsplätze schaffen?“ 70% die Lockerung des gesetzlichen Kündigungsschutzes an (Janßen 2004: 15). Die Antworten waren vorgegeben, Mehrfachbenennung möglich (kritisch zur Methode: Schramm/Zachert 2006; ausführlicher zu dieser Studie im Hinblick auf unsere Ergebnisse: Schlese/Schramm: Kapitel 2.2, Abschnitt 4).
2.4
Wertschätzung des Kündigungsschutzes in der Bevölkerung
Abschließend sei auf eine neue repräsentative Umfrage der Universitäten Jena/Hannover und des IAB hingewiesen, die zwar mit einer anderen Blickrichtung vorgenommen wurde, gleichwohl die oben gefundenen Ergebnisse ergänzt. Es ging darum, welche Wertschätzung der Kündigungsschutz in der Bevölkerung genießt. Ca. 3.000 Personen plädierten auf die Frage, ob der Kündigungsschutz ausgebaut, beibehalten, eingeschränkt oder abgeschafft werden soll, 48% für seine Beibehaltung und 19% für seinen Ausbau (Pfeiffer 2006). Der Anteil der Arbeitslosen befürwortete sogar seinen Ausbau zu knapp 1/3. Der geltende Kündigungsschutz scheint von den Betroffenen überwiegend als ein stabiler, eine gewisse Sicherheit gewährleistender Rahmen bewertet zu werden.
3 3.1
Rezeption der Empirie in der arbeitsrechtlichen Diskussion Akzentverschiebung: Stimmungen, Gefühle, Ängste
Die empirischen Ergebnisse geben in ihrer übergroßen Mehrheit keine Anhaltspunkte für Erwartungen oder Hoffnungen, ein „Drehen an der Stellschraube des Kündigungsschutzes“ würde signifikante Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt zur Folge haben (vgl. jüngst nur Neubäumer 2005: 25, 32f.). Die Auswirkungen auf die rechtswissenschaftliche Debatte über Veränderungsnotwendigkeiten erscheinen dagegen eher gering und sogar ambivalent. Insoweit überrascht weniger, dass aus Teilaussagen der Empirie unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden (z.B. Preis 2003: 65, 72: Ersetzung der Sozialauswahl durch Abfin38
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
dungslösung; Wolter 2003: 1068, 1071: vorsichtiger Ausbau der Weiterbeschäftigung). Bemerkenswert erscheint dagegen, dass nach wie vor Vorschläge gemacht werden, die eine radikale Umgestaltung des geltenden Kündigungsschutzes befürworten (beispielhaft Donges et al. 2004; Bauer 2005; Möschel 2006; ferner unter I.). Allerdings ist bei den (Fundamental-)Kritikern des geltenden Kündigungsschutzes eine Akzentverschiebung in der Begründung ihrer Vorschläge zu beobachten. Insbesondere Meinungsführer in dieser Kontroverse stellen die harten Fakten der mehrheitlich vorliegenden Ergebnisse an sich nicht in Frage. Der Schwerpunkt der Kritik liegt nunmehr auf der Undurchschaubarkeit des geltenden Kündigungsschutzes. Dabei wird vorrangig auf Stimmungen, Gefühle und Ängste von Arbeitgebern abgehoben. Unter anderem verweist man darauf, dass Inhaber von Kleinstunternehmen, die nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, diesen gleichwohl als Last empfinden und zugleich mehrheitlich angeben, ohne ihn wären sie eher zu Neueinstellungen bereit (Möschel 2006: 113; Rüthers 2006: 1640f.). Psychologische Faktoren, wie Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz lassen sich in der Tat mit quantitativer Empirie nur schwer einfangen. Mit den genannten Argumenten scheint es möglich, die eigene Position gegen einschlägige quantitative Ergebnisse der Empirie weitgehend zu immunisieren oder sie jedenfalls in starkem Umfang zu entwerten. Insoweit folgerichtig wird neuestens behauptet, dass sich diese affektiven Aspekte der empirischen Forschung grundsätzlich entziehen (Mohr 2006: 547, 556).
3.2
Thematische Kontinuitäten
Thematisch kreist die Kontroverse um „Sinn und Widersinn des Kündigungsschutzes“ nach wie vor zum einen um die Frage, ob negative Wahrnehmung und Einschätzung des Kündigungsschutzes Unternehmer tatsächlich davon abhält, Arbeitnehmer einzustellen oder ob sie deshalb gegebenenfalls auf andere personalpolitische Instrumente wie z.B. Befristung, Leiharbeit oder Überstunden ausweichen: prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes. Zum anderen geht es darum, ob derartige Wahrnehmungen und Einschätzungen dazu führen, dass Entlassungen verzögert und möglicherweise durch ökonomisch unvertretbar hohe Abfindungen erkauft, verzögert oder sogar verhindert werden: präventive Wirkung des Kündigungsschutzes (differenzierende Analyse Bayreuther 2006: 417, 418). So wird behauptet, die relativ geringe Zahl von Kündigungsschutzklagen finde darin ihre Erklärung, dass die Gesetze zu streng seien und die Arbeitgeber alles tun würden, um Prozesse zu vermeiden (Rieble in Viering 2005). 39
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
Dies ist nichts anderes als die Fortschreibung der alten Hypothese in verändertem Gewande, das Arbeitsrecht würde die betriebliche Wirklichkeit stark und im Hinblick auf die arbeitsmarktpolitischen Effekte negativ beeinflussen. In diesem Zusammenhang gibt es eine Anzahl von weiteren ungeklärten Aspekten, die durch quantitative Befragungen nicht (eindeutig) beantwortet werden können, etwa die Frage, wie sich der Kündigungsschutz auf die innerbetrieblichen Machtverhältnisse auswirkt: Wird er, bei allem Streit um seine Ausgestaltung im Einzelnen (überwiegend) als „psychologischer Rahmen“ für einen fairen innerbetrieblichen Umgang miteinander angesehen? (Überblick zum „psychologischen Vertrag“: Gössig 2005; siehe auch Schramm et al.: Kapitel 1.1, Abschnitt 3; Fallstudien: Stahlmann et al. 2004; Kattenbach: Kapitel 2.5).
4
Eine neue arbeitsrechtliche Debatte um „gefühltes und gelebtes Recht ?“
4.1
Grundlinien der Diskussion
Das Abstellen auf „Gefühle und Ängste“ gegenüber dem „undurchschaubaren Arbeitsrecht“ in der Kontroverse um den Kündigungsschutz verweist auf eine neuere Diskussion im Grenzbereich zwischen (harter) rechtlicher und rechtssoziologischer Diskussion. Sie läuft, allgemein formuliert, darauf hinaus, dass stärker zwischen geschriebenem, gefühltem, und gelebten (Arbeits-) Recht unterschieden werden müsse. Eine Kontroverse dazu haben sich der Fachanwalt Thomas Kania (Kania, 2004: I und 2005: 596ff.) und der Arbeitsrichter Peter Stein (Stein 2006: 110ff.) geliefert. Knapp zusammengefasst, geht es um Folgendes.
4.2
Legendenbildung und Flucht aus dem Arbeitsrecht
Ausgangspunkt der einen Ansicht (Kania, a.a.O.) ist, das Gesetzesrecht sei, unabhängig von der Einstufung als arbeitnehmer- oder arbeitgeberfreundlich, undurchschaubar. Die Auslegung und Anwendung durch die Gerichte potenziere die Rechtsunsicherheit. Damit zusammenhängend sei bei Personalverantwortlichen und Arbeitnehmern eine Legendenbildung über angebliche Rechtsgrundsätze festzustellen, die das Leben in den Betrieben nicht selten mehr bestimmten als das im Detail unbekannte, wirkliche Arbeitsrecht. So werde im Hinblick auf Kündigungen z.B. häufig davon ausgegangen, es gebe generell einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindungen, Personalleiter meinten, kranke Arbeitnehmer dürften nicht gekündigt werden, Arbeitnehmer wiederum 40
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
gingen davon aus, vor einer verhaltensbedingten Kündigung müsse drei Mal abgemahnt werden, leitende Angestellte hätten keinen Kündigungsschutz usw. Deshalb sei die Tendenz, sich aus dem real existierenden Arbeitsrecht zu verabschieden oder sogar eine Flucht aus ihm festzustellen und sich stattdessen in ein von einem „common sense“ getragenen angebliches Arbeitsrecht zu flüchten. Vielleicht sei ein lockerer, eher “mediterraner Umgang“ mit dem in die Jahre gekommenen Arbeitsrecht sogar ein gangbarer Weg aus dieser Krise, sozusagen eine stille Reform von unten.
4.3
Recht als Ausdruck gemeinsamer Anschauungen, überwiegend loyale Anwendung
Dem hält die andere Position (Stein, a.a.O.) entgegen, das Arbeitsrecht sei in der Praxis weitgehend Ausdruck gemeinsamer Anschauungen, und deshalb könne ganz überwiegend kein innerer Abschied vom Arbeitsrecht festgestellt werden. Vor allem dort, wo Unternehmen sich auf eine professionell arbeitende Personalabteilung stützten, habe sich der Umgang mit dem Arbeitsrecht eingespielt. Anderes gelte vor allem für zwei Gruppen: zum einen Arbeitgeber, die in prononcierter Weise elementarste Verpflichtungen verletzten. Zum anderen sei die Masse der Probleme der Unkenntnis geschuldet. Im Übrigen seien die zivilgesellschaftlichen Ersatzformen, welche die Praxis in beschränktem Umfang entwickle, nur vor dem Hintergrund des geltenden Rechts erklärbar. Die Gesetze lieferten insoweit ebenso wie die höchstrichterliche Rechtsprechung einen Rahmen, der Steuerungsimpulse und Wertentscheidungen setze.
4.4
Zugrunde liegende Hypothesen und Fragestellungen
In diesen, verkürzt referierten Aussagen steckt eine Anzahl von Hypothesen über Wahrnehmung und Umsetzung von Arbeitsrecht in den Betrieben und dem Verhalten von Personalverantwortlichen (vgl. bereits Hübner in Schramm/Zachert 2005: 465ff.; näher Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3). In dem Projekt wurde deutlich, dass sich das „Einfangen“ von subjektiven Aspekten wie Gefühlen, Kenntnissen, Einstellungen und vor allem Voraussagen über zukünftiges Verhalten der Personalverantwortlichen als außerordentlich schwierig erweist (ähnlich Raiser 1998; Pichler 1998; De Bakker 2003). Dennoch hat die Kombination von qualitativen Interviews und quantitativer Befragung auch insoweit eine Anzahl von Ergebnissen erbracht.
41
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
5
Einflussfaktoren auf „Rechtsgefühl“ und das Verhalten
5.1
Fragestellung
Wenn es zutrifft, dass „gefühltes Arbeitsrecht“ in gewissem Umfang zur Arbeitsrechtswirklichkeit wird, – inwieweit dies der Fall ist, wird Gegenstand der empirischen Untersuchung sein (Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1; Schlese/Schramm, Kapitel 2.2) – dann erscheint es lohnend und zugleich wichtig, genaueren Aufschluss darüber zu erhalten, warum es zu bestimmten Einschätzungen von Praktikern des Arbeitsrechts kommt.
5.2
Allgemeine Einflussfaktoren für die Effizienz von Recht
Aus der rechtssoziologischen Forschung wissen wir, dass die Effizienz von Recht (Gesetzen) allgemein von zahlreichen Faktoren abhängt. Für Verhaltensnormen gelten als Grundmodell die Determinanten Normenkenntnis, Legitimitätsvorstellungen und die Erwartung positiver oder negativer Sanktionen (Röhl 1987: 252ff.; Rottleuthner 1987: 57; Raiser 1999: 258 f.). Im Arbeitsrecht sind die Bestimmungsfaktoren seiner Umsetzung noch um ein Vielfaches komplexer. Die rechtlichen Filter, die es durchläuft, sind zahlreich. Sie reichen vom individuellen Arbeitsrecht über betriebliche Mitbestimmung und Tarifverträge bis zu staatlichen Normen. Entsprechendes gilt für die Akteure, welche die Umsetzung von Arbeitsrechtsnormen realisieren und beeinflussen, vor allem die Personalleitung. Deren Entscheidungen stehen zugleich in einer komplexen Wechselwirkung mit Aktionen betrieblicher Interessenvertretungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, den Trägern sozialer Selbstverwaltung, z.B. der BfA, den Berufsgenossenschaften usw. Damit sind die Schwierigkeiten angedeutet, durch empirische Forschung die Wirkungszusammenhänge zwischen Norm und betrieblicher Umsetzung nachzuvollziehen und offen zulegen (vgl. Grundmodell – Schramm et al.: Kapitel 1.1; entsprechende Hinweise auch: Schmidt/Worobiej: Kapitel 1.3, Abschnitt 2).
5.3
Einflussfaktoren für „gefühltes“ (Arbeits-)Recht
5.3.1 Ausgangspunkt Versucht man die Elemente, die in der rechtsoziologischen Diskussion zur Umsetzung von Recht genannt werden, im Hinblick auf Personalverantwortliche und ihre Arbeit im Unternehmen weiter zu konkretisieren, so wird das Bild noch vielfältiger. Nachfolgend
42
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
sollen -ohne Anspruch auf Vollständigkeit- einige Einflussfaktoren genannt werden, die für die Arbeitsrechtswirklichkeit von besonderer Bedeutung erscheinen.
5.3.2 Arbeitsrechtlicher Sachverstand, Informationsquellen Zunächst stellt sich die Frage, welcher arbeitsrechtliche Sachverstand zur Verfügung steht und welches die Informationsquellen sind, die Einstellung und Verhalten von Personalverantwortlichen prägen. Hier spielt eine Rolle, ob arbeitsrechtliche Kompetenz im Unternehmen (eine Personalabteilung) vorhanden ist oder ob er extern eingeholt werden muss, letzteren Falles von wem. Untersuchungen bestätigen die nahe liegende Hypothese, dass es hier signifikante Unterschiede je nach Unternehmensgröße gibt. Interne arbeitsrechtliche Ressourcen finden sich eher in größeren als in Klein- und Mittelbetrieben (Alewell/Koller 2002: 990ff.). Wenn die Beratung extern erfolgt, so kommen u. a. (Fach-)anwälte, Verbände, aber auch Steuerberater in Betracht. Systematische Kenntnisse lassen sich u. a. aus Fachzeitschriften, Fachliteratur und Fortbildung in Fachseminaren erwerben (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6). In diesem Zusammenhang gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die veröffentlichte Meinung in den Medien und in der Fachdebatte von nicht zu unterschätzendem Gewicht ist (hierzu Castendyk 1994; Hensche 2006; Speth 2004 und 2006). In wichtigen Konfliktfeldern steht beides häufig in einer Wechselwirkung. Im Hinblick auf den Kündigungsschutz wurde die Position des Sachverständigenrates maßgeblich durch den Arbeitsrechtler Rüthers geprägt, der hierzu seit langem eine dezidiert kritische Position vertritt (Sachverständigenrat Jahresgutachten 2003/04, Vorwort: VII. und Rn. 677ff., 681f.; Sachverständigenrat Jahresgutachten 2005/06, Rn. 316, allerdings mit Differenzierungen). Unschwer lassen sich Aussagen zu anderen arbeitsrechtlichen Themen von prominenten Wissenschaftlern oder Verbandsvertretern benennen, die, verbunden mit deutlicher Kritik, ebenfalls ein verzerrtes Bild von diesem Rechtsgebiet vermitteln. Verwiesen sei auf die Verwechslung von betrieblicher und Unternehmensmitbestimmung (der Sachverständige W. Franz), ferner die Behauptung eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG dürfe nur ein Mal abgeschlossen werden (Donges u. a. „Kronberger Kreis“) oder das Betriebsverfassungsgesetz verbiete kollektive Vereinbarungen über Lohn und Arbeitszeit (Rogowski als ehemaliger Präsident des BDI). Es ist zu vermuten, dass alles dies zu Fehlvorstellungen über das Arbeitsrecht beiträgt (kritisch hierzu Hanau 2005: 1173), die auch seine praktische Anwendung in den Betrieben (negativ) beeinflussen. Welche Rolle insoweit kognitive Faktoren wie Rechtskenntnisse spielen oder ob eher affektive Elemente wie Anspruchs-, Konformitätsbe43
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
wusstsein und Gerechtigkeitsempfindungen der betrieblichen Akteure von Bedeutung sind (siehe unter 5.2 sowie vertiefend Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 4.2), bedarf der näheren Untersuchung im empirischen Teil.
5.3.3 Umgang mit dem Arbeitsrecht Ein weiterer Gesichtspunkt, der mit dem Vorstehenden zusammenhängt, betrifft den Umgang mit dem Arbeitsrecht im Unternehmen selbst. So wird relevant sein, ob dieser systematisch oder lediglich punktuell (ad hoc) erfolgt. Hinweise sprechen dafür, dass Einschätzungen und Anwendung von Arbeitsrecht beeinflusst werden, je nachdem ob eine regelmäßige Auseinandersetzungen mit Neuerungen erfolgt oder ob ein (eher) reaktives Verhalten vorliegt, indem man erst tätig wird, „wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“, d.h. wenn in einem Konflikt negative Erfahrungen gemacht werden mussten (Hübner in: Schramm/Zachert 2005: 464 ff.). Hier liegt wiederum verstärkt die Notwendigkeit nahe, zwischen Groß- Mittel- und Kleinbetrieben zu differenzieren. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Kultur in Kleinbetrieben eine „besondere soziale Welt“ darstellt, die weniger durch das „normative Modell“ geprägt ist, als dies in größeren Unternehmen der Fall ist (vgl. Kotthoff/Reindl 1990; Dibbern-Voß und Hübner in: Schramm/Zachert 2005: 404ff. und 439ff. sowie Worobiej: Kapitel 2.3, Abschnitt 3). Jedoch stößt man unabhängig von Betriebsgrößen auf vielfältige arbeitsrechtliche Wirklichkeiten je nachdem, in welchen Branchen mit ihrer spezifischen Kultur und Tradition sich die unternehmerischen Aktivitäten vollziehen. Insoweit ist auch von Bedeutung, ob es eine „Kultur der Mitbestimmung“ gibt und wie sie sich praktisch bewährt (z.B. Frick 2005; ferner Santana in: Schramm/Zachert 2005: 663ff.).
6
Fazit zur Anwendung von Arbeitsrecht – offene Fragen
Die oben genannten Teilaspekte im Zusammenhang mit der Debatte über „gefühltes und gelebtes Arbeitsrecht“ legen nahe, empirisch genauer zu untersuchen, wie groß das Delta zwischen normiertem und gefühltem sowie zwischen gefühltem (vermeintlichem) und gelebten Recht tatsächlich ist. Einige Hypothesen können bereits formuliert werden: Auch wenn mehrere (Arbeits-) Rechtswirklichkeiten existieren, die durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, muss dies nicht für eine „Verabschiedung vom Arbeitsrecht“ sprechen (Kania 2004: I und 2005: 596ff.). Vielmehr gibt es signifikante Hinweise dafür, dass die Praxis trotz „Legendenbildung in Einzelfällen“ das normierte Recht im Großen und Ganzen loyal anwendet (im Einzelnen: Bradtke-Hellthaler, Kapi44
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
tel 2.1). Damit im Zusammenhang steht die rechtssoziologische Frage, inwieweit das Recht die Praxis im Einzelnen überhaupt steuern will oder gewisse Normabweichungen um der angemessenen Einzelfalllösung wegen (bewusst) in Kauf nimmt (zum Normbegriff Röhl 1987: 209ff.). Unabhängig davon können sich Grenzen der Steuerungsfähigkeit durch (Arbeits-)Recht ferner durch eine zunehmend komplexer gewordene Lebenswirklichkeit ergeben, die auf „Eingriffe von außen“ nur noch begrenzt reagiert (zur Systemtheorie zusammenfassend Röhl 1987: 393 ff.). In welcher Weise die Personalverantwortlichen die gegebenen Handlungsspielräume praktisch ausfüllen, hängt nach allem von ihren Wahrnehmungen, Kenntnissen, Legitimitätsvorstellungen und ihrem Konformitätsbewusstsein ab. Wie gezeigt, sprechen Anhaltspunkte dafür, dass die Einstellung gegenüber dem Arbeitsrecht nicht zuletzt durch betriebsexterne Diskurse über seinen Nutzen und Schaden geprägt wird und darüber hinaus von dem Umstand, wie systematisch (professionell) die Betroffenen mit dem Arbeitsrecht umgehen.
7
Empirie wofür?
7.1
Die wissenschaftliche Debatte
Zwar macht das Beispiel des Umgangs der Arbeitsrechtswissenschaft mit den empirischen Ergebnissen zum Kündigungsschutz (unter 2 des Beitrags) nicht unbedingt Hoffnung, dass weitere empirische Forschungen von ihr in angemessener Form zur Kenntnis genommen würden. Gleichwohl ist der Ansicht zuzustimmen dass in den Anstrengungen nicht nachgelassen werden darf, um empirisch möglichst verlässliche Daten zu erhalten, welche die (fach-)öffentlichen Debatte immer wieder herausfordern und von ihr jedenfalls nicht ohne Auseinandersetzung mit ihnen übergangen werden können (vgl. Sadowski 2004: 231, 235).
7.2
Die betriebliche Praxis
Entsprechendes gilt für die betrieblichen Akteure auf Arbeitgeberseite trotz aller Schwierigkeiten, die Ergebnisse in die betriebliche Praxis hinein zu kommunizieren. Die Berücksichtigung der Fakten dient u. a. dazu, dass unerwünschte Nebenfolgen in das Blickfeld der Praxis gelangen und, soweit möglich, vermieden werden. Um dies für den Kündigungsschutz lediglich an zwei Beispielen zu erläutern. Neben den unmittelbaren Kosten können bei Kündigungen einer großen Zahl von Arbeitnehmern mittelbare Folgen eintreten, die sich etwa aus dem Loyalitäts- und 45
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
Vertrauensverlust der verbleibenden Beschäftigten und ggf. Imageverlusten des Unternehmens ergeben: „Eisberg-Modell“ (z.B. Stahlmann et al. 2004). Unsichere Arbeitsplätze könnten ferner auf andere gesellschaftliche Felder, etwa auf die Familienpolitik ausstrahlen, indem z.B. die demografische Entwicklung negativ beeinflusst wird (einerseits Mundorf 2006: 107 und Zachert 2006; andererseits Rieble 2006).
7.3
Der Gesetzgeber
Was den Gesetzgeber betrifft, so scheint die Aussicht besonders günstig, ihn bei Vorbereitungen wichtiger parlamentarischer Initiativen, u. a. bei Anhörungen, durch Expertenwissen auch über die tatsächlichen Voraussetzungen und Wirkungen von Normen zu beeinflussen. Dass bei allen Veränderungen, die der Kündigungsschutz im vergangenen Jahrzehnt erfahren hat, empirische Untersuchungen insoweit Berücksichtigung finden, die dessen Wirkung auf den Arbeitsmarkt differenziert und kritisch sehen, zeigen Beispiele aus jüngerer Vergangenheit (Deutscher Bundestag 2004: 5). Hieraus wird man allerdings nur in Grenzfällen eine Rechtspflicht zur Einbeziehung empirischer Ergebnisse in legislatorische Vorhaben ableiten können. Grundsätzlich verfügt der Gesetzgeber nämlich über eine Einschätzungsprärogative im Sinne eines weiten rechtspolitischen und prognostischen Freiraums. Gleichwohl ist er generell gehalten, sorgfältige Ermittlungen und verlässliche Prognosen anzustellen (Blum 2004; zur Bedeutung für den europäischen Gesetzgeber: European Commisssion 2005). Das gilt namentlich bei möglichen Grundrechtsgefährdungen und hat zum Beispiel eine Bedeutung für den (begrenzten) Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses (vgl. BVerfG 27.1.1998, BVerfGE 97, 169, 177ff.). Inwieweit dies im Sinne einer Plausibilitätskontrolle rechtlich überprüft werden kann, ist freilich umstritten (Überblick ErfK/Dieterich 2006, GG Einl. Rn. 42ff.; weitgehende Kontrolle schlägt vor Ullmann 2006: 26, 32ff.).
7.4
Die Rechtsprechung
Schließlich hat die Rechtsprechung die Folgen ihrer Entscheidungen zu ermitteln, zu prognostizieren und abzuschätzen. Dies betrifft insbesondere Wertungen im Rahmen gesetzlicher Generalklauseln. Eine solche Rechtsfolgenabschätzung ist jedenfalls als Appell zur selbstkritischen Reflektion außerrechtlicher Gegebenheiten und Wertungsfragen grundsätzlich anerkannt (rechtliche Konsequenzen ErfK/Dieterich 2006, GG Einl. Rn. 44) und wird praktiziert (Beispiel zum Kündigungsschutz: BVerfG 27.1.1998, BVerfG 97, 169, 177ff.).
46
1.2 Arbeitsrecht und die empirische Debatte – insbesondere um den Kündigungsschutz
Die Position eines „empirienihilistischen Standpunktes“ blieb bislang vereinzelt und hat sich zu Recht nicht durchgesetzt (zur Diskussion: Karpen 2006; Däubler 2006). Die Bedeutung der Folgenabschätzung ist, namentlich für das Arbeitsrecht (Däubler a.a.O.; Karpen, a.a.O.: 22f.; historische Hintergründe, Zachert 2004: 1, 3f., 8f.), nicht zu unterschätzen, denn sie trägt maßgeblich zur Friedensfunktion (Rechtsakzeptanz) der jeweiligen Entscheidungen bei.
7.5
Ergebnis
Im Ergebnis besteht jedenfalls auf einer allgemeinen Ebene Übereinstimmung, dass die vielfach bereits vorliegende empirische Forschung für „den Rechtsanwender“ eine ständige Herausforderung darstellt. Zugleich gibt es viele gute Gründe zu weiterer Rechtstatsachenforschung für verschiedene „Zielgruppen“ (Röhl 2005: 1, 8ff., 24ff.). Gesetzgeber, Richter und die Praxis sind auf sie angewiesen (Raiser 2007; Gamillscheg 2006: 165). Strikte Normativität im Sinne eines „fiat justitia pereat mundus“, stellt keine Alternative dar. Alles dies verweist auf das „klassische“ Thema, dass Werthaltung und Wertewandel durch die komplexe Wechselwirkung von „Sein und Sollen“ nachhaltig beeinflusst werden (vgl. Zachert 2004: 1ff.). Die Schwierigkeiten, welche die Wechselbeziehung zwischen Arbeitsrechtsdiskurs und Empirie oft aufwerfen, liegen allerdings nicht nur darin, dass die Erfassung der Realität eine solide Aufarbeitung der jeweiligen Fakten verlangt, sondern zugleich voraussetzt, vor deren Hintergrund ein eigenes überzeugendes Deutungsmuster zu entwickeln und kommunikativ auch durchzusetzen (Beardwell, 1996: 8f.).
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48
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51
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52
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Kapitel 1.3: Von der Wahrnehmung zur Handlung – Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht Cornelia Schmidt/Aleksandra Worobiej
1
Einleitung
Die Umsetzung von arbeitsrechtlichen Vorschriften in der personalwirtschaftlichen Praxis ist ein rechtlich und betriebswirtschaftlich hoch aktuelles Thema. In welchem Maße beeinflussen die Wahrnehmung von Arbeitsrecht und die Einstellung zum Arbeitsrecht die Handlungsorientierung von Personalverantwortlichen? Welche Funktion hat Rechtskenntnis und wie wirkt sie sich im Zusammenhang mit Einstellungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aus? Die systematische Untersuchung der zugrunde liegenden konkreten Motivationen, Überlegungen und Einstellungen bei gleichzeitiger Betrachtung der betrieblichen Rahmenbedingungen ist das Ziel unseres Forschungsprojektes. Mit der Methode des Experteninterviews soll im Rahmen des Projektes dieses Außenstehenden normalerweise nicht zugängliche, implizite Wissen explizit gemacht werden. Das Ziel des folgenden Beitrages ist es, grundlegende Aussagen zu Motivation, Rechtsbewusstsein und der Rechtsakzeptanz aus dem Blickwinkel verschiedener Fachgebiete darzustellen. Auch wenn sich bei den zahlreichen Ansätzen nicht immer eine direkte Verbindung zum Arbeitsrecht ziehen lässt, soll doch versucht werden, einen Überblick über verschiedene Forschungsansätze zu geben, die sich mit dem Rechtsgefühl, dem Rechtsbewusstsein und der Rechtsakzeptanz beschäftigt haben. Zu Beginn werden verschiedene Untersuchungen zu Rechtskenntnissen der Bevölkerung aus der Effektivitätsforschung, der KOL-Foschung und der Rechtstatsachenforschung vorgestellt. Dem Rechtsgefühl als Ausgangspunkt und Endpunkt jeder Rechtserkenntnis wird im dritten Kapitel breiter Raum gewidmet. Diese in der juristischen Debatte häufig eher unterbelichtete Dimension der Rechtswahrnehmung erhält durch neuere Erkenntnisse der Emotionspsychologie ein neues Gewicht. Im vierten Kapitel werden theoretische Ansätze zum Konstrukt des Rechtsbewusstseins vorgestellt. Den Schwerpunkt bilden dabei Ansätze der Entwicklungspsychologie, die in vielen Fällen die mehr oder minder implizite Annahme für Ansätze der Verhaltensforschung und der Rechtssoziologie bilden. Vor allem die Arbeit von Eckensberger, der die Ansätze von Piaget und Kohlberg handlungstheoretisch weiterentwickelt hat, sowie die kritische Auseinandersetzung mit diesen Theorien hinsichtlich von Handlungsalternativen bilden 53
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
den Mittelpunkt dieses Kapitels. Im fünften Teil werden dann Ansätze der Rechtsakzeptanz vorgestellt, die sich mit der Diskrepanz von akzeptierter Norm und rechtswidriger Handlung detailliert beschäftigt haben.
2
Rechtskenntnisse der Bevölkerung
Das Problem der Unverständlichkeit des Rechts auf der einen Seite und der Normenüberflutung auf der anderen scheint seit langer Zeit bekannt zu sein. Allerdings bedarf die Komplexität der heutigen Gesellschaften auch einer komplexen Rechtsordnung. Minimalistische und einfache Gesetzgebung ist nur für sehr simple Formen des Zusammenlebens oder beispielsweise für totalitäre Gesellschaften geeignet, für die heutigen vielfältigen demokratischen Systeme dagegen ist sie undenkbar (Pichler 1998: 23f.). Die Komplexität des Rechts geht (aus der Sicht der Experten) mit geringeren Rechtskenntnissen der Bevölkerung einher (vgl. Rasier 1998: 118f.; Röhl 1987: 259ff.; Rehbinder 1977: 158ff.). „Anbetrachts der Verrechtlichung und Normenflut muss Unwissen in Rechtsfragen notwendigerweise die Normallage sein“ (Pichler 1998: 34). Die Bevölkerung schätzt ihre Kenntnisse aber durchaus positiver ein (ebd., siehe auch: Schramm 2007). Daraus ergibt sich die Frage, wie das Recht das Verhalten der Gesellschaft ordnen oder seine Integrationsfunktion erfüllen kann, wenn es dieser Gesellschaft zum weitaus überwiegenden Teil gar nicht bekannt ist. Die Diskussion um die Wirksamkeit der arbeitsrechtlichen Regelungen gewann im Zuge neoliberaler Deregulierungsbemühungen an Bedeutung. Jedoch wird die Frage, ob Rechtsnormen bekannt und funktional sind und ob sie befolgt oder umgangen werden, in der Rechtssoziologie bereits seit längerer Zeit diskutiert.2 Eine grundlegende Frage war jeweils, wie die ‚black box‘ des Einflusses von individuellem Wissen und individueller Erfahrung auf die Umsetzung von Recht unter den spezifischen Bedingungen der jeweiligen Umwelt, der ökonomischen Bewertungen und der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse beschrieben und untersucht werden kann. Viele Rechtswissenschaftler vertreten die Meinung, dass das Recht seine Ordnungsund Integrationsfunktion nur dann erfüllen kann, wenn sein Inhalt bekannt ist oder doch zumindest bei Bedarf einigermaßen erfahrbar ist (Pichler 1998: 33f.). Diese These ist aber sehr umstritten: Recht erfüllt seine Funktionen möglicherweise ohne seine Erfahr2
Ehrlich beschäftigte sich bereits 1891 mit dem Arbeiterschutz im Privatrecht. 54
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
barkeit. Man könnte noch weitergehen und behaupten, dass Recht nur unter der Annahme weniger Rechtskenntnisse seine Funktionen erreichen könnte. „Recht so wie es positiv-rechtlich institutionalisiert ist, `funktioniert` gerade, weil es nur sporadisch in Anspruch genommen wird“ (Blankenburg 1998: 33). Es wird darauf hingewiesen, dass Autoritäts- und Rechtsgläubigkeit bei niedrigem Wissensstand am stärksten sind, während mit wachsender Kenntnis auch die Kritik am geltenden Recht zunimmt (vgl. Raiser 1996: 368f.) Menschen vermeiden häufig die Begegnung mit dem Recht und befassen sich mit ihm nur situativ, wenn sie dazu `gezwungen` werden (Blankenburg 1998: 133). Niklas Luhmann vertritt die Meinung, dass das Recht an sich sehr komplex geworden und dies eine typische Erscheinung für moderne Zeiten sei. Es sei auch unvorstellbar, dass man die ganzen Rechtsnormen überblickt, im Gegenteil – es ist ratsam, dass man sich nur mit den für sich relevanten Abschnitten auskennt, die z.B. mit dem Beruf verbunden sind (vgl. Luhmann 1983: 254ff.). Nikolaus Dimmel konsterniert, „..., daß der Erwerb von Rechtskenntnis je nach sozialökonomischem Status unterschiedlich notwendig und zielführend ist.“ (1986: 167). Daraus ergibt sich eine andere Frage: Wenn das Recht größtenteils durch die Bevölkerung unbekannt ist, muss es andere Institutionen geben, die verhaltenssteuernd auf die Gesellschaft wirken. „Die Funktion der Verhaltensteuerung in der Gesellschaft geht mangels Kenntnis des Rechts auf die anderen sozialen Ordnungen über. Die Bevölkerung verhält sich rechtmäßig, weil sie sich an die Regeln der Sitte, der Moral, der Konvention ... hält.“ (Rehbinder 1977: 159).
Es gibt also andere Regelungskomplexe außer Recht, die das Verhalten auch in rechtlichen Situationen beeinflussen. Die Wahrnehmung des Einzelnen, was rechtens ist, wird durch zahlreiche andere Faktoren bedingt, worauf in weiteren Schritten dieses Beitrages eingegangen wird. Die Vorstellung, dass das Recht in einem kausalen Zusammenhang die Rechtswirklichkeit formiert, scheint eher utopisch zu sein. Die Sozialwissenschaftler sind sich darüber einig, dass die Idee, die rechtssoziologische Wirklichkeit eindeutig und endgültig auf eine einzige Theorie zu reduzieren oder über diese monokausal für erklärbar zu halten, aufzugeben ist (vgl. Pichler/Giese1993: 61f.). „Die Vorstellung der Gesetzgeber sei in der Lage, ausschließlich kraft Gesetzeserlass die gesellschaftliche Wirklichkeit zu schaffen, wird zu Recht bezweifelt. Die Praxis lehrt, dass Recht und Rechtswirklichkeit auseinander klaffen“ (Ebd.: 41; siehe auch: Noll 1984: 66).
Der Abstand zwischen Norm und Wirklichkeit ist bis zu einem gewissen Grade zu erwarten (vgl. Röhl 1987: 244). Es gilt aber die Grenze für das Delta zwischen beiden zu untersuchen. Die Konzentration auf die Rechtswirklichkeit und die Untersuchung des Abstandes zwischen geschriebenen und gelebten Recht lenkt die Aufmerksamkeit auf eine der 55
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Dimensionen der rechtsoziologischen Forschung, nämlich auf die des „sozialen Handelns“. Darunter werden die Aktivitäten der Bürger, der Rechtsadressanten verstanden, genauer „die Befolgung oder Übertretung von Strafrechtsnormen oder die Wahrnehmung/Nicht-Wahrnehmung (zivil-)rechtlicher Erlaubnisse, das Abbedingen dispositiver Normen“ (Rottleuthner 1981: 63). Die beiden anderen Dimensionen, welche die Prozesse der Setzung, des Erlasses von Rechtsnormen beinhaltet und der Aktivitäten des Rechtsstabes, soweit sie die Anwendung, Bearbeitung und Durchsetzung von Rechtsnormen betreffen, werden hier nicht ausführlicher betrachtet.
2.1
Besonderheit des Arbeitsrechts
Das Arbeitsrecht weist als Vertrags- und Schutzrecht einen Doppelcharakter auf: Zum einen regelt das Arbeitsrecht die formale Gestaltung der Arbeitsbeziehungen hinsichtlich des Schuldverhältnisses, des Arbeitsortes, der Arbeitszeit (Umfang, Lage und Verteilung derselben), Tätigkeit etc. sowie die Bedingungen der Auflösung desselben (Art der Auflösung, Gründe, Form und Fristen einer Kündigung, Abfindungen). Zum anderen hat es die Funktion den Arbeitnehmer vor Übergriffen des Arbeitgebers und unbillige Härten aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Auflösung zu schützen. Die im Arbeitsrecht zum Ausdruck kommende asymmetrische Vertragsbeziehung stellt einen Widerspruch dar, weil das Recht als Vertragsrecht auf der regulativen Idee der Vertragsfreiheit beruht, die eine Gleichheit der Macht-Ressourcen der vertragsschließenden Parteien voraussetzt. Gleichzeitig aber soll das Arbeitsrecht MachtUngleichgewichte ausgleichen, Arbeitsverhältnisse sichern und die Akteure vor ungerechtfertigten Übergriffen schützen. Dieser Doppelcharakter des Arbeitsrechts ist ein Grund für die relative „Schwäche“ seiner Vorschriften. (Siehe ausführlich auch 3.2.3) Arbeitsrecht hat einen sehr großen Adressatenkreis: Über 30 Millionen sind als Arbeitnehmer tätig, ca. 5 Millionen sind als Selbstständige aktiv. Die spezifischen Kenntnisse in diesem Rechtsbereich sind jedoch in der Bevölkerung (Arbeitnehmer) eher niedrig (vgl. Schramm 2007). Das muss nicht zwangsmäßig gegen die effiziente Umsetzung sprechen, denn wenn der Laie im arbeitsrechtlichen Kontext bestimmte juristische Informationen benötigt, gibt es mittlerweile institutionalisierte Wege, wo er sich Hilfe holen kann. „Viele, wenn keineswegs alle Wirtschafts- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften können mit speziellen Fachkenntnissen und einem höheren Verständnishorizont der jeweils angesprochenen Adressanten rechnen. Auch soweit sie sich an juristische Laien wenden, fungieren bei ihnen Wirtschaftsverbände regelmäßig als Informations- und Interpretationsmittler und erleichtern so die Verständigung“ (Raiser 1996: 276).
56
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Solche institutionalisierten Wege sind für die beiden Seiten des Adressatenkreises zum Teil unterschiedlich; für die Arbeitgeber die Arbeitgeberverbände, Kammern oder Innungen, für die Arbeitsnehmer die Gewerkschaften. Allerdings können beide auch identische Informationsquellen haben z.B. den Steuerberater bzw. den Rechtsanwalt oder - als nur bedingt institutionalisierter Weg – die Online-Beratung im Internet. Im Mittelpunkt unserer Untersuchung stehen die Personalverantwortlichen. Diese gehören zu den Rechtsadressaten bzw. den Rechtsanwendern. Die Schwierigkeit für die weiteren Überlegungen bestand darin, dass die Personalverantwortlichen in den von uns befragten kleineren Unternehmen meistens die Geschäftsführer und zugleich auch die Arbeitgeber waren. Diese Tatsache positioniert sie relativ deutlich auf der einer Seite der vertraglichen Beziehung. Die Personalleiter in Großunternehmen unserer Befragung nehmen dagegen eher eine Zwischenstellung ein. Sie sind Arbeitnehmer, vertreten aber von Berufs wegen die Position des Arbeitgebers. Das Arbeitsrecht beinhaltet in großen Umfang zwingendes Recht, „das die Vertragsfreiheit begrenzt und den Gestaltungswillen der Parteien in die vom Gesetzgeber gewollte Richtung nötigt“ (Raiser 1989: 58). Hier sind die Arbeitnehmerschutzregelungen zu nennen wie z.B. der Kündigungsschutz nach § 622 BGB, das Kündigungsschutzgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Bundesurlaubsgesetz, das Nachweisgesetz, das Jugendarbeitsschutzgesetz, das Arbeitsschutzgesetz und das Mutterschutzgesetz. Darüber hinaus finden sich im Arbeitsrecht unterschiedliche dispositive Rechtsnormen, die Regelungsangebote bereitstellen, von denen die Beteiligten Gebrauch machen können, aber nicht müssen z.B. Befristung oder Leiharbeit (vgl. Röhl 1987: 246f.; Raiser 1996: 262f.). Auch Regelungen, die sowohl zwingendes Recht als auch dispositives Recht enthalten, sind Bestandteil des Arbeitsrechtes, z.B. das Arbeitszeitgesetz. Je nach der Art der Regelung erweitert das dispositive Recht die Handlungsspielräume der Entscheidungsträger (hier der Personalverantwortlichen) oder ermöglicht den Arbeitnehmern Mitsprache bezüglich der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen, wie z.B. Anspruch auf Teilzeitarbeit, der aktiv von Arbeitnehmern eingefordert werden muss.
57
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
2.2
Stellung des Beitrags in der empirischen Forschung der Rechtssoziologie
Unsere Untersuchung, die den Rechtsnormadressaten bzw. Rechtsanwender in dem Mittelpunkt stellt, steht zwischen drei Themenbereichen der empirischen Rechtssoziologie: Effektivitätsforschung, Knowledge and Opinion about Law (KOL) Forschung und Rechtstatsachenforschung. Diese sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.
2.2.1 Effektivitätsforschung Bei der Effektivitätsforschung wird der Schwerpunkt auf die Feststellung der Auswirkungen, auf die Überprüfung der Wirksamkeit erlassener Gesetze gesetzt. Es wird untersucht, in welchem Maße und in welcher Weise die Rechtsnormen tatsächlich angewendet und befolgt werden (vgl. Rottleuthner 1981: 91ff.). Die Aspekte der Gültigkeit bzw. Geltung und der Verbindlichkeit der Normen (mehr zu dieser Thematik siehe: Lippold 1998; Hoerster 1983; Schreiber 1966) werden nachfolgend nicht genauer erörtert, weil sie außer theoretischen und eher auf Definitionen basierender Diskussion, nichts weiter zu dem Thema Wirksamkeit des Rechts beitragen. Kurz zu erwähnen ist insofern das Konzept von Theodor Geiger. Er geht davon aus, dass eine Norm entweder befolgt wird oder das soziale Verhalten von ihr abweicht und dies entweder sanktioniert oder nicht sanktioniert wird. Seine Effektivitätsquote zeigt den Anteil aller Situationen in denen die Norm befolgt wird oder der Ungehorsam sanktioniert wird. Ihr Gegenteil ist die Ineffektivitätsquote (vgl. Geiger 1964: 242ff.). Für die Regelungen, die durch Verhaltensgeltung (tatsächliche Befolgung der Norm) hohe Effektivitätsquote erzielen, führt Geiger den Begriff der Aktionsnormen ein (vgl. ebd.: 149). Ihnen gilt unser besonders Interesse. Das Geigerische Modell wurde immer wieder aufgegriffen (siehe z.B. Popitz 1980: 35ff.; auch: Schnur 2001: 104ff.) und gilt als einer der Bausteine der modernen Rechtssoziologie. Heute besteht jedoch Übereinstimmung, dass es einer Ergänzung bedarf (vgl. Röhl 1987: 246f.; Raiser 1995: 262f.). So kann die Effektivität des Rechts auch unter dem Gesichtspunkt behandelt werden, ob der Gesetzgeber bei seiner Absicht, für bestimmte Lebensbereiche angemessene Regelungsmodelle zur Verfügung zu stellten, von zutreffenden Vorstellungen ausgegangen ist oder ob sich die Verhältnisse zwischenzeitlich verändert haben (Röhl 1987: 247). Jedoch nicht nur das Eintreten der von Gesetzgeber bzw. Rechtsstab beabsichtigten Wirkungen wird als ein wichtiger Analysepunkt der Effektivitätsforschung ange58
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
sehen, sondern auch die Frage, ob die Befolgung der Normen zu Konsequenzen führt, die gar nicht vorgesehen waren und unerwartet auftreten (Nebenfolgen). Thomas Raiser untersucht die Wirksamkeit des Rechts daher vor allem von einer anderen Seite: Er fragt nicht primär nach den Folgen des Rechts bzw. nach der Effektivität, sondern beschreibt die Voraussetzungen, die gewährleisten sollen, dass eine Norm befolgt wird. Die Wirksamkeit des Gesetzes hängt danach von der Voraussetzung ab, ob es verständig formuliert und auf geeignete Weise bekannt gemacht wird. So dann wird der Bereich der Vollzugs- und Sanktionsinstanzen analysiert. Die Sanktionen müssen sachlich geeignet und stark genug sein, die Normadressaten zu beeindrucken und ihren Widerstand zu überwinden. Die weiteren relevanten Faktoren sind das allgemeinen Rechtsbewusstsein der Bevölkerung und die anerkannten religiösen, moralischen und sozialen Prinzipen. Es wird davon ausgegangen, dass die Vorschriften, die mit dem allgemeinen anerkannten Wertvorstellungen übereinstimmen (dem allgemeinen, kollektiven Rechtsbewusstsein), eine gute Aussicht haben, freiwillig befolgt zu werden. Schließlich ist der Bezugsrahmen von Bedeutung, in dem sich der Normadressat befindet. Eine Vorschrift, die den Wertvorstellungen und Wünschen einer Gruppe entgegenkommt, wird von dieser angenommen. Die letzte Kategorie – die mit der Person des Normadressaten verbundenen subjektiven Elemente – werden im Kapitel 4 näher vorgestellt.
2.2.2
Knowlegde and Opinion about Law (KOL)
Der KOL-Forschungsansatz bezieht sich ausschließlich auf die Untersuchung der Rechtsadressanten. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den Kenntnisse über rechtliche Regelungen, Vorstellungen über das Bestehen einer Rechtsnorm, die Bewertung der einzelnen Handlungen, die rechtlich normiert sein können sowie das Verlangen nach einer rechtlichen Sanktionierung dieser Handlungen (Rottleuthner 1981: 153f.) In den 70er Jahren wurde eine vergleichende Untersuchung in Deutschland, Polen, Dänemark und den Niederlanden durchgeführt, die Daten zu diesen Variablen erhob und den Zusammenhang zwischen den einzelnen Ebenen (vermeintlicher) Kenntnis, der Rechtslage, Bewertung und Sanktionsverlangen hinterfragte und – trotz unterschiedlicher Rechtssysteme – im Ergebnis zu relativ geringen Unterschieden in den allgemeinen Einstellung und Erwartungen der Bevölkerung kam (Blankenburg 1998: 140; Podgórecki et al. 1973). Ein anderer Komplex der KOL-Untersuchungen umfasst die Ermittlung von Kenntnissen, Meinungen und Einstellungen gegenüber rechtlichen Institutionen, von Faktoren, die relevant beim Zugang zu den Gerichten erachtet werden.
59
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Eine auch für unser Thema interessante Untersuchung im Rahmen der KOLForschung wurde Anfang der 70-er Jahre in Texas durchgeführt. Die Bevölkerung wurde nicht nur nach Rechtsvorschriften, sondern auch nach Sinn und Zweck bestimmter Regelungen gefragt. Die Ergebnisse zeigten, dass das Recht in den Augen der Befragten vor allem den Charakter des Zwangs hatte, es trug die eher für die Bewahrung der bestehenden Zustände und nicht zu deren Verbesserung bei. Diese strafund ordnungsgerechte Einstellung zum Recht hatte zur Folge, dass die Menschen in rechtlichen Vorschriften eine Beschränkung sahen und die Schutzfunktion und andere Funktionen des Rechts außer Acht ließen. Es wurde auch nachgewiesen, dass Menschen, die nicht über ausführliche Kenntnisse der Vorschriften verfügten, eine eher negative Einstellung zum Recht hatten, weil sie es sich viel ungünstiger vorstellten als es tatsächlich war (vgl. Williams/Hall 1972: 99-118). Dieses Ergebnis steht allerdings im Widerspruch zu Ergebnissen einschlägigen Forschungen aus Deutschland. So stellten Blankenburg/Reifner (1982) fest: je weniger Rechtskenntnisse und je weniger Rechtserfahrungen vorhanden ist, desto mehr Vertrauen in Rechtsinstanzen besteht (zum Kritik der KOL-Forschung: Dimmel 1986: 144ff.; zum Rechtsbewusstsein näher Kapitel 4).
2.2.3
Rechtstatsachenforschung
Die Rechtstatsachenforschung ist unter dem Einfluss des „neuen“ soziologischen Denkens um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden und auch als Reaktion auf die Wirklichkeitsferne der begriffsjuristisch geschulten Juristen in der Zeit nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuch zu sehen (Raiser 1996: 39). Eugen Ehrlich, der als einer der Gründer dieser Forschungsdisziplin gilt, versteht unter Tatsachen des Rechts, all das, was den Gegenstand der Erforschung des lebenden Recht bildet: „Die gesellschaftlichen Erscheinungen auf dem Rechtsgebiete“ (Ehrlich 1913: 382). Das lebende Recht besteht nach Ehrlich in den Regelungen, mit denen von der Möglichkeit privatautonomer Vereinbarungen Gebrauch gemacht wird, in der Art und Weise, in welcher die gesetzlichen, aber dispositiven Normen des Privatrechts abgedungen werden oder welche der gesetzlichen Alternativen gewählt wird.
60
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
3
Rechtsgefühl
Der Eingangs bereits zitierten Annahme, dass andere soziale Ordnungen wie Sitte, Moral oder Konvention die Verhaltenssteuerung übernehmen, wenn keine Rechtskenntnisse vorliegen (Rehbinder 1977: 159), soll im Folgenden anhand des Phänomens des ‚Rechtsgefühls‘ nachgegangen werden. Raiser definiert Rechtsgefühl wie folgt: „Menschen (besitzen) unabhängig von aller Berührung mit dem geltenden Recht einen ursprünglichen, nicht reflektierten Sinn für Recht und Unrecht, also intuitiv, eben gefühlsmäßig.... Dieses Rechtsgefühl wurzelt im individuellen oder kollektiven Unbewußten. Es unterscheidet nicht zwischen Konvention, Recht und Moral, sondern tritt als ein undifferenziertes Judiz in Erscheinung.“(Raiser 1998: 110)
Das Verständnis über die Entstehung und Funktion dieses „undifferenzierten Judiz“ wird als grundlegend für das Zusammenspiel von Wahrnehmungen und Einstellungen im Recht gesehen und soll daher im Folgenden näher bestimmt werden. Dabei stellt sich die Frage ob Rechtsgefühl ein Gefühl bzw. eine Emotion ist, wie es entsteht und welche Funktion es im Zusammenhang von Moral und Recht, zwischen Sein und Sollen, hat.
3.1
‚Rechtsgefühl‘ – die emotionale Grundlage des Rechts?
Nach Rehbinder ist „Rechtsgefühl (...) Auslöser und Ausdruck eines neurochemisch in den sog. pleasure centers des Gehirns erzeugten Wohlgefühls.“ (Rehbinder 1983: 174). Damit kann es als ein körperlich-seelischen Grundphänomen des subjektiven Erlebens, als psychischer Zustand, ähnlich wie Sympathie und Antipathie, Anteilnahme, Respekt, Stolz, Verachtung betrachtet werden. Die Begriffe Gefühle und Emotionen werden häufig synonym verwandt (näher siehe Punkt 3.1.1 bzw. 3.1.2). Die rationale Rechtswissenschaft klammert den Bereich der Gefühle und Emotionen meistens aus. Generell sind Emotionen in der Justiz nur am Rande existent und häufig negativ konnotiert. Affekthandlungen werden als strafmildernd – weil unzurechnungsfähig – bezeichnet und moralische Urteile als unsachliche und verzerrende Effekte behandelt. Luhmann betont, die Funktion von Gerichtsverfahren bestände u. a. darin Gefühle zu neutralisieren (Luhmann 1983: 38). Da nach dem zuvor geschilderten Grundmodell, die psychische Verfassung der Akteure mit ihren Einstellungen, Kenntnissen und Erfahrungen eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme und Anwendung von Arbeitsrecht spielt (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1), sollen zunächst Gefühle, Emotionen und Intuition, die auf angeborene und erlernte Antriebe und Hemmungen zurückgeführt werden kurz dargestellt werden.
61
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
3.1.1
Das Rechtsgefühl als Gefühl
Gefühle sind nicht der Gegenspieler des Intellektes, sondern durchdringen, formen und lenken die menschliche Vernunft, da sie Ausdruck für das subjektive Erleben und Denken sind. Es gibt kaum eine psychische Tätigkeit bei der Gefühle keine Rolle spielen. Gefühle sind affektive Handlungsimpulse, die zu Interaktionen führen, die - vereinfachend ausgedrückt - der Bedürfnisbefriedigung dienen und dann als Emotion bezeichnet werden. Bei moralischen Entscheidungen, wenn es um das direkte Verhalten gegenüber anderen Menschen geht, sind Gefühle besonders stark beteiligt (Mees/Schmitt 2003: 28). Gefühle werden als inneres Erleben beschrieben und sind demnach dem Antriebsgeschehen zuzuordnen, wobei das Zusammenwirken von Antrieben und Hemmungen die individuelle Antriebsstruktur bildet, die relativ stabil ist und im Erleben durch Wertungen – den Gefühlen – begleitet wird (Hof 1996: 33). Nach Lampe können diese Antriebskräfte auf 17 Grundbedürfnisse zurückgeführt werden, unter denen im Kontext des Arbeitsrechts vor allem ein Selbsterhaltungsbedürfnis, ein Sicherheitsbedürfnis, ein Freiheits- und Schaffens-, ein Erwerbs- und Besitz- sowie ein Geltungs- und Machtbedürfnis interessant sein dürften (Lampe 1988: 25f.). Bei Lampe findet sich damit eine Verbindung zu der psychologischen Motivationsforschung von Maslow. Zu unterscheiden sind danach physische und psychische Grundbedürfnisse, die – zumindest teilweise – als genetisch bedingt gelten können. Rechtsgefühl gehört nicht zu den Grundbedürfnissen, kann jedoch als unter Sozialisationseinfluss aus diesen entstanden, betrachtet werden. Die kulturellen Einflüsse spielen beim Rechtsgefühl eine starke Rolle (siehe auch 2.1.3).
3.1.2
Das Rechtsgefühl als Emotion
Unter Emotionen wird das innere Erleben – das Gefühl - und die äußere Reaktion, die Handlung verstanden. Auslöser für eine rege Emotionsforschung in den letzten 10 Jahren waren Fallstudien an hirnverletzten Patienten, die bewiesen, dass der menschliche rationale Verstand ohne emotionale Leitung nicht funktionieren würde (Damasio 1994). Emotionen koordinieren Körper und Geist in Richtung auf die situationsspezifischen Aktionen, sie sind sowohl für die Planung als auch für die Steuerung von Handlungen wichtig. Bei der Bildung von Emotionen koordiniert das Gehirn schnelle, automatische, impulsive Prozesse und langsame, offene, reflexive Prozesse. Dabei werden ständig die unterschiedlichen Aspekte von Situationen bewertet, wobei Denk- und Gefühlsprozesse zusammenwirken. Muss so rasch wie möglich gehandelt werden, überwiegen die impulsiven Automatismen (Bless et al. 2004). Zu betonen ist jedoch, 62
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
dass Emotionen nicht zur Handlung zwingen, sondern Vorschläge machen. Sie sind keine feststehenden immer gleichen Reaktionsweisen, sondern bilden sich immer wieder neu in langen sozialen Lernprozessen. Die Emotionspsychologie verbindet die Motivations- und Emotionsforschung und unterscheidet zwischen inhaltlichen Zielen und den emotionsbezogenen Gründen von Handlungen. Für eine empirische Studie unterschieden Mees/Schmitt 16 fundamentale Motive bzw. Werthaltungen, die psychologisch relevanten Handlungen zugrunde liegen (Mees/Schmitt 2003: 13). In ihrem Modell gehen Mees/Schmitt davon aus, dass bestimmte Handlungen durch bestimmte Emotionen erst konstituiert werden, aber umgekehrt bestimmte Gefühle auch erst eine bestimme Handlungsbereitschaft ‚wecken‘, auch wenn diese nicht immer umgesetzt werden kann (Mees/Schmitt 2003: 28). Dadurch werden Handlungsziele untrennbar mit Emotionen verknüpft. Bei einer Unterscheidung von Zielen und Gründen einer Handlung kann die unterschiedliche Disposition von Personen in Hinblick auf Handlungsziele erklärt werden, also ob eine positive oder negative Bewertung dieses Ziels zugrunde liegt. Grundannahme ist, „dass die Gründe für Handlungen entweder in der Hoffnung auf den Eintritt bzw. den Erhalt des Erlebens bestimmter positiver Gefühle oder in der Hoffnung auf das Vermeiden bzw. Reduzieren des Erlebens bestimmter negativer Gefühle bestehen.“ (Mees/Schmitt 2003: 29).
3.1.3
Das Rechtsgefühl als Intuition
Rechtsgefühl äußert sich in einem spontanen Sinn für Recht und Unrecht (Raiser 1989: 110). Eckensberger, der sich mit dem ‚Rechtsgefühl‘ aus entwicklungspsychologischer Perspektive beschäftigt hat, bezeichnet es als Bezugssystem für die normativen Bewertungen von Handlungen. So werden Einschätzungen, was erlaubt oder verboten ist, welche Ansprüche man stellen darf bzw. welche Pflichten man hat und wie das Verhalten von anderen zu beurteilen ist, selten reflektiert, sondern ‚aus dem Bauch heraus‘ getroffen. Den Juristen soll es unterstützen, vorhandene Normen zu interpretieren bzw. Lücken in Normensystemen zu schließen. Dem Laien soll es helfen auch ohne Kenntnis des geltenden positiven Rechts eine Entscheidung zu fällen, die sich in Übereinstimmung mit dem Recht befindet (Eckensberger 1985: 71). Dieser Prozess in der Entscheidungssituation des Laien wird als ‚Gewissensanspannung‘ bezeichnet. Nach Eckensberger muss das Rechtsgefühl für eine gegebene, umgrenzte Rechtsgemeinschaft inhaltlich weitgehend identisch sein, da sowohl die Entscheidung des Juristen als auch die des Laien von der jeweiligen Bezugsgruppe nachvollziehbar sein 63
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
muss, um akzeptiert zu werden (Eckensberger 1985: 2). Der Zusammenhang wird in der folgenden Tabelle deutlich. Tabelle 1: Funktionen des Rechtsgefühls
Für das einzelne Subjekt
Für seine Bezugsgruppe (Rechtsgemeinschaft)
Als Jurist: Normensetzung und Normenanwendung Normenauslegung
Der Juristen: Normenakzeptanz (Urteilsübereinstimmung)
Als Laie: ‚Gewissensanspannung‘ beim konkreten Handeln
Der Gesellschaft (Laienspähre): Durchsetzbarkeit von Normen
Quelle: Eigene Darstellung nach Eckensberger (1985)
Die kulturspezifische Ausprägung, die bereits im Zusammenhang mit den Gefühlen erwähnt wurde, kann besonders im Zusammenhang mit der intuitiven, normativen Bewertung von Handlungen festgestellt werden. Ob Gefühl oder Emotion, deutlich wird, dass Gefühle, Kognition und Handlung nicht nur eng zusammenhängen, sondern nicht von einander zu trennen sind.
3.1.4
Das Rechtsgefühl in der Rechtswissenschaft
Die Diskussion über die Herkunft des Rechtsgefühls dauert seit 120 Jahren an. Zentral ist dabei die Frage, ob das Rechtsgefühl das Recht erzeugt oder das Recht das Rechtsgefühl (ausführlich hierzu: Rehbinder 1983: 261f.). In heutiger Terminologie lässt sich die Frage präzisieren, ob das Rechtsgefühl angeboren – also genetisch bedingt – oder erworben – also im Sozialisationsprozess entstanden ist. Eckensberger spricht auch von Anlage- bzw. Umwelteinflüssen (Eckensberger 1985: 73f.). Das ‚Rechtsgefühl‘ wird in der positivistischen Rechtswissenschaft in seiner Bedeutung für das Verständnis von Wahrnehmungen und Einstellungen aber im Allgemeinen ignoriert und als nicht nachweisbar, für die Rechtsgeltung unwesentlich bzw. für den rationalen Prozess der Rechtsfindung irrelevant abgetan. Empirische Ergebnisse der Soziobiologie und der Psychologie werden nur am Rande zur Kenntnis genommen, wie überhaupt naturwissenschaftliche Erkenntnis häufig ignoriert werden (bereits Schwartz 1983: 52; auch Raiser 1998: 109). Auch die Rechtssoziologie ist vorsichtig in der Übernahme dieser Ergebnisse, obwohl das Rechtsgefühl hier häufig als Grundlage für Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz bezeichnet wird. (Raiser 1998: 111; Blankenburg 1994: 84) Am ehesten findet eine tiefere Beschäftigung mit dem Rechtsgefühl, noch auf der theoretischen Ebene der Rechtsphilosophie statt (Lampe 1985). Über 64
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Entstehung, Funktion und Veränderung des Rechtsgefühls findet sich daher auch keine geschlossene Theorie. Beiträge verschiedener Disziplinen zur Entstehung, der Funktion und der Veränderung des Rechtsgefühls sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
3.2
Zur Entstehung des ‚Rechtsgefühl‘
Unbestritten ist heute, dass die Umweltkomponenten bei der Entstehung des Rechtsgefühls dominieren. Vereinfachend kann man von einem in seinen Grundfunktionen genetisch bedingten, inhaltlich aber von der sozialen Umwelt modifizierbaren und auch manipulierbaren „Sinn für Gerechtigkeit“ in Form eines Rechtsgefühls ausgehen (Rehbinder 1983: 68). Die genetisch bedingten Reflexe und Instinkte sind im Laufe der Evolution durch höchst differenzierte kognitive und emotionale Kommunikations- und Interaktionsmuster ergänzt worden (Count 1970: 134f., zitiert bei Lampe 1988: 22), so dass das spezifische menschliche Verhalten vor allem kulturgeprägt ist. Allerdings wird davon ausgegangen, dass es menschliche Anreize und Hemmungen gibt, die genetisch von Generation zu Generation übertragen werden und in den verschiedenen Kultur- und Rechtsordnungen unabhängig von Zeit und Raum identisch sind (Campbell 1983: 183; Lampe 1988: 22 f.).
3.2.1
Rechtsgefühl in der Entwicklungspsychobiologie
Die Entwicklungspsychobiologie betrachtet einerseits die Genese von Normen in der evolutionären Stammesgeschichte der Menschheit, d.h. in der Phylogenese und andererseits die Normensozialisation, d.h. die Übernahme der kulturspezifischen Normenvorstellungen während der Ontogenese, der Individualentwicklung des Menschen (Hammer/Keller 1997: 155). Ihre Ergebnisse zeigen elementare Impulse des Rechtsge-
fühls als ein Produkt der biologischen Evolution, das in den Erbanlagen verankert ist (Gruter 1983: 225ff.; Hirsch 1983: 275; Hendrichs 1985: 57). Rechtsempfinden ist demnach abhängig von der Art der Bindungsbeziehungen, frühkindlichen Interaktionen und einer Reziprozität des Verhaltens, dass die Internalisierung von Werten und Normen als generationsübergreifendes Wertemuster zum Vorteil für eine Gruppe oder Gesellschaft ausgebildet hat (Hammer/Keller 1997: 169ff.). Unter Reziprozität des Verhaltens ist ein ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen, ein natürliches Gerechtigkeitsempfinden, eine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft und ein Vertrauen in die Interaktionspartner zu verstehen. Hierbei sind immer die direkten sozialen Interaktionen und die dabei gemachten Erfahrungen entscheidend.
65
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
So verstanden darf auch das Rechtsempfinden bzw. Rechtsgefühl nicht als unveränderlich betrachtet werden. Eine ethische Empfindung wie z.B. die Nächstenliebe ist kein simpler Affekt, sondern entsteht erst im sozialen Lernprozess in Abhängigkeit des Menschenbildes in einer Gesellschaft. Damit ist sie kognitiv entstanden und von Vernunft nicht zu trennen, sie beeinflusst Handlungen und wird von den Ergebnissen dieser Handlungen wieder beeinflusst. Allgemeiner ausgedrückt befindet Rehbinder: „Rechtsgefühl ist (...) in seiner Genese subjektiv und emotional, in seinem Anspruch objektiv und rational.“ (Rehbinder 1985: 174)
3.2.2
Rechtsgefühl in der Soziobiologie
Die Ausbildung der Normen bei der Spezies Mensch mit der Entwicklung des Rechtsempfindens im Laufe einer menschlichen Lebensspanne wird in der Soziobiologie unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit für die Arterhaltung betrachtet. Da der Mensch sowohl von egoistischen als auch von Handlungen für das Gemeinwohl abhängig ist (Campbell 1983: 179ff.), benötigt er soziale Kontrollmechanismen, die durch Koordination und Beschränkungen ein Leben in der Gruppe optimieren. Nach Campbell ist in Kleingruppen die gegenseitige Kontrolle, deren grundlegende Mechanismen genetisch bedingt sind, ein sehr effektives Mittel sozialer Kontrolle. Allerdings wird dadurch das kollektive Interesse der Gesamtgruppe meistens nicht berücksichtigt. Dieses wird möglich durch internalisierte Kontrolle in Form von Religion und moralische Normen, die zu einer Selbstbeschränkung im Sinne der Gesellschaftsorganisation führen. Diese beiden Formen der sozialen Kontrolle wurden in allen modernen Staaten durch rechtliche Kontrolle ersetzt3. Nach Campbell ist es: „…in Anbetracht unseres soziobiologischen Modells der menschlichen Natur (...) erstaunlich, daß ein solches System (rechtliche Kontrolle.) jemals funktioniert hat und führt dies auf ein Rechtsempfinden zurück, das mit Hilfe transzendenter religiöser Überzeugungen geformt wurde“ (Campbell 1983: 187).
Er folgert daraus: „Eine soziale Kontrolle mittels Recht kann nur mit Hilfe der internalisierten Kontrolle funktionieren. Diese internalisierte Kontrolle muß nicht nur verhindern, daß der Buchstabe des Gesetzes verletzt wird, sondern muß auch das Interesse der Allgemeinheit im Sinne des Gesetzes wahren. Ferner muß sie bewirken, daß Gesetze nicht aus opportunistischer Habgier zum Schaden anderer gebraucht werden.“ (Campbell 1983: 188)
Nach Campbell gibt es noch einen vierten sozialen Kontrollmechanismus, die marktmäßige Kontrolle im Sinne eines ‚laissez faire‘, bei der „...kluger Egoismus aller die 3
Die Ansätze von Campbell (1983), der vier sozialen Kontrollemechanismen: Religion, Moral, Recht und Markt; Luhmann (1986), der sechs Funktionssysteme der Gesellschaft: Wirtschaft, Recht, Politik, Religion, Erziehung und Wissenschaft und Hof (1996), der fünf Regelungskomplexe: Recht, Religion, Ethik, Politik und Erziehung weisen deutliche Überschneidungen aus. 66
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Habgier anderer in Schranken hält“ (Campbell 1983: 188). Hier besteht jedoch die Gefahr der Rationalitätenfalle, wenn Vorteile der Zusammenarbeit und der kollektiven Güter verlorengehen, wenn jeder einzelne eine egoistisch betrachtet kluge Wahl trifft. Auch die marktmäßige Kontrolle kann nach Campbell nur funktionieren, wenn sie auf internalisierte moralische Kontrollelemente beruht (ebd.: 189). Rechtsgefühl kann daher auch als Gemeinschaftsgefühl bezeichnet werden (Rehbinder 1983: 174). Sowohl die Grundrechte als auch das Bürgerliche Gesetzbuch bringen in ihren Formulierungen eine über dem positiven Recht stehende Wertordnung zum Ausdruck, der ein bestimmtes Gerechtigkeitsverständnis zugrunde liegt (Zippelius 1985: 14; Raiser 1993: 15; konträr hierzu: Luhmann 1983: 2 bzw. 251f.). Dieser auf Konsens beruhende Gerechtigkeitsmaßstab wirkt, eher indirekt, auch in einer hochdifferenzierten und pluralistischen Gesellschaft. Denn der stabilisierende Einfluss von Rechtsnormen trifft auf eine Psyche, die nicht beliebig determinierbar ist, sondern bereits durch Formen der gegenseitigen und der internalisierten Kontrolle geprägt wurde (Lampe 1988: 24). Das Zusammenspiel von genetisch bedingtem und kulturell erworbenem Rechtsgefühl kann differenzierter dargestellt werden, wenn man – wie Lampe – die eben dargestellten Erkenntnisse auf ihre Funktionen hin analysiert.
3.3
Zur Funktion des ‚Rechtsgefühl‘
Lampe stellte 1985 die These auf, dass das Rechtsgefühl an jeder Kognition im Rechtsbereich beteiligt ist und versuchte die Funktionen dieser Beteiligung und einige ihrer Eigenschaften zu bestimmen. Danach geht das Rechtsgefühl erstens dem positiven Recht logisch voraus und bildet zweitens sachlich einen Referenzstandard an dem das positive Recht zu messen sei.
3.3.1
Die kognitive Funktion des Rechtsgefühls
Kognition definierte Lampe als jede Informationsverarbeitung des menschlichen Organismus einschließlich der dafür eingesetzten Mittel, z.B. Lernen und Erinnern (Lampe 1985: 110).4 Rechtsgefühl betrachtete Lampe in seinem Modell als wertbezogene Kognitionen, die Reize (Rechtstatbestände) in Hinblick auf notwendige Handlungsreaktionen analysieren. Diese wirkten mit ähnlichen Mechanismen wie die seinsbezogenen
4
Damit geht Lampe weiter als die herkömmliche Defintion, die Kognition „mit der Gesamtheit aller Prozesse, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen“ beschreibt. (Duden, Fremdwörterlexikon); bzw. dem Wörterbuch der Soziologie (Hillmann 1994): kognitiv = ‚erkennend‘, das Erkennen, Wahrnehmen, Wissen betreffend. 67
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Kognitionen, die Sinneswahrnehmungen. Nach Lampe haben wertbezogene und seinsbezogene Sinneswahrnehmungen die Aufgabe den Organismus vor Reizüberflutung zu schützen und an die wesentlichen Bedingungen der Außenwelt anzupassen. Lampe unterscheidet in seinem Modell physiologische, psychologische und rationale kognitive Funktionen, die interaktiv zusammenwirken. Je nach Ausprägung der jeweiligen Funktion kann zwischen hauptsächlich physiologischen Rechtsreflexen, hauptsächlich psychologischen Rechtsempfindungen bzw. Rechtsvorstellungen und hauptsächlich rationalen Rechtswertungen unterschieden werden, die Lampe alle unter der Begriff ‚Rechtsgefühl‘ subsumiert. Diese Funktionen wirken in einer aufsteigenden Komplexität zusammen. Rechtsreflexe stellen die Grundbedingungen für Rechtsempfindungen dar, genauso wie diese wiederum eine Voraussetzung für Rechtsvorstellungen bzw. Rechtswertungen werden. So finden sich die Eigenschaften der Intensität, Invarianz oder Adaptation auch bei der Kognition von Rechtsvorstellungen oder Rechtswertungen wieder, wenn es z.B. um die Wahrnehmung der Generalisierung von Aussagen oder die Bewertung von Situationen geht. In der unten stehenden Tabelle 2 sind den Funktionen des Rechtsgefühls die kognitiven Eigenschaften der Funktionen zugeordnet. Tabelle 2: Kognitive Eigenschaften der Funktionen des Rechtsgefühls
Kognitive Funktionen des Rechtsgefühls
Kognitive Eigenschaften der Funktionen
Rechtsreflexe
physiologisch
Rechtsempfindungen
Intensität, Zentrierung, Kontrast, Invarianz, Adaptationen
Rechtsvorstellungen
Strukturbildung, Generalisierung
Rechtswertungen
Attributive Gedanken (Attributionsthese), handlungsbezogene Gedanken /Bewertungen und Reflexionen zur Situation (Substantialiätsthese, Adäquitätsthese)
Quelle: Eigene Darstellung nach Lampe (1985)
Auf Rechtsreflexe wird in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen. Im Folgenden sollen die Funktionen der Rechtsempfindungen detaillierter dargestellt werden. Durch die Wahrnehmung von Normen entsteht auf dieser Ebene das intuitive Rechtsgefühl. In der Reflexion von Normen und Rechtsgefühl vollzieht sich nach Blankenburg, die Entstehung von Rechtsbewusstsein auf das im dritten Kapitel näher eingegangen werden soll. Rechtsvorstellungen und Rechtswertungen, die von Lampe noch dem Rechtsgefühl zugeordnet werden, sind nach dieser Kategorisierung Bestandteile des Rechtsbewusstseins, die im Zusammenhang mit den entwicklungspsychologischen 68
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Modellen erklärt werden. Generell ist dabei zu betonen, dass eine Trennung von Rechtsgefühl und Rechtsbewusstsein rein analytisch ist und empirisch nur unvollständig umgesetzt werden kann.
3.3.2
Die kognitiven Funktionen der Rechtsempfindungen
Bei den elementaren Rechtsempfindungen unterscheidet Lampe zwischen Intensität, Zentrierung, Kontrast, Invarianz und Adaptation als physiologische und psychologische Transformationsleistungen des Kognitionssystems, die wie Filter wirken und Komplexität reduzieren. Bei der Intensität, Zentrierung und Kontrastbildung handelt es sich eher um Wahrnehmungsfilter, die dazu dienen die Aufmerksamkeit zu fokussieren, während man bei der Invarianz und Adaptation schon Ansätze von Wertungsfiltern vermuten kann, die zu einer Angleichung des eigenen Rechtsgefühls an das kollektive Rechtsgefühl führen. In einer komplexen Umwelt ist die Filterung von Wahrnehmungen, seien sie nun seins- oder wertbezogen elementar. Folgende Beispiele für wertbezogene Kognitionen von Rechtsempfindungen sollen dies verdeutlichen: Intensität: Reiz- und Empfindungsschwellen gibt es auch beim Rechtsgefühl. Um eine Reaktion des Rechtsgefühls auszulösen, muss eine Minimalschwelle der Unterschiedsempfindlichkeit überschritten sein. Der Jurist bezeichnet darunter liegende Tatbestände als „ganz unwesentliche“ oder auch „sozial adäquate“ Normverletzungen. Bezogen auf den arbeitsrechtlichen Kontext, könnten aus Sicht der Betriebe die Schwellenwerte eine solche Minimalschwelle der Unterschiedsempfindlichkeit bilden. Zentrierung: Der Organismus ist ‚scharf‘ eingestellt auf diejenigen Signale, denen er für ihn wichtige Informationen entnehmen kann. Diese, auch als ‚Zentralität‘ bzw. ‚ICHBeteiligung‘ bezeichnete, Kognition erleichtert die Identifikation mit Objekten (Arbeitsrecht) bzw. Personen (soziale Zugehörigkeit) (auch Rokeach 1967; Triandis 1975). Kontrastbildung ist eine weitere eher psychologische kognitive Funktion zur Verengung des Wahrnehmungsfeldes. „Schreiende“ Ungerechtigkeiten werden stärker wahrgenommen. Ein starkes Engagement (z.B. eigene Teilnahme an einem Rechtsstreit) führt zu scharfer juristischer Bewertung. Eine eher gleichgültige Haltung wird dagegen eine weiche juristische Bewertung nach sich ziehen (zur Bildung von Gerechtigkeitsmaßstäben auch 3.2.2). Das Prinzip der kognitiven Invarianz, d.h. die kognitiv herbeigeführte Unveränderlichkeit von Werteigenschaften unter wechselnden Lebensbedingungen schafft objektiv-kulturelle Werte, die man unter den Begriff „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ subsumieren könnte. Der Jurist stellt die sinnlich wahrgenommenen und gefühlsmäßig als erheblich erkannten Tatsachen (also die bewerteten Er69
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
kenntnisse) durch die Anwendung von Normen zusätzlich begriffssprachlich sicher. Die in den gesetzlichen Normen anerkannten Werte gelten wo und wann auch immer, durch Inordination von Fakten in Begriffe und Subordination der inordinierten Fakten unter die Begriffe der Rechtssätze. Damit entsteht durch die Niederschrift der Tatsachenfeststellung, des Prozessverlaufes und der Formulierung des Urteils letztlich der Eindruck, dass Ergebnis sei rein rational-logisch zustande gekommen. Der Laie dagegen verlässt sich, in unterschiedlichem Ausmaß, auf das nicht verbalisierte „Anstandsgefühl“, von dem - wenn es nicht begriffssprachlich festgelegt ist allerdings Abweichungen leicht möglich sind. Das Anstandsgefühl wirkt nämlich besonders in den Bereichen, deren Wert- oder Unwertgrenzen relativ scharf zu ziehen sind, z.B. Mord, ferner in wesentlichen, häufig wiederkehrenden Tatsachen und Ereignissen und ebenfalls stark in Fragen des Eigentums (hierzu auch Garz 1999). Adaptation bedeutet im Allgemeinen die Anpassung an eine Umweltanforderung, um letztlich einen Vorteil bei einer Problemlösung zu erhalten. Übertragen auf das Rechtsempfinden heißt dies, dass sich das Wertempfinden des Einzelnen an die Normen einer Gemeinschaft anpasst. Die Normen stellen Referenzpunkte dar, die das Rechtsgefühl beeinflussen und zu seiner kulturellen Standardisierung führen. Diese erfolgt durch kognitiv-moralische Entwicklung (entwicklungs-psychologischer Ansatz), durch soziales Lernen (sozial-psychologischer Ansatz) bzw. durch Internalisierung (psychoanalytischer Ansatz). Dabei sind die einfachen Wertungen Grundlage für komplexe Strukturbildungen, Generalisierungen, Attributionen, Bewertungen gesellschaflticher Wertemuster und Reflexionen, die die individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. das Rechtsgefühl bilden, die im lebenslangen Entwicklungsprozess geprägt und überformt werden. Nach Lampe ist das Rechtsgefühl nicht nur grundlegend für das Rechtsbewusstsein, sondern ist der Ausgangs- und Endpunkt jeder Rechtserkenntnis. Denn Rechtserfahrungen formen einerseits das Rechtsgefühl, andererseits wird die Rezeption von Rechtserfahrungen vom Rechtsgefühl beeinflusst. Bewusstseinsbarrieren bei der Aufnahme von neuen Rechtsinhalten lassen sich daher am ehesten über das Rechtsgefühl erklären. Zwischen dem Rechtsgefühl, Rechtsnormen aber auch Sitten und Konventionen bestehen also zahlreiche Wechselwirkungen, die eine Trennung des fließenden Überganges zwischen situativem Rechtsgefühl und ‚eigener‘ institutionalisierter Rechtsordnung des Individuums nur in der Analyse erlauben.
70
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
3.4
Zusammenfassung zum Rechtsgefühl
Die Einbeziehung von Forschungsergebnissen der Entwicklungssoziobiologie und der Soziobiologie erlauben Einblicke in die ‚Natur des Rechtsgefühls‘, die für die These von Lampe sprechen, dass das Rechtsgefühl die ‚Grundlage für jede Kognition im Recht‘ bildet. Aus den dargestellten theoretischen Ansätzen, lassen sich für die Untersuchung von Einstellung und Verhalten zum Arbeitsrecht folgende Hypothesen gewinnen: -
Rechtsgefühl kann in einigen grundlegenden Funktionen als genetisch bedingt betrachtet werden. Diese Funktionen werden in der Ontogenese von erworbenen physiologischen und psychologischen Eigenschaften überlagert, die in der Lage sind Wahrnehmungen im Rechtsbereich zu filtern und Wertungen vorzunehmen.
-
Dem Rechtsgefühl liegen soziale Kontrollmechanismen zugrunde, die sich als Gerechtigkeitsvorstellungen äußern. Diese wirken nicht nur im Zusammenhang mit Recht, sondern auch in anderen sozialen Regelungskomplexen.
-
Rechtsgefühl beeinflusst die Wahrnehmung von Rechtsinhalten und wirkt in der Einstellungsbildung. Die Wahrnehmung von arbeitsrechtlichen Normen ist daher stark von individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen abhängig.
-
Rechtsgefühl ist in seiner individuellen Ausprägung kulturgeprägt. So finden sich im individuellen Rechtsgefühl auch gesellschaftliche, traditionelle oder vom Zeitgeist geprägte generelle Bewertungsmuster von Recht wieder. Die Wahrnehmung von Arbeitsrecht ist kulturell unterschiedlich und ändert sich im Zeitverlauf.
-
Rechtsgefühl äußert sich intuitiv als Gefühl oder Emotion. Gefühle sind bei zwischenmenschlichen Kontakten und bei moralischen Entscheidungen besonders stark beteiligt. Sie führen zusammen mit kognitiven Prozessen zur Bewertung einer Situation, zwingen aber nicht zur Handlung. Je unmittelbarer daher der Kontakt der Akteure und je weniger die Situation standardisiert ist, desto stärker wird intuitives Rechtsgefühl die Wahrnehmung von arbeitsrechtlichen Kontexten, nicht aber zwangsläufig die Handlung beeinflussen.
-
Betrachtet man Rechtsgefühl als individuelle, gesellschaftlich überformte Gerechtigkeitsvorstellungen erscheint ein empirischer Nachweis kaum möglich, da sich das Rechtsgefühl im Prozess der individuellen Entwicklung und Sozialisation nicht von den Rechtserfahrungen isolieren lässt.
Untersuchungen, die sich mit der Entwicklung einer normativen Vorstellung von Recht, die Blankenburg als Rechtsbewusstsein bezeichnet (Blankenburg 1994: 84), befassen, 71
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
sollen im Folgenden dargestellt werden. Sie werden vor allem bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt, da davon ausgegangen wird, dass diese nur geringen Kontakt mit Rechtsnormen, z.B. Rechtsentscheiden oder Rechtskenntnissen in Form von Gesetzen hatten.
4
Rechtsbewusstsein
Rechtsgefühl, so wie im letzten Kapitel dargestellt, bildet ein Element bei der Entstehung von Rechtsbewusstsein. Beim Rechtsbewusstsein hat im Unterschied zum Rechtsgefühl eine aktive Auseinandersetzung mit der Norm stattgefunden. Die Grenzen zwischen Rechtsgefühl und Rechtsbewusstsein sind in der Literatur nicht deutlich gezogen. In diesem Beitrag wird Rechtsbewusstsein aus sich gegenseitig beeinflussenden Werten, Kenntnissen und Einstellungen, die sich in Prinzipien, Worten und Verhaltensstandards äußern verstanden, dass individuell und kollektiv wirkt. Rechtsbewusstsein kommt immer situativ, also in einer konkreten Situation zum Tragen und wirkt implizit bei der Beurteilung von rechtlichen Sachverhalten ohne zwangsläufig explizit gemacht zu werden, (Blankenburg 1998: 139).
4.1
Definition
Der Begriff Rechtsbewusstsein unterstellt implizit eine Haltung geltendes Recht für richtig zu empfinden und zu achten (Blankenburg 1998: 131). Ein individuelles Rechtsbewusstsein liegt jedoch auch unabhängig von einer positiven Einstellung zum geltenden Recht immer vor. Es kann vom kollektiven Rechtsbewusstsein einer Gesellschaft abweichen. Im Allgemeinen wird dann von mangelndem Rechtsbewusstsein des Individuums gesprochen. Dies bedeutet auch, dass ein und dieselbe Person für bestimmte Situationen ein sehr entschiedenes und für andere Situation ein eher vages Rechtsbewusstsein entwickeln kann (Raiser 1998: 12). Raiser schlägt vor, „... als Rechtsbewusstsein alle im Gedächtnis einer Person gespeicherten Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit zu bezeichnen, an denen sich diese Person in ihrem sozialen Verhalten und bei der Beurteilung des sozialen Verhaltens anderer orientiert.“ (Raiser 1998: 111)
Diese Definition stellt auf das Individuum als Akteur innerhalb einer Rechtsordnung ab und vernachlässigt den Einfluss, mit der das kollektive Rechtsbewusstsein als Bestandteil einer gesellschaftlichen Ordnung auf den Akteur zurückwirkt. Dagegen definiert Lampe Rechtsbewusstsein umfassender als: „Rechtsbewußtsein ist somit jener Zustand, worin der Mensch sich als solidarischer Teil einer Kultur begreift, die dem Einzelnen als Rechtsperson Autonomie, dem sozialen Ganzen als Rechtssystem aber obersten Orientierungswert für das gesellschaftliche Handeln zuweist.“ (Lampe 1997: 11) 72
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Er berücksichtigt damit stärker den gesellschaftlichen Kontext. Für eine Darstellung der Theorien, die sich mit der Entwicklung des individuellen Rechtsbewusstsein befassen, ist die Definition von Raiser jedoch ausreichend.
4.2
Theorien zur Entstehung von Rechtsbewusstsein
In der Entwicklungspsychologie gibt es aufbauend auf die Theorien von Piaget und Kohlberg eine intensive Diskussion zur Entwicklung von moralischem Urteil und moralischem Handeln. Betrachtet man Rechtsgefühl als individuelle Gerechtigkeitsvorstellungen kann man sie auch als moralisches Handeln bezeichnen. Die gewählte Handlungsalternative kann aber muss keine moralische Handlung im strengen Sinne von Kohlberg sein, wie die folgenden theoretischen Ansätze zeigen. Tapp und Levine haben erstmals die Theorie von Kohlberg auf Einstellungen zum Recht angewandt. Wie auch Eckensberger bleiben sie in ihrem theoretischen Modell den grundlegenden Annahmen von Piaget und Kohlberg sehr verhaftet. Eckensberger erklärt mit seinem handlungstheoretischen Modell sowohl Rechtsgefühl, bezieht aber auch die Ebene der Emotionen mit ein. Garz hat in einer empirischen Analyse die Wirkung von spezifischen Kontexten z.B. starken und schwachen Normen auf den Zusammenhang von moralischem Urteil und Handlungen untersucht. Oser ergänzt diese Dimension mit einer empirischen Analyse der Freiheitsspielräume der Individuen unter dem Einfluss unterschiedlicher Referenzsysteme.
4.3
Rechtsbewusstsein und Handeln als stufentypisches Konstrukt
Eine erste empirische Untersuchung zur Aufklärung des Zusammenhangs zwischen Recht und Moral finden wir bei amerikanischen Forschern, die Mitarbeiter von Kohlberg waren. Das Modell der moralischen Entwicklung, haben June L. Tapp und Felice J. Levine 1974 zu einem Modell der Entwicklung des Rechtsdenkens ausgebaut. Die erste präkonventionelle Stufe wird dadurch gekennzeichnet, dass die Einstellung zum Recht durch Orientierung an Strafe und Gehorsam bestimmt wird. Das Recht wirkt in diesem Fall naturgesetzlich wie ein einschränkender Befehl und wird eher als unveränderlich empfunden. Es hat auch keinen über sich hinausweisenden sozialen Zweck. Die nächste Stufe wird als konventionelle beschrieben und durch Akzeptanz und Unterstützung des bestehenden Rechts und den Glauben, dass das Recht vor Chaos schützt und das individuelle und gemeinsame Wohl unterstützt, erkennbar. Auf dieser Stufe wird das Recht nur in Notsituationen übertreten. Die letzte und dritte Stufe – postkonventionelle Einstellung zum Recht - wird dadurch charakterisiert, dass es eine Unterscheidung zwischen Recht und moralischen Prinzipien gibt. Dem Recht werden 73
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
unterschiedliche soziale Aufgaben zugeschrieben, wie z.B. Herstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit. Das Recht wird auch als Mittel zur sozialen Veränderung verstanden. Die Vorschriften, die dann als unmoralisch empfunden werden, brauchen nicht befolgt zu werden (vgl. Tapp/Levine 1974: 1ff.). Nach Eckensberger sind nur die selbstreflexiven Handlungstheorien in der Lage durch die Mikroanalyse von Einzelhandlungen die affektiven und kognitiven Anteile mit einzubeziehen und in Bezug zur Entwicklung moralisch-ethischer Bezugssysteme zu setzen, während der affektive Aspekt insbesondere bei Kohlberg aber auch in den mechanistischen psychologischen Theorien etwa bei Skinner, Watson oder auch den kognitiven Lerntheorien z.B. bei Bandura vernachlässigt wird (Eckensberger 1985: 88f.). Die psychologischen, selbstreflexiven Handlungstheorien erlauben dagegen eine differenzierte Einbeziehung von Affekten, da sie nicht auf einem rationalen Menschenbild (homo oeconomicus) beruhen. Bereits Piaget vermutete, dass das moralische Urteil (insbesondere Gleichheitsvorstellungen) durch Erlebnisse ausgebildet wird, die als ungerecht beurteilt werden (Eckensberger 1985: 97, dazu auch Mikula 2002: 258). Emotionen sind demnach Voraussetzung und Ergebnis von Handlungen und führen zu neuen Bewertungsstrukturen und damit u.U. zu neuen Handlungszielen. Handlungen sind dem Handelnden potentiell bewusst. Dieses Bewusstsein wird durch das Auftreten von Handlungsbarrieren (Konflikten oder Problemen) erleichtert, wenn die ungehinderte Umsetzung (das Tun) beeinträchtigt wird. Dabei kann sich das Individuum gegen Einflüsse seiner genetischen Anlagen (Anlagekomponenten) als auch gegen Erfahrungen (Umweltkomponenten) entscheiden (Eckensberger 1985: 97). In seiner Theorie bezieht Eckensberger ausdrücklich die Wechselbeziehung von kognitiven und affektiven Prozessen in seine handlungstheoretische Rekonstruktion mit ein. Differenzierte Gefühlskategorien bestimmen eine Situationsanalyse und umgekehrt. So wird die Bewältigung von emotionaler Betroffenheit, z.B. Wut oder Zufriedenheit, in einer Situation die Situationsanalyse beeinflussen, aber zugleich auch das moralische Urteil über diese Situation prägen (Eckensberger 1985: 93ff., auch Eckensberger/Breit 1997: 324f.). Eckensberger hat die sechs-stufige Entwicklung des moralischen Urteils von Kohlberg auf 11 Stufen erweitert und in personale und transpersonale Räume geteilt in denen jeweils heteronome (Regeln von außen vorgegeben) und autonome Entwicklungsstufen (Regeln entstehen aus der Gemeinschaft heraus) unterschieden werden. Dies ermöglicht eine Analyse von interpersonalen Konflikten und Reflexionen aus denen durch Handlung neue Standards auf höherer, schließlich rein normativer, Ebene her74
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
vorgehen. Außerdem kann dadurch zwischen individuellen Gerechtigkeitsurteilen und kulturellen Regelsystemen unterschieden werden (Eckensberger 1997: 326ff.). Nach Eckensberger entwickelt das Individuum durch Interaktion mit der Umwelt eine Sollensvorstellung, die gefühlsmäßig die Grundlage für die Wahrnehmung ist und als erstes ins Bewusstsein kommt. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass das Rechtsgefühl schon bei einem ersten diffusen Eindruck empfunden und befolgt wird, bevor eine rationale Begründung entsteht. Diese Sollensvorstellung, d.h. die Norm, kann durch das Befassen mit Rechtsfällen oder durch eine andere Anregung des moralischen Urteils beeinflusst werden (Eckensberger 1985: 99). Eckensberger kommt zu dem Schluss, dass sich Recht und Moral gegenseitig validieren. „Einerseits schützt das Recht die Moral, hilft also der Moral, „wirklich“ zu werden, indem es die Verbindlichkeit und Wirksamkeit von Normen stützt, andererseits wird die Moral dem Recht vorgeordnet, schützt also vor einem von allen Gerechtigkeitsperspektiven abgekoppelten Recht.“ (Eckensberger 1997: 330)
Ergänzt werden muss hier, dass auch das Recht vor Moral schützt, indem es als objektive Ebene in einem juristischen Konflikt die subjektiven Wertungen unterbindet. Neuere empirische Untersuchungen von Eckensberger/Breit zu sozialen Verhaltensnormen als Vorformen von Rechtsnormen bei Kindern zeigen, dass diese sich bereits ab dem zweiten Lebensjahr entwickeln. Allerdings konnte ein klares Stufenkonzept bei der Entwicklung der Verhaltensnormen im Sinne eines moralischen Urteils nicht nachgewiesen werden. Auffällig war die frühe Unterscheidung von Besitz und Eigentum, das Verständnis für zentrale strafrechtliche Normen und die Schaffung von Gleichgewicht durch ‚aushandeln‘, d.h. die Reziprozität von Handlungen. Entwicklungen bei zunehmenden Alter gab es vor allem bei komplexeren Unterscheidungen strafrechtlicher Normen, bei Konfliktregelungen und Vertragsbindungen (Eckensberger et al. 2006). Dass Gerechtigkeitsurteile von vielen Parametern abhängen, soll im Folgenden kurz dargestellt werden.
4.3.1
Gerechtigkeitsvorstellungen und Rechtsbewusstsein
Die sozialpsychologische Gerechtigkeitsforschung beschäftigt sich u. a. mit der Frage, was unter welchen Bedingungen als gerecht bzw. ungerecht angesehen wird und wie Menschen auf Situationen reagieren, die sie als ungerecht empfinden. Gerechtigkeitsurteile sind stets subjektiv, auch wenn sie häufig sozial geteilt sind. Die Subjektivität basiert nicht nur auf unterschiedlichen Vergleichsmaßstäben, sondern auch auf unterschiedlichen Anrechtsvorstellungen. Die meisten Menschen haben eine implizite Vorstellung davon, was ihnen und anderen zusteht. Dies leiten sie aus verschiedenen Quellen ab, z. B. abstrakten sozialen Werten wie Freiheit und Gleichheit, 75
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
aber auch aus normativen, d.h. „geronnenen“ Werten wie Regeln, Gesetzen und Vereinbarungen (Mikula 2002: 259f.). Gerechtigkeitsvorstellung und subjektive Anrechtsvorstellungen setzen Kategorisierungen von Personen voraus, da die angenommene Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie, z.B. einer Gruppe (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Personalleiter), eine zentrale Bedeutung für die Identität der Person hat. Die Gerechtigkeitsurteile basieren zum Teil auf sozialen Vergleichen. Ein und dieselbe Behandlung kann als gerecht und ungerecht empfunden werden, je nachdem mit wem man sich vergleicht, wobei Menschen sich bevorzugt mit anderen vergleichen, die ihnen in wichtigen Merkmalen ähnlich sind (Mikula 2002: 263). Soziale Einheiten mit unterschiedlichen sozialen Identitäten beurteilen die Angemessenheit von solchen Kategorisierungen, die wiederum den Gerechtigkeits- und Anrechtsvorstellungen zugrunde liegen, unterschiedlich. Daraus können Meinungsverschiedenheiten und soziale Konflikte resultieren, die umso wahrscheinlicher sind, je wichtiger die Kategorisierung für die Identität der Beteiligten ist (ebd.: 259f.). Viele Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Erleben von Ungerechtigkeit stärker ins Bewusstsein dringt als Gerechtigkeit (Mikula 2002: 267f., zitiert Homans 1961; Mikula 1993; Miller 2001). Dabei wird Ungerechtigkeit dahin gehend definiert, dass Menschen nicht das bekommen vorauf sie Anspruch haben bzw. ihnen etwas passiert, wodurch ihre Anrechte verletzt werden (Mikula 2002: 267f.). Die empfundene Ungerechtigkeit der anderen Sichtweise bedroht die persönliche und soziale Identität und wird damit stärker wahrgenommen. Während Gerechtigkeitsurteile häufig implizit bleiben, können Ungerechtigkeitsurteile explizit gemacht werden und von vielfältigen emotionalen und kognitiven Prozessen begleitet sein, die verschiedene Handlungen nach sich ziehen (ebd.: 268). Dabei kann die Perspektive der Beteiligten eine wichtige Rolle spielen. Haben die Konfliktparteien konkurrierende Identitäten, dann sieht jede Partei nur ihre eigene Sichtweise als einzig richtige und legitime Gerechtigkeit und verhindert durch diese subjektive Sichtweise die Lösung des Konfliktes (Mikula/Wenzel 2000). Andererseits können Gerechtigkeitsurteile aber auch zur Begrenzung und der Lösung von Konflikten dienen, wenn zum einen die Konfliktparteien den grundlegenden Wert von Gerechtigkeit anerkennen, z.B. Prinzipien von distributiver Gerechtigkeit wie das Leistungsprinzip, das Bedüfnisprinzip oder das Gleichheitsprinzip. Zum anderen müssen sie sich gegenseitig als zur selben moralischen Gemeinschaft (gleiche Werte und Regeln) zugehörig wahrnehmen. Ordnen sie sich sogar einer gemeinsamen Kategorie zu und erkennen eine gemeinsame soziale Identität, entwickeln sie mit ziemlicher
76
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Sicherheit eine gleiche Sichtweise der Situation (Mikula 2002: 272) Als Beispiel könnten Funktionärsvertreter von Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerverbänden gelten. Gleiche Gerechtigkeits- bzw. Ungerechtigkeitsurteile können also zu unterschiedlichen Handlungen führen. Dies widerspricht in wesentlichen Punkten den Annahmen von Kohlberg und Piaget. Diese Kritik wurde von der Entwicklungspsychologie in neueren Arbeiten aufgegriffen.
4.3.2
Rechtsbewusstsein und starke oder schwache Normen
Garz nähert sich dem problematischen Verhältnis von Sein und Sollen, von Moral und Recht, aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie. Seine Kritik an Kohlberg richtet sich vor allem gegen die Annahme, dass auf jeder Stufe der moralischen Entwicklung, mit einem bestimmten Handeln zu rechnen ist, da dies die Widersprüchlichkeit des alltäglichen Lebens nicht berücksichtigen würde. Garz stellt die These auf, dass der Kontext in dem Gerechtigkeitsurteile gebildet werden, bei der Analyse des Zusammenhangs von Urteil und Handeln berücksichtigt werden muss. Er definiert daher fünf Bereiche, in denen es zu einer Urteils-HandlungsProblematik kommen kann und in denen Abweichungen zwischen moralischem Urteilen und Handeln zu erwarten sind bzw. praktisch nicht vorkommen. (Garz 1999: 381) Die folgende Tabelle 3 gibt hierzu einen Überblick, wobei das ‚nackte Leben‘ und das ‚gerechte Leben‘ Grenzfälle sind. Tabelle 3: Kontextbereiche für Gerechtigkeitsurteile Kontextbereiche
Konfliktbereiche
Abweichung von Urteil und Handeln
Das ‚nackte Leben‘
Überleben wichtiger als Normbefolgung
Hohe Abweichung
Alltag I – starke Normen
Strafnormen, Mord, Raub Körperverletzung, Diebstahl
Niedrige Abweichung
Alltag II – schwache Normen
‚Kavaliersdelikte‘: Steuervergehen, Versicherungsbetrug, Schwarzfahren
Hohe Abweichung
Alltag III - Kommunikation
Konflikte, die durch Interaktion ohne rechtliche Bewertung gelöst werden; Familie, Freundeskreis, Kollegen
Niedrige Abweichung
Das ‚gerechte Leben‘ ‚Philosophenkönige‘
Konflikt zwischen hohen Ansprüchen der Moral und konventionellem Handeln ‚ziviler Ungehorsam‘
Niedrige Abweichung
Quelle: Eigene Darstellung nach Garz (1999)
77
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Im Bereich der starken Normen bietet die Theorie von Garz Anschlussmöglichkeiten an Lampe und Raiser. Nach Raiser reagiert das Rechtsgefühl am deutlichsten bei der Verletzung von elementaren Regeln des Gemeinschaftslebens z.B. dem Tötungstabu und dem Gebot auf schwächere Rücksicht zu nehmen, sowie bei der Verletzung von Besitzansprüchen5. Bei diesen Tatbeständen, die in allen entwickelten menschlichen Gesellschaften im positiven Recht des Strafrechtes geregelt werden, handelt es sich um die elementarsten Grundbedürfnisse, die den Antriebshandlungen nach Maslow und Lampe zugrunde liegen. In anderen Bereichen des sozialen Zusammenlebens reicht es allerdings nach Raiser als Orientierungsmuster nicht aus (Raiser 1998: 110). Dies verweist auf den Bereich der schwachen Normen bei Garz. Wichtige Implikationen für die Betrachtung des Rechtsbewusstseins aus den Untersuchungen von Garz sind vor allem aus dem Bereich der schwachen Normen und der Kommunikation abzuleiten. Hier kommt es zum einen zu einer hohen Abweichung von moralischem Urteil und moralischem Handeln, d.h. eine schwache Norm wird zwar als Norm erkannt und bewertet, die Handlung wird aber ohne Berücksichtigung der Norm ausgeführt. Zum anderen kommt es zu einer schwachen Abweichung, wenn die direkte Kommunikation zu einer Interaktion, mit dem Ziel ein Einverständnis zu erreichen, führt. Ein Konflikt zwischen Normen wird im alltäglichen zwanglosen Umgang nicht einer rechtlichen Bewertung unterworfen und im Allgemeinen ‚durch Regeln einer gemeinsam befolgten Kommunikaitonspraxis‘ (Habermas 1992: 438) gelöst. So kommt Garz zu dem Schluss, dass Bereiche, die von den Befragten der ‚praktischen Lebensführung‘ zugeordnet werden, einer moralischen Beurteilung nicht zugänglich sind bzw. eine solche als nicht relevant erscheinen lassen (Garz 1999: 397f.).
4.3.3
Rechtsbewusstsein und die Freiheit des Handelns
Auch Oser (1999) kritisiert die stufentypischen Theorien von Kohlberg. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen zwei Aspekte. Zum einen gegen die Annahme einer gradlinigen Entwicklung von niedrigem zu höherem moralischem Urteil und moralischem Handeln und zum anderen, wie auch Garz, gegen die Annahme, dass auf jeder Stufe eine bestimmte Handlungslogik mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erwartet wird. Denn dies würde bedeuten, dass bei einer höheren Stufe, die gefühlte Verantwortung im jeweiligen Dilemmata intensiver müsste. Desto höher wäre dann auch die moralische Vorschrift und desto größer folglich die Übereinstimmung von Urteil und Handeln.
5
Ehrlich zufolge beruht Herrschaft auf die Tatsache, dass schwächere Gruppenmitglieder Schutz der stärkeren benötigen, hierzu: Gruter 1983, S. 233f. 78
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Die Freiheit der menschlichen Entscheidung wird in diesen Modellen nicht berücksichtigt. So kann z.B. nicht erklärt werden, warum Personen entgegen besseren Wissens und ihres moralischen Urteilsniveaus handeln. Die Kritiker betonen, dass in den stufentypischen Konstrukten, die Handlung durch die Struktur bereits festgelegt und damit auch als vorgegeben entschuldigt wird, so dass es gar keine Möglichkeit gibt, unmoralisch zu handeln. (Oser 1999: 189.) Die Beurteilung der Handlung wird zu einer Beurteilung der Moral, andere Einflüsse wie psychische Dispositionen (z.B. Gefühlslage, Motivation) und situative Bedingungen (Gruppendruck, öffentliche Meinung) können nicht berücksichtigt werden. Oser hat ein Modell entwickelt, bei dem die Freiheit des Entscheidens berücksichtigt wird. Da es immer Handlungsalternativen gibt, werden diese in Abhängigkeit von der persönlichen Rechtfertigung (eigenes moralisches Urteil), universalistischer Vernunft (Philosophenkönig), öffentlicher Meinung (herrschende Gesetze) und der Referenzgruppe (Familie, Verein, Kirche, u. a. auch Kollegen oder Unternehmenskultur) gewählt. Dabei kann eine Spannung zwischen der Freiheit der eigenen Entscheidung und dem Druck des eigenen oder fremden moralischen Urteil der jeweils wichtigsten Bezugsgruppen entstehen, die je nach Situation unterschiedlich bewertet werden. Nichtübereinstimmung von eigenem Urteil und Handeln bzw. gesellschaftlichem Urteil und Handeln löst unterschiedlich starke emotionale Spannungen aus und hat unterschiedliche Bedeutung im sozialen Kontext. Eine Balance zwischen den Urteilen und den Handlungsalternativen muss jeweils neu gefunden werden. Die moralische Situation wird danach jeweils unterschiedlich wahrgenommen und begründet. Der Kontext spielt eine entscheidende Rolle, denn erst die jeweilige Situation und die Bedeutung der anderen Meinungen (Referenzgrößen) und die Bindung zu der jeweiligen Gruppe machen kontextbezogene moralische Handlungsweisen verständlich. Dies deckt sich mit Ergebnissen der sozialpsychologischen Gerechtigkeitsforschung (siehe 4.3.1) Daher geht Oser’s Modell von der Handlung aus: das moralische Urteil, die situativen Bedingungen und die psychische Disposition beeinflussen den Freiheitsgrad zu Handeln. Dieser Freiheitsgrad in Form einer sich selbst verpflichtenden Verantwortung, bestimmt die Wichtigkeit der Handlung im Nachhinein. Liegt noch keine Handlung vor, sondern wird nur von einem Handlungsentwurf ausgegangen, z.B. weil die Handlung schon mehrfach ausgeführt wurde, so wirken Verantwortung, moralisches Urteil und eine sachliche Handlungsbegründung zusammen und bilden ein Vermittlungsurteil, dass die Spannungen von Druck und Freiheit ausbalancieren muss. Das Handlungsurteil wiederum steuert den Willen in Richtung auf den nächsten Handlungsentwurf. Durch die Untersuchungen zum moralischen Urteil und Handeln, die auf den Theorien von Piaget und Kohlberg basieren kann eine Verbindung von der Ontogenese des 79
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Rechtsgefühls zur Entwicklung des Rechtsbewusstseins geschlagen werden. Rechtsbewusstsein kommt demnach in situativer Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext zum tragen. Der Einfluss von Referenzgruppen, deren Druck im situativen Kontext unterschiedlich bewertet wird und zu u. a. emotionalen Dispositionen führt, beeinflusst die Freiheit, sich zwischen Handlungsalternativen zu unterscheiden zu können und damit das Handeln in konkreten Situationen. Der Kontext ist abhängig davon, ob und wenn ja in welcher Stärke Rechtsnormen eine Rolle spielen. Die Bindung an Rechtsnormen kann nach Blankenburg mit den Konstrukten des Konformitätsbewusstseins und des Anspruchsbewusstseins gemessen werden (Blankenburg/Reifner 1982).
4.3.4
Rechtsbewusstsein als empirisches Konstrukt
Eine 1981 durchgeführte Repräsentativbefragung der Westberliner Bevölkerung über Erfahrungen mit Rechtsproblemen u. a. bei der Kündigung des Arbeitsplatzes oder bei Konflikten mit Wohnungsvermietern hat Einstellungen zum Rechtsbewusstsein gemessen (Blankenburg/Reifner 1982). Hier konnte die Relevanz von zwei Konstrukten nachgewiesen werden, die, nach Blankenburg, zwei Elemente des Rechtsbewusstseins darstellen. (vgl. Blankenburg 1998: 137). Zum einen ein Konformitätsbewusstsein, dass eine Orientierung und Bindung an rechtlichen Verhaltensnormen beinhaltet, also z.B. die Rechtsregel, die der Akteur zu befolgen hat bzw. die Arbeitsrechtsnorm, die vom Arbeitgeber oder auch Arbeitnehmer einzuhalten ist. Zum anderen ein Anspruchsbewusstsein, dass beim Kontakt mit Rechtsnormen zuerst die eigenen Rechte betont und die Möglichkeiten diese zu beanspruchen analysiert. Im Zusammenhang mit Arbeitsrecht könnte dies z.B. der Anspruch des Arbeitgebers sein, kündigen zu können. Aus rechtphilosophischer Sicht könnte man Konformitäts- und Anspruchsbewusstsein als den Umgang mit Rechten und Pflichten beschreiben, jedoch wäre es zutreffender in diesem Zusammenhang von zwei verschiedenen Typen von Dispositionsmustern zu sprechen. Der erste bezieht sich auf diejenigen, die sich am Recht als Verhaltensnormen orientieren, der zweite auf die, die vor allem ihre Rechte sehen und die Möglichkeit diese zu beanspruchen. Im Ergebnis konnte Blankenburg zeigen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen Bildungsgrad, Alter und Rechtskenntnissen sowie Konformitäts- bzw. Anspruchsbewusstsein festzustellen war. Je höher der Bildungsgrad und je jünger die Alterskohorten waren, desto geringer waren die Rechtskenntnisse bei gleichzeitig weniger stark ausgeprägtem Konformitätsbewusstsein und umso stärkerer Ausbildung 80
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
des Anspruchsbewusstsein (Blankenburg/Reifner 1982, ausführlich in: Blankenburg 1995: 36. Ähnliche Ergebnisse bei Pichler 1993: 371; Pfarr 2003: 7). Die Untersuchung verweist auch auf Zusammenhänge zwischen Gerechtigkeitsvorstellungen und Einstellungen zu rechtlichen Institutionen sowie allgemeinen Vorstellungen über Erziehung, Politik und Religion, die allerdings nicht logisch konsistent zu sein brauchen und sich in Abhängigkeit von sozialer Stellung, Interessenlage, Alter und Kenntnisniveau ändern können (Blankenburg 1998: 139). Offen blieb dabei die Frage, ob es sich um einen typischen Unterschied zwischen jüngerer und älterer Bevölkerung handelt, der im Zeitverlauf gleich bleibt oder ob es sich um einen Bewusstseinwandel handelt, der evt. auf das höhere Bildungsniveau, einen Normwandel oder andere gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen wäre (ebd.: 138). Interessant ist in diesem Zusammenhang die Betrachtung, dass die 1981 befragte jüngere Kohorte heute das Alter erreicht hat in dem sie in betrieblichen Entscheidungspositionen sitzen. Sollte es sich also um einen Bewusstseinswandel handeln, müsste von einem durchschnittlich geringeren Konformitätsbewusstsein und einem höheren Anspruchsbewusstsein im Umgang mit Recht generell ausgegangen werden. Sollte es sich um einen Unterschied zwischen Älteren und Jüngeren handeln, müssten die heute Älteren zu einem höheren Konformitäts- und einem niedrigen Anspruchsbewusstsein gewechselt sein. Im Zusammenhang mit Einstellungen und Verhalten von Arbeitsrecht könnte man vermuten, dass Arbeitgeber mit einem geringeren Konformitätsbewusstsein von falsch angewandten Rechtsnormen relativ unbeeindruckt bleiben. Andererseits würde ein höheres Anspruchsbewusstsein die Wahrnehmung und Durchsetzung eigener Rechte z.B. im Kündigungsschutz bedeuten.
4.4
Zusammenfassung zum Rechtsbewusstsein
Die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse zum Zusammenhang von moralischem Urteil und Handeln zeigen, dass diese nur unter wenigen als ideal geltenden Vorstellungen übereinstimmen müssen. Das Rechtsgefühl kann als gutes Judiz bezeichnet werden, wenn die Adaptation des eigenen Rechtsgefühls an die Referenzpunkte der Normen vollkommen ist. Das Rechtsbewusstsein unter stärkerer Einbeziehung von Kognition und Erfahrungen beurteilt Handlungsalternativen nicht nur unter dem Aspekt des eigenen Rechtsgefühls, sondern auch unter Bewertungs- und Entscheidungskriterien von Referenzgruppen. Dabei gelten jeweils subjektive Gerechtigkeitsurteile. Wenn Widersprüche zwischen der eigenen inneren Werthaltung und den Referenzgruppen bzw. den Referenzpunkten der Normen bestehen, kann es zur Auslegung der Norm in 81
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Richtung auf die jeweils wichtigste Werthaltung oder im Extremfall zur Ablehnung der Norm kommen. Für das Arbeitsrecht in der betrieblichen Praxis bedeutet dies, -
dass erlernte Verhaltensmuster eine entscheidende Rolle spielen.
-
dass Gerechtigkeits- bzw. Ungerechtigkeitsurteile von Anrechtsvorstellungen und den Aufteilungsverfahren abhängig sind.
-
dass vermutet werden kann, dass der Kontextbereich im Arbeitsrecht eher im Bereich der schwachen Normen anzusiedeln ist, bei denen ein Abweichen zwischen moralischem Urteil (Rechtsgefühl) und tatsächlicher Handlung sehr viel wahrscheinlicher ist als bei den starken Normen des Strafrechts.
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dass der Einfluss von Referenzgruppen im Sinne des Drucks einer öffentlichen Meinung oder eines gesellschaftlichen Umfeldes auch zu Handlungen führen kann, die dem eigenen Rechtsgefühl oder der öffentlichen Meinung konträr laufen.
-
dass die dadurch entstehenden Spannungen reduziert werden können, wenn die Handlung mit dem Urteil des gesellschaftlichen Umfeldes übereinstimmt und dieses einen hohen Stellenwert im Kontext des Urteils hat.
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dass das Auftreten und der Umfang von Anspruchs- und Konformitätsbewusstsein in empirischen Untersuchungen nachgewiesen werden kann.
Nachfolgend soll mit der Rechtsakzeptanz ein weiteres Element dargestellt werden, dass in wechselseitigem Einfluss zum Rechtsgefühl und Rechtsbewusstsein steht und das die Wirkung von subjektiven Einstellungen und Handlungsentscheidungen bei der Anwendung von Rechtsnormen deutlich macht.
5
Rechtsakzeptanz
Die Voraussetzungen, unter denen der soziale Akteur rechtliche Anforderungen befolgt, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zum einem sollten die Normen mit den individuellen Zielen und Interessen übereinstimmen. Zweitens wird der Akteur die Normen befolgen, wenn er befürchten muss, bei normwidrigem Verhalten entdeckt und bestraft zu werden. Drittens kann sich die Rechtstreue aus der Orientierung an gesetzestreuen Vorbildern und Bezugsgruppen ergeben. Viertens kann der Glaube an die Legitimität der rechtssetzenden Instanzen und des von diesen gesetzten Rechts das Verhalten rechtsentsprechend steuern. Und abschließend in Anlehnung an Tylor wird die Bedeutung des Individuums und seines Rechtsbewusstseins hervorgehoben – eine 82
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Norm wird eher befolgt, wenn sie mit der persönlichen moralischen Überzeugung und dem Rechtgefühl übereinstimmt (vgl. Tylor 1990). Akzeptanz und Legitimation, die eine Grundlage der Demokratie bilden sollten, werden häufig nicht hinterfragt. Man geht davon aus, dass sie durch bestimmte geschaffene Strukturen gewährleistet werden. Hier begegnet man der Frage, ob Menschen irgendeinen Einfluss auf die Gesetzgestaltung haben: In der repräsentativer Demokratie werden Vertreter gewählt, die Interessen der Bürger umsetzen sollen. Jedoch werden die gesetzlichen Entscheidungen häufig nicht in Frage gestellt, sondern einfach hingenommen. Solch eine Art der Akzeptanz beschreibt Luhmann in seiner Legitimation durch Verfahren: Sie wird als ein fast motivloses, vages Verhalten betroffener Subjekte beschrieben. Diese Akzeptanz wird mit erfolgreichen Lernprozessen assoziiert, sie ist eher unbewusst und gründet nicht auf moralischen Überzeugungen (vgl. Luhmann 1997: 60ff.). Im Folgenden wird die Rechtsakzeptanz eher aus subjektbezogener und nicht systemorientierter Perspektive vorgestellt, jedoch eine genaue Abgrenzung dieser theoretischen Herangehensweisen lässt sich nicht durchführen und keiner Perspektive wird eine ausschließliche Gültigkeit zugeschrieben.
5.1
Rechtsakzeptanz – Definition
Die Rechtsakzeptanz sieht Raiser als „Zustimmung zu Normen des positiven Rechts, das Gesetze und allgemeine Rechtsvorschriften aller Art sowie Gerichtsurteile umfasst. Das Rechtbewusstsein ... bildet so gesehen die unabhängige Variable, welcher die Akzeptanz als abhängige Variable gegenübersteht“(Rasier 1998: 113)
Die Freiwilligkeit der Anerkennung unterscheidet die Akzeptanz von der Durchsetzung einer Norm mittels staatlicher Zwangsmaßnahmen (vgl. ebd.: 120). „Diese freiwillige Bereitschaft – und das macht Legitimität so erstrebenswert für die Machthaber – impliziert, dass Autoritäten nicht ständig Gewalt oder andere Zwangsmittel einsetzen müssen, um ihre Ziele zu erreichen“ (De Bakker 2003: 221).
Pichler und Giese fügen den Begriff der Rechtsgesinnung, welche als die Bereitschaft der Menschen überhaupt sich dem Recht entsprechend zu verhalten definiert wird, in die Überlegungen um die Rechtsakzeptanz mit ein. Unter Berücksichtigung des Rechtsbewusstseins weisen sie darauf hin, dass die Rechtsakzeptanz nicht nur die Kenntnisnahme der Rechtsnormen voraussetzt, sondern auch die Akzeptanz des Anspruchs auf innere Richtigkeit der Norm (vgl. Pichler/Giese 1993: 28f.). Die Autoren vermeiden es eine genaue Definition von Rechtsakzeptanz zu nennen und weisen darauf hin, dass diese sehr vielseitig und mehrdimensional zu sehen ist.
83
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Die Frage der Freiheit der Wahl, der schon vorher erwähnten Freiwilligkeit bei der Anerkennung der Normen, wirft die Frage nach Grundlagen der Akzeptanz auf: Wer eine Norm befolgt, nur weil er andernfalls den staatlichen Zwang fürchtet, handelt nicht freiwillig, akzeptiert die Norm also noch nicht (vgl. Rasier 1998: 120). Die Rechtstreue in der (post-)modernen Gesellschaft soll nicht erzwungen werden, ganz im Gegenteil: Nach ihr wird in der Demokratie gestrebt, die Rechtstreue ist für Demokratie quasi ein Normalzustand. Das Vertrauen in die Rechtsordnung kann sich in der allgemeinen Rechtsakzeptanz widerspiegeln und implizieren, dass die Bürger Gesetze befolgen, obwohl sie mit ihnen nicht vollkommen einverstanden sind. Die Entscheidung fällt jedoch freiwillig, weil man an die Richtigkeit des Systems glaubt oder weil man die öffentliche Ordnung nicht gefährden möchte (Pichler/Giese 1993: 51ff.). Die Akzeptanz der Rechtsordnung, die sich im Rechtsbewusstsein, im Sinne einer Rechtsgesinnung, widerspiegelt, ist für eine Rechtsordnung in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft erforderlich (vgl. ebd.: 25f.). Die Rechtsakzeptanz kann sich auf einzelne, bestimmte rechtliche Gebote, Verbote oder auf komplexe rechtliche Institutionen bzw. die geltende Rechtsordnung beziehen (vgl. Raiser 1998: 121f.), jedoch kann es in einer offenen Gesellschaft keine einheitliche, geschlossene und gleichmäßigstarke Annerkennung für das Recht geben. Vielmehr kann man mit unterschiedlichen Einstellungen bzw. mit unterschiedlicher Akzeptanz bei verschiedenen Vorschriften und Rechtsgebieten sowie bei verschiedenen Personen und gesellschaftlichen Gruppierungen rechnen (Raiser 1996: 368f.).
5.2
Andere Einflussfaktoren auf die Rechtsakzeptanz
Rechtspolitisch wäre das Bestreben sinnvoll die Rechtsakzeptanz sicherzustellen oder sogar zu verbessern. Welche Faktoren die Rechtsakzeptanz beeinflussen zeigt Raiser auf. Als erstes nennt er den Nutzen, den die Betroffenen von der Norm haben: Die Vorschriften, die nützlich sein können, haben höhere Chance auf Akzeptanz und auf die tatsächliche Befolgung. Hier drunter sind aber nicht nur einfache Kosten-Nutzen Bilanzen oder rein greifbare Vorteile zu verstehen, sondern allgemein auch die Zufriedenheit mit der Rechtsordnung, gewisse Rechtssicherheit, die man dabei gewährleistet sieht und die als Profit im psychologischen oder sozialen Sinne gilt (Rasier 1998: 122). Als weiterer Faktor wird die Beteiligung am Verfahren der Normsetzung oder zumindest die Überzeugung, dass die Norm in einem fairen Prozess durchgesetzt wurde genannt. Dieser Faktor ist einer der Grundbausteine der heutigen demokratischen 84
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Systeme und deswegen von großer Bedeutung. Der schon vorher erwähnte Tom Tyler wies in seiner empirischen Untersuchungen nach, dass die Zustimmung zum Recht stark davon beeinflusst wird, ob das Durchsetzungsverfahren als gerecht empfunden wird oder nicht, bzw. ob man eine eigene Meinung in diesem Prozess artikulieren konnte oder ob diese Meinung in irgendeiner Weise vertreten war (Tyler 1990). Die Staatsauffassung und das Menschenbild, die in einer Gesellschaft vorherrschen, also die verwirklichte Rechtskultur, wird als ein weiterer Einflussfaktor bezeichnet. Dieser ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, weil er das Rechtsbewusstsein prägt. Diese verwirklichte Rechtskultur geht ein wenig in die Richtung der von Pichler und Giese beschriebenen Rechtsgesinnung, etwas was man in (post-)modernen Zeiten braucht um die Gesellschaft in einer Balance zu halten. Die Meinungsfreiheit und vielfalt, Individualisierung, Auflösung von gemeinschaftlichen Lebensformen, die Kultur der Kritik und viele andere Eigenschaften der heutigen Welt müssen jedoch von einem unerlässlichen Minimum eines Grundkonsenses über die Rechtsnormen und die Rechtsordnung begleitet werden, sonst wird das Gleichgewicht gefährdet und die Gesellschaft in einem Anomiezustand geraten. Der letzte, vierte Faktor – das Rechtsbewusstsein – wurde schon vorher genauer beschrieben und Bedarf auf dieser Stelle keiner weiteren Erklärung.
5.3
Akzeptanzforschung – der Ansatz von Doris Lucke
Die Akzeptanzforschung ist ein sehr umfangreiches, empirisch kaum erforschtes und theoretisch schwer definierbares Untersuchungsgebiet. Unter den deutschen Soziologen gilt Doris Lucke mit ihrem Buch „Akzeptanz: Legitimität in der Abstimmungsgesellschaft“ als eine der taktgebenden Forscherinnen auf diesem Bereich. Luckes Analyse des Akzeptanzbegriffs ist sehr umfangreich und vollzieht sich über unterschiedliche Aspekte. Es ist unmöglich die vielfältigen Facetten der Akzeptanz, die Lucke beschreibt, in diesem Rahmen wiederzugeben, jedoch verdienen bestimmte Aspekte eine besondere Aufmerksamkeit: Erstens schlug Lucke vor eine subjektorientierte Akzeptanzforschung zu betreiben, die die objektbezogene Legitimitätsforschung ergänzen und korrigieren könne. Zweitens wies die Soziologin darauf hin, dass der Akzeptanzbegriff drei Komponenten beinhalte. Die erste kognitive Dimension beinhaltet das verfügbare und/oder notwendige Orientierungswissen über bestimmte Situationen, Gruppen, Zusammenhänge. Als zweite Dimension wird die normativ-evaluative genannt. Sie beinhaltet den Grad der subjektiven Verbindlichkeit. Die letzte dritte konative Dimension bezieht sich auf das daraufhin erfolgte beobachtbare Sozialverhalten (vgl. Lucke, 1995: 81ff.).
85
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht „Von einem Sachverhalt Kenntnis zu haben .. heißt nicht unbedingt, diesen auch für richtig zu halten (Normativer Aspekt des Akzeptierens). (..) Selbst eine Norm zu kennen und sie innerlich zu bejahen (als den kognitiven und normativen Dimensionen des Akzeptierens) bedeutet noch nicht zwingend, sich auch entsprechend zu verhalten und das vorhandene Wissen und einstellungsmäßige Für-richtig-Halten handlungsmäßig (konativer Aspekt des Akzeptierens) konsequent umzusetzen“( ebd.: 82).
Eine tatsächliche Übereinstimmung dieser drei Ebenen könnte man als symbolische Wirkung der Normen bezeichnen: „Von einer symbolischen Geltung einer Norm … kann gesprochen werden, wenn sich feststellen lässt, die die Menschen sie zu eigenen gemacht haben und ihr folgen“ (Raiser 1996: 265). Dies ist sehr gut vorstellbar bei Grundrechten, die man verinnerlicht. Diese drei Dimensionen müssen aber nicht logisch übereinstimmen. Als bildhaftes Beispiel könnte man einen Autofahrer nennen, der die Geschwindigkeitsbegrenzung kennt und grundsätzlich dagegen ist, dass man schneller fährt. Er fährt aber in einer bestimmten Situation viel schneller, weil er seine Freundin bald sehen möchte. Die drei Dimensionen der Akzeptanz stimmen nicht überein. In diesem Fall ist der Einflussfaktor eine starke Zuneigung, ein Affekt, der sich auf das Verhalten auswirkt. Im Falle der Rechtsakzeptanz handelt es sich um ein Bündel von Faktoren, die im Rahmen dieser Arbeit beschrieben worden sind. Man könnte davon ausgehen, dass sich aus der Beschreibung der Akzeptanz aufgrund von drei Dimensionen, nur eine beschränkte Anzahl von Möglichkeiten, in der sich diese Dimensionen zusammenstellen lassen, ergibt. Rein theoretisch hätte man bei drei Variablen, die zwei Ausprägungen haben (Wissen – Unwissen; Zustimmen – Ablehnen; rechtmäßiges Handeln – rechtloses Handeln), eine ganz einfache Rechnung, 23 = 8 Möglichkeiten der Zusammenstellung und man würde acht unterschiedliche Typen der Akzeptanz bauen können. Jedoch, wie uns schon die geigerische Formel gezeigt hat, lässt sich die komplexe soziale Wirklichkeit nicht anhand von Formeln beschreiben. Wir beschränken uns daher auf die eine Möglichkeit, die schon am gezeigten Beispiel sehr interessant zu sein scheint: Man bejaht bestimmte Normen (normative Dimension) handelt aber anders (konativer Aspekt). Es sind zweierlei Auslegungen solcher Situationen möglich: Die Akzeptanz einer Norm auf der Einstellungsebene muss nicht notwendig mit der Befolgung der Norm einhergehen. „So zeigen z.B. Einstellungsvergleiche zwischen Straffälligen und Nichtstraffälligen, dass das Legitimitätsverständnis zwischen beiden Gruppen nicht so unterschiedlich ist, wie ihr Verhalten.“ (Blankenburg 1977: 32).
Wenn die zweite und dritte Dimension nicht übereinstimmen, kann es sich aber z.B. um eine zynische Nicht-Akzeptanz handeln. Erik de Bakker unterscheidet in seiner zwölfstufigen Typologie zwei Typen der zynischen Nicht-Akzeptanz, die auf dem Mikroniveau ansetzen. Die erste ist die Schein-Akzeptanz des „Als ob“, wobei absichtlich geheuchelt oder über-heuchelt wird (das Verbergen des Heucheln durch Heucheln).
86
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Die zweite bezeichnet er als zynische Nicht-Akzeptanz oder Quasi-Akzeptanz, die unverschämt geäußert wird (De Bakker 2003: 231ff.). Autoren, die sich mit dem Thema Zynismus befassten, stellten fest, dass moderne Gesellschaften immer mehr durch stillschweigende, zynische Attitüden und Verhaltensweise gekennzeichnet werden. Sloterdijk nannte den modernen Zynismus „aufgeklärte, falsches Bewusstsein“, dessen Falschheit bereicht reflektiert ist (vgl. Sloterdijk 1983: 36f.). Zynisch handeln heißt, dass man keine Skrupel (mehr) hat. Es zeigt sich als ungehemmter Realismus. Es wird die Meinung geteilt, dass die Realität funktioniere wie sie ist und dass man sich anpassen muss. Als ein weiterer Faktor für solches Handeln gilt ein bewusster Gebrauch von heimlichen Handlungsmotiven, verknüpft mit der Überzeugung, dass Eigeninteresse als zentraler sozialer Handlungsgrund gilt. „Wir wissen, dass wir manchmal Dinge tun, die moralisch nicht stimmen, haben aber gelernt, dies mit rationalen Argumenten zu rechtfertigen, die sich auf die ´Wirkung der Wirklichkeit` beziehen“ (De Bakker 2003: 238f.).
In der personalwirtschaftlichen Praxis könnte man sich folgenden Zusammenhang vorstellen: Man kennt eine bestimmte Regelung, z.B. den Anspruch auf Teilzeitarbeit, und in der nach Außen getragenen Unternehmenspolitik bejaht man diesen Anspruch und betont dass solche Lösungen für familienfreundliche Maßnahmen sehr wichtig sind, in der Praxis stellt sich aber heraus, dass nur 0,5% der Mitarbeiter dieser Firma den Anspruch auf Teilzeit nutzen. Die normativen Aussagen stimmen mit den sozialen Handlungen nicht über ein. Vielleicht kann man die Teilzeitjobs im Unternehmen in breiterem Maß aus bestimmten Gründen nicht einführen, jedoch werden diese Gründe nicht geäußert, werden als „verborgene Transkripte“ schön geredet und in der Praxis wird anders gehandelt. Solche ‚zynische Akzeptanz‘ stellt einen Versuch dar, die vom Gesetzgeber gewollte Rechtsrealität zu umgehen und der Unternehmensrealität anzupassen. Lucke und de Bakker bildeten ausführliche Akzeptanztypologien, die konzeptionell sehr interessant sind, jedoch angesichts der in dieser Arbeit erwähnten Faktoren der Rechtsakzeptanz über die hier angesprochene Richtung hinausgehen.
6
Fazit
Die eingangs dargestellten Ansätze der Rechtssoziologie haben meistens eine objektzentrierte Herangehensweise. Die Wirkung von rechtlichen Normen wird in den Handlungs- und Herrschaftstheorien an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gemessen und lässt das individuelle Erleben beim Umgang mit Rechtsnormen unberücksichtigt. Will man dagegen die Zusammenhänge zwischen einer Wahrnehmung des Arbeitsrechts und einer Einstellungsbildung zum Arbeitsrecht untersuchen, muss das individuelle Erleben berücksichtigt werden. 87
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Ausgangspunkt ist hierbei die Doppelfunktion des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht und Vertragsrecht, die von Arbeitgeber und -nehmer unterschiedlich wahrgenommen werden. Während das Vertragsrecht der Stabilisierung des Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt und für beide Parteien einerseits die Komplexität der Vertragsverhandlungen reduziert und andererseits den täglichen Umgang gestaltet, wirkt das Schutzrecht in erster Linie handlungsbestimmend für den Arbeitgeber. Wirkungen des Rechtsbewusstseins und Nachweis von Rechsakzeptanz sind daher am ehesten in diesem Funktionszusammenhang zu erwarten. Bezieht man allerdings nur Rechtswissen als kognitive Komponente und Anwendung von Recht als konative Komponente mit ein, so bleiben vor allem die emotionalen Aspekte des Rechtsgefühls außen vor. Das Auftreten von Emotionen im Erleben und Anwenden von Recht ist vom situativen Kontext abhängig. Arbeitsrecht als sensibler, rechtlicher Regelungskomplex zwischen Eigentumsrecht der Unternehmen und Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer tangiert die Persönlichkeitsrechte beider Parteien. Je kleiner das Unternehmen ist, desto intensiver der interpersonelle Kontakt und desto weniger standardisiert der Umgang untereinander ist, desto eher werden emotionale Reaktionen die Bewertung von Recht bestimmen. Moralische Wertungen und rechtliche Normen sind dann kaum voneinander zu trennen. Der Einfluss anderer Regelungskomplexe neben dem Recht, wie zum Beispiel Ethik oder Wirtschaft wirkt bei der Entstehung von Rechtsbewusstsein mit. Die Stärke dieser Regelungskomplexe und ihre Anwendung im personalwirtschaftlichen Kontext wird auch die Akzeptanz von rechtlichen Regelungen bestimmen. Diese kann für unterschiedliche Normen recht unterschiedlich sein, da hierbei die Einstellungen zu diesen Normen, die Handlungsintensionen und die tatsächliche Umsetzung zusammenwirken. Bezieht man die Erkenntnisse der Sozialpsychologie und der Entwicklungspsychologie mit ein, so ist der Zusammenhang zwischen Recht und Ethik enger als es die soziologische Betrachtung des Rechts als selbstreferentielles Teilsystem suggeriert. Denn der Ausschluss des Unterbewusstseins in der Systemtheorie führt dazu, dass Intuition im Umgang mit Recht nicht erklärt werden kann. Bei der Wahrnehmung von Recht spielen Erfahrungen eine Rolle, die in früheren Sozialisationsphasen gemacht wurden. Sie entstammen anderen Regelungskomplexen als Recht. Gerechtigkeitsvorstellungen richten sich je nach Kontext am Leistungs-, Bedürfnis- oder Gleichheitsprinzip aus, die als gesellschaftliche Grundvorstellung vorliegen. Allerdings müssen diese nicht zwangsläufig mit dem eigenen Gerechtigkeitsurteil übereinstimmen. Differenzen zwischen eigenem Urteil und dem Urteil der Bezugsgruppe bzw. dem gesellschaftlich legitimierten Gerechtigkeitsurteil können vorhanden sein und 88
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
zu Spannungen führen. So gibt es bei der Umsetzung eigener Gerechtigkeitsvorstellungen durchaus Freiräume, die sich in Handlungsalternativen zeigen. Eine Bewertung von arbeitsrechtlichen Normen kann daher zwar zu ähnlichen Gerechtigkeits- bzw. Ungerechtigkeitsurteilen führen, die tatsächlichen Handlungen der Personalverantwortlichen können aber durchaus unterschiedlich sein, denn Situationen werden unterschiedlich wahrgenommen und eine Balance zwischen eigenem und fremden Urteil und Handlungsalternativen muss jeweils neu gefunden werden. Das Rechtsbewusstsein und die Rechtsakzeptanz können daher für die einzelnen Normen des Arbeitsrechts differieren. Von einer allgemeinen Einstellung zum Arbeitsrecht kann nicht auf bestimmte Handlungen geschlossen werden. Bezieht man allerdings die jeweilige arbeitsrechtliche Norm, die bereits gemachten individuellen Erfahrungen und die Wirkung in betriebsspezifischem Kontext mit ein, so reduzieren sich die Handlungsalternativen und lassen ein bestimmtes Verhalten erwarten. Hier wirkt aber nicht mehr Rechtsbewusstsein alleine, sondern der wirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Kontext wird die Akzeptanz der rechtlichen Norm beeinflussen. Veränderungen von Gesetzen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können daher Einfluss auf das Rechtsbewusstsein als Orientierungskonzept für die Wahrnehmung von Arbeitsrecht haben. Veränderte Bewertungen arbeitsrechtlicher Normen können, müssen aber nicht, zu veränderter Akzeptanz dieser Normen führen.
