Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 553 All‐Mohandot
Überlebenschance Null von Falk‐Ingo Klee
Atlans Kampf um ...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 553 All‐Mohandot
Überlebenschance Null von Falk‐Ingo Klee
Atlans Kampf um die SOL
Seit Dezember des Jahres 3586, als die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört. Schließlich ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den März des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inmitten der Galaxis Flatterfeld, die ihre Bewohner All‐Mohandot nennen, kommen auf die Solaner nun schwerwiegende Entscheidungen – und harte Auseinandersetzungen zu. Dies betrifft besonders die Besatzung der abgekoppelten SZ‐2 – und Atlan selbst. Für den Arkoniden geht es einmal mehr um alles oder nichts. Er nimmt den Kampf gegen einen vielfach überlegenen Gegner auf – dabei ist seine ÜBERLEBENSCHANCE NULL …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide in einer tödlichen Auseinandersetzung. Romeo ‐ Der Roboter strebt die Vereinigung mit Julia an. Palo Bow ‐ Der ehemalige Magnide will Atlan retten. Pathos ‐ Eine steinerne Intelligenz. Order‐7 ‐ Der falsche High Sideryt. Bora St. Felix und Joscan Hellmut ‐ Der falsche High Sideryt verurteilt sie zum Tode.
1. »Sagst du mir endlich, wo ich Julia finden kann?« »Nein«, stieß ich hervor, obwohl mein Extrasinn warnte: Romeo meint es ernst! Der Druck der synthetischen Hände verstärkte sich. Wie Schraubstöcke umklammerten die Extremitäten des Robots meinen Hals. Mir wurde die Luft knapp. »Das befohlene Werk muß erfüllt werden. Verrate mir endlich, wo ich Julia finde, sonst töte ich dich«, drohte SENECAS Ableger. »Wenn du mich umbringst, nützt dir das auch nichts«, brachte ich röchelnd hervor. Meinen Appell an die Logik ignorierte Romeo völlig. Erbarmungslos drückte er fester zu. Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach, bunte Ringe tanzten vor meinen Augen, dennoch biß ich die Zähne zusammen. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Du darfst es ihm nicht sagen, hämmerte ich mir selbst ein. Er ist kein Teil der SOL mehr, sondern das Werkzeug einer fremden Macht. Du mußt durchhalten, nur so kannst du ein Unglück verhindern. Wie willst du das anstellen, wenn du tot bist? Auch der Zellaktivator kann dich nicht davor schützen, zu ersticken oder erwürgt zu werden! Das weiß ich selbst, gab ich wütend zurück und versuchte mit
aller Kraft, mich aus der mörderischen Umklammerung zu befreien, doch es gelang mir nicht. Der Automat hielt eisern fest und wich und wankte nicht. Die Umgebung verschwamm, mir wurde schwarz vor Augen. Bevor mir die Sinne schwanden, ließ mich Romeo plötzlich los. Das kam für mich so unerwartet, daß ich das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Benommen blieb ich liegen und schnappte gierig nach Luft. Nachdem ausreichend Sauerstoff in die Blutbahn geraten war, klärte sich mein Blick wieder. Unbewegt wie eine Statue stand Romeo in der Zentrale der Space‐Jet. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, beinahe zeitlupenhaft, erhob ich mich und massierte die schmerzenden Halspartien. Was für eine Teufelei plante dieses Scheusal jetzt? Mißtrauisch beobachtete ich den Roboter, der von seiner äußeren Gestalt her eher lächerlich wirkte. Der kastenartige Körper mit den dünnen Armen und Beinen entsprach jener Vorstellung, die man sich im 20. Jahrhundert von einem Automaten gemacht hatte. Dazu paßte auch der viereckige Kastenkopf, der auf einem kurzen, beweglichen Hals thronte. Leuchtende Augen, Ohren aus Antennendraht und der große Mund, der auf‐ und zuklappte, vervollständigten das Bild einer Robotkarikatur, doch der äußere Schein trog; Romeo war alles andere als naiv oder gar dumm im positronischen Sinn, im Gegenteil. Die skurril gestaltete Maschine drehte den eckigen Kopf und musterte mich mit ihren Leuchtaugen. »Ich brauche deine Hilfe nicht mehr, Atlan.« Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Entgegen meiner Überzeugung fragte ich: »Du gibst also auf?« »Nein, ich habe eine Information erhalten, wo ich Julia finden kann.« »Wer hat dir die Botschaft übermittelt?«
»In deiner Lage sollte dir das egal sein. Schließlich hat dich die Information davor bewahrt, sterben zu müssen.« Das stimmte – wenigstens für den Augenblick. Ich gab mich keinerlei Illusionen hin. Auf Gedeih und Verderb war ich Romeo ausgeliefert; wenn er es darauf anlegte, mich zu töten, war mein Schicksal besiegelt, aber es entsprach nicht meiner Mentalität, einfach aufzugeben. Zwar war ich eindeutig unterlegen, aber ich mußte versuchen, mögliches Unheil abzuwenden; das betraf nicht nur meine Person, sondern vor allem die SOL. Du bist ein unverbesserlicher Optimist, meldete mein Extrahirn. Ich verzichtete auf eine gedankliche Erwiderung und konzentrierte mich auf Romeo. »Was hast du vor?« Der Robot schwieg. »Findest du dein Verhalten nicht selbst merkwürdig?« Meine Worte machten keinen Eindruck auf ihn. Stur wie ein simpler Reinigungsautomat dirigierte er mich aus der Kanzel zur Funkzentrale, wo er mich wortlos einsperrte. Ich verzichtete darauf, Widerstand zu leisten; waffenlos und ohne Ausrüstung hatte ich nicht die kleinste Chance, ihn zu überwinden. Kaum, daß der Robot den Raum verlassen hatte, inspizierte ich die Funkgeräte; wie nicht anders zu erwarten war, funktionierten sie nicht mehr. Jemand – vermutlich Romeo – hatte sie unbrauchbar gemacht, so daß es mir nicht möglich war, Hilfe von außen herbeizurufen. Ohne große Hoffnung, ein intaktes System zu finden, untersuchte ich das übrige Instrumentarium. Zu meiner Überraschung gelang es mir, eine Verbindung zur Zentrale zu schalten – sowohl optisch als auch eine Datenleitung. So konnte ich verfolgen, wie Romeo den Kurs änderte und auf eine kleine rote Sonne zuhielt, die 0,7 Lichtjahre von Hoffnung‐1 entfernt war; wir hatten ihr den Namen »Taucher« gegeben. Damit war klar, daß der Roboter wirklich wußte, wo sich Julia
befand. Auf mein Geheiß hin war sie von Bord der SZ‐2 gebracht worden zu eben diesem Gestirn. Das Kommando über den Kreuzer hatte Palo Bow. Nachdenklich ließ ich mich in einen Sessel sinken. Woher hatte SENECAS Komponente die Information bekommen? War die Macht dafür verantwortlich, die sich seiner bemächtigt hatte? Bevor mich Romeo verschleppte, hatte er sich mir teilweise offenbart und mich einen Blick in seinen Körper tun lassen. Er beinhaltete einen kopfgroßen Block aus einem pulsierenden Material, das ein blaues Energiefeld umgab; wie er mich wissen ließ, verfügte Julia über ein entsprechendes Pendant. Beide Teile müßten vereinigt werden, um das befohlene Werk zu erfüllen. In diesem Zusamenhang erinnerte ich mich an SENECAS Warnung vor etwa einem Jahr. Einer seiner Abgesandten sagte damals, als Julia nach ihrem Amoklauf durch die SOL wieder unter Kontrolle gebracht werden konnte: »Die Vereinigung der Einheiten Romeo und Julia hätte das Ende der SOL zur Folge.« Weder damals noch heute zweifelte ich daran, daß SENECA die Wahrheit sagte, doch deutlicher als je zuvor empfand ich nun, daß etwas Furchtbares geschehen würde, wenn es wirklich dazu kam. Unter allen Umständen mußte ich das verhindern. Wie willst du das anstellen? Ich weiß es selbst noch nicht, gab ich gedanklich zurück und stand auf. Mehr aus der inneren Unruhe heraus, etwas tun zu müssen, als aus Überzeugung begann ich, die Einbauschränke zu untersuchen. Vielleicht fand sich etwas, das sich als Waffe verwenden ließ. Natürlich entdeckte ich nichts. Hast du etwas anderes erwartet? Wenn ich ehrlich bin – nein, aber ein Schrank bleibt ja noch. Und nun hoffst du natürlich, dort alles zu finden, was du brauchst, nicht wahr? Laß mich mit deinem Spott zufrieden, dachte ich ärgerlich und riß
wütend die Tür auf. Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu dürfen. Nachdem ich mich fast schon damit abgefunden hatte, zur Untätigkeit verdammt zu sein, sah die Sache auf einmal wieder völlig anders aus: Direkt vor mir baumelte ein kompletter Raumanzug. Und nicht nur das, er verfügte auch über einen Impulsstrahler und einen Paralysator. Rasch checkte ich alles durch. Der Schutzanzug war von bester Güte und völlig intakt, der Luftvorrat reichte für zwölf Tage; außerdem verfügte der Raumanzug über einen Individualschutzschirm. Die Energieversorgung funktionierte einwandfrei, die Ladekontrollen der Waffen zeigten fast Optimalwerte an. Und in den Taschen fand sich zahlreiches technisches Kleingerät, das mir nützlich sein konnte. Was sagst du nun? triumphierte ich innerlich. Nur ein Narr kann auf den Gedanken kommen, mit dieser völlig unzureichenden Ausrüstung gegen Romeo anzutreten. Warte es ab. Du wirst schon in Kürze Gelegenheit erhalten, deine Ansicht über meine geistigen Werte zu revidieren, dachte ich voller Grimm. Sei nicht so stur. Du weißt genau, daß du den Roboter nicht einmal in Bedrängnis bringen kannst; doch du bist bereits beim ersten Angriff ein toter Mann. Ganz unrecht hatte mein Extrasinn nicht. Mit einem Impulsstrahler dieses Kalibers war den Paratronschutzschirmen Romeos nicht beizukommen, während es seinerseits ihm mit seinen Waffen ein leichtes war, meinen Schutzschirm zu durchbrechen. Viel Hoffnung, zum Erfolg zu kommen, hatte ich selbst nicht; was ich vorhatte, geschah mehr aus innerer Verzweiflung heraus. Ich mußte zumindest versuchen, den Plan zu durchkreuzen und dem Verderben Einhalt zu gebieten – selbst um den Preis meines eigenen Lebens. Immerhin rechnete ich mir eine winzige Chance aus; wenn der clevere Robot schon den Raumanzug übersehen hatte, machte er
vielleicht auch noch einmal einen Fehler. Ein Blick auf die Anzeigen informierte mich darüber, daß wir Taucher noch nicht erreicht hatten. Mit gewohnter Routine legte ich den Raumanzug an, vergewisserte mich noch einmal, daß alles funktionierte und aktivierte das Defensivsystem. Den Paralysator legte ich ab. Bei der bevorstehenden Auseinandersetzung würde er eher hinderlich sein, statt dessen nahm ich den Impulsstrahler zur Hand. Du stehst im Begriff, die größte und zugleich letzte Dummheit deines Lebens zu begehen! Das hast du schon oft behauptet, gab ich gedanklich zurück. Dennoch vielen Dank für die Warnung. Einige Schritte vor dem Schott nahm ich Aufstellung und drückte den Auslöser der Waffe. Ein kurzer Feuerstoß genügte, um das positronische Schloß zu zerstören. Ungehindert konnte ich mein Gefängnis verlassen, doch ich gab mich keinerlei Illusionen hin. Der Kampf, der nun bevorstand, würde der schwerste meines Lebens werden. Romeo war nicht nur ein Robot von ungeheuer hoher Qualität, sondern zugleich ein mobiler Rechner, dessen Kapazität einer älteren Gigantelektronik in nichts nachstand. Dem setzte ich meinen Verstand und eine zehntausendjährige Erfahrung dagegen. Mich hast du wohl vergessen? entrüstete sich mein Extrasinn. Unwillkürlich mußte ich lächeln. Anscheinend hatte er eingesehen, daß er mich von meinem Vorhaben nicht abbringen konnte. * Ich war nicht so naiv, zu glauben, daß meine Aktivitäten unbemerkt geblieben waren. Der Roboter verfügte über Sensorgruppen, die nicht nur optische und akustische, sondern auch energetische Reize
und Eindrücke erfassen konnten, also war ich auf der Hut. Neben dem Schott zur Zentrale preßte ich mich in einen toten Winkel; wenn er mir drinnen auflauerte, war es ihm unmöglich, einen Treffer anzubringen. Während ich noch überlegte, wie ich es am klügsten anstellen konnte, relativ ungeschoren in Romeos Nähe zu gelangen, öffnete sich plötzlich der Durchlaß. Also hatte er mich bereits geortet. Er stellt dir eine Falle! Ein so ahnungsloses Wild bin ich nun auch wieder nicht, gab ich gedanklich zurück. Reglos verharrte ich auf der Stelle, dabei waren meine Nerven zum Zerreißen gespannt. Ich bemerkte, daß meine Augen feucht wurden – ein deutliches Zeichen meiner Erregung. »Warum versuchst du, Versteck zu spielen, Atlan?« fragte Romeo mit seiner knarrenden, ulkig klingenden Robotstimme. »Ich weiß nicht nur, wo du bist, du bist mir auch hoffnungslos unterlegen.« »Beweise es mir!« »Du weißt, daß ich recht habe, also laß den Unsinn und gib auf.« »Und wenn ich das nicht tue?« versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken. »Ich habe weder Zeit noch Lust, mich mit dir zu beschäftigen.« Seine Stimme klang ärgerlich. »Wichtig ist nur die Vereinigung mit Julia. Das Werk muß erfüllt werden, und ich stehe dicht vor dem Ziel.« Sein Auftrag scheint ihm im Augenblick wichtiger zu sein als du. Außerdem weiß er, daß du ihm nicht gefährlich werden kannst. Vielleicht war das meine Chance. Seiner Äußerung war zu entnehmen, daß er mich nicht nur als verhältnismäßig harmlos einstufte, sondern daß die Programmierung, den Plan zu vollenden, absolute Priorität hatte. Wer immer das auch dem Robot eingegeben hatte – er mußte dafür in Kauf nehmen, daß Romeo dadurch in seinen Entscheidungen beeinträchtigt wurde. Ob und inwieweit das der Fall war, mußte sich erweisen, deshalb versuchte ich es mit einem Trick und hoffte, daß mein synthetischer Gegner darauf
