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LUX-LESEBOGEN «ATUR-
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HEFTE
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Bergleute in alter Ze...
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[LEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN «ATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
R. O. IRMER
Bergleute in alter Zeit VON GEWERKEN, POCHJUNGEN UND FAHRKÜNSTEN
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU • MÜNCHEN . INNSBRUCK - BASEL
Im Dorf der Jungbergleute Seit über einer Stunde rattert der D-Zug durch das Industriegebiet. Mächtige Hochhäuser und Hallen gleiten vor den großen Fenstern unseres Speisewagens, wo wir es uns bei Kaffee und Kuchen gut sein lassen, vorüber. Fördertürme mit laufenden Rädern stehen wie Schattenrisse gegen den blaßblauen Himmel, auf den Nebengleisen der vielbefahrenen Strecke überholen wir langsam rollende, vollbeladene Kohlenzüge. Dampf steigt auf und zieht in mächtigen Schwaden empor. Über fernen Hochöfen flackert rötliche Glut. Industriegebiet . . . Aber „Industriegebiet" bedeutet nicht nur Fabriken und Halden, Hochöfen und Fördertürme. Zum Bild dieser Landschaft gehören auch die schönen, gereihten Siedlungen mit den schmucken Häuschen, eingebettet ins Grün der Gärten und blumenbunten Parks Schon lange lag auf unserem Schreibtisch eine Einladung zu einem Besuch in einer solchen Bergwerkssiedlung. Jetzt wollen wir die Gelegenheit benützen und einmal Umschau halten in den Straßen und Häusern eines dieser fast dörflich anmutenden Orte. Auf den Spielplätzen, an denen wir vorüberschlendern, tollen fröhliche, gesund aussehende Kinder aller Altersklassen. Auf den Dächern der meisten Siedlungshäuser recken sich Antennen für Fernsehempfang. Manche der Häuschen besitzen bereits einen Anbau für das Kraftfahrzeug. Der Bergmann ist einer der bestbezahlten Facharbeiter der Großindustrie, und er verdient es. Ganz hinten schließt ein langgestrecktes Gebäude die Siedlungsstraße ab. Das große Haus beherbergt das Lehrlingsheim, in dem in sonnigen Zimmern und lichten Tagesaufenthaltsräumen die Berglehrlinge wohnen. Zu diesen von den Grubenverwaltungen errichteten Wohnheimen sind seit einigen Jahren die „Pestalozzidörfer" getreten. Sie dienen ebenfalls der Erziehung des Lehrlingsnachwuchses im Sinne des großen Schweizer Pädagogen und Jugendfreundes aus der Zeit um 1800, Johann Heinrich Pestalozzi. Das Pestalozzidorf gleicht äußerlich allen anderen Bergarbeitersiedlungen. Doch hier wohnen in jedem der Häuschen gemeinsam
eine Bergarbeiterfamilie und mehrere Berglehrlinge. Alle zusammen bilden eine große Lebensgemeinschaft. Zu den Schlafzimmern der Jungen gehört jeweils ein zweckmäßiger Dusch- und Waschraum. Die Familienmutter hat die Verantwortung für die weitere Erziehung der mit 14 Jahren als Bergarbeiterlehrling in das Werk tretenden Jungen übernommen. Sie sorgt für alles und jedes, was die angehenden jungen Männer brauchen, für das Essen, für die Wäsche und vor allem für die mütterlich umhegende „Nestwärme". In jedem der 30 Pestalozzidörfer des Industriegebietes mit jeweils bis zu 90 Lehrlingen steht ein Dorfgemeinschaftshaus. Hier werden Ausspracheabende zwischen Erwachsenen und Lehrlingen abgehalten. Im Dorfgemeinschaftshaus gilt der Dorfleiter als Hausherr. Er ist in der Jugendwohlfahrtsarbeit ausgebildet und weiß, wie man eine Jugendgruppe — die hier von den Lehrlingen des Pestalozzidorfes gebildet wird — interessieren kann, von der ernsten Aussprache über Spiele bis zur Unterhaltungskapelle, die an zwei Abenden in der Woche fleißig übt und bei gelegentlichen Konzerten bereits begeistert Beifall gefunden hat. Am nächsten Morgen führt uns unser Weg programmgemäß unter sachkundiger Begleitung in das benachbarte Bergwerk, dessen Facharbeiternachwuchs hier im Pestalozzidorf die freien Stunden seines Lehrlingsdaseins verbringt. Mächtig ragen die Fördertürme vor uns auf. Mit einer anderen Besuchergruppe fahren wir gemeinsam in das Bergwerk ein — tief beeindruckt von dem schnellen Gleiten in die Tiefen der Erde und von der erstaunlichen technischen Welt, die uns überall umgibt. Der Kumpel, wie man den Bergarbeiter scherzhaft nennt, muß schwere Arbeit leisten. Und trotz aller Sicherungen ist sein Dasein durch die Gewalten der Natur, durch Schlagwetterexplosionen, Wassereinbruch und übermächtig werdenden Druck der Gesteinsmassen nicht ohne Gefahr für Leib und Leben. Sein Arbeitsplatz Hegt im ewigen Dunkel, er wird nur von dem künstlichen Schein der Untertagelampen erhellt, und die Luft, die der Kumpel einatmet, hat nichts von der köstlichen Frische jener Luft, die über Wiesen und Wäldern ruht. Eine weitgehende soziale Fürsorge ist deshalb bemüht, alle Schäden, die sich durch die Lebensführung des Bergmanns einstellen können, so rechtzeitig zu erkennen, daß ihre Beseitigung möglich ist. Die Hauptbestimmung der in den Bergwerksorten überall errichteten Gesundheitshäuser ist es deshalb nicht, Kranke gesund zu
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machen, sondern den Gesunden ihre Gesundheit zu erhalten. Diesem Zweck dienen auch die im Grünen gelegenen Siedlungen, die Freibäder, die Anlage von Spiel- und Sportplätzen und die laufende kostenlose ärztliche Überwachung. So ist es heute — doch vor Generationen sah das alles ganz anders aus. Das Bergwerkswesen von früher hat kaum Ähnlichkeit mit der Arbeit in den Hallen und Gruben unserer Tage. Nur eines ist gleich geblieben. Der Bergmannsfleiß, der die verborgenen Schätze aus der Erde zutage fördert.
Einst war es anders Man schreibt den 13. November des Jahres 1750 . . . Es hat die halbe Nacht geschneit, draußen ist es bitter kalt. Gegen Morgen fegt der Wind die Schneewolken hinweg. Nun leuchten die Sterne vom dunklen Himmel kristallklar durch das Kammerfenster des winzigen Häuschens, das sich in die lange Häuserzeile der hier steil aufwärts steigenden Straße der mitteldeutschen Bergstadt duckt. Man schürft wertvolle Erze ringsum in den Gruben des Landes Der zehnjährige Junge der Bergmannsfamilie dreht sich nocl einmal im Schlaf auf die andere Seite. Doch nebenan in der Küch wird es schon lebendig. Die Mutter entfacht das Holzfeuer auf de^ Herd, bald wird die Morgensuppe brodeln. Jetzt kommt der Vate aus der elterlichen Kammer. Und schon ertönt auch der Ruf de Mutter: „Paul, aufstehen!" Der Zehnjährige erhebt sich gähnend vo~ seinem Lager, seine fünf kleineren Geschwister und die ältere Schwe ster dürfen noch weiterschlafen. Vater und Sohn waschen sich im eiskalten Wasser und ziehe ihre dünnen,blauen Grubenkittel, die „Puffjacken", über. Sie trage nicht viel auf dem Körper, das wollene Hemd und der blaue Kitte genügen den Abgehärteten auch im strengen Winter. Die Suppen Schüssel dampft, Hirsesuppe und ein Stück trockenes Brot bilde das karge Frühstück. Unterdessen hat die Mutter das Tagesessen zum Mitnehmen zu rechtgelegt: fettes Fleisch vom selbstgeschlachteten Schwein, Käse einen halben Laib Brot und für den Vater eine kleine Flasche war menden Branntwein. Die Uhr zeigt halb vier morgens, als Vater und Sohn aus de Haus auf die stockdunkle Gasse treten. Um vier Uhr müssen die bei 4