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1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht Luhmann, N. (1997): Legitimation durch Verfahren. Suhrkamp: Frankfurt a.M. Mees, U./Schmitt, A. (2003): Emotionen sind die Gründe des Handelns: Ein zweidimensionales Modell metatelischer Orientierungen und seine empirische Überprüfung. In: Mees, U./Schmitt, A. (Hrsg.): Emotions-Psychologie. BIS Oldenburg. Mikula, G. (1993): On the Experience of Injustice. In: Stroebe, W./Hewstons, M. (Hrsg.): European Review of Social Psychology 4. Wiley: New York. S. 223-244. Mikula, G. (2002): Gerecht und ungerecht: Eine Skizze der sozialpsychologischen Gerechtigkeitsforschung. In: Held, M./Kubon-Gilke, G./Sturm, R. (Hrsg.): Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik – Gerechtigkeit als Voraussetzung für effizientes Wirtschaften. Jahrbuch 1. Metropolis Verlag: Marburg. S. 257-278. Mikula, G./Wenzel, M. (2000): Justice and Social Conflict. International Journal of Social Psychology 35. S. 126-135. Miller, D.T. (2001): Disrespect and the Experience of Injustice. Annual review of Psychology 52. S. 527-553. Noll, P. (1984): Über die Wirksamkeit von Gesetzen. In: Manfred Rehbinder (Hrsg.): Schweizerische Beiträge zur Rechtssoziologie, eine Auswahl. Duncker & Humblot: Berlin. Oser, F. (1999): Die mißachtete Freiheit moralischer Alternativen: Urteile über Handeln, Handeln ohne Urteile. In: Garz, D./Oser, F./Althof, W. (Hrsg.): Moralisches Urteil und Handeln, Suhrkamp: Frankfurt a. Main. S. 168-219. Pichler, J. W. (1998): Rechtsakzeptanz und Handlungsorientierung. In: Pichler, J. W. (Hrsg.): Rechtsakzeptanz und Handlungsorientierung. Schriften zur Rechtspolitik Bd. 10. Böhlau Verlag: Wien u.a. Pichler, J. W./Giese, K. J. (1993): Rechtsakzeptanz. Schriften zur Rechtspolitik Bd. 6. Böhlau Verlag: Wien u.a. Podgorecki, A./Houtte, J. v./Kaupen, W./Kutchinsky, B. (1973): Knowledge and Opinion about Law. Martin Robertson: London. Popitz, H. (1980): Die normative Konstruktion von Gesellschaft. Mohr: Tübingen. Raiser, T. (1996): Das lebende Recht. Rechtssoziologie in Deutschland. Nomos: Baden-Baden. Raiser, T. (1998): Rechtsgefühl, Rechtsbewußtsein, Rechtskentnis, Rechtsakzeptanz. In: Johannes W. Pichler (Hrsg.): Rechtsakzeptanz und Handlungsorientierung, Schriften zur Rechtspolitik Bd. 10. Böhlau Verlag: Wien u.a. Rehbinder, M. (1977/1993): Rechtssoziologie. de Gruyter: Berlin/New York. Rehbinder, M. (1983): Fragen des Rechtswissenschaftlers an die Nachbarwissenschaften zum sog. Rechtsgefühl. In: Margaret Gruter; Manfred Rehbinder (Hrsg.): Der Beitrag der Biologie zu Fragen von Recht und Ethik. Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung. Bd. 54. Dunker & Humblot: Berlin. S. 261-274. 92
1.3 Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht Rehbinder, M. (1985): Rechtsgefühl als Gemeinschaftsgefühl. In. Lampe, E. J. (Hrsg.): Das sogenannte Rechtsgefühl. Westdeutscher Verlag: Opladen. S. 174-184. Röhl, Klaus F. (1987): Rechtssoziologie. Carl Heymanns Verlag: Köln u. a. Rottleuthner, H. (1981): Rechtstheorie und Rechtssoziologie: Alber: Freiburg/München. Schnur, P. J. (2001): Recht zwischen Macht und Moral. Kritische Revision der Rechtssoziologie Theodor Geigers. Dissertation: Saarbrücken. Schramm, F. (2007): Das Arbeitsrecht in der öffentlichen Wahrnehmung – ausgewählte Ergebnisse. Recht der Arbeit. Heft 5. Beck: München. S. 267-275. Schreiber, R. (1966): Die Geltung von Rechtsnormen. Springer: Berlin. Schwartz, R. D. (1983): Die Bedeutung der Soziobiologie für die Rechtswissenschaft. Einige Worte der Warnung. In: Gruter, M./Rehbinder, M. (Hrsg.): Der Beitrag der Biologie zu Fragen von Recht und Ethik. Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung. Bd. 54. Dunker & Humblot: Berlin. S. 51-65. Sloterdijk, P. (1983): Kritik der zynischen Vernunft. Suhrkamp: Frankfurt am Main. Tapp, J. L./Levine, F. J. (1974): Legal Socialisation: Strategies for an Ethical Legality. In: Stanford Law Review. Tyler, T. (1990): Why people obey the law. Yale Univ. Press: New Haven. Williams, M./Hall, J. (1972): Knowledge of the Law in Texas: Socioeconomic and Ethic Differences. In: Law and society review Nr. 7: Law and society Association. Zippelius, R. (1985): Rechtsgefühl und Rechtsgewissen. In: Lampe, E. J. (Hrsg.): Das sogenannte Rechtsgefühl. Westdeutscher Verlag: Opladen. S. 12-20.
93
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Kapitel 1.4: Das Projekt Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – methodische Grundlagen und Erläuterungen Marcus Bradtke-Hellthaler
1
Einleitung
Dieser Beitrag informiert über die Hintergründe und Details der methodischen Vorgehensweise des Projektes. Nach einer kurzen Beschreibung des Forschungsfeldes und den daraus hervorgehenden Anforderungen an die Methodik werden die verschiedenen Phasen des Projektverlaufes kurz dargestellt und wird auf entsprechende Besonderheiten hingewiesen werden. Der bisherige Forschungsstand zur Umsetzung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Praxis der Personalarbeit gibt zu einem überwiegenden Teil vor allem Auskunft über das gewählte personalpolitische Vorgehen im Sinne konkreter personalpolitischer Maßnahmen. Die Frage, welche Begründungen für das jeweilige Handeln identifiziert werden können, wurde jedoch bislang nur wenig untersucht, sie wird aber zunehmend als zentral für das Verständnis der Wirkungen rechtlicher Regulierung und die Überprüfung etwaiger Deregulierungsbedarfe und hierzu geeigneter Maßnahmen angesehen (vgl. genauer Schramm/Zachert 2005). Erste qualitative Forschungsergebnisse legen nahe, dass die unternehmerische Praxis im Umgang mit Arbeitsrecht durchaus unterschiedlich gestaltet sein kann: So lassen sich Unternehmen hinsichtlich ihrer arbeitsrechtlichen Kultur oftmals verschiedenen Typen zuordnen. Die Spannweite reicht hier von einer strikt an den Vorschriften orientierten Verfahrensweise über eine ökonomische Betrachtungsweise im Sinne eines Kostenabwägens zwischen Befolgen der oder Zuwiderhandeln gegen die rechtlichen Vorschriften bis hin zum Extremfall der Tendenz eines allgemeinen Zuwiderhandelns (vgl. ausführlich Hübner 2005: 450ff. sowie Bradtke et al. 2004: 138-144). Eine genaue, systematische Untersuchung der dem Handeln der Unternehmen zugrunde liegenden konkreten Motivationen, Überlegungen und Einstellungen stand bislang noch aus (vgl. etwa Pfarr et al. 2005). In der Kenntnis dieser Zusammenhänge wird jedoch ein zentraler Baustein für das Verständnis der arbeitsrechtlichen Praxis von Unternehmen und für eine genaue Bewertung der personalwirtschaftlichen Wirkungen arbeitsrechtlicher Vorschriften vermutet (vgl. Bradtke et al. 2004).
94
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Aufgabe des Projektes Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung war es daher, möglichst umfassende neue Erkenntnisse zu erarbeiten, um diese Forschungslücke weiter zu schließen.
2
Anforderungen an die Methodik
Die Tatsache, dass zu den grundlegenden Fragestellungen bislang kaum ergiebige Erkenntnisse vorlagen und umfassende Ergebnisse nur unter einer Berücksichtigung einer überwiegend individuellen Perspektive der betrieblichen Praktiker erarbeitet werden können, legt zum einen ein weitgehend offenes, nah am Forschungsobjekt der betrieblichen Praxis orientiertes Vorgehen mithilfe qualitativen Methoden nahe. Zum anderen sollte sich die Befragung direkt an Personalleiter, Inhaber sowie Geschäftsführer von Unternehmen und somit an Akteure wenden, die sich innerhalb ihrer Aufgaben gestaltend mit arbeitsrechtlichen Vorschriften auseinandersetzen und mit den Vorbereitungen und Umsetzungen personalwirtschaftlicher Entscheidungen betraut sind. Hier war zu vermuten, dass auf diesen Positionen das meiste spezifische Fachwissen vorlag, das für die vorliegende Untersuchung von zentralem Interesse war. Methodisch galt es, eine gegenüber den naturgemäß komplexen individuellen Besonderheiten der Befragten offene Methodik zu wählen. Daher fiel die Entscheidung auf eine qualitative Vorgehensweise mithilfe leitfadengestützter Experteninterviews, die eine Gewinnung möglichst umfassender Erkenntnisse über zugrunde liegende Orientierungen und Handlungsmuster betrieblicher Praktiker sowie der damit verbundenen Auswirkungen zu ermöglicht (vgl. hierzu im Einzelnen Trinczek 1995). Experteninterviews bieten gegenüber einer schriftlichen oder quantitativen Befragung mit überwiegend geschlossenen Fragen aufgrund ihrer hohen Kontextsensitivität den Vorteil, die jeweils unterschiedlichen Standpunkte einzelner Akteure möglichst gut erfassen und dabei ihren individuellen Besonderheiten Rechnung tragen zu können (vgl. etwa Bogner et al. 2002 sowie Bradtke 2005). Experteninterviews haben zumeist das Ziel, ein bestimmtes Forschungsfeld verstehen zu lernen und auf systematische Art und Weise Material sowie Daten zu gewinnen. Das Erkenntnisinteresse liegt dabei jeweils auf in der Regel speziellem, dem Forscher als Außenstehendem nicht zugänglichem Wissen. Das Besondere dieser Erhebungsmethode besteht in ihrer praktischen Anlehnung an die alltagsweltliche Kommunikation sowie dem besonderen Interaktionsverhalten zwischen befragtem Experten und ebenfalls sachkundigem Interviewer. Experteninterviews ermöglichen dabei eine trotz notwendiger Vorüberlegungen6 grundlegend offene Herangehensweise an den Forschungsprozess und an die Besonderheiten der Befrag6
Zu allgemeinen Anforderungen hieran vgl. Gläser/Laudel 2004, S.73. 95
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
ten, während gleichzeitig der für die Untersuchung komplexer Fragestellungen verwendete Interviewleitfaden den erforderlichen Grad eines strukturierten Vorgehens gewährleistet. Somit bietet sich die Anwendung von Experteninterviews gerade für Untersuchungen an, in denen neue Erkenntnisse über bestimmte betriebliche Zusammenhänge herausgearbeitet werden sollen, über die bisher noch nicht viel individuelle Aspekte bekannt sind.
3
Die Vorbereitungsphase
Das Forschungsprojekt begann mit einer umfassenden Einarbeitung in die Materie auf Grundlage des bisherigen Forschungsstandes, um zunächst zu einem gemeinsamen Kenntnisstand innerhalb allgemeiner arbeitsrechtlicher und personalwirtschaftlicher Theorien zu gelangen. Im Anschluss hieran wurden die Hintergründe und die Entwicklung der aktuellen sowie zurückliegenden arbeitsrechtlichen Reformen in Deutschland aufgearbeitet und diskutiert. Dabei standen neben dem zentralen Bereich des Kündigungsschutzes im Wesentlichen die Regelungsbereiche der Befristung und Leiharbeit im Zentrum des Interesses, um ein in der politischen Diskussion häufig vermutetes Ausweichverhalten von Unternehmen mit Blick auf den Kündigungsschutz zu untersuchen. Weiterhin wurden die aktuellen Entwicklungen zur Betriebsverfassung sowie Teilzeitarbeit in den Blick genommen. Ein besonderer Fokus lag zudem auf den von der großen Koalition geplanten Reformvorhaben, v.a. innerhalb des Kündigungsschutzes und der Befristung sowie auf der geplanten Schaffung eines einheitlichen Arbeitsgesetzbuches (siehe zu geplanten Reformvorhaben: Worobiej, Kapitel 2.3; zum Arbeitsvertragsgesetzbuch: Schlese/Schramm, Kapitel 2.8). Im Einzelnen ist dabei jeweils untersucht worden, wie die ursprüngliche Rechtslage in diesen Gebieten aussah und welche Veränderungen es dabei gegeben hat. Hierbei wurde neben den Gesetzen selbst die einschlägige Fachdiskussion von Gesetzgeber, Verbänden und Organisationen analysiert und zu diesem Zeitpunkt vorliegende Studien und Fachveröffentlichungen herangezogen. Auf Grundlage der gesammelten Informationen konnte dann eine Abschätzung der jeweils personalpolitischen Bedeutung der Regelungsbereiche vorgenommen werden. Die Erkenntnisse wurden dann zur weiteren Verwendung zu einem umfassenden Reader zusammengestellt, der im späteren Verlauf einen einheitlichen Kenntnisstand der Projektteilnehmer sowie Interviewer gewährleisten sollte.
96
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
3.1
Die Entwicklung der Fragestellungen
Ausgehend vom bisherigen Forschungsstand und den zentralen arbeitsrechtlichen Entwicklungen standen für das Projekt folgende, zunächst grundsätzliche Fragestellungen im Mittelpunkt, die im weiteren Verlauf für eine empirische Untersuchung methodisch aufgearbeitet wurden: -
Wahrnehmung und Einstellungsbildung: Wie wird das Arbeitsrecht von den Personalverantwortlichen wahrgenommen? Werden die Vorschriften als handhabbarer Teil der unternehmerischen Rahmenbedingungen oder als störende Einflussnahme auf das betriebliche Handeln erlebt? Aus welchem Grund behaupten sich oftmals Aussagen von eher anekdotischer Evidenz in der Diskussion? Welche Rolle spielen Medien und Erfahrungen bei der Einstellungsbildung?
-
Beurteilungskriterien der Akteure: Welche Kriterien werden zur Beurteilung des Arbeitsrechts herangezogen? Welcher Stellenwert wird dabei der ökonomischen Effizienz und der sozialen Effizienz beigemessen? Welcher Zusammenhang wird zwischen ökonomischer und sozialer Effizienz gesehen? Welche Rolle spielen innerbetriebliche Machtstrukturen?
-
Merkmale der Organisation und der Situation: Welchen Einfluss hat die wirtschaftliche Lage von Betrieben auf die Bildung von Einstellungen? Lassen sich bei diesen Fragen etwaige branchen- oder betriebgrößenspezifische Übereinstimmungen feststellen? Inwiefern ist der Anteil des Personalaufwands an der betrieblichen Wertschöpfung von Belang? Welchen Einfluss nimmt die Organisationskultur?
-
Personalwirtschaftliches Verhalten: Welches Verhalten zeigen die Akteure bei ihrem Umgang mit dem Arbeitsrecht? Erfolgt die Auseinandersetzung mit dem System des Arbeitsrechts systematisch, aktiv, langfristig oder eher punktuell, passiv und an kurzfristigen Belangen orientiert? Welche personalwirtschaftlichen Wirkungen haben Änderungen des Arbeitsrechts? Beeinflusst das Arbeitsrecht merklich die Unternehmensstrategie bzw. die betriebliche Arbeitskräftestrategie? In welchem Umfang kann Arbeitsrecht präventiv oder prohibitiv betriebliche Entscheidungen steuern?
-
Gestaltungsempfehlungen: Welche Gestaltungsempfehlungen können für die Politik und die angewandte Wissenschaft (Personalwirtschaftslehre und Arbeitsrecht) abgeleitet werden?
97
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
3.2
Zur Hypothesenentwicklung
Auf Basis des entwickelten Grundmodells wurden aus den Fragestellungen für die empirische Untersuchung zunächst grundlegende Arbeitshypothesen über den Zusammenhang von Arbeitsrecht und Personalpolitik erarbeitet: -
Das Arbeitsrecht und seine Änderungen sind Einflussgrößen, deren Bedeutung z. B. durch die demografische oder technologische Entwicklung relativiert wird. Arbeitsrecht wirkt zudem selektiv, wenn etwa gezielt (z. B. durch Schwellenwerte) oder faktisch bestimmte Betriebsgrößen oder Branchen (z.B. weitgehend bei der Regulierung und Deregulierung von Scheinselbständigkeit) angesprochen werden.
-
Die Rolle des Arbeitsrechts für die Personalpolitik hängt von den Kenntnissen, den subjektiven Vorstellungen der Akteure ab. In Anbetracht der Fülle von Details und Neuerungen im Arbeitsrecht besteht eine erhebliche und verhaltenswirksame Differenz zwischen der "tatsächlichen", ohnehin häufig nicht eindeutigen Rechtslage und der "vermeintlichen" Rechtslage (vgl. Pfarr et al. 2005).
-
Entscheidungsträger in den Organisationen verfügen in einer gegebenen rechtlichen Situation über erhebliche Handlungsspielräume. Diese Spielräume werden u. a. in Abhängigkeit von den Werten und Einstellungen der Entscheidungsträger genutzt. Von wesentlichem Einfluss auf das konkrete betriebliche Agieren innerhalb dieser Wahlmöglichkeiten dürften neben der konkreten Kenntnis der Vorschriften und strukturellen Anforderungen der Betriebe vor allem die individuellen Erfahrungen, Werte, Motivationen und Einstellungen der Akteure auf Managementebene sein.
-
Die Betriebsgröße ist für den personalwirtschaftlichen Umgang mit dem Arbeitsrecht von Belang. Dies gilt nicht nur, weil etwa das Kündigungsschutzgesetz Schwellenwerte enthält, sondern auch, weil die Funktionsweise einer Organisation von der Betriebsgröße beeinflusst wird.
-
Die wirtschaftliche Lage beeinflusst das personalpolitische Verhalten von Organisationen. Dies gilt nicht nur angesichts der unterschiedlichen Bedeutung etwa des Personalabbaus, sondern auch für Felder wie die Personalführung.
-
Die Rolle des Personals für die Organisation variiert. So impliziert Recht bzw. eine Rechtsänderung bei Organisationen, deren Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten hoch ist (etwa Gebäudereinigung) andere Wirkungen als bei Unternehmen mit einem niedrigen Personalkostenanteil. Weiterhin unterschei-
98
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
det sich der Umgang mit dem Arbeitsrecht in Betrieben, in denen das Humankapital sehr spezifisch oder knapp ist, systematisch von anderen Betrieben. -
Organisationen müssen den Umgang mit Recht lernen. Eine produktive Nutzung des Arbeitsrechts für die Personalpolitik bedarf gewisser Ressourcen. Diese Ressourcen sind in Unternehmen oftmals sehr heterogen gestaltet (vgl. Alewell/Koller 2002). Auch falsch wahrgenommene Restriktionen wie der nur vermeintlich bestehende Kündigungsschutz in Kleinstbetrieben (vgl. ex. Pfarr et al. 2005: 29) sind u.U. handlungsleitend.
-
Betriebe sind oftmals hochkomplexe sozio-technische Systeme, die sich in ihren u. a. in ihren Organisationsstrukturen, ihrer Technologie, ihren Qualifikationsanforderungen und ihrer Kultur unterscheiden. Dementsprechend wirkt Recht spezifisch in derartigen Systemen.
-
In den Organisationen besteht faktisch trotz Gesetzgebung und Rechtsprechung und der eben genannten Einflussgrößen ein erheblicher personalpolitischer Spielraum: So haben Unternehmen bei der Gestaltung ihrer Personalstruktur unter der Nutzung vielfältiger rechtlicher Möglichkeiten vielfältige Wahlmöglichkeiten. Zu nennen wären hier beispielsweise die Festeinstellung von Beschäftigten oder die durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz eingeräumten Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverhältnissen oder aber die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern (vgl. auch Schlese et al. 2005).
3.3
Methodische Grundlagen und Gestaltung der Experteninterviews
Qualitative Methoden ermöglichen aufgrund ihrer Offenheit gegenüber ihrem Untersuchungsgegenstand Einblicke in die möglicherweise komplexe Dynamik der untersuchten unternehmensinternen Prozesse, die etwa bei einem stärker standardisierten Vorgehen eher verborgen bleiben könnten. Auch haben sich gerade qualitative Methoden für die Untersuchung von Prozessen als besonders geeignet erwiesen. Die Besonderheit qualitativer Forschung liegt darin begründet, dass sie auf ein sonst übliches hohes Maß an Standardisierung bei der Erhebung von Daten und deren Auswertung verzichtet. Bei den innerhalb qualitativer Methoden herangezogenen Daten handelt es sich überwiegend um Texte wie etwa Protokolle von Interviews mit betrieblichen Akteuren, die im Rahmen ihrer Auswertung intensiv betrachtet werden. Hierbei geht es weniger um die Analyse von Häufigkeiten als vielmehr um das Zusammentragen eines Puzzles auf Grundlage sich ergänzender Aussagen von Praktikern.
99
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Dabei folgen qualitative Methoden aufgrund ihrer beschriebenen Möglichkeiten nur selten einem strengen Ablauf, sondern variieren häufig je nach Untersuchungsvorhaben. Die von uns vorgenommenen Auswertungen der Experteninterviews orientieren sich im Wesentlichen an der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Diese stellt einen Ansatz empirischer, methodisch kontrollierter Auswertung insbesondere größerer Textdokumente dar, wobei das Material, in seinem Kommunikationszusammenhang eingebettet bleibend, nach inhaltsanalytischen Regeln ausgewertet wird, ohne dabei voreiligen Quantifizierungen zu verfallen (vgl. Mayring 2000: 2). Seit einigen Jahren sind hierzu leistungsfähige Computerprogramme entwickelt worden. Aufgrund der sehr umfangreichen Datenmengen aus den Interviews wurde entschieden, die Auswertungen mithilfe des Programms ATLAS.ti vorzunehmen, das gerade für die qualitative Inhaltsanalyse sehr geeignet ist. Die Grundlage der qualitativen Datenanalyse ist eine in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA entstandene, quantitativ orientierte Methode zur Inhaltsanalyse von Massenmedien, bei der die in den Texten enthaltenen Informationen für eine quantitative Auswertung aufbereitet wurden. Hierbei liegt der Fokus des Interesses auf dem Quantifizieren von Informationen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Kategorien von Begriffen und der Bedeutung des Sachverhaltes, den sie beschreiben (vgl. Gläser/Laudel 2004: 192). Ein Nachteil dieser auf eine Quantifizierung gerichteten Methode liegt in ihrer Ausblendung der unterschiedlichen Bedeutung der jeweiligen Textaussagen. Indem diese aus dem Zusammenhang entnommen und zu Kategorien zusammengefasst werden, erfolgt zwangsläufig eine erhebliche Komplexitätsreduktion. Dabei wird die Bedeutung eines Textelementes und dessen Beziehung zum Gesamtkontext lediglich auf das reduziert, was die jeweilige Kategorie messen soll. In den Hintergrund treten dabei das Verstehen komplexerer Zusammenhänge und das Aufdecken von Begründungszusammenhängen. Als Reaktion auf diese methodologische Kritik ist mit dem Instrument der qualitativen Inhaltsanalyse eine Methode entwickelt worden, mit der ein genaueres Verstehen von Zusammenhängen bei der Auswertung von Informationen erreicht werden kann, ohne dabei jedoch auf den Vorzug der Inhaltsanalyse verzichten zu müssen, theorie- und regelgeleitet vorgehen zu können. Ein Vorteil dieser Methode liegt zum einen darin, dass neben der Häufigkeit des Auftretens auch der Inhalt von Informationen analysiert werden kann, zum anderen können das zugrunde liegende Auswertungssystem und dessen Kategorien im Forschungsprozess im Rahmen eines deduktiven Vorgehens am Material selbst geprüft und abgeglichen werden. Ziel sind dabei zumeist Typisierungen 100
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
oder Konfigurationen von Informationen (vgl. Gläser/Laudel 2004: 193). Aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Analyse von Begründungszusammenhängen sowie ihrer Eignung für die Analyse auch umfassender Datenmengen ist die qualitative Inhaltsanalyse besonders geeignet, die im Zentrum des Forschungsinteresses dieser Arbeit stehenden subjektiven Perspektiven von Personalleitern als einem vermuteten zentralem Baustein für das Verständnis des Handelns betrieblicher Akteure herauszuarbeiten. Eine zentrale Rolle innerhalb von Experteninterviews spielt der Interviewleitfaden, der dabei mehrere wichtige Funktionen erfüllt. Zum einen enthält dieser die für die Untersuchung relevanten Themenkomplexe, die im Interview behandelt werden sollen (vgl. hierzu Meuser/Nagel 2002: 77ff.). Darin sind die Fragen bereits weitgehend ausformuliert und in einer logisch erscheinenden Reihenfolge enthalten. Dies ist hinsichtlich der Vergleichbarkeit und Auswertbarkeit der Interviews insbesondere dann von Vorteil, wenn mehrere Forscher mit der Erhebung befasst sind. Der Leitfaden sollte allerdings nicht als starres Instrument angewendet werden, sondern kann bei Bedarf zwecks Präzisierung und Vertiefung individueller Sachverhalte vorübergehend verlassen werden. Zum anderen machen sich die Forscher im Rahmen der Erarbeitung des Leitfadens mit den Themenaspekten vertraut und können alle relevanten Fragen optimal aufeinander abstimmen, was später jeweils zu einer entspannten und produktiven Gesprächsatmosphäre beiträgt.
3.4
Leitfadengestaltung, Besonderheiten
Mit Hilfe der Interviews sollte eine Vielzahl von Sachverhalten untersucht werden, ohne dabei die Interviewpartner über Gebühr zeitlich in Anspruch zu nehmen. Als Interviewdauer wurde daher ein Zeitraum von 90 bis 120 Minuten angestrebt und zumeist auch realisiert. Im Rahmen der Entwicklung des Interviewleitfadens wurden von den Projektmitgliedern zu den vorliegenden Hypothesen detaillierte Fragen entwickelt. Aus den forschungsleitenden Fragestellungen ergab sich dabei die Anforderung, ein Fragenspektrum zu entwerfen, das sowohl die konkreten personalwirtschaftlichen Maßnahmen und arbeitsrechtlichen Problemstellungen erfasst als auch ein Nachvollziehen der sich darauf beziehenden subjektiven Bewertungen der Personalleiter ermöglichte. Ziel war es, zum einen die Wahrnehmung von Arbeitsrecht im betrieblichen Alltag und die vorherrschenden Einstellungen zu untersuchen und zum anderen die betrieblichen Verfahrensweisen zu identifizieren, um schließlich auf Grundlage der Erkenntnisse zu beiden Aspekten den Einfluss der vorgenommenen Bewertungen auf ihr Handeln festzustellen. 101
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Der Interviewleitfaden gliederte sich schließlich in folgende Bereiche:
Übergeordnete Fragen: -
Allgemeine statistische Angaben /strukturelle Daten
-
Allgemeine Fragen zur Beurteilung des Arbeitsrechts: Wahrnehmung, Einstellungen
-
Arbeitsrechtliche Ressourcen und Umgang mit Arbeitsrecht
Konkrete Fragen zu einzelnen arbeitsrechtlichen Vorschriften: -
Fragen zu Personaleinstellungen und -entlassungen
-
Kündigungsschutz
-
Befristung
-
Leiharbeit
-
Teilzeitarbeit
-
Wünsche an das Arbeitsrecht
Die Fragen zu den einzelnen Bereichen sind in mehreren Durchgängen aufeinander abgestimmt und in eine inhaltlich und didaktisch logische Reihenfolge gebracht worden. Dabei war im Rahmen der Leitfadenerstellung darauf zu achten, dass die Fragen einen ausreichend großen Antwortspielraum zur Entfaltung der individuellen Relevanzstrukturen7 der Experten auf Basis der zu erwartenden Antworten ermöglichten und Wiederholungen sowie Überschneidungen soweit möglich vermieden wurden. Dabei war vorgesehen, die Formulierung eher auf Großunternehmen zugeschnittener Fragen während der Interviews bei Bedarf an die Anforderungen kleiner und mittelgroßer Unternehmen anzupassen, um akteursadäquat vorgehen zu können. Dies galt besonders etwa für Fragen der strategischen Planung oder Ausstattung von Personalabteilungen. Da im Laufe der Vorbereitung ein umfassender Fragenkatalog mit schließlich 63 Fragen entstanden ist, galt es, eine effiziente Leitfadenstruktur zu entwickeln, die den methodischen Anforderungen an die Durchführung von Experteninterviews gerecht wurde.8
7
Beispielhafte Relevanzstrukturen können in diesem Fall z.B. aktuell anstehende personalwirtschaftliche Überlegungen oder die konkrete betriebliche Konsequenz einer bestimmten angesprochenen Reglung sein. 8 Die Endfassung des Interviewleitfadens kann dem Anhang entnommen werden. 102
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Den einzelnen Abschnitten wurden inhaltliche Kurzeinführungen zu den jeweiligen Themenbereichen vorangestellt, um in allen Interviews methodisch übereinstimmend in die jeweiligen Abschnitte des Interviews einzuführen. Zusätzlich waren einigen Fragen bei Bedarf Stichwörter zugeordnet, die den Interviewern ermöglichen sollten, präzise Hintergründe und Zielrichtungen der Frage im Auge zu behalten und bei Bedarf ausführlicher nachfragen zu können. Mit dem fertigen Entwurf des Leitfadens wurden von November 2005 bis Januar 2006 mehrere Pretests mit Personalverantwortlichen durchgeführt. Dabei sind die Verständlichkeit und logische Struktur sowie die Eignung der Fragen unter Praxisbedingungen überprüft und die durchschnittliche Dauer des Interviews festgestellt worden. Nach entsprechenden Nachbesserungen in der Abstimmung einzelner Fragen wurde dann der im Umfang endgültige Leitfaden erstellt. Einige Fragen ergaben sich aufgrund aktueller arbeitsrechtlicher Entwicklungen und Diskussionen erst im Laufe der Interviewphase, woraufhin der Interviewleitfaden entsprechend ergänzt wurde. Im Einzelnen handelt es sich dabei um Fragen zur Beurteilung eines einheitlichen Arbeitsgesetzbuches (Frage 62), zur Nutzung von Leiharbeit im Zusammenhang mit Hartz I (Frage 49) sowie zur Familienfreundlichkeit im Zusammenhang mit der Arbeitszeitgestaltung der Betriebe (Frage 59). Somit stehen zumindest aus einem Teil der Stichprobe erste entsprechende Informationen der Interviewpartner zu diesen Fragen zur Verfügung. Als Vorbereitung der Interviews wurde eine Intervieweranweisung mit Hinweisen und Tipps für die Interviewer erstellt, um zu möglichst vergleichbaren Interviewabläufen beizutragen und darüber hinaus wurden Interviewerschulungen durchgeführt.
3.5
Auswahl der Stichprobe
Nachfolgend wird die Vorgehensweise bei der Stichprobenauswahl beschrieben und soweit erforderlich begründet. Im Antrag des Forschungsprojektes war zunächst vorgesehen, dass die Auswahl der Gesprächspartner vorrangig auf inhaltlichen Überlegungen wie etwa der individuellen Relevanz des Faktors Personal in den zu interviewenden Betrieben beruhen sollte, während sich inferenzstatistische Überlegungen auf die Analyse der rahmenden, quantitativen Datensätze der empirischen Wirtschaftsund Sozialforschung beziehen sollten. Von diesem ursprünglich angestrebten Ansatz einer an inhaltlichen Überlegungen orientierten Stichprobe wurde jedoch aus zwei Gründen abgewichen: Zum einen erwies es sich als kaum möglich, das Kriterium der Relevanz des Personals bereits im Vorfeld eines Interviews zu bestimmen, dies gilt in gewissem Umfang auch für den Aspekt der wirtschaftlichen Lage. Zum anderen basier103
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
te der ursprüngliche Forschungsansatz auf einer die Experteninterviews begleitenden, quantitativ ausgerichteten Primärerhebung, die dem Aspekt der Repräsentativität Rechnung getragen hätte. Deren Realisierbarkeit war zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung jedoch nicht ausreichend geklärt, so dass die Entscheidung für eine Stichprobenziehung getroffen wurde, die sich an der disproportional geschichteten und geklumpten Stichprobe orientiert. Die erforderlichen Mittel für geplante zusätzliche quantitativ ausgerichtete Telefonbefragung sind erfreulicher Weise im letzten Quartal 2006 bewilligt worden, so dass diese kurzfristig zu Beginn des Jahres 2007 realisiert werden konnte. Somit können nun die bisher erarbeiteten Ergebnisse anhand einer breiteren Datenbasis auf ihre Verallgemeinerbarkeit hin überprüft werden. Die Rekonstruktion sozialer Sachverhalte im Rahmen von Expertengesprächen erforderte eine Tiefe der Analyse, die aufgrund ihres Aufwandes nur für wenige Fälle zugleich überhaupt leistbar war (vgl. hierzu auch Gläser/Laudel 2004: 35). Eine Repräsentativität der Ergebnisse im statistischen Sinne darf angesichts der geringen Fallzahl daher noch nicht erwartet werden. Die
Auswahl
der
Stichprobe
wiederum
erfolgte
über
die
Schober-
Unternehmensdatenbank, einem gewerblichen Anbieter von Wirtschafts- und Unternehmensdaten.9 Diese bietet eine laufend aktualisierte komplette Abdeckung der Betriebe in der Bundesrepublik.10 Die Stichprobenziehung selbst wurde über Cluster durchgeführt. Diese stellen einen Kompromiss dar zwischen Berücksichtigung der regionalen Unterschiede und praktischen Erwägungen zur Umsetzbarkeit wie etwa dem Reiseaufwand. Da die grundlegende qualitative Studie im Anschluss durch eine quantitative Telefonbefragung ergänzt werden soll, sind alle Cluster zunächst gleich gewichtet, auch wenn sich die Zahlen der Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 10 Beschäftigten in den Regionen unterscheiden. Diese Unterschiede sind jedoch nicht gravierend und sind davon abhängig, wie groß die Regionen definiert werden (z.B. Region Süd ausschließlich Bayern oder Bayern plus Baden Württemberg). Durchgeführt wurden jeweils 10 Interviews pro Region. Pro Region wurde nach Betriebsgröße unterschieden. Laut IAB sind 57% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Betrieben mit 10 bis 200 Mitarbeitern tätig (vgl. Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit 2006). Die Trennlinie dieses Vorhabens wurde bei 250 Beschäftigten gezogen. Um einer von Region zu Region unterschiedlichen Verteilung11 gerecht zu werden und gleichzeitig auch für umfassende
9
Zu Besonderheiten bei der Auswahl von Interviewpartnern vgl. Gläser/Laudel 2004, S.113f. Nähere Informationen über diese Unternehmensdatenbank sind online verfügbar unter www.schober.de 11 So gibt es etwa in den neuen Bundesländern weniger Beschäftigte in Großbetrieben. 10
104
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Ergebnisse zu sorgen, wurde im Sinne einer disproportionalen Schichtung eine 60/40 Quote für alle Regionen gewählt, so dass pro Region sechs Interviews mit KMU und vier Interviews mit Großbetrieben geführt wurden. Es wurde aus allen Betrieben (incl. Non-Profit-Sektor) gewählt, die „gewürfelt“ in der Datenbank enthalten sind. Für die einzelnen Regionen und die Betriebsgrößenunterscheidung wurden separate Ziehungen vorgenommen. Dabei wurden alle Branchen erfasst, Filialbetriebe sowie Körperschaften Öffentlichen Rechts jedoch aus der Ziehung ausgeschlossen. Weitere Einschränkungen wurden nicht vorgenommen. In der Stichprobe wurde die jeweils sechsfache Anzahl an Betrieben gezogen (pro Region: 36 KMU und 24 größere Betriebe). Um Recherchearbeit sowie unvollständige und unbrauchbare Datensätze zu reduzieren, wurden ausschließlich Adressen berücksichtigt, zu denen eine Telefonnummer vorlag (90% der Datensätze). Es war von einer 80prozentigen Richtigkeit der Angaben (Telefon und Ansprechpartner) auszugehen. Die Ansprechpartner der Datenbank rekrutierten sich aus vier Namen (Personalleitung, Inhaber, Erster Geschäftsführer, weitere Geschäftsführer). Für die Stichprobe wurden vier Cluster mit ausgewählten Postleitzahlen (PLZ) gezogen, um das jeweilige Zentrum und Umland zu berücksichtigen: -
Region Nord (Grundgesamtheit für PLZ 2+: 7073 KMU; 2903 Großunternehmen): PLZ 20/22 (Hamburg-Nord), PLZ 21 (Hamburg Süd), PLZ 25 (Schleswig Holstein West),
-
Region Ost (Grundgesamtheit für PLZ 0+: 4720 KMU; 991 Großunternehmen): PLZ 04 (Leipzig), PLZ 06 (Sachsen-Anhalt- Süd)
-
Region Süd (Grundgesamtheit für PLZ 8+: 7057 KMU; 2732 Großunternehmen): PLZ 80/81 (München Stadt), PLZ 82 (München Süd), PLZ 85 (München Nord)
-
Region West (Grundgesamtheit für PLZ 4+: 8932 KMU; 3794 Großunternehmen): PLZ 42 (Bergisches Land Nord), PLZ 44 (Dortmund), PLZ 45 (Nördliches Ruhrgebiet)
Auf der Grundlage der geschilderten Bestimmung der Betriebe wurden diese angeschrieben und um Teilnahme gebeten. Dabei wurde mit einem entsprechenden Vorlauf eine telefonische Nachfrage angekündigt, die einerseits die Teilnahmebereitschaft erhöhen sollte sowie andererseits eine Überprüfung der Qualität der Datenbankangaben zum Ziel hatte. Ein beigelegtes Faltblatt informierte die Interviewpartner über den Inhalt und die Ziele des Vorhabens. Nach Vorliegen der angestrebten etwa 40 Interviewzusagen wurde der Auswahlprozess abgebrochen. 105
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Im Rahmen einer ergänzenden Befragung von Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten sowie von Betriebsräten durch ein im selben Zeitraum an der Universität Hamburg durchgeführtes Lehrprojekt konnten zusätzliche Interviews generiert werden, die nun die Möglichkeit bieten, Informationen über die Lage in Kleinstbetrieben zu untersuchen. Für diese Zusatzbefragung wurde der erarbeitete Interviewleitfaden didaktisch sowie inhaltlich an die Besonderheiten der Kleinstbetriebe angepasst.
4
Die Feldphase
4.1
Interviewdurchführung
Die Interviews wurden im Zeitraum von April bis August 2006 von jeweils zwei Interviewern geführt. Die Interviews begannen nach einer gegenseitigen Bekanntmachung zunächst über eine kurze Beschreibung des Projektes und des genauen Forschungsinteresses. Im Anschluss daran wurde der geplante Ablauf besprochen, Formalien wie die Bitte um Zustimmung zur Aufzeichnung des Gespräches12 und die Zusicherung der Anonymisierung der Daten und Einhaltung des Datenschutzes geklärt sowie der zeitliche Rahmen festgelegt. Den Auftakt der Interviews bildeten zunächst allgemeine und noch vom Interviewleitfaden unabhängige Themen, um eine für das Gelingen von Experteninterviews erforderliche entspannte Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Die Dauer der einzelnen Interviews lag zwischen 1,5 bis 3 Stunden. Die Varianz der Dauer der Interviews war zum einen durch Termindruck seitens der Interviewpartner und zum anderen durch die unterschiedliche Breite der Kenntnisse oder betriebliche Relevanz einzelner Themen bestimmt. Etliche Interviewpartner wiesen im Übrigen explizit darauf hin, dass sie sich lediglich deshalb zur Teilnahme bereit erklärt hätten, da sie das Forschungsvorhaben für sehr sinnvoll hielten. Die Interviews wurden am Leitfaden orientiert durchgeführt, wobei je nach Lage in den Betrieben auf bestimmte Themenbereiche ausführlicher eingegangen wurde. Dabei zeigten sich bereits in den verschiedenen Interviews ein recht unterschiedlicher Kenntnisstand arbeitsrechtlicher Regelungen sowie ein eher weites Spektrum der praktischen Auslegung und Anwendung der jeweiligen Vorschriften. Im Verlauf des Interviews sind dann die einzelnen arbeitsrechtlichen Regelungsfelder nacheinander behandelt worden. Hierbei zeichnete sich nach und nach ab, in welcher Weise das Recht in den jeweiligen Unternehmen wirkt, wo besondere Relevanzen und Problemfelder liegen und wie damit individuell umgegangen wird. Am Ende des Leitfa12
Auf die Möglichkeit, auf Wunsch einzelne Aussagen auch ohne Tonbandmitschnitt vornehmen zu können, ist an dieser Stelle hingewiesen worden. 106
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
dens wurde den Interviewpartnern Gelegenheit gegeben, eigene Wünsch an das Arbeitsrecht zu formulieren und bislang nicht angesprochene, aber individuell relevante arbeitsrechtliche und personalpolitische Details anzusprechen. Die Interviews waren zum großen Teil von einer überraschenden Offenheit geprägt. Die befragten Experten haben sich sehr bereitwillig den Fragen der Forscher gestellt und diesen weite Einblicke in betriebliche Zusammenhänge eingeräumt. In der Mehrzahl der Interviews konzentrierten sich die Aussagen der Experten auf inhaltliche Zusammenhänge. Die sonst im Rahmen von Experteninterviews eher üblichen thematischen Ausschweifungen sowie Effekte im Diskursverlauf blieben eher die Ausnahme. Beobachtet werden konnte mitunter lediglich der typische Eisbergeffekt, der sich aber, wie für diesen Effekt üblich, meist im Laufe des Interviews nach einiger Zeit legte. Allerdings lassen sich aus der Art der gegebenen Antworten oftmals Rückschlüsse auf verschiedene Kulturen im Umgang mit Arbeitsrecht einerseits und in Zusammenhang damit wirkende Einstellungen gegenüber Beschäftigten identifizieren (vgl. hierzu den entsprechenden Beitrag in Kapitel 2.1 dieses Bandes). Die inhaltliche Ergiebigkeit einzelner Interviews war in weiten Teilen bestimmt durch die jeweiligen arbeitsrechtlichen Kenntnisse der Interviewpartner und deren persönlicher Auslegung einzelner Zusammenhänge. Am Ende der Interviews wurden ergänzend zu den Aufzeichnungen persönliche Eindrücke und Anmerkungen der Interviewer schriftlich festgehalten, die im Rahmen der Auswertung herangezogen werden konnten.
4.2
Transkription der Interviews
Nach Abschluss der Interviews wurden diese zeitnah weitgehend wörtlich transkribiert. Hierzu wurden Transkriptionshinweise erstellt, die zu einer einheitlichen Verschriftlichung anhand vorgegebener Standards beitragen sollten. Dabei wurde das Gesprochene durchgehend wiedergegeben, da zum Zeitpunkt der Transkription die Bedeutung einer jeden einzelnen Äußerung nicht unbedingt klar sein musste. Um ein besseres Nachvollziehen der jeweiligen Interviews zu ermöglichen, die häufig inhaltlich unterschiedliche Verläufe nahmen, sind neben den erhaltenen Antworten auch die entsprechenden Fragen wiedergeben. Die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes sind von allen Beteiligten eingehalten worden. Die jeweiligen Interviewtranskripte sind nach ihrer Fertigstellung von einer Mitarbeiterin des Projektes anonymisiert worden. Dabei sind Unternehmens- sowie Personennamen unkenntlich gemacht und durch Codes ersetzt und die Namen der interviewten Unternehmen durch eine laufende Nummerierung ersetzt worden. 107
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Nach Abschluss der Transkriptionen lagen dann schließlich mehr als 3.000 Seiten Interviewmaterial als Datengrundlage für die folgende Auswertung vor, ergänzt durch statistische Hintergrundinformationen zu den befragten Unternehmen.
5
Die Auswertungsphase
Diese Datengrundlage der Interviews bietet umfassende empirische Informationen zu den verschiedenen Forschungsfragen des Projektes13, die von den einzelnen Beschäftigten des Projektes individuell ausgewertet wurden. Je nach Fragestellung waren dafür unterschiedliche Vorgehensweisen erforderlich, die sich im Kern jedoch überwiegend an der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring orientieren (vgl. Mayring 1997).
5.1
Vorgehen bei der Auswertung
Die zentrale Auswertung der qualitativen Daten wurde mit dem Programm Atlas.ti der Firma Scientific Software durchgeführt. Dieses Programm ist eines der beiden wichtigsten Anwendungen zur computergestützten qualitativen Analyse großer Mengen von Text-, Grafik, Audio und Video-Daten. Das System bietet eine Vielzahl von Werkzeugen zur Durchführung von Bearbeitungs- und Analyseaufgaben, die mit der systematischen Untersuchung von "weichen" Daten zu tun haben, also von Datenmaterial, das nicht durch formalisierte, statistische Verfahren sinnvoll analysiert werden kann. Ein besonderer Vorteil des Programms ist, dass dieses die erforderliche empirischinduktive Vorgehensweise sehr gut unterstützt und nicht zu einer Nutzung starrer Auswertungskategorien zwingt. Das Programm ermöglicht eine Aufspüren und Auswerten in Texten verborgener komplexer Phänomene und bietet sich dabei gerade für ein Vorgehen im Sinne der qualitativen Datenanalyse nach Mayring an. Im Rahmen der Bearbeitung werden sämtliche Daten zu einer hermeneutischen Einheit zusammengefasst und um sämtliche, für das Projekt relevanten methodischen Bestandteile wie etwa Konzepte, Codes und Auswertungsüberlegungen ergänzt gemeinsam gespeichert. Die Datenquellen, Auswertungskonzepte, entwickelten Codes, relevanten Zitate sowie deren Bindungen (Familien, Netzwerke) und Memos werden dabei in die jeweilige hermeneutische Einheit integriert. Qualitative Methoden erzeugen Texte, die als auszuwertende Rohdaten mit prinzipiellen Unschärfen behaftet sind. Zu Beginn der Bearbeitung ist noch nicht klar, welche für
13
Zum Zusammenhang von Forschungsfragen und qualitativer Inhaltsanalyse vgl. Gläser/Laudel 2004, S. 67f. 108
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
die Untersuchung relevanten Informationen in einem Text enthalten sind, wenngleich durch eine entsprechende Vorbereitung der Datenerhebung hierzu sinnvoll beigetragen werden kann. Die Unschärfe selbst wiederum ist gewollt und entspringt der besonderen Art und Weise, wie qualitative Erhebungsmethoden das Prinzip der Offenheit realisieren. Die Datenerhebung wird zudem innerhalb qualitativer Verfahren zwangläufig stärker durch die Untersuchungspersonen gesteuert, als dies bei quantitativen Verfahren der Fall ist (vgl. Gläser/Laudel 2004: 41f.). Aus diesem Umstand besteht bei qualitativen Auswertungsmethoden das Problem, ein prinzipiell unscharfes Datenmaterial auswerten zu müssen, bei dem sich relevante und irrelevante Informationen mischen und das zudem redundant und teilweise nur schwer interpretierbar ist (Gläser/Laudel 2004: 41). Um trotz dieses Umstandes zu belastbaren Ergebnissen zu gelangen, ist ein systematisches Vorgehen notwendig, das subjektive Prägungen sowie Unschärfen in den Daten gezielt berücksichtigt und erlaubt, methodisch mit ihnen umzugehen.
5.2
Auswertung des Interviewmaterials
Im Rahmen der computergestützten Datenanalyse sind die interessierenden Fragestellungen jeweils individuell zugeschnitten untersucht worden, was in diesem Abschnitt genauer beschrieben werden soll. Das von uns genutzte Kategoriensystem baute grundsätzlich zunächst auf den während der theoretischen Vorüberlegungen konzipierten Untersuchungsvariablen auf. Damit wurde sichergestellt, dass die Extraktion der Ergebnisse von theoretischen Vorüberlegungen angeleitet wurde. Alle Texte wurden zunächst am Bildschirm gelesen und jeweils entschieden, ob relevante Informationen enthalten waren. Diese wurden dann den entsprechenden Auswertungskategorien zugeordnet entsprechend codiert. Dabei wurden die Textstellen, die untersuchungsrelevante Informationen enthielten mit einem Code, etwa einem Stichwort, markiert. Diese Codes entstammten zunächst den theoretischen Vorüberlegungen, in den Fällen, in denen im Laufe der Auseinandersetzung mit den Texten Informationen auftauchten, die relevant waren, aber vom zuvor entwickelten Kategoriensystem nicht berücksichtigt wurden, sind diese entsprechend ergänzt worden oder bestehende Codes angepasst worden. Im Ergebnis des Codierens entsteht ein System von über den Text verteilten Codes, welche die inhaltliche Struktur des Textes repräsentieren (vgl. hierzu Gläser/Laudel 2004: 43). Auf dieser Grundlage konnten dann die eigentlichen Analysen vorgenommen werden.
109
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Im Mittelpunkt der Analyse stand zum einen die Erfassung der individuellen Wahrnehmung arbeitsrechtlicher Vorschriften durch Personalleiter, die vorherrschenden Einstellungen gegenüber dem Arbeitsrecht sowie nach Möglichkeit Erkenntnisse über deren Zustandekommen. Zum anderen sollte anhand der geschilderten betrieblichen Erfahrungen in den verschiedenen Arbeitsrechtsbereichen des Kündigungsschutzes, der Befristung, Leiharbeit sowie Teilzeitarbeit analysiert werden, wie sich das Arbeitsrecht in der betrieblichen Praxis umsetzt und auf welche Gründe dies jeweils zurückgeführt werden kann. Dabei sollten jeweils in den Unternehmen relevante Strategien und Muster innerhalb der einzelnen Themenbereiche aus Perspektiven der beteiligten Parteien erschlossen werden. Hierbei wurde je nach Thema und Untersuchungsansatz auf unterschiedliche methodische Möglichkeiten zurückgegriffen: Neben einfachen Häufigkeitsauszählungen, die eine Analyse lediglich eines Teils der in den Interviews verborgenen Informationstiefe erforderte, wurden zunächst Einzelauswertungen einzelner Fragen des Leitfadens vorgenommen. Dabei konnten bereits erste Erkenntnisse über die jeweiligen Erfahrungen oder Vorgehensweisen der entsprechenden Unternehmen herausgearbeitet sowie individuelle Bewertungen konkreter arbeitsrechtlicher Details durch die Experten festgestellt werden. Durch diesen ersten Auswertungsschritt konnten erste unternehmensindividuelle Problemfelder und Zusammenhänge aufgezeigt werden, wobei besonders markante Aussagen jeweils individuell herausgestellt, in Memos vermerkt und im Rahmen der Einzelauswertungen der Einzelthemen im Anschluss berücksichtigt wurden. Im weiteren Verlauf der Untersuchungen wurden diese Ergebnisse vertiefend untersucht, um etwa Begründungen für das Verhalten der Betriebe und Experten, wie z.B. zugrunde liegende Grundannahmen zu identifizieren. Aufgrund der Einbindung der einzelnen Antworten in den Gesamtzusammenhang des Interviews ermöglichte die Methode eine Überprüfung der Aussagen auf Stimmigkeit oder aber sich aufzeigende Widersprüche, indem soweit möglich mit geeigneten Antworten in anderen Leitfadenbereichen verglichen wurde. Einen wichtigen Einfluss auf die Beurteilbarkeit der Aussagen und Rekonstruktion der betrieblichen Wirklichkeit hatte dabei insbesondere die Addierbarkeit von Einzelaussagen, die es ermöglichte, den Forschungsbereich immer besser zu durchleuchten und so zu einer insgesamt tragfähigen eigenen Einschätzung zu gelangen.14 Dabei ist hier zu erwähnen, dass die Auswertung solcher qualitativer Daten keinem in jedem Schritt eindeutig trennbaren Schema unterliegen kann, sondern vielmehr in einem verantwortungsvollen Umgang 14
Zu dieser Möglichkeit vgl. auch Voelzkow 1995, S. 56. 110
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
bestimmte Freiheitsgrade der Deutung genutzt werden, die sich im Laufe der vergleichenden Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial und aus der zuvor erfolgten thematischen Einarbeitung entwickelt haben. Wenngleich die gewählte Methodik dazu zwingt, die von den Interviewpartnern gemachten Aussagen zunächst grundsätzlich als mit der individuellen Situation übereinstimmend und somit zumindest subjektiv richtig anzunehmen, ermöglichte die Methode, etwaige Widersprüchlichkeiten im interviewinternen Vergleich zumindest aufzuzeigen. Dazu wurden alle Textstellen eines bestimmten Codes miteinander verglichen. Etwaige Auffälligkeiten wurden im Rahmen von Memos festgehalten, auf die im weiteren Verlauf der Auswertung zurückgegriffen werden konnte. Nach vollständiger Codierung der Interviews waren diese in auswertbarer Form aufbereitet. Damit konnte auf die jeweiligen, durchaus unterschiedlich umfangreichen Interviewpassagen jeweils thematisch strukturiert zugegriffen und diese mithilfe unterschiedlicher Auswertungstools zur Analyse ausgeworfen werden. Diese sind dann aufbauend auf die o.g. Vorauswertungen im Wesentlichen im Rahmen folgender Auswertungsmöglichkeiten untersucht worden15: -
Betriebsübergreifende Analyse von Einzelantworten: Hierbei sind die Antworten aller Experten zu einer Frage miteinander verglichen worden, wobei neben einem Aufzeigen der generellen Spannweite von Antworten vor allem eine Suche nach bestimmten Mustern des Auftretens von Antworten im Vordergrund stand. Dazu wurden jeweils Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet, Aussagen über gemeinsame Kenntnisse und Verfahrensweisen der Experten getroffen sowie erste Deutungsmuster entwickelt. Die dazu erforderliche Vergleichbarkeit der Texte war dabei durch die leitfadenorientierte Interviewführung sowie über die gemeinsam geteilten institutionell-organisatorischen Kontexte der befragten Experten sichergestellt.16
-
Suche nach Besonderheiten im Antwortverhalten: Hier fiel etwa auf, dass Interviewpartner häufig Probleme anderen Unternehmen unterstellten, während sie selbst jedoch angaben, mit Vorschriften ohne größere Probleme zu Recht zu kommen. Dies kann könnte ein Indiz für den Einfluss von Anekdoten und Mutmaßungen bei der Meinungsbildung sein (vgl. hierzu Sub-Classing und anekdotische Evidenz in: Schramm et al. Kapitel 1.1, Abschnitt 3; BradtkeHellthaler Kapitel 2.1, Abschnitt 2.3)
15
Die hiermit verbundenen inhaltlichen Überlegungen und detaillierten Vorgehensweisen der Auswertung können den jeweiligen Fachbeiträgen dieses Bandes entnommen werden. 16 Zur Vergleichbarkeit der Expertenaussagen vgl. Meuser/Nagel, Experteninterviews - vielfach erprobt, wenig bedacht, S. 81. 111
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
-
Identifikation möglicher Muster: Soweit möglich sind weiterhin geeignete Einzeltypologien auf der Suche nach weitergehenden Zusammenhängen und Mustern des betrieblichen Umgangs mit Arbeitsrecht hinsichtlich bestimmter Ausprägungskombinationen analysiert worden. Dazu wurde untersucht, ob sich jeweils fallspezifische Kombinationen voneinander abgrenzen lassen, die eine bestimmte innere Logik aufweisen und dahingehend verallgemeinerbar sein könnten. Beispielsweise wurde überprüft ob bei der Bewertung der Wirkung von Arbeitsrecht zwischen den von den Experten gegebenen allgemeinen Aussagen und deren Relevanz hinsichtlich eigener Beschäftigungsentscheidungen unterschieden werden muss. Innerhalb dieser Analyse konnte eine Reihe interessanter, für die Untersuchung unserer Fragestellungen wichtiger Zusammenhänge aufgezeigt werden.
Wenngleich die Methode des Experteninterviews es ermöglicht, auch über reine Aussagen hinausgehende Beobachtungen in die Auswertung einzubeziehen, konzentrierte sich diese auf den direkten Inhalt der Antworten sowie Rückschlüsse auf Antworten zu anderen Fragen - die Interviewpartner waren dahingehend gewissermaßen beim Wort zu nehmen. Um die einzelnen Aussagen zudem nicht losgelöst vom wirtschaftlichen Kontext eines Unternehmens zu betrachten, wurden während der einzelnen Auswertungsschritte jeweils die mit den vorliegenden statistischen Angaben zur Unternehmensdemographie herangezogen. Nach Abschluss der Auswertung konnten die zu Beginn der Untersuchung aufgestellten Hypothesen entsprechend verifiziert oder falsifiziert werden. Zudem ergaben sich verschiedene neue Erkenntnisse und Zusammenhänge, für die zu Beginn der Untersuchung noch keine Hypothesen entwickelt wurden.
5.3
Weiterführende Analysen: Ergänzende Datensätze und Telefonbefragung
Die oben dargestellte qualitativ orientierte Forschung lässt sich durch das Einbeziehen vorliegender quantitativer Datensätze entscheidend bereichern, indem dem mit der qualitativen Forschung verbundenen Nachteil der fraglichen Repräsentativität der Forschungsergebnisse aufgrund der vergleichsweise geringen Fallzahl entgegengewirkt werden kann. Die Sekundäranalyse der zur Verfügung stehenden Datensätze, die bereits im Rahmen der Konkretisierung der Forschungsfragen und der Entwicklung des Interviewleitfadens eine Rolle spielte, wurde nach der abgeschlossenen Auswertung der Experteninterviews dazu genutzt, die erarbeiteten Erkenntnisse vor dem Hinter-
112
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
grund quantitativer Ergebnisse zu bewerten. Dazu wurde auf folgende Datensätze zurückgegriffen: -
Das Sozio-Oekonomische Panel: Eine Nutzung dieser Datenquelle bietet die Chance, im Rahmen dieser Haushaltsbefragung indirekt Informationen über die arbeitsrechtliche Praxis in Organisationen (z. B. Befristung von Arbeitsverhältnissen) zu erhalten. Dieser Datensatz wurde für das AribA-Projekt auch für Publikationen genutzt.
-
Die Studie Öffentliche Wahrnehmung des Arbeitsrechts (ÖWAR) ist eine wichtige und aktuelle ergänzende Datenquelle, die manche Fragestellungen des AribA-Projektes in vereinfachter Form auf der Ebene der Laien bearbeitet. Die Daten liegen vor und werden intensiv genutzt (vgl. Schramm 2007).
-
Aufbauend auf den ersten Auswertungen der Experteninterviews wurde Ende 2006 eine quantitativ orientierte Telefonbefragung von 750 Personalleitern durchgeführt. Dieser neue Datensatz bietet die Möglichkeit, die aus den qualitativen Experteninterviews erarbeiteten Erkenntnisse auf ihre Generalisierbarkeit hin zu überprüfen. Darüber hinaus leistet dieser Datensatz einen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung unserer Forschungsfragen auf einer breiteren Basis (vgl. Schramm/Schlese: Kapitel 2.9).
Durch die gezielte gemeinsame Nutzung dieser verschiedenen Datenquellen ist es gelungen, umfassende neue Erkenntnisse über die Wirkung von Arbeitsrecht im betrieblichen Alltag und die diesen zugrunde liegenden Begründungen zu erarbeiten und dabei gezielt die jeweiligen Vor- und Nachteile qualitativer und quantitativer Methoden zu nutzen. Das Zusammenwirken qualitativer und quantitativer Instrumente bedeutet keineswegs ein naives Spiegeln von Informationen in wechselseitigen Datensätzen. Hierfür sind die jeweiligen Ansätze und ihre Eigenheiten zu unterschiedlich. Ziel dessen war viel mehr die wechselseitige Nutzung dieser spezifischen Zugänge für die substanzwissenschaftliche Diskussion.
6
Zur Güte der Forschungsergebnisse
Auf Grundlage der geführten Experteninterviews allein kann bei den Forschungsergebnissen zwar nicht im Sinne der statistischen Signifikanz argumentiert werden, jedoch zeichnen sich ab einer gewissen Fallzahl bestimmte Stabilisierungstendenzen bei den Aussagen der Interviews ab. Diese Datenbasis wurde schließlich durch eine repräsentativ angelegte telefonische Betriebsbefragung ergänzt und die Ergebnisse insgesamt vor dem Hintergrund der sorgfältigen Auswertung der zur Verfügung stehenden quanti113
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
tativen Datensätze interpretiert. Jedoch erscheinen hinsichtlich des Vorgehens bei der qualitativen Primärerhebung und deren Auswertung einige Anmerkungen sinnvoll. Wir haben uns im Rahmen des Projektes für eine größtenteils empirisch-induktive Vorgehensweise entschieden und sind entsprechend nah an der Praxis orientiert vorgegangen. Aufgrund der Gegenstands- und Kontextbezogenheit der im Rahmen einer qualitativen Vorgehensweise erzielten Ergebnisse eignen sich die klassischen Kriterien einer quantitativ-hypothesentestenden Wissenschaft nur bedingt für eine Beurteilung der Qualität dieser Ergebnisse (vgl. hierzu Strodtholz/Kühl 2002: 18). Im Rahmen unserer Vorgehensweise haben wir uns an den zentralen Anforderungen an qualitative Forschung nach Mayring orientiert. So fordert das Prinzip der Offenheit zunächst, dass der empirische Forschungsprozess offen sein muss für unerwartete Informationen. Besonders wichtig sind dabei Informationen über zentrale Details des Untersuchungsgegenstandes, die durch das für die Untersuchung entwickelte Vorverständnis nicht erfasst wurden oder diesem sogar zuwiderlaufen (vgl. Gläser/Laudel 2004: 27f.). Die Vorgehensweise orientierte sich an theoretischen Vorüberlegungen. Dieses Prinzip des theoriegeleiteten Vorgehens folgt dem Bedarf, an vorhandenes theoretisches Wissen über den Untersuchungsgegenstand anzuknüpfen, da nur auf diesem Wege dieses Wissen weiterentwickelt werden kann. Das Prinzip des regelgeleiteten Vorgehens wiederum fordert, dass der Forschungsprozess ausdrücklichen Regeln folgen muss, die von allen Beteiligten nachvollzogen werden können, da nur so rekonstruiert werden kann, auf welchem Weg Forscher zu ihren Ergebnissen gelangt sind. Wichtig ist dafür die Angabe der Schritte, die zwischen der Forschungsfrage und ihrer Beantwortung lagen (vgl. Gläser/Laudel 2004: 28f.). Auch dieses Prinzip konnte im Rahmen der gewählten Methodik des leitfadengestützten Experteninterviews sehr gut eingehalten werden. Neben diesen nicht nur im Rahmen qualitativer Methoden wichtigen Grundsätzen sollen nachfolgend, soweit sinnvoll, die Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabiliät und Validität vor dem Hintergrund der Erhebungsmethodik kurz angesprochen werden. So erfordert die Objektivität, dass unterschiedliche Forscher bei der Untersuchung desselben Sachverhalts mit denselben Methoden zu denselben Ergebnissen kommen. Die hierzu nötige Transparenz und Standardisierung der Vorgehensweise bei der Durchführung und Auswertung der Untersuchung konnte im Rahmen der Experteninterviews vor allem über den Leitfaden und dessen gezielte Anwendung gewährleistet werden. Das Kriterium der Reliabilität, das sich auf die Zuverlässigkeit oder Genauigkeit einer Messung bezieht, ist innerhalb qualitativer Methoden nicht immer sinnvoll zu beurteilen. Bei den gewonnenen Ergebnissen hat sich im Vergleich der einzelnen Expertenantworten gezeigt, dass mit Hilfe des Leitfadens in den unterschiedlichen 114
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
Interviews jeweils übereinstimmende Problembereiche erfasst wurden. Hier hat es auch aufgrund der von den Interviewern gegebenen Anmerkungen wenige Interpretationsspielräume bei den Fragen gegeben. Daher kann hier von einer recht hohen Reliabilität der gewonnenen Ergebnisse ausgegangen werden. Hinsichtlich der internen und externen Validität der Ergebnisse gehen wir somit von einer vergleichsweise hohen Gültigkeit und Aussagekraft aus. Auch wenn durch das qualitative Vorgehen hier bestimmte Grenzen gesetzt waren, indem z.B. über die Datenerhebung eine Vielzahl möglicherweise verzerrender Einflussfaktoren mit erfasst werden konnten, zeigte sich im Zuge der Auswertung und Analyse der Ergebnisse, dass dieses Problem gerade innerhalb von Experteninterviews methodisch kontrolliert werden konnte. Über den unternehmensübergreifenden Vergleich einzelner Expertenaussagen war eine Vergleichbarkeit und im Rahmen der Auswertung weitgehend eindeutige Interpretierbarkeit der Ergebnisse gewährleistet. Der gemeinsam geteilte Wissenskontext der befragten Experten und das gezielte Erfragen bestimmter betrieblicher und persönlicher Zusammenhänge ermöglichte ein Zusammentragen von Ergebnissen, die nach ihrem Vergleich und der Verdichtung zu bestimmten Zusammenhängen die betrieblichen Verhältnisse realistisch beschreiben und so die interne Validität der Ergebnisse weitgehend sicherstellen. Durch die bewusste Auswahl der Stichprobe und die damit verbundene Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist auch die externe Validität weitgehend gewährleistet. Hier trägt gerade die typische Erhebungssituation von Experteninterviews im betrieblichen Alltag zu der für eine hohe externe Validität erforderlichen Natürlichkeit der Untersuchungsbedingungen bei. Dadurch sind die Untersuchungsergebnisse über die konkreten Untersuchungsbedingungen und die individuell befragten Experten - als Vertreter einer Klasse ähnlicher Fälle - hinaus weitgehend generalisierbar. Es ist möglich, dass bei allen befragten Experten jeweils eine positionsbezogene Orientierung vorlag, die über ein daraus resultierendes Antwortverhalten zu einer durchgehenden Beeinflussung der Untersuchungsergebnisse geführt hat. In diesem Fall würden sich auch nach einem Vergleich der Antworten der einzelnen Interviewpartner im Gesamtergebnis Teile einer „Schnittmenge“ aller Einflussfaktoren wieder finden (vgl. Bradtke 2005: 125). Dies halten wir jedoch hinsichtlich der beschriebenen Qualität unserer Ergebnisse insoweit für unproblematisch, als die Gesamtheit der Orientierungen der einzelnen Experten und die damit einhergehenden Einflüsse ja gerade Teil unserer forschungsleitenden Fragestellungen war. Insgesamt kann aufgrund der hier dargestellten Zusammenhänge daher davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung die realen be115
1.4 Das Projekt AribA - methodische Grundlagen und Erläuterungen
trieblichen Umsetzungsweisen und Wirkungen der einzelnen Arbeitsrechtsreformen realistisch abbilden.
Literatur Bogner, A./Littig, B./Menz, W. (Hrsg.) (2002): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung, Leske & Budrich: Opladen. S. 77ff. Bradtke, M. (2005): Methodische Vorgehensweise. In: Schramm, F./Zachert, U. (Hrsg.) (2005): Arbeitsrecht – Personalpolitik – Wirklichkeit. Eine empirische Analyse zur betrieblichen Umsetzung von Arbeitsrechtsreformen. Nomos. Baden-Baden. S. 95-128. Bradtke, M./Fischer, N./Hübner, S./Schramm, F./Zachert, U. (2004): Personalpolitische Wirkungen von Arbeitsrechtsreformen. WSI-Mitteilungen. Heft 3. Bund-Verlag. Düsseldorf. S. 138-144. Bundesagentur für Arbeit (2006): Beschäftigtenstatistik. Nürnberg. Gläser, J./Laudel, G. (2004): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. UTB: Stuttgart. Mayring, P. (1997): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Deutscher Studienverlag: Weinheim. Meuser, M./Nagel, U. (2002): Experteninterviews - vielfach erprobt, wenig bedacht. In: Bogner, A./Littig, B./Menz, W. (Hrsg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung, Leske & Budrich: Opladen. S. 77ff. Pfarr, H./Ullmann, K./Bradtke, M./Schneider, J./Kimmich, M./Bothfeld, S. (2005): Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, Betriebliche Erfahrungen mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Hampp: München/Mering. Schlese, M./Schramm, F./Bulling-Chabalewski, N. (2005): Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern. WSI-Mitteilungen. Heft 10. Bund-Verlag: Düsseldorf. S. 568-574. Schramm, F. (2007): Das Arbeitsrecht in der öffentlichen Wahrnehmung – ausgewählte Ergebnisse. Recht der Arbeit. Heft 5. Beck: München. S. 267-275. Schramm, F./Zachert, U. (Hrsg.) (2005): Arbeitsrecht – Personalpolitik – Wirklichkeit. Eine empirische Analyse zur betrieblichen Umsetzung von Arbeitsrechtsreformen. Nomos: BadenBaden. Strodtholz, P./Kühl, S. (2002): Qualitative Methoden der Organisationsforschung - ein Überblick. In: Kühl, S./Strodtholz, P. (Hrsg.) (2002): Methoden der Organisationsforschung - ein Überblick. S. 11-29. Voelzkow, H. (1995): „Iterative Experteninterviews“ - Forschungspraktische Erfahrungen mit einem Erhebungsinstrument. In: Brinkmann, C./Deeke, A./Völkel, B. (Hrsg.): Experteninterviews in der Arbeitsmarktforschung. BeitrAB 191. Nürnberg. S. 51-57.
116
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
Kapitel 2.1: Einstellungen von Personalleitern gegenüber Arbeitsrecht und wahrgenommener Einfluss in der betrieblichen Praxis Marcus Bradtke-Hellthaler
1
Einführung
Die öffentliche Diskussion über Arbeitsrecht und dessen Wirkung auf den Arbeitsmarkt vermittelt mitunter den Eindruck, dass arbeitsrechtliche Vorschriften von den Betrieben übereinstimmend umgesetzt werden und somit direkt vorhergesagt werden kann, wie Arbeitsrecht in den Betrieben wirkt. Seit einigen Jahren wird diese Diskussion zumindest von einigen Diskutanten vermehrt unter Berücksichtigung empirischer Erkenntnisse geführt. So haben insbesondere die Forschungsergebnisse des REGAM-Projektes der Hans-Böckler-Stiftung zu einer Versachlichung der Debatte um das Arbeitsrecht geführt und die Diskussion um die Wirkung arbeitsrechtlicher Regulierung bereits deutlich weiter gebracht (vgl. zusammenfassend Pfarr et al. 2005). Aufgrund der zugrunde liegenden quantitativen Vorgehensweise konnten diese Ergebnisse jedoch an bestimmten Stellen nicht weiter vertieft werden und können nun überwiegend Auskunft geben über das gewählte personalpolitische Vorgehen von Unternehmen im Sinne konkreter personalpolitischer Maßnahmen. Die Frage, welche Begründungen dem identifizierten Handeln jeweils zugrunde liegen, kann damit jedoch noch nicht genauer beantwortet werden. Eine Kenntnis eben solcher Begründungen wird jedoch zunehmend als zentral für das Verständnis der Wirkungen rechtlicher Regulierung und die Prüfung etwaiger Deregulierungsbedarfe angesehen (vgl. hierzu ex. Bradtke et al. 2004: 139). Das Projekt Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung (AribA) ist aufgrund der gewählten qualitativen Vorgehensweise in der Lage, bei der Forschung in bestimmten Bereichen weiter zu gehen und die bisherigen Erkenntnisse zu vertiefen. Im Forschungsprojekt AribA wurde der Frage nachgegangen, inwieweit die arbeitsrechtliche Praxis vor dem Hintergrund betrieblicher Vielfalt zu betrachten ist, bei der subjektive Perspektiven wie etwa Einstellungen und Wahrnehmungen der Akteure ebenso einen zentralen Einfluss haben können wie etwa ihr Umgang mit gegebenen oder erwirkten Verhaltensspielräumen. Hierbei galt ein zentrales Interesse, die vermutete Komplexität der Rahmenbedingungen zu untersuchen. Die empirische Grundlage des vorliegenden Beitrags
117
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
bilden die qualitativen Experteninterviews mit Personalleitern bzw. Inhabern und Geschäftsführern. Bei der Auswertung geht es in erster Linie darum, aus den sehr vielfältigen Antworten ein möglichst informatives Bild der dargelegten betrieblichen Wirklichkeit nachzuzeichnen. Auch aufgrund der naturgemäß sehr individuellen Gesprächsverläufe wird es nicht immer möglich sein, die jeweiligen Ergebnisse zu quantifizieren. Es soll jedoch versucht werden, die Verteilung der Bewertungen und Problemlagen entsprechend darzustellen. Auf die Darstellung sehr abweichender Einzelmeinungen wird dabei soweit sinnvoll verzichtet. Um einen möglichst informativen Eindruck über die Vielfalt der betrieblichen Wirklichkeit vermitteln zu können, kann dabei auf eine Wiedergabe teilweise übereinstimmender Aussagen nicht verzichtet werden, um deren individuelle Begründungen und sich ergänzenden Detailinformationen nicht aus dem Zusammenhang zu reißen. Das weitere Vorgehen gliedert sich wie folgt: Der erste Abschnitt berichtet nach einer kurzen theoretischen Einführung in die Bedeutung und Zusammenhänge von Einstellungen in der Organisationsforschung zunächst über unsere Ergebnisse zu grundsätzlichen Einstellungen von Personalverantwortlichen gegenüber dem Arbeitsrecht als grundlegende Verhaltensdisposition. Dabei werden zum einen zunächst noch allgemeine Einstellungen gegenüber dem Arbeitsrecht beispielhaft dargestellt und zum anderen an den Beispielen des Kündigungsschutzes sowie der Bewertung von Arbeitsrechtsreformen ausgewählter Teilbereiche des Arbeitsrechts exemplarisch genauer untersucht. Daneben werden überraschend deutliche Ergebnisse dazu beschrieben, welchen Stellenwert die Personalverantwortlichen in der heutigen Zeit der Arbeitsplatzsicherheit zumessen. Beschrieben wird weiterhin, welche Funktionen das Arbeitsrecht nach Ansicht der Personalverantwortlichen allgemein erfüllen sollte und welche Erwartungen sie zudem an das Arbeitsrecht stellen. Im zweiten Abschnitt wird über Ergebnisse zur Wahrnehmung und Bewertung von Arbeitsrecht durch die Personalleiter berichtet, die sich jeweils im Wechselspiel mit den Einstellungen gegenüber den Vorschriften vollziehen. Hierbei wird anhand konkreter personalwirtschaftlicher Zusammenhänge betrachtet, welche Bewertungen die Akteure gegenüber dem Arbeitsrecht vornehmen und welche Vor- und Nachteile im Arbeitsrecht gesehen werden. Zunächst wird untersucht, welche Präsenz das Arbeitsrecht nach der Wahrnehmung der Praktiker in ihrer täglichen Personalarbeit hat und wie das Arbeitsrecht von ihnen im Detail bewertet wird. Weiterhin wird untersucht, in welchem Umfang sich die Praktiker durch das Arbeitsrecht in ihren Handlungsspielräumen beschnitten sehen. Bei der Betrachtung der Wahrnehmung gilt ein besonderes Interesse
118
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
auch ihrem Zustandekommen sowie auffälligen Effekten der Wahrnehmung.17 Die darüber hinaus von uns identifizierten Besonderheiten im Antwortverhalten der Befragten sind Gegenstand des darauf folgenden Abschnittes, in dem diese Auffälligkeiten zunächst theoretisch erläutert und schließlich empirisch belegt werden. Im letzten Abschnitt werden die Ergebnisse dann zu einem Fazit zusammengefasst. Dabei wird betrachtet, inwieweit der über die öffentliche Diskussion vermittelte Vorwurf an das Arbeitsrecht, die Betriebe erheblich zu stören und zu einer entsprechenden Lähmung der wirtschaftlichen Entwicklung zu führen unter Berücksichtigung qualitativer empirischer Daten aufrecht erhalten werden kann.
2
Einstellungen gegenüber Arbeitsrecht und Bewertung von Vorschriften
Indem Akteure befragt werden, die als Entscheidungsträger und geprägt durch subjektive Faktoren wie etwa Einstellungen oder Meinungen unmittelbaren Einfluss auf das Handeln von Unternehmen haben, wird angestrebt, unmittelbare Erkenntnisse über die Motive für betriebliches Handeln herausarbeiten zu können, die bei einer Analyse von Organisationsdaten nur bedingt und mittelbar zu erkennen wären. Die Identifikation von Beweggründen und Motivationen der Personalleiter leistet dabei einen wesentlichen Beitrag für das Verständnis ihrer Handlungen (vgl. hierzu etwa Staehle 1999: 162).
2.1
Einstellungen
Einstellungen von Individuen stellen ein zentrales Konstrukt innerhalb der sozialpsychologischen Forschung dar. In der Einstellungsforschung geht es darum, zu untersuchen, wie bestimmte Einstellungen zu Sachverhalten, Verhaltensweisen oder Personen entstehen und auf welche Art und Weise diese verändert werden können (vgl. Frey et al. 2005: 55). Unter dem Begriff der Einstellung wird aus sozialpsychologischer Perspektive ein individuelles, in sich geschlossenes und relativ stabiles System von Gedanken, Gefühlen und Handlungspräpositionen verstanden (Staehle 1999: 176; ähnlich Aronson et al. 2004: 231). Eine zentrale Frage innerhalb der Einstellungsfor17
Die hier berichteten Konstrukte aus den Bereichen allgemeiner Einstellungen und Wahrnehmungen lassen sich empirisch nicht immer deutlich voneinander trennen und die untersuchten Interviewaussagen daher nicht immer ausschließlich nur einer Auswertungskategorie zuordnen. Die in den Gesprächsverläufen vorgenommenen Äußerungen sind jedoch oftmals aus verschiedenen Perspektiven interessant und auswertbar. So stehen beispielweise die hier erläuterten Bewertungen des Arbeitsrechts durch die Interviewpartner häufig in einem direkten und logischen Zusammenhang mit den zuvor berichteten zugrundeliegenden Einstellungen der Interviewpartner. Zur besseren Illustration werden diese zum Teil aus den jeweils verschiedenen Perspektiven vorgestellt. 119
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
schung ist die Problematik, ob aufgrund der Einstellungen einer Person ihr Verhalten vorhergesagt werden kann. Die Annahme, dass die Einstellungen von Personen sich in ihrem Verhalten widerspiegeln, ist weit verbreitet. In der sozialpsychologischen Forschung wird diesem Zusammenhang eine große Bedeutung zugesprochen. Mit ihrer Theorie des überlegten Handelns legten Fishbein/Ajzen dazu einen Grundstein für die Forschung zur Frage der Verhaltenswirksamkeit von Einstellungen (vgl. Ajzen 1991: 179ff.).
2.1.1 Einstellungen gegenüber dem Arbeitsrecht Die öffentliche Diskussion vermittelt häufig den Eindruck, dass das Arbeitsrecht die Betriebe bei ihrer Entwicklung stört und zu einem Hemmschuh für deren wirtschaftliche Entwicklung geworden ist (vgl. etwa Donges et al. 2004: 1ff.). Träfe diese Einschätzung zu, müsste sich dieser Umstand auf die Einstellungen der Personalverantwortlichen gegenüber dem Arbeitsrecht entsprechend negativ auswirken. Im Rahmen der von uns geführten Experteninterviews sind die Personalleiter zu sämtlichen Bereichen des Zusammenspiels von Personalarbeit und Arbeitsrecht intensiv befragt worden. Dabei wurde ihnen umfassend Gelegenheit gegeben, den Einfluss und die Rolle des Arbeitsrechts auf ihre Arbeit zu beschreiben und zu bewerten. Auf Grundlage der die Diskussion dominierenden Annahmen müsste sich hier zeigen, dass das Arbeitsrecht als störend und bürokratisch abgelehnt wird. Die Mehrzahl der Interviewpartner ist jedoch dem Arbeitsrecht gegenüber generell betrachtet überraschend positiv eingestellt, wie nachfolgende, zunächst beispielhafte Interviewaussagen zeigen: „Ich halte es im Moment für nicht so schlecht, wie es dargestellt wird. Weil, als Arbeitgeber hat man viele Freiheiten, bei der Einstellung von Personal. Man hat auch viele Gestaltungsmöglichkeiten, Zeitverträge etc. Und es wird auch aus meiner Sicht auf die Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht genommen. Was Urlaub oder Arbeitszeiten angeht, Arbeitsschutz an sich. Also ich sehe im Moment keinen, aus meiner Sicht keinen übermäßig großen Handlungsbedarf.“ (Int. 01) „Also das sehe ich eigentlich nicht, auch im Vergleich, das wird ja immer so als Beispiel herangezogen - „Im Ausland ist es viel besser“ - wie gesagt Österreich hat sehr viel, das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich, sehr viel, einen sehr viel stärkeren Kündigungsschutz als wir, trotzdem geht es der Wirtschaft besser. Also der Zusammenhang, der immer versucht wird herzustellen, der existiert eigentlich nicht. Das wird immer leicht überschlagen.“ (Int. 01) „Von daher ist jede Reglementierung im Prinzip erst mal eine Störung. Aber sie schafft natürlich auch Klarheit.“ (Int. 40) „Na ja, da gibt es schon Vorteile. Also ich kann meine Belegschaft kalkulieren. Ich weiß, wie lange ich sie habe und unter welchen Bedingungen ich sie nicht habe. Ich weiß, was ich zu machen habe, wenn Strukturhänderungen sind. Also, das sind ... das ist schon gut, dass es geregelt ist, finde ich.“ (Int. 41) „Und es ist eher hilfreich und notwendig, als dass ich es als lästig empfinde.“ (Int. 14) 120
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Ohne klare Regelung, ohne klare Spielregeln kann es ja nicht funktionieren“? (Int. 11)
Einige Personalleiter stellten bei Ihren Antworten explizit heraus, dass ein rechtstreues Verhalten für sie eine hohe Bedeutung hat: „Aber es ist schon so, dass für mich die Rechtsgültigkeit eine sehr hohe Bedeutung hat. Also, ich würde ungern irgendetwas machen, was arbeitsrechtlich unzulässig ist.“ (Int. 14) „Ja, mehr oder weniger hat man sich jetzt mit allen arrangiert, was jetzt so immer gekommen ist, ja. Sei das die Altersteilzeit, die Änderungen die gekommen sind, sei es die Befristung von Arbeitsverhältnissen... Das ist ein ständiger Prozess letztendlich und man muss sehen, wie man das in die betrieblichen Arbeitsabläufe integrieren kann, die neue, neue Gesetzeslage.“ (Int. 38)
Einige Interviewpartner erwähnen zudem explizit den Vorteil arbeitsrechtlicher Vorgaben für die innerbetriebliche Zusammenarbeit, indem sie sich etwa bei etwaigen Auseinandersetzungen in der Personalarbeit auf externe Vorgaben berufen können: „Also, es ist dann so, dass wir beide gegenübersitzen und die Entscheidung hat eine dritte Person getroffen, nämlich der Staat. Ansonsten machen wir einen Vertrag, wo Sie das Gefühl haben, ich sage Ihnen, was Sie bekommen. Und schon ist Missstimmung zwischen uns. So könnten wir sagen, der Gesetzgeber hat das doch geregelt. Punkt. Dann….dann ist die Stimmung zwischen uns trotzdem gut.“ (Int. 09) „Ich bin ja nicht nur verantwortliche Führungskraft im Hause, ich bin auch Arbeitnehmerin. Und habe also auch zwei Seiten im Blick. Ich denke, der Mitarbeiter muss gegenüber dem stärkeren Partner, das ist nun einmal der Arbeitgeber, auch auf gewisse Tricks zurückgreifen. Und das ist notwendig, und das muss nicht alles der Betriebsrat leisten, dafür gibt es eben auch Arbeitsgesetze. Ich bin ein Fan von professioneller Arbeit, ich hasse es, wenn unprofessionell gearbeitet wird (...), ich finde das unmöglich.“ (Int. 29) „Wenn man nur das alles immer wirtschaftlich betrachtet und so, dann hat man irgendwann ... sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und hat das Brett vorm Kopf. Und dann ist vielleicht auch gar nicht schlecht, wenn auch mal ein Betriebsrat oder auch ein Mitarbeiter einem auf die Schulter klopft und sagt: „Moment mal, da gibt es aber eine arbeitsrechtliche Regelung, so richtig zulässig ist das gar nicht, was ihr da macht.“ (Int. 40)
Einige Interviewpartner akzeptieren zwar die arbeitsrechtlichen Vorgaben, kritisieren jedoch die Komplexität der Vorschriften: „Ich sag mal, generell weniger wäre da vielleicht besser, nicht? Aber man muss ja mit den Dingen so leben auch, wie sie sich dann darstellen.“ (Int. 11) „Ich denke schon, dass man Unternehmen da doch mehr Freiräume schaffen müsste. Wir haben das Glück, dass wir im Prinzip von dieser Regelung eben für uns nicht wirkliche Bedeutung hat und sie uns deshalb auch in unseren Entscheidungen auch nicht beeinflusst. Aber, wie gesagt, Arbeitsrecht ist, glaube ich, eher weniger für uns unternehmerisch und auf gesellschaftlicher und soziologischer Ebene ist das für uns oder für die Gesellschaft insgesamt sehr wichtig.“ (Int. 40)
Einige Interviewpartner wiederum äußern teils diffuse, eher unkonkrete negative Einstellungen18 gegenüber dem Arbeitsrecht wie etwa folgende Aussage beispielhaft wiedergibt:
18
Bei der Analyse der Interviewaussagen fiel - ebenso wie teilweise bereits im Interviewverlauf auf, dass von einigen Interviewpartnern zwar mitunter recht plakative, negative Äußerungen über das Arbeitsrecht getroffen wurde, die jedoch nicht immer konstant beibehalten wurden und oftmals auch nicht im Einklang mit dem darüber hinaus geschilderten Verhalten oder Er121
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Und beim Arbeitsrecht habe ich manchmal so das Gefühl - na ja -, den Letzten beißen die Hunde. Ist auch irgendwie nicht so ganz recht. Das finde ich nicht ganz in Ordnung, nicht so ganz okay.“ (Int. 16)
Bereits diese beispielhaften Aussagen verdeutlichen, dass das Arbeitsrecht keineswegs als grundsätzlich problematisch angesehen wird, sondern dass in den Regeln des Arbeitsrechts von vielen Interviewpartnern vielmehr sogar Vorteile gesehen und diese als sinnvoll erachtet werden. Kritik gegenüber dem Arbeitsrecht wird selten pauschal auf die Regulierung bezogen vorgebracht, sondern richtet sich überwiegend auf Fragen des Umgangs und der Handhabung der Vorschriften, wie im weiteren Verlauf dieses Beitrages detaillierter beschrieben wird.
2.1.2 Einstellungen gegenüber dem Kündigungsschutz Der wohl prominenteste arbeitsrechtliche Regelungsbereich ist der Kündigungsschutz, der von seinen Kritikern als besonderes belastend für die Unternehmen und hinderlich für den Arbeitsmarkt dargestellt wird. So wären Unternehmen etwa in ihrer freien Entfaltung gehindert, über die Entlassung von Beschäftigten zu entscheiden (vgl. etwa Sachverständigenrat zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2006: 354, 370). Würde diese Einschätzung von den betrieblichen Praktikern geteilt, die ihre Beschäftigungsentscheidungen schließlich unter Berücksichtigung des Kündigungsschutzgesetzes vorzunehmen haben, müssten diese dem Kündigungsschutz gegenüber entsprechend negativ eingestellt sein. Die empirischen Daten zeigen jedoch ein anderes Bild. Der Existenz des Kündigungsschutzes wird von den Befragten vielmehr allgemein eine sehr hohe Bedeutung zugemessen, was an unterschiedlichen Stellen der Interviews deutlich wurde. Folgende Antworten auf die Frage „Was würde passieren, wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe?“ verdeutlichen beispielhaft die hohe Bedeutung eines Schutzes der Beschäftigten vor Willkür: „Letztendlich ist das Qualitätsverlust. Sowohl was die Lebensqualität angeht, Angst macht. Dann, wenn Unternehmen blindlinks rausschmeißen können, eben weil sie keine Grenzen mehr haben, nur ein langjähriger Mitarbeiter kann wirklich ein richtig guter Mitarbeiter sein. Je länger man da ist, umso besser ist die Qualität, die man abgibt. Von da her sinkt eigentlich auch die Leistungsqualität, was bedeutet, dass auch Kunden irgendwann dann mal die Nase voll haben, weil sie sagen, es gibt auch noch andere. Das kann ein Unternehmen ruinieren.“ (Int. 31) „Willkür der Arbeitgeber, der Wirtschaft und, um das jetzt kurz zu machen, und natürlich genau das Gegenteil von dem, was ich davor gesagt habe, sprich die totale Unsicherheit bei den Leuten. Und natürlich Zukunftsängste, weil, ich hab ja keine Sicherheit mehr, ich brauche ja Sicherheit. Es wird, ich sag mal, wer setzt denn dann heute noch Kinder in die Welt, ich meine, das tun sowieso schon ganz wenige, aber, wenn ich gar keine Sicherheiten mehr habe, und ab irgendwann bin ich alt, in dem Sinne, dass mich keiner mehr ein-
lebnissen der Interviewpartner standen. Vgl. hierzu den Abschnitt 2.2.6 zu den von uns beobachteten Wahrnehmungseffekten. 122
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht stellen will, und das sind alles Fehler, die..... Das ist wie so ein Rattenschwanz, der sich so durch zieht.“ (Int. 33) „Also was ich vorhin schon sagte, die Wirtschaft ist ja nicht nur eine Seite, die Wirtschaft sind ja auch die Arbeitnehmer. Und ich wäre also absolut dagegen, weil das eine, ein total Liberalismus zur Folge hätte, der mit Sicherheit gesamt Gesellschaftlich zu Verwerfungen führen würde. Also wir sind sowieso schon kurz davor, mit dieser hohen Arbeitslosenzahl, sag mal ein gewissen will nicht sagen labil aber so gewisse Instabilität zu haben und ich befürchte, wenn wir an dieser Schraube noch weiter drehen, dass die Verunsicherung in der Gesellschaft noch größer wird. Dass es auch zur Destabilisierung führen könnte. Also ich meine, so lange brauchen wir nicht zurück zu sehen.“ (Int. 01) „Also, dann würde es viele geben, die mit Ihren Mitarbeitern Schlitten fahren, das ist klar. Die also wirklich, so nach dem Motto hire-and-fire, es gibt ja auch Gewerbe, das muss man ja mal ganz deutlich sehen, wo das möglich ist, wo eben wirklich nur ganz einfache Tätigkeiten zum unternehmerischen Erfolg führen. Meinetwegen nehmen Sie diese ganzen Firmen, die Mainzelmännchen, die also hier Hochhäuser und Büros putzen. Wenn die Mitarbeiter keinen Schutz hätten, dann möchte ich nicht wissen, was da los ist.“ (Int. 36) „Wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe, dann hätten wir Anarchie im Bereich der Kündigung. Also man würde einfach sagen, so ein Chef kann dann willkürlich sagen ‚pack deine Sachen und hau ab’. Weil er vielleicht ’n falsches Gesicht gemacht hat, weil man vielleicht mit dem linken Fuß aufgestanden ist. Oder der Mitarbeiter hat vielleicht den falschen Anzug an und er konnte den nicht mehr sehen. Also ich glaube schon, dass das Auswüchse haben würde in ungeahnter Form, sowohl bei kleinen Unternehmen als auch bei großen Unternehmen.“ (Int. 02)
Das bei der Einstellung von Beschäftigten im Übrigen gerade nicht die Möglichkeit einer späteren Entlassung im Mittelpunkt der Überlegungen steht, stellten einige Interviewpartner von sich aus heraus, wie folgende beispielhafte Zitate verdeutlichen: „Also ich würde nie jemanden einstellen, mit dem Gedanken, dass ich ihn wieder entlassen will. Das ist schon irgendwie, dann ist das schon falsch davor. Also man ist da positiv gestimmt, hat sich fünfzig Bewerbungen angesehen, hat sich 10 Leute persönlich angesehen, und für einen hat man sich entschieden, und man will jemanden haben, und den stellen wir jetzt ein. Also erst mal ist man positiv gestimmt. Also ich habe noch nie jemanden eingestellt mit dem Gedanken, dass er wieder weg muss.“ (Int. 02) „Was soll ich mir dann Gedanken darüber machen, und ich denk ja nicht an die Kündigung, ich denke ja eigentlich eher an die Einstellung. Ich hab halt da, und da will ich mir auch keine Gedanken darüber machen, weil ich weiß, dass es funktionieren kann, wenn die Not groß ist, und ich bin ja nicht dafür eingestellt, die Not zu verweisen. So habe ich eigentlich meine Aufgabe noch nie gesehen. Das würde ich auch nicht machen wollen.“ (Int. 36)
Aus vielen Interviewaussagen geht eine deutlich soziale Einstellung der Personalleiter gegenüber den Beschäftigten hervor, verbunden mit einem hohen Verantwortungsgefühl für deren persönliche Situation. Die dem Arbeitsrecht zukommenden Schutzfunktion wird, insgesamt betrachtet, von den Interviewpartnern ganz überwiegend akzeptiert. Der soziale Schutz der Beschäftigten scheint bei den Personalleitern insgesamt eine hohe Wertschätzung zu genießen. Die Aufgabe des Kündigungsschutzgesetzes, eben diesen Schutz zu erreichen und insbesondere vor willkürlichen Kündigungen zu schützen, wird von den Personalleitern durchweg erkannt. Weitergehend wurden die Personalleiter nach Ihrer Einschätzung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wirkung des Kündigungsschutzes gefragt. Hier ergaben sich 123
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
durchaus differenzierte Antworten, die im Kern jedoch ebenfalls eine breite Akzeptanz und Wertschätzung des Kündigungsschutzes verdeutlichen: „Ja also, (...) man müsste schon fast sehr weit ausholen, also weil, was ich sehe ist eine zunehmende, ja sag mal, wenn das so sagen kann, vielleicht eine Entwurzelung der Gesellschaft. Vielen Leuten wird eben so ein bisschen der Boden unter den Füßen weggezogen. Man hat nichts mehr auf was man sich verlassen kann und ich weiß nicht ob das so der deutschen Mentalität entspricht. Wenn Sie nach Amerika gehen, sieht es ganz anders aus. Da ist das überhaupt kein Thema. Kündigungszeit von 30 Sekunden, zack.“ (Int. 01) „Also, der Kündigungsschutz gibt den Mitarbeitern mit Sicherheit ja, gibt die Möglichkeit eben, vor rein emotionalen Entscheidungen auch geschützt zu sein. Und das halte ich aber auch wieder für selbstverständlich, dass es so sein müsste.“ (Int. 14)
Das Zusammenspiel von Abfindungen und Kündigungen wiederum thematisiert etwa folgender Interviewpartner, der zwar die Vorschriften zum Kündigungsschutz selbst akzeptiert, aber die von ihm unterstellten, damit in Verbindung stehenden, Abfindungszusammenhänge kritisiert: INT: „Spielt das Kündigungsschutzgesetz in dem Zusammenhang eine Rolle?“ PL: „Nein, wenn wir das wollen, dann müssen wir das akzeptieren, und dann machen wir das.“ INT: „Warum nicht?“ PL: „Weil, das ist ja das Perverse, im Grunde genommen, am Kündigungsschutz das man von vornherein schon sagt, ‚wenn ich dich kündigen muss, weil du nichts taugst, auf Deutsch gesagt, weil du schlecht bist, kriegst du noch Geld von mir dazu’. Oder bei einigen, ‚weil die Firma nicht läuft, weil ich einfach dich nicht mehr beschäftigen kann’ und ich denke mal, das ist das, was beim Kündigungsschutz krankt. Dass man heutzutage (...) eigentlich gar keinen Kündigungsschutz hat, sondern dass man sich noch freikaufen kann. Es gibt ja offiziell in der Rechtssprechung keine Abfindung...“ (Int. 02)
Die nachfolgende Aussage belegt recht gut, dass die Einstellungen gegenüber dem Kündigungsschutz wie auch gegenüber dem Arbeitsrecht allgemein eher komplex aufgebaut sind und innerhalb dieser Einstellungen von den Praktikern gezielt auf verschiedene Relevanzebenen wie etwa betriebliche oder aber gesellschaftliche Auswirkungen Bezug genommen wird. Dies unterstreicht den Bedarf, sämtliche Aussagen jeweils im Gesamtkontext zu bewerten, da sich deren Konsequenz mitunter relativieren kann: PL: „Ja, fangen wir bei der Wirtschaft an! Ich meine, die Wirtschaft in dem Umfeld, in dem sie sich bewegt, beziehungsweise in der sie kommt - wie gesagt, wir sind hier im, in einem sehr sehr unregulierten Markt, ja - denke ich, ist es hinderlich. Gesamtgesellschaftlich spielt es eine positive Rolle, das ist meine Meinung. Und muss auch sein.“ INT: „Und wie löst man diesen offensichtlichen Widerspruch?“ PL: „Also das ist offensichtlich noch nicht gelungen, keinem Politiker. Es ist mein Job, daraus das Beste zu machen.“ (Int. 34)
Teilweise bezieht sich Kritik vor allem auf den besonderen Kündigungsschutz: „Also ich halte den Kündigungsschutz vom Grundsatz her, der normale Kündigungsschutz, den halte ich für richtig und gerechtfertigt - das denke ich, ist in Ordnung. Den besonderen Kündigungsschutz, es gibt so besondere Kündigungsschutzbereiche (...), den halte ich für falsch und ich halte für falsch, diesen besonderen Kündigungsschutz für bestimmte Ämter, ob es dann um die Betriebsverfassungsorgane geht, oder für Schwerbehinderte, oder, oder. Dieser sehr hohe Kündigungsschutz, ja, der ist nicht gerechtfertigt.“ (Int. 39)
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
Einige Interviewpartner beurteilten den Kündigungsschutz dahingehend differenziert, dass sie überwiegend den Bedarf eines Schutzes für die Beschäftigten herausstellen, gleichzeitig jedoch die gerichtliche Auslegung der Vorschriften kritisieren: „Also im Sinne einer Willkür ist er mit Sicherheit erhaltenswert. In etwas, ich sag mal abgemilderterer Form aus Sicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast, die ihn da treffen. Generell sollte man ihn sicher nicht ganz kippen.“ (Int. 03) INT: „Welche Wirkung hat der Kündigungsschutz Ihrer Meinung nach genau für Wirtschaft und Gesellschaft?“ PL: „Wie gesagt, vom Grundsatz her finde ich ihn richtig, einfach um eine gewisse Sicherheit zu geben. Wie es heute die Gerichte auslegen oder wie schwer es den Arbeitgebern dann im Einzelfall gemacht wird, halte ich es nicht mehr für richtig. INT: „Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe?“ PL: „Also ich denke, gerade wenn ich so an Betriebsverlagerungen denke, als ich glaube die…, es wird schon eine größere Unsicherheit geben und ich glaube, dass es auch genug Betriebe gäbe, die es ausnutzen.“ (Int. 35)
Es zeigt sich somit, dass der Kündigungsschutz übergeordnet betrachtet auf eine breite Akzeptanz unter den Personalverantwortlichen trifft und von ihnen durchweg als sinnvoll und erhaltenswert angesehen wird. Besonders häufig wird dabei seine Bedeutung für die Beschäftigten sowie die Gesellschaft erwähnt. Damit verfügt der Kündigungsschutz bei der Mehrzahl der von uns befragten Personalleiter über ein weit positiveres Image, als von der arbeitsrechtpolitischen Diskussion zumeist abgebildet wird. Als problematisch am Kündigungsschutz wird jedoch von einigen Interviewpartnern vor allem dessen Auslegung durch die Arbeitsgerichte angesehen. Hier scheint in den Betrieben teilweise Verunsicherung zu bestehen.
2.1.3 Einstellungen gegenüber Arbeitsplatzsicherheit Nachdem sich bereits gezeigt hat, dass der soziale Schutz von Beschäftigten bei den Personalleitern eine hohe Bedeutung genießt, sind nachfolgend die Einstellungen der Praktiker gegenüber Arbeitsplatzsicherheit insgesamt sowie deren von den Interviewpartnern gesehene Folgen für Beschäftigte sowie Arbeitgeber von Interesse. So kann eine empfundene Arbeitsplatzunsicherheit ökonomisch betrachtet sowohl positive als auch negative betriebswirtschaftliche Wirkungen entfalten, indem diese etwa disziplinierend genutzt werden oder aber negativ auf die Arbeitszufriedenheit wirken kann (vgl. hierzu genauer Schramm 1992; Schramm 1999). Um prüfen zu können, wie unsere Interviewpartner gegenüber diesen gegenläufigen Optionen eingestellt sind, haben wir sie gefragt: „Für wie wichtig halten Sie die Arbeitsplatzsicherheit?“ Die erhaltenen Antworten zeigen ein überraschend deutliches Bild: Der Arbeitsplatzsicherheit wird von fast allen Befragten eine sehr hohe Bedeutung zugemessen: „Also ich persönlich halte die für sehr, sehr wichtig. Also ich weiß es aus eigener Erfahrung, sozusagen, dass das auch letztendlich für die Leistungsfähigkeit eines Menschen entscheidend ist. Also diese Unsicherheit, die gerne geschürt wird, halte ich für schädlich. Also ich halte schon Arbeitsplatzsicherheit insgesamt für, ja, positiv.“ (Int. 01) 125
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Aber im Großen und Ganzen bin ich kein Freund von Zeitverträgen. Das ist irgendwie immer so ein Schwert, das über dem Arbeitnehmer schwebt. Er weiß immer nicht so richtig, wie geht es weiter. Hat auch immer im Hintergrund, ich muss mir eigentlich einen neuen Job suchen, ja, wenn der einen Zeitvertrag über ein Jahr bekommt. Ich bin da kein großer Freund von. Überhaupt nicht und in sofern..” (Int. 02) „Also, ich glaube schon, dass eine Sicherheit kalkulierbar sein muss. Ich muss wissen, ob ich einen Arbeitsplatz habe, auf den ich mich verlassen kann, weil davon mache ich ja auch meine Investitionen abhängig. Ob ich mir ein Auto kaufe, ein Haus kaufe, vielleicht heirate, vielleicht eine Familie gründe, das mache ich ja ein bisschen auch von meiner finanziellen Situation abhängig. Das wiederum ist meine Arbeit, meine finanzielle Situation. Und darum spielt das natürlich eine wichtige Rolle.” (Int. 15)
Sehr viele Interviewpartner schreiben einer hohen Arbeitsplatzsicherheit zudem auch wichtige betriebwirtschaftliche Vorteile zu: PL_01: „Das ist natürlich schon wichtig, aufgrund der momentan wirtschaftlichen Situation. Und wenn sich alle Nase lang irgendwelche Veränderungen ergeben, wenn sich die Mitarbeiter dann mehr mit sich selber beschäftigen, als dass die Arbeit erledigt wird. Das ist das eine. Und das Zweite ist, Menschen wollen ja eine gewisse Sicherheit haben. Ich habe meine Arbeit,... und dann führt das natürlich zu mehr Zufriedenheit. Die wissen, wo es langgeht. Es gibt ja nichts, was einen mehr beeinträchtigt, als zu wissen, was nicht passiert oder die Unsicherheit.“ PL 02: „Wenn ich was ergänzen darf. Es ist auch im Interesse des Unternehmens. Wir haben nichts davon eine hohe Fluktuationsquote aufzuweisen oder die guten Leute ständig zu verlieren. Insofern ist das auch beiderseitig.” (Int. 17) „... es ist für die Mitarbeiter extrem wichtig, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Ich glaube auch, dass das einen ganz großen Einfluss auf die Motivation und die Arbeitsleistung hat. Wenn man das Gefühl hat, man arbeitet in einem Unternehmen, wo wirklich Wert darauf gelegt wird, die Mitarbeiter zu halten, dass das Erfolg hat. Insofern finde ich das einen wichtigen Faktor.“ (Int. 19) „Wenn sie, sage ich einmal, wie wir von der Politik abhängig sind, wenn uns die Politik die vorgibt, ist es ja gut. Also, ich finde eine Arbeitsplatzsicherheit als ganz wichtiger Faktor, weil ich damit einen motivierten Mitarbeiter habe. Das ist einfach so.“ (Int. 23) „Sehr wichtig, weil, äh die Mitarbeiter ja ein, auch eine, sagen wir mal, äh, eine gewisse persönliche Haltung haben sollen, auch zum Unternehmen und damit auch zu, zu unseren Klienten. Und wenn sie selber, ich sage mal, gefestigt sind und davon ausgehen können, dass sie relativ sicher - also was ist ganz sicher - so relativ sicher sein können, dass ihr Arbeitsplatz auch im nächsten und übernächsten Jahr noch vorhanden ist, dann äh, gehen die meisten, nachvollziehbarer Weise, auch ein bisschen gelassener an das Geschäft ran, ja?! Das ist für uns ganz wichtig, also, ist auch eine Frage der Lebensqualität...“ (Int. 24) „Also, Arbeitsplatzunsicherheit wirkt sich mit Sicherheit auf das Betriebsklima aus. Wenn das Betriebsklima schlecht ist, dann wird normalerweise der wirtschaftliche Erfolg nicht so gut sein. Er wird, ob messbar oder nicht, kann man ja schlecht beurteilen, wenn man die Vergleiche 1:1 gar nicht hat im gleichen Zeitraum, aber es ist kontraproduktiv. Unter anderem vor dem Hintergrund ist Arbeitsplatzsicherheit - sagen wir einmal - ein Thema, was sehr wichtig ist. Und wir hatten Fälle, zum Beispiel bei freien Mitarbeitern, die logischerweise und aufgrund ihrer Vertragsart, unsicherer beschäftigt sind, die deutlich gemacht haben, sie gehen daran kaputt, sie packen das nicht, das nächsten Monat so ist, ob sie wieder etwas kriegen oder nicht. Und kann ich nachvollziehen 100-prozentig.“ (Int. 28) „Also, ich halte Arbeitsplatzsicherheit als Verpflichtung für einen Arbeitgeber, dafür zu sorgen, dass die herrscht. So, wie wir. Wir haben, seitdem wir in Deutschland sind, noch nie eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen. Und wir sehen das wirklich auch als eine Pflicht an. Also, wir würden uns selbst, glaube ich, schlecht fühlen, wenn wir so was erstmalig aussprechen müssten, weil wir dann sagen, wir haben auch was falsch gemacht bei der Kalkulation.“ (Int. 40)
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Ja, die halte ich für sehr wichtig. Sagen wir mal so, es ist ja an unserer Gesellschaft, so wie wir über Arbeit denken, ist sie zunächst einmal sehr wichtig, wenn man einen Arbeitsplatz sieht, den ein Mitarbeiter einnimmt. Das hat auch etwas mit der Mentalität hier zu Lande zu tun.” (Int. 36)
Ein Interviewpartner räumt der Arbeitsplatzsicherheit sogar ausdrücklich eine höhere Priorität ein als der unternehmerischen Freiheit: „Sehr wichtig. Die würde ich sogar, nicht nur persönlich, sondern so auch generell höher stellen, als jetzt die Entscheidungsbefugnis oder unternehmerische Freiheit, Mitarbeiter zu entlassen, weil, ein Mitarbeiter, der Angst um seinen Arbeitsplatz hat, arbeitet ganz anders, der ist nicht motiviert, und sonst was. Und da sprechen Sie mit Leuten, die sich da auskennen, da können Sie hier jeden fragen.” (Int. 33)
Eine Reihe anderer Personalleitern wiederum hält die Arbeitsplatzsicherheit für grundsätzlich wichtig, formuliert aber konkrete Bedingungen, unter denen diese erreicht werden sollte: „Das ist mit Sicherheit ein sehr wichtiger Punkt, Arbeitsplatzsicherheit. Wobei die Arbeitsplatzsicherheit nicht so ausgeführt werden darf, dass der eine sagt: ,Ich kann machen, was ich will.’.” (Int. 02) „Es gibt natürlich Kieltiefe, wie es so schön heißt, die wir langfristig brauchen. Es gibt andere Themengebiete, wo ich die Langfristigkeit eher hinderlich finde, ja?“ (Int. 25) „Geteilter Meinung. Wenn ich an die Vergangenheit zurückdenke, war das etwas Selbstverständliches. Heute weiß ich, denke ich, auch der Nachwuchs schon und auch viele Mitarbeiter wissen, dass es eine absolute Arbeitsplatzsicherheit nicht mehr gibt. Und ich denke, ja, so entwickelt sich die Wirtschaft, so entwickeln sich die Anforderungen, das kann es nicht geben.” (Int. 29) „Halte ich für sehr wichtig, glaube aber, dass das in Zukunft aufgrund der Verschiebungen im Alter sich ein bisschen ändern wird. Wenn man früher davon ausgegangen ist, dass ja die meisten Mitarbeiter relativ lange sich an Unternehmen gebunden haben, sehe ich immer mehr Bewerbungen mit sehr vielen Wechseln, ein Jahr, zwei Jahre, unterschiedliche Jobs auch noch (...) Ich hoffe nicht, dass wir amerikanische Verhältnisse hier kriegen.” (Int. 13)
Auch mit Blick auf mögliche Verhaltenswirkungen wurde der Arbeitsplatzsicherheit eine wichtige Bedeutung zugemessen. Hierzu haben wir gefragt: „Wie wirkt sich Arbeitsplatzunsicherheit auf das Verhalten aus?“ „Negativ. Ich sage mal, Angst macht krank, Angst macht aggressiv und es gibt viele Menschen, die haben ja eigentlich nur ihren Job. Wenn man die mal fragt: ,Was machst denn du, wenn du nach Hause kommst?’ Dann haben die vielleicht noch die Glotze oder den Fußballverein, und wenn diese mehr als 8 Stunden gefährdet sind, dann ist das eine existenzielle Bedrohung, und die würde mir riesige Angst machen.“ „Der Mensch wird immer kleiner, lässt sich immer mehr gefallen und die ganze Sache gerät schwer in Schieflage, weil es gerade in der Führungsebene Menschen gibt, die genau so etwas haben wollen. Kleine, schwache Duckmäuser.” (Int. 31) „Angst schafft Verlierer. Das ist ganz eindeutig so. Also, Sie können nur mit einem selbstbewussten Mitarbeiterstamm auch ein selbstbewusstes Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft führen. Und das, was man von den Mitarbeitern fernhalten muss - aus meiner Sicht - ist ganz deutlich Angst um den Arbeitsplatz. (…). Angst und Unsicherheit kann man vielleicht für ein oder zwei Jahre ansetzen. Und man kann ein bisschen über Angst vielleicht für kurzfristig für Motivation bei den Mitarbeitern sorgen. Aber Angst schlägt irgendwann um eben in Existenzangst oder in Unsicherheit. Und dann beginnen die Mitar-
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht beiter, entweder sich mit anderen Arbeitgebern zu beschäftigen oder aus lauter Angst sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.” (Int. 14) „Also haben wir bei uns im Haus festgestellt, wir haben ja diese Betriebsvereinbarung geschlossen, dass die nächsten 3 Jahre Arbeitssicherheit vorhanden ist. Und das hat sehr viel Unruhe, die vorher vorhanden war, aus unserem Unternehmen herausgenommen. Die Mitarbeiter wissen einfach jetzt, mein Arbeitsplatz ist sicher, ich muss zwar weiterhin Leistung bringen, es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen, personenbedingte Kündigungen gibt es weiterhin, wenn einer Mist baut, muss man sich von ihm trennen können oder trennen müssen. (...) Wir fragen alle zwei Jahre das Betriebsklima ab, wir machen eine Mitarbeiterbefragung. Und da ist halt herausgekommen, also dieses Jahr machen wir es wieder, vor zwei Jahren: Arbeitsplatzangst. Arbeitsplatzsicherheit ist wichtig und ich habe Angst. Und jetzt haben wir danach keine Befragungen mehr durchgeführt, sondern wir haben nur in den Abteilungen mal … hinterfragt, wie es ist und diese Angst ist jetzt nicht mehr da. Und es ist einfach eine gute Sache. Die Mitarbeiter sind einfach ein bisschen motivierter bei der Arbeit und stehen eher zum Haus.” (Int. 22)
Diese Ergebnisse zeigen, dass das Arbeitsrecht als Solches in der betrieblichen Praxis eine hohe Akzeptanz genießt. Dabei wird gerade der Kündigungsschutz als sinnvoll und erhaltenswert betrachtet. Ihm wird zudem meist eine sehr wichtige Rolle zur Erreichung der von den Personalleitern für wichtig gehaltenen Arbeitsplatzsicherheit zugeschrieben. Diese Bedeutung wird den Vorschriften nicht nur mit Blick auf die Beschäftigten zugeschrieben, vielmehr erkennen die Personalleiter in einem wirkungsvollen Arbeitsrechtssystem ebenso wichtige betriebswirtschaftliche Vorteile. Diese Ergebnisse der Experteninterviews werden durch die ergänzende quantitative Telefonbefragung deutlich bestätigt (vgl. hierzu den Beitrag von Schramm/Schlese, Kapitel 2.9 dieses Bandes).
2.1.4 Einstellungen gegenüber Arbeitsrechtsreformen Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren mehrfach arbeitsrechtliche Veränderungen auf den Weg gebracht mit dem erklärten Ziel, die Rahmenbedingungen für Betriebe zu erleichtern und zu Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt beizutragen (für einen Überblick hierüber vgl. etwa Fischer/Thiel 2005: 25ff.). Hierbei wurde vor allem die Häufigkeit der vorgenommenen Änderungen von vielen Interviewpartnern als problematisch thematisiert. Zudem unterstellten einige Personalleiter insbesondere den häufigen Reformen im Bereich des Kündigungsschutzes negative Außenwirkungen gegenüber möglichen Investoren: „Ich halte ... der muss schon sein. Ob man da ständig dran rumbastelt, ist eine andere Frage. Nicht die langen Kündigungsfristen oder die langen Arbeitsplatzbindungen stoßen die Investoren ab. Ich glaube das nicht, das ist kalkulierbar, das ist die stößt ab, dass da ständig dran rumgebastelt wird. Was wird denn hier rauskommen? Verlängern sie es, schaffen sie es ab? Machen Sie dies, machen sie das? So, und dann hast du so ein Ding wie in Frankreich, nicht. Ja, die ... jetzt da die jungen Leute. Und dann nimmst du das Gesetz zurück. Was hast du dann gekonnt. Autos zerschlagen, Autos angebrannt und so. Die Deutschen machen das aber nicht so, die brennen keine Autos an. Die lassen das Gesetz über sich ergehen und ... und lassen lieber zu, dass die Investoren sagen: ,Mann, die machen jedes Jahr machen die was Neues, was anderes.’.“ (Int. 41) 128
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Lästig ist, dass es keine Planungssicherheit mehr gibt für die nächsten Monate, Jahre. Allein die Gesetzesinitiative mit Verlängerung der Probezeit. Ich habe nicht verstanden, wofür es gut sein soll.“ (Int. 06) „Halt problematisch ist, wenn ständig wieder Änderungen diskutiert werden. Das ist in meinen Augen.., so ein Arbeitsrecht muss sein, sonst geht es ja gar nicht. Ich finde das schon okay.“ (Int. 41)
Auch der Einfluss von Lobbyarbeit auf die Gesetzgebung wird zum Teil ausdrücklich kritisch beurteilt, wie folgende Aussage eines Interviewpartners exemplarisch zeigt: „Ja, ja das ist Jammern auf hohem Niveau, das ist aber, also ich würde sagen, auch wieder hier Lobbyismus. Die deutsche Industrie ist extrem leistungsfähig, das sagen alle, die mit denen Sie sprechen. Zum Beispiel die Firma D. kauft bevorzugt deutsche Unternehmen, weil sie eben wissen, hier herrschen geregelte Verhältnisse. Es ist eine extrem hohe Produktivität vorhanden und diese Unsicherheit, die verbreitet wird, die ist auch wieder aus meiner Sicht sehr stark vom Lobbyismus geprägt“. (Int. 01)
Derselbe Interviewpartner sieht gerade den Mittelstand durch die Verbandsarbeit nicht gut vertreten: „Also, na gut, das ist natürlich ein sehr weites Thema, aber der deutsche Lobbyismus ist im Wesentlichen von Großindustrie, oder Großinteressenvertretern geprägt. Aus meiner Sicht. Die vielen Mittelständler, glaube ich, die haben nicht das Sprachrohr, obwohl sie natürlich in der Summe viel mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Auch mehr zur Wirtschaftskraft beitragen.“ (Int. 01)
Häufiger Ausgangspunkt der Kritik am Arbeitsrecht ist die Annahme, dass über Gestaltungen am Arbeitrechts Einfluss genommen werden kann auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes, speziell auf betriebliche Beschäftigungsentscheidungen. Dabei wird davon ausgegangen, dass etwa der Kündigungsschutz notwendige Anpassungsprozesse der Betriebe erschwert oder verhindert (vgl. etwa Donges et al. 2004: 7). Dieser Zusammenhang wird in der betriebswirtschaftlichen Forschung immer häufiger kritisch hinterfragt. So geht etwa Peuntner (2002) davon aus, dass Veränderungen des Arbeitsrechts nur bedingt zur Einfluss auf betriebliche Beschäftigungsentscheidungen haben. So wird die Eignung des Arbeitsrechts als Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen auch von vielen der von uns befragten Personalleiter kritisch beurteilt, wie folgendes Beispiel zeigt:19 „Ich glaube, dass der Ansatz, über Arbeitsgesetze Arbeitsplätze zu schaffen, also einen politischen Ansatz zu wählen, das wird aus meiner Sicht nur als Vorwand für eine politische Diskussion genommen. Ich glaube, dass aber der einzig entscheidende Aspekt der ist: Gibt es eine florierende Wirtschaft? Ja oder Nein? Und wenn es eine florierende Wirtschaft gibt, dann lebt man mit den Arbeitsgesetzen. Und wenn es die nicht gibt, dann schaffen politische Hilfsmittel keine Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.“ (Int. 14)
Die Personalverantwortlichen scheinen dem Arbeitsrecht gegenüber überwiegend positiv eingestellt zu sein und der Arbeitsplatzsicherheit eine hohe Bedeutung zuzumessen. Um ein genaueres Bild über die Einstellungen der Personalverantwortlichen 19
Mit den Ergebnissen zur Frage nach dem Einfluss des Arbeitsrechts auf das Einstellungsverhalten von Betrieben beschäftigt sich der Beitrag von Schlese/Schramm in Kapitel 2.2 dieses Bandes im Detail. 129
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
gegenüber Arbeitsrecht und dessen Wirkung in der Praxis zu erhalten, haben wir sie gefragt, welche Funktionen das Arbeitsrecht ihrer Meinung nach haben sollte.
2.1.5 Vorstellungen über Funktionen und Erwartungen an das Arbeitsrecht Das Arbeitsrecht wird in der öffentlichen Diskussion überwiegend als Belastung für Unternehmen sowie Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung dargestellt (vgl. etwa Hromadka 2003: 11; Jahn 2004). Diese Betrachtung könnte eine bedenkliche Verengung der Sichtweise darstellen, indem diese das Arbeitsrecht etwa lediglich als einschränkende Rahmenbedingung interpretiert und mögliche andere Funktionen außer Acht lässt. So obliegt dem Arbeitsrecht etwa nach Auffassung unzähliger arbeitsrechtlicher Grundlagenwerke zunächst eine grundlegende Schutz- sowie Vertragsfunktion (vgl. ex. Däubler 2002). Aufbauend auf diesem Grundgedanken ist das komplette deutsche Arbeitsrechtssystem entwickelt worden. Denkbar wäre dennoch, dass diese dem Arbeitsrecht zugehörigen Funktionen in der Praxis jedoch zu entscheidenden Problemen führen und sich der Vorwurf der hemmenden Wirkung arbeitsrechtlicher Regulierung bestätigt. Für eine genaue Beurteilung dieser Wirkung ist die Einschätzung der Praktiker, die mit den Regeln umgehen müssen, wichtig. Dem sind wir in den Experteninterviews genauer nachgegangen. So zeigen die Analysen der Interviewantworten auf die Frage, welche Funktionen das Arbeitsrecht aus Sicht der Personalleiter haben sollte, ein weitaus differenzierteres Bild über die Wirkung arbeitsrechtlicher Regulierung. Zunächst stellten die Praktiker durchweg klar, dass das Arbeitsrecht für sie einen generell nötigen Bestandteil des betrieblichen Alltags und Handelns darstellt. Dieser scheint von ihnen auch als solcher akzeptiert werden. Dabei wird der Bedarf von Regeln für das betriebliche Miteinander deutlich herausgestellt. Im Wesentlichen lassen sich die Antworten in drei typische Kategorien zusammenfassen. So hat nach Ansicht der von uns befragten Personalleiter das Arbeitsrecht eine Schutzfunktion für die Beteiligten, soll Rahmenbedingungen und Verhaltensregeln benennen sowie dem Interessenausgleich im Betrieb dienen und dabei eine Moderatorfunktion übernehmen (teilweise Mehrfachnennungen möglich). Hierzu die Antworten im Einzelnen: Im Vordergrund steht für die meisten Personalleiter der „Schutz des Arbeitnehmers“: „Arbeitsrecht ist doch Schutzrecht des Arbeitnehmers. Das ist es.“ (Int. 06) „Ich sehe Arbeitsrecht eher zum Schutz der Arbeitnehmer. Und dafür ist es auch da.“ (Int. 13) „…es sollte selbstverständlich die Arbeitnehmer schützen.“ (Int. 24) 130
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Arbeitsrecht sollte, sollte Grundrechte absichern, im Verhältnis zwischen Arbeitgeber/Arbeitnehmer und diese Gutsherrenmethodik da rausnehmen.“ (Int. 24) „Sehen Sie auch den Schutz des Arbeitnehmers. Und das ist nach wie vor der Arbeitgeber die starke Position des Arbeitgebers“ (Int. 29) „Ja, der Arbeitnehmer muss natürlich geschützt werden gegen rückhaltlose Ausbeutung und einseitige Ausbeutung. Deswegen gibt es Arbeitsrecht. Und deswegen haben die Leute 100 Jahre dafür gekämpft.“ (Int. 32)
Daneben soll das Arbeitsrecht nach Ansicht einiger Interviewpartner den „Schutz beider“ erreichen: „Für mich, das gilt aber ganz allgemein, aber Arbeitsrecht oder auch vor allen Dingen, das sollte einen guten und sinnvollen und einen Rahmen abstecken, unter dem sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer vernünftig miteinander arbeiten und zusammenleben können. Und das ist das Wichtigste.“ (Int. 05) „Es soll schon ein Schutz für beide sein, also für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber, dass Grenzen abgesteckt sind, was machbar ist“ (Int. 42)
Darüber hinaus sollte das Arbeitsrecht für einen Interessenausgleich sorgen und eine Moderatorfunktion einnehmen: „Es ist sicherlich eine Art Interessenausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers“ (Int. 01) „Ja, das Arbeitsrecht ist eigentlich immer dafür da, einen fairen Kompromiss zwischen im Streitfall - zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu ermöglichen.“ (Int. 08) „Das Arbeitsrecht muss eigentlich versuchen, irgendwo einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen zu finden. Also, es darf weder den Arbeitgeber noch den Arbeitnehmer irgendwo bevorzugen oder benachteiligen.“ (Int. 19) „Also, eher dann so der Moderator, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber in ihren Interessen gleichwertig behandelt werden.“ (Int. 22)
Weiterhin soll das Arbeitsrecht für alle Beteiligten Verhaltensregeln benennen: „Vorteil des Arbeitsrecht ist: Man weiß woran man ist. Es gibt kein Wenn und Aber, steht da drinnen im Arbeitsrecht und jeder kann sich danach richten.“ (Int. 02) „Ja, ich hasse das zwar, aber Menschen müssen einfach Verhaltensregeln haben, einen Regulator.“ (Int. 16) „Arbeitsrecht sollte den Rahmen setzen und klare Spielregeln aufstellen für die eine wie für die andere Seite, für den Arbeitgeber wie für den Arbeitnehmer. Ohne klare Regelung, ohne klare Spielregeln kann es ja nicht funktionieren, nicht?“ (Int. 11)
Es wird deutlich, dass von den Personalleitern vor allem der Schutzbedarf von Arbeitnehmern gesehen und bejaht wird. Viele Interviewpartner nennen als wichtige Aufgabe des Arbeitsrechts die durch die Vorschriften gegebene Orientierungsfunktion. Das Arbeitsrecht soll dabei für beide Seiten einen Rahmen abstecken, der dann aber durchaus, so einige Interviewpartner, auf betrieblicher Ebene etwa durch Betriebsvereinbarungen konkretisierbar sein sollte. Vereinzelte Kritik am Arbeitsrecht richtet sich nicht gegen das Recht als solches, vielmehr wird häufiger lediglich eine bessere Passung an die betrieblichen Anforderungen grade der KMU gewünscht.
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
Damit zeigt sich, dass das Arbeitsrecht keineswegs die betriebliche Entwicklung auf eine problematische Art und Weise einschränkt, sondern den Regeln in der betrieblichen Praxis vielmehr wichtige Funktionen zugeschrieben werden. Im Wesentlichen stimmen diese mit dem Grundgedanken einer Schutzfunktion des Arbeitsrechts einerseits sowie Vertragsfunktion andererseits überein. Darüber hinaus schreiben unsere Interviewpartner dem Arbeitsrecht zudem hilfreiche betriebswirtschaftliche Funktionen zu, indem sie etwa auf organisatorische Zusammenhänge verweisen. Im Anschluss haben wir vertiefend nachgefragt, inwieweit das Arbeitsrecht diese Funktionen auch erfüllt. Auch hier kamen die Interviewpartner zu unterschiedlichen Einschätzungen. Nach Ansicht folgender Interviewpartner erfüllt das Arbeitsrecht seine Funktion: „Es soll funktional sein und es soll die Mitarbeiter eben auch vor selbstherrlichem Handeln der Unternehmer und der Unternehmensverantwortlichen schützen. Und diese Funktion erfüllt es aus meiner Sicht in der derzeitigen Fassung durchaus.“ (Int. 14) „Ja, im Großen und Ganzen natürlich Ja. Ich meine, wir sind ein Land, was schon seit einigen Jahrhunderten zivilisiert ist. Wäre schlimm, wenn es nicht so wäre.“ (Int. 28) „Ja in den Grundzügen ist das Arbeitsrecht ja weiter entwickelt worden aus den Rechtsnormen, die vor 100 Jahren mal aufgesetzt worden sind. Und ich denke schon, dass der Arbeitnehmer durch das Arbeitsrecht eindeutig vor allen möglichen Übergriffen geschützt ist. Es ist ja in den letzten Jahren so ein bisschen aufgebohrt worden, Stichwort: Zweiter Arbeitsmarkt, Stichwort: Ein- Euro-Job, und diese ganzen Themen. Da fängt das an schwammig zu werden um die Ecken herum, aber für alle Leute, die in normalen Beschäftigungsverhältnissen sind, die sind ja eigentlich relativ gut abgesichert.“ (Int. 32) „Denke ich doch, ja. Da gibt es vielleicht so ein paar schwarze Branchen wo alles Mögliche umgangen wird, aber ich weiß nicht, ob das nicht….also so 100% gibt es glaube ich nicht.“ (Int. 35)
Die dem Arbeitsrecht zugeschriebene Schutzfunktion wiederum scheinen die Vorschriften nach Aussagen einiger Interviewpartner v.a. aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation nur teilweise zu erfüllen, indem Rechte von Beschäftigten nicht eingefordert werden: „Schutzfunktionen sehe ich nicht, dass es die wirklich erfüllt, weil ich sehe hier aus der Erfahrung einer Person, die beschützt wurde, aber ich sehe mindestens 10 Personen, die die A...-Karte gezogen haben, weil sie den Schutz nicht in Anspruch genommen haben, weil sie sich schlichtweg nicht getraut haben oder weil sie es nicht wussten.“ (Int. 31) „Das kann immer nur ein Kompromiss sein, weil ... ja, im Grunde genommen zieht in der heutigen Zeit der Arbeitnehmer immer den Kürzeren, weil ich nicht glaube, dass viele Leute, wenn die einmal gekündigt werden, dass die dann auch einen neuen Job finden, jedenfalls nicht hier im Ruhrgebiet mit über 20% Arbeitslosigkeit. Im Grunde genommen mag das auf Leute dann auch ein bisschen abschreckende Wirkung haben, damit man sich das nicht viel zu leicht macht, Mitarbeiter zu entlassen oder freizusetzen oder wie immer das heute heißt.“ (Int. 08)
Neben den hier dargestellten inhaltlichen Funktionen, die dem Arbeitsrecht von den Praktikern zugeschrieben werden, ist weiterhin von Interesse, welche Erwartungen die Interviewpartner wiederum an die Funktionsweise und Anwendbarkeit des Arbeits132
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
rechts selbst haben und welche Verbesserungswünsche20 sie hinsichtlich der Gestaltung und Umsetzbarkeit von Vorschriften möglicher Weise formulieren. Auch wenn sich bereits gezeigt hat, dass die Ziele einzelner arbeitsrechtlicher Regelungen von den Personalleitern überwiegend akzeptiert werden, wäre denkbar, dass sich in den Betrieben jedoch aufgrund der Gestaltung der Vorschriften Probleme bei deren Umsetzung ergeben. Dies müsste sich innerhalb der geäußerten Erwartungen entsprechend zeigen. Auch hier haben wir recht vielfältige Antworten erhalten. So soll das Arbeitsrecht zunächst etwa für Interessenausgleich sorgen: „Wobei eben da ein Optimum an wenn man so will, Wirtschaftlichkeit und berechtigtem Schutz der Interessen des Arbeitnehmers gewährleistet sein müssen“ (Int. 01) „Also, ich würde einfach da ... es muss einfach ... das Arbeitsrecht muss eigentlich mehr ein Recht sein, was schon die beiderseitige Interessenslage berücksichtigt und mehr den Konfliktfall eigentlich im Blick haben, als dieses - wie ich finde - übertriebene Schutzrecht.“ (Int. 21)
Auch sollen arbeitsrechtliche Regelungen Rahmenbedingungen setzen: „Rahmenbedingungen setzen, genau. Die dann auch möglicher Weise durch die Betriebsparteien in Betriebsvereinbarungen konkretisiert werden können, oder auch durch die Tarifvertragsparteinen, was auch immer.” (Int. 04)
Ebenso wünschen sich die Personalleiter vom Arbeitsrecht Klarheit zu schaffen: „Klarheit zu schaffen für individuell vertragliche Gestaltung, Klarheit zu schaffen auch für ... dann im Zweifel natürlich kollektiv, also Betriebsratsarbeit und sollte weniger eingreifend sein in die Vertragsgestaltung. Weil das meines Erachtens durch Tarifverträge durchaus ganz gut geleistet werden kann.” (Int. 06) Es muss Klarheit da sein. Wenn beide wissen, dass, wenn ich kündige, kriege ich - ich sag mal - jetzt beim Abfindungsrecht 2 Gehälter je volles Jahr, dann brauche ich nicht lange diskutieren, dann spare ich den Anwalt, spar ich den Richter. Der weiß das, wenn er gekündigt wird, kriegt er soundso viel Geld.” (Int. 09)
Anderen Personalleitern wiederum ist eine Konkretisierbarkeit von Vorschriften auf der Betriebs- oder Tarifvertragsebene wichtig: „Sollte den Rahmen setzen und das sollten dann Unternehmen versuchen - nicht -, auch mithilfe dann der Gewerkschaft, je nachdem, wer da auf der anderen Seite ist, da zu konkretisieren in Haustarifverträgen.“ (Int. 11) „Nur sollte man den Betrieben Freiraum geben. Und die nicht noch bestrafen, wenn die was machen müssen, wenn sie negativ reagieren müssen.” (Int. 23) „Aber auch eben Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitgeber, im Rahmen der äh, sag ich mal, zu, ja immer steigender Reaktionsschnelligkeit, die erforderlich ist, sag ich mal, auf Situationen, wir sind jetzt kein Produktionsunternehmen, aber auch im Dienstleistungsunternehmen, dass man einfach äh, die entsprechende wirtschaftliche Entwicklung, dass man auf die auch rasch und angemessen reagieren kann - um das auch wieder der Motor zu sein.” (Int. 37)
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Mit einer weiteren Frage des Interviewleitfadens haben wir die Personalleiter darüber hinaus nach ihren generellen Wünschen an das Arbeitsrecht befragt. Die Ergebnisse hierzu werden im Beitrag von Aleksandra Worobiej in Kapitel 2.3 dargestellt. 133
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
Viele Personalleiter äußerten den Wunsch, dass das Arbeitsrecht nicht zu viel regeln soll: „Und das sollte immer wieder davor zurückschrecken, zu viel regeln zu wollen und festschreiben zu wollen und jeden Einzelfall festschreiben zu wollen. Das wäre mir persönlich ganz wichtig, weil ich finde, vieles, was bei uns ist, wird einfach in Deutschland viel zu perfekt gemacht mit 1.000 Regeln und Randbedingungen festgelegt. Und das scheint mir nicht pragmatisch zu sein.“ (Int. 06) „Allerdings sollte es so etwas wie eine Rahmenbedingung sein und sich nicht zu tief in Details einmischen.“ (Int. 15)
Erwähnt wurde weiterhin eine höhere Flexibilität und Übersichtlichkeit: „Nehmen Sie das klassische Beispiel einer Betriebsvereinbarung. Sie vergessen nur den schönen Satz drunter ‚Diese Betriebsvereinbarung wirkt nicht nach’. Wenn Sie diesen Satz vergessen, haben Sie erst mal für alle Ewigkeit eine Betriebsvereinbarung bestehen, und müssen die auch wiederum vor Gericht wieder im Prinzip löschen lassen. Das ist meiner Ansicht nach zu aufwendig.“ (Int. 13)
Für eine größere Zahl von Interviewpartnern ist eine Passung an betriebliche Bedürfnisse wichtig: „Nur sollte man den Betrieben Freiraum geben. Und die nicht noch bestrafen, wenn die was machen müssen, wenn sie negativ reagieren müssen.“ (Int. 23) „..das immer auch das Umfeld entsprechend berücksichtigt, in dem sich der Unternehmer und das Unternehmen bewegt.“ (Int. 34) „Der größte Nachteil ist, dass Arbeitsrechts für alle ist, ob sie 50.000 Mitarbeiter haben oder 21, Arbeitsrecht ist für alle gleich. Bis auf wenige Einschränkungen. Das ist ein großer Nachteil, also das Arbeitsrecht müsste flexibler gestaltet werden. Das ist ein absoluter Nachteil.“ (Int. 02) „Ich muss doch so viel unternehmerische Freiheit haben, wenn ich den Auftrag einfach nicht mehr kriege ohne mein Zutun, dann muss ich doch die Möglichkeit haben, die Leute auch so zu entlassen.“ (Int. 42)
Die Antworten ergeben, dass im Bereich der Umsetzung von Vorschriften durchaus der Wunsch nach Vereinfachung besteht. Dieser bezieht sich überwiegend auf die Möglichkeit, arbeitsrechtliche Zusammenhänge betriebsspezifisch passender zu regeln, um eine höhere Flexibilität zu erreichen (vgl. die Ergebnisse zu Wünschen an das Arbeitsrecht: Worobiej, Kapitel 2.3). Zusammenfassend zeigt sich innerhalb der hier zunächst betrachteten zugrunde liegenden Einstellungen der Personalleiter gegenüber dem Arbeitsrecht, dass diese keineswegs im Einklang stehen mit dem der Öffentlichkeit im Rahmen der Arbeitsrechtsdiskussion häufig vermittelten, eher negativen Image des Arbeitsrechts. Vielmehr trifft das Arbeitsrecht bei den betrieblichen Praktikern übergeordnet betrachtet auf eine hohe Akzeptanz und Wertschätzung. Dabei werden die Vorschriften als wichtig und notwendig angesehen. Dem Arbeitsrecht wird von den Personalleitern neben einer Orientierungsfunktion für betriebliche Akteure vor allem eine Schutzfunktion zugeschrieben, die sich jedoch in der Praxis nach Ansicht einiger Befragter angesichts der 134
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
schlechter werdenden Verhandlungssituation von Arbeitnehmern jedoch nicht erfüllt. Insbesondere die Aussagen über Funktionen des Arbeitsrechts zeigen, dass arbeitsrechtliche Regulierung, anders als von Deregulierungsbefürwortern häufig dargestellt, in vielen Bereichen positive Auswirkungen auf die betriebliche Produktivität entfaltet.