hereinfiel. Im Schutz meines Individualschirms ging ich rückwärts zehn, zwölf Schritte zurück, immer darauf gefaßt, daß der 2,50 Meter große Robot plötzlich auftauchte und mir den Garaus machen wollte, doch meine Befürchtung bewahrheitete sich glücklicherweise nicht. Rasch desaktivierte ich den Schutzschirm und das Anzugsystem, schlug den Helm zurück und war damit energetisch praktisch tot. Was du vorhast, ist bodenloser Leichtsinn! Ich kümmerte mich nicht um den Einwand und schlich geräuschlos zum Schott zurück. Es war hoch immer geöffnet. Romeo mußte sich entweder sehr sicher fühlen, oder er … Ich verzichtete darauf, den Gedanken fortzuführen, zumal es zu nichts führte. Nichts war deprimierender als psychologische Kriegsführung gegen sich selbst. Darauf bedacht, jegliches Geräusch zu vermeiden, ging ich langsam in die Hocke. Wenn der Robot jetzt auftaucht, bist, du erledigt. Und du mit mir, ließ ich meinem Groll freien Lauf. Manchmal beneide ich wirklich die Terraner, die sich nicht mit so einem pessimistischen Extrahirn herumschlagen müssen. Es ist müßig, darüber zu streiten – zumal in einer solchen Situation. Konzentriere dich lieber auf deine selbstgestellte Aufgabe! Ich tat es und spähte vorsichtig um die Ecke, bereit, mich sofort zurückzuziehen. Meine Vorsicht erwies sich als überflüssig. Romeo stand vor den Kontrollen und wandte mir den Rücken zu. Sein erikafarbener Körper aus Ynkelonium‐Terkonitstahl war von einem Schutzschirm umgeben; damit war er praktisch unangreifbar geworden. Er schon, aber nicht die Zentrale. Der Hinweis meines Extrasinns ließ einen abenteuerlichen Plan in mir heranreifen. Nochmals blickte ich in den Raum, notierte gedanklich Entfernungen und prägte mir den Aufbau der Zentrale
und ihrer Deckungsmöglichkeiten ein, dann riskierte ich es. Mit einem gewaltigen Sprung katapultierte ich mich in die Höhle des Löwen … Noch während ich durch die Luft sauste, schloß ich den Helm, schaltete die Anzugversorgung und den Individualschirm ein und feuerte meine Waffe ab. Mit lautem Knall zerplatzte der Hauptbildschirm. Bösartig brummend wie zornige Hornissen sausten die Splitter der implodierten Anlage durch die Luft, doch sie vermochten weder mir noch dem Robot etwas anzuhaben, dafür richteten sie anderweitig Schaden an. Einige Kontrollen gingen zu Bruch. Obwohl das unmöglich war, glaubte ich, Ozon und verschmorte Isolierung riechen zu können. Alle diese Eindrücke erfaßte ich in Sekundenbruchteilen. Noch bevor ich hinter einem massiv wirkenden Schaltpult aufkam, bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus, wie Romeo herumwirbelte. Er fackelte nicht lange. Mit atemberaubendem Tempo fuhr er seine Strahler aus und feuerte zurück – noch aus der Drehung heraus. Und er traf mit der für Automaten typischen Präzision. Von einem auf den anderen Augenblick verwandelte sich meine Deckung in ein zusammengeschmolzenes Etwas. Bevor ich reagieren konnte, schoß der Ableger SENECAS erneut und ionisierte auch den kärglichen Rest. Allein die Streuenergie reichte aus, um die Anzeige meines Schirmfelds auf die Rot‐Marke hochschnellen zu lassen. Mit einem verzweifelten Satz warf ich mich zur Seite und entging nur knapp dem nächsten Feuerstoß. Um mich herum begann der Bodenbelag zu kochen. Fast schwarzer Rauch stieg in trägen Wolken nach oben. Möglicherweise hatten mich die dichten Schwaden davor bewahrt, getroffen zu werden; Romeo hatte seine Fähigkeit verloren, im Infrarot‐ und Ultraviolettbereich zu sehen. Aber deinen Schutzschirm vermag er zu orten! Verdammt, daran hatte ich im Augenblick nicht gedacht. Obwohl sich mein Risiko dadurch potenzierte, wagte ich es, ihn für einen
Moment abzuschalten und schnellte mich tiefer in den Raum hinein. Fast wurde es mir zum Verhängnis, daß ich den Individualschirm desaktiviert hatte. Ein glutheller Strahl fuhr gefährlich nah an meinem Kopf vorbei; lediglich meinen ausgeprägten Reflexen verdankte ich es, nicht tödlich getroffen zu werden. Notgedrungen aktivierte ich das Schirmfeld wieder und riskierte es, aufs Geratewohl meinen Strahler abzufeuern. Wenn es mir schon nicht gelang, Romeo zu vernichten, schaffte ich es vielleicht, soviel Zerstörungen anzurichten, daß die Space‐Jet manövrierunfähig wurde. Was dabei aus mir wurde, ließ ich einstweilen dahingestellt. Ich weiß nicht, was ich traf, aber die wütende Gegenwehr Romeos bewies mir, daß dieser meine Absicht durchschaut hatte. Er wollte mich unschädlich machen, bevor es zu gravierenden, nicht mehr zu reparierenden Schäden kam. Wieder löste sich die Anlage, hinter der ich Schutz gesucht hatte, quasi in nichts auf. Nun wurde meine Lage prekär; links und rechts von mir gab es keinerlei Deckungsmöglichkeiten. Mit einem gewaltigen Sprung katapultierte ich mich zur Seite weg, dabei unablässig feuernd. Ich landete ziemlich hart hinter einem Terminal. Die Sicht wurde zunehmend schlechter, was lediglich meinen Gegner begünstigte, denn er war nicht auf seine optischen Sensoren angewiesen. Wenn ich meine Haut retten wollte, wurde es Zeit, daß ich von hier verschwand, doch ich bezweifelte, daß es mir schon gelungen war, wichtige Einrichtungen lahmzulegen. Ist dir aufgefallen, daß Romeo nicht mehr schießt? Du hast recht, stimmte ich lautlos zu. Die Frage ist nur, ob das ein übler Trick ist oder ob er eine neue Taktik verfolgt. Da eine geistige Antwort ausblieb, beugte ich mich vorsichtig vor und versuchte mit zusammengekniffenen Augen, die dunklen Nebelschwaden zu durchdringen. Wie ein Schemen kam der in seine Schirmfelder gehüllte Robot auf mich zu. Er verzichtete darauf, seine Waffen einzusetzen und näherte sich mir und meiner
Deckung im Zickzack. Eine Art beweglicher Schild! durchzuckte es mich. Im selben Augenblick wurde mir klar, daß Romeo es darauf anlegte, das Instrumentarium der Zentrale zu schonen. Er wußte, daß ihm mein Impulsstrahler nichts anhaben konnte, und versuchte, die Anlagen vor einer Zerstörung durch mich zu bewahren. Die hektische Reaktion zu Anfang der Auseinandersetzung hatte mich zwar in schwerste Bedrängnis gebracht, aber sie lag weit unter dem Niveau des Robots, denn in seinem Bemühen, mich auszuschalten, hatte er wahrscheinlich mehr Schäden angerichtet als ich. Denkbar war, daß die veränderte Programmierung für diese Art Kurzschlußreaktion verantwortlich war, doch nun schien das Logikprogramm wieder die Steuerung übernommen zu haben unter Einbeziehung der Zusatzdaten. Er will dich immer noch töten, aber nicht mehr um jeden Preis, erkannte mein Extrasinn. Ich werde ihm eine Überraschung bereiten, dachte ich grimmig. Wie eine Materie gewordene Drohung kam das stählerne Ungetüm auf mich zu. In Abständen flammten bunte Lämpchen an seinem Körper und dem Kopfschild auf, seine Leuchtaugen waren starr auf mich gerichtet. Täuschte ich mich, oder knarrten seine Gelenke tatsächlich bei jedem Schritt? Tu endlich etwas! Rasch förderte ich aus den Taschen meines Raumanzugs einige Mikrosprengkapseln zutage, die durch einen einfachen Knopfdruck scharfgemacht wurden und mit einer Verzögerungsdauer von fünfzehn Sekunden explodierten. Der Roboter war mittlerweile bis auf fünf, sechs Schritte herangekommen. Noch immer machte er keine Anstalten, auf mich zu schießen, nur seine Hände zuckten wie im Krampf, als wollte er mich wie ein Insekt zerquetschen. Allein der Anblick der Maschine hätte ausgereicht, weniger hartgesottene Gemüter Hals über Kopf
davonrennen zu lassen. Kaltblütig wartete ich, bis die Reaktionszeit der brisanten Ladungen nur noch fünf Sekunden betrug, dann warf ich die Kapseln wahllos in verschiedene Richtungen und schleuderte Romeo den letzten Sprengsatz vor die Füße. Zwar konnte er dem Robot kaum etwas anhaben, aber ich hoffte, ihn dadurch für ein paar Sekunden verwirren zu können. Ich feuerte meinen Strahler in seine Richtung ab und machte, daß ich fortkam. Geduckt rannte ich auf die nächste Deckung zu. Bevor ich sie erreichte, entstand um mich herum ein wahres Inferno. Donnernd gingen an mehreren Stellen gleichzeitig die Mikrokapseln hoch. Gluthelle Blitze zuckten fast bis zur Decke empor, dichter Rauch stieg auf. Mit ohrenbetäubendem Knall explodierten irgendwelche Anlagen, Trümmerstücke sausten durch die Luft und richteten weitere Verwüstungen an. Das schrille Geheul abprallender Querschläger malträtierte das Trommelfell. Im Hintergrund züngelten Flammen; ihr Prasseln ging im Lärm unter. Da ich mich nicht direkt an einem der Explosionsherde befand, verkraftete mein Schutzschirm die Belastung. Eingehüllt in eine wabernde Lohe fand ich hinter einem Sitz Schutz. Daß der Schutz nur sehr zweifelhaft war, erkannte ich einen Moment später. Ein scharfkantiger Brocken rasierte die Rückenlehne ab und schleuderte sie gegen mich. Die Wucht des Aufpralls riß mich von den Beinen. Das war mein Glück. Ein konzentriertes Energiebündel traf die Stelle, an der ich eben noch gekauert hatte. Romeo versuchte also erneut, mich mit seinen Waffen zu töten. Unzählige winzige Partikel trafen meinen Schutzschirm und ließen ihn aufleuchten wie eine entzündete Fackel. Ein deutlicheres Ziel konnte ich dem Roboter nicht bieten. Wieder riskierte ich es, das Schirmfeld abzuschalten und hechtete aufs Geratewohl ins Dunkel hinein; der Rauch war mittlerweile so dicht geworden, daß man kaum noch die Hand vor Augen sah. Die Luftumwälzanlage schaffte es nicht, die Schadstoffe schnell genug
zu entfernen. Kaum, daß ich mit den vorgestreckten Händen den Boden berührte, rollte ich mich ab und sprang auf. Ein greller Energiefinger durchschnitt die dichten Schwaden – einmal, zweimal, dreimal. Der letzte Feuerstoß kam mir bedrohlich nahe. Ein Schwall ionisierter Luft traf mich. Du mußt jetzt die Nerven behalten. Wahrscheinlich vermögen seine Ortungssysteme dich im Augenblick nicht oder nur ungenau zu erfassen. Daß mein Extrasinn recht hatte, zeigte der nächste Schuß. Er fuhr einen halben Meter vor mir in den Boden. Dennoch war meine Situation alles andere als rosig, also versuchte ich es mit einem Trick. Ich stieß einen markerschütternden Schrei aus, als wenn ich getroffen worden wäre, und stampfte mit einem Bein auf, um den Fall meines Körpers deutlich zu machen. Zugleich ließ ich mich auf Hände und Knie nieder und machte, daß ich davonkam, wobei ich mich bemühte, kein Geräusch zu verursachen. Da eine optische Orientierung so gut wie unmöglich war, mußte ich mich ausschließlich auf den Tastsinn verlassen. Die Explosionen waren inzwischen abgeklungen, und Romeo hatte das Feuer eingestellt. Wahrscheinlich war er auf meine Finte hereingefallen und suchte nun vergeblich nach meinen sterblichen Überresten. Daß es wirklich so war, bewies mir seine wütende Reaktion. »Du entkommst mir nicht, Atlan. Niemand kann mich davon abhalten, das befohlene Werk zu erfüllen!« Ich weiß nicht, ob ich grinste, aber es bereitete mir ein geradezu diebisches Vergnügen, den Automaten hinters Licht geführt zu haben. Freu dich nicht zu früh – du hast noch keinesfalls gewonnen. Wenn er den Ausgang bewacht – was logisch ist –, sitzt du in der Falle. Ernüchtert konzentrierte ich mich wieder auf meine tastenden Hände, gleich darauf stieß ich auf ein Hindernis. Die Verkleidung
sagte mir nichts, aber als ich meine Arme ausstreckte und die Formation der Schaltungen erfühlte, wußte ich, was sich vor mir befand: Es war der Steuerrechner. Sofort erfaßte ich, daß das eine einmalige Gelegenheit war, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, wie die Terraner zu sagen pflegen. Zum einen konnte ich möglicherweise endgültig vereiteln, daß die Space‐Jet an ihrem Ziel ankam, und zum anderen gelang es mir vielleicht, den Robot vom Schott wegzulocken. Gedacht, getan. Ich machte eine weitere Mikrosprengkapsel scharf und deponierte sie auf der Instrumentenkonsole. Diesmal wartete ich nicht und schlich mich lautlos davon. Der Gefahr, im Kreis zu gehen, begegnete ich dadurch, daß ich mich erneut auf meinen Tastsinn verließ. Obwohl ich die Ohren spitzte, vermochte ich nicht auszumachen, was Romeo tat. Nach seinem Ausbruch hatte er sich bis jetzt völlig still verhalten. Was plante er jetzt? Lauerte er mir irgendwo auf? Oder wartete er einfach darauf, daß ich mir eine Blöße gab? Ich gab mich keinen Illusionen hin. Ein Gegner vom Format Romeos, der dazu noch mit modernsten technischen Hilfsmitteln ausgestattet war, war schier unüberwindlich. Wenn es mir gelang, ihn zu narren, so bedeutete das lediglich einen Aufschub – nicht mehr. Meine Waffe vermochte ihm nichts anzuhaben, doch wenn er traf – egal, ob mein Individualschirm aktiviert war oder nicht – war ich ein toter Mann. Es ist gut, daß du das endlich einsiehst! Bevor ich meinem Extrahirn eine passende Antwort geben konnte, erklang hinter mir der Donner einer Explosion. Da ich nicht riskieren wollte, daß mich der Roboter erneut ortete, verzichtete ich darauf, mein Schirmfeld zu aktivieren und begnügte mich damit, den Kopf einzuziehen in der Hoffnung, nicht getroffen zu werden. Gleichzeitig bewegte ich mich schneller vorwärts, denn es war nicht zu befürchten, daß Romeo bei dem Lärm, den die Folgedetonationen verursachten, andere Geräusche erfassen konnte.