Wasserförderung im Handbetrieb mit der Haspel (A Rundbaum, B Winde, DE Haspelrad mit Drehkurbel). Nach einem Holzschnitt Agricolas den auf ihren Arbeitsstätten sein, der Vater am Schacht, wo er in der dicken hölzernen Tonne an der Eisenkette in die Erde hinabgelassen wird. Er ist Ausrichter in der Grube, das bedeutet, er muß im Schacht die gefährlichsten Arbeiten zur Erhaltung der „Seilfahrt" ausführen. Dafür bekommt er etwas mehr Lohn als die Häuer, die das Erzgestein aus den Wänden der Schächte brechen und die auf Leitern in die Grube „fahren". 5
Paul trifft auf seinem Wege zur Hütte eine Reihe gleichaltriger Jungen. Sie alle eilen — noch schlaftrunken — gemeinsam zur Silberhütte. Die Mutter hat bis zum Hellwerden Zeit genug, um ihre Wirtschaft zu ordnen. Auf dem Küchenbord über dem Herd steht nur einfachstes Geschirr, einige irdene Töpfe, dazu Holzteller, die der Vater selber geschnitzt hat, Holzlöffel und Messer. Porzellan ist unbekannt; höchstens gibt es hier und dort einige glasierte Tassen aus gebranntem Töpferton. Die Schlafkammer ist schnell aufgeräumt. Die Familienmitglieder des Bergmanns breiten abends Strohsäcke nebeneinander auf der festgestampften Lehmerde aus, Betten gibt es nicht. Die Männer decken sich mit ihren „Puff Jacken" zu, nur für die Frau und die Mädchen gibt es Decken. Immerhin haben es diese Leute noch gut gegenüber ärmeren Bergmannsfamilien, die oft zu zwei Familien in einem Räume wohnen müssen. Draußen im Stall regt es sich. Eine Kuh beginnt zu brüllen, die beiden Schweine grunzen. Die drei Haustiere geben alles das, was die Bergmannsfamilie zum Essen braucht. Von der Kuh erhält sie täglich sechs Maß Milch, aus der im Butterfaß Butter geschlagen oder im Käsekorb Käse bereitet wird. Die Schweine werden gemästet und im Spätherbst geschlachtet, das Fleisch wird mit einfachsten Mitteln haltbar gemacht. Ein kleiner Garten bringt dürftiges Gemüse. Das Mehl zum Brot liefert das Kornmagazin der Grubenverwaltung. Jetzt legt die Mutter im einzigen Ofen des Hauses Holz nach. Dort hängt sie die gestern wie alle Tage völlig durchnäßten Sachen des Bergmanns zum Trocknen auf. Klobige Fichtenscheite bilden das Heizmaterial, Kohlen sind unbekannt. Den Tag über bleiben die Fenster offen, damit der Dunst der trocknenden Kleider abzieht. Es braucht niemand mit dem Holz sparsam umzugehen; die Forstverwaltung stellt es nach altem Recht dem Haushalt des Bergmanns kostenlos zur Verfügung. Hier wird nicht gerechnet oder gefeilscht, jeder Bergmann holt sich aus dem Walde so viel Holz, wie er benötigt. Alle Bergmannshäuser sind aus Holz gebaut. In das Fachwerk, welches das Haus als Gerüst zusammenhält, werden die passenden Holzstücke eingefügt und die übrigbleibenden feinen Ritzen mit Moos verstopft. Außenwände wie Innenwände sind mit langen, behobelten Brettern benagelt. Das Dach ist mit Holzplättchen gedeckt, die man Schindeln nennt. In der Stube ist es selbst bei größter 6
Kälte behaglich warm. Darauf legt der Bergmann größten Wert; die Geräumigkeit seines Hauses spielt eine untergeordnete Rolle — auch wenn die Familie mit zahlreichen Kindern gesegnet ist. Indessen ist der Morgen hell hereingebrochen. Jetzt ist es. Zeit, das Mädchen und die kleineren Kinder zu wecken. Die Zwölfjährige übernimmt die Stelle der Mutter. Sie zieht die jüngeren Geschwister an, denn bald geht die Mutter aus dem Hause und arbeitet von früh bis spät bei den höheren Bergwerksbeamten, den Bergoffizianten, Bergschreibern oder bei einer der begüterten Kaufmannsfamilien in der Bergstadt. So ist der Tag streng eingeteilt, bis am Abend alle todmüde auf ihre Strohsäcke sinken: zwölf Stunden Bergarbeit für den Vater, Hauswirtschaft und Geschwisterversorgung für das älteste Mädchen, Fremdarbeit außer dem Haus für die Mutter und zwölfstündige Arbeit im Pochwerk für den zehnjährigen Sohn. Alle Jungen vom neunten Jahre ab arbeiten als Pochjungen auf der Hütte der Bergstadt, wo die Erze zu Metall ausgeschmolzen werden. Zwölf Stunden lang mit zwei Stunden Pause stehen sie an langen Bänken und klopfen (pochen) die aus dem Bergwerk geförderten Erzstücke klein. Um vier Uhr nachmittags ist die Arbeit beendet. Kinderarbeit ist selbstverständlich geübter Brauch in der Bergleutestadt. In den Bergmannsfamilien meint man, ein Junge müsse sich beizeiten seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Außerdem sei das Pochen der Erze ein ausgezeichnetes Mittel, um aus den Jungen kräftige Bergleute zu machen. Etwas anderes als Bergmann wird ein Bergmannsjunge ja doch nicht. Dafür kann er, wenn er sonst nicht auf den Kopf gefallen ist, bis zum Bergmeister aufsteigen — auch mit den wenigen Schulkenntnissen, die er besitzt. Wenn die Jungen nach zwölf stündiger Arbeit im Pochwerk nach Hause kommen, dann gehen sie oft noch eine Stunde zur Pochknabenschule — mühsam gegen die überhandnehmende Müdigkeit kämpfend. Diese eine Stunde genügt zum Lesen-, Schreiben- und Rechnenlernen, obgleich der Unterricht nicht immer an jedem Tage stattfindet, mitunter nur an zwei Nachmittagen in der Woche. Heute ist Samstag. Da bekommen Vater und Sohn ihren Wochenlohn ausgezahlt. Der Lohn des Jungen rechnet nach Groschen, der des Vaters beträgt etwas über drei Reichstaler. Viel ist es nicht, es reicht gerade zum Leben. Da die Eltern unseres Pochjungen ordentliche, sparsame Leute sind, setzen sich am Samstagabend Vater und Mutter zusammen und teilen das Geld für die kommende Woche für 7
Essen, Trinken, Unschlitt oder Rüböl zur Beleuchtung und Nebenausgaben ein. Dieses Haushaltgeld bekommt die Mutter. Der Junge darf sein Geld sparen. Der Vater behält nur wenige Groschen für Tabak und Branntwein zurück. Am Sonntag geht es im Bergwerksstädtchen lebhaft zu. Am Nachmittag klingt aus den Wirtshäusern das Lachen fröhlicher Männer, alle Mühen und Gefahren des Berges sind vergessen. Branntwein und der Bierkrug regieren die Stunde. Der Vater bleibt nicht lange im Wirtshaus, das viele Bergleute erst spät am Abend verlassen, ihrer Beine und der Zunge nicht mehr ganz sicher. Der Junge artet nach dem Vater und hält sich von den berüchtigten Pochjungen-Banden abseits, von denen um 1750 ein zeitgenössischer Geschichtsschreiber berichtet: „Insbesondere sind die Pochjungen die gottlosesten Buben, welche zu aller Art von Unfug fähig sind und gegen die Fremden die größten Grobheiten ausüben, wenn diese auf ihre ungestümen Betteleien keine Almosen reichen wollen. Jedoch werden die Fremden jetzt nicht mehr zu stark mit ihrem Anlauf beschwert wie ehedem, da man den Pochjungen nach und nach durch die ,Vogelboltze', eine Peitsche mit drei Riemen, die unten mit Knoten versehen sind, mehr Achtung gegen die Fremden eingeflößt hat. Mit dieser werden die Jungen gezüchtigt, wenn sie zu ausschweifend sind." Den Beruf der Pochjungen kennt man im Erzbergbau seit vielen Jahrhunderten. Bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 gab es keine gesetzliche Verordnung, die diese schwere Kinderarbeit verbot oder einschränkte. Als sich das Deutsche Reich unter Bismarck neue Gesetze gab, wurde auch die Kinderarbeit gesetzlich geregelt und schließlich ganz verboten. Jetzt konnten die Bergmannsjungen erst Pochjunge werden, wenn sie ihrer Schulpflicht genügt hatten. Nach achtjähriger Schulzeit, im Normalalter von 14 Jahren, traten sie in das Bergwerk ein und gehörten damit nach der Klassifizierung der Arbeiter in Bergwerken und Hütten zur Klasse 1 „Jungen", das heißt jugendliche Arbeiter von 14 bis 16 Jahren. Neben der jahrhundertealten Bezeichnung „Pochjunge" kam um die Jahrhundertwende die Berufsbezeichnung „Lehrling" der Hütte auf. Wer seine Pochjungenzeit beendet hat, wird Bergmann oder Hüttenmann wie der Vater. Alle Vorväter der Familie, die wir in Gedanken besucht haben, sind, soweit die Familienüberlieferung reicht, erst Pochjunge und dann Bergleute gewesen. 8