2.2
Wahrnehmung und Beurteilung des Arbeitsrechts
Die zuvor betrachteten Einstellungen sind genereller und grundlegender Natur, auf deren Grundlage schließlich von den Akteuren individuellere Zusammenhänge beurteilt werden. Eine Kenntnis der Einstellungen ist von besonderer Bedeutung für die Interpretation individueller Aussagen. Über diese Einstellungen hinaus geben unsere Experteninterviews Auskunft darüber, wie das Arbeitsrecht in konkreten praktischen Zusammenhängen von den Personalleitern im Einzelnen wahrgenommen und beurteilt wird. Eine Kenntnis wahrgenommener Zusammenhänge und Details leistet einen wichtigen Beitrag für das Verständnis ihres Handelns. Daher gilt das nachfolgende Interesse vor allem der Wahrnehmung, die sich häufig in entsprechenden Meinungen gegenüber sowie Beurteilungen von arbeitsrechtlichen Vorschriften niederschlägt und in Wechselwirkung mit den grundlegenden Einstellungen einer Person steht. (vgl. hierzu im Einzelnen Robbins 2001: S. 94f.; Aronson et al. 2004: 230ff.) Unter Wahrnehmung wird allgemein der Prozess bezeichnet, in dem Akteure ihre Eindrücke so ordnen und sortieren, dass ihre Umwelt für sie einen Sinn ergibt (vgl. etwa Robbins 2001: 155). Bei der Betrachtung und Interpretation von Wahrnehmung ist eine Reihe von Zusammenhängen zu beachten. So nehmen Menschen Informationen etwa selektiv wahr und verarbeiten diese in ein internes Modell ihrer Umwelt. Dabei werden für die Menschen lediglich die wahrgenommenen und akzeptierten Handlungsprämissen zur Grundlage ihrer Handlungssituation (vgl. etwa Staehle 1999: 197ff.; ähnlich Robbins 2001: 155ff.). Nach Staehle handeln Menschen daher auf Grundlage dessen, was und wie sie etwas wahrnehmen und damit nicht unbedingt auf Grundlage der real gegebenen Situation. Damit werde die subjektive Situation unmittelbar handlungsrelevant (vgl. Staehle 1999: 197). Im Rahmen ihrer Wahrnehmung selektieren, organisieren und interpretieren Individuen Reize aus ihrer Umwelt. Nach Robbins spielen dabei vor allem die persönlichen Eigenschaften des individuell Wahrnehmenden wie etwa Einstellungen, Motive und Erfahrungen ebenso eine besondere Rolle wie der Kontext, in dem etwa Ereignisse wahrgenommen werden (2001: 156f.). Eine umfassende Beschreibung der dabei wirkenden Teilprozesse wie etwa Wahrnehmungsverzerrungen findet sich bei Staehle (1999: 198ff.).
135
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
2.2.1 Wahrgenommene Präsenz des Arbeitsrechts In Teilen der arbeitsrechtspolitischen Diskussion wird neuerdings behauptet, dass sich Unternehmen aufgrund zunehmender Probleme mit dem Arbeitsrecht immer mehr von diesem verabschieden. Demnach habe das Arbeitsrecht als Richtschnur zunehmend ausgedient, weshalb sich Unternehmen vermehrt an einem „angeblichen Arbeitsrecht“ orientieren und ihr Handeln gezielt oder unbewusst an vereinfachten, vermuteten Regeln ausrichten würden (vgl. Kania 2005: 597, kritisch hierzu Stein 2006). Dieses so genannte „gefühlte Arbeitsrecht“ ist als solches bislang noch nicht näher empirisch untersucht worden, der Begriff selbst hat jedoch bereits Eingang in die wissenschaftliche Diskussion gefunden (Kania 2004, vgl. zu dieser Diskussion auch Zachert, Kapitel 1.2, Abschnitt 4 und 5). Um ein mögliches Ausmaß einer solchen von Kania beschriebenen, innerlichen Verabschiedung vom Arbeitsrecht empirisch feststellen zu können, stellt sich aus Perspektive der Wahrnehmung zunächst die Frage, welche Relevanz das Arbeitsrecht für die Akteure in ihrem betrieblichen Alltag hat und welche Präsenz des Regelwerkes dabei von ihnen erlebt wird. Dazu haben wir die Personalleiter gezielt gefragt: „Wie präsent ist das Arbeitsrecht in Ihrem betrieblichen Alltag?“. Die Antworten ergeben ein sehr deutliches Bild, wonach das Arbeitsrecht überwiegend eine sehr zentrale Rolle als Handlungsanleitung und tägliches Werkzeug im betrieblichen Alltag spielt. Die Mehrzahl der Interviewpartner erklärte, dass das Arbeitsrecht für sie eine hohe Präsenz im betrieblichen Alltag habe. Die Begründungen lassen sich wie folgt in zwei Tendenzen unterteilen: Zum einen erklärte die deutliche Mehrzahl der zustimmenden Interviewpartner, dass sie die arbeitsrechtlichen Vorschriften als hilfreich und/oder notwendig ansehen: „Also wir halten das Recht absolut ein, das muss ich mal sagen. (...) Also wir wenden das Arbeitsrecht schon an, aber ich denke es kommt eigentlich so zum Tragen wie Essen und Trinken. Also - es ist nichts Außergewöhnliches.“ (Int. 02) „Wie ich schon sagte, fast täglich.“ (Int. 03) „Tja, präsent ist das Arbeitsrecht überall. Aber ich denke mal, dass unser Arbeitsrecht also zu 90% - da greife ich extra so hoch - immer zum Arbeitnehmer hin tendiert. Sie haben als Arbeitgeber also kaum eine Chance, wenn es vor das Arbeitsgericht geht, da mit einem blauen Auge rauszukommen.“ (Int. 12) „Tagtäglich, es geht gar nicht ohne. Es hängt ja schon daran, wenn Sie einen Vertrag in die Hand nehmen, da fängt schon die erste Arbeitsrechtsgeschichte an. Wenn Sie einfach die klassische Gliederung sehen, dass irgendwo über alles die Gesetze schweben, darunter die Tarifverträge. Diese ganze Rangfolge, die verfolgt Sie, ob Sie wollen oder nicht. Bei der Erstellung des Arbeitsvertrages bis hin zur endgültigen Rekrutierung. (...) Also, es begleitet Sie tagtäglich eigentlich, mit Tarifverträgen, mit Betriebsverfassungsgesetz, mit Arbeitszeitgesetz etc.“ (Int. 13)
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Immerzu präsent. Immer. Geht gar nicht ohne. (...) Es sind Gesetze, die sind einzuhalten (...) einmal im Jahr lasse ich unsere Mitarbeiter schulen auf Ethik und Moral. Sie sehen dort also auch zwei so schöne Blättchen: Ethik und Konformität. Konzern A. hat sich zum Ziel gemacht ja, dass alle Mitarbeiter sich compliant verhalten, also wirklich nach Ethik und Moral agieren. Innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Da wird sehr viel Wert drauf gelegt (...), dass alle Gesetze, die herrschen, auch eingehalten werden. Von daher ist Arbeitsrecht etwas ganz Wichtiges. Nichts Lästiges, aber es muss eingehalten werden.“ (Int. 16) „Wir haben viele Strukturmaßnahmen gehabt in den letzten zwei Jahren, stehen noch in den nächsten zwei Jahren. ...hat hohe Bedeutung. Man muss ja entsprechende Dinge beachten, Sozialauswahl, Kündigungsfristen. Wen darf man kündigen, wen nicht? Die Anfragen bei Schwerbehinderten oder Mitarbeiter, die in Elternzeit oder Mutterschutz sind. Das hat schon eine Bedeutung.“ (Int. 17) „Sehr präsent. Also, ich muss ... es gibt mindestens einmal am Tag eine Situation, wo ich mit irgendwelchen Konsequenzen aus dem Arbeitsrecht konfrontiert werde. Ich zähle jetzt mal da den Datenschutz dazu, Mitbestimmungsrecht, Informationsrechte, ja, beliebig. (...) Also, wenn ich 100prozentig weiß, was die Konsequenzen ..., verhalte ich mich natürlich auch entsprechend. Wenn ich nicht ganz sicher bin, dann muss ich entweder mal was nachlesen oder mich mit dem Betriebsrat abstimmen.“ (Int. 19)
Folgender Interviewpartner unterscheidet die wahrgenommene Präsenz nach arbeitsrechtlichen Regelungsbereichen: „Für mich gibt es eine enge Definition und eine weite Definition. Die enge Definition ist für mich so der Bereich Kündigungsschutz, Betriebsverfassungsgesetz, vielleicht Teilzeitbefristungsgesetz und Ähnliches. Die weite Definition ist Lohn-steuerrecht, Sozialversicherungsrecht und was da noch so alles dazu gehört. Wenn ich die weite Definition nehme, dann betrifft uns das täglich, bei jeder Lohn- und Gehaltsabrechnung, bei jeder Einstellung des Mitarbeiters, bei jeder Personalentscheidung. Wenn ich die enge Definition nehme wie das Kündigungsrecht und Betriebsverfassungsgesetz, also in dem Bereich kommt es eigentlich nur zum Tragen, gravierend zum Tragen, wenn es ähnliche Probleme gibt.“ (Int. 22) „Ja, sehr präsent natürlich. (...) ich sag mal, wenn SAP, mein PC, wo ich die Gehaltsabrechnung erstelle, meine linke Hand ist, dann ist das Arbeitsrecht meine rechte. Weil, ich muss ja schon wissen, was ich da mache. Es ist ja alles rechtlich festgelegt.“ (Int. 33)
Für einen Interviewpartner scheinen vor allem arbeitsschutzbezogene Vorschriften im Arbeitsrecht im Vordergrund zu stehen. Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle die allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften hierneben einnehmen: „Also grundsätzlich gibt es ja die Vorgaben, die der arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben, die erfüllt sein müssen. Also sprich, das was für jeden gilt, nicht mehr als 10 Stunden am Tag, oder bei Wochenendarbeit eben die entsprechenden Freistunden, die man dann zusätzlich halt genehmigen muss an der Stelle. Also in, insofern spielt es halt eine Rolle, ich selbst bin halt auch in der Unternehmerverpflichtung was arbeitsschutzrechtliche Dinge angeht - äh, Arbeitsschutzrichtlinien, was weiß ich, Arbeitsschuhe und sonst was, was da so mit reinspielt.“ (Int. 04)
Die Antworten weiterer Interviewpartner lassen über die wahrgenommene Präsenz hinaus ein besonderes Interesse am Arbeitsrecht erkennen: „Ist präsent, aber eben immer wieder in Verbindung mit steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Themen, ist in der - denk ich - in der monatlichen, wöchentlichen Pflichtlektüre präsent. Das heißt, ich maße mir zumindest an, über die aktuellen Themen und Tendenzen im Arbeitsrecht da ganz gut mich auszukennen, weil wir eben die Hauptfachliteratur hier selbst im Haus haben. Arbeitsrecht ist eigentlich bei vielen Entscheidungen einfach
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht präsent, um noch mal sich die (...) Gesetzeslage vor Augen zu führen, ohne geht es sicherlich nicht.“ (Int. 06) „Ja, jetzt sage ich mal dazu, ich bin da vielleicht nicht repräsentativ - nicht -, weil ich ja nun selber Jurist bin und auch Arbeitsrechtler und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Also, für mich persönlich ist es eine Selbstverständlichkeit. Für mich ist es, sehr präsent ist vielleicht zu viel gesagt, aber deutlich präsent, gehört zum täglichen Handwerkszeug (...) Also, ich könnte mir kaum vorstellen, hier den Job zu machen, wenn ich hier jetzt mal Recht ausblende, als Personalverantwortlicher ohne fundierte juristische Kenntnisse.“ (Int. 11) „Aber ich muss ja auch tagtäglich darüber entscheiden, ob ich Auszubildende nach der Ausbildung übernehme, ob Mitarbeiter ihre ... nach der Probezeit weiter beschäftigt werden. Was passiert mit einer Mutter, die aus dem Erziehungsurlaub halt zurückkommt oder Elternzeit zurückkommt? All diese Dinge, das ist tagtägliches Brot und beschäftigt mich natürlich. Und es ist eher hilfreich und notwendig, als dass ich es als lästig empfinde.“ (Int. 14) „Relativ präsent. Das hängt von den zu lösenden Problemen ab. Es gibt Dinge, da muss man im Vorfeld informiert sein, um die richtige Entscheidung zu treffen - es gibt Dinge wo man sich im Nachhinein erst die Dinge anschaut, 50/50“ (Int. 34) „Das ist natürlich schon sehr präsent. Also nicht dergestalt, dass ich jeden Tag in irgendein Gesetzeswerk schaue, aber natürlich ist das Arbeitsrecht sehr reglementiert, und man muss natürlich gerade auch auf Änderungen in der Gesetzgebung schnell reagieren. Und das heißt, dass wir also viele (was heißt viele) Fachzeitschriften dazu haben, die auch regelmäßig durchgesehen werden.“ (Int. 40) „Na ja, ich lese alles, was ich darüber in der Zeitung finde, was so in der Fachpresse, die wir ja dann auch von der Handwerkskammer und so kriegen, das lese ich schon und schneide mir Artikel aus, wenn irgendwas ist oder im Rahmen unseres Tarifvertrages, wenn da Änderungen zum Arbeitsrecht kommen, zum Urlaub und so, was man alles beachten muss. Also, das lese ich schon. Aber dass das nun im Vordergrund steht, kann ich nicht sagen.“ (Int. 42)
In etwa einem Drittel der Betriebe scheint das Arbeitsrecht aus unterschiedlichen Gründen wiederum weniger täglich präsent zu sein. Auch hier gab es wieder zwei Tendenzen in den Begründungen: die Mehrzahl dieser Betriebe, fast ausschließlich KMU, begründen die nicht alltägliche Präsenz der Vorschriften mit nur geringen innerbetrieblichen Konflikte und nur geringem Bedarf, sich regelmäßig mit dem Arbeitsrecht auseinanderzusetzen. Bei diesen Unternehmen scheint das Arbeitsrecht erst im Bedarfsfall herangezogen zu werden: „Eigentlich nicht sonderlich präsent, muss ich gestehen, also insgesamt muss man sagen, die Personalarbeit macht einen verschwindend geringen Teil bei mir aus. Das liegt ganz klar in der Natur der Sache, weil es eben sehr viele andere Dinge zu regeln gibt. Als wir damals vor vier Jahren diese Restrukturierung gemacht haben, war es natürlich klar, dass man sich damit beschäftigt.“ (Int. 01) „Ich sag mal, eher untergeordnet. Das ist nichts, wo man jeden Tag groß drüber nachdenkt oder so was.“ (Int. 05) „Gar nicht. Also, weil - wie gesagt - wir haben Arbeitsverträge, und wir haben in den Arbeitsverträgen, die wir natürlich auch laut den gesetzlichen Vorgaben aufgestellt haben, beziehungsweise die man ja kriegt, haben wir feste Arbeitsverträge, wo Kündigungsfristen, Sonstiges alles drin steht. Und nach denen wir uns richten, die wir natürlich den Kollegen geben, die wir von den Kollegen unterschrieben zurückbekommen. (…) Die haben mit uns Fairplay, weil wir es auch mit denen so halten.“ (Int. 07) PL: „Sehr präsent.“ INT: „Empfinden sie es eher als notwendig, sinnvoll, lästig?“ PL: „Notwendig.“ (Int. 24) 138
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Also, ich sage einmal, wir haben in unserem täglichen Umgang nicht so sehr häufig Umgang mit Arbeitsrecht. Also, wenn man an Arbeitsrecht denkt, denkt man ja an Abmahnung und, was weiß ich, solche Dinge. Damit wird eigentlich relativ spärlich umgegangen. (…) Aber ich kann mich nicht erinnern, eine Abmahnung einmal ausgesprochen zu haben. Um einmal dieses Beispiel Abmahnung zu nehmen. Arbeitsrecht wird immer dann interessant, wenn es darum geht, man muss sich von dem Mitarbeiter trennen oder will das, erst dann wird eigentlich Arbeitsrecht präsent, vorher könnte ich also nicht sagen.“ (Int. 27) „Ich würde sagen, soll ich einen Zeitraum angeben? Monatlich oder ab und zu einmal, im Prinzip dann, wenn man einen neuen Vertrag macht oder wenn es irgendwann einmal Ärger, in welcher Form auch immer, mit dem Mitarbeiter gibt, egal, von welcher Seite der Ärger jetzt beginnt. Also, Unzufriedenheit seitens des Arbeitgebers oder des Mitarbeiters, wenn er irgendwie zum Beispiel kündigen will und man erst einmal abchecken muss, wann darf er denn überhaupt gehen und so nach dem Motto. Das ist also so gesehen ein paar Mal im Jahr. (Int. 28) „Wie gesagt, es ist dann überhaupt nicht präsent, überhaupt nicht. Das ist dann wirklich nur ... eigentlich überhaupt nicht. Auch wenn es Probleme gab mit irgendwelchen Entlassungen, die gegangen sind, sondern das ist dann ein Anwalt hingeschoben worden: ,Mach du das.’ So ist das eigentlich. Ich glaube, so wird es wahrscheinlich auch weiterhin rechtlich laufen, weil ich den Einblick nicht habe, sagen ich Ihnen ganz ehrlich, ich habe die Erfahrung nicht und den Einblick nicht in diese Rechts- und die ... die Gesetzeslage.“ (Int. 30) „Ich sag einmal so, die alltägliche Personalarbeit beschränkt sich ja im Wesentlichen jetzt, was das Arbeitsrecht betrifft, auf die Lohnabrechnung einmal im Monat. Ansonsten haben wir eigentlich kaum Berührung. Bei der Einstellung und bei der Verwendung, ansonsten haben wir kaum Berührung mit dem Arbeitsrecht und bei der Lohnabrechnung ist es dann letztendlich so, da ist ja vieles vorgegeben durch die Programme.“ (Int. 36)
In lediglich einigen Unternehmen scheint generell eher wenig Interesse zur Auseinandersetzung mit arbeitsrechtlichen Vorschriften zu bestehen. Bei diesen Unternehmen handelt es sich jeweils um KMU: PL: „Ja, wir versuchen die pragmatische Anwendung. Die pragmatische Anwendung findet oft auch statt im Einvernehmen mit dem Betriebsrat, weil beide Seiten wissen, dass es im Arbeitsrecht Dinge gibt, die völlig unsinnig sind und die auch keinen Sinn machen, wenn sie genauso, wie sie dort stehen, angewandt werden. Darum ist es durchaus so, dass die Betriebsparteien sich dann auch mal tief in die Augen schauen und sagen: ‚Wir machen es aber anders hier bei uns.’ Und es passiert dann durchaus.“ INT: „Können Sie da ein Beispiel nennen?“ PL: „Ja, kann ich Ihnen ein Beispiel nennen? Es gibt ... dürfte ich Ihnen eigentlich nicht nennen, nein. Also, es sind immer wieder Fristen, die einzuhalten sind. Diese Fristen bei Kündigungen zum Beispiel oder auch in anderen einzelpersonellen Angelegenheiten. Die machen nicht immer Sinn.“ (Int. 15) „Gar nicht. (...) Wird outgesourced. Wenn ich also Probleme habe - ja - dann will ich ja nichts wissen von diesen Problemen, weil dann muss ich mich bloß ärgern.“ (Int. 18) „Keine Präsenz. (...) Grundsätzlich finde ich es schon notwendig. Ich finde es in verschiedenen Punkten einfach überholt.“ (Int. 20) PL: „Ja, also in der täglichen Arbeit eigentlich überhaupt nicht. (...) Nein, nein. Das heißt, man macht seine Arbeit, dazu ist das Ganze einfach schon zu eingeschliffen, sodass also das Arbeitsrecht selbst, ja, also, wann sprechen wir einmal über Arbeitsrecht? Jetzt, wenn es einmal enger wird.“ INT: „Nur, wenn es darum geht, dass Kündigungen anstehen oder so etwas?“ PL: „Ja, richtig. Also, das ist im Prinzip der einzige Punkt, wo Arbeitsrecht einmal herankommt...“ (Int. 23)
Auch wenn sich aus den Antworten auf diese Frage durchaus Kritikpunkte am Arbeitsrecht ergeben, scheint dies jedoch keineswegs zu einer innerlichen Verabschiedung 139
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
vom Arbeitsrecht zu führen. Vielmehr zeigt sich, dass die deutliche Mehrheit der Betriebe sich mit den Vorschriften aktiv auseinandersetzt. Das Arbeitsrecht ist in den Betrieben deutlich präsent. Dabei scheinen die Vorschriften zum zentralen Handwerkzeug der Personalarbeit zu gehören, auf das je nach Bedarf unterschiedlich häufig zurückgegriffen wird. Interessanter Weise scheint hier die Betriebsgröße einen unterschiedlichen Einfluss zu haben: So gehören nahezu alle Personalleiter, die angaben, nur selten Anlass für eine genauere Auseinandersetzung mit den Vorschriften zu haben, kleinen und mittleren Unternehmen an (vgl. auch Krawetzki, Kapitel 2.6). Andererseits arbeiteten alle Interviewpartner, die angaben, kein Interesse am Arbeitsrecht zu haben, ebenfalls in KMU. Dies könnte jeweils für eine anscheinend geringe Konfliktlast des Arbeitsrechts sprechen. Alles in allem stellt das Arbeitsrecht nach Ansicht unserer Interviewpartner ein allgemein wichtiges und akzeptiertes Werkzeug der Personalabteilungen dar, wobei die breite Akzeptanz des Arbeitsrechts sowie eine Detailkritik an den Vorschriften nebeneinander stehen. Auch dieses Ergebnis deckt sich mit den Ergebnissen der Telefonbefragung (vgl. den Beitrag von Schramm/Schlese in Kapitel 2.9 dieses Bandes).
2.2.2 Bewertung des Arbeitsrechts In der öffentlichen Diskussion wird häufig ein Bild vermittelt, wonach die Betriebe durch das Arbeitsrecht maßgeblich gegängelt und in ihrem Wachstum behindert werden. Ein solcher Umstand müsste sich folglich in den Bewertungen unserer Interviewpartner wieder finden lassen. Wir haben daher in unseren Experteninterviews genau überprüft, wie die Vorschriften von den Personalleitern in der Praxis wahrgenommen und bewertet werden. Nachfolgend zunächst einige Beispiele für die häufig positiven Bewertungen des Arbeitsrechts durch die Personalleiter: „Also, es ist dann so, dass wir beide gegenübersitzen und die Entscheidung hat eine dritte Person getroffen, nämlich der Staat. Ansonsten machen wir einen Vertrag, wo Sie das Gefühl haben, ich sage Ihnen, was Sie bekommen. Und schon ist Missstimmung zwischen uns. So könnten wir sagen, der Gesetzgeber hat das doch geregelt. Punkt. Dann ist die Stimmung zwischen uns trotzdem gut.“ (Int. 09) „Vorteil des Arbeitsrecht ist ja: Man weiß woran man ist. Es gibt kein Wenn und Aber, steht da drinnen im Arbeitsrecht und jeder kann sich danach richten. Und es hat auch einen Vorteil, hat auch Vorteile, wenn man sagen kann, zum Arbeitnehmer zum Beispiel, was Urlaub betrifft, ich kann dir den Urlaub vorschreiben, ich hab zwar nicht viele Rechte als Arbeitgeber, aber ich kann dir sagen, dann und dann machen wir Urlaub, nämlich Betriebsurlaub zum Beispiel. Und der Arbeitnehmer kann nicht sagen, nee, will ich nicht. Also es ist ja nicht nur so dass im Arbeitsrecht Dinge stehen, die negativ sind für den Arbeitgeber, sondern die sind auch positiv. (Int. 02)
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
Vielen Interviewpartnern scheint zudem die Komplexität der Aufgabe bewusst zu sein, mit arbeitsrechtlichen Reglungen möglichst optimal in den betrieblichen Alltag einzugreifen, wie etwa folgender Interviewpartner erwähnt: „Also ist ein Arbeitsrecht notwendig und muss auch irgendwo in einer gewissen Reihenfolge gebracht werden, dass man auf irgendwas (...) zurückgreifen kann, sagen: ‚So und so ist das.’ Das ist die eine Sache. Nur das hinzustellen ist sehr schwierig. Das also so hinzubekommen, dass das also funktioniert, das ist eine sehr schwierige Sache.“ (Int. 12) „Also, aus meiner Sicht ist es so, dass im jetzigen Arbeitsrecht die Mitarbeiter gut geschützt sind. Aus meiner Sicht ist es auch so, dass es also den betrieblichen Anforderungen für mein Unternehmen und für das Unternehmen, in dem ich tätig bin, auf jeden Fall gerecht wird. Und ich bin auch der Meinung, dass es also die verschiedenen Aspekte ... die verschiedenen Lebensabschnitte meiner Mitarbeiter durchaus vernünftig berücksichtigt.“ (Int. 14) „Also, Arbeitsrecht ist immer nur, dass auch der Schutz des Arbeitnehmers, halte ich für wichtig. Die Richtschnur für den Arbeitgeber halte ich auch für wichtig, darf nicht jeder handeln, wie er gerade launig und lustig ist. Das wären die Zwei, die mir einfallen. Und Nachteil ist ein sehr hoher Verwaltungsaufwand, ein absolutes Wissen, was Sie da haben müssen. Selbst wenn Sie nur wissen möchten, ich kann es im Internet holen, ich habe Fachliteratur, ich muss mich eben einfach bewegen. Zwei fallen mir jetzt nur ein. (Int. 29) „Aber es bringt auch Klarheit. Und diese Klarheit brauchen wir im alltäglichen Umgehen mit den Mitarbeitern.“ (Int. 40)
Viele Interviewpartner bewerten das Arbeitsrecht als für ihre Arbeit hilfreich, wie folgende beispielhafte Aussagen zeigen: „Von daher ist jede Reglementierung im Prinzip erst mal eine Störung. Aber sie schafft natürlich auch Klarheit.” (Int. 40) „Na ja, da gibt es schon Vorteile. Also ich ... kann meine Belegschaft kalkulieren. Ich weiß, wie lange ich sie habe ... und unter welchen Bedingungen ich sie nicht habe. Ich weiß, was ich ... was ich zu machen habe, wenn Strukturhänderungen sind. Also, das sind ... das ist schon gut, dass es geregelt ist, finde ich.” (Int. 41)
Auf den Einfluss des jeweiligen Umgangs der beteiligten Akteure mit den Vorschriften weist etwa folgender Interviewpartner hin: „Wenn das aber die Leute gut leben, dann, denke ich, kann man mit dem Werk, wie es aktuell ist, kann man gut und fair miteinander umgehen, weil, wir leben es einfach hier im Unternehmen und das schon seit Jahren.“ (Int. 40)
Ein wichtiger Aspekt bei der Bewertung des Arbeitsrechts durch die betriebliche Praxis ist die Frage, inwieweit die Personalleiter das Arbeitsrecht in Deutschland als ausgewogen und gerecht empfinden. Die Antworten auf diese Frage ergeben ein differenziertes Bild. Zunächst einige beispielhafte zustimmende Aussagen: „Finde ich im Großen und Ganzen schon. Finde ich im Großen und Ganzen schon. Man muss ja immer Folgendes vor Augen haben. Arbeitsrecht ist von der Grundstruktur her Arbeitnehmerschutzrecht. Das liegt ja dem ganzen Arbeitsrecht zugrunde. Wenn man es auf eine einfache Formel bringen kann. Die Ratio des Arbeitsrechts ist es, den Schwächeren zu schützen, den Arbeitnehmer vor dem Arbeitgeber. Das ist ja dem ganzen Arbeitsrecht zugrunde.” (Int. 11) „Aber das ist Rechtsprechung, das ist so wie es ist, dann in Ordnung. Also, das Recht als solches ist gerecht.” (Int. 14)
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Also, von dem her, was ich bis jetzt mitgekriegt habe, schon für den ein oder an.. Also, gut, was ich mitgekriegt habe, ja. Was ich mitgekriegt habe, ja.” (Int. 30)
Andere Interviewpartner wiederum bewerten das Arbeitsrecht zwar als grundsätzlich gerecht, machen dabei jedoch bestimmte Einschränkungen, wie etwa hinsichtlich der Frage, wie die Beteiligten die Vorschriften leben: „Ich würde es schon als gerecht bezeichnen, wobei im Einzelfall können sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber da Situationen entstehen, die einfach völlig blöd sind und unangenehm sind, die man auch da reinkommen will, aber man kommt einfach da aufgrund des Rechts da rein, weil da viel geregelt ist und wo man im Zweifel drüber weg springen würde dann.” (Int. 05) „Also, (...) als Jurist kann man sowieso nichts mit Ja und Nein beantworten. Aber in dem Fall schon gar nicht. Ich glaube schon, wenn man es vernünftig lebt, in einer vernünftigen Betriebskultur, dann ist es ... also, ich glaube, dass einzelne Regelungen nicht ausgewogen sind, dass die den einen, entweder den Arbeitgeber oder eben doch zum Beispiel den Betriebsrat mehr bevorteilen als andere Regelungen. Wenn das aber die Leute gut leben, dann, denke ich, kann man mit dem Werk, wie es aktuell ist, kann man gut und fair miteinander umgehen, weil, wir leben es einfach hier im Unternehmen und das schon seit Jahren.” (Int. 40)
Etliche Interviewpartner wiederum nehmen das Arbeitsrecht als nicht gerecht, sondern hauptsächlich arbeitnehmerorientiert wahr und beziehen sich dabei häufig auf die Arbeitsgerichtsbarkeit: „Also das einzige was ich kritisiere ist Kündigungsschutz. Den kritisiere ich wobei ich dazu nicht sagen will der muss weg. Also das behaupte ich jetzt nicht. ... Also nein, ansonsten ist es eigentlich für alle positiv, dass es so etwas gibt.“ (Int. 02) „Nein, es ist auf jeden Fall für den, aus Sicht des Arbeitgebers, naja, eher zu seinen Lasten und Zugunsten des Arbeitnehmers unter Vielzahl der Schutzbestimmungen.” (Int. 03) „Aber ich denke mal, dass unser Arbeitsrecht also zu 90% - da greife ich extra so hoch immer zum Arbeitnehmer hin tendiert. Sie haben als Arbeitgeber also kaum eine Chance, wenn es vor das Arbeitsgericht geht, da mit einem blauen Auge rauszukommen.” (Int. 12) „Eher nicht ausgewogen, sondern eher zu sehr arbeitnehmerorientiert.” (Int. 22)
Neben dieser teilweise wahrgenommenen Ungerechtigkeit wird von einigen Personalleitern eine Reihe weiterer Nachteile des Arbeitsrechts genannt. So wird das Arbeitsrecht mitunter als einmischend empfunden, wie folgende Aussagen zeigen: „Da komme ich wieder auf diese maximale Arbeitszeit halt zurück. Das empfinde ich als nicht wirklich förderlich. Da mischt sich das Arbeitsrecht in Belange ein, zumindest für bestimmte Personengruppen, wo es eigentlich sich hätte raushalten können.“ (Int. 14) „Von daher hat sich das bei uns zum Glück noch nicht so ausgewirkt, aber es gibt Regelungen - da muss ich ehrlich sagen - gerade im ... was Mitbestimmungsrechte angeht, die - wie gesagt - bei uns nicht im Moment eine Rolle spielen, weil wir einen sehr einsichten Betriebsrat haben.“ (Int. 40)
Dabei scheint teilweise gerade die Einflussnahme von außen auf das Unternehmen zu stören: „Und wir würden es eben - wie gesagt - wir selbst hätten ein schlechtes Gewissen, wenn wir es nicht schaffen würden. Von daher ist Arbeitsplatzsicherheit ... Die Frage ist: Muss es immer im Gesetz stehen, oder sollte man nicht durch irgendwelche Sachen auch Ar-
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht beitgeber dazu motivieren, dass die selbst dafür Sorge tragen, dass sie sagen: ‚Ich will meine Leute halten? Das ist wichtig für mich, Anreize schaffen’.“ (Int. 40)
Ein größerer Teil der Personalleiter wiederum nimmt das Arbeitsrecht als bürokratisch oder überreguliert wahr: „Ich empfinde es als zu überreguliert, auch insbesondere durch die Ausweitung durch die Rechtsprechung. Es ist aus meiner Sicht nicht Arbeitsmarkt fördernd und zu bürokratisch und zu formalistisch. Und ich weiß aus einigen Gesprächen, dass durchaus auch Juristen, sprich Arbeitsrichter das so sehen.” (Int. 03)
Derselbe Interviewpartner scheint sich auch an der Vielzahl zu beachtender Vorschriften gerade aus dem Bereich des Arbeitsschutzes zu stören: PL: „Ja, da können Sie im Grunde genommen das ganze Arbeitsrecht nehmen, das ist grundsätzlich zu bürokratisch und, ja, überreguliert ist.“ INT: „Können Sie da ein Beispiel vielleicht nennen?“ PL: „Wenn Sie einfach mal schauen, welche oder wie viele Gesetze es gibt, die das Arbeitsrecht betreffen, angefangen bei der Arbeitsstättenverordnung oder noch anders, Gewerbeordnung und Handwerksordnung, Arbeitstättenverordnung, Arbeitsstättenrichtlinien, Gesundheitsschutz, das kann man in der tägliche Personalpraxis überhaupt nicht alles beachten. Da fehlt auch teilweise die Einheitlichkeit.” (Int. 03) „Ja, zum Beispiel, wenn wir - was weiß ich - jede Umgruppierung, jede Höhergruppierung und so weiter alles über den Betriebsrat geht, auch Dinge, die ja eigentlich zugunsten des Mitarbeiters sind. Ja? Aber formal eben, alle sind sich einig, und trotzdem eben dieser Formalismus über den Betriebsrat. Das finde ich zum Beispiel sehr lästig.” (Int. 25) INT: „Also würden Sie sagen, das ist sehr schwierig, speziell oder zu bürokratisch?“ PL: „Schwierig und das ist für mich immer bürokratisch. Das gibt sich immer die Hand.” (Int. 29)
Von vielen Interviewpartnern wird das Arbeitsrecht als zu komplex wahrgenommen: „Ich glaube, dass die das Thema Arbeitsrecht, das Thema Komplexität des Arbeitsrechts wirklich immer undurchdringlicher wird und teilweise eben widersprüchlicher, dass das auseinander driftet.” (Int. 06) „Diese ganzen Reformen erwischen halt oft das Problem nicht an der Wurzel, sondern kurieren nur an Symptomen rum. Und das macht es für den Anwender manchmal sehr komplex und undurchschaubar und nicht immer praxisnah. Das ist ein bisschen das Problem.” (Int. 17) „Komplex.” (Int. 19) „Ja, vielleicht etwas weniger komplex und etwas durchsichtiger.” (Int. 19) „Natürlich ist das Arbeitsrecht halt sehr reglementiert, und man muss natürlich gerade auch auf Änderungen in der Gesetzgebung schnell reagieren.” (Int. 40)
Andere Interviewpartner nehmen die Vorschriften als nicht flexibel genug wahr: „Das ist ein großer Nachteil, also das Arbeitsrecht müsste flexibler gestaltet werden. Das ist ein absoluter Nachteil.” (Int. 02) „...das Ganze einfach offener und freier zu gestalten. Und (...) mehr dem freien Spiel der Kräfte dann zu überlassen, nicht, und wirklich nur das Sinnvollste (...) Mindestmaß ist wahrscheinlich zu wenig, das würde zu viele Leute dazu verleiten, das eben auszunutzen. Aber nur das Sinnvolle und wirklich Notwendige zu regeln und ansonsten das mehr dem Spiel der Kräfte zu überlassen (Int. 05) „Also, wenn ich jetzt an Elternzeit und Mutterschutz und diese Dinge denke. Ich meine, dass es vielleicht für bestimmte Situationen zu unflexibel ist.” (Int. 14)
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
Viele eher negative Beurteilungen scheinen in Verbindung mit Kenntnis-Problemen zu stehen, wie das Beispiel des folgenden Personalleiters zeigt, der im Bereich des Befristungsrechts eine höhere Flexibilität gefordert hat: INT: „Also die Möglichkeit gibt es jetzt schon, sachgrundlos zu befristen..“ PL: „Ja, äh... Es gibt sicherlich auch andere Möglichkeiten, nur der Markt funktioniert anders, als der Gesetzgeber das hier formuliert hat. Der Markt erfordert von uns sofortiges schnelles Reagieren, schnelles Reagieren, flexibles Arbeiten und das ist mir den Regelungen fast unmöglich.” (Int. 34) „Es gibt einige, es gibt einige Dinge, da sind wir beeinträchtigt, ja, da sind wir richtig beeinträchtigt, da könnten wir mit Sicherheit flexibler, nicht unbedingt zum Schaden, nicht unbedingt zum Schaden der Mitarbeiter...“ (Int. 39) „..also, da denke ich schon, dass man Unternehmer auch freier machen müsste in der Auswahl der Leute, wenn sie denn tatsächlich mal die Entscheidung treffen müssen, jemanden freizusetzen, wen sie dann freisetzen können.” (Int. 40)
Weiter wurde die Frage gestellt, ob es arbeitsrechtliche Regelungen gibt, die aus Sicht der Personalleiter den Alltag stören. Auch hier zeigte sich wieder ein differenziertes Bild. Etliche Interviewpartner verneinten diese Fragen oder gaben an, mit den bestehenden Vorschriften klar zu kommen: „Den Alltag? Nein, den Alltag stören die nicht.“ (Int. 03) „Im Grundsatz würde ich sagen, nein, so als generelle Antwort, nicht? Man lernt ja auch mit den Dingen dann auch zurechtzukommen. Ich könnte jetzt nicht sagen, da gibt es Urteile, die uns hier betrieblich vor Riesenprobleme stellen, nicht? Wir haben ja auch Tarifverträge, die viele Dinge konkretisieren, nicht, die sich in der Praxis bewährt haben. Also, ich könnte jetzt nicht generell sagen, da gibt es Rechtssprechung vom BAG, was uns hier Riesenprobleme macht, nicht?“ (Int. 11) „Eigentlich nicht, sag ich mal. Das ist ja so, das Arbeitsrecht wird ja nun dann in Anspruch genommen, wenn irgendwo Diskrepanzen sind zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Ansonsten denkt man über das Arbeitsrecht auch gar nicht nach. Man erledigt seine Arbeit und ist also wenig, dass man über das Arbeitsrecht also nachdenkt.“ (Int. 12) „Also, aus meiner Erfahrung gibt es kaum praktische Widersprüche zwischen dem, was wir wollen und was das Gesetz verlangt.” (Int. 14) „Könnte ich jetzt nicht so sagen.“ (Int. 42) „Nein. Nein, mich stört nichts. Nein.“ (Int. 16)
Von anderen Interviewpartnern wurden wiederum einzelne Teilbereiche des Arbeitsrechts eher negativ bewertet. Angesichts der arbeitsrechtlichen Diskussion in der Öffentlichkeit überrascht, dass bei unserer direkten Frage nach den Alltag störenden Reglungen gerade der Kündigungsschutz nur vereinzelt erwähnt wurde (vgl. die Ergebnisse zu Wünschen an das Arbeitsrecht: Worobiej, Kapitel 2.3): „Also, höchstens das Kündigungsrecht, dass man da gerade bei Neueinstellungen oder so, dass man das flexibler handhaben müsste oder können müsste. Das ist vielleicht so ein Punkt, der mir dazu spontan einfällt oder so was. Aber ansonsten gibt es eigentlich wenig Dinge, die mich da im täglichen Betrieb dann irgendwie groß stören.“ (Int. 5) „Kündigungsschutzgesetz ist meiner Ansicht nach nicht überflüssig, aber ist schon relativ einschränkend, weil Sie nicht jeden entlassen können, der es manchmal - Anführungsstriche - verdient hätte, sondern Sie müssen, wenn ... Nehmen Sie das klassische Beispiel 144
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht Massenentlassungen, und Sie müssen nach betrieblicher Auswahl vorgehen. Und dann garantiere ich Ihnen, Sie werden in jedem Unternehmen die Falschen erwischen. Die Falschen, das heißt, motivierte, engagierte junge Mitarbeiter werden Sie verlieren. Sie halten natürlich auch engagierte ältere. Aber es ist ein Problem, dass Sie sehr oft Leistungsträger durch dieses Gesetz entlassen müssen.“ (Int. 13) „Und auch der starke Kündigungsschutz ist natürlich ... (...). Was machen wir jetzt? Wir wissen, dass die Schwellen für die Kündigungen so schwierig sind. Wir stellen halt jetzt einfach nur noch befristet ein und gehen halt nicht von dem aus, was ja der 26 BGB an sich im Kopf hat, dass eine Arbeit unbefristet ist. Also machen wir befristete Arbeitsverhältnisse.” (Int. 21)
Wenngleich sich in den von uns geführten Interviews deutlich zeigt, dass die Existenz von Betriebsräten in den Unternehmen überwiegend als sinnvoll und hilfreich angesehen wird (vgl. hierzu Hübner/Zachert, Kapitel 2.7), wird aus folgenden Aussagen durchaus Detailkritik am Betriebsverfassungsgesetz deutlich. Diese Kritik scheint sich dabei aber in erster Linie auf Aspekte wie etwa zu beachtende Fristen zu erstrecken: „Das komplette Betriebsverfassungsgesetz. Es mag jetzt ein bisschen hart klingen, aber es schränkt schon sehr viel ein. Weil man zu viel beachten muss. Und ich denke mal, das Wesentliche, nämlich das, was man eigentlich will, man bietet Arbeit an ... und jemand anderes möchte arbeiten, wird es schon relativ kompliziert dargestellt. An dem Beispiel, was wir vorhin hatten, eine Ausschreibung muss 2 Wochen hängen, der BR muss vorher gehört werden, dann haben Sie eine Frist, die im ungünstigsten Fall auch eingehalten wird, bis zur Einstellung, das ist eine Woche. Dann haben Sie schon 3 Wochen, ohne dass Sie die Zeit, die dazwischen liegt bis zu einer Rekrutierung ... Das heißt, Sie brauchen teilweise 3 bis 4 Monate, bis Sie überhaupt jemanden dann beschäftigt haben.” (Int. 13) „Arbeitsrechtliche Regelungen?! Also es gibt schon einige Mitbestimmungsrechte, die sind sehr weitgehend und die sind sehr schwierig umzusetzen. Also da gibt es im 87er im § 87 Mitbestimmungsrechte, da geht es um Ordnung im Betrieb, um Arbeitszeitgestaltung und da kann ich nur sagen, da haben sie in einem Kliniksbetrieb, der rund um die Uhr gehen muss, wo ich akut Patienten versorgen muss, wo ich natürlich auch Ausfallzeiten habe, von Mitarbeitern, akute Ausfallzeiten - dass jemand zum Nachtdienst nicht kommt, weil er krank ist, weil er ein Kind versorgen muss, ja - dann muss ich natürlich auch reagieren, ich muss Dienstpläne umschreiben und und und.... Und da gibt es hohe Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates und die sind im Prinzip nicht umsetzbar, die sind im Prinzip nicht umsetzbar. Wenn man sie rein nach dem Gesetz leben will.” (Int. 39)
Überraschend häufig jedoch scheinen Regelungen aus dem Bereich des Arbeitszeitrechts zu stören, die offenbar schwierig in Einklang zu bringen sind mit den organisatorischen Anforderungen von Betrieben, wie folgende Beispiele zeigen: „Ja, das sind Maximalarbeitszeiten. Also, für meine Außendienstmitarbeiter ist es so, dass der maximale Arbeitstag eben 10 Stunden nicht überschreiten darf. Und das empfinde ich als ausgesprochen störend. Das empfinden auch die Mitarbeiter als ausgesprochen störend.” (Int. 14) „Ja, das Arbeitszeitgesetz zum Beispiel. Das sagt jetzt zum Beispiel, dass ein Mitarbeiter in der Regel 8 Stunden arbeiten darf, maximal 10 Stunden. Wenn wir dann auf der anderen Seite sehen, wir haben Gleitzeitvereinbarungen bei uns im Haus und überlassen es den Mitarbeitern selbst, einzuplanen, wie sie arbeiten sollen in einem Zeitfenster von 6:30 Uhr bis 20:00 Uhr, werde ich ja oder der Mitarbeiter schon durch das Arbeitszeitgesetz eingeschränkt. (...) Dieses Arbeitszeitgesetz ist ein Gesetz, was überarbeitet werden müsste.“ (Int. 22) „Dieses Arbeitszeitgesetz zum Beispiel. Streng genommen können wir Mitarbeiter nicht mehrere Tage über in dieser Stundenanzahl beschäftigen. Tatsache ist, es geht leider 145
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht nicht anders. Wenn man eine Baustelle hat, die um 7 Uhr morgens losgeht und um 6 Uhr abends aufhört, und der Kerl danach seine Protokolle schreiben soll, vielleicht noch einmal gucken, was da sonst noch in der Post hat, und wenn sich das so 4 Wochen hinzieht, dann ist es ganz einfach so.” (Int. 28)
2.2.3 Empfundene Beeinflussung von Handlungsspielräumen Weiterhin interessierte die Frage, ob und in wieweit die Personalleiter ihre Handlungsspielräume durch das Arbeitsrecht beeinflusst sehen und wie dies von ihnen bewertet wird. Diese Frage wurde von den Interviewpartnern überwiegend bejaht und die Beeinflussung kritisiert: „Genau, also da, da wäre es schon schön, wenn man da einfach auch spontaner entscheiden könnte ohne sich Gedanken machen zu müssen, was bedeutet das jetzt arbeitsrechtlich, oder was bedeutet das kündigungsschutzrechtlich auch für uns. Da muss man sich dann doch immer mal einen Augenblick mit beschäftigen, bevor man dann solche Entscheidungen fällen kann, halt.” (Int. 04) „Ja, sie sind beeinflusst dadurch, aber nicht (...) im Riesenumfang oder so.” (Int. 05) „Definitiv. Muss man so sehen, weil, ... entweder müssen Sie irgendwann mal auswendig gelernt haben und Sie müssen auf dem aktuellen Stand sein, weil - was weiß ich - nehmen wir jetzt ein Beispiel, was mich jetzt nicht betrifft, aber wenn wir jetzt noch bis heute Abend um 20 Uhr sitzen hier, dann hätten wir schon, wenn ich jetzt Tarifangestellter wäre, das Problem, dass ich meine Arbeitszeit, Kernzeit verletzt hätte, und trotzdem müsste ich ja gucken, dass Sie mit Ihrer Arbeit fertig werden. So, das hätten wir schon. Und da würde ich dann schon definitiv eingeengt werden.” (Int. 13) „Ja, doch. Also, wenn ich das Arbeitsrecht im weiteren Sinne nehme, auf alle Fälle. Machen wir einmal das Thema hier, ich möchte mich von einem Mitarbeiter trennen, dann kann ich das nur mit diesen ganzen Formalien machen.” (Int. 22) „Ja. Wenn wir unternehmerische Entscheidungen treffen, wie zum Beispiel ein Unternehmen völlig umstrukturieren, wie wir es gemacht haben in den letzten 10 Jahren.” (Int. 15) PL: „Zum Beispiel die Befristungen, die Regelungen die es dort gibt, ich empfinde die als unglücklich. Besonders für die Betroffenen, die leider wieder, oft arbeitslos sind. Die Reglementierung, die ist dort nicht hilfreich, das ist ein Beispiel.“ INT: „Meinen sie jetzt die sachgrundlose, oder mit dem Sachgrund?“ PL: „Genau die meine ich, ne. Weil äh, in unserem Bereich ist eine flexible Arbeitsweise gefordert, ich muss meine Kapazitäten ständig den Markterfordernissen anpassen und das ist dort kontraproduktiv.” (Int. 34) „Ja,... Bestes Beispiel: Wenn ich jetzt hingehen würde und sagen würde, ich möchte jetzt nur noch 30 Stunden arbeiten, dann habe ich auf Grund des Gesetzes das Recht dazu, das zu verlangen. Und dann kann der Arbeitgeber natürlich sagen:" Ja, ne, also als Personalleitung kann sie nicht nur 30 Stunden arbeiten." Man muss das aber sehr explizit begründen. Einfach nur zu sagen, ok, mein Beispiel ist jetzt vielleicht ein bisschen schlecht, nehmen wir eine normale Sachbearbeitung als Beispiel. Da haben Sie eigentlich keine Chance, als Arbeitgeber zu sagen: „Ich will das nicht.“ (Int. 33) „Stark beeinflusst, muss ich sagen. Und zwar deswegen, weil das immer nur einseitig ist. Und das ist auch der Grund, warum also wir - aber nicht nur wir alleine - speziell, also möglichst versuchen, durch Überstunden Überkapazität abzubauen, als neue Leute einzustellen. Nach dem deutschen Arbeitsrecht ist es so, wenn die Leute aus der 6monatigen Probezeit heraus sind, dann sind die eigentlich unkündbar, wenn Sie keinen befristeten Arbeitsvertrag gemacht haben. Sie kriegen einen Arbeitnehmer heute kaum noch entlassen.” (Int. 12)
Einige Interviewpartner verwiesen darauf, etwaige eingeschränkte Spielräume innerbetrieblich wieder zu erweitern, indem etwa Zahlungen geleistet werden: 146
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht „Na gut, das ist immer…ich sag mal, Sie können ja alles regeln mit Geld.” (Int. 02) „Sagen wir einmal so: Wenn man viel Geld in die Hand nimmt, kann man alles regeln. So gesehen wären Sie bei uns dadurch etwas eingeschränkt, dass unsere wirtschaftliche Lage nicht alle Möglichkeiten zulässt.” (Int. 28)
Eine Reihe von Interviewpartnern sah die eigenen Handlungsspielräume durch die Existenz arbeitsrechtlicher Regeln zwar beeinflusst, erkannte in dieser Beeinflussung jedoch durchaus auch Vorteile oder akzeptierte diese Beeinflussung: „Naja, beeinflusst, eingeschränkt, das ist aber natürlich, weil, bei Vorgaben die man nun mal zu befolgen hat, ja. Das ist immer eingeschränkt, ja. Ich kann jetzt einfach niemanden sagen ‚morgen äh, schönen Dank, das war es für dich’. Ne, ich muss ihm, ich muss halt die Kündigungsfristen einhalten und das ist auch gut so, ja. Die freie Entscheidung ist eingeschränkt, klar, aber das hat auch Vorteile..“ (Int. 38) „Die Befristung von Arbeitsverhältnissen. Der Gesetzgeber sagt, ‚sachgrundlose Befristungen sind nur zulässig für zwei Jahre’, also bei Neueinstellungen, wenn der Mitarbeiter noch nicht im Unternehmen war, ja. Ähm, es wäre auch schön gewesen, ich könnte den bis an das Lebensende immer befristen, ja. Könnte man sich auch mal überlegen. Ob das nun sinnvoll ist, oder nicht sinnvoll, diese ewige Befristung, das liegt immer ja in jedem selbst, wie er da einschätzt, ja. (...) Es ist ja eine Einschränkung vom Gesetzgeber her, der mir sagt, ich darf nicht länger als zwei Jahre sachgrundlos befristen. Mit Sachgrund ist es immer noch ein zweites Thema. Ähm, auch diese Einschränkung, der kann ich gewisse Sympathie, ja, abgewinnen, ja.” (Int. 38) „Ja, ist schwierig zu (...) also natürlich, jede Regel kann einen im Prinzip stören, weil sie mich natürlich in meiner freien Entfaltung hemmt. Von daher ist jede Reglementierung im Prinzip erst mal eine Störung. Aber sie schafft natürlich auch Klarheit ... Es gibt sicherlich Regelungen, wo ich sagen würde, das ist unglücklich oder das könnte man theoretisch besser regeln.” (Int. 40)
Überraschender Weise sahen wiederum andere Personalleiter ihre Handlungsspielräume durch das Arbeitsrecht gar nicht eingeschränkt, was überwiegend damit begründet wurde, den Umgang mit den Regeln gelernt zu haben: „Ja, also das klappt. Also mit der entsprechenden Rückmeldung, mit der entsprechenden Beratung habe ich jetzt also keinen Fall.“ (Int. 29) „Also, mir fällt im Moment konkret kein Beispiel ein, wo wir uns jetzt beschnitten fühlen würden. Es wäre sicherlich einiges einfacher zu regeln, auch im Sinne der Mitarbeiter einfacher zu regeln, aber ich denke, das habe ich eben schon gesagt, es ist auch so ein bisschen Gewöhnungseffekt, man lebt halt mit dem, was da zu Papier gebracht wurde.” (Int. 03) „Nein.” (Int. 11) „Nicht entscheidend. Also, nein. Nein.” (Int. 14) „Nein, überhaupt nicht. Überhaupt nicht.” (Int. 16)
Folglich scheint das Arbeitsrecht die Handlungsspielräume der Unternehmen in der Tat zunächst einzuschränken, was von etlichen Interviewpartnern mit teils unterschiedlichen Begründungen kritisiert wird. Die Mehrzahl der Unternehmen scheint jedoch, gerade auch unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Bewertungen des Arbeitsrechts, diese Beeinflussung zu akzeptieren und die Regeln schlicht in ihrer Personalleitungspraxis umzusetzen. Diese - angesichts der Aufgaben von Gesetzen im Übrigen geradezu zwangsläufig erfolgende - Beeinflussung von Handlungsspielräumen scheint 147
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
dennoch keineswegs zu einer in der Arbeitsrechtsdiskussion mitunter behaupteten generellen Lähmung der wirtschaftlichen Entwicklung zu führen.21 Vielmehr werden sie durch die Vorschriften zu einer systematischen Vorgehensweise angehalten, was von vielen Personalleitern als sinnvoll erachtet wurde. Diese Aussagen ergänzen sich mit den Angaben vieler Interviewpartner, die die Existenz von Arbeitsrecht sogar als hilfreich erachten (vgl. Abschnitt 2.2.2 dieses Beitrags). So kann durchaus argumentiert werden, dass das Arbeitsrecht die Handlungsspielräume der Unternehmen nicht lediglich einschränkt, sondern diese vielmehr über eine aktive Anwendung ebenso erweitern und strukturieren kann.
2.3
Auffällige Wahrnehmungs- und Intervieweffekte
Die Interviewpassagen zeigen, dass das Arbeitsrecht recht differenziert wahrgenommen wird. Bei der genauen Analyse der Interviewprotokolle fiel neben den inhaltlichen Erkenntnissen ein weiterer Aspekt ins Auge, der einen wichtigen Beitrag sowohl für das Verständnis des betrieblichen Umgangs mit Arbeitsrecht als solchem als auch für die Interpretation der Antworten selbst leistet. So wird bei der Interpretation von Befragungen häufig - gezwungenermaßen - davon ausgegangen, dass die von den Befragten etwa in einem Fragebogen angekreuzten Antworten den von ihnen beabsichtigten Inhalt korrekt wiedergeben. Folglich ist dabei eine Identifikation missverstandener Fragen und Antworten nur selten möglich. Auch bleiben mögliche Interpretationsspielräume innerhalb den Antworten im Rahmen standardisierter Erhebungsverfahren häufig unerkannt. Der Vorteil, dass unsere Interviewpartner aufgrund der von uns gewählten qualitativen Vorgehensweise umfassende Begründungen für ihre Bewertungen angeben konnten, ermöglicht bei der Analyse der Antworten, die Besonderheiten von ihnen vorgenommener Argumentationen und Bewertungen nachzuvollziehen und Antworten gegebenenfalls zu hinterfragen. Nachfolgend sollen nun wesentliche Auffälligkeiten sowohl bei der betrieblichen Wahrnehmung von Arbeitsrecht als auch dem Antwortverhalten der Interviewpartner dargestellt werde. Diese können einen genaueren Aufschluss geben über das Zustandekommen von Bewertungen und Meinungen gegenüber dem Arbeitsrecht. So wurde bei den Interviews auffallend oft deutlich, dass die Befragten etwa Probleme mit dem Arbeitsrecht eher Unternehmen einer jeweils anderen Branche oder Unternehmensgröße unterstellen, während sie für das eigene Unternehmen angeben, im 21
Dieses Ergebnis wird auch von den quantitativen Analysen der Telefonbefragung weitgehend bestätigt, vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Schramm/Schlese in Kapitel 2.9 dieses Bandes. 148
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angesprochenen konkreten Punkt keine Probleme zu haben. Dieser Effekt lässt sich am ehesten mit dem sozialpsychologischen Phänomen des Sub-Classing erklären (vgl. hierzu Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3). Dabei scheinen bestimmte Stereotype in der Wahrnehmung der Personalleiter zu wirken, ohne dass die eigene Situation einen Einfluss auf deren globale Überzeugungen zu hat. Dabei wird die eigene Situation als atypisch erlebt und als Ausnahme in ein eigenes bestehendes Schema integriert (vgl. etwa Zimbardo/Gerrig 2004: 771f.; Robbins 2001: 163). Denkbar ist auch, dass sich die von den Personalleitern in der öffentlichen Diskussion wahrgenommenen Problemschilderungen nicht mit den eigenen Erfahrungen decken und im Vertrauen auf die Richtigkeit der den Medien entnommenen Informationen von den Akteuren unterstellt wird, dass dann jeweils gänzlich andere Unternehmen von entsprechenden Problemen betroffen sein müssen. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, das einzelne Aussagen in gewissem Umfang unter dem Einfluss vermuteter sozialer Erwünschtheit gemacht wurden, wenngleich die Interviewpartner insgesamt überwiegend sehr offen geantwortet haben. Nachfolgend einige beispielhafte Interviewpassagen: INT: „Glauben Sie, dass die Arbeitsplatzsicherheit noch haltbar ist zu den wirtschaftlichen Zeiten, die im Moment gegeben sind?“ PL: „Also, bei uns erfreulicher Weise schon. Allgemein gesehen ist das sicherlich schwieriger. Wobei ja vielfach in den Medien eher auch diese großen Betriebe dann durch die Presse gehen. Aktiengesellschaften, die dann halt Tausende von Arbeitsplätzen abbauen, aus welchem Grund auch immer und ob es nun gerechtfertigt ist oder nicht. Aber ich glaube wahrzunehmen, und da kenne ich auch viele Kollegen und viele Betriebe im Mittelstand, dass gerade der Mittelstand doch eher darauf bedacht ist, auch zu versuchen, die Arbeitsplätze für die Mitarbeiter zu sichern und zu halten. Dass Aktiengesellschaften da möglicher Weise anderen Dingen Rechnung tragen müssen, mag so sein, ja.“ (Int. 03) „... ich denke mal, wo es echt zu Ungerechtigkeiten kommen kann, ist im Bereich so vom Kündigungsrecht. Dass, vielleicht nicht bei uns im Unternehmen, aber dass viele Unternehmen dann doch zurückschrecken.“ (Int. 05) INT: „Und das Vorherige, also die Abfindungsgeschichte. Können Sie sich da vorstellen, dass Leute dann mehr einstellen, wenn sie diese Möglichkeit haben?“ PL: „Ich glaube, ja. Wir nicht, bei uns das grundsätzlich ... wir treffen die Entscheidungen halt anders, wir treffen sie eher sozial als nach Euro. Aber ich kann mir in vielen Firmen das schon vorstellen, weil wir auch die Mentalitäten von vielen anderen kennen. Und die Mentalität der anderen ist doch eher ZDF, also, Zahlen, Daten, Fakten, als emotional. Wir treffen die Entscheidung eher aus dem Emotionalen heraus. Und dann ist es egal, was das in Euro kostet.“ (INT 09) „Dieses Hopp und Top, mal rein, mal raus, das bringt aus meiner Sicht überhaupt nichts, zumindest in unserer Branche nichts, weil es ja eine Beziehung zwischen dem Kunden und dem Unternehmen geben muss. Das mag natürlich bei einem produzierenden Gewerbe ganz anders sein. Da kann es vielleicht gleichgültig sein, ob der eine oder der andere da am Fließband steht oder so was.” (Int. 14) INT: „Halten Sie das für möglich, dass man durch Änderungen zum Beispiel des Kündigungsschutzes die Arbeitslosigkeit abbauen kann?“ PL: „Das ist immer schwierig zu beurteilen, weil wir eben mit dieser Seite eigentlich sehr wenig zu tun haben. Ob es sich jetzt wirklich auswirkt, weil wir eigentlich vom Flair her irgendwie ein bisschen was anderes beinhalten. Also, wenn ich jetzt in einer großen Firma sehe, wenn ich das vergleiche im 149
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht Freundeskreis, Siemens, BMW oder so was, da ist mit Sicherheit sehr interessant, dass man sich damit beschäftigt und dass da ... Wobei ich jetzt aber nicht sagen kann, ist das jetzt positiv oder negativ jetzt für den Arbeitnehmer.” (Int. 30) „Arbeitsmarkt hemmend grundsätzlich, einstellungshemmend, ja. Zumindest in den, ich sag mal kleineren Betrieben mit Sicherheit, obwohl das da ja in zwischen nicht mehr so stark zum Tragen kommt. Aber viele kleinere Betriebe, vielleicht auch Mittelständer, weiß ich nicht, haben trotzdem dann irgendwie eine Scheu, weil sie die Konfrontation oder Auseinandersetzung vielleicht fürchten, bis hin zum Arbeitsgericht. Für mich persönlich und auch hier fürs Unternehmen hat das keine große Auswirkung. Wir gehen damit um.” (Int. 03)
Natürlich können derartige vorgenommene Einschätzungen die Problemlagen von Unternehmen jeweils anderer Branchen oder Betriebsgrößen durchaus realistisch abbilden. In der Gesamtschau der Ergebnisse stellt sich dennoch die Frage, warum der Verweis auf Probleme im Umgang mit dem Arbeitsrecht mit einer solchen Regelmäßigkeit derart deutlich gegenüber jeweils strukturell grundsätzlich anderen Unternehmen vorgenommen wird. Gerade die Häufigkeit, mit der jeweils anderen Unternehmen bestimmte Probleme mit dem Arbeitsrecht unterstellt werden, lässt vermuten, dass die Problemwahrnehmung im Arbeitsrecht in nicht unerheblichem Maße unter dem Einfluss anekdotischer Evidenz zustande kommt (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3). Der Begriff der anekdotischen Evidenz ist spätestens seit den REGAM-Studien zu einem Thema der arbeitsrechtspolitischen Diskussion geworden (vgl. etwa Pfarr et al. 2004: 193f.) Der Begriff der anekdotischen Evidenz bezeichnet in der empirischen Sozialforschung eine auch in der Arbeitsrechtsdiskussion oftmals verbreitete Art der Beweisführung, deren empirisches Fundament auf Einzelfällen aufbaut. Von diesen Einzelfällen wiederum wird dann überwiegend fälschlicher Weise pauschal auf eine regelmäßige Verbreitung geschlossen. So scheinen beispielsweise über die Medien verbreitete, insbesondere exotische Meldungen einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Zustandekommen wahrgenommenen Arbeitsrechts zu haben, die dann quasi als „Paradebeispiele” Dritter eigene Überzeugungen prägen können. Für die betrieblichen Akteure können solche Beispiele dann insbesondere vor dem Hintergrund begrenzter Informationen ebenso wie aus gutem Glauben oder Vereinfachungsstreben eine Orientierung bieten. In gewisser Weise helfen diese Alltagsbeobachtung den Akteuren nachzuvollziehen, wie sich arbeitsrechtliche Problemlagen darstellen könnten, ohne dass dies in der Mehrzahl der Fälle so verhält oder im eigenen Unternehmen so verhalten müsste. Auch kann angenommen werden, dass gerade diejenigen Betriebe, in denen es Probleme gibt, stärker in Erscheinung treten und damit deutlicher wahrgenommen werden, als eine mögliche Mehrheit, in denen dies nicht der Fall ist. Insgesamt jedoch scheinen entsprechende Anekdoten und Meldungen in erster Linie die Diskussion der beteiligten, nicht unbe150
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
dingt jedoch das tatsächliche Verhalten der Akteure zu beeinflussen. Nachfolgend auch hier einige Beispiele für Argumentationen auf Grundlage anekdotischer Evidenz: „Das ... vielleicht nicht bei uns im Unternehmen, aber dass viele Unternehmen dann doch zurückschrecken. Ich weiß, mein Schwager, der ist in einem mehr gewerblichen Unternehmen, da ist das durchaus ein Kriterium.“ (Int. 05) „Wenn ich mir nur unser Nachbarland Niederlande angucke, wir wohnen also von uns aus mit dem Auto knapp 30 Minuten entfernt, in Holland gibt es noch nicht mal ein ASU. Da lachen die Holländer darüber, sagen: „ASU, wofür braucht ihr einen ASU?“ Wir brauchen den ASU, wir müssen alle zwei Jahre hin und müssen dann da unsere 40 Euro bezahlen, und dann kriegen wir den Kassenbon und dann dürfen wir wieder zwei Jahre fahren. Das finde ich also ein Witz, aber so ist das.” (Int. 12) „Und da glaube ich schon, dass das Arbeitsrecht noch sehr viele Ansatzpunkte hat, was man ändern kann, um Unternehmen - und damit meine ich in dem Fall wirklich nicht unsers, weil uns motiviert das nicht - aber ich glaube schon, dass es eine Vielzahl von Unternehmen gibt, die sich durch das derzeitige Arbeitsrecht gehindert fühlen, neue Stellen zu schaffen.“ (Int. 40)
Darüber hinaus scheinen sich vereinzelte Personalleiter einer Art Generalverdacht ausgesetzt zu sehen, der zu einer gewissen Reaktanz, zumindest jedoch zu einer argumentativen Abwehr zu führen scheint (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3). Diese Abwehr richtet sich dabei weniger gegen die konkreten Inhalte einer arbeitsrechtlichen Regelung, als vielmehr gegen den Umstand, dass eine äußere Instanz Einfluss ausübt. Hier scheinen die Interviewpartner Autonomieverluste zu befürchten. „Und wir würden es eben - wie gesagt - wir selbst hätten ein schlechtes Gewissen, wenn wir es nicht schaffen würden. Von daher ist Arbeitsplatzsicherheit ... Die Frage ist: Muss es immer im Gesetz stehen, oder sollte man nicht durch irgendwelche Sachen auch Arbeitgeber dazu motivieren, dass die selbst dafür Sorge tragen, dass sie sagen: ‚Ich will meine Leute halten? Das ist wichtig für mich. Anreize schaffen’?“ (Int. 40) „So, wenn Sie jetzt ankommen und das Gesetz durchsetzen müssen oder wollen aus irgendwelchen Gründen, dann sagen wir: ‚Aber warum denn? Hier sitzen 33 Leute, die wollen es doch gar nicht. Was soll das denn? Warum bestraft ihr uns?’ Und damit eine Bürokratie einführen, die keiner hier will. Das ist es, was mich ärgern würde. Sofern man uns damit die Flexibilität erhalten würde, ist das in Ordnung. Und übrigens mein Chef, der ExGesellschafter, hat deshalb gekündigt oder hat deshalb verkauft, weil wir diese Gesetze in Deutschland machen. Nicht nur Arbeitsrecht, auch andere. Er sagt: ‚Habe ich keine Lust mehr zu.’“ (Int. 09)
Weiterhin wird bei der Analyse des Interviewmaterials in unterschiedlichen Zusammenhängen eine Differenziertheit sowie teils logische Widersprüchlichkeit von Einzelaussagen deutlich. So scheint etwa die Bewertung arbeitsrechtlicher Vorschriften und deren Akzeptanz zum Teil im Widerspruch zu einander stehen. Exemplarisch hierzu folgende Aussagen, die von den jeweiligen Personalleitern an jeweils unterschiedlicher Stelle der Interviews gemacht worden sind: Arbeitsrecht... - „ist unflexibel“ + „ist komplex“ + „ist von Vorteil“ (Int. 05) - „ist gerecht“ + „beeinflusst Spielräume“ + „ist bürokratisch“ (Int. 12)
151
2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
Denkbar ist, dass hierbei unterschiedliche Bezugsebenen der Wahrnehmung wirksam werden, indem die Personalleiter bei ihren Aussagen bewusst oder unbewusst zwischen Arbeitsrecht als Gesamtes, den Aufgaben eines Einzelgesetzes, dem jeweiligen Verständnis über deren Realisierung sowie den Folgen für das eigene Unternehmen unterscheiden. Dabei scheinen sich die jeweiligen Wertbeimessungen an individuellen betrieblichen Problemlagen und Erfahrungen zu orientieren. Zudem erscheinen einige Interviewaussagen und Argumentationen auf den ersten Blick widersprüchlich, wie etwa die Aussagen des folgenden Interviewpartners, in denen das Arbeitsrecht zwar als bürokratisch und überreguliert dargestellt wird, dies seinen Aussagen zufolge jedoch nicht zu betrieblichen Problemen führt: INT: „Gibt es arbeitsrechtliche Regelungen, die aus Ihrer Sicht den Alltag bei Ihnen stören?“ PL: „Den Alltag? Nein, den Alltag stören die nicht.“ INT: „Also ihre Personalarbeit dann?“ PL: „Das mag auch daran liegen, dass ich mich daran gewöhnt habe.“ INT: „Kommt Ihnen vielleicht irgendetwas besonders bürokratisch vor, oder wo Sie sagen: ‚Oh, das tut jetzt wirklich nicht Not?’?“ PL: „Ja, da können Sie im Grunde genommen das ganze Arbeitsrecht nehmen, das ist grundsätzlich zu bürokratisch und überreguliert ist.“ INT: Können Sie da ein Beispiel vielleicht nennen?“ PL: „Wenn Sie einfach schauen, welche oder wie viele Gesetze es gibt, die das Arbeitsrecht betreffen, angefangen bei der Arbeitsstättenverordnung oder Gewerbeordnung und Handwerksordnung, Arbeitstättenverordnung, Arbeitsstättenrichtlinien, Gesundheitsschutz, das kann man in der tägliche Personalpraxis überhaupt nicht alles beachten.“ INT: „Werden bei Ihnen auch konkret in der Arbeit Handlungsspielräume arg eingegrenzt?“ PL: „Also, mir fällt im Moment konkret kein Beispiel ein, wo wir uns jetzt beschnitten fühlen würden.“ (Int. 03)
3
Fazit
Die hier dargestellten empirischen Daten belegen, dass das Arbeitsrecht unter betrieblichen Praktikern ein wesentlich besseres Ansehen genießt, als von der öffentlichen Diskussion regelmäßig vermittelt wird. Die betrieblichen Praktiker sind gegenüber dem Arbeitsrecht überwiegend positiv eingestellt, das Arbeitsrecht wird akzeptiert, das Vorhandensein von Regeln begrüßt sowie für notwendig erachtet. Zudem scheinen die Praktiker mit den Vorschriften weitgehend zu Recht zu kommen. Zudem erfüllt das Arbeitsrecht nach Einschätzung der Personalleiter sowohl wichtige betriebswirtschaftliche als auch soziale Funktionen im Unternehmen. Sowohl die Arbeitsplatzsicherheit als auch der Kündigungsschutz ist den Praktikern wichtig. Insgesamt scheint das Arbeitsrecht die Betriebe weit mehr zu unterstützen als zu stören. Gleichwohl werden aus den Interviews einige Kritikpunkte am Arbeitsrecht deutlich: So wird vor allem die zunehmende Komplexität des Arbeitsrechts als Problem angesprochen. Hieraus scheint für die Betriebe häufig eine Verunsicherung zu entstehen, die zudem gerade durch die häufigen Änderungen von Vorschriften weiter verstärkt wird. Eine teilweise diskutierte innerliche Verabschiedung der Betriebe vom Arbeitsrecht
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht
kann auf Grundlage der hier untersuchten Aussagen jedoch empirisch nicht bestätigt werden. Darüber hinaus zeichnen sich gewisse Kritikpunkte an der Arbeitsgerichtsbarkeit ab, die jedoch nicht unbedingt eigenen Erfahrungen der Personalleiter entspringen müssen, sondern häufig auf Hörensagen zu basieren scheinen. Als ein weiteres interessantes Ergebnis bleiben verschiedene Wahrnehmungseffekte gegenüber dem Arbeitsrecht festzuhalten, die zeigen, dass das Arbeitsrecht von den Betrieben weder schematisch wahrgenommen noch umgesetzt wird. Vielmehr gestaltet sich diese Umsetzung komplex und teilweise widersprüchlich. Zudem scheinen die Praktiker bei ihren Wahrnehmung und Bewertung von Arbeitsrecht gezielt zwischen verschiedenen Bezugsebenen wie etwa Arbeitsrecht insgesamt, einzelnen Vorschriften und deren jeweiligen innerbetrieblichen oder gesellschaftlichen Auswirkungen zu unterscheiden. Dies legt nahe, dass bei der Interpretation von Bewertungen und Aussagen diese im Zusammenhang zueinander bewertet werden sollten. Insgesamt vermitteln die Aussagen unserer Interviewpartner den Eindruck, dass häufig nicht unbedingt arbeitsrechtliche Vorschriften selbst, sondern vielmehr die über Jahre anhaltende und vom Schlechtreden der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen geprägte öffentliche Diskussion jenseits empirischer Erkenntnisse negative Einflüsse auf den Arbeitsmarkt zu entfalten scheint.
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153
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2.1 Einstellungen von Personalleitern gegenüber dem Arbeitsrecht Staehle, W. H. (1999): Management. Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. Vahlen. Stein, P. (2006): Abschied vom Arbeitsrecht?. In: WSI-Mitteilungen. Heft 2/2006. S. 110ff.
155
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Kapitel 2.2: Die Rolle des Kündigungsschutzes: Ergebnisse der qualitativen Analyse Michael Schlese/Florian Schramm unter Mitarbeit von Ralph Kattenbach und Aleksandra Worobiej
1
Einleitung
Der Kündigungsschutz und das Kündigungsschutzgesetz werden, wie wir schon an anderer Stelle gesehen haben, kontrovers diskutiert (siehe Zachert, Kapitel 1.2, sowie Worobiej, Kapitel 2.3 dieses Bandes). Diese Diskussion wird von verschiedensten Akteuren geführt. So findet eine Diskussion in den Medien statt. Darüber hinaus sind zahlreiche wissenschaftlich orientierte Beiträge – meist wirtschaftswissenschaftliche oder juristische – in diesem Kontext entstanden. Bei dieser Vielzahl von Quellen, Methoden, Perspektiven und auch Interessen verwundert es nicht, dass nahezu alle Thesen zur wirtschaftlichen Bedeutung des Kündigungsschutzes existieren und auch auf Belege zurückreifen können. Die Hauptlinien der arbeitsrechtlichen Diskussion zur Wirkung des Kündigungsschutzes lassen sich durch drei Aussagen charakterisieren: 1. Der Kündigungsschutz ist materiell zu weitgehend. Zum einen wird behauptet, das Arbeitsrecht sei insgesamt zu starr. An vorderer Stelle für Fehlsteuerungen stehe der (materiell) überzogene Kündigungsschutz. Seine Rigiditäten würden nicht nur die Arbeitskosten in die Höhe treiben, sondern auch die notwendigen Anpassungen im Strukturwandel behindern (vgl. Möschel 2006: 113). 2. Der Kündigungsschutz ist überreguliert. Zum zweiten wird vorgetragen, dass die negative Situation des Arbeitsmarktes auf Überregulierungen zurückzuführen sei, die zu einer zu hohen Regelungsdichte führten. Zu den Ansatzpunkten für eine Modernisierung des Arbeitsrechts, die eine Vereinfachung und Beschleunigung der Abläufe verbessern könnte, gehöre das Kündigungsschutzrecht (z.B. Löwisch 2005a, 2005b: I.; Bauer 2005: 1046ff.; angelehnt an die Begründung zum Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Arbeitsrechts 2003: 1; dagegen z.B. Huber 2005: 1340ff.). 3. Die Potenzierung obiger Probleme durch das so genannte Richterrecht. Dazu komme drittens, dass nicht nur die Regeln selbst Rechtsunsicherheit ausstrahlten (Bauer 2005, a.a.O.). Vielmehr habe die (höchstrichterliche) Recht156
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
sprechung die gesetzlichen Generalklauseln, „die soziale Rechtfertigung“ nach § 1 KSchG, im Wege einer unbegrenzten Auslegung zu Lasten der Arbeitgeberseite grundlegend umgedeutet. Hierzu trage bei, dass die Kündigung nach der Rechtsprechung lediglich als „ultima ratio“ in Betracht komme und eine „Prognose“ über die zukünftige Entwicklung verlangt werde. Das alles führe dazu, dass kleinere und mittlere Unternehmen davon abgeschreckt würden, Neueinstellungen vorzunehmen. Vorweg sei bemerkt, dass sich die genannten Kritikpunkte teilweise auch in den Aussagen unserer Experten wieder finden: 24% der Befragten wünschen sich eine Lockerung des Kündigungsschutzes. 10% wünschen sich eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts und 27% ein präzises, transparentes Arbeitsrecht (siehe hierzu genauer: Worobiej, Kapitel 2.3, Abschnitt 2). Die Wahrnehmung von Arbeitsrecht und das Verhalten von Personalverantwortlichen wird – wie wir an anderer Stelle sahen – in der rechtswissenschaftlichen Diskussion durch zwei konfligierende Thesen charakterisiert (zu dieser Diskussion vgl. Zachert, Kapitel 1.2, Abschnitt 4 und 5) 1. Tendenziell bestehen falsche oder unvollständige Kenntnisse wegen der Undurchschaubarkeit des Arbeitsrechts sowie eine Legendenbildung in der persönlichen Wahrnehmung arbeitsrechtlicher Regelungen. Die Konsequenz ist eine Flucht aus dem Arbeitsrecht, welche das tatsächliche Verhalten der Akteure bestimmt. 2. Tendenziell bestehen richtige Kenntnisse sowie eine professionelle Sichtweise (Wahrnehmung) des Arbeitsrechts. Die Konsequenz ist eine loyale Umsetzung von Arbeitsrecht, wenn auch gegebenenfalls nicht immer am Buchstaben des Gesetzes orientiert, im tatsächlichen Verhalten der Akteure. Natürlich sind in der Beziehung zwischen Wahrnehmung und Verhalten auch andere Kombinationen denkbar. So können die Kenntnisse des Arbeitsrechts unvollständig und fehlerhaft sein, das Verhalten kann sich aber auf einen fairen Umgang mit den Arbeitsnehmern konzentrieren. Andererseits kann eine gute Kenntnis des Arbeitsrechts vorliegen, die jedoch einen instrumentellen Umgang mit dem Arbeitsrecht entgegen den Interessen der Arbeitnehmer (zumindest in den Grenzen der Gesetze) nicht ausschließt. Wie auch immer: in der Diskussion werden Unkenntnis mit der Flucht aus dem Arbeitsrecht und Kenntnis mit dem professionellen Umgang mit dem Arbeitsrecht assoziiert. Wie wir sehen werden, bestehen tatsächlich falsche oder unvollständige Kenntnisse sowie eine Legendenbildung in der persönlichen Wahrnehmung arbeitsrechtlicher 157
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Regelungen. Dies führt aber nicht zur Flucht aus dem Arbeitsrecht. Wir finden eine Umsetzung von Arbeitsrecht, wenn auch nicht immer am Buchstaben des Gesetzes orientiert, im tatsächlichen Verhalten der Akteure, welche von den Leitbildern und Gerechtigkeitsvorstellungen der Akteure getragen ist und sich an den Möglichkeiten der Organisation orientiert, in der sie handeln. Die Rezeption der Empirie in der arbeitsrechtlichen Diskussion ist ungenügend, so man die Perspektive der Personalverantwortlichen berücksichtigen möchte. Der Schwerpunkt der Kritik ist die angebliche Undurchschaubarkeit und Rigidität des Kündigungsschutzes, potenziert durch das Richterrecht. Abgestellt wird dabei (primär) auf Gefühle und Ängste von Arbeitgebern. Eine besondere Bedeutung gewinnen die Fragen nach der Wirkung des Kündigungsschutzes und nach den Rahmenbedingungen für einen fairen Umgang im Betrieb. Hierbei unterscheidet man im Allgemeinen drei mutmaßliche Wirkungen des Kündigungsschutzes: 1. Die präventive Wirkung, welche zu dauerhafter Beschäftigungssicherung, aber auch zum Unterlassen bzw. Verzögern von Kündigungen führt. 2. Die innerbetriebliche Wirkung. Hier kommen sowohl Disziplinierung der Beschäftigten durch fehlenden Kündigungsschutz als auch Arbeitsplatzsicherheit als Motivator infrage. 3. Die prohibitive Wirkung, welche das Unterlassen, Verzögern von Neueinstellungen ebenso zur Folge haben kann wie Ausweichstrategien in Form von Befristungen, Arbeitnehmerüberlassung (Leih-, Zeitarbeit), Auslagern von Aufgaben (Outsourcing) oder auch Reduzierung von Marktaktivitäten bei Auslastung des Personals (das man nicht aufstocken will). Wir untersuchen die präventiven, innerbetrieblichen und prohibitiven Wirkungen des Kündigungsschutzes aus der Sicht der Personalverantwortlichen. Zuvor aber besprechen wir die allgemeine Wahrnehmung des Kündigungsschutzes.
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Zu Theorie und Methode
Die meisten Untersuchungen aus dem Bereich der Arbeitsmarktforschung konzentrieren sich auf die Anwendung quantitativer Methoden und stellen Erkenntnisse über Ergebnisse betrieblichen Handelns zur Verfügung. Um jedoch eine Analyse des betrieblichen Umgangs mit arbeitsrechtlicher Regulierung vornehmen zu können, sind Aussagen über die dem Handeln zugrunde liegenden Motivationen, Überlegungen und Einstellungen von Bedeutung, die mit Hilfe qualitativer Methoden zu analysieren sind. 158
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Um die spezifischen Wirkungen von Arbeitsrecht und seinen Änderungen in den Betrieben untersuchen zu können, greift das Projekt AribA auf das Instrument leitfadengestützter Experteninterviews zurück. Die qualitativen Interviews (Experteninterviews) haben für uns unterschiedliche Funktion: -
Explorative Funktion: Sie helfen, Hypothesen und Fragen für die quantitative Untersuchung (Telefonbefragung, ÖWAR) zu generieren.
-
Illustrative Funktion: Sie ermögliche es, quantitative empirische oder theoretische Aussagen zu illustrieren.
-
Deskriptive Funktion: Durch eine inhaltliche und quantitative Auswertung der Aussagen in den Interviews kann die empirische Verbreitung bestimmter Meinungen, Einstellungen etc. festgestellt werden.
-
Analytische Funktion: Einzelne Interviews können in ihrem Inhalt und Verlauf so analysiert werden, dass Aussagen über die Verhaltensdispositionen der Probanden, also über das psychische System möglich sind.
In diesem Kapitel kann nur ein Teil der Möglichkeiten der Befragungsmethode ausgeschöpft werden. Wir konzentrieren uns auf die deskriptive Funktion der Interviews. Die Beziehung zwischen den Entscheidungsträgern, den betriebs- und volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem organisatorischen Verhalten sind recht vielschichtig. Auf der gesellschaftlichen bzw. Funktionssystem-Ebene (vgl. hierzu Schramm et al., Kapitel 1.1) finden wir die Diskussion in den Massenmedien, den rechtswissenschaftlichen Diskurs und natürlich die allgemeinen Funktionserfordernisse und die Leitbilder des Wirtschaftssystems. Wie wir sehen werden, nehmen die Experten explizit darauf Bezug, wenn sie über das Arbeitsrecht im Allgemeinen oder den Kündigungsschutz im Besonderen reden. Auf der Ebene der Personen (des psychischen Systems der Experten) finden wir deren tatsächliche, betriebliche Erfahrung mit dem Arbeitsrecht ebenso wie „geborgte“ Erfahrung oder solche vom Hörensagen, sowie das konkrete Wissen über Sachverhaltes des Arbeitsrechts, aber auch (nicht unbedingt davon bestimmt) Meinungen über das Arbeitsrecht (bzw. Einstellungen zum Arbeitsrecht). Hierzu gehören Überzeugungen, welche die Probanden gelegentlich der Diskussion über das Arbeitsrecht vortragen. Hinzu kommt das, was wir „Subtyping“ nennen: es werden zwar Probleme (z.B. beim Arbeitsrecht) gesehen, diese werden aber auf andere Betriebe projiziert, da sie im eigenen Erfahrungskreis gerade keine Rolle spielen (siehe Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3, sowie Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.3). 159
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Diese psychischen Konstrukte (Erfahrungen, Wissen, Meinungen, Überzeugungen) sind zu trennen von dem tatsächlichen, individuellen Verhalten der Entscheidungsträger, welches sich an dem Verhalten und an den Verhaltenserwartungen anderer ebenso orientiert, wie an den organisatorischen Ressourcen. Wir haben mit unseren Interviews allein keine Möglichkeit, dass tatsächliche Verhalten der Akteure von ihren geäußerten Meinungen zu trennen. Aber wir können das organisatorische Verhalten als das Produkt der individuellen Verhaltenweisen aus der Perspektive der Probanden zur Kenntnis nehmen. Dieses stellt zugleich einen Rahmen für das individuelle Verhalten dar. Wir untersuchen die geschilderten Verhaltensweisen und Meinungen der Akteure (in ihrem organisatorischen Rahmen und im Lichte gesellschaftlicher Leitbilder und der veröffentlichten Meinung) im Interaktionssystem „Interview“, welches selbst einen Einfluss auf die Resultate hat. Insbesondere bei den Experteninterviews ist die Eigendynamik des Befragungsgeschehens nicht zu unterschätzen. Im Großen und Ganzen gehen wir aber davon aus, dass die Befragten sagen was sie meinen bzw. was sich im Betrieb tatsächlich ereignet, und dass ihre Einstellungen auch eine Wirkung auf ihr individuelles Verhalten hat, welches – aufgrund ihrer Stellung als „institutionelle Akteure“ – einen prägenden Einfluss auf das organisatorische Verhalten hat. Wäre dem nämlich nicht so, so müssten wir das organisatorische, betriebliche Verhalten separat beobachten oder wären an die Funktionserfordernisse des Wirtschaftssystems verwiesen – und damit nicht besser dran als die makroökonomische Diskussion zur Rolle des Rechts. Im Gegensatz zur makroökonomischen (volkswirtschaftlichen) Diskussion des Arbeitsrechts bzw. Kündigungsschutzes, die auf das aggregierte betriebliche Verhalten abhebt, nimmt der rechtswissenschaftliche Diskurs die Erfahrungen und Meinungen der Akteure stärker in den Blick. Mit dem Begriffspaar Gefühltes Recht vs. Gelebtes Recht wird der Tatsache Rechnung getragen, dass wir zum einen die Erfahrungen und Meinungen der Akteure, welche durch die Wahrnehmung des Rechtssystems bestimmt werden (gefühltes Recht), zu berücksichtigen haben und zum anderen das tatsächliche betriebliche Verhalten, das in Art und Umfang die praktische Rezeption des Arbeitsrechts darstellt (gelebtes Recht). Wie wir noch herausarbeiten werden, bestimmt die betriebliche Praxis nur bedingt die Meinungen und Einstellungen der Akteure. Stattdessen greifen sie in den Interviews zu grundsätzlichen Erwägungen, stilisieren vereinzelte Erfahrungen oder „borgen“ sich die Erfahrungen anderer. Zudem werden bestimmte Meinungen so abgefasst, dass die Probleme bei anderen aber nicht in der eigenen Organisation gesehen werden (Subtyping). Das gelebte Recht bestimmt nicht unvermittelt das gefühlte Recht, so wie dieses 160
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
nicht einfach in die betriebliche Praxis umgesetzt wird, da die Akteure in einem organisatorischen Rahmen handeln. Eine gewisse Wirksamkeit kann man aber unterstellen, wenn bspw. die Meinung, man könne niemanden entlassen, nicht völlig unbedeutend ist für das Entlassungs- oder Einstellungsverhalten. Für Letzteres zumindest lässt sich eine durchgehende Bedeutung des Kündigungsschutzes nicht nachweisen, wie wir weiter unten zeigen werden.
3
Die Wahrnehmung des Arbeitsrechts
Die Befragten fühlen sich alles in allem über das Arbeitsrecht gut informiert. Die folgende Tabelle 4 zeigt die Selbsteinschätzung des Kenntnisstandes in den Experteninterviews im Überblick (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6, Abschnitt 3.1): Tabelle 4: Arbeitsrechtliche Kenntnisse der Interviewpartner (Selbsteinschätzung) Kenntnisse des Arbeitsrechts
Anzahl
Anteil
sehr gut
12
29%
(ziemlich) gut, ausreichend, ordentlich
11
27%
mittelmäßig, oberflächlich, ausreichend für das Tagesgeschäft
10
24%
eher schlecht
6
15%
(ganz) schlecht
2
5%
41
100%
Quelle: Eigene Darstellung
Die Hälfte der Befragten kennt sich nach eigenen Aussagen (oder vereinzelt auch nach dem Eindruck der Interviewer) gut bis sehr gut mit dem Arbeitsrecht aus, 80% sind zusammen mit den ersten beiden Gruppen immerhin ausreichend informiert. Das bedeutet aber nicht, dass die Kenntnisse auch immer zutreffend sind. Auch in der Telefonbefragung können wir ein hohes Maß an selbst zugeschriebener Informiertheit erkennen (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Wie wir noch sehen werden, tauchen in den Interviews Legenden und begriffliche Verwirrungen auf. Trotzdem kommen die Entscheidungsträger im Großen und Ganzen mit dem Rechtsrahmen zurecht. Sobald nach Problemen im Arbeitsrecht (Nachteile, Wünsche) gefragt wird, spielt der Kündigungsschutz eine zentrale Rolle. Das wollen wir im Folgenden näher beleuchten. Die Vor- und Nachteile des Arbeitsrechts wurden direkt abgefragt und unterschiedlich gewertet. Wir geben hier einen beispielhaften Überblick, nach Problembereichen geordnet. Beginnen wir mit den Vorteilen:
161
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Das Arbeitsrecht gibt dem Arbeitgeber bestimmte Weisungsbefugnisse. „Vorteil des Arbeitsrecht ist: Man weiß woran man ist. Es gibt kein Wenn und Aber, steht da drinnen im Arbeitsrecht und jeder kann sich danach richten. Und es hat auch Vorteile, wenn man sagen kann, zum Arbeitnehmer zum Beispiel, was Urlaub betrifft, ich kann dir den Urlaub vorschreiben, ich hab zwar nicht viele Rechte als Arbeitgeber, aber ich kann dir sagen, dann und dann machen wir Urlaub, Betriebsurlaub zum Beispiel.“ (Int. 02)
Das Arbeitsrecht trägt dazu bei, dass die Arbeitsbedingungen sicher sind. „...wir haben relativ sichere Arbeitsbedingungen hier in Deutschland oder so was, das ist sicherlich auch aus diesem Recht dann entstanden.“ (Int. 05)
Das Arbeitsrecht schafft einen Rechtsrahmen, der im Großen und Ganzen akzeptabel ist. „Wenn das aber die Leute gut leben, dann, kann man mit dem Werk, wie es aktuell ist, kann man gut und fair miteinander umgehen...“ (Int. 40) „Ja, die Vorteile sind, ich denke, es muss Arbeitsrecht geben. Es muss es vielleicht nur nicht so geben, wie wir es in Deutschland haben.“ (Int. 15) „... man schon einen gewissen Schutz auch benötigt, was ich gar nicht ... gar nicht so schlecht empfinde.“ (Int. 19)
Das Arbeitsrecht ergänzt die betriebswirtschaftliche Perspektive. „Wenn man nur das alles immer wirtschaftlich betrachtet und so, dann hat man irgendwann ... sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und hat das Brett vorm Kopf. Und dann ist vielleicht auch gar nicht schlecht, wenn auch mal ein Betriebsrat oder auch ein Mitarbeiter einem auf die Schulter klopft und sagt: ‚Moment mal, da gibt es aber eine arbeitsrechtliche Regelung, so richtig zulässig ist das gar nicht, was ihr da macht.’“ (Int. 40)
Das Arbeitsrecht schafft Berechenbarkeit der Arbeitsbeziehungen. „Also ich kann meine Belegschaft kalkulieren. Ich weiß, wie lange ich sie habe... und unter welchen Bedingungen ich sie nicht habe. Ich weiß, was ich ... was ich zu machen habe, wenn Strukturhänderungen sind. Also, das sind ... das ist schon gut, dass es geregelt ist, finde ich. Halt problematisch ist, wenn ... wenn ständig wieder Änderungen diskutiert werden.“ (Int. 41)
Anderseits wurden auch Nachteile des Arbeitsrechts genannt: Es berücksichtigt zu wenig die betrieblichen Belange, insbesondere die Betriebsgröße, es ist zu schwerfällig. „Der größte Nachteil ist, dass Arbeitsrechts für alle ist, ob sie 50.000 Mitarbeiter haben oder 21, Arbeitsrecht ist für alle gleich.“ (Int. 02) „... es ist zu schwerfällig, wenn es um die Umsetzung von bestimmten Dingen geht. Bei Umstrukturierungen, personellen Situationen, die dazu zählen.“ (Int. 15)
Aufgrund der notwendigen Professionalisierung des Arbeitsrechts entstehen hohe Kosten. „Der zweite Nachteil natürlich ist, dass man sich damit beschäftigen muss, und wenn man das nicht kann und keine Zeit hat, muss man sich externe Berater hinzuziehen, das kostet viel Geld...“ (Int. 02)
Es ist komplex bzw. kompliziert und unberechenbar.
162
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse „Also, Nachteil würde ich einfach sagen teilweise zu komplex und ... und zu übergeregelt ... überreguliert, dass man da noch wirklich als jemand, der sich nicht dauernd damit beschäftigt, da noch durchblicken kann... wenn ich mal einen Problemfall habe und den entsprechend mit meinem Steuerberater oder mit ... mit ... mit einem Arbeitsrechtler mal durchdiskutiere, was wir auch durchaus schon gehabt haben, dann hat man immer nachher 3 Leute und 5 Meinungen, in welche Richtung das ausgehen kann. (Int. 05) „... dass also zu ... zu 90% also bei den normalen Arbeitsgerichten Vergleiche geschlossen werden, weil der Arbeitgeber Angst hat also, vors Landesarbeitsgericht zu gehen, weil die Wartezeiten so lange sind und keiner weiß, wie es ausgeht. Und zu 10% werden Urteile gesprochen, die also zuungunsten des Arbeitgebers sind.“ (Int. 12)
Es ist zu formal, praxisfern und unübersichtlich. „In verschiedenen Bereichen gibt es zu viel Formalismus. Also dieses, diese, diese Mitbestimmungsrechte arten in manchen Bereichen zu riesen Formalismus aus.“ (Int. 39) „Also, das Arbeitsrecht ist zu formal, orientiert sich nicht immer an der Praxis. Es ist zu kompliziert einfach. Das erlebe ich immer wieder vorm Arbeitsgericht, dass dort kleinere Unternehmen ihre Prozesse verlieren, weil sie einfach den Überblick über die vielen Vorschriften nicht hatten.“ (Int. 15) „Der Nachteil für mich ist, dass sie aus so vielen verschiedenen Gesetzesquellen... sich ein Bild machen müssen. Und es gibt ... Gesetze,... da kommen Sie im Traum nicht drauf, dass ... das arbeitsrechtliche Vorschriften enthält, was Sie beachten müssen.“ (Int. 19)
Das Arbeitsrecht ist eher parteilich. „... ich glaube, dass einzelne Regelungen nicht ausgewogen sind, dass die den einen ... entweder den Arbeitgeber oder eben doch zum Beispiel den Betriebsrat mehr bevorteilen als andere Regelungen.“ (Int. 40) „... weitere Vorteile sehe ich im Arbeitsrecht eigentlich nicht. Oh ja auf Seiten des Arbeitnehmers natürlich, aber das ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen, was das für Vorteile hat, dass es das Arbeitsrecht gibt.“ (Int. 02)
Das Arbeitsrecht wird als notwendiger Rechtsrahmen gesehen, der in erster Linie den Schutz der Interessen der Arbeitnehmer verbürgt; das Arbeitsrecht schafft damit aber auch einen verlässlichen Rahmen (vgl. genauer Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Der Kündigungsschutz ist Bestandteil des Schutzrechts Arbeitsrecht. Er erscheint in den angeführten Statements implizit (Umstrukturierungen, personelle Situation, Vergleiche abschließen, Prozesse verlieren) und wenn, dann auf der Seite der Nachteile des Arbeitsrechts. So nimmt es nicht Wunder, wenn der Umgang mit Kündigungen bei den Wünschen zum Arbeitsrecht auftaucht, welche explizit abgefragt wurden (zu detaillierten Ergebnissen zu den Wünschen an das Arbeitsrecht siehe: Worobiej, Kapitel 2.3). Hier ein paar Beispiele (Hervorhebungen durch die Autoren): „3 Wünsche. Das ist also die eine Sache. Also, mein Wunsch wäre in erster Linie einmal mehr Gerechtigkeit an den Arbeitsgerichten, der zweite Wunsch wäre, dass die Kündigungsschutzklage also in der Form so aufgeweicht wird, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber beidseitig berechtigt sind, also eine Kündigung auszusprechen, ohne dass man dieses ganze Bahu macht mit verhaltensbedingt, mit personenbedingt und so weiter. Sondern dass man das machen kann, das ist der zweite Wunsch.“ (Int. 12) „Drei Wünsche im Arbeitsrecht. Ja, einmal Vereinfachung bei Einstellungen und Entlassungen. Da spielt auch Kündigungsschutz eine Rolle. Dann würde ich mir wünschen, dass an Arbeitsgerichten mehr auf die Inhalte geguckt wird und weniger auf Formalitäten geguckt wird. Wenn jemand formal was falsch macht, ist er schon durchgefallen beim Ar163
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse beitsrichter, was ich sehr schlecht finde. Das ist der zweite Wunsch. Und der dritte Wunsch ist .. ja, heute arbeitet man auch mit Fristen, mit Fristen bei Einstellungen, da gibt es ja so Wochenfristen und so weiter, die man dann mit dem Betriebsrat hat, dass sich diese Fristen verkürzen, um dann eben auch schneller reagieren, einstellen zu können. Das sind so meine 3 Wünsche, die mir jetzt auf die Schnelle einfallen. Bei längerem Nachdenken würden es vielleicht noch andere werden.“ (Int. 15) „Also, ich würde mir irgendwie eine flexiblere Arbeitszeitregelung vorstellen wollen. Das hat aber nicht nur mit dem Arbeitsrecht zu tun, sondern natürlich auch mit unserer Grundeinstellung und mit unseren Gewohnheiten. Ich würde mir vom ... vom Arbeitsgericht etwas mehr .. Hinhören beim Arbeitgeber wünschen und nicht nur auf den Arbeitnehmer, wenn es gerade um verhaltensbedingte Kündigungen geht. Weil ich - wie gesagt - der Meinung bin, das ist ein Vertragsverhältnis und ... und ich kann nicht einseitig … ich kann also für mich alles rausnehmen, ohne dass mir was passiert. Das ist in anderen Vertragsverhältnissen auch nicht der Fall. Und ich denke, unsere Arbeitsgerichte sollten da ein bisschen objektiver sein.“ (Int. 19) „Drei Wünsche an das Arbeitsrecht...Also: Grundtenor erstens: Lockerung, Flexibilisierung, Kündigungsschutz ist ganz klar ein Thema. Haben wir drüber geredet. Auch Karenzzeiten zu Beginn von Arbeitsverhältnissen wäre ich für zu haben, unabhängig von Betriebsgröße. Da wäre ich für zu haben, keine Frage. Nicht weil man den Arbeitnehmer wie 1824 wieder dem Kapitalisten aussetzen möchte, sondern weil man unter anderem auch den Gedanken der Wettbewerbsgesellschaft wieder fördern möchte. Also dieses bequeme ‚nestmäßige Schrebergarten, jägerzaunmäßige’...Also diesen Ansatz aus den Köpfen raus bringen, der uns undynamisch macht im Gegensatz zu anderen Nationen, nicht unbedingt China, aber auch in Schweden oder Holland gibt es ein paar Beispiele, wo man den Eindruck hat, da wird dynamischer gearbeitet. Die dicken Zöpfe sind abgeschnitten, bei uns sind sie noch dran. Das ist glaube ich ein wichtiger Grund. Oder ein wichtiges Thema, Frau Merkel. Ja...drei?“ (Int. 32) „Also ich würde mir schon wünschen, dass auch, einmal im Betrieb, Betriebsrat und Arbeitgeber über das allgemeine Arbeitsrecht hinausgehend auch betriebliche Lösungen finden dürfen. Wenn, wenn bestimmte Vorraussetzungen da sind, wie Kündigungsschutz lockern, ja.“ (Int. 39)
Wir sehen also, dass der Kündigungsschutz bei der Wertung des Arbeitsrechts eine wichtige Rolle spielt; das Arbeitsrecht wird gewissermaßen im Lichte des Kündigungsschutzes betrachtet. Dabei ist die Wahrnehmung des Arbeitsrechtes insgesamt eher unproblematisch (vgl. genauer Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Diese Wahrnehmung ist geprägt durch allgemeine Werturteile und Überzeugungen. Erst unter dem Blickwinkel der Probleme und Wünsche kommt der Kündigungsschutz ins Spiel. Die Einstellungen zum Kündigungsschutz wiederum sind nicht unbedingt von eigenen Erfahrungen getragen, sondern stellen eine eigenständige Wertungsebene dar, die auf vielfältige Weise auf eigene und fremde Erfahrungen (auch vom Hörensagen), Zusammenhangsvermutungen und Überzeugungen verweist (Phänomene: Sub-Classing und anekdotische Evidenz). Unsere Experten sahen den Kündigungsschutz hierbei durchaus als janusköpfig an: Die Schutzfunktion wird als wichtig empfunden und anerkannt, auf der anderen Seite kann der Kündigungsschutz in den Augen der Befragten negative Wirkung auf die Flexibilität der Betriebe haben. Die expliziten Aussagen dazu waren aber selten. Hier ein Beispiel:
164
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse „Was mich eben oft stört, dass man Mitarbeiter irgendwo weiter beschäftigen muss, die irgendwann auch für Kollegen ein Ärgernis sind, die sich entsprechend verhalten, weil sie wissen, dass man keine Chance hat, sie zu kündigen.“ (Int. 19)
Das stimmt im juristischen Sinne so absolut nicht. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis zu kündigen, zumal wenn ein tatsächliches Fehlverhalten der Arbeitnehmer vorliegt. Es fragt sich, ob es sich bei einer solchen Aussage um tatsächliche Erfahrung handelt, sie das Produkt schlechter Beratung und einer gewissen Trägheit im Umgang mit den Arbeitsverhältnissen ist oder einfach eines „gefühlten“ Arbeitsrechts, welches wenig mit den rechtlichen Möglichkeiten zu tun hat. Vereinzelt wurde die Aussage gemacht, der Kündigungsschutz könne einstellungshemmend wirken. Wiederum ein Beispiel: „Also ich denke es muss den Kündigungsschutz geben..., wenn es keinen geben würde, hätten wir Anarchie im Bereich der Kündigung... Aber ich glaube, dass die Arbeitgeber … wollen eigentlich mehr kurzfristig Leute einstellen, weil es im Augenblick gut läuft, aber sie können es nicht, weil ‚sonst werde ich die nicht wieder los’.“ (Int. 02)
Der Kündigungsschutz würde die Mobilität der Arbeitnehmer beschränken. Hier das Beispiel: „Der Kündigungsschutz ist rein psychologisch sicher ein Instrument für die Volkswirtschaft ... Zum Teil blockiert er von der Denkweise auch, weil Mitarbeiter sich eigentlich nicht wirklich konkret damit befassen, wo ihre Entwicklungspotentiale liegen könnten und welche Möglichkeiten da vorhanden wären.“ (Int. 04)
Zuweilen wurde explizit ausgeführt, dass der Kündigungsschutz wirtschafts- bzw. einstellungshemmend wirke: „Das hemmt die Volkswirtschaft, ganz einfach. Weil viele Arbeitgeber hingehen, die es ermöglichen können, im europäischen Ausland Firmen gründen und da Arbeitsplätze schaffen, aber nicht bei uns in Deutschland. Sondern hier gehen die Leute eben verhalten, ist egal, wen Sie ansprechen ... hier wird nur verhalten eingestellt. Eben aufgrund dessen, weil das Kündigungsschutzgesetz hier so stark ist und Sie keine Chance haben, wenn der Arbeitnehmer einmal drin ist, den wieder rauszukriegen.“ (Int. 12)
Auch hier wird der Kündigungsschutz eher überschätzt. In diesem Zusammenhang kam auch das Ausweichverhalten zur Sprache: „Wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe, ich glaube, dass man überhaupt keine Zeitarbeitskräfte, dass man gar nicht mit befristeten Verträgen arbeiten müsste. Oder dass man das sehr reduzieren würde... Und die Unternehmen würden also dann auch viel stärker ins Risiko gehen, wenn es um Einstellungen geht. Die würden dann vielleicht auch mal einen mehr einstellen, als wie heute lieber einen zu wenig. Wahrscheinlich würden die Überstunden runtergehen in den Unternehmen. So als Konsequenz daraus. Heute lässt man ja die Leute auch zum Teil lange arbeiten, weil neue einzustellen ist ein Risiko. Auch wenn das jetzt ein bisschen überspitzt von mir dargestellt ist, aber in die Richtung wird gedacht.“ (Int. 12)
Soweit zu den Beispielen. Nun zu der Häufigkeitsverteilung. Auf die Frage „Welche Wirkung hat der Kündigungsschutz Ihrer Meinung nach generell für Wirtschaft und Gesellschaft?“ geben unsere Experten unterschiedliche Antworten, die sich im Überblick folgendermaßen charakterisieren lassen: 165
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
-
Ein Viertel der Befragten betonte die Sicherheit der Arbeitnehmer, den Schutz vor Willkür und Anarchie sowie vor einem „Hire and Fire“. Der Kündigungsschutz schaffe ein Gleichgewicht und sei ein Teil der deutschen Arbeitsrechtskultur, meinten die Befragten. Deutlich ist hier ein Bezug zu gesellschaftlichen Leitbildern zu erkennen.
-
Gut ein Drittel betonte die Schutzfunktion, sah aber auch eine andere, negative Seite der Medaille. Wie schon an anderer Stelle bemerkt (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9) schließt die wahrgenommene (betriebswirtschaftliche und gesellschaftliche) Bedeutung der Arbeitplatzsicherheit nicht aus, dass sich die Akteure zugleich vom Arbeitsrecht in ihrem Handeln eingeschränkt fühlen.
-
Nur recht selten wurde der Kündigungsschutz als wirtschafts- bzw. einstellungshemmend angesehen.
-
Ebenfalls selten wurde bemerkt, der Kündigungsschutz könne teilweise arbeitsmarkthemmend wirken, was aber den eigenen Betrieb nicht betreffen würde. Hier finden wir das oft anzutreffende Phänomen des „Subtyping“: Probleme werden gesehen, die aber gerade den eigenen Bereich nicht betreffen würden.
Wie gesagt, die ausdrücklich negativen Aussagen zum Kündigungsschutz waren nicht so zahlreich wie man es vielleicht erwarten könnte. Typisch scheint die Auffassung zu sein, der Kündigungsschutz sei eine selbstverständliche Randbedingung für das Handeln der Betriebe, welche sich durchaus in Übereinstimmung mit den legitimen Interessen der Arbeitnehmer befindet, auch wenn sie negative betriebs- oder volkswirtschaftliche Folgen hat. Auf die Frage: „Drei Wünsche an das Arbeitsrecht“ (siehe oben) wurde in einem Viertel der Fälle der Kündigungsschutz explizit erwähnt (bei der Erstnennung). Ein Drittel der Befragten wünschten sich ein präzises, transparentes Arbeitsrecht. Dies schloss vereinzelt auch den Wunsch nach einem einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzbuch (ArbVGB) ein (vgl. Worobiej, Kapitel 2.3). Selten wurde die Relevanz des Kündigungsschutzes in Spezialfällen wie Leistungsmangel, Behinderung, Schutz von Betriebsräten erwähnt. Teilweise bezieht sich die Kritik am Kündigungsschutz vor allem auf den besonderen Kündigungsschutz: „Also ich halte den Kündigungsschutz vom Grundsatz her, der normale Kündigungsschutz, den halte ich für richtig und gerechtfertigt - das denke ich, ist in Ordnung. Den besonderen Kündigungsschutz, es gibt so besondere Kündigungsschutzbereiche (...), den halte ich für falsch und ich halte für falsch, diesen besonderen Kündigungsschutz für bestimmte Ämter, ob es dann um die Betriebsverfassungsorgane geht, oder für Schwerbe166
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse hinderte, oder, oder. Dieser sehr hohe Kündigungsschutz, ja, der ist nicht gerechtfertigt.“ (Int.39)
Einige Interviewpartner beurteilten den Kündigungsschutz dahingehend differenziert, dass sie den Bedarf eines Schutzes für die Beschäftigten herausstellen, gleichzeitig jedoch die gerichtliche Auslegung der Vorschriften kritisieren: „Also im Sinne einer Willkür ist er mit Sicherheit erhaltenswert. In etwas, ich sag mal abgemilderterer Form aus Sicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast, die ihn da treffen. Generell sollte man ihn sicher nicht ganz kippen.“ (Int. 03)
An anderer Stelle heißt es: INT: „Welche Wirkung hat der Kündigungsschutz Ihrer Meinung nach genau für Wirtschaft und Gesellschaft?“ PL:“ Wie gesagt, vom Grundsatz her finde ich ihn richtig, einfach um eine gewisse Sicherheit zu geben. Wie es heute die Gerichte auslegen oder wie schwer es den Arbeitgebern dann im Einzelfall gemacht wird, halte ich es nicht mehr für richtig.“ INT: „Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe? Also ich denke, gerade wenn ich so an Betriebsverlagerungen denke, als ich glaube die…, es wird schon eine größere Unsicherheit geben und ich glaube, dass es auch genug Betriebe gäbe, die es ausnutzen.“ (Int. 35)
Es zeigt sich, dass der Kündigungsschutz übergeordnet betrachtet auf eine breite Akzeptanz unter den Personalverantwortlichen trifft und von Ihnen durchweg als sinnvoll und erhaltenswert angesehen wird (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Besonders häufig wird seine Bedeutung für die Beschäftigten sowie die Gesellschaft erwähnt. Als problematisch am Kündigungsschutz wird von einigen Interviewpartnern vor allem dessen Auslegung durch die Arbeitsgerichte angesehen. Hier scheint in den Betrieben teilweise Verunsicherung zu bestehen. Vereinzelt wird der Kündigungsschutz in seiner Absolutheit einfach überschätzt.
4
Kündigungsschutz und Neueinstellungen
4.1
Forschungsstand und Hypothesen
Die Rolle des Kündigungsschutzes für Neueinstellungen (vgl. etwa Sadowski 2004) ist Gegenstand öffentlicher Diskussion: Hier wird oftmals die Position vertreten, dass das Arbeitsrecht – insbesondere das Kündigungsschutzgesetz – Neueinstellungen erschwert und verhindert. Diese Position wird durch Forschungsergebnisse unterstützt, wie sie etwa vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) im Jahr 2004 publiziert wurden: Damals beantworteten 859 Unternehmen die Frage: „Unter welchen Bedingungen würden Sie in Ihrem Unternehmen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen?“ Die Antworten waren vorgegeben, Mehrfachnennungen waren möglich. Die Antwortvorgaben enthielten arbeitsrechtliche Veränderungen im Sinne von Lockerungen der Pflichten der Arbeitgeber. Eine deutliche Mehrheit der Befragten hielt die Lo-
167
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
ckerung des Kündigungsschutzes und die Erleichterung der Befristung von Arbeitsverträgen für beschäftigungswirksam. Das ist mehr als die Nennungen in unseren Interviews erwarten lassen (vgl. die Wünsche an das Arbeitsrecht). In unseren Interviews wurde mit „Welche Rahmenbedingungen beeinflussen die Entscheidungen für oder gegen Neueinstellungen?“ eine Frage gestellt, die mit der Frage aus der oben genannten Studie des IW vergleichbar ist. Allerdings wurde in den Interviews auf Antwortvorgaben verzichtet. Der direkte Zusammenhang zwischen arbeitsrechtlichen Regelungen und neuen Arbeitsplätzen ist für die meisten Personalverantwortlichen keineswegs selbstverständlich. Daher erzeugte die Frage bei vielen Interviewpartnern zunächst Unverständnis und die Personalverantwortlichen wollten wissen, was mit der Frage gemeint sei. Auf Nachfrage erläuterten die Interviewer, dass beispielsweise der Kündigungsschutz die Einstellungsentscheidung beeinflussen könnte. Selbst nach einer solchen Vorlage berichteten lediglich drei Interviewte, dass der Kündigungsschutz für die Neueinstellungen eine erhebliche Rolle spiele. Für weitere sechs Personalverantwortliche ist der Kündigungsschutz zwar relevant, aber nicht ausschlaggebend. Sie nannten unterschiedliche Ausweichstrategien, jedoch zugleich auch andere Faktoren, welche die Neueinstellungen wesentlich mit beeinflussen. Rund die Hälfte der Befragten sah die Ertrags-/Auftragslage sowie die wirtschaftliche Situation des Unternehmens als die größten Einflussfaktoren für Neueinstellungen. Ca. ein Viertel der Personalverantwortlichen wies darauf hin, dass die Qualifikationen der zukünftigen Mitarbeiter eine Bereicherung für das Unternehmen und somit ausschlaggebend für Neueinstellungen seien. Im praktischen Alltag der Personalverantwortlichen scheinen deshalb der Kündigungsschutz und andere arbeitsrechtliche Bestimmungen – ganz im Gegensatz zur Studie des IW - keine große Rolle bei der Entscheidung für Neueinstellungen zu spielen. Wie lassen sich derartig gegensätzliche Befunde erklären, falls sie nicht nur auf methodischen Differenzen beruhen? Eine mögliche Erklärung ist, dass wohlfeile Äußerungen im Rahmen einer standardisierten Befragung eher dem „gefühlten Arbeitsrecht“ zuzuordnen sind, mit dem Meinungen und Äußerungen über die Wirkungszusammenhänge von Arbeitsrecht und Wirtschaft bezeichnet werden. Die im Rahmen der qualitativen Interviews geäußerten Erfahrungen und Praktiken der Personalverantwortlichen dürften dagegen eher einem „gelebten Arbeitsrecht“ entsprechen, in dem die tatsächlichen Erfahrungen, Bewertungen und Reflexionen zum Tragen kommen. Dagegen sprechen aber die Ergebnisse in der Telefonbefragung, die von einer geringen Wirkung des Kündigungsschutzes bei Neueinstellungen zeugen (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Vermutlich beeinflussen die Vorgaben in den Befragungen stark das Ergebnis. Wenn ein Zusammenhang zwischen bestimmten Reformmaßnahmen und der Beschäf168
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
tigung bereits vorgegeben wird, findet das offensichtlich mehr Zustimmung als wenn nach der relativen Wichtigkeit des Kündigungsschutzes für Neueinstellung im Kontext anderer Einflussfaktoren gefragt wird. Der Kündigungsschutz kann – wie wir oben schon ansprachen – theoretisch unterschiedliche Wirkungen entfalten. -
Er kann dazu führen, dass Neueinstellungen entweder verzögert werden oder dass auf sie verzichtet wird. So verhindere er den Aufbau von Arbeitsplätzen aufgrund der Sorge um die vielleicht einmal notwendigen Abbaumaßnahmen (prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes). Hierzu fanden wir – wie wir untern erläutern werden – wenig Evidenz, zumal noch zu unterscheiden ist, zwischen den tatsächlichen betrieblichen Erfahrungen und eher volkswirtschaftlichen Erwägungen der Befragten.
-
Er kann dazu führen, dass die Arbeitsverhältnisse so gewählt werden, dass er nicht als Problem auftritt, zumindest nicht kurzfristig (bei Befristungen, die freilich auch gesetzlich normiert sind); oder es werden Auftragsverhältnisse (z.B. bei der Arbeitnehmerüberlassung, aber auch durch Outsourcing) gewählt, welche das Problem des Kündigungsschutzes umgehen bzw. „auslagern“ (Ausweichverhalten). Außerdem kann der betriebliche Arbeitseinsatz u.U. so gesteuert werden, dass Auftragsspitzen durch Mehrarbeit aufgefangen werden, oder Aufträge zeitlich geschoben, weitergereicht werden etc. („kleine prohibitive Wirkung“). Hierzu fanden wir deutliche Hinweise. Vorteile von Befristung und Leiharbeit wurden benannt. Der Kündigungsschutz ist dabei aber kein durchgängiges Motiv. Quantitativ betrachtet sind die Ausweichformen ohnehin nachrangig. Wir kommen darauf zurück.
-
Der Kündigungsschutz kann einen Einfluss auf das innerbetriebliche Verhalten haben. Fehlender Kündigungsschutz (bspw. in der Probezeit oder bei Befristungen) kann als Druckmittel verwendet werden. Ein ausgebauter Kündigungsschutz kann andererseits sowohl Arbeitsplatzsicherheit schaffen, welche die Betroffenen motiviert, sich in ein Unternehmen einzubringen; er kann aber auch zu einer Verschiebung der organisatorischen Macht der Arbeitnehmer führen, welche die Arbeitgeber in ihrer faktischen Gestaltungsfreiheit einschränkt. Die möglichen innerbetrieblichen Wirkungen des Kündigungsschutzes sind also vielfältig und widersprüchlich. So schwächt er möglicherweise die innerbetriebliche Gestaltungsmacht des Unternehmers. Zudem würde ein geschwächter Kündigungsschutz die Disziplinargewalt des Unternehmers stärken. Andererseits sind sichere Arbeitsplätze ein hoher gesellschaftlicher Wert und betriebswirtschaftlich sinnvoll. Die 169
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Frage ist, ob und wann arbeitsrechtliche Instrumente zur Disziplinierung angewendet werden. -
Schließlich kann der Kündigungsschutz auch dazu führen, dass Kündigungen zeitlich verschoben oder auf sie verzichtet wird, obwohl ein Personalabbau betriebswirtschaftlich geboten ist. Damit verhindert er notwendige personalwirtschaftliche Anpassungen und führt zu suboptimaler Allokation des Kapitalfaktors Arbeit. Das ist die eigentliche, negativ gedeutete präventive Wirkung. In einer positiven Deutung führt die erzwungene Anpassungsträgheit zu einer höheren Produktivität, da mit dem Personal strategischer umgegangen werden muss.
Wenn es gelänge, Art und Umfang der prohibitiven, innerbetrieblichen und präventiven Wirkung des Kündigungsschutzes sowie des auf den Kündigungsschutz zurückgehenden Ausweichverhaltens abzuschätzen, dann wäre die Bedeutung eines zentralen Feldes des Arbeitsrechtes für die Betriebe dargestellt. Eine prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes wird in Politik und Medien oftmals behauptet. Bei einem Vergleich nach Betriebsgröße wurde bisher aber kein systematischer Effekt auf das Beschäftigungswachstum nachgewiesen. Zwar gibt es Größeneffekte bei arbeitsrechtlichen Problemen. Diese lassen sich aber nicht auf den einfachen Nenner bringen, wonach die Schwellen des Kündigungsschutzes zugleich Schwellen der Beschäftigungsdynamik sind. Beim internationalen Vergleich ist ebenfalls kein signifikanter Einfluss auf die Arbeitslosenquoten nachzuweisen, eventuell gibt es Verzögerungen bei Personalbewegungen, eventuell auch veränderte Zusammensetzungen der Belegschaft. Verschiedene empirische Studien sprechen für eine nur relative Bedeutung des Kündigungsschutzes für den Arbeitsmarkt (Projekt REGAM, Projekt Höland et al., IAB, Sadowski DJT 2004, OECD 1999; diverse andere, z.B. Schramm/Zachert Projekt 2005). Andererseits wird eine wesentliche Bedeutung des Kündigungsschutzes für den Arbeitsmarkt behauptet (Sachverständigenrat (einige Jahre), arbeitgeber(nahe) Befragungen). Dabei muss man unterscheiden zwischen der tatsächlichen Wirkung des Kündigungsschutzes auf die Beschäftigung, vermittelt durch das individuelle und organisatorische Verhalten (gelebtes Arbeitsrecht) und den Einstellungen der Interviewten dazu (gefühltes Arbeitsrecht), die sich teilweise im Verlauf der Interviews sprachlich bilden. Zwar gibt es keinen Nachweis der Wirkung des Kündigungsschutzes auf das Niveau der Beschäftigung und nur einen schwachen Nachweis von Wirkungen auf das Tempo der Anpassung der Beschäftigung. Es gibt aber Hinweise auf das Ausweichen auf andere Vertragsformen (Befristung, Leiharbeit) infolge des Kündigungsschutzes. Und die Rolle der wahrgenommenen Rechtswirklichkeit ist sicher zu beachten, auch wenn 170
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
es hierzu wenig empirischen Untersuchungen gibt. Andererseits gibt es eine Reihe von Argumenten für die Vorteilhaftigkeit des Kündigungsschutzes. Dieser stabilisiere das Beschäftigungsverhalten der Betriebe, was sich letztlich positiv auf die Produktivität auswirkt. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass im Krisenfalle der Kündigungsschutz negativ auf die Problemlösungskapazität einer Organisation wirken kann, wenn z.B. notwendige Personalanpassungen vermieden oder verzögert werden. Eine andere Frage ist die nach der Antizipation des Kündigungsschutzes beim Personalaufbau, welcher zu Verzögerungen, zur Vermeidung von Einstellungsentscheidungen oder zur Suche nach alternativen Beschäftigungsformen führt. Immerhin erleben die meisten Betriebe eine quantitative Veränderung ihres Personalbestandes. Die folgende Tabelle 5 zeigt die Veränderungen, wie sie sich aus den Experteninterviews (qualitative Untersuchung) ergeben: Tabelle 5: Personelle Veränderungen in den letzten 5 Jahren Personelle Veränderungen in den letzten 5 Jahren
Anzahl
Anteil
mehr
16
40%
unverändert
6
15%
weniger
18
45%
40
100%
Quelle: Eigene Darstellung
Wir sehen, dass sich Personalaufbau und -abbau ungefähr die Waage halten. Hinsichtlich des Personalaufbaus gibt es eine erstaunliche Übereinstimmung mit der Telefonbefragung,
hinsichtlich
des
Abbaus
unterscheiden
sich
die
Betriebe
(vgl.
Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Selbst wenn es nachweisbare Wirkungen des Kündigungsschutzes im Wirtschaftssystem gibt, müssen diese nicht unbedingt negativ sein. So kann eine Trägheit in den Anpassungsmöglichkeiten die Unternehmen zwingen, mit der Ressource Arbeitskraft rationaler umzugehen, was sich letztlich in Produktivitätsvorteilen ausdrücken kann. Dies ist freilich nach Sektor, Branche, Betriebsgröße und wirtschaftlicher Lage der Unternehmen differenziert zu betrachten. Wenn der Kündigungsschutz negativ auf das Einstellungsverhalten wirken würde, bedeutet das logisch noch lange nicht, dass eine Reduzierung des Kündigungsschutzes zugleich zu mehr Beschäftigung führt. Die tatsächliche Wirkung des Kündigungsschutzes in den Betrieben und in der Wirtschaft sind zudem nicht zu verwechseln mit der durch die in den Betrieben handelnden Akteure wahrgenommene Wirkung bzw. die wahrgenommenen Auflagen des Kündigungsschutzes, welche – unabhängig von der tatsächlichen juristischen oder statisti171
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
schen Relevanz – über das Handeln der Personalverantwortlichen einen Einfluss auf das betriebliche Verhalten (hinsichtlich Einstellungen und Entlassungen) haben können. Der Kündigungsschutz kann hier wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wirken. Die Tatsache, dass die Befragungspersonen in den Interviews den Kündigungsschutz als ein Motiv für die Wahl der Form des Arbeitsverhältnisses angeben, heißt darüber hinaus nicht, dass dieses Motiv die Wahl auch kausal verursacht hat. Die Intention kann in der Absicht einer sinnvollen Erklärung und im Lichte der Interviewsituation (wo es um die allgemeine Bewertung des Arbeitsrechts, also auch des Kündigungsschutzes ging) nachgeschoben sein, obwohl sich die Wahl der Beschäftigungsform aus anderen Gründen ergeben hat. Werden Befristungen oder Leiharbeit im Betrieb faktisch angewendet, so ist es ein wohlfeiles Argument, dieses mit dem Kündigungsschutz zu begründen. Wir dürfen außerdem bei der Interpretation der Ergebnisse nicht außer Acht lassen, dass diese relativ zu betrieblichen Merkmalen (Sektor, Branche, Betriebsgröße, wirtschaftliche Lage) zu interpretieren sind. Wir betrachten nur den privatwirtschaftlichen Sektor. Der öffentliche Sektor unterscheidet sich deutlich in seinem Beschäftigungsverhalten. Da die Branchen eine unterschiedliche Beschäftigungsentwicklung haben und auch der Stellenwert des Personals hinsichtlich Kosten und Bedeutung unterschiedlich ist, sollte das bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Wir haben Betriebe unterschiedlicher Größe befragt. Manche Ergebnisse in unseren Analysen sprechen dafür, dass es beim Einstellungs- und Beendigungsverhalten Größeneffekte gibt. Es ist nahe liegend, dass bspw. die Möglichkeit Abfindung zu zahlen, wenn Beschäftigte auf Klage verzichten oder sich vergleichen, relativ zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Unternehmen zu bewerten sind. Das dürfte einen Einfluss auf das Beendigungsverhalten haben.
4.2
Empirische Ergebnisse
Was die prohibitive Funktion des Kündigungsschutzes anbetrifft, so gibt es verschiedene Thesen, die erwogen werden müssen: -
Der Kündigungsschutz hat einen Einfluss auf das Beschäftigungsniveau. Hierfür gibt es so gut wie keine empirische Evidenz (siehe oben).
-
Der Kündigungsschutz hat einen Einfluss auf das Tempo der Anpassung des Beschäftigungssystems an konjunkturelle oder strukturelle Veränderungen. Hierfür sprechen einige Untersuchungsergebnisse. 172
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
-
Der Kündigungsschutz führt zu Ausweichverhalten hinsichtlich der Gestaltung von
Arbeitsverträgen,
z.B.
Befristung
oder
Leiharbeit,
Outsour-
cing/organisatorische Gestaltung. Dies ist nahe liegend, lässt sich aber nur bedingt nachweisen. -
Ein bestimmtes Ausweichverhalten (Leiharbeit) ist aber nicht nur negativ zu bewerten, da es Beschäftigungschancen enthält (Klebeffekte) oder eine Übergangsform darstellt (Befristung).
-
Der Kündigungsschutz beeinflusst das Verhalten von Unternehmen am Markt (Auftragsannahmen, Netzwerke), aber auch den Personaleinsatz (Überstunden). Hierfür haben wir Hinweise in unseren eigenen Untersuchungen gefunden.
-
Sortiereffekte: Bestimmte Gruppen (Frauen, Langzeitarbeitslose, Jugendliche...) könnten durch den Kündigungsschutz stärker betroffen sein als andere. Dies wird neuerdings behauptet, kann aber durch unsere Untersuchungen nicht bestätigt werden.