Inzwischen hatte sich der Nebel ein wenig gelichtet. Zu meiner Überraschung verharrte nur zwei Meter von mir entfernt ein Feuerlöschrobot. Mit einem Satz war ich bei ihm und benutzte seinen Aufbau als Sichtschutz. Keine Sekunde zu früh! Wie ein Schemen raste Romeo an mir vorbei. Auch diesmal verzichtete er darauf, seine Waffen einzusetzen; wahrscheinlich wollte er keine weiteren Zerstörungen anrichten und rechnete damit, mich auch so fassen zu können. Soweit das aus der Entfernung zu erkennen war, wirkte der Steuerrechner ziemlich demoliert. Der Roboter stand wie erstarrt davor und hob mit einer menschlich anmutenden Gebärde die Arme. Ich zögerte nicht mehr länger. Ein Dutzend Meter vor mir befand sich der Rettung versprechende Ausgang. Mit einem Satz sprang ich auf und rannte im Sprinttempo auf das offene Schott zu. Im Lauf schaltete ich den Schutzschirm an und blickte kurz zurück. Das rettete mir – zumindest vorerst – das Leben. Romeo stieß einen regelrechten Wutschrei aus. Wahrscheinlich war er zu der Überzeugung gekommen, daß der Rechner nicht mehr zu gebrauchen oder irreparabel beschädigt war. Er wirbelte herum und begann, aus allen Rohren zu feuern. Gedankenschnell ließ ich mich aus vollem Lauf einfach fallen und schlitterte ein Stück über den Boden. Die Salven rasten über mich hinweg und trafen die Gangverkleidung. Mir war bewußt, daß sich eine so hochwertige Maschine wie Romeo in kaum meßbarer Zeit auf eine neue Situation einstellen konnte, also wälzte ich mich sofort zur Seite. Keine Sekunde zu früh! Dort, wo ich eben noch gelegen hatte, verdampfte der Belag unter der Einwirkung konzentrierter Strahlen, fetter schwarzer Qualm stieg auf. Merkwürdigerweise empfand ich keine Todesangst, sondern Verzweiflung und hilflose Wut. Dieser Automat jagte mich wie einen Hasen, und ich konnte ihm kein Paroli bieten. Es war ein
Kampf mit ungleichen Mitteln, und das stachelte meinen Ehrgeiz und meinen Lebenswillen an. Kaum, daß ich auf die Beine gekommen war, schnellte ich mich nach links weg, täuschte einen Sprung nach rechts an und schlug einen mächtigen Haken in die andere Richtung. Ich hatte das Gefühl, in einem Vulkan zu stecken. Um mich herum brauste und toste es, zischend und fauchend wie Blitze hüllten mich grelle Energiebahnen ein und entluden sich auf dem Korridor. Ich lief, zickzackte, sprang, fiel und rannte um mein Leben. Noch drei Meter bis zum Schott … * Mit einem verzweifelten Satz schnellte ich mich vorwärts. Nur ein einziger Gedanke beherrschte mich: Du mußt heil aus dieser verdammten Zentrale herauskommen! Ich schaffte es – fast. Noch im Sprung, als ich mich schon in Sicherheit glaubte, erhielt ich einen Treffer. Mein Individualschutzschirm wurde bis an seine Grenzen belastet, und allein die kinetische Energie reichte aus, mich wie ein welkes Blatt im Wind davonzuwirbeln. Das war nur ein Streifschuß. Ein Volltreffer hättest du nicht überlebt, meldete mein Extrasinn seltsam objektiv. Der unerwartete Aufprall hatte mich ein wenig benommen gemacht, doch die mangelnde Anteilnahme meines Extrahirns am Schicksal seines Trägerkörpers empörte mich. Voller Zorn rappelte ich mich auf. Findest du dein Verhalten nicht befremdend? dachte ich. Diskutieren können wir später. Denke daran, daß Romeo dir auf den Fersen ist. Ernüchtert blickte ich mich um. Noch war von dem Automaten nichts zu sehen, aber er konnte jeden Augenblick auftauchen – und
dann war mein Schicksal besiegelt. Ich fühlte mich ausgelaugt und vor allem deprimiert. Es war frustrierend, gegen einen Gegner anzutreten, der praktisch unbesiegbar war. Körper und Geist benötigten eine Pause zur Regeneration, dabei war mir klar, daß das Wunschdenken war. Romeo würde keine Ruhe geben, bevor er mich nicht getötet hatte. Seine letzten Attacken bewiesen, daß er nicht mehr gewillt war, irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Wahrscheinlich waren die Zerstörungen in der Zentrale, vor allem am Steuerrechner so stark, daß er seine Mission gefährdet sah. Und solange ich noch lebte, stellte ich ein Risiko dar. Auf ihn mußte ich wie ein Amokläufer wirken. Jemand, der trotz solch mangelhafter Ausrüstung, wie ich sie besaß, gegen einen Roboter vom Format Romeos antrat, mußte nach den Erkenntnissen der Logik verrückt sein. Und ein Verrückter war unberechenbar. Manchmal habe ich den Eindruck, daß diese Attribute tatsächlich auf dich zutreffen! Ich entgegnete nichts darauf. Automatisch setzten sich meine Beine in Bewegung, ich begann zu laufen. Eine Space‐Jet war nicht die SOL, aber Möglichkeiten, sich zu verstecken, gab es auch hier. Es war nicht meine Absicht, einfach aufzugeben – ich wollte nur ein wenig Ruhe, um mich zu erholen und meine Gedanken zu ordnen; gegen SENECAS Ableger hatte ich nur dann eine Chance, wenn ich einen Plan entwickelte und strategisch vorging. Romeo tauchte auf dem Flur auf und begann sofort zu feuern. Diesmal gab er sich keine Mühe, das Schiff zu schonen. Der Bodenbelag warf Blasen und wurde verflüssigt, Wand‐ und Deckenverkleidungen tropften herab und lösten sich in ihre Moleküle auf. Auch die dahinterliegenden Versorgungsleitungen wurden arg in Mitleidenschaft gezogen. Eine Serie von Kurzschlüssen tauchte den Gang in gleißendes Licht, aus einem geplatzten Rohr ergoß sich ein armdicker Wasserstrahl. Grelle Energiefinger durchschnitten den dunklen Rauch und vergrößerten
das Chaos noch, ohne mir jedoch etwas anhaben zu können. Es war mir gelungen, mich in eine Abzweigung zu retten. Und plötzlich hatte ich eine Idee, wie ich den Robot vielleicht doch überwinden konnte. Mein Plan – aus der Not geboren – war geradezu selbstmörderisch, aber ich sah keine andere Möglichkeit, Romeo aufzuhalten und gleichzeitig meine Haut zu retten. Was du vorhast, ist absoluter Wahnsinn! Deine Chancen sind gleich Null! Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, gab ich zurück. Das Ende ist es bestimmt – für dich! * Ich hatte mich in einer Nische hinter einem Wartungsrobot versteckt und sowohl den Individualschirm als auch sämtliche Anzugsysteme desaktiviert. Den Helm hatte ich zurückgeklappt und bemühte mich, möglichst flach zu atmen, um Romeo keine Gelegenheit zu geben, mich wie auch immer zu orten. Meine Vorbereitungen waren kaum abgeschlossen, als der Robot erschien. Ohne mich zu bemerken, rannte er an der dunklen Nische vorbei. Das war nun nicht ganz in meinem Sinn. Rasch förderte ich einen undefinierbaren Gegenstand von einigem Gewicht aus den Taschen meines Raumanzugs zutage und warf ihn in den Korridor, dann nahm ich in aller Eile am Programm des Instandsetzungsautomaten verschiedene Einstellungen vor. Schon kehrte Romeo zurück. Das verhaltene Geräusch des aufprallenden Metallstücks hatte ihn angelockt – ganz, wie ich es gehofft hatte. Mit einem Griff aktivierte ich den vor mir befindlichen Automaten. Wie ein Geschoß raste dieser aus der Nische, rammte die gegenüberliegende Wand und begann, sich im Kreis zu drehen,
wobei seine Werkzeugarme sinnlose Bewegungen vollführten. SENECAS Ableger funktionierte genauso, wie ich es erwartet hatte. Da er wußte, daß ich ihm nicht entkommen konnte, bedeutete es lediglich einen kleinen Aufschub, wenn er sich um den gestörten »Kollegen« kümmerte. Er näherte sich der Maschine und versuchte, sie abzuschalten, was ihm infolge der Rotation aber nicht gleich gelang. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich völlig auf den herumwirbelnden Automaten. Darauf hatte ich gewartet. Ich kannte Romeo genau und wußte von einer Schwachstelle, doch um sie zu erreichen, mußte ich bis auf Armlänge an ihn herankommen – angesichts seiner blitzartigen Reaktionen ein mehr als tollkühnes Unterfangen. Dennoch war ich entschlossen, den Versuch zu wagen. Was geschah, wenn er mißlang … nun, es gehörte keine besondere Vorstellungskraft dazu, sich das auszumalen. Ich atmete noch einmal tief ein und konzentrierte mich, dann schoß ich wie von der Sehne geschnellt auf Romeo zu. Mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit fand ich die bewußte Stelle und griff blitzschnell zu. Ein Teil seiner Schutzschirme fiel in sich zusammen. Noch bevor meine Füße wieder den Boden berührten, feuerte ich meinen Impulsstrahler ab und schaltete meinen eigenen Individualschirm ein, dann machte ich einen Satz zur Seite und wirbelte auf der Stelle herum. Fauchend fuhren mehrere Energiestrahlen über mich hinweg. Es kam mir wie ein Wunder vor, daß der Robot mich auf diese kurze Distanz nicht getroffen hatte, doch mit einem Blick erkannte ich den Grund: Mein Schuß hatte nicht nur seinen rechten Arm zerfetzt, sondern auch das rechte Bein abgetrennt. Durch die abrupte Schwerpunktveränderung war wahrscheinlich die Gleichgewichtssensorik durcheinandergeraten, was sich auf die Treffsicherheit ausgewirkt hatte. Die Zeit, mich über meinen Erfolg zu freuen, nahm ich mir nicht,
sondern machte, daß ich davonkam. Die Paratronschirme hatten sich wieder aufgebaut, damit war Romeo für meine Waffe erneut unangreifbar geworden. Daß er auch sonst noch intakt war, bewies seine Reaktion. Nur ein Hechtsprung in einen Nebengang bewahrte mich davor, tödlich getroffen zu werden. Die Jagd begann erneut. 2. Ich weiß nicht, wieviel Zeit seit Beginn der Auseinandersetzung vergangen war – es kam mir fast wie eine Ewigkeit vor. Meine Hoffnung, daß Hayes mir zu Hilfe kam, hatte sich nicht erfüllt; was ihn daran hinderte, wußte ich nicht. Die wilde Jagd hatte uns fast durch das ganze Schiff geführt, wobei das Innere der Space‐Jet mehr und mehr demoliert wurde. Immer öfter hörte man ein unterschwelliges Grummeln wie fernes Gewitter, wenn irgendwo etwas explodierte; bereits zweimal war die Beleuchtung ausgefallen, zeitweilig setzte der Antrieb aus. Die Gravitatoren arbeiteten unregelmäßig, und auch die anderen Systeme zeigten deutliche Störungen. Führer‐ und steuerlos, ruckend und schlingernd, trudelte das angeschlagene Beiboot in das System der Sonne Taucher. Das schien auch Romeo aufgegangen zu sein, jedenfalls hatte er auf einmal von mir abgelassen. Da leicht zu erraten war, daß er versuchen wollte, in die Zentrale zurückzukehren, um sein Ziel – die Vereinigung mit Julia – doch noch zu erreichen, hatte ich es darauf angelegt, ihn aufzuhalten. Geradezu besessen von dem Gedanken, das zu vereiteln, war ich allzu forsch vorgegangen und hatte prompt die Quittung dafür erhalten. Ein Treffer in Schulterhöhe hatte meinen Schutzschirm zusammenbrechen lassen, ein Loch in den Raumanzug gebrannt und mir eine Fleischwunde beigebracht, die höllisch schmerzte.
Dennoch hatte ich Glück im Unglück; da ich den linken Arm noch bewegen konnte, schien das Schultergelenk nichts abbekommen zu haben. Sofort hatte ich mich daraufhin zurückgezogen; zu meiner Erleichterung folgte mir Romeo nicht. Nachdem ich die Wunde versorgt und das Leck im Schutzanzug notdürftig geflickt hatte, verließ ich mein Versteck wieder. Nun, wo ich nicht ständig meine Haut retten mußte, konnte ich endlich darangehen, nach einer Waffe Ausschau zu halten, mit der ich dem Robot wirklich gewachsen war. Ich mußte ihn unschädlich machen, bevor wir Taucher erreichten und er seinen verderblichen Plan in die Tat umsetzen konnte. Dank meiner Kenntnisse vom inneren Aufbau einer Space‐Jet gelang es mir in kurzer Zeit, einen Lagerraum zu finden, in dem Waffen aufbewahrt wurden. Ein schweres, auf einer Antigravplattform montiertes Impulsgeschütz sagte mir zu; es verfügte auch zusätzlich über ein separates Aggregat, das einen starken Schutzschirm aufbaute und geeignet war, mich vor Romeos Strahlern zu schützen. Gerade hatte ich das Geschütz aus der Halle bugsiert, als der Boden unter meinen Füßen erzitterte. Gleich darauf erfüllte in einem bestimmten Rhythmus auf‐ und abschwellendes Sirenengeheul das Schiff: Vakuumeinbruch! Irgendwo war die Außenhülle leck geworden, die Jet verlor Luft. Knallend schlugen vor und hinter mir schwere Sicherheitsschotte zu, an einem Verteiler entstand aus dem Nichts heraus ein Schutzschirm. Dann erlosch das Licht, flackernd ging die Notbeleuchtung an. Ich stieß eine Verwünschung aus. Wenn das Loch in der metallenen Haut nicht rasch abgedichtet wurde, blieb ich möglicherweise bis ans Ende meiner Tage hier zwischen den hermetisch schließenden Abschottungen eingesperrt. Über mir knackte und dröhnte es, man hörte das Geräusch
überbeanspruchten Materials. Mit einem Ruck legte sich der Raumer schräg. Ich wurde von den Beinen gerissen und stieß ziemlich unsanft gegen einen Verteilervorsprung, das Geschütz dagegen veränderte seine Lage nicht. Ich stemmte mich an der um fast zwanzig Grad nach außen geneigten Wand hoch und lauschte. Das Wimmern des Alarmgebers war inzwischen verstummt. Worauf wartest du noch? Wolltest du nicht Romeo unschädlich machen? Gern, aber kannst du mir verraten, wie ich das im Augenblick anstellen soll? erkundigte ich mich gereizt. Ein amüsierter Impuls war die Antwort des Logiksektors. Du verfügst über einen intakten Schutzanzug und über ein Impulsgeschütz. Was hindert dich dran, durchzubrechen, zumal du durch ein Vakuum niemanden gefährdest? Danke für den Tip, dachte ich und lächelte. Manchmal bist du trotz deiner Eigenarten ganz brauchbar. Ich schloß meinen Raumanzug, schwang mich in den Sitz hinter den Geschützkontrollen und aktivierte das Schirmfeld, dann steuerte ich die schwere Waffe ein Stück zurück und richtete sie auf das wuchtige Schott aus. Nach fünf Sekunden konzentriertem Beschuß klaffte ein annähernd rundes Loch in den schweren Metallplatten, das groß genug war, mich mitsamt dem Geschütz hindurchzulassen. Mit mäßiger Geschwindigkeit passierte ich die gewaltsam geschaffene Öffnung, dann beschleunigte ich. Jenseits der Abschottung brannte zwar auch die Notbeleuchtung, aber es gab keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen. Demnach hatte ein Vakuumeinbruch nur in dem Sektor stattgefunden, an dessen Peripherie ich mich aufgehalten hatte. Dieser Umstand kam mir sehr entgegen, denn so verlor ich keine Zeit damit, vorhandene Hindernisse zu beseitigen. Ohne Umwege steuerte ich die Zentrale an. Mit einem kurzen Feuerstoß zerstörte ich das positronische Schloß. Bevor ich die Schwelle passieren konnte, leuchtete der Schutzschirm auf. Wie