Wünschelrutengänger (A) suchen Erzadern und Bergleute ziehen Suchgräben (B). Nach Agricola
Im Erzbergwerk vor 200 Jahren Der Sonntag ist vorüber, die neue Woche beginnt. Am Montagmorgen gehen die Bergleute nicht sofort zum Schacht, sondern begeben sich zunächst zum Zechenhaus. In der geräumigen Zechenstube versammelt man sich. Es ist vier Uhr morgens. Ein würdiger alter Bergmann stimmt ein Kirchenlied an; dann verliest er ein Kapitel 9
aus dem Evangelium. Es folgen ein Abschnitt aus der Hauspostille — einer Auslegung des Evangeliums —, das Vaterunser und der Segen. „Und nun laßt uns in Gottes Namen einfahren! Glück auf!" schließt der Bergmann die Andacht. Bedächtig legen die Bergleute ihre Gesangbücher in den alten Schrein zurück und gehen, der Steiger voran, zur Grube. Jetzt ist die Zechenstube leer und gut zu überblicken. Sie umschließt einen großen Raum. Rings an den Wänden ziehen sich Sitzbänke hin. Ein gewaltiger, um diese Jahreszeit stets brennender Ofen steht an der Stirnseite. In seiner Nähe sind unter der Decke Stangen befestigt, die parallel von einer Stubenwand zur anderen verlaufen. Hier hängen die Grubenkleider der Bergleute zum Trocknen, weil das Grubenwasser die Männer oft vollständig durchnäßt. Auf einem schwarzen Brett liest man die Bekanntmachungen der Berginspektion. Daneben hängt eine große Schiefertafel mit den Nummern der für heute angesetzten Kirchenlieder. Im Zechenhaus ist der „Hutmann" zurückgeblieben. Er trägt seinen Namen nicht deshalb, weil er vielleicht die Hüte der Bergleute in Verwahrung hat, sondern weil er die Einrichtungen des Bergwerks als Wächter bei Tag und Nacht „behütet". Die Leitung einer kleinen Speise- und Bierwirtschaft — wir würden heute Kantine sagen — gehört ebenfalls zu seiner Obhut. Kommen Fremde, die das Bergwerk besuchen wollen, prüft er ihre Ausweise und läßt sie ihre Eintragung in das Gästebuch vornehmen, das zum ehrwürdigen Bestandteil des Zechenhauses gehört. Blättern wir heute in alten Zechenhausbüchern, so sind wir erstaunt, wie viele Besucher sich damals schon für Bergwerke interessiert haben. An jedem Samstag zahlt der Schichtmeister im Zechenhaus den Bergleuten den Wochenlohn aus; hier hat auch der Steiger, ein befähigter Aufsichtsbeamter, sein Dienstzimmer. Es ist üblich, daß der Schichtmeister die Rechnung über die wöchentlichen Einnahmen und Ausgaben einer jeden Grube verliest. Viele Bergleute sind nämlich Mitbesitzer der Grube, in der sie arbeiten. Sie bewahren zu Hause im Geheimkasten die „Kuxe", den Anteilsschein, auf. Der Gewinn wird nach jedem Vierteljahr in Silbertalern ausgezahlt, die in der Münze, welche zu den Gruben gehört, geprägt sind. Noch heute besitzen alte Bergmannsfamilien in manchen deutschen Bergwerksgegenden solche Silbermünzen und heben sie für Kinder und Kindeskinder auf. 10
Nur wenige Schritte vom Zeehenhaus entfernt liegt die Grube. Sie besteht aus einer Reihe niedriger Gebäude, die mit Schindeln gedeckt sind. Einen Schornstein würden wir ebenso vergeblich suchen wie einen Förderturm. Man könnte die Anlage eher als eine Art Fabrik ansehen, denn aus einem großen Wandausschnitt ohne Tür führt ein doppeltes Holzgleis heraus, auf dem von kräftigen Knappen viereckige Wagen geschoben werden. Sie enthalten blinkendes Erz, das vor der Grube ausgeschüttet wird. Eine stattliche Halde entsteht. In regelmäßigen Abständen fahren die Fuhrleute mit schweren Wagen vor, um das Erz zum Pochwerk zu fahren. Wie alle Gebäude im Bergwerksstädtchen sind auch die Grubenhäuser vollständig aus Holz erbaut. Nur mühsam finden wir uns in dem Gewirr der Balken, Treppen und Seile eines solchen Hauses zurecht. Mehr als ein Dutzend Bergleute, angetan mit blauem Kittel, den samtenen, runden, hohen Schachthut auf dem Kopfe, sind mit vielerlei Verrichtungen beschäftigt. An der Decke hängt ein mächtiges, holzgefertigtes Rad, auf dessen dicker Achse ein eisernes Kettenseil aufgewickelt ist. Es führt in ein viereckiges Loch des Fußbodens hinein. Jetzt bewegt es sich, und wir erkennen, wie aus dem Loch langsam eine nach unten schlanker werdende Holztonne emporsteigt, die an dem Seil hängt. Sie ist randvoll mit Erz gefüllt. Ein auf einer erhöhten Rampe stehender Bergmann nimmt die Tonne in Empfang und kippt ihren Erzinhalt in den unter der Rampe stehenden Wagen. Dann läßt er die Tonne durch das Loch wieder in den Schacht zurückgleiten, damit sie unten „im Berge" von neuem gefüllt werden kann. Das ist also ein Förderschacht oder Treibschacht jener Zeit, durch den das Erz aus der Tiefe nach oben befördert wird. Das große Rad an der Decke nennt der Bergmann den Gaipel oder Göpel. Ein verbesserter Nachfahre dieses Göpels ist das stählerne Rad auf den modernen Fördertürmen unserer Tage. Damals wurde das Rad außerhalb des Grubenhauses oft von Pferden bewegt, so wie zur Zeit unserer Großväter die Bauern auf dem Dorfe ihre Dreschmaschine durch den Pferdegöpel betrieben. In vielen Grubenhäusern traten an die Stelle der Pferdegöpel Wasserräder, welche die Wasserkraft zum Betrieb der „Seilfahrt" der Erztonnen benutzten. Nicht weit von der Rampe des Förderschachtes ragt ein Leiterende aus der Erde. Soeben steigt ein Bergmann auf dieser Leiter aus der Tiefe empor. In der Fachsprache heißen die Leitern, die in 11
den Berg hineinführen, „Fahrten". Über die Fahrten steigen die Männer hinunter in die „Sohlen" des Bergwerks. Wir möchten auch „einfahren" und folgen dem Bergmann, wenn er jetzt wieder die Fahrten besteigt. Es wird dunkel um uns, nur die kleine Grubenlampe, die wir in der Hand tragen, leuchtet. In manchen Bergwerken, vor allem in Kupfergruben, befestigt der Bergmann sein Grubenlicht am Schachthut. Etliche dieser Grubenlampen ähneln in ihrer Form einem sitzenden Frosch. Der Bergmann nennt sie Froschlampen. Zu Hause besitzt er eine Reihe davon, die die Kinder zu Weihnachten sauber putzen und mit Öl füllen. Dann werden sie an den Weihnachtsbaum gehängt und brennen dort wie heute unsere Weihnachtsbaumkerzen, die es damals noch nicht gab. Wir sind über viele Leitern oder Fahrten hinabgestiegen und betreten die erste Sohle. Sie mag etwa hundert Meter unter dem Erdboden liegen. Der Bergmann rechnete damals allerdings nicht nach Metern, sondern nach Lachtern (1 Lachter = etwa 2 Meter). Tastend und unsicher folgen wir dem Bergmann durch mannshohe Gänge, die er Stollen nennt. Wie der Maulwurf seine Gänge in die Erde gräbt, so stemmt der Bergmann in alter Zeit seine Stollen mit Hammer und Schlegel; er kennt noch keine Maschinen, die ihm die schwere Arbeit erleichtern könnten. Eine „Strecke zu treiben" dauert lange Zeit. Viele Stollen mit Seitenstollen liegen übereinander, wie die Stockwerke eines Hauses. Nach kurzer Zeit betreten wir einen großen Saal. Rundum glukkert es leise — das sind die Bergwässer, die durch viele Klüfte im Berg von der Erdoberfläche, wo sie als Regen herabfallen, in die Tiefe sickern. Wir sind schon beim Herabsteigen und beim Gang durch die Stollen pudelnaß von dem tropfenden Gestein geworden. Doch niemand friert, denn im Innern des Berges ist es warm. Kommen wir noch tiefer, dann wird die Wärme so eindringlich, daß die Bergleute ohne jede Kleidung arbeiten. An der Rückwand des Saales ist ein großer Holzstoß aufgestapelt. Holz braucht der Bergmann im Berge allenthalben, um die Stollen abzustützen — er nennt diese Arbeit „Zimmerung" —, damit das Erdreich nicht nachrutschen und ihm die Strecke verschütten kann. Dicke, kräftige Fichtenstämme, die in Stücke gesägt werden, verwendet man dazu. Die vorbereiteten Stücke sind die Grubenhölzer oder Stempel. Der an der Wand des Saales aufgeschichtete Holzstapel hat jedoch 12