Die Frage ist, in welcher Weise der Kündigungsschutz auf das Beschäftigungsverhalten tatsächlich wirkt und welches Ausmaß diese Wirkungen im Beschäftigungssystem haben. Wir gehen in den folgenden Abschnitten nach folgendem Muster vor. Nach einem einleitenden Abschnitt zeigen wir zunächst typische Zitate aus den Interviews, welche wir hinsichtlich ihrer Inhalte und – wo es sinnvoll ist – der quantitativen Verteilung der Aussagen auswerten, um schließlich in einem Fazit unsere Ergebnisse zusammenzufassen. Beginnen wir mit einigen illustrativen Aussagen der Interviewten: Unsere Experten betonten die Nachfrage nach Arbeitskräften als Motor der Beschäftigung. Sehr schön zeigen das die folgenden zwei Beispiele: „Wenn ich einen Mitarbeiter brauche, dann stelle ich den ein, ob mit oder ohne Kündigungsschutzgesetz. Und wenn ich die Aufträge nicht habe, dann stelle ich auch nicht mehr ein, nur weil ich die vielleicht alle ganz leicht kündigen kann. Das macht betriebswirtschaftlich einfach keinen Sinn.“ (Int. 19) „Das alleinige Kriterium einer Einstellung ist, ob wir jemanden brauchen dort an dieser Stelle oder nicht. (...) Dann muss es eben einen Personalbedarf in diesem Fachgeschäft geben, das ist der zweite Aspekt. Und dann als Drittes ist nur noch die persönliche Frage entscheidend: Passt dieser Mitarbeiter zu der Firma oder nicht? Das Arbeitsrecht bietet mir dann im Nachhinein nur, wenn ich eine Fehlentscheidung getroffen habe, die Möglichkeit, mich von diesem Mitarbeiter wieder zu trennen. Aber im Augenblick der Einstellung spielt das Arbeitsrecht für mich keine Rolle.“ (Int. 03)
Diese Einschätzung liegt analog zur Telefonbefragung, bei der das Arbeitsrecht eine sehr nachrangige Rolle spielte. Zur Rolle des Arbeitsrechts für Neueinstellungen wurden im Untersuchungsleitfaden vorrangig drei Fragen vorgesehen, u. a. „Welche Rah173
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
menbedingungen beeinflussen die Neueinstellungen?“. Die Hälfte der Befragten nannten die Ertragslage, ein Viertel die Qualifikationen. Selten wurden Ausweichstrategien oder der Kündigungsschutz erwähnt. Wir können aus der Perspektive unserer Experteninterviews also von einem nachrangigen Einfluss des Kündigungsschutzes ausgehen. Das ist mit dem bisherigen Forschungsstand vereinbar, der eine schwache prohibitive Wirkung annimmt. Immerhin gab es Hinweise auf die Befristung als Ausweichstrategie. Das ist nahe liegend. Der Umfang der Zunahme von Befristungen (vgl. SOEP) in den letzten 20 Jahren lässt jedoch erwarten, dass diese Ausweichstrategie nur von einer relativ geringen Bedeutung ist. Die folgende Tabelle 6 zeigt die Ergebnisse der Auszählung der Aussagen in den Experteninterviews im Überblick: Tabelle 6: Einflussfaktoren auf die Neueinstellungen Antwort
Anzahl der Befragten
Anteil
Ertrags/Auftragslage, wirtschaftliche Rahmenbedingungen
20
49%
Qualifikationen, die das Unternehmen bereichern könnten, „gutes Bauchgefühl“
10
24%
Kündigungsschutz spielt eine Rolle, es gibt aber Ausweichstrategien
6
15%
Kündigungsschutz spielt ausschlaggebende Rolle
3
7%
Sonstiges (z.B. Entscheidung der Muttergesellschaft)
2
5%
41 Quelle: Eigene Darstellung
Wir erkennen die überragende Rolle der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und des Angebotes an Arbeitskräften. Das ist ein ähnliches Resultate wie in der der Telefonbefragung. Sowohl in der qualitativen als auch in der quantitativen Untersuchung spielen neben den wirtschaftlichen Rahmendingungen Angebot und Nachfrage die entscheidende Rolle weit vor den rechtlichen Rahmenbedingungen. Ein Einfluss des Arbeitsrechts auf den Arbeitsmarkt und die Einstellungsbereitschaft wird von unseren Experten fast durchweg verneint. Die wirtschaftliche Lage sei entscheidend. Das bedeutet aber, dass durch die Gestaltung des Arbeitsrechts nach Meinung der Befragten auch keine positiven Signale gesetzt werden können. Zwei Aussagen sollen das illustrieren: „Ich würde das so nicht unterschreiben in dieser generellen ... Zuspitzung, Arbeitsrecht ist schlecht und Arbeitsrecht macht alles kompliziert und Arbeitsrecht sorgt dafür, dass wir hier nicht genügend Arbeitsplätze machen ... schaffen. Am Arbeitsrecht, denke ich, wird es nicht unbedingt liegen, nicht?“ (Int. 11) „Ich glaube, dass der Ansatz, über Arbeitsgesetze Arbeitsplätze zu schaffen, also einen politischen Ansatz zu wählen, dass das wird aus meiner Sicht nur als Vorwand für eine politische Diskussion genommen. Ich glaube, dass aber der einzig entscheidende Aspekt der ist: Gibt es eine florierende Wirtschaft? Ja oder Nein? Und wenn es eine florierende 174
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse Wirtschaft gibt, dann lebt man mit den Arbeitsgesetzen. Und wenn es die nicht gibt, dann schafft ... dann schaffen politische Hilfsmittel keine Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.“ (Int. 14)
Weder also fühlen sich unsere Befragten insgesamt durch das Arbeitsrecht, insbesondere den Kündigungsschutz in ihren Einstellungsentscheidungen behindert, noch glauben sie in der Regel, dass eine Veränderung des Kündigungsschutzes zu mehr Beschäftigung führen würde (vgl. hierzu die Ergebnisse von Worobiej, Kapitel 2.3). Das schließt vereinzelte negative Urteile über das Arbeitsrecht und den Kündigungsschutz (die als notwendige Randbedingung empfunden werden) nicht aus (siehe oben).
4.3
Das Ausweichverhalten
Neben der „großen“ prohibitiven Wirkung (Verzögerung oder Vermeidung von Einstellungen) beobachten wir die „kleine“ prohibitive Wirkung (Ausweichverhalten: Befristung, Leiharbeit, aber auch Outsourcing und Anpassen der Auftragslage an die personellen Möglichkeiten des Unternehmens). Zu Befristung und Leiharbeit im Kontext des Kündigungsschutzes haben sich unsere Probanden an verschiedenen Stellen geäußert. Immerhin 15% der Interviewten betonen die Bedeutung von Ausweichstrategien (insbesondere Befristung und Leiharbeit) beim Umgang mit dem Kündigungsschutz. Neben der „großen“ prohibitiven Wirkung ist diese „kleine“ prohibitive Wirkung von möglicherweise größerer praktischer Bedeutung. Es existiert ein moderates Wachstum der Anzahl der befristeten Arbeitsverhältnisse und eine deutliche Zunahme der Leiharbeitsverhältnisse. Gesamtwirtschaftlich betrachtet dominieren beide Beschäftigungsformen aber nicht das Beschäftigungssystem. Das zeigt sich auch in unseren eigenen Untersuchungen (vgl. die Ergebnisse der Telefonbefragung: Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Unsere Befragten sehen durchaus diese Ausweichstrategien; sie sehen aber auch, dass diese den Kündigungsschutz nicht obsolet werden lassen, wie folgende Passage belegt: „Ja gut, auch in einem befristeten Arbeitsvertrag haben Sie ja den Kündigungsschutz, das muss man einfach so sehen. Also, wenn ich jetzt einen befristeten Arbeitsvertrag für ein Jahr mache und vereinbare eine Probezeit von einem Vierteljahr, das würde ich nicht machen, wir machen da ein halbes Jahr, dann haben Sie ja in dem Fall ein Vierteljahr, dann haben Sie ja ein dreiviertel Jahr ganz normalen Kündigungsschutz. Normalerweise sind das ja heutzutage in der kurzen Zeit vierzehn Tage, das heißt, Sie könnten den, die Person eigentlich nur mit dem normalen Kündigungsgesetz, Kündigungsschutzgesetz kündigen. Weil, der Vertrag läuft ja automatisch nach einem Jahr aus, aber innerhalb dieser Zeit können Sie das nur so machen.“ (Int. 02)
Angemerkt sei, dass sich die Kündigungsfristen aus dem BGB und den Tarifverträgen ergeben, wohingegen das KSchG Kündigungsgründe, Abfindungen, Klagemöglichkeiten und kollektivrechtliche Verfahren regelt. 175
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Ein Befragter betont, dass Befristung und Probezeit es zwar erleichtern, sich vom Arbeitnehmer wieder zu trennen, dass dieser Vorteil aber nur ein relativer ist, da danach wieder der Kündigungsschutz gelten kann: „Ja, wie gesagt, das habe ich also auch festgestellt, dass das dann nachdem - ich sag mal - die Befristung beendet wurde oder beziehungsweise die Probezeit ausgelaufen ist, wo die sagen: ‚So, jetzt bin ich eigentlich ...’, fühlen Sie sich zumindest sicher. Wobei das ist ja eigentlich nur relative Sicherheit, denn kündigen können wir immer. Nur, es ist natürlich für den Arbeitgeber erschwert. Dann haben wir wieder dasselbe Thema. Ich muss, wenn wir einen Betriebsrat haben ... ich meine, muss ich während der Probezeit auch, den Betriebsrat anhören. Ich brauche aber keinen Grund angeben beispielsweise, sondern sage denn: ‚Wir wollen uns von dem Mitarbeiter trennen’, während der Probezeit, und der kann keine Kündigungsschutzklage erheben. Danach, wenn die Befristung ausgelaufen ... er hat einen unbefristeten Vertrag, oder wenn die Probezeit abgelaufen ist, sieht das schon wieder anders ... denn dann habe ich nämlich das Problem wieder des Kündigungsschutzes. So, dann fängt das also an, wenn ich verhaltensbedingt kündige, verhaltensbedingt kann ich nur mit Abmahnung. Das ist also langwieriger Prozess. Personenbedingt kommt in der Regel seltener vor. Also, das wären ja krankheitsbedingte Kündigung, langfristige, kurzfristige Kündigung oder andere Kündigungen - sag ich mal die personenbezogen sind. So, und die betriebsbedingten Kündigungen, da bin ich ja relativ sicher, weil eigentlich aufgrund der geringen Betriebszugehörigkeit gegenüber den anderen, wenn ich die Sozialauswahl machen muss, ist derjenige sowieso der, der gekündigt werden müsste. Andererseits habe ich natürlich wieder das Risiko der Kündigungsschutzklage und der Abfindung.“ (Int. 10)
An anderer Stelle betont der Befragte die Vorteile der Befristung gegenüber der Kündigung, insbesondere den „motivierenden“ Effekt des ungesicherten Beschäftigungsverhältnisses aus seiner Sicht: „Ja, das ist ja einfach gesagt. Vorteil ist, dass der Vertrag ohne Kündigung endet. Ich brauche keine Anhörung machen beim Betriebsrat, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist. Und es gibt eben relativ, wenn der sauber ist, dieser befristete Vertrag - eben keine Möglichkeit, Kündigungsschutzklage zu erheben. Das sind die Vorteile. Nachteile sehe ich also da weniger. Auf der Arbeitgeberseite weniger, auf ... ich sehe sogar eher auch als Vorteil, dass eben ein Mitarbeiter sich wahrscheinlich auch anstrengen wird, um einen unbefristeten Vertrag zu kriegen, als wenn er von vornherein einen unbefristeten bekäme.“ (Int. 10)
Ein weiterer Befragter sieht die Befristungen als besser an gegenüber einer langen Probezeit, wobei die Befristung von der Auftragslage abhängig sei: „Aber Sie müssen ja erst mal so sehen. Wenn Sie in den zwei Jahren ... wird sich jemand so oder so = verstellen müssen, was nützt es Ihnen? Wenn er befristet ist... ist er sicherer. Aus Arbeitnehmersicht heraus sollte man vielleicht sogar eher befristet sich einstellen lassen, weil man vielleicht für zwei Jahre, wenn man einen 2-Jahresvertrag bekommt, eine relative Sicherheit ... In der Zeit können Sie auch betriebsbedingt nicht gekündigt werden. Während jeder Arbeitnehmer, der unbefristet ist, auch betriebsbedingt gekündigt werden kann. So, und das muss man einfach so mal vor Augen führen. Aber welcher Vorgesetzte seine Mitarbeiter nach einem halben Jahr nicht sauber beurteilen kann, dann läuft es im System schon längst verkehrt. Und wenn man ganz ehrlich ist, dann spricht man zwar immer von einer dreimonatigen Kündigungsfrist hier, aber man hat eigentlich wirklich 6 Monate so oder so, weil, Kündigungsschutz beginnt erst ab dem siebten Beschäftigungsmonat. Also, wenn man das vor Augen hält, sind die ersten 6 Monate das Entscheidende. Und ich glaube, da sieht man eigentlich, wie der Mitarbeiter sich entwickelt. Ist er gut von der Arbeit? Passt er ins System rein von der Zwischenmenschlichkeit? Kommt er mit den Vorgesetzten und Kollegen klar? Dann ist er drin. Ob Sie dann befristet oder unbefristet machen, hängt wirklich nur davon ab: Haben Se jetzt nur kurzfristig die Auftrags-
176
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse lage so? Dann macht eine Befristung Sinn. Aber wenn es ein Dauerzustand ist, warum sollten Sie Leute nicht einstellen?“ (Int. 13)
Es stimmt aber nicht, dass grundsätzlich in der Befristung nicht betriebsbedingt gekündigt werden kann. Interessant sind die Kriterien, die der Interviewte für die Akzeptanz eines Arbeitnehmers benennt: Arbeitsleistung, Passfähigkeit ins System, Zwischenmenschlichkeit (bezüglich Vorgesetzte und Kollegen). Wir können vermuten, dass dies die Kriterien sind, nach denen ein Arbeitnehmer für den längerfristigen Einsatz im Unternehmen ausgesucht werden. In einem weiteren Interview wird ganz klar (aber ohne deutlichen betrieblichen Bezug) ein einfacher Zusammenhang von Kündigungsschutz und Ausweichverhalten behauptet: „Wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe, ich glaube, dass man überhaupt keine Zeitarbeitskräfte ... gut, jetzt ein bisschen überspitzt dargestellt, dass man gar nicht mit befristeten Verträgen arbeiten müsste. Oder dass man das sehr reduzieren würde. Wahrscheinlich würde es auch gegen die Leiharbeit gehen. Die Leiharbeit, die Arbeitnehmerüberlassung würde reduziert werden, das glaube ich schon. Und die Unternehmen würden also dann auch viel stärker ins Risiko gehen, wenn es um Einstellungen geht. Die würden dann vielleicht auch mal einen mehr einstellen, als wie heute lieber einen zu wenig. Wahrscheinlich würden die Überstunden runtergehen in den Unternehmen. So als Konsequenz daraus. Heute lässt man ja die Leute auch zum Teil lange arbeiten, weil neue einzustellen ist ein Risiko. Auch wenn das jetzt ein bisschen überspitzt von mir dargestellt ist, aber in die Richtung wird gedacht.“ (Int. 15)
Aber in einem anderen Interview wird wieder herausgestellt, dass die (Zeit-)Befristung einen klaren, kalkulierbaren Rahmen darstellt (damit ist sie aber kein Ersatz für Kündigungen, in denen ja gerade nicht kalkulierbare Ereignisse Berücksichtigung finden sollen): „Eine Zeitbefristung hat ja sicherlich einen Vorteil, ist ja ganz klar, für beide Seiten. Jeder ist sicher, jeder weiß was passiert, wenn der ... wenn der Zeitrahmen einfach abgelaufen ist.“ (Int. 17). „Ja, dann würde es ... also, ich denke für denjenigen, der anfängt zu arbeiten, ist es halt was anderes, ob er ein unbefristetes Verhältnis beginnt mit dem eingeschränkten beziehungsweise keinen vorhandenen Kündigungsschutz oder ob er ein befristetes Verhältnis anfängt.“ (Int. 21)
Aber es gibt auch deutliche Skepsis gegenüber der Befristung (oder einer Verlängerung der Probezeit): „Ja, aber was bauen Sie da für eine Moral auf? Wenn ich jemanden einstelle, der nach 1½ Jahren sagt, jetzt geht es bald zu Ende, wir haben es vielleicht verpasst, Ihnen noch einmal zu sagen: ‚Du, es geht weiter, wir verlängern den Arbeitsvertrag’ ... Es ist zu schwammig zwei Jahre. Der Schwamm ist zu groß. Ein halbes Jahr hast du Einarbeitungszeit, danach bist du unbefristet eingestellt. Das ist eine klarere Aussage, und dann kommt eine Vereinbarung, weil die auch immer kommt. Wir werden nicht jemanden zwei Jahre hinhalten mit einer Kündigungsfrist, weil ich ihn nach zwei Jahren doch entlasse oder weil das befristet ist für zwei Jahre, und es geht dem Ende zu und man spricht nicht darüber, das gibt keine gute Moral.“ „Es geht solange, wie es gut geht, und wenn es dem Unternehmen, wenn es dem Land gut geht, dann geht es mir auch gut. Wenn es dem Unternehmen schlecht geht, da habe 177
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse ich Pech gehabt, da bin ich eben doch draußen. Aber das hat man ja nicht so im Kopf. Sicher hat man das im Kopf, aber das hat man nicht mit der Zeiteinheit. Zwei Jahre hat man eine Zeiteinheit, … ich meine, sicher funktioniert das, aber ich würde mich nicht so wohl fühlen, … ich bin ja dann doch draußen. Ich habe also nicht so eine Motivation oder… ich würde mich dann doch am Ende grämen, wo ich nicht weiß, wie geht es denn weiter, geht es weiter?“ (Int. 23)
In diesem Interview wird das Problem der Loyalität in Organisationen angeschnitten, welche u. a. eine Funktion der persönlichen Sicherheit ist, dieser Organisation weiter anzugehören. In einem anderen Interview erscheint die Befristung als eine Übergangsform zur regulären (unbefristeten) Beschäftigung: „Nein, ich habe jetzt einen ganz konkreten Fall, da haben wir einen Schwerstbehinderten eingestellt und dem haben wir jetzt zunächst einmal einen Jahresvertrag gegeben, weil wir einfach nicht so richtig einschätzen können... ich meine, da greift dann wirklich der Gesetzgeber sehr schnell und sehr drastisch zu, was die Möglichkeiten einer Kündigung betrifft, und da haben wir jetzt einfach im gegenseitigen Einvernehmen auch mit ihm, der kennt die Rechtslage, er findet es eher aus seiner Sicht diskriminierend, dass er sagt: ;Ich will eigentlich nicht immer wie ein Mensch andere Klasse gehandelt werden, ich bin im Kopf genau so gut, wie jeder andere und eigentlich werde ich dadurch in meinem beruflichen Fortkommen gehindert.’ Also das war auch ein ganz offenes und ehrliches Gespräch über diese Thematik und da haben wir halt gesagt: ‚Gut. Dann gehen wir einfach mal den Weg der Befristung ein Jahr, und dann gucken wir weiter.’ Weil er ist wirklich schwer behindert, und man kann man gar nicht einschätzen, kann er das überhaupt leisten einfach rein körperlich und ich mein, Sie haben es ja gesehen, so wahnsinnig behindertengerecht ist unser Haus nun auch nicht gebaut.“ (Int. 25)
Eine ähnliche Aussage fanden wir auch für die Leiharbeit: „Also, wir haben es jetzt vor Kurzem erst in M. gemacht, wo wir letztendlich Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich eingestellt haben, um die eben auch zu testen. Das ist auch ein Weg. Wir nehmen ein halbes Jahr. ich mache mit der Leiharbeitsfirma einen Vertrag und sage: ‚Wenn ich in dem halben Jahr ...’, das ist auch so eine Art, um den Kündigungsschutz - sag ich mal - zu erweitern“ (Int. 10)
Unser letztes Beispiel betont die Begrenztheit beim Umgehen des Kündigungsschutzes durch die Befristung. Indirekt wird hier deutlich, dass es dem Arbeitgeber darauf ankommt, eine längerfristige Beziehung zu einem Arbeitnehmer aufzubauen (wobei die Assoziation mit dem „Leistungsträger“ bezeichnend ist). Nachgerade ergibt sich das Problem der Sozialauswahl im Falle von Kündigungen: „Das ist das große Problem, wenn ich jemanden neu einstelle, dann kann ich es aktuell befristet für zwei Jahre. Aber sowie der ins dritte Jahr geht, ist der unbefristet. Und wenn ich dann halt eine Belegschaft von Unbefristeten habe, heute eine saubere Sozialauswahl zu machen, sodass die vorm Arbeitsgericht Bestand hat, ist fast unmöglich. Weil die Arbeitsgerichte auch sehr arbeitnehmerfreundlich entscheiden, weil sie sicherlich auch Positionen halten wollen, was ja auch richtig ist ... Ich habe immer Probleme, Leute rauszuholen. Und am Ende habe ich sogar das Problem, dass eine Sozialauswahl, auch wenn da ... das Kündigungsschutzgesetz ja geändert wurde, dass ich Leistungsträger rausnehmen kann aus der Sozialauswahl. Das Problem ist, auch da kann heute noch kein Arbeitsrichter und auch kein Arbeitsrechtler einem wirklich sagen: ‚Wen darfst du als Leistungsträger bezeichnen? Wie viele darfst du als Leistungsträger bezeichnen?’ Und am Ende trifft nämlich dann genau die Sozialauswahl die Leute, die ich eigentlich behalten will, weil ich weiß, das sind die Leute, die mich auch noch zukünftig voranbringen ... dann kann ich die nicht freisetzen. Und ich kann jetzt nicht einfach den, wo ich weiß, der hilft mir nicht mehr wirklich oder der passt auch einfach nicht, den ... den muss ich auf einmal behalten und soll den Leistungsträger abgeben ... also, da denke ich schon, dass man Unternehmer 178
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse auch freier machen müsste in der Auswahl der Leute, wenn sie denn tatsächlich mal die Entscheidung treffen müssen, jemanden freizusetzen, wen sie dann freisetzen können.“ (Int. 39)
Soweit zu den prohibitiven Wirkungen des Kündigungsschutzes. Dieser scheint für das Einstellungsverhalten wenig relevant zu sein. Dagegen sind es die Nachfrage nach und das Angebot an Arbeitskräften, welche das Einstellungsverhalten bestimmen. Wo ein „Ausweichverhalten“ vorliegt, wird dieses auch mit dem Kündigungsschutz begründet, obwohl Schwankungen in der Auftragslage eine wichtige Rolle spielen und die Loyalität zum Unternehmen bzw. die Sicherheit des Arbeitsverhältnisses wichtige Werte sind. Eher wird die Befristung als die Verlängerung der Probezeit gewünscht. Befristung und Leiharbeit werden aber auch als Übergangsform in eine reguläre (unbefristete) Beschäftigung gesehen, zumal die Befristung selbst ja den Kündigungsschutz nicht obsolet werden lässt.
5
Innerbetriebliche Wirkung des Kündigungsschutzes
5.1
Vorbemerkungen
Damit kommen wir zu den innerbetrieblichen Wirkungen des Kündigungsschutzes, welche wir nicht allein mit Bezug auf die Rechtsform erklären können. Die betrieblichen Akteure sind zum einen Funktionsträger mit einer bestimmten Rolle, die ihnen u. a. vom Arbeitsrecht zugewiesen wird. Zum anderen handeln sie in einer Arbeitswelt, die Teil ihrer je persönlichen Lebenswelt ist. Der formale, systemische Aspekt und die subjektiv empfundene Arbeitswelt bestimmen gemeinsam die Arbeitsbeziehungen, in denen sich die Akteure befinden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich die Bedeutung des Arbeitsrechts für die Arbeitsbeziehungen differenziert darstellt. Zunächst gibt es den expliziten Arbeitsvertrag, der – schriftlich festgehalten oder nicht – die Rechte und Pflichten beider Seiten festhält. Ihm zur Seite tritt der psychologische, implizite Vertrag (Gössig 2005; siehe auch Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3; Fallstudien: Stahlmann et al. 2004; Kattenbach, Kapitel 2.5), der die wechselseitigen Erwartungen der Vertragspartner definiert, welche nicht im expliziten Vertrag formuliert werden, gleichwohl aber eine handlungsleitende Funktion haben. Hierzu gehört z.B. der „Tausch“ von Loyalität und Leistungsbereitschaft gegen Arbeitsplatzsicherheit und subjektiv gerechte sowie auskömmliche Bezahlung als wichtige Bezugsgröße für eine funktionierende Organisation. Beide Seiten des Arbeitsvertrages haben eine wichtige Funktion für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Im Alltag bestimmt der implizite Vertrag das Handeln. Erst in 179
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Konfliktfällen ziehen sich die Vertragspartner auf den expliziten Vertrag zurück, was allein schon als Verletzung einer Loyalitätsbeziehung gedeutet werden kann – besonders dann, wenn externe Experten (Rechtsanwälte) oder Schiedsrichter hinzugezogen werden. Von daher dürfte es nicht wundern, wenn die Vertragsparteien Konflikte unterhalb der Problematisierung des externen Vertrages auszutragen suchen und das Ausmaß der explizit ausgetragenen Konflikte z.B. vor Arbeitsgerichten verhältnismäßig gering ist. Entsprechend zu relativieren ist dann auch die tatsächliche Bedeutung des Arbeitsrechts, das trotzdem als „gefühltes Recht“ ein wichtiger Handlungsrahmen sein kann, der jedoch eher aus dem Hintergrund wirkt. Hinzu kommt, dass das Arbeitsrecht als Vertrags- und Schutzrecht einen Doppelcharakter aufweist (siehe auch Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 3): Zum einen regelt das Arbeitsrecht die formale Gestaltung der Arbeitsbeziehungen hinsichtlich des Schuldverhältnisses, des Arbeitsortes, der Arbeitszeit (Umfang, Lage und Verteilung derselben), Tätigkeit etc. sowie die Bedingungen der Auflösung desselben (Art der Auflösung, Gründe, Form und Fristen einer Kündigung, Abfindungen und ähnliches). Zum anderen hat es die Funktion, den Arbeitnehmer vor Übergriffen des Arbeitgebers und unbilligen Härten aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Auflösung zu schützen. Dahinter steht die Vorstellung einer asymmetrischen Vertragsbeziehung, bei der eine Seite die Interessen eher durchsetzen kann, als die andere. Art und Umfang dieser Asymmetrie freilich können unterschiedlich sein. Insofern kann ein legitimes Schutzbedürfnis durchaus von der anderen Seite als Einschränkung der notwendigen Dispositionsfreiheit über die vertraglich gebundene Arbeitskraft empfunden werden. Die im Arbeitsrecht zum Ausdruck kommende asymmetrische Vertragsbeziehung stellt einen objektiven Widerspruch dar, dem das gelebte Recht die „Bewegungsform“ gibt. Ein Widerspruch liegt deshalb vor, weil das Recht als Vertragsrecht auf der regulativen Idee der Vertragsfreiheit beruht, die eine Gleichheit der Macht-Ressourcen der vertragsschließenden Parteien voraussetzt. Gleichzeitig aber soll das Arbeitsrecht MachtUngleichgewichte ausgleichen, Arbeitsverhältnisse sichern und die Akteure vor ungerechtfertigten Übergriffen schützen. Diese Widersprüchlichkeit von Vertragsfreiheit und Schutz spüren die Interviewten und bringen sie zum Ausdruck, ähnlich wie wir es in der ÖWAR-Studie herausgearbeitet haben (vgl. Schramm 2007), und es auch in der Telefonbefragung deutlich wird (vgl. Kapitel 2.9 dieses Bandes). Sie prägt auch der Arbeitseinsatz. Zu den innerbetrieblichen Wirkungen des Kündigungsschutzes gibt es widersprüchliche Thesen und Befunde:
180
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
1. Fehlende Arbeitsplatzsicherheit diszipliniert die Beschäftigten. Der stützende Befund ist hierfür die Entwicklung der Fehlzeiten. Aber schon dieser ist nicht eindeutig. Zwar sinken die Fehlzeiten insgesamt mit steigender Arbeitslosigkeit. Anderseits lässt sich zeigen, dass die individuelle Arbeitsplatzunsicherheit zu steigenden Fehlzeiten führt. Arbeitsplatzunsicherheit zeitigt also einerseits eine disziplinierende Wirkung (gern auch demonstriert an den Befristungen); sie stellt aber zugleich einen negativen Stressor dar und untergräbt die Loyalität zum Unternehmen. 2. Die Arbeitsplatzsicherheit erlaubt Kooperation und motiviert die Beschäftigten. Der stützende Befund ist die hohe Arbeitsplatzstabilität als Kennzeichen der im Allgemeinen hochproduktiven deutschen Volkswirtschaft. Dabei sollte unterschieden werden zwischen der anerkannten Bedeutung der Arbeitsplatzsicherheit und langer Beschäftigungszeiten für die Betriebe auf der einen Seite und den rechtlichen Beschränkungen beim Beschäftigungsabbau auf der anderen Seite. Man kann durchaus die Beschäftigungsdauer wichtig finden und zugleich der Auffassung sein, dass rechtliche Beschränkungen beim Personalabbau stören. In diesem Fall führt die rechtliche Sicherheit der Beschäftigten dazu, dass die Unternehmen diesem mehr oder weniger „ausgeliefert“ sind. Auch kann allein die Tatsache, rechtlichen Beschränkungen zu unterliegen, von den unternehmerisch Handelnden als störend empfunden werden. Wir haben in unseren Interviews versucht, Hinweise auf die innerbetriebliche Wirkung des Kündigungsschutzes zu finden. Das betrifft sowohl die disziplinierende als auch die motivierende Wirkung und die mögliche Diskrepanz zwischen der Betonung einer hohen Beschäftigungsdauer und der störenden rechtlich verankerten Arbeitsplatzsicherheit.
5.2
Empirische Ergebnisse
Die Wirkungen des Kündigungsschutzes auf das Verhalten von Führungskräften wurde in den Interviews mittelbar erfragt. Nur im Einzelfall wurden disziplinierende Verhaltensweisen erwähnt. In unseren ausführlichen Experteninterviews war wie auch in der Telefonbefragung den Befragten die Betriebszugehörigkeit wichtig. Das zeigt sich u. a. an der Beantwortung der Frage „Was würde passieren, wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe?“. Schauen wir uns zwei Beispiele an: „Letztendlich ist das Qualitätsverlust. Sowohl was die Lebensqualität angeht, Angst macht krank... Dann, wenn Unternehmen blindlinks rausschmeißen können, eben weil sie keine Grenzen mehr haben, nur ein langjähriger Mitarbeiter kann wirklich ein richtig guter Mitarbeiter sein. Je länger man da ist, um so besser ist die Qualität, die man abgibt. Von da 181
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse her sinkt eigentlich auch die Leistungsqualität, was bedeutet, dass auch Kunden irgendwann dann mal die Nase voll haben, weil sie sagen, es gibt auch noch andere. Das kann ein Unternehmen ruinieren.” (Int. 31)
In dieser Passage werden drei Ebenen in der Bedeutung des Kündigungsschutzes deutlich: 1. Die Arbeitsplatzsicherheit (welche mit dem Kündigungsschutz assoziiert ist) stellt einen wichtigen Teil langfristiger Lebensplanung dar. Sie ist Teil der Lebensqualität. 2. Arbeitsplatzunsicherheit ist ein Stressor, der krank machen kann und sich so negativ auf die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten auswirkt. 3. Betriebszugehörigkeit ist eine Voraussetzung für die Qualität der Arbeit. Arbeitsplatzunsicherheit führt zu Qualitätsverlust. Das ist nicht unbedingt Ausdruck eigener Erfahrungen, sondern stellt zugleich Wertorientierungen (Lebensqualität) und Annahmen über den Wirkmechanismus von Sicherheit und Motivation bzw. Qualität der Arbeit dar. Ähnlich sieht das ein anderer Befragter: „Willkür der Arbeitgeber, der Wirtschaft und, um das jetzt mal kurz zu machen, und natürlich genau das Gegenteil von dem, was ich davor gesagt habe, sprich die totale Unsicherheit bei den Leuten. Und natürlich Zukunftsängste, weil, ich hab ja keine Sicherheit mehr, ich brauche ja Sicherheit. (...) Das ist wie so ein Rattenschwanz, der sich so durch zieht.” (Int. 33)
Der mögliche Einsatz arbeitsrechtlicher Instrumentarien in einem laufenden Beschäftigungsverhältnis ist theoretisch vielfältig. Zum einen schützt das Arbeitsrecht den Arbeitnehmer vor Willkür und ermöglicht ihm so, seine spezifischen Ressourcen im Arbeitsverhältnis (Kenntnisse, Einfluss, Beziehungen etc.) besser auszuspielen. Zum anderen definiert das Arbeitsrecht den Spielraum dafür, dass der Arbeitgeber Sanktionen verhängen kann. Eine hohe Arbeitsplatzsicherheit ist aus Sicht der Arbeitgeber zwiespältig: Sie verschiebt einen Teil des Machtgleichgewichtes zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers, die Arbeitsplatzsicherheit stellt anderseits eine Voraussetzung dafür dar, dass sich Arbeitnehmer in die betriebliche Organisation „einbringen“. Das hatten obige Zitate gezeigt. Die befragten Personalverantwortlichen begrüßen die Arbeitsplatzsicherheit als Stabilisator für betriebliches Verhalten, erleben allerdings die juristische Form ihrer Absicherung (zu einem Teil zumindest) als Einschränkung unternehmerischer Freiheit, welche implizit ein Misstrauen in ihre sozialen Kompetenzen (Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit, Loyalität gegenüber den Arbeitnehmer, Rationalität des Handelns) zum Ausdruck bringt. Es geht nicht um das faktische Resultat des Kündigungsschutzes, sondern um die Form der Absicherung der Arbeitnehmer. Nur vereinzelt sehen die Akteure 182
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
das Arbeitsrecht als Instrument der Disziplinierung. Das kann man an den Ermahnungen bzw. Abmahnungen zeigen. Letztere können dazu dienen, Disziplin durchzusetzen oder Kündigungen vorzubereiten. Dabei wird die Effektivität von Abmahnungen durchaus kritisch gesehen: „Also wir haben sehr, sehr wenig Kündigungsschutzverfahren, aber die eins/zwei die wir, äh, diesbezüglich hatten - also allein von den Anforderungen, was ein Arbeitgeber alles äh, für Abmahnungen aussprechen muss und was ein Arbeitnehmer alles für äh, Möglichkeiten, äh hat, sag ich mal, gegen die entsprechenden Regelungen des Unternehmens zu verstoßen, bevor der überhaupt mal dann eine Entscheidung gefällt werden kann.“ (Int. 37)
Es geht aber gar nicht unbedingt darum, jemanden loswerden zu wollen, wie folgendes Zitat zeigt: „Ich muss jetzt dazusagen, ich hatte gar nicht unbedingt den Willen, dass er tatsächlich das Unternehmen verlässt. Mir ging es eigentlich darum, dass er seine Arbeit so macht, wie man sie eigentlich machen sollte. Und nachdem das über Jahre nicht richtig funktioniert hat, habe ich immer noch gesagt, so, jetzt kriegt er eine Abmahnung, und dann kriegt er noch eine Abmahnung und dann als zweite Abmahnung die Kündigung. Und es kam dann zum Prozess, den ich natürlich verloren habe, das war mir eigentlich vorher klar. Aber eigentlich ging es eher um die Signalwirkung, dass der Mitarbeiter ... und es wurde dadurch letztlich auch besser, muss man sagen, man kann ihn zwar nicht mehr umdrehen in dem Alter, aber man kann seine gewissen Verhaltensweisen verbessern, und das ist dann auch eingetreten. Ich habe das ohne Anwalt gemacht.“ (Int. 28)
Offensichtlich war das Instrument der Abmahnung nicht effektiv. Trotzdem sieht der Interviewte das Verfahren als Signal zur Disziplinierung. In letzter Konsequenz dient die Abmahnung nicht nur der „Erziehung“, sondern auch dazu, wirksame Kündigungen vorzubereiten: „Wir versuchen auch ... das steckt natürlich dahinter. Wir versuchen dann auch wirklich, rechtzeitig zu erkennen, ob jemand zu uns passt, ob jemand auch arbeiten will oder nicht. ... Gerade so in den Aufgabenfeldern, in denen körperliche Arbeit angesagt ist, also, Arbeit, die keinen hohen geistigen Anspruch hat, aber einen hohen körperlichen Anspruch hat, da sind die Leute auch recht emotional, nicht? Die kommen dann auch einfach mal nicht zur Arbeit, wenn sie ein paar Mal gefeiert haben oder so. ... Am Anfang wird gesprochen und gesprochen, und dann gibt es mal eine Ermahnung. Und dann gibt es eine erste Abmahnung, vielleicht eine zweite Abmahnung. Und dann irgendwann kommt eine Kündigung.“ (Int. 15)
Interessant sind in diesem Beispiel zwei Aspekte: 1. grenzt der Interviewte den Personenkreis, auf den Ermahnungen und Abmahnungen wirken sollen, ein („Arbeit, die keinen hohen geistigen Anspruch hat“). 2. bezieht er das Instrument der Abmahnung auf drastische Fälle eines Fehlverhaltens – und relativiert damit dessen Anwendbarkeit als durchgängiges Instrument der Personalführung. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich zudem ein gewisses Ausweichverhalten, wenn Kündigungen (hier personen- oder verhaltensbedingte) vermieden werden:
183
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse „...wenn wir uns mal von Leuten trennen, dann versuchen wir, das auch gar nicht ... oftmals gar nicht über den Kündigungsweg, sondern über das gegenseitige Einvernehmen. Das heißt, über einen Auflösungsvertrag.“ (Int. 15)
Somit können wir unsere Ergebnisse zusammenfassen: Eine repressive Personalführung ist in der Selbstbeschreibung nicht gängig. Die Arbeitsverhältnisse sind – mit den Augen der Befragten betrachtet – eher durch kooperativen Umgang gekennzeichnet. Die Arbeitsplatzsicherheit ist wegen der notwendigen Qualifikationen und der Motivation ökonomisch bedeutend. In bestimmten (drastischen) Fällen, wird das Instrument der Abmahnung zur Disziplinierung und Kündigungsvorbereitung genutzt. Wir finden Klagen über die Ineffizienz der innerbetrieblichen Disziplinierung qua Recht ebenso („was ein Arbeitnehmer alles für Möglichkeiten hat“) wie Berichte wirksamer Abmahnung („... und es wurde dadurch letztlich auch besser“).
6
Präventive Wirkung des Kündigungsschutzes
6.1
Vorbemerkungen
Der Kündigungsschutz wird in der Regel als eine wichtige Voraussetzung für sichere Arbeitsplätze gesehen. Diesen spricht man nicht nur eine gesellschaftspolitisch wichtige Funktion zu, sondern auch eine motivierende Funktion innerhalb von Organisationen. Letzteres ist bedingt richtig, obwohl man sich auch gut dysfunktionale Folgen rechtlich sicherer Arbeitsplätze ausmalen kann. In der öffentlichen Debatte wird der Kündigungsschutz zum Teil als eine Ursache wirtschaftlicher Probleme angesehen. Das bezieht sich auf den verzögerten Abbau von Beschäftigung in Krisenzeiten wie auf den verzögerten oder verhinderten Aufbau von Beschäftigung. Das ist natürlich alles nur richtig wenn es -
einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Kündigungsschutz und dem Verhalten der Betriebe gibt, welches durch die Entscheidungsträger vermittelt wird,
-
das Ausmaß des Phänomens „Kündigung“ so groß ist, dass eine Veränderung des Kündigungsschutzes zu messbaren volkswirtschaftlichen Effekten führen würde.
Insgesamt wurden nach unseren Berechnungen auf der Basis des SOEP in 2004 ca. 11% der 36 Mio. Beschäftigungsverhältnisse beendet, wenn man Verrentung, Beurlaubung und Geschäftsaufgabe außer acht lässt. Etwa die Hälfte davon war vermutlich vom Arbeitgeber veranlasst, wenn Betriebsstilllegungen, Kündigungen durch den Arbeitgeber und Aufhebungsverträge zusammenfasst werden. Nur ein vergleichsweise 184
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
kleiner Teil der Beschäftigten ist also von Beendigungen des Beschäftigungsverhältnisses betroffen; die Struktur der Beendigung 2004 im Vergleich zu 2000 deutet aber darauf hin, dass die Verhältnisse für die Beschäftigten schwieriger geworden sind. Bereits aus statistischen Erwägungen muss also das Phänomen vorsichtig beurteilt werden. Wir finden an verschiedenen Stellen Regelungen, die sich auf den Vollzug von Kündigungen beziehen. Vor allem seien hier das BGB und das Kündigungsschutzgesetz genannt. Unter Kündigungen verstehen wir sowohl verhaltens- und personenbedingte Kündigungen als auch betriebsbedingte Kündigungen. Die öffentliche Diskussion über den Kündigungsschutz konzentriert sich vor allem auf die betriebsbedingten Kündigungen. In den Interviews fanden wir aber auch Beispiele verhaltens- und personenbedingter Kündigungen. Die betriebsbedingten Kündigungen machen einen Teil der Kündigungen aus, so wie die Kündigungen durch den Arbeitgeber einen Teil der Beendigungen ausmachen, wobei die Beendigungen von Arbeitsverhältnissen selbst nicht das zentrale Geschehen im Beschäftigungssystem darstellen. Allein die Größenverhältnisse relativieren die Bedeutung des Kündigungsschutzes für betriebswirtschaftlichen Entscheidungen; davon abgesehen können aber die gesetzlichen Regelungen – trotz faktisch geringer empirischer Relevanz – im Kalkül der Akteure einen wichtigen Stellenwert haben. Das eben gilt es zu untersuchen. Wie wir bisher sahen, schätzen unsere Probanden weit überwiegend die Situation so ein, dass Einstellungsentscheidungen unabhängig vom Kündigungsschutz getroffen werden. Ein gewisses Ausweichverhalten ist aber zu registrieren. Jedoch ist dies in seiner gesamtwirtschaftlichen Bedeutung begrenzt. Und die Experten schätzen die Bedeutung des Kündigungsschutzes bei der Wahl von alternativen Auftrags- oder Beschäftigungsformen auch eher gering ein. Für eine große Bedeutung des Kündigungsschutzes bzw. der Kündigung als Drohmittel innerhalb des Betriebes gibt es ebenfalls aus der Sicht der Experten wenig Evidenz.
6.2
Empirische Ergebnisse
Wie wir schon gesehen haben, gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Kündigungsschutz in der Regel dazu führt, dass Einstellungen verzögert werden oder auf sie verzichtet wird (prohibitive Wirkung). Die Frage ist, ob das auch für Kündigungen gilt. Schauen wir uns zunächst einzelne Antworten an:
185
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
-
Haben Sie schon mal auf eine geplante Kündigung verzichtet?
„Nein. Das war klar und sicher, wie wir das machen wollten und ... was wir damit erreichen wollten. ... Ob die nun geklagt oder nicht geklagt haben oder wie das auch lief, das hat nicht dazu geführt, dass man sagt: ‚Na ja, gut, dann schmeiß ich den vielleicht doch nicht raus’. Ich denke, das ist dann auch eine problematische Situation. Das ist dann sicherlich nicht ganz leicht hinterher zusammenzuarbeiten...“ (Int. 05)
-
Haben Sie schon mal eine geplante Kündigung wieder zurückgenommen?
„Ja. Haben wir auch schon gemacht, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass man bei einer betriebsbedingten Kündigung gemerkt hat: ‚Ups, das war der Falsche’, dann nimmt man die Kündigung zurück. ... Bei verhaltensbedingten Kündigungen oder in der Person liegenden Gründen haben wir das noch nicht gemacht. Weil, wenn man sich DAS nicht bis zum Schluss überlegt hat, dann hat man, glaube ich, im Vorfeld in der Planung schon einen Fehler gemacht.“ (ebd.)
Wie stellt sich die Situation nun im Überblick dar? Die Hälfte der Betriebe hat schon einmal auf eine geplante Kündigung verzichtet. Es gibt hierfür unterschiedliche Begründungen seitens der Personalverantwortlichen: weil sich die betriebliche Situation verändert hat (knapp ein Drittel der Nennungen), aus Mitleid oder sozialen Gründen (knapp ein Drittel), die Akteure haben sich vom Gegenteil überzeugen lassen oder die (drohende) Kündigung wurde bewusst eingesetzt (vereinzelt). Eine präventive Wirkung ließ sich auch in dem Sinne erkennen, dass bei verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigungen erst abgewartet wurde, bis belastendes Material zur Verfügung stand (das wurde aber nur vereinzelt berichtet). Wie wir ebenfalls oben sahen, können unsere Experten mit dem Arbeitsrecht im Großen und Ganzen recht gut leben. Das betrifft auch den Kündigungsschutz. Trotzdem konzentrieren sich hier die Kritiken, obwohl die Existenz eines Kündigungsschutzes insgesamt nicht infrage gestellt wird. Es sind eher einzelne Aspekte, die den Umgang mit dem Kündigungsschutz bei einem notwendigen Personalabbau aus Sicht der Interviewten erschweren (Hervorhebungen jeweils von den Autoren): -
die Kündigungsfristen (die sich aus dem BGB oder den Tarifverträgen ergeben)
„... weil eben bei längerer Betriebszugehörigkeit hier auch schon sehr lange Kündigungsschutzfristen gelten, weil ja eben die Höhe einer möglichen Abfindung davon ja auch abhängig ist. Sicherlich aber auch eine entsprechende Schutzfunktion für den Arbeitnehmer hat. In der derzeitigen wirtschaftlichen Situation findet ein über Mitte 40jähriger sehr, sehr schwer woanders noch einen Arbeitsplatz. Das ist ja die … Deutschland ist ja sehr jugendorientiert und alles, was erfolgreich ist, ist ja unter 30 oder so, sollte aber trotzdem schon 25 Jahre Berufserfahrung haben. Ja, das passt so irgendwie nicht.“ (Int. 22)
-
die Sozialauswahl im Falle von betriebsbedingten Kündigungen.
„Man hängt an Leuten, die man vielleicht gar nicht haben will und muss jemand anderen kündigen, weil der kürzer da ist, den man lieber behalten möchte. Nur als kleines Beispiel beim Kündigungsschutz, ja man muss soziale Auswahl treffen, wir sind ja leider nicht unter soundso viel Leuten, dass man sagen kann, komm, es gibt keinen Kündigungsschutz. 186
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse Es ist schon schlecht, wir haben hier so einen Kandidaten, 10 Jahre bei uns, bringt keine Leistung mehr. So, und wir haben jetzt jemanden eingestellt, der besser ist, und es geht gar nicht mal ums Gehalt jetzt mal so sehr. Und wenn ich jetzt die soziale Auswahl nach Kündigungsschutzgesetz treffen müsste, müsste ich den neu eingestellten zuerst rauswerfen, wenn es zum Beispiel darum geht, dass das Geschäft in dem Bereich nicht so gut läuft. Oder ein anderes Beispiel, wir haben ja einen Bereich, wo wir jetzt umstrukturieren müssen, der läuft nicht mehr. Da arbeitet eine Person, die hat das immer gut gemacht, die ist aber in einem anderen Bereich aufgrund ihrer Art wie sie ist, nicht einsetzbar. Also ich könnte jetzt nicht sagen, jetzt machst du das, aber ich müsste es eigentlich machen von der rechtlichen Seite her und müsste dann vielleicht jemanden, der kürzer da ist auf dem Sitz kündigen, damit die, die eigentlich gar nicht geeignet ist, auf den Sitz kommt. Also das Kündigungsschutzrecht ist meines Erachtens falsch, das zeigt sich auch daran, dass die Leiharbeitsfirmen sich wunderbar entwickeln.“ (Int. 02)
-
die Risiken die sich aus Dauer und Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses ergeben.
„Kündigungsschutzregelungen; fallen mir auch viele Beispiele ein, also wenn ich allein mal an die Verfahrensdauer denke. Also wir haben sehr sehr wenig Kündigungsschutzverfahren, aber die eins/zwei die wir diesbezüglich hatten - also allein von den Anforderungen, was ein Arbeitgeber alles äh, für Abmahnungen aussprechen muss und was ein Arbeitnehmer alles für Möglichkeiten hat gegen die entsprechenden Regelungen des Unternehmens zu verstoßen, bevor der überhaupt mal dann eine Entscheidung gefällt werden kann. Das halte ich schon für bedenklich in der Praxis. Und ist auch recht schwierig dann, sag ich mal, auf anderen Ebenen, gerade in der Diskussion den Vorgesetzten auch klar zu machen, die sich nun mal mit Arbeitsrecht, nicht so tief zu befassen haben, wie das jetzt meine Aufgabe ist, grundsätzlich ich gerate da schon oft in Erklärungsnot.“ (Int. 36)
Nur selten legen unsere Probanden eine geradezu defätistische Haltung an den Tag: „Ich kann ja ... ich kann ja nicht kündigen. Da stehen zwar Kündigungszeiten drin, aber ich kann nicht kündigen. Das heißt also, wenn ich jetzt jemanden kündige und der geht zum Arbeitsgericht und macht eine Kündigungsschutzklage, bin ich schon Letzter.“ (Int. 12)
Dies ist eine pauschale Aussage, welche durch Erfahrungen untermauert werden muss, da sie rein rechtlich nicht stimmt. Hören wir weiter: „Das ist das, was ich also nie verstanden habe. Ich bin ja selbst auch mal Arbeitnehmer gewesen vor 25 Jahren. Ich habe Kündigungszeiten vereinbart. Ich als Arbeitnehmer kann jederzeit kündigen, ist egal, ob ich hier in dem Unternehmen 20 Jahre beschäftigt bin, dann kündige und geh nach Hause und sag: ‚So, ich habe was Besseres gefunden oder was anderes’, oder wie auch immer.“(ebd.)
Hier wird die Asymmetrie im Arbeitsverhältnis deutlich. Tatsächlich ist es für Arbeitnehmer leichter die Arbeit zu wechseln als für Arbeitgeber, die Arbeitnehmer nach langen Jahren der Betriebszugehörigkeit „los zu werden“. Der Personalverantwortlicher schildert seine Geschichte dazu: „Aber als Arbeitgeber darf ich nicht kündigen. Es gibt ja nur die personenbedingte Kündigung, die ausgesprochen werden kann, da müssen Sie gute Gründe haben oder eine betriebsbedingte Kündigung. Ja, und das ist also sehr schwierig. Aber das Problem ist ganz einfach. Wenn Sie eine betriebsbedingte Kündigung haben, zum Beispiel wenn Sie Kurzarbeit machen, auch das haben wir alles schon gehabt, dass wir also kaum Arbeit gehabt haben, dass wir die Leute teilweise von 5 Arbeitstagen 3 oder 4 nach Hause schicken mussten in der Woche, weil wir keine Arbeit hatten und sind überall rumgelaufen im Verkauf, Arbeit zu besorgen. Und dann haben wir irgendwann gesagt: ‚So, das hat keinen Zweck, wir müssen Personal abbauen.’“ (Int. 12) 187
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
In der Tat ist der Auftragsrückgang für sich genommen noch kein Kündigungsgrund. „Ja, und dann gucken Sie und dann wird ein sozialer Auswahl... bestimmte Personen also dann auszugucken und sagen: ‚Den können wir nur kündigen, obwohl wir den ungern abgeben’, das hat man mittlerweile ja geändert vom Gesetz. Sie können heute also auch mit einfließen lassen, wenn Sie einen guten Facharbeiter haben, dass sie den aus bestimmten Gründen mit behalten können. Das war früher aber noch nicht. Aber das nutzt Ihnen trotzdem alles nichts. Wenn der Arbeitnehmer dann eine Kündigungsschutzklage macht, dann geht die ganze Sache automatisch vor das Arbeitsgericht, und dann sagt die Gewerkschaft: ‚Nun mal langsam. Und dann beweisen Sie uns mal, dass Sie keine Arbeit haben.’“ (ebd.)
Es ist zu erwarten, dass im Falle einer Kündigung, welche durch einen notwendigen Stellenabbau begründet wird, ein Nachweis der Zwangslage erfolgen sollte. Das trifft auch unseren Probanden: „Ich sag: ‚Das beweise ich dahingehend schon, dass ich die Leute von fünf Arbeitstagen drei oder vier nach Hause geschickt habe.’ ‚Das ist für uns kein Beweis. Beweisen Sie uns mal stundenmäßig, dass der Arbeitsplatz nicht ausgelastet ist.’ Ja, und dann fangen Sie an zu rotieren. Ja, da haben Sie kaum eine Chance, das aufzuführen und sagen: ‚So und so.’ Ende vom Lied ist, die Klage wird abgewiesen, Sie müssen den Arbeitnehmer wieder einstellen.“ (Int. 12)
Der Klage des Arbeitnehmers wurde wohl stattgegeben. Ein Beweis, dass man nicht kündigen kann, ist das alles natürlich nicht. Es illustriert aber, wie gelebtes Recht in gefühltes Recht übersetzt wird, das vielleicht dazu führt, dass in der Zukunft notwendige Personalanpassungen vermieden werden. Es fällt übrigens auf, dass hier wohl der Rechtsbeistand des Arbeitgebers fehlte (oder versagte?). Dabei darf man nicht vergessen, dass die meisten Interviewten zwar Probleme mit dem Kündigungsschutz als Handlungsbeschränkung sehen (soweit sie sich dazu äußern), dies aber nicht selten gerade in ihrem Unternehmen nicht so relevant ist. Typisch dafür dieses Beispiel: „Für mich persönlich und auch hier fürs Unternehmen hat das keine große Auswirkung. Wir gehen damit um. Die ersten sechs Monate hat er eh keinen Kündigungsschutz, und bis dahin wissen wir meistens, ob es das ist, oder ob es das nicht ist. (Int. 03)
Der bekundeten persönlichen = betrieblichen Betroffenheit werden allgemeine Erwägungen gegenüber gestellt: „Ja, ich denke, es ist aufgrund der gesamten schwierigen wirtschaftlichen Situation. In der sich viele Unternehmen befinden, oftmals, so wird es empfunden, ein Klotz am Bein. Wenn eben arbeitsrechtliche Dinge, gerade was Kündigungsschutz und Kündigungsfristen oder auch die Handhabung eben der Probezeit angeht. Manche sagen, ich kann von einem Tag zum anderen jemanden dann sofort wieder wegschicken, andere sagen, ich bin aufgrund unseres Vertragsregime gebunden, ich muss dem trotzdem noch einen Monat oder wie auch immer beschäftigen. Also, ich denke, da finden sich bestimmt eine Reihe von Unternehmen, die sehr den Gürtel enger geschnallt sind wirtschaftlich, sehr gehandicapt, da mehr Bewegungsspielraum zu haben. Die würden sicherlich da anders handeln wollen. Aber die rechtlichen Barrieren so sind, dass die das einfach nicht dürfen.“ (Int. 26)
Wir haben hier ein Beispiel für das, was wir Subtyping nennen (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3; sowie Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.3): Die Prob188
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
leme liegen jeweils bei anderen; man selbst ist nicht von dem Problem betroffen, das man schildert. Immer wieder wird dagegen die soziale Funktion des Kündigungsschutzes betont: „Wenn Sie jetzt überlegen, Sie werden gekündigt, und der Chef kann Ihnen sagen: ‚Tschüss. Die Tage, die du jetzt gearbeitet hast, bezahlen wir und fertig.’ Und jetzt stellen Sie sich das unter einem Familienvater vor mit 4 Kindern, der keinen Kündigungsschutz hätte. Der weiß ja schon an dem Tag, wo er den Betrieb verlässt: ‚Bis hierhin habe ich jetzt Geld. Wie kriege ich meine Familie nächsten Monat ernährt?’ Also, ich denke schon, dass der Kündigungsschutz gut ist. Weil, dann hat auch der Arbeitnehmer ja die Möglichkeit zu sagen: ‚Okay, ich habe jetzt 4 Wochen Kündigungsfrist. Ich nehme jetzt Urlaub und in dieser ...’, ich sag jetzt mal ganz pauschal, ... kann ich mir was anderes suchen eventuell schnell. Dass das nahtlos übergeht, nicht?“ (Int. 07)
Interessant ist die Auffassung eines Befragten zu im Vorfeld vereinbarten Abfindungen (Ausführliche Ergebnisse hierzu: Worobiej, Kapitel 2.3): 1. Unterstellt er offensichtlich, dass man bereits jetzt Abfindungen im Voraus vereinbaren kann und damit den Kündigungsschutz aushebelt (was aber nicht stimmt). 2. Betont er die Zwiespältigkeit einer solchen Trennungsregelung für den impliziten Arbeitsvertrag. 3. Verweist er auf die handlungsentlastende Funktion gesetzlicher Regelungen. 4. Verweist er auf die Sortierfunktion einer solchen Regelung für das Angebot an Arbeitskräften, welche möglicherweise auch nach dem Kriterium der im Voraus vereinbarten Abfindungen ihre Arbeitsstellen aussuchen würde. Hier die Interviewpassage dazu: „Also, das halte ich ... so eine Regelung halte ich für durchaus positiv. Also, ich meine, das ... das neue Kündigungsschutzgesetz sieht das ja auch vor mit dieser Abfindung. Und dass man das jetzt auch auf dem Wege praktisch direkt Eingang in den Arbeitsvertrag finden, finde ich nicht schlecht. Also, wobei man natürlich auch ehrlich sagen muss, es hat für den Arbeitnehmer immer so was, wenn ich so was reinverhandeln will, nach dem Motto: ‚Du planst ja jetzt schon meine Entlassung.’ Und = das kann den auch so psychisch so ein bisschen bremsen. Also, es ist immer schlecht,... es ist wie, wenn man heiratet, ist immer schlecht, wenn man einen Ehevertrag macht, weil dann die Frau einem vorwirft, man will ja schon jetzt die Scheidung regeln. Und das ... genauso ist das bei so einem Arbeitsvertrag. Man verbringt sehr viel Zeit auch auf der Arbeit und da ist es dann vielleicht sogar gut, wenn der Gesetzgeber so eine Regelung nimmt, weil, dann kann man den schwarzen Peter denen nämlich zuschieben. Dann kann man sagen: ‚Es gibt ja die Regelung. Wir müssen nicht darüber verhandeln.’ Die Regelung ist gesetzlich fixiert. Ich weiß nicht, von mir aus eine Hinweispflicht des Arbeitgebers, dass er sagt bei jeder Einstellung: ‚Ich muss dich nur drauf hinweisen, und darum mache ich es. Es gibt eine Regelung. Im Zweifel kriegst du eine Abfindung und damit entfällt dein Kündigungsschutzrecht. Ich wollte dich nur drauf hinweisen.’ Weil, wenn ich es vereinbare, können viele vielleicht ... auch vielleicht gerade gute Leute dann sagen: ‚Nein, mit der Klausel nehme ich den Vertrag nicht an. Dann gehe ich halt lieber woanders hin, wo einer diese Klausel gerade nicht reinschreibt.’“ (Int. 39)
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2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Die Idee, Abfindungen mit Vertragsabschluss bereits zu vereinbaren, ist aus der Perspektive unseres Probanden eine durchaus überlegenswerte Alternative, die freilich auch ihre Nebenwirkungen haben wird. Kommen wir nun zurück zu den Auswirkungen des Kündigungsschutzes im engeren Sinne. Wir haben die Möglichkeit, die Anzahl der Antworten im Rahmen der leitfadengestützten Interviews zu analysieren und so einen Überblick über die Meinungsbilder der Personalverantwortlichen zu bekommen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht in allen Interviews immer dieselben Fragen gestellt wurden. Das Interviewerverhalten ist stärker situativ bestimmt. Angesichts der oben dargelegten Vermutung, der Kündigungsschutz wirke rigide und sei den Akteuren wenig verständlich, wäre zu vermuten, dass die Erfahrungen mit dem Kündigungsschutz überwiegend negativ sein müsste. Dem ist aber nicht so: 24 Personalverantwortliche (von 41, also 59%) wurden in den qualitativen Interviews gefragt: „Haben Sie schon einmal schlechte Erfahrungen mit betriebsbedingten Kündigungen gemacht? Welche Auswirkungen hatte das für Ihr künftiges Vorgehen? Sechs Personalverantwortliche berichten von schlechten Erfahrungen (das sind 25% der Gefragten). Bereits hier wird deutlich, dass das empirische Ausmaß des Problems Kündigungsschutz nicht so groß ist, wie man es angesichts der öffentlichen Diskussion erwarten könnte. Wir sahen oben, dass ein Viertel der Probanden die Änderung des Kündigungsschutzes als Wunsch an das Arbeitsrecht äußern. Das entspricht offensichtlich auch dem Ausmaß der schlechten Erfahrungen, die unsere Probanden damit gemacht haben. Mehrfach wird berichtet, dass Arbeitnehmer bei Kündigung „natürlich“ vors Gericht gehen - was aber nicht negativ bewertet wird. Es lassen sich keine auffälligen Einflüsse auf schlechte Erfahrungen aus Betriebsgröße, Kenntnis des Arbeitsrechts etc. ableiten. Dies liegt auch daran, dass die schlechten Erfahrungen im Detail unterschiedlich verursacht sind (siehe unten). Die einzige erkennbare Wirkung schlechter Erfahrungen auf das Verhalten der Personalverantwortlichen ist ein regelbewusster/akkurater Umgang mit den Regeln des Kündigungsschutzes (inkl. Einbeziehung des Betriebsrates) um Niederlagen vor Gericht zu vermeiden. Dies ähnelt den Ergebnissen der Telefonbefragung, bei der ein hohes Maß an laufender Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht (ein hohes Niveau personalwirtschaftlicher Aktivitäten) dem strategischen, legalistischen Umgang mit dem Arbeitsrecht offensichtlich förderlich war (siehe Kapitel 2.9). Anderseits sehen wir in der ÖWARStudie, dass Erfahrungen mit dem Arbeitsrecht zwar das Wissen erhöhen, die Meinungen über das Arbeitsrecht aber verschlechtern (vgl. Schramm 2007). Es ist nahe liegend, zwischen der Einstellung zum Arbeitsrecht bzw. Kündigungsschutz und dem 190
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
praktischen Umgang damit zu differenzieren. Das entspricht unserem theoretischen Modell. Bei drei Befragten (von sechs mit schlechten Erfahrungen) ist dies – bei aufmerksamer Betrachtung der Gesprächsprotokolle – als Lerneffekt zu erkennen, fünf weitere Personalverantwortliche (21% der zu diesem Komplex Befragten) erwähnen ihr gründliches Vorgehen, was eine mögliche Ursache für ausbleibende schlechte Erfahrungen mit dem Kündigungsschutz ist. Bei insgesamt 16 von 24 Antworten gibt es keine schlechten Erfahrungen (67%). Von den 16 Befragten erwähnen: -
Sechs Befragte: Mitleid als negatives Erlebnis (alle 6 sind GF/GL) das sind 38% der Befragten
-
Drei Befragte: Großzügigkeit mit Abfindungen (19%)
-
Drei Befragte: einen „sportlichen“ Umgang mit dem Arbeitsrecht 19%
Die sechs Befragten mit den schlechten Erfahrungen nennen als Ursache: -
Ein Mal das Verhalten des Richters (17%)
-
Ein Mal das Verhalten der Mitarbeiter, die vor Gericht gehen, obwohl alle Kriterien erfüllt sind
akkurates Vorgehen (17%)
-
Zwei Mal unerwartete Urteile
akkurates Vorgehen (34%)
-
Ein Mal absolute Missachtung des Arbeitsrechts (17%)
-
Ein Mal bei Massenentlassung (1.200 Mitarbeiter von 3.000 Mitarbeiter) enorme Abfindungssummen (17%)
Die Ursachen für schlechte Erfahrungen liegen also vor allem im Rechtsstreit selbst begründet (zusammengenommen 68%). Dies deckt sich mit der kritischen Wahrnehmung der Verfahren bzw. des Richterrechts, die bereits oben beschrieben wurde. Sollte der Kündigungsschutz zu rigide sein, so ist auch zu vermuten, dass die Akteure versuchen, schwierig zu handhabende Kündigungsgründe durch andere quasi zu ersetzen, um besser bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu bestehen. Dies scheint nicht ungewöhnlich zu sein. 27 Personalverantwortliche wurden gefragt: „Haben Sie schon einmal eine verhaltensoder personenbedingte Kündigung als betriebsbedingt deklariert? Wenn ja: warum?“ Davon waren 17 in Großunternehmen tätig. 15 Befragte deklarierten nicht um (56%), 12 Befragte deklarierten um, allerdings mit unterschiedlichen Motivationen (44%):
191
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
-
Fünf Befragte: das Gericht hatte es nahe gelegt, empfohlen oder auferlegt, damit Mitarbeiter keine Nachteile haben (42%)
-
Drei Befragte haben von sich aus zugunsten des Mitarbeiters umdeklariert (25%)
-
Vier Befragte haben umdeklariert, um Mitarbeiter leichter/einfacher loszuwerden (33%)
Auch hier spielt wieder der Rechtsstreit eine wesentliche Rolle für das Verhalten der Personalverantwortlichen. Es sind keine Einflüsse durch arbeitsrechtliche Kenntnisse, Betriebsrat oder Region zu erkennen. Auch das spricht dafür, dass es Probleme des Rechtsstreits sind, die nicht nur für schlechte Erfahrungen, sondern auch für die Manipulation an den Kündigungsgründen verantwortlich sind (um den schlechten Erfahrungen zu entgehen?). Schlechte Erfahrungen mit dem Kündigungsschutz sind also nicht durchgängig, und sie verkörpern auch Ansätze für Lerneffekte in den Unternehmen. Die Frage ist weiter, wie mit geplanten Kündigungen umgegangen wird, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern oder Schwierigkeiten auftreten, eventuell verursacht durch den Kündigungsschutz. 35 Personalverantwortliche wurden gefragt: „Haben Sie in den vergangenen Jahren auf bereits geplante Kündigungen verzichtet? Wenn ja: aus welchen Gründen?/Sind diese Arbeitnehmer noch im Unternehmen?“ 18 Befragte haben auf schon einmal auf bereits geplante Kündigungen verzichtet (51%, weit mehr als in der Telefonbefragung angegeben). Die Gründe sind unterschiedlich (Mehrfachnennungen waren möglich): -
Sieben Befragte: weil sich die betriebliche Situation verändert hat (39%)
-
Sieben Befragte: aus Mitleid oder sozialen Gründen (39%)
-
Drei Befragte ließen sich noch vom Gegenteil überzeugen oder setzt (drohende) Kündigung bewusst ein (siehe oben, 17%)
-
Drei Befragte: bei Verhaltensbedingten bzw. Personenbedingten Kündigung wird gewartet, bis belastendes Material zur Verfügung steht (17%)
14 Personalverantwortliche haben nicht auf geplante Kündigungen verzichtet (40%), ein Befragter konnte keine Aussage machen. Bemerkenswert ist, dass bei den Begründungen der Kündigungsschutz gar nicht explizit vorkommt (danach wurde aber in der Telefonbefragung ausdrücklich gefragt). Acht Befragte (23%) meinten, dass Kündigung erst als letztes Mittel eingesetzt werden sollten. Das ist eine deutliche Absage an ein Disziplinierungsinstrument „Kündigung“ (siehe oben). 192
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Zwar ist das Ausmaß der Zurückhaltung bei Kündigungen deutlich höher als in der Telefonbefragung; hier scheinen aber auch methodische Probleme eine Rolle zu spielen, da dort ausdrücklich auf den Kündigungsschutz Bezug genommen wurde, was hier nicht der Fall ist. Ein Zusammenhang mit den Kenntnissen des Arbeitsrechts ist nicht zu erkennen: -
10 Befragte mit guten/sehr guten Kenntnissen (23) des Arbeitsrechts haben auf Kündigung verzichtet (43%)
-
10 Befragte mit mittleren Kenntnissen (10), das sind 60%
-
Zwei Befragte mit schlechten Kenntnissen des Arbeitsrechts (8), das sind 20%
Immerhin scheint die Existenz eines Betriebsrates (BR) einen Einfluss auf die Zurückhaltung bei Kündigungen zu haben: -
12 von 25 Betrieben mit BR haben verzichtet (48%)
-
Fünf von 16 Betrieben ohne BR haben verzichtet (31%)
Wir können zusammenfassend feststellen, dass sich die präventive Wirkung des Kündigungsschutzes im Gegensatz zur prohibitiven Wirkung auf Neueinstellungen (wo in nur 7% der Fälle der Kündigungsschutz eine ausschlaggebende Rolle spielt) und der innerbetrieblichen Wirkung deutlicher zeigt. 51% der Befragten haben schon einmal auf eine geplante Kündigung verzichtet, wobei der Kündigungsschutz nicht explizit als Grund genannt wird. Es sind eher betriebliche und soziale Gründe, die dabei eine Rolle spielen. 25% der Befragten haben schlechte Erfahrungen mit dem Kündigungsschutz gemacht und 56% manipulierten bereits wenigstens einmal die Kündigungsgründe. Hierbei sind es vor allem Probleme mit einem Rechtsstreit, welche als Ursache genannt werden.
7
Fazit
Die öffentliche Debatte überschätzt offensichtlich die Bedeutung des Kündigungsschutzes für das betriebliche Verhalten. Aufgrund der unterschiedlichen Verteilung der Erwerbstätigen auf die verschiedenen Betriebsgrößenklassen kann nicht ausgeschlossen werden, dass Veränderungen im Kündigungsschutz, welche eine besonders beschäftigungsintensive Gruppe treffen (kleine bis mittlere Unternehmen) zu volkswirtschaftlich spürbaren Wirkungen führen. Zudem haben wir Hinweise darauf, das kleine
193
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
Unternehmen eine besondere Problemgruppe darstellen (Telefonbefragung). Diese sind beschäftigungsintensiv. Die makroökonomisch messbare Trägheit in der Reaktion des Beschäftigungssystems auf Veränderungen im Kündigungsschutz findet in der komplexen Vermittlung des Rechtsrahmens im betrieblichen Verhalten (wo Stabilität einen wichtigen Wert darstellt) eine Erklärung. Das gefühlte Arbeitsrecht widerspiegelt nur teilweise das gelebte Arbeitsrecht (die betriebliche Praxis). Sein Einfluss auf die Personalpolitik ist zudem moderat. Das relativiert auch die Bedeutung der Annahmen über die Akteure im rechtswissenschaftlichen Diskurs. Eine Flucht aus dem Arbeitsrecht ist nicht zu erkennen. Die Akteure fühlen sich kompetent, auch wenn sie das nur bedingt sind, was ihr Wissen über konkrete Bestimmungen des Arbeitsrechts anbetrifft. Sie sehen durchaus die oben genannten Probleme des Arbeitsrechts (materiell zu weitgehend, überreguliert, Potenzierung durch das so genannte Richterrecht), sie können das aber nur zu einem kleinen Teil durch glaubwürdige Schilderungen eigener betrieblicher Praxis untermauern. Zwischen der betrieblichen Praxis (in der die Akteure die Probleme des Arbeitsrechts lösen) und der rechtswissenschaftlichen Debatte scheint es einen Bereich der „Mythen und Legenden“ zu geben, auf den sich betriebliche Praktiker, Juristen, Journalisten etc. beziehen, ohne dass dieser Bereich die betriebliche Praxis präzise beschreibt. Ohne Zweifel ist der Kündigungsschutz in den Augen der Experten das zentrale Thema des Arbeitsrechts. Grundsätzlich wird er nicht infrage gestellt. Er ist Teil des Arbeitsrechts, welches im Großen und Ganzen als eine akzeptable Rahmenbedingung betriebswirtschaftlichen Handelns wahrgenommen wird. Sobald nach Problemen mit dem Arbeitsrecht gefragt wird, taucht der Kündigungsschutz auf, obwohl er sich in den konkreten Wirkungsfeldern (präventive und prohibitive Wirkung bzw. Ausweichverhalten und innerbetriebliche Wirkung) weniger dramatisch darstellt. Während die Probanden - nach ihren eigenen Erfahrungen gefragt, mit dem Kündigungsschutz ganz gut zurande kommen, führen sie Konstellationen bei anderen an, in denen dieser zum Problem wird („Subtyping“). Das betrifft bspw. kleinere Unternehmen, die gleichwohl kündigungsschutzrechtliche Regelungen zu beachten haben, oder schwierige wirtschaftliche Situationen, sowie spezielle Probleme (wie die Sozialauswahl oder die personenbedingte Kündigung bei Behinderung). Wenn Regelungen zum Kündigungsschutz das Einstellungs- und Entlassungsverhalten beeinflussen, so tun sie das auf folgende Weise:
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2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
-
Bei den Einstellungen durch ein Ausweichverhalten (Befristungen oder Leiharbeit, wobei wirtschaftliche Gründe die ausschlaggebenden sind).
-
Beim Entlassungsverhalten durch den Versuch, arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.
-
Dabei ist die tatsächliche Relevanz von Kündigungen und arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen gering.
-
Der Kündigungsschutz hat aber einen Einfluss auf die Gestaltung der Beziehungen im Unternehmen; er definiert einen Spielraum für Disziplinierung, trägt aber auch zur Stabilisierung von Beschäftigungsverhältnissen bei, was von den Personalverantwortlichen durchaus positiv gesehen wird.
Trotz der geringen empirischen Relevanz kondensieren am Kündigungsschutz – neben dem Betriebsverfassungsrecht (siehe Telefonbefragung, Kapitel 2.9 dieses Bandes) – die (kritischen) Einstellungen zum Arbeitsrecht. Insofern entfaltet der wahrgenommene (nicht der tatsächliche) Kündigungsschutz Wirkung in den Unternehmen. Die Personalverantwortlichen weisen vielfältige und teilweise widersprüchliche Verhaltensdispositionen auf, die unter der Berücksichtigung der organisatorischen Rahmenbedingungen und im Bezug zu anderen Akteuren zur Wirkung gelangen. Fassen wir unsere Ergebnisse zusammen: - Es hat sich als sinnvoll erwiesen, zwischen drei Ebenen der Betrachtung zu unterscheiden: -
(1) die Diskursebene (der volkswirtschaftlichen Analyse z.B. der Auswirkungen des Kündigungsschutzes, des arbeitsrechtlichen Diskurses und der Wahrnehmung des Kündigungsschutzes in den Massenmedien),
-
(2) die Ebene der Wahrnehmung des Arbeitsrechts und des Kündigungsschutzes durch die Akteure (welche eher dem „gefühlten Arbeitsrecht“ zugeordnet werden kann, wobei zwischen allgemeiner Wahrnehmung, konkreteren Einstellungen und den eigenen oder fremden, „geborgten“ Erfahrungen zu unterscheiden ist), sowie
-
(3) die Ebene der betriebliche Anwendung des Arbeitrechts (welche eher dem „gelebten Arbeitsrecht“ zuzuordnen ist, hier exemplifiziert an den Wirkungen des Kündigungsschutzes).
- Die Anwendung des Arbeitsrechts ist eine Funktion von Merkmalen der Person, der Organisation und der Umwelt der Betriebe. Die „große“ und „kleine“ prohibitive, die
195
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
innerbetriebliche und präventive Wirkung des Kündigungsschutzes unterscheiden sich in Wirkungsweise und Ausmaß untereinander (siehe auch Telefonbefragung). - Der Kündigungsschutz spielt bei der Wertung des Arbeitsrechts eine wichtige Rolle. Dabei ist die Wahrnehmung des Arbeitsrechtes insgesamt eher unproblematisch. Diese Wahrnehmung ist teilweise geprägt durch allgemeine Werturteile und Überzeugungen. Erst unter dem Blickwinkel der Probleme und Wünsche kommt der Kündigungsschutz ins Spiel. Die Einstellungen zum Kündigungsschutz wiederum sind nicht unbedingt von eigenen Erfahrungen getragen, sondern stellen eine eigenständige Wertungsebene dar, die auf vielfältige Weise auf eigene und fremde Erfahrungen, Zusammenhangsvermutungen und Überzeugungen (anekdotische Evidenz) verweist. - Das Arbeitsrecht im Allgemeinen und der Kündigungsschutz im Besonderen werden von den Befragten als notwendige Randbedingung wahrgenommen und akzeptiert (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Die Kritik am Arbeitsrecht wird vor allem am Kündigungsschutz fest gemacht. Zwischen der betrieblichen Praxis (in der die Akteure die Probleme des Arbeitsrechts lösen) und der rechtswissenschaftlichen Debatte scheint es einen „Wahrnehmungsbereich“ zu geben, auf den sich betriebliche Praktiker, Juristen, Journalisten etc. beziehen, ohne dass dieser Bereich die betriebliche Praxis präzise beschreibt. - Unsere Interviewpartner stellen den Bedarf eines Schutzes für die Beschäftigten heraus, kritisieren gleichzeitig die gerichtliche Auslegung der Vorschriften. Typisch scheint die Auffassung zu sein, der Kündigungsschutz sei eine Randbedingung, welche sich in Übereinstimmung mit den Interessen der Arbeitnehmer befindet, auch wenn sie negative betriebs- oder volkswirtschaftliche Folgen hat. - Die Kritik am Kündigungsschutz nimmt wenig Bezug zu eigenen betrieblichen Erfahrungen und wenn ja, dann eher generalisierend. Es gibt auch Beispiele eines effektiven Umgangs mit dem Kündigungsschutz und so gut wie keine Hinweise darauf, dass unsere Probanden aus dem Arbeitsrecht fliehen – das gilt auch für den Kündigungsschutz, selbst wenn sie rechtlichen Auseinandersetzungen tendenziell aus dem Weg gehen. Wir können aber den Befragten nicht pauschal richtige Kenntnisse sowie eine professionelle Sichtweise des Arbeitsrechts bescheinigen. - Statistisch betrachtet (SOEP, Telefonbefragung) und auch mit den Worten der Befragten ist der Kündigungsschutz für die betriebliche Personalpolitik im Normalfall wenig bedeutsam. - Die Wahrnehmung des Kündigungsschutzes ist zwiespältig, er wird zugleich als bestandsnotwendig und problematisch, die rechtlich gestützte Arbeitsplatzsicher196
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
heit zugleich als gesellschaftlicher Wert und organisatorische Bedingung (für die Qualität der Arbeit) angesehen. Die wahrgenommenen Nachteile des Arbeitsrechts, sowie die Wünsche an das Arbeitsrecht sind eng mit dem Kündigungsschutz verbunden. - Eine „große“ prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes (Verzögerung von und Verzichten auf Neueinstellungen) lässt sich nur schwach nachweisen. Auch wenn geringe Anteile von problematischen Fällen in absoluten Zahlen betrachtet viele Arbeitsplätze betreffen können. Weder fühlen sich unsere Befragten durch das Arbeitsrecht, insbesondere den Kündigungsschutz in ihren Einstellungsentscheidungen behindert, noch glauben sie, dass eine Veränderung des Kündigungsschutzes zu mehr Beschäftigung führen würde. - Das Ausweichverhalten, die „kleine“ prohibitive Wirkung tritt dagegen deutlicher zutage. Der Kündigungsschutz wirkt wie ein nachgeschobenes oder beischaftliches Argument, da die Auftragslage die Befristungen bestimmt, denen gegenüber einer Verlängerung der Probezeit der Vorzug gegeben wird. Befristung und Leiharbeit werden als Übergangsform zu einer regulären Beschäftigung gesehen, welche Probleme mit dem Kündigungsschutz (lange Kündigungsschutzfristen, soziale Auswahl, unkalkulierbare Kündigungsschutzverfahren, Verbindlichkeit und Höhe von Abfindungen) nicht lösen helfen. - Die innerbetriebliche Rolle des Kündigungsschutzes ist ebenfalls als geringfügig anzunehmen, da nur in Ausnahmefällen und die Arbeitsplatzunsicherheit (vermittelt über Abmahnungen mit Kündigungsandrohung) zum Einsatz kommt und die Befragten ein Interesse an stabilen Arbeitsbeziehungen haben (was auch die Skepsis gegenüber Befristung und langen Probezeiten erklärt). Eine repressive Personalführung ist in der Selbstbeschreibung nicht gängig. Die Arbeitsverhältnisse sind – mit den Augen der Befragten betrachtet – durch kooperativen Umgang gekennzeichnet. - Die präventive Wirkung des Kündigungsschutzes (Verzögerung von und Verzicht auf Kündigungen) scheint in den Experteninterviews eine größere Rolle zu spielen als die prohibitive Wirkung, welche in den Telefoninterviews bedeutender war (Verzögerung von und Verzicht auf Neueinstellungen, Lücke zwischen positiver wirtschaftlicher Entwicklung und Personalaufbau). Die Hälfte der Befragten hat schon einmal auf eine geplante Kündigung verzichtet, wobei der Kündigungsschutz nicht explizit als Grund genannt wird. Es sind eher betriebliche und soziale Gründe, die dabei eine Rolle spielen. Ein Viertel der Befragten hat schlechte Erfahrungen mit dem Kündigungsschutz gemacht und die gute Hälfte manipulierte bereits wenigs197
2.2 Die Rolle des Kündigungsschutzes: qualitative Ergebnisse
tens einmal die Kündigungsgründe. Hierbei sind es vor allem Probleme mit einem Rechtsstreit, welche als Ursache genannt werden. Insgesamt sind eine verbindliche Regelung über vorab zu vereinbarende Abfindungen (siehe Ergebnisse von Worobiej, Kapitel 2.3), die Variation des Kündigungsschutzes nach betriebswirtschaftlichen, fachlichen und sozialen Kriterien (vgl. Schramm 2007), die Kodifizierung des Arbeitsrechts (vgl. Kapitel 2.8) weiterführende Themen. In methodisch-theoretischer Hinsicht sind die Ebenen der Wahrnehmung der Akteure, die Differenzierung von individuellem und organisatorischem Verhalten, sowie die Trennung von Wissen über das Arbeitsrecht, gefühltem oder gelebtem Arbeitsrecht, so genannte „Ersatzerfahrungen“ und das „Sub-Classing“ interessante Konstrukte. Arbeitsrecht und Kündigungsschutz scheinen also bei der Gestaltung der betrieblichen Arbeitsbeziehungen keine so große Rolle zu spielen, wie man vermuten könnte. Insbesondere für das Einstellungsverhalten und die innerbetrieblichen Beziehungen sind sie wenig bedeutsam. Bei den Einstellungen ist neben betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wirtschaftliche Lage) vor allem das Angebot an Arbeitskräften entscheidend. Die Betriebe kommen mit der Rahmenbedingung Arbeitsrecht ganz gut zurecht. Kritik am Arbeitsrecht macht sich jedoch vor allem am Kündigungsschutz fest, auch wenn sich unsere Probanden zur Arbeitsplatzsicherheit (als Wert an sich und als Instrument der betrieblichen Qualitätssicherung) bekennen. Bei einer Anpassung des Personalbestandes nach unten (z.B. durch betriebsbedingte Kündigungen) oder als ultima ratio im Falle von Verhaltens- oder Leistungsproblemen stört der Kündigungsschutz in den Auge der Befragten; im Falle von betriebsbedingten Kündigungen stören vor allem die Sozialauswahl, die Kündigungsfristen, die Kündigungsschutzverfahren und die Problematik der Abfindungen.
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198
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199
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Kapitel 2.3:
Versuchskaninchen
–
Kündigungsschutz:
Vorgeschlagene Änderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen Aleksandra Worobiej
1
Einleitung
Ein Kernstück der politischen Reformdebatte in Deutschland war noch vor kurzer Zeit das Arbeitsrecht. Vor allem der Kündigungsschutz stand hier im Zentrum. Angesichts der sich allmählich verschlechternden Arbeitsmarktsituation suchten politische Parteien, Arbeitgeberverbände, Juristen etc. einen Sündenbock, der diese Situation zumindest teilweise erklären könnte. Diesen fanden sie im Arbeitsrecht und vor allem in dem Kündigungsschutz (hierzu eine ganze Reihe von Beiträgen: z.B. Stellungnahmen der Initiative Neue Soziale Markt Wirtschaft; Bauer 2005: 1046, sowie Gegenstimmen: Bothfeld/Ullmann 2004; Pfarr et al. 2003). CDU und CSU haben in ihrem Regierungsprogramm 2005 zahlreiche Änderungen vorgeschlagen, u. a., dass der Kündigungsschutz erst in Unternehmen ab 20 Beschäftigten greifen sollte. Darüber hinaus wollten die Parteien eine Möglichkeit für die Arbeitgeber schaffen, sich von Mitarbeitern gegen Zahlung einer Abfindung ohne Angabe von Gründen verabschieden zu können. Diese Vorschläge wurden vor der Wahl 2005 heftig diskutiert, fanden aber im Regierungsprogramm der großen Koalition keinen Niederschlag. Ein weiter Reformvorschlag – die Verlängerung der Wartezeit für das Einsetzen des Kündigungsschutzes auf zwei Jahre bei Neueinstellungen sowie die gleichzeitige Abschaffung der Zeitbefristung – wurden dagegen im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Erstaunlicherweise scheint sich die Arbeitsmarktsituation in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren auch ohne Änderungen im Arbeitsrecht verbessert zu haben (deutliche Senkung der Arbeitslosenzahl). Der Sündenbock bleibt vorerst verschont, die Götter scheinen entgegenkommend gewesen zu sein, ohne dass ein Opfer im Bereich des Kündigungsschutzes gebracht werden musste. Mit Blick auf internationale Studien (z.B. die OECD-Untersuchung, 1999) wundert diese Wendung nicht. Es konnte kein Zusammenhang zwischen einem hohen Kündigungsschutzniveau und hoher Arbeitslosigkeit nachgewiesen werden (siehe hierzu: Zachert, Kapitel 1.2, Abschnitt 2.3). 200
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Interessant bleibt jedoch die Meinung der „handelnden Betroffenen“ (der Personalverantwortlichen), die sich in unserer Befragung mit unterschiedlichen Vorschlägen auseinandersetzen mussten. Ein Bestandteil unserer Untersuchung waren Fragen nach möglichen personalpolitischen Konsequenzen von Reformangeboten in den jeweiligen Betrieben sowie auf allgemeinwirtschaftlicher Ebene. Ziel dieses Beitrages ist es, diese Meinungen und die Begründungen vorzustellen und kritisch im Zusammenhang mit anderen Faktoren (z.B. allgemeine Einstellung gegenüber dem Kündigungsschutz) zu betrachten. Im ersten Schritt wird auf die allgemeinen Wünsche der Personalverantwortlichen an das Arbeitsrecht eingegangen. Des Weiteren wird die Beurteilung der Erhöhung des Schwellenwertes im Kündigungsschutz vorgestellt. Im dritten Schritt wird die Einschätzung der Einführung einer Abfindungslösung beschrieben und abschließend wird auf die Meinung der Interviewpartner zur Verlängerung der Wartezeit für das Einsetzen des Kündigungsschutzes bei gleichzeitiger Abschaffung der Zeitbefristung eingegangen. Jeder Abschnitt beginnt mit einer kurzen theoretischen Einführung und der Vorstellung unserer Ausgangsfragen. Sofern es möglich ist, wird versucht, die entsprechenden Ergebnisse des Projektes Regulierung des Arbeitsmarktes (REGAM) des Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Instituts (Pfarr et al. 2005; für eine kurze Vorstellung dieser Untersuchung vgl. Zachert, Kapitel 1.2, Abschnitt 2.2) einzubeziehen und mit AribA-Ergebnissen zu vergleichen. Die im Grundmodell eingeführten Begriffe: SubClassing, Reaktanz, anekdotische Evidenz werden hier als Phänomene beschieben, ohne noch mal definitorisch darauf einzugehen (siehe hierzu: Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3). Ergebnisse der Analyse werden auf Einflüsse durch Drittvariablen überprüft (z.B. Unternehmensgröße, arbeitsrechtliche Kenntnisse etc.). Diese werden insofern erwähnt, wenn ein auffälliger Zusammenhang mit der geäußerten Meinung besteht.
2
Allgemeine Änderungswünsche
„Das Arbeitsrecht hat in den Betrieben keinen guten Ruf; obwohl seine praktische Bedeutung äußerst begrenzt ist, wirkt es offensichtlich bedrohlich. Zwei Drittel der Befragten aller Betriebe melden Bedarf an arbeitsrechtlichen Reformen an, wobei eine Veränderung des Kündigungsschutzes eine Spitzenposition belegt (34%), mit großen Abstand gefolgt vom Befristungsrecht (18%)“ (Pfarr 2005b: 456). So die Ergebnisse der REGAM-Studie. Laut dieser Untersuchung sah ein Drittel der Befragten kein Änderungsbedarf (31%) (Pfarr et al. 2005: 22f.). Die Änderungswünsche im Kündigungsschutz wurden durch eine zusätzliche Frage nach einem konkreten Reformvorschlag 201
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
ergänzt. So wünschte sich ein Fünftel der Befragten eine allgemeine Lockerung des Kündigungsschutzes, weitere 13% wollten eine Flexibilisierung unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Situation des Betriebes und jeder Zehnte nannte eine Verkürzung der Kündigungsfristen. Als weitere Reformideen wurden u. a. die Vereinfachung des Kündigungsschutzrechtes (Übersichtlichkeit) sowie der Sozialauswahl oder das Ermöglichen von Kündigungen bei unbefriedigenden Leistungen genannt. Nur 5% derjenigen, die Veränderungen im Kündigungsschutz als den wichtigsten reformbedürftigen Bereich im Arbeitsrecht empfanden (was insgesamt 1,7% der Stichprobe entspricht), forderte bei der Nachfrage eine Anhebung des Schwellenwertes im Kündigungsschutzgesetz (Pfarr et al. 2005: 22ff.). Dieses Ergebnis verwunderte insofern, als zum Befragungszeitraum eine Erhöhung des Schwellenwertes in den Medien sehr ausführlich und kritisch diskutiert wurde (vgl. ebd.: 90). Es impliziert die Frage nach der Erwünschtheit der in der politischen Debatte aufgeführten Reformvorschläge, oder anders ausgedrückt, ob die diskutierten Änderungen tatsächlich den realen Bedürfnissen der Personalverantwortlichen und Geschäftsführer entgegenkommen. Wir haben in unserer Befragung qualitativ die Wünsche an das Arbeitsrecht erfasst. Dabei wurde nicht nach konkreten Reformvorschlägen gefragt, sondern die Frage: „Wir möchten Sie bitten, Ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen: Angenommen, Sie hätten drei Wünsche frei im Bereich des Arbeitsrechts …“ am Ende des Interview gestellt. Abbildung 3: Auswertung der Frage: Angenommen, Sie hätten drei Wünsche frei im Bereich des Arbeitsrechts: … Darstellung der Erstnennungen Vereinfachung/ Präzisierung/ Transparenz
27%
Veränderung/ Lockerung des KSch
24%
Konkrete Veränderungswünsche
17%
Mehr Gerechtigkeit durch AR
12%
Flexibilität
10%
Keine Wünsche
5%
Sonstiges
5% 0%
5%
10%
15%
Quelle: AribA-Befragung (2006); Sichtung der qualitativen Ergebnisse.
202
20%
25%
30%
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Durch eine andere Fragestellung – REGAM fragte nach dem wichtigsten arbeitsrechtlichen Reformprojekt, AribA nach allgemeinen Wünschen im Bereich des Arbeitsrechts – bekamen wir auch andere Ergebnisse bezüglich des Ausmaßes der Wünsche. REGAM stellte fest, dass knapp ein Drittel der Befragten keinen Reformbedarf sahen. In unserer Untersuchung erklärten sich lediglich 5% der Personalverantwortlichen als „wunschlos glücklich“. Bemerkenswert ist, dass viele Befragte Schwierigkeiten damit hatten, überhaupt drei Wünsche zu formulieren: Ein Viertel nannte nur ein Anliegen, knapp die Hälfte äußerte zwei und nur ein Fünftel, entsprechend der Frage, drei Wünsche. Insgesamt stellt man fest, dass die Mehrheit sehr abstrakte Wünsche äußert: Das Arbeitsrecht soll präziser, einfacher, transparenter sein; man wünscht sich mehr Flexibilität oder mehr Gerechtigkeit durch die Vorschriften. Als Erstwunsch hatte ein Viertel der Interviewpartner Änderungen im Kündigungsschutz erwähnt und knapp ein Fünftel ganz konkrete Anliegen geäußert, die sehr spezifisch für das jeweilige Unternehmen waren. Somit weichen unsere Ergebnisse von den REGAM- Resultaten ab, wo der Kündigungsschutz mit 34% Nennungen eine eindeutige Spitzenposition einnahm. Die Abweichung wird noch prägnanter, wenn man sich die Auswertung der Zweit- und Drittnennungen anschaut. Abbildung 4: Auswertung der Frage: Angenommen, Sie hätten drei Wünsche frei im Bereich des Arbeitsrechts: …? Darstellung aller Nennungen
Vereinfachung/ Präzisierung/ Transparenz Konkrete Veränderungswünsche Veränderung/ Lockerung des KSch Flexibilität Mehr Gerechtigkeit 0% 1. Wunsch
5% 2. Wunsch
10%
15%
20%
3. Wunsch
Quelle: AribA-Befragung (2006); Sichtung der qualitativen Ergebnisse.
203
25%
30%
35%
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Über ein Viertel der Personalverantwortlichen bei der Erstnennung und ein Drittel insgesamt wünschte sich eine Vereinfachung der arbeitsrechtlichen Regelungen. Damit bestätigen sich die Ergebnisse unserer Befragung zur Wahrnehmung des Arbeitsrechts: Obwohl die Personalleiter gut mit den bestehenden Vorschriften auskommen, bezeichnen sie das Arbeitsrecht als bürokratisch und zu komplex. Man wünscht sich weniger Regeln und das Schaffen einer Übersichtigkeit (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). „Ich würde mir eine präzisere Regelung, eine eindeutige Regelung von Sachverhalten wünschen, aber dafür weniger geregelte Sachverhalte, ja?!“ (Int. 24) „Ich würde es eigentlich runterstricken auf das Notwendigste, weil ich der Meinung bin, je mehr Regelungen vom Staat auftauchen, desto kritischer und unübersichtlicher wird das Ganze. Und desto mehr Steifigkeiten kommen da raus.“ (Int. 18) „Ich würde mir wünschen, dass eine einfachere Handhabung oder die ganzen juristischen Dinge, die so kompliziert und verflochten und undurchsichtig sind, auch für mich jetzt als Leitungskraft, dass ich zehnmal lesen muss, ist das denn wirklich so und mich dann immer noch einmal versichern muss in der Rechtsabteilung, dass man da auch keinen Fehler macht. Ich finde dass das Arbeitsrecht ein bisschen einfacher in der Handhabung sein sollte.“ (Int. 27)
Manche der Personalverantwortlichen haben bei dieser Frage ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch als eine mögliche Lösung des Komplexitätsproblems genannt (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2, sowie Kapitel 2.8). „Ich habe das ja vorhin gesagt, diese Bertelsmanninitiative, die gefällt mir schon gut, nicht? Eine transparentere Regelung des Arbeitsrechts, möglichst in einem Gesetzbuch, dass die Dinge wirklich klar geregelt sind und transparent auch für nicht Juristen… Also, das Arbeitsrecht als solches halte ich für unverzichtbar.“ (Int. 11)
Die obigen Zitate deuten auf eine allgemeine Tendenz hin, die sich in dieser Gruppe abzeichnete: Die meisten Interviewpartner wünschten sich, dass das Arbeitsrecht übersichtlicher und für jeden verständlich gestaltet wird und dadurch eine hohe Konfliktfreiheit gewährleisten kann. Dieser Wunsch wurde bei den Personalverantwortlichen unabhängig von der Branche, Betriebsgröße und den Kenntnissen im Arbeitsrecht geäußert. „Mein erster Wunsch wäre, dass es einfach einfacher ist. Also, dass es für Privatpersonen sowie auch für Personaler einfacher zu verstehen ist, dass man seine Rechte und Pflichten einfach besser nachvollziehen kann. Also, von beiden Seiten her, dass der Arbeitgeber weiß, was er für Pflichten hat, und das eben auch der Arbeitnehmer dieses lesen kann und verstehen kann. Nachlesen könnte er es ja überall, nur das Verstehen ist halt schwierig, das Paragraphen-Deutsch. Das, fände ich, wäre sehr wichtig.“ (Int. 33) „Sie sehen hier (zeigt auf eine Bücherwand), die ganze Reihe und da mal vereinheitlichen und die Gesetze, die da drin stehen bitte so präzise, dass sie jeder Personalleiter, der nicht Jura studiert hat und jeder Betriebsrat, der nicht Jura studiert hat, lesen und verstehen kann und nicht hunderte von Arbeitsrichtern damit beschäftigen muss, irgendwelche Dinge auszulegen. Und wenn das kommt, dann wäre ich schon ziemlich glücklich, glaube ich. (Int. 3)
204
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Ein Viertel der Personalverantwortlichen (10% in der Erstnennung) haben konkrete Wünsche geäußert. Das Adjektiv „konkret“ bedeutet hier sowohl genaue Reformwünsche als auch abstraktere Anliegen. Die Spannbreite war sehr umfangreich: Es gab Wünsche, „dass alle Betriebsräte so sind, wie meiner hier“ (Int. 16) oder dass es weniger Arbeitlose geben sollte. Änderungen in Befristungs- und Mitbestimmungsrecht, bezüglich der Arbeitszeitgestaltung oder des Antidiskriminierungsgesetzes wurden vereinzelt genannt. Darüber hinaus wünschten sich die Personalverantwortlichen eine Festschreibung der Leistungsbeurteilung für Vorgesetzte oder ein festgelegtes Qualitätsmanagement. Man wünschte sich auch besser vom Gesetzgeber informiert zu werden. Eine Übereinstimmung mit den Ergebnissen zur Wahrnehmung des Arbeitsrechts in Betrieben findet man auch in dem Wunsch der Personalverantwortlichen nach mehr Flexibilität (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Es geht hier in erster Linie um die Anpassung an die betrieblichen Belange bzw. um die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des jeweiligen Betriebes. „Ja, ich glaube, die Flexibilität der Unternehmen, Arbeitsrecht an die Erfordernisse der Arbeit anzupassen, ist sicherlich sehr wichtig, dass man nicht von Leuten, die arbeiten wollen und von uns, die Aufgaben haben, … dass wir das nicht machen können, weil das Arbeitsrecht dagegen ist. (Int. 6) „Also ich würde mir schon wünschen, dass auch, einmal im Betrieb, Betriebsrat und Arbeitgeber über das allgemeine Arbeitsrecht hinausgehend auch betriebliche Lösungen finden dürfen… Da könnte ich mir schon vorstellen, dass es ohne weiteres auch mal Möglichkeiten gibt, dass man im Betrieb sagt, da könnte man etwas tun, da könnte man Leute mit aufnehmen und in Lohn und Brot bringen... Also dass Arbeitnehmervertretung und Unternehmer spezifisch und die nächste Stufe, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch in bestimmten Dingen die Möglichkeit hätten, noch mal weiter gehende individuelle Lösungen zu finden.“ (Int. 39)
Der Wunsch nach mehr Gerechtigkeit durch das Arbeitsrecht wurde überwiegend in mittleren Unternehmen geäußert, das heißt durch die Geschäftsführer. Man könnte konstatieren: „Ein solches Ergebnis ist nicht besonders Besorgnis erregend. Denn das Arbeitsrecht hat die originäre Aufgabe, dem immanenten Interessenkonflikt zwischen Beschäftigten und Betrieb im Arbeitsverhältnis auszugleichen. Dass beiden Seiten dieser Kompromiss oft nicht einleuchtet und sie ihre jeweiligen Rechte erweitert sehen wollen, erstaunt wenig“. (Pfarr et al. 2005: 90). Doch unser Ergebnis verwundert: Die Hälfte der Personalleiter/Geschäftsführer, die sich mehr Gerechtigkeit durch das Arbeitsrecht wünschten, sah die bestehenden Regelungen eher als zu arbeitgeber- als arbeitnehmerfreundlich und forderte eine Unterstützung der Arbeitnehmerrechte. Diese „Schützer der Mitarbeiterinteressen“ lehnten eine Einführung der Abfindungslösung sowie die Verlängerung der Wartezeit ab. Die Rolle des Kündigungsschutzes wurde als eine wichtige Schutzfunktion für die Arbeitnehmer bezeichnet. 205
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
„Das man wirklich den Ausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer-Interessen in einer Art und Weise gestaltet, das eine gesellschaftliche Stabilität erreicht wird und keine Destabilisierung der Gesellschaft und eine, ja, eine in vielen Orten schon zu sehende Entwurzelung der Gesellschaft erreicht wird.“ (Int. 1) „Ich möchte, dass die Gewaltenverteilung eine andere ist, ich möchte nicht, dass sozusagen alle Macht der Arbeitgeber hat. Das würde ich mir wünschen.“ (Int. 35)
Ein Viertel der Personalverantwortlichen wünschte sich in der Erstnennung eine Veränderung bzw. Lockerung des Kündigungsschutzes. Dieser Anteil schrumpft, wenn man alle geäußerten Anliegen betrachtet: Reform des Kündigungsschutzes wurde nur vereinzelt als Zweit- oder Drittwunsch genannt. Diese Entschlossenheit überrascht nicht: Der Kündigungsschutz genießt allgemein einen schlechten Ruf, der durch Medien und öffentliche Diskussion getragen wird (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2). Der Wunsch nach Veränderung im Kündigungsschutz wurde sowohl in großen als auch in mittleren Unternehmen geäußert. Die Mehrheit der Personalleiter in dieser Gruppe hatte die wirtschaftliche Lage des Unternehmens als gut bezeichnet. Gleichzeitig ist in diesen Unternehmen die Mitarbeiterzahl in den letzten fünf Jahren gesunken. Die Hälfte dieser Gruppe betonte, dass der Kündigungsschutz bei den Neueinstellungen eine Rolle spielt (mit häufiger Erwähnung der Ausweichstrategien). Die Personalverantwortlichen wiesen oft auf die Doppelgesichtigkeit des Kündigungsschutzes (Schutz der Arbeitnehmer versus Einstellungshemmnis; vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2) hin und haben die von uns angesprochenen Reformvorschläge häufiger begrüßt als abgelehnt. Es stellt sich die Frage, welche konkreten Änderungen im Bereich Kündigungsschutz genannt wurden (hierzu auch: Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.1.2). Ein Viertel der Befragten wünschte sich eine Vereinfachung der Einstellungen und Entlassungen. „Vereinfachung bei Einstellungen und Entlassungen. Da spielt auch Kündigungsschutz eine Rolle.“ (Int. 15)
Manche erwähnten den Sonderkündigungsschutz als problematisch, oder wünschten sich eine Möglichkeit der Kündigung bei einer schlechten Leistung. Einige haben den Gedanken in Erwägung gezogen den Kündigungsschutz komplett abzuschaffen. „Ganz arbeitgeberegoistisch gewünscht wäre die Aussage: Weg mit dem Kündigungsschutz insgesamt. Freies Spiel der Kräfte. Wohl wissend, dass eine große Gefahr besteht, dass viele Arbeitgeber das ausnutzen und dass es erst mal eine traumatische Welle gäbe. Nicht? Ich bin trotzdem der Meinung, langfristig wäre es sinnvoll, aber es gibt erst mal furchtbare soziale Verwerfungen, weil auch keiner vorbereitet ist, nicht.“ (Int. 25)
Einer der Personalverantwortlichen nannte eine Verlängerung der Wartezeit als seinen Wunsch an das Arbeitsrecht, ein Weiterer schlug die Einführung einer Schlichtungsstelle, die unternehmerische Konflikte (vor allem im Bereich Kündigung) lösen sollte, vor. Ein Interviewpartner wollte Veränderungen des Kündigungsschutzes, ohne einen
206
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
direkten Vorschlag zu nennen, obwohl in seinem Betrieb keine Probleme in diesem Bereich vorkommen. „Veränderung des Kündigungsschutzes, nicht Aufhebung, aber Veränderung des Kündigungsschutzes. Nicht, weil es uns betrifft, aber man weiß ja nie, was noch alles im Leben passiert.“ (Int. 40)
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass, ähnlich wie in der REGAMUntersuchung, den geäußerten Reformwünschen selten präzise Reformvorstellungen zugrunde liegen. Der im Mittelpunkt der arbeitsrechtspolitischen Reformdebatte stehende Kündigungsschutz wird von einem Viertel der Befragten unter den Änderungswünschen genannt. Nur ein Personalverantwortlicher erwähnt explizit die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Verlängerung der Wartezeit als seinen Reformvorschlag. Die beiden anderen diskutierten Änderungen – die Erhöhung des Schwellenwertes und die Einführung einer Abfindungslösung – wurden nicht genannt, obwohl die Frage nach Änderungswünschen am Ende des Interview gestellt wurde und die Personalverantwortlichen ihre Meinung zu allen drei abgegeben haben. Diese Meinungen zu den Reformvorschlägen wird in den nächsten Schritten dieses Beitrags vorgestellt.
3
Schwellenwerterhöhung im Kündigungsschutzgesetz
Viele Regelungen im deutschen Arbeitsrecht gelten nur für Betriebe/Unternehmen ab einer bestimmten Größe, d.h. es wurde von dem Gesetzgeber eine Geltungsgrenze – ein Schwellenwert – gesetzt. Die Geltung des Kündigungsschutzes ist von der Anzahl der Beschäftigten im Betrieb abhängig. Unterhalb des Schwellenwertes müssen die Betriebe das Kündigungsschutzgesetz nicht beachten (vgl. Pfarr et al. 2005: 36). Die Reformen des Kündigungsschutzgesetztes im Jahre 2004 hatten zur Folge, dass u. a. der betriebliche Schwellenwert für den Geltungsbereich des KSch von fünf auf 10 Beschäftigte angehoben wurde. Einen erneuten Vorschlag zur Änderung des Schwellenwertes im Kündigungsschutz findet man seitens der CDU/CSU-Fraktion im Regierungsprogramm 2005-2009 der beiden Parteien. Nach dieser Reformkonzeption sollte der Kündigungsschutz nicht für neueingestellte Arbeitnehmer in Betrieben mit 20 Mitarbeitern oder weniger gelten. Diese Regelung würde 91% aller Betriebe und 9 Mio. Arbeitnehmer also ca. 34% aller Beschäftigten betreffen (o.A. 2005). Daraus ergibt sich die Frage, welche personalwirtschaftlichen aber auch vor allem arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen eine solche Veränderung haben könnte. Die Bedeutung des Schwellenwertes in Bezug auf das Kündigungsschutzgesetz ist in der Literatur umstritten. Falls dieser eine große Rolle für das Einstellungs- und Entlassungsverhalten spielen sollte, müsste man einen markanten Unterschied im Verhalten 207
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
der Betriebe unter und oberhalb der Schwelle beobachten. Dies konnte bisher nicht nachgewiesen werden (vgl. Sadowski 2004: 7; Bauer et al. 2004a, b; siehe hierzu: Zachert, Kapitel 1.2, Abschnitt 2.3), ganz im Gegenteil, man weist darauf hin, dass der Kündigungsschutz keine prohibitive Wirkung für die Kleinstunternehmen hat und dass eine Anhebung des Schwellenwerts nicht beschäftigungsfördernd wirkt (vgl. Pfarr et al. 2003; Wagner et al. 2001, Friedrich/Hägele 1997). Trotz dieser Erkenntnisse ist der Schwellenwert im Kündigungsschutz (§ 23) immer wieder ein Brennpunkt der politischen Diskussion, und deren Erhöhung auf 20 Beschäftigte wird auch in jüngster Zeit thematisiert (siehe z.B. Koller et al. 2007; auch im Vorschlag zum einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzbuch). Dieser Diskussion schloss sich die von uns gestellte Frage: „Was halten Sie von dem Vorschlag, dass der Kündigungsschutz nur noch für Betriebe ab 21 Beschäftigte gelten soll?“ an. Unsere Überlegung war nicht alle Interviewpartner hierzu zu untersuchen, sondern gezielt die Kleinst- und Kleinunternehmen, die möglicherweise von einer solchen Regelung betroffen sein könnten, zu befragen. Dadurch wurde der Vorschlag mit 11 Personalverantwortlichen (zu meist Geschäftsführer in Betrieben mit 19, 28, 15, 42, 33, 18, 15, 38, 28, neun, 11 Mitarbeitern) besprochen, die alle in die Kategorie Kleinunternehmen fielen (10-49 Beschäftigte entspr. der EU-Definition für KMU). Abbildung 5: Auswertung der Frage: „Was halten Sie von dem Vorschlag, dass der Kündigungsschutz nur noch für Betriebe ab 21 Beschäftigte gelten soll?“ Ergebnisse für Kleinunternehmen
Unentschlossen 9%
Zustimmung 36%
Ablehnung 55%
Quelle: AribA-Befragung (2006); Sichtung der qualitativen Ergebnisse.
208
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Eine knappe Mehrheit (sechs von 11 Befragten) lehnte den Vorschlag ab. Hierfür gab es unterschiedliche Begründungen: Der Großteil der Personalverantwortlichen war der Meinung, dass die Änderungen im Kündigungsschutzgesetz keine neuen Stellen schaffen könnten, weil es keinen Zusammenhang zwischen Rechtsänderungen und Einstellungsverhalten gebe. „Ja, also das ist letztendlich die Frage ob das gerechtfertigt ist. Also aus purer Freude über den Kündigungsschutz, Wegfall des Kündigungsschutzes wird keiner Leute einstellen“. (Int. 1) „Also, das ist jetzt also, Hintergrund ... mehr als 20 ... glaube ich nicht, dass da mehr eingestellt wird, kann ich mir jetzt nicht vorstellen.“ (Int. 30)
Es gab auch einzelne andere Argumente für die Ablehnung des Vorschlages der Schwellenwertänderung, z.B. dass es nur eine Problemverschiebung, aber keine Problemlösung wäre oder auch dass man über eine Schwellenwerterhöhung hinaus allgemein flexibilisieren und den Kündigungsschutz lockern sollte. „Ob ich 100 Leute habe oder 120 Leute, was nützt mir das, ob ich da 20 Leute bin oder ich da 100 Leute bin? Das nützt mir gar nichts. Weil, mit 20 Leuten ist die Decke meistens sowieso noch dünner, das heißt, ich muss dann genauso reagieren können wie mit 100 Leuten, wenn die Decke dünner geworden ist und ich merke, dass ich gegen die Wand fahre, weil ich es finanziell gar nicht schaffen kann, die Löhne aufzubringen, die Lohnnebenkosten aufzubringen, also muss ich da genau das gleiche Recht haben.“ (Int. 23).
Wie bereits angedeutet, polarisierte die Gruppe der Ablehnenden dieses Vorschlages sehr stark: Der überwiegende Teil lässt sich den „korrekten Rechtsanwender“22 zuordnen, die auch die Vereinbarung einer Abfindungsregelung am Anfang des Arbeitsverhältnisses ablehnten und darauf hinwiesen, dass eine Neueinstellung von der Auftragslage bzw. der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens abhänge (und der Kündigungsschutz dabei keine Rolle spiele) sowie die Schutzfunktion des Kündigungsschutzes für die Arbeitnehmer betonten. Die Erhöhung der Schwellenwerte lehnten aber auch die „überzeugten Systemkritiker“ ab, die Zweifel an dem Arbeitsrecht und dem Kündigungsschutz äußerten und durch eine eher fordernde Einstellung gegenüber dem System gekennzeichnet waren (wäre dem Anspruchsbewusstsein zuzuordnen: siehe Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 4.2.5). Die arbeitsrechtlichen Kenntnisse dieser Gruppe sind als „schlecht“ einzuordnen, was darauf hinweist, dass die kritisierten Regelungen pauschal als unzulänglich eingeschätzt wurden und die geäußerten Ansichten nicht auf einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema basierten (anekdotische Evidenz). Typisch für diese Gruppe ist das Phänomen der Reaktanz – man richtet sich weniger gegen Inhalte eines Gesetzes, sondern eher gegen die individuell wahrgenommenen Autonomie-
22
Die in diesem Beitrag in Einführungszeichen genannten Typen des Umgangs mit Arbeitsrecht stellen nur den Versuch einer Zuordnung dar. 209
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
verluste und Einschränkungen eigener Spielräume (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3; sowie Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.3). Ein Drittel der Befragten (vier der 11) würde eine Erhöhung des Schwellenwertes im Kündigungsschutzgesetz begrüßen. Hier wurde eine pauschale Zustimmung geäußert, die durch keine inhaltliche Argumentation gestützt war. „Ich finde, ja. Wenn man so einen Minibetrieb hat und dann eben nicht diesen Kündigungsschutz da einhalten muss. Was ja für so ein Kleinunternehmer ganz interessant sein kann.“ (Int. 7) „Na ja, die Diskussion haben wir ja jetzt verstärkt gehört. Wäre ich schon dafür. Bloß die, die natürlich 21 haben, die werden es auch (lacht). Ich kenne die Diskussion. Aber das würde schon in dem kleinen Handwerksbetrieb helfen.“ (Int. 4)
Die Gruppe der Zustimmenden zeigt sich homogener als die Gruppe der Ablehnenden, vor allem bezüglich Einstellung gegenüber dem Kündigungsschutz. Ihrer Meinung nach erfüllt er eine Doppelfunktion: Er schützt die Arbeitnehmer vor Willkür, kann aber auch die Flexibilität des Unternehmens behindern (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2). Auf die Frage welche Faktoren die Neueinstellungen im Unternehmen beeinflussen, wurden unterschiedliche Antworten gegeben, jedoch nannte keiner derjenigen, die eine Erhöhung des Schwellenwertes begrüßten, den Kündigungsschutz als wichtigste Bedingung. Da die arbeitsrechtlichen Kenntnisse in dieser Gruppe als „mittelmäßig“ einzuordnen sind und die Zustimmung für diesen Vorschlag ohne Begründung geäußert wurde, kann man auch in diesem Fall auf das Phänomen der anekdotischen Evidenz (Schramm et al., Kapitel 1.1; Abschnitt 3) hinweisen: Pauschale Zustimmung ist eher als Folge der allgemeinen Diskussion zu sehen und die Interviewten möchten auch zu dieser beitragen, diese Äußerungen ziehen aber kein entsprechendes Verhalten nach sich. Einer der Befragten war in seinem Urteil bei dieser Frage eher unentschlossen: Erhöhung des Schwellenwertes könnte vielleicht „eine Lösung sein“, aber es bestehe die Gefahr der Doppelgesellschaft (die vor und die nach der Änderung eingestellten Arbeitnehmer), was sich auf die Motivation auswirken könne (Int. 20). Die gleiche Frage nach der Beurteilung des Vorschlages zur Erhöhung der Schwellenwerte im Kündigungsschutz wurde in Kleinstunternehmen (12 Betriebe mit einem bis neun Mitarbeitern) im Lehrprojekt gestellt. Hier verteilten sich die Antworttendenzen anders als bei den Kleinunternehmen des AribA-Projektes.
210
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Abbildung 6: Auswertung der Frage: „Was halten Sie von dem Vorschlag, dass der Kündigungsschutz nur noch für Betriebe ab 21 Beschäftigte gelten soll?“ Ergebnisse für Kleinstunternehmen Sonstiges* 8% Ablenung 8% Unentschlossen 17%
Zustimmung 67%
* Frage wurde nicht verstanden und dementsprechend nicht zum Thema beantwortet. Quelle: AribA: Lehrprojekt-Befragung (2006); Sichtung der qualitativen Ergebnisse.
Zwei Drittel der befragten Kleinstunternehmen befürwortete solche eine Änderung. Es scheint sich aber eine ähnliche Tendenz wie bei den Kleinunternehmen abzuzeichnen: Die Mehrheit der Zustimmenden (fünf von acht) bewertete den Änderungsvorschlag positiv, ohne diese Meinung zu untermauern. „Sehe ich als gut an.“ (KU 06) (Vorher lange Erklärungen, was die Schwellenwerte bedeuten.) PL: „Ich glaube schon, dass es ok ist, das würde auf jedem Fall die Wirtschaft beleben.“ INT 01: „Also diese 21 Beschäftigten, das wäre aus deiner Sicht sinnvoll?“ PL: „Das wäre schon sinnvoll, das glaube ich, ja.“ (KU 10)
Die drei weiteren nannten als Begründung für die Zustimmung zur Schwellenwerterhöhung die Flexibilität, die dadurch im Betrieb geschaffen werden könnte und die finanziellen Vorteile, die eine solche Regelung haben würde. „Ja, das wäre in meinem Sinne. Ja, das finde ich sogar sehr wichtig, weil da sind wir nämlich bei den etwas größeren Unternehmen und da muss man mal ganz klar unterscheiden, es gibt natürlich Unternehmen, die Milliarden Gewinne einfahren und trotzdem entlassen. Wir halten uns hier an der Oberfläche, da ist von Gewinn noch gar nicht die Rede, denn jeder muss hier am Ende des Monats seine Miete zuhause bezahlen und ist froh, wenn die reingekommen ist. Das ist wahrscheinlich der große Unterschied dabei, deshalb möchte ich auch diese großen Unternehmen rausnehmen, sobald ein Unternehmen ernsthafte lukrative und zwar auch versteckte Gewinne einfährt und die Arbeitnehmer davon nicht in irgendeiner Form partizipieren, muss es gesetzliche Regelungen geben.“ (KU 07)
Einer der Arbeitgeber hat sich negativ gegenüber dem Vorschlag geäußert, ein weiterer hat die Frage nicht verstanden bzw. an dem Thema vorbei beantwortet (hier, ob211
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
wohl das häufig der Fall in Kleistunternehmen war, wurde die Frage nicht erklärt). Einige der Befragten waren eher unentschlossen bzw. man konnte der Antwort keine eindeutige Positionierung zuordnen. PL: „Da habe ich keine Meinung dazu. Ich weiß nicht, ob man das an irgendeiner Zahl festmachen kann. Und was ist mit den anderen?“ INT: „Da gilt kein Kündigungsschutz“ PL: „Ja, die Intention ist sicherlich um diese Unternehmen dazu zu bewegen mehr Leute einzustellen und dass die da keinen Verhinderungsgrund mehr haben an der Stelle. Von daher jetzt aus Arbeitgebersicht, ja, ein Versuch.“ (KU 09)
Zusammenfassend kann man die Reaktion auf diese Frage in Kleinstunternehmen in einem Wort beschreiben: Desorientierung. Diese findet ihren Ausdruck in pauschalen Antworten ohne Begründung und unpräziser Meinung trotz der Erklärungshilfen der Interviewer. Dieses Ergebnis überrascht nicht wirklich. Schon die REGAM-Studie zeigte auf, dass in Kleinstunternehmen sehr geringe Kenntnisse über Schwellenwerte vorhanden sind: 64% der Betriebe mit einem bis fünf und 86% der Betriebe mit sechs bis neun Beschäftigten waren der Auffassung, dass das Kündigungsschutzgesetz für sie gelte (Pfarr et al. 2005: 27ff.). Unsere qualitative Befragung der Kleinstunternehmen deckte detailliert den (mangelnden) Kenntnisstand auf: Jeder vierte Geschäftsführer spekulierte über Gesetze, die nicht existieren, jeder Zweite kannte nicht die Änderung des Schwellenwertes im KSchG vom 01.01.2004 von fünf auf 10 Mitarbeiter und auch knapp die Hälfte verstand unter Kündigungsschutzgesetz die Kündigungsfristen nach BGB. Fehlendes Wissen wird durch fehlendes Interesse an Arbeitsrecht untermauert. Die allgemeine Zustimmung in Kleinstunternehmen zu einer Änderung des Schwellenwertes im KSchG in Kleinstunternehmen ist durch zwei Phänomene zu erklären, die sehr nahe beieinander liegen: Das bereits erwähnte Anspruchsbewusstsein und die Reaktanz. Das erste konnte in drei Viertel der Kleinstunternehmen nachgewiesen werden (vgl. ebd.). Das heißt: Man hat eine fordernde Einstellung gegenüber dem Arbeitsrecht, und obwohl man den Sachverhalt nicht kennt, stimmt man dem Änderungsvorschlag zu, weil dann der eigene Betrieb nicht von der Regelung betroffen ist. Man ist den vermeintlichen Folgen dieser Vorschrift nicht verpflichtet. Letzteres weist auf die Reaktanz hin: Die Geschäftsführer fürchten sich vor einem vermeintlichen Autonomieverlust. Das Adjektiv „vermeintlich“ wurde bewusst in beiden Sätzen genutzt: Bei der Analyse der Kleinstunternehmen muss man „das vermeintliche Arbeitsrecht“ im Hinterkopf behalten, weil dieses Phänomen hier sehr stark verbreitet ist. Paradox erscheint die Tendenz der Zustimmung für diesen Veränderungsvorschlag, wenn man beachtet, dass in Kleinstbetrieben allgemein die Meinung geteilt wird, dass es nicht der Kündigungsschutz ist, der die Neueinstellungen beeinflusst, sondern die wirtschaftliche Lage.
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2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Wie erklärt man die Unterschiede bei dieser Fragestellung zwischen Kleinst- und Kleinunternehmen? „Insgesamt bestätigt sich, dass sich größere Unternehmen, die mehr personelle Ressourcen für die Personalarbeit haben, intensiver, vorausschauender und systematischer mit Arbeitsrecht auseinandersetzen“ (Krawetzki, Kapitel 2.6, S. 288). Diesen Sprung, obwohl nicht auf solchem Niveau, wie zwischen Groß- und Kleinstunternehmen, bemerkt man auch unter den kleineren Betrieben. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht ist tendenziell wahrscheinlicher je größer das Unternehmen ist. Die im Forschungsprojekt befragten Personalverantwortlichen sahen, wie bereits erwähnt und im nächsten Abschnitt näher vorgestellt, keinen Zusammenhang zwischen der Lockerung des Kündigungsschutzes und der Entstehung neuer Arbeitsplätze. In Kleinstunternehmen besteht dagegen eine starke Tendenz gefühlsmäßig zu urteilen, sich nach bereits bestehenden „Legenden“ zu richten und die eigene Autonomie, sobald sie als eingeschränkt empfunden wird, bewusst zu verteidigen.
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Abfindung statt Kündigungsschutz
Neben einer Änderung des Schwellenwertes wurde auch ein weiterer Reformvorschlag zum Kündigungsschutz – die Einführung einer Abfindungsregelung diskutiert. Hier gab es eine sehr umfangreiche Spannbreite von Vorschlägen (vgl. Bauer 2005; Wolter 2003: 1069f.; siehe auch dazu: Pfarr/Zeibig 2006: 136ff.). Eine Option, die vor der Wahl 2005 seitens der CDU-CSU-Fraktion vorgestellt wurde, sah Folgendes vor: Bei der Einstellung könnten Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass der Kündigungsschutz durch eine „Abfindungslösung“ ersetzt wird. Dem Arbeitgeber bliebe jedoch die Möglichkeit vorbehalten, die Zahlung zu verweigern, wenn die Kündigung aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen würde. Er könnte auch erklären, dass die Kündigung betriebsbedingt erfolgt und § 1 KSchG Anwendung findet – auch dann würde der Arbeitnehmer die Abfindung nicht erhalten. Jedoch hätte der Arbeitgeber bei betriebsbedingter Kündigung die Wahl auf das gesetzliche Modell zurückzugreifen oder eine Zahlung zu leisten, wenn die Kündigung den Anforderungen des § 1 KSchG nicht entspricht. Solche eine Lösung würde nach Meinung einiger Experten eine „völlige Abschaffung des Kündigungsschutzes“ bedeuten, weil die Arbeitgeber auch eine Kündigung aussprechen könnten, wenn es keine akzeptablen Gründe dafür gäbe. So eine Regelung würde die Funktion des Kündigungsschutzes auf den Kopf stellen: „Im Gunde würde das Gesetz nur sicherstellen, dass ein Arbeitgeber, sofern er Gründe vortragen kann, keine Abfindung zahlen muss“ (Pfarr 2005a).
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2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Daraus ergibt sich die Frage, welche Bedeutung von beiden vertraglichen Seiten (Arbeitgeber – Arbeitnehmer) dem Kündigungsschutz zugeschrieben wird und ob eine Garantie der Abfindung statt des Kündigungsschutzes zufriedenstellend für einer der Seiten sein könnte. Handelt es sich nur um materielle Sicherheit bei dem Vertragsabschluss oder gibt es auch andere Faktoren, die die Zusammenarbeit beeinflussen? Unsere Hypothese hierbei war, dass die personalverantwortlichen Akteure dem gesetzlichen Kündigungsschutz gewisse psychologische „Rahmenfunktionen“ für das Arbeitsverhältnis beimessen und deswegen diesen Reformvorschlag negativ bewerten werden. In unserer Befragung haben wir die Frage gestellt: Was halten Sie von dem Vorschlag, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbaren können, dass der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung auf den Kündigungsschutz verzichtet? Die Einzelheiten bezüglich der unterschiedlichen Kündigungsarten wurden nicht angesprochen. Bei über der Hälfte (22 von 41) der untersuchten Personalverantwortlichen wurde zusätzlich die Frage nach der Beschäftigungswirkung einer solchen Regelung gestellt (Glauben Sie, dass die Unternehmen mehr Einstellungen vornehmen würden?). Mit einer Auswertung dieser Unterfrage wird die Vorstellung der Ergebnisse begonnen. Die Andeutung, dass eine Einführung einer wie eben beschrieben gestalteten Abfindungsregelung zu mehr Einstellungen führen könnte, rief bei den Interviewpartnern Überlegungen auf der Makro-Ebene hervor: Sie bezogen sich häufig nicht nur auf das eigene Unternehmen, sondern sprachen von der gesamtwirtschaftlichen Situation. Drei Viertel der Nachgefragten (16 von 22) waren der Meinung, dass die vorgeschlagene Abfindungsregelung nicht zu Neueinstellungen führen wird, weil es keinen Zusammenhang zwischen der Neueinstellung und der Einführung solcher Änderungen gebe. „Das glaube ich nicht, dass man deswegen unbedingt mehr Mitarbeiter einstellen würde, nur weil ich sage: `Ich verzichte auf den Kündigungsschutz`. Das heißt ja für mich als Arbeitgeber nur, ich habe jemanden, den ich schnell wieder entlassen kann. Deswegen habe ich nicht unbedingt mehr Arbeit.“ (Int. 33) „Also meine Überzeugung ist, dass Änderungen im Kündigungsschutz nicht zu massiven Neueinstellungen führen werden, das ist weil letztendlich jeder Betrieb sich an seinen wirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert. Es wird niemand Leute einstellen, nur weil der Kündigungsschutz gelockert wird. Es muss die wirtschaftliche Grundlage da sein und sicherlich wenn der Aufschwung kommt, wie auch immer, kann es eine, ja vielleicht, höhere Bereitschaft geben Leute einzustellen, aber Grundsätzlich müssen erst mal die Zahlen stimmen und ich sehe eigentlich nicht das Wirtschaftswachstum was jetzt wirklich da sein müsste um Leute in größerer Zahl einzustellen.“ (Int. 1)
Bei den Antworten nach dem Zusammenhang zwischen einer neuen Abfindungsregelung und der Entstehung neuer Arbeitsplätze machte sich das Phänomen Sub-Classing bemerkbar (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3; Bradtke-Hellthaler, Kapitel 214
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
2.1, Abschnitt 2.3). Jeder siebte Personalverantwortliche (drei von 22) äußerte die Überzeugung, dass zwar in eigenem Unternehmen eine derartige Reform des Arbeitsrechts nicht zu Neueinstellungen führen würde, dass dies aber bei anderen Unternehmen der Fall sein könnte. Der eigene Betrieb handelt jedoch nach anderen Prinzipien als die Gesamtwirtschaft. INT: „Glauben Sie, dass die Unternehmen mehr Einstellungen vornehmen würden?“ PL: „Ich glaube, ja. Aber wir treffen die Entscheidungen halt anders, eher sozial als nach Euro. Aber ich kann mir in vielen Firmen das schon vorstellen, weil wir auch die Mentalitäten von vielen anderen kennen. Und die Mentalität der anderen ist doch eher ZDF, also, Zahlen, Daten, Fakten, als emotional. Wir treffen die Entscheidung eher aus dem Emotionalen heraus. Und dann ist es egal, was das in Euro kostet“. (Int. 9)
In zwei Betrieben wurden positive Einstellungseffekte, vor allem für Groß und Mittelunternehmen prognostiziert. Die Personalverantwortlichen lehnten die These, dass eine Lockerung des Kündigungsschutzes durch eine Einführung der Abfindungslösung neue Arbeitsplätze schaffen könnte, ab. Unsere Frage legte den Fokus auf der Bewertung der Möglichkeit, am Anfang eines Arbeitsverhältnisses solche eine Vereinbarung über Abfindung zu treffen. Abbildung 7: Auswertung der Frage: Was halten Sie von dem Vorschlag, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbaren können, dass der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung auf den Kündigungsschutz verzichtet?
sonstiges; 5%
Unentschlossen; 12%
SubSubtyping* Classing*; 15% 15%
Ablehnung; 41%
Zustimmung; 27%
* Sub-Classing – „Schubladendenken“, in diesem Fall zu interpretieren als folgende Aussage: „Für uns ist die Lösung irrelevant, aber es könnte für andere Unternehmen eine Lösung sein“. Quelle: AribA-Befragung (2006); Sichtung der qualitativen Ergebnisse.
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2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Das obige Diagramm bildet die Antworttendenzen ab, die sich bei dieser Fragestellung zeigten. Da aber jede dieser Kategorien eine Zusammensetzung unterschiedlicher Antworten ist, gilt es diese näher vorzustellen. Knapp die Hälfte der Befragten (17 von 41) lehnten die vorgeschlagene Änderung ab. Die offene Fragestellung ließ Antwortspielraum für die Interviewpartner – in diesem Fall gab es auch unterschiedliche Begründungen für die Ablehnungen. Fast ein Viertel der Gesamtbefragten (neun von 41) und über die Hälfte der Ablehnenden (neun von 17) betonte, dass das Vertrauen, welches am Anfang eines Arbeitsverhältnisses aufgebaut werden sollte, durch so eine Lösung beeinträchtig werden könnte. Die Vorstellung, dass man sich schon bei Vertragsabschluss darauf einigen sollte, wie man das Arbeitsverhältnis beenden kann, ist nach Auffassung den Personalverantwortlichen ein falscher Ansatz. Man stellt Mitarbeiter nicht mit der Grundüberlegung ein, sie dann in innerhalb eines unbestimmten Zeitraumes wieder zu entlassen: Solche Handlung könnte sich schlecht auf die Motivation auswirken. Immer wieder wurde auch eine ungleiche Rollensituation am Anfang des Arbeitsverhältnisses betont, welche dazu führen könnte, dass „eine Abfindungsklausel“ nicht freiwillig, sondern auf Wunsch des Arbeitgebers unterschrieben würde. „Es ist nicht ganz sauber, auf irgendwelche gesetzlichen Grundlagen Mitarbeiter zu verpflichten, darauf zu verzichten, weil es kein guter Start ist. Das fängt ja schon damit an, dass der Arbeitgeber eine Forderung hat, bevor ein Arbeitnehmer kommt. Also, es ist von der Motivation her schon der falsche Weg.“ (Int. 13) „Das klingt charmant, aber ich bin kein Freund davon, jemandem seine Schutzrechte abzukaufen. Also, ich muss ehrlich sagen, ich kenne niemanden, der sagt: `Ich stell nicht ein, weil ich die nicht mehr los werde.` Also, wenn ich die Leute brauche, dann stelle ich sie auch ein, auch wenn viel darüber gesprochen wird, wie schwierig es ist, sich dann wieder von jemandem zu trennen.“ (Int. 19) „Es ist wie ein Kuhhandel. Ich finde das nicht gut, weil, das wieder eine Veränderung ist, die irgendwie in das System einwirkt. Die sollen es doch so lassen, wie es jetzt ist. Und das ist doch gut, da kannst du berechnen. Also, ich müsste so eine Möglichkeit nicht haben als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer giert nach dem Geld und der Arbeitgeber giert, dass er den raushaut, wie er ihn will. Das ist kein Stil, finde ich. So wie es jetzt ist, ist es doch geregelt. Und da wird Arbeitsrecht abgekauft mit Geld. Wenn wir es käuflich machen, brauchen wir sie nicht mehr.“ (Int. 41)
Jeder Zehnte der Befragten (vier von 41) lehnte diesen Änderungsvorschlag ab, ohne es zu begründen. Sehr selten (zwei von 41) argumentierten die Ablehnenden, dass solche eine Lösung eine Zumutung ist, weil man nicht bezahlen müssen sollte, wenn man einen „schlechten“ Mitarbeiter loswerden möchte. Dagegen würde jeder vierte der Personalverantwortlichen (11 von 41) diesen Vorschlag befürworteten. Die Begründungen für die Zustimmung waren recht unterschiedlich. Die Hälfte dieser Gruppe sah diese Änderung als eine Innovation in arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Manche der Personalverantwortlichen (vier von diesen 11) 216
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
versprachen sich durch diese Änderung eine Erweitung deren Handlungsspielräume, betonten aber, dass ein freiwilliges Einverständnis von bei den vertraglichen Seiten gewährleistet werden muss. „Das finde ich gut. Beide sind informiert, sowohl derjenige, der wahrscheinlich eher nicht so gut informiert ist über dieses Recht, nämlich der Arbeitnehmer. Und wenn der in voller Information darum das dann unterschreibt, dann weiß er, was er tut, dann ist er ein mündiger Bürger und dann finde ich das völlig in Ordnung. Dann kann jeder selber entscheiden, was er machen möchte. Aber es darf eben nicht so sein, dass jemand sagt: ‚Nur wenn Du diese Klausel unterschreibst, und diese Klausel bedeutet das und das, kriegst du diesen Job.’ Das ist dann schon wieder die harte Nummer, finde ich.“ (Int. 31)
Zwei Personalverantwortliche wiesen darauf hin, dass diese Regelung zumindest berechenbar wäre, im Gegensatz zu den Gerichtsurteilen im Falle einer Klage bei betriebsbedingter Kündigung. „Das finde ich eine klare Regelung und finde ich auch gut, für beide Seiten. Das ist für den Arbeitnehmer ganz klar, für den Arbeitgeber kalkulierbar. Also, wenn ich da gerade an diesen zwei Jahre dauernden Kündigungsschutzprozess denke - die Rückstellungen die ich da mitschleppen musste für eine mögliche Abfindung, die überhaupt nicht kalkulierbar war.“ (Int. 37)
Der Gedanke die vorgeschlagene Abfindungslösung zu benutzen wird von jedem Siebten der Personalleiter (sechs von 41) bestritten, es wird aber darauf hingewiesen, dass andere Unternehmen diese Regelung nutzen könnten. Das Phänomen des SubClassing macht sich auch hier bemerkbar: Die Überzeugung, dass der eigene Betrieb eine Ausnahme darstellt und die Realität der anderen Betriebe ganz anders aussieht. Es wird betont, dass man im eigenem Betrieb mit den Mitarbeitern anders als in anderen Unternehmen umgeht; die Großbetriebe weisen auf die Kleinen hin, die Kleinen auf die Großen, man verweist auf andere Branche oder andere Betriebsbedingungen etc. „Ich schließe das nicht aus. Ich kann mir das vorstellen, aber für uns ist es kein Hindernis. Das kann sicherlich ein Gesichtspunkt sein, der es erleichtert, dem einen oder anderen zu sagen: ‚Gut, dann stelle ich ein’, dem kleinen Handwerksbetrieb, dem Kleinunternehmen.“ (Int. 11) „Könnte ich mir vorstellen, dass das einige täten, ja. Das würde mein Bruder (Kleinunternehmer) schon machen. Wenn er dann aber auch gleich die Summe schon festlegen könnte. Aber auch das große deutsche Unternehmen, für das ich vorher tätig war, war politisch so ausgerichtet, das hätte sicherlich gut funktioniert. Ich halte persönlich nichts von solcher einer Regelung. Unwichtig, braucht man nicht. Man kann auch so miteinander reden. Und man muss auch fair bleiben.“ (Int. 16)
Einige der Befragten (fünf von 41) blieben unentschlossen. Diese Gruppe brachte Argumente dafür und dagegen ein und konnte sich nicht wirklich gegenüber dem Vorschlag positionieren. Diese Unentschlossenheit machte sich ausschließlich in Großunternehmen bemerkbar: Hier kam „die Vermittlerrolle“ der Personalverantwortlichen zu tragen: Auf der einen Seite setzt man sich für die Mitarbeiter ein, auf der anderen Seite versucht man den Arbeitgeber zu unterstützen.