nicht anders zu erwarten war, reagierte Romeo völlig kompromißlos. »Diesmal sind die Chancen besser verteilt!« rief ich und erwiderte das Feuer. Für einen Augenblick ließ der Robot den Beschuß einfach über sich ergehen, dann wich er dem Strahlenbündel geschickt aus. Triumph erfüllte mich. Wahrscheinlich hatte er erkannt, daß ich ihm von der Bewaffnung her nun durchaus ebenbürtig war. Werde jetzt nicht leichtsinnig! warnte mein Extrasinn. Sogleich zeigte sich, daß er recht hatte. Romeo gab sich keinesfalls verloren, sondern kämpfte unverdrossen weiter. Die Belastung meines Schirmfelds schnellte auf 115 Prozent hoch. Es drohte, instabil zu werden, wie das Flackern deutlich zeigte. Das brachte mich rasch in die Realität zurück. Verbissen hieb ich auf den Feuerknopf, doch der Robot verstand es meisterhaft, sich dem konzentrierten Beschuß zu entziehen; dafür wurde die Zentrale verwüstet. Es kam zu Explosionen und Kurzschlüssen, Schwelbrände brachen aus, die aber von den Löschrobotern sofort unter Kontrolle gebracht wurden. Einer von ihnen wurde vernichtet, als er mehr oder minder zufällig dem aus allen Rohren feuernden Romeo in die Quere kam. Aus Erfahrung klug geworden, hatte ich meine Taktik ebenfalls geändert und rochierte ständig, dennoch gelang es weder mir noch dem Roboter, einen entscheidenden Vorteil zu erringen, dafür verwandelte sich die Zentrale endgültig in ein Trümmerfeld. Soweit erkennbar, gab es keine funktionierende Anzeige mehr, das optische System war völlig vernichtet, und auch die Luftumwälzanlage war in Mitleidenschaft gezogen. Geräuschvoll beschränkte sie sich darauf, den aufsteigenden dunklen Rauch einfach durcheinanderzuwirbeln. In grotesken Sprüngen hüpfte der nur noch einbeinige Romeo durch den Raum, wobei er sich fast so schnell bewegte wie früher. Wahrscheinlich setzte er seinen eingebauten Schwerkraftregler zur
Unterstützung ein. Die Treffer wurden geringer – auf beiden Seiten. Ich mußte eine Entscheidung herbeiführen. Entschlossen justierte ich das Geschütz auf Romeo und aktivierte die Automatik, dann rutschte ich aus dem Sitz und ließ mich zu Boden gleiten. Im Schutz deformierter Anlagen schlich ich mich ein Stück von dem Impulsgeschütz weg und näherte mich dem Robot vorsichtig von der Seite. Unbemerkt kam ich bis auf wenige Meter an ihn heran, dann sprang er nach rechts, um einem Schuß auszuweichen, gleichzeitig erwiderte er das Feuer. Im Kampf der Automatiken – hier das Impulsgeschütz, dort Romeo – sah alles nach einem Unentschieden aus. Ich machte die beiden letzten mir noch verbliebenen Mikrosprengsätze scharf, wartete ein paar Sekunden und schleuderte sie in Romeos Richtung, zugleich eröffnete ich das Feuer aus meinem Strahler. Mehrere Dinge geschahen nun gleichzeitig. Der Robot reagierte mit der ihm eigenen Geschwindigkeit. Unzweifelhaft stufte sein Rechner dieses »In‐die‐Zange‐nehmen« als gefährlich ein, maß mir jedoch weit weniger Bedeutung bei als dem Impulsgeschütz, dessen Salven ausreichten, die Paratronschirme zu »knacken«. SENECAS Ableger versuchte ein Ausweichmanöver, gab einen Schuß auf mich ab, der mich jedoch verfehlte, und konzentrierte sich weiterhin auf das Geschütz. Die brisanten Ladungen gingen hoch, ich schoß Punktfeuer – und das Geschütz brachte einen Treffer an. Dieser Belastung waren die Schutzschirme Romeos nicht gewachsen – sie brachen zusammen. Obwohl nun hoffnungslos unterlegen – wie ich vorher –, steckte der Robot nicht auf. In rasendem Tempo wirbelte er durch die Zentrale, nahm mal mich und mal das Geschütz aufs Korn und brachte das Kunststück fertig, mich in die Defensive zu drängen, ohne selbst getroffen zu werden. Nun wurde mir die Sache zu bunt. Gedeckt durch ein wrackes Instrumentenpult wagte ich einen Ausfall. Zwar entging ich einem
Feuerstoß Romeos nur knapp, aber dafür gelang es mir, sein verbliebenes Bein zu durchtrennen. Jetzt, da der Robot nur noch über einen Stumpf verfügte und damit seine Beweglichkeit eingebüßt hatte, hatte ich so gut wie gewonnen. Ich machte, daß ich hinter die Kontrollen des Impulsgeschützes zurückkam und übernahm wieder manuell. Mittlerweile war dem Synthowesen der Kopf weggefetzt worden, es hatte seinen zweiten Arm verloren und die Brustverkleidung war teilweise zerstört. Der fast unbezwingbare Romeo war nur noch ein Haufen Schrott. Deutlich sah ich nun das blaue Energiefeld im zerfetzten Robotkörper, das den kopfgroßen Block aus pulsierendem Material umgab. Ich richtete das Geschütz darauf aus und brachte auch einen Volltreffer an, doch das Feld widerstand dem konzentrierten Energiestrahl, selbst Dauerfeuer brachte keinen Erfolg. Während ich überlegte, wie ich es anstellen konnte, diesen Fremdkörper doch noch zerstören zu können, gab es plötzlich eine gewaltige Explosion. Der Lärm einer ungeheuren Detonation zerriß mir fast das Trommelfell, ein ultraheller Blitz blendete mich und hüllte mich in eine strahlende Aura. Zugleich fühlte ich mich brutal hochgerissen und spürte, daß ich davongeschleudert wurde. Die Kraft, die auf mich einwirkte, preßte mir die Luft aus den Lungen und drohte meinen Brustkorb zu zerquetschen. Ein wirrer Wirbel entstand in meinem Kopf, der meine Gedanken lähmte. Ich registrierte, daß ich mich überschlug, dann erhielt ich einen harten Schlag in den Rücken. Das ist das Ende! durchzuckte es mich, bevor mir die Sinne schwanden. 3.
Ich weiß nicht, wie lange ich bewußtlos war, ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Mir kam es fast wie ein Wunder vor, daß ich noch lebte. Das hatte ich wohl nur dem Umstand zu verdanken, daß ich den Raumanzug geschlossen und daß mich der Schirm des Impulsgeschützes vor den direkten Auswirkungen dieses Infernos bewahrt hatte. Vergeblich hielt ich nach der Space‐Jet Ausschau. Um mich herum war nur die Schwärze des Alls und der riesige Glutball Tauchers. Demnach war nicht nur Romeo oder die Zentrale explodiert, sondern das ganze Schiff. Hoffentlich war dabei auch dieser Fremdkörper zerstört worden. Du solltest überprüfen, ob der Schutzanzug noch in Ordnung ist. Widerspruchslos befolgte ich den Rat meines Logiksektors. Alles funktionierte zufriedenstellend, doch dann durchfuhr mich ein eisiger Schreck: Ich driftete nicht einfach schwerelos dahin, sondern verspürte den Sog von Gravitation. Es gab aber weit und breit nur einen einzigen Körper, der genügend Masse besaß, um mich anzuziehen: Taucher. Ich drohte, in die rote Sonne zu stürzen. Nach den Begriffen der Astronomie war es ein kleines Gestirn, aber was bedeutete das schon? Alles war relativ. Nie zuvor wurde mir das deutlicher als jetzt. Drohend wie das glühende Riesenauge eines Zyklopen starrte mich Taucher an. Wenn es mir gelang, Palo Bow zu alarmieren, war ich gerettet. Kurz entschlossen nahm ich das für kurze Distanzen geeignete Funkgerät in Betrieb und stellte es auf höchste Sendeleistung. Meine Zuversicht erlitt einen ziemlichen Dämpfer, als sich Palo nach einigen Minuten immer noch nicht gemeldet hatte. Was hatte das zu bedeuten? Störte die nahe Sonne den Funk und überlagerte meine Sendungen, oder hatte Bow Taucher bereits wieder verlassen? »Palo, hier spricht Atlan. Melde dich!« Ich lauschte angestrengt. Es rauschte, prasselte und knackte im Empfänger, aber die erhoffte Antwort erhielt ich nicht.
Sollte ich die Zerstörung der Jet wirklich nur überlebt haben, um in der Sonne Taucher zu enden? * Taucher besaß keinen Planeten, lediglich einen Asteroidenring von etwa dreihundert Kilometer Durchmesser in acht Lichtminuten Entfernung. Das meiste waren Kleinsttrümmer aus Gestein und Metall mit weniger als einem Meter Querschnitt. Lediglich etwa vierhundert Brocken durchmaßen zwischen fünfzig und zweihundert Kilometer. Entgegen Atlans Ansicht hatte sich Bow keinesfalls abgesetzt und auch seine Funksprüche empfangen, doch der Solaner war anfangs mißtrauisch. Erst als er sicher war, daß es sich nicht um einen Trick handelte, steuerte er den Raumer aus der Sonnenkorona hinaus. Er war das einzige menschliche Besatzungsmitglied; außer ihm gab es nur noch Julia und Roboter auf dem Schiff. Die Ortung ergab, daß sich kein Raumschiff in der Nähe befand, daß aber kürzlich eine Explosion in diesem Sektor stattgefunden haben mußte; die Strahlenanalyse verzeichnete dabei Werte, die typisch für ein solanisches Schiff waren. Bow nahm das Normalfunkgerät in Betrieb. »Hallo, Atlan, hier spricht Palo. Kannst du mich hören?« »Du hast es ganz schön spannend gemacht, mein Lieber«, klang es aus dem Empfänger. »Ich dachte schon, du hättest dich aus dem Staub gemacht.« »Was meinst du damit?« erkundigte sich der Solaner irritiert. »Nichts weiter, es ist eine alte terranische Redensart. Hast du mich anpeilen können?« »Ja, aber es wird noch ein paar Minuten dauern, bis ich bei dir bin. Was ist passiert?« Der Arkonide gab einen kurzen Abriß über die letzten Ereignisse.
»Und wie ist es dir ergangen?« »Wir reden später darüber. Ich muß mich jetzt um die Steuerung kümmern. Bis gleich.« * Alles um mich herum wirkte majestätisch und erhaben, strahlte Größe und Unvergänglichkeit aus; ein Hauch von Ewigkeit streifte mich. Daß ich, dieses Nichts im Strom der Zeit trotz meiner zehntausend Jahre, so unbekümmert philosophieren konnte, war nicht zuletzt der beruhigenden Nachricht zu verdanken, daß Bow mir zu Hilfe eilte. Schon war das Raumschiff als ständig größer werdendes Pünktchen, das direkt aus der Sonne zu kommen schien, mit bloßem Auge auszumachen. Ein schräg unter mir wegdriftender Körper nahm meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Zuerst hielt ich den Gegenstand für ein Trümmerstück der Jet, doch dann erkannte ich an dem charakteristischen blauen Leuchten, daß es der Fremdkörper aus Romeo war. Also hatte dieses Ding sogar die Vernichtung des Beiboots überstanden. Es scheint über eine Art Antrieb zu verfügen, meldete mein Extrasinn. Das ist unmöglich, gab ich gedanklich zurück. Woran willst du das bemerkt haben? Du folgst der Gravitation, dieser Körper aber nicht, denn er hat deine Bahn gekreuzt. Ich schluckte. Die fremde Macht hatte ihr Werkzeug wirklich optimal ausgestattet. Dennoch: Die geplante Vereinigung mit Julia war illusorisch, und die Vernichtung der SOL würde nicht stattfinden. Zufriedenheit erfüllte mich. Also war mein totaler Einsatz doch nicht umsonst gewesen. Mittlerweile war der Kreuzer so nahe herangekommen, daß er
Taucher fast verdeckte. Als ich wieder nach dem Brocken sah, verschlug es mir fast den Atem: Er hatte seinen Kurs geändert und hielt mit steigender Geschwindigkeit auf den Raumer zu. Eine furchtbare Ahnung stieg in mir auf. Du mußt Bow warnen! Mein Funkgerät war noch eingeschaltet. »Palo, hörst du mich?« »Ja, was gibt es?« »Du mußt mit dem Schiff von hier verschwinden. Dieser Fremdkörper aus Romeo kommt dir entgegen.« Der ehemalige Magnide lachte. »Einem Raumer dieser Größe vermag er nichts anzuhaben, außerdem ist Julia noch immer in ihrem Block eingeschmolzen.« »Bitte, tu, was ich dir sage, bevor es zu spät ist«, drängte ich. »Du bist kein Buhrlo, Atlan. Hilflos im All zu schweben, belastet selbst stärkste Psychen. Du siehst zu schwarz – im wahrsten Sinne des Wortes.« Er kicherte. »Hübsches Wortspiel, nicht wahr?« Mir war überhaupt nicht nach Scherzen. »Palo, sei kein Narr. Kehr um und versuche, das Ding in die Sonne zu locken, sonst gibt es ein Unglück.« »Also gut, ich werde tun, was du sagst, aber zuerst nehme ich dich an Bord.« Es war klar, daß er die Gefahr unterschätzte und meine Warnung nicht ernst nahm. »Verdammt, das ist die falsche Reihenfolge. Du kannst mich immer noch retten, ich halte es noch tagelang aus, wenn es sein muß, hast du verstanden?« Der Empfänger blieb stumm, nur die statischen Hintergrundgeräusche waren zu hören. Er hatte abgeschaltet. Ich stieß eine Verwünschung aus. So ein hirnverbrannter Idiot. Er hatte nicht begriffen, daß es um sein Leben ging. Pausenlos versuchte ich, den Kontakt wiederherzustellen, schrie, bat, befahl – vergeblich. Ich erhielt keine Antwort. Niedergeschlagen
beobachtete ich, was sich weiter tat. An einer Änderung der Flugbahn erkannte ich, daß das Beiboot dem Brocken auswich, dann verminderte es rapide seine Geschwindigkeit. »Mach dich fertig zum Einschleusen«, erklang Palos Stimme. Bevor ich etwas erwidern konnte hatte er bereits wieder abgeschaltet. Notgedrungen aktivierte ich meinen Antrieb und hielt auf den Kreuzer zu. Mittlerweile war der Abstand zwischen mir und dem Schiff auf wenige tausend Meter zusammengeschrumpft. Eine erleuchtete Öffnung erschien in der dunklen Außenhülle. Der Solaner hatte eine Hangarschleuse geöffnet, um mich aufzunehmen. Lange, bevor ich den Raumer erreichte, tauchte dieser blau leuchtende Fremdkörper wieder auf; er mußte dem Kreuzer gefolgt sein und bewegte sich wesentlich schneller darauf zu als ich. Hilflos mußte ich mitansehen, wie sich der Brocken einschleuste. Ich stöhnte unterdrückt. Sollte denn alles umsonst gewesen sein? Du mußt Palo warnen, hämmerte es in mir. Dagegen ist nichts zu sagen, meldete sich mein Logiksektor, allerdings solltest du zuerst versuchen, einen möglichst großen Abstand zwischen das Schiff und dich zu bringen. Mehr unbewußt kam ich dem nach. Wenn ich mich nicht täuschte, war das Beiboot mittlerweile zum Stillstand gekommen, so daß ich rasch an Distanz gewann. Ununterbrochen bemühte ich mich, den ehemaligen Magniden zu erreichen, doch er reagierte nicht auf meine Anrufe. Wut und Enttäuschung machten sich in mir breit. Abrupt schaltete ich das Antriebsaggregat ab. Was hast du vor? Ich kehre um. Vielleicht gelingt es mir noch, das Schlimmste zu verhüten, gab ich ebenso lautlos zurück. Das wirst du nicht tun, entgegnete mein Extrasinn heftig. Nicht einmal ein Verrückter käme auf einen solchen Gedanken.