„Roßkunst" oder Plerdegöpel aus dem 16. Jahrhundert. Das Werk dreht sich um die ßalkenachse links. Der Göpelwart hat es sich auf dem hän-. genden Sitz bequem gemacht. Nach Agricola einen andern Zweck. Mit ihm soll das Gestein ausgebrannt werden. Bis zur Einführung des Schießpulvers konnte der Bergmann nicht sprengen. Er mußte entweder mit Schlegel und Hammer das Erz losschlagen, oder er half sich mit dem „Feuersetzen". Diese Art des Abbaus konnte er überall da anwenden, wo das Gestein mit Schwefel durchsetzt war, denn Schwefel brennt bekanntlich leidit. Der Bergmann legte mit Schlegel und Eisen eine „Schramm" in die Bergwand, eine Art offenen Tunnel, etwa 30 bis 60 Meter lang, einen halben Meter hoch und bis zu einem Viertel Meter tief. In die Schramm schichtete er Scheitholz und baute etwa ein Dutzend . Holzstöße um die Schramm herum auf. Das Ganze sah wie ein riesiger Scheiterhaufen aus. Mittag um 12 Uhr steckte der Feuerwächter den Scheiterhaufen in Brand, während die Bergleute sich aus dieser Gegend des Bergwerks zurückzogen. Der brennende Holzstoß teilte sein Feuer den Schwefeladern im Stein mit, der Schwefel begann zu brennen. Nach wenig mehr als acht Stunden fiel die Wand in sich zusammen. Am anderen Tage fuhren die Bergleute 13
wieder ein und begannen mit dem Wegräumen des Erzes. Der Schwefeldampf entwich durch die vielen Klüfte des Berges; auch hatte man vorher „Wetterschläge" — nach außen führende Schächte — angelegt, um das Abziehen des Schwefeldampfes zu regulieren. In den ersten Jahrzehnten nach Einführung des Schießpulvers im Bergbau wurde das Feuersetzen und das Sprengen mit Schießpulver nebeneinander angewandt. Heute ist das Feuersetzen aus dem Bergwerkswesen verschwunden, und das alte Schießpulver wich stärkeren Sprengmitteln. Beim Weiterschreiten im Stollen hören wir ein seltsames Ächzen und Stöhnen, das in regelmäßigen Abständen an unser Ohr dringt. • Wieder öffnet sich der schmale Gang zu einem Saal. Schon längst wird hier kein Erz mehr gebrochen, der Saal dient nur noch als unterirdischer Versammlungsraum. In einer Nisdie steht die Statue der heiligen Barbara, der Schutzgöttin der Bergleute. Jetzt ist das Ächzen ganz laut und deutlich geworden. Fackelschein beleuchtet ein großes Holzrad von etwa 14 Meter Durchmesser, das sich schwerfällig dreht und dabei die merkwürdigen Töne hervorbringt. Von oben ergießt sich ein dicker Wasserstrahl in die auf der Radoberkante angebrachten, schaufelartigen Gefäße. Ein Liter Wasser wiegt ein Kilogramm. Das Gewidit des Wassers, das die Schaufelkästen füllt, dreht das Rad. Ein Mühlrad im Berge? Sicherlich, und noch dazu ein ganz besonderes. Denn plötzlich hört das Ächzen auf, das Rad steht still. Nur beginnt es sich wieder zu drehen, aber merkwürdigerweise jetzt entgegengesetzter Riditung. Wir blicken nach oben und sehen, daß das Wasser aus einem anderen Kanal hervorfließt und die Schaufeln nach der anderen Seite herunterdrückt. Offenbar muß irgendwo im Bergwerk ein Mann einen anderen Wasserlauf geschaltet haben. Was wir beobachteten, ist die Tätigkeit des „Kehrrades", das sie nach beiden Seiten drehen kann, je nachdem, aus welchem Wasserkanal es Wasser erhält. Das ist der Unterschied zwischen dem Bergwerksrad und dem munteren Mühlrad des Müllers. Die Wasserräder, die schon seit dem 13. Jahrhundert in Bergwerken benutzt werden, sind die einzige masdiinelle Hilfskraft des Bergmanns. Bis zur Einführung der Dampfkraft, fast 600 Jahre lang — vom Anfang des 13. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts tat die Wasserkraft Dienst in der Tiefe. 14
Auf unserem Rundgang durch das Revier werden uns später in den Hütten und auf dem freien Felde noch viele solcher Wasserräder begegnen. Heute sind die meisten Wasserräder oder „Wasserkünste", wie der Bergmann sagt, „abgeworfen". Nur in etlichen Bergwerken hat man sie als ehrwürdige, oft jahrhundertealte Museumsstücke aufbewahrt. Wieder nimmt uns ein Stollen auf, von dessen Decke, dem „Hängenden", es auf uns herabtropft. Zu unseren Füßen fließt ein kleines Bächlein dahin. Wenige Schritte noch, und wir stehen an einem großen, viereckigen Loch, das den Zugang zur nächsten Sohle öffnet. Über dem Loch zieht sich eine dicke Holzwelle von der einen Bergwand zur andern. Genau in der Mitte über dem Loch ist der Welle ein mittelgroßes Rad aufgesetzt, das eine Kette führt, an der Lederbalgen — eine Art lederner Kolben — befestigt sind. Die Bewegung dieses Pumprades geschieht auf folgende Weise: Aus einer Holzrinne fließt das von oben herangeführte Wasser auf die Schaufelkammern eines Wasserrades, das auf der gleichen Welle sitzt wie das oben genannte mittelgroße Rad. Die durch das Wassergewicht bewirkte Bewegung des Wasserrades teilt sich auch dem „Haspelrad" und der Kette mit. Unaufhörlich steigen die Lederbalgen in einem Holzrohr von der nächst tieferen Sohle hoch und heben wie Pumpenkolben das unten angesammelte Wasser zwischen sich herauf. Der Bergmann nennt den Vorgang die „Sümpfung" der Grube. Das heraufgehobene Wasser und das vom drehenden Wasserrad unten wieder ablaufende Wasser vereinigen sich zu einem breiten Wasserstrom und fließen in den Wasserstollen, die „Wasserstrecke", von der aus sie durch Öffnungen in der Bergwand in das Tal hinausgeleitet werden. Diese älteste Form der Verwendung und Beseitigung von Wasser im Bergwerk heißt die Heinzenkunst, man kann sie heute nur noch auf alten Bildern sehen. Sie half früher dem Bergmann, das für den Betrieb der unterirdischen Wasserräder von außen in den Berg geführte Betriebswasser zusammen mit dem sich sammelnden Sickerwasser aus den Klüften des Berges (Regenwasser) durch die unterirdischen Stollen herauszuführen. An manchen Orten wurde das Antriebsrad auch durch Treten bewegt, wie es die Abbildung Seite 21 zeigt. Unser Weg führt uns nun weiter im dunklen Stollen und gibt unserer Wanderung einen beinahe poetischen Abschluß. In der Fin13