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2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
„Ist ein interessanter Gedanke, ich habe den noch nicht weitergesponnen, ja? Was für mich da besonders attraktiv dran wäre, dass man sich Verhandlungen mit dem Betriebsrat erspart (lacht), dass es bilateral ist, was natürlich den Einzelnen auch wieder natürlich in Schwierigkeiten bringen kann, nicht? Der Arbeitgeber ist dann meistens ja in der besseren Position. Und dem steht der einzelne Mitarbeiter und nicht im Kollektiv gegenüber.“ (Int. 25). „Also Arbeitgeber schön, als Arbeitnehmer würde ich verzichten drauf.“ (Int. 38).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die am Anfang von diesem Kapitel gestellte Hypothese: Die Personalleiter schreiben dem gesetzlichen Kündigungsschutz gewisse psychologische „Rahmenfunktion“ für das Arbeitsverhältnis zu, bejahen lässt. Die Mehrheit der Personalverantwortlichen (27 von 41) betonte die Rolle des Vertrauens bei einem Arbeitsverhältnis: Unter Ablehnenden (17) fanden 11, dass so eine Regelung dieses Vertrauen beeinträchtigen wird und vier lehnten es ohne Begründung ab. Vier von 11, die zustimmten, würden das nur bei Wunsch des Arbeitnehmers machen. Über die Hälfte der Unentschlossenen (drei) weisen auf ungleiche Machtverteilung bei einer solchen Regelung hin und versuchen sich in die Rolle der Arbeitnehmer in einer solchen Situation zu versetzten. Die Mehrheit von denen (fünf von sechs), die den Reformvorschlag als eine Lösung für andere Unternehmen sehen, würden aber keine derartigen Maßnahmen im eigenem Betrieb einsetzen, weil das unfair gegenüber dem Arbeitnehmer wäre.
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Verlängerung der Wartezeit und Abschaffung der Zeitbefristung
CDU, CSU und SPD haben keinen der beiden bereits erwähnten Reformvorschläge in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben. Jedoch sollte der Kündigungsschutz weiterentwickelt werden um „zum einen mehr Beschäftigung zu ermöglichen und zum anderen die Schutzfunktion des Kündigungsschutzes für bestehende Arbeitsverhältnisse nachhaltig zu sichern“ (Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD 2005: 37). Dies sollte durch zwei Maßnahmen erreicht werden: Erstens soll die Möglichkeit gestrichen werden Arbeitsverträge in den ersten 24 Monaten sachgrundlos zu befristen (die Zeitbefristung) und im gleichen Zug soll der Weg geschaffen werden „anstelle der gesetzlichen Regelwartezeit von sechs Monaten bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dem Einzustellenden eine Wartezeit von bis zu 24 Monaten zu vereinbaren“ (ebd.). Diese Möglichkeit wurde auch bei einer erneuten Einstellung bei dem gleichen Arbeitgeber zugelassen, wenn seit dem Ende des vorhergehenden Arbeitsvertrages mindestens sechs Monate vergangen wären. Dadurch wollte die Große Koalition einen Beitrag zur „Vereinfachung des Kündigungsschutzes“ leisten sowie die Zahl der arbeitsgerichtlichen Verfahren und das Prozessrisiko der Arbeitgeber zu verringern, als auch „die 218
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
unbefristete Einstellung neuer Mitarbeiter gegenüber zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnissen zu stärken“ (ebd.). Bei einem der oben erwähnten Hauptziele der Veränderungsvorschläge – mehr Beschäftigung zu ermöglichen – wird davon ausgegangen, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lockerung kündigungsrechtlichen Regelungen und verstärkten Neueinstellung bestehe. Für diese Korrelation gibt es, wie schon mehrmals in diesem Beitrag aufgeführt, keine Indizien. Deswegen wäre eine solche Änderung des Kündigungsschutzes in Augen der Experten nur eine symbolische Handlung (Pfarr in: Bähring/Thommes 2006: 80). Fraglich bleibt, ob solche eine Änderung die Arbeitsmarktsituation nicht einfrieren wurde: In Großbritannien in der Thatcher-Ära wurde eine längere Wartezeit erst eingeführt und wieder zurückgenommen. Die Verlängerung hat zu „einer Verstärkung der Arbeitsmarktrigidität durch eine deutlich reduzierte Bereitschaft der Arbeitnehmer zum Arbeitsplatzwechsel geführt“ (Rogowski, zitiert in: Bähring/Thommes 2006). Zu diesem Thema wurde in unserer Untersuchung eine ganze Reihe Fragen gestellt, die mit entsprechenden Erklärungen eingeleitet worden sind. Die meisten Interviewpartner beantworteten aber nicht die einzelnen Fragen, sondern haben eine allgemeine Meinung zu dem Projektvorschlag geäußert. Abbildung 8: Verlängerung der Wartezeit und Abschaffung der Zeitbefristung
Zustimmung; 29% Ablehnung; 59%
Unentschlossen; 12%
Quelle: AribA-Befragung (2006); Sichtung der qualitativen Ergebnisse.
Die Mehrheit der Personalverantwortlichen (24 von 41) hat sich gegen die Einführung der verlängerten Wartezeit bei gleichzeitiger Abschaffung der Zeitbefristung ausgesprochen. Eine Sichtung der Begründungen für die Ablehnung lässt feststellen, dass die Hälfte dieser Gruppe und zugleich über ein Viertel aller Interviewpartner (12 von
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2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
jeweils 24 und 41) zufrieden mit den bestehenden Vorschriften war und deswegen die genannte Änderung nicht gewünscht war. „Grundsätzlich halte ich das eigentlich nicht für sinnvoll, weil ich der Meinung bin, wenn ein Unternehmen nicht zumindest im Grundgerüst in der Lage ist zu planen, dann hat zumindest derjenige der die Planung macht, eigentlich keine Daseinsberechtigung. (…) Also ich halte dann die Befristung für den sinnvolleren Weg, weil das eigentlich für beide Parteien eine ganz klare Vorgabe ist, was passiert... Da schwebt man also nicht irgendwo im Niemandsland, sondern da wissen eigentlich beide Parteien, was konkret vereinbart ist. Also ich halte die Variante nach wie vor für besser dann.“ (Int. 4) „Also, ich hab das hier diskutiert schon mal im Bereich der Abteilungsleiter - jetzt Technik weil wir einige Neueinstellungen planen für die nächsten Monate. Und dann habe ich gesagt: ‚Na ja, wir haben ja dann die Möglichkeit, können wir 24 Monate Probezeit vereinbaren, das könnten wir dann ja machen.’ Das will keiner. Wir arbeiten ja jetzt schon mit der Befristung ein Jahr. Das ist für uns eine lange Probezeit. Und nach diesem Jahr wissen wir auch: Ist das der richtige Mensch für uns oder nicht? Ich musste bis auf einen, den ich mal entlassen musste nach diesen 12 Monaten, konnte ich alle übernehmen. Alle sind noch da. Wir brauchen es nicht. Es ist nicht gewünscht. Ende.“ (Int. 16)
Die obigen Aussagen deuten auch zwei weitere Tendenzen bei der Ablehnung. Zum einen hielten manche Personalverantwortliche solche eine Reform für unfair gegenüber den Arbeitnehmern: Die Sicherheit, die der Kündigungsschutz gewährleistet, könnte nicht mehr garantiert sein. Des Weiteren betonten einige Interviewpartner, dass man die Verlängerung der Wartezeit nicht braucht, weil man vorher schon die Entscheidung trifft (vor dem Ablauf der sechs Monate), ob die neueinzustellende Person im Betrieb bleiben soll oder nicht. „Nein, nein. Also grundsätzlich nein. Ich meine uns reichte es aus, diese 6 Monate Probezeit, die wir auch voll ausnutzen. Und dann weiß ich, ob ein Mitarbeiter zu uns passt oder nicht. Und ... ich will ja auch, dass der Mitarbeiter sich bei uns wohl fühlt. Ich will ihm ja die Sicherheit geben, dass er auch von sich aus sagt: ‚Okay, hier habe ich einen sicheren Arbeitsplatz, und ich bringe alles ein, was ich einbringen kann, damit dieses Unternehmen erfolgreich sein kann.’ Und wenn ich ihn in einer Unsicherheit halte, dann ist er nur immer auf der Suche nach einem anderen Arbeitgeber und beschäftigt sich damit, was er als Nächstes machen kann oder was auch immer. Ich möchte Mitarbeiter haben, die eine sehr, sehr, sehr gute Leistung bringen. Und ich gebe ihnen dafür eben auch ein hohes Maß an Sicherheit.“ (Int. 14) „Sinnlos aus meiner Sicht, zwei Jahre Probezeit sinnlos, für beide Seiten hilft es nichts. Weil, beide Seiten stehen morgens auf und sagen: ‚Wir haben ja Probezeit`. Und bei Befristung: `Pass auf, zwei Jahre Befristung’, beide wissen genau, worauf sie sich einlassen, entweder es klappt oder es klappt nicht. Aber eine Probezeit finde ich nicht die richtige Idee. Ich verstehe sie auch nicht. Das ist eine Verschlechterung für beide Seiten. Wirklich für beide Seiten.“ (Int. 6) „Halte ich für Quatsch. Sie wissen nach 3 Monaten spätestens, ob jemand was kann oder nicht. Wer es nach 3 Monaten nicht kann, kann es nach 6 Monaten nicht und auch nicht nach 12 Monaten.“ (Int. 20)
Das Phänomen des Sub-Classing konnte man auch bei dieser Fragestellung feststellen. „... ohne Grund kann ich ihn kündigen, wenn ich die Probezeit theoretisch auf zwei Jahre definiere. Das würde helfen, wenn jemand unbedingt auf ZDF (Zahlen, Daten, Fakten) aus ist. Uns gar nichts. Also, wir wollen, wenn wir der Meinung sind, dass der gut ist, dann
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2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
behalten wir ihn, dann wollen wir uns binden, und das wollen wir eben symbolisieren. Für uns bringt das gar nichts.“ (Int. 09)
Durch diese mehrheitliche Ablehnung bestätigt sich die Hypothese, dass die Personalverantwortliche dem Kündigungsschutz eine bestimmte „Rahmenfunktion“ zuschreiben. Gegenseitiges Vertrauen und die Sicherheit für die Mitarbeiter sind von großer Bedeutung bei der Gestaltung der innenbetrieblichen Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang überrascht nicht, dass diese Gruppe der Ablehnenden des im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Reformvorschlags auch die Möglichkeit der Einführung einer Abfindungslösung ablehnte und als die größten Einflussfaktoren auf die Neueinstellungen die wirtschaftliche Lage des Betriebs und die Qualifikationen der potentiellen Mitarbeiter erwähnte. 12 der 41 Interviewpartner bevorzugten eine Einführung des Reformvorschlages. Die Tendenz eine Zustimmung zu äußern, ohne sie zu begründen, zeigte sich auch in diesem Fall bei einem Drittel der Zustimmenden. „Das find ich gut, ja. Das finde ich sogar sehr gut.“ (Int. 02) „Also, wenn diese Regelung kommt, Zweijahresregelung kommt, muss ich sagen, würde ich begrüßen“. (Int. 15)
Als Begründung nannten einzelne Interviewpartner einen allgemeinen Veränderungswunsch oder eine einfachere Handhabung der Vorschriften, die sie sich durch die Reform versprachen. Drei Personalverantwortlichen bewerteten den Vorschlag positiv, weil man dadurch einzelne Mitarbeiter (bzw. bestimmte Zielgruppen z.B. Mitarbeiter auf höheren Positionen) länger beobachten könnte. „Sie würde zumindest helfen, in diesen ersten zwei Jahren, sich von möglicher Weise Mitarbeitern, die die sechs Monate gut absolviert haben und dann plötzlich aus irgendwelchen Gründen abfallen, wieder zu trennen“. (Int. 3) „In einer anspruchsvollen Position mit Sicherheit, weil da sind Sie oft nicht in der Lage, nach sechs Monaten zu entscheiden: Ist das auch der richtige Mann oder die richtige Frau auf dem richtigen Platz? Also, für solche Positionen kann ich mir das sehr gut vorstellen, die Erfahrung habe ich auch schon gemacht, dass wir hier einen hoch qualifizierten Mitarbeiter eingestellt haben, ich beobachte das, ich frage: ‚Wie läuft das?’, mache mir ein Bild. ‚Ja, läuft ganz gut’, und dann kommen sie nach acht Monaten oder nach 10 Monaten und sagen: `Nein, das passt doch nicht`. Ja, für gewisse Positionen auf jeden Fall. Wenn Sie jemanden in Führungsposition einstellen, Sie wissen nicht, wie der sich als Führungskraft entwickelt. Und wenn das nicht funktioniert, dann machen Sie das ganze Team irgendwie durcheinander. Das kann ich mir nur bei so ganz hochkomplexen Entwicklungsgeschichten vorstellen, wo man sich erst mal eine Weile ein Bild macht, wenn jemand was konstruiert, ob das dann in Stahl und Eisen ist, auch funktioniert. Das kann durchaus mal ein gutes Jahr in Anspruch nehmen. Und jemand braucht vielleicht doch zwei, drei Monate, um sich überhaupt mal hier zurechtzufinden. Also, bis zu zwei Jahre im Einzelfall.“ (Int. 19)
Vereinzelt kamen auch Argumente, dass die Verlängerung der Wartezeit und die Abschaffung der Zeitbefristung sichere Arbeitsplätze schaffen könnte, anstatt die Prekarität der Arbeitsverhältnisse zu unterstützen. 221
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„Doch, ich würde sagen, wenn der Kündigungsschutz erst nach ein oder nach zwei Jahren greift, für den Arbeitnehmer ist das so eine Sache: `Ich bin nicht in der Probezeit, sondern ich arbeite ganz normal`, und = ich habe nicht immer vor Augen: `Mensch, jetzt 2008 bist du sowieso draußen.` Halte ich schon für ganz positiv. Aus Sicht des Arbeitnehmers, auf jeden Fall. Des Arbeitgebers auch.“ (Int. 7)
Die Hälfte der Interviewpartner, die diesen Vorschlag unterstützen, war zugleich der Meinung, dass der Kündigungsschutz bei Neueinstellungen eine Rolle spielt (hier gab es häufig den Hinweis auf die Ausweichstrategien). Diese Gruppe stimmte öfter der Möglichkeit der Einführung einer Abfindungslösung zu. Vier von 12 zustimmenden Befragten nannten als Wunsch an das Arbeitsrecht die Änderung des Kündigungsschutzes. Fünf der 41 Befragten haben bei der Frage nach der Einführung der längeren Wartezeit und der Abschaffung der Zeitbefristung keine eindeutige Bewertung geäußert. Die meisten wussten nicht, was eine solche Änderung qualitativ verändern sollte. „Ja, wenn das andere abgeschafft würde, also die befristeten Verträge, das sind genau die Verträge, die möglich wären, aber die sind dann mehr oder weniger synonym… Also, ich wüsste jetzt nicht, was die wirklichen eklatanten Unterschiede sind.“ (Int. 28) „Wäre mir dann egal. Wenn die Zweckbefristung bleibt, die wir zwar hier nicht einsetzen, aber die man sicherlich dann personalpolitisch eher vielleicht noch wieder bräuchte, im Rahmen der klassischen Aushilfe für Saisonarbeit oder auch für ein bestimmtes Projekt, und der Kündigungsschutz im Gegenzug dazu dann auf zwei Jahre ausgedehnt wird, ist das ja Jacke wie Hose.“ (Int. 03)
Einer der Personalverantwortlichen betonte, dass durch diese Reform in Betrieben eine Zweiklassengesellschaft („die vor“ und „die nach“ der Änderung eingestellten) entstehen wird. (Int. 13) Die Gruppe der Unentschlossenen betonte, ähnlich wie die Ablehnenden, dass bei den Neueinstellungen die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sowie die Qualifikationen der Mitarbeiter eine Rolle spielen. Sie lehnten auch häufiger die Möglichkeit einer Abfindungslösung ab. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Änderungsvorschlag durch die Personalverantwortlichen nicht unterstützt wird. Die am Anfang dieses Punktes erwähnte „symbolische Handlung“ des Gesetzgebers stieß auf Unverständnis seitens der Interviewpartner: Man ist überwiegend zufrieden mit den bestehenden Vorschriften und findet diese gerechter (als die vorgeschlagenen) gegenüber dem Arbeitnehmer. Die Zustimmung zu diesem Reformvorschlag war tendenziell nicht dadurch begründet, dass der Kündigungsschutz stört. Die Personalverantwortlichen haben eher argumentiert, dass eine solche Lösung nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen vereinbart werden könnte oder dass es ein Weg aus der Prekarität der Arbeitsverhältnisse wäre. Letzteres wurde durch zwei Interviewpartner angesprochen, was insofern verwundert, als es genau die Argumentation der großen 222
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Koalition für diese Reform gewesen ist und die Interviews ein halbes Jahr nach der Wahl stattfanden. Es stellt sich die Frage, die man in diesem Rahmen nicht beantworten kann, ob die Informationsarbeit der Regierung nicht ausreichend ist und sogar bei den Betroffenen (die Personalverantwortlichen, die diese Reformen durchsetzten müssen) nicht ankommt, oder ob diese Änderung tatsächlich unerwünscht ist.
6
Fazit
Beinahe alle Interviewpartner haben Veränderungswünsche an das Arbeitsrecht geäußert. Diesen liegen aber selten konkrete Reformvorschläge zugrunde. Das Arbeitsrecht ist laut der Personalverantwortlichen zu komplex und zu kompliziert und deswegen wünscht man sich eine Vereinfachung. Im Vordergrund dieser Überlegungen steht ein Wunsch nach der innerbetrieblichen Konfliktfreiheit. Hier ist ein impliziter Wunsch nach mehr Informationen über das Arbeitsrecht auf beiden Seiten (Arbeitgeber – Arbeitnehmer) zu entnehmen. Das Arbeitsrecht hat die undankbare Aufgabe den immanenten Interessenkonflikt zu klären, um diese Aufgabe zu erfüllen, muss es aber bekannt werden. Vielleicht erfüllt das Arbeitsrecht diese Funktion ohne seine Erfahrbarkeit (um eine provokante Fragestellung von dem theoretischen Teil aufzugreifen – siehe: Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 2). Ein Drittel der Befragten wünschte sich eine allgemeine Vereinfachung der Vorschriften, ein Viertel äußerte betriebsspezifische Anliegen, manche Personalverantwortliche forderten mehr Gerechtigkeit durch das Arbeitsrecht. Jeder Sechste wünschte sich eine Veränderung des Kündigungsschutzes, wobei nur einer die Verlängerung der Wartezeit nannte. Die unterschiedlichen Reformvorschläge wurden mehrheitlich abgelehnt. Man ist zufrieden mit bestehenden Regelungen und eher kritisch gegenüber jeglichen neuen Reformvorschlägen. Eine Ausnahme bildet hier die Erhöhung des Schwellenwertes. Ein Drittel der Geschäftsführer in Kleinunternehmen und zwei Drittel in Kleinstunternehmen stimmten diesem Reformvorschlag zu. Ernüchterndes Ergebnis, wenn man beachtet, dass mehrere Studien nachgewiesen haben, dass die Schwellenwerte keinen Einfluss auf das Einstellungs- bzw. Entlassungsverhalten haben. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass diese Meinung durch zwei Phänomene zu klären ist: das Anspruchsbewusstsein und die Reaktanz. Diese werden durch das fehlende Wissen im Bereich Arbeitsrecht untermauert. Man hat eine fordernde Einstellung gegenüber dem System und den Vorschriften und fürchtet sich vor einem vermeintlichen Autonomieverlust, die durch Regelungen im Arbeitsrecht verursacht werden könnte. Deswegen wird das
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2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Kündigungsschutzgesetz, welches für die Kleinstunternehmen gar nicht gilt, anekdotisch „verteufelt“. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht erfolgt tendenziell in größeren Unternehmen. Deswegen ist die „Legendenbildung“ rundum den Kündigungsschutz weniger wahrscheinlich. Die von uns befragten personalverantwortlichen Akteure messen dem gesetzlichen Kündigungsschutz gewisse psychologische „Rahmenfunktionen“ für das Arbeitsverhältnis bei, was die Ergebnisse zu der Möglichkeit der Einführung einer Abfindungslösung sowie der Verlängerung der Wartezeit bei gleichzeitiger Abschaffung der Zeitbefristung bestätigen. Die Befragten sind mit bestehenden Regelungen zufrieden und haben eher Angst vor ständiger Änderung (siehe hierzu: BradtkeHellthaler, Kapitel 2.1). Damit wird die hier aufgeworfene These, dass das Arbeitsrecht seine Funktionen auch ohne seine Erfahrbarkeit erfüllt nicht bestätigt. Fehlende Kenntnisse tragen eher zur Kritik der bestehenden Vorschriften bei und eine tiefere Auseinandersetuzung mit den Regelungen unterstützt deren Akzeptanz.
Literatur Bähring K./Thommes K. (2006): Tagungsbericht: Kündigungsschutz und allokative Effizienz des Arbeitsmarktes. Workshop der Arbeitsrechtlichen Professuren der Juristischen Fakultät der Matin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und des Zentrums für Sozialforschung Halle. In: Industrielle Beziehungen. 13 Jg.. Heft 1.S. 78-85. Bauer, J.-H. (2005): Arbeitsrechtlicher Wunschkatalog für mehr Beschäftigung. Iin: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 18. S. 1046-1051. Bauer, T./Bender, S./Bonin, H. (2004a): Betriebe reagieren kaum auf Änderungen beim Kündigungsschutz. In: IAB Kurzbericht 15. S. 1-4. Bauer, T./Bender, S./Bonin, H. (2004b): Dismissal Protection and Worker Small Establisments. IZA discussion paper. Bonn. S. 1-35. Bothfeld S./Ullmann K. (2004): Kündigungsschutz in der betrieblichen Praxis: Nicht Schreckgespenst, sondern Sündenbock. In: WSI-Mitteilungen. Heft 5. S. 262-270. Friedrich W./Hägele H. (1997): Ökonomische Konsequenzen von Schwellenwerten im Arbeitsund Sozialrecht sowie die Auswirkungen dieser Regelungen. Kurzfassung des Endberichts. Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005: Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit. Reinbach.
224
2.3 Vorgeschlagene Kündigungsschutzänderungen aus der Sicht von Personalverantwortlichen
Koller, L./Schnabel C./Wagner J. (2007): Schwellenwerte im Arbeitsrecht: Höhere Transparenz und Effizienz durch Vereinheitlichung. University of Lüneburg. Working Papers Series in Economics. No. 40. o.A. (2005): Kündigungsschutz: Statt Allgemeingut bald Privileg?. In: Böckler impuls 13/2005. OECD (1999): Employment Outlook. Paris: OECD. OECD (2004): Employment Outlook. Paris: OECD. Pfarr, H. (2005a): Abfindungsoption: Eine Wahl, die keine ist. In: Böckler impuls 12/2005. Pfarr, H. (2005b): Arbeits- und Sozialrecht – Eine bürokratische Beschäftigungsbremse. In: WSI-Mitteilungen. Heft 8. S. 454-458. Pfarr, H./Bothfeld, S./Kaiser, L./Kimmich, M./Peuker, A./Ullmann, K. (2003): REGAM-Studie: Hat der Kündigungsschutz eine prohibitive Wirkung auf das Einstellungsverhalten der Klein(betriebe). In: Betriebs-Berater 43. S. 2286-2289. Pfarr, H./Ullmann, K./Bradtke, M./Schneider, J./Kimmich, M./Bothfeld, S. (2005): Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit: Betriebliche Erfahrungen mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Hampp: München/Mering. Pfarr, H./Zeibig, N. (2006): Pro und contra Abfindungsrecht bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen. In: Schäfer, C./Seifert, H. (Hrsg.): Kein bisschen leise: 60 Jahre WSI. VSA-Verlag: Hamburg. S. 131-145. Wagner, J./Schnabel K./König A. (2001): Wirken Schwellenwerte im deutschen Arbeitsrecht als Bremse für Arbeitsplatzschaffung in Kleinbetrieben?. In: Ehrig D./Kalmbach P. (Hrsg.): Weniger Arbeitslose aber wie? Metropolis: Marburg. S. 177-198. Wolter, H. (2003): Reformbedarf beim Kündigungsrecht aus Arbeitnehmersicht. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht. 19. S. 1068-1076.
225
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
Kapitel 2.4: Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit Aleksandra Worobiej
1
Einleitung
Durch einen rasanten wirtschaftlichen und sozialen Wandel sind die Unternehmen in industriellen Gesellschaften, auch in Deutschland, extremen Druck ausgesetzt. Dieser Wandel hat auch auf die Gestaltung der Personalpolitik seine Auswirkungen. So spricht man von einem Übergang vom „Normalen Arbeitsverhältnis“ in Richtung flexibler, atypischer Beschäftigungsformen. Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion stehen in Deutschland die externe Flexibilisierungsmaßnahmen: Einstellungen und Entlassungen, Befristung und Leiharbeit. Das erste Thema wurde von Schlese/Schramm im Kapitel 2.2 „Die Rolle des Kündigungsschutzes: Ergebnisse der qualitativen Analyse“ behandelt. Die Befristung stand in der jüngsten Zeit im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit vor allem wegen des im Koalitionsvertrag festgeschrieben Reformvorschlages (siehe hierzu Worobiej im Kapitel 2.3; auch Schlese/Schramm, Kapitel 2.2). Dieser Beitrag widmet sich dem Phänomen der Leiharbeit. Des Weiteren wird die Aufmerksamkeit dieses Kapitels auf die interne und externe Flexibilität gelenkt. Es wird vorgestellt, welcher der Flexibilisierungsinstrumente häufiger genutzt wird und der Zusammenhang zwischen der Art der Flexibilisierung und den Ansichten gegenüber dem Kündigungsschutz überprüft.
2
Nutzungsintensität
von
Leiharbeit
in
untersuchten
Betrieben Leiharbeitnehmer und befristet Beschäftigte gehören zu der sogenannten Randbelegschaft, welche von der Stammbelegschaft unterschieden wird. Unter der letzten versteht man die fest angestellten Mitarbeiter, die überwiegend in Vollzeit arbeiten. Sie besitzen die in bestimmtem Unternehmen gefragten Qualifikationen, die durch Weiterbildungsmaßnahmen erweitert werden. Diesen Mitarbeitern wird eine Karriereaussicht und hohe Arbeitsplatzsicherheit geboten. Dagegen wird die Randbelegschaft bei Bedarf ab- und aufgebaut. Sie ist für solche Tätigkeiten zuständig, die nicht zum Kerngeschäft gehören und keine betriebsspezifischen Qualifikationen erfordern. Hierzu gehören die Arbeitnehmer, die meist geringer qualifiziert sind und keine hohe Aufstiegs226
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
chancen haben: geringfügig Beschäftigte, Leiharbeiter, befristet Angestellte (Atkinson 1984: 29f.). Nienhüser und Baumhus weisen darauf hin, dass sich die Beschäftigungsbedingungen (die Arbeitsplatzsicherheit, das Einkommen, die Aufstiegschancen, die Qualifizierungsmöglichkeiten) mit zunehmender Entfernung vom Kern der Belegschaft verschlechtern (2002: 110f.).23 Der Einsatz von atypischen Beschäftigungsformen hat unterschiedliche personalwirtschaftliche und betriebliche Gründe. Dies kann die Senkung der Arbeitskosten, Erhöhung der Anpassungsfähigkeit des Arbeitseinsatzes oder die Erweiterung der Instrumente der betrieblichen Personalpolitik (z.B. verlängerte Probezeiten) sein (vgl. Nienhüser/Baumhus 2002: 119ff.). Der Einsatz von Leiharbeit ist sehr stark von der Betriebsgröße und Branche abhängig. Gesamtwirtschaftlich betrachtet setzen 2,4% aller Unternehmen Leiharbeit ein, dabei werden Leiharbeiter häufiger im produzierenden Gewerbe, in der Industrie und dem Handwerk (4,8%) als z.B. öffentlicher Verwaltung (0,8%) in der Dienstleistungsbranche (1,5%) beschäftigt (Promberger/Theuer 2004: 36f.). Beachtet man die Unternehmensgröße so stellt sich heraus, dass überwiegend die Großbetriebe (über 500 Beschäftigte) Leiharbeit einsetzen (35,7%) (vgl. ebd.). Personalwirtschaftlich gesehen ist der Einsatz von Leiharbeitern im Betrieb eine „BuyEntscheidung“. Man investiert nicht längerfristig in vorhandene Qualifikationen oder stellt keine neuen Mitarbeiter ein, sondern setzt die Kräfte nur beim kurzfristigen Bedarf ein (vgl. Nienhüser/Baumhus 2002: 61). Deswegen wird Leiharbeit überwiegend bei strategisch unwichtigen Tätigkeiten, für die keine betriebsspezifischen Qualifikationen erforderlich sind und deren Ergebnis man einfach kontrollieren kann, vorgefunden (vgl. Keller/Seifert 2006: 37, Nienhüser/Baumhus 2002: 61). Die Besonderheit der Leiharbeit macht die Tatsache aus, dass die Leiharbeitnehmer eine heterogene Betriebs- bzw. Unternehmenszugehörigkeit aufweisen: Ihr Arbeitsplatz befindet sich im Entleihbetrieb. Diese Art der Beschäftigung hatte eine lange Zeit ein schlechtes Image in der deutschen Öffentlichkeit. Langsam wächst das Ansehen dafür, dass Leiharbeit eine Art marktwirtschaftlich organisiertes Phänomen ist, die zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen kann (vgl. Promberger 2006: 263).
23
Eine wichtige qualitative Unterscheidung ist in der Randbelegschaft die Art des Arbeitsverhältnisses: Bei manchen Typologien wird zwischen Kernbelegschaft (unbefristet erwerbstätige), Randbelegschaft (befristet Beschäftigte) und Leiharbeitnehmern (bei Zeitarbeitsfirmenbeschäftigte) unterschieden; vgl. Schlese/Schramm/Chabalewski 2005: 570. 227
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
In unserer Befragung haben wir die Nutzungsintensität der Leiharbeit erfragt. Hier ließen sich vier Typen feststellen: 1. Intensivnutzer (neun der 41 befragten Betriebe; sechs Großunternehmen, drei mittlere Unternehmen) 2. Geringe und punktuelle Nutzung (12 Betriebe; acht große und vier mittlere) 3. Betriebe, die Erfahrungen mit Leiharbeit gemacht haben, setzten sie aber nicht mehr ein (sieben, davon ein Großbetrieb und sechs Mittlere) 4. Betriebe, wo keine Leiharbeit eingesetzt wurde und die Leiharbeit nicht erwünscht ist (13 Betriebe, davon fünf große und acht mittlere Betriebe). In weiteren Schritten dieses Beitrages wird der Umgang mit diesem Flexibilisierungsinstrument in den jeweiligen Betrieben näher vorgestellt. Insbesondere wird auf die Gründe für das (Nicht-)Einsetzten von Leiharbeit, den Klebeeffekt, auf das Image von Leiharbeit eingegangen. Die Intensivnutzer, die mindestens durch einen 5% Anteil der Leiharbeiter an der Gesamtbelegschaft gekennzeichnet sind, machten beinahe ein Viertel der von uns befragten Betriebe aus. Anzumerken ist, dass in diese Gruppe drei mittlere Unternehmen mit jeweils 28, 40, 70 Mitarbeitern fallen. Alle Intensivnutzer haben ihre wirtschaftliche Lage als gut bzw. sehr gut bezeichnet. Die Personalverantwortlichen haben auch typische Gründe für das Einsetzen von Leiharbeit genannt: Kostenersparnis, höhere Flexibilität, Abarbeiten von Auftragsspitzen, das Einsetzen des Kündigungsschutzes verzögern bzw. die Probezeit zu verlängern. „...wenn Sie heute Lagerarbeiter nehmen bei Zeitarbeitsfirmen, wenn die krank sind, kommt ein anderer. Urlaub gibt es nicht. Also verstehen Sie, dass da … die Zeitarbeitsfirmen arbeiten richtig mit der Situation in diesem Land.“ (Int. 2) „Man kann sie am nächsten Tag, wenn sie nicht wiederkommen, auch zu hause lassen. Also hohe Flexibilität“. (Int. 3) „..und vor allem, wir brauchten viel mehr Zeit selber, bevor wir das Einstellungsverfahren durchlaufen... Wenn ich eine Leiharbeitsfirma anrufe, dann habe ich nächsten Tag einen Mitarbeiter“. (Int. 10)
Die Leiharbeit wird bei den Intensivnutzern aus unserer Befragung überwiegend bei gering qualifizierten Tätigkeiten eingesetzt. Eine Ausnahme stellen zwei Großunternehmen dar, die ausdrücklich betonen, dass dieses Flexibilisierungsinstrument einer Verlängerung der Probezeit (bzw. dem Testen neuer Arbeitnehmer) dient und durchaus in anderen Bereichen eingesetzt wird. „Die werden hier auch, ich sage einmal roundabout sechs bis acht Monate als Leihkräfte eingesetzt, danach übernehmen wir sie befristet und danach unbefristet. Das haben ... machen wir jetzt seit ungefähr, ich schätze einmal ca. ein Jahr... Im gewerblichtechnischen Bereich, und ich glaube sogar zwei, drei im kaufmännischen.“ (Int. 13) 228
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
In diesen beiden Betrieben ist auch ein sehr starker Klebeeffekt feststellbar: Die Leiharbeiter werden mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine reguläre Beschäftigung wechseln. Hinzu kommt noch ein Unternehmen, das sich in einer sehr starken Entwicklungsphase befand und die eingesetzten Leiharbeiter zum großen Teil übernommen hat. Der Klebeeffekt ist noch in drei weiteren Unternehmen dieser Gruppe feststellbar, jedoch mit schwächerer Ausprägung. Die Leiharbeiter werden nicht mit der Absicht eingestellt, um getestet und nachher übernommen zu werden. Das Wechsel zum normalen Arbeitsverhältnis erfolgt nur bei überdurchschnittlicher Leistung, oder wenn sich der ursprünglich vorübergehende Bedarf als dauerhaft herausstellt. In drei weiteren Betrieben werden Leiharbeitnehmer nicht übernommen. Darunter gibt es zwei, wo man Indizien für eine Substitution – Verdrängungseffekt – finden kann: In einem Betrieb stieg die reguläre Beschäftigung und der Einsatz von Leiharbeit wuchs aber stärker, in einem weiteren sank die Mitarbeiterzahl, die Leiharbeit dafür stagnierte. „Wir beschäftigen neben unserer eigenen Stammmannschaft jeden Tag hier in Hamburg um und bei 150 bis 200 Mitarbeiter der Firma G. (Entleiher), um abzudecken die Nachtschichten, um abzudecken die Wochenendschichten. Wir behandeln sie wie unsere eigenen Mitarbeiter... Die kommen praktisch täglich zu uns“. (Int. 11)
Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Image der Leiharbeit bei den Intensivnutzern relativ schlecht ist. Der Wunsch der Leiharbeitnehmer in ein normales Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, wird von den Personalverantwortlichen wahrgenommen und manchmal als Disziplinierungsmaßnahme genutzt. „Das merken Sie schon.. die sind schon um einiges motivierter. Die wollen unbedingt einen festen Arbeitsplatz haben und ich glaube, die hauen noch einmal ein paar Prozent extra mehr rein und zeigen auch, dass sie motivierter sind“ (Int. 13) „Leiharbeitnehmer leben mit der Hoffnung, vielleicht in Festanstellung zu kommen. Solange sie diese Hoffnung in sich tragen, sind sie wirklich bemüht einen guten Job zu machen. Diese Ambitionen lässt nach, wenn sie merken entweder, es wurde ihnen etwas vorgegaukelt, oder aber die Chance ist nicht da“. (Int. 31)
Das von uns erfragte Verhältnis zwischen Leiharbeitern und Stammbelegschaft beschreiben die Untersuchten als eher unauffällig. Er ist nur ein Fall des Machtungleichgewichts erkennbar. „Ja, die haben dann ihre Leiharbeiter, und mach mal da, und sind auch irgendwie Untergebene und so. Die finden das so ganz chic, wenn Sie mal ein paar Leiharbeiter kriegen“. (Int. 2)
Über ein Viertel unserer Befragten berichtet, dass sie nur punktuell Dienste der Verleihunternehmen in Anspruch nehmen. Hier werden ein unerwarteter Arbeitsanfall oder Krankheitsausfälle und hohe Flexibilität als typische Gründe genannt. Die Befragten betonen, dass sie nur Ausnahmsweise die Leiharbeit einsetzen und beschreiben die-
229
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
sen Flexibilisierungsinstrument abwertend. Leiharbeit ist für sie ausschließlich im niedrig qualifizierten Sektor angesiedelt. „… wenn das andere Bereiche sind, kann man durchaus auch mal jemanden von der Zeitarbeitsfirma nehmen. Und im Versicherungsgeschäft ist das nicht immer unbedingt noch sinnvoll, weil ... erstens kriegt man nicht immer unbedingt Versicherungskaufleute. Und dann zweitens müssen die ja dann die ganzen Systeme kennen. Wenn das in anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Posteingangsstelle, wenn da unten jetzt krank werden und dann ... die Post muss verteilt werden und die Couverts aufgemacht und verschickt werden. Da sind dann nicht so hohe Anforderungen gestellt, da kann man dann auch mit Zeitfirmen aushelfen. (…) Und dann haben wir noch einen ganzen anderen Vorteil. Weil, wenn der Mitarbeiter nicht so reinpasst, dann kann man diese Firma anrufen und sagen: `Das passt nicht so ganz. Schicken Sie uns jemand anderen`. Und dann geht es halt von einen auf den anderen Tag. Weil, die haben ja auch Interesse daran, dass das Geschäft funktioniert, und dass sie dann die richtigen Leute dann zur Verfügung stehen.“ (Int. 17) PL: „Aber nur für ganz einfache Arbeiten. Zum Beispiel, da drüben stehen 2 Leiharbeiter gerade. Also, hinter dieser Rampe, brechen irgendwas aus. Das machen wir aber ganz selten.“ INT: „Und wann werden die dann eingesetzt?“ PL: „Nur, wenn wir feststellen, dass wir es nicht schaffen. Und nur für ganz einfache Arbeiten, für ganz niedrig qualifizierte.“ (Int. 20) „Bei Bedarf, warum nicht, ja. Also wenn uns, was weiß ich, wenn wir ein Sportfest machen und es würden die Sekretärinnen gegen die Anwendungsbetreuer spielen und alle Sekretärinnen knicken an dem Tag um und können nicht mehr auf Arbeit kommen, dann hole ich hier Zeitarbeit.“ (Int. 38) „Also gar nicht will ich jetzt auch nicht sagen, ab und zu einmal, aber das haben wir eher abgebaut. Also ist nicht sinnvoll für uns, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Das hatten wir früher eine Gasflaschenabfüllung, und zwar sind natürlich in Zeiten sehr hohen Arbeitsanfalls dann schon einmal Leiharbeiter notwendig gewesen, einfaches Abfüllpersonal. Das also in die Sicherheitstechnik eingewiesen wird, aber das können Sie vernachlässigen. Das sind vielleicht einmal zwei Mitarbeiter… Das ist keine Ausrichtung des Unternehmens, kein Konzept, um Personal, um Sozialabgaben zu sparen, dann Leiharbeiter zu nehmen. Das ist bei uns nicht üblich.“ (Int. 28)
Das Image der Leiharbeit ist bei punktuellen Nutzern, wie man den obigen Zitaten entnehmen kann, sehr schlecht. Es wird kein Vertrauen gegenüber den Leiharbeitnehmern aufgebaut, eine geringe Motivation und Unzuverlässigkeit werden vorgeworfen. „Grundsätzlich versuchen wir, wenn wir Mitarbeiter haben, sie an uns komplett, fest zu binden. Also, möglichst wenig Zeitarbeiter oder Leiharbeiter oder auch ... Unser Geschäftsgeheimnis ist einmal die Menschen selber, die hier sind mit ihrem Arbeitseinsatz und ihrem Know-how und auf der anderen Seite sind es unsere Geschäftspartner, Kunden und Lieferanten… Das Nächste ist auch das Risiko, dass dieser dann - und wenn es nur ein Zeitarbeiter oder Ähnliches ist - von vornherein sich nicht zu eng mit der Firma verbunden fühlt und den Schaden an der Firma ... wir sind im Lebensmittelbereich, das geht hier so schnell, dass irgendjemand vielleicht mal irgendwas macht ... was weiß ich die Ware hingeht und einfach ein Etikett aus... umetikettiert. Wenn Sie im Lager solche Leute hätten, Zeitarbeiter, dann sagt er einfach: `He, die beauftragen mich nicht, dann gehe ich da mal hin, nehme mal ein Etikett einfach ab, streiche ich mal durch`, im nächsten Moment haben Sie den Veti hier, der sagt: `Warum gehen Sie mit dem Kugelschreiber dabei?` Das können Sie nicht machen. Wir sind hier einfach in einem sehr, sehr extremen Markt drinnen, der sehr, sehr unter Beobachtung steht. Und dann müssen wir uns auf jeden Einzelnen verlassen können.“ (Int. 9) „Zeitarbeit? Die gibt es auch. Im gewerblichen Bereich ist es die Zuverlässigkeit. Also, da ist es schon so, dass die Zeitarbeitsfirmen - das mag an deren Preiskalkulation liegen 230
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
die zahlen ihren Mitarbeitern nicht so viel. Das heißt, die kriegen auch nicht so die ganz tollen motivierten Mitarbeiter. Und die stellen sie uns dann ab und die arbeiten 3 Tage bei uns, und die stellen fest, das ist eine richtig harte Arbeit hier. Die wollen sie sich dann nicht mehr antun, bleiben sie irgendwann weg. Also, das ist eher eine Erscheinung bei Zeitarbeit..“ (Int. 15)
Das Verhältnis zwischen Stammbelegschaft und den Leiharbeiter kann als problematisch bezeichnet werden: Häufig findet keine Integration statt. „Also, da gibt es keine Schwierigkeiten, weil die Stammbelegschaft genau weiß, dass diese Leute notwendig sind und dass sie ihnen, der Stammbelegschaft, auch helfen, die Arbeiten nicht zu tun. Die Stammbelegschaft, die versucht eher dann, dass die unangenehmen und schwierigen Tätigkeiten auf die abgewälzt werden, nicht? Da gibt es bestimmt auch Mechanismen.“ (Int. 15)
In zwei von 12 Betrieben, die durch punktuelle Beschäftigung von Leiharbeitern gekennzeichnet sind, kann man einen schwachen Klebeffekt aufzeigen. „Ich habe gestern einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass die gerade eben auch überhaupt keine Schwierigkeiten machen, dieses Zeitarbeitspersonal. Wir haben eigentlich ganz gute Erfahrungen damit gemacht und haben auch in der Vergangenheit, relativ wenig, aber wir haben auch deswegen ganz gute Erfahrungen gemacht, weil wir manchen Mitarbeiter hinterher noch so ein unbefristetes Arbeitsverhältnis … zum Beispiel… Wobei bei der Auswahl schon draufgeschaut wird auf die Qualifikation, auch bei einer Zeitarbeitskraft. Also, wir schauen uns die schon vorher an.“ (Int. 17)
Einige Personalverantwortliche (sieben der 41) geben an, dass sie zwar die Leiharbeit nicht mehr einsetzen, jedoch in der Vergangenheit dieses Flexibilisierungsinstrument ausprobiert haben. Manche haben durch schlechte Erfahrungen auf den weiteren Einsatz verzichtet, einige sind zu anderen Maßnahmen (z.B. Befristung) übergegangen. Drei Befragte beklagen, dass die Qualifikationen zu niedrig waren. „Nein, Leiharbeitskräfte haben wir gar nicht. Da haben wir ganz am Anfang mal schlechte Erfahrung gemacht. So was wollen wir auch nicht. Wenn, dann stellen wir Leute immer nur fest ein.“ (Int. 12) INT: „Und die Leiharbeitnehmer, haben Sie da auch so Unterschiede festgestellt? Also von der Person her, nicht nur von der Qualifikation?“ PL: „Naja, also ich sehe das dann schon eher von der Qualifikation her, weil da habe ich einfach einen zu großen Abstand dann auch. Von der Person her könnte ich eigentlich nichts sagen. Aber die Qualifikation hat in der Regel nicht ausgereicht. Wir haben hier hauptsächlich gut qualifizierte Schlosser, hoch qualifizierte Elektriker und im kaufmännischen Bereich halt die Büroberufe, und da muss einer seine Arbeit schon können, wenn er mithalten will mit der Mannschaft.“ (Int. 36)
Ein Drittel der Personalleiter (13 von 41) hat bis zu den Befragungszeitpunkt nie Leiharbeit eingesetzt und betont das auch nie machen zu wollen. Drei dieser Gruppe meinen, dass das Unternehmen eine sehr stabile Auftragslage hat, weswegen das Einsetzen von zusätzlichem Personal nie nötig war. Die weiteren Argumente polarisieren sehr stark. Einige Befragte begründen diese Entscheidung mit Ansätzen der ökonomischen Effizienz: Die Qualifikationen wären zu gering, die Einarbeitungszeit zu lange, das Geschäft zu vertrauensvoll (subtil).
231
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
„Einige Unternehmen bietet das, glaube ich, an, ein ist schon ein paar Mal bei uns gewesen, hat ihr Konzept vorgestellt … im Bankbereich kann ich mir das absolut nicht vorstellen, das ist ein hochsensibler Bereich, wir haben hier spezielle Software, mit der wir arbeiten, die ist nicht in anderen Banken vorhanden, sondern nur in Genossenschaftsbanken, wir haben hier sehr hohe Anforderungen an IT-Technik, an Sicherheit und Ähnliches, da kann ich keinen Leiharbeiter beschäftigen, der für drei Tage hier mal aushilft oder so etwas.“ (Int. 22) „Leiharbeiter nicht, weil die Qualifikationsanforderungen .. es wird wenig Leiharbeiter geben, die das genau erfüllen, dass wir die von Null auf Hundert einsetzen können.“ (Int. 5)
Drei Personalverantwortliche weisen darauf hin, dass sie sich gegen Leiharbeiter aus sozialen Gründen entscheiden. Auf der einen Seite wird betont, dass diese Beschäftigtengruppe unter extrem schlechten Bedingungen arbeitet und dass man das nicht unterstützen möchte. Auf der anderen Seite wird die Bedeutung der festen Bindung der Belegschaft und der hohen Arbeitsplatzsicherheit genannt. INT: „Ja. Okay. Leiharbeit oder Zeitarbeit haben Sie auch noch nie ...?“ PL: „Nein. Wir sind keine Ausbeuter. INT: Okay. Können Sie das näher erläutern? PL: Weil ich das ganz furchtbar finde. Ganz ... ganz schrecklich, finde ich. Das ist nichts anderes wie moderner Sklavenhandel in meinen Augen.“ (Int. 7) INT:“ Unterscheiden Sie Stamm- und Randbelegschaft? Unter Randbelegschaft verstehen wir z.B. Leiharbeitskräfte.“ PL: „Haben wir gar nicht, setzen wir gar nicht ein… Das sind bestimmte Prinzipien, die wir uns gegeben haben, zumindest einen Idealzustand, den wir uns vorstellen… Verhaltensprinzipien, Prinzipien für den Konfliktfall, für bestimmte Sitzungsverläufe, für bestimmtes Verhalten, auch ein Kritikgespräch gehört dazu, Jahresgespräche. Also … in dem Leitbild steht eben drin auch, dass wir zu unseren Mitarbeitern ein langwieriges, also auf Dauer angelegtes Verhältnis pflegen wollen.“ (Int. 7)
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Leiharbeit in den Betrieben tatsächlich nur in strategisch unwichtigen Bereichen eingesetzt wird. Die Kosten-NutzenAnalyse erwies sich für wenige Unternehmen als positiv. Ein Einsatz in höher qualifizierten Bereichen kommt kaum vor. Das Image der Leiharbeit bleibt sehr schlecht. Es ist kaum feststellbar, dass die Unternehmen administrative Schwierigkeiten haben Leiharbeiter einzustellen. Auf eine Erleichterung für den Einsatz von Leiharbeit hat die Änderung des AÜG zum 01.01.2003 gezielt: Das Synchronisationsverbot, die Höchstüberlassungsdauer und das Wiedereinstellungsverbot wurden abgeschafft. Die meisten Verleihbetriebe haben Tarifverträge abgeschlossen und dadurch fallen sie nicht mehr unter den Gleichbehandlungsgrundsatz „equal pay – equal treatmeant“ (vgl. Burda/Kvasnicka 2005: 7ff; Promberger 2005: 197ff.). In unserer Befragung stellte sich heraus, dass die Änderung in Betrieben kaum wahrgenommen wurde. In einem Drittel der Betriebe wurde explizit nach dieser Reform gefragt und nur vereinzelte Interviewpartner konnten damit etwas assoziieren. INT: „Hat sich irgendetwas zum 01.01.2004 geändert, sprich: Inkrafttreten des Teilzeitgrundsatzes, für Sie als Entleiher, hat sich da irgendetwas geändert? PL: Nein. Also das war für uns nicht relevant.“ (Int. 29 – punktueller Nutzer) INT: „Okay. Jetzt gehen wir zu der Leiharbeit über. Auch wenn Sie da ganz wenig Erfahrung haben. Vielleicht können Sie uns nur so ein paar Wörter sagen. Es gab ja die große Hartz-Reform, Hartz I. Unter anderem wurde der Gleichheitsgrundsatz eingeführt. Oder 232
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
wenn man die Arbeitnehmer sozusagen nicht genauso entlohnen und behandeln möchte, wie die übrigen Stammarbeitnehmer, dann wendet man den Tarifvertrag an. Hat sich denn etwas verändert? Also gut, Sie waren ja viel zu kurz da.“ PL: „Kann ich nichts zu sagen.“ (Int. 25 punktueller Nutzer) INT1: „Jetzt hätten wir zu den Leiharbeitern noch Fragen. Sie sagten ja, Sie hatten das teilweise. Spielt Hartz I da eine Rolle, hat sich da für Sie etwas geändert?“ PL: „Ja, in dem Fall, der Grund des Nicht-mehr-Einsetzens, das war, dass ich nur, sage ich einmal, in ganz bestimmten Segmenten oder eigentlich nur in einem Segment eingesetzt wurden. Und ich kann die Frage sowieso nicht beantworten, weil ganz einfach die Basis entfallen ist.“ (Int. 28 – Leiharbeit wird nicht mehr eingesetzt).
Dieses Ergebnis stimmt mit unterschiedlichen anderen Untersuchungen in diesem Bereich überein: Der Deutscher Bundestag berichtete, dass nur wenige Betriebe darauf hinweisen, dass die Gesetzesänderung Einfluss auf einen verstärkten Einsatz von Leiharbeitskräften hatte (die durchschnittliche Zahl von Leiharbeitnehmern hat sich von 2003 auf 2004 um 55.000 auf 385.000 erhöht; vgl. Deutscher Bundestag 2006: 122ff.). auch Promberger weist darauf hin, dass dieser Anstieg nicht nur mit der Reform; sondern auch mit der Konjunktur zusammenhing (vgl. Promberger 2005: 186). Promberger stellte fest, dass Leiharbeit und Befristung als externe Flexibilisierungsmaßnahmen im Betrieb einander ergänzen können: Leiharbeit wird eingesetzt, wenn Arbeitskräfte bei geringer qualifizierten Tätigkeiten kurzfristig fehlen. Befristungen hingegen werden bei mittel- und langfristigen Bedarf sowie höher qualifizierten Beschäftigungen verwendet (vgl. Promberger 2005: 189).
3
Interne und externe Flexibilisierung
Eine Untersuchung aus dem Jahre 1997 von Rudolph und Schröder, die auf der IABBeschäftigtenstichprobe basierte, hatte die Nutzung unterschiedlicher Personalanpassungsmaßnahmen (Befristungen, Überstunden, Leiharbeit etc.) miteinander verglichen. Es wurde festgestellt, dass die Betriebe im Schnitt drei bis vier Flexibilisierungsmaßnahmen einsetzen: Als erstes wird auf Überstunden und Zeitarbeitskonten zurückgegriffen. Des Weiteren werden unterschiedliche externe Maßnahmen eingesetzt: Befristungen, Einstellung von Aushilfen und Leiharbeit (vgl. Rudolph/Schröder 1997: 113ff.). Eine andere Untersuchung von Promberger hat diese Ergebnisse bestätigt: Flexibilisierungsmaßnahmen, wenn sie in einem Unternehmen angewandt werden, dann nicht vereinzelt, sondern als ein ganzes, koexistierendes Bündel. Promberger untersuchte auch die Häufigkeit des Einsetzens unterschiedlicher Instrumente, die man als eine Reihefolge vorstellen kann: Überstunden, Arbeitszeitkonten, Teilzeitbeschäftigung, befristete Arbeitsverträge und Leiharbeit (vgl. Promberger 2005: 189ff.). Ein rapides Wachstum externer Flexibilisierungsmaßnahmen in der betrieblichen Personalpolitik führt einerseits zu einer Substitution des Normalarbeitverhältnisses und 233
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
damit zu einer Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse. Auf der anderen Seite sind die Randbelegschaften mit prekären Beschäftigungsformen für die meisten Betriebe nur zweitrangig. Unter betrieblichen Anpassungsmechanismen werden interne und externe Flexibilisierungsmaßnahmen unterschieden.24 Die erste Dimension bezeichnet alle Strategien, „die eine Anpassung des Arbeitsansatzes an veränderte Nachfragebedingungen ohne Rückgriff auf den externen Arbeitsmarkt ermöglichen“, also Zeitkonten, beschäftigungssichernde Arbeitszeitänderungen, Weiterbildungsmaßnahmen geringfügige Beschäftigung, Teilzeitarbeit und z.B. betriebliche Öffnungsklauseln (Keller/Seifert 2006: 237). Mit der zweiten Dimension sind alle „typischen“ Flexibilisierungsinstrumenten gemeint, wie z.B. Einstellungen und Entlassungen, Befristung und Leiharbeit. Es kann davon ausgegangen werden, dass „mit dem Anteil der betriebsspezifischen Qualifikationen die Attraktivität interner Anpassungsstrategien zunimmt“ (ebd.). Diese beiden Flexibilitäten lassen sich aber nicht nach Beliebigkeit kombinieren: Sie müssen an andere betriebliche Besonderheiten (Branche, Größe, Qualifikation der Belegschaft aber auch Unternehmenskultur) angepasst werden. Hohendanner/Bellamnn stellten fest, dass es zwar keine branchenspezifische Unterschiede bei der Betrachtung interner und externer Maßnahmen feststellbar sind, dafür aber deutliche bei der Wahl der externen Flexibilisierungsinstrumente. Im produzierenden Gewerbe wird häufiger auf die Leiharbeit zurückgegriffen, im Dienstleistungssektor und in der Landwirtschaft werden verstärkt befristete Verträge und Aushilfen eingesetzt. Im verarbeitenden Gewerbe nutzt man tendenziell häufiger interne Flexibilisierungsmaßnahmen. Die größeren Betriebe zeichnen sich durch einen intensiven Einsatz sowohl von Arbeitszeitmodellen als auch von atypischen Beschäftigungsverhältnissen (vor allem Leiharbeit) aus (Hohendanner/Bellmann 2006: 242f.). Ausgewählte Ergebnisse der multivariaten Analyse dieser Studie werden ansatzweise als Ausgangspunkte für weitere Untersuchungsschritte in dieser Arbeit benutzt. Hohendanner/Bellmann haben die in IAB-Betriebspanel gestellte Frage nach dem wichtigstem Anpassungsinstrument bei Schwankungen der Geschäftstätigkeit als Grundlagen für die Untersuchung genutzt. 80% der Stichprobe waren der internen Flexibilisierung zuzuordnen. In unserer Studie haben wir die Frage: „Wie bewältigen Sie zusätzlichen Arbeitsanfall?“ gestellt. 25 von 41 interviewter Betriebe geben an, dass sie die zusätzliche Arbeit überwiegend mit internen Flexibilisierungsmaßnahmen bewältigen. Dabei werden Überstunden und flexible Arbeitszeitgestaltungsmodelle am häufigsten genannt. Des Weiteren, erwäh-
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Die Unterscheidung zwischen numerischer, funktionaler, temporärer und monetärer Flexibilität wird im Rahmen dieses Beitrags nicht genutzt (siehe hierzu: Keller/Seifert 2006, S.237). 234
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
nen die Personalverantwortlichen, dass sie geringfügig Beschäftigte und Aushilfen einsetzen. „Also das sind bei uns in erster Linie Überstunden und ansonsten haben wir halt Aushilfskräfte, also zum Beispiel, unser Lagerverwalter macht dann das Betriebsbüro mit, und im Lager nehmen wir dann eine Aushilfskraft, so, das sind so die gängigen Vorgehensweisen.“ (Int. 1) INT: „Wenn jetzt zusätzlicher Arbeitsanfall, also anfällt sozusagen, was machen Sie dann? Wie bewältigen Sie den?“ PL: „Dann arbeiten wir länger.“ (Int. 18) PL: „Überstunden. Beziehungsweise bei uns sind es keine Überstunden, also wir sprechen von Plusstunden. Weil wir Arbeitszeitkonten haben. Und so wird das dann auch ... so machen wir einen kurzfristigen Arbeitsüberhang.“ INT: „Spielt da Leiharbeit auch eine Rolle? PL: Nein.“ (Int. 21) PL: „Überstunden, ja.“ INT: „Bezahlen Sie die Überstunden auch als Überstunden oder sammeln die an?“ PL „Wir sammeln die an. Wir haben das Plus-Minus-Konto, ganz einfach, wo Überstunden einmal angesammelt werden können, wo sie dann wieder abgebummelt werden können.“ (Int. 23) INT: „Wenn der Arbeitsanfall jetzt mal mehr wird. Wie bewältigen Sie das?“ PL: „Dann bleiben diejenigen mehr und länger da. Das ist ... so wird der Arbeitsanfall aufgefangen. Und auch, wie sie weniger waren, wird es teilweise ... wir hatten natürlich auch schwierige Zeiten, finanziell schwierige Zeiten, da ist das Ganz auch gesetzlich gesteuert über Kurzarbeit gelaufen. Mal ein halbes Jahr über Kurzarbeit. Dann ist diese wenige Arbeit oder das wenig Reinkommen von Geld über diese Art und Weise aufgefangen worden. Und dann ist dann diese Mehrarbeit hier, die im Einzelnen dann da blieb, dadurch, dass andere weg waren oder eben nicht hier vor Ort waren, ist das Ganze eben durch Mehrarbeit von anderen wieder ein bisschen aufgefangen worden. Wird auch so immer hier aufgefangen.“ (Int. 30) PL: „Dann wird mit dem Betriebsrat eine klassische Betriebsvereinbarung geschlossen zum Thema Mehrarbeit, analog des Tarifvertrages. Das heißt, man handelt ein bestimmtes Stundenkontingent aus für entweder Teilbereiche oder für das gesamte Unternehmen. Und das wird dann entsprechend zugesteuert von den einzelnen Vorgesetzten, die dann sagen: `So, wir haben jetzt ein`, sag ich mal, `Kontingent von 20 Stunden im Monat, die werden dann auch so zugeteilt, sei es 1 oder 2 Samstage, oder sei es durch Mehrarbeit im Laufe der Woche.´“ INT: „Gut. Und das wird hinterher dann wieder abgebummelt oder ausgezahlt.“ PL: „Es gibt 2 Varianten. Wenn Sie es in Freizeit ausgelten können, dann wird schon angestrebt, dass Mitarbeiter auch temporär wieder abfeiern können. Ist es aber ein Dauerzustand, der über mehrere Monate geht, dann werden Sie kaum die Kapazität wieder abbauen wollen ... in dem Moment, wo sie ein andere runterfahren, müssen Sie die nächste wieder hoch. Also dann eher in Richtung Bezahlung. Was natürlich auch wiederum kein schlechter Aspekt für den einzelnen Mitarbeiter ist.“ (Int. 13) „Natürlich Überstunden. Aufgrund der Betriebsvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit können Sie bis zum Jahr 120 Überstunden aufbauen und die können Sie dann natürlich wieder in Freizeit abgleichen. Gelingt nicht immer, manchmal muss es dann Geld sein. Und wenn der Ausgleich klappt, ist es so gedacht mit den Überstunden.“ (Int. 29)
In dieser Gruppe gibt es fast doppelt so viele mittlere Unternehmen wie Große (16 zu neun). Dieses Verhältnis dreht sich um, wenn man die beiden anderen Typen betrachtet. Von 14 Betrieben, in den sowohl interne und als auch externe Flexibilität genutzt wird (Überstunden und Arbeitskonten, sowie z.B. Leiharbeit, Befristung und Neueinstellungen) sind 10 groß und vier mittelgroß. In diesen Betrieben wird ein ganzes Bündel an Möglichkeiten der Bewältigung des zusätzlichen Arbeitsanfalls genannt.
235
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
„Also, wir nutzen da im Grunde die ganze Bandbreite der Möglichkeiten. Angefangen bei unserer Arbeitszeit, bei unserem Arbeitszeitmodel, wir haben also ein Jahresarbeitszeitmodell auf Gleitzeitbasis im kaufmännischen Bereich, das zum Teil auch im gewerblichen Bereich Anwendung findet in etwas eingeschränkter Art, und versuchen zunächst einmal über diese Arbeitszeitmöglichkeiten die Schwankungen im Laufe des Jahres des Arbeitsvolumens abzudecken. Also im Rahmen dieses Arbeitszeitmodelles können Mitarbeiter bis zu minus 150 Stunden oder plus 150 Stunden anhäufen oder nach unten fahren. Diese Bandbreite wird in der Regel aber so gut wie nie ausgenutzt. Im Minusbereich schon eher deswegen nicht, weil da irgendwie so eine psychologische Hemmschwelle bei den Mitarbeitern besteht, deutlich unter 30, 40 minus zu fallen, weil da haben sie immer ein komisches Gefühl, wenn sie morgens sehen, dass sie so wenig gearbeitet haben vermeintlich. (...) Das ist also eine Möglichkeit um Puffer und Schwankungen auszugleichen, dann halt Zeitarbeit, Zeitarbeitsmitarbeiter zu beschäftigen, Aushilfen im klassischen Sinne oder auch befristete Beschäftigte. Dann stellt sich ja die Frage, ist die...ist das Arbeitsvolumen jetzt dauerhaft dann so hoch, dass man dauerhaft Bedarf hat, oder ist es tatsächlich nur, ich sag mal kurzfristig. Also bei den Saisongeschichten wissen wir es ja, und es kann ja durchaus mal sein, dass in irgendeinem Bereich tatsächlich dauerhaft...dann kommt es mit Sicherheit auch zu einer Neueinstellung. Ob dann Teilzeit oder Vollzeit, das muss man halt davon abhängig machen, wie hoch das Arbeitsvolumen dauerhaft sein wird.“ (Int. 3) INT: „Wie bewältigen Sie jetzt so kurzfristig zusätzlichen Arbeitsanfall?“ PL: „Ja, in ... in der Regel durch flexible Arbeitszeit, also Überstunden und notfalls mit ... auch mal mit Leihkräften. Ich habe auch schon befristet eingestellt, aber es ist dann immer schwierig, jetzt befristet jemanden zu finden. Das geht dann schneller über die Leihfirma, weil, die haben einen gewissen Pool. Wenn ich befristet einstellen möchte, muss ich erst mal inserieren, muss ich suchen, muss ich rumfragen, bis ich auch die passende Person finde.“ (Int. 19) „Ja, ist sehr unterschiedlich. Also es gibt solche Beispiele, wo dann ganz einfach auch die Arbeitszeit aufgestockt wurde, je nach Situation. Oder dass ich dann vielleicht sogar eine Honorarkraft, darauf zurückgegriffen habe, also die dann stundenweise, so wie ich die gebraucht habe, bezahlt wurde. Also, sehr unterschiedlich. Am allerbesten ist natürlich die erste Variante - wenn man eine versierte Fachkraft hat und möchte dann, dass die dann höher gestuft wird, vom Umfang her.“ (Int. 27)
In der letzten Gruppe, die überwiegend auf externe Instrumente zurückgreift, unter insgesamt zwei Betrieben sind ein großer und ein mittlerer Betrieb zu finden. „Ja, wir gucken ... wir gucken, dass wir da auch pragmatisch damit umgehen. Mehrarbeit findet in einem großen Umfang statt hier in diesem Unternehmen... Wir müssen hier 24 Stunden abdecken an 7 Tagen in der Woche. Und wir fragen zunächst die eigenen Leute, und dann holen wir den Betrieb G. (Entleihunternehmen). Und der Betrieb G. hat eine Quote bei uns bei 25%. Das heißt, das insgesamt gibt uns die Flexibilität, die wir auch brauchen.“ (Int. 11) „Wir haben eine Kernbelegschaft, die zur Abdeckung der Grundlast ausreicht. Und die erweitern wir um Leiharbeiter und Subunternehmer, wenn es das Auftragspotential höher ist“ (Int. 34)
Es lässt sich eine Tendenz feststellen, dass die größeren Unternehmen häufiger auf externe Flexibilisierungsinstrumente zurückgreifen, als die Mittleren. Hohendanner/Bellmann weisen auf unterschiedliche Faktoren hin, die für den Einsatz entweder interner oder externer Flexibilität beeinflussen. Sie betonen sie, dass Betriebe, die vor allem intern flexibilisieren, kaum Einstellungen und Entlassungen vornehmen. In den Betrieben, die extern Arbeitskräfte holen, besteht hingegen ein signifikanter Zusammenhang mit der Zugangs- als auch Abgangsrate. Für die intern flexibilisie-
236
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
renden musste also die Arbeitsplatzsicherheit der Mitarbeiter von großer Bedeutung sein. Dies impliziert, dass die Betriebe mit überwiegender interner Flexibilisierung den Kündigungsschutz als ein wichtiges Schutzrecht für die Arbeitnehmer ansehen. Unter diesen Aspekt werden die Interviewaussagen analysiert. Tabelle 7: Zusammenhang zwischen der Art der Flexibilisierung und der geäußerten Meinung über Kündigungsschutz (Kreuztabelle) Welche Wirkung hat der Kündigungsschutz für Wirtschaft und Gesellschaft? Sicherheit für die Arbeitnehmer/Schutzfunktion
Interne Flexibilisierung 10
1
9
6
1
4
4
1
1
2
25
14
Doppelte Funktion: Schutz der AN, kann aber auch wirtschaftshemmend wirken KSch wirkt einstellungshemmend/wirtschaftshemmend Sub-Classing ("der KSch ist für unseren Betrieb wichtig, es gibt aber andere Unternehmen, wo er einstellungshemmend wirken kann") nicht zu zuordnen Ingesamt
Interne und externe Flexibiexterne Flexibilisierung lisierung
1
1
2
Quelle: Eigene Darstellung
Die gestellte Hypothese, dass es einen Zusammenhanghang zwischen dem Einsatz von interner und externer Flexibilisierung und der Beurteilung des Kündigungsschutzes gibt, lässt sich bestätigen. Die Mehrheit der Personalverantwortlichen, die dem Kündigungsschutz eine wichtige Sicherheitsfunktion für die Arbeitnehmer zuschreiben, setzt auch die interne Flexibilisierung ein. Dagegen in Unternehmen, in denen sowohl interne als auch externe Flexibilisierungsmaßnahmen angewendet werden, wird häufiger das Doppelgesicht des Kündigungsschutzes gesehen. In diesen Unternehmen wird tendenziell häufiger behauptet, dass der Kündigungsschutz einstellungshemmend bzw. wirtschaftshemmend wirken kann.
4
Fazit
Durch die Unterscheidung der internen und externen Flexibilität stellen wir fest, dass sich die Mehrheit der von uns untersuchten Betriebe bei zusätzlichem Arbeitsanfall für die erstere (interne) entscheidet. Dabei handelt es sich häufig um Überstunden und flexible Arbeitszeitgestaltungsmodelle. Andere interne Flexibilisierungsinstrumente sind ebenfalls feststellbar: Einige Unternehmen greifen auf geringfügige Beschäftigte und 237
2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
Aushilfen zurück. Die Tatsache, dass die interne Flexibilität für die Unternehmen eine entschiedene Rolle spielt, wird in der öffentlichen Diskussion häufig vernachlässigt: Es wird eher auf die atypischen Beschäftigungsformen, wie befristete Beschäftigung und Leiharbeit hingewiesen. Fast ein Drittel der Personalverantwortlichen, überwiegend in großen Unternehmen, gibt an, dass sie beide Flexibilisierungsmöglichkeiten in den Betrieben nutzen. Hier spielt u. a. die Leiharbeit eine große Rolle. Diese, wie unterschiedliche Interviewpassagen mehr als deutlich gezeigt haben, genießt unter den Personalleitern ein schlechtes Image. Der Einsatz in höher qualifizierten Bereichen kommt kaum vor, die Leiharbeit ist fast ausschließlich im niedrig qualifizierten Sektor angesiedelt. Vor allem bei den punktuellen Nutzern werden die Leiharbeiter als minderwertiges Fremdpersonal angesehen. Dieses Problem wird von einigen Personalleitern, die keine Leiharbeit einsetzen, wahrgenommen, was sie in ihrer Entscheidung bestärkt. Man möchte wortwörtlich keine „moderne Sklaverei“ im eigenen Betrieb unterstützen. Ein sehr interessantes Ergebnis bekommt man, wenn man zwei Variablen „Einstellung gegenüber dem Kündigungsschutz“ und die „Art der im Betrieb überwiegend genutzten Flexibilität“ zusammensetzt. Es stellt sich heraus, dass die Personalverantwortlichen in Unternehmen mit starkem Einsatz interner Flexibilität häufiger den Kündigungsschutz als wichtigen Sicherheitsfaktor für die Arbeitnehmer ansehen als die, in denen man beide Flexibilisierungsinstrumente einsetzt. Dieses Phänomen ist von den vorhandenen Qualifikationen der Mitarbeiter in Betrieben unabhängig. Hier sind weitere Erklärungen erforderlich, die man dem Beitrag „Die Rolle des Kündigungsschutzes: Ergebnisse der qualitativen Analyse“ (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2) entnehmen kann.
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2.4 Interne und externe Flexibilität unter besonderer Berücksichtigung der Leiharbeit
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2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Kapitel 2.5: Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit Ralph Kattenbach
1
Gegenstand und Problemstellung
Die Gestaltung der Arbeitszeitdauer ist sowohl aus betrieblicher Sicht, wie aus Mitarbeitersicht eine zentrale Stellschraube der Flexibilität. Dieser positiv besetzte Begriff der Flexibilität wird teilweise mit sehr unterschiedlichen Inhalten gefüllt. So werden nicht nur Modelle wie Arbeitszeitkonten mit variierenden Arbeitszeiten flexibel genannt, sondern auch die Existenz alternativer Arbeitszeitmodelle wie etwa der Teilzeitarbeit. Neben dieser Dimension der zeitlichen Variation ist auch die arbeitgeberorientierte von der mitarbeiterorientieren Flexibilität zu unterscheiden. Die zugrunde liegenden Interessen betrieblicher Flexibilität und persönlicher Lebensgestaltung sind zum Teil miteinander vereinbar, können aber auch zu Konflikten führen (vgl. Kattenbach et al. 2007). Ausschlaggebend ist hier die personalpolitische Gestaltung, die versuchen muss, betriebliche Interessen und die divergierenden Wünsche der Arbeitnehmer zu vereinbaren (vgl. Peinelt-Jordan 1996). Die betriebliche Flexibilität und der Umgang mit Teilzeitwünschen vor dem Hintergrund der Regelungen des Teilzeit und Befristungsgesetzes (TzBfG) wurden im Rahmen der Interviewstudie thematisiert.
Arbeitszeitwünsche und vertragliche Arbeitszeit Mit dem Inkrafttreten des TzBfG in 2001 besteht ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit für die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer25. Die Erfolge des Teilzeitanspruches werden unterschiedliche bewertet (vgl. Magvas/Spitznagel 2002; Deutscher Industrieund Handelskammer 2001). Es scheint, dass Teilzeit nach wie vor überwiegend als arbeitgeberorientiertes Zeitmodell eingesetzt wird. Den Daten der Bundesagentur für Arbeit zufolge liegt der Anteil der geringfügig Beschäftigten (einschl. kurzfristig Beschäftigte ohne geringfügig Beschäftigte im Nebenjob) bei ca. 50% aller Teilzeitstellen (vgl. Wanger 2004). Bei solchen Arbeitsverträgen wünschen sich aufgrund des niedrigen Lohnes viele Beschäftigte eher eine Arbeitszeitverlängerung26. Gleichzeitig wollen
25
Alle abhängig Beschäftigten, die seit mindestens sechs Monaten in einem Betrieb mit mehr als 15 Mitarbeitern (egal ob Teilzeit- oder Vollzeitangestellte) fest angestellt sind. 26 § 9 des TzBfG formuliert einen solchen Anspruch auf Verlängerung. Das BAG hat sich mit drei aktuellen Entscheidungen seit 2006 erstmals zur Auslegung dieses Anspruches geäu240
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
28% der Arbeitnehmer bei entsprechend geringerem Lohn gerne weniger arbeiten. Die Hälfte von ihnen möchte die Arbeitszeit sogar um mehr als 6h pro Woche reduzieren (vgl. Holst/Schupp, 2002). Diese Zahlen stehen im Einklang mit einem europäischen Trend. Eine in 16 Ländern durchgeführte Vergleichsstudie ergab einen durchschnittlichen Reduzierungswunsch von 4,5h pro Woche. Auch nach dieser Studie wollen viele geringfügig Beschäftigte ihre Arbeitszeit ausweiten. Das favorisierte Modell ist eine große Teilzeit mit 25 bis 34 Stunden pro Woche (vgl. Bielenski et al. 2002). Trotz des Anspruches zeigt sich seit der Einführung kein erhöhter Anstieg von Teilzeitbeschäftigungen (vgl. Magvas/Spitznagel 2002; DIHK, 2001). Zwar berichtet das IAB (vgl. Wanger 2004) von 120.000 Teilzeitanträgen im Jahr 2003 (gegenüber 84.000 in 2001), es stellt sich jedoch die Frage, wie viele informelle Teilzeitanträge vor Einführung des Anspruches gestellt (und bewilligt) wurden. Zudem entfällt ein großer Anteil der Zuwachsquote von Teilzeitarbeit auf den Anstieg geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, die eher Ausdruck betrieblicher Flexibilität sind. Die Diskrepanz zwischen erhobenem Teilzeitwunsch und geringer Antragszahlen lässt vermuten, dass in Positionen, in denen sich Arbeitnehmer finanziell eine Reduzierung leisten können und wollen, sich beide Parteien nicht einigen können und letztlich die vom Arbeitnehmer antizipierten negativen Konsequenzen überwiegen, so dass kein Antrag gestellt wird (vgl. Wanger 2004). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Einstellung die Personalverantwortlichen zur Teilzeitarbeit und zum Rechtsanspruch haben und inwieweit sie mit ihrer Unterstützung, bzw. Ablehnung von Teilzeitarbeit die Nutzung des Teilzeitanspruches beeinflussen. Aus einer ersten Sichtung der Interviews wird bereits deutlich, dass Personalverantwortliche in ihren Äußerungen kaum zwischen Teilzeitarbeit nach dem TzBfG oder nach dem BErzGG, bzw. nach dem BEEG unterscheiden. Es bleibt offen, wie bewusst Teilzeitanträge entsprechend § 8 des TzBfG gestellt werden und ob die Regelungen des Umgangs mit solchen Anträgen beiden Parteien bekannt sind.
Einstellungen zur Teilzeitarbeit Bereits in den achtziger Jahren wurde eine umfangreiche Studie zu den Akzeptanzproblemen von Teilzeit arbeitenden Männern und Hausmännern durchgeführt (Strümpel et al. 1988). Die Studie zeigt starke Vorbehalte unter Kollegen und erhebliche Widerstände seitens der Vorgesetzten auf, die die Realisierung solcher atypischen Rollen und Beschäftigungen für Männer behinderten. Diskussionen rund um die Verßert. In der betrieblichen Praxis spielt dieser Paragraph bisher kaum eine Rolle und im Rahmen der Interviews war die Verlängerung auch nicht Gegenstand der Befragung. 241
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
einbarkeit von Beruf und Familie wurden lange Zeit vorwiegend für Frauen geführt und Teilzeitarbeit ist heute immer noch zum überwiegenden Teil „Frauenarbeit“. Teilzeitarbeit ist immer noch Gegenstand politischer Debatten. In den letzten Jahren hat sich der öffentliche Diskurs jedoch stark gewandelt. Die Einstellung gegenüber der Teilzeitarbeit in der Gesellschaft erscheint heute widersprüchlich. Neben dem weit verbreiteten Wunsch unter Arbeitnehmern sind Work-Life-Balance, die Elternzeit für Männer, das neue Elterngeld und der Anspruch auf einen Krippenplatz aktuelle politische Themen. Der öffentliche Diskurs verbietet beinahe Vorbehalte gegen neue Rollenkonzepte, die etwa durch Teilzeit arbeitende Männer verkörpert werden. Unternehmen geben sich gerne modern und propagieren Gleichberechtigung von Mann und Frau, Arbeit und Privatleben. In wirtschaftlich orientierten Diskussionen und im Zusammenhang mit Personalkosten, internationaler Konkurrenz, hoher Arbeitslosigkeit etc. finden sich jedoch Anzeichen für Wertvorstellungen und Überzeugungen, die eher einer „protestantischen“ Arbeitsmoral entsprechen und Verzicht und Entbehrungen in den Mittelpunkt rücken. So äußerte sich bspw. Westerwelle: „Wirtschaftlichen Wohlstand erhält man nicht durch Freizeit“ (Rede im Wahlkampf zur Bundestagswahl am 16.9.2005). Im Zuge der Einführung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes gab es – im Nachhinein betrachtet – unverhältnismäßig starke Proteste und Befürchtungen seitens der Arbeitgeber. Diese betriebliche Ablehnung arbeitnehmerorientierter Teilzeitarbeit scheint bis heute existent. Obwohl der Teilzeitantrag nur in 8% der Unternehmen überhaupt gestellt wird (vgl. Wanger 2004) gaben 33% der befragten Arbeitgeber einer Studie des IW Köln an, dass sie neues Personal einstellen würden, wenn es den Anspruch nicht gäbe (vgl. Janßen 2004). Die widersprüchlichen Meinungen und die erstaunliche Aufmerksamkeit für ein vergleichbar kleines Phänomen lassen vermuten, dass neben rationalen betriebswirtschaftlichen Faktoren auch kulturelle und psychologische Aspekte der beteiligten Akteure, wie bspw. Arbeitsethos und Überzeugungen zum Familienmodell, großen Einfluss auf die Realisierung bzw. Unterdrückung von Teilzeitwünschen haben. Aus der Sichtung der Interviews hat sich ergeben, dass die Beurteilung und Akzeptanz des rechtlichen Anspruches auf Teilzeit keineswegs im direkten Zusammenhang mit der Einstellung zur Teilzeitarbeit selber steht. Daher werden Rechtsanspruch und Teilzeitarbeit als getrennte Untersuchungsgegenstände separat betrachtet.
242
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
2
Hypothesen und methodisches Vorgehen
Das aufgezeigte Spannungsfeld zwischen realen und gewünschten Arbeitszeiten bildet den Hintergrund für die vorliegenden Analysen zu Arbeitszeitkonflikten und zur Teilzeitarbeit. Während allgemeine Arbeitszeitkonflikte eher von den Befragten selber thematisiert wurden, sind die Personalverantwortlichen zur Teilzeitarbeit und zum Teilzeitanspruch gezielt befragt worden. Diese Fragen richteten sich auf die eigene Meinung, die Sicht der Mitarbeiter, volkswirtschaftliche Überzeugungen und personalpolitische Aspekte. Bei der Auswertung wurde neben den inhaltlichen Antworten auch die Art berücksichtigt, wie sich die Interviewten äußerten und was sie bspw. als selbstverständlich voraussetzten, um neben Äußerungen zur Akzeptanz von Teilzeit auch implizite Überzeugungen und Rollenverständnisse zu erfassen. Die Auswertungen der Passagen zur Arbeitszeit und zur Teilzeitarbeit gliedern sich in drei Bereiche: -
Allgemeine Wahrnehmung von Arbeitszeitflexibilität und Zeitkonflikten Trotz weitreichender Möglichkeiten zur betrieblichen Flexibilität zeigen Äußerungen der Personalverantwortlichen, dass Konflikte mit den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) weit verbreitet sind. Diesen Problemen wird im ersten Teil nachgegangen. Im Mittelpunkt steht dabei die Beurteilung der Konflikte und der Regelungen. Werden etwa die zeitlichen Belastungsgrenzen für Arbeitnehmer, wie etwa die tägliche Höchstarbeitszeit, anerkannt, respektiert oder eher ignoriert?
-
Akzeptanz von Teilzeitarbeit Im zweiten Teil wird auf Akzeptanzurteile zur Teilzeitarbeit eingegangen. Da hier Gründe für unerfüllte Teilzeitwünsche seitens der Mitarbeiter vermutet werden. Dabei wird auf die unterschiedlichen Formen von Teilzeit, wie auch auf unterschiedliche Beurteilungen entsprechend der Geschlechterrollen eingegangen. Außerdem stellt sich die Frage, welche Gründe den Arbeitnehmer nach Meinung der Interviewten daran hindern, Teilzeit zu beantragen. Abschließend wird das Verständnis von Teilzeitarbeit im Allgemeinen untersucht. Dabei stellt sich die Frage, wie facettenreich das Konzept der Teilzeitarbeit bei Personalverantwortlichen ist, bzw. ob unter Teilzeit lediglich ein starres Zeitmodell mit einer 50% Reduzierung verstanden wird. Anschließend wird auch auf vermutete Akzeptanz, bzw. Inakzeptanz unter Mitarbeitern eingegangen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei der Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeit des Personalverantwortlichen gewidmet. Es wird untersucht, ob ein kreatives Prob243
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
lemlösedenken oder ein eher konservatives Beibehalten von bewährten Mustern vorherrscht. Fühlt sich der Personalverantwortliche in der Lage, zeitliche Handlungsspielräume aktiv zu gestalten oder erfährt er sich eher als Opfer wechselnder und nicht kontrollierbarer Anforderungen. -
Beurteilung des Rechtsanspruches nach § 8 des TzBfG In diesem Abschnitt wird analysiert, welche volkswirtschaftlichen Effekte der Teilzeitarbeit insbesondere nach dem TzBfG zugeschrieben werden. Anschließend wird darauf eingegangen, inwieweit die Regelungen des TzBfG eingehalten werden, bzw. wie sie von Personalverantwortlichen ausgelegt werden. Es wird erwartet, dass die Akzeptanz des Rechtsanspruches zentral steht bei der Frage, ob Anträge unterstützt werden. Aus den Kommentaren der Personalverantwortlichen wird abgeleitet, inwieweit sie die starke Position der Arbeitnehmer in der Arbeitszeitfrage anerkennen oder ob sie den Anspruch als Eingriff des Gesetzgebers in die innerbetriebliche Führung verstehen, der womöglich Reaktanz (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1) auslöst. Anhand des psychologischen Vertrages wird die Interpretation des Rechtsanspruches analysiert.
Die Auswertung der Interviews gibt zunächst einen Überblick über die Verbreitung relevanter Einstellungen und Verhaltensweisen. In einem zweiten Schritt wird versucht Hintergründe und Zusammenhänge herauszufinden, welche eine Erklärung für die Positionen der Personalverantwortlichen liefern können. Nahe liegende Faktoren sind bspw. die Betriebsgröße, die Region oder die Anwesenheit eines Betriebsrates.
3
Allgemeine Wahrnehmung von Arbeitszeitflexibilität und Zeitkonflikten
Die Regelungen des AZG spielen in der arbeitsrechtlichen Diskussion eher eine untergeordnete Rolle. Aspekte der Arbeitszeitgestaltung standen dementsprechend nicht im Fokus der Interviews. Bei der ÖWAR Studie konnte dagegen gezeigt werden, dass der Umgang mit der Arbeitszeit aus Mitarbeitersicht ein dringendes Thema ist (vgl. Schramm 2007). Bei der Sichtung des Interviewmaterials ist ebenfalls aufgefallen, dass Konflikte mit dem AZG sehr präsent sind und auch ungestützt27, d.h. ohne Bezug auf den Komplex Arbeitszeit, häufig genannt werden (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Das Arbeitszeitgesetz ist also nicht expliziter Gegenstand der Befragung gewesen. Damit sind die Auswertungen zu diesem Bereich nur auf von sich aus genannte Probleme bezogen. So wurde bspw. nicht erfragt, wer Probleme in der Einhaltung der Ar27
Manchmal wurden beispielhafte Regelungen wie der KSG oder das AZG genannt. 244
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
beitszeitregelungen sieht oder wie schwerwiegend die Konflikte sind etc. Die Ergebnisse sollten entsprechend interpretiert werden. Gleichwohl sprechen die häufigen, ungestützten Nennungen für eine starke Präsenz von Arbeitszeitproblemen in der betrieblichen Praxis. Im betrieblichen Alltag der Mitarbeiterführung sind Fragen der Arbeitszeitgestaltung wesentlich präsenter als bspw. der Kündigungsschutz. Vor allem bei flexiblen Zeitmodellen ist die Arbeitszeit Gegenstand täglicher Abwägungen und Vereinbarungen und dementsprechend konfliktträchtig. Jeder zweite Personalverantwortliche (20) berichtet von Problemen mit den Regelungen zur Arbeitszeit, die dann auch öfter missachtet werden. Aufgrund dieser empfundenen Schwierigkeiten wurden die geäußerten Arbeitszeitkonflikte gesammelt und separat ausgewertet. In die Analyse des Umgangs mit der Arbeitszeit(-flexibilität) sind hauptsächlich drei Fragenbereiche eingeflossen. Es wurde gefragt, welche arbeitsrechtlichen Regelungen den betrieblichen Alltag stören und ob schon mal bewusst gegen arbeitsrechtliche Regelungen verstoßen wird. Daneben wurde gefragt, welche Vor- und Nachteile die Personalverantwortliche im Arbeitsrecht sehen. Im Rahmen dieser Fragen wurden ungestützt Konflikte mit dem AZG erwähnt. Ein dritter Fragebereich bezieht sich direkter auf die Flexibilität des Betriebes. Es wurde gefragt, wie zusätzlicher Arbeitsanfall bewältigt wird. Im europäischen Vergleich sind die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeit in Deutschland sehr offen und überlassen es den Sozialpartnern, Vereinbarungen auf Ebene von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu treffen (Freyssinet/Michon 2003). Die Gestaltung der Arbeitszeit und die Variation der Arbeitslänge bspw. durch Zeitkonten, Mehrarbeit und Kurzarbeit als betriebliches Flexibilisierungsinstrument stellen daher einen Bereich dar, in dem die Betriebe große Handlungsspielräume haben, die lediglich durch Belastungsgrenzen vor allem in der Höchstarbeitszeit und in den Pausenregelungen beschränkt werden. Ob diese Spielräume in der Realität existieren, bzw. ob sie strategisch von Seiten der Organisation oder eher auf individueller Ebene der Personalführung genutzt werden, soll im Rahmen der Analyse bewertet werden. INT: „Gibt es arbeitsrechtliche Regelungen, die aus Ihrer Perspektive den betrieblichen Alltag stören?“ PL: „Ja, das sind Maximalarbeitszeiten. Also, für meine Außendienstmitarbeiter ist es so, dass der maximale Arbeitstag eben 10 Stunden nicht überschreiten darf. Und das empfinde ich als ausgesprochen störend. Das empfinden auch die Mitarbeiter als ausgesprochen störend…“ (Int. 14)
245
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
An erster Stelle stehen Probleme mit der täglichen Höchstarbeitszeit und den Beschränkungen von Wochenend- und Nachtarbeitszeiten. Von den Personalverantwortlichen mit Arbeitszeitproblemen ärgern sich zwei Drittel über die wahrgenommene Beschränkung der Flexibilität, die als „praxisfern" und „bürokratisch" angesehen wird. Dementsprechend lässt auch die Hälfte ‚durchblicken’, dass die Arbeitszeitregelungen in manchen Fällen gelegentlich, in anderen Fällen regelmäßig missachtet werden. In zwei Fällen wird von verlorenen Prozessen in Bezug auf arbeitsrechtliche Verstöße berichtet (Int. 9), die aber den Arbeitgeber, bzw. den Personalverantwortlichen nicht davon abhalten, wie gehabt weiter zu verfahren. Im Allgemeinen scheint das AZG und die Rechtsprechung eher wenig Einfluss auf die Einhaltung der Regeln zu haben. Die Arbeitszeit ist wohl eher Gegenstand eines psychologischen Vertrages, welche Rechte und Pflichten Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils gegenüber dem anderen wahrnehmen (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3). Sehr auffällig ist in diesem Zusammenhang die häufig genannte Verortung der Verantwortung beim Arbeitnehmer. Die Personalverantwortlichen sehen sich nicht in der Pflicht und manchmal auch nicht in der Lage, die Einhaltung der täglichen Höchstarbeitszeiten zu kontrollieren. „...da gilt der alte Spruch: Wo kein Kläger, da kein Richter... wenn möglicherweise ein Mitarbeiter von sich heraus sagt: ‚Ich muss jetzt die und die Aufgaben erledigen, und ich schaffe das nicht in der regulären Arbeitszeit’ wenn er den Antrieb hat, etwas zu erledigen und dann das Arbeitszeitgesetz oder die Arbeitszeit[ver]ordnung verletzt. Welchen Anlass sollten wir dann von der Personalseite oder von der Personalabteilung aus haben, uns mit dem Mitarbeiter zu streiten?“ (Int. 10)
Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass diejenigen, die nur hin und wieder in Ausnahmesituationen gegen das AZG verstoßen, ausnahmslos eine positive Grundeinstellung gegenüber dem Schutz der Arbeitnehmer vor zu langen und zu flexiblen Arbeitszeiten haben und die Regeln als sinnvoll anerkennen. „Würde ich jetzt nicht so sehen, nein. Ich meine, wir haben immer wieder Probleme mit dem Arbeitszeitgesetz. Aber das hat ja durchaus seinen Sinn.“ (Int. 25)
Bis auf eine Ausnahme finden sich diese Nennungen in Betrieben mit einem Betriebsrat. Des Weiteren gibt es einzelne Berichte von Personalverantwortlichen, die die Arbeitszeitregelungen befolgen, eben weil der Betriebsrat die Einhaltung kontrolliert. Die betriebliche Mitbestimmung scheint hier also einen wichtigen normativen und gestalterischen Einfluss auf die Arbeitszeitgestaltung zu nehmen. Im Zusammenhang mit der Bewertung von Arbeitszeitbeschränkungen zeigen sich auch Hinweise für den Einfluss der Arbeitskultur, die im Zusammenhang mit den Einstellungen zum Teilzeitanspruch nach dem TzBfG noch näher untersucht werden. „...und bei uns hier oben ist es so, dass ich dann die Chance habe mit rechts zu tippen und mir mit links die Apfelscheibe reinschiebe, wenn ich nicht gerade den Telefonhörer irgendwie so da habe. Obwohl ich auch selber erkenne, manchmal wäre es besser, wenn ich einfach mal eine halbe Stunde Pause machen würde. Ich glaube, das Gesetz ist gar 246
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit nicht so doof. Das hat schon alles Sinn und Zweck, …aber ich habe so das Gefühl, diese Art zu leben, dieser Druck, den wir haben, der hindert uns so ein bisschen daran, vernünftig zu handeln.“ (Int. 31) „Wenn sie im Außendienst tätig sind, ein Fachgeschäft besuchen, gerne so lange wie möglich im Fachgeschäft sein wollen und aus Vorbildgründen das Fachgeschäft auch vor Feierabend nicht verlassen, bevor nicht die anderen Mitarbeiter ... und ich sie dann zwingen muss, praktisch an dem Ort zu bleiben und zu übernachten, wo sie doch lieber zu ihrer Familie nach Hause fahren würden. Das empfinde ich als ausgesprochen lästig.“ (Int. 14)
Die Unternehmensgröße hat interessanterweise keinen Einfluss auf die Nennung von Arbeitszeitkonflikten. Dagegen findet sich ein weiterer normativ zu interpretierender Zusammenhang in regionalen Kulturunterschieden: Lediglich zwei Unternehmen in der Region Ost nennen Konflikte mit dem Arbeitszeitgesetz (davon ein Unternehmen, das aufgrund der Umstellung des Bereitschaftsdienstes im Gesundheitswesen Probleme hat). Es ist anzunehmen, dass hier Kulturunterschiede den Umgang mit der Arbeitszeit beeinflussen. Während in den alten Bundesländern die ersten Modelle flexibler Arbeitszeiten wie auch Teilzeitmodelle bereits seit den 70er Jahren umgesetzt werden und das so genannte Normalarbeitsverhältnis mit festen Zeiten nur noch für eine Minderheit gilt (vgl. Seifert 2005; Janssen/Nachreiner 2004), gibt es in den neuen Bundesländern nach wie vor eine starke normative Wirkung der weit verbreiteten Normalarbeitszeit.
Fazit Die Gestaltung der Arbeitszeit ist ein sehr präsenter Bereich des Arbeitsrechts, der in der Politik eher nebensächlich behandelt wird. Verstöße sind trotz der großen Flexibilität in den rechtlichen Arbeitszeitregelungen weit verbreitet und werden in Betrieben mit regelmäßigen Verstößen auch als gerechtfertigt angesehen. Vor allem aber sehen viele Personalverantwortliche es nicht als ihre Aufgabe an, die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Pausenregelungen zu kontrollieren. Betriebsräte scheinen sowohl auf die Einstellung als auch auf das "arbeitszeitliche" Verhalten der Personalverantwortliche Einfluss zu haben und bewirken einen pfleglichen Umgang und die Einhaltung der Vorschriften. Es wird deutlich, dass die Arbeitszeitkultur der Personalverantwortliche und der Mitarbeiter besonders bei der Arbeitszeit als täglicher Gestaltungsaspekt eine zentrale Rolle spielt. Diesem Verdacht soll am Beispiel der Teilzeitarbeit und der Umsetzung des Anspruches nach dem TzBfG im Folgenden nachgegangen werden.
247
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
4
Akzeptanz von Teilzeitarbeit
In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, welche Akzeptanz der Teilzeitarbeit seitens der Personalverantwortlichen und seitens der Mitarbeiter entgegengebracht wird. Entsprechend der Hypothese ist Teilzeitarbeit als Instrument zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben großenteils anerkannt, wird aber im Kontext einer ausgeprägten Arbeits- und Leistungskultur und im Bezug auf die Wirtschaftlichkeit im eigenen Betrieb abgelehnt. Diese Ablehnung oder Inakzeptanz steht einer Ausbreitung von Teilzeitarbeitsplätzen entgegen. In diesem Zusammenhang wird auch auf einzelne Aspekte der Akzeptanz, wie bspw. das Rollenbild von Männern und Frauen oder regionale Unterschiede, eingegangen. Als zweite Vermutung soll geprüft werden, ob Kontrollüberzeugungen und wahrgenommene Handlungsspielräume in der Gestaltung von Arbeitszeiten in einem positiven Zusammenhang mit der Akzeptanz und Unterstützung von Teilzeitarbeit stehen. Abschließend wird untersucht, ob globale Überzeugungen der Personalverantwortlichen mit ihren eigenen Handlungsweisen übereinstimmen und ob sie in sich konsistent argumentieren. Dabei wird auch auf kognitive Effekte wie das Sub-Classing und die anekdotische Evidenz geachtet. Es wurden Hinweise gesammelt, die auf Stereotype und Vorurteile hindeuten. Darunter finden sich bspw. Äußerungen, die einen Zusammenhang zwischen der Arbeitszeit und der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter nahe legen. Auf Ebene der Personalverantwortlichen muss man wegen sozial erwünschter Verzerrungen manchmal auch zwischen den Zeilen lesen. Bei Äußerungen zur Inakzeptanz unter Kollegen wird freier gesprochen und oftmals kann man in den Fremdbeurteilungen auch die eigenen Überzeugungen der Personalverantwortliche erkennen. „Also, vielleicht ist das so, dass man noch immer dieses Denken hat, dass der Mann der Ernährer der Familie ist und die Frau zu Hause ist.“ (Int. 12)
Die Hintergründe, wie es zu Akzeptanz oder Ablehnung, bzw. allgemein zur Einstellungsbildung kommt, ist nicht Gegenstand der Betrachtung. Hier können bspw. eigene Erfahrungen, manifestierte Vorurteile, gelebte Werte im Umfeld oder auch Berichte dritter entsprechend der anekdotischen Evidenz (vgl. Kapitel 1.1) angeführt werden (vgl. Eagly/Chaiken, 1993). Beispielhaft sei hier eine anekdotische Evidenz in der Urteilsbildung genannt: „Es formuliert einen Anspruch es geht oftmals ..., das wissen die Leute auch, entgegen den Interessen des Arbeitgebers. Und der Arbeitgeber hat keine Chance. Also ich kenne zwei Fälle aus dem Freundeskreis, wo das Frauen gemacht haben und das ging bis zum Arbeitsgericht und die haben gewonnen.“ (Int. 02) 248
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Der Fokus in den Interviews richtet sich jedoch weniger auf die Ursachen, sondern viel mehr auf die Wirkungen der persönlichen Einstellungen auf den betrieblichen Umgang mit Teilzeitarbeit und dem Anspruch auf Teilzeitarbeit nach § 8 TzBfG. Ein auffälliges Merkmal der Akzeptanzäußerungen sind die Unterscheidungen, die zwischen verschiedenen Teilzeitvarianten getroffen werden. Es wurden vielfach Argumentationen geäußert, wonach Teilzeit nur in bestimmten Fällen akzeptiert und unterstützt wird. Am bedeutendsten erscheint dabei der Einfluss der Mitarbeitermotivation zur Reduzierung. Unter dem Begriff bedingte Akzeptanz wird verstanden, dass Teilzeit akzeptiert wird, wenn triftige, also mit dem eigenen Weltbild konsistente, Gründe vorliegen, die eine Teilzeitarbeit rechtfertigen. Diese bedingte Akzeptanz ist stark geschlechtsabhängig und richtet sich bei Mitarbeiterinnen oft auf Pflichten im Haushalt und bei der Kindererziehung. Es wird bei Frauen aber auch die "Luxusteilzeit" als Nebenverdienst zum Einkommen des Hauptverdieners anerkannt. Bei Männern scheint die bedingte Akzeptanz stärker eingeschränkt. Männliche Teilzeitanträge finden Unterstützung, wenn sie durch Krankheit begründet sind oder wenn es neben dem Job einen Zweiterwerb wie etwa durch eine beginnende Selbständigkeit oder eine Weiterbildungsmaßnahme gibt. Es scheint, dass Mitarbeiter mit Teilzeitwunsch nicht akzeptiert oder sogar als "fauler Hund" (Int. 01) gesehen werden, wenn kein guter Grund vorliegt. Inwieweit die Ablehnungen rational oder irrational begründet sind, ist kaum zu trennen. Im Rahmen des psychologischen Vertrages (Abschnitt 5) wird hierauf noch mal ausführlicher eingegangen. Akzeptanzäußerungen sind im Codierungsprozess positiv, bzw. negativ markiert worden. Daneben gibt es eine weitere Markierung, ob der Interviewte für sich selber, für seinen Vorgesetzten oder aus Sicht der Mitarbeiter urteilt. IN: „Angenommen es würde jemand auf Teilzeit gehen. Könnte es da Probleme geben unter den Kollegen oder wie würde das aufgenommen werden?“ PL: „Ich weiß nicht, ob man das pauschalisieren kann. Das hängt sicherlich vom einzelnen Fall ab. Also ich könnte mir vorstellen bei einem Kollegen bei uns, wenn der das machen würde, würde jeder Verständnis haben, weil der gesundheitlich angeschlagen ist. Bei anderen würde man sagen, das ist ein fauler Hund.“ (Int. 01) „Nein, eigentlich will ich keine Teilzeitjobs haben.“ (Int. 28) „Wir haben einen Teilzeitmacker gehabt, der hat die ganze QM gemacht, die Handbücher usw., da will ja in einem Unternehmen sowieso keiner etwas mit zu tun haben, weil das öde und trocken ist. Und der Nächste, der sitzt am Empfang am Telefon und macht den Posteingang und -ausgang usw. und das will auch keiner machen.“ (Int. 32)
Insgesamt finden sich bei 11 Personalverantwortlichen Äußerungen, die auf eine grundsätzlich eher ablehnende oder abwertende Haltung gegenüber Teilzeitarbeit hinweisen. Zählt man Berichte der Personalverantwortlichen über die ablehnende Haltung bei ihren Vorgesetzten hinzu, steigt die Zahl auf 14. Bei 10 Interviews gibt es dagegen Hinweise für eine positive Einstellung gegenüber Teilzeitarbeit. Bezogen auf die Teilzeitquote der Betriebe ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang von r = .37 249
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
(p < .05; n = 42). Es gibt keine nennenswerten Einflüsse durch die Anwesenheit eines Betriebsrates, die Region oder Betriebsgröße. Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Verbreitung von Teilzeit und Akzeptanz auf Führungsebene, steht die Beurteilung der Mitarbeiterakzeptanz in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Teilzeitquote oder mit der Akzeptanz auf Führungsebene. Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Überzeugungen und Einstellungen primär hinter den Akzeptanzäußerungen stehen. Überzeugungen zur geschlechtlichen und partnerschaftlichen Arbeitsaufteilung hängen eng mit Einstellungen zur Teilzeitarbeit zusammen. Als klassische Sichtweise ist hier das Male-Breadwinner Modell (vgl. van Dongen 2005) zu nennen, nach dem der Mann als "Brötchenverdiener" für den Lebensunterhalt der Familie sorgt, während die Frau für Haushalt und Kindeserziehung zuständig ist und eventuell mit der Teilzeitoption für einen Nebenverdienst sorgt. Die Verbreitung der Teilzeitarbeit seit den 70er Jahren ist eng mit der Erwerbsarbeit von Frauen verknüpft. Dementsprechend ist zu erwarten, dass Teilzeitarbeit entsprechend der klassischen Sicht zwar bei Frauen nicht jedoch bei Männern akzeptiert wird. Entsprechende explizite und implizite Äußerungen zum klassischen Rollenbild wurden auf Ebene der Personalverantwortlichen (Zitat aus Interview 15) und auf Ebene der Mitarbeiter (Zitat aus Interview 06) codiert. „Ja, es gibt sie schon [männliche Teilzeitarbeitnehmer]. Das stimmt. Also, wir haben auch Studenten beschäftigt, die ja ohnehin nur bis 20 Stunden arbeiten dürfen. Also, über diesen Weg gibt es auch Teilzeit, aber das ist nicht der - Entschuldigung - Student - das ist nicht der typische Mann. Also der, der eine Familie ernährt.“ (Int. 15) „Ganz überwiegend Frauen, die dann aus einer klassischen Situation heraus entweder nach der Erziehungszeit einsteigen, aber trotzdem, wie es sich so gehört, um 12 Uhr oder um 1 Uhr soll dann das Essen auf dem Tisch stehen, die Kinder kommen nach Hause. Also, das ist sehr stark das Rollenverständnis, zumindest hier.“ (Int. 06)
In rund einem Viertel der Interviews kamen Äußerungen eines gelebten klassischen Rollenverständnisses vor. Aufgrund von sozialer Erwünschtheit vermeiden manche Interviewte wahrscheinlich solche Statements, so dass man noch von einer größeren Verbreitung des klassischen Rollenverständnisses ausgehen kann. Die Präsenz eines klassischen Rollenverständnisses ist ein Hinweis darauf, dass die Akzeptanz von Teilzeitarbeit differenziert betrachtet werden muss. Es steht nicht unbedingt im Mittelpunkt, ob Teilzeitarbeit akzeptiert wird, sondern von wem und mit welchem Grund Teilzeitarbeit gewünscht und beantragt wird. Aus den beiden obigen Zitaten gehen zwei Berechtigungen für Teilzeitwünsche im Sinne der bedingten Akzeptanz hervor. Neben Frauen, die überwiegend die häuslichen Pflichten und die Kindeserziehung erfüllen, sind bspw. auch männliche Studenten in Teilzeit akzeptiert, weil sie nicht länger arbeiten dürfen und weil sie i.d.R. noch keine Familie haben, sondern sich mit dem Studium weiterbilden. Diese Abhängigkeit der Teilzeitakzeptanz und -bewilligung 250
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
von Geschlecht, sowie von Begründung und Motivation für eine Reduzierung ist vor kurzem auch in einer anderen Studie bestätigt worden (vgl. Innreiter-Moser et al. 2006: 93f.). Es ist nahe liegend, dass die Akzeptanz von Teilzeitarbeit mit der Nähe, bzw. Übereinstimmung eigener Normen und Werte einhergeht. Der Code "Arbeitsethos" kennzeichnet Äußerungen zur Arbeitseinstellung und -motivation. Eine positive Ausprägung steht für eine "protestantische Arbeitsmoral", in der die harte Arbeit mit Entbehrungen positiv besetzt ist. Das Beispiel aus Interview 18 zeigt, wie sich die Wertschätzung der harten Arbeit in der Sprachwahl des Interviewpartners ausdrückt. „Sie müssen sich vorstellen, es gibt hier ein Stammteam, das buckelt wie die Ochsen und der andere geht weg. Da gibt es doch Neid, oder?“ (Int. 18)
Ein Teilaspekt des Arbeitsethos, das sog. Vollzeitdogma wurde mit einem eigenen Code versehen. Eine positive Ausprägung steht für ein explizites oder implizites Festhalten am Vollzeitmodell und eventueller Mehrarbeit, ohne über Alternativen nachzudenken. Während unter dem Arbeitsethos die positive Bedeutung harter Arbeit erfasst wird, richtet sich dieser Aspekt stärker auf die organisatorische Ebene der Arbeitszeitgestaltung. Wie in Interview 14 deutlich wird, sind die Arbeitszeitregelungen häufig dauerhaft über der gesetzlichen Höchstarbeitszeit, so dass das Vollzeitmodell auch keine optimale Variante darstellt. „Und dann komme ich zu meiner eigentlichen Argumentation, weil Sie in der Dienstleistungsbranche einfach als Ansprechpartner für die Mitarbeiter innerhalb der Geschäftszeiten, also morgens 8 Uhr bis abends 18 Uhr, als Ansprechpartner zur Verfügung stehen müssen. Und da kann es keine Teilzeitmodelle geben.“ (Int. 14)
Wenn man die Interviews nach klassischem Rollenverständnis, Vollzeitdogma und arbeitsorientierter Wertvorstellung im Sinne einer ‚protestantischen’ Arbeitsmoral durchsucht, finden sich entsprechende Äußerungen auf Führungsebene in 15 Interviews. Bei einem guten Drittel finden sich somit Anzeichen für eine eher traditionelle Arbeits- und Rollenkonzept. Diese Ausprägung steht in einem starken negativen Zusammenhang mit der erhobenen Akzeptanz auf Führungsebene (r = - .46; p < .01; n = 42). Das bedeutet, dass Personaler mit traditionellen Vorstellungen häufig Vorbehalte gegenüber Teilzeitarbeit haben und dieses Arbeitszeitmodell nicht akzeptieren.
Vermutete Gründe gegen Teilzeit aus Sicht der Arbeitnehmer Die Personalverantwortlichen wurden im Rahmen des Interviews mit Zahlen konfrontiert, die belegen, dass rund 25% der abhängig Beschäftigten trotz entsprechend geringerem Lohn gerne ihre Arbeitszeit reduzieren würden (SOEP, eigene Berechnungen). Die Interviewpartner waren aufgefordert, die Perspektive der Mitarbeiter im eige-
251
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
nen Betrieb und im Allgemeinen einzunehmen, um zu vermuten, welche Gründe gegen die Umsetzung des scheinbar weit verbreiteten Wunsches sprechen. Deutlich an erster Stelle war die Vermutung von finanziellen Gründen. Obwohl in der Fragestellung der Lohnverzicht bereits berücksichtigt wurde, nannten 29 der 42 Interviewpartner, dass in der Abwägung Geld gegen Freizeit die Einkommenseinbußen höher bewertet würden oder auch, dass die finanzielle Situation eine Reduzierung nicht zulasse. Diese Vermutungen wurden unabhängig von der Branche und unterschiedlichen Lohnniveaus angestellt. Wenn die Interviewpartner darauf hingewiesen wurden, dass die Umfragewerte sich auf Reduzierungen bei entsprechendem Lohnverzicht bezögen, blieben sie dennoch bei ihrer Vermutung und bezweifelten eher die Validität der Befragung. Neben den finanziellen Gründen wurden aber auch weitere Aspekte genannt, die entsprechend der Akzeptanz-Hypothese zu interpretieren sind. Zwölf Personalverantwortliche vermuten, dass Arbeitnehmer ihren Wunsch nicht realisieren, weil das Management oder direkte Vorgesetzte Teilzeit ablehnen und Beantragung sowie Umsetzung von Reduzierungswünschen verhindern. „Also, ich glaube, viele Leute brauchen tatsächlich das Geld und dann denke ich, der zweite Grund ist, dass sie denken, dass der Arbeitgeber das nicht gerne sieht und sie dann in irgendeine rote Liste kommen…, also die beiden Faktoren, denke ich, sind die wichtigsten.“ (Int. 28) „Insgesamt ist es [die Teilzeitarbeit] von der Unternehmenskultur aus der Vergangenheit muss ich mal so vorsichtig sagen - nicht gerne gesehen.“ (Int. 25)
In die gleiche Richtung gehen die Äußerungen von 13 Interviewpartnern zur Angst beim Arbeitnehmer28. Die Ängste beziehen sich auf Repressionen von Arbeitgeberseite. Dabei steht an erster Stelle die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, gefolgt von befürchteten Karrierestopps, Qualifikationsverlusten oder eventuellen Degradierungen. Dies spricht für die einflussreiche Rolle des Personalverantwortlichen, bzw. der Arbeitgeber bei der Umsetzung des Teilzeitanspruches (stellvertretend für den allgemeinen Umgang mit dem Arbeitsrecht in Betrieben). Dies ist ein deutliches Indiz für den Einfluss von Personalverantwortlichen und ihrer Überzeugungen zur Teilzeitarbeit bei der Umsetzung von Teilzeitstellen. Trotz gesetzlich verankertem Anspruch scheinen Arbeitnehmer aufgrund wahrgenommener, fehlender Akzeptanz oder organisatorischer Hindernisse auf ihren Anspruch im Vorhinein zu verzichten.
28
Insgesamt nennen 21 Personalverantwortliche entweder "beim Arbeitgeber unerwünscht" oder "Angst" oder beides. 252
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Teilzeit-Konzept und Umsetzungsfähigkeit Eine weitere Hypothese zur Erklärung der Verbreitung von Teilzeitstellen ist, dass das Kompetenzerleben und die Kontrollüberzeugung der verantwortlichen betrieblichen Akteure ein relevanter Moderator in der Umsetzung von Teilzeitwünschen ist. Allgemein bedeutet dies, dass Personalverantwortliche mit einer innovativen, problemlösungsorientierten Einstellung eher bereit sind, ein „Experiment“ zu wagen und neue Zeitmodelle auszuprobieren und daraus womöglich sogar einen Nutzen ziehen. „Teilzeit von Führungskräften ist meiner Meinung nach eher ein Organisationsproblem... das sehen wir mit der Büroleiterin, das kriegen wir hin, obwohl das nicht immer einfach ist. Aber das zwingt uns auch zu überlegen, wie unsere Prozesse sind. Wir können uns verbessern, wir können uns anders organisieren. Das ist keine schlechte Frage.“ (Int. 40)
Im Besonderen bedeutet es, wer mit verschiedenen Varianten von Teilzeitmodellen vertraut ist, verfügt subjektiv empfunden auch über mehr Handlungsalternativen und hat somit eine stärkere Kontrollüberzeugung. Es zeigt sich bspw., dass ein Viertel der Interviewten bei Teilzeitarbeit implizit zunächst von einer klassischen halben Stelle ausgehen. Dementsprechend beziehen sich Urteile über Teilzeitarbeit, deren Realisierbarkeit und den Rechtsanspruch auf dieses Konzept von Teilzeit. Es wird bereits deutlich, dass die beiden Bereiche Problemlöseorientierung und Kontrollüberzeugung ähnlich sind und einander bedingen. Daher wurden negative und positive Kodierungen beider Aspekte zu einer Variablen Innovation zusammengeführt, deren Verteilung in Abbildung 9 dargestellt ist. Abbildung 9: Verteilung der Innovationsbereitschaft 16 14 12 10 8 6 4 Std.abw. = 1,13
2
Mittel = ,0 N = 42,00
0 -2,0
-1,0
0,0
1,0
2,0
INNO_TOT
Quelle: Eigene Darstellung.
253
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Diese Innovationsfreudigkeit ist positiv mit der Bereitschaft korreliert, Teilzeitwünsche wohlwollend auf ihre Machbarkeit zu prüfen (r = .30, p < .05; n = 42). Ein Zusammenhang mit der tatsächlichen Verbreitung von Teilzeitstellen lässt sich dagegen nicht nachweisen. INT: „Gibt es auch hier im Hause alternative [Zeit]Modelle?“ PL: „Theoretisch erlaubt unsere Arbeitszeitregelung das, aber das ist ja nicht in den Köpfen. Also gerade zum Beispiel Berater - wie gesagt, wenn da einer Teilzeit im Projekt... - das geht fast gar nicht. Sie können dem Kunden nicht sagen: ‚Der Kindergarten macht gleich zu, ich gehe jetzt’. Aber Sie könnten in dem Projekt Vollzeit arbeiten und danach zwei Wochen zu Hause bleiben, bis das nächste Projekt kommt. So was wäre vom betrieblichen Ablauf durchaus sinnvoll.“ (Int. 25)
Fazit Die Verbreitung von Teilzeit ist natürlich nicht primär von der Einstellung der Personalverantwortlichen abhängig. Faktoren, wie die Branchenzugehörigkeit und Arbeitgeberinteressen an Teilzeitarbeit (insbesondere auch die geringfügige Beschäftigung) scheinen im Vordergrund zu stehen. So gesehen, ist es nicht verwunderlich, dass wenige direkte Zusammenhänge mit der Verbreitung von Teilzeitstellen zu finden sind. Der gefundene Zusammenhang zwischen Akzeptanz und Teilzeitverbreitung muss dementsprechend interpretiert werden. Dennoch sind in den Interviews nur wenige Strategien oder Leitlinien im Umgang mit Teilzeitarbeit genannt worden. Dementsprechend vergrößert sich der Einfluss der individuellen Akteure. Teilzeitanträge werden von Fall zu Fall entschieden und sind abhängig von Position und Person des Antragstellers und von der Einstellung des Personalverantwortlichen. Es ist wahrscheinlich, dass die Existenz von Teilzeitstellen in Betrieben, die Akzeptanz gegenüber alternativen Zeit- und Lebensmodellen befördert. Dennoch kann man davon ausgehen, dass umgekehrt auch eine positive Grundeinstellung gegenüber Teilzeitarbeit bei betrieblichen Akteuren wie auch Kollegen die Beantragung und die Umsetzung von Arbeitszeitreduzierungen erleichtert. Der gefundene Zusammenhang zwischen der Innovationsbereitschaft und dem Wohlwollen gegenüber Teilzeitanträgen ist ein Indiz für so einen Effekt. Ein interessantes Ergebnis am Rande ist, dass die Interviewpartner primär finanzielle Gründe gegen Teilzeit bei den Arbeitnehmern vermuten und so gesehen die Erhebungsdaten des SOEP anzweifeln. Man muss sich fragen, wie die Validität solcher Umfragewerte zu bewerten ist. Es könnte sein, dass durch solche einfachen Befragungen ohne Erfassung konkreter Absichten und Hintergründe vielfach ‚Stammtischsprüche’ erhoben werden, die eher für einen utopischen Traum als für konkrete Reduzie254
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
rungspläne stehen. Dies wäre anhand einer Längsschnittanalyse der SOEP Daten zu überprüfen.
5
Beurteilung des Rechtsanspruches nach § 8 des TzBfG
Nach der Einführung des Teilzeitanspruches mit dem TzBfG zum 01.01.2001 sind die öffentlichen Proteste von Arbeitgeberseite verebbt. Dennoch kann man bei dem relativ neuen Gesetz mit einem Reaktanzverhalten gegen die wahrgenommene Einschränkung der Handlungsfreiheit rechnen (vgl. Kapitel 1.1, Abschnitt 3). In diesem Fall würde eine inhaltliche Befürwortung der Teilzeitarbeit mit gleichzeitiger Kritik am gesetzlich verankerten Anspruch einhergehen. Zwei Evaluationen des IAB kommen zu dem Schluss, dass das Gesetz überwiegend einvernehmlich, aber auch nur in beschränktem Umfang umgesetzt wird (Wanger 2004; Magvas/Spitznagel 2002). Gleichzeitig lassen Arbeitnehmerbefragungen vermuten, dass der Wunsch zur Arbeitszeitreduzierung zwar besteht, aber trotz Rechtsanspruch nicht umgesetzt wird. Diese Diskrepanzen bilden den Hintergrund bei der Analyse der Beurteilung des Teilzeitanspruches. Beinahe die Hälfte der Personaler (19; bzw. 45%) befürworten explizit den Anspruch. Sie finden es gerechtfertigt, die Position des (schwächeren) Mitarbeiters durch das Gesetz zu stärken. Dies stimmt mit den quantitativen Ergebnissen der Telefonbefragung überein (44%; siehe Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Ein Viertel (11; bzw. 26%) lehnt den rechtlichen Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung nach § 8 des TzBfG ab, weil es das betriebliche Miteinander störe, wenn sich Arbeitnehmer bei ihrem Teilzeitwunsch auf das Gesetz berufen würden anstatt eine gemeinsame Einigung zu erzielen oder weil sie den Anspruch als Zwang wahrnehmen, wirtschaftlich nachteilige Teilzeit umzusetzen und weil sie die gerichtlichen Chancen für einen Widerspruch als gering ansehen. Die Codierung ist relativ trennscharf, bei drei Interviews gibt es jedoch sowohl positive als auch negative Urteile, da die Interviewten den Anspruch einerseits als Zwang oder als Einmischung in ihre Personalarbeit empfinden, andererseits aus Sicht der Mitarbeiter den Teilzeitanspruch jedoch begrüßen. Dies ist ein erstes Indiz für Reaktanz in der Bewertung des Rechtsanspruches. Die restlichen Interviews lassen kein eindeutiges Urteil zu. Dies liegt zum einen daran, dass einige Personen keine Meinung zum Gesetz hatten, weil der Anspruch keine Relevanz in ihrem Betrieb hatte, zum anderen wurden eher praktisch orientierte Vor- und Nachteile des Anspruches genannt, die eher in eine allgemeine Beurteilung von Teilzeitarbeit mündeten, aber kein globales Urteil über das Gesetz erkennen ließen.
255
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Der psychologische Vertrag im Kontext der Teilzeitarbeit Auch wenn kollektive und individuelle Regelungen das betriebliche Miteinander vielseitig regeln, bleiben sie im Alltag eher verborgen. Die "Spielregeln" werden lediglich im Konfliktfall zu Rate gezogen und selbst dann hängt es noch von verschiedenen Faktoren wie bspw. vom allgemeinen Umgang und der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und betrieblichen Akteur29 ab, ob man sich über die Rechtslage informiert und auf sein Recht "pocht" oder nicht. Bei Aushandlungen der Arbeitszeitgestaltung im Laufe der Arbeitsbeziehung kann man erwarten, dass beide Parteien bemüht sind, eine einvernehmliche Lösung zu finden und den Konflikt nicht bis zur letzten Eskalationsstufe, der gerichtlichen Klage, anwachsen zu lassen. Im Gegensatz zu Kündigungsschutzklagen kann man also von einer relativ hohen Hemmschwelle ausgehen, sein Recht auch vor Gericht einzufordern. Aber das Arbeitsrecht wirkt auch bereits bevor es zur Klage kommt, zumindest wenn beide Seiten über die Rechtslage informiert sind. Der strukturell unterlegene Arbeitnehmer wird durch den Teilzeitanspruch in der Verhandlungsposition gestärkt. Dem TzBfG kommt demnach vor allem eine Kultur verändernde Bedeutung zu, indem es mit dem Teilzeitanspruch, wie auch mit dem Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit (§ 9 TzBfG) grundsätzliche Rechte und Pflichten vermittelt und so das Rechtsbewusstsein beeinflusst. Grundannahme für diesen Analyseabschnitt ist, dass die gegenseitigen Erwartungen und Verpflichtungen entsprechend des psychologischen Vertrages (siehe Schramm et al., Kapitel 1.1) primär die Umsetzung von Teilzeitwünschen beeinflussen und als Moderator die direkten Effekte des Arbeitsrechts beeinflussen. Neben der allgemeinen Akzeptanz von Teilzeitarbeit und ihren Motiven – wie im vorangegangenen Abschnitt untersucht – sollte demnach die Ausprägung des psychologischen Vertrages auf Seiten des Personalverantwortlichen das Ausmaß an Unterstützung von Teilzeitanträgen und somit zur Verbreitung von Teilzeitarbeit beitragen. Gerade beim Teilzeitanspruch wird vermutet, dass Arbeitnehmer ihren Wunsch im vorauseilenden Gehorsam gar nicht erst äußern, wenn die Ablehnung durch den Personalverantwortlichen bereits antizipiert wird. Grob klassifiziert lassen sich drei Haltungen zu den rechten und Pflichten als Ausprägungen des psychologischen Vertrages unterscheiden:
29
Der Schwarz-Weiß Kontrast zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist oft nicht passend, da der Personalverantwortliche als betrieblicher Akteur meist selber auch Arbeitnehmer ist. Dies spiegelt sich in den Interviews deutlich wider, wenn Personalverantwortliche Sichtweisen und Argumentationsseiten während des Interviews mehrfach wechseln und abwechselnd die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerperspektive einnehmen. 256
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Der Teilzeit-Befürworter: Der Personalverantwortliche unterstützt das Recht auf Teilzeit und erkennt einen betrieblichen Nutzen mitarbeiterorientierter Arbeitszeiten. Er sieht eine Art Bringschuld seitens des Unternehmens, arbeitnehmerorientierte Arbeitszeiten anzubieten, bzw. zu realisieren. Ein Sechstel (sieben; 17%) der Personalverantwortlichen äußern sich in dieser Weise. Der Teilzeit-Verweigerer: Der Personalverantwortliche hat Vorbehalte gegen Teilzeitarbeit und empfindet das Gesetz als Zwang, da es der eigenen Wahrnehmung von Rechten und Pflichten zuwider läuft. Seiner Auffassung nach sind Arbeitszeiten primär arbeitgeberorientiert zu gestalten und Teilzeitarbeit wird dementsprechend eher als Flexibilisierungsinstrument gesehen. 11 Interviewpartner lassen sich dieser Kategorie zuordnen. Der Teilzeit-Verhandler: Der Personalverantwortliche sieht die Realisierung einer Teilzeitstelle als Verhandlungsgegenstand und macht die Unterstützung von anderen Aspekten abhängig. So wird der Teilzeitwunsch von langjährigen oder qualifizierten Mitarbeitern anerkannt und unterstützt oder es werden Gegenleistungen wie bspw. eine höhere Flexibilität seitens des Mitarbeiters erwartet. Die Begründung für einen Teilzeitwunsch spielt ebenfalls eine wichtige Rolle (siehe Abschnitt 4 zur bedingten Akzeptanz), was eine deutliche Abweichung der betrieblichen Praxis von der Gesetzesintention bedeutet. Ablehnungsgründe dürfen nicht in der Begründung des Arbeitnehmers, sondern allein in betrieblichen Gründen liegen. „Dringende betriebliche Gründe sind nicht erforderlich. Die Gründe müssen jedoch hinreichend gewichtig sein.“ (Entscheidung des BAG vom 15. August 2006 – 9 AZR 30/06). Die Gewichtung erfolgt also nach dieser Rechtsprechung ohne Gegengewicht der Arbeitnehmergründe. In der Praxis wird diese Abwägung jedoch mehrheitlich gelebt. „Ich meine, es kommt ja nicht jeder aus Jux und Tollerei und sagt: ‚Ich will jetzt kürzer und länger, und in einem halben Jahr will ich wieder anders!’ Das ist ja nicht die Realität. Die Realität ist heute, dass die Oma mehr Pflege braucht oder, was auch immer sich so im Laufe des Lebens ergibt. Und dann ist ein vernünftiger Grund da und dann sucht man Möglichkeiten und meistens findet man sie auch.“ (Int. 35)
24 Personalverantwortliche (57%) lassen sich aufgrund ihrer Äußerungen dieser Kategorie zuordnen. Dabei steht im Vordergrund, dass sich die Gestaltung der Arbeitszeit einvernehmlich gestalten sollte (15 Nennungen). Es wird vom Arbeitnehmer erwartet, sich nicht auf den Rechtsanspruch zu berufen und zu sehr auf sein Recht zu pochen. „…dann kommt ein Mitarbeiter an und sagt: ‚Ich habe jetzt die rechtliche Legitimation. Ich verklage dich, lieber Arbeitgeber, darauf, dass du mir einen Teilzeitarbeitsplatz anbietest!’ Dann ist man auf einem Weg, wo man doch normalerweise nicht hin will. Weder der Arbeitnehmer möchte da hin, noch der Arbeitgeber. Und insofern ist das [TzBfG] auch mit einer richtigen… Zielsetzung gemacht, aber nicht praktikabel, weil man aufgrund eines Rechtsstreits kein langfristiges Rechtsverhältnis begründet.“ (Int. 10)
257
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Gleichzeitig werden Austauscherwartungen genannt. Bei neun Interviews wird die Umsetzung von Teilzeitwünschen von den Leistungen des Mitarbeiters abhängig gemacht. 10 Personalverantwortliche nennen die Zustimmung zur Teilzeitarbeit als Zugeständnis, um Mitarbeiter etwa nach dem Mutterschutz im Betrieb halten zu können. Häufig werden beide Argumente genannt, insgesamt kommt mindestens einer der beiden Aspekte in 13 Interviews vor. Damit ist der Ausgleichsgedanke am stärksten vertreten. Nach dem Motto „gute Zeiten für gute Köpfe“ wird die Zustimmung zur Arbeitszeitreduzierung zum Verhandlungsfaktor in der Arbeitsbeziehung. Die Zuordnung zu diesen Clustern ist nicht sehr trennscharf. Es gibt bspw. mehrere Personalverantwortliche, die das Gesetz ablehnen, praktisch aber eher im Sinne eines Teilzeit-Verhandlers die Zustimmung von der Leistung oder der Motivation des Mitarbeiters abhängig machen. Es ist ein Versuch, aus den Interviews Typen herauszubilden, denen die einzelnen Personalverantwortlichen zuzuordnen sind. Ein quantitativer Abgleich mit der tatsächlichen Verteilung von Teilzeitarbeit ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll. Wichtigstes Ergebnis dieser Betrachtung ist jedoch die Einsicht, dass zwar mehrheitlich Bereitschaft zur Realisierung von Teilzeitarbeit besteht, die Regelungen zur Teilzeitarbeit aber großenteils eher frei interpretiert werden. In der Gruppe der Verhandler werden die Bedeutung des Mitarbeiters für den Betrieb und die persönliche Situation, bzw. Begründung für den Antrag den damit verbundenen organisatorischen Problemen gegenübergestellt. Und im Austausch gegen eine Arbeitszeitreduzierung können auch Gegenleistungen wie bspw. eine erhöhte Flexibilität eingefordert werden.
Überzeugungen zu volkswirtschaftlichen Effekten Eine Intention des Teilzeitanspruches ist die beschäftigungswirksame Ausweitung von Teilzeitarbeitsverhältnissen. In der allgemeinen Wahrnehmung wird dieses Ziel eher nicht erreicht. Der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze stehen Rationalisierung und Verdichtung der Arbeit durch Arbeitszeitreduzierungen gegenüber. Mit den Interviews sollte erfasst werden, inwieweit volkswirtschaftliche oder politische Annahmen der Interviewten mit ihrem eigenen Handeln übereinstimmen. Denn laut IAB-Bericht gibt es in 77% der Betriebe mit realisierten Teilzeitanträgen nennenswerte Auswirkungen auf die Verteilung der Arbeit. In dieser Grundgesamtheit berichten 42% der Betriebe beschäftigungsrelevante Effekte (vgl. Wanger 2004). Es wurde nach der vermuteten volkswirtschaftlichen Wirkung der Teilzeitarbeit gefragt („Denken Sie, dass durch Arbeitszeitreduzierungen Arbeitsplätze geschaffen werden können?“). Gleichzeitig wurden auch die eigenen Handlungsweisen im Umgang mit 258
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
Arbeitszeitreduzierungen codiert. Die Ergebnisse sind verblüffend. Von zwanzig ausgewerteten Äußerungen glauben 15 Personalverantwortliche nicht an Beschäftigungseffekte durch Teilzeitarbeit. Lediglich fünf Interviewte halten dies für möglich. Gleichzeitig finden sich aber in 14 Interviews Äußerungen über den eigenen Umgang mit Arbeitszeitreduzierungen, nach denen die Neuverteilung der Arbeit primär über Neueinstellungen realisiert werde. Nur ein Personalverantwortlicher schließt Neueinstellungen aufgrund von Arbeitszeitreduzierungen im eigenen Betrieb explizit aus. Dieses Ergebnis ist umso bemerkenswerter, da insgesamt acht der 15 Interviewten, die nicht an gesamtwirtschaftliche Effekte glauben, selber von beschäftigungswirksamen Praktiken berichten. Es herrscht eine klare Diskrepanz zwischen dem gelebten Umgang mit Arbeitszeitreduzierungen und den gefühlten Wirkungen des Rechts auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, die sich am ehesten mit dem Effekt des Sub-Classing erklären lassen (siehe Kapitel 1.1).
Fazit Zwei Drittel der Personalverantwortlichen sagen, dass sie Reduzierungswünsche mit "Wohlwollen" prüfen (würden) und bekunden damit eine große grundsätzliche Bereitschaft, Teilzeitanträge umzusetzen. Allerdings wird der Rechtsanspruch nur bei rund einem Viertel der Personalverantwortlichen als Vorgabe gesehen, aufgrund dessen dem Mitarbeiter-Wunsch nachzukommen ist, soweit keine gewichtigen betrieblichen Gründe dagegen sprechen. Die große Mehrheit betrachtet Teilzeit dagegen als Verhandlungsgegenstand, bei dem die Argumente des Antragstellers gegen die betrieblichen Argumente abgewogen werden und der Personalverantwortliche das letzte Wort hat. Auffällig ist der Unterschied zwischen den gesamtwirtschaftlichen Vermutungen zu den Effekten von Arbeitszeitreduzierungen und der eigenen Handlung(-sabsicht). Es scheint, dass die Urteile über volkswirtschaftliche Zusammenhänge eher mit politischen Überzeugungen verbunden sind und von direkten Erfahrungen weniger berührt werden. Wie eingangs bereits erwähnt, ist auffällig, dass kaum zwischen den verschiedenen Gesetzesgrundlagen der Teilzeitarbeit unterschieden wird. In der Praxis scheint es nicht relevant zu sein, ob Teilzeitarbeit nach dem TzBfG oder eine Elternteilzeit nach dem BEEG (zum Erhebungszeitpunkt noch Bundeserziehungsgeldgesetz) beantragt wird. Die Trennung nach den verschiedenen Rechtsgrundlagen ist bei den Personalverantwortlichen nicht präsent und so gesehen sind die geäußerten Urteile nicht spezifisch auf das TzBfG zu betrachten, sondern schließen Urteile über die Elternteilzeit und 259
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit
teilweise auch über Teilzeit für behinderte Mitarbeiter nach SGB IX und über die Altersteilzeit mit ein.
Literatur Bielenski, H./Bosch, G./Wagner, A. (2002): Wie die Europäer arbeiten wollen: Erwerbs- und Arbeitszeitwünsche in 16 Ländern. Campus Verlag: Frankfurt. Deutscher Industrie- und Handelskammer (2001): Mehr Konflikte, weniger Flexibilität. Erfahrungen mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Ergebnisse einer DIHK-Unternehmensbefragung. DIHK: Berlin. Eagly, A., H./Chaiken, S. (1993): The Psychology of Attitudes. Harcourt Brace College Publishers: Orlando. Freyssinet, J./Michon, F. (2003): Überstunden in Europa [Overwork in Europe]. European industrial relations observatory on-line. 2/2003. Holst, E./Schupp, J. (2002): Arbeitszeitwünsche schwanken mit der Konjunktur. Wochenbericht. 69. S. 370-373. Innreiter-Moser, C./Littringer, M.,/Stummer, H. (2006): Führung in Teilzeit. Geschlechtsspezifische und organisationale Bedingungen. In: Bendl, R. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre und Geschlechterforschung - Verortung geschlechterkonstituierender (Re)Produktionsprozesse zur Standortbestimmung der Betriebswirtschaftslehre. Peter Lang Verlag: Frankfurt/Main. S. 93116. Janßen, D./Nachreiner, F. (2004): Flexible Arbeitszeiten. Bremerhaven, Wirtschaftsverlag Nordwest. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA). Janßen, P. (2004): Arbeitsrecht und unternehmerische Einstellungsbereitschaft. (Rep. No. 2/2004). Kattenbach, R./Demerouti, E./Nachreiner, F. (2007): Flexible Working Times: Effects on employee's Exhaustion, Work-Nonwork Conflict and Job Performance. (bislang unveröffentlichte Arbeit). Magvas, E./Spitznagel, E. (2002): Teilzeitarbeit - Neues Gesetz bereits im ersten Jahr einvernehmlich umgesetzt (Rep. No. 23/2002). Bundesagentur für Arbeit: Nürnberg. Peinelt-Jordan, K. (1996): Männer zwischen Familie und Beruf: ein Anwendungsfall für die Individualisierung der Personalpolitik. Hampp: München/Mering. Schramm, F. (2007): Das Arbeitsrecht in der öffentlichen Wahrnehmung – ausgewählte Ergebnisse. Recht der Arbeit. Heft 5. München: Beck. S. 267-275. Seifert, H. (2005): Arbeitszeitpolitischer Modellwechsel: Von der Normalsarbeitszeit zu kontrollierter Flexibilität. In Seifert, H. (Hrsg.): Flexible Zeiten in der Arbeitswelt. Campus Verlag: Frankfurt. S. 40-66. 260
2.5 Arbeitszeitkonflikte und Umgang mit Teilzeitarbeit Strümpel, B./Prenzel, W./Scholz, J.,/Hoff, A. (1988): Teilzeitarbeitende Männer und Hausmänner. Motive und Konsequenzen einer eingeschränkten Erwerbstätigkeit von Männern. edition sigma: Berlin. Van Dongen, W. (2005): Development of the combination model in EU countries and the combination policies in organisations Budapest: Conference TLM.NET. Wanger, S. (2004): Teilzeitarbeit - Ein Gesetz liegt im Trend (Rep. No. 18/2004). Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.