Mag sein, aber er hat schließlich nicht eigennützig gehandelt, sondern ausschließlich aus dem Motiv heraus, mir Hilfe zu bringen. Nun, da er selbst in Gefahr ist, ist es meine Pflicht, ihm beizustehen. Du kannst ihm nicht mehr helfen, sondern höchstens mit ihm untergehen. Was auch immer geschieht, Bow hat sich das selbst zuzuschreiben. Er hat deine Warnungen in den Wind geschlagen. Du kannst mich nicht umstimmen, mein Entschluß steht fest. Damit beendete ich die gedankliche Auseinandersetzung und schaltete das Triebwerk wieder ein. Was mochte in dem Schiff jetzt vor sich gehen? Hatte Palo erkannt, was er da an Bord genommen hatte? Gelang es ihm, die Vereinigung der beiden Klumpen zu verhindern? Oder war er völlig ahnungslos? Aber so naiv konnte der ehemalige Magnide einfach nicht sein. Wieviel Zeit mochte verstrichen sein, seit der Fremdkörper sich eingeschleust hatte? Drei Minuten? Fünf Minuten? Eine Viertelstunde? Wenn Julia durch zusätzliche Schirmfelder geschützt war … Vor mir entstand eine ultrahelle Miniatursonne, die Taucher optisch verschwinden ließ. Das war das letzte, was ich wahrnahm. Eine Energiewelle raste durch den Raum und schleuderte mich davon. Als ich wieder bewußt denken konnte, galt mein erster Blick dem Chronometer. Nur unendlich langsam gelangten die in elektrische Impulse umgesetzten Bilder zum Gehirn. Es war, als müßten sie sich durch einen klebrigen, zähen Brei hindurcharbeiten. Du warst fast vierundzwanzig Stunden ohne Bewußtsein. Es war dein Glück, daß du dich noch am Rand der eigentlichen Detonations‐ Implosions‐Zone befunden hast. Detonation? Implosion? Allmählich dämmerte mir, was sich zugetragen hatte. Es war diesen beiden Fremdkörpern gelungen, sich zu vereinigen – das war zugleich das Ende des Kreuzers und Palo Bows gewesen. Und um ein Haar wäre ich ebenfalls atomisiert worden …
Mein Logiksektor verzichtete auf einen triumphierenden Impuls. Ich war ihm dankbar dafür. Ein wenig mühsam veränderte ich meine Lage und versuchte, mich zu orientieren. In meiner Nähe befand sich ein Ring aus Asteroiden und Trümmern von teils winzigem Format. Zwar gab es in größerer Entfernung Brocken von mehreren Kilometern Durchmesser, aber mit meinem Antrieb hätte ich Tage gebraucht, um sie zu erreichen. Ich schaltete den Notsender ein. Wieder war ich in Raumnot, und wieder war ich auf Hilfe angewiesen, aber diesmal war meine Situation nahezu hoffnungslos. Es war nicht damit zu rechnen, daß ein Schiff in diesem Sektor auftauchte. Ein Warnsignal riß mich aus meinen trüben Gedanken. Mein Schutzanzug verlor Luft, das notdürftig geflickte Loch war wieder leck geworden. Im Licht meines Scheinwerfers sah ich, daß sich ein winziger Haarriß an einer Klebestelle gebildet hatte. Noch besaß ich Oxygenvorräte für zehn Tage, und der Sauerstoffverlust war nicht so gravierend, daß ich im Augenblick um mein Leben fürchten mußte, aber eine Reparatur war unumgänglich. Aus einer Anzugtasche förderte ich eine Tube Dichtungsmittel zutage und bestrich die undichte Stelle damit. Einstweilen war der Luftverlust damit gestoppt, aber es war nur ein Provisorium. Ich schaltete meinen Antrieb ein und steuerte auf den Asteroidenring zu. Die Zone, der ich mich am nächsten befand, bestand nur aus Kleinstkörpern; keiner besaß einen Querschnitt von mehr als einem Meter. Vorsichtig, mit desaktiviertem Triebwerk, schwebte ich auf ein gezacktes, aber ziemlich flaches Stück zu und ließ mich darauf nieder. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß mein Körper schmerzte, als wäre er durchgewalkt worden, ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt, Niedergeschlagenheit machte sich in mir breit. Die Schwärze des Alls wirkte auf einmal nicht mehr feierlich und erhaben, sondern düster und bedrückend – ein gewaltiges
Leichentuch, ein riesiges Grab – Palos Grab. Bei dem Versuch, mich zu retten, war er umgekommen. Palo Bow, das war nicht mehr der selbstherrliche, machtbesessene Magnide von früher, sondern ein Mann, der zu erkennen begann, daß es andere Ziele und Werte gab, Ideale, denen zu folgen wertvoller war. Auch Chart Deccon hatte begriffen, wie egoistisch die Maxime der SOLAG war. Als er sich davon abwandte und begann, in meinem Sinn zu handeln, ereilte ihn das Schicksal. War es Zufall oder Bestimmung, daß jeder, der mir folgte, umkam? War es vorgezeichnet, daß ich meinen Weg ohne Begleiter und Freunde gehen mußte? Tief in meinem Innern fühlte ich, daß es ein dornenreicher, steiniger Weg war, bis ich den Auftrag der Kosmokraten erfüllen konnte, und auf einmal war mir bewußt, daß der Verlust von Helfern und Freunden die Steine auf dem Pfad waren. Obwohl das ein entsetzlicher Gedanke war, dämmerte mir, daß es einen Sinn hatte, daß diese Verluste Prüfungen waren, die mich formen und vorbereiten sollten. Wie groß würde dann das Opfer sein, das ich bringen mußte, wenn ich erst einmal in Varnhagher‐ Ghynnst angelangt war? Was erwartete mich? Ich begann zu grübeln, doch kein vergänglicher Geist vermochte zu erfassen, was Wesenheiten wie die Kosmokraten planten und vorbestimmt hatten, aber ich begann zu ahnen, daß meine Aufgabe von weitreichender, sogar von kosmischer Bedeutung sein mußte. Gleichzeitig wurde mir deutlicher als je zuvor, daß ich mich dieser Aufgabe nicht entziehen durfte, nicht entziehen konnte. Hatten die Kosmokraten mich mit einer Art Sendungsbewußtsein erfüllt, das es mir unmöglich machte, anders als in ihrem Sinn zu handeln? Erfüllte ich eine Mission, oder war ich nur ein Werkzeug? Es ist müßig, daß du dir darüber den Kopf zerbrichst. Wesenheiten wie die Kosmokraten denken in völlig anderen Bahnen, die einem Gehirn wie dem deinen nicht nur abstrakt, sondern völlig fremd unverständlich sind.
Einem Insekt wird es auch niemals möglich sein, einen Menschen zu begreifen. Also bin ich doch nur ein Werkzeug? dachte ich. Im übertragenen Sinne mag das vielleicht möglich sein, aber ein Werkzeug wird weder auf seine Aufgabe vorbereitet noch geläutert. Mit dieser Antwort gab ich mich zufrieden. Nachdenklich blickte ich auf die mich umgebenden Trümmerstücke. Täuschte ich mich, oder entwickelten die kleinen Brocken in meiner Nähe tatsächlich eine Art Eigenbewegung, die nichts mit der Gravitation zu tun hatte? Bevor ich mich näher damit beschäftigen konnte, meldete sich erneut der Leckwarner. Meine provisorische Flickerei hatte demnach nicht viel gebracht. Während ich in den Taschen meines Raumanzugs nach dem Reparatur‐Set suchte, behielt ich gleichzeitig meine Umgebung im Auge, und diesmal sah ich es ganz deutlich: Splitter und Bruchstücke bewegten sich, formierten sich zu einer Art Kugelschale, die sich enger zusammenzog. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, aber da ich mich nicht bedroht sah, entschloß ich mich, zuerst meinen Raumanzug instand zu setzen, bevor ich mich mit diesem Phänomen näher beschäftigte. So eine Reparatur im freien Raum war gar nicht so einfach, zumal ich nur eine Hand frei hatte, da ich mit der anderen die Lampe halten mußte. Endlich, nach ein paar Minuten konzentrierter Arbeit, hatte ich einen passenden Aufkleber aufgebracht und elastisch mit dem Untergrund verschweißt. Als ich aufblickte, sah ich sofort, daß die Kugelschale sich weiter zusamengezogen hatte, dann, in etwa zehn Metern Entfernung, stoppte dieser unerklärliche Vorgang, nicht jedoch die Zuführung weiteren Materials. Schon schimmerte das Weltall nur noch an einigen Stellen durch, und auch diese schlossen sich rasch. Ich wurde regelrecht eingemauert. Was hatte das zu bedeuten?
Während ich noch unschlüssig war, ob und was ich tun sollte, spürte ich plötzlich einen sanften mentalen Druck. Er war nicht zwingend und fordernd, eher tastend, als würde etwas oder jemand versuchen, mit mir Kontakt aufzunehmen. Es war undenkbar, daß auf und zwischen diesen Trümmern intelligentes Leben existieren konnte, also mußte ich es mit einem Geisteswesen zu tun haben – einer körperlosen Lebensform. In Unkenntnis des wahren Sachverhalts und in Ermangelung einer passenderen Definition nannte ich dieses Etwas »Steinerne Intelligenz«. Vorsichtshalber zog ich meinen Strahler und harrte der Dinge, die da kamen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die Kugelschale schloß sich, ohne daß sich der mentale Druck verstärkte. Ich hatte in meinem langen Leben schon viel erlebt, aber daß lebloses Gestein sich zu einem Gefängnis formte, war neu. Deutliches Unbehagen erfaßte mich. Um meiner Beklemmung Luft zu machen, feuerte ich einen Schuß auf die umgebende Kugelschale ab. Im gleichen Augenblick brandete eine Stimme auf, die direkt aus meinem Bewußtsein zu kommen schien. ICH BIN PATHOS UND BITTE DICH, DIE ZERSTÖRUNGEN ZU UNTERLASSEN. Ziemlich perplex lauschte ich in mich hinein, doch just in diesem Augenblick sprach wieder das Leckwarngerät an. Diesmal war es nicht nur ein Haarriß, sondern ein größeres Loch. Entweder war die Reparaturstelle schmutzig gewesen, oder ich hatte nicht sorgfältig genug gearbeitet, jedenfalls war eine Schweißnaht des Flickens aufgeplatzt und hatte auch das darunterliegende Material beschädigt. Da war mit einer behelfsmäßigen, schnellen Abdichtung nichts mehr zu machen. Die ganze Luft drohte zu entweichen, und ich Narr hatte ein Loch in die Gesteinskugel geschossen. Lähmendes Entsetzen ergriff mich, ʹ gleichzeitig fühlte ich Panik in mir aufsteigen. Aus einem Reflex
heraus preßte ich die behandschuhte Rechte auf das Leck. ICH HABE DIE LÜCKE WIEDER GESCHLOSSEN. Es stimmte. Dieser Wesenheit, die sich Pathos nannte, war es tatsächlich gelungen, das Loch in der Kugel in Sekundenschnelle zu schließen. Wie ich meinen Anzuganzeigen entnehmen konnte, war die ausströmende Luft im Innern des Hohlkörpers geblieben, und nicht nur das: sie erwärmte sich auch. Bereits nach wenigen Minuten zeigten meine Instrumente an, daß nicht nur der Sauerstoffgehalt ausreichend war, sondern daß auch die Temperatur eine erträgliche Umgebung signalisierte. Ich konzentrierte mich und dachte: Danke! Die »Steinerne Intelligenz« meldete sich nicht. Pathos, wer oder was bist du? Warum hast du mich gerettet? Meine geistig formulierten Fragen verhallten ungehört, ich erhielt keine Antwort. Da ich einen Dialog, auch wenn er geistiger Art war, nicht erzwingen konnte, besann ich mich auf die praktische Seite und entledigte mich des Schutzanzugs. Nun, da ich mich in relativer Sicherheit befand, konnte ich endgültig darangehen, den Raumanzug sorgfältig und vorschriftsmäßig zu reparieren. Nachdem ich sicher war, alles so in Ordnung gebracht zu haben, daß ich zukünftig keine Pannen mehr erlebte, legte ich den Raumanzug wieder an, verzichtete aber darauf, den Helm zu schließen und das Lebenserhaltungssystem zu aktivieren. Hier, in der Kugel, war es nicht nur warm, es gab auch genügend Atemluft, während der Sauerstoffvorrat im Anzug jetzt nur noch für ein paar Stunden reichte. Gedankenverloren schob ich mir einen Konzentratwürfel in den Mund. Plötzlich erhellte sich ein Teil der Gesteinshülle, eine rechteckige Fläche leuchtete auf. Unbewußt schaltete ich meinen Scheinwerfer aus und starrte auf das strahlende Geviert. Irgendwie fühlte ich mich benebelt. War dieser mentale Druck dafür verantwortlich, war es körperliche Schwäche oder eine Art Projektion des überanspruchten Geistes, ein selbstgeschaffenes Ventil? Erlebte ich
die Realität, Traum oder Vision? Was war die Wirklichkeit überhaupt? Das leuchtende Rechteck zeigte spiegelglatte Flächen, über die winzige Schatten huschten, dann veränderte sich die Einstellung. Wieder standen Spiegel im Mittelpunkt, aber diesmal waren sie dreidimensional und geradezu grotesk in ihren Formen: Hohlspiegel, Röhren, Oktaeder, wellenartige Gebilde, Spitzen, Türme, spiralige Objekte. Nahezu keine Form, die ein denkender Geist sich ausdenken konnte, wurde ausgespart. Unschwer war zu erkennen, daß das ganze Gebilde immens groß sein mußte. Die Szenerie wechselte. Zwei rattenähnliche Wesen waren zu sehen, die eindeutig Roxharen waren. Sie wurden von kleinen Händen gefüttert, die eine Assoziation in mir weckten. Bevor mir die Lösung einfiel, sah ich, zu wem die winzigen Extremitäten gehörten: Es waren Molaaten. Wie in Trance erlebte ich das nächste Bild. Wieder standen die bepelzten Zwerge im Mittelpunkt. Mit Werkzeugen versehene Molaaten formten aus rohen Metallbrocken neue blanke Flächen und fügten sie zusammen. Übergangslos war auf einer spiegelnden Fläche das Abbild der kompletten SOL zu sehen. Es wirkte verzerrt, die Perspektiven verschoben sich, dennoch war der Hantelraumer eindeutig zu identifizieren. Wieder tauchten die Molaaten auf, doch plötzlich erstarrten sie mitten in der Bewegung. Ein unfaßbarer Schatten raste durch das Gewirr aus blanken Flächen. Als er verschwand, arbeiteten die kleinen Pelzwesen weiter, als wäre nichts geschehen. Und dann sah ich mich selbst. Ich war völlig nackt und stand aufrecht zwischen reflektierenden Wänden. Nein, es waren keine Wände, es war ein Käfig aus spiegelblanken Flächen. Etwas, das nicht zu definieren war, senkte sich über mich, begann meinen Körper aufzulösen in Atome, die überdimensional groß wurden. Siegessicheres Lachen brandete auf, das Haß, Wut und Ärger
beinhaltete. Es schien von überall zu kommen. Ich war wie gelähmt. Unfähig, mich zu bewegen und völlig benommen, schwebte ich in der Kugel. Nicht einmal denken konnte ich. Wie Blasen in einem Sumpf stiegen Gedankenfetzen an die Oberfläche des Bewußtseins, zerplatzten und tauchten wieder unter im Wirbel wirrer Empfindungen. Wieder hörte ich diese Stimme, die direkt aus mir selbst zu kommen schien. DU HAST NICHT MICH GESEHEN, SONDERN ETWAS, WAS ICH EMPFANGEN HABE. Diese Aussage der »Steinernen Intelligenz« verwirrte mich fast noch mehr als die Bilder. Sie waren inzwischen ebenso verschwunden wie das leuchtende Feld. Was bedeutet das? dachte ich. ICH WEISS ES NICHT, ICH VERSTEHE ES AUCH NICHT. ICH HABE DIE BILDER NUR AN DICH WEITERGEGEBEN, WEIL DU IN DER SENDUNG ENTHALTEN BIST. War das, was ich gesehen hatte, eine Botschaft gewesen? Oder eine Warnung? Woher kamen die Bilder? Wie hatte diese merkwürdige Intelligenz, die aus dem Material des Asteroidengürtels zu bestehen schien, sie empfangen? Wer bist du wirklich? PATHOS. Was willst du von mir? Das völlig fremdartige Wesen schwieg. Aus einer unterschwelligen Empfindung heraus schloß ich den Helm und schaltete meinen Scheinwerfer ein. Ein leises Zischen war zu hören. An meinen Anzugkontrollen konnte ich ablesen, daß die Luft entwich, es wurde kalt. Die Kugel löste sich auf. Zuerst war es nur wie das Abbröckeln alten Mauerwerks, dann lief dieser Vorgang immer schneller ab. Der Weltraum wurde wieder sichtbar, zugleich schwand dieser sanfte mentale Druck.