sternis der Grube leuchten vor uns kleine Sterne auf. Sie stehen nicht still, sondern bewegen sich. Hier sind es gleich drei auf einem Fleck, dort scheint sich eine ganze Anzahl von Sternen gesammelt zu haben. Dazu poltert und klopft es, als ob eine Schar von Kobolden am Werk wäre. Unser Bergmannsfiihrer entzündet eine Fackel, und wir sehen, daß wir gar nicht mehr im Stollen sind, sondern in einem bogenförmigen Erzgewölbe. Es gleißt und funkelt vor uns, als wären die Felswände aus reinem Silber. Jedes Sternchen ist eine Grubenlampe, die am Hut eines Bergmanns befestigt ist. Wir stehen vor Ort und schauen beeindruckt zu, wie die Bergleute mühsam mit Eisen und Schlegel die Erzstücke abschlagen. Andere sammeln die Erzstücke und tragen sie in Körben zum Füllort, also dahin, wo vom Grubenhaus aus im Treibschaeht die Erztonne am Seil herabgelassen wird. Die Bergleute tragen fast keine Kleidung, so warm ist es hier. Es ist eine harte Arbeit, jedes Stück Erz ohne maschinelle Hilfe aus der Wand herauszuschlagen. Mit einem „Glück auf" entfernen wir uns wieder von den Bergleuten und blicken noch in einen „Verbau". Gemütlich ist es hier, schön warm, Bänke laufen an den Wänden entlang, und Holzpritschen zum Schlafen sind auch da. Als die Schächte immer tiefer teuften (der Bergmann spricht nicht vom Bau eines Schachtes, sondern vom Abteufen), wurde es den Bergleuten zu beschwerlich, täglich die Leitern hinauf- und hinabzusteigen. Sie bekamen in jeder Schicht nur die Erzmenge bezahlt, die sie vor Ort schafften, das Einfahren, Ausfahren und die unterirdische Wanderung zum und vom Arbeitsort vergütete ihnen die Grubenverwaltung nicht. Deshalb richteten sie sich die Verbaue als Schlafstätten her und blieben oft vom Montag bis zum Samstag im Berge. Das war natürlich sehr ungesund und wurde bald verboten. Mühsam war die Tätigkeit des Bergmanns, gefährlich und hart. Immer war seine Gesundheit durch die schlechte Luft unter Tage und durch die wenige Sonne, die seinen Körper beschien, gefährdet. Es gab kaum eine soziale Betreuung zu jener Zeit. Früh verbraucht war der Bergmann, und nur wenige erreichten ein hohes Alter. Noch um 1830 schreibt ein Bergmann in einer Darstellung der sozialen Verhältnisse der damaligen Bergleute: „Nur die jungen, kraftvollsten Arbeiter zwischen 20 und 36 Jahren wurden für solche Baue (tiefe Gruben bis 600 Meter unter Tage) bestimmt und so lange gebraucht, als es ihre Kraft und Gesundheit gestatteten. Nach 16
Wassergetriebenea „Kehrrad", das durch Hebelzug zum Vorwärts- oder RückwartsJauf gebracht werden kann. Links Bergmann auf der Leiter^fahrt"
Verlauf von wenigen Jahren erfolgten jedoch schon häufig Klagen über Brustbesehwerden, wodurch wiederholte Auswechslungen der so früh abgenutzten Mannschaft veranlaßt wurden, und nicht ohne bange Besorgnis sah man die sonst kräftige Konstitution des Bergmannes immer mehr absinken." Unsere Fackel erlischt. Über die Leitern steigen wir wieder hinauf zum Tageslicht, dorthin, wo das Erz aus den Stollen heraufgeschafft wird. Der Weg führt weiter zu den Pochwerken und Hütten. In einem modernen Berg- und Hüttenbetrieb würden wir vergeblich nach dem Pochwerk suchen. Seine Rolle hat heute die „Aufbereitung" übernommen. Das Wort besagt, daß hier die Erze vorbereitet werden, um in die Schmelzöfen zu wandern. Grube, Pochwerk und Hütte bilden jeweils ein Ganzes. Das ausgeschmolzene Metall kommt in den Handel und zu den verschiedenen Handwerkern zur Metallverarbeitung. Eine Ausnahme macht das Silber; seine Abnehmer sind fast ausschließlich die Münzstätten. Die vor Hunderten von Jahren ausgeprägten Silbermünzen bilden noch heute begehrte Stücke der Münzensammler, zumal die Entwürfe der Münzbilder von Künstlern gefertigt sind, die ihren Stolz darein setzten — wie die Porzellangestalter des 18. Jahrhunderts —, gute, einfallsreiche Zeichnungen zu liefern. Bei unserem Rundgang durch Hüttenwerk und unterirdische Stollen haben wir gesehen, daß überall Wasser herangeschafft und wieder beseitigt werden muß. Wasser gehört zum Bergwerk, ohne seine segensreiche Kraft müßten die gewaltigen Räder stillstehen oder von Hunderten von zusätzlichen menschlichen Arbeitskräften bewegt werden. Unter und über Tage drehen sich die Wasserräder, haspeln Ketten und Seile herauf und herunter, setzen andere Räder in Bewegung, schaffen Gestein nach oben und Gebrauchsgüter nach unten und pumpen das Wasser dahin, wo es gebraucht wird oder beseitigt werden muß. Wasser aber gibt es nicht überall dort, wo der Bergmann „fündig" wird, das heißt, wo er auf Erz im toten Gestein stößt. Um die Erzadern ausbeuten zu können, hatte man allmählich gelernt, Wasser von weit her heranzuführen und es den Zwecken des Bergwerks dienstbar zu machen.
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Des Wassers Kraft im Berge schafft" Bei unserem Besuch im Erzbergwerk vor 200 Jahren sahen wir, daß von der Erdoberfläche aus in Stürzen und hölzernen Rinnen Wasser in die Grube hineingeführt wird, damit es unten die Wasserrräder drehe. Auf Wasser stießen wir auch in Form der Bergwässer, die von oben her einsickern. So fließt seit alters eine erhebliche Menge Wasser in, den Gruben zusammen, das der Bergmann wieder hinausbefördern muß. Auf zwei Wegen wird das Wasser geführt: Die oberirdische Wasserleitung bringt das Wasser an die Grube heran, und die unterirdische Wasserleitung dient dazu, das Wasser nach seiner Arbeitsleistung wieder aus dem Berge herausfließen zu lassen. Der Erzbergbau ist an das Gebirge gebunden. Das Erz findet sich als Gänge zwischem totem Felsgestein. Bei der Anlage einer Grube spielt der innere und äußere Aufbau des Gebirges eine große Rolle; seine Form beeinflußt aber ebenso die Art der Wasserbeschaffung. Der Wind treibt Regenwolken an das Gebirge heran. Wenn sie an die Bergwände stoßen, regnen sie sich ab. Das Wasser läuft in vielen Rinnsalen am Berghang herunter. Auf ein kleines Mittelgebirge, wie etwa den Harz, gehen jährlich zwei Milliarden Kubikmeter Wasser als Schnee oder Regen nieder. Die Wasserfachleute haben ausgerechnet, daß die Hälfte des fallenden Wassers in den Waldboden sickert, durch feine Spalten und Risse in den Berg gelangt und dort, wo sich Bergwerke befinden, in die Grube eindringt. Die andere Hälfte des Wassers kann der Boden nicht aufnehmen, sie schießt zu Tal. Sind die Täler steil, dann bekommt das Wasser ein starkes Gefälle und die Gebirgsbäche springen behende über die Felsen. Besteht der Untergrund aus hartem Urgestein, Granit zum Beispiel, nimmt er wenig auf. Bildet Nadelwald den hauptsächlichen Baumbestand, macht die Nadelstreu den Boden glatt und das Wasser gleitet schnell darüber hin. Schon im 13. Jahrhundert hatte der Bergmann den Müllern abgesehen, wie man das Wasser nützlich verwendet, es einfängt und staut. Er ging dazu über, rund um die Berge Gräben zu ziehen, um das Wasser für seine Zwecke zu sammeln und es dienstbar zu machen. Wer heute durch ein Mittelgebirge wandert, den begleiten oft kilometerlang solche Gräben mit Bergwasser, das in stetigem Lauf dahinfließt, nirgends zum Stehen kommt, aber auch nicht wild