261
2.6 Organisationales Lernen
Kapitel 2.6: Organisationales Lernen Carmen Krawetzki
1
Einleitung
In den letzten Jahrzehnten besteht für Unternehmen ein wachsender Veränderungsdruck durch eine immer komplexer werdende Umwelt. Unternehmen können diese Veränderungen als Chance oder Bedrohung empfinden - ausweichen können sie den Veränderungen nicht. Überleben oder sogar erfolgreich sein heißt, sich auf eine Phase des Wandels einzustellen (vgl. Dierkes 1992: 19). Unternehmen begegnen diesem Veränderungsdruck durch Lernen. Grundsätzlich lassen verschiedene Lernarten unterscheiden. Lernen ist nach der behavioristischen Stimulus-Response-Theorie ein Prozess der Fehlererkennung und -korrektur als Reaktion auf eine angetroffene Situation. Hingegen gehen kognitive Lerntheorien davon aus, dass Menschen über Wahrnehmung, Erkennen und Nachdenken die Umweltsignale verarbeiten und so zu Einsichten kommen, die verhaltensändernd wirksam werden. Nicht nach dem Trial-and-ErrorPrinzip wird gelernt, sondern der Mensch strukturiert die Wahrnehmung seiner Umwelt entsprechend den von ihm gespeicherten Plänen seiner Umwelt. Lernen ist dann kein bloßes Konditionieren mehr, sondern Problemlösungsverhalten auf der Basis von Erwartungen über Umweltzustände. (vgl. Wahren 1996: 43ff.; Krebsbach-Gnath 1996: 15ff.) Die Frage ist heute nicht mehr, ob eine Organisation lernen soll oder muss, sondern ob sie in der Lage ist, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sie rechtzeitig, schneller und besser als die Konkurrenz lernt (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 5). Auch das Arbeitsrecht ist im Detail einem außerordentlich schnellen Wandel unterworfen (vgl. Gamillscheg 1997: VII). Um gegenüber Umweltveränderungen stets angepasst und damit wettbewerbsfähig zu bleiben, ist in Unternehmen eine stetige organisatorische Anpassung, ein organisatorischer Wandel erforderlich. Es wird davon ausgegangen, dass in heutigen Unternehmen der Wandel mehr und mehr zu einer permanenten Anforderung an Steuerung und Entwicklung wird (vgl. Schreyögg 2003: 543ff.). Nach dem situativen Ansatz der Organisationsforschung stellen neben Recht und Rechtsänderungen technologische Entwicklungen, makroökonomische und politische Entwicklungen, sozialstrukturelle und kulturelle Entwicklungen etc. relevante Umweltvariablen dar. Betriebe reagieren auf eine veränderte Umwelt, wenn ein entsprechender Handlungsbedarf wahrgenommen wird und setzen diesen u. a. in personalwirtschaftliche Entscheidungen um (vgl. Schramm/Zachert 2005: 482f.). Dabei handelt es 262
2.6 Organisationales Lernen
sich in der Regel in arbeitsteiligen Unternehmen nicht um individuelle Entscheidungen, sondern um organisationale Prozesse einer innerbetrieblichen Entscheidungsfindung. Die Komplexität bestehender Strukturen hat dazu geführt, dass auch in personalwirtschaftlichen Entscheidungsprozessen ein zunehmendes Maß an Wissen notwendig ist, um beabsichtigte Wirkungen zu erzielen. Damit wird die Vergrößerung der Wissensbasis in Organisationen zu einem Hauptthema der Zukunft (vgl. Probst/Büchel 1998: 3ff.). Änderungen des Arbeitsrechts stellen zudem soziale Innovationen dar, die sich in Abhängigkeit von den Akteuren und deren Situation in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Geschwindigkeit verbreiten und bewähren. Insofern handelt es sich bei der Adaption und Diffusion von Arbeitsrecht um Prozesse organisationalen Lernens (vgl. Wiegand 1996). Der stetige Wandel und die Veränderung von Strukturen verdeutlichen, dass der dauerhafte Ausbau einer Wissensbasis durch vermehrtes Wissen nicht ausreicht, sondern dass eine Anpassung notwendig ist, die bestehendes Wissen immer wieder in Frage stellt und neu strukturiert (vgl. Probst/Büchel: 1998: 6). Die Auswertung der 41 Experteninterviews soll nun zum näheren Verständnis beitragen, wie Organisationen Arbeitsrecht bzw. arbeitsrechtliche Änderungen aufnehmen, auf welcher Wissensbasis personalpolitische Entscheidungen getroffen werden und wie unternehmerische Personalstrategien an arbeitsrechtlichen Änderungen angepasst werden. Hierfür wird das Konzept der lernenden Organisation als Leitgedanke herangezogen. Es geht von der Idee aus, dass die Basis von Leistungsorganisationen das Lernen ist. Das organisatorische Geschehen ist ein Komplex, der aus fortlaufenden, untereinander vielfältig verknüpften, Lernprozessen besteht (vgl. Schreyögg 2003: 543ff.). Der organisatorische Wandel von Unternehmen wird durch das Lernen bestimmt. Es wird also davon ausgegangen, dass Unternehmen, die Know-how aufbauen, gezielt einsetzen und lernen, sich besser an die stetig wandelnde Umwelt anpassen können. Das Lernen stellt im Rückschluss einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil dar. Bei der thematischen Eingrenzung des Organisationslernens auf die betriebliche Anwendung von Arbeitsrecht wird zwar auf den organisationalen Rahmen abgestellt, es spielen jedoch ausgewählte betriebliche Akteure eine ausschlaggebende Rolle. An Personalentscheidungen können sich in der Regel verschiedene Akteure beteiligen: Dies ist zum einen die Geschäftsführung, je nach Größe und Organisationsform des Unternehmens interne Personalabteilungen oder externe Personalberater sowie die jeweiligen Führungskräfte. Um Lernprozesse in Unternehmen zu verstehen, ist es auch von Wichtigkeit, die betrieblichen Entscheidungswege unter Berücksichtigung der unterschiedlichen organisatorischen Anbindung der Funktion „Personal“ nachzuzeich263
2.6 Organisationales Lernen
nen (vgl. Bruns 1998: 10ff.). So können Handlungsansätze im Umgang mit Arbeitsrecht lokalisiert werden. Lernfähige Organisationen brauchen Manager, die selbst lern-, dialog- und konfliktfähig sind. Eine rasche Anpassungsfähigkeit erfordert flexible und wandlungsfähige Strukturen sowie qualifizierte und entwicklungsfähige Mitarbeiter (vgl. Alewell 2001: 572ff.). Zu Beginn der Auswertung der Experteninterviews werden daher die personellen Ressourcen für das Personalmanagement sowie die organisatorischen Entscheidungsstrukturen der befragten Unternehmen als Basis zu Grunde gelegt. Nachfolgend wird erforscht, welches Know-how das Unternehmen in Bezug auf das Arbeitsrecht einsetzt und wie sich das Unternehmen Kenntnisse aneignet, um den eigenen Wissenstand zu erhöhen. Hierfür wird der arbeitsrechtliche Sachverstand untersucht, in dem die Art des Sachverstandes, der Zeitpunkt des Einsatzes sowie die Informationsaufnahme der Unternehmen in Bezug auf Arbeitsrecht überprüft werden. Im Anschluss wird ausgewertet, wann Unternehmen sich mit arbeitsrechtlichen Änderungen auseinandersetzen, ob sie diese vorausschauend in ihre unternehmerischen Planungen einbeziehen und die Personalstrategie des Unternehmens beeinflussen. Ein bewusst vorausschauender und strategischer Umgang mit Arbeitsrecht kann zeigen, dass Unternehmen in Bezug auf Arbeitsrecht produktiv lernen. Zum Abschluss wird die Kommunikation von arbeitsrechtlichen Kenntnissen der betrieblichen Akteure im Unternehmen geprüft, um festzustellen, inwieweit dass Wissen über Arbeitsrecht in der Organisation verankert wird. Die Auswertungen werden mit beispielhaften Zitaten gestützt.
2
Ressourcen und Strukturen
In diesem Abschnitt werden die Ressourcen in Unternehmen, die sich mit Arbeitsrecht und dessen Umsetzung befassen, untersucht. Während die Komplexität der Umwelt steigt, geraten die Unternehmen gleichzeitig auch auf der Kostenseite unter Druck und sind zu äußerst sparsamem und effizientem Einsatz aller vorhandenen Ressourcen gezwungen. Diese Schere zwischen den steigenden Anforderungen einerseits und dem Zwang zu sparsamem Ressourceneinsatz andererseits öffnet sich auch in der Personalarbeit (vgl. Alewell 2001: 572ff.). Arbeitsrechtliche Ressourcen können sehr unterschiedlich in Unternehmen organisiert sein. In einigen Unternehmen sind arbeitsrechtliche Ressourcen zentral z.B. in einer Personal- oder Rechtsabteilung angebunden. Andere Unternehmen halten derartige Ressourcen dezentral, z.B. in Form eines Rechtsanwaltes, vor. Zum Einsatz von Ressourcen in der Personalarbeit hat ein empirisches Forschungsprojekt der Universität Jena veröffentlicht, dass 30% der antwortenden Unternehmen 264
2.6 Organisationales Lernen
maximal eine Vollzeitpersonalfachkraft je 200 Mitarbeiter einsetzen, d.h. bis zu 0,5% der Belegschaft. 40% der Unternehmen zwischen 0,5% und 1% sowie weitere 25% der Unternehmen besetzen zwischen 1% und 2% ihrer Stellen mit Personalfachleuten. In diesem Forschungsprojekt wurde noch genauer gefragt, wie viele Mitarbeiter sich schwerpunktmäßig mit arbeitsrechtlichen Fragen beschäftigten. 43% der antwortenden Unternehmen haben maximal eine Vollzeitstelle für Arbeitsjuristen je 1.000 Mitarbeiter, d.h. bis zu 0,1% der Belegschaft. Weitere gut 40% der Unternehmen besetzen zwischen einer und fünf Stellen pro 1.000 Mitarbeiter mit Arbeitsjuristen. Nur in 16% der Unternehmen stellen die Arbeitsjuristen einen Anteil von mehr als 0,5% an der gesamten Belegschaft dar (vgl. Alewell 2001: 572ff.). Um die Verarbeitung arbeitsrechtlicher Informationen in Unternehmen zu bewerten, werden nachfolgend die vorhandenen Ressourcen für das Aufgabengebiet Personal dargestellt. Darüber hinaus werden die organisatorischen Strukturen untersucht, wie und mit welchen Beteiligten in den interviewten Unternehmen personalwirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden. Von den 41 befragten Unternehmen halten 26 Unternehmen personelle Ressourcen in Form von Stellen für das Aufgabengebiet Personal vor. Die Anzahl der Mitarbeiter in den Personalabteilungen reicht von zwei bis 30 und steigt mit der Größe des Unternehmens. Von den 26 Personalabteilungen hat der größte Anteil zwischen zwei und fünf Mitarbeiter (11 Unternehmen), 10 Unternehmen haben zwischen fünf und 10 Mitarbeiter und drei über 10 Mitarbeiter30. Im Schnitt wird ca. 1% der Stellen in den befragten Unternehmen mit Personalfachleuten besetzt und entspricht in etwa den Ergebnissen der Untersuchung der Universität Jena. Die gesamte Anzahl der 12 Großunternehmen31 haben eine Personalabteilung. Von den mittleren Unternehmen setzen 14 für das Aufgabengebiet Personal ebenfalls Ressourcen ein. Die Auswertung der Stichprobe zeigt, dass die Existenz ab einer Unternehmensgröße von über 50 Mitarbeitern und größer zum Tragen kommt. Die kleinen Unternehmen halten keine Personalressourcen für das Aufgabengebiet vor. Ein näherer Blick auf die organisatorischen Strukturen in den interviewten Unternehmen zeigt, dass in größeren Unternehmen im alltäglichen Geschäft der Anstoß für personalwirtschaftliche Entscheidungen überwiegend aus den Fachabteilungen vor Ort kommt und Veränderungsbedarfe an die Personalabteilung herangetragen werden. Die Personalabteilung nimmt überwiegend eine beratende und moderierende Funktion ein,
30 31
Von zwei Unternehmen ist die Anzahl nicht bekannt. In diesem Beitrag wird die Unterscheidung zwischen Großunternehmen (ab 250 Mitarbeiter), mittleren (50-249) und Kleinunternehmen (10-49) nach der EU-Definition genutzt.. 265
2.6 Organisationales Lernen
führt mit den beteiligten Personen wie Führungskräften, Geschäftsführern und ggf. dem Betriebsrat eine Entscheidung herbei und leitet die Umsetzung der Entscheidung in die Wege. Diese Abläufe sind in den Unternehmen unterschiedlich stark strukturiert und die Einbindung des Personalmanagements in unternehmerische Entscheidungsprozesse scheint unterschiedlich stark ausgeprägt zu sein. Zwei Unternehmen berichten beispielsweise von fest terminierten Unternehmensplanungsgesprächen vor Jahresbeginn, an denen auch ein Vertreter der Personalabteilung teilnimmt. In mittleren Unternehmen sind die internen Abläufe von der Größe des Unternehmens und dem Vorhandensein einer Personalabteilung abhängig und entsprechen bei dem Vorhandensein einer Personalabteilung den Abläufen großer Unternehmen und ohne derartige Ressourcen den Abläufen in kleinen Unternehmen. In kleinen Unternehmen trifft die Geschäftsführung aufgrund der aktuellen Unternehmenssituation meist allein oder in enger Abstimmung mit wenigen Vertrauten im Unternehmen eine Personalentscheidung. Die Auswertung der Unternehmensstrukturen zeigt, dass mit der Größe des Unternehmens die absolute Anzahl der Ressourcen für die Personalarbeit zunimmt. Jedoch ist bei den mittleren Unternehmen, die eine Personalabteilung haben, die Anzahl der Ressourcen relativ zu der Anzahl an Mitarbeitern am größten. Insgesamt wird unterstellt, dass je höher die Anzahl an Personalressourcen ist, Unternehmen bessere Chancen haben, sich intensiver mit Arbeitsrecht auseinanderzusetzen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass in größeren Unternehmen die Anzahl der an Personalentscheidungen Beteiligten zunimmt und die Gefahr von Informationsverlusten und Störungen in Lernprozessen steigt. Dies kann nur durch strukturierte Kommunikationsprozesse verhindert werden.
3
Arbeitsrechtlicher Sachverstand
3.1
Art des arbeitsrechtlichen Sachverstandes
Es wird unterstellt, dass nicht nur das Vorhandensein entsprechender Ressourcen, sondern auch die Qualität bzw. Qualifikation eine ausschlaggebende Rolle für den Umgang mit Arbeitsrecht in Unternehmen spielt. Aus diesem Grund wird nachfolgend ausgewertet, auf welchen arbeitsrechtlichen Sachverstand Unternehmen zurückgreifen. Zur Auswertung der Antworten wurden sieben Antwortkategorien gebildet, denen die Antworten der Interviewpartner zugeordnet wurden. Am häufigsten (29) wurde von den 266
2.6 Organisationales Lernen
Interviewpartnern die Kategorie Arbeitsrechtsanwälte bzw. Rechtsanwaltskanzleien genannt. Am zweit häufigsten (15) wurden Arbeitgeber- und Unternehmensverbände genannt. Danach folgen 11 Unternehmen, die den arbeitsrechtlichen Sachverstand außerhalb einer Personalabteilung aus einer Rechtsabteilung oder vom Mutterkonzern nutzen (nur mittlere und große Unternehmen). 10 Unternehmen geben an, den arbeitsrechtlichen Sachverstand der Personalabteilung des eigenen Unternehmens zu nutzen (nur mittlere und große Unternehmen). Drei Unternehmen geben an, persönliche Kontakte z.B. zu anderen Personalern einzusetzen (nur mittlere und kleine Unternehmen). Jeweils zwei Unternehmen geben an, in diesem Zusammenhang Kontakte zu Gewerkschaften (nur mittlere und große Unternehmen) oder zum Steuerberater (nur kleine und mittlere Unternehmen) zu nutzen. Die Nennung von Gewerkschaften und Steuerberatern erfolgt immer in Kombination mit einer anderen Nennung Große Unternehmen greifen überwiegend auf ihren eigenen Sachverstand (sieben) zurück oder den von Anwälten (sechs) sowie Verbänden/Gewerkschaften (vier) oder weiterem Unternehmenssachverstand, wie z.B. Rechtsabteilungen (vier). Die Kombination der Nennung von eigenem Sachverstand und Verbänden (vier) sowie eigenem Sachverstand und Rechtsanwälten (drei) tritt am häufigsten auf. Mittlere Unternehmen geben an, überwiegend auf den Sachverstand von Rechtsanwälten (19) und Verbänden (sieben) zurückzugreifen. Die Kombination der Nennungen Rechtsanwälte und Verbände (sechs) sowie Rechtsanwälte und Gewerkschaften (fünf) tritt am häufigsten auf. Kleine Unternehmen greifen überwiegend auf den Sachverstand von Rechtsanwälten (vier) zurück. Bei der Untersuchung des arbeitsrechtlichen Sachverstandes in Unternehmen ist darüber hinaus die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Problem zu lenken: Zum richtigen Umgang im Rechtssystem wird eine juristische Ausbildung abgeschlossen, um im Wirtschaftssystem erfolgreich agieren zu können, wird eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung absolviert. Wird nun ein Blick auf die Praxis in Unternehmen geworfen, ergibt sich folgendes Bild: Nur ein geringer Teil der für arbeitsrechtliche Fragestellungen zuständigen Personen hat eine juristische Ausbildung. In den 41 Unternehmen wurden 18 Personalleitungen, 16 Geschäftsführungen, eine Person, die sowohl die Aufgaben einer Personalleitung und als auch der Geschäftsführung innehat, und fünf Personen, die anderweitig mit dem Thema Personal im Unternehmen befasst sind, befragt. Von den befragten Personen haben insgesamt sechs eine juristische Ausbildung, vier Personalleitungen, zwei Geschäftsführungen und die Person, die beide Funktionen abdeckt. 267
2.6 Organisationales Lernen
Hier ist ein Systembruch erkennbar. Eine überwiegende Anzahl an Nichtjuristen befasst sich mit rechtlichen Fragestellungen. Möglicherweise ist dort das Problembewusstsein für arbeitsrechtliche Fragestellungen nicht so stark ausgeprägt bzw. stehen eher wirtschaftliche Fragestellungen im Vordergrund. Darüber hinaus wurden die Interviewpartner befragt, wie sie ihre arbeitsrechtlichen Kenntnisse einschätzen. 12 Personen schätzen ihre arbeitsrechtlichen Kenntnisse als „sehr gut“, 11 Personen „gut“, 10 Personen „mittelmäßig“, sechs Person „eher schlecht“ und zwei Personen „schlecht“ ein. Von den sechs befragten Juristen schätzen fünf ihre arbeitsrechtlichen Kenntnisse als „sehr gut“ ein, eine Person „gut“. Von den 19 Personalleitungen schätzen 10 ihre arbeitsrechtlichen Kenntnisse als „sehr gut“, drei „gut“, drei „mittelmäßig“, zwei „eher schlecht“ und eine Personen „schlecht“ ein. Große Unternehmen schätzen ihre arbeitsrechtlichen Kenntnisse am besten ein (acht „sehr gut“, zwei „gut“, zwei „eher schlecht“). Mittlere Unternehmen schätzen ihre Kenntnisse im Schnitt eher mittelmäßig ein (vier „sehr gut“, sechs „gut“, acht „mittelmäßig“, drei „eher „schlecht“, zwei „schlecht“). Die Kleinunternehmen schätzen ihren eigenen Wissenstand in Bezug auf Arbeitsrecht scheinbar mindestens gleich den mittleren Unternehmen ein (drei „gut“, zwei „mittelmäßig“, eines „eher schlecht“). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die befragten Unternehmen überwiegend auf qualifizierten arbeitsrechtlichen Sachverstand zurückgreifen. Von großen Unternehmen werden die eigenen Ressourcen verstärkt genutzt, wobei mittlere und kleine Unternehmen zum großen Teil auf Rechtsanwälte ausweichen. Bezeichnend ist, dass nur 10 von 26 Unternehmen mit Personalabteilung auf den eigenen Sachverstand trotz Personalabteilung hinweisen. Dies betrifft immerhin 11 mittlere Unternehmen. Die Auswertung der von den Interviewpartnern eingeschätzten eigenen arbeitsrechtlichen Kenntnisse zeigt, dass die Hälfte diese mindestens mit „gut“ bewertet. Unter Berücksichtigung der Funktionen der Gesprächspartner im Unternehmen ist jedoch die starke Streuung der Notengebung auffällig, da immerhin acht Personen zum Teil mit Funktion der Personalleitung ihre Kenntnisse als „eher schlecht“ oder „schlecht“ einschätzen. Bemerkenswert ist auch, dass die kleinen Unternehmen im Durchschnitt ihre Kenntnisse gleich den mittleren Unternehmen einschätzen, obwohl keiner der Befragten in den kleinen Unternehmen eine juristische Ausbildung hat. Die Auswertung der von den Interviewpartnern subjektiv eingeschätzten eigenen arbeitsrechtlichen Kenntnisse kann hier lediglich als ergänzende Information nicht als Beweis der Qualifikation gewertet werden.
268
2.6 Organisationales Lernen
3.2
Einsatz des arbeitsrechtlichen Sachverstandes
Im vorhergehenden Abschnitt wurde ausgewertet, welcher arbeitsrechtliche Sachverstand den Unternehmen zur Verfügung steht. Bei der Untersuchung von Lernprozessen ist jedoch auch ausschlaggebend, wann dieser abgerufen bzw. eingesetzt wird. Vier Unternehmen geben an, ausschließlich auf den eigenen arbeitsrechtlichen Sachverstand in den Personalabteilungen zurückzugreifen. 35 Unternehmen haben sich bei der Beantwortung der Frage auf die Hinzuziehung des arbeitsrechtlichen Sachverstandes außerhalb des Unternehmens bezogen. Um eine Bewertung vornehmen zu können, wurden zur Systematisierung fünf Antwortkategorien gebildet. Drei Unternehmen geben an, nur selten auf arbeitsrechtlichen Sachverstand zurückzugreifen. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Unternehmen mittlerer Größe. Die Interviewpartner waren keine Juristen und die Unternehmen haben keine Personalabteilungen. „Ach das wird nicht häufig gemacht.“ (Int. 4) „Eigentlich nur, wenn wir ein Problem haben und zum Glück haben wir sehr selten Probleme, dass wir da nicht immer drauf zurückgreifen müssen. Aber, wie gesagt, die Möglichkeit besteht, dass wir jederzeit da anrufen können.“ (Int. 11)
Bei der angegebenen Qualifikation kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Interviewpartner arbeitsrechtlich derart gut qualifiziert sind, dass eine Hinzuziehung arbeitsrechtlichen Sachverstandes nicht notwendig wäre. Es ist davon auszugehen, dass Arbeitsrecht in diesen Unternehmen als Instrument nicht wichtig zu sein scheint, allerdings offenbar nach dem Prozess der Fehlererkennung und -korrektur noch keine Gegensteuerung eingetreten ist. Es ist fraglich, ob die eingetretenen Fehler nicht gravierend waren oder ob diese als Fehler nicht erkannt wurden. 12 Unternehmen geben an, auf arbeitsrechtlichen Sachverstand bei Bedarf bzw. im konkreten Einzelfall zurückzugreifen. Dabei gehen die Unternehmen aktiv auf Anwälte bzw. Verbände zu, um Informationen zu erhalten. Hierbei handelt es sich um siebenmittlere, drei kleine und zwei große Unternehmen. „Wobei ich sagen muss, wenn es konkret um Entscheidung oder Fragen geht, dann ruf ich ihn an. Konkret würde ich … wenn es konkret um irgendwelche Dinge geht, also Abmahnung, erstmal wenn jemand abgemahnt werden musste, … kritischer Umstand das Ganze, muss man sich anwaltlich absichern. (Int. 1) „Ja. Also, im Einzelfall, wenn ... wenn irgendwas anliegt und beziehungsweise wenn man einen Vertrag ausarbeitet, einen neuen Mitarbeiter einstellt, man eine neue Klausel eingehen will oder so was, dann hole ich mir dann da eigentlich immer Rückendeckung, dass es dann auch richtig ist, was ich da mache.“ (Int. 5) „…eigentlich fallbezogen, wenn irgendein Sonderproblem auftaucht, was hier nicht so Standard ist. (Int. 16)
269
2.6 Organisationales Lernen „Und wenn ich eine Auslegungsfrage habe, was ja auch oft der Fall ist, wie sieht es in unserem Fall aus, dann spreche ich mit unserem Juristen, unterhalte mich mit ihm, stimme mich mit ihm ab.“ (Int. 28)
Diese Unternehmen lernen eher punktuell bei Bedarf an Einzelfällen unter Hinzuziehung von externem Sachverstand. In Einzelfällen wird so versucht, Fehlentscheidungen zu vermeiden. In sechs Interviews gab es Hinweise darauf, dass sich die Interviewpartner nicht nur in konkreten Einzelfällen, sondern auch grundsätzlicher arbeitsrechtlich beraten lassen, z.B. zur Überarbeitung von Arbeitsverträgen. Dies geben jeweils zwei Unternehmen der verschiedenen Unternehmensgrößen an. „Ich hab mich dann mit unserem, mit einem Rechtsanwalt zusammengesetzt, der Arbeitsrecht macht. Der hat mir auch neue Arbeitsverträge ausgearbeitet.“ (Int. 2) „Und ich habe da halt eine Frau bei der Knappschaft, die mich dann immer informiert, wo ich dann auch anrufen kann: ‚Das verstehe ich jetzt nicht hier. Können Sie mir mal erklären?’, und über die Medien, klar, kriegt man natürlich viel mit, auch das damals von den 325 Euro auf die 400 Euro ging und so weiter. Das haben wir alles schon verfolgt. (Int. 7) "Ja, typischerweise ist das halt, wenn neue Projekte anstehen. Und zwar im Rahmen der Akquisitionsphase.“ (Int. 39)
Diese Unternehmen haben offensichtlich Erfahrungen gemacht, die für eine frühzeitige Aktion sprechen. Hier wurden Fehler erkannt und versucht Fehler frühzeitig zu vermeiden. In den Interviews von 10 Unternehmen gab es Hinweise darauf, dass der arbeitsrechtliche Sachverstand eingesetzt wird, wenn die Gefahr einer gerichtlichen Auseinandersetzung droht. Überwiegend werden Fälle genannt, bei denen eine Kündigung ansteht oder z.B. ein Sozialplan erarbeitet wird. Dies wird fast ausschließlich von mittleren Unternehmen angegeben (neu), wobei davon sieben eine eigene Personalabteilung haben. „Sagen wir mal, so, wie jetzt zum Beispiel bei uns das größere Thema, die ERA einführen, Entgelt-Rahmen-Abkommen, Zusammenführung von Arbeitern und Angestellten in eine Tarifgruppe. Wenn da jetzt rechtliche Auseinandersetzung wäre, da muss man den Anwalt mit reinholen, weil es da Dinge gibt, die man einfach vielleicht jetzt am Anfang mal ein bisschen schwer deuten kann, wie ... wie die Tarifvertragsparteien das deuten. … Also, in dem Moment, wo wir kurz vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung stehen.“ (Int. 12) „Sobald es im Betrieb kneift. Sobald es Diskrepanzen zwischen Mitarbeiter und … zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sobald da irgendwelche Sachen entstehen, nimmt man sich das Arbeitsrecht vor, schaut nach, was kann ich hier machen und beziehungsweise dann im Falle, so ist es ja meistens dann, also bei uns ist es so, im Fall einer Kündigung, dann, wenn es zum Arbeitsrecht kommt. Also, wo das Ganze, sage ich einmal, vor Gericht geht. Aber nur dann.“ (Int. 22) „Ja, immer in Fragen, wenn also eine Kündigung ansteht oder anstand, wie groß, also, wie wir abschätzen können, dass es also zur Klage kommt, wo wir natürlich unsere Rechtsanwälte befragen, wie ist die Chance, was müssen wir machen, damit wir einen möglichen Prozess auch dort beginnen? Und das schätzen die dann ein. Und sagen und das dann entsprechend.“ (Int. 26)
270
2.6 Organisationales Lernen „Also zunächst mal hat man ja einen Erfahrungsschatz im Laufe der Zeit angesammelt, der wird natürlich zunächst mal angezapft, ansonsten wie gesagt, kann man ja was noch mal nachschauen oder wenn es komplizierter wird, dann wird halt der Anwalt angerufen… Also in der Regel übergebe ich es dem Anwalt nur, wenn es wirklich zu einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung kommt. Da auch nicht in allen Fällen. Dann wird es an den Anwalt übergeben. Ansonsten lassen wir das meiste so." (Int. 34)
Offenbar existiert bei einer Vielzahl Unternehmen eine Schwelle, an der die Notwendigkeit einer Umsteuerung erkannt wird und es zum Lernen kommt. Dies scheint hier das Moment der gerichtlichen Auseinandersetzung zu sein. In vier Interviews konnten Hinweise auf einen regelmäßigen gegenseitigen Austausch ausgewertet werden. „Und ansonsten machen wir immer alles über den Anwalt. … auch wenn mal Fragen sind und hier, was ist in dem Bereich vielleicht zu machen. Wir wollen jetzt gerade eine Probezeit bei jemandem verlängern. Ist das überhaupt erlaubt? Hat sich da schon wiederum getan? Und solche Sachen. Im gegenseitigen Einvernehmen, die Dame bat darum, ob die Probezeit verlängert werden könnte, weil sie den ... eigentlich diesen Druck nicht aushält. Sie hat ein kleines Kind, lebt alleine, und dann ... und dann hm, und passt das Ganze? Da wollte sie die Probezeit verlängert, musste ich erst mal überprüfen lassen. Ist das möglich, dass die Probezeit über 6 Monate verlängert werden kann? Und dann mache ich kurz eine E-Mail an den Anwalt, und der antwortet dann relativ zügig.“ (Int. 8) „Also, es gibt einen nahezu ... also, regelmäßigen Kontakt, der also mindestens einmal die Woche ist. Es gibt immer wieder Anfragen für ... für bestimmte Dinge. Und es gibt einen regelmäßigen Austausch, wenn entscheidende Dinge im Arbeitsrecht sich verändern, sodass wir also nicht nur den Gesetzestext, sondern auch die Interpretation dann eben aus dieser Kanzlei bekommen.“ (Int. 13)
Diese Unternehmen versuchen nicht nur punktuell mit dem Arbeitsrecht umzugehen, sondern eignen sich stetig das notwendige Know-how an, um ein Problemlösungsverhalten auf der Basis von Erwartungen über Umweltzustände entwickeln zu können. Große Unternehmen nutzen überwiegend ihren eigenen arbeitsrechtlichen Sachverstand (drei) oder informieren sich grundsätzlich über Themen (zwei) und setzen den arbeitsrechtlichen Sachverstand erst bei Bedarf ein (zwei). Mittlere Unternehmen setzen externen arbeitsrechtlichen Sachverstand überwiegend erst ein, wenn eine gerichtliche Auseinandersetzung droht (neun) oder wenn ein konkreter Einzelfall geklärt werden muss (acht). Drei Unternehmen geben an, arbeitsrechtlichen Sachverstand selten einzusetzen. Kleine Unternehmen setzen arbeitsrechtlichen Sachverstand überwiegend bei konkreten Anlässen ein (drei) oder zur Information bei Grundsatzthemen. Es kann festgestellt werden, dass in großen Unternehmen der arbeitsrechtliche Sachverstand im Vergleich stetiger eingesetzt wird. Bemerkenswert ist auch hier, dass der überwiegende Teil der mittleren Unternehmen nicht auf den Sachverstand der eigenen Personalabteilung eingeht, so dass der Eindruck entsteht, dass arbeitsrechtlicher Sachverstand erst eingesetzt wird, wenn Einzelfälle nicht gelöst werden können oder arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen drohen. Bemerkenswert ist, dass drei Unternehmen mittlerer Größe scheinbar auf arbeitsrechtlichen Sachverstand regelrecht 271
2.6 Organisationales Lernen
verzichten. Einen ständigen und engen Kontakt sowie regelmäßigen Austausch mit externem arbeitsrechtlichem Sachverstand scheint es kaum zu geben.
3.3
Informationsaufnahme über weitere Quellen
Um arbeitsrechtliche Veränderungen aufnehmen und umsetzen zu können, wird unterstellt, dass Unternehmen zur Erhöhung ihrer Wissensbasis sich arbeitsrechtlich auf dem Laufenden halten müssen. Hierfür wurden die Interviewpartner befragt, welche weiteren Informationsquellen genutzt werden. 21 Unternehmen lassen sich über laufende Veröffentlichungen oder Newsletter meist online z.B. von Rechtsanwälten oder Verbänden informieren. 20 Interviewpartner geben an, auf Fachbücher bzw. Fachliteratur zurück zu greifen, acht Nennungen beziehen sich auf Gesetzestexte bzw. Loseblattsammlungen, zwei Nennungen auf Personalhandbücher. 20 Unternehmen nehmen regelmäßig an Veranstaltung oder Seminaren zu arbeitsrechtlichen Themen teil. 16 Unternehmen informieren sich über Zeitschriften wie z.B. „Arbeit und Recht“ oder „NZA“, wobei sich vier von den 15 Unternehmen auf betriebswirtschaftlich ausgerichtete Zeitschriften wie z.B. Personal beziehen. Auf das Internet greifen 13 Unternehmen zu arbeitsrechtlichen Recherchezwecken zurück. Vier Unternehmen geben als Informationsquellen die Medien/Presse an. Auf arbeitsrechtliche Vorschriften in Form von CD-Roms greifen drei Unternehmen zurück. Zwei Unternehmen erhalten Informationen über Netzwerke/Arbeitskreise. Die großen Unternehmen gaben als Informationsquellen am häufigsten die Teilnahme an Seminaren und Veranstaltungen (acht) und laufende Informationen/Newsletter (acht) sowie Zeitschriften (sieben) an. Mittlere Unternehmen informieren sich am häufigsten über Seminare und Veranstaltungen (11), laufende Informationen/Newsletter (10) sowie Internet und Zeitschriften (jeweils 10). Kleine Unternehmen informieren sich am häufigsten über das Internet (drei) und über Zeitschriften (zwei). Es scheint, als halten sich die Unternehmen überwiegend regelmäßig auf dem Laufenden und nutzen die unterschiedlichen Angebote an Informationsquellen. Die professionellen und wahrscheinlich eher kostenintensiven Informationsquellen, wie Seminare und Newsletter werden von fast allen Unternehmen mit Personalabteilungen (großen und mittleren Unternehmen) genutzt. Aber auch einige Unternehmen ohne Personalabteilung nutzen Seminare und Newsletter zur Information. Es sind einige Unternehmen zu identifizieren, die sich stark mit unterschiedlichen Informationsquellen auseinandersetzen. Jedoch zeigt sich ein Drittel der Unternehmen insgesamt eher uninformiert, da nur wenige oder keine qualitativ hochwertigen Informationsquellen angegeben werden. Hierbei handelt es sich um mittlere und kleine Unternehmen. 272
2.6 Organisationales Lernen
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Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit arbeitsrechtlichen Änderungen
Die Angabe, mit Hilfe welcher Informationsquellen sich die Unternehmen auf dem Laufenden halten, ist eher ein Indiz für die Qualität der Informationen. Mit der Frage nach dem Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit arbeitsrechtlichen Änderungen soll herausgefunden werden, wann und wie oft sich ein Unternehmen mit dem Arbeitsrecht befasst. In den Interviews wurden zu dieser Fragestellung Aussagen in Bezug auf die Rechtssprechung und dem Arbeitsrecht allgemein getätigt. Diese wurden nachfolgend separat ausgewertet. Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit der Rechtssprechung: In 37 der 41 Interviews konnten Hinweise darauf gefunden werden, wie sich die Interviewpartner mit der aktuellen Rechtsprechung auseinandersetzen. 16 Interviewpartner scheinen sich regelmäßig über die aktuelle Rechtsprechung zu informieren. Einige Interviewpartner geben an, aufgrund der Fülle von Informationen, die Überschriften „quer“ zu lesen. Die Urteile, die für das Unternehmen von Interesse sind, werden dann genauer gelesen. „Genau. Was da so ein bisschen Feedback ist. Natürlich hat man dann nur - das kennen Sie ja selber - Stichwortverzeichnis, was könnte interessant sein. So in diesem Bereich dann, nicht?“ (Int. 8) „Wir kriegen also regelmäßige vom Unternehmerverband die neuen Grundsatzurteile rübergemailt, die wir uns dann durchlesen.“ (Int.11) „Nein, die behalten wir auch im Auge. Über die AVH wird das ... passiert Folgendes: Wir kriegen in gewissen Abständen, ich kann Ihnen nicht sagen monatlich ist es nicht, wahrscheinlich vierteljährlich, bekommen wir Kurzabrisse von wichtigen Urteilen, die in der arbeitsrechtlichen Szene gesprochen worden sind.“ (Int. 14) „Wir müssen also immer gucken, wie ist zurzeit gerade die Rechtsprechung, gerade auch so bei dem Thema Zusatzvereinbarung mit Mitarbeitern. Können wir das so abfassen, müssen wir auf irgendetwas achten, müssen wir irgendetwas bedenken, müssen wir irgendetwas anpassen, ist da irgendetwas nicht so, wie es eigentlich sein müsste? Und da habe ich etwas das Problem, kriege ich immer alles mit, was da an Veränderungen ist, was an Richterurteilen da ist, an Rechtsprechung da ist oder kriegen wir irgendetwas nicht mit? Wir werden zwar von unserem Arbeitgeberverband mit entsprechendem Informationsmaterial versorgt, aber wenn Sie so ein Rundschreiben kriegen, bestehend aus 100 Seiten, dann lesen Sie sich die Überschriften durch, aber mehr machen Sie nicht damit. Mache ich auf alle Fälle nicht. So hefte ich das ab in der Hoffnung, dass ich dann irgendwann mal, wenn ich ein Problem habe, daran denke, du hast ja das Rundschreiben noch irgendwie, gucken wir mal, ob da was darin ist. Aber in der Regel rufe ich dann entweder beim Verband an, wenn die eine Rechtsabteilung habe oder ich frage hier den örtlichen Rechtsanwalt.“ (Int. 21) „Ja, also nur über die Periodika, die ich bekomme vom AVCO und Price Waterhouse. Die sind allerdings immer ziemlich umfangreich, äh, da geht einem also relativ wenig durch die Lappen. Da wir aber nicht 1.000 Leute haben, sondern viel weniger, sind die meisten Fälle nicht relevant für uns.“ (Int. 31) 273
2.6 Organisationales Lernen „Ich versuche schon, mich ständig auf dem Laufenden zu halten, weil das mit dem Abrufen, aber wenn man es braucht, das ist ja so eine Sache. Weil, wenn ich gar nicht weiß, dass da etwas ist, kann ich auch nicht danach fragen. Also ich muss zumindest wissen, dass irgendwo jetzt ein interessantes Urteil zu irgendetwas gefallen ist oder nicht. Ich merkte es mir vielleicht nicht ganz im Detail aber ich weiß dann zumindest, da war was, da kann ich nachschauen.“ (Int. 34)
11 Interviewpartner geben an, sich kaum mit der aktuellen Rechtsprechung auseinanderzusetzen. Sie reagieren entweder, wenn der Bedarf an Information entsteht oder der externe arbeitsrechtliche Sachverstand auf eine Änderung hinweist. „Also die Rechtsprechung im Grunde weniger, weil die ja meist auch Einzelfallentscheidungen betreffen, oder häufig zumindest.“ (Int. 3) INT: „Gut. Haben Sie Kontakt oder ... ja, bekommen Sie etwas mit von der Rechtssprechung im Arbeitsrecht?“ PL_01: „Ich weniger. Sie?“ PL_02: „Nein.“ PL_01: „Nein. Ich beschäftige mich damit auch nicht, um ehrlich zu sein.“ (Int. 7) „Spielt im Prinzip eine große Rolle. Nur, das ist ein Punkt, wo ich mich nicht im Detail informiere. Ich schau nicht jeden Tag die Gerichtsurteile nach. Wenn es wirklich ein größeres Thema ist, kommt es natürlich drauf an, zu wissen, wie ... gibt es da irgendwelche Rechtsurteile, die wesentlich sind jetzt. Aber das weiß denn der Jurist.“ (Int. 18) „Muss ich sagen, da kümmere ich mich sozusagen gar nicht drum. Das sind dann Impulse und Input, den ich über die Arbeitsrechtsabteilung bekomme.“ (Int. 24) „Dass ich direkt sagen könnte, die behalte ich im Auge, so viel Zeit habe ich nicht dafür. Das ist einfach so, dass ich mich drauf verlasse, mit dem Anwalt, mit dem ich schon jahrelang zusammenarbeite, dass der mich einfach über wesentliche Sachen informiert, wenn sich da wirklich im Bau oder in dem Zusammenhang, was unser Gewerk betrifft, wenn sich da grundlegende Sachen ändern.“ (Int. 41)
In 10 Interviews konnten Hinweise darauf gefunden werden, dass der Interviewpartner sich mit der Rechtssprechung auseinandersetzt, jedoch unregelmäßig. Zum einen wird die unregelmäßige Recherche mit Zeitproblemen begründet, zum anderen, dass die Urteile für den Betrieb nicht relevant seien. „Arbeit und Recht habe ich schon abonniert, ja. Aber ich bin jetzt nicht täglich auf der Suche nach neuen Gesetzesänderungen, das ist mehr bei mir so ‚on demand’ irgendwie.“ (Int. 1) „Das schon, nur das. Was ich im Grunde genommen, was ich aus Presse, aus den Medien bekomme, aus Zeitungen, wenn ich unterwegs bin lese ich viel Zeitung und les auch mal ein Fachbuch und hab auch paar Sachen mir so, ein paar Arbeitsrecht CDs mir mal bestellt, aktuelle Dinge die ich dann mal so reintue und durchsurfe, gehe mal zu Google, guck da mal ein bisschen rein, das sind so die Dinge, die ich da so mehr recherchiere, aber mehr so wenn ich Zeit habe, wenn ich Langeweile hab. Aber nicht dass ich mich so vorausschauend damit beschäftige oder, es kommt irgendwas, was bekannt gegeben wird, was geändert werden soll, dass ich dann sage, dann müsste ich ja die Firma soundso umstrukturieren, das mach ich nicht.“ (Int. 2) „Insofern, wenn wir die Information kriegen, ja… Das sind immer die gleichen Informationsquellen, ja. So tief arbeiten wir uns da nicht hinein, weil, so oft haben wir keine Problempunkte, dass man sich also ewig mit dem Thema beschäftigen muss. Glücklicherweise ist es bei uns so.“ (Int. 22) „Nur ausgewählte Fälle, also, dass ich nun ständig irgendwelche juristischen Zeitschriften blättere, um die Urteile da, also, das mache ich nicht.“ (Int. 26)
Bezogen auf die Unternehmensgröße ergibt sich folgende Verteilung: Von den großen Unternehmen setzen sich sieben regelmäßig mit der aktuellen Rechtsprechung aus274
2.6 Organisationales Lernen
einander, zwei unregelmäßig und zwei kaum. Von den mittleren Unternehmen informieren sich acht regelmäßig über die Rechtsprechung, sechs unregelmäßig und sechs kaum. Von den kleinen Unternehmen behalten eines die Rechtsprechung im Auge, zwei unregelmäßig, zwei kaum. Werden diese Ergebnisse mit der subjektiven Einschätzung der Arbeitsrechtkenntnisse verglichen, so halten sich diejenigen Interviewpartner in der Rechtsprechung auf dem Laufenden, die ihre Arbeitsrechtskenntnisse mindestens „mittelmäßig“ eingeschätzt haben (sieben „sehr gut“, fünf „gut“, vier „mittelmäßig“). Jedoch setzen sich mehrere Interviewpartner, die ihre Arbeitsrechtkenntnisse mindestens „mittelmäßig“ eingeschätzt haben, nicht mit der aktuellen Rechtsprechung auseinander (zwei „sehr gut“, vier „gut“, drei „mittelmäßig“). Die Interviewpartner, die von der Ausbildung einen juristischen Hintergrund haben, informieren sich alle regelmäßig über die aktuelle Rechtsprechung. Von den 19 befragten Personalleitungen halten sich acht in der aktuellen Rechtsprechung auf dem Laufenden. Von den 17 befragten Geschäftsführern geben dies fünf an. Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht: In allen Interviews konnten Hinweise gefunden werden, zu welchem Zeitpunkt sich die Unternehmen mit Arbeitsrecht im Allgemeinen befassen. Acht Unternehmen setzen sich kaum mit dem Arbeitsrecht auseinander. Die meisten dieser Unternehmen verweisen mangels Arbeitsrechtskenntnisse auf den Einsatz externen arbeitsrechtlichen Sachverstandes. Einige begründen den Umstand mit Zeitmangel. „Gut, also eigene Erfahrung habe ich wenig, ich beschäftige mich auch wenig mit Recht und Juristerei.“ (Int. 1) „Nein, eigentlich gar nichts. Ich handle nur aus dem Bauch.“ (Int. 2) „Loseblattsammlungen zum Personalrecht, 5 Ordner voll und so was. Also, ich habe in so ein Ding noch nie reingeguckt. Weil, im Zweifel findet man das, was man braucht, sowieso nicht da. Also, da verlass ich mich lieber drauf, dass andere Leute dann entsprechend die ... die Kenntnisse ... aktuelle parat haben und da eine ... frage ich die lieber im Zweifel.“ (Int. 5) „Nur offen gestanden, mir fehlt die Zeit, um mich da jetzt stundenlang einzulesen und... die Gesetze haben ja den Nachteil, in einem Gesetz wird immer wieder Bezug genommen auf zwei, drei andere Gesetze. Die müssen Sie dann auch wieder lesen. Da steht dann auch wieder Bezug auf das nächste Gesetz, ja? Und irgendwann verlieren Sie dann den Mut. Ja? Oder wissen nicht mehr, was im ersten Gesetz stand, wenn Sie sich bis zum fünften durchgehangelt haben. Und dann diese Zusammenhänge. Und dafür sind Anwälte da.“ (Int. 25) „Wird gerne weg geschoben. Sage ich Ihnen so ganz ehrlich, weil es dann so, ja, trocken kann man jetzt nicht sagen, aber es ist eben, weil es nicht gebraucht wird. Es ist eben dieses tägliche Geschäft mit dem ganzen Drum ... mit der Entwicklung hier, wo man sagt, es ist ein trockenes Geschäft.“ (Int. 29) 275
2.6 Organisationales Lernen „Hier hält sich niemand auf dem Laufenden. Wenn ein Problem da ist, dann wird der Anwalt anrufen oder der Arbeitgeber-Bund.“ (Int. 30)
In vier Interviews konnten Hinweise gefunden werden, dass sich das Unternehmen mit Arbeitsrecht auseinandersetzt, aber eher unregelmäßig. Als Gründe werden Zeitprobleme genannt, oder, dass das Arbeitsrecht insgesamt für das Unternehmen keine große Rolle spielt. „Nein, nur, nur wenn wir, nur im konkreten Fall wo man eben nachforscht, gibt es jetzt arbeitsrechtlich relevante Dinge, die da zu beachten sind? Ähm, aber grundsätzlich nicht, ne, im Grunde nicht.“ (Int. 4) „Das sind immer die gleichen Informationsquellen, ja. So tief arbeiten wir uns da nicht hinein, weil, so oft haben wir keine Problempunkte, dass man sich also ewig mit dem Thema beschäftigen muss. Glücklicherweise ist es bei uns so.“ (Int. 22)
In den Interviews von 28 Unternehmen waren Hinweise darauf zu finden, dass eine regelmäßige und oftmals sehr systematische Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht stattfindet. „Auf jeden Fall ist es ein permanentes Beobachten des arbeitsrechtlichen Rechts vor allen Dingen.“ (Int. 6) „Ja, aber letztendlich ist das ja so, dass man ja ständig, tagtäglich sich auf dem neuesten Stand halten muss. Und ich bin 30 Jahre dabei. Ich kann Ihnen also unter Umständen auch sagen, wie gewisse Gesetze sich entwickelt haben, das mal war und wie es heute ist. Wir haben also hier eine Onlineverbindung auch zu ... einem Personalinformationsdienst in Freiburg, wo wir dann also über alle Veränderungen, die sich ergeben, also eigentlich minutengenau … Zum anderen kriegen wir diverse Fachzeitschriften, wo wir auf dem Laufenden gehalten werden. Das ist, denke ich, auch ein Punkt, der sehr wichtig ist, wo wir also dann schnell auf Dinge reagieren können.“ (Int. 9) „Ich ... ich muss Ihnen offen sagen, im Internet recherchieren und da nachlesen, habe ich die Zeit gar nicht. Also, ich krieg am meisten ... für mich ziehe ich am meisten raus aus Seminaren. Also, einmal da alle 2 Monate für 5 Stunden freitags, das kann ich am besten verarbeiten, nicht? Und dann eben NZA, was es da alles gibt. Das nutzen wir natürlich auch.“ (Int. 10) „Okay, da hat man verschiedene Quellen. Also einmal sind wir eingebunden ins diakonische Werk. Die informieren uns über die aus ihrem Bereich kommenden Änderungen. Zweitens sind wir Mitglied im Verband diakonischer Dienstgeber Deutschland, das ist so eine, Anführungsstriche, aber wirklich nur Arbeitgeberverband, Anführungsstriche Ende, für die privatrechtlich organisierte Diakonie. Von denen bekommen wir regelmäßig Rundschreiben über alles, was sich gesetzlich ändert. Da werde ich zeitnah informiert. Und dann einfach durch Fachliteratur. Und was ich extrem nutze, ist Internet. Über Suchmaschinen und so hole ich mir viel Information. Und dann habe ich so bestimmte Standardwerke, die ich eigentlich jährlich neu anschaffe aus dem Arbeitsrecht.“ (Int. 20) „Es ist immer was anderes, die Problemstellung ist immer anders und ich informiere mich täglich, oder guck, 'wie löse ich dies, wie löse ich das - was gibt es da für Urteil?" und von daher, bin ich, was das betrifft, halte ich mich für relativ fit. Und eben diese regelmäßigen Ergänzungslieferungen kommen sowieso, die arbeite ich regelmäßig durch. Also die arbeite ich auch systematisch durch und bau die auch ein, irgendwie in meine Unterlagen, wenn ich dann über bestimmte Dinge Unterlagen habe und, besuche auch Seminare.“ (Int. 23) „Vorher hatte ich, bevor ich in diese Position gerutscht bin, hatte ich überhaupt keine Ahnung. Das liegt daran, dass man regelmäßig Veröffentlichungen bekommt, die Newsletter von den Arbeitgeberverbänden liest und so weiter und so fort, um überhaupt zu erkennen, wie viele Fallstricke es gibt, in diesem ganzen Metier. .. ich lese die Sachen diagonal, die Sachen die mich betreffen lese ich direkt, die Sachen die nachzuvollziehen sind, die bespreche ich mit der Anwältin vom Arbeitgeberverband.“ (Int. 31) 276
2.6 Organisationales Lernen „Ich versuche schon, mich ständig auf dem Laufenden zu halten, weil das mit dem Abrufen, aber wenn man es braucht, das ist ja so eine Sache. Weil, wenn ich gar nicht weiß, dass da etwas ist, kann ich auch nicht danach fragen. Also ich muss zumindest wissen, dass irgendwo jetzt ein interessantes Urteil zu irgendetwas gefallen ist oder nicht. Ich merkte es mir vielleicht nicht ganz im Detail aber ich weiß dann zumindest, da war was, da kann ich nachschauen.“ (Int. 34)
In einem Interview wurden widersprüchliche Angaben gemacht, daher konnte keine Zuordnung vorgenommen werden. In den Interviews der großen Unternehmen konnten in allen Interviews Hinweise auf eine regelmäßige Auseinandersetzung mit Arbeitsrecht gefunden werden. 16 mittlere Unternehmen setzen sich mit arbeitsrechtlichen Änderungen regelmäßig auseinander, vier Unternehmen unregelmäßig und vier Unternehmen kaum. Ein kleines Unternehmen gab an, sich regelmäßig mit Arbeitsrecht zu befassen, vier kaum. Ein kleines Unternehmen antwortete widersprüchlich. Im Vergleich zu der subjektiven Einschätzung der Arbeitsrechtskenntnisse zeigt sich folgendes Ergebnis: 12 Interviewpartner, die ihre Arbeitsrechtskenntnisse „sehr gut“ eingeschätzt haben, halten sich regelmäßig auf dem Laufenden, sechs jeweils mit der Einschätzung „gut“ und „mittelmäßig“, aber auch vier Interviewpartner die ihre Kenntnisse als „eher schlecht“ und einer „schlecht“ eingeschätzt haben, äußern, regelmäßig sich mit Arbeitsrecht auseinanderzusetzen. Auch hier zeigt sich, dass die Interviewpartner mit juristischer Ausbildung sich regelmäßig auf dem Laufenden halten. Von den 19 Personalleitungen geben dies 15 an, von den 17 Geschäftsführern neun. Von den 26 Unternehmen mit Personalabteilungen geben dies 25 an. Es ist festzustellen, dass scheinbar mehr Unternehmen sich mit arbeitsrechtlichen Änderungen allgemein als mit der aktuellen Rechtssprechung auseinandersetzen. Insgesamt gibt ein hoher Anteil der befragten Unternehmen an, sich regelmäßig über Arbeitsrecht zu informieren. Die Auswertung zeigt aber auch, dass sich einige Unternehmen kaum mit Arbeitsrecht auseinandersetzen. Es scheint sich hier die unter 1 aufgestellte Hypothese zu bestätigen, dass sich Unternehmen kaum mit Arbeitsrecht auseinandersetzen, die keine eigenen Personalressourcen haben, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und/oder arbeitsrechtliche Kenntnisse fehlen.
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2.6 Organisationales Lernen
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Vorausschauende Planung arbeitsrechtlicher Änderungen
Mit der Auswertung der vorausschauenden Planung arbeitsrechtlicher Änderungen soll herausgefunden werden, ob Unternehmen ihr arbeitsrechtliches Wissen aktiv zur Bewertung zukünftiger Entwicklungen nutzen und für das Unternehmen gewinnbringend einsetzen. Die Interviewpartner wurden danach gefragt, inwieweit sie sich vor einer arbeitsrechtlichen Änderung schon im Vorfeld mit dieser befassen und mögliche Szenarien prüfen. Das bilden von Szenarien ist ein Indiz für kognitives Lernen. Es wird nicht nach der Methode des Trial-and-Error-Prinzip gelernt. Durch die Entwicklung von Szenarien werden nach den gespeicherten Plänen der Umwelt unterschiedliche Umweltzustände simuliert, um eine für das Unternehmen erfolgreiche Entscheidung treffen zu können. Das Unternehmen setzt sich frühzeitig mit der Problemerkennung und -lösung auseinander. In 35 der 41 Interviews konnten Hinweise auf den Umgang mit arbeitsrechtlichen Änderungen gefunden werden. In 17 Interviews konnten Hinweise darauf gefunden werden, dass sich die Unternehmen mit Gesetzesänderungen nicht im Vorwege befassen in der Form befassen, dass Szenarien in Bezug auf das Unternehmen durchgespielt werden. „Also präventiv … also in diesem konkreten Fall konnte man halt nicht präventiv agieren, weil man sich dieses Tatbestandes nicht bewusst war. Also präventiv habe ich bisher noch nichts gemacht.“ (Int. 1) „Aber nicht dass ich mich so vorausschauend damit beschäftige oder, es kommt irgendwas, was bekannt gegeben wird, was geändert werden soll, dass ich dann sage, dann müsste ich ja die Firma soundso umstrukturieren, das mach ich nicht.“ (Int. 2) „Nein, nur, nur wenn wir, nur im konkreten Fall wo man eben nachforscht, gibt es jetzt arbeitsrechtlich relevante Dinge, die da zu beachten sind? Ähm, aber grundsätzlich nicht, ne, im Grunde nicht.“ (Int. 4) „Nein, also, ich kann jetzt aus meiner Praxis nichts sagen, wo sich da irgendetwas ... also, es ist nicht so, dass es sich in größeren Diskussionen oder so was ergibt. Und also Szenarien werden dementsprechend nicht aufgebaut. Fallbeispiele ja, um es einfach ein bisschen pragmatischer zu haben. Und daran - aus meiner eigenen Erfahrung - kann man am besten lernen.“ (Int. 13) „Sie können eine ... eine Gesetzesänderung oder Rechtsprechungsänderung nicht planen. Wenn ... wenn sie da ist, dann ja, natürlich.“ (Int. 16) INT: „Ja, das heißt, wenn Sie Informationen bekommen, dann speichern Sie die und rufen das bei Bedarf ab sozusagen.“. PL: „Also, um das zu erklären, wir sind eine ganz, ganz transparente Firma. Ich bin, egal, ich bin in verschiedenen ... also, seit 16 Jahren arbeite ich immer auf Geschäftsführerebene oder so. Wir haben immer ... oder ich habe immer alle Ergebnisse veröffentlicht, alle Gewinne, egal was, es war für jeden Mitarbeiter immer einsehbar. Umsatz pro Mitarbeiter, egal was. Letztendlich interessiert es die Leute nicht. Von 100, für die Sie das machen, interessiert es zwei. Und so ist das auch mit ... wenn Sie Veränderungen, egal auf welcher Ebene kommunizieren, das können Sie hinhängen, das merken die meisten gar nicht. Sehr wenig Bedarf da.“ (Int. 19) 278
2.6 Organisationales Lernen „Also, für mich reicht es aus. Ich weiß, dass es irgendwie so etwas gibt und wenn es auf mich zukommt, dann weiß ich, wo ich suchen muss und das reicht mir aus.“ (Int. 21) „Nein, gar nicht. Weil, wir wissen ja gar nicht, wie lange das existiert das Recht, also die letzten 15 Jahre hat sich das so oft geändert, also beschäftigen wir uns nicht mit irgendwelchen Szenarien, sondern dann, wenn es soweit ist, dann beschäftigen wir uns damit, im Moment, kann ich sagen.“ (Int. 22)
Diese Unternehmen lernen scheinbar nur durch Fehlererkennung und -lösung. In den Interviews von 15 Unternehmen waren Hinweise darauf zu finden, dass eine vorausschauende Auseinandersetzung mit arbeitsrechtlichen Änderungen stattfindet. „Genau, ich versuche, diese Themen dann derart zu lokalisieren, ob sie für die Firma generell interessant sind und das dann auch mit dem Geschäftsführer durch eine kurze ... bei uns ist das immer per E-Mail oder ein kurzes Statement: ‚In diesem TZ-Bereich sind wir jetzt verpflichtet, nur damit du es auch in deinem Bereich von vornherein weißt, wenn mal jemand kommt und einen TZ-Anspruch nur mal meldet, muss du im Kopf haben, der hat einen Anspruch drauf’“ Damit er es dann weiß, damit er zumindest im Generellen da mit dabei ist.“ (Int. 8) „Der nächste ... die Frage, die Sie gestellt haben, ist, ob wir im Vorfeld Einfluss nehmen können auf Gesetzesvorhaben. Das tun wir in Form unseres Arbeitgeberverbandes und Unternehmensverbandes. Wir sind also - wie gesagt - tarifgebunden. Wir sind also auch im Unternehmensverband, sind aber auch im Arbeitgeberverband. So, und wenn da Gesetzesvorgaben ... das haben wir auch kürzlich getan, dass wir dann das entsprechende Bundesministerium auch anschreiben und sagen: „Hier mit dem und dem sind wir nicht einverstanden“, oder „da müsst ihr aufpassen.“ Da sind wir natürlich eingebunden, insbesondere in Brüssel - nicht - wo dann also auch für ... ja, die EU entsprechende Richtlinien, Gesetze verabschiedet ... Ich denke Kreislaufwirtschaftsgesetz und solche Sachen, die ja für uns eminent wichtig sind, und da nehmen wir sehr stark Einfluss. Also, mein Vorgesetzter, der Herr R.2, der ist jetzt also auch in ... in dem Sinne auch tätig, und der ist also des Öfteren in Brüssel und wird dort vorstellig, nicht?“ (Int. 9) „Da gibt es eine neue Rechtsprechung, hat für uns folgende Auswirkung ... oder - nicht es kommt eine neue ein Richtlinienentwurf aus Brüssel auf den Tisch, nicht? Dann wird das aufgenommen in den entsprechenden Kreisen, Führungskreisen, Managementbesprechungen. Und dann überlegt man sich dann: ‚So, was kann das für uns bedeuten?’“ (Int. 10) PL: „Nein, auch schon vorausschauend. Vorausschauen kann ja auch wichtig sein so für eine strategische Überlegung. Wie ist deine Einschätzung? Die Frage an jemanden, der Tarifsachverstand hat. Wie ist deine Einschätzung, wie wird sich die tarifliche Situation in den nächsten 5 Jahren bei uns entwickeln? Was ist da im Moment so der Leitgedanke bei den Gewerkschaften zum Beispiel? Also, durchaus auch das.“ INT: „Spielen Sie dabei möglicherweise Szenarien oder Szenarien möglicher Auswirkungen durch?“ PL: „Ja, im Gespräch, ja, auf jeden Fall. Wenn sich zum Beispiel Vertragsbestandteile verändern durch Arbeitsrechtsprechung... dann haben wir in unseren Wochen- oder Monatsbesprechungen durchaus auch Szenarien, die wir nachstellen. Situationen, jemand wird eingestellt, neuer Vertrag, Auswirkungen für uns. Das machen wir durchaus, ja.“ (Int. 14) PL: „Das kommt drauf an, was es ist. Aktuell, dann schon auch sofort, oder auch gar nicht.“ INT: „Gut, also ... ja, nicht erst, wenn ein Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern ...“ PL: „Nein, vorher, vorher.“ INT: „Schon vorher, wenn Sie die Informationen haben.“ PL: „Gut. Aber ich denke, das ist eben auch ein Teil meines Jobs, nicht?“ INT: „Ja.“ PL: „Diese Dinge vorher zu sehen und dafür sensibel zu sein. Okay, welche Auswirkungen kann das haben auf das Unternehmen? Und dann vielleicht auch mal Hallo zu schreien. So: Hier, hallo, pass mal auf!“ (Int. 15) „Ich warte mit Spannung auf das neue Befristungsgesetz, deswegen agiere ich jetzt schon, was ich kann. (Int. 36)
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2.6 Organisationales Lernen
Drei Unternehmen geben an, schon in Einzelfällen insbesondere bei interessanten Themen vorausschauend gehandelt zu haben. „Also angenommen, im Kündigungsschutz würde sich was locker, dass wir sagen: ;Hey und wir wollen eh gerade abbauen. Dann gucken wir mal.’ Ich sag mal, wenn ... wenn Anstoß und Notwendigkeit gerade zusammenfallen, dann ja. Ja? Aber wenn zum Beispiel jetzt, wenn ... Sie haben das Beispiel der ... der Teilzeitarbeit ... der Teilzeitregelung gebracht, Teilzeit spielt bei uns eine untergeordnete Rolle, dann nimmt man das zur Kenntnis und macht keine große Action. (Int. 24) PL: „Also, in einzelnen Fällen schon, ja.“ INT: „Können Sie ein Beispiel dafür geben? Was Ihnen jetzt so spontan einfällt?“ PL: „Für mich also, Kündigungsfristen. Das ist für mich das Thema, wo ich … was mich interessiert. Ein anderes Beispiel fällt mir jetzt allerdings so ad hoc nicht ein.“ (Int. 26)
In den Unternehmen, in denen mit Arbeitsrecht vorausschauend umgegangen wird, gehören funktionierende Lernprozesse scheinbar zum täglichen Geschäft. Große Unternehmen gehen überwiegend vorausschauend mit dem Thema Arbeitsrecht um (neun). Sie beobachten die aktuellen Entwicklungen, bewerten diese für ihr Unternehmen. 11 mittlere und vier kleine Unternehmen sind überwiegend reaktiv. Die Anzahl an Unternehmen, die sich vorausschauend mit Arbeitsrecht auseinandersetzt und die Anzahl derer, die nicht vorausschauend plant, ist in etwa gleich. Es ist festzustellen, dass trotz regelmäßiger Information nur ein Teil der Unternehmen diese für ihr Unternehmen aktiv zur Bewertung zukünftiger Entwicklungen nutzt und für das Unternehmen gewinnbringend einsetzt. Es ist im Vergleich mit den vorherigen Ergebnissen übereinstimmend festzustellen, dass die Unternehmen, die nicht informiert sind, auch keine vorausschauende Planung vornehmen können.
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Der Einfluss von Arbeitsrecht auf die Personalstrategie
Erfolgreiche Lernprozesse in Bezug auf Arbeitsrecht sollen dazu führen, dass deren Erkenntnisse in die Personalstrategie eines Unternehmens einfließen und den Umgang mit Personal bestimmen. Durch die Untersuchung, inwieweit arbeitsrechtliche Änderungen die Personalstrategie eines Unternehmens verändern, soll herausgefunden werden, inwieweit Unternehmen das durch Lernprozesse erworbene Wissen nicht nur anwenden sondern auch strategisch für ihr Unternehmen einsetzen. Aufgrund der gestellten Fragen konnten nur in 29 Interviews Hinweise darauf gefunden werden, ob arbeitsrechtliche Erkenntnisse in strategische Planungen des Unternehmens einfließen. In 13 Interviews geben die Interviewpartner eindeutig an, Arbeitsrechtskenntnisse nicht in eine Personalstrategie umzusetzen.
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2.6 Organisationales Lernen „Würde ich glatt verneinen, also es ist … ich meine, wir sind eine relativ kleine Firma, ich will nicht sagen, dass wir ums Überleben kämpfen, aber unsere Strategie ist im Moment sozusagen Sicherung des Status quo. Da fließen mit Sicherheit keine arbeitsrechtlichen Dinge mit ein. Also das würde ich mal so bei unserer Firmengröße verneinen. Bei dem finanziellen Rahmen, also das ist sozusagen Konzentrierungsphase, wenn man so will. (Int. 1) „Nein, Strategie würde ich das nicht nennen. Wenn das jetzt unsere tägliche Arbeit betrifft, setzen wir das natürlich um, sei es nun Vertragsrecht oder irgendetwas oder Betriebsverfassungsrecht. Strategie, nein, das, da müsste dann schon irgendwie irgendwas Umwälzenderes oder ganz Neues kommen.“ (Int. 3) PL: „Also, haben wir überhaupt nicht beachtet. Auch dieses Wiedereingliederungsgesetz, wenn einer langfristig krank ist und man sich darum kümmern muss, habe ich mit dem Betriebsrat darüber gesprochen, hier, kümmert ihr euch darum oder sollen wir uns darum kümmern? Der Betriebsrat hat nicht gewusst, was das ist - dann macht ihr das mal. Das habe ich protokolliert und das Thema ist erledigt. Also, ab und zu mal sage ich mir auch, das, was ich nicht genau weiß, ist vielleicht auch ganz gut, dass ich es gar nicht weiß, habe ich kein schlechtes Gewissen. Ich habe nicht den Anspruch, im Arbeitsrecht perfekt zu sein, sondern wie die Praxis es erfordert und dieses Teilzeitbeschäftigungsgesetz ist etwas, was Sie erwähnt haben und ich versuche es, solange mich kein Mitarbeiter darauf anspricht, kümmere ich mich erst einmal nicht darum.“ INT: „Also, das heißt dann, genau Sie agieren dann irgendwie sehr aktiv, wenn…“ PL: „Ja, wenn der Bedarf entsteht.“ (Int. 21) „Ich hätte gerne eine Personalstrategie. Nachdem wir jetzt unsere Unternehmensleitlinien vor ein paar Jahren gefunden haben, dann Führungsleitlinien entwickelt haben, dann denke ich, ja, wenn das Unternehmen einmal weiß, genau, wo es hinginge, wo es hingeht in die Zukunft und die Mitarbeiter das auch wissen, dann kann man eine Personalstrategie machen, vorher ist das alles noch nicht so festgezurrt gewesen. Da sind wir aber hinterher.“ (Int. 28) INT: „Und fließen dann die über die Neu-Regelung gewonnenen Erkenntnisse in eine grundlegende Personalstrategie ein?“ PL: „Da sich niemand informiert, was Neuerungen sind und welche das sind, fließt hier überhaupt nichts ein.“ (Int. 30) „Ja, so gravierende Änderungen gab es jetzt eigentlich nicht, wo ich sage, es hätte eine Rolle gespielt.“ (Int. 34) „Nein, das habe ich noch nie gemacht. Das war noch nie notwendig, sagen wir das so.“ (Int. 35)
In 14 der Interviews konnten Hinweise gefunden werden, dass Unternehmen mit dem Arbeitsrecht strategisch umgehen und es in ihrer Personalstrategie aktiv berücksichtigen. INT: „Arbeiten Sie da eher eigentlich an Einzelfällen oder - sag ich mal -, wenn Sie jetzt irgendeine Rechtsänderung aufnehmen, ich sag jetzt mal beispielsweise den Anspruch auf Teilzeitarbeit oder Ähnliches, dass Sie denn gleich sagen oder eine Strategie auch ein bisschen hier fürs Unternehmen entwickeln und sagen ...“ PL: „Genau, ich versuche, diese Themen dann derart zu lokalisieren, ob sie für die Firma generell interessant sind und das dann auch mit dem Geschäftsführer durch eine kurze ... bei uns ist das immer per EMail oder ein kurzes Statement. So: ‚In diesem TZ-Bereich sind wir jetzt verpflichtet, nur damit du es auch in deinem Bereich von vornherein weißt, wenn mal jemand kommt und einen TZ-Anspruch nur mal meldet, muss du im Kopf haben, der hat einen Anspruch drauf.’ Damit er es dann weiß, damit er zumindest im Generellen mit dabei ist.“ (Int. 8) INT: „Wird da eigentlich auch so eine einheitliche Personalstrategie gebildet, dass Sie schon sagen,... auch die Entscheidung, Langzeitarbeitslose einzustellen, ist ja im Grunde genommen eine sehr strikte personalstrategische Entscheidung?“ PL: „Ja.“ INT: „Und fließen dann direkt sozusagen oder verändern diese neu gewonnen Erkenntnisse dann auch diese Personalstrategie dann?“ PL: „Ja, selbstverständlich, natürlich… So, das sind Dinge, die wir natürlich an der Stelle verarbeiten, völlig richtig. Also, als wir vor Jahren gehört haben, das mit dem Rentenalter wird hochgehen, ist nur eine Frage der Zeit, wann das 281
2.6 Organisationales Lernen kommt, demografischer Faktor und so weiter, haben wir gesagt ... und Altersteilzeit wird auslaufen: ‚Was haben wir noch für Instrumentarien, mit denen wir dann operieren können?’ Und da kommt man schnell darauf und sagt sich: ‚Tja, was haben wir denn da? Da müssen wir etwas Neues schaffen. Stichwort Lebensarbeitszeitkonto’, und das haben wir jetzt eingeführt im letzten Jahr.“ (Int. 10) INT: „Beeinflussen die neuen Informationen Ihren Umgang mit dem Personal? Also, wenn Sie zum Beispiel erfahren, es gibt neue Regelungen im Rahmen der Befristung oder so was. Beeinflusst das irgendwie?“ PL: „Ja. Das beeinflusst sehr stark. Und zwar können Sie das vergleichen wie ein Kind, was sich einmal verbrannt hat. Das ist immer vorsichtig, wenn das erst was Heißes sieht. Und genauso ist das auch. Früher ist man viel unbedachter an die ganze Sache rangegangen, auch an das ganze Arbeitsrecht. Aber desto mehr man sich mit dem Arbeitsrecht auseinander setzt, desto zaghafter und desto gefährlicher schätzen Sie das Arbeitsrecht für das Unternehmen also ein und sagen: ‚Pass mal auf, da sind Enden und. Da musst du aufpassen, sonst hast du dich da selber drin gefangen in der ganzen Sache.’ Ein Beispiel: Wir haben früher öfters Personal eingestellt über einen befristeten Arbeitsvertrag. So, das ist ja vor 2 oder 3 Jahren geändert worden, das Gesetz, dass Sie eine Befristung a) nur ein einziges Mal für einen Arbeitnehmer in seinem ganzen Leben führen dürfen. Das heißt also, wenn man jemanden einmal eingestellt hat für zwei Jahre befristet, dann können Sie ihn nicht nach einem halben Jahr oder nach 5 Jahren, nach 10 Jahren wieder zwei Jahre befristet einsetzen, sondern das gilt für das ganze Leben. Früher ist es so gewesen, wenn Sie für zwei Jahre jemanden befristet eingestellt haben, der war drei Monate aus dem Unternehmen wieder heraus, dann konnten Sie wieder eine Befristung machen für zwei Jahre. Da haben nicht nur die Arbeitnehmer hier in unserem Bereich drauf zu, sondern auch die öffentlichen Kommunen haben darauf zu und haben gesagt: ‚So, wir setzen die Leute wieder ...’ Das ist heute nicht mehr machbar.“ (Int. 11) INT: „Wenn eine Gesetzesänderung eintritt, wie sieht dann ihre Personalarbeit aus? Ändern sie auch unter Umständen ihre Personalstrategie? PL: Ja natürlich. INT: Nutzen neue Instrumente, also Sie sind dann auch dem Neuen gegenüber offen? PL: Ja, unbedingt. Also wenn irgendwelche neuen Dinge sind, dann werden die, geprüft, wie weit die für uns zutreffen, wo es dort Möglichkeiten gibt, Synergien, bzw. Vorteile. Und dann wird das konkret umgesetzt. Wir haben zum Beispiel, wir arbeiten mit Praktikanten, jetzt in diesem Jahr forciert. Wir haben erkannt, hier gibt es ein Problem in sozialer Richtung, dass eine Menge junger Menschen nicht mehr in der Lage sind, sich in einen Arbeitsprozess integrieren zu lassen. Es gibt hier Praktikantenprogramme. Wir haben dort intensiven Kontakt gesucht und gefunden. Und fahren jetzt in Größenordnungen Praktika, Betriebspraktika... Und Leute, die dort gut sind, ich war eben noch gerade auf einer Baustelle, die werden dann auch befristet bei uns eingestellt. Beziehungsweise die werden dann, äh zu Personalservice-Gesellschaften geschickt und die fordern wir dann dort gezielt ab. Das ist von uns eine Art, ja, Rekrutierung von geeignetem Personal auch. Und auf der anderen Seite habe ich definiert, wenn der Aufwand der Betreuung höher ist, als der Nutzen, den derjenige erzielt, dann wird er dorthin zurückgeschickt. (Int. 33)
Ein Unternehmen versucht sogar, im Vorwege Einfluss auf Gesetzesinitiativen zu nehmen. „Der nächste ... die Frage, die Sie gestellt haben, ist, ob wir im Vorfeld Einfluss nehmen können auf Gesetzesvorhaben. Das tun wir in Form unseres Arbeitgeberverbandes und Unternehmensverbandes. Wir sind also - wie gesagt - tarifgebunden. Wir sind also auch im Unternehmensverband, sind aber auch im Arbeitgeberverband. So, und wenn da Gesetzesvorgaben ... das haben wir auch kürzlich getan, dass wir dann das entsprechende Bundesministerium auch anschreiben und sagen: ‚Hier mit dem und dem sind wir nicht einverstanden’, oder ‚da müsst ihr aufpassen’. Da sind wir natürlich eingebunden, insbesondere in Brüssel wo... ja, die EU entsprechende Richtlinien, Gesetze verabschiedet ... Ich denke Kreislaufwirtschaftsgesetz und solche Sachen, die ja für uns eminent wichtig sind, und da nehmen wir sehr stark Einfluss. Also, mein Vorgesetzter, der Herr R., der ist jetzt also auch in ... in dem Sinne auch tätig, und der ist also des Öfteren in Brüssel und wird dort vorstellig, nicht?“ (Int. 9)
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2.6 Organisationales Lernen
In einem Unternehmen hat sich der Umgang mit Arbeitsrecht verändert, weil die Anzahl des Personals reduziert wurde. „Also. In der Zeit, wo wir viele Angestellte hatten, haben wir natürlich regelmäßig Geschäftsleitungssitzungen gemacht. Da saß die Geschäftsleitung und die bestand aus dem Geschäftsführer, den Abteilungsleitern, da sind dann Agendas geschaffen worden, da ist natürlich auch die Leiterin der Finanzabteilung dabei gewesen. Da sind die ganzen Dingesteht ja auch, wir sind ja auch immer noch zertifiziert, nach QM, d.h. dicke Handbücher usw. .., das Zertifikat läuft aber jetzt diesen Monat aus, will sagen: Die Routinen sind alle geschaffen worden. Und wenn im Bereich Arbeitsrecht Dinge wesentlich waren zu beachten, dann sind die kommuniziert worden, sind Festlegungen getroffen worden usw.“ (Int. 31)
Es konnte festgestellt werden, dass ein strategischer Umgang mit Arbeitsrecht in sechs großen Unternehmen, acht mittleren sowie zwei kleinen Unternehmen ermittelt werden konnte. Klar dazu geäußert, dass in Bezug auf Arbeitsrecht nicht strategisch agiert wird, haben drei große, acht mittlere, zwei kleine Unternehmen erklärt. Die Auswertung weiterer Merkmale hat keine eindeutigen Ergebnisse ergeben. Hier kann daher lediglich gesagt werden, dass große Unternehmen das Arbeitsrecht eher in ihre Unternehmensstrategie einbeziehen und aktiv die arbeitsrechtlichen Instrumente einsetzen. Da nur in einem Teil der Interviews Aussagen hinsichtlich dieser Frage gefunden werden konnten, ist keine abschließende Bewertung möglich. Hier findet eine Spaltung statt: Mehr als die Hälfte der ausgewerteten Interviews geben Hinweise auf einen strategischen Umgang mit Arbeitsrecht und zeigen damit, dass das Lernen in einem vollständigen Kreislauf mit ständiger Rückkopplung stattfindet. Es wird wahrgenommen, erkannt, nachgedacht und die erlangte Einsicht wird verhaltensändernd wirksam. Jedoch zeigt die Hälfte der ausgewerteten Interviews, dass die Lernprozesse in den Unternehmen gestört sind und ein erfolgreiches Lernen im theoretischen Sinne nicht stattfindet. Im Vergleich decken sich die Ergebnisse überwiegend mit den Ergebnissen der vorherigen Auswertungen. Interessant ist, dass zwei Unternehmen angeben, mit Arbeitsrecht nicht vorausschauend umzugehen, aber bei vorliegenden Änderungen Arbeitsrecht trotzdem in ihrer Personalstrategie zu berücksichtigen. Bei der Auswertung der Fragestellung konnte jedoch ein anderes Phänomen festgestellt werden. Einige der Unternehmen haben feste, fast unumstößliche Prinzipien in ihrer Personalarbeit, die scheinbar auf der Basis von persönlichen Werten und Einstellungen aufgestellt wurden. „Aber im Großen und Ganzen bin ich kein Freund von Zeitverträgen. Das ist irgendwie immer so ein Schwert, das über dem Arbeitnehmer schwebt. Er weiß immer nicht so rich283
2.6 Organisationales Lernen tig, wie geht es weiter. Hat immer im Hintergrund, ich muss mir eigentlich einen neuen Job suchen, wenn der einen Zeitvertrag über ein Jahr bekommt. Ich bin da kein großer Freund von. Überhaupt nicht und in sofern“ (Int. 2) „Grundsätzlich versuchen wir, wenn wir Mitarbeiter haben, sie an uns komplett fest zu binden. Also, möglichst wenig Zeitarbeiter oder Leiharbeiter oder auch ... Sie sagen immer befristete Arbeitsverhältnisse. Unser Geschäftsgeheimnis ist einmal die Menschen selber, die hier sind mit ihrem Arbeitseinsatz und ihrem Know-how und auf der anderen Seite sind es unsere Geschäftspartner, Kunden und Lieferanten. Das ist das, was uns auszeichnet. Und wenn wir uns entscheiden, einen Mitarbeiter einzustellen, dann haben wir uns eigentlich für das höchste Gut dieser Firma entschieden, nämlich einen Menschen. Und daher wollen wir ihm gar nicht erst das Gefühl geben, dass wir an ihm nur zum Teil interessiert sind oder Ähnliches.“ (Int. 8) „Vermeidungsstrategien haben wir dahingehend, indem wir versuchen, also möglichst ... also - ich sag mal - Rechtsstreitigkeiten im Vorfeld zu vermeiden. Wir versuchen, uns mit unseren Arbeitnehmern größtmöglich so zu einigen, wo es also möglich ist, dass wir hingehen und sagen, so das und das ... Also, es wird nicht unbedingt von uns ein Prozess in irgendeiner Form forciert, dass wir sagen: ‚So, wir wollen da irgend so was’, sondern wir versuchen, da auch schon mal eine Faust in der Tasche zu machen, sagen: ‚Okay, wir fühlen uns zwar im Recht, aber lass es und ist in Ordnung. Und was willst du da machen?’“ (Int. 11)
7
Verbreitung von arbeitsrechtlichen Kenntnissen im Unternehmen
Kommunikation ist für das organisationale Wissen unersetzlich. Damit ein Unternehmen organisational lernen kann, müssen Kenntnisse weitergegeben und verbreitet werden. Nachfolgend wird die Kommunikation von arbeitsrechtlichen Kenntnissen in Unternehmen untersucht. Insgesamt 30 Unternehmen geben an, sich mehr oder weniger regelmäßig über arbeitsrechtliche Änderungen im Unternehmen auszutauschen. Die nachfolgende Kategorisierung soll Aufschluss darüber geben, in welcher Form der Austausch stattfindet. Einige Unternehmen fallen in mehrere der Kategorien. Fünf Unternehmen beziehen sich in ihrer Antwort auch auf die gegenseitige Information in der Personalabteilung. Dies betrifft Unternehmen mit mehreren Mitarbeitern in der Personalabteilung. Die Aussagen zeigen, je mehr Akteure in einem Unternehmen handeln, je wichtiger ist die interne Kommunikation, um einen einheitlichen Wissenstand zu erreichen. „Im Rahmen unserer Postbesprechung, die wir hier alle gemeinsam machen. Das können wir ja noch ganz gut in dem Rahmen mit 4 Mitarbeitern. Als ich damals ... als wir noch zu der Firma K.-H. gehörten, hatten wir 13 Mitarbeiter hier in der Personalabteilung, hatten auch 1.300 Beschäftigte hier zu betreuen. Ist ja jetzt anders. Da kann man das noch alles machen, und dann gehen wir das auch so durch. Kommt eine Fachzeitschrift an, gucken wir: Ist der Punkt interessant, besprechen den kurz. Dann weiß jeder Bescheid. Also, der Informationsstand wird sofort - sagen wir mal - weitergegeben. Dass da alle Referenten, alle in der Personalabteilung tätigen Mitarbeiter auf dem neuesten Stand sind.“ (Int. 9)
284
2.6 Organisationales Lernen „Da ist einmal natürlich ein ... ein Referat da, uns zusammensetzt. Dann setzen wir uns zusammen und dann besprechen wir das und informieren das und geben also wichtige BAG-Entscheidungen zum Beispiel weiter.“ (Int. 16)
In neun Unternehmen werden arbeitsrechtliche Kenntnisse systematisch in die Managementrunden eingespeist. „All solche Dinge, da bringen wir das hier zur Sprache in unseren Abteilungsrunden, bringen das zur Sprache in ... in den Führungskreisen, in den Managementbesprechungen und sagen: ‚Achtung habe ich gehört. Da gibt es eine neue Rechtsprechung, hat für uns folgende Auswirkung ...’, oder es kommt eine neue ein Richtlinienentwurf aus Brüssel auf den Tisch, nicht? Dann wird das aufgenommen in den entsprechenden Kreisen, Führungskreisen, Managementbesprechungen. Und dann überlegt man sich dann: ‚Was kann das für uns bedeuten?’“ (Int. 10) „Da hat es auch viele Diskussionen gegeben, jetzt auf meiner Führungsebene, wo man immer wieder sich auch ausgetauscht hat. Weiß ich, irgendjemand hat etwas gehört ... Wir treffen uns ja immer regelmäßig alle, ja, fast täglich. Und so, dass wir immer ... wir auch immer miteinander kommunizieren und über diese Dinge dann auch diskutieren.“ (Int. 15) „Also, wenn es spezielle Sachen sind, die uns betreffen, wir machen dann immer so alle 2 Monate, alle 3 Monate, dass wir uns einmal zusammensetzen, Arbeitsschutzbelehrung machen, über die Baustellen sprechen, was da jetzt nun neu ist, wie es läuft. Und in dem Zusammenhang informieren wir dann auch über alles Wesentliche, was sich geändert hat, was neu ist.“ (Int. 41)
In 16 dieser Unternehmen findet ein eher unsystematischer Austausch statt. „Die meisten Geschichten... entstehen bei uns im Gespräch - natürlich kommt einem die Bereichsleitung natürlich auch, äh, also meist sind bei uns so, so Art Geschäftsführung, ne?! Ähm, die kommen natürlich auch, mit so Problemen aus dem Leben, die man dann weiter entwickelt, oder wo man Strategien daraus ableiten kann. Äh, aber äh, einige Sachen hat man auch dann, über unseren Spitzenverband kriegt man dann - Diakonische Werken. Ist aber seltener, kann man das, eher seltener... Da gibt es natürlich Netzwerke auf der, auf der Vorstandsebene der einzelnen Werke, da werden schon mal so ein paar Sachen äh, sagen wir mal, grundsätzlich besprochen, oder es werden Arbeitsgruppen eingerichtet. So kämpft man sich durch das Leben... Es ist aber, es ist nicht richtig organisiert, ne, also es gibt was Schöneres. Also wenn man sich Netzwerke vorstellt, die funktionieren an sich besser, oder anders, anders und besser... Ist noch so ein bisschen, so ein bisschen gewurschtelt, ne, also nicht durchorganisiert...“ (Int. 23) „Ja, also das aller wichtigste ist, dass die Lohnabrechnung sitzt, d.h. alle Informationen, die sich beziehen auf Versicherungsbeiträge oder Steuersätze, oder diese ganzen Thematiken, die muss ich mit nebenan besprechen, weil das ist ja jeden Monat wichtig für die Lohnabrechnung. Ganz wichtig sogar. Ich gebe das weiter, wir kommunizieren das. Das was wichtig ist. Wir sind wie gesagt kein großer Laden mehr. Die Tür ist meistens auf. Man redet durch die Tür hinweg: das und das und das muss berücksichtigt werden und teilweise besprechen wir Themen zu diesem Abfindungsthema hier... mit der Steuerfreiheit haben wir Material halt mal einfach gesammelt, weil ich davon ausgehe, dass das Thema noch turbulent sein wird. Früher oder später, spätestens, wenn die nächste Person in Kündigung gehen wird, wird das also letztgültig für mich zu entscheiden sein… Das heißt, hier ist es so ein bisschen ‚Arm length’ sagen, glaube ich die Engländer. Also so auf ganz kurzem Wege. Wenn ich etwas zirkulieren will, dann nehme ich das und lege das drüben ins Fach. Das sind drei Meter.“ (Int. 31)
13 Unternehmen geben an, über Seminare und Veranstaltungen gezielt Leitungskräfte oder Mitarbeiter über arbeitsrechtliche Veränderungen zu informieren. „Wir machen das so, dass wir die mindestens einmal im Jahr über Änderungen, Neuerungen, Beachtenswertes auch in ihrer täglichen Arbeit, informieren und dann halt Fragen beantworten.“ (Int. 3) 285
2.6 Organisationales Lernen „Ja, also in erster Linie über ... über diese Seminare, die dann halt stattfinden. Also, es ist so, dass eine erste Information halt stattfindet. Und dann wird dieses ... dieses Thema dann eben in einem dieser Seminare zum Hauptthema gemacht und wird dann an ... an konkreten Fällen, an Fallbeispielen gemeinsam halt besprochen. Dann sind alle Personalverantwortlichen im Thema.“ (Int. 13) „Also ich informiere meine eigene Abteilung immer aktuell. Alles Wissen, das ich habe, gebe ich auch zu 100% weiter. Und einmal im Jahr hole ich die Führungskräfte zusammen, und dann gibt es immer so spezielle Themen, die ich mir dann ausgucke, wo wir dann miteinander drüber sprechen. Also, ich präsentiere das denn in so einer Art, so eine Art Seminar mache ich draus, so einen Tag.“ (Int. 15) „Hmm, nein. Also, also ich mache aber auch, zum Beispiel Arbeitsrecht für Führungskräfte. Also dass sie einfach, an, an bestimmten Seminaren dann intern arbeitsrechtliche Fragestellungen anbiete. Also damit die Führungskräfte, es gibt ja einen bestimmten Bereich, den jede Führungskraft auch selber kennen sollte und genau das einfach dann auch zu vermitteln. Das mache ich dann auch.“ (Int. 36) „Wir legen sehr viel Wert darauf, dass es, dass ordentlich damit umgegangen wird und das unsere Leitenden Angestellten gut qualifiziert sind und wir auch ein-, zwei-, dreimal im Jahr mit unseren leitenden Angestellten darüber reden, informieren und qualifizieren ist uns sehr wichtig, dass es eingehalten wird, das ist ein hoher, hoher Grad, eine hohe Vorstellung, die wir haben. .. Dann gibt es den Mechanismus, hier in der Personalabteilung es weiter zu geben, es zu installieren und dann auch diese leitenden Angestellten, diese Tagungen, die wir haben, es dort weiter zu geben.“ (Int. 38)
17 Unternehmen geben die Informationen, die zum Thema Arbeitsrecht als wichtig erachtet werden, schriftlich weiter. Informationsmedien sind das so genannte Schwarze Brett, das Intranet, per E-Mail sowie per Rundschreiben auch in Verbindung mit der Lohnabrechnung. „Richtig, wenn es um ... um tarifvertragliche Änderungen oder Gehaltsanpassung geht, dann nutzen wir hier Intranet und dann das schwarze Brett. Im Zweifel, wenn es eine arbeitsvertragliche individuelle Relevanz hat, natürlich per individuellen Brief.“ (Int. 6) „Wir erarbeiten gerade so was, weil wir so eine Art ISO hier einführen. Die meisten Sachen sind wirklich per E-Mail, aber dann auch mit Anweisungscharakter, also, geht an alle. Und die im Lager bekommen es dann am Schwarzen Brett dann ausgehändigt. Bei wichtigen Sachen lassen wir uns das noch mal individuell unterschreiben. …Wir versuchen sicherzustellen, dass auch jeder drüber informiert ist.“(Int. 8) „Wir haben ein Intranet, über das wir immer sehr schnell sind, das aber nicht alle erreicht. So die gewerblichen Mitarbeiter haben oft keinen Bildschirm zur Verfügung oder können ihn ... haben dann im Aufenthaltsraum einen, aber können ihn vielleicht nicht richtig anwenden, sodass wir dann durchaus auch über die Schwarzen Bretter gehen oder auch an ... wenn es nicht ganz so dringend ist, auch Mitteilungsblätter an die Lohn- und Gehaltsabrechnungen heften, einmal im Monat. Also, das sind unsere Informationswege.“ (Int. 14) „Also, wir haben so ein Informationssystem, 2 ... 2 Informationssysteme hier. Das ist einmal ein so genannter Rundschreibendienst. Da werden alle unsere Einrichtungen nach einem bestimmten Verteilersystem informiert. Und dann informiere ich die drüber, muss das natürlich einfach entsprechend natürlich einfach kommunizieren. Und dann haben wir sage ich mal - im Aufbau befindlich, aber wir haben ein Intranet. Und in dieses Intranet setze ich nach Vorankündigung solche Rundschreiben, setze ich zum Beispiel Arbeitshilfen rein oder ja, Arbeitshilfen, sag ich jetzt mal, Muster, Gesetzestexte. Und da kann jeder nachschlagen dann, elektronisch geht alles.“ (Int. 20)
10 Unternehmen geben an, kaum arbeitsrechtliche Änderungen im Unternehmen zu kommunizieren. Als Gründe werden hier genannt, dass strukturelle Kommunikationsansätze fehlen und das Interesse bei den Adressaten nicht vorhanden ist. 286
2.6 Organisationales Lernen „Also, wenn es Leute direkt betrifft ja, das schon, aber auch hier fehlt eigentlich eine … ein struktureller Ansatz, so dass man …“ (Int. 1) INT: „Also, es wird auch hier nicht irgendwie kommuniziert, wenn Änderungen…“ PL: „Nein, nein. Was gibt es da für Änderungen?“ (Int. 17) INT: „Geben Sie, wenn Sie so was lesen, irgendwie weiter an die Mitarbeiter, wenn es arbeitsrechtliche Veränderungen gibt. PL: „Das habe ich früher gemacht, jetzt mache ich es nicht mehr.“ INT:“ Weshalb?“ PL: „Weil ich den Eindruck hatte, dass es null bringt.“ INT: „Ja, das heißt, wenn Sie Informationen bekommen, dann speichern Sie die und rufen das bei Bedarf ab sozusagen.“. PL: „Genau… Also, um das zu erklären, wir sind eine ganz, ganz transparente Firma. Ich bin in verschiedenen ... also, seit 16 Jahren arbeite ich immer auf Geschäftsführerebene oder so. Wir haben immer ... oder ich habe immer alle Ergebnisse veröffentlicht, alle Gewinne, egal was, es war für jeden Mitarbeiter immer einsehbar. Umsatz pro Mitarbeiter, egal was. letztendlich interessiert es die Leute nicht. Von 100, für die Sie das machen, interessiert es 2. Und so ist das auch mit ... wenn Sie Veränderungen, egal auf welcher Ebene kommunizieren, das können Sie hinhängen, das merken die meisten gar nicht. Sehr wenig Bedarf da.“ (Int. 19) „Also, dieses Unternehmen hatte bisher eine sehr spezielle, sehr hierarchische Kultur, wo Entscheidung eher nicht dezentral, sondern fast alle in der Geschäftsführung ... gefällt wurden. Und die jetzige Geschäftsführung - und deswegen bin ich ja auch mitgekommen, erwartet eigentlich einen ... einen Wandel dieser Kultur und auch einen Wandel der Rolle der Personalarbeit, ja? Es wäre mein Anspruch, dass Führungskräfte für ihre Rolle geschult und vorbereitet sind. Gut, jetzt treffe ich auf vorhandene Führungskräfte. Jetzt muss man sich anschauen: Was können die denn, was brauchen die noch an Nachhilfe, an Unterstützung oder was auch immer? Das ... da sind wir gerade ganz am Beginn eines Weges.“ (Int. 24) „Negativ, nein. Also, nicht dass ich das wüsste, würde dann an mir vorbeigehen, aber ich würde nicht verbreitet ... wir machen das eigentlich schon informationsmäßig, aber das ist dann alles so firmenspezifisch. Aber so Sachen Informationen von außen her, interessante Sachen wie jetzt zum Beispiel Arbeitsrecht oder auch andere Sachen, wird eigentlich schon - sagen wir mal - zu wenig informiert oder weitergegeben.“ (Int. 29) INT: „Gut. Dann wäre die nächste Frage: Wie werden arbeitsrechtliche Informationen beziehungsweise Änderungen und deren Auswirkungen im Unternehmen kommuniziert. PL: Kommu ... Kommuni ...“ INT: „Kommuniziert?“ PL: „Danke schön....Wird hier leider leider viel viel zu wenig, weil viele Kollegen die Erfahrung gemacht haben, dass es zu der Diskrepanz kommt zwischen dem, was eigentlich sein sollte und dem, was sein soll. Und wenn man denn des öfteren mal Querschläge eingesteckt hat, sagt man sich dann irgendwann: ‚also gut, wenn man das nicht hören möchte, das ich zu sagen habe, dann sage ich es eben nicht.’ Kann ich auch verstehen. Also, es gibt auch Situationen, und wo ich schon da hingekommen bin, dass ich sage: ‚Ne, also, ich habe das tausend Mal jetzt gesagt, ... ich ... er weiß das, er muss das wissen, er kann nicht behaupten, er hat es noch nie gehört ... Gut, dann muss er eben gegen die Wand laufen.’“ INT: „Aber so was wie feste Besprechungsrunden oder dass Sie einen Mitteilungs... so einen Rundbrief haben, ...?“ PL: „Nicht, was das Arbeitsrecht angeht. Was die Produktion angeht, wird das gerade versucht. Es scheitert oftmals kläglich, aber es ist wenigstens ein Versuch, wollen wir es optimistisch sehen. Aber was Recht angeht, Recht wird hier eigentlich wirklich als störender Faktor gesehen. Und Arbeitsrecht erst recht.“ (Int 30)
Die Auswertung der Kommunikationsprozesse zeigt differenzierter, dass mit Arbeitsrecht sehr unterschiedlich umgegangen wird. Einige Unternehmen können zur Weitergabe arbeitsrechtlicher Veränderungen auf systematisch strukturierte Kommunikationsprozesse in Form von regelmäßigen Managementrunden zurückgreifen oder bieten sogar selbst interne Seminare für Führungskräfte an. In den Interviews ist allerdings auch festzustellen, dass es systematische Kommunikationsprozesse im Unternehmen gibt, dort Arbeitsrecht jedoch kaum eine Rolle spielt. In mehr als einem Drittel der Unternehmen ist der Austausch zu Arbeitsrecht eher unsystematisch. Ein Viertel der 287
2.6 Organisationales Lernen
Unternehmen erklärt deutlich, dass die Kommunikation in Bezug auf Arbeitsrecht nicht funktioniert. Es kann davon ausgegangen werden, dass organisationales Lernen nicht erfolgt. Im Vergleich zu den vorangegangen Ergebnissen ist festzuhalten, dass es sich hier überwiegend um die gleichen Unternehmen handelt, die sich wenig informieren, vorausschauend und systematisch planen.
8
Fazit
Insgesamt bestätigt sich, dass sich größere Unternehmen, die mehr personelle Ressourcen für die Personalarbeit haben, intensiver, vorausschauender und systematischer mit Arbeitsrecht auseinandersetzen. Es wird jedoch deutlich, dass dies nur gelingt, wenn Kommunikationsprozesse funktionieren und diese für den Transport arbeitsrechtlicher Kenntnisse auch genutzt werden. Die befragten Unternehmen greifen überwiegend auf qualifizierten arbeitsrechtlichen Sachverstand zurückgreifen und halten sich regelmäßig auf dem Laufenden. Eine stärkere Differenzierung zeigt sich in der systematischen Anwendung und Kommunikation von Arbeitsrecht. Nur ein Teil derer, die sich gut informieren, nutzen das Wissen, um vorausschauend für das Unternehmen zu planen oder sogar das Arbeitsrecht aktiv in ihre Unternehmensstrategie einbeziehen. Das Vorhandensein von arbeitsrechtlichen Kenntnissen scheint in machen Fällen für die unternehmerischen Planungen durch feste Prinzipien, scheinbar auf der Basis von persönlichen Werten und Einstellungen, ausgetauscht zu werden. Die Überprüfung der Kommunikationsprozesse trennt recht deutlich die Unternehmen, die mit dem Arbeitsrecht systematisch umgehen, von denen, in deren täglicher Arbeit das Arbeitsrecht nicht präsent ist. Die Unternehmen, die sich aktiv über Arbeitsrecht informieren, vorausschauend planen, haben die Möglichkeit im Rahmen des Rechts eine flexible Personalpolitik zu entwickeln und den Instrumentenkasten, den das Arbeitsrecht zur Verfügung stellt zu nutzen. In einem Viertel der Unternehmen funktioniert die Kommunikation in Bezug auf Arbeitsrecht nicht. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein produktives organisationales Lernen nach kognitivem Muster nicht stattfindet. Es ist erkennbar, dass in diesen Unternehmen nur gehandelt wird, wenn Fehler erkannt werden bzw. vermieden werden sollen. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass in diesen Unternehmen alle Fehler auch wirklich erkannt werden. In ihrer Selbsteinschätzung scheinen sie jedoch keine messbaren, erkennbaren Nachteile für ihr Unternehmen festzustellen, wie z.B. eine höhere Klagerate. Daher besteht offenbar kein Anreiz zum Lernen. 288
2.6 Organisationales Lernen
Während der Auswertung entsteht beim Lesen der Interviews der Eindruck, dass es den Interviewpartnern oftmals schwer fällt, sich nur auf den Umgang mit Arbeitsrecht im Unternehmen zu beziehen. Es wird oft auf Themen, wie Krankenversicherungs- und Sozialversicherungsrecht, Abrechnungstechnik oder Datenschutz ausgewichen. In einigen Unternehmen scheint Arbeitsrecht nicht fassbar zu sein und keine Rolle in der alltäglichen Arbeit zu spielen.
Literatur Alewell, D. (2001): Ressourcen und Rahmenbedingungen der Personalarbeit in Unternehmen Einige aktuelle empirische Ergebnisse. In: Personal. Heft 10. S. 572ff. Bruns, H.-J. (1998): Organisationale Lernprozesse bei Managementunterstützungssystemen. Dt. Univ.-Verl.: Wiesbaden. Dierkes, M. (1992): Leitbild Lernen und Unternehmensentwicklung. In: Krebsbach-Gnath, C. (1992): Den Wandel in Unternehmen steuern. Faktoren für ein erfolgreiches Change Management. FAZ-Verlag: Frankfurt. S. 57ff. Gamillscheg, F. (1997): Kollektives Arbeitsrecht. Beck: München. Krebsbach-Gnath, C. (1996): Organisationslernen. Deutscher Universitätsverlag: Wiesbaden. Probst, G. J. B./Büchel, B. S. T. (1998): Organisationales Lernen. Wettbewerbsvorteil der Zukunft. 2.. aktualisierte Aufl.. Gabler: Wiesbaden.
Schramm, F./Zachert, U. (2005): Arbeitsrecht – Personalpolitik – Wirklichkeit. Eine empirische Analyse zur betrieblichen Umsetzung von Arbeitsreformen. Nomos: BadenBaden. Schreyögg, G. (2003): Organisation, Grundlagen moderner Organisationsgestaltung. 4. vollst. überarb. u. erw. Aufl.. Gabler: Wiesbaden. Wahren, H.-K. (1996): Das lernende Unternehmen. Walter de Gruyter: Berlin. Wiegand, M. (1996): Die Prozesse des organisationalen Lernens. Gabler: Wiesbaden.
289
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung
Kapitel 2.7: Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung Sabine Hübner/Ulrich Zachert
1
Hypothesen
Wir legten unserer Fragestellung zu diesem Themenkomplex die Hypothese zugrunde, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Geschäftsleitungen und Personalverantwortlichen einerseits sowie betrieblicher Interessenvertretung andererseits über den langen Zeitraum der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes eingespielt hat und überwiegend positiv bewertet wird. Hierbei können wir uns, was die uns interessierende Seite „des Managements“ betrifft, auf zahlreiche empirische Ergebnisse stützen, denen allerdings keine qualitativen Befragungen zugrunde liegen (nur beispielhaft aus neuerer Zeit: Frick, 2005; Müller 2005; Nienhüser/Hoßfeld 2005 und 2006; Pries et al. 2006; Thannisch 2006).
2
Zur Methode
Von den 41 befragten Unternehmen haben 24 einen Betriebsrat. Fünf davon sind Klein- bzw. Mittelbetriebe mit bis zu 80 Mitarbeitern; die 19 Großbetriebe beschäftigen zwischen 310 und 6500 Arbeitnehmer (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 1.4). Tabelle 8: Verteilung der Betriebsräte BR
Unternehmen gesamt
Mittlere Unternehmen
Großunternehmen
Gesamt (und in %)
41 (100%)
21 (51,2%)
20 (48,8%)
BR ja
24 (58,5%)
5 (20,8%)
19 (79,2%)
BR nein
17 (41,5%)
16 (94,1%)
1 (5,9%)
Quelle: Eigene Darstellung
Ausgewertet wurden zum einen die Antworten der Gesprächspartner auf die entsprechenden Fragen des Leitfadens: -
Frage 6: Welche Rolle spielt der Betriebsrat für die Personalarbeit?
-
Frage 7: Sehen Sie die Anwesenheit des Betriebsrates alles in allem eher als Vorteil oder eher als Nachteil an? Warum?
290
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung
Zum anderen wurden auch alle an anderen Stellen der Interviews getätigten Aussagen, die in irgendeiner Weise mit dem Thema Betriebsrat in Zusammenhang standen, in die Auswertung einbezogen. Dies gilt sowohl für konkrete Aussagen zum amtierenden Betriebsrat als auch für allgemeine Äußerungen zum Themenkomplex der betrieblichen Mitbestimmung.
3
Ergebnisse der Auswertung
3.1
Art der Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit wird von fast allen Interviewpartnern als gut bis sehr gut - kooperativ, partnerschaftlich, konstruktiv, vertrauensvoll - eingeschätzt. „Das läuft, wie ich schon sagte, sehr - wie steht es im Betriebsverfassungsgesetz- vertrauensvoll und zum Wohle des Unternehmens. Es gibt sicherlich auch mal sachliche Unterschiede oder Reibungspunkte, die man dann aber auch sachlich und vernünftig versucht beizulegen. Bisher ist uns das immer gelungen.“ (Int. 3) „Kooperativ, partnerschaftlich. Die Betriebsräte sehen sich hier in der Rolle der - sag ich mal - der Co-Manager, nicht? Das ist ja so das Stichwort auch. Co-Management. Also, hier wird Betriebsverfassungsgesetz so gelebt, wie man sich das auch vorstellt, nicht? Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit steht im Vordergrund. Also, hier gibt es nicht Gegnerschaft und ‚du bist mein ärgster Feind’, sondern wir sind Partner.“ (Int. 11) „Wir arbeiten sehr konstruktiv zusammen, mit dem Betriebsrat. Also die üblichen gesetzlichen Regularien natürlich, Anhörung und all diese Dinge, aber ansonsten arbeiten wir eng und konstruktiv zusammen.“ (Int. 37)
Lediglich ein Gesprächspartner macht keine positiven Aussagen über das Verhältnis zum Betriebsrat. Auch in den beiden Fällen, in denen "schwierige Zeiten und leichte Zeiten" (Int. 15) bzw. "Höhen und Tiefen" (Int. 24) im Verhältnis zum Betriebsrat erwähnt werden, fällt die Einschätzung der Zusammenarbeit insgesamt positiv aus. Für einige Interviewpartner spielt das persönliche Verhältnis zwischen den Vertretern der Betriebsparteien eine wichtige Rolle für die Zusammenarbeit. Die Rolle des Betriebsrates für die Personalarbeit wird von einigen Personalverantwortlichen explizit als wesentlich bezeichnet. Der vor allem bei Verhandlungen über Kündigungen zutage tretende grundsätzliche Interessensgegensatz wird ebenfalls angesprochen und als in der Natur der Sache liegend akzeptiert. „Wesentlich. Wenn ich ein Wort sagen soll, Wesentlich. Wir haben eine sehr engagierte Mitarbeitervertretung, mit einer sehr kompetenten Vorsitzenden, mit einer ebenso kompetenten Stellvertretung und ähm, sie nutzen ihre Rechte voll aus … Aber an der Mitarbeitervertretung kommen wir nirgendwo vorbei.“ (Int. 24) „Aber es gibt auch Phasen, wenn Sie so, wie wir jetzt - sag ich mal - relativ oben mitschwimmen, ist es okay. Wenn Sie in Phasen von Freisetzungsmaßnahmen sind, können Sie mit einem Betriebsrat nicht glücklich sein, weil der vertritt dann logischerweise fürchterlich hart - und muss er auch, ist sein Job - die Interessen der Belegschaft und wird natürlich jede Freisetzung verhindern wollen“. (Int. 13) 291
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung „Aber meine Grundaussage ist in jedem Falle: Natürlich muss es die geben. Und wenn Betriebsräte schwierig sind, dann liegt es manchmal auch am Unternehmen. Man sagt ja auch nicht so ohne weiteres: Jedes Unternehmen hat die Betriebsräte, die es verdient. Da ist was dran“. (Int. 15)
Der - unterschiedlich intensiv geführte - Dialog mit dem Betriebsrat ist nach Aussage der Personalverantwortlichen geprägt von Transparenz und Pragmatismus. Es wird auf offene Kommunikation, regelmäßigen Informationsaustausch und Sachlichkeit der Auseinandersetzung Wert gelegt. Mehrfach wird betont, dass man den Betriebsrat bei Planungen und Problemen frühzeitig einbezieht, um sich seiner Akzeptanz und Mitarbeit zu versichern und spätere Differenzen zu vermeiden. Die Politik und das Verhalten des Betriebsrates werden von den Gesprächspartnern vor allem dann geschätzt, wenn er Entscheidungen nicht ‚blockiert’ – auch wenn es qua Gesetz in seiner Macht läge – sondern, aus Sicht der Arbeitgeberseite, ‚realitätsnah mit Bewusstsein für die Belange des Unternehmens’ agiert. „Wir haben erfreulicher Weise einen Betriebsrat, der Betriebspolitik betreibt und keine Gewerkschafts- oder gar Parteipolitik.“ (Int. 3) „Wenn Sie da Idealisten auf diesen Plätzen sitzen haben, und die vergessen, was eigentlich deren Job ist, dann haben Sie verloren, meiner Meinung nach. (…) Ein störrischer Betriebsrat würden mich stören, ja.“ (Int. 16) „Also, die könnten schon sehr blockierend tätig sein, wenn sie wollten. Das ist aber bei uns nicht so. Also, das muss ich sagen, das ist ein ganz gutes Verhältnis.“ (Int. 21) „Also wir haben einfach - ich sag mal - das Glück, auch in allen anderen Gesellschaften, dass wir Betriebsräte haben, die nicht nur auf das Betriebsverfassungsgesetz schauen, sondern die durchaus auch wirtschaftlich mitdenken. (…)Wenn ich hingegen einen schlechten Betriebsrat habe, dem es um ganz andere Dinge geht, dem es eigentlich nicht wirklich um Sachthemen geht oder was bringt das Unternehmen weiter, sondern der sich sklavisch an gewisse Rechte, die er meint zu haben, klammert und ... dann kann es auch sehr negativ fürs Unternehmen ... weil, ... er dann einfach das Unternehmen in der Entwicklung bremst.“ (Int. 40)
Der Wille zur Einigung spielt aber auch eine Rolle im Selbstverständnis der Betriebspartei der Arbeitgeberseite - Kompromisse gehören zum Alltag, man kommt sich entgegen. „Wer im Personalbereich arbeitet, …, der braucht eine große Kompromissbereitschaft. Also, man dealt dann, man macht Geschäfte, nicht? Wenn wir 5 Fälle haben, dann dürfen wir vielleicht drei Fälle nach unserer Auffassung entscheiden und bei 2 machen wir halt einen Kompromiss.“ (Int. 15) „Das wird halt dergestalt honoriert, dass sie uns in anderen Sachen dann halt auch mal entgegenkommen. Also, wenn wir unbedingt jemanden einstellen möchten oder ... oder sonstige Sachen, wo die dann wirklich dann auch bereit sind zu sagen: Okay, das gehen wir mit, weil wir wissen, ihr ... bei anderen Sachen helft ihr uns auch sehr stark.“ (Int. 40) „Wir arbeiten mit Profit Centern und wir arbeiten mit Balanced Score Card, das ist dieses Kennzahlensystem. Eins der Top Balanced Score Card in der Geschäftsführung ist eine Ausprägung ‚Gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat’ und als Kennziffer ist ‚Keine Nutzung der Einigungsstelle’, also wir reden vorher solange, bis wir uns einig sind.“ (Int. 29)
292
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung
3.2
Vorteile eines Betriebsrates
Vierzehn der befragten Personalverantwortlichen sehen ausschließlich Vorteile in der Existenz des Betriebsrates, neun beschreiben Vor- und Nachteile, ein Befragter betrachtet das Gremiums neutral als „gesetzliche Notwendigkeit, mit der wir aber prima zurechtkommen“ (Int. 37). Die Vorteile aus Sicht der Personalverantwortlichen lassen sich in fünf Gruppen zusammenfassen.
3.2.1 Der Betriebsrat als Interessenvertreter der Arbeitnehmer Der Betriebsrat hat "das Ohr an der Belegschaft" und ist daher Übermittler und Filter für Stimmungen und Bedürfnisse der Mitarbeiter, auf die der Arbeitgeber entsprechend reagieren kann. „Nein, ich sehe es durchaus als hilfreich an, weil der Mitarbeiter sehr nah sein Ohr an der Mannschaft hat.“ (Int. 25) „Also, wenn man einen guten Betriebsrat hat, dann kann es sehr sinnvoll sein, dass er existiert, weil er einfach auch Probleme aus der Mitte, aus der Belegschaft, die man vielleicht als Geschäftsführung oder auch als Arbeitsdirektor gar nicht so mitbekommt, die kriegt er schneller mit. Und wenn das dann offen und ehrlich kommuniziert wird, kann man auch viel schneller gegenlenken.“ (Int. 40) „Also, so, wie es bei uns funktioniert, würde ich sagen, ist es ... ist ein Vorteil. Das ist auch so ein gewisser Filter, also einmal ist es ganz gut, weil man darüber einfach viel mehr auch noch mitbekommt, was im Unternehmen passiert. Und die auch oft so eine ganz ... Vermittlerposition haben. Bei uns ist es so, ich denke auch, dass es grundsätzlich ein ganz sinnvolles Instrument ist.“ (Int. 21)
Er wird von den personalverantwortlichen Akteuren als betrieblich (Ansprechpartner des Mitarbeiters auf gleicher Ebene) und/oder als gesellschaftlich (Vertreter der schwächeren Partei im Arbeitsverhältnis) sinnvoll und notwendig angesehen. „Der ist aber ein guter Mittler, weil die Leute vielleicht sich doch irgendwo nicht dann zu uns trauen, aus welchen Gründen auch immer.“ (Int. 19) „Es ist eine Interessensvertretung für den Mitarbeiter, der es sonst vielleicht nicht so artikulieren könnte, seine Probleme.“ (Int. 17) „Also, ich glaube, dass es ... dass es gut ist, dass es die Mitbestimmung gibt. Ich glaube, dass es gut ist, dass es Gewerkschaften gibt, weil, ich wüsste nicht, wo wir, wenn wir (….) keine Gewerkschaften gehabt hätten, wo wir dann heute stehen würden. (…) Vielleicht bei menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Insofern finde ich das gut, dass es das gibt. Ich finde auch wirklich gut und in Ordnung, dass es Betriebsräte gibt, die muss es geben einfach.“ (Int. 15) „Es müssen Spielregeln sein, das Gleichgewicht muss gegeben sein. Also dass es Gewerkschaften gibt, das halte ich für wichtig, dass es Betriebsräte gibt, das halte ich für wichtig, ich finde, dass das Gleichgewicht gehalten wird, das ist richtig und das ist wichtig. Heute vielleicht mehr denn je.“ (Int. 39)
Das Gremium stellt den Ansprechpartner für alle Mitarbeiter dar und erspart so die einzelvertragliche oder persönliche Regelung bestimmter Sachverhalte. 293
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung „Denn ich habe es ... dann ist es ja auch einfacher für uns - sagen wir mal -, Regelungen durch zu... Stellen Sie sich vor, ich müsste mit 1.000 ... sagen wir, ich hätte 1.000 Mitarbeiter oder auch nur 100, mit denen müsste ich einzelvertraglich eine Sache diskutieren.“ (Int. 10) „Als Vorteil. Absolut. Weil, ich brauche nur mit einer Person sprechen oder mit einem in der Organisation sprechen, als jetzt das Ganze hier mit 220 Mitarbeitern oder so zu diskutieren“. (Int. 22)
3.2.2 Der Betriebsrat als kompetenter Gesprächspartner und Mitgestalter Der Betriebsrat hat eine fundierte Kenntnis der betrieblichen Abläufe und Notwendigkeiten sowie der menschlichen Zusammenhänge innerhalb der Belegschaft. Auf dieser Grundlage entwickelt er weiterführende Vorschläge und bringt seine Kompetenz ein, wenn es darum geht, gemeinsam Entscheidungen, Umstrukturierungen oder Problemlösungen zu erarbeiten. Die Arbeit der Personalverantwortlichen wird dadurch erleichtert. „… ich sehe das auch absolut nicht als Hindernis an, sondern eigentlich eher im Gegenteil. Man hat einen Ansprechpartner, mit dem man sprechen kann. Der auch, den Betrieb sehr gut kennt. Der eigene Vorschläge bringt, die durchaus sinnvoll sind … Das also vereinfacht auch viele Dinge, aus meiner Sicht.“ (Int. 1) „Wir sprachen eben über die Zusammenarbeit - wir machen das zusammen und wir werden das genau zusammen ausarbeiten, da habe ich zum Beispiel … da erlebe ich die Arbeit der Mitarbeitervertretung eher als hilfreich.“ (Int. 24, Thema Betriebliches Eingliederungsmanagement) „Wir hatten viele Veränderungen im Unternehmen gemeinsam erarbeitet. Das ist ein Betriebsrat, den ich sehr schätze, auch in unserer Geschäftsführung sehr schätze. Wir diskutieren häufig, wir haben regelmäßig Besprechungen, wir tauschen uns aus. Unsere grundsätzliche Auffassung ist, Information, Information, Information, grundsätzlich. Da wird nichts zurückgehalten, da wird manche Frage mit dem Betriebsrat auch beraten.“ (Int. 29) „Das ist keine Hinderung für mich, sondern eher - ich stimme mich ganz gerne mal mit dem ab, damit er, er auf der einen Seite weiß, was hier gespielt wird, auf der anderen Seite hole ich mir seinen Rat ein. Also, das passt recht gut.“( Int. 41) „Nee, den dann eben bezeichne ich für dieses Unternehmen schon als Vorteil. Weil ein Teil der personalplanerischen Schritte auch ganz einfach vom Betriebsrat mit übernommen werden.“ (Int. 4)
3.2.3 Der Betriebsrat als strukturierendes Element Die Institution des Betriebsrates strukturiert außerdem die Kommunikation mit der Belegschaft sowie Abläufe und Verfahren im Rahmen der Personalarbeit. Das Gremium ist dabei als Ansprechpartner bekannt und einschätzbar. „Ja, as ist ja durchaus .. ist natürlich auch eine Erleichterung, wenn man weiß, mit wem man sich streitet, als wenn man dann in Einzelfragen immer wieder mit anderen Mitarbeitern zu tun hat.“ (Int. 10) „Sehe ich als Vorteil.(…) Ja, weil ... ich sage Ihnen auch ganz offen, in den Strukturen, in denen wir uns bewegen, nicht - 1.700 Beschäftigte, allein im Terminal ungefähr 1.000 , wie wollen Sie das eigentlich bewerkstelligen, was Kommunikation angeht, Organisation von ... Kommunikation, von Themen? Das geht nur ... über klare Strukturen. (…) ich kann 294
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung mir ein Unternehmen ohne Betriebsrat bei dieser Größenordnung überhaupt nicht vorstellen.“ (Int. 11) „Ich denke, dass so eine institutionalisierte Betriebsratsstruktur sicherlich gut ist.“ (Int. 17) „Weil der Betriebsrat in aller Regel bemüht ist, eine gewisse, auch äh, Ablaufsicherheit zu gewähren, ja.“ (Int. 38)
3.2.4 Der Betriebsrat als Mittler und Entscheidungsträger Der Betriebsrat wirkt (meist frühzeitig) bei der Entscheidungsfindung mit. Aus seiner Rolle als Mittler ergibt sich auch die Rechtfertigung/Abfederung unangenehmer Entscheidungen gegenüber der Belegschaft; diese finden Akzeptanz bei den Arbeitnehmern, da sie von der Mitarbeitervertretung eingeführt, begründet und vertreten werden. So können z.B. Klagen gegen Kündigungen, die von Interessenausgleich und Sozialplan begleitet sind, vermieden werden. Die Arbeitgeberseite wird entlastet. „Ja, also, ich ... für mich ist das schon eher ein Vorteil. Weil, wir arbeiten gut zusammen, und ich nutz das gelegentlich auch als verlängerten Arm. …Ich schick ihn los, nicht? Ich schick ihn los und lass dann gewisse Sachen übermitteln. Das ist schon klasse.“ (Int. 16) „Nehmen wir mal das Thema 39-, 40-Stundenwoche, die Erhöhung um eine Stunde. … Und da haben wir sehr frühzeitig den Betriebsrat mit eingebunden und auch ihn gebeten, entwickelt mal eine Idee, was können wir da machen? Und das hat sehr, sehr gut funktioniert, und wir hatten hier Demonstrationen von ver.di vor unserem Gebäude, und da ist der Betriebsrat dann rausgegangen und hat zu den ver.di-Leuten gesagt, macht das nicht, wir sind dafür gewesen, und für uns ist es die richtige Idee und ihr schadet uns nur damit. Ist besser, als wenn der Vorstand rausgeht und sagt, wir wollen nicht, dass ihr hier demonstriert.“ (Int. 22) „(Die Mitarbeiter) haben sich halt ... über die Gründung des Betriebsrates auch der Zusammenarbeit der Gewerkschaft versichert und haben halt einen ziemlich guten Faktor gekriegt, …. jeder hat was gekriegt, alle sind super zufrieden und wir haben Null Streit gehabt vor Gericht:“ (Int. 32)
3.2.5 Der Betriebsrat als Korrektiv und Beratungsinstanz Die arbeitsrechtlichen und betriebsspezifischen Kenntnisse des Betriebsrates werden von den Personalern nachgefragt und tragen zu einer Verbesserung/Optimierung von personalwirtschaftlichen Entscheidungen und deren Umsetzung bei. Dabei veranlasst der Betriebsrat die Personalverantwortlichen direkt oder mittelbar zu mehr Konsequenz bei der Einhaltung von arbeitsrechtlichen Vorgaben. „Andererseits denke ich, ist so ein Gremium ab und zu auch mal ein gewisses Korrektiv. Man kann sich mal austauschen, auch schlicht und einfach, wenn Sie hinterfragen: ‚Was meint Ihr, wie diese oder jene Maßnahme oder diese oder jene Entscheidung bei den Mitarbeitern aufprallen würde?’ Gerade wenn es vielleicht mal nicht so angenehm ist.“ (Int. 3) „(…) sagen wir mal - Arbeitszeitüberschreitung gibt, das versuchen wir, auf Einzelfälle (…) zu beschränken. Und ich denke auch, wir sind da auch nicht die Einzigen, die in einem Betrieb, (…) auch sehr, sehr stark darauf achten. Nicht, also, es kommt von beiden Seiten. Und da sind wir - sag ich mal - doch ... ziehen die Arbeitnehmervertreter als auch
295
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung die Arbeitgebervertreter, also in Form der Personalabteilung und in Form des Betriebsrates, schon an einem Strang.“ (Int. 10) INT: „Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie arbeitsrechtliche Vorgaben außer Acht lassen mussten, um in dem Moment wirklich pragmatisch handeln zu können?“ PL: „Nein, das können wir ja auch gar nicht, weil wir es ja zu tun haben mit ... unsere Partner, die Betriebsräte ja da auch immer mit im Boot sind und das wäre ja auch wirklich kurz gesprungen und kurz gedacht. Nein, das machen wir nicht. Wo Vorschriften sind und auch, wenn sie uns wehtun mögen, halten wir uns an diese Vorschriften.“ (Int. 11) „So, also, deswegen funktioniert das schon eigentlich relativ offen, dass wir mit der Mitarbeitervertretung darüber sprechen und das vorgesehene Prozedere einhalten. Das fliegt mir ja sowieso um die Ohren, wenn ich mich nicht dran halte. Also mache ich das gleich.“ (Int. 22) „(Das Arbeitsrecht) ist sehr nah, es ist sehr nah und ist immer wieder präsent, ja. (…) Der Betriebsrat, der mit Ihnen spricht, der mit Ihnen verhandelt, (…), der hält Ihnen das täglich vor die Augen, ja. Weil das ist ja sein, sein, sein Werkzeug, sein Hebel, dass er gehört wird, dass er, und er wird es, er wird es dann auch an vielen Stellen dann verwenden, ja.“ (Int. 39) „... wenn man das so lebt, dann ist das Arbeitsrecht okay, weil, wenn man einfach weiß, es gibt einen Partner ... eins darf man auch nicht vergessen: Wenn man nur das alles immer wirtschaftlich betrachtet und so, dann ... sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und hat das Brett vorm Kopf. Und dann ist vielleicht auch gar nicht schlecht, wenn auch mal ein Betriebsrat oder auch ein Mitarbeiter einem auf die Schulter klopft und sagt: ‚Moment mal, da gibt es aber eine arbeitsrechtliche Regelung, so richtig zulässig ist das gar nicht, was ihr da macht’.“ (Int. 40) „(…) auch die Geschäftsleitung ist vor Fehlentscheidungen nicht gefeit. Und wenn dann durch den Betriebsrat oder sogar durch den Mitarbeiter selbst entsprechende Argumente kommen, die überzeugend sind, dann treten wir noch mal zurück von so einer Entscheidung.“ (Int. 26, Thema Verzicht auf geplante Kündigung).
4
Nachteile eines Betriebsrates
4.1
Stellungnahmen zur faktischen Zusammenarbeit
Die von den Interviewpartnern genannten Nachteile beziehen sich nur in geringem Maße auf die faktische Zusammenarbeit mit dem amtierenden Betriebsrat. Hier wird kritisiert, dass die Existenz des Gremiums zusätzliche Arbeit und Kosten verursachen würde. INT: „Nimmt der Betriebsrat so gesehen Ihnen auch dann Arbeit ab?“ PL: „Nein. Wenn man ganz ehrlich ist, nein. Eigentlich macht ein Betriebsrat Arbeit. Wenn Sie sich nur mal einfach den § 80 mal zwischendurch Betriebsverfassungsgesetz zu Gemüte führen. Was die Aufgaben des Betriebsrates sind. Und wenn ein Betriebsrat das 1 zu 1 wahrnimmt, dann können Sie in der Personalabteilung sich schon intensiv auf unnötigen bis ziemlich hohen Stressfaktor einstellen.“ (Int. 13) „Es ist einfach Unruhe da, ja. Und wir haben ... Wir haben täglich - kann man sagen - mit dem Betriebsrat zu tun.“ (Int. 15) „Es ist so ein Hemmschuh, zum Teil, ist es eine Verteuerung der Angelegenheit, des Ablaufs. Weil im Prinzip kommt genau das raus, was man vorher vorgeschlagen hat, man hat halt eben nur 20 Leute damit noch beschäftigt, ja, über einen gewissen Zeitraum und
296
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung zum Teil intensiv, ne?! Also von daher äh, ist es im Prinzip eine Verteuerung von Abläufen. Aber gut, ist halt eben so.“ (Int. 24)
In einem Einzelfall mache mangelnde Kompromissbereitschaft des Betriebsrates die Zusammenarbeit schwierig, in einem anderen wird das Mitreden des Betriebsrates trotz mangelnder Fachkenntnis als nachteiliger Aspekt der Mitbestimmung empfunden. „Zum Beispiel, ... wenn es um Betriebsvereinbarungen geht und man ... es kommt nachher so zur Wortspalterei. Oder Dinge, die ... ja, es gibt ja immer die ... die beiden Gesichtspunkte. Geschäftsleitung/Betriebsrat. (…) Und wenn der Betriebsrat nachher überhaupt nicht zu Zugeständnissen bereit ist, und es kommt dann zu ... zu Auseinandersetzungen, das ist nicht schön, nicht? (…) klar, der Betriebsrat muss natürlich versuchen, für ... für den Mitarbeiter das Beste rauszuholen. Aber irgendwo muss man dann auch mal gewillt sein, einen Konsens zu finden. Das ist dann oft sehr, sehr mühselig.“ (Int. 26) „Grundsätzlich, es wird mit entschieden bei Angelegenheiten, wo also überhaupt, auch zum Teil keine Fachkenntnis da ist, ne?! Aber man redet halt eben mit, äh, das stört mich dabei.“ (Int. 24)
Vier der Personalleiter, von denen drei ihren Betriebsrat durchaus schätzen, weisen darauf hin, dass Aufhebungsvereinbarungen die Verhandlungen mit dem Betriebsrat ersparen. Ist ein interessanter Gedanke, ich habe den noch nicht ... noch nicht weitergesponnen, ja? Was für mich da besonders attraktiv dran wäre, dass man sich Verhandlungen mit dem Betriebsrat erspart. (Int. 25, zu Reformvorhaben Abfindungsanspruch statt Kündigungsschutz).
4.2
Stellungnahmen zum Betriebsverfassungsgesetz
Ziel der Kritik ist vorrangig das Betriebsverfassungsgesetz selbst. So schränken nach Auffassung von fünf Gesprächspartnern die Beteiligungsrechte und die hiermit verbundenen Fristen – vor allem in Bezug auf Einstellungen – den Handlungsspielraum der personalverantwortlichen Akteure zu sehr ein. Es wird ein übertriebener Formalismus der Mitbestimmung beklagt. Gewisse Regelungen erweisen sich außerdem aus branchenspezifischer Sicht als praxisfern: Würde der Betriebsrat kompromisslos alle Rechte einfordern, könne er den Arbeitsablauf blockieren. Zwei der Interviewpartner halten die Rechte des Betriebsrats aus Unternehmersicht für grundsätzlich zu weitgehend. „Ja, das komplette Betriebsverfassungsgesetz. Es mag jetzt ein bisschen hart klingen, aber es schränkt schon sehr viel ein. Weil man zu viel beachten muss. Und ich denke mal, das Wesentliche, nämlich das, was man eigentlich will, man will ... bietet Arbeit an und man will ... und jemand anderes möchte arbeiten, wird es schon relativ kompliziert dargestellt. An dem Beispiel, was wir vorhin hatten, eine Ausschreibung muss 2 Wochen hängen, der Betriebsrat muss vorher gehört werden, dann haben Sie eine Frist, die im ungünstigsten Fall auch eingehalten wird, bis zur Einstellung, das ist eine Woche. Dann haben Sie schon 3 Wochen, ohne dass Sie die Zeit, die dazwischen liegt bis zu einer 297
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung Rekrutierung ... Das heißt, Sie brauchen teilweise 3 bis 4 Monate, bis Sie überhaupt jemanden dann beschäftigt haben.“ (Int. 13) „Ja, zum Beispiel, wenn wir - was weiß ich - jede Umgruppierung, jede Höhergruppierung und so weiter alles über den Betriebsrat geht, auch Dinge, die ja eigentlich zugunsten des Mitarbeiters sind. Ja? Aber formal eben, alle sind sich einig, und trotzdem eben dieser Formalismus über den Betriebsrat. Das finde ich zum Beispiel sehr lästig.“ (Int. 25) „Also wenn es gibt ja auch Betriebsräte, die eigentlich sehr messerscharf dieses Betriebsverfassungsgesetz provozieren und dann gehen sie in sehr tiefen Formalismus hinein. Das kann eine Betriebsstätte schon ziemlich lahm legen.“(Int. 39) „Also es gibt schon, es gib schon einige Mitbestimmungsrechte, Mitbestimmungsrechte, die sind sehr weitgehend und die sind sehr schwierig umzusetzen. Also da gibt es im §87, Mitbestimmungsrechte, da geht es um Ordnung im Betrieb, um Arbeitszeitgestaltung… Und da gibt es hohe Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates und die sind im Prinzip nicht umsetzbar. Wenn man sie rein nach dem Gesetz leben will. Es sei denn, sie würden 50-100% mehr Personalressourcen zur Verfügung stellen und das ist illusorisch, das ist absolut illusorisch, ja.“ (Int. 39, Thema Dienstpläne/Arbeitszeit im Klinikbetrieb) „Ich denke, was die Regularien angeht, ist das schon sehr weitgehend, was bei uns in der Bundesrepublik also hier das Betriebsverfassungsgesetz regelt. Es geht ja bis hin zu eigentlich … zur Beeinflussung von Unternehmensentscheidungen, nicht? Und das ist ja ... schon sehr weitgehend. Also, wenn Sie Privatunternehmer wären und Sie könnten nicht bestimmen, ob ich dem Meier 15 Euro mehr geben soll, alleine, wo Sie der Besitzer sind, muss man sich auch fragen ‚Was soll ich denn da noch?’“ (Int. 10) „Was mich also stören würde, wenn ich also Inhaber und Geschäftsführer wäre, was ich ja nicht bin, dann würde mich also diese Enteignung stören, da äh, reden also Leute über Sachen und bestimmen mit, äh, wo sie eigentlich überhaupt, überhaupt keine Haftung sind, außer für ihre eigene Person.“ (Int. 24)
5.