Das erinnerte mich wieder daran, in welch kritischer Situation ich mich befand; ich hatte nur noch Luft für zwei Stunden. Langsam drehte ich mich im Kreis, und fast hätte ich laut aufgeschrien. Unweit von mir entdeckte ich die Rest‐SOL, jenen Verbund aus SZ‐1 und Mittelteil. Das war die Rettung! Da mein Notsender noch lief, mußten sie mich auf diese geringe Distanz hin einfach bemerken. Und so war es auch. Ein Schiff wurde ausgeschleust, was mir bewies, daß man mich entdeckt hatte. Ob es die Rettung ist, muß sich erst noch erweisen. 4. »Ich empfange ein Notsignal.« Curie van Herling wandte sich um. »Code und Frequenz nach muß es sich um ein Gerät aus unserer Fertigung handeln.« »Hast du eine Peilung durchgeführt?« erkundigte sich Wajsto Kölsch. »Ja. Die Sendung kommt eindeutig aus dem Asteroidenring.« »Merkwürdig«, brummte Nurmer. »Versuche, ob du eine Funkverbindung herstellen kannst.« Die Frau nahm einige Schaltungen vor und gab eine Meldung über Normalfunk ab. Als die Antwort erfolgte, ließ sie sich überrascht in ihren Sessel sinken. »Ihr werdet es nicht erraten, wer sich da draußen in Raumnot befindet.« »Nun versuche nicht, uns auf die Folter zu spannen«, rief Herts ärgerlich. »Sage endlich, wer da um Hilfe ruft.« Die füllige Magnidin genoß es sichtlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Der Reihe nach sah sie die Versammelten an, dann sagte sie genüßlich, jeden einzelnen Buchstaben betonend: »Atlan!«
Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein, selbst die wortgewandte Ursula Grown war sprachlos. Nurmer hatte sich als erster von der Überraschung erholt. »Da wird sich Chart aber freuen.« Er grinste diabolisch. »Bisher hat er vergeblich versucht, dieses Aufrührers habhaft zu werden.« Er stand auf und schaltete eine Verbindung zur Klause. Das feiste Gesicht des falschen High Sideryt erschien auf dem Schirm. »Was gibt es?« »Ein lang gehegter Wunsch von dir geht in Erfüllung, Chart. Draußen im Raum treibt Atlan.« Die kaum sichtbaren, von Fettpolstern umgebenen Augen leuchteten triumphierend auf. Order‐7 lachte grollend. »Wir sollten ihn nicht lange warten lassen. Holt ihn an Bord und bringt ihn zu mir. Es wird mir eine Freude sein, ihn hier begrüßen zu können.« »Ich kümmere mich persönlich darum«, versprach Nurmer und trennte die Verbindung. »Was hast du vor?« Der Magnide stand auf und wandte sich der Sprecherin zu. »Was soll ich schon vorhaben, Ursula?« Die Stimme des Solaners klang belustigt. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich werde Atlan ins Schiff holen.« »Warum ausgerechnet du?« »Weil ich es Chart versprochen habe.« »Es ist nicht nötig, daß einer von uns die Teil‐SOL verläßt«, wandte Ar Jana Joester ein. »Ein Robot‐Raumer kann das genausogut tun.« Ärgerlich blickte der Mann sich in der Runde um. »Ihr könnt mich nicht umstimmen, mein Entschluß steht fest, verstanden?« »Ja, wir haben verstanden«, sagte Herts gereizt, »aber glaube nicht, daß wir dich nicht durchschauen, Nurmer.« »Was soll das heißen?«
Der verwachsene Magnide bedachte den Kahlkopf mit einem abfälligen Blick, sein Gesicht bekam einen verschlagenen Ausdruck. »Denkst du, wir halten dein Engagement für Diensteifer? Du willst dich bei Chart beliebt machen, das ist alles.« Er lachte schrill. »Seit ich dich kenne, hast du dich noch nie um einen Sonderauftrag gerissen, sondern dich lieber mit jungen Solanerinnen vergnügt.« »Das ist eine gemeine Unterstellung!« brüllte Nurmer. Erregt ballte er die Fäuste. »Du bist ein elender Lügner, Gallatan. Ich hätte nicht übel Lust, dir einen Denkzettel zu verpassen.« Er machte Anstalten, sich auf Herts zu stürzen, verharrte aber mitten in der Bewegung und hob den Kopf, als würde er lauschen – in sich hineinlauschen; auch die anderen Magniden wirkten auf einmal geistesabwesend und wie erstarrt. Der gespenstische Zustand hielt nur ein paar Sekunden an, dann bewegten sie sich wieder, nur – der Zwist war auf einmal total vergessen, selbst der streitsüchtige Gallatan Herts gab sich völlig friedlich; niemand erhob Einspruch, als Nurmer erneut für sich in Anspruch nahm, Atlan zu bergen. So einmütig hatte man die Brüder und Schwestern der ersten Wertigkeit noch nie erlebt, wenn sie unter sich waren – alles war eitel Sonnenschein, doch der offensichtliche Widerspruch fiel keinem auf. Jeder von ihnen gab sich wie sonst, war aber verändert, ohne es selbst zu bemerken – und die anderen erkanten es auch nicht. »Ich habe eine Verbindung zum Hangar hergestellt, Nurmer. Du kannst jetzt sprechen.« Wajsto Kölsch sagte das, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß ein Magnide einem anderen so einfach einen Gefallen tat. Nurmer nickte nur, als hätte er nichts anderes erwartet; sie verstanden sich auf einmal blind, Rangelei, Neid und Mißgunst, Machtstreben und Vorteildenken schienen ihnen plötzlich fremd. Eine ungemein starke Solidarität verband sie auf einmal – nicht nur untereinander, sondern auch mit der Deccon‐Kopie. Der bärtige Kahlkopf befahl, eine Space‐Jet startklar zu machen,
und begab sich an Bord, begleitet von den guten Wünschen der anderen. Für die zurückbleibenden Magniden war es selbstverständlich, daß er das Beiboot befehligte und auch die Rettungsaktion leitete. * In der Schleuse wurde ich von bewaffneten Robots in Empfang genommen und gründlich durchsucht. Erst nachdem man mir alles abgenommen hatte, was sich irgendwie als Waffe verwenden ließ, brachte man mich in die Zentrale der Space‐Jet, wo mich Nurmer erwartete. Er grinste niederträchtig. »Ein seltenes Vögelchen haben wir da gefangen. Fürchtest du dich jetzt – so ganz ohne Unterstützung der anderen Rebellen?« Mit einer Kopfbewegung deutete ich auf die Automaten, die bisher nicht von meiner Seite gewichen waren. »Meinst du nicht, daß deine Leibwache viel deutlicher zeigt, wer hier vor wem Angst hat?« Die Augen des Magniden verzogen sich zu schmalen Schlitzen. »Deine Selbstsicherheit wird dir noch vergehen, wenn Chart sich erst einmal mit dir beschäftigt hat.« »Du bist ein Narr, Nurmer«, gab ich kalt zurück. »Hast du immer noch nicht bemerkt, daß du dem falschen Mann folgst? Der, den du für Deccon hältst, ist eine Kopie, das Werkzeug einer fremden Macht, die die SOL will. Der echte Chart Deccon ist tot, und sein legitimer Nachfolger ist Hayes.« »Du erwartest doch wohl nicht von mir, daß ich diesen Unsinn glaube?« »Es ist nicht nur mein Ernst, sondern auch die Wahrheit.« Der Magnide reagierte abweisend und schroff. »Verschone mich mit solchen Märchen. Mag sein, daß dir Palo und Brooklyn das abgenommen haben – wir anderen tun es nicht. Chart
ist und bleibt der High Sideryt.« Er betonte dieses »wir« so merkwürdig, daß ich hellhörig wurde. Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß Nurmer anders war als sonst – härter, verbissener, unnachgiebig. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, entledigte ich mich des Raumanzugs. »Was starrst du mich so an?« brauste er auf. »Du scheinst dich in letzter Zeit verändert zu haben, Nurmer, und zwar zu deinem Nachteil.« »Wenn sich hier jemand verändert hat, dann bist du es«, schnauzte der Magnide. »Anders als auf der SZ‐2 dulden wir nämlich keine Aufrührer.« So war das also. Der Order hatte eine härtere Gangart eingeschlagen, und die Magniden zogen willig mit, wie Nurmers Worten deutlich zu entnehmen war. Findest du das nicht merkwürdig? Alles in der SOL befindet sich im Umbruch, nur die oberste Kaste schwenkt wieder auf die alte Linie ein. Daß sich tatsächlich einiges getan hatte, wußte ich aus Berichten Deccons, Lyta Kundurans und Nockemanns. Wenn nun wieder ein deutlicher Schwenk vollzogen wurde, mußte etwas dahinterstecken. Angst vor Repressalien konnte es nicht sein, denn die Magniden waren mächtig genug, sich unsinnigen Befehlen widersetzen zu können. Was war für den offensichtlichen Sinneswandel verantwortlich? »Was ist mit Wajsto Kölsch?« »Was soll mit ihm sein? Er ist bei bester Gesundheit und wohlauf.« »Ich meine, teilt er deine Ansichten?« »Natürlich, wir sind alle der gleichen Meinung und stimmen in jeder Beziehung mit Chart vollkommen überein. Hast du gehört? Wir alle«, setzte er mit Nachdruck hinzu. Sie sind beeinflußt! Natürlich, das war es! Ich hatte damals im Chail‐System Gelegenheit gehabt, Kölsch
näher kennenzulernen. Er war durchaus nicht so ein Eisenfresser, wie man glauben konnte, und auch Ursula Grown war mir keineswegs so skrupellos vorgekommen wie etwa Gallatan Herts oder gar Arjana Joester. Gewiß, nach außen hin hatten sie stets Einigkeit demonstriert, aber unter, sich waren sie durchaus konträr, und nicht jede Entscheidung des High Sideryt hatte ihre Zustimmung gefunden. Wenn die Zusammenarbeit nun wirklich so innig war, mußten sie geistig beeinflußt worden sein, und dafür kam nur einer in Frage: der falsche Deccon. Der Solaner deutete meine Nachdenklichkeit falsch und lachte schadenfroh. »Du hast wohl gehofft, daß Wajsto dir beisteht, was? Vielleicht aus alter Freundschaft, weil ihr damals zusammen auf dem Planeten wart?« Seine Stimme wurde schrill bis zum Diskant. »Niemand auf der Teil‐SOL steht auf deiner Seite, du hast weder einen Fürsprecher noch einen Freund. Alle hassen dich, Atlan!« Den letzten Satz spie er mir regelrecht ins Gesicht, wütend und voller Verachtung, dann wandte er sich ab. Ich blieb ruhig und gelassen. »Du hast dich wirklich sehr verändert, Nurmer.« Gleichmütig fuhr ich fort: »Hast du schon einmal daran gedacht, daß du unter geistiger Kontrolle stehst? Nicht nur du, sondern auch die anderen Magniden …« Wie von der Tarantel gestochen fuhr der Solaner herum. Mit drei schnellen Schritten war er heran und schlug mir die geballte Faust ins Gesicht. Die blassen blauen Augen funkelten, das runzlige Gesicht war zur Grimasse verzerrt. »Wenn du noch einmal wagst, so etwas zu behaupten, bringe ich dich eigenhändig um, du verlogener Bastard!« Es wäre mir ein leichtes gewesen, Nurmer niederzuschlagen und mit ihm als Geisel die Robots in Schach zu halten, um mit der Space‐ Jet zu fliehen, verzichtete jedoch darauf.
Wie ich den falschen Deccon einschätzte, würde er keine Skrupel haben, das Beiboot vernichten zu lassen, obwohl sich Nurmer in meiner Gewalt befand. Und von den beeinflußten Magniden war keine Unterstützung zu erwarten. »Nurmer, du tust mir leid.« Er machte erneut Anstalten, sich auf mich zu stürzen. »Ich warne dich! Wenn du dich noch einmal zu Handgreiflichkeiten hinreißen läßt, schlage ich zurück. Ich kann dir versichern, daß ich keine Waffe brauche, um jemanden zu töten. Das laß dir für den Fall gesagt sein, daß du auf deine Roboter hoffst.« Meine Drohung wirkte. Deutlich sah man, wie es in dem kahlköpfigen Mann arbeitete. Abrupt drehte er sich um und machte sich an den Kontrollen zu schaffen. Der Rest des Fluges verlief schweigend. Eine gute Viertelstunde später stand ich der Deccon‐Kopie in der Klause gegenüber. * Der Hüne gab sich keine Mühe, seinen Triumph zu verbergen. »Leider ist es mir nicht gelungen, die SZ‐2 zu vernichten, aber deine Ergreifung betrachte ich als ein gutes Omen, daß ich meine Mission doch noch erfüllen kann.« Grenzenloser Zorn erfüllte mich. Diese Bestie war nicht davor zurückgeschreckt, den Tod von Zehntausenden von Lebewesen zu riskieren, und sprach in einem Ton darüber, als ginge es ihm um reine Konversation. Bleib ruhig! mahnte mein Extrasinn. Unbesonnenheit führt zu nichts! »Du bist ein Teufel, Doppelgänger!« »Wie ich sehe, bist du informiert«, sagte mein Gegenüber völlig ungerührt, »aber deine Erkenntnis wird dir nichts nützen, wie du dir sicher denken kannst. Ich habe nicht die Absicht, dich am Leben zu lassen, deshalb kann ich auch offen mit dir reden.« Er lachte
grollend. »Es tut gut, sich einmal auszusprechen, zumal du mir nicht mehr schaden kannst.« »Willst du mich auch beeinflussen wie die Magniden?« versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken. Ich hatte mich durchaus noch nicht aufgegeben; jede zusätzliche Information konnte für mich nützlich sein. »Das hast du also auch schon bemerkt«, stellte der falsche High Sideryt nüchtern fest. »Du bist ein cleverer Bursche, Atlan. Schade, daß du auf der falschen Seite stehst – du wärst ein sehr nützlicher Helfer.« »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.« »Ich habe gedacht, daß du intelligent genug bist, um zu erkennen, daß sich das erübrigt.« Er beugte sich vor. »Du stirbst sowieso, weil du für mich nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich bist. Das leuchtet dir doch wohl ein, oder?« Frage weiter und lasse dir nichts anmerken. Er fühlt sich dir grenzenlos überlegen. Nutze diese Phase! Am liebsten hätte ich ihn ins Gesicht geschlagen. Es ging nicht um mich, viel mehr regte mich auf, was er sagte und wie er das sagte. Mit impertinenter Arroganz und voller Zynik sprach er davon, zu töten und intelligentes Leben zu vernichten. Es war diese völlige Skrupellosigkeit, die mich an den Rand meiner Selbstbeherrschung brachte. Mühsam unterdrückte ich meine Emotionen und fragte scheinbar unbeteiligt: »Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, daß das, was du jetzt tust, sich eines Tages gegen dich wenden könnte?« »Aus dir spricht die Angst«, antwortete das Duplikat ausweichend. »Ich werde meine Aufgabe erfüllen.« »So wie die Magniden, die unter deiner Kontrolle stehen. Du bist nur eine Marionette!« Unangenehm berührt sprang der Doppelgänger auf, faßte sich aber sogleich wieder und schaffte es sogar, zu lächeln.