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dahinschießt. Das Wasser ist so klar, daß man bis auf den Grund blicken kann. Manchmal verschwindet es in einem Bergstollen und kommt an anderer Stelle wieder zum Vorschein. Wandern wir einem solchen Graben nach, dann werden wir feststellen, daß er stets in einen Teich mündet. Herrlich liegt das kleine Wasserauge inmitten der Wälder — im Sommer ein gern besuchter Campingplatz. Talwärts wird der Teich durch eine hohe Erdwand abgeschlossen, über die auf der Dammkrone ein Weg führt. In der Mitte etwa erhebt sich ein Häuschen. In seinem Boden öffnet sich ein gemauerter Schacht, der bis zur Teichsohle hinabreicht. Unten befindet sich ein Ventil, der sogenannte Striegel. Durch diesen Striegel reguliert der Teichwärter, ein Angestellter des Bergwerks, den Abfluß. Aus der jenseitigen, talwärtigen Sohle des Dammes führt der Graben wieder hinaus, aber jetzt ist seine Wassermenge durch den Striegel so reguliert, daß er immer dieselbe Wassermenge führt, gleichgültig, ob im heißen Sommer seit Wochen kein Regentropfen gefallen ist oder ob im Gebirge schwere Gewitter-Wolkenbrüche herniedergegangen sind. Der Teich ist das große Vorratsbecken des Bergwerks. Um die Trockenheitsperiode zu überbrücken, sammelt der Bergmann das von den Bergen in den angelegten Gräben herabfließende Wasser und ist nun in der Lage, sein Bergwerk das ganze Jahr über mit Wasserkraft zu versorgen. Er braucht im Sommer nicht mehr zu feiern, ohne Arbeit und Verdienst zu sein. Die Gräben, die das Bergwasser zum Teich bringen, nennt der Bergmann Sammelgräben, die vom Teich zu den Gruben fließenden Gräben Aufschlaggräben, denn das hier zugeleitete Wasser „schlägt" mit seinem Gewicht auf die Wasserräder. Die großartigste Wasserleitung der alten deutschen Bergwerke, einst eine Weltberühmtheit und noch heute erhalten, befindet sich im Harz. Sie besteht aus fast 100 Teichen als Wasserspeichern und 230 Kilometer Wassergräben. Ihre Entstehungsgeschichte beweist, welch hervorragende Leistungen ein entschlossener Gemeinschaftswille hervorbringen kann. Als um das Jahr 1700 das anfließende Wasser von Clausthal-Zellerfeld nicht mehr ausreichte, um die fast 200 Wasserräder der Gruben auf und unter der Erde zu drehen, zogen die Clausthaler Bergleute mit ihren Frauen und Kindern aus, bewaffnet mit Spaten, Schaufel und Karren. Östlich, in Richtung zum Brocken, dem höchsten Berg des Gebirges, gab es genügend Bergwasser, doch eine tiefe Senke 20
Heinzenkunst zur Hebung des Wassers aus dem Schacht mit Tretradantrieb (A Welle, B Tretrad, C Zahnrad, D Getriebe, EF Kettenrad, G Lederbälle). Nach einem Holzschnitt von Agricola
im oberen Okertal verhinderte das Heranführen des Wassers in Gräben. Im verbissenen Trotz errichteten damals die fleißigen Bergleute in zwölf harten Arbeitsjahren einen hohen Damm in der Senke und legten eine Rinne darauf an. Im Brockengebiet, das rund 15 Kilometer Luftlinie entfernt liegt, zogen sie Gräben um das Bergmassiv herum, die alle abfließenden Gewässer auffingen. Dann führten sie diese gesammelten Bergwässer des Brockenfeldes zu ihrem Damm, auf diesem entlang und leiteten es in ihr bereits bestehendes Grabensystem mit den 75 Teichen um Clausthal-Zellerfeld. Der Bergbau, der aus Wassermangel zu erliegen drohte, war für weitere zwei Jahrhunderte gesichert. Noch heute ist der „Dammgraben", wie er seither heißt, eine Sehenswürdigkeit. Eine Tafel kündet von der rettenden Tat der wackeren Bergleute. Die Teiche sind heute ein reizvoll belebendes Element in der herben Berglandschaft. Das abfließende Wasser wird auch heute noch nützlich verwendet, obwohl der Bergbau fast ganz zum Erliegen gekommen ist. An vielen Orten stürzen noch heute die gesammelten und aus den Teichen abfließenden Bergwässer in die Gruben hinunter. Nur treiben sie unten keine Wasserräder mehr, sondern Wasserturbinen, die auf gleicher Welle mit Dynamos gekoppelt sind. So gewinnt man im Innern der Berge elektrischen Strom. Der erzeugte Strom wird den wenigen Bergwerken zugeführt, die noch arbeiten, oder man leitet ihn in die umliegenden Ortschaften. Es ist im Grunde der gleiche Vorgang, der sich an den späteren Nachfahren der alten Bergwerksteiche, den um vieles vergrößerten, gigantischen Talsperren, abspielt, wenn an der Sohle ihrer Staumauer elektrische Kraftzentralen von dem Strom gespeist werden, der durch das mit Gewalt herausstürzende Wasser erzeugt wird. Das Wasser, das aus den Teichen der alten Bergleute in die Gruben floß, mußte natürlich auch wieder aus der Grube herausgeleitet werden, damit die Stollen nicht „absoffen". Auch diesen Vorgang können wir heute noch beobachten. Unser sachkundiger Führer bringt uns zu einer Bergwand, aus der — wie aus einem riesigen Mund — durch ein mauergefaßtes Loch ein Bach herausfließt. Das ist das Mundloch eines Wasserstollens. Das strömende Wasser hat im Berge bereits gearbeitet, hat früher Wasserräder getrieben und heute vielleicht eine hydroelektrische Kraftzentrale gespeist. Von den tiefsten Stellen ihrer Gruben aus haben die Bergleute vor zweihundert Jahren Stollen durch den Berg getrieben, die im Tale enden. Durch diese Stollen fließt das Bergwasser ab. 22
Noch einmal müssen wir den Harz erwähnen, weil er vor der Schaffung der Alpentunnels auch den längsten Tunnel Europas besaß; er führte 23 Kilometer lang durch den Berg, war in 13 Jahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts geschlagen, und zwar nur mit Schlegel und Hammer, ohne jede Sprenghilfe. Damals trug der Tunnel-Kanal Bootsflottillen, die das gebrochene Erz auf unterirdischem Wasserwege zu den Förderschächten brachten. Noch heute wird in jedem Jahre dieser Unterweltsfluß des 19. Jahrhunderts zu Kontrollzwecken befahren. Die Boote, die man dazu benutzt, sind flach gebaut. Da das Gefälle bis an den Gebirgsrand zu gering ist, um die Boote richtig in Fahrt zu bringen, zieht der Schiffer das Boot an einem Seil vorwärts, das an der Wölbung des Tunnels entlangläuft. Es erscheint uns heute kaum vorstellbar, wie die Bergleute vor Jahrhunderten das alles ohne die Hilfsmittel unserer Zeit fertiggebracht haben. Um die Wasserleitung der Bergleute des Harzes, die als die bedeutendste Schöpfung dieser Art und ihrer Zeit galten, richtig würdigen zu können, seien hier einige überraschende Zahlen genannt: Oberirdische Wasserleitung: Von 1550 bis 1750: 69 Bergwerksteiche mit 10,48 Mill. cbm Wasserinhalt; 227 km Wassergräben zum Auffangen des Wassers und Zuleiten zu den Bergwerken. Unterirdische Wasserleitung: 1526 bis 1864: 77 km Wasserstollen im Berge. Wasserkraftnutzung: 1868 = 2869 PS Leistung der Wasserräder. Grubenwasserkraftwerke: 1955 = 5100 kWh installierte Generatorenleistung. Hauptzußuß: Gesammelte Regen- und Schneeniederschläge von jährlich 10 bis 17 Millionen cbm Wasser. Ähnliche Leistungen, allerdings nicht in diesen Ausmaßen, vollbrachten die Bergleute an vielen anderen Orten unserer Mittelgebirge. Sechshundert Jahre lang hat der Bergmann die Wasserkraft ausgenutzt, bevor ihm durch die Dampfmaschine eine neue Kraftquelle erschlossen wurde. Mit klugem Verstand, hohem technischem Können und ungeheurem Fleiß machte er sich den Berg und das Wasser untenan. Die Leistungen der Bergleute in alter Zeit erseheinen noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß die Gruben keineswegs große Belegschaften aufwiesen. Oft arbeiteten kaum ein Dutzend Bergleute in den „Pingen", wie die erste» Gruben hießen, die nur wenige Me23
ter in die Erde hineinreichten. Wenn die nahe der Erdoberfläche gelegenen Erzvorkommen ausgebeutet waren, so daß die Gruben tiefer abgeteuft werden mußten, wuchs die Zahl der Bergleute einer Grube. An heutige Belegschaftszahlen von Bergwerken reichten sie nicht heran. Wenn von den Bergleuten Werke vollbracht wurden, die noch heute unsere Bewunderung erregen, dann liegt die Kraftquelle zu solchen Taten nicht nur in der geschickten Ausnutzung der Naturgegebenheiten. Auch damals mußten noch andere Dinge hinzutreten, um ein Gemeinwesen von Bergleuten emporblühen zu lassen. Die Zauberformel hieß: Ordnung im Bergwesen — Bergfreiheit und Bergordnung. Nur mit ihrer Hilfe konnte der Bergbau zu einem solch bedeutenden Kulturträger werden, wie er es die Jahrhunderte hindurch gewesen ist.