Betriebe ohne Betriebsrat
Von den 17 befragten Unternehmen ohne Betriebsrat haben 11 Interviewpartner Aussagen zu ihrer Einschätzung eines solchen Gremiums gemacht (zu dem Thema „Anderer Vertretungsorgane“ neustens: Hauser-Ditz et al. 2006a und 2006b). Dabei haben nur zwei der Personalverantwortlichen bereits Erfahrungen mit einem Betriebsrat gesammelt. Sechs der Interviewten äußerten eine eher negative Einstellung gegenüber der Institution Betriebsrat, die anderen hielten einen Betriebsrat aufgrund des herrschenden positiven Betriebsklimas für nicht nötig oder konnten sich einen „vernünftigen“ Betriebsrat als Gesprächspartner gut vorstellen. In einem Fall führte u. a. die Angst vor der Gründung eines Betriebsrates dazu, von Kündigungen wegen Verhalten/Leistung vor allem beliebter Mitarbeiter abzusehen; man will das Betriebsklima nicht gefährden.
298
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung
6.
Zusammenfassung
Unsere Hypothese, einer überwiegend positiven Einschätzung der betrieblichen Interessenvertretungsorgane durch Personalverantwortliche wurde in differenzierter Form bestätigt. Insgesamt scheint die Zusammenarbeit sehr pragmatisch und stark von den Gegebenheiten und Bedürfnissen des jeweiligen Unternehmens geprägt zu sein. Nur sehr bedingt können die komplexen Beziehungen „zwischen Arbeit und Kapital“ mit den Begrifflichkeiten der Gegenmacht oder des Co-Managements treffend gekennzeichnet werden (de Santana 2005 mit Nachw.). „Die pragmatische Anwendung findet oft auch statt im Einvernehmen mit dem Betriebsrat, weil beide Seiten wissen, dass es im Arbeitsrecht Dinge gibt, die völlig unsinnig sind und die auch keinen Sinn machen, wenn sie genauso, wie sie dort stehen, angewandt werden. Darum ist es durchaus so, dass die Betriebsparteien sich dann auch mal tief in die Augen schauen und sagen: ‚Wir machen es aber anders hier bei uns’.“ (Int. 15) „Das ist nicht immer deckungsgleich bei uns. Aber ich muss sagen, im Großen und Ganzen zieht der Betriebsrat da mit, denn sonst würde er ja auch über diesen Weg ein Unternehmen mit produzieren, das letztendlich sich im Markt überhaupt nicht mehr behaupten könnte. (…) Das ist ihm bewusst. Er weiß auch genau, wann er zu lockern hat.“ (Int. 15) „Ganz auf eine einfache Basis zurückgebracht - Standortsicherung. Ganz simpel. Also, sie sind schon ... Die Betriebsräte sind echt bemüht. Also, ich habe an jedem Ort einen Betriebsrat, einen lokalen Betriebsrat. Die sind schon wirklich sehr darum bemüht - nicht nur bemüht - besorgt, dass auch diese paar Arbeitsplätze, die wir haben - und es sind ja nicht viel, knapp 700 -, auch zu erhalten.“ (Int. 16)
Unter der Voraussetzung, dass der Betriebsrat zu – aus Sicht der Personalverantwortlichen – vernünftigen Kompromissen im Sinne des Unternehmens bereit ist, schätzen ihn die Befragten als kompetenten Gesprächspartner und Ratgeber. Insoweit wird Erhalt der Konkurrenzfähigkeit wird mit dem Erhalt der Arbeitsplätze gleichgesetzt. Ein gutes persönliches Verhältnis und die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der Betriebsparteien bedeutet dabei nach den ermittelten Ergebnissen für beide Seiten Handlungs- und Gestaltungsspielraum bei Verhandlungen. Die von den Personalverantwortlichen beschriebenen Vorteile werden als Erleichterung der Personalarbeit gewertet. Das Gremium verhandelt im Namen der Belegschaft, stellt seine Sachkenntnis zur Verfügung, bewahrt vor Gesetzesverstößen, vertritt gegebenenfalls unangenehme Entscheidungen gegenüber den Mitarbeitern. Die Möglichkeit des Betriebsrates, z.B. Kündigungen durch Sozialplan und Interessenausgleich für die Mitarbeiter abfedern zu können, verhindert langwierige und teure Auseinandersetzungen vor dem Arbeitsgericht (hierzu jüngst Pfeifer 2007). Die teilweise formulierte Kritik der Personalverantwortlichen richtet sich ganz überwiegend nicht gegen die Zusammenarbeit mit der betrieblichen Interessenvertretung. 299
2.7 Betriebsräte im Spiegel der Personalleitung
Vielmehr zielt sie auf das Betriebsverfassungsgesetz selbst, etwa die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen oder die hierdurch verursachten Kosten. Wie dieses Auseinanderfallen von überwiegend positiver Bewertung der praktischen Handhabung von Gesetzesbestimmungen mit der vergleichsweise negativeren Einschätzung der normativen Grundlage als solcher zu deuten ist, wird an anderer Stelle erörtert (vgl. Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3; Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1).
Literatur de Santana, Chr. (2005): Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Personalleitung. In: Schramm, F./Zachert, U. (Hrsg.): Arbeitsrecht-Personalpolitik-Wirklichkeit. Baden-Baden. S. 363-378. Frick, B. (2005): Kontrolle und Performance der mitbestimmten Unternehmung. Rechtsökonomische Überlegungen und empirische Befunde. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 45. S. 418-440. Hauser-Ditz, A./Hertwig, M./Pries, L. (2006): Betriebsräte und „Andere Vertretungsorgane“. Verbreitung und Kontext betrieblicher Beschäftigtenvertretungen in der deutschen Privatwirtschaft. Industrielle Beziehungen. 4. S. 341-369. Hauser-Ditz, A./Hertwig, M./Pries, L. (2006): Betriebsräte und andere Vertretungsorgane im Vergleich-Strukturen. Arbeitsweisen und Beteiligungsmöglichkeiten. In: WSI Mitteilungen 9. S. 500-506. Müller, M. (2005): Die Institution Betriebsrat aus personalwirtschaftlicher Sicht. In: WSI Mitteilungen. 10. S. 554-559. Nienhüser, W. /Hoßfeld, H. (2006): Wie bewerten Personalverantwortliche eine betriebliche Regulierung durch Betriebsvereinbarungen? Ergebnisse einer Befragung aus 1000 Betrieben. In: Bundesarbeitsblatt 2. S. 4-8. Nienhüser, W./Hoßfeld, H. (2005): Betriebsvereinbarungen - Kommt es auf den Betriebsrat an?. In: WSI Mitteilungen 10. S. 547-553. Pfeifer, Chr. (2007): Betriebsräte, Tarifverträge und freiwillige Kündigungen von Arbeitnehmern. In: WSI Mitteilungen 2. S. 63-69. Pries,L./Hauser-Ditz, A./Hertwig, M. (2006), Betriebliche Interessenvertretung in DeutschlandSurvey und Strukturanalyse. Projekt Hans-Böckler-Stiftung: Düsseldorf. Schramm, F./Zachert, U. (2005): Arbeitsrecht-Personalpolitik-Wirklichkeit. Baden-Baden. Tannisch, R. (2006): Die Effizienz der Mitbestimmung in ökonomischer Betrachtung. In: Arbeit und Recht. 3. S. 81-86.
300
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
Kapitel 2.8: Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen: empirische Analysen Michael Schlese/Florian Schramm
1
Wie bekannt ist das Reformvorhaben Arbeitsvertragsgesetzbuch?
Das Arbeitsvertragsgesetzbuch (ArbVG) stellt ein Reformvorhaben dar, nach welchem in den Interviews speziell gefragt wurde. Die Ergebnisse unterscheiden sich von den Ergebnissen der Untersuchung der Bevölkerung (vgl. Schramm 2007) deutlich: Die Aussagen über das ArbVG sind negativer und differenzierter. Das Arbeitsrecht hat in der Öffentlichkeit keinen guten Ruf, während durch die Praktiker sehr unterschiedliche und nicht so negative Einschätzungen formuliert werden. Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch wird von einer großen Mehrheit der Erwerbsbevölkerung begrüßt (vgl. Schramm 2007), von den betroffenen Entscheidungsträgern jedoch eher zurückhaltend beurteilt. Nur ca. 10% der Befragten geben explizit an, dass sie mit der Problematik vertraut seien. Die Kenntnisse sind zudem eher nebulös. Auf Nachfrage signalisiert aber über ein Viertel eine Zustimmung zu diesem Vorhaben (also deutlich weniger als in der Untersuchung ÖWAR – vgl. Schramm 2007). Etwa 20% drücken ihre explizite Skepsis aus. Diese reicht von einzelnen Bedenken bis zur pauschalen Ablehnung des ganzen Vorhabens. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das genannte Thema nicht in allen Interviews abgehandelt wurde. Somit sind die statistischen Aussagen mit großer Vorsicht zu behandeln. In 23 von 41 analysierten Interviews (55%) gab es insgesamt 56 Äußerungen, die sich auf die Thematik bezogen. Mit Fug und Recht lässt sich aber sagen, dass zum einen der Kenntnisstand über das ArbVG bei den Personalverantwortlichen eher gering ist und sich zum anderen Zustimmung und Ablehnung in etwa die Waage halten. Der Gesamteindruck ist eher eine kritische Kenntnisnahme, die das Vorhaben durchaus begrüßt, im Detail jedoch Bedenken sowohl gegen das Vorhaben selbst wie auch gegen seine Erfolgsaussichten äußert. Analog zu der ÖWAR-Studie wird deutlich, dass der stärkere Kontakt mit der Materie Arbeitsrecht zu einer kritischeren Haltung führt (zur theoretischen Betrachtung des Zusammenspiels: Rechtliche Kenntnisse und Einstellung gegenüber dem Recht, vgl. Schmidt/Worobiej im Kapitel 1.3, Abschnitt 2). 301
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
2
Kritikpunkte am Reformvorhaben
Wie oben schon angesprochen, reicht die Einschätzung des Reformvorhabens von pauschaler Zustimmung bis Ablehnung. Auch im Falle der Zustimmung werden verschiedene Bedenken geäußert. Diese lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: 1. Der Umfang eines Arbeitsvertragsgesetzbuches wird als problematisch angesehen. Im Kontrast dazu wird zuweilen auf das DDR-Arbeitsrecht (welche einfacher kodifiziert war) verwiesen, ohne diesem allerdings pauschal das Wort zu reden. 2. Die Kodifizierung sollte – so sehen es einige Interviewpartner – mit einer materiellen Vereinfachung der rechtlichen Bestimmungen einhergehen. Das wird als schwierig in der Durchführung gesehen. 3. Teilweise wird die Durchführbarkeit eines solchen Reformvorhabens generell in Zweifel gezogen. 4. Hinzu kommen die Besonderheiten des Richterrechts und die Neigung des Rechtssystems zum „Luxurieren“, d.h. zur ausufernden Produktion einschlägiger Entscheidungen und Kommentare, welche mit teilweise deftigen Worten kritisch angemerkt wird. Die denkbaren Einwände gegen ein solches Gesetzesvorhaben sind durchaus nachvollziehbar. Drei Einwände seien aus unserer Sicht genannt, die sich teilweise in den Äußerungen der Gesprächspartner wiederfinden. -
Erstens ist es fraglich, ob ein neues Gesetz über ein anderes Image verfügen würde als das Arbeitsrecht heute. Wären tatsächlich verbesserte Rechtskenntnisse vorhanden? Hierzu wären entsprechende Aktivitäten in der Bildung erforderlich. Zwar erhöhen auch praktische Erfahrungen die Rechtskenntnisse, jedoch macht nur eine Minderheit der Erwerbsbevölkerung etwa vor dem Arbeitsgericht entsprechende Erfahrungen (vgl. Schramm 2006). Eine Zusammenfassung des Rechts (ohne massive Vereinfachung) würde daran nichts ändern. (vgl. Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, insb. Abschnitt 2)
-
Zweitens stellt sich die Frage, was mit einer erhöhten Transparenz des Arbeitsrechts bei den Laien verbunden ist. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist für die Funktionstüchtigkeit des Arbeitsrechts sicherlich – wie bei anderen Themen auch – die Einschätzung und die Handhabung durch die Experten bedeutsamer als die Einschätzung der Laien. Für die langfristige Funktionstüchtigkeit einer demokratischen Gesellschaft ist es natürlich wünschenswert, wenn sich die Mitglieder der Gesellschaft kompetent fühlen und es möglichst auch sind. Die Autopoiesis, Selbst302
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
referenz und operationale Geschlossenheit des Rechtssystems aufheben zu wollen, würde jedoch die Aufhebung des Rechts als eigene Wertsphäre bedeutet (vgl. Schramm et al. Kapitel 1.1, Abschnitt 2). So besteht immer die Notwendigkeit, juristische Entscheidungen und ihre Grundlagen (in Gesetzen, Verordnungen, Urteilen und Kommentaren) für die Laien übersetzen zu müssen; ein Arbeitsvertragsgesetzbuch würde daran ebenfalls nichts ändern. Personalverantwortliche sind nun keine vollständigen juristischen Laien. Auch sie sind aber überwiegend auf den Rat von Rechtsexperten angewiesen, denen sie als Berufsstand teilweise misstrauen, wie die Interviews zeigen. -
Drittens ist Zurückhaltung bezüglich der Wirkung von Recht bzw. Rechtsänderungen auf wirtschaftliche Größen wie das betriebliche Beschäftigungsverhalten angebracht. Recht wirkt auf das wirtschaftliche Verhalten nicht selten schwächer als erwartet, wie oftmals nur ausgewählte Personen, Branchen oder Beschäftigungsverhältnisse von Rechtsänderungen betroffen sind. Manchmal unterscheiden sich zudem intendierte und faktische Wirkungen erheblich (vgl. Schramm/Zachert 2005). Die Mehrheit der Befragten sieht das offensichtlich ähnlich.
So widerspiegelt die skeptisch-wohlwollende Haltung unserer Interviewpartner (AribA) die Lage durchaus zutreffend, wobei wir einen differenzierten Meinungs- und Kenntnisstand konstatieren müssen. Schauen wir uns die Einschätzungen im Detail an. Wir wollen zunächst an die verschiedenen Modi der Einstellung zum Arbeitsrecht wie des Umgangs mit demselben erinnern.
2.1
Die Einschätzung des ArbVG als Einstellung der Befragten
Personalverantwortliche können ebenso wie die Bevölkerung insgesamt das Arbeitsrecht durchaus auf verschiedene Art einschätzen. Zu unterscheiden sind u. a. erstens Einstellungen zum Arbeitsrecht (bzw. dessen Image), zweitens Wissen über das Arbeitsrecht und drittens Erfahrungen mit dem Arbeitsrecht (siehe das Grundmodell – Kapitel 1.1). Diese Größen können, müssen jedoch nicht im Zusammenhang stehen (ähnliche Debatte vgl. Lucke 1995: 81ff.; siehe auch Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 5.2). Darüber hinaus können die Interviewpartner Einstellungen vertreten, die weder mit ihrem Wissen noch mit Erfahrungen eng gekoppelt sind. Diese Einstellungen können zudem in sich widersprüchlich sein oder eben auch die tatsächliche Widersprüchlichkeit des Gegenstandes widerspiegeln. In unserem Falle weist das Arbeitsrecht als Vertrags- und Schutzrecht einen Doppelcharakter auf: Zum einen regelt es vertragsrechtlich die formale Gestaltung der Arbeitsbeziehungen hinsichtlich des Schuldverhältnisses, des Arbeitsortes, der Arbeitszeit, Tätigkeit etc. sowie die Bedin303
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
gungen der Auflösung desselben. Zum anderen hat es die Funktion, den Arbeitnehmer vor Übergriffen des Arbeitgebers und unbillige Härten aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Auflösung zu schützen. Es handelt sich um eine asymmetrische Vertragsbeziehung, bei der die eine Seite ihre Interessen eher als die andere durchsetzen kann. Art und Umfang dieser Asymmetrie freilich können unterschiedlich sein (vgl. Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 2). Insofern kann ein Schutzbedürfnis durchaus auch als Einschränkung der notwendigen Dispositionsfreiheit über die vertraglich gebundene Arbeitskraft empfunden werden. Entsprechend widersprüchlich dürfte die Wahrnehmung des Arbeitsrechts sein. Diese Widersprüche bzw. komplementären Erfordernisse (Vertragsrecht und Schutzrecht) müssten im ArbVG gewissermaßen ihre Bewegungsform finden, um einen Marxschen Ausdruck zu bemühen. Sicher würde die in sich geschlossene Kodifizierung in einem Werk die komplementären Erfordernisse deutlicher hervortreten lassen, als es gegenwärtig der Fall ist. Unsere Interviewpartner sehen das tendenziell auch so und leiten daraus notwendige Vereinfachungen ebenso ab wie die Vorhersage des Scheiterns des Projektes ArbVG. Auch das Wissen über einen Gegenstand muss nicht von eigener Erfahrung gesättigt sein. Die Erfahrungen der Personalverantwortlichen können zu mehr Wissen führen, die Einstellungen oder das „Image“ beeinflussen, oder diese Aspekte auch weitgehend unberührt lassen. So lassen sich verschiedene Aspekte unterscheiden, die mit Begriffen wie „Gefühltes Recht“, „Erfahrenes Recht“, „Rechtsgefühl“, „Rechtsbewusstsein“, „Rechtskenntnisse“, „praktische Rechtserfahrung“ umschrieben werden können (vgl. Schramm et al. Kapitel 1.1). Positionen bzw. Einstellungen, Erfahrungen und Wissen sind nun nicht automatisch handlungsbestimmend, zumindest nicht allein, da die Akteure in einem organisatorischen Rahmen handeln, der durch die Interviews nur sehr beschränkt erfasst werden kann. Uns stehen lediglich die Schilderungen der Interviewten zur Verfügung, die im Rahmen des Interaktionssystems „Interview“ durchsetzt sind von ad hoc gewählten Positionsbestimmungen und Einschätzungen, welche sich, wie wir noch sehen werden, an mehr oder weniger passenden, lebensweltlichen Referenzbespielen (gewissermaßen an „Ersatzerfahrungen“ – anekdotische Evidenz – vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3) orientieren. Unser Fallbeispiel des Projektes Arbeitsvertragsgesetzbuch macht das sehr schön deutlich. Wir haben also drei Probleme bei der Interpretation der Interviews zu einem konkreten – teilweise den Befragten völlig unbekannten – Sachverhalt: 1. Einstellungen, Wissen und Erfahrungen können in unterschiedlichem Verhältnis zueinander stehen. Die Einstellungen zu einem konkreten Gegenstand können 304
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
zudem den sonstigen Überzeugungen der Person korrelieren, die sich oftmals an ganz anderen Erfahrungswelten als dem Arbeitsrecht festmachen. 2. Die Interviewten können Positionen beziehen, die nicht unbedingt ihren tatsächlichen Einstellungen entsprechen müssen (falls es diese überhaupt gibt, wenn ihnen der Gegenstand bis dato unbekannt ist). Diese Positionen widerspiegeln eher die Interviewsituation als die Einstellungen der Akteure. Um nicht in den methodischen Unwägbarkeiten stecken zu bleiben, haben wir uns für eine Analyse der Texte (Interviewtranskripte) entschieden, bei denen wir die Gesprächspartner als sprach- und handlungsfähige Subjekte (Habermas) ernst nehmen, die mit den Interviewern kommunikativ handeln. Fassen wir zusammen: Die Befragten äußern ihre Einschätzung zum ArbVG teilweise unabhängig davon, ob ihnen dieses Reformvorhaben bereits bekannt war oder nicht. Zur Illustration ihrer Einschätzung – die insgesamt kritisch wohlwollend ist – greifen sie auf eigene oder fremde Erfahrungen und ad hoc gewählte „Fallbeispiele“ zurück (anekdotische Evidenz). Dabei bringt das Urteil über das ArbVG eher ihre Einstellung zum Arbeitsrecht als ein differenziertes, wohl begründetes Urteil über das konkrete Reformvorhaben zum Ausdruck. Trotzdem hat dieses Urteil einen Wert für unsere Analyse: 1. Insofern das Urteil zum ArbVG eine Grundstimmung bezüglich des Arbeitsrechts zum Ausdruck bringt, können wir ihm einen gewissen Vorhersagewert für das Handeln der Akteure zubilligen. 2. Dieses Urteil bildet sich in der Interviewsituation, die ein eigenständiges, fragiles soziales System darstellt, und wird von ihr beeinflusst. 3. Das Stimmungsbild signalisiert aber auf jeden Fall Zustimmungsbereitschaft oder Skepsis im Falle der tatsächlichen Reform. 4. Die Einstellung zum Arbeitsrecht bestimmt für sich genommen noch nicht den Umgang mit demselben im Betrieb, sondern beeinflusst ihn, soweit die Akteure dabei einen Entscheidungsspielraum haben. Sie handeln aber in einem organisatorischen Kontext eingebunden, den wir mit unseren Interviews nicht hinreichend beschreiben können. 5. In den Aussagen der Akteure können (gut begründet oder nicht) durchaus richtige Hinweise zur Problematik der Reform stecken. Das betrifft sowohl Nachteile als auch Vorteile desselben. Diesem letzten Aspekt, des objektiven Aussaggehaltes zum ArbVG, wollen wir im Folgenden weiter nachgehen. 305
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
2.2
Positive Wirkungen eines einheitlichen ArbVG
Der effiziente Umgang mit dem Arbeitsrecht sollte hinreichende Transparenz desselben voraussetzen. Angesichts der vagen Kenntnisse der Bevölkerung und der Diskussion in den Medien lässt sich eine starke Befürwortung dieses Reformvorhabens erwarten. Ein gewisser Reformbedarf wird auch in einer einschlägigen Studie (Pfarr et al. 2005: 22ff.) konstatiert. Jedoch weichen die im Rahmen des Projektes AribA erfragten Einschätzungen von der öffentlichen Wahrnehmung deutlich ab. Die differenzierteren Einschätzungen der Personalverantwortlichen können wir mit entsprechenden Zitaten illustrieren. Die Bandbreite der im Rahmen der Experteninterviews geäußerten Einschätzungen ist groß: Sie reicht von guter Kenntnis der Diskussion bis hin zur Unkenntnis; sie reicht von Zustimmung bis zur Ablehnung des Reformvorhabens. Insgesamt ist die Zustimmung geringer als die Bevölkerungsumfrage (vgl. Schramm 2007) vermuten lässt. Vereinzelt finden wir eine pauschale Zustimmung bzw. sogar den Wunsch nach einem einheitlichen Gesetzbuch: „Und ich jetzt noch 2 Wünsche? Schön wäre es ... ein wirklich kodifiziertes Arbeitsrecht. Also, Arbeitsgesetzbuch. Ist ja seit Jahren in der Diskussion, kommt ja nichts zustande. Wir holen uns ja unsere gesetzlichen Grundlagen aus unterschiedlichsten Gesetzen raus und viel aus der Rechtsprechung. Und die Politik hat ja lange drüber nachgedacht, ein Arbeitsgesetzbuch zu schaffen, aber die bringen das nicht zustande, bis jetzt jedenfalls.“ (Int. 17)
Diese Zustimmung kann mit konkreten Vorstellungen gepaart sein: „Arbeitsvertragsgesetzbuch. Ja, ich nehme an, das ist ein Sammelsurium sämtlicher Arbeitsvertragsregelungen und vielleicht irgendwelche angrenzenden Gebiete, die dann sagen wir einmal - in einen großen Topf kommen, neu strukturiert werden und wo letztlich dann ein Gesetzeswerk dann herauskommt. Und jetzt sind es vielleicht, keine Ahnung, 2, 3 große irgendwelche Verordnungen und weiß Gott was dazu. Das Gleiche gab es ja schon einmal, als der Wunsch ein Umweltgesetzbuch herauszubringen.“ (Int. 27)
Im nächsten Interview gehen die Erwartungen über die bloße Kodifizierung des Vorhandenen hinaus: „Na ja, eben, dass da nur bestimmte Mindeststandards halt drin sein müssen. Meinetwegen auch, wenn man zum Beispiel - aber das muss ja ein Gesamtpunkt - sag ich jetzt mal - sein - wenn der Kündigungsschutz abgeschafft wird, dass man möglicherweise über so was wie Mindestarbeitsbedingungen nachdenkt. Nicht? Also, oder dass es zum Beispiel im Bereich des Arbeitszeitrechtes ... ich denke, das ist zum Beispiel relativ wichtig, das Arbeitszeitrecht, dass so was zum Beispiel da auch drin ist. Und das muss man sagen, also, im Bereich der ... des Arbeitszeitrechts hat man ja ganz stark liberalisiert. Das halte ich zum Beispiel für ganz gut. Aber da denke ich mir, das ist wichtig, dass Ruhezeiten eingehalten werden, dass die Leute nicht plötzlich 20 Tage am Stück arbeiten müssen und dann keine freien Tage dazwischen sind. Und solche Sachen, weil das geht ja schon wieder in Gesundheitsschutz irgendwie rein. Und ich denke, dass das zum Beispiel ganz sinnvoll wäre, dass man da ... dass man das da schon irgendwie beibehält und das nicht völlig frei irgendwie ... dem freien Spiel der Kräfte überlässt. Das kann ich so kurz nicht beantworten, ehrlich gesagt“. (Int. 21)
306
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
Die Festlegung von Mindeststandards (z.B. zur Arbeitszeit) ist natürlich etwas anderes als die bloße Kodifizierung. Bei der Arbeitszeit ist sie mit dem Arbeitszeitgesetz, das Bestandteil des ArbVG sein könnte, bereits erfolgt. Ob dies auch auf den Kündigungsschutz oder gar auf die Entgelte übertragen werden könnte (Stichwort: Mindestlohn) darf bezweifelt werden.
2.3
Negative Urteile über ein ArbVG
Wir finden auch pauschale Ablehnung. Besonders illustrativ ist – wenn auch die Ausnahme – das Interview 18: INT: „Was würden Sie sich vorstellen, wenn Sie das Wort hören Arbeitsvertragsgesetzbuch?“ PL: „Scheiße.“ INT: „Eigentlich sollte es ja ...“ PL: „Schwachsinn. Passen Sie mal auf. Wenn ich heute ein Fahrzeug kaufe oder ein Fahrzeug lease, haben wir einen Leasingvertrag. Da ist genau geregelt, wer welche Pflichten und Rechte hat. Oder? Und das kann ich doch im Arbeitsvertrag genauso reinschreiben. Und wenn beide das unterschreiben, dann habe ich doch eine rechtliche Situation. Da muss ich doch nicht hergehen und muss vom Staat aus irgendwelche Sonderlocken einbauen, die eigentlich das Ganze nur verkomplizieren. Ist Schwachsinn.“ INT: „Ja, aber ...“ PL: „Das ist das Werk der Beamten, damit die wieder eine Daseinsberechtigung haben.“
Bemerkenswert ist hierbei, dass das Referenzbeispiel Leasingvertrag nur bedingt zutrifft, da es natürlich neben dem Vertrag AGB und das BGB gibt, in deren Lichte alle Verträge zu interpretieren sind. Offensichtlich kennt unser Gesprächspartner das ArbVG gar nicht, was ihn aber nicht daran hindert, eine (kritische) Meinung zu haben. Die Ablehnung des ArbVG kann nicht nur von Nicht- oder Halbwissen getragen sein, sondern auch von persönlichen Vorurteilen: „Ich weiß nicht, ich gucke nicht nach. Nein, ich glaube nicht, weil letztendlich das Problem ... das können Sie ja nicht festmachen anhand von Paragrafen, Sie haben ja das Arbeitsrecht jeden Tag in Ihrem Leben und das ist das Entscheidende ... ich weiß ja selber, wenn ich heute Konzertkarten habe, dann habe keine Lust, dass mein Chef am Abend zu mir sagt: ‚Jetzt musst du bis 10 Uhr arbeiten’, oder so, ja? Ist schon klar. Aber wir müssen in verschiedenen Bereichen einfach flexibler sein, weil wir uns sonst verschiedene Dinge nicht mehr leisten können, an die wir uns gewöhnt haben und die können.. Es ist ja eh schon alles am Absteigen. Also, ist ja nicht mehr so, es wird noch viel schlechter.“ (Int. 20)
Ein weiteres Beispiel (Interview 31) macht deutlich, wie allgemeine Einstellungen (die nicht unbedingt erfahrungsgesättigt sein müssen) ad hoc zu Urteilen über einen vorher nicht bekannten Sachverhalt umgeformt werden: INT: „Dann wird ja in letzter Zeit vermehrt über ein allgemeines Arbeitsvertragsgesetzbuch nachgedacht. Haben Sie davon schon mal gehört?“ PL:“ Ehrlich gesagt nicht.“ INT: „Welche Vorstellungen würden Sie denn mit solch einem Projekt verbinden? Sie hatten vorhin schon mal geäußert, dass es ja so viele gesetzliche Regelungen gibt. Würden Sie glauben, dass man das tatsächlich schaffen kann, das Ganze auf einen einfachen Nenner zu bringen?“ PL: „Nie und nimmer. Wissen Sie, die letzte Steuerreform, diese angebliche Vereinfachung, wissen Sie, wer da die größte Arschkarte gezogen hat? Wer richtig drauf gezahlt hat? Alleinstehende Mütter mit Kindern. Und wissen Sie, wer so richtig das Leckerlie gekriegt hat? Unternehmer, beziehungsweise Angestellte, die über der Beitragsbemessungsgrenze verdienen. Und wissen Sie, was die ganze...die Vereinfachung, die allgemein ausgesprochenen Vereinfachung auf allen Belangen bewirkt hat? Dass Be307
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen rechnungen, die ich vorher auf zwei DIN A 4 Seiten gemacht habe, jetzt mit sechs und sieben DIN A 4 Seiten ablaufen. Das heißt, dass ist alles eine einzige große Verarsche. Entschuldigen Sie diesen Ausdruck, aber es ist einfach so. Und das können die nur machen, weil die Menschen keine Ahnung von bestimmten Dingen haben. Weil das mit... und ich unterstelle, das ist Absicht... immer komplizierter wird. Jetzt müssen sogar die armen Rentner wegen ihrer blöden Rente zum Steuerberater gehen. Das ist jawohl ein Hohn. Ich habe einen ehemaligen Steuerberater, bei dem ich gearbeitet hab, mit dem ich jetzt noch in Kontakt stehe, zu dem bin ich hingegangen und hab gesagt: ‚Kannst du mir das mal bitte erklären?’ Da sagt der: ‚Ich hab keine Ahnung, wie das gehen soll! Wenn der erste Rentner zu mir kommt, dann werde ich das Finanzamt anrufen. Ich hab keine Ahnung.’"
Dieses und die vorangegangenen Beispiele verdeutlichen die oben schon angedeuteten verschiedenen Aspekte der Interviews: -
Einstellungen zu arbeitsrechtlichen Fragen werden ad hoc geäußert; es sind eher Positionen im Interview als Einstellungen. Beispiel: „Scheiße, Schwachsinn, nie und nimmer“ sind wohl eher als spontane Äußerungen denn als abgewogene Urteile zu deuten.
-
Eine Handlungsrelevanz ist dann nicht unmittelbar zu erkennen.
-
Zur Illustration der Position werden „Ersatzerfahrungen“ herangezogen, also Schilderungen von Sachverhalten, die weder mit der eigenen Erfahrung im Arbeitsrecht noch mit dem besprochenen Gegenstand ArbVG unmittelbar etwas zu tun haben. Beispiel: Leasing, Konzertkarten, Steuerreform.
-
Diese Ersatzerfahrungen illustrieren die Positionen, welche wohl eher eine Grundstimmung wiedergeben, als die konkrete Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Wir kommen darauf zurück. Beispiel: „Ich weiß nicht, ich gucke nicht nach“; „Ehrlich gesagt nicht.“.
Auch wenn eine gewisse Zustimmung erkennbar ist, so gibt es doch diverse Bedenken. Diese bestehen bspw. bezüglich des Umfangs eines solchen Gesetzeswerkes: „So ein paar sind ja sicher schon durchgeklungen, aber als erstes würde ich mir mal ein nicht so dickes, einheitliches Arbeitsgesetzbuch wünschen. So in der Form. Das sind circa 800 Seiten. Mit dem SGB hat man es ja schon versucht, zwar auch noch nicht so ganz hingekriegt, aber, Sie sehen hier (zeigt vermutlich auf eine Bücherwand), die ganze Reihe da mal vereinheitlichen und die Gesetze, die da drin stehen bitte so präzise, dass sie jeder Personalleiter, der nicht Jura studiert hat und jeder Betriebsrat, der nicht Jura studiert hat, lesen und verstehen kann und nicht hunderte von Arbeitsrichtern damit beschäftigen muss, irgendwelche Dinge auszulegen. Das waren jetzt zwei. Und wenn das kommt, dann wäre ich schon ziemlich glücklich, glaube ich.“ (Int. 03)
Einerseits werden Vergleiche mit der Rechtssetzung in der DDR gezogen, andererseits mit dem SGB: „Ja, ich wir können ja das schon - sagen wir mal - was das Sozialgesetzbuch angeht, da haben wir ja schon die entsprechenden Bücher, die ja noch nicht komplett sind. Ich sag mal, da arbeiten wir seit den 70er Jahren dran. Sie sehen, wie lange der Prozess andauert, um allein den sozialen Bereich ... also spricht, SGB 1 bis SGB 16, nicht? Und einige Bücher sind ja noch gar nicht gefüllt, was das Sozialrecht angeht. Arbeitsrechtlich wäre es auf jeden Fall wünschenswert, wenn wir ein Arbeitsgesetzbuch hätten. Aber ich nehme 308
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen auch das jüngste Beispiel. Nehmen Sie mal die frühere DDR. Da war das auch im Arbeitsgesetzbuch geregelt, viele arbeitsrechtliche Dinge, die wir nicht so haben. Bei uns ist das eben eine Vielzahl von Gesetzen, die teilweise eingesetzt ... regelt den gleichen Tatbestand anders als ein anderes Gesetz den gleichen Tatbestand regelt ... da kommt man irgendwo in Konflikte …. Also, das wäre schon ... und da ist man ja dabei. Es ist ja schon was passiert, aber bei weitem nicht genug.“ (Int. 10)
Bedenken bestehen aber auch bezüglich der technischen Durchführbarkeit des Vorhabens (hier wieder auf den möglichen Umfang des ArbVG bezogen), wie folgendes Beispiel verdeutlicht: „Ja, das wäre ... natürlich wäre das sinnvoll. Aber das wird ja doch nichts … Gucken Sie sich Sozialrecht an, da heißt es schon wieder: ‚Ja, wir machen das alles in die Sozialgesetzbücher rein.’ Aber dann bleibt wieder irgend so ein Appendix aus der Reichsversicherungsordnung ... bleibt dann doch wieder irgendwo hängen. Aber sinnvoll wäre es natürlich, wenn das ein Buch wäre, wo alles irgendwie drin wäre. Aber erstens mal ist es dann sowieso wieder dreibändig (lacht*), ob alles drin ist. Also ... aber grundsätzlich ja.“ (Int. 21)
Der Vergleich mit der DDR taucht im Zusammenhang mit dem ArbVG mehrfach auf, auch wenn der Vorbildcharakter zugleich wieder relativiert wird: „Also, da gibt es ... ich kann das beides vergleichen. Ich muss sagen, das DDRArbeitsrecht war nicht menschenfreundlich, wie das Kündigungsrecht, aber es hatte viele Dinge viel einfacher geregelt und geklärt. Und diese Kompliziertheit, dass du bei jedem Arbeitsrechtsstreit möchtest du dir einen Anwalt nehmen. Und wie es ausgeht, weißt du auch noch nicht. Und wenn ich sehe, wie meine Frau dann erzählt: ‚Na, heute haben wir 3 Vergleiche gemacht’, ich sage ‚Mann, musst du aber urteilen, nicht immer bloß vergleichen, dann läuft es viel schöner.’ Ein Vergleich ist viel schöner für alle Seiten halt. Wenn ... da muss ich sagen, da wird das Recht eigentlich nicht ausgelebt, wenn es nicht entschieden wird. Es wird immer verglichen. Können Sie ohne Arbeitsgesetzbuch machen ... das war zu DDR-Zeiten einfacher gestrickt. Es ist viel zu kompliziert, viel zu viel Grundsatzurteile, die dann noch hineinwirken und was da alles so mal entschieden wird, was ... was eigentlich nur zur Illustration des Gesetzes gilt. Das kann kein Schwein mehr überblicken hier - sag ich jetzt mal. Und das ist so besonders; das Manko, was ich sehe. Weil, wenn du arbeitsrechtlich up to date sein möchtest, dann musst du Richter sein oder Arbeitsrechtler. Sonst kannst du es gar nicht überblicken. Also,... gibt es ja jeden Tag ... und wir haben ja auch verschiedene Literatur, was unsere Firma betrifft, was da an Urteilen und Themen veröffentlicht wird ... ich verfolge das oftmals sehr intensiv und sehr, sehr gründlich. Aber trotzdem muss ich sagen, so richtig 100% bin ich da ... es gibt ja jede Menge Urteile und ... ich weiß nicht, ob das richtig gut ist, die Vielfalt … das wächst ja immer weiter. Das wird ja ein Kollos, das Arbeitsrecht, durch die vielen Grundsatzurteile und weiß ich nicht alles. Also das wurde zu DDR-Zeiten einfacher gestrickt, viel einfacher gestrickt. Und auch für den Werktätigen damals überblickbar. Dass ... als das bei und Arbeitsrechtsstreit gab, hast du keinen Rechtsanwalt gebraucht, das konntest du selber regeln, jetzt geht es gar nicht mehr.“ (Int. 41)
Die personalwirtschaftlichen Entscheidungsträger begrüßen also eine Vereinfachung und Verschlankung des Arbeitsrechts in der Hoffnung, dass es ihre alltägliche Arbeit erleichtert: „Also, im Prinzip halte ich die schon für sinnvoll, weil ich glaube, es gibt genug Leute, die arbeitsrechtlich nicht beraten sind und auch durch diesen Wust ... weil, es gibt ja eben z.B. nicht das Arbeitsgesetzbuch. Es gibt eine Vielzahl.“ (Int. 40)
Jedoch erkennen sie auch die mit diesem Vorhaben verbundenen Probleme oder Fragen, was das folgende Zitat noch einmal veranschaulicht:
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2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen „Sinnvoll wäre es natürlich, wenn das ein Buch wäre, wo alles irgendwie drin wäre. Aber erstens mal ist es dann sowieso wieder dreibändig, ob alles drin ist. Also ... aber grundsätzlich ja.“ (Int. 21)
Nichtwissen über den Gegenstand muss jedoch nicht mit pauschaler Ablehnung gepaart sein: „Assoziation: Komprimierung, Handhabung, also ich finde alles gut, was in einem Ding steht und nicht in 18. Selbst wenn es das Gleiche Volumen ist, aber in einem Ding zusammen gefasst ist, dann finde ich das schon gut. Weil dann ist der nächste Schritt nicht mehr das Zusammensuchen, weil das hat man dann bereits erledigt, dann ist es halt, das Volumen von 690 Seiten auf 487 zu stutzen. Hört sich gut an, ich habe davon allerdings noch nie was gehört.“ (Int. 32)
Bei einer Vereinheitlichung stellt sich wie schon erwähnt die Frage nach materiellen Veränderungen, die vereinzelt von Personalverantwortlichen gewünscht werden. Eine Neufassung des Arbeitsrechts legt natürlich nahe, dies mit inhaltlichen Änderungen etwa beim Kündigungsschutz zu verbinden. Dies verweist auf die politische Dimension des Vorhabens, die gewiss das größte Hemmnis bei dem Reformvorhaben darstellt. Wir erinnern an obiges Beispiel: „Na ja, eben, dass da nur bestimmte Mindeststandards halt drin sein müssen. Meinetwegen auch, wenn man zum Beispiel, wenn der Kündigungsschutz abgeschafft wird, dass man möglicherweise über so was wie Mindestarbeitsbedingungen nachdenkt.“ (Int. 21)
Ein anderes Zitat verdeutlicht den Zusammenhang von Kodifizierung und Vereinfachung an einem weiteren, negativ vorgetragenen Beispiel: „Ja, sag ich mal, eine Übersichtlichkeit zu schaffen, das ist sicherlich von Vorteil, weil manche Regelungen, die sammeln sich ja wirklich nun aus allen möglichen, Gesetzen zusammen - das ganz sicherlich um da einen Überblick zu machen, zu haben ... Also ich sag mal, zum Beispiel das Antidiskriminierungsgesetz, was nur das zusammenfasst, was sowieso schon geregelt ist und noch mal ein bisschen drüber hinaus... Also, also solche, auf solche Regelungen kann ich dann verzichten. Also die, aus den bestehenden Dingen - so wie wir sie eben diskutiert haben - noch mehr Verwaltungsaufwand schaffen als sowieso schon Regelungen bestehen... Also das Antidiskriminierungsgesetz, die haben da viele Facetten, die entsprechende geregelt sind, die anzuwenden sind, von den Arbeitgebern und das hier ist ein Formalismus, der einfach bestimmten Berufsgruppen wieder eine Menge Tätigkeitsmöglichkeiten beschert, aber letztendlich in der Praxis kein Stückchen weiter hilft, im Gegenteil.“ (Int. 37)
3
Zum Zusammenhang von Erfahrung, Wahrnehmung und Urteil
Wie wir oben schon ausgeführt haben gehen wir von einer lockeren Koppelung von tatsächlicher Erfahrung mit arbeitsrechtlichen Gegenständen, der Wahrnehmung des Arbeitsrechts insgesamt und den Urteilen über bestimmte arbeitsrechtliche Themen (hier ArbVG) aus, wobei die pauschale Wahrnehmung gewissermaßen den Resonanzboden darstellt, auf dem sich die Urteile (teilweise spontan) golden, die mit eigenen oder fremden (eher „geborgten“) Erfahrungen illustriert werden. Das zeigt sich auch in unseren Interviewpassagen zum ArbVG. 310
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
Es wird deutlich, wie eine Referenzdiskussion (die ebenfalls zumindest teilweise den Charakter einer Ersatzerfahrung – anekdotische Evidenz – hat) ad hoc herangezogen wird, um eine Position zu beziehen. Es bleibt dabei völlig offen, ob diese Position erfahrungs- oder wissensbasiert ist oder eine handlungsrelevante Einstellung darstellt. Das bezeichnete Problem, dass Kodifizierung allein noch nicht sinnvolle Komplexitätsreduktion bedeutet, welches hier wohl gemeint ist, besteht jedoch unabhängig davon, ob im Interview nun „nur“ Position bezogen oder praktische Erfahrung reflektiert wird. Das Problem „wohnt“ gewissermaßen in der Popperschen Welt 3. der Ideen im objektiven Sinne. Hierzu eine kurze Erläuterung: Popper unterscheidet bekanntlich die „Welt 1“ der physikalischen Zustände von einer „Welt 2“ der mentalen Erlebnisse und einer „Welt 3“ der Ideen im objektiven Sinne. Zur Welt 3 gehören wissenschaftliche Theorien, Probleme, aber auch künstlerische Produkte oder Ideologien etc. Die soziale Welt stellt gewissermaßen eine Schnittfläche dieser drei Welten im Popperschen Sinne dar; sie bereichter diese Welten aber auch (z.B. durch technische Artefakte, die Sozialisation der Akteure oder gesellschaftliche Ideen). Bleiben wir bei den Problemen als Elemente der Welt 3: Diese existieren unabhängig davon, ob sie von den Akteuren erkannt werden oder nicht, auch dann, wenn sich die Probleme auf soziale Institutionen beziehen. Üblicherweise wird das in der Entscheidungstheorie untersucht und findet Eingang bspw. in die Konfliktberatung. Ein Problem im Popperschen Sinne stellt sich, wenn Informationen aus verschiedenen Quellen (die einen Gegenstand betreffen) zusammengefasst und vereinheitlicht (kodifiziert) werden sollen: Zunächst steigt die Komplexität in der Vereinheitlichung gegenüber den Einzelquellen – bei dem Versuch, diese zu reduzieren (z.B. durch das Eliminieren von Redundanzen) können Widersprüche, Lücken, Inkompatibilitäten deutlich werden. Eine Komplexitätsreduktion geht über die bloße Zusammenfassung der vorhandenen Informationen hinaus; sie ist die Voraussetzung dafür, dass mit der Zusammenfassung das betrachtete Gebiet nicht noch unübersichtlicher wird, als es schon ist. Die Reduktion der Komplexität der Information kann insofern inhaltliche Veränderungen erzwingen, und wird dies wohl auch, da jedes hinreichend komplexe semantische System Widersprüche und Paradoxien produziert. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn auch die Kodifizierung des Arbeitsrechts logische Probleme, Unvollkommenheiten, unerwünschte Redundanzen und auch (bisher vielleicht sozial funktionsnotwendige) Lücken aufgedeckt. Das alles wäre dann der objektiven Situation des Rechts als semantisches System geschuldet, unabhängig davon, ob die Akteure dies wünschen oder nicht. Und darauf hinzuweisen, dass die Kodifizierung des Arbeitsrechts inhaltliche Probleme (der Komplexitätsreduktion) zur Folge haben kann (siehe oben), ist unabhängig davon richtig (oder nicht), ob die Be311
2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
fragten dies im Einzelnen aus ihrer Erfahrung begründen können (oder nicht). Die Aussagen der Befragten sind zutreffend (oder nicht) unabhängig davon, ob ihnen hinreichende Informationsquellen zur Verfügung stehen. Sie betreffen Welt 3 Probleme, die nicht ihrem persönlichen Wissens- und Erfahrungsbestand entsprechen müssen. Trotzdem können die Befragten zutreffend wichtige Probleme ansprechen. Es ist somit eine wertvolle Funktion der Interviews, dieses aufzudecken, unabhängig davon, ob damit tatsächliche Einstellungen oder Handlungsweisen der Akteure widergespiegelt werden. Da das Problem der Komplexität von Rechtsbeziehungen unabhängig von der Meinung und dem Handeln des konkreten Akteurs existiert, kann es in anderen Zusammenhängen durchaus relevant sein, auch wenn es unser Proband nur ad hoc „entdeckt“, weil er im Interview darauf angesprochen wird. Diese Einsicht relativiert die oben geführte Kritik an der methodischen Brauchbarkeit der Interviews zur Verhaltensprognose (z.B. hinsichtlich des Einstellungsverhaltens in Betrieben). Die Akteure wissen nicht unbedingt Bescheid, haben aber meistens eine Meinung (als Position im Interview; die Bereitschaft zur Meinungsäußerung entspricht auch der Erwartungshaltung in einem Experteninterview). Sie illustrieren diese Meinung an diversen, eher „hinkenden“ Beispielen aus der Rechtspraxis (Leasingvertrag), dem Privatleben (Konzertkarten) oder dem öffentlichen Diskurs (Antidiskriminierungsgesetz). Sie bringen damit sicher nicht bereits vorhandene Einstellungen zum ArbVG zum Ausdruck (das sie überwiegend gar nicht kennen), sondern beziehen Position im Interview – im Lichte bestimmter Stimmungen und Vorurteile. Unabhängig davon besteht der Sachgehalt der Urteile über das ArbVG (hier zum Zusammenhang: Kodifizierung – Komplexitätsreduktion – materielle Vereinfachungen des Arbeitsrechts). Dieses kann man als kritische Hinweise der Probanden an und für sich ernst nehmen – oder auch nicht. Kommen wir damit zurück zu den Interviews. Vereinzelt finden sich grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der Umsetzbarkeit des Projektes ArbVG: „Idee klingt gut, ist in Deutschland nicht umsetzbar, gibt es zu viele Lobbyisten, dann werden die Dinge zerredet und das wird so weit zerfasert, und dann kommt nur mal ein Gesetz, ein neues Gesetzbuch dazu. Ja? Also ich meine die Dinge die im BGB stehen sind ausreichend.“ (Int. 34)
Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass mit dem Arbeitsvertragsgesetzbuch die Rolle des Richterrechts tangiert sein kann, welches sich bei allen beschworenen Mängeln als recht flexibel erweist. „Ich würde damit die Vorstellung verbinden, einmal, dass es einfacher wird, dass man es entkompliziert und dass man diese Dinge dann in einem Buch zusammenfassen kann. Das bedeutet aber auch, dass das Richterrecht ja ein bisschen ausgehebelt wird. Das Richterrecht ist ja sehr dynamisch. Man müsste sonst dieses Buch ja, vielleicht nicht täg-
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2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen lich, aber monatlich neu auflegen, weil immer wieder andere Dinge dazugekommen sind übers Richterrecht, über die Rechtsprechung der Richter.“ (Int. 15)
Trotz der offensichtlichen Probleme mit einer fließenden Rechtssprechung, wird der praktische Sinn des Vorhabens nicht bestritten, wie folgendes Beispiel zeigt: „... ich weiß ja gar nicht, wie das überhaupt funktionieren soll. Alles zusammenpacken in ein Buch? Gar nicht. Das sprengt meine Vorstellungskraft. Chancen und Risiken. Ich werde häufig von neueren oder jüngeren Führungskräften denn gefragt: ‚Ja, wo ist denn das Gesetzbuch’, - nicht -, ‚für Arbeitsrecht. Darf ich das mal sehen?’ Gut, da kann ich denn auch immer nur milde lächeln. Von daher hätte es schon einen gewissen Charme. Es hätte auch Chancen. Aber es ist, glaube ich ... Selbst, wenn man es dann in einen Band packt oder in zwei Bände packt, trotzdem werden wir ja diese Rechtsprechung nicht aufheben können. Das wird ja weiterhin leben. Und dann wird es halt ergänzt, nicht? Dann hat man ein so ein dickes Band und dann ergänzt durch ...“ (Int. 16)
Daneben gibt es aber Bedenken, welche die Entwicklung des Rechtssystems an sich betreffen, hier formuliert als Juristenschelte: „Wahrscheinlich ein Monstrum. Also, wenn Juristen an so was arbeiten, das ist immer gefährlich. Schauts, wir haben den Tarifvertrag, und der Tarifvertrag geht ein in den Arbeitsvertrag. Mit einem Satz, dass der Tarifvertrag Bestandteil des Arbeitsvertrages ist. Der Tarifvertrag ist Werk, da kann sich jeder einlesen, den kann jeder verstehen. Wenn der Jurist ein Arbeitsvertragsgesetzbuch schreibt, dann gibt es mit Sicherheit drei Jahre später 120 Kommentare dazu, und die füllen mein ganzes Bücherregal, und dann wird es zu schwierig. Also, das kann ich mit nicht vorstellen, dass das funktioniert. Dann wäre es wahrscheinlich schwierig, dann würde keiner mehr einen Arbeitsvertrag machen. Ich habe zum Beispiel auch keinen. Ich brauche ja keinen.“ (Int. 36)
Sicher ist es nicht falsch, auf die Autopoiesis des Rechtssystems hinzuweisen, wenn auch an einer bestimmten Berufsgruppe fest gemacht. Aber das Beispiel des Tarifvertrages ist nicht immer überzeugend, wenn man etwa an den alten BAT denkt. Es handelt sich wieder um eine „Ersatzerfahrung“, die zudem nicht verallgemeinerbar ist. Nun zum letzten Aspekt: Insgesamt lassen sich aus den zahlreichen Interviews, die das Projekt AribA mit Personalverantwortlichen geführt hat, kaum Aussagen hinsichtlich irgendwelcher Beschäftigungseffekte eines ArbVG ablesen. Nur vereinzelt wird ein Zusammenhang von Vereinfachung des Arbeitsrechts mit Beschäftigungseffekten (hier vermittelt über Standortfaktoren) angedeutet. Hier das Beispiel dazu: „Wenn man die internationale Wirtschaftslage sieht, dann weiß man, dass die Entwicklung bei uns da nicht spurlos dran vorbeigehen kann, dass sich also in Deutschland was tun muss, um international noch mitzuhalten. Dass dieses ganze Arbeitsrecht auf ein Maß gebracht wird, das verträglich ist, was beide akzeptieren können - Arbeitgeber und Arbeitnehmer - das keinen behindert, dass natürlich die Arbeitnehmer auch abgesichert sein müssen, das ist ganz klar. Aber dass das alles in einem Rahmen ist, dass wir noch mit dem Ausland mithalten können, wo es ... Kündigungsschutz so Fremdworte sind. So soll es natürlich nicht sein, aber es soll ein Maß sein, dass man wirklich damit leben kann.“ (Int. 42)
Diverse Interviewpartner weisen dagegen deutlich daraufhin, dass die wirtschaftliche Nachfrage, nicht aber das Recht den entscheidenden Punkt für ihr Einstellungsverhal-
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2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
ten darstellt. Diese Einschätzung lässt sich auch durch diverse Studien (vgl. Pfarr et al. 2005: 36ff.) stützen. „Ich glaube nicht, dass das Arbeitsgesetz in irgendeiner Form zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen kann. Es kann eine gewisse Rechtssicherheit geben für arbeitsrechtliche Entscheidungen. Dafür halte ich es so, wie es jetzt ist, weitestgehend auch für richtig. Ich glaube, dass der Ansatz, über Arbeitsgesetze Arbeitsplätze zu schaffen, also einen politischen Ansatz zu wählen, dass das wird aus meiner Sicht nur als Vorwand für eine politische Diskussion genommen. Ich glaube, dass aber der einzig entscheidende Aspekt der ist: Gibt es eine florierende Wirtschaft? Ja oder Nein? Und wenn es eine florierende Wirtschaft gibt, dann lebt man mit den Arbeitsgesetzen. Und wenn es die nicht gibt... dann schaffen politische Hilfsmittel keine Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.“ (Int. 14)
Der öffentliche Diskurs zielt in erster Linie auf die These, dass das Arbeitsrecht Beschäftigung erschwert. Dieses Erschweren kann sich im Niveau der Beschäftigung ausdrücken (wofür es so gut wie keine empirischen Belege gibt, vgl. hierzu z.B. OECD 1999 und 2004) oder in der Wahl konkreter Beschäftigungsformen (Befristung, Zeitarbeit etc.; hierfür finden sich eher Belege). Aus dem Abbau der Behinderung der Beschäftigung folgt logisch nicht ein positiver Beschäftigungseffekt, da eine Reihe anderer Faktoren wirken (gesamtwirtschaftliche Lage, Kreditverhalten der Banken, Angebot am Arbeitsmarkt etc.). Die Personalverantwortlichen assoziieren jedoch den juristischen Abbau vermeintlicher Beschäftigungshemmnisse mit dem Aufbau neuer Beschäftigungsverhältnisse – und kommen folgerichtig in der Regel zu einem negativen Urteil, das jedoch logisch nicht unbedingt sticht. Trotzdem sehen sie gleichzeitig das Arbeitsrecht in seiner Komplexität und „verteilten Repräsentation“ (in diversen Gesetzen, Urteilen etc.) deutlich kritisch, ohne allerdings die Legitimität dieses Rechts als Ganzes in frage zu stellen. Wie wir oben sehen, ist der Verweis auf die möglichen Probleme einer Komplexitätsreduktion im Zuge der Kodifizierung des Arbeitsrechts durch ein einheitliches ArbVG unter Umständen richtig unabhängig davon, ob die Befragten in ihrer konkreten Berufserfahrung dafür Indizien finden oder nicht. Die in der Einschätzung des ArbVG zum Ausdruck kommende pauschale Wahrnehmung des Arbeitsrechts beeinflusst mutmaßlich das Handeln der Akteure (auch wenn das konkrete Wissen um das ArbVG gering ist, ja die Urteilsbildung erst im Zuge des Interviews geschieht). Insofern diese individuelle Einstellung das Handeln der Akteure beeinflusst und die Akteure einen nennenswerten Einfluss auf das betriebliche Verhalten haben (welches sich im Kontext der Organisation Betrieb vollzieht), ist die Einschätzung des ArbVG durch die Befragten ein Indikator für den Umgang mit dem Arbeitsrecht im Betrieb und für mögliche Verbesserungen durch mehr Transparenz, aber auch materielle Veränderungen im Zuge einer möglichen Reform.
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2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
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Zusammenfassung
Die Analyse der Expertengespräche zeigt bezüglich der Vereinheitlichung des Arbeitsrechts durch ein Arbeitsvertragsgesetzbuch (ArbVG) Folgendes: -
Die methodische Trennung von Positionen, Einstellungen bzw. Überzeugungen, Wissen, Erfahrung und Handlungsrelevanz ist bei der Interpretation der Interviews wichtig. Der Realitätsgehalt der Urteile über das ArbVG ist unabhängig davon zu beurteilen, welche Informationen die Akteure haben und welche Urteilsbildungsprozesse diesen zugrunde liegen.
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Diese Differenzierung ist auch dann wichtig, wenn es darum geht, Handlungsmuster im Umgang mit dem Arbeitsrecht im Betrieb zu beschreiben. Auch im betrieblichen Alltag vollziehen sich ständig komplexe Urteilsbildungsprozesse, die Entscheidungen zugrunde liegen, welche – je nach Bedeutung des Akteurs – mehr oder weniger großen Einfluss auf das betriebliche Verhalten haben.
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Wir beobachten einen Mechanismus der Urteilsbildung, die in unserem Falle teilweise mit Hilfe von Ersatzerfahrungen im Lichte einer bestimmten Grundstimmung erfolgt, welche für die Interviewsituation (und das sich kurzfristig bildende Interaktionssystem) den Resonanzboden bildet. Im Lichte der Einstellungen der Akteure und der im Interview gegeben Informationen (über das Projekt „ArbVG“) bilden sich spontan Urteile, denen wir einen gewissen (von den Akteuren teilweise unabhängigen) Realitätsgehalt zusprechen und einen begrenzten Prognosewert für das betriebliche Verhalten.
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Die „Ersatzerfahrungen“ selbst können wieder zutreffend sein oder nicht; sie reichen von nachvollziehbaren Beispielen (SGB) über verkürzte Darstellungen (Leasingvertrag) bis hin zu Geschichten vom Hörensagen (Rentenversteuerung).
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Dabei lernen wir etwas über Einstellungen zu einem Reformprojekt (das allerdings wenig bekannt ist), welche selbst wieder auf zwei Ebenen interpretiert werden können: Auf der Ebene der mit diesem Projekt objektiv verbundenen Probleme, die in den Bedenken der Probanden ihren Ausdruck fanden: Komplexität und Umfang des Vorhabens, Kompatibilität zur Rechtspraxis, notwendige Vereinfachungen, politische Durchsetzbarkeit angesichts der verschiedenen Interessengruppen, die leicht in die Situation des Gefangenendilemmas kommen können. Und auf der subjektiven Ebene der psychischen Systeme der Akteure, die in einem bestimmten organisatorischen Kontext handeln und sich dabei mehr oder weniger von ihren Einstellungen (die sich in Positionen im Interview ausdrücken können) leiten lassen:
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2.8 Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch aus Sicht der Personalverantwortlichen
Demnach ist das Projekt ArbG trotz der genannten Bedenken ein sinnvolles, wenn auch wenig Erfolg versprechendes Projekt.
Literatur Bradtke, M./Schlese, M./Schramm, F. (2005): Personalpolitische Rezeption des Arbeitsrechts: Konzeptionen in umkämpftem Terrain. In: WSI-Mitteilungen. Heft 10. S. 589-595. Henssler, M./Preis, U. (2006): Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG). (unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag der Bertelsmann Stiftung). Lucke, D. (1995): Akzeptanz: Legitimität in der „Abstimmungsgesellschaft“. Leske + Budrich: Opladen. OECD (1999): Employment Outlook. Paris: OECD. OECD (2004): Employment Outlook. Paris: OECD. Pfarr, H./Ullmann, K./Bradtke, M./Schneider, J./Kimmich, M./Bothfeld, S. (2005): Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit. Betriebliche Erfahrungen mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Hampp: München/Mering. Schramm, F. (2007): Das Arbeitsrecht in der öffentlichen Wahrnehmung – ausgewählte Ergebnisse, Recht der Arbeit, Heft 5, Beck: München, S. 267- 275. Schramm, F./Zachert, U. (Hrsg.) (2005): Arbeitsrecht – Personalpolitik – Wirklichkeit. Eine empirische Analyse zur betrieblichen Umsetzung von Arbeitsrechtsreformen. Nomos: BadenBaden.
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Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Kapitel 2.9: AribA – Ergebnisse der standardisierten Befragung Florian Schramm/Michael Schlese
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Einleitung
Die zahlreichen Expertengespräche, die im Rahmen von AribA geführt und ausgewertet wurden, geben einen tiefen Einblick über Einstellungen gegenüber dem Arbeitsrecht, Verhaltensweisen, individuelle Erfahrungen etc., die oftmals auch miteinander verknüpft sind. Jedoch besteht nur in Grenzen die Möglichkeit, generalisierbare Aussagen zu treffen, da zum einen die – für Expertengespräche hohe – Fallzahl von über 40 Interviews zu gering ist, zum anderen die spezifische Datenqualität derartige Schlüsse erschwert. Die in diesem Kapitel dokumentierte standardisierte Befragung bietet daher eine wichtige Ergänzung. Hierbei interessieren uns – neben der Beschreibung des Untersuchungsfeldes – drei Fragen: -
Welche Relevanz haben das Arbeitsrecht im Allgemeinen und der Kündigungsschutz im Besonderen für die Betriebe?
-
Wie wird das Arbeitsrecht von den Personalverantwortlichen wahrgenommen und praktisch angewendet; lassen sich dabei Stile im Umgang mit dem Arbeitsrecht unterscheiden?
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Welche Merkmale beeinflussen den Umgang mit dem Arbeitsrecht, sowohl was seine Wahrnehmung durch die Akteure als auch was seine praktische Anwendung betrifft?
Vor der Darstellung der Ergebnisse wird zum einen das der Erhebung und Auswertung zugrunde liegende „Datenmodell“ skizziert. Zum anderen wird die Methode der Erhebung beschrieben und ihre Güte geprüft. In der organisationswissenschaftlichen Literatur wird das Verhalten von Organisationen entweder aus der Umwelt der Organisation heraus erklärt (wozu neben der Branche, der Region oder wirtschaftlichen Lage auch die in der Organisation handelnden Akteure gehören), oder aus der Struktur der Organisation selbst (d.h. aus ihrer Größe, den Funktionserfordernissen der Aufbau- und Ablauforganisation, der Organisationskultur etc.). Wir sind gegenüber einer solchen Unterscheidung von System (= Organisation) und Umwelt offen und fragen empirisch, welche Merkmale mit dem Verhalten der Organisation variieren. 317
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Als Informationsquelle über das Verhalten der Organisationen stehen Telefoninterviews mit Personalverantwortlichen zur Verfügung. Diese beschreiben nicht nur das Verhalten der Organisationen und das persönliche Verhalten der Befragungspersonen. Darüber hinaus erfolgen Wertungen, Einstellungen zum Arbeitsrecht werden geäußert. Manche dieser Einschätzungen etc. korrespondieren vorrangig mit Merkmalen der Person, andere Äußerungen hängen insbesondere vom Organisationskontext ab (wie das Einstellungs- und Beendigungsverhalten der Betriebe). Somit wird (1) das betriebliche Verhalten im Hinblick auf das Arbeitsrecht beschrieben, werden (2) Wahrnehmungen und Einstellungen der Akteure bezüglich des Arbeitsrechts erfasst und wird (3) die innere Struktur dieser Wahrnehmungen und Einstellungen untersucht. (4) lässt sich das betriebliche Handeln im Ausdruck der Akteure typisieren.
2
Zur Methode und Güte der Befragung
Die standardisierte Befragung baut einerseits auf den Erfahrungen und Kenntnissen des Forschungsprojektes AribA auf und wird andererseits in Kombination mit den Befunden von AribA ausgewertet und interpretiert. Der Gewinn der standardisierten Befragung im Kontext von AribA ergibt sich daraus, dass einerseits das Interesse daran besteht, generalisierbare Aussagen zum personalwirtschaftlichen Umgang mit Arbeitsrecht zu erhalten. Die quantitativ ausgerichtete Untersuchung zur öffentlichen Wahrnehmung des Arbeitsrechts (ÖWAR) liefert zwar ein repräsentatives Bild der Wahrnehmung des Arbeitsrechtes durch Erwerbstätige und Erwerbspersonen, jedoch nicht eine Entsprechung auf der Ebene der Personalverantwortlichen (vgl. Schramm 2007). Sie ist daher eine nützliche Ergänzung, jedoch kein Ersatz. Die qualitative Untersuchung im Rahmen des AribA-Projektes mit über 40 Experteninterviews, ergänzt durch weitere Interviews aus dem Lehrprojekt, liefert ein differenziertes Bild der betrieblichen Rezeption des Rechts aus Sicht der Entscheidungsträger. Auch wenn die Stichprobenziehung Repräsentationsschlüsse erlaubt, ist die Fallzahl zu gering, um belastbare generalisierbare Aussagen zu erzeugen, an denen mehrere Variablen simultan beteiligt sind. Die standardisierte Befragung kombiniert die Ansätze beider Studien, so dass sowohl die Alltagsperspektive als auch die Expertenperspektive der Entscheidungsträger in den Blick kommt. Die standardisierte Befragung, die auch Informationen über die betriebliche Situation einschließt, gestattet repräsentative Aussagen über die Rezeption des Arbeitsrechtes auf betrieblicher Ebene, welche über die bisherigen Untersuchungen wie vor allem REGAM und WSI-Studie hinausgehen. So lässt sich ein umfassen318
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
des, repräsentatives und differenziertes Bild der Rezeption des Arbeitsrechts auf betrieblicher und individueller Ebene nachzeichnen. Die nahezu vollständig standardisierte Erhebung ist eine telefonische Querschnittsbefragung von Personalverantwortlichen. Die Feldarbeit wurde von „Produkt und Markt“ (Osnabrück) durchgeführt, die Interviewdauer beträgt über 30 Minuten. Die Grundgesamtheit gleicht der Grundgesamtheit der qualitativen Studie (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 1.4, Abschnitt 3.5). Eine Ausnahme stellt jedoch die Befragung von Personalverantwortlichen auch in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten (nämlich sechs bis neun) dar, auf die im Rahmen der Experteninterviews verzichtet wurde. Die Stichprobe von 750 Fällen wird nach Betriebsgrößenklassen disproportional geschichtet und folgt einer Zufallsauswahl. Die Auswertung erfolgt mit Gewichtungsfaktoren. Um die Güte der Befragung abzuschätzen, wurden Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) als Vergleichsbasis herangezogen. Diese gestatten es, Strukturvergleiche hinsichtlich verschiedener Merkmale durchzuführen: Betriebsgröße: Ein Vergleich der Anzahl der Betriebe nach Betriebsgröße gemäß SOEP und der standardisierten Befragung von AribA zeigt ähnliche Strukturen, wobei die Kleinbetriebe bis 20 Beschäftigte in der eigenen Befragung unterrepräsentiert sind. Um die Daten vergleichbar zu machen, wurde die mittlere Anzahl der Beschäftigten gemäß der eigenen Befragung mit der hochgerechneten Anzahl der Befragten gemäß SOEP verrechnet. Die Größenklassen wurden dabei angepasst. Außerdem wurden die Fälle herausgerechnet, in denen Befragte des SOEP angaben, im öffentlichen Dienst beschäftigt zu sein. Die Daten des SOEP beziehen sich auf das Jahr 2005. Zugehörigkeit der Beschäftigten zu Branchen: Die Verteilung der Anzahl der Befragten gemäß SOEP nach Branche und die Verteilung der geschätzten Anzahl der Beschäftigten laut der standardisierten Befragung von AribA ergibt ebenfalls eine hohe Ähnlichkeit. Hierzu wurde die Anzahl der Beschäftigten und der Betriebe nach Größenlassen bei der standardisierten Befragung miteinander verrechnet. Als Abweichung ist zu bemerken, dass in der eigenen Befragung Betriebe des verarbeitenden Gewerbes und des Grundstücks- und Wohnungsbauwesens überrepräsentiert sind. Anteil von Befristung und Leiharbeit: In der Übersicht ist zu erkennen, dass der geschätzte Anteil der befristet Beschäftigten in der Befragung von AribA (8%) niedriger ist als es gemäß SOEP zu erwarten gewesen wäre (12%). Dabei sind in den einzelnen Betriebsgrößenklassen Schwankungen zu erkennen. Hierbei wurden im Falle des SOEP nur die Beschäftigten herangezogen, die angaben, nicht im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Bei der Leiharbeit ergibt sich eine ähnliche Übereinstimmung der Anteile, wobei die Statistik der Bundesagentur eine deutlich niedrigere Zahl aufweist. Gemäß 319
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
der AribA-Befragung ergibt sich ein Anteil von 3% der Beschäftigten im Betrieb. Aus dem SOEP ergibt sich für die gleichen Betriebsgrößenklassen (ohne Öffentlichen Dienst) ein Anteil von 4%, wobei die Abweichungen in den einzelnen Klassen schwanken. Zu beachten ist, dass in beiden Fällen beim SOEP die Kleinstbetriebe (bis fünf Beschäftigte) und Selbständigen zwecks Vergleichbarkeit ignoriert wurden. Außerdem wurden nur Beschäftigte berücksichtigt, die angaben, nicht im Öffentlichen Dienst beschäftigt zu sein. Hierbei handelt es sich um subjektive Einschätzungen, die mit der offiziellen Zuordnung der Sektoren nicht immer übereinstimmen müssen. Angesichts dieser Unsicherheiten ist die Übereinstimmung zwischen dem SOEP und der eigenen Befragung beachtlich. Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen: Ebenfalls lassen sich die Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen gemäß SOEP (2004) und gemäß unserer AribA-Befragung vergleichen. Der Vergleich ergibt wiederum eine Übereinstimmung der Strukturen. Hierzu wurden die hochgerechneten Angaben der Betroffenen im SOEP mit den Angaben der Personalverantwortlichen über die Anzahl der Betroffenen in der eigenen Befragung verglichen. Eine ähnliche Übereinstimmung ergibt beispielsweise auch, wenn nur die Betriebsbedingten Kündigungen betrachtet werden. Im Ergebnis ähneln sich die Strukturen der Angaben hinsichtlich verschiedener und grundlegender Themenbereiche von SOEP und der AribA-Befragung. Aufgrund der allgemein anerkennten Güte des SOEP ist für unsere eigene Erhebung eine hohe Güte im Sinne der Repräsentativität abzuleiten.
3
Das Schema der Analyse
In diesem Kapitel erfolgt im Wesentlichen eine Grundauswertung der standardisierten Befragung. Diese Grundauswertung orientiert sich an einem „Datenmodell“, welches sich wiederum an die im Rahmen von AribA genutzten Grundmodelle des Akteurs und der Organisation anschließen kann. Im Datenmodell sind drei Teilbereiche zu unterscheiden (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 2). Erstens existiert eine Reihe von Variablen, die sich als „Inputfaktoren“ einordnen lassen. Hierzu gehören insbesondere Variablen, die über den Platz des Betriebes im Wirtschaftssystem, Eigenschaften der Organisation des Betriebes sowie Eigenschaften der Person informieren. Im Zentrum steht zweitens das Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung im Sinne einer „betrieblichen“ Wahrnehmung des Arbeitsrechts im Hinblick auf Kündigungsschutz, Befristung und Leiharbeit sowie die Bewältigung von Konflikten und spezielle Themen des Arbeitsrechts (z.B. Teilzeit). Hierfür stehen diverse Variablen zur Verfügung. Drittens lassen sich Wirkungen der betrieblichen Wahr320
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
nehmung des Arbeitsrechts wie Konflikte, Einstellungsverhalten, Beendigungsverhalten etc. als „Output“, als Ergebnis deuten. Nicht in jedem Fall ist die hier vorgenommene Zuordnung einer Variablen eindeutig, letztlich ist die jeweils spezifische Fragestellung dafür wesentlich, ob beispielsweise das Beendigungsverhalten als unabhängige oder abhängige Variable zu betrachten ist. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Befragung entlang dieses Datenmodells dargestellt (Grundauszählung). Danach werden vereinzelt Zusammenhangsanalysen durchgeführt. Abbildung 10: AribA – Telefonbefragung: Auswertungsschema Wi rtschaftssystem Branche Bundesland Regio n Konflikte Ergebnis der Verhandlung vor AG Konflikte intern gelöst Konflikte vor AG Kündigungen vor AG
Organisation Anzahl der Befri stungen Anzahl der Leiharbeiter Beschäftigungsentwicklung i n der Vergangenheit Betriebsgröße Entwicklung der Beschäftigten Existenz Externe, Jurist Personal koste n Qual ifikationen Ressourcen Rolle des BR Teilzeitanträge Wi rtschaftliche Lage jetzt W irtschaftslage in der Zukunft
AribA Kündigungsschutz Befri stung Leiharbeit
Aufbau von Beschäftigung Verzicht auf Neuei nstellungen Verzögerung von Neueinstell ungen
Beendigungen
Person Alter Berufserfahrung als Personaler Funktion Geschlecht Handlungsvollmachten Informiertheit Statements zum AR Statements zur Teilzeit
Einstell unge n
Allgemei ne Wahrnehmung des AR Einfluss de s AR Gründe für Befristung Gründe für Leiharbeit Rol le des AR Wichtigkeit AR-Theme n W ichtigkeit langer Betriebszugehö ri gkeit
Quelle: Eigene Darstellung
321
Abbau von Beschäftigung Beendigungen Verzicht auf Beendi gunge n Verzögerung von Beendigungen
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
4
Einflussgrößen der betrieblichen Wahrnehmung des Arbeitsrechts
Zunächst werden nun einige grundlegende Informationen zusammengefasst. Aus Gründen des Umfanges der Darstellung können dabei im Folgenden jedoch nicht alle Ergebnisse tabelliert dargestellt werden. Die Branchenzugehörigkeit der Betriebe, die am stärksten im Grundstücks- und Wohnungsbauwesen, Handel, verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe Befragung vertreten sind, entspricht im Großen und Ganzen der Beschäftigtenstruktur nach dem SOEP. Die Betriebe sind von der Region Süd abgesehen etwa gleichmäßig auf die Regionen verteilt. Die Auswertung zeigt deutlich, dass die deutsche Wirtschaft mittelständisch organisiert ist. 68% der Betriebe sind kleinere bzw. mittlere Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten. Die Struktur der Beschäftigten im Betrieb kann unterschiedlich beschrieben werden. Als Hintergrund sind Informationen zur Personalstruktur wie die Verbreitung ausgewählter Beschäftigungsverhältnisse nach Betriebsgröße nützlich: Befristung: Der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse beträgt im Mittel 8%. Er schwankt ohne eindeutige Tendenz mit der Betriebsgröße. Leiharbeit: Der Anteil der Leiharbeitnehmer/innen beträgt im Mittel 3%, wobei größere Betriebe eher mehr Leiharbeit in Anspruch nehmen als kleinere. Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben: Dieser liegt mit Mittel bei 41% und schwankt nach Betriebsgröße zwischen 11% und 81%. Die Varianz zwischen den Betriebsgrößeklassen ist niedrig. Eine größere Varianz besteht zwischen den Branchen. Die Branche „Energie und Wasser“ hat erwartungsgemäß den geringsten Anteil (17%), die Branche „Gesundheit und Soziales“ den größten Anteil (56%). Qualifikationen der Beschäftigten: Etwa die Hälfte (54%) sind qualifizierte Beschäftigte, jeweils ein Viertel sind un- und angelernte Beschäftigte (24%) bzw. Hochqualifizierte Beschäftigte (22%). Während zwischen den Betriebsgrößenklassen nur wenig Varianz zu beobachten ist, bestehen starke Unterschiede zwischen den Branchen. Das Gastgewerbe ist geprägt von Un- und Angelernte (40%), das Kredit- und Versicherungsgewerbe von Qualifizierten (67%), das Grundstücks- und Wohnungswesen von Hochqualifizierten (32%). Zwischen dem Anteil der Personalkosten und der Qualifikationsstruktur besteht mit der Ausnahme der Hochqualifizierten bei den Betrieben mit einem hohen Anteil von Personalkosten kein Zusammenhang. 322
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Der Zustand der Organisation Betrieb kann auch durch die bisherige und zukünftige wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten charakterisiert werden. Die Hälfte der Befragten (53%) schätzt die aktuelle wirtschaftliche Lage „sehr gut“ bis „eher gut“ ein. Die Hälfte der Befragten (50%) schätzt auch die Entwicklung der Wirtschaftssituation in den nächsten drei Jahren „eher gut“ bis „sehr gut“ ein. Ein geringerer Anteil der Befragten (36,7%) geht davon aus, dass sich die Anzahl der Beschäftigten in den nächsten drei Jahren deutlich oder etwas erhöhen wird. Ob die im Vergleich zur Einschätzung der wirtschaftlichen Situation eher zögerlichen Angaben zur Beschäftigungsentwicklung einen methodischen Hintergrund oder einen ökonomischen Hintergrund haben (vermutete Produktivitätsentwicklung, Outsourcing, Erhöhung des durchschnittlichen Volumens an Arbeitszeit, verzögerte Einstellungen etc.) kann hier nicht geprüft werden. In den letzten drei Jahren hat sich die Anzahl der Beschäftigten deutlich oder etwas erhöht, was angesichts der Beschäftigungsentwicklung der letzten Jahre trotz der gegenwärtigen massiven konjunkturellen Erholung auf dem Arbeitsmarkt überrascht. Die Beschäftigungsentwicklung variiert mit der Betriebsgröße. Die mittleren Unternehmen (20 bis 99 Beschäftigte) weisen eine deutlich positivere Bilanz aus als die kleinsten (6 bis 10) und die großen Unternehmen (200 bis 1.999 Beschäftigte). Was die Zukunft anbetrifft, so erwartet die Hälfte der Betriebe keine Veränderung der Belegschaftszahlen und immerhin 1/3 eine leichte Erhöhung. Große Unternehmen erwarten teilweise aber auch eine Abnahme der Beschäftigten. Ein besonderes Merkmal der betrieblichen Organisation ist die Existenz eines Betriebsrates. In 10% der befragten Betriebe existiert ein Betriebsrat. Der Anteil der Betriebe mit Betriebsrat unterliegt hinsichtlich Branche und Betriebsgröße starken Schwankungen, wobei der Anteil der Betriebe mit Betriebsräten mit zunehmender Betriebsgröße erwartungsgemäß deutlich zunimmt. Weniger nennenswert sind die regionalen Unterschiede, wobei der Anteil der Betriebsräte in der Region Ost am geringsten ist. 15% der Befragten bedienen sich bei arbeitsrechtlichen Fragen direkt eines Juristen. Hierbei gibt es starke Schwankungen nach Branche, weniger nach Region. Erwartungsgemäß nimmt der Anteil der Juristen bzw. der juristischen Hilfe mit der Betriebsgröße zu. Ein regionaler Unterschied ist erkennbar: In den neuen Bundesländern ist die betriebliche Interessenvertretung weniger stark ausgeprägt und die Unterstützung personalwirtschaftlicher Entscheidungen durch einen Juristen erfolgt seltener als in den alten Ländern.
323
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Neben den gesamtwirtschaftlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen gehören die Merkmale der Befragungspersonen selbst zu den Inputgrößen des Analyseschemas, die im Folgenden skizziert werden. Alter: Zum Altersdurchschnitt zeigt sich, dass die Befragten im Mittel 46 Jahre alt sind. Den größten Anteil der Befragten stellen die 41 bis 50-jährigen mit 41%. Dem Durchschnittsalter entspricht die Berufserfahrung als Personalverantwortliche, die im Mittel bei 16 Jahren liegt. Funktion: Hinsichtlich der betrieblichen Funktionen der Befragten ist festzuhalten, dass es sich bei diesen hauptsächlich um Inhaber/innen (27%), Geschäftsführer/innen (38%) und Personalleiter/innen bzw. Stellvertreter/innen (27%) handelt. Bei den Inhabern sind Alter und Berufserfahrung am höchsten, bei den Personalleitern am niedrigsten. Erwartungsgemäß variiert die Funktion unserer Ansprechpartner mit der Betriebsgröße. Die Inhaber repräsentieren eher die kleineren Betriebe, die Personalleiter die größeren Betriebe. Geschlecht: 62% der Befragten sind Männer, wobei das Geschlecht mit der Funktion variiert. Die Männer repräsentieren eher die Inhaber und Geschäftsführer, die Frauen die Personalleiter/innen und teilweise die Geschäftsführer/innen und Inhaber/innen. Entsprechend sind die Männer eher die Älteren und die Frauen eher die Jüngeren unserer Befragungspersonen. Diesen Eindruck bestätigt auch die Korrelationsanalyse. Das Alter ist dem Geschlecht korreliert, das Geschlecht der betrieblichen Funktion und diese der Betriebsgröße. Frauen sind eher in größeren, Männer in kleineren Betrieben in personalwirtschaftlicher Funktion zu finden. Handlungsvollmachten: Eine Mehrheit der Befragten hat hinsichtlich personalwirtschaftlicher Entscheidungen volle Handlungsfreiheit, hält sich nach eigenen Angaben über die Rechtsprechung auf dem Laufenden und nutzt dazu verschiedene Informationsquellen. Das Arbeitsrecht war überwiegend nicht Gegenstand der Ausbildung, auch stellt die Personalarbeit nur für 1/3 der Befragten den Hauptbestandteil der Arbeit dar. Die Mehrheit der Befragten muss sich auch nicht täglich mit arbeitsrechtlichen Vorgaben auseinandersetzen. Informiertheit: Die Mehrheit der Befragten fühlt sich über verschiedene arbeitsrechtliche Themen gut bis sehr gut informiert. Nur beim Anspruch auf Teilzeit und dem Betriebsverfassungsgesetz ist die selbst wahrgenommene Informiertheit geringer (vgl. Tabelle 9):
324
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung Tabelle 9: Informiertheit
sehr gut (1) eher gut (2) teils/teils (3) eher schlecht (4) sehr schlecht (5)
5
Regelungen zum Arbeitsvertrag
Kündigungsschutz
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Befristung von Arbeitsverhältnissen
%
%
%
%
%
18,6
21,4
31,1
17,8
11,1
5,9
42,2
43,7
44,2
41,6
25,7
15,1
28,0
24,3
15,8
25,6
30,7
29,6
7,6
7,1
6,9
9,7
19,8
21,5
3,6
3,6
2,1
5,3
12,8
27,8
Anspruch auf Teilzeitarbeit
Betriebsverfassungsgesetz %
Die Wahrnehmung des Arbeitsrechts
Im Zentrum des vorne dargestellten Datenmodells befindet sich die „Rezeption“ des Arbeitsrechts durch die betrieblichen Akteure, die durch die unterschiedlichen, bereits dargestellten Einflussgrößen wie Betriebsgröße strukturiert wird. Zu dieser „Rezeption“ des Arbeitsrechts werden vorrangig Größen auf der individuellen und betrieblichen Ebene genannt, die sich als Vorbedingungen von Verhalten interpretieren lassen. Zu diesen Vorbedingungen sind verschiedene Größen zu zählen. Besonders aufschlussreich ist die „wahrgenommene Funktionalität“ des Arbeitsrechts, die durch zwei Fragebatterien explizit operationalisiert wurde. Die eine Skala erfragt hierbei die Wirkung des Arbeitsrechts auf personalwirtschaftliche Handlungsfelder, so dass mittels der entsprechenden Angaben neben differenzierten Informationen auch „sachlichere“ Informationen zu erwarten sind. Darüber hinaus erlaubt der Vergleich der Angaben zu unterschiedlichen Handlungsfeldern auch eine relative Aussage über die Rolle des Arbeitsrechts. Die Handlungsfelder reichen von der Personalplanung über die Entgeltgestaltung bis hin zum Personalabbau. Auch wenn in der Literatur keine einheitliche Liste von personalwirtschaftlichen Aufgabenbereichen existiert, besteht hinsichtlich der gängigen Felder eine einmütige Übereinstimmung. Die eingesetzte Skala deckt den größten Teil der personalwirtschaftlichen Handlungsfelder ab, eine Ausnahme stellt z.B. die Personalverwaltung dar. Die zweite Skala ermittelt ebenfalls die Rolle des Arbeitsrechts für die Personalwirtschaft, indem diesmal das Arbeitsrecht selbst differenziert erfragt wird. Die gleichen Effekte wie bei der ersten Skala sind zu erwarten: Erstens ist eine differenzierte Information vorhanden, zweitens ist eine sachlichere 325
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Information zu erwarten, drittens erlaubt der relative Vergleich auch inhaltliche Aussagen. Die hier erwähnten Gesetze oder Themenbereiche sind diejenigen, die gängigerweise unter Arbeitsrecht subsumiert werden. Regelungen des kollektiven Arbeitsrechts wie das Tarifvertragsgesetz oder aber etwas speziellere Gesetze etwa zum Arbeitsschutz wurden dabei nicht aufgenommen. Die öffentliche Diskussion aber auch gängige volkswirtschaftliche Vorstellungen legen nahe, dass rechtliche Regulierung ganz überwiegend als Einschränkung erlebt wird. Ggf. – so die gängige These – können bei Bedarf entsprechende Regeln selbst von den betroffenen Unternehmen geschaffen werden, so dass der Bedarf für Arbeitsrecht aus Unternehmenssicht eher gering ist. Statt dessen – so steht zu vermuten – handelt es sich um Schutzrechte der Beschäftigten, die der ökonomischen Effizienz der Betriebe zumindest nicht zuträglich sind. Dieser Ideenwelt folgend müssten die überwiegenden Angaben zum Arbeitsrecht davon geprägt sein, dass das Arbeitsrecht unternehmerische Freiräume beschneidet. Hierüber gibt die Abbildung 11 Auskunft: Nur eine Minderheit der Betriebe erlebt das Arbeitsrecht als einschränkend! (vgl. ähnliche Ergebnisse der qualitativen Befragung, in: Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Eine starke Einschränkung wird regelmäßig von weniger als 10% der Befragten mit der wichtigen Ausnahme des Personalabbaus gesehen. Auch in der Zusammenfassung von mehr oder weniger starken Einschränkungen gibt nur eine Minderheit – oftmals ca. ein Viertel - der Betriebe an, mehr oder weniger stark eingeschränkt zu sein. Als wichtige Ausnahme ist die Personalfreisetzung zu nennen, fast jeder zweite Betrieb macht hier entsprechende Angaben. Im Gegenzug finden sich auch diverse Betriebe, die die unterstützende Funktion des Arbeitsrechts betonen. In der Regel schwankt die Betonung der Unterstützungsfunktion zwischen 10 und 20%. Die folgende Abbildung zeigt diesen Aspekt der Wahrnehmung des Arbeitsrechts im Überblick:
326
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung Abbildung 11: Funktionalität des Arbeistrechts für die Personalwirtschaft Frage: Inwieweit unterstützt Sie das Arbeitsrecht bzw. schränkt Sie ein im Tätigkeitsfeld...?
Personalplanung Personalbeschaffung und - auswahl Personaleinstellung Entgeltgestaltung Arbeitszeitgestaltung Koordination und Übertragung von Aufgaben Mitarbeitermotivation Personalentwicklung Personalfreisetzung 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100 %
5 = schränkt stark ein
4
3
2
1 = unterstützt stark
weiß nicht
Quelle: Eigene Darstellung
Auffällig ist der einschränkende Einfluss auf die Personalfreisetzung. Dieser wird etwas stärker bei größeren als bei kleineren Betrieben gesehen, was der Rechtslage entspricht. Mit zunehmendem Alter wird zudem die Wahrnehmung der Einschränkung größer. Dies kann mit der eigenen Betroffenheit, aber auch mit einem sich wandelnden Rechtsverständnis zusammenhängen. Das Arbeitsrecht wirkt somit – in den Augen der Befragten – in der Regel als wenig einschränkend, allerdings auch nicht unterstützend. Bezüglich des Personabbaus stellt sich die Lage jedoch eher kritisch dar. Ergänzend wird geprüft, welche juristischen Regelungen einschränkend gefunden werden. Grundsätzlich ist wiederum zu erwarten, dass die Skepsis gegenüber dem Recht groß ist, so dass in der Regel die Behinderung personalwirtschaftlichen Handelns durch das Recht betont werden müsste. Entgegen dieser nahe liegenden Erwartung zeigt sich ein anderes Bild (vgl. Abbildung 12): Die Regelungen zur Entgeltfortzahlung, zur Befristung, zur Teilzeitarbeit und zum Arbeitsvertrag werden nur von Minderheiten als einschränkend erlebt. Im Gegenteil überwiegen sogar – mit der Ausnahme der Teilzeitarbeit – Einschätzungen, dass das Recht unterstützend sei. Diese erstaunliche Befund verweist auf die hohe Bedeutung der Festlegung von allgemein gültigen Regeln, die Transaktionskosten und ggf. Wettbewerbsnachteile reduzieren helfen. Allerdings gelten diese positiven Einschätzungen nicht generell. Wiederum erweisen sich die Einschätzungen im Kontext des Personalabbaus als problematisch: Fast die 327
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Hälfte der befragten Betriebe gibt an, dass das Kündigungsschutzgesetz behindernd wirkt. Dem gegenüber sind die 20% der Befragten, die eher die unterstützende Funktion betonen, zwar nennenswert, jedoch deutlich in der Minderheit. Wenig überraschend sind die Befunde zum Betriebsverfassungsgesetz. Neben der großen Anzahl fehlender Angaben, die im Wesentlichen darauf zurückzuführen sind, dass in den meisten Betrieben kein Betriebsrat existiert, liegen eher kritische als befürwortende Statements vor. Von den Vorzügen des Betriebsverfassungsgesetzes überzeugt sind anscheinend weniger als 10% der Personalverantwortlichen. Abbildung 12: Funktionalität des Arbeitsrechts, einzelne Gesetze Frage: Erleben Sie im Arbeitsalltag die Regelungen zu (…) als unterstützend oder hinderlich?
zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zur Befristung von Arbeitsverhältnissen zum Arbeitsvertrag
zur Teilzeitarbeit
zum Kündigungsschutz das Betriebsverfassungsgesetz 0% 1= stark unterstützend
20% 2
3
40% 4
60%
5 = stark hinderlich
80%
100%
weiß nicht
Quelle: Eigene Darstellung
Die moderaten Einschätzungen bezüglich der mit dem Arbeitsrecht verbundenen Einschränkungen der Personalarbeit können auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein. Manche dieser Gründe sind eher „erhebungstechnischer“ Natur: So könnten die Personalverantwortlichen aufgrund eines niedrigen Anspruchsniveaus so milde urteilen. Oder sie möchten ihre relative Machtlosigkeit im Rahmen eines Interviews nicht äußern. In ökonomischer Hinsicht bieten sich jedoch andere Erklärungen an: So erklärt eine faktisch doch relativ hohe Funktionalität des Arbeitsrechts dieses Antwortmuster. Zudem – und das dürfte entscheidend sein – ist die Personalarbeit in den meisten Betrieben gar nicht darauf angelegt, Recht im Konfliktfall anzuwenden. Dies mag sich nach Führungsstil, nach Branche und nach wirtschaftlicher Lage durchaus unterscheiden. Im Ergebnis jedoch sind die gängigen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland 328
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
vergleichsweise stabil, was auch Ausdruck einer personalwirtschaftlichen Wertschätzung sein kann und dürfte. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der Erhebung nach der betriebswirtschaftlichen Rolle einer langen Betriebszugehörigkeit gefragt. An dieser Stelle sei bemerkt, dass in diesem Fall die Frageformulierung entscheidend ist: Die Arbeitsplatzsicherheit ist an und für sich gemeinhin ein positives Gut wie auch die Personalverantwortlichen durchaus die Kalküle der Beschäftigten in ihren Aussagen berücksichtigen. Aus diesem Grunde fragten wir gezielt nach der betriebswirtschaftlichen Rolle (und nicht nach der Wohlfahrt der Beschäftigten einer langen Betriebszugehörigkeit) und nicht nach der positiv besetzten Arbeitsplatzsicherheit. Insgesamt wird der langen Betriebszugehörigkeit ein ausgesprochen hoher Stellenwert zugesprochen (vgl. Abbildung 13). 86% der Befragten halten die lange Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter für ihren Betrieb aus betriebswirtschaftlicher Sicht) für sehr oder eher wichtig. Abbildung 13: Bedeutung der Betriebszugehörigkeit Frage: Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht –wie wichtig ist eine lange Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter für ihren Betrieb? eher unwichtig 1,8
völlig unwichtig 1,5
teils/teils 11,1
eher unwichtig 37
sehr wichtig 48,6
Quelle: Eigene Darstellung
Mit wachsender Betriebsgröße nimmt die Bedeutung der langen Betriebszugehörigkeit allerdings ab. Mit dem steigenden Anteil der Personalkosten nimmt die Bedeutung zu (vgl. Tabelle 10):
329
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung Tabelle 10: Bedeutung Länge der Betriebszugehörigkeit
Frage 9: Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht – wie wichtig ist eine lange Betriebszugehörigkeit für Ihren Betrieb? Bitte vergeben Sie eine Note von 1 bis 5. 1 bedeutet sehr wichtig, 5 bedeutet völlig unwichtig! Mit Werten dazwischen * Anteil der Personakosten 1% bis 18%
19% bis 36%
37% bis 54%
55% bis 72%
73% bis 90%
Insgesamt
Mittelwert
1,9
N
63
Mittelwert
1,7
N
247
Mittelwert
1,7
N
185
Mittelwert
1,7
N
117
Mittelwert
1,4
N
43
Mittelwert
1,7
N
655
Quelle: Eigene Darstellung Als Begründung für die ökonomische Rolle werden insbesondere die Qualifikationen der Beschäftigten genannt. Darüber hinaus spielen auch Netzwerke, langfristige Kundenkontakte der Beschäftigten etc eine Rolle. Ebenso werden motivationale Gründe genannt. Nur selten werden im Rahmen der offenen Angaben bei der standardisierten Erhebung Einschränkungen formuliert. Zweierlei wurde jeweils in mehren Fällen genannt: Erstens wurde die hohe Bedeutung der Betriebszugehörigkeitsdauer auf die Teile der Belegschaft beschränkt, die sich als nicht so offensichtlich auswechselbar erweist.
Niedrig
qualifizierte
Arbeitskräfte
mit
so
genannten
„Jedermann-
Qualifikationen“ könnten ausgewechselt werden. Und es würde – und auch dies verweist auf innerbetriebliche, nicht auf juristische Komponenten – dem Austausch von Beschäftigten der Innovationsfähigkeit der Betriebe dienen. Dabei gibt ein Teil der Befragten (39%) gleichzeitig an, dass die Betriebszugehörigkeit wichtig und der Kündigungsschutz hinderlich sei (vgl. Tabelle 11; in der qualitativen Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass die Anerkennung des Kündigungsschutzes als wichtiges Schutzrecht für die Arbeitnehmer mit dem Einsatz der internen Flexibilisierungsmaßnahmen korreliert – vgl. Worobiej, Kapitel 2.4). So holzschnittartig, dass mit sinkender ökonomischer Rolle einer langfristigen Bindung der Beschäftigten an die Betriebe, ein wachsendes Interesse an einfachen und machtvollen Regelungen des Personalabbaus einhergeht, erweist sich die Realität nicht. Stattdessen erweisen 330
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
sich diese Größen in der zweidimensionalen Betrachtung eher als unkorreliert. So mancher Personalverantwortlicher stört sich (nicht) am Kündigungsschutz, wiewohl fast alle die Betriebszugehörigkeitsdauer ökonomisch für sinnvoll halten. Tabelle 11: Betriebszugehörigkeit und Kündigungsschutz % der Gesamtzahl den Kündigungsschutz als unterstützend oder hinderlich? 1 = stark unterstützend
Frage 9: Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht - wie wichtig ist eine lange Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter für Ihren Betrieb? Bitte vergeben Sie eine Note von 1 bis 5. 1 bedeutet sehr wichtig, 5 bedeutet völlig unwichtig!
sehr wichtig (1) eher wichtig (2) teils/teils (3) eher unwichtig (4) völlig unwichtig (5)
Gesamt
2
3
5 = stark hinderlich
4
Gesamt
3,8%
9,3%
12,1%
9,1%
12,8%
47,1%
,7%
5,1%
15,3%
10,1%
6,7%
37,9%
,3%
1,5%
3,4%
2,5%
3,9%
11,7%
1,0%
,3%
,6%
1,8%
1,1%
,4%
32,9%
22,5%
4,8%
15,9%
1,5% 24,0%
100,0%
Quelle: Eigene Darstellung
Die nachfolgende Tabelle 12 zeigt einige allgemeine Einschätzungen des Arbeitsrechts. 55% der Befragten sehen „voll und ganz“ oder „eher“ viel Veränderungsbedarf im Arbeitsrecht. 52% der Befragten sind zudem der Meinung, dass die gegenwärtigen Veränderungen im Arbeitsrecht mehr Verwirrung als Nutzen stiften.
331
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Tabelle 12: Allgemeine Einschätzung des Arbeitsrechts trifft voll und ganz zu (1)
Trifft eher zu (2)
teils/teils (3)
Trifft eher nicht zu (4)
trifft überhaupt nicht zu (5)
In % Alles in allem sehe ich viel Veränderungsbedarf im Arbeitsrecht
30,2
24,6
29,1
9,9
6,2
In der täglichen Personalarbeit werden die Regeln des Arbeitsrechts eher weniger beachtet
11,2
23,5
25,7
21,8
17,7
Bei Regelverletzungen pochen die Mitarbeiter schnell auf die Einhaltung ihrer Rechte
22,5
20,2
22,6
18,5
16,2
Alles in allem ist das Arbeitsrecht in seiner heutigen Form sehr sinnvoll
7,0
22,8
38,8
19,6
11,7
Alles in allem schaffen die Veränderungen im Arbeitsrecht mehr Verwirrung als Nutzen
29,5
22,4
30,4
13,5
4,2
Das Arbeitsrecht sollte die gegenseitigen Recht von Arbeitnehmern und -gebern effizient regeln
61,6
27,8
7,5
2,1
1,0
Das Arbeitsrecht sollte vor allem den Arbeitnehmer schützen
13,5
17,6
42,4
14,9
11,6
Das Arbeitsrecht schützt die Interessen der Arbeitnehmer
36,2
39,1
19,5
3,4
1,7
Das Arbeitsrecht regelt die gegenseitigen Rechte von Arbeitnehmern und -gebern effizient
6,9
19,1
41,2
22,1
10,7
Das Arbeitsrecht stellt allgemeine Regeln für das Arbeitsleben auf, die das betriebliche Miteinander erleichtern
9,9
28,9
36,7
15,9
8,6
Die Regelungen durch das Arbeitsrecht behindern mich in meiner Gestaltungsfreiheit
17,9
23,1
24,8
19,6
14,6
Quelle: Eigene Darstellung
Nun wäre zu vermuten, dass diejenigen, die einen großen Veränderungsbedarf sehen, die jüngsten Veränderungen auch begrüßen. Jedoch trifft für 36% der Befragten beides gleichzeitig zu (vgl. Tabelle 13).
332
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Tabelle 13: Veränderungsbedarf und Verwirrung im Arbeitsrecht % der Gesamtzahl Alles in allem sehe ich viel Veränderungsbedarf im Arbeitsrecht! trifft trifft voll trifft eher überhaupt trifft eher teils/teils nicht zu und ganz nicht zu zu (1) zu (2) (3) (4) (5) Alles in allem schaffen die Veränderungen im Arbeitsrecht mehr Verwirrung als Nutzen!
trifft voll und ganz zu (1) trifft eher zu (2) teils/teils (3) trifft eher nicht zu (4) trifft überhaupt nicht zu (5)
Gesamt
Gesamt
18,5%
4,9%
4,8%
,7%
1,3%
30,2%
5,5%
7,1%
6,9%
2,1%
,6%
22,1%
3,5%
8,6%
12,3%
3,8%
1,8%
30,0%
2,5%
3,7%
4,5%
2,0%
,6%
13,3%
,8%
,3%
1,0%
,8%
1,4%
4,4%
30,9%
24,5%
29,5%
9,4%
5,6%
100,0%
Quelle: Eigene Darstellung
Offensichtlich befriedigen einen Teil der Befragten die gegenwärtigen Reformbemühungen nicht (vgl. die qualitativen Ergebnisse von Worobiej, Kapitel 2.3). 30% der Befragten halten dagegen das Arbeitsrecht in seiner gegenwärtigen Form für sinnvoll. Wie wird nun das Arbeitsrecht in der täglichen Arbeit angewendet? Für die Mehrheit der Befragten trifft es „teils/teils“ bis „überhaupt nicht“ zu, dass das Arbeitsrecht weniger beachtet wird (65%). Dagegen trifft es für fast die Hälfte zu, dass die Mitarbeiter schnell auf die Einhaltung ihrer Rechte pochen (43%). Das Arbeitsrecht schütze überwiegend die Rechte der Arbeitnehmer (75%) und regele nur „teils/teils“ bis „überhaupt nicht“ die Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern effizient (74%). Es erleichtere „teils/teils“ bis „überhaupt nicht“ das betriebliche Miteinander (61%). 41% der Befragten fühlen sich von den Regelungen des Arbeitsrecht in ihrer Gestaltungsfreiheit behindert. Dabei solle das Arbeitsrecht eher die gegenseitigen Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern regeln (89%) und weniger die Rechte der Arbeitnehmer schützen (31%) (vgl. hierzu die entsprechenden qualitativen Ergebnisse, die zum Großteil ein anderes Image des Arbeitsrechts unter den Personalverantwortlichen wiedergeben: BradtkeHellthaler, Kapitel 2.1; Krawetzki, Kapitel 2.6; Worobiej, Kapitel 2.3).
333
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
6
Einfluss des Arbeitsrechts auf personalwirtschaftliches Verhalten
Welches Verhalten zeigen die Betriebe im Kontext von Arbeitsrecht und Personalwirtschaft? Hierzu werden folgende Bereiche betrachtet: -
Umgang mit Teilzeitarbeit
-
Der Umfang von und der Umgang mit Konflikten
-
Das betriebliche Einstellungsverhalten
-
Das betriebliche Entlassungsverhalten
Umgang mit Teilzeit Die meisten juristischen Gebiete, die im Rahmen von AribA behandelt werden, befassen sich mit dem personalwirtschaftlichen Gebiet der „Personalbewegungen“. Greift das Recht in das Ausmaß, die Struktur und die Qualität der Begründung und Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen ein? Hiervon unterscheidet sich das Themengebiet Teilzeit in mehrfacher Hinsicht. Hier steht – anders etwa als bei der Leiharbeit oder der Befristung – auch das arbeitnehmerseitige Interesse an Regelungen, die von Vollzeitarbeit abweichen, etwa im Sinne einer „Work Life Balance“ im Mittelpunkt. Dies ist besonders am Teilzeit- und Befristungsgesetz ersichtlich, welches asymmetrisch den Beschäftigten unter bestimmten Bedingungen ein Recht auf Teilzeitarbeit einräumt. Die betrieblichen Motive zur Teilzeitarbeit und dem Umgang mit dem Anspruch auf Teilzeitarbeit ist den folgenden Passagen zu entnehmen (qualitative Ergebnisse: vgl. Kattenbach, Kapitel 2.5). Hinsichtlich der Frage, warum Teilzeitarbeit eingesetzt wird, sind die Befragten gespalten: 40% sehen betriebliche Erfordernisse; für 42% trifft das eher oder überhaupt nicht zu. 48% der Befragten sehen in der Teilzeitarbeit ein wichtiges betriebliches Flexibilisierungsinstrument. Dabei seien Teilzeitkräfte eher nicht effizienter als Vollzeitkräfte (49%). Nach Meinung der Befragten lässt sich Teilzeit leichter in größeren Betrieben umsetzen (76%) als in kleineren Betrieben (9%). Bemerkenswert ist dabei, dass für die jeweils eigene Branche die Teilzeitarbeit als jeweils schwer umzusetzen empfunden wird (57%). Dabei gehört es für die Hälfte der Befragten zu den Aufgaben des Unternehmens, die Teilzeitwünsche der Mitarbeiter umzusetzen (49%). Etwa die gleiche Anzahl der Befragten meint, dass es von den Leistungen des Mitarbeiters abhänge, ob ein Teilzeitantrag unterstützt wird (43%); oder ist nicht dieser Auffassung (41%). Der Anteil der in den letzten drei Jahren gestellten Teilzeitanträge beträgt 1,7% der Beschäftigten und schwankt mit der Betriebsgröße, wobei er bei kleinen Betrieben größer ist. Auch hinsichtlich der Branchen ist der Anteil unterschiedlich groß; am ge334
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
ringsten beim Bergbau, am größten bei „Gesundheit und Soziales“. Es gibt leichte regionale Schwankungen zugunsten des Nordens. Und bei einem höheren Personalkostenanteil ist auch der Anteil der Teilzeitanträge höher. Aufgrund der Bedeutung für den Wandel des Erwerbssystems wurden die Personaler/innen explizit nach ihrer Meinung zur Teilzeit gefragt (vgl. Tabelle 14). Tabelle 14: Statements zur Teilzeitarbeit trifft voll und ganz zu (1)
Trifft eher zu (2)
teils/teils (3)
Trifft eher nicht zu (4)
trifft überhaupt nicht zu (5)
In % Den gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit für Mitarbeiter finde ich gut
21,1
22,8
24,7
10,8
20,7
Teilzeit ist ein Instrument um Mitarbeiter zu halten
21,7
26,3
20,7
12,9
18,4
Wenn ein Mitarbeiter seine Arbeitszeit reduziert, wird das zur Rationalisierung genutzt
13,7
14,1
20,0
18,9
33,3
Wenn ein Mitarbeiter seine Arbeitszeit reduziert, wird eine zusätzliche Kraft eingestellt
8,1
10,3
20,6
23,0
38,0
Volkswirtschaftlich gesehen schafft Teilzeitarbeit keine zusätzliche Arbeitsplätze
28,8
23,8
19,9
16,0
11,6
Der rechtliche Anspruch ist bei uns bedeutungslos, da Arbeitszeitfragen einvernehmlich geklärt werden
55,4
19,6
14,0
6,3
4,7
Der gesetzlich festgeschriebene Anspruch stört das betriebliche Miteinander!
9,0
12,1
19,6
21,6
37,7
Wenn ein Arbeitnehmer Teilzeit beanttragt, hat man wenig Möglichkeiten den zu widersprechen
23,9
27,0
25,7
13,6
9,7
In unserem Betrieb ist arbeitnehmerorientierte Teilzeitarbeit ein organisatorisches Problem
31,7
17,4
11,5
14,3
25,1
Teilzeitarbeit wird vorwiegend aufgrund betriebliche Erfordernisse eingesetzt
19,1
21,2
17,8
13,1
28,7
Teilzeit ist ein wichtiges betriebliches Flexibilisierungsinstrument
22,9
25,5
20,6
12,3
18,7
Gemessen an den Lohnkosten, sind Teilzeitkräfte effizienter als Vollzeitkräfte
12,5
17,7
20,8
21,1
27,8
In kleineren Betrieben ist Teilzeitarbeit leichter umzusetzten als bei uns
6,0
3,2
15,6
35,9
39,3
In größeren Betrieben ist Teilzeitarbeit leichter umzusetzten als bei uns
54,1
21,9
9,1
5,5
9,4
In unserer Branche ist Teilzeitarbeit vergleichweise schwer umzusetzten
41,8
15,5
13,2
11,0
18,5
Es gehört zu den Aufgaben des Unternehmens Teilzeitwünsche der Mitarbeiter zu ermöglichen
20,6
28,5
23,4
12,3
15,3
Es hängt von der Leistung der Mitarbeiter ab, ob sein Teilzeitantrag unterstützt wird
22,5
20,6
15,9
12,1
29,0
Quelle: Eigene Darstellung
335
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Ein großer Teil der Befragten (44%) findet den gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit gut und hält die Teilzeitarbeit für ein Instrument zur Bindung der Arbeitskräfte (48%). Die Verwirklichung des Teilzeitanspruchs wird dabei eher nicht zur Rationalisierung genutzt (52%); und es wird auch eher keine zusätzliche Kraft eingestellt (61%). So ist es nur folgerichtig, wenn eine Mehrheit der Befragten (53%) keine volkswirtschaftlichen Effekte in Form zusätzlicher Arbeitsplätze durch Teilzeitarbeit sehen. Im eigenen Betrieb sei der gesetzliche Anspruch ohnehin eher bedeutungslos (75%). Dieser störe aber auch nicht das betriebliche Miteinander (59%). Sollte ein Mitarbeiter Teilzeit beantragen, so sieht die Hälfte der Befragten wenig Möglichkeiten, dem zu widersprechen (51%). Immerhin: die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass „Arbeitnehmerorientierte Teilzeitarbeit“ ein organisatorisches Problem ist (49%). Die Teilzeitarbeit wird also – unabhängig vom gesetzlichen Anspruch – nicht als betriebs- oder volkswirtschaftliches Instrument gehen, sondern eher als die Verwirklichung individueller Wünsche auf freiwilliger Basis. Andererseits wird die betriebliche Funktion bei der Flexibilisierung auch gesehen. Der Eindruck ist also eher gespalten; spektakuläre Probleme sind nicht zu erkennen. Konflikte im Betrieb und vor dem Arbeitsgericht Die nachfolgende Tabelle 15 zeigt nach Betriebsgröße die mittlere Fallzahl von Konflikten im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht. Darüber hinaus ist ersichtlich, ob und mit welchem Ergebnis diese Konflikte innerbetrieblich oder gerichtlich gehandhabt wurden.
336
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung Tabelle 15: Konflikte intern oder vor dem Arbeitsgericht gelöst, nach Betriebsgröße
Betriebsgröße 06 bis 10 11 bis 19 20 bis 99
Mittelwert
Frage 3: Wie viele Mitarbeiter hat Ihr Betrieb – einschließlich solcher Personen, die im Moment wegen Elternzeit, Wehr- oder Ersatzdienst vorübergehend nicht im Betrieb sind? Bitte zählen Sie Auszubildende, Leiharbeitnehmer und Werkvertragnehmer 7,7
Frage 23: In den letzten 3 Jahren – wie viele Konflikte im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht in Ihrem Betrieb wurden vor einem Arbeitsgericht verhandelt?
Frage 24: Und in wie vielen Fällen wurden in den letzten 3 Jahren bedeutsame Konflikte im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht intern gelöst – so dass diese nicht vor einem Arbeitsgericht verhandelt wurden?
Frage 31: Und wie viele der Fälle, in denen Kündigungen durch den Betrieb ausgesprochen wurde, wurden vor einem Arbeitsgericht verhandelt?
…einen Vergleich?
…einem Prozessgewinn für den Arbeitgeber?
..einem Prozessgewinn für den Arbeitnehmer?
,4
,6
,5
1,3
,2
,5
332
329
190
54
54
54
,7
,5
1,2
,3
,2
176
107
33
33
33
2,4
1,4
1,9
,3
,3
192
144
83
80
81
N
332
Mittelwert
14,5
,4
N
176
176
Mittelwert
42,2
1,4
N
195
194
100 bis 199
Mittelwert
139,7
6,9
5
9,5
6,4
2,4
,8
200 bis 1999
N Mittelwert
26 491,7
26 11,1
25 17,4
20 9,1
14 8,5
14 1,6
14 1,5
18
17
16
15
13
13
12
4185,6
87,8
27,2
120,1
11,4
13
7,4
N 2000 und mehr
Mittelwert
2
2
1
1
1
1
1
Insgesamt
Mittelwert
43,2
1,3
1,6
170
2,4
,6
,5
N
750
747
740
477
197
194
195
N
Quelle: Eigene Darstellung Bei 3% der Beschäftigten kam es demnach in den letzten drei Jahren (!) zu Konflikten, die vor dem Arbeitsgericht verhandelt wurden, bei 4% kam es zu Konflikten, die intern gelöst wurden. Interne Lösungen kommen zudem eher für kleinere Betriebe in Betracht. Die Anzahl der Verhandlungen von Kündigungen vor dem Arbeitsgericht ist vor dem Hintergrund der Anzahl der Kündigungen insgesamt zu interpretieren. Wir schätzen einen Anteil von Kündigungen durch den Arbeitgeber an den Belegschaften in Höhe von 4% im Jahr (siehe unten). 4% der Beschäftigten geben als Problemfälle vor dem Arbeitsgericht durch Kündigungen an. Das sind pro Jahr 1,31% oder hochgerechnet 471.600 Fälle bzw. 30% der Kündigungsfälle. Jede Seite hat dabei in etwa die gleiche Chance zu gewinnen. Der Anteil der (gerichtlichen) Vergleiche ist größer als der Anteil der Gerichtsfälle insgesamt, was sich logisch ausschließt. Möglicherweise berücksichtigen die Befragten Konstellationen, in denen ein Vergleich ohne Gerichtsverfahren bereits im Vorfeld und im Hinblick auf ein mögliches Verfahren erfolgte. Jedenfalls kommen Vergleiche dann fast doppelt so oft vor wie Prozessgewinne. Insgesamt erkennen wir eine geringe Relevanz der Fälle im Hinblick auf die Gesamtzahl der Beschäftigten. Dabei stellen die kleinen Betriebe eine besondere Problemgruppe dar. Hier kommt es relativ zur Belegschaft öfters zu Klagen, die eher zugunsten 337
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
der Arbeitnehmer ausgehen. Auch die Zahl der Vergleiche ist auffallend hoch. Wenn arbeitsrechtliche Probleme insgesamt keine so große Rolle spielen, so sind diese doch für kleine Betriebe (gemessen an der Zahl der Belegschaft) bedeutender als für große Betriebe. Rolle des Arbeitsrechts bei Neueinstellungen und die prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes Welche Bestandteile des Arbeitsrechts erweisen sich dabei als besonders wichtig? Die Tabelle 16 zeigt die Rolle des Arbeitsrechts bei der Entscheidung für oder gegen Neueinstellungen im Verhältnis zu anderen Faktoren. Nur in 31% der Fälle spielt das Arbeitsrecht dabei eine „sehr wichtige“ oder „eher wichtige“ Rolle: Tabelle 16: Rolle des Arbeitsrechts
sehr wichtige Rolle (1) eher wichtige Rolle (2) teils/teils (3) eher unwichtige Rolle (4) gar keine Rolle (5)
Angebot an Arbeitskrä ften mit entsprech ender Qualifikati on %
Lohnkost en und Lohnneb enkosten %
Wirtschaft liche Lage des Unterneh mens %
Auftragsla ge %
Arbeitsrec ht %
Kreditverg abeverhal ten der Banken %
64,9%
68,8%
8,8%
11,6%
40,2%
43,6%
27,8%
21,5%
21,7%
14,1%
35,7%
36,0%
4,8%
5,5%
34,2%
19,2%
13,2%
11,3%
1,4%
1,6%
21,3%
20,4%
6,4%
3,7%
1,0%
2,7%
14,0%
34,8%
4,5%
5,4%
Quelle: Eigene Darstellung Falls nur die Antwortalternative „sehr wichtig“ berücksichtigt wird, ergibt sich folgende Reihenfolge der Einflussfaktoren: 1.
Auftragslage (69%)
2.
Wirtschaftliche Lage des Unternehmens (65%)
3.
Lohnkosten und Lohnnebenkosten (44%)
4.
Angebot an Arbeitskräften mit entsprechender Qualifikation (40%)
5.
Kreditverhalten der Banken (12%)
6.
Arbeitsrecht (9%).
338
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Bemerkenswert ist der geringe Stellenwert, der dem Arbeitsrecht zugebilligt wird. Auch fällt der hohe Stellenwert der Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften auf. Anschließend stellt sich die Frage nach der prohibitiven Wirkung des Kündigungsschutzes, die allgemein von den Kritikern des deutschen Kündigungsschutzgesetzes unterstellt wird. Die Ergebnisse zur expliziten Nachfrage, ob aufgrund des Kündigungsschutzes tatsächlich Neueinstellungen unterblieben sind – das ist die gängige Behauptung – oder zumindest verzögert werden, sind anhand der folgenden Abbildung 16 ersichtlich. In Anbetracht der gängigen Diskussion überrascht das geringe Ausmaß an berichteten Vermeidungen oder Verzögerungen von Neueinstellungen, zumal sich der Befragungszeitraum auf drei Jahre bezieht, von denen außerdem die letzten beiden Jahre durch einen starken Aufbau von Beschäftigung gekennzeichnet sind. Auch wenn es im Einzelfall diese prohibitive Wirkung geben mag, ist angesichts solcher Ergebnisse nicht von einem weit verbreitetem Phänomen auszugehen (vgl. Abbildung 14): Abbildung 14: Auswertung der Frage: Haben Sie in den vergangenen 3 Jahren wegen des Kündigungsschutzgesetzes… Neueinstellungen zeitlich verschoben
Auf Neueinstellungen verzichtet?
ja 16,4%
ja 14%
nein 86%
nein 83,6%
Quelle: Eigene Darstellung
Ausweichverhalten als „kleine prohibitive Wirkung“ Neben den Verzögerungen und Vermeidungen von Neueinstellungen wird gemeinhin ein Ausweichverhalten der Betriebe vermutet. Um Festeinstellungen – und ggf. das Kündigungsschutzgesetz – zu umgehen, bestehen unbestritten diverse Wege: So könnten zusätzliche Aufträge nicht angenommen, verzögert bearbeitet oder wiederum an weitere Auftragnehmer vergeben werden. Oder es wird von den Beschäftigten Mehrarbeit geleistet. Das Produktionsvolumen mag auch auf Kosten der Qualität erhöht werden, evtl. lassen sich auch erhebliche Produktivitätsreserven erschließen. Schließlich können Beschäftigte befristet eingestellt werden oder Leiharbeitskräfte beschäftigt werden, was als „kleine prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes“ charakterisiert werden kann. 339
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Abgesehen von der Anwendung der Befristung bei allen Neueinstellungen (also grundsätzlich) bzw. nach der Ausbildung sind es jedoch vor allem absehbare betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten, die zum Einsatz der Befristungen führen. Die Befristung ist überwiegend keine direkte Reaktion auf die Zwänge des Arbeitsrechts (insbesondere Kündigungsschutz), sondern ein wohlfeiles Instrument zur flexiblen Gestaltung des Personalbestandes, das zudem den Vorteil bietet, kündigungsschutzrechtliche Probleme für einige Zeit zu vermeiden (vgl. Abbildung 15). Sie ist aber nicht der Ausfluss einer Vermeidungsstrategie, was die Bedeutung der Betriebszugehörigkeit unterstreicht. Abbildung 15: Gründe für Befristungen 61,3
Vorübergehende Bedarfe
48,9
Bei unklarer Entwicklung der Auftragslage Bei allen Neueinstellungen
43
Als Anschlussbeschäftigung nach der Ausbildung
43
Verlängerung der Probezeit
34,5
Unvorhergesehen Mehrarbeit
34,5 31,8
Zur Vermeidung von Festanstellungen
13,2
Motivations- und Leistungssteigerung
0
10
20
30
40
50
60
70
Quelle: Eigene Darstellung
Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für die Leiharbeit. Weit überwiegend wird sie eingesetzt als Reaktion auf Auftragsspitzen. Arbeitsrechtliche Probleme oder Lohnkosten spielen dabei eine geringere Rolle. Die Leiharbeit ist volkswirtschaftlich noch wenig, hat aber deutlich zugenommen (SOEP). Die Gründe für den Einsatz der Leiharbeit sind im Einzelnen die folgenden: 82% Auftragsspitzen 44% Flexibilisierung zum Schutz der Stammbelegschaften vor Entlassung 39% zur Erprobung vor Festanstellungen 38% Anstelle von Festanstellungen 35% Randtätigkeiten 25% zur Senkung der Lohnkosten. 340
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Hierbei scheint es sich um ein Schutz- und Erprobungsinstrument zu handeln, mit dem man vor allem auf Auftragsschwankungen reagieren kann. Es ist erkennbar kurzfristiger angelegt als die Befristung und ergänzt diese, wobei die Leiharbeit ebenso wie die Befristung den möglichen Übergang in eine reguläre (unbefristete) Beschäftigung enthält. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Leiharbeit in den letzten Jahren sollte dieser Aspekt weiter untersucht werden. Das Beendigungsverhalten der Betriebe Mit Hilfe des Sozioökonomischen Panels lässt sich das Ausmaß der Beendigungen von Arbeitsverhältnissen messen. In dem hier herangezogenen Zeitraum von 2000 bis 2004 zeigt sich, dass in jedem Jahr mehrere Millionen Arbeitsverhältnisse beendet werden. Über vier Millionen Beschäftigungsverhältnisse wurden nach dieser Datenquelle im Jahr 2004 beendet, wobei der Ruhestand nur ca. 10% der Fälle in Anspruch nimmt, was auf die erhebliche Dynamik der Beschäftigungsstabilität verweist. Die „klassische“ Kündigung durch den Arbeitgeber umfasst im Jahr 2004 ca. 1,2 Millionen Fälle. Das tatsächliche Ausmaß des arbeitgeberseitigen Personalabbaus ist dagegen höher einzuschätzen, das Beenden eines befristeten Arbeitsverhältnisses oder wohl auch der Großteil der Aufhebungsverträge dem arbeitgeberseitigen Personalabbau zuzurechnen sind. Deutlich ist der konjunkturelle Einfluss auf die arbeitnehmerseitigen Kündigungen zu sehen: In konjunkturell besseren Zeiten nehmen die Beschäftigten die Chance einer Verbesserung ihrer Arbeitsverhältnisse durch einen Wechsel des Arbeitsgebers weitaus häufiger vor als in konjunkturell angespannten Zeiten (vgl. Abbildung 16). Abbildung 16: Beendigungen im Zeitverlauf (SOEP) 2.000.000,00 1.800.000,00 1.600.000,00 1.400.000,00 1.200.000,00 1.000.000,00 800.000,00 600.000,00 400.000,00 200.000,00 0,00
Betriebsstillegung, Eigene Auflösung Kündigung Dienstst.
Kündigung Arbeitgeber 2000
Auflösungsvertrag 2002
Quelle: Eigene Darstellung
341
Ende Befristung 2003
Verrentung/ Beurlaubung Pensionierung 2004
Geschäftsaufgabe (Selbständige)
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
In Tabelle 17 sind die Beendigungsformen nach mittlerer Anzahl der Fälle und Betriebsgröße dargestellt, wie sie sich aus der Telefonbefragung ergeben. Tabelle 17: Beendigungen von Arbeitsverhältnissen (Telefonbefragung)
Betriebsgröße
Kündigungen durch die Arbeitnehmer
Aufhebungsverträge
Betriebsbedingte Kündigungen
Verhaltensbedingte Kündigungen
Personenbedingte Kündigungen
Auslaufende Befristungen
Altersteilzeit
06 bis 10
Mittelwert N
,8
,4
1,4
,5
,4
,4
,2
331
331
331
331
331
331
331
11 bis 19
Mittelwert N
1,2
,5
1,0
,4
,4
,6
,6
176
176
176
176
176
176
176
2,3
1,1
1,5
,8
,7
3,0
,6
20 bis 99
Mittelwert N
100 bis 199
Mittelwert N
200 bis 1999
Mittelwert N
2000 und mehr
Mittelwert N
Insgesamt
Mittelwert N
191
192
192
192
191
191
193
7,3
10,5
11,8
6,3
3,0
8,4
2,8
25
25
25
26
26
25
26
18,1
12,5
17,2
7,1
4,4
20,2
12,1
16
17
17
17
17
17
17
105,9
34,9
105,7
29,6
10,3
121,4
78,4
2
1
2
2
2
2
2
2,1
1,3
2,3
1,0
,7
2,2
,8
741
741
743
10,4
743
741
744
Quelle: Eigene Darstellung
In der nachfolgenden Tabelle 18 werden diese Informationen mit den Angaben des SOEP verglichen: Tabelle 18: Beendigung von Arbeitsverhältnissen 2000-2004 (SOEP) 2000 Betriebsstillegung, Auflösung Dienstst. Eigene Kündigung Kündigung Arbeitgeber Auflösungsvertrag Ende Befristung Verrentung/Pensionierung Beurlaubung Geschäftsaufgabe (Selbständige) Gesamt
2000
2004
2004
416.373,0 1.765.564,0 888.518,0 548.679,0 791.413,0
7,8% 32,9% 16,6% 10,2% 14,8%
430.289,0 901.562,0 1.197.373,0 425.484,0 873.402,0
8,9% 18,7% 24,9% 8,8% 18,1%
403.733,0 374.071,0 171.388,0
7,5% 7,00% 3,2%
464.381,0 344.077,0 177.803,0
9,6% 7,1% 3,7%
5.359.739,0
100,00%
4.814.371,0
100,0%
Quelle: Eigene Darstellung Wie oben schon vermerkt, sind die Strukturen in beiden Befragungen ähnlich. 41% der Beendigungen sind nach unseren Daten Kündigungen durch den Arbeitgeber, davon 58% betriebsbedingte Kündigungen, 25% verhaltensbedingte Kündigungen und 17% Personenbedingte Kündigungen. Daneben spielen das Ende der Befristung (24% aller 342
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Beendigungen), die eigene Kündigung (22%) und der Auflösungsvertrag (13%) eine Rolle. Altersteilzeit, Verrentung, Beurlaubung und Geschäftsaufgabe sind weitere Möglichkeiten, die hier nicht betrachtet werden. Wir haben hochgerechnet 3,8 Mio. Beendigungen (2004) bei ca. 36 Mio. Beschäftigten, also 11% anzunehmen (wobei die Strukturunterschiede zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft unberücksichtigt bleiben). Von den 11% entfallen 41% auf Kündigungen durch den Arbeitgeber bzw. 24% auf betriebsbedingte Kündigungen, das sind grob geschätzt 2,4% aller Arbeitsverhältnisse! Das erklärt, warum der Kündigungsschutz gleichzeitig als problematisch wahrgenommen werden kann und das Arbeitsrecht insgesamt bei betriebswirtschaftlichen Entscheidungen eine so geringe Rolle spielt. Die empirische Relevanz des Kündigungsschutzes ist verhältnismäßig gering, auch wenn dieser das Zentrum der Probleme mit dem Arbeitsrecht darstellt. Hierbei ist die Verteilung über die Betriebsgrößen unterschiedlich, wie die nachfolgende Tabelle 19 und Abbildung 17 zeigen: Tabelle 19: Betriebsbedingte Kündigungen pro Jahr mittlere Anzahl der Betriebs-größe Beschäftigten
betriebsbe- Anteil an dingte Kündider Anzahl der Betriebe gungen in 3 BelegJahren schaft
Anzahl der Beschäftigten
... Pro Jahr
06 bis 10
7,7
1,4
18,2%
89.894,5
125.392,4
41.797,5
11 bis 19
14,5
1,0
6,8%
36.348,9
35.608,7
11.869,6
20 bis 99
42,3
1,5
3,6%
260.711,9
394.545,5
131.515,2
100 bis 199
139,7
11,8
8,5%
97.708,0
1.154.593,4
384.864,3
200 bis 1999
491,7
17,2
3,5%
14.075,7
242.250,4
80.750,1
2000 und mehr
4.185,6
105,7
2,5%
8.364,5
883.876,6
294.625,5
2.836.267,0
945.422,3
Quelle: Eigene Darstellung
343
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung Abbildung 17: Betriebsbedingte Kündigungen nach Betriebsgröße 20%
16%
12%
8%
4%
0%
06 bis 10
11 bis 19
20 bis 99
100 bis 199
200 bis 1999
2000 und mehr
Quelle: Eigene Darstellung
Weiterhin wurden die Angaben zu den Beendigungsformen aus dem SOEP mit den entsprechenden Daten der standardisierten Befragung verglichen (vgl. Tabelle 20): Tabelle 20: Betriebsbedingte Kündigungen (SOEP, Telefon) Quelle: (eigene Darstellung) 5 bis unter 20
Gesamt
Kündigungen Arbeitgeber
20 bis unter 100
100 bis unter 200
200 bis unter 2000
2000 und mehr
Gesamt
34.261,00
56.064,00
335.723,00
43.614,0
122.111,00
163.355,0
704.644,0
176.841,0
51.707,0
100.903,00
38.497,0
785.434,0
50.165,0
44.062,0
38.750,00
92.850,0
307.658,0
137.556,0
136.263,0
20.643,0
121.850,00
198.888,0
615.200,0
Verrentung/Pensionierung
45.740,0
135.294,0
21.276,0
95.824,00
96.076,0
394.210,0
Beurlaubung
21.774,0
89.555,0
74.639,0
54.786,00
66.644,0
307.398,0
Geschäftsaufgabe (Selbständige)
15.753,0
4.613,0
10.812,00
4.158,0
35.336,0
1.029.141,0
871.631,0
289.002,0
579.297,00
716.532,0
3.485.603, 0
Betriebsstillegung, Auflösung Dienststelle
121.969,0
90.368,0
33.061,0
Eigene Kündigung
187.032,0
188.532,0
Kündigung Arbeitgeber
417.486,0
Aufloesungsvertrag
81.831,0
Ende Befristung
417.486,0
176.841,0
51.707,0
100.903,00
38.497,0
SOEP
Betriebsbedingte Kündigungen
58,1%
58,1%
58,1%
58,10%
58,1%
Telefon
Betriebsbedingte Kündigungen
242.559,4
102.744,6
30.041,8
58.624,64
22.366,8
Betriebsstillegungen
121.969,0
90.368,0
33.061,0
34.261,00
56.064,0
Summe
364.528,4
193.112,6
63.102,8
92.885,64
78.430,8
792.060,1
46,0%
24,4%
8,0%
11,73%
9,9%
1,0
6.222.842,8
6.266.490,0
3.076.788,56
6.726.020,32
7.043.056,89
29.335.198,6
SOEP
Anteil an der Belegschaft
5,7%
3,1%
2,05%
1,38%
1,11%
Anzahl der Beschäftigten je Betrieb
14,46
42,2
139,73
491,70
4.185,60
4.873,7
Telefon
430.348,74
148.319,3
22.019,53
13.679,11
1.682,69
616.049,4
0,85
1,30
2,87
6,79
46,61
58,4
5,86%
3,08%
2,05%
1,38%
1,11%
Anteil
0,0 Anzahl der Beschäftigten
Anzahl der Betriebe Anzahl der Kündigungen je Betrieb Anteil an der Belegschaft
344
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Hierzu wurden die Beendigungsformen gemäß SOEP für 2005 (Beendigungen im Jahre 2004 bis zum Zeitpunkt der Befragung) so zusammengefasst, dass für die betrachteten Betriebsgrößen (ab fünf Beschäftigte) die Betriebsbedingten Kündigungen sichtbar werden. Die Kündigungen wurden durch den Arbeitgeber (ohne Betriebsstilllegungen) gemäß SOEP mit dem Anteil der Betriebsbedingten Kündigungen gemäß der standardisierten Befragung gewichtet. Anschließend wurden die Betriebsstilllegungen addiert. Wie man sieht, sind von fast der Hälfte der Betriebsbedingten Kündigungen Beschäftigte betroffen, die in Betrieben bis 20 Beschäftigte arbeiten. Die dabei ermittelte hochgerechnete, absolute Zahl der betroffenen Beschäftigten kann durch die hochgerechnete Zahl der Beschäftigten insgesamt (SOEP) geteilt werden, um den Anteil an den Belegschaften nach Betriebsgrößenklasse zu ermitteln. Hierbei ist zu beachten, dass alle Erwerbstätige außer in Kleinstbetrieben und Selbständige betrachtet werden. Die so ermittelten Anteile ergeben Werte, die ähnlich denen sind, die wir auch für die Telefonbefragung errechnet haben. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Güte der standardisieren Befragung den im Allgemeinen als zuverlässig eingeschätzten Daten des SOEP entspricht (siehe oben). Die präventive Wirkung des Kündigungsschutzes Recht, dem keinerlei Wirkung zugeschrieben werden kann, dürfte entbehrlich sein. Welche Wirkung soll mit dem Kündigungsschutzgesetz in der Praxis erwirkt werden? Unsere Befragungen dokumentieren deutlich, dass die „innerbetriebliche“ Wirkung relevant ist: Arbeitsrecht und der Kündigungsschutzgesetz sollen etwa dabei helfen, dass der Arbeitgeber nicht willkürlich mit seinen Beschäftigten umgeht. Darüber hinaus ist mit dem Kündigungsschutzgesetz auch die Hoffnung verbunden, dass Beschäftigung erhalten werden kann und aufgrund der geltenden Rahmenbedingungen die Personalarbeit strategischer orientiert ist und so für Verstetigung von Beschäftigungsverhältnissen sorgt. Schreiben die Personalverantwortlichen dem Kündigungsschutzgesetz eine präventive Wirkung zu? Hierbei lassen sich das Unterassen und das Verzögern einer Kündigung unterscheiden. Der Anteil derjenigen, die Kündigungen verschoben bzw. darauf verzichtet haben, ist ausgesprochen gering, zumal sich die Frage nach einer derartigen Verhaltensweise auf die letzten drei Jahre bezieht (vgl. Abbildung 18). Zu relativieren ist dies dadurch, dass ohnehin nur wenige Beschäftigungsverhältnisse betriebsbedingt gekündigt werden (2004 ca. 2,4% der Beschäftigungsverhältnisse).
345
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung Abbildung 18: Verzögerung von oder Verzicht auf Kündigungen Frage: Haben Sie in den vergangenen 3 Jahren wegen des Kündigungsschutzgesetzes… Kündigungen zeitlich verschoben?