»Du täuschst dich. Ich habe nicht nur Macht über die Magniden, sondern auch über SENECA. Was sagst du nun?« »Das ist völlig unmöglich. Niemand kann SENECA beeinflussen.« »Ich doch.« Das Duplikat lächelte maliziös. »Suggestion. Du wirst am eigenen Leib erfahren, daß es stimmt, was ich sage. Mit dir sind es inzwischen drei Personen, die ich ausschalten muß.« »Wer sind die beiden anderen?« »Bora St. Felix und Joscan Hellmut«, lautete die bereitwillige Antwort. »Und wie willst du uns töten?« »Von mir war nicht die Rede. Die Troiliten werden das für mich erledigen. Ich werde SENECA eine Gefahr suggerieren, die nur durch den Einsatz der Energiewesen beseitigt werden kann.« »Du bist völlig von Sinnen.« »Warte es ab.« Er winkte seiner Leibwache. »Ich hatte mir ein Gespräch mit dir interessanter vorgestellt, doch du beginnst mich zu langweilen.« Der Hüne machte eine herrische Handbewegung. »Bringt ihn in die vorbereitete Zelle!« Gehorsam führten die Automaten mich ab. Selbstzufrieden blickte mir der Doppelgänger nach. Er wirkte zuversichtlich und von sich überzeugt, während ich verunsichert war, ohne es mir allerdings anmerken zu lassen. In dieser Situation wäre ein Hinweis äußerst hilfreich gewesen, doch mein Logiksektor schwieg. Mein Gefängnis bestand aus einem etwa zwölf Quadratmeter großen Raum, der zwar eine winzige Hygieneeinheit enthielt, ansonsten aber recht spartanisch eingerichtet war. Das einzige Mobiliar bestand aus einer Liege, zwei Sesseln und einem kleinen TisCh. Eine Servoeinheit gab es nicht. Dreimal täglich brachten mir Robots eine warme Mahlzeit und etwas zu trinken. An einen Ausbruch war nicht zu denken. Ohne technische Hilfsmittel war dem positronischen Türverschluß nicht
beizukommen, das unter der Decke eingelassene Lüftungsgitter verschloß einen Schacht, dessen Durchmesser viel zu gering war, um mich hindurchzwängen zu können. Eine Überraschung erlebte ich, als ich die Wände untersuchte. Zwar fand ich keinen geheimen Durchlaß, im Gegenteil, die Abtrennung erwies sich als recht massiv, aber ich hörte deutliche Klopfzeichen an den beiden Seitenwänden. Links und rechts von mir mußten sich demnach weitere Zellen befinden. Waren es die von Bora und Joscan? Ich versuchte es mit dem guten alten Morsealphabet und hatte damit tatsächlich Erfolg. Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ich bin Bora St. Felix. Verstanden. Hier Atlan. Dann klopfte ich: Warten. Mit wenigen Schritten war ich an der gegenüberliegenden Wand und probierte es dort. Auch hier hatte ich Glück und wurde verstanden. Mein anderer Zellennachbar war Joscan Hellmut. Nun, da eine Verständigungsgrundlage geschaffen war, bereitete es mir keine Schwierigkeiten, mit den beiden in einen Erfahrungsaustausch zu treten, auch wenn es recht mühsam war. Ich erfuhr von dem wirklichen Zustand der beiden Roboter Romeo und Julia, auch wenn dieses Problem mittlerweile nicht mehr akut war, und von der geplanten Flucht Boras und Joscans sowie ihrer Festsetzung. Wir setzten den Informationsaustausch weiter fort, zumal es keine andere Ablenkung gab. Allmählich gewann ich so auch einen Überblick über alles, was vorgefallen war und wie die Stimmung in der Rest‐SOL wirklich war. Die Aussage des beeinflußten Nurmer, daß alles eitel Sonnenschein war, traf dabei durchaus nicht zu. Unter weiten Teilen der Bevölkerung herrschte Unruhe. Nach sechs Tagen hatte ich, bezogen auf meine beiden
Informanten, den gesamten Wissensstand der im Verbund SZ‐1 und Mittelteil lebenden Solaner. Wo die SZ‐2 abgeblieben war, erfuhr ich nicht. Niemand hier schien das zu wissen, allerdings mußte man sie suchen, denn es gab immer wieder spürbare Linearetappen. Ich hatte Hellmut übermittelt, was ich von Deccons Doppelgänger erfahren hatte bezüglich SENECA und der Troiliten. Er war genauso skeptisch wie ich, daß eine Beeinflussung der Biopositronik möglich war, mochte es andererseits aber auch nicht völlig ausschließen; weder er noch ich wußten schließlich, über welche Kräfte die Kopie wirklich verfügte. Je länger ich über diesen Order nachdachte, um so deutlicher erkannte ich, daß mir hier ein immer stärker werdendes Überwesen gegenüberstand. Die fremde Macht, die ihn geschickt hatte, hatte ihn mit allen nur denkbaren Mitteln ausgestattet, damit er sein Ziel auch wirklich erreichte. Ich kannte parapsychisch begabte Lebensformen und auch die terranischen Mutanten und wußte daher, welche Macht etwa ein Suggestor über seine Umwelt hatte, wenn er es darauf anlegte. Daß er keine Skrupel hatte, wußte ich; längst waren die Magniden zu seinen unfreiwilligen Helfern geworden. Die Macht, die Order geschickt hatte, konnte niemand anders als eine Superintelligenz sein. War schon eine Superintelligenz – egal, ob positiv oder negativ – gedanklich kaum faßbar, um wieviel mehr galt das erst für die Kosmokraten. Sie waren aus weiterentwickelten Materiequellen hervorgegangen – eine evolutionäre Entwicklung positiver Superintelligenzen. Diese weit über ES und Seth‐Apophis stehenden Wesenheiten hatten mir den Auftrag erteilt, »Friedenszellen« zwischen den Mächtigkeitsballungen der Superintelligenzen zu bilden, vor allem aber, nach Varnhagher‐Ghynnst zu gelangen. Ich seufzte. Alles, was mit den Kosmokraten zusammenhing, war so abstrakt, daß ich es gedanklich nicht erfassen konnte, mein Verstand weigerte sich sogar, sich mit diesen Dingen ausführlich zu
beschäftigen. Wahrscheinlich war das auch gut so, eine Art Selbstschutz des Geistes, denn etwas begreifen zu wollen, was selbst ES übertraf, mußte zur Umnachtung führen. Meine Gedanken kehrten zum falschen High Sideryt zurück. Seltsamerweise hatte seine Ankündigung, mich zu töten – oder töten zu lassen – mich weder in Furcht noch in Panik versetzt. Bezog ich meine Selbstsicherheit von dem gewaltigen Feuer, das die Kosmokraten in mir entfacht hatten? Hast du etwas davon gemerkt, als du gegen Romeo angetreten bist? spöttelte mein Extrasinn. Ich verneinte gedanklich. Logischer und demzufolge wahrscheinlicher ist, daß du SENECA nicht zutraust, daß er die Troiliten gegen dich und die anderen einsetzt. Du hast recht, ich kann es mir nicht vorstellen, immerhin ist SENECA nicht irgendein x‐beliebiger Rechner. Er besitzt eine Art Seele. Er und ich, wir sind gute, alte Bekannte, Joscan Hellmut ist sogar eine Art Freund SENECAS. Bringt man Freunde um? Die Frage stellt sich so nicht. Wenn SENECA als Werkzeug benutzt wird durch Beeinflussung, kann er keine Wertung vornehmen. Was soll ich deiner Meinung nach tun? Nimm den Doppelgänger ernst und mache dich mit dem Gedanken vertraut, daß er die Wahrheit gesagt hat. Es ist ein gravierender Fehler, seinen Gegner zu unterschätzen. Du bist also sicher, daß die Troiliten versuchen werden, mich umzubringen? fragte ich lautlos. Ja. Wie ich sehe, hast du mittlerweile akzeptiert, daß SENECA manipuliert werden kann. Das ist gut. Daß er beeinflußt werden kann? Nein, daß du diese Möglichkeit in deine Überlegungen einbeziehst. Der Logiksektor schwieg. Ich suchte mein Lager auf und dachte nach. Das, was mein Extrasinn vorgebracht hatte, stimmte. Es war besser, sich auf etwas einzustellen, was möglicherweise nicht zutraf, als eine unangenehme Überraschung zu erleben, der man dann
hilflos gegenüberstand. Aber: Hatte ich überhaupt eine Möglichkeit, etwas zu ändern? Ich lauschte in mich hinein. Tief im Innern spürte ich die verzehrende Flamme, den Auftrag der Kosmokraten erfüllen zu müssen. Jetzt und hier war ich überzeugt davon, doch dann kam mir in den Sinn, daß mich vor wenigen Tagen Zweifel geplagt hatten; es war vor knapp einer Woche gewesen, als ich mich ohne Aussicht auf Rettung in den Asteroidengürtel begeben hatte. Wie lange war das her? Einhundertzwanzig, einhundertsechzig Stunden? In meinem Leben war das eine winzige Zeitspanne, aber deutlich empfand ich das als Vergangenheit. Ich hatte mit dem Schicksal gehadert, zugleich jedoch erkannt, daß eine Art Läuterung erfolgte. Ich habe das erkannt! widersprach mein Extrasinn. Du hast damals sogar dein Sendungsbewußtsein in Frage gestellt. Das stimmt nicht! empörte ich mich. Ich kann mich deutlich erinnern, lediglich erwogen zu haben, ob die Kosmokraten mich mit einer Art Sendungsbewußtsein erfüllt haben oder nicht. So kann man Zweifel natürlich auch umschreiben, obwohl es nicht sehr fair ist, daß du dich mir gegenüber so herauszureden versuchst, denn schließlich bin ich ein Teil von dir. Entschuldige! Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Durch den Tod Palo Bows hast du dich in einer Ausnahmesituation befunden. Das ist erklärlich und akzeptabel, aber jetzt solltest du zumindest mir gegenüber keine Ausflüchte mehr gebrauchen. Hältst du die augenblickliche Situation etwa für normal? Nein, keineswegs. Wie beurteilst du meine Überlebenschance? Du solltest allmählich wissen, daß ich weder hochzurechnen vermag noch spekuliere. Ich orientiere mich an Fakten. Ich auch, aber du nimmst stets das Schlimmste an. Bei deiner Art zu leben, muß man das wohl. Ich bezweifle, ob du ohne
mich so alt geworden wärst, wie du heute bist. Es ist ein Jammer, daß du immer wieder versuchst, den terranischen Barbaren nachzueifern. Unwillkürlich mußte ich lächeln. Die terranischen Barbaren! Wie lange war das schon her, daß ich ihnen begegnet war, und wie frisch war doch die Erinnerung daran … Perry Rhodan kam mir in den Sinn, mein alter Freund und Kampfgefährte. Was mochte aus ihm und Terra geworden sein? Bestand die Erde noch, war er noch am Leben? Warum sollte er nicht? Er besitzt wie du einen Zellaktivator, ist allerdings ein paar tausend Jahre jünger. Dagegen spricht allerdings sein Draufgängertum. Halte dich gefälligst zurück, dachte ich ärgerlich. Ja, das waren Zeiten damals. Er war Großadministrator, du Lordadmiral der USO. Und dann war da noch Gucky, der stets zu Spaßen aufgelegte Mausbiber … Manchmal ist dein Zynismus wirklich unerträglich. Was geht es dich an, wenn ich in Erinnerungen schwelge? Es waren schwere Zeiten damals. Wer die Vergangenheit trotzdem glorifiziert, ist auf dem besten Weg, senil zu werden. Das ist wirklich die Höhe! empörte ich mich gedanklich. Denke und handle ich etwa wie ein Greis? Glaubst du, die Kosmokraten hätten einen klapprigen Alten mit der Aufgabe betraut? Ich bin körperlich und geistig im Vollbesitz meiner Kräfte, was dir altem Ekel aber entgangen zu sein scheint. Deine Unterstellung ist lächerlich! Immerhin ist es mir gelungen, dich in die Realität zurückzuführen. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Mein Extrasinn hatte mich lediglich provoziert, damit ich mich mit meiner mißlichen Lage beschäftigte und mir bewußt wurde, daß dieser Raum nicht zu einem Sanatorium gehörte, sondern eine Art Todeszelle war. Psychologie scheint nicht deine starke Seite zu sein, entgegnete ich lautlos. Da du meine Warnungen nicht ernst zu nehmen pflegst, habe ich nach
dem terranischen Sprichwort gehandelt »Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil«. Findest du das Zitat nicht barbarisch? Ich erhielt keine Antwort. Zufrieden streckte ich mich aus und war wenig später eingeschlafen, nicht ahnend, daß der nächste Tag eine Entscheidung bringen sollte. 5. Order‐7 hatte die Magniden in die Zentrale gerufen. Grußlos bedeutete er ihnen, Platz zu nehmen. »Ich habe euch herbefohlen, um euch zu zeigen, wie ich mit meinen Gegnern fertig werde.« Mit seiner fleischigen Rechten deutete er auf einen noch dunklen Bildschirm. »Gleich könnt ihr ein Schauspiel besonderer Art erleben. Es wird euch Spaß machen.« »Geht es um Atlan?« erkundigte sich Nurmer. »Nicht nur um den, sondern auch um Bora St. Felix und Joscan Hellmut.« »Hast du Roboter beauftragt, sie zu töten?« Der Hüne grinste niederträchtig. »Nein, Arjana, die Troiliten werden das erledigen. Ich hoffe, es wird eine interessante Jagd werden.« Niemand in der Runde wunderte sich darüber, daß die Energiewesen eingriffen, und keiner protestierte gegen das schändliche Vorhaben – zu groß war der Einfluß, den die Deccon‐ Kopie auf sie ausübte. Die Brüder und Schwestern der ersten Wertigkeit waren nur noch Marionetten, programmierte Lebewesen, die blind und bedingungslos gehorchten. In ihrem jetzigen Zustand erreichten sie eine gewisse Affinität mit Order‐7, denn wie er folgten sie nun einem in ihnen verankerten Programm. Sie wurden gesteuert und kontrolliert, geistig überwacht
und in ihren Überzeugungen – soweit erforderlich – regelrecht »umgepolt«. Ihre Persönlichkeiten wurden vergewaltigt, ohne daß sie eine Möglichkeit hatten, sich zu wehren. Order‐7 beherrschte nämlich nicht nur die Suggestion, sondern auch die Hypnose und war außerdem Telepath. Eine Person, die alle diese Fähigkeiten in sich vereint, ist ein schlechthin unbesiegbares Überwesen, und der Hüne wußte das. Er war seiner Sache völlig sicher und gab sich nicht einmal mehr die Mühe, zu kaschieren, welche Macht er über die Magniden hatte. In ihrer Abhängigkeit konnten sie das ohnehin nicht mehr erkennen. Herts rieb sich erwartungsvoll die Hände. »So etwas solltest du dir öfter einfallen lassen, Chart, das bringt wenigstens etwas Abwechslung in die tägliche Routine.« Die anderen lachten beifällig. »Warum nicht?« meinte der falsche High Sideryt gutgelaunt. »Aufrührer und Unzufriedene gibt es genug in der Teil‐SOL.« »Das ist die richtige Einstellung, Chart.« Curie van Herling strahlte den massigen Mann an. »Wer nicht für dich ist, ist gegen dich.« »Ich sehe, wir verstehen uns.« Er sondierte die Gedanken der Versammelten. Niemand war unter ihnen, der seine Entscheidungen nicht rundheraus guthieß. Zufrieden lehnte er sich zurück. »Wann geht es denn endlich los?« krähte Herts mißvergnügt. Er konnte es kaum erwarten, diese ungleiche Auseinandersetzung mitzuerleben, deren Ausgang schon jetzt klar war. Order‐7 blickte auf sein Chronometer. Sein aufgedunsenes Gesicht verzog sich zu einer hämischen Grimasse. »In ein paar Minuten. Ich hoffe nur, daß die drei nicht indisponiert sind. Es wäre schade, wenn alles gleich vorbei ist.« Er wandte sich an einen Robot und ließ sich einen Drink servieren. Order‐7 wollte es genießen, wenn die Frau und die beiden Männer umgebracht wurden.