Die Gewerke Man schrieb das Jahr 1521 . . . Im alten Kupferbergbaugebiet des Reiches, im Mansfelder Land, lasen die Bergleute an Maueranschlägen eine Kunde, die schon öfter zu ihnen gedrungen war. Der Fürst eines fremden Landes versuchte sie unter großen Versprechungen anzuwerben: „So Gott Gnade würde geben, daß sich Bergleute in unserer Herrschaft seßhaft würden niederlassen und bauen, so wollen wir ihnen alle Erb- und bürgerlichen Gerichte aus Gnaden zugestellt haben, und daß sie unter sich Burgemeister, Richter und Rat zu erwählen Recht haben . . . Wir ordnen auch hiermit an und lassen zu, alle Sonnabende einen freien Wochenmarkt, auch sonsten alle Tage, wo eine freie Bergstadt in unserer Herrschaft erbaut würde, zu halten". Die Kupferbergleute überlegten und beratschlagten: Sollten sie nach dem „Gelobten Land" auswandern oder sollten sie hier bleiben und alles beim Alten lassen? Sie entschieden sich für die Heimat der Väter, denn ihr Kupferbergbau erschien ihnen sicherer als die vage Aussicht, in einer fremden Herrschaft, einem kleinen Fürstentum vielleicht, eines Tages auf Silberadern im Gebirge zu stoßen. Jahre danach klebten wieder Anschläge an ihren Häusern. Diesmal versprach ein benachbarter Landesherr: Markt- und Braurechte, Freiheit zum Backen und Schlachten, zum Ausschenken von Wein und Bier, Zollfreiheit für Handel und Hantierung und Freiheit von Steuern und Hofdienst, hohe Prämien für den Fund silberhaltiger 24
Gänge beim Schürfen, Ausrodung von Waldparzellen, ohne dafür etwas zu zahlen, Freistätte für solche, die in der Notwehr oder sonst unvorsätzlich einen Totschlag begangen haben (also keinen gemeinen Mord), Freistätte für Schuldner in anderen Staaten rundum, Vogelfang und freies Fischen, Abgabefreiheit, keine Herren- und Hofdienste, forstzinsfreies Holz usw. Wenn wir heute diese lange Liste durchlesen, dann vermögen wir aus diesen Versprechungen zu erschließen, wie eingeschränkt durch Verordnungen das Leben der Untertanen damals ablief. Die Mansfelder Kupferbergleute ließen sich nicht locken. Dagegen machte sich ein Trupp Bergleute aus dem Erzgebirge, wo die Kundmachungen ebenfalls verbreitet wurden, unter Führung ihrer Steiger auf den Weg. Sie hatten manches Land zu durchwandern, bevor sie ihre neue Heimat erreichten. Ein Blick auf die bunte Landkarte des damaligen Deutschlands zeigt, wie das Reich in viele hundert Fürstentümer zerfallen war. In jedem Fürstentum regierte der Landesherr, wie es ihm beliebte. Und allen war daran gelegen, Bergleute ins Land zu ziehen, die das begehrte Silber, das dem Landesherrn Reichtum und Macht versprach, den Bergen entreißen könnten. Die Chroniken berichten, daß VQn den erzgebirgischen Knappen wenige Jahrzehnte danach viele wieder in ihre Bergheimat nach Sachsen und Böhmen zurückkehrten, da sie im „Gelobten Lande" fast verhungert waren. Der erhoffte Reichtum an Silberadern war ausgeblieben. Die von ihnen erbauten Hütten wurden für einen Taler das Stück auf Abbruch verkauft. Die Chronik erzählt weiter, daß im 16. Jahrhundert oft Bergmannszüge auf Wanderschaft in die Fremde gingen, daß die Seßhaftigkeit der Bergleute aber vom guten „Anbruch", dem Auffinden neuer Erzadern, abhing. Die Versprechungen, welche die Fürsten jener Zeit neu zuwandernden Bergleuten machten, bildeten die Kernstücke der Bergfreiheit, die man fast überall den Bergleuten zusicherte. Wo ein neuer Bergbau begonnen wurde, fanden sich bald arbeitsuchende Bergleute ein. Für jeden neuen Bergort, er mochte schon eine stattliche Reihe Häuser aufweisen oder vorerst nur aus primitiven Blockhütten bestehen, erließ der Landesherr die „Bergfreiheit", die in vielen Gegenden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Gültigkeit besaß. Erst das moderne Steuerwesen, das vor etwa über hundert Jahren an die Stelle der persönlichen Dienste und Naturalabgaben trat, bereitete den Bergfreiheiten ihr Ende. Die Bergleute, 25
die oft gezwungen waren, sich weit außerhalb der nächsten menschlichen Siedlungen — in den Tälern der erzhaltigen Gebirge — niederzulassen, wurden zu Kolonisatoren, denen viele heute noch blühende Städte ihre Existenz verdanken. In jenen Städten war die Grundlage des bürgerlichen Rechtes ebenfalls die Bergfreiheit. Gab die Freiheit dem Bergmann seine Rechte, bildete sie ein soziales Versprechen an den Arbeiter, so bestimmte ihr Gegenstück, die Bergordnung, wie ein Bergwerk besitzrechtlich und technisch anzulegen war. Die Bergordnung war das „Gesetzbuch des Grubenbesitzers". Sie war vor allem in der alten Zeit vom Mittelalter bis nach dem Dreißigjährigen Kriege (1648), als die Bergwerke oft noch in Privatbesitz waren, von Bedeutung. Später beanspruchte der Landesfürst alle Rechte am Bergbau. Vergleicht man die Bergordnungen der alten deutschen Bergbaugebiete miteinander, dann stellt sich heraus, daß die Grundgedanken der Bergordnungen aus dem Erzgebirge stammen. Die Berggerichte zu Annaberg und Freiberg in Sachsen wurden bis ins 17. Jahrhundert als Schiedsinstanzen angerufen — ein Beweis für die führende bergrechtliche Stellung des erzgebirgischen Bergbaus. Die Bergordnungen aus dem 16. Jahrhundert sind rechtlich so einwandfrei, daß eine ganze Reihe von juristischen Verordnungen in das moderne Bergrecht übernommen wurden. In den alten Bergordnungen wird von Gewerken oder Gewerkschaften und Kuxen gesprochen. Gewerkschaften sind nicht im heutigen Sinne als Arbeitnehmervertretungen anzusehen, sondern die Gewerke waren der Zusammenschluß von Genossen zu gemeinsamer Arbeit und gemeinsamem Gewinn. Eine Genossenschaft im heutigen rechtlichen Sinn blieb das Grubengewerk bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, bevor die Aktiengesellschaften aufkamen. Name und Stand der Genossen eines Bergwerksgewerks sind in den erhaltenen Rechnungsbüchern nachzulesen: Die kleinste Gruppe bilden die arbeitenden Bergleute selbst, dann folgen kapitalkräftige Bergleute, die oft in mehreren Bergbaugebieten Kuxen besaßen, ohne selbst dort tätig zu sein, und Kaufleute aus •den Hansestädten von der Wasserkante bis nach Leipzig. Hier und dort trifft man auch auf die Namen weltlicher und geistlicher Fürsten. Die Geschichtsschreiber noch des 19. Jahrhunderts haben angenommen, daß seit je ein „Bergregal" bestand, ein Hoheitsrecht, das dem Landesherrn den Besitz an allen Erzvorkommen sicherte. Diese Annahme erwies sich nach neueren Forschungen der Bergrechtler als 26
ein Irrtum. Die erste historische Periode des Bergbaus in Deutschland nach dem Jahre 1000 gründete ihr Bergrecht, soweit man damals überhaupt von einem solchen sprechen kann, auf den Landbesitz. Wer das Land — Feld oder Wald — besaß, dem gehörte auch das, was unter dem Erdboden sich barg. Der Begriff des Bergregals gelangte erst viel später in das Bergrecht. Als erste erhoben die selbständigen Regierungen der mächtigen oberitalienischen Städte, wie Venedig, Mailand und Genua, die für ihren Handel geprägtes Gold und Silber brauchten, Anspruch auf alle Silbervorkommen in ihrem Hoheitsgebiet. Später hat die Kolonisation in Deutschland zur Abänderung des alten Besitzrechtes beigetragen. Als das „Altreich" im Osten siedelte, wo in Böhmen und in der Mark Meißen der dort ansässige Bergbau anderen Gesetzen gehorchte, vermischte sich bei dem Hinüber und Herüber der leitenden Bergleute, die neuen Anbrüchen und Bergfreiheiten nachzogen, altdeutsches und koloniales Recht. Allmählich entstand das Bergregal, das den Landesherrn ermächtigte, über die Bodenschätze unabhängig vom privaten Landbesitz zu verfügen. Vom Beginn der Neuzeit-bis zum Dreißigjährigen Kriege bildete die Wirtschaftsform der Gewerke mit den Genossen als Grubenbesitzern das Rückgrat für den Fortschritt im Bergbau. Nach dem Dreißigjährigen Kriege änderte sich das Bild aus den oben angegebenen Gründen. Zudem waren die ehemaligen Geldgeber und Teilhaber der Bergleute, die Kaufleute der Städte, meist verarmt. Es wird von den einst reichen Magdeburger Kaufherren berichtet, daß sie durch die Plünderung und Zerstörung ihrer Stadt im Jahre 1631 arm wie die Kirchenmäuse wurden. So konnten viele der alten nichttätigen Gewerksmitglieder keine „Zubuße" mehr zahlen, wenn eine Grube längere Zeit ohne Ausbeute (Gewinn) blieb und trotzdem aufrecht erhalten werden sollte, da man jederzeit mit einem neuen Anbruch, der Auffindung einerErzader, rechnen mußte. In dieser Zeit traten die allmächtigen Landesherren an die Stelle der Gewerke. Sie beanspruchten den Besitz auf alle Gruben, die in ihren Landesgrenzen lagen. Im 20. Jahrhundert, als die Monarchien größtenteils den Demokratien wichen, gingen die fürstlichen Gruben in Staatsbesitz über. Die Gewerke erhielten ihre Nachfolger in den Aktiengesellschaften unserer Tage. Während der Erzbergbau die älteste Form der Bodenschatzhebung darstellt, wobei das Eisenerz den Vorrang vor dem Silber- und Bleierz hatte, gelangte erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts der Stein27
Kohlenabbau zu größerer Bedeutung. Er rangierte bis vor einem Jahrhundert noch weit hinter dem Erzbergbau. Der früher noch wenig entwickelten Industrie genügte die Holzkohle, die der Köhler im Walde gewann, wenn er das Fichtenholz unter Luftabschluß in seinem Meiler verkohlen ließ, als Brennmaterial. Deutschland war damals noch von riesigen Altwäldern bedeckt, die Unmengen von Holz lieferten. In der Bergordnung von 1542 für Kleve-Berg-Jülich-Mark wird die Steinkohle noch nicht erwähnt. Erst nach 1600 spricht man an der Ruhr von Brand-, Land-, Kalk- und Schmiedekohlen. Aber erst seit 1700 begann man mit der erhöhten Förderung von Steinkohle. Friedrich IL von Preußen, der „Alte Fritz", schrieb 1764 eine Prämie von 50 Talern aus für denjenigen, der eine Arbeitsanweisung für die Verwendung von Steinkohle in der Eisenindustrie der Mark angeben könne. In der alten Zeit waren es die Gewerke, deren Gemeinschaftsleistung der Bergbau seine großen Fortschritte, besonders in der Zeit zwischen 1500 und 1700, verdankt. In der Zeit der Fürstenherrschaft wurde der Bergmann, dessen Beruf einst einen stolzen Klang hatte, zum geplagten Fronknecht, der sich kaum zu eigenschöpferischen Gedanken und Taten aufraffen konnte. Erst als zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine neue Luft der Freiheit über dem durch Fürstentyrannei geknebelten Deutschland wehte, besann sich auch der Bergmann wieder auf seine alte Kraft. In dieser Zeit, die durch die Kriege Napoleons und die Änderung der sozialen Verhältnisse viel äußere Not brachte, erdachte er eine Reihe großartiger Erfindungen. Sie trugen nicht zuletzt dazu bei, manche Schwierigkeiten zu überwinden, die den Fortschritt gehemmt hatten. Dabei ist es charakteristisch für das Fortwirken des alten Gewerksgedanken, daß an diesen Erfindungen Männer vom einfachen „Kunstknecht", der an den Wasserrädern wirkte, bis zum Bergbaumeister und zum Oberbergrat, dem obersten Leiter einer ganzen Bergbaulandschaft, Anteil hatten. Im Bergbau kann nur die Gemeinschaft Gutes wirken.