Auf Kündigungen verzichtet?
ja 10,5%
ja 9,6%
nein 89,5%
nein 90,4%
Quelle: Eigene Darstellung
7
Typen des Umgangs mit dem Arbeitsrecht
Mit Hilfe der Clusteranalyse lassen sich die Personalverantwortlichen in möglichst homogene Gruppen einteilen, die sich hinsichtlich einer Reihe vorab ausgewählter Merkmale möglichst stark voneinander unterscheiden. Für Unterteilung wurden die Ressourcen des Arbeitsrechts (vgl. Tabelle 21) zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Ressourcen sollten zwei möglichst homogene Gruppen gebildet werden. Tabelle 21: Arbeitsrechtliche Ressourcen (in %) trifft voll und ganz zu (1)
trifft eher zu (2)
teils/teils (3)
trifft eher nicht zu (4)
trifft überhaupt nicht zu (5)
Arbeitsrechtliche Details werden nur beim Vorliegen konkreter Fragestellungen überprüft
30,6
37,0
17,9
9,5
4,9
Arbeitsrechtliche Fragestellungen und Details werden laufend sondiert
6,8
13,0
27,4
29,4
23,5
Geplante arbeitsrechtliche Änderungen werden vorab auf die Folgen für den Betrieb hin überprüft
22,8
27,5
19,2
16,6
13,9
Ich verwende arbeitsrechtliche Instrumente aktiv für eine personalpolitische Strategie
3,9
14,2
25,9
24,6
31,3
Das Arbeitsrecht zwingt zu einem überlegten Vorgehen bei personalpolitischen Maßnahmen
33,0
37,2
16,4
7,7
5,7
Das Arbeitsrecht erleichtert die Personalarbeit, da viele personalpolitische Zusammenhänge nicht mehr verhandelt werden müssen
7,2
24,1
37,8
18,0
12,9
Das Arbeitsrecht ist in der täglichen Praxis ein Instrument der Personalführung
9,1
19,5
28,8
23,1
19,5
Grundlegenden Anforderungen des Arbeitsrechts sind dem Vorgesetzten im Betrieb im Großen und Ganzen bekannt
27,2
43,4
20,4
6,8
2,3
Die Vorgesetzten achten von sich aus eher wenig auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen
7,6
15,6
24,3
28,5
24,0
Quelle: Eigene Darstellung 346
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Das Ergebnis zeigt zwei annähernd gleich große Gruppen. Aus der Tabelle 22 lässt sich entnehmen, inwiefern sich die Angaben (Mittelwerte von den Antwortkategorien 1 bis 5) zu den Ressourcen in den beiden Gruppen unterscheiden. Tabelle 22: Umgang mit dem Arbeitsrecht Mittelwert
Cluster-Nr. des Falls 1 2 Insgesamt
Arbeitsrechtliche Details werden nur beim Vorliegen konkreter Fragestellungen überprüft! 1,94 2,48 2,21
Arbeitsrechtliche Fragestellungen und Details werden laufend sondiert! 4,24 2,73 3,48
Geplante arbeitsrechtliche Änderungen werden vorab auf die Folgen für den Betrieb hin überprüft! 3,44 1,99 2,71
Ich verwende arbeitsrechtliche Instrumente aktiv für eine personalpolitische Strategie! 4,34 2,91 3,62
Das Arbeitsrecht zwingt zu einem überlegten Vorgehen bei personalpolitischen Maßnahmen! 2,57 1,80 2,18
Das Arbeitsrecht erleichtert die Personalarbeit, da viele personalpolitische Zusammenhänge nicht mehr verhandelt werden müssen! 3,36 2,75 3,05
Das Arbeitsrecht ist in der täglichen Praxis ein Instrument der Personalführung! 3,96 2,47 3,21
Grundlegende Anforderungen des Arbeitsrechts sind den Vorgesetzten im Betrieb im Großen und Ganzen bekannt! 2,40 1,86 2,13
Die Vorgesetzten achten von sich aus eher wenig auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen! 3,31 3,59 3,45
Quelle: Eigene Darstellung
Cluster 1 („Situative“): Eher werden arbeitsrechtliche Details nur bei Vorliegen konkreter Fragestellungen geprüft. Die Vorgesetzten achten weniger als bei der anderen Gruppe auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen. Ein strategischer Umgang mit dem Arbeitsrecht ist durchgehend schwächer ausgeprägt als in der Vergleichsgruppe. Cluster 2 („Strategen“): Hier ist das strategische, vorausschauende Vorgehen im Hinblick auf das Arbeitsrecht stärker ausgeprägt. Besonders deutlich ist das bei den Aspekten der laufenden Sondierung arbeitsrechtlicher Details und des Arbeitsrechts als Instrument der Personalführung. Diese Gruppenbildung kann nun anderen Analysen zugrunde gelegt werden. In anderen Worten: Nachdem die Gruppenbildung mit Hilfe der Items zu den Ressourcen erfolgte, lässt sich die Gruppenzugehörigkeit als Korrelat mit anderen Merkmalen nutzen. Bezüglich der allgemeinen Wahrnehmung des Arbeitsrechts ergibt sich folgendes Ergebnis (vgl. Tabelle 23):
347
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung Tabelle 23: Geschlecht der Befragten nach Clustern: Frage 43: Geschlecht * Cluster-Nr. des Falls Kreuztabelle
Frage 43: Geschlecht
männlich
weiblich
Gesamt
Anzahl % von Frage 43: Geschlecht Anzahl % von Frage 43: Geschlecht Anzahl % von Frage 43: Geschlecht
Cluster-Nr. des Falls 1 2 227 201
Gesamt 428
53,0%
47,0%
100,0%
115
148
263
43,7%
56,3%
100,0%
342
349
691
49,5%
50,5%
100,0%
Quelle: Eigene Darstellung Das Arbeitsrecht wird von den „Situativen“ weniger beachtet als in der Vergleichsgruppe, Veränderungen im Arbeitsrecht werden eher als verwirrend, das Arbeitsrecht selbst wird alles in allem als weniger sinnvoll wahrgenommen. Die „Strategen“ nehmen das Arbeitsrecht als besser gestaltet wahr und halten sich wohl auch eher daran. Offensichtlich unterscheiden sich die Gruppen, die mit Hilfe der Merkmale der „arbeitsrechtlichen Ressourcen“ empirisch gebildet wurden, auch in anderen Merkmalen. Insbesondere sind dies: -
Merkmale der Person der Befragten (Geschlecht und Alter)
-
Merkmale der Organisation: Betriebsgröße, Existenz eines Betriebsrats
-
Bedeutung des Arbeitsrechts, des Angebotes und der Kosten der Arbeitskräfte.
Die „Situativen“ sind eher ältere und männlich. Sie tragen in kleineren Betrieben Verantwortung, die seltener über einen Betriebsrat verfügen und bei denen das Arbeitsrecht keine so große Rolle spielt. Die „Strategen“ dagegen sind eher jung und weiblich. Sie sind in größeren Betrieben mit einer grundsätzlich stärkeren Bedeutung des Personals tätig. Allerdings reagieren die Strategen offenbar stärker auf konjunkturelle Veränderungen (zum Beispiel durch Personalabbau). Die „Situativen“ haben weniger täglichen Umgang mit arbeitsrechtlichen Fragen, sie sind weniger vorgebildet und informiert als die „Strategen“. Die „Strategen“ haben insgesamt mehr Kontakt mit dem Arbeitsrecht, indem sie mehr personalwirtschaftliche Aktivitäten (Konfliktlösungen, Suche nach Ausweichformen zur regulären Beschäftigung, Beendigungen) ausüben; sie sind zudem professioneller im Umgang mit dem Arbeitsrecht. Hierbei pochen die
348
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Mitarbeiter auch schneller auf ihre Rechte – die „Strategen“ sind so stärker vom Arbeitsrecht qua Mitarbeiter herausgefordert (vgl. Tabelle 24). Tabelle 24: Unterschiede zwischen „Situativen“ und „Strategen Merkmal
„Situative“
„Strategen“
Geschlecht
Eher Männer
Eher Frauen
Alter
Eher Ältere
Eher Jüngere
Betriebsgröße
Eher kleinere Betriebe
Eher größere Betriebe
Wirtschaftliche Lage
Kein nennenswerter Unterschied
Kein nennenswerter Unterschied
Anteil der Personalkosten
Eher höher
Eher niedriger
Existenz eines BR
Eher weniger (6%)
Eher mehr (14%)
Bedeutung des Arbeitsrechts für Einstellungen
Eher unwichtig
Eher wichtig
Wahrnehmung des Arbeitsrechts
Weniger Beachtung des Arbeitsrechts und Verwirrung
Mitarbeiter pochen schneller auf ihre Rechte, Schutz- und Vermittlungsfunktion des Arbeitsrechts
Statements zum Arbeitsrecht
Weniger Einfluss auf Konflikte Es ist eher nicht gut, den Dingen ihren Lauf zu lassen
Arbeitsrecht als Ressource
Fallweiser Umgang mit dem Arbeitsrecht, das auch schon mal ignoriert wird
Strategischerer Umgang mit dem Arbeitsrecht, das den Vorgesetzen bekannt ist
Handlungsvollmachten
Sowohl mehr als auch weniger Handlungsvollmachten
Eher der Hauptbestandteil der Arbeit, im Arbeitsrecht ausgebildet und über Änderungen informiert
Einstellungen und Entlassungen
Wenn, dann wird eher auf Neueinstellungen verzichtet
Kündigungen werden eher verschoben oder es wird darauf verzichtet
Befristungen und Leiharbeit
Mehr Befristungen und Leiharbeit, in den Größenklassen teilweise verschieden
Gründe für Befristung
Weniger Zustimmung zu den vorgegebenen Statements
Eher aus betriebsorganisatorischen Gründen, aber auch zur Vermeidung von Festanstellungen, zur Verlängerung der Probezeit
Gründe für ArbeitnehmerÜberlassung
Weniger Zustimmung zu den vorgegebenen Statements
Eher aus betriebsorganisatorischen Gründen, auch zum Schutz der Kernbelegschaft
Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen
Grundsätzlich mehr Beendigungen in allen Formen
Quelle: Eigene Darstellung
Dabei scheinen die präventiven und prohibitiven Wirkungen des Kündigungsschutzes je nach Gruppe unterschiedlich zu sein. Bei den „Situativen“ wirkt der Kündigungsschutz eher prohibitiv, bei den „Strategen“ eher präventiv, wobei diese deutlich mehr arbeitsrechtliche Konflikte und Beendigungen von Arbeitsverhältnissen verzeichnen Die „Strategen“ sind vorsichtiger, aber auch effizienter.
349
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
8
Fazit
In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der standardisierten Befragung, deren Güte geprüft und positiv beurteilt wurde – am zugrunde gelegten Modell orientiert – zusammengefasst und ausstehende Analysen skizziert (vgl. Abbildung 19). Abbildung 19: Telefonbefragung: Das Analyse-Schema Einstellungen Wirtschaftssystem
Verzicht auf Neueinstellungen Verzögerung von Neueinstellungen
Branche Region
Ausweichverhalten
Organisation
Anzahl Befristungen Anzahl AN-Überlassung (Leih-, Zeitarbeit) Gründe für Befristung Gründe für Leiharbeit
Betriebsgröße Existenz BR Personalkosten
Rolle des AR Wahrnehmung des AR Statements zum AR Ressource AR
Konflikte Konflikte vor AG Konflikte intern gelöst
Person
Beendigungen
Alter ALTER Geschlecht Handlungsvollmachten
Beendigungen Verzicht auf Beendigungen Verzögerung von Beendigungen
„Opportunisten“
„Strategen“
Quelle: Eigene Darstellung
Drei Einflussbereiche strukturieren den Umgang mit dem Arbeitsrecht: Wirtschaftssystem. Hier ist neben der Region und der wirtschaftlichen Lage vor allem die Branche von belang. Der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben (mit der Branche korreliert) liegt im Mittel bei 41%. Etwa die Hälfte der Beschäftigten sind qualifizierte Beschäftigte und jeweils ein Viertel un- und angelernte Beschäftigte bzw. Hochqualifizierte Beschäftigte. Organisation. Die Betriebsgröße ist für die Einschätzung arbeitsrechtlicher Fragen besonders wichtig. In 10% der befragten Betriebe existiert ein Betriebsrat (mit der Betriebsgröße korreliert). Insgesamt scheint die Zusammenarbeit mit dem BR unkompliziert zu sein, auch wenn ein Co-Management (über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus) dagegen weniger stattfindet. Der Anteil der Befristungen beträgt im Mittel 8%. Der Anteil der Leiharbeitnehmer/innen beträgt im Mittel 3%.
350
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Person. Relevant sind Merkmale wie Alter und Geschlecht (welches mit dem Alter und der Funktion korreliert ist). Im Mittel sind die Befragten 46 Jahre alt. Das Alter ist dem Geschlecht korreliert, das Geschlecht der betrieblichen Funktion und diese der Betriebsgröße. So sind Frauen eher in größeren, Männer in kleineren Betrieben in personalwirtschaftlicher Funktion zu finden. Hauptsächlich handelt es sich um Inhaber/innen (27,2%), Geschäftsführer/innen (37,5%) und Personalleiter/innen bzw. Stellvertreter/innen (26,8%). Die Männer repräsentieren eher die Inhaber und Geschäftsführer, die Frauen die Personalleiter/innen und teilweise die Geschäftsführer/innen und Inhaber/innen. Eine Mehrheit der Befragten hat hinsichtlich personalwirtschaftlicher Entscheidungen volle Handlungsfreiheit und fühlt sich über verschiedene arbeitsrechtliche Themen gut bis sehr gut informiert. Die Befragten halten sich in der Regel für kompetent, bemühen aber auch externe Unterstützung. In ihrer Selbstwahrnehmung halten sich die Befragten für aktiv Gestaltende, die auch über die notwendigen Ressourcen verfügen. Personalwirtschaftliche Relevanz des Arbeitsrechts: Insgesamt ist das Arbeitsrecht für betriebliche Entscheidungen nur bedingt relevant. Das gilt für die empirische Verbreitung bestimmter Phänomene, wie zum Beispiel die Beendigung von Arbeitsverhältnissen (SOEP), wie für die Wahrnehmung der Personalverantwortlichen (Experteninterviews). Dieses Bild bestätigt sich in der standardisierten Befragung. Das Arbeitsrecht hat für betriebliche Einstellungsentscheidungen nur einen erstaunlich geringen Stellenwert, es rangiert hinter konjunkturellen und anderen Faktoren (Angebot an und Kosten von Arbeitskräften). Wenn überhaupt werden Personalabbau und Kündigungsschutz als Problem gesehen. Die Bedeutung der Betriebszugehörigkeit und das betriebliche Miteinander jenseits juristischer Auseinandersetzungen werden stark betont. Fast 90% der Personalverantwortlichen halten die lange Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter für ihren Betrieb (aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht) für sehr oder eher wichtig. Betriebsbedingte Kündigungen betreffen grob geschätzt 2,4% aller Arbeitsverhältnisse! Das erklärt, warum der Kündigungsschutz gleichzeitig als problematisch wahrgenommen werden kann und das Arbeitsrecht insgesamt bei betriebswirtschaftlichen Entscheidungen eine geringe Rolle spielt. 41% der Beendigungen sind nach unseren Daten Kündigungen durch den Arbeitgeber, davon 58% Betriebsbedingte Kündigungen, 25% verhaltensbedingte Kündigungen und 17% Personenbedingte Kündigungen. Daneben spielen das Ende der Befristung (23% aller Beendigungen), die eigene Kündigung (22%) und der Auflösungsvertrag (13%) eine Rolle.
351
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Wahrgenommene Funktionalität des Arbeitsrechts: Das Arbeitsrecht ist – in den Augen der Befragten – eine Randbedingung, die sie mehrheitlich nicht sonderlich in ihren personalwirtschaftlichen Aufgabengebieten beschränkt. Dies gilt auch für die Wirkung der zentralen Arbeitsgesetze. Während also die Handlungsspielräume erstaunlich gering eingeengt zu sein scheinen, ist auch die unterstützende Funktion des rechts bei der Personalarbeit nicht stark ausgeprägt. Eine Ausnahme ist der arbeitsrechtliche Bereich des Kündigungsschutzes und – damit korrespondierend – der personalwirtschaftliche Bereich des Personalabbaus. Das Arbeitsrecht sollte generell mehr die gegenseitigen Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern regeln statt einseitig die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen. Die Wunschvorstellungen bezüglich der Schutzfunktion polarisieren die Befragten, während insgesamt Einigkeit darüber herrscht, dass das Arbeitsrecht gegenwärtig diese Schutzfunktion erfüllt. Allgemein darauf angesprochen sehen die Personalverantwortlichen oftmals Änderungsbedarf im Arbeitsrecht, während sie die praktischen vollzogenen Änderungen nicht unbedingt als vorteilhaft einschätzen. Wirkungen des Kündigungsschutzes: Die prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes ist schwach. Das Arbeitsrecht hat bei Neueinstellungen einen geringen Stellenwert verglichen mit anderen Merkmalen wie der Verfügbarkeit von Arbeitskräften und deren Kosten. Dagegen entfaltet der Kündigungsschutz eine stärker präventive Wirkung. Das erklärt sowohl die Verzögerung von bzw. das Verzichten auf Neueinstellungen, als auch die Lücke zwischen der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und den Neueinstellungen, auch wenn hier andere Faktoren wie Rationalisierung, Auslagerung von Aufgaben etc. eine Rolle spielen können. Die innerbetriebliche Wirkung des Kündigungsschutzes ist moderat. Arbeitsrecht wird nach Aussagen der Personalverantwortlichen kaum als Disziplinierungs- oder Motivationsinstrument genutzt oder gewünscht. Das „Ausweichverhalten“ (Befristung, Arbeitnehmerüberlassung) begründet sich vor allem aus betriebswirtschaftlichen Motiven. Andererseits ist eine lange Betriebszugehörigkeit in der Regel für die Befragten wichtig. Die präventive Wirkung ist praktisch für die Betriebe relativ gering, was an dem geringen Anteil der Kündigungsfälle, gemessen an den Größen der Belegschaften, ersichtlich ist. Der Grund hierfür ist, dass es der Mehrzahl der Personalverantwortlichen den Abbau bei Bedarf (und sei es auch mit größeren Kosten) realisieren können. Die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat: Die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat scheint eher unkompliziert zu sein. Wenn überhaupt gibt es Vermittlungsprobleme; ein Co-Management (über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus) findet dagegen wohl weniger statt: Eine leichte Mehrheit der Betriebe billigt dem Betriebsrat „voll zutreffend“ und „eher zutreffend“ eine bedeutende Rolle zu. Vier Fünftel bescheinigen ein gutes 352
Ariba – Ergebnisse der standardisierten Befragung
Verhältnis des Betriebsrat zum Management bzw. dass es dem Betriebsrat wichtig ist, zu einer gemeinschaftlichen Lösung zu kommen. Nur ein Drittel hält es manchmal für schwierig, dem Betriebsrat die betrieblichen Interessen zu vermitteln. Dass der Betriebsrat seinen gesetzlichen Spielraum voll ausnutzt, wird unterschiedlich gesehen, die Letztentscheidung des Managements wird jedoch von der Hälfte der Befragten betont. Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats über das Gesetz hinaus werden überwiegend nicht gesehen. Betriebsgröße: Insgesamt sind kleinere Betriebe (gemessen an der Zahl der Beschäftigten) stärker von Problemen des Arbeitsrechts betroffen als größere Betriebe. Zugleich repräsentieren sie die Mehrheit der Beschäftigten. Änderungen des Arbeitsrechts, welche die kleineren Betriebe betreffen, sind daher von einer besonderen Brisanz. Es gibt Hinweise, dass das Arbeitsrecht (insbesondere der Kündigungsschutz) für kleinere Betriebe problematischer ist als für größere Betriebe. Immerhin betrifft fast die Hälfte aller Betriebsbedingten Kündigungen Beschäftigte, die in kleinen Unternehmen bis unter 20 Beschäftigten arbeiten. Auch ist die Konfliktneigung in kleinen Betrieben (verglichen mit der Zahl der Beschäftigten) größer als in großen Betrieben. Hier kommt es relativ zur Belegschaft öfters zu Klagen, die eher zugunsten der Arbeitnehmer ausgehen. Auch die Zahl der Vergleiche ist auffallend hoch. Wenn arbeitsrechtliche Probleme insgesamt keine so große Rolle spielen, so sind diese doch für kleine Betriebe (gemessen an der Zahl der Belegschaft) bedeutender als für große. Betriebliche Strategie: Ausgehend von der Nutzung der Ressource Arbeitsrecht lassen sich zwei Gruppen bilden („Situative“ und „Strategen“), die sich nicht nur in der Wahrnehmung des Arbeitsrecht, sondern auch im praktischen Umgang mit demselben und in der Betroffenheit durch arbeitsrechtliche Probleme unterscheiden. Die Akteure können mehr oder weniger strategisch mit dem Arbeitsrecht umgehen, wobei der Stil des Umgangs mit dem Arbeitsrecht selbst wieder mit den Merkmalen der Organisation und der Person variiert. Um den Umgang mit dem Arbeitsrecht zu beschreiben, haben wir auf Grundlage der Angaben zur Ressource Arbeitsrecht Gruppen von Akteuren gebildet („Situative“, „Strategen“), die sich auch nach anderen Merkmalen unterscheiden. Das betrifft sowohl Merkmale der Person und der Organisation im Allgemeinen als auch das tatsächliche personalwirtschaftliche Verhalten. Die „Strategen“ haben insgesamt mehr Kontakt mit dem Arbeitsrecht, da sie mehr personalwirtschaftliche Aktivitäten (Konfliktlösungen, Suche nach Ausweichformen zur regulären Beschäftigung, Beendigungen) verzeichnen; sie sind zudem professioneller im Umgang mit dem Arbeitsrecht. Bei den „Opportunisten“ wirkt der Kündigungsschutz stärker prohibitiv, bei den „Strategen“ präventiv.
353
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Fazit: Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung - Mythen und Realität Florian Schramm/Ulrich Zachert unter Mitarbeit von Marcus Bradtke-Hellthaler, Ralph Kattenbach, Carmen Krawetzki, Michael Schlese, Cornelia Schmidt und Aleksandra Worobiej
1
Ziel und Grenzen des Kapitels
Dieses Kapitel will und kann die zahlreichen Facetten der von uns beforschten „arbeitsrechtlichen Lebenswelt“ nicht, auf wenige Seiten verdichtet, wiedergeben. Ziel des ist es vor allem deutlich zu machen, wo Übereinstimmungen mit empirischen Ergebnissen anderer, überwiegend quantitativer Befragungen bestehen und diese gegebenenfalls zu differenzieren sowie weiterzuentwickeln. Deshalb wird der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen darin bestehen, die Ergebnisse unserer quantitativen und qualitativen Befragungen mit dem Fokus Kündigungsschutz zusammenzufassen, da dieser die rechtliche und rechtspolitische Debatte der vergangenen Jahre stark geprägt hat. Zum besseren Verständnis werden zwei theoretische Kapitel über „Arbeitsrecht und Rechtsempirie“ sowie über die „Einstellungen von Personalleitern gegenüber Arbeitsrecht und wahrgenommener Einfluss in der betrieblichen Praxis“ noch einmal aufgegriffen und in komprimierter Form vorangestellt. Im Übrigen – seien es Analysen zur theoretischen Grundlegung (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1), zu Fragen von Befristung und Leiharbeit (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2 und Worobiej, Kapitel 2.4) muss auf die jeweiligen Kapitel dieses Bandes verwiesen werden. Unser Projekt hat Ergebnisse vorangegangener empirischer Untersuchungen, etwa der „REGAM-Studie“ des WSI und der Hans-Böckler-Stiftung im Jahr 2001 (zusammenfassend Pfarr et al. 2005) differenziert bestätigt (siehe den vierten Abschnitt dieses Kapitels). Somit unterstreichen unsere Analysen typische Aussagen von REGAM. Darüber hinaus konnten neue Erkenntnisse über Wahrnehmung, Einstellung und Verhalten von Personalverantwortlichen in ihrem Umgang mit dem Arbeitsrecht gewonnen werden. Einen Einblick in eine recht differenzierte und zum Teil auch widersprüchliche betriebliche Arbeitswelt ermöglicht insbesondere die Kombination von Ergebnissen der qualitativ ausgerichteten Primärerhebung (41 Expertengespräche) und der quantitativ ausgerichteten standardisierten Befragung (750 Personalverantwortliche). Diese Primärerhebungen werden durch weitere qualitative und quantitative Primär- und Sekundäranalysen flankiert (zu den methodischen Grundlagen vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 1.4). 354
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Wir hoffen, dass unser Projekt unter anderem einen Beitrag dazu leistet, Anhaltspunkte darüber zu gewinnen, welche Änderungen im arbeitsrechtlichen Bereich von der befragten Personengruppe gewünscht werden und wie eine „good practice“ des Umgangs mit dem Arbeitsrecht aussehen könnte. Hierauf gehen wir abschließend ein.
2
Arbeitsrecht und empirische Debatte
2.1
Rechtliche und ökonomische Erwägungen beim Kündigungsschutz
Die rechtspolitische Kontroverse um den Sinn des geltenden Kündigungsschutzes, die mit dem Schwerpunkt „arbeitsmarktpolitische Effekte“ und „Undurchschaubarkeit“ eines der Kernthemen der arbeitsrechtlichen Diskussion der letzten Jahre war (vgl. genauer Zachert, Kapitel 1.2), hat seit Bestehen der großen Koalition zwischen Christ- und Sozialdemokraten im Herbst des Jahres 2005 ein wenig an Dynamik verloren. Jedoch ist das Thema von konservativer (und liberaler) Seite lediglich zurückgestellt. Das zeigt u. a. der Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms der CDU, dessen Vorschläge nach wie vor davon ausgehen, eine Absenkung des Schutzes vor Kündigungen würde positive Impulse auf dem Arbeitsmarkt auslösen (für einen Überblick vgl. Afhüppe/Sigmund; auch Worobiej, Kapitel 2.3). Die empirische Fragwürdigkeit der Behauptung, der geltende Kündigungsschutz wirke auf die Einstellungspolitik der Unternehmen in signifikantem Umfang prohibitiv, wurde bereits in zahlreichen quantitativen Untersuchungen sowie internationalen Forschungen hervorgehoben (vgl. Hinweise Zachert, Kapitel 1.2, Abschnitt 2). Unsere Studie hat dies mit vertieften Ergebnissen über Motive von Unternehmern und Personalverantwortlichen bei Einstellungen und Entlassungen bestätigt (vgl. vor allem Schlese/Schramm, Kapitel 2.2 sowie Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Die aktuelle Entwicklung am Arbeitsmarkt liefert weiteres Anschauungsmaterial: Innerhalb eines Jahres, vom März 2006 bis März 2007, sank die Zahl der Arbeitslosen um knapp 900.000, eine Tendenz, die anhält und die auf die positive wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen ist. Dabei wurden überwiegend sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Eine derart günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt hat es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang noch nicht gegeben (vgl. Handelsblatt 30./31.3.2007: 2). Im Hinblick auf den Kündigungsschutz erscheint bemerkenswert, dass dessen Niveau seit der letzten Änderung des Kündigungsschutzgesetzes vom 24.12.2003 als Teil des Gesetzes zur Reform am Arbeitsmarkt, „Agenda 2010“ (vgl. Daiss in Schramm/Zachert: 129ff.) nicht umgestaltet wurde. Dem entsprechen die Ergebnisse unserer Untersuchung, wonach im Unterschied zu einer verbreiteten Tendenz in der arbeitsrechtlichen 355
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Debatte Personalverantwortliche arbeitsrechtlichen Aspekten gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen einen signifikant geringeren Stellenwert zumessen (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2, Abschnitt 3 und 5; Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.1.2 und 2.1.3 sowie Schramm/Schlese, Kapitel 2.9, Abschnitt 6).
2.2
Komplexität des Kündigungsrechts: Wahrnehmung, Praxis, Änderungsvorschläge
Die in der Arbeitsrechtsdiskussion formulierte Kritik einer überschießenden Komplexität der gesetzlichen Regelungen mit ihren Generalklauseln, deren Auslegung durch die Rechtsprechung nicht prognostizierbar sei, wurde in unseren Befragungen teilweise bestätigt (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2, Abschnitt 2; Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.1.6; Schramm/Schlese, Kapitel 2.9, Abschnitt 5 sowie Schlese/Schramm, Kapitel 2.8 und Worobiej, Kapitel 2.3). Zwei Relativierungen erscheinen jedoch angezeigt, damit kein verzerrtes Bild entsteht. So wurde deutlich, dass eine kritische Wahrnehmung des Arbeitsrechts mit einer eingespielten praktischen Anwendung im Unternehmen oft Hand in Hand geht. Dieses Auseinanderfallen von Wahrnehmung und Verhalten lässt sich mit Elementen der kognitiven Dissonanztheorie, vor allem dem Sub-Classing und der anekdotischen Evidenz sowie der Theorie der Reaktanz wissenschaftlich erfassen und deuten (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3 und jeweils die Kapitel der empirischen Befunde 2.1, 2.2, 2.3 sowie 2.5). Zum Verständnis dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit sind neben dem normierten Recht und dem Richterrecht drei Ebenen der Betrachtung zu unterscheiden: Erstens die Diskursebene in den Medien. Hier mischen sich volkswirtschaftliche Analysen – z.B. zu Auswirkungen des Kündigungsschutzes vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – mit dem arbeitsrechtlichen Diskurs und den Beiträgen der Massenmedien selbst. Zweitens ist die Ebene der subjektiven Haltungen der Akteure gegenüber dem Arbeitsrecht hervorzuheben. Diese vielfältigen, evtl. widersprüchlichen oder zusammenhangslosen subjektiven Haltungen sind zu differenzieren.
Hierunter
sind
Konstrukte
wie
das
Rechtsbewusstsein
(vgl.
Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3), Einstellungen im Sinne der Sozialpsychologie und Wahrnehmungen (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1) zu differenzieren. Für jedes dieser Konstrukte stellt sich die Frage nach seiner Genese, seiner Binnenstruktur, seines Zusammenhangs mit weiteren Konstrukten inklusive seiner Wirkungen insbesondere auf der Verhaltensebene. Drittens besteht die Ebene der betrieblichen Anwendung des Arbeitrechts, welche dem „gelebten Arbeitsrecht“ zuzuordnen ist. Die tatsächliche Personalpolitik von der Planung über die Einstellung, Führung und Zu356
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
sammenarbeit bis hin zur Entlassung ist hier in ihrer Abhängigkeit vom Arbeitsrecht angesprochen. Grundsätzlich erscheint in einer zunehmend komplexer werdenden Lebenswirklichkeit zweifelhaft, ob die Vision eines einfachen, dem Praktiker von vornherein transparenten Rechts überhaupt realisierbar ist (Erklärungsansätze liefert die Systemtheorie, hierzu Röhl 1987: 393ff.). Die juristische Prüfung von individuellen Kündigungen ist zwangsläufig auf den Einzelfall bezogen. Schon deshalb sind generalisierende Vorhersagen über den Ausgang von einschlägigen Rechtsstreitigkeiten nur mit Einschränkungen möglich. Dass das Richterrecht in diesem wie auch in anderen arbeitsrechtlichen Teilbereichen aus unterschiedlichen Gründen, die hier nicht zu untersuchen sind, die Arbeitsrechtswirklichkeit stark prägt, ist deshalb keineswegs negativ zu bewerten (aus europäischer Sicht: Reinhardt 1997). Indem die gesetzlichen Generalklauseln dem Richter die Konkretisierungslast auflegen, räumen sie ihm zugleich die Möglichkeit einer differenzierteren Erfassung der Wirklichkeit ein, als es dem Gesetzgeber jeweils möglich wäre. Dies soll nicht als Plädoyer gegen das Bemühen einer Zusammenfassung und Präzisierung der geltenden Rechtsnormen verstanden werden, das eine ständige Aufgabe bleibt. Wie schwierig jedoch diese Herausforderung gerade im Bereich des Kündigungsschutzes einzulösen ist, zeigt der neueste Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, der im Bereich des Kündigungsrechts ein umfassendes Regelwerk enthält sowie ebenfalls zahlreiche Generalklauseln verwendet (z.B. § 115 Abs. 2-4, § 116 Abs. 1 ArbVG) und zwangsläufig verwenden muss (Henssler/Preis 2006: 6, 24ff.).
2.3
Flucht aus dem Arbeitsrecht als Grundmuster?
Im Rahmen der neueren arbeitsrechtlichen Diskussion über gefühltes und gelebtes Arbeitsrecht (Kania 2004: 1 und 2005: 596ff.; Stein 2006: 110ff.) findet sich die Position, wegen der Undurchschaubarkeit des Arbeitsrechts sei allgemein eine Tendenz feststellbar, sich von ihm zu verabschieden (Kania, a.a.O.). Unsere Untersuchung konnte dies nicht bestätigen. So zeigt sich bei aller Kritik, die Personalverantwortliche in unterschiedlicher Intensität zu einzelnen Themenfeldern des Arbeitsrechts formulieren (Deutungen dieses Kritik vorstehend und Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3 sowie die jeweiligen Kapitel der empirischen Befunde in Kapitel 2.1, 2.2, 2.3 sowie 2.5), cum grano salis, dass das Arbeitsrecht von den betrieblichen Akteuren auf Arbeitgeberseite überwiegend als stabiler, handlungsleitender Rahmen angesehen wird, mit dem man in der Praxis recht gut umzugehen weiß (vor allem Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.2). Aus deren Perspektive gilt für das Teilsystem Arbeitsrecht deshalb 357
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
mehrheitlich das, was der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, als Bewertung des Rechts für wirtschaftliches Handeln generell formulierte: „Ich stelle gerade angesichts meiner internationalen Vergleichsmöglichkeiten immer wieder fest, wie sehr das deutsche Rechtssystem Dank seiner Sicherheit, Verlässlichkeit und Anwendungsfreundlichkeit ein beachtlicher Standortvorteil ist (…) Wir müssen unsere Standortvorteile pflegen – das Recht gehört mit Sicherheit dazu“ (Braun 2005).
2.4
Endogene Differenziertheit (arbeits-)rechtlicher Normen
In diesem Zusammenhang bestätigt unser Projekt die differenzierte Anwendung und Wirkung des Arbeitsrechts, je nach dem ob es sich um Unternehmen handelt, die Personalarbeit (eher) unsystematisch betreiben oder solche mit eigenen Fachressourcen für die Personalwirtschaft (vgl. hierzu Krawetzki, Kapitel 2.6), welche (Branchen-) und Mitbestimmungskultur vorzufinden ist (zu letzterem vgl. Hübner/Zachert, Kapitel 2.7) und welche Spezifika der Arbeitgeber/Arbeitnehmerbeziehungen je nach Betriebsgröße, vor allem in Kleinstbetrieben gelten. Auch in der standardisierten Erhebung zeigt sich die Rolle der Nutzung der Ressource Arbeitsrecht. Die anhand der divergierenden Nutzung unterscheidbaren Gruppen („Situative“ und „Strategen“) unterscheiden sich in der Wahrnehmung des Arbeitsrechts, im praktischen Umgang mit demselben und in der Betroffenheit durch arbeitsrechtliche Probleme. Die „Strategen“ haben insgesamt mehr Kontakt mit dem Arbeitsrecht, da sie mehr personalwirtschaftliche Aktivitäten (Konfliktlösungen, Suche nach Ausweichformen zur regulären Beschäftigung, Beendigungen) verzeichnen; sie sind zudem professioneller im Umgang mit dem Arbeitsrecht. Die unterschiedliche Effizienz des Arbeitsrechts und damit verbunden die unterschiedliche Geltungskraft arbeitsrechtlicher Gesetze, Normen und Vereinbarungen spricht nicht für eine „Flucht aus dem Arbeitsrecht“. Juristen sind es gewohnt, von einem Normbegriff auszugehen, der vom Befehlsmodell geprägt ist und der in der so genannten Imperativtheorie seinen Niederschlag gefunden hat. Grundelemente des Rechts sind danach Verhaltensnormen und subjektive Rechte. Dieser Normtyp wird gerade für das Arbeitsrecht mit seinen asymmetrischen Vertragsbeziehungen auf der Ebene des individuellen Arbeitsvertrages von Bedeutung sein, die sich typischerweise zulasten des Arbeitnehmers auswirken (BVerfG 28.1.1992, BVerfGE 85, 119, 213; genauer Schramm et al., Kapitel 1.1, Abschnitt 3). Jedoch gehört zur Vervollständigung des Bildes, dass das Recht eine Vielzahl weiterer Regelungen kennt, die nicht einer sanktionsbewehrten Verhaltensforderung entspre358
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
chen (Röhl 1987: 209ff.). Dies reicht von Regelungsangeboten über prozedurale Normen, Generalklauseln bis hin zu expliziten Ausnahmeregelungen wie Schwellenwerten (zu
letzterem
mit
unterschiedlichen
Bewertungen:
einerseits
Junker
2004;
Rieble/Klumpp 2004: 817ff.; andererseits Pfarr et al. 2004; Seifert 2004: 200ff.). Die Differenzierung ist danach in der Rechtsordnung selbst angelegt: Neben den Verhaltensnormen mit zwingender Geltungskraft gibt es solche, die für die Praxis eine Leitlinie setzen, Orientierungsmaßstäbe darstellen und Handlungsimpulse auslösen, ohne dass vom staatlichen Normgeber oder den Parteien des Tarifvertrages eine Konformität ihrer Umsetzung intendiert wäre. Differenzierung und Flexibilität sind demnach endogene, strukturbildende Merkmale des geltenden Arbeitsrechts. Die facettenreiche Praxis, die unsere empirische Untersuchung zu den verschiedenen Themenbereichen abbildet, steht somit im Wesentlichen im Einklang mit dieser beabsichtigten Vielfältigkeit.
2.5
Fehleinschätzungen der Wirkung von Arbeitsrecht in der rechtlichen und rechtspolitischen Debatte
Grundsätzlich ist zwischen dem normierten Recht und dem Richterrecht, den subjektiven Haltungen gegenüber dem Arbeitsrecht der Personalverantwortlichen und dem praktischen betrieblichen Verhalten zu unterscheiden. Handlungsleitend sind immer die Konstruktionen der Akteure, die sich im Rahmen der Organisation bewegen und am Handeln anderer Akteure orientieren. Das Recht muss stets in die Handlungsorientierungen der Akteure „übersetzt“ werden. Dabei lässt sich stark vereinfacht festhalten, dass die Wirkung arbeitsrechtlicher Normen im rechtlichen Diskurs teils über-, zum Teil jedoch unterschätzt wird: Man überschätzt in der Tendenz den Stellenwert des Arbeitsrechts als handlungsleitenden Faktor für Entscheidungen von Personalverantwortlichen, die ganz vorrangig nicht arbeitsrechtlichen, sondern ökonomischen Motiven folgen. Demgegenüber wird seine Präsenz in den Unternehmen in der juristischen Diskussion tendenziell unterschätzt. Die Beobachtung, es gebe ein „gefühltes Arbeitsrecht“, das nicht immer mit dem „geschriebenen Recht“ übereinstimme, trifft durchaus zu. Jedoch wird das normierte Arbeitsrecht in aller seiner Differenziertheit von der Mehrheit der Personalverantwortlichen „loyal“ angewandt und umgesetzt.
359
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
2.6
Empirie als Hilfe und Herausforderung für den rechtlichen Diskurs
Was die Notwendigkeit und den Gebrauch empirischer Forschung für die Rechtsanwender betrifft, so besteht jedenfalls auf einer allgemeinen Ebene Konsens, dass sie Hilfe und zugleich eine permanente Herausforderung zur kritischen Reflektion des bestehenden Rechts darstellt. Zugleich gibt es gute Gründe zu weiterer Rechtstatsachenforschung für verschiedene Zielgruppen (Röhl 2005: 1, 8ff., 24ff.): Gesetzgeber, Richter, vor allem die Praxis sind auf sie angewiesen (vgl. Raiser 2007; Gamillscheg 2006: 165; Zachert 2007: 421ff. und Kapitel 1.2). Damit ist das klassische Thema der Wechselwirkung von „Sein und Sollen“ angesprochen (vgl. Zachert 2004: 1ff.). Die Schwierigkeiten, welche die Wechselbeziehung zwischen Arbeitsrechtsdiskurs und Empirie oft aufwerfen, liegen allerdings nicht nur darin, dass die Erfassung der Realität eine solide Aufarbeitung der jeweiligen Fakten erfordert. Sie setzt zugleich voraus, vor deren Hintergrund ein eigenes überzeugendes Deutungsmuster zu entwickeln und dann kommunikativ auch durchzusetzen (Beardwell 1996: 8f.).
3
Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein und Rechtsakzeptanz im Arbeitsrecht
Dass psychologische Faktoren nicht nur wesentliche Bestimmungen wirtschaftlichen Handelns sind, sondern auch für die Wahrnehmung arbeitsrechtlichen Handelns gelten (vgl. Wißmann 2003), blieb in der arbeitsrechtlichen Debatte bis vor kurzem (dazu vorstehend unter 2.3) weitgehend ausgeblendet. Unsere Untersuchung nähert sich der Frage, welche Einflussgrößen von der Wahrnehmung des Arbeitsrechts bis zu seiner Umsetzung in den Unternehmen eine Rolle spielen (vgl. Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3). Nachfolgend sollen zunächst noch einmal die begrifflichen Voraussetzungen aufgenommen und festgehalten werden. Beim Rechtsgefühl geht es primär um affektive Handlungsimpulse, die sich in einem spontanen Sinn für Recht und Unrecht äußern. Das Rechtsgefühl ist in seiner individuellen Ausprägung kulturgeprägt. Es schließt gesellschaftliche, traditionelle oder vom Zeitgeist beeinflusste generelle Bewertungsmuster ein. Insoweit gilt: Je unmittelbarer der Kontakt der Akteure zueinander und je weniger die Situation durch die systematische Aufnahme von Fachwissen standardisiert ist, desto stärker wird die Wahrnehmung von Arbeitsrecht durch intuitives Rechtsgefühl beeinflusst. Letzteres prägt vor allem die Situation in Kleinbetrieben (vgl. Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 3 und 4). Für die Bewertung der Ergebnisse unserer Studie erscheint vor allem wichtig, dass das Rechtsgefühl zusammen mit kognitiven Prozessen zwar zur Bewertung einer 360
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Situation führt, etwa der Einschätzung, das Arbeitsrecht behindere in gewissem Umfang wirtschaftliches Handeln, nicht aber zwangsläufig bestimmte Handlungen determiniert. In der wissenschaftlichen Debatte werden die Grenzen zwischen Rechtsgefühl und Rechtsbewusstsein häufig nicht trennscharf gezogen. Auf einer allgemeinen Ebene lässt sich der Unterschied zwischen beiden Begriffen daran festmachen, dass beim Rechtsbewusstsein eine aktive Auseinandersetzung mit der Rechtsnorm stattgefunden hat. Rechtsbewusstsein erfolgt also unter stärkerer Einbeziehung von kognitiven Elementen wie Erfahrungen, die man mit einem Thema oder mit einem Gegenstand hat. Rechtsbewusstsein beurteilt ferner Handlungsalternativen nicht nur unter dem Aspekt des eigenen Rechtsgefühls, sondern auch unter Bewertungs- und Entscheidungskriterien von Referenzgruppen. Wenn sich Widersprüche zwischen der eigenen inneren Werthaltung und der von Referenzgruppen ergeben, kann es zur Auslegung der Norm in Richtung auf die Werthaltung kommen, die jeweils als die wichtigste empfunden wird; im Extremfall führt das zu ihrer Ablehnung (vgl. Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3). Die Rechtsakzeptanz wird als Zustimmung zu Normen des positiven Rechts definiert. Letzteres umfasst das gesetzlich normierte sowie das durch Richterrecht geprägte Recht. Die Rechtsakzeptanz ist in komplexer Weise vom Rechtsbewusstsein abhängig. Die wissenschaftlichen Erklärungsansätze für die Herausbildung von Rechtsakzeptanz sind vielfältig. Sie reichen von dem Nutzen, den der Einzelne von der Norm hat, über das Bestehen eines Grundkonsenses, die Wahrnehmung des Verfahrens der Rechtsdurchsetzung als fair bis zum Grad der subjektiven Verbindlichkeit der Norm in ihrer jeweiligen Auslegung (vgl. Schmidt/Worobiej, Kapitel 1.3, Abschnitt 5). Als ein wichtiges Fazit hierzu soll noch einmal hervorgehoben werden, dass von einer bestimmten Einstellung zum Arbeitsrecht nicht zwingend auf ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann (zum Delta zwischen Wahrnehmung und Verhalten: Schramm et al., Kapitel 1.1). Jedoch reduzieren individuelle Erfahrungen mit dem Arbeitsrecht die jeweiligen Handlungsoptionen und -alternativen.
4
Wesentliche Ergebnisse der Befragungen zum Kündigungsschutz
Mit Hilfe der standardisierten Befragung lassen sich auf einem repräsentativen Niveau die subjektiven Haltungen gegenüber dem Arbeitsrecht und die Anwendung des Arbeitsrechts in den Betrieben abbilden. Integrieren lassen sich darüber hinaus die betrieblichen Rahmenbedingungen, die einen mehr oder weniger großen Einfluss auf 361
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Wahrnehmung und Anwendung des Arbeitsrechts haben. Im Folgenden wird zunächst die Rolle des Kündigungsschutzes geschildert. Anschließend wird die subjektive Haltung der Personalverantwortlichen gegenüber dem Arbeitsrecht insgesamt dargestellt.
4.1
Ergebnisse „AribA“ im Abgleich zum Projekt „REGAM“ (Überblick)
Vorab: Hinsichtlich der Rolle des Kündigungsschutzes hat unser Projekt typische Ergebnisse etwa der „REGAM-Studie“ des WSI und der Hans Böckler Stiftung im Jahr 2001 (zusammenfassend Pfarr et al. 2005) bestätigt, was an folgenden vier Aussagen (vgl. Pfarr et al. 2005: 90ff.) anhand unserer standardisierten Befragung und den Experteninterviews illustriert wird: 1. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das geltende Arbeitsrecht erheblichen Einfluss auf die Personalentscheidungen hat (vgl. Pfarr et al. 2005: 90). In der Tat lässt sich eine prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes in Form von Verzögerung von und Verzicht auf Neueinstellungen mit Hilfe der Experteninterviews kaum nachweisen. Weder fühlen sich die Experten durch das Arbeitsrecht, insbesondere den Kündigungsschutz in ihren Einstellungsentscheidungen behindert, noch glauben sie, dass eine Veränderung des Kündigungsschutzes zu mehr Beschäftigung führen würde (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2 sowie Worobiej, Kapitel 2.3 und Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). In der standardisierten Befragung berichten nur wenige Personalverantwortliche über Effekte des Kündigungsschutzes im Sinne von Verzicht oder Verzögern von Neueinstellungen (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). 2. Entscheidende Einflussfaktoren für Neueinstellungen sind die gesamtwirtschaftliche und betriebliche Lage (vgl. Pfarr 2005: 91). Bemerkenswert ist in unserer standardisierten Befragung neben dem erstaunlich geringen Stellenwert, der dem Arbeitsrecht bei Neueinstellungen zugebilligt wird (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9), dass die gesamtwirtschaftliche und betriebliche Lage – die bisherigen Befunde bestätigend – deutlich wichtiger sind. Darüber hinaus ist der hohe Stellenwert der Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften auffällig. 3. Zwei Drittel der arbeitgeberseitigen Kündigungen, die nur ein Drittel aller Beendigungen ausmachen, sind betriebsbedingt (Pfarr et al. 2005: 91f.). In unserer standardisierten Erhebung bestätigt sich diese Struktur im Wesentlichen: 41% der Beendigungen sind demnach Kündigungen durch den Arbeitgeber, die sich aus betriebsbedingte Kündigungen (58%), verhaltensbedingte Kündigungen (25%) und personenbedingte Kündigungen (17%) zusammensetzen (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Daneben spielen das Ende der Befristung 362
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
(23% aller Beendigungen), die arbeitnehmerseitige Kündigung (22%) und der Auflösungsvertrag (13%) eine Rolle. 4. Das Kündigungsschutzgesetz verhindert keinen notwendigen Personalabbau (vgl. Pfarr et al. 2005: 92). In unseren Experteninterviews spielt die präventive Wirkung des Kündigungsschutzes im Sinne der Verzögerung von und Verzicht auf Kündigungen eine gewisse Rolle. Die Hälfte der Personalverantwortlichen berichtete, dass sie schon einmal auf eine geplante Kündigung verzichtet habe, wobei der Kündigungsschutz allerdings selbst nicht explizit als Grund genannt wird (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2). Nach der standardisierten Erhebung wurden in den letzten drei Jahren wegen des Kündigungsschutzes (!) bei 10% der Betriebe Kündigungen zeitlich verschoben und bei 11% der Betriebe auf Kündigungen verzichtet (vgl. ebd.). Die rechtliche Wirkung ist offenbar begrenzt, andere Kalküle dominieren offensichtlich. Nach diesem ersten Abgleich unserer Befunde mit den Ergebnissen von REGAM befassen wir uns folgend systematisch mit der potentiellen personalwirtschaftliche Wirkung des Kündigungsschutzes in ihren drei Formen – die starke (Verzicht und Verzögerung) bzw. schwache (Ausweichverhalten) prohibitive Wirkung, die innerbetriebliche Wirkung und die präventive Wirkung.
4.2
Ergebnisse AribA zum Kündigungsschutz (quantitative Analyse)
4.2.1 Prohibitive Wirkung In Anbetracht der gängigen Diskussion überrascht das geringe Ausmaß an berichteten Vermeidungen oder Verzögerungen von Neueinstellungen. Neben den Verzögerungen und Vermeidungen von Neueinstellungen – Nennung bei ca. 15% der Befragten bei einem Zeitraum von drei Jahren – wird gemeinhin ein Ausweichverhalten der Betriebe vermutet. Um Festeinstellungen – und ggf. das Kündigungsschutzgesetz – zu umgehen, bestehen unbestritten diverse Wege. Abgesehen von der Anwendung der Befristung bei Neueinstellungen bzw. nach der Ausbildung sind es jedoch vor allem absehbare betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten, die zum Einsatz der Befristungen führen. Die Befristung ist überwiegend keine direkte Reaktion auf die Zwänge des Arbeitsrechts (insbesondere den Kündigungsschutz), sondern ein wohlfeiles Instrument zur flexiblen Gestaltung des Personalbestandes, das zudem den Vorteil bietet, kündigungsschutzrechtliche Probleme für einige Zeit zu vermeiden. Sie ist aber nicht der Ausfluss einer Vermeidungsstrategie, was die Bedeutung der Betriebszugehörigkeit unterstreicht. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für die Leiharbeit. Weit überwiegend 363
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
wird sie als Reaktion auf Auftragsspitzen eingesetzt. Arbeitsrechtliche Probleme oder Lohnkosten spielen dabei eine geringere Rolle. Es liegt nahe, den betrieblichen Verzicht auf Neueinstellungen, der mit dem Kündigungsschutz begründet wird, mit gesamtwirtschaftlichen oder betrieblichen Größen wie der wirtschaftlichen Lage, der Branche, der Betriebsgröße etc. in Verbindung zu bringen. Die Analyse zeigt jedoch, dass der Erklärungswert dieser „handfesten“ Größen durchgehend gering ist. Stattdessen erweisen sich die Einstellungen der Personalverantwortlichen für erklärungsträchtiger: Wenn das Arbeitsrecht etwa als behindernd eingeschätzt wird, wird auch eher die Praxis des Verzichts auf Neueinstellungen berichtet.
4.2.2 Innerbetriebliche Wirkung Die innerbetriebliche Wirkung des Kündigungsschutzes ist schwach. Das Arbeitsrecht wird kaum als Disziplinierungs- oder Motivationsinstrument genutzt oder gewünscht. Stattdessen ist eine lange Betriebszugehörigkeit in der Regel für die Befragten wichtig. Die Bedeutung der Betriebszugehörigkeit und das betriebliche Miteinander jenseits juristischer Auseinandersetzungen werden stark betont. Fast 90% der Personalverantwortlichen halten die lange Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter für ihren Betrieb (aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht) für sehr oder eher wichtig. In diesem Zusammenhang spielt das Arbeitsrecht im betrieblichen Alltag im Gegensatz zum psychologischen Vertrag eine nachrangige Rolle. Zudem wird auch aus personalwirtschaftlicher Sicht einer stabilen Beschäftigung eine große Bedeutung beigemessen. Im Ergebnis werden arbeitsrechtliche Instrumentarien nur in Ausnahmefällen zur Disziplinierung eingesetzt.
4.2.3 Präventive Wirkung Die empirische Relevanz des Kündigungsschutzes ist verhältnismäßig gering, auch wenn dieser in der Bewertung der Befragten das Zentrum der Probleme mit dem Arbeitsrecht darstellt. Mit dem Kündigungsschutzgesetz ist die Hoffnung verbunden, dass Beschäftigung erhalten werden kann, aufgrund der geltenden Rahmenbedingungen die Personalarbeit strategischer orientiert ist und so für Verstetigung von Beschäftigungsverhältnissen sorgt. Die bekundete Wirkung ist hier insgesamt recht gering. Angesichts des geringen Anteils der betriebsbedingten Kündigungen eines Jahres im Verhältnis zu allen bestehenden Beschäftigungsverhältnissen erklärt sich, warum der Kündigungsschutz gleichzeitig als problematisch wahrgenommen werden kann und das Arbeits-
364
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
recht insgesamt bei betriebswirtschaftlichen Entscheidungen eine so geringe Rolle spielt.
4.2.4 Bewertung Empirisch zeigt sich, dass die im juristischen oder öffentlich geführten Diskurs dargelegten Positionen sich kaum in der Rezeption des Arbeitsrechts durch die Personalverantwortlichen widerspiegeln. Die subjektiven Haltungen der Personalverantwortlichen sind im Übrigen kein in sich konsistentes Abbild einer realen Situation. Statt dessen findet zum einen die „subjektive“ Rezeption des Arbeitsrechts auf verschiedenen Ebenen statt, die relativ unabhängig voneinander existieren können: Wissen, Erfahrungen, Meinungen, Einstellungen, Wertvorstellungen können, müssen aber nicht miteinander im Einklang stehen, zumal auch der „objektive“ Gegenstand der Betrachtung oftmals widersprüchlich und vielfältig ist. Zum anderen organisieren sich die Personalverantwortlichen ihre Kognitionen in geeigneter Weise, indem etwa im Sinne der Theorie der kognitiven Dissonanz Prozesse des Sub-Classing oder auch der Reaktanz beobachtbar sind, die wiederum der Schlüssigkeit der subjektiven Rezeption des Arbeitsrechts dienen können. Die personalwirtschaftliche Rezeption des Arbeitsrechts unterscheidet sich offenbar deutlich vom juristischen Diskurs. Dabei ist diese Rezeption weniger von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den Eigenschaften der Organisation als von den handelnden Akteuren abhängig. Anscheinend bestehen (oftmals implizite) individuelle Personalstrategien der handelnden Akteure, was jedenfalls die Experteninterviews nahe legen (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6). Die individuelle Personalstrategie, die das betriebliche Verhalten bestimmt, korrespondiert mit bestimmten Eigenschaften der Personen (Alter, Qualifikation und Informiertheit). Mit einem Wechsel der Personen ist auch ein Wandel der Personalstrategie und des betrieblichen Verhaltens möglich. Das Arbeitsrecht hat dabei insgesamt einen relativ geringen Stellenwert, der zudem über die subjektiven Wahrnehmungen der Akteure vermittelt ist. Es ist davon auszugehen, dass mit einer Veränderung der Personen auch eine weitgehend vom Rechtsrahmen, von der konjunkturellen Lage und der betrieblichen Situation unabhängige veränderte Rezeption des Arbeitsrechts möglich ist. Bei den Personalverantwortlichen handelt es sich insofern um institutionelle Akteure (vgl. Alexander 1993), die den Organisationen in gewissem Unfang ihre individuellen Strategien implementieren.
365
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
4.3
Ergebnisse AribA zum Kündigungsschutz (qualitative Analyse)
4.3.1 Prohibitive Wirkung In den Expertengesprächen bestätigt sich zum einen das Ergebnis der standardisierten Befragung, dass die Wirkung des Kündigungsschutzes beschränkt ist. Zum anderen spielen organisationale Bedingungen, vor allem die subjektiven Orientierungen der Personalverantwortlichen eine wesentliche Rolle. Eine „große“ prohibitive Wirkung des Kündigungsschutzes im Sinne des Verzögerns von und Verzichtens auf Neueinstellungen lässt sich kaum nachweisen. Das Ausweichverhalten - die „kleine“ prohibitive Wirkung - tritt in Form von befristeter Beschäftigung dagegen deutlicher zutage. Der Kündigungsschutz wirkt hier allerdings wie ein nachgeschobenes oder unterstützendes Argument, da die Auftragslage die Befristungen bestimmt, denen gegenüber einer Verlängerung der Probezeit der Vorzug gegeben wird. Befristung und Leiharbeit werden von den Befragten überwiegend nicht als Alternative zur Festeinstellung gesehen. Hier kann von Einfluss sein, dass in diesen Beschäftigungsverhältnissen ebenfalls ein – wenn auch begrenzter - Bestandsschutz besteht.
4.3.2 Innerbetriebliche Wirkung Bezogen auf die Arbeitsplatzsicherheit und den Kündigungsschutz ergab unsere Befragung deutlicher als bei der qualitativen Erhebung bei der Mehrzahl der Personalverantwortlichen eine deutlich soziale Einstellung gegenüber den Beschäftigten, verbunden mit einem hohen Verantwortungsgefühl für deren persönliche Situation. Die dem Arbeitsrecht zukommende Schutzfunktion wird von den Interviewpartnern ganz überwiegend akzeptiert. So genießt der soziale Schutz der Beschäftigten bei den Personalverantwortlichen insgesamt eine hohe Wertschätzung. Auch wird die Aufgabe des Kündigungsschutzgesetzes, eben diesen Schutz zu erreichen und insbesondere vor willkürlichen Kündigungen zu schützen, von den Personalleitern durchweg erkannt. Der Kündigungsschutz trifft damit unter den Personalverantwortlichen - bei aller geäußerten Detailkritik - auf eine breite Akzeptanz und wird von ihnen durchweg als sinnvoll und erhaltenswert angesehen (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Damit verfügt der Kündigungsschutz bei der Mehrzahl der von uns befragten Experten über ein weit positiveres Image, als von der arbeitsrechtpolitischen Diskussion zumeist abgebildet wird. Der Arbeitsplatzsicherheit wird - auch hinsichtlich wahrgenommener betriebswirtschaftlicher Vorteile - von fast allen Befragten eine sehr hohe Bedeutung zugemessen. Nur in Ausnahmefällen wird über die latente Drohung mit der Arbeitsplatzunsicherheit (vermit366
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
telt über Abmahnungen mit Kündigungsandrohung) diszipliniert. Die Personalverantwortlichen haben ein Interesse an stabilen Arbeitsbeziehungen, was auch die Skepsis gegenüber Befristung und langen Probezeiten erklärt. Eine repressive Personalführung ist in der Selbstbeschreibung völlig unüblich. Die Arbeitsverhältnisse sind aus der Perspektive der Befragten durch einen kooperativen Umgang gekennzeichnet.
4.3.3 Präventive Wirkung Die präventive Wirkung des Kündigungsschutzes im Sinne des Verzögerns von und des Verzichts auf Kündigungen scheint in den Experteninterviews schon eher einrelevant zu sein. Die Hälfte der Befragten hat schon einmal auf eine geplante Kündigung verzichtet. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Kündigungsschutz nicht explizit als Grund genannt wird. Es sind eher betriebliche und soziale Gründe, die dabei eine Rolle spielen. Dies verweist auf überwiegend kooperative Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen, wie im vorstehenden Abschnitt (4.3.1) bereits angesprochen. Dementsprechend werden das Arbeitsrecht im Allgemeinen und der Kündigungsschutz im Besonderen von den Befragten als notwendige Randbedingung wahrgenommen und akzeptiert. Zugleich wird die Kritik am Arbeitsrecht vor allem am Kündigungsschutz fest gemacht. Hierbei sind es vor allem Probleme mit einem Rechtsstreit, welche als Ursache genannt werden. Dieses Paradoxon zwischen Akzeptanz des Kündigungsschutzes in der praktischen Anwendung und teilweise kritischer Bewertung lässt sich folgendermaßen deuten: Die Kritik der Befragten am Kündigungsschutz nimmt wenig Bezug zu eigenen betrieblichen Erfahrungen. Stattdessen werden fremde Erfahrungen angeeignet oder Informationen aus den Medien aufgenommen und (um-)gedeutet. Etwaige punktuelle eigene Erfahrungen werden teilweise generalisiert. Die Einstellungen zum Kündigungsschutz wiederum sind nicht unbedingt von eigenen Erfahrungen getragen, sondern stellen eine eigenständige Ebene dar, die auf vielfältige Weise auf eigene und fremde Erfahrungen (auch vom Hörensagen), Zusammenhangsvermutungen und Überzeugungen verweist. Insgesamt existieren keine Hinweise dafür, dass die Personalverantwortlichen aus dem Arbeitsrecht fliehen – das gilt cum grano salis auch für den Kündigungsschutz, selbst wenn die Befragten rechtlichen Auseinandersetzungen tendenziell aus dem Weg gehen.
367
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
4.3.4 Kleinstunternehmen Bezogen auf die Kleinstunternehmen ist auch bei diesen für Neueinstellungen und Kündigungen primär die wirtschaftliche Situation relevant. Spezifisch für die Wahrnehmung des Kündigungsschutzes von Kleinstunternehmern ist, dass hierunter die Kündigungsfristen des BGB verstanden werden. Als belastend wird dann vor allem die Fortzahlungsverpflichtung von Arbeitsgehältern während der als (zu) lang empfundenen Kündigungsfristen erlebt. Dies könnte eine Erklärung für das von REGAM gefundene Ergebnis sein, dass Kleinstunternehmer den Kündigungsschutz als belastend empfinden, obwohl das Kündigungsschutzgesetz auf ihr Unternehmen überhaupt nicht anwendbar ist.
4.3.5 Der Kündigungsschutz im Zeitablauf: ein Laboratorium für Experimente Das Kündigungsschutzgesetz stellte in den vergangenen Jahren geradezu ein Laboratorium für Experiment dar: In etwa zehn Jahren wurde es drei Mal geändert. Mit dem „Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.9.1996“ senkte die konservativ/liberale Regierung sein Niveau erheblich, indem sie u. a. den Schwellenwert seiner Geltung von sechs Arbeitnehmern auf 11 Arbeitnehmer anhob. Durch das „Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten vom 19.12.1998“ machte die „Rot/Grüne Regierung“ diese Änderungen weitgehend rückgängig, da sich gezeigt hatte, dass diese nicht zu der angestrebten Verbesserung des Arbeitsmarktes geführt hatten. Das „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003“ (in Kraft am 1.1.2004) kehrte wiederum im Wesentlichen zur Rechtslage des „Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes“ vom September 1996 zurück. Meinungsäußerungen aus dem politischen Raum zeigen, dass die Kontroverse um die Relevanz des Kündigungsschutzniveaus für den Arbeitsmarkt seit der Großen Koalition zwischen CDU und Sozialdemokraten vom Herbst des Jahres 2005 zwar an Dynamik verloren hat, jedoch nicht abgebrochen, sondern lediglich aufgeschoben ist (zu allem bereits Zachert, Kapitel 1.2). Uns schien es lohnend und wichtig, Personalverantwortliche nach ihrer Einschätzung der Reformen des Kündigungsschutzes zu befragen, die entweder bereits einem Praxistest unterzogen waren (weitere Anhebung der Schwellenwerte) oder auf dem rechtspolitischen Wunschkatalog eines Teils wichtiger gesellschaftlicher Kräfte standen und stehen (Abfindung statt Kündigungsschutz, Verlängerung der Wartezeiten).
368
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Ausgangspunkt unserer Untersuchung waren (wiederum) die Ergebnisse einschlägiger quantitativer Befragungen. Das Projekt REGAM hatte festgestellt, dass zwei Drittel der Befragten Bedarf an arbeitsrechtlichen Reformen anmeldeten, wobei die Veränderungen des Kündigungsschutzes mit 34% eine Spitzenposition belegte. Zum allgemeinen Veränderungsbedarf des Arbeitsrechts ergaben unsere Tiefeninterviews in Übereinstimmung mit der REGAM-Untersuchung, dass die Mehrheit der Befragten nur sehr abstrakte Wünsche äußert. Das Arbeitsrecht solle präziser, einfacher, transparenter sein, man wünscht sich mehr Flexibilität oder Gerechtigkeit durch die Vorschriften. Als Erstwunsch hatte (lediglich) knapp ein Viertel der Interviewpartner Änderungen im Kündigungsschutz erwähnt (bei REGAM über ein Drittel) und knapp ein Fünftel ganz konkrete Anliegen geäußert, die sehr spezifisch für das jeweilige Unternehmen waren (vgl. Worobiej, Kapitel 2.3, Abschnitt 2). Im Hinblick auf die Frage der Erhöhung der Schwellenwerte des Kündigungsschutzgesetzes von aktuell 11 auf 21 Beschäftigte befragten wir Kleinunternehmer mit 10-49 Arbeitnehmern und Kleinstunternehmer mit ein bis neun Arbeitnehmern (vgl. im Einzelnen Worobiej, Kapitel 2.3, Abschnitt 3). Von den befragten Kleinunternehmern lehnte eine knappe Mehrheit diesen Vorschlag ab, ein Drittel der Befragten befürwortete ihn. Demgegenüber stimmten von den Kleinstunternehmern zwei Drittel der Befragten der Frage zu, ob der Kündigungsschutz nur noch für Betriebe ab 21 Beschäftigten gelten solle. Die Bewertungen der Antworten im Einzelnen ergab wiederum, dass sich viele der zustimmende Äußerungen durch Theorien der Motivationsforschung (Reaktanz) sowie der Theorie der kognitiven Dissonanz (anekdotische Evidenz und Sub-Classing) erklären lassen (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1 sowie Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). So ist pauschale Zustimmung häufig eher als Folge der allgemeinen rechtspolitischen Diskussion zu sehen, zu der die Interviewten beitragen möchten. Bei Kleinstunternehmern kommt eine augenfällige Desorientierung hinzu, die bereits die REGAM-Studie festgestellt hat: Jeder vierte Geschäftsführer spekulierte über Gesetze, die nicht existieren, jeder Zweite kannte nicht die Änderung des Schwellenwertes im Kündigungsschutzgesetz vom 1.1.2004 von fünf auf 10 Mitarbeiter und knapp die Hälfte verstand unter Kündigungsschutzgesetz die Kündigungsfristen nach BGB (vgl. Worobiej, Kapitel 2.3, Abschnitt 3). Die Frage, ob in Zukunft Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, bei Beginn des Arbeitsvertrages zu vereinbaren, dass Arbeitnehmer gegen Abfindung auf den Kündigungsschutz verzichten können, erbrachte ein bemerkenswertes Ergebnis: Zunächst waren drei Viertel der Interviewten der Meinung, das die vorgeschlagene Abfindungsregelung nicht zu Neueinstellungen führen würde, weil es keinen Zusammenhang zwischen der Neueinstellung und der Einführung solcher 369
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Änderungen gebe. Knapp die Hälfte der Befragten lehnten die vorgeschlagenen Änderungen ab. Die offene Fragestellung ließ Antwortspielraum für die Interviewpartner, so dass es in diesem Fall auch unterschiedliche Begründungen für die Ablehnungen gab. Fast ein Viertel der Gesamtbefragten und über die Hälfte der Ablehnenden betonte, dass das Vertrauen, welches am Anfang eines Arbeitsverhältnisses aufgebaut werden sollte, durch eine solche Lösung beeinträchtigt werden könne. Die Vorstellung, dass man sich schon bei Vertragsschluss darauf einigen sollte, wie das Arbeitsverhältnis beendet werden könne, ist nach Auffassung der Personalverantwortlichen ein falscher Ansatz. Man stelle Mitarbeiter nicht mit der Grundüberlegung ein, sie innerhalb eines unbestimmten Zeitraums wieder zu entlassen. Dies könne sich schlecht auf die Motivation auswirken. Hier wurde häufig eine ungleiche Rollensituation am Anfang des Arbeitsverhältnisses betont, welche dazu führen könnte, dass eine Abfindungsklausel nicht freiwillig, sondern auf Wunsch des Arbeitgebers unterschrieben würde. Es bestätigt sich, das in vielen Ausschnitten unserer Untersuchung (vgl. insb. Worobiej, Kapitel 2.3, Schlese/Schramm, Kapitel 2.2 und Schramm/Schlese, Kapitel 2.9 sowie BradtkeHellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.1.2 und 2.1.3) gefundene Ergebnis, das die Personalverantwortlichen dem gesetzlichen Kündigungsschutz eine gewisse psychologische Rahmenfunktion für das Arbeitsrecht zuschreiben. Die Mehrheit von ihnen (27 von 41) betonte die Rolle des Vertrauens in einem Arbeitsverhältnis (vgl. Worobiej, Kapitel 2.3, Abschnitt 4). Obwohl Kündigungsschutzprozesse selbst überwiegend mit einer Abfindung enden, ist der Bestandsschutz in der „betrieblichen Lebenswelt“ offensichtlich mehr als eine ideologische Hülle. Er stellt ein prägendes Element unserer Rechtskultur dar. Insoweit passt es ins Bild, dass die Grundlage des gesetzlichen Kündigungsschutzes eine Übereinkunft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, der sog. Hattenheimer Entwurf vom 13.1.1950, war (kurzer Überblick: Kittner 2007: 878). Der Gedanke, dass der Kündigungsschutz ein Sicherheit stiftendes Element ist, von dem beide Parteien des Arbeitsverhältnisses ihren Nutzen ziehen, hat sich in weiten Bereichen der Unternehmenspraxis durchgesetzt. Man wird davon ausgehen können, dass die geltenden gesetzlichen Regelungen hierzu – allerdings in einem kaum quantifizierbaren Maße – einen Beitrag leisten. Auch zum Thema einer Verlängerung der Wartezeit von sechs auf 24 Monate bis zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes bei gleichzeitiger Abschaffung der Zeitbefristung -, ein Regelungsvorschlag, der in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD vom Herbst 2005 angesprochen ist, haben wir eine Anzahl von Fragen gestellt. Die Mehrheit der Personalverantwortlichen sprach sich gegen die Einführung der verlängerten Wartezeit bei gleichzeitiger Abschaffung der Zeitbefristung aus. Eine solche „symbolische Handlung des Gesetzgebers“ stieß seitens der Inter370
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
viewpartner auf Unverständnis. Man zeigt sich gegenüber den bestehenden Vorschriften überwiegend zufrieden und findet diese mit Blick auf die Arbeitnehmer überwiegend gerechter als die vorgeschlagenen (vgl. Worobiej, Kapitel 2.3, Abschnitt 5). Ergänzend und abschließend bestätigt sich, dass die Sorge der Befragten vor ständigen Änderungen der Gesetzeslage und der dadurch anhaltenden Unsicherheit die teilweise geäußerten Bedenken gegenüber bestehenden Regelungen überwiegt (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1, Abschnitt 2.1.4).
5
Wesentliche Ergebnisse der Befragungen zum allgemeinen Arbeitsrecht
5.1
Ergebnisse „AribA“ im Vergleich zum Projekt REGAM (Überblick)
Auch bezüglich der Rolle des Arbeitsrechts im Allgemeinen bestätigen sich Befunde der „REGAM-Studie“ (vgl. Pfarr et al. 2005). Dies soll vorab an folgenden zwei Aussagen (vgl. Pfarr et al. 2005: 90ff.) illustriert werden: 1. Seitens der Organisationen werden häufig erweiterte rechtliche Befugnisse eingefordert (Pfarr et al. 2005: 90). Diese Feststellung überrascht nicht, da das Arbeitsrecht regulierend zwischen Akteuren eingreift, die partiell gegensätzliche Interessen haben. Dementsprechend werden in unseren Experteninterviews auf Nachfrage diverse Wünsche geäußert. Jedoch erlebt nur eine Minderheit der Personalverantwortlichen das Arbeitsrecht als einschränkend. In der standardisierten Befragung wird eine starke Einschränkung von weniger als 10% der Befragten gesehen,
allerdings
mit
Ausnahme des
Personalabbaus
(vgl.
Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Auch in der Zusammenfassung der Antwortkategorien „sehr starke“ und „starke“ Einschränkung gibt nur eine Minderheit c oftmals ca. ein Viertel – der Personalverantwortlichen an, durch das Arbeitsrecht eingeschränkt zu sein. Als wichtige Ausnahme ist der Personalabbau zu nennen, fast jeder zweite Befragte fühlt sich hier mehr oder weniger eingeschränkt. Im Gegenzug wird manchmal auch die unterstützende Funktion des Arbeitsrechts betont. 2. Zwei Drittel der Personalverantwortlichen äußerten Reformbedarf im Arbeitsrecht (vgl. Pfarr 2005 et al.: 90). Knapp die Hälfte der Personalverantwortlichen artikulierte in unserer standardisierten Befragung einen mehr oder weniger umfassenden Veränderungsbedarf im Arbeitsrecht. Zugleich vertrat jedoch die Hälfte der Personalverantwortlichen die Ansicht, dass die gegenwärtigen Ver371
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
änderungen im Arbeitsrecht mehr Verwirrung als Nutzen stiften (vgl. etwa Worobiej, Kapitel 2.3).
5.2
AribA-Ergebnisse
zum
allgemeinen
Arbeitsrecht
(quantitative
Analyse) Im Folgenden wird auf die Hauptergebnisse der standardisierten Befragung bezüglich der subjektiven Haltung der Personalverantwortlichen gegenüber dem Arbeitsrecht insgesamt eingegangen. Besonders aufschlussreich ist die „wahrgenommene Funktionalität“ des Arbeitsrechts, die durch zwei Skalen operationalisiert wurde. Die eine Skala erfragt hierbei die Wirkung des Arbeitsrechts auf personalwirtschaftliche Handlungsfelder von der Personalplanung über die Entgeltgestaltung bis hin zum Personalabbau. Die zweite Skala ermittelt ebenfalls die Rolle des Arbeitsrechts für die Personalwirtschaft, indem das Arbeitsrecht selbst differenziert erfragt wird. Die öffentliche Diskussion aber auch gängige volkswirtschaftliche Vorstellungen legen nahe, dass rechtliche Regulierung ganz überwiegend als Einschränkung erlebt wird. Es handele sich – so die These – um Schutzrechte der Beschäftigten, die der ökonomischen Effizienz der Betriebe zumindest nicht zuträglich sind. Dieser Ideenwelt folgend, müssten die überwiegenden Antworten der befragten zur Wirkung zum Arbeitsrecht dadurch geprägt sein, dass das Arbeitsrecht unternehmerische Freiräume beschneidet. Demgegenüber weist unsere standardisierte Befragung aus, dass nur eine Minderheit der Personalverantwortlichen das Arbeitsrecht als Restriktion erlebt. Eine starke Einschränkung wird regelmäßig von weniger als 10% der Befragten mit der – allerdings – wichtigen Ausnahme des Personalabbaus gesehen. Im Gegenzug finden sich auch diverse Betriebe, die die unterstützende Funktion des Arbeitsrechts betonen. In der Regel schwankt die Betonung der Unterstützungsfunktion zwischen 10 und 20%, was auf die Rolle von Recht im Sinne einer Senkung von Transaktionskosten hinweist (siehe unter 5.1). Ergänzend haben wir erfragt, welche juristischen Regelungen als einschränkend empfunden werden. Grundsätzlich ist nach der vorherrschenden Tendenzen zu erwarten, dass die Skepsis gegenüber dem Recht groß ist, so dass die Akteure in der Regel die Behinderung personalwirtschaftlichen Handelns durch das Recht betonen. Entgegen dieser nahe liegenden Erwartung zeigt sich ein anderes Bild: Die Regelungen zur Entgeltfortzahlung, zur Befristung, zur Teilzeitarbeit und zum Arbeitsvertrag werden nur von Minderheiten als einschränkend erlebt. Im Gegenteil überwiegen sogar – mit der Ausnahme der Teilzeitarbeit – Einschätzungen, dass das Recht unterstützend sei.
372
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Dieser Befund belegt die hohe Bedeutung der Festlegung von allgemein gültigen Regeln, die Transaktionskosten und ggf. Wettbewerbsnachteile reduzieren helfen. Allerdings gelten diese positiven Einschätzungen nicht generell. Wiederum erweisen sich die häufig kritischen Einschätzungen im Kontext des Personalabbaus als erklärungsbedürftig. Eine wesentliche Rolle dürfte spielen, dass die Personalarbeit in den meisten Betrieben nicht darauf angelegt ist, Konflikte mit rechtlichen Mitteln zu handhaben. Schließlich finden arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen im Vergleich zur Anzahl bestehender Beschäftigungsverhältnisse nur in einem geringen Umfang statt, was auch unsere Studie (vgl. Schlese/Schramm, Kapitel 2.2 sowie Schramm/Schlese, Kapitel 2.9) die Wahrnehmung der Erwerbstätigen (vgl. Schramm 2007) belegen. Dies mag sich nach Führungsstil, nach Branche und nach wirtschaftlicher Lage durchaus unterscheiden. Im Ergebnis jedoch sind die gängigen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland vergleichsweise stabil, was sich auch als Ausdruck einer personalwirtschaftlichen Wertschätzung erweist. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der Erhebung nach der betriebswirtschaftlichen Rolle einer langen Betriebszugehörigkeit gefragt. Die Arbeitsplatzsicherheit wird von den Personalverantwortlichen gemeinhin als ein sowohl aus betrieblicher Perspektive als auch aus Perspektive der Beschäftigten positives Gut angesehen. Dementsprechend wird der langen Betriebszugehörigkeit ein ausgesprochen hoher Stellenwert zugesprochen Wichtig ist, abschließend noch einmal zu betonen, dass das Arbeitsrecht aus der Sicht der Befragten eine Randbedingung darstellt, die sie mehrheitlich nicht sonderlich in ihren personalwirtschaftlichen Aufgabengebieten beschränkt. Dies gilt auch für die Wirkung der zentralen Arbeitsgesetze. Während also die Handlungsspielräume erstaunlich gering eingeengt zu sein scheinen, ist auch die unterstützende Funktion des Rechts bei der Personalarbeit nicht stark ausgeprägt. Eine Ausnahme ist der arbeitsrechtliche Bereich des Kündigungsschutzes und – damit korrespondierend – der personalwirtschaftliche Bereich des Personalabbaus.
5.3
Ergebnisse
AribA
zum
allgemeinen
Arbeitsrecht
(qualitative
Analyse) 5.3.1 Die Perspektive der Personalverantwortlichen Die Aussagen der standardisierten Befragung konnten in unserer qualitativen Erhebung in vielfacher Weise vertieft und differenziert werden. Zunächst bestätigen die Daten, dass das Arbeitsrecht unter betrieblichen Praktikern ein wesentlich besseres 373
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Ansehen genießt, als von der öffentlichen Diskussion regelmäßig vermittelt wird. Die Mehrzahl der Interviewpartner ist dem Arbeitsrecht gegenüber generell überraschend positiv eingestellt. Ein rechtstreues Verhalten hat für viele Interviewpartner eine hohe Bedeutung. Die Existenz von Regeln wird von den Akteuren begrüßt sowie für notwendig erachtet. Die Vorschriften werden gerade auch mit Blick auf die innerbetriebliche Zusammenarbeit positiv bewertet, da sich die Personalverantwortlichen in ihrem Alltag bei etwaigen Auseinandersetzungen auf externe Vorgaben berufen können (vgl. näher hierzu Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Auch scheinen die Praktiker mit den Vorschriften weitgehend zu Recht zu kommen. Das Arbeitsrecht erfüllt nach Einschätzung der Personalleiter sowohl wichtige betriebswirtschaftliche als auch soziale Funktionen im Unternehmen. Insgesamt scheint das Arbeitsrecht die Betriebe eher zu unterstützen als zu stören. Mit Änderungen am Arbeitsrecht wird zumeist das Ziel verfolgt, die Rahmenbedingungen für Betriebe zu erleichtern und zu Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt beizutragen. Die vorliegenden Daten weisen jedoch darauf hin, dass die Wirkung der Änderungen zumindest in diesem Bereich mitunter kontraproduktiv ist, da von den Interviewpartnern nicht zuletzt gerade die Häufigkeit der vorgenommenen Änderungen als problematisch thematisiert wurde. Diese würden einen übersichtlichen Umgang mit den Vorschriften erschweren und könnten zu negativen Außenwirkungen gegenüber möglichen Investoren führen (vgl. näher hierzu Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Auch wurde von vielen Personalleitern durchaus die Annahme in Frage gestellt, dass über eine Gestaltung des Arbeitrechts Einfluss genommen werden kann auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes – ein Argument, auf das gerade die Kritik am Arbeitsrecht häufig aufbaut. Die Praktiker stellten durchweg klar, dass das Arbeitsrecht für sie einen generell nötigen Bestandteil des betrieblichen Alltags und Handelns darstellt, der von ihnen auch als solcher akzeptiert wird. Die Antworten ergeben ein sehr deutliches Bild, wonach das Arbeitsrecht in der Personalarbeit überwiegend eine sehr zentrale Rolle als Handlungsanleitung und tägliches Werkzeug im betrieblichen Alltag spielt. Die Mehrzahl der Interviewpartner erklärte dazu, dass das Arbeitsrecht für sie eine hohe Präsenz im betrieblichen Alltag habe. Das Arbeitsrecht beeinflusst zwangsläufig die betrieblichen und persönlichen Handlungsspielräume der Personalleiter, was jedoch keineswegs zu einer in der Arbeitsrechtsdiskussion mitunter behaupteten generellen Lähmung der wirtschaftlichen Entwicklung zu führen scheint. Vielmehr wurde diese Zwangsläufigkeit der Beeinflussung von vielen Interviewpartnern als Solche wahrgenommen und zumeist weitgehend akzeptiert - mitunter sogar Vorteile darin erkannt. So werden die Praktiker durch die Vorschriften etwa zu einer systematischen Vorgehensweise an374
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
gehalten, was ebenfalls von vielen als sinnvoll erachtet wurde (näher hierzu BradtkeHellthaler, Kapitel 2.1). Kritik gegenüber dem Arbeitsrecht wird selten pauschal auf die Regulierung als solche bezogen vorgebracht, sondern richtet sich überwiegend auf Fragen des Umgangs und der Handhabung der Vorschriften. So hat sich hinsichtlich negativer Bewertungen des Arbeitsrechts gezeigt, dass das Arbeitsrecht von einem größeren Teil der Personalverantwortlichen durchaus als bürokratisch oder überreguliert wahrgenommen wird, was nicht zuletzt auf die Vielzahl der zu beachtenden Vorschriften gerade aus dem Bereich des Arbeitsschutzes zurückgeführt wurde. Mitunter scheinen vorgenommene negative Beurteilungen zudem in Verbindung mit Kenntnisproblemen zu stehen. Auch weisen diese manchmal auf eher diffuse und oftmals unkonkrete negative Einstellungen gegenüber dem Arbeitsrecht hin, wenn etwa bei der Analyse der Interviewaussagen deutlich wurde, dass von einigen Interviewpartnern getroffene, eher plakative Kritik am Arbeitsrecht nicht immer konstant beibehalten wurden und oftmals auch nicht im Einklang mit dem darüber hinaus geschilderten Verhalten oder Erlebnissen der Interviewpartner standen. Zudem richtet sich die Kritik am Arbeitsrecht selten gegen das Recht als solches, vielmehr wird häufiger lediglich eine bessere Passung an die betrieblichen Anforderungen gerade der KMU gewünscht. Relativ deutlich zeichnen sich gewisse Kritikpunkte an der Arbeitsgerichtsbarkeit ab, die jedoch nicht unbedingt eigenen Erfahrungen der Personalverantwortlichen entspringen, sondern häufig auf Hörensagen zu basieren scheinen. Generell zeigte sich, dass im Bereich der Umsetzung von Vorschriften durchaus der Wunsch nach einer dahingehenden Vereinfachung besteht, arbeitsrechtliche Zusammenhänge betriebsspezifisch passender regeln zu können, um eine höhere Flexibilität zu erreichen. Die vorgenommene Kritik am Arbeitsrecht scheint jedoch keineswegs zu einer innerlichen Verabschiedung vom Arbeitsrecht zu führen. Alles in allem stellt das Arbeitsrecht nach Ansicht der Interviewpartner ein allgemein wichtiges und akzeptiertes Werkzeug der Personalabteilungen dar, wobei die breite Akzeptanz des Arbeitsrechts sowie eine Detailkritik an den Vorschriften nebeneinander stehen (vgl. näher hierzu Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Insgesamt wird deutlich, dass Wahrnehmungen und Einstellungen sowohl gegenüber dem Kündigungsschutz als auch gegenüber dem Arbeitsrecht allgemein vielschichtig aufgebaut sind. So wird etwa innerhalb der Einstellungen der Praktiker gezielt auf verschiedene Relevanzebenen wie etwa betriebliche oder aber gesellschaftliche Auswirkungen einer einzelnen Vorschrift Bezug genommen. Denkbar ist, dass hierbei unterschiedliche Bezugsebenen der Wahrnehmung wirksam werden, indem die Personalverantwortlichen bei ihren Aussagen bewusst oder unbewusst zwischen dem Ar375
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
beitsrecht als Gesamtes, den Aufgaben eines Einzelgesetzes, dem jeweiligen Verständnis über deren Realisierung sowie den Folgen für das eigene Unternehmen unterscheiden. Dabei scheinen sich die jeweiligen Wertbeimessungen an individuellen betrieblichen Problemlagen und Erfahrungen zu orientieren (vgl. näher hierzu BradtkeHellthaler, Kapitel 2.1). Als ein weiteres interessantes Ergebnis bleiben schließlich verschiedene Wahrnehmungseffekte gegenüber dem Arbeitsrecht festzuhalten, die zeigen, dass das Arbeitsrecht von den Betrieben weder schematisch wahrgenommen noch umgesetzt wird. Vielmehr gestaltet sich diese Umsetzung komplex und teilweise widersprüchlich. Insgesamt vermitteln die Aussagen unserer Interviewpartner den Eindruck, dass häufig nicht unbedingt arbeitsrechtliche Vorschriften selbst, sondern vielmehr die über Jahre anhaltende und vom Schlechtreden der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen geprägte öffentliche Diskussion jenseits empirischer Erkenntnisse negative Einflüsse auf den Arbeitsmarkt zu entfalten scheint.
5.3.2 Die organisationale Perspektive Die beschriebenen Befunde bedürfen einer Einordnung auf der betriebswirtschaftlichen Ebene, um die Funktionsweise des Arbeitsrechts im organisationalen Kontext nachvollziehen zu können. Nach dem situativen Ansatz der Organisationsforschung stellen auch Recht und Rechtsänderungen relevante Umweltvariablen für Organisationen dar. Betriebe reagieren auf eine veränderte Umwelt, wenn ein entsprechender Handlungsbedarf wahrgenommen wird und setzen diesen in personalwirtschaftliche Entscheidungen um (vgl. Schramm/Zachert 2005: 482f.). Die Komplexität bestehender Strukturen hat dazu geführt, dass auch in personalwirtschaftlichen Entscheidungsprozessen ein zunehmendes Maß an Wissen notwendig ist, um beabsichtigte Wirkungen zu erzielen. Damit wird die Vergrößerung der Wissensbasis in Organisationen zu einem Hauptthema der Zukunft (vgl. Probst/Büchel 1998: 3ff.). Die hier dargestellten empirischen Daten zeigen, dass die befragten Unternehmen überwiegend auf qualifizierten arbeitsrechtlichen Sachverstand zurückgreifen. Von großen Unternehmen werden vorwiegend eigene Personalressourcen genutzt und ergänzend weitere Wissensquellen, wie Anwaltskanzleien oder Verbände, hinzugezogen. Mittlere und kleine Unternehmen weichen überwiegend auf Rechtsanwälte aus. Bei 11 mittleren Unternehmen ist auffällig, dass trotz einer eigenen Personalabteilung nur auf die Nutzung externen Sachverstandes hingewiesen wird. Dies deckt sich mit den Ergebnissen zur Einschätzung der eigenen Qualifikation: Mittlere Unternehmen
376
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
schätzen ihren arbeitsrechtlichen Sachverstand im Vergleich am schlechtesten ein (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6). Der überwiegende Anteil der befragten Unternehmen hält sein arbeitsrechtliches Wissen regelmäßig auf dem Laufenden. Die Auswertung zeigt aber auch, dass sich einige Unternehmen kaum mit Arbeitsrecht auseinandersetzen. In großen Unternehmen wird der arbeitsrechtliche Sachverstand aufgrund der eigenen Ressourcen stetiger eingesetzt. Mittlere Unternehmen verweisen trotz eigener Personalabteilung auch hier nur auf die Nutzung von externem arbeitsrechtlichen Sachverstand: Der Einsatz erfolgt überwiegend erst, wenn eine gerichtliche Auseinandersetzung droht oder wenn ein konkreter Einzelfall sehr klärungsbedürftig ist. Kleine Unternehmen setzen arbeitsrechtlichen Sachverstand überwiegend bei konkreten Anlässen ein oder zur Information bei Grundsatzthemen ein. Bemerkenswert ist, dass drei Unternehmen mittlerer Größe scheinbar auf arbeitsrechtlichen Sachverstand regelrecht verzichten. Einen ständigen und engen Kontakt sowie regelmäßigen Austausch mit externem arbeitsrechtlichem Sachverstand scheint es jedoch nur selten zu geben. Dafür nutzen zwei Drittel der Unternehmen regelmäßig Informationsangebote, wie Seminare und Newsletter. Davon sind einige Unternehmen zu identifizieren, die sich sehr stark mit den unterschiedlichsten Informationsquellen auseinandersetzen. Ein Drittel der Unternehmen zeigt sich insgesamt eher uninformiert, da nur wenige oder keine qualitativ hochwertigen Informationsquellen angegeben werden. Hierbei handelt es sich um mittlere und kleine Unternehmen (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6). Es ist festzustellen, dass sich solche Unternehmen kaum mit Arbeitsrecht auseinandersetzen, die keine eigenen Personalressourcen haben, um sich in diesem Thema genauer zu informieren und/oder denen arbeitsrechtliche Kenntnisse fehlen. Als Gründe werden von den Interviewpartnern Zeitprobleme genannt oder, dass das Arbeitsrecht insgesamt für das Unternehmen keine große Rolle spiele. Eine stärkere Differenzierung zeigt sich in der systematischen Anwendung und Kommunikation von Arbeitsrecht. Die Anzahl an Unternehmen, die sich vorausschauend mit Arbeitsrecht auseinandersetzt und die Anzahl derer, die nicht vorausschauend plant, ist in etwa gleich. Es ist festzustellen, dass trotz regelmäßiger Information nur ein Teil der Unternehmen diese für ihr Unternehmen aktiv zur Bewertung zukünftiger Entwicklungen nutzt und für das Unternehmen gewinnbringend einsetzt. Große Unternehmen gehen überwiegend vorausschauend mit dem Thema Arbeitsrecht um, beobachten die aktuellen Entwicklungen und bewerten diese für ihr Unternehmen. Mittlere und kleine Unternehmen sind überwiegend reaktiv (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6).
377
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Positiv zu bewerten ist, dass in mehr als der Hälfte der ausgewerteten Interviews Hinweise auf einen strategischen Umgang mit Arbeitsrecht nachgewiesen werden konnten. Das Lernen in einem vollständigen Kreislauf regelmäßiger Ergebnisrückkopplung scheint in diesen Organisationen gut zu funktionieren. Es wird wahrgenommen, erkannt, nachgedacht und die erlangte Einsicht wird verhaltensändernd wirksam. Andererseits zeigt jedoch fast die Hälfte der ausgewerteten Interviews, dass die Lernprozesse in den Unternehmen gestört sind und ein erfolgreiches Lernen in Bezug auf Arbeitsrecht nicht stattfindet. Die Auswertung der Interviews hat darüber hinaus ein interessantes Phänomen aufgeworfen: Das Vorhandensein von arbeitsrechtlichen Kenntnissen scheint in machen Fällen für die unternehmerischen Planungen durch feste Prinzipien, scheinbar auf der Basis von persönlichen Werten und Einstellungen, ausgetauscht zu werden. Unternehmerische Entscheidungen werden scheinbar mangels Wissen auf der Basis nicht objektivierter, individueller Überzeugungen getroffen. Die in den Interviews hierzu getroffenen Aussagen verdeutlichen die Wichtigkeit einer soliden Wissensbasis als Entscheidungsgrundlage (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6). Kommunikation ist für das organisationale Wissen unersetzlich. Damit ein Unternehmen lernen kann, müssen Kenntnisse weitergegeben, verbreitet und verarbeitet werden. Die Auswertung der Kommunikationsprozesse zeigt, dass Kenntnisse über Arbeitsrecht sehr unterschiedlich verbreitet werden. Einige Unternehmen können zur Weitergabe arbeitsrechtlicher Veränderungen auf systematisch strukturierte Kommunikationsprozesse in Form von regelmäßigen Managementrunden zurückgreifen oder bieten sogar selbst interne Seminare für Führungskräfte an. In den Interviews ist jedoch auch festzustellen, dass nicht alle systematischen Kommunikationsprozesse im Unternehmen für die Verbreitung arbeitsrechtlicher Kenntnisse genutzt werden. In mehr als einem Drittel der Unternehmen ist der Austausch zum Arbeitsrecht eher unsystematisch. Ein Viertel der Unternehmen erklärt deutlich, dass eine Kommunikation in Bezug auf Arbeitsrecht nicht funktioniert. Es kann davon ausgegangen werden, dass organisationales Lernen nicht erfolgt. Im Vergleich zu den vorangegangen Ergebnissen ist festzuhalten, dass es sich hier überwiegend um die gleichen Unternehmen handelt, die sich wenig informieren, nicht vorausschauend und unsystematisch planen. Die Überprüfung der Kommunikationsprozesse trennt recht deutlich die Unternehmen, die mit dem Arbeitsrecht systematisch umgehen, von denen, in deren täglicher Arbeit das Arbeitsrecht nicht präsent ist. Die Unternehmen, die sich aktiv über Arbeitsrecht informieren, vorausschauend planen, haben die Möglichkeit, im Rahmen des Rechts eine flexible Personalpolitik zu entwickeln und den Instrumentenkasten, den das Arbeitsrecht zur Verfügung stellt zu nutzen. In einem Viertel der Unternehmen funktioniert die 378
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Kommunikation in Bezug auf Arbeitsrecht nicht. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein produktives organisationales Lernen nicht stattfindet. Den Interviewpartnern fällt es oftmals schwer, sich nur auf den Umgang mit Arbeitsrecht im Unternehmen zu beziehen. Es wird oft auf Themen, wie Krankenversicherungs- und Sozialversicherungsrecht, Abrechnungstechnik oder Datenschutz ausgewichen. In einigen Unternehmen scheint Arbeitsrecht nicht fassbar zu sein und keine Rolle in der alltäglichen Arbeit zu spielen. Insgesamt bestätigt sich, dass größere Unternehmen, die mehr personelle Ressourcen für die Personalarbeit haben, sich intensiver, vorausschauender und systematischer mit Arbeitsrecht auseinandersetzen. Es wird jedoch deutlich, dass dies nur gelingt, wenn Kommunikationsprozesse funktionieren und diese für den Transport arbeitsrechtlicher Kenntnisse auch genutzt werden. Auch aufgrund der Erkenntnis, dass die Nutzung von internem arbeitsrechtlichem Sachverstand bevorzugt wird und Unternehmen mit internem Sachverstand größere Chancen haben, erfolgreich zu Lernen, scheint die arbeitsrechtliche Qualifikation eine Schlüsselrolle zu spielen. In einem Arbeitsbereich wie dem Personalmanagement sind sowohl betriebswirtschaftliche als auch arbeitsrechtliche Kenntnisse erforderlich. Dem sollte bei der Ausbildung von Personal, der Beschreibung von Anforderungsprofilen sowie der Akquisition von Personal Rechnung getragen werden. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass bei mehreren mittleren Unternehmen mit Personalabteilungen die Personalauswahl in Bezug auf arbeitsrechtliche Qualifikation in Frage zu stellen ist. Zum Teil wird der Schwerpunkt der Personalarbeit eher auf das operationale Geschäft, wie Aktenführung und Abrechnungstechnik, gelegt (vgl. Krawetzki, Kapitel 2.6). Bei Kleinstunternehmen (mit ein bis neun Arbeitnehmern) spielt, da Eigentum, Führung und Haftung typischerweise in einer Person zusammenfallen und der Inhaber somit weitgehend für alle unternehmensrelevanten Entscheidungen verantwortlich ist, bei der Frage, wie das Arbeitsrecht angewandt wird, seine Persönlichkeit die zentrale Rolle. In vielen Kleinstunternehmen ersetzt die persönliche Handhabung teilweise arbeitsrechtliche Regelungen. Recht wird dann als eher störend wahrgenommen, da es die Handlungsfreiheit einschränkt. Hinsichtlich der Informationsquellen ist erwartungsgemäß bei Kleinstunternehmen üblich, eher informelle Informationsquellen über das Arbeitsrecht zu nutzen als etwa Newsletter, Informationsbriefe der Kammern, Innungen und Verbände, Beratung durch den Anwalt oder Steuerberater. Hierzu zählen Gespräche mit Kunden oder am Stammtisch der Innungen, der Austausch mit anderen Unternehmern sowie die Information aus dem Freundeskreis und von Bekannten. Diese informellen Informationen scheinen 379
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
die Handlungen teilweise direkter und unmittelbarer zu beeinflussen als gesetzliche Regelwerke. Die Kenntnisse sind auf einem sehr allgemeinen Niveau und auf das jeweils relevante Thema begrenzt.
6
Fazit und Ausblick
6.1
Bestandsaufnahme („Diagnose“)
Die empirischen Analysen bestätigen unser Analysemodell, in dem der Umgang mit Recht auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet wird. Neben dem rechtswissenschaftlichen Diskurs und dem Diskurs in den Massenmedien – die beide nicht vorrangig Gegenstand des Projektes sind – lassen sich eine Ebene des betrieblichen Umgangs mit dem Recht wie auch eine Ebene des persönlichen Umgangs mit dem Recht durch die Personalverantwortlichen identifizieren. Das Geschehen auf diesen genannten Ebenen bezieht sich in einem gewissen Ausmaß auf sich selbst (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1) und beeinflusst sich wechselseitig nur in Maßen, so dass z. B. das betriebliche Verhalten den Einstellungen der Personalverantwortlichen entsprechen kann, aber nicht muss (zum Zusammenhang von Einstellungen und Verhalten vgl. Ajzen/Fishbein 1980, Triandis 1971). Die subjektiven Haltungen der Personalverantwortlichen – die im Zentrum der Analyse stehen – sind wiederum vielschichtig: Neben Wahrnehmungen existieren Kenntnisse, Erfahrungen, Überzeugungen etc. Diese Komponenten stehen zwar in einer Beziehung zueinander, die jedoch unterschiedlich gestaltet sein kann: Personalverantwortliche organisieren ihre Kognitionen, wobei typische Effekte wie die vielzitierte „anekdotische Evidenz“ auftreten, die sich sozialpsychologisch mit der Theorie der kognitiven Dissonanz (vgl. Festinger 1978) erklären lassen. Bei der Analyse dieser Zusammenhänge zeigte sich der besondere Vorteil qualitativer Methoden, komplexere Antworten individuell analysieren zu können, als dies bei rein quantitativen Informationen der Fall gewesen wäre. So war es auch möglich, etwaige deutlich werdende Widersprüche im Antwortverhalten in der Analyse genauer zu hinterfragen und die Antworten treffend einordnen zu können. Durch die sich im Rahmen des von uns gewählten Methodenmixes eröffnende Möglichkeit, die qualitativen Ergebnisse wiederum wechselseitig mit Daten unserer quantitativen Methodik vergleichen zu können, wurde ein empirischer Datensatz zusammengetragen, der sich nicht nur durch seine umfassenden Detailinformationen, sondern auch deren weitgehende Generalisierbarkeit auszeichnet.
380
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Dabei zeigte sich insgesamt, dass die subjektive Haltung der Personalverantwortlichen gegenüber dem allgemeinen Arbeitsrecht im Großen und Ganzen eher unproblematisch ist. Dem Recht wird durchaus auch eine unterstützende Funktion zugeschrieben. Erwartungsgemäß wird ebenso Kritik formuliert, wobei sich die Kritikpunkte nicht selten auf situative Details – z.B. Schutz von Schwerbehinderten – beziehen. Als Hauptkritikpunkt wird der Kündigungsschutz im Kontext mit dem Personalabbau gesehen (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Auch wenn der Kündigungsschutz relativ stark kritisiert wird, berichten die Personalverantwortlichen letztlich nur über schwache Wirkungen des Kündigungsschutzes: Nur selten werden Einstellungen verzögert oder vermieden, wie auch Entlassungen kaum verzögert oder unterlassen werden. Auch über eine innerbetriebliche Wirkung etwa im Sinne einer Disziplinierung durch eine Verunsicherung der Arbeitnehmer bezüglich des Erhalts des Arbeitsplatzes wird kaum berichtet (vgl. Schramm/Schlese, Kapitel 2.9). Insgesamt sind arbeitsrechtliche Konflikte in Betrieben in Anbetracht aller Beschäftigungsverhältnisse selten (vgl. Schramm 2007). Stattdessen sind ökonomische Aspekte, etwa der Bedarf an hochwertigen Qualifikationen und hoher Motivation, ebenso wie soziale Erwägungen einer mit Arbeitsplatzsicherheit verbundenen Kooperation vorherrschend (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1; Schlese/Schramm, Kapitel 2.2). Der juristische Vertrag tritt dabei zugunsten des psychologischen Vertrags, dessen Kern die wechselseitigen Erwartungen von Arbeitgebern und Beschäftigten sind (vgl. Schramm et al., Kapitel 1.1), in den Hintergrund. Das betriebliche Verhalten bezüglich des Arbeitsrechts ist meist loyal, eine Abkehr vom Arbeitsrecht in der betrieblichen Praxis ist nicht erkennbar. Natürlich sind die zur Verfügung stehenden arbeitsrechtlichen Ressourcen dabei unterschiedlich und die Kenntnisse der Befragten nicht immer zutreffend, was sich jedoch angesichts einer nicht auf Paragraphen beruhenden Personalpolitik in der Regel nicht unmittelbar bemerkbar macht. Im Einklang mit unserem Analysemodell ist der Einfluss des Rechts auf das betriebliche Verhalten – gerade im Vergleich zur Erwartung, die die öffentliche oder juristische Diskussion weckt – sehr begrenzt. Weitere Rahmenbedingungen – und dabei sind die ökonomischen Bedingungen weitaus maßgeblicher – beeinflussen das betriebliche Verhalten. Darüber hinaus verarbeiten Betriebe ihre Rahmenbedingungen – oder etwa eine Rechtsänderung – unterschiedlich. Dies kann zum einen an betrieblichen Strukturen wie der Betriebsgröße oder der Branche liegen. Zum anderen sind innerbetriebliche Größen wie etwa die zur Verfügung stehenden arbeitsrechtlichen Ressourcen von belang. Diese Situation bedingt nicht nur den relativ geringen Einfluss des Arbeits381
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
rechts auf das personalwirtschaftliche Verhalten (vgl. ein entsprechendes Logit-Modell Schramm/Schlese 2007), sondern erklärt auch, dass sich keine homogenen Typen hinsichtlich des Umgangs mit dem Arbeitsrecht mit überzeugender empirischer Erklärungskraft identifizieren lassen. Die wohl wichtigste Einflussgröße für das personalwirtschaftliche Verhalten im Kontext mit dem Arbeitsrecht sind die dem Betrieb zur Verfügung stehenden Ressourcen, die von der völligen Absenz von Kenntnis bis hin zum professionellen Umgang mit dem Arbeitsrecht reichen. Betriebe, die über entsprechende Ressourcen verfügen, nutzen personalwirtschaftliche Instrumente häufiger und professioneller als die übrigen, so dass sich – nur ansatzweise – zwei „Typen“ im Sinne „strategisch“ und „situativ ausgerichteter Personalarbeit“ bestimmen lassen. Weiterhin ist die Betriebsgröße für die betriebliche Welt des Arbeitsrechts relevant. Gerade in Kleinbetrieben und Kleinstbetrieben sind persönliche Verhaltensweisen und Beziehungen statt formaler Strukturen von Belang. Die Analyse der Lernprozesse in Organisationen zeigt schließlich, dass das Arbeitsrecht in aller Regel nicht explizit in die personalwirtschaftliche oder gar betriebliche Strategie aufgenommen ist. Jedoch wird deutlich, dass die Personalverantwortlichen als strategische Akteure sich teilweise an selbst entwickelten rudimentären individuellen „Personalstrategien“ orientieren. Dies ist ein wichtiger Befund, weil offenbar Freiheitsgrade beim arbeitsrechtlichen Verhalten bestehen, beispielsweise weil oftmals gar keine
expliziten
Personalstrategien
in
Organisationen
existieren
(vgl.
Beh-
rends/Jochims 2006: 145f.). Diese Spielräume lassen sich von den Personalverantwortlichen mit ihrer subjektiven Haltung gegenüber dem Arbeitsrecht gestalten, so dass ihnen der Status strategischer Akteure (vgl. Alexander 1993) zukommen kann.
6.2
Perspektive („Therapie“)
In den Experteninterviews wurden Kritikpunkte am bestehenden Arbeitsrecht geäußert. Der am meisten verbreitete Kritikpunkt lautet, dass das Arbeitsrecht zu bürokratisch sei. Gerade angesichts der Vielzahl der zu berücksichtigen Gesetze und Urteile verwundert dies nicht. Deren Vereinfachung, Zusammenfassung und Präzisierung (vgl. Worobiej, Kapitel 2.3, Abschnitt 2) ist und bleibt eine ständige Aufgabe. Erstens ist dabei zu beachten, dass Arbeitsrecht den Rahmen für die Austragung und den Ausgleich von Interessen stellt, insoweit konsensbildend ist und ganz überwiegend so wahrgenommen und auch praktiziert wird (vgl. Bradtke-Hellthaler, Kapitel 2.1). Somit ist die Chance, dass Änderungen in substantiellen Bereichen akzeptiert und in 382
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
der Praxis erfolgreich umgesetzt werden, am größten, wenn die sozialen Akteure sie im Grundsatz billigen. Anschauungsmaterial hierfür ist der Kündigungsschutz, der auf einer Übereinkunft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, dem sogenannten Hattenheimer Entwurf vom 23. 1. 1950 (vgl. Kittner 2007: 878) beruht. Dieser Konsens wird sich nicht immer erzielen lassen. Jedoch werden Änderungsvorschläge, die kontrovers bleiben, etwa der vielfache, bislang vergebliche Versuch eines allgemeinen Arbeitvertragsgesetzes (letztens Henssler/Preis 2006), jedenfalls in einer Übergangsphase zu Unsicherheiten führen (Säcker, 2006: 99, 115). Unsere Experteninterviews haben in diesem Zusammenhang ergeben, dass gerade die häufigen Änderungen, etwa des Kündigungsschutzes, in der jüngeren Vergangenheit als problematisch und zum Teil kontraproduktiv empfunden wurden (vgl. BradtkeHellthaler, Kapitel 2.1; Worobiej, Kapitel 2.3). Zweitens gibt es bei der vielfältigen Lebenswelt der Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehungen deutliche Grenzen für die Reduktion der rechtlichen Komplexität. Arbeitsrecht ist wie jede andere Teildisziplin des Rechts in hohem Maße differenziert und wird dies auch immer bleiben. Ein „Volksgesetzbuch der Arbeit“, aus dem die Anwender ihre Rechte und Pflichten ohne juristischen Beistand ablesen können, bleibt eine Illusion (Säcker 2006, a.a.O.; zum arbeitsrechtlichen Kenntnisstand der Bevölkerung vgl. Schramm 2007). Weite Bereiche, wie der Kündigungsschutz, sind notwendig stark einzelfallbezogen. Ihre rechtliche Erfassung und Einordnung durch differenziertes Richterrecht erscheint deshalb angemessen (näher hier 2.2). Die arbeitsrechtliche Debatte wird, ebenso wie oder vielleicht stärker noch als die anderer Rechtsbereiche, immer interessengeprägt sein. Viel wäre schon gewonnen, wenn gut abgesicherte Fakten zur Kenntnis genommen (vgl. Zachert, Kapitel 1.2 sowie Zachert 2007) und Fehlinformationen über Recht vermieden würden (treffend Hanau 2005). Dies verweist auf die Notwendigkeit, nicht nur das Bemühen um eine solide Aufarbeitung der Fakten fortzusetzen sondern alle Möglichkeiten auszuschöpfen, dass sich in der „Auseinandersetzung um die kulturelle Hegemonie“ die als richtig erkannte Position auch durchzusetzen vermag. Entsprechendes gilt für rechtspolitische Vorschläge (jüngst Pfarr, 2007). Die Schwierigkeiten in teilweise „verfestigten Kommunikationsprozessen“ (grundsätzlich Habermas 1969; jüngst Hensche 2006) sind offensichtlich. Jedoch bleiben entsprechende Anstrengungen und Initiativen, wie die Vergangenheit zeigt, mit unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf verschiedene Zielgruppen wie Rechtwissenschaft, Gesetzgeber, Rechtsprechung und Praxis nicht folgenlos (vgl. hier Zachert Kapitel 1.2 sowie Zachert 2007).
383
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Für den in unserem Zusammenhang zentralen Adressaten der „betrieblichen Akteure“ – den Personalverantwortlichen – stellt sich die Lage wie folgt dar: Kritik am Arbeitsrecht wird geäußert, was arbeitsrechtliche Änderungen nahe legt. Hierbei sind jedoch folgende Varianten zu unterscheiden: Erstens ist es möglich – wie üblich – kleinere Änderungen von Teilbereichen vorzunehmen. Derartige Aktivitäten, wie sie ständig stattfinden, stoßen allerdings schnell auf den Widerwillen der Adressaten. In den Experteninterviews wie auch der standardisierten Befragung werden die zahlreichen kleineren Änderungen misstrauisch bewertet. Aus diesem Grund wäre es aus ihrer Sicht wünschenswert, ausgewählte „gute“ Änderungen vorzunehmen. Die Interviews haben jedoch kaum Hinweise für offensichtlich nahe liegende Verbesserungen bestimmter Paragraphen o.ä. geliefert, was auch nicht der Fokus des Projektes AribA ist. Unter einer gelungenen Veränderung ist nach unserer Bewertung die Präzisierung der Befristungsgründe im Teilzeit- und Befristungsgesetz zu nennen. Gegenbeispiele sind leichter zu finden: Gewiss wäre die vorübergehend diskutierte Aufgabe der Befristung zugunsten einer Verlängerung der Wartezeit auf zwei Jahre – wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart wurde – aus der personal- und betriebswirtschaftlichen Perspektive eine klassische „Verschlimmbesserung“. Zweitens wäre als eine Antwort auf die Kritik eine umfassende Änderung des Arbeitsrechts denkbar. Hier ist insbesondere an das erwähnte Arbeitsvertragsgesetzbuch zu denken. Dieses Reformvorhaben wurde in den Experteninterviews explizit angesprochen. Nur jeder zehnte Personalverantwortliche gab an, mit der Problematik vertraut zu sein, die Kenntnisse sind eher nebulös. Auf Nachfrage signalisierte zwar ca. ein Viertel der Befragten Zustimmung, jedoch formulierte etwa ein Fünftel Skepsis, die von einzelnen Bedenken bis zur pauschalen Ablehnung des Vorhabens reicht. Der Gesamteindruck ist eher eine kritische Kenntnisnahme, die das Vorhaben überwiegend durchaus begrüßt, im Detail jedoch Bedenken sowohl gegen das Vorhaben selbst wie auch gegen seine Erfolgsaussichten äußert. Nach unserer Einschätzung ist Recht ohnehin so flexibel zu halten, dass Spezifika berücksichtigt werden können. So wird etwa die spezielle Situation von Kleinstbetrieben vom Recht ja mit Ausnahmeregelungen anerkannt, was mit der divergenten Praxis einhergeht. Ein Rezept für alle im Sinne eines „pass partout“ ist jedoch nicht wünschenswert. Drittens würden es die Personalverantwortlichen gewiss schätzen, wenn sich Gesetzgebung und Rechtssprechung in dem partiell gegensätzliche Interessen regulierenden Arbeitsrecht vermehrt die Perspektive der Betriebe zu Eigen machen würden. Der Kandidat für derartige Maßnahmen ist mit großer Sicherheit der Kündigungsschutz. 384
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung – ein Fazit
Veränderungen, die zu Machtzuwachs und Handlungsentlastung des Managements führen, würden sicherlich begrüßt werden. Allerdings wären die entsprechenden Erwartungen zumindest in zweifacher Weise zu relativieren: Zum einen dürfte die reale Veränderung weit hinter den verbal geäußerten Erwartungen zurückbleiben, da der Kündigungsschutz für die große Masse der Betriebe kein einschneidendes Problem darstellt. Zum anderen wird der Kündigungsschutz zudem mehrheitlich von den Befragten als zentral für das Ziel einer von ihnen ökonomisch wie sozial angestrebten Arbeitsplatzstabilität angesehen.
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385
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386
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387
Anhang
XIII
Anhang
Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Department Wirtschaft und Politik
Arbeitsrecht in der betrieblichen Anwendung AribA
Interviewleitfaden
XIV
Anhang
Einleitung (Vorstellen, Inhalt und Interviewdauer, Gliederung) Können Sie zu Beginn bitte kurz einige Worte zu Ihrer Person sowie Ihrer Funktion im Unternehmen sagen?
1.
- Familienstand, Alter - berufl. Werdegang - Position (seit wann) & Aufgabenbereich
- Wie gut schätzen Sie Ihre Kenntnisse im Arbeitsrecht ein? - Woher haben Sie diese?
Allgemeine Angaben (ggf. zu Beginn des Interviews ergänzen) Stat 1: Welche Rechtsform hat Ihr Unternehmen? Stat 2: Handelt es sich um ein eigenständiges Unternehmen? Stat 3: Wie lange besteht dieses Unternehmen bereits? Stat 4: Wieviele Mitarbeiter beschäftigt Ihr Unternehmen? Stat 5: Hat sich die Mitarbeiterzahl in den letzten 5 Jahren verändert? Stat 6: Existiert bei Ihnen eine eigene Personalabteilung und wie groß ist diese? Stat 7: Existiert in Ihrem Unternehmen ein Betriebsrat? Stat 8: Ist Ihr Unternehmen tarifgebunden? Wenn nein, orientieren Sie sich an einem TV? In welchen Bereichen? Stat 9: Wie schätzen Sie die momentane wirtschaftliche Lage und die Wettbewerbssituation Ihres Unternehmens ein? Stat 10: Sind Umstrukturierungen im Gange oder geplant?
Strukturelle Rahmenbedingungen der Personalarbeit In diesem Abschnitt geht es um strukturelle personalpolitische Rahmenbedingungen bei der Anwendung des Arbeitsrechts in Ihrem Unternehmen Welche Beschäftigungsstruktur gibt es in Ihrem Unternehmen? Unterscheiden Sie z.B. eine Stamm- und Randbelegschaft?
2
- Gibt es Vorgaben (z.B. der Zentrale/des Geschäftsführers)? - Gibt es betrieblichen Besonderheiten, die Sie beachten müssen? - Gibt es Prinzipien oder Strategien zur Erreichung der gewünschten Beschäftigungsstruktur? XV
Anhang
Wie setzt sich die Personalstruktur zusammen?
3
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- nach Qualifikationen - nach Alter und Geschlecht - nach Abteilungsgröße ...
Wie würden Sie für Ihr Unternehmen die Bedeutung des Personals verglichen mit anderen Produktionsfaktoren und deren jeweiligen Kosten einschätzen? - wie groß ist der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben? - wie wichtig ist für Sie die langfristige Bindung der Mitarbeiter?
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Bitte schildern Sie einmal den Ablauf, wie es zu einer Einstellung kommt Von der ersten Bedarfsanmeldung bis zur Entscheidungsfindung! - wer ist an diesem Prozess beteiligt? - wer führt die Auswahl durch und wer entscheidet?
Welche Rolle spielt der Betriebsrat für die Personalarbeit?
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- kooperativ - eher Partner oder Gegner? - engagiert (wenn ja, in welchen Bereichen? Welche Interessengruppen?) - blockierend
Sehen Sie die Anwesenheit des BR alles in allem eher als Vorteil oder eher als Nachteil an?
Allgemeine Wahrnehmung des Arbeitsrechts Im folgenden Bereich geht es um Ihre Erfahrungen mit dem deutschen Arbeitsrecht im Allgemeinen. Uns interessiert also Ihre persönliche Wahrnehmung und Beurteilung des Arbeitsrechtsystems. Wie präsent ist das Arbeitsrecht in der alltäglichen Personalarbeit?
8
- mit einem Wort: eher notwendig, lästig, wichtig, hilfreich…? - nachhaken: Wie ist Umgang mit Arbeitsrecht: steht Einhaltung/Befolgung von Regeln im Vordergrund oder Funktionsfähigkeit/Pragmatische Anwendung
Welche Rolle spielt die Rechtsprechung für die Personalarbeit in Ihrem Unternehmen?
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(- Sollten die Gesetze des Arbeitsrechts weiter ausformuliert werden, um präzisere Vorgaben zu haben oder ist die ausführliche Rechtsprechung wichtiger, um besondere Situationen besser berücksichtigen zu können?)
(Zusatzfrage optional, nur an IP, die besonders gute Kenntnisse haben)
Gibt es arbeitsrechtliche Regelungen, die aus Ihrer Perspektive im betrieblichen Alltag stören? - sind es eher die Inhalte oder ist das Arbeitsrecht hier zu bürokratisch?
XVI
Anhang
11
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Sehen Sie Ihre Handlungsspielräume durch das Arbeitsrecht beeinflusst?
Umfang / Ausmaß; positiv / negativ?
Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie arbeitsrechtliche Vorgaben außer acht lassen mussten, um zu einer praktikablen Lösung zu kommen? - worum, bzw. um welchen Bereich ging es dabei?
In der öffentlichen Diskussion ist das Arbeitsrecht ja sehr präsent. (Bsp. Kündigungsschutz)
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Finden Sie diese Aufmerksamkeit angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Arbeitsrechts angemessen? - welche anderen Gesetze und Auflagen spielen für den Unternehmenserfolg eine größere Rolle (z.B. Steuerrecht, Umweltauflagen, ...)? evtl: - wie erklären Sie sich die starke Aufmerksamkeit für arbeitsrechtliche Themen?
Welche Funktionen sollte das Arbeitsrecht erfüllen?
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(z.B. Schutzfunktion, Moderator, wirtsch. Motor) - erfüllt es diese Funktionen auch?
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Wie denken Sie persönlich über das bestehende Arbeitsrecht? - nennen Sie bitte drei Vor- und drei Nachteile!
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Finden Sie das Arbeitsrecht in Deutschland ausgewogen und gerecht? - warum?/warum nicht?
Für wie wichtig halten Sie die Arbeitsplatzsicherheit?
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- wie wirkt sich Arbeitsplatzunsicherheit auf das Verhalten aus? - ist die heutige Arbeitsplatzsicherheit noch haltbar?
Arbeitsrechtliche Ressourcen und betriebliche Umsetzung arbeitsrechtlicher Änderungen Nun interessiert uns, wie sich Ihr Unternehmen über arbeitsrechtliche Vorgaben informiert und sich bei Änderungen auf dem Laufenden hält. Welcher arbeitsrechtliche Sachverstand steht dem Unternehmen zur Verfügung? (intern vs. extern, wer
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genau?) - Wann wird er eingesetzt bzw. abgerufen? - Welche weiteren Informationsquellen nutzen Sie außerdem?
XVII
Internet, Verbände, Kammern, wiss. Publik., Medien, Fachzeitschriften, Fortbildungen etc.
Anhang
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Nun interessiert uns, wie in Ihrem Unternehmen im Allgemeinen mit arbeitsrechtlichen Informationen umgegangen wird. - wann und in welchen Situationen werden Informationen eingeholt? - wird die aktuelle Rechtsprechung im Auge behalten?
Können Sie bitte schildern, wie Ihr Unternehmen arbeitsrechtliche Änderungen aufnimmt?
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- wie, bzw. wann setzen Sie sich mit Neuregelungen auseinander? - Fließen die über die Neuregelungen gewonnenen Erkenntnisse in eine grundlegende Personalstragie? - wie passt sich die Personalarbeit an die neue Gesetzeslage an? - werden Szenarien möglicher Auswirkungen durchgespielt? - werden sogar mögliche Änderungen antizipiert? - gibt es Prozesse und Strukturen, die für ein "Lernen" des Unternehmens in Bezug auf Arbeitsrecht sorgen?
Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung proaktiv handeln; einzelfall vs. strategisch
Wie werden arbeitsrechtliche Informationen bzw. Änderungen und deren Auswirkungen im Unternehmen kommuniziert? - gibt es festgelegte Informationswege, wie z.B. Besprechungsrunden oder Richtlinien, Vorschriften, Mitteilungsblätter etc.?
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Für wie sinnvoll würden Sie eine kostenlose, neutrale arbeitsrechliche Beratungsstelle halten, etwa vergleichbar der Öffentlichen Rechtsauskunft ÖRA? - würden Sie sie selber auch in Anspruch nehmen?
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Gab es in Bezug auf das Arbeitsrecht schonmal einschneidende "Erlebnisse" die Ihre Personalarbeit nachhaltig verändert haben?
z.B. falsche Sozialauswahl, Einklagen Befristeter, etc.
Personaleinstellung, Kündigungsschutz und Beendigung Im Mittelpunkt des nächsten Abschnittes stehen Fragen zum Kündigungsschutz und dem Einstellungs- und Beendigungsverhalten
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Enthält der geltende Tarifvertrag besondere Bestimmungen z.B. zum Kündigungsschutz, die den gesetzlichen Regelungen vorgehen? Welche Gestaltungsspielräume und Öffnungsklauseln bietet der geltende Tarifvertrag? - wie nutzen Sie diese? - wie verhält sich der BR dabei? Kooperiert er oder blockt er ab?
XVIII
Anhang
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Welche Rahmenbedingungen beeinflussen die Entscheidung für oder gegen die Einstellung von neuen Mitarbeitern? - spielt das Kündigungsschutzgesetz hierbei eine Rolle? - wenn ja: inwiefern?
allgemein / branchenspezifisch / unternehmens-spezifische Einstellungshemmnis, Ausweichstrategien
Wie bewältigen Sie zusätzlichen Arbeitsanfall?
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- wann entscheiden Sie sich z.B. für Überstunden oder für Leiharbeit? - unter welchen Umständen entscheiden Sie sich für eine feste Neueinstellung?
Welche Kriterien sind ausschlaggebend bei der Entscheidung zwischen alternativen Beschäftigungsformen? - welche Rolle spielen dabei arbeitsrechtliche Vorschriften?
langfristige Strategie vs. Bedarfsdeckung Wahl der Vertragsform z.B. Befristung, Leiharbeit
Beendigungsverhalten
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Wie setzt sich in Ihrem Unternehmen das Verhältnis personen-, verhaltens- und betriebsbedingter Kündigungen in etwa zusammen? - worauf kann dies Ihrer Meinung nach zurückgeführt werden?
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Wie ist das Prozedere bei betriebsbedingten Kündigungen? - gibt es Auswahlrichtlinien oder Betriebsvereinbarungen?
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Haben Sie schon einmal schlechte Erfahrungen mit betriebsbedingten Kündigungen gemacht? - welche Auswirkungen hatte das für Ihr künftiges Vorgehen?
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Wie sind Sie bisher bei verhaltens- und personenbedingten Kündigungen vorgegangen? - welche Erfahrungen haben Sie damit gesammelt?
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Haben Sie schon einmal eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung als betriebsbedingt deklariert?
Probleme mit der Sozialauswahl, Konflikte, Klagen, Abfindung, etc. Systematik? Konflikte, Klagen, Ausgang Urteil, Abfindung, Auswirkung auf künftiges Vorgehen?
Rolle des KSchG; Rolle des BR
Wenn ja: warum?
Haben Sie in den vergangenen Jahren auf bereits geplante Kündigungen verzichtet?
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Wenn ja: - aus welchen Gründen? - Sind diese Arbeitnehmer noch im Unternehmen?
XIX
Rolle des KSchG; Widerspruch des BR?? zur Eigenkündigung angehalten; Aufhebungsverträge, etc.
Anhang
35
Welche anderen Beendigungsinstrumente außer Kündigungen setzen Sie bei Bedarf ein? - in welchem Umfang? - wovon hängt die Wahl ab?
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Haben Sie bereits von der geltenden gesetzlichen Abfindungsregelung Gebrauch gemacht?
Auflösungsvertrag, mit oder ohne Abfindung, zur Eigenkündigung gedrängt, Befristung d.h. Verzicht auf Klage bei Erhalt der Kündigung gegen Abfindung
Welche Wirkung hat der Kündigungsschutz Ihrer Meinung nach generell für Wirtschaft und Gesellschaft? - Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe?
38
Was halten Sie von dem Vorschlag, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbaren können, dass der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung auf den Kündigungsschutz verzichtet? - Glauben Sie, dass die Unternehmen mehr Einstellungen vornehmen würden?
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nur in KU fragen: Was halten Sie von dem Vorschlag, dass der Kündigungsschutz für neueingestellte Arbeitnehmer nur noch für Betriebe ab 21 Beschäftigte gelten soll?
Vorgeben: Die Große Koalition plant, den Kündigungsschutz zu lockern: Bisher greift der KüSch nach sechsmonatiger Beschäftigung im Betrieb. In Zukunft soll der AG die Möglichkeit erhalten, mit dem AN individuell eine längere Frist von maximal zwei Jahren zu vereinbaren.
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Glauben Sie, dass diese Neuregelung viel genutzt werden wird? - denken Sie, dass dadurch vermehrt Leute eingestellt werden? Werden Sie von der verlängerten Wartezeit Gebrauch machen?
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Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja: - welche Vor- und Nachteile sind damit für Sie verbunden? - für welche Arbeitnehmer ist dies relevant? - welche Zeitspanne würden Sie vereinbaren? - Werden diese angekündigten rechtlichen Änderungen bei der Personalplanung bereits in irgendeiner Form berücksichtigt?
Befristung In welchem Umfang setzen Sie befristete Arbeitsverhältnisse ein?
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- wo, bzw. wann setzen Sie Befristungen ein? - welche Gründe sprechen dafür? - gibt es für Sie auch Nachteile? XX
Verlängerung Probezeit, Vertretung, für welche Qualifikationen
Anhang
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Welche Art der Befristung von Arbeitsverträgen (Zeit- oder Zweckbefristung) ist in Ihrem Betrieb von höherer Relevanz?
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Übernehmen Sie befristet Beschäftigte in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis?
Beschäftigungsgruppen, Gründe, jeweilige Dauer
Nach den Plänen der Großen Koalition wird die Möglichkeit der Zeitbefristung abgeschafft und durch die Möglichkeit ersetzt, mit neueinzustellenden Beschäftigten eine Wartezeit für das Einsetzen des Kündigungsschutzes von bis zu zwei Jahren zu vereinbaren.
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Was halten Sie von der Abschaffung der Zeitbefristung?
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Beabsichtigen Sie, die neuen Bestimmungen entsprechend zu nutzen, also Arbeitehmer für zwei Jahre "auf Probe" einzustellen und gezielt vor Ablauf dieses Zeitraumes wieder zu entlassen? Wenn ja: für welche Bereiche, bzw. Arbeitnehmergruppen?
Es soll ebenso möglich sein, einen Arbeitnehmer zu entlassen und diesen mit einer erneuten Zwei-Jahres-Wartefrist wieder einzustellen, vorausgesetzt es liegen mindestens 6 Monate zwischen dem alten und dem neuen Arbeitsverhältnis. (entspricht der alten Kettenbefristung)
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Könnten Sie sich vorstellen, von dieser Option Gebrauch zu machen, sozusagen "als Ersatz" für die Möglichkeit der Zeitbefristung?
Leiharbeit In welchem Umfang setzen Sie Leiharbeitnehmer ein?
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- in welchen Bereichen setzen Sie Leiharbeitnehmer ein? - welche Vorteile hat Leiharbeit gegenüber befristet Beschäftigten? - gibt es für Sie auch Nachteile? zielt ab auf: Verteuerung und/oder zusätzlichen Aufwand beim Entleiher durch Inkrafttreten des Gleichheitsgrundsatzes
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Hat sich hinsichtlich der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern seit Inkrafttreten von Hartz I am 01.01.2004 in Ihrem Unternehmen etwas geändert?
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Stellen Sie Unterschiede im Arbeitsverhalten von Leiharbeitnehmern und befristet Beschäftigten im Vergleich zur Stammbelegschaft fest?
XXI
Anhang
Werden an Leiharbeiter und/oder befristet Beschäftigte andere Anforderungen gestellt als an die Stammbelegschaft?
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- wie unterscheiden sie sich im Arbeitsverhalten? - wie ist der Umgang zwischen Stammbelegschaft und Randbelegschaft - gibt es Konkurrenz, Neid o.ä. ?
Teilzeit Wie groß ist der Anteil der teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter? (Mini-Job?)
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- wieviele männliche Teilzeitkräfte gibt es? - Welche Teilzeit-Varianten und Gründe gibt es?
Werden die Teilzeit-Regelungen in der Stellenplanung, Ausschreibung und Einstellung berücksichtigt? - werden die Beschäftigten über Teilzeitmöglichkeiten informiert? - ist Teilzeit auch in höheren Positionen und bei Führungskräften möglich?
Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Betrieb mit dem Anspruch auf Teilzeit gesammelt?
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- Kennen die AN den Anspruch? - Wieviele Anträge gibt es? - werden die i.d.R. zugelassen oder abgelehnt? - gibt es Probleme oder Konflikte in der Umsetzung?
Repräsentative Untersuchungen zeigen, dass ca. ein Viertel der Arbeitnehmer selbst bei Lohnverzicht - gerne ihre Arbeitszeit reduzieren würden. 55
Warum wird Ihrer Ansicht nach der Anspruch auf TZ dennoch kaum genutzt? Wie beurteilen Sie den gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit?
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- Denken Sie, dass durch AZreduzierung Arbeitsplätze geschaffen werden können? - warum bleiben Ihrer Meinung nach die Effekte des TzBfG aus?
Welche Argumente sprechen für und welche gegen die Ausweitung von Teilzeitarbeit in Ihrem Unternehmen?
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Zu den Nachteilen: - Wie schwerwiegend sind denn die genannten Probleme? - Halten Sie sie für überwindbar? - bei positiver Beurteilung: gibt es eine systematische Förderung oder Umstellung auf reduzierte Arbeitszeiten? Warum nicht?
Nehmen Sie im Unternehmen Vorbehalte gegenüber Teilzeit wahr?
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- welcher Art? - bei wem?
XXII
Anhang
Spielt bei der Arbeitszeitgestaltung in Ihrem Unternehmen generell der Aspekt der Familienfreundlichkeit eine Rolle?
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60
- Wenn ja, inwiefern, also worin äußert sich das? - Wenn nein, warum nicht bzw. welche anderen Aspekte stehen im Vordergrund? - Wie stehen Sie zu der Forderung einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit?
Können Sie persönlich sich vorstellen, Ihre Arbeitszeit zu reduzieren?
Zum Abschluss bitten wir Sie, Ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen: 61
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Angenommen, Sie hätten drei Wünsche frei im Bereich des Arbeitsrechts... In letzter Zeit wird vermehrt über ein allgemeines Arbeitsvertragsgesetzbuch nachgedacht. - Haben Sie davon gehört? - Wenn ja: Welche Vorstellungen, Hoffungen und Befürchtungen verbinden Sie damit? - Wenn nein: Welche Vorstellungen würden Sie mit einem solchen Projekt verbinden?
Gibt es etwas, das Sie im Zusammenhang mit dem Themenbereich Personalarbeit und Arbeitsrecht für wichtig halten und das bisher keine Erwähnung gefunden hat?
Vielen Dank für das Interview !!!
XXIII
Zeitschriften / Journals Download www.Hampp-Verlag.de Industrielle Beziehungen Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management herausgegeben von Dorothea Alewell, Berndt Keller, David Marsden, Walther Müller-Jentsch, Dieter Sadowski, Jörg Sydow ISSN 0934-2779, seit 1994, erscheint jeweils zur Quartalsmitte. Jahres-Abonnement € 60.-. Die jährlichen Versandkosten pro Lieferanschrift im Ausland betragen € 12.-. Einzelheft € 19.80.
Zeitschrift für Personalforschung
International Journal of Action Research
Editors: Richard Ennals, Kingston University, Werner Fricke, Editor-in-chief, Institute for Regional Cooperation, Øyvind Pålshaugen, Work Research Institute, Oslo ISSN 1861-1303, three times a year. Institutional rate, print + online-access: € 150.Privat, only print: € 60.For delivery outside Germany an additional € 12.- are added. Single issue: € 24.80.
management revue
herausgegeben von Werner Nienhüser, Hans-Gerd Ridder, Christian Scholz, Jürgen Weibler
The International Review of Management Studies Editors-in-chief: Ruediger Kabst, Wenzel Matiaske
ISSN 0179-6437, seit 1987, erscheint jeweils zur Quartalsmitte. Jahres-Abonnement € 60.-. Die jährlichen Versandkosten pro Lieferanschrift im Ausland betragen € 12.-. Einzelheft € 19.80.
ISSN 0935-9915, four times a year. Institutional rate, print + online-access: € 150.Privat, only print: € 60.For delivery outside Germany an additional € 12.- are added. Single issue: € 19.80.
Zeitschrift für Wirtschaftsund Unternehmensethik herausgegeben von Thomas Beschorner, Markus Breuer, Alexander Brink, Bettina Hollstein, Olaf J. Schumann ISSN 1439-880X, seit 2000, erscheint 3 x im Jahr. Jahres-Abonnement € 45.-. Die jährlichen Versandkosten pro Lieferanschrift im Ausland betragen € 9.-. Einzelheft € 19.80.
Journal for East European Management Studies Editor-in Chief: Rainhart Lang ISSN 0949-6181, four times a year. Institutional rate, print + online-access: € 150.Privat, only print: € 60.For delivery outside Germany an additional € 12.- are added. Single issue: € 19.80.
Database Research Pool: www.hampp-verlag.de
Six journals – one search engine: Our new onlinearchive allows for searching in full-text databases covering six journals: • • • • • •
IJAR, beginning in 2005 IndBez, beginning in 1998 JEEMS, beginning in 1998 mrev, beginning in 2004 ZfP, beginning in 1998 zfwu, beginning in 1998
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