* Als sich die Tür meiner Zelle öffnete und zwei Kampfroboter erschienen, dachte ich, daß sie mich zu dem falschen High Sideryt bringen wollten, doch es kam anders. Gefühllos, wie es die Art dieser Maschinen ist, teilten sie mir mit: »Die Jagd ist freigegeben, die Troiliten sind aktiviert.« Nachdenklich betrachtete ich die Automaten. War das eine Finte Orders, um mich in Angst und Schrecken zu versetzen, oder war es die Wahrheit? Hatte er es wirklich geschafft, SENECA zu beeinflussen? Rechne mit dem Schlimmsten! meldete sich mein Extrasinn. Ich trat hinaus auf den Gang. Vor ihren Gefängnissen standen Bora und Joscan. Sie wirkten sehr gefaßt. Wir begrüßten uns stumm. »Ihr wißt Bescheid?« Beide nickten. Mittlerweile hatten die Robots die Zellentüren geschlossen. »Die Jagd ist freigegeben, die Troiliten sind aktiviert«, wiederholten sie. »Ihr könnt gehen.« Damit trollten sie sich und ließen uns zurück. Hilfesuchend blickte die Buhrlofrau mich an. »Was tun wir jetzt?« Ich hatte mir zwar Gedanken gemacht, aber mit einer solchen Situation, wie sie sich nun darstellte, nicht gerechnet. »Ich muß gestehen, daß ich selbst ein wenig ratlos bin. Joscan, hast du eine Idee?« Der Mann mit der samtbraunen Haut und den schwarzen, gelockten Haaren zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. Exakte Daten über die Troiliten waren uns allen dreien nicht bekannt. Ich wußte einige Einzelheiten von Bit und Chart Deccon, Bora war ihnen persönlich begegnet, als SENECA veranlaßt hatte,
daß die im Bord Jargon »Brüder der fünften Wertigkeit« genannten Wesen die Doppelgänger Deccons aufspürten. »Wir sollten uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß es um unser Leben geht«, sagte ich und folgte damit dem Rat meines Logiksektors. »Ich halte es für besser, wenn wir zusammenbleiben. Zu dritt sind unsere Chancen größer.« Die Buhrlofrau lachte gekünstelt. »Alles ist gleich. Die Troiliten sind ebenso zu dritt wie wir und sind ebenfalls waffenlos.« »Strahler würden uns auch keinen Vorteil bringen, Bora. Meines Wissens sind die Energiewesen gegen die üblichen Waffen gefeit.« »Siehst du überhaupt eine Möglichkeit, die nächste Stunde zu überleben?« »So pessimistisch wie du, Joscan, bin ich jedenfalls nicht«, antwortete ich ausweichend. »Was wir brauchen, ist ein kühler Kopf.« »Das ist leicht gesagt«, meinte Bora St. Felix bitter. »Nun seid doch nicht so mutlos. Wo bleibt euer Selbstbewußtsein, euer Wille, zu überleben? Gewiß, ihr wart länger eingesperrt als ich, aber das ist doch kein Grund, einfach aufzugeben. Ich weiß nicht, ob dieser Order die Zeit benötigt hat, um Macht über SENECA zu gewinnen oder ob er uns durch die Festsetzung einfach nur demoralisieren wollte, jedenfalls sollten wir ihm nicht in die Hände spielen. Weltuntergangsstimmung ist ein schlechter Kampfgefährte und bringt nur Nachteile.« »Unsere Aussichten, zu überleben, sind gleich Null.« Die Stimme der exotisch wirkenden Gläsernen vibrierte. »Ich habe die Troiliten erlebt.« Allmählich wurde ich ärgerlich. In ihrem Zustand waren die beiden eher eine Last als eine Hilfe. Ich mußte sie aufrichten, sonst standen wir wirklich auf verlorenem Posten, denn allein lassen wollte ich sie auf keinen Fall. Beide hatten unbestritten ihre Qualitäten, doch eine Situation wie diese überforderte sie ganz
einfach. »Joscan, du weißt, was ich dir in der Zelle übermittelt habe. Sei jetzt mal ganz objektiv. Hättest du mir oder einem anderen Menschen gegen Romeo eine Chance eingeräumt?« »Nein, Romeo ist …«, er verbesserte sich, »war praktisch unbesiegbar.« »Dennoch ist es mir gelungen, ihn zu vernichten. Einsatzwille, ein wenig Mut und Selbstvertrauen bringen oft wahre Wunder zuwege. Der Anfang vom Ende ist, sich selbst aufzugeben.« Was ich da von mir gab, lag mir eigentlich nicht, denn es klang nach Prahlerei, aber ich sah keine andere Möglichkeit, um sie zu motivieren. Ich mußte sie aufrütteln, ihnen deutlich machen, daß auch scheinbar unangreibare Gegner zu überwinden waren. Dabei verschwieg ich wohlweislich, daß ich durchaus nicht so optimistisch war, wie ich mich gab. Romeo war eine autarke Einheit gewesen, hinter den Troiliten stand SENECA. Und hinter dir stehe ich! Ich wußte gar nicht, daß du auch für jene barbarische Heiterkeit empfänglich bist, die man Galgenhumor nennt! formulierte ich gedanklich. Meine Aussage hat mit Galgenhumor nichts zu tun. Angesichts der aussichtslosen Lage betrachte ich es als meine Pflicht, Optimismus zu verbreiten. Was dir mit der Formulierung »aussichtslose Lage« auch vollends gelungen ist, vermerkte ich sarkastisch. Dich total in deinen Ansichten zu bestärken, hieße, dein und damit auch mein Leben unnötig zu verkürzen, doch lassen wir das. Was deine Gefährten betrifft, kannst du getrost dicker auftragen. Beide sind verängstigt. Baue sie auf und scheue dich nicht, als lebendes Beispiel aufzutreten und aufzutrumpfen. Sie müssen erkennen, daß du ein Held bist, der auch Unmögliches vollbringt. Sie müssen wieder an sich und vor allem an dich glauben. Es ist mehr als peinlich, sich selbst so in den Mittelpunkt zu
stellen, gab ich zurück. Und es ist Dummheit, wenn du es nicht tust! Möglicherweise brachte diese Art der Selbstdarstellung wirklich Erfolg, doch mir widerstrebte es zutiefst, mich als eine Art Supermann zu produzieren. »Atlan, glaubst du wirklich, daß wir es schaffen können?« Der Blick der Frau war flehend, zugleich aber auch hoffnungsvoll. Wie gebannt hingen ihre Augen an meinen Lippen. »Bora, du wirst verstehen, daß ich dir keine definitive Antwort geben kann. Wir müssen flexibel sein und nach Lage der Dinge entscheiden. Ich für meinen Teil sehe jedenfalls keinen Anlaß, einfach aufzugeben.« »Du bist also zuversichtlich?« fragte der Kybernetiker. »Ja!« sagte ich bestimmt, obwohl ich meine Zweifel hatte. Bora schmiegte sich an mich. »Ich habe immer noch Angst, doch ich fühle mich nicht mehr hilflos. Danke, Atlan.« »Schon gut.« Ich deutete nach oben. »Ich denke, es ist besser, wir verschwinden jetzt.« Schwebende Kameras waren aufgetaucht, die uns beobachteten und alles aufnahmen. Der Doppelgänger Deccons schien sich einen Spaß daraus zu machen, daß wir gejagt wurden. Ich war mir sicher, daß er sich an unserer Situation weidete. Wie abartig und verdorben mußte ein solcher Charakter sein … Er ist kein Mensch, wurde ich erinnert. Aber die Inkarnation des Bösen, gab ich zurück. Ich hakte Bora unter und folgte Joscan, der mit raumgreifenden Schritten vorausmarschierte. Er blickte sich immer wieder um und beobachtete die Kameras. »Wir sollten versuchen, sie abzuschütteln«, raunte er, als wir zu ihm aufgeschlossen hatten. »Es ist ein unerträglicher Gedanke, daß unser Kampf ums Überleben diesem Scheusal zur Unterhaltung dient. Vielleicht hofft er sogar, daß wir gequält werden und um
unser Leben flehen oder winseln wie Tiere.« »Den Gefallen werden wir ihm nicht tun«, sagte ich grimmig. »Kommt mit!« Ich verfiel in einen leichten Trab, die beiden taten es mir nach. Ein Stück folgten wir dem Gang, dann bogen wir in einen schmalen Korridor ein. Wie nicht anders zu erwarten, entkamen wir den flugfähigen Optiken nicht. * Seit Bora St. Felix verschwunden war, kümmerte sich Virgin Mottcliff um die beiden Kinder Foster und Pjotter, versorgte sie und machte Ordnung. Virgin, wie Bora eine Buhrlofrau, war elf Jahre jünger als die Sprecherin der Gläsernen; sie war Mutter einer Tochter, die in Fosters Alter war. Die beiden vierjährigen Kinder spielten oft zusammen, so auch jetzt. Sie beschäftigten sich mit bunten Klötzen, die man zu einem Bild zusammenstecken konnte. Natürlich ging es nicht ganz ohne Zwist ab. Immer wieder mußte Virgin schlichtend eingreifen, weil ein Baustein, der im Besitz des anderen war, auf einmal begehrenswerter schien als das eigene Material. Mitten in einer Phase friedlichen Spiels sprang der Kleine plötzlich auf und rannte zur Tür. »Foster, was ist denn los? Warum spielst du nicht mehr mit Tina?« »Ich muß weg. Meine Mutter ist in Gefahr.« »Aber was redest du denn da?« »Es ist wahr.« Kopfschüttelnd betrachtete die Frau den Knirps. »Selbst wenn es wahr sein sollte, woher willst du das wissen?« »Ich weiß es eben«, beharrte der Junge trotzig.
»Und wie willst du sie finden?« »Einfach so. Ich laufe zu ihr.« In diesem Moment fing das Mädchen an zu weinen. »Bitte, Foster, geh nicht weg. Spiel mit mir, ich gebe dir auch meine schönsten Klötze.« »Es geht jetzt nicht, Tina, ich muß erst meiner Mutter helfen«, lautete die ernste, fast altkluge Antwort. »Später komme ich dann zurück und baue wieder mit dir.« »Foster, du wirst dich im Schiff verlaufen!« versuchte Virgin Mottcliff ihn zurückzuhalten, doch er hörte nicht auf sie. Wie ein Wirbelwind sauste er aus der Kabine und rannte zur Unterkunft, in der er zur Zeit allein mit seinem Bruder wohnte. Ein wenig atemlos riß er die Tür auf. »Pjotter, du mußt mitkommen! Sofort!« Der Achtjährige saß am Tisch und beschäftigte sich mit einem elektronischen Geschicklichkeitsspiel. Anders als sein jüngerer Bruder, der ein cleveres Bürschchen war, wirkte der Ältere eher einfältig. Unwillig blickte er auf. »Laß mich in Ruhe! Geh und spiele mit Tina.« Foster ließ sich nicht abwimmeln. Er eilte zu dem Größeren, packte ihn an seiner Kleidung und versuchte, ihn vom Stuhl zu ziehen. »Komm endlich, Pjotter. Unsere Mutter ist in Gefahr! Wir müssen ihr helfen!« »Du spinnst. Wir wissen ja noch nicht einmal, wo sie ist.« »Ich weiß es!« Pjotter bekam große Augen. »Du weißt es?« Foster nickte heftig. »Woher?« »Es war auf einmal in meinem Kopf.« »Einfach so?« Mißtrauisch betrachtete der Ältere seinen Bruder. »Ja. Kommst du nun endlich? Mutti fürchtet sich, sie braucht uns.«
»Also gut!« Er legte das Gerät weg und rutschte vom Sitz. »Sollen wir etwas mitnehmen?« »Muttis Kästchen, das sie im Schrank verwahrt. Hole es!« Widerspruchslos kam Pjotter der Aufforderung nach. Umständlich durchsuchte er die Fächer. »Beeile dich«, drängte der Knirps. Endlich hatte der Junge das Gewünschte gefunden. Foster nahm den Älteren an der Hand und zog ihn eilig aus der Kabine, dann begann er zu rennen. Notgedrungen folgte ihm sein Bruder. Bereits an der nächsten Abzweigung wurden sie jäh gestoppt. Ein Halbwüchsiger lungerte dort herum und vertrat ihnen den Weg. Die Narben am Kopf wiesen ihn deutlich als Halbbuhrlo aus. »Sieh an, die St. Felixʹ«, grinste er. »Wohin wollt ihr denn so schnell?« Die beiden Jungen wichen ein Stück zurück. Ertus Stillek war als Nichtsnutz und Raufbold verschrien. Der Kleine faßte sich ein Herz. »Laß uns durch, Ertus. Wir müssen unserer Mutter helfen. Sie ist in Gefahr.« »So, so, ihr habt es also eilig. Was gebt ihr mir, wenn ich euch passieren lasse?« »Wir haben nichts dabei.« »Ihr lügt.« Lauernd blickte der Jugendliche auf das Kästchen in Pjotters Hand. »Und was ist das?« »Das gehört unserer Mutter. Du darfst es uns nicht wegnehmen.« »Wer sagt das?« Der Halbbuhrlo versetzte dem Achtjährigen einen derben Stoß. »Los, gib schon her, oder muß ich dich erst verprügeln?« Hilfesuchend blickte der Junge seinen kleinen Bruder an. »Pjotter, lauf weg!« Der Buhrlo warf sich herum und rannte zurück. »Du Wanze bekommst später deinen Teil, erst mache ich deinen
Bruder fertig«, zischte Stillek und folgte Pjotter im Sprinttempo. Der Halbwüchsige holte rasch auf. Da er wesentlich größer und stärker war als Boras Sohn, war leicht auszurechnen, was folgen würde. Der Verfolger hatte den Jungen fast erreicht, als sich eine Tür öffnete und ein Extra auf dem Flur erschien. Mit einem Blick erfaßte das tiefblau gefärbte, mit seinen acht Armen und den beiden riesigen Augen einem Kraken ähnelnde Lebewesen, was sich da abspielte. Ohne zu zögern