Bergleute als Erfinder Es ist im Jahre 1835 . . . Die wirtschaftlichen Krisen der Franzosenzeit, die dadurch herbeigeführten internationalen Schwankungen in den Preisen derBerg28
bauprodukte, das aufkommende Industriezeitalter, symbolisiert durch die Dampfmaschine, tragen von außen an den Bergbau Forderungen heran, die er mit seinen bisherigen technischen Einrichtungen nicht zu erfüllen vermag. Jahrelange Teuerung des Brotgetreides, der Übergang von den aufgehobenen Bergfreiheiten zum modernen Steuer- und Zollwesen schafft unhaltbare Zustände im Bergwerk. Das tägliche Leben des Bergmanns gestaltet sich von Jahr zu Jahr schwieriger. Die Techniker des Bergbaus arbeiten verbissen, um neue Methoden des Abbaus zu finden, die die Förderung von Kohle und Erz rentabler gestalten. Die steigende Kurve der Ausbeutung von Schätzen der Erde, seien es Erze oder Kohle, läßt die Gruben immer tiefer werden. Dabei zeigen sich drei Probleme, die dem Bergbau an den Lebensnerv greifen. Alle drei Probleme hängen mit der zunehmenden Tiefe der Gruben zusammen. Im Erzbergbau haben die Teufen eine Tiefe von über 700 Metern unter dem Erdboden erreicht. Die hölzernen Tonnen, die das Erz heraufholen, sind in dieser Tiefe kaum noch verwendbar. Das eiserne Kettenseil, an dem sie hängen, wiegt bei 400 Meter Grubentiefe schon 30 Zentner, das ist das Fünffache des Eigengewichts der Tonne. Kettenbrüche sind an der Tagesordnung. Da gelingt es Oberbergrat Albert, dem Leiter der Harzer Bergwerke, um das Jahr 1834, nach zehnjährigen Versuchen, bei denen ihn seine Mitarbeiter tatkräftig unterstützen, aus zwölf dünnen Eisendrähten ein Geflecht herzustellen, das dünner ist als das Hanfseil, das billiger hergestellt werden kann und das Mehrfache an Zugkraft aushält. Als „Albertsches Drahtseil" ist es in die Geschichte der Technik eingegangen. Das Problem war gelöst: Nun konnten aus größten Tiefen die Bodenschätze heraufgeholt werden. Die Drahtseile der modernen Fördertürme sind nichts weiter als eine Weiterentwicklung der Albertschen Idee. Je tiefer ein Schacht ist, um so bedrohlicher wird auch die Menge des sich ansammelnden Wassers, das aus der Grube hinausgeschafft werden muß. Bei 700 Meter Schachttiefe hörte die Leistungsfähigkeit der alten Kehrräder auf. Da kam ein bayrischer Bergmann auf den Gedanken, die Arbeitsweise der Dampfkolben auf die Wasserpumpen zu übertragen. An die Stelle des Dampfdruckes trat der Druck einer hohen Wassersäule. Mit diesem Wasserdruck wurden nunmehr die Kolben bewegt. Die Wassersäulenmaschine, im Erzgebirge und im Harz weiter verbessert, halfen den Bergwerken in 29
aller Welt, mit dem Problem der Entwässerung tiefliegender Stollen fertigzuwerden. Schaffte ein Wasserrad unter Tage 10 PS, so leistete eine Wassersäulenmaschine 35 PS. Das zweite Problem war damit gelöst. Erst zu Beginn unseres Jahrhunderts setzte man die letzten Wassersäulenmaschinen außer Betrieb, um endgültig auf elektrische Kraft überzugehen. Fast ein Jahrhundert hat die Zwischenlösung zwischen Wasserrad und moderner elektrischer Kraft dem Bergmann gedient. Das dritte Problem betraf den Bergmann selbst. Er fuhr zumeist noch immer über seine Leitern in die Grube. Das war bei den tiefen Gruben eine langwierige und Kraft erfordernde Arbeit, die der eigentlichen schaffenden Arbeit vor Ort fast gleichkam. Ein Kunstknecht kam damals auf den Gedanken der „Fahrkunst", der von anderen vervollkommnet und bald in den meisten größeren Bergwerken eingeführt wurde: „Die Fahrkunst besteht aus zwei senkrecht im Schacht hängenden hölzernen oder eisernen Gestängen, an welchen Trittbretter und Handgriffe angebracht sind. Die Gestänge werden nun . . . in eine auf und niedergehende Bewegung versetzt, und zwar so, daß jedesmal, während das eine nach oben geht, das andere sich um den gleichen Betrag senkt. Zwischen jeder einzelnen Auf- und Abwärtsbewegung tritt ein Moment des Stillstandes ein, in welchem die Trittbretter sich gerade gegenüberstehen. Diesen benutzt jedesmal der Bergmann, um auf das am andern Gestänge befindliche Trittbrett überzutreten und dadurch mit der nächsten Gestängebewegung in seiner Richtung weiterzufahren, während das Stehenbleiben ihn zurückbefördern würde" (Beschreibung in einem alten Sachbuch). Nun brauchte der Bergmann nicht mehr stundenlang über die Leitern in die Grube hinab- oder aus dem Schacht heraufzusteigen, sondern konnte sich auf den Trittbrettern von den Stangen tragen lassen. Ältere Bergleute, denen zum Steigen schon „die Puste ausgegangen war", so daß sie als arbeitsunfähig galten, vermochten noch einmal mit der Bergarbeit zu beginnen. Bis zur allgemeinen Einführung der Personen-Seilfahrt mit den Förderkörben galt die neue Fahrkunst als viel beachteter Fortschritt. Heute ist nur noch eine einzige solche Fahrkunst als historische Sehenswürdigkeit in Betrieb. Auf ihr fahren die Wärter der hydroelektrischen Zentrale in einem Schacht in St. Andreasberg (Harz) mehrere hundert Meter tief in den Berg, wenn Arbeiten an den Generatoren verrichtet werden. 30
Gegen Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren diese Erfindungen abgeschlossen. Sie retteten den Bergbau vor dem Erliegen. Jetzt konnten auch die Tiefen über 700 Meter ohne Schwierigkeit befahren werden. Dampfkraft, Motorenkraft und elektrische Kraft haben diese Erfindungen schon wenige Jahrzehnte später in die Bergwerksmuseen abwandern lassen. Damals aber stifteten sie großen Segen. Bis auf das Drahtseil kennt sie die junge Generation der Bergleute nicht mehr, die Namen ihrer Erfinder sind vergessen.
Hinaus in alle Welt Bergleute sind von Deutschland aus in alle Welt gewandert, besonders aber in die jungen Staaten im Westen des Atlantischen Ozeans. Dort fanden sie jungfräuliches, unverbrauchtes Land und die persönliche Freiheit, auf die der Bergmann zu allen Zeiten hohen Wert gelegt hat. Sie brachten ihren Fleiß und ihre Lebenstüehtigkeit, ihr Berufswissen und ihren Handwerkerstolz mit in die neue Heimat. Vom Ende des 18. Jahrhunderts an, als die Erzgruben, besonders die Edelmetallgruben, in Deutschland und Mitteleuropa sich erschöpften, formierten sich große, von den Landesregierungen unterstützte Auswandererzüge von Bergleuten und ihren Familien. Tausende waren es manchmal, die gemeinsam die Dörfer und Städte verließen, die von ihren Vorfahren gegründet worden waren. NeuSchottland in Nordamerika, Pennsylvanien, New York und SüdCarolina waren die bevorzugten Ziele, später Mexiko, Brasilien und Süd-Australien. Als der Siegeszug der Steinkohle einsetzte, versiegte der Auswandererstrom. Der Kohlenbergbau brauchte notwendig das seit alters vererbte Fachwissen des Bergmanns. Eine neue Blütezeit des Bergwesens, an der auch der Bergmann seinen Anteil hatte, begann. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bildvorlagen: Deutsches Museum, München L u x - L e s e b o g e n 259 ( T e c h n i k ) — H e f t p r e i s 2 5 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, Oberbayern. Seidl-Park. — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth 31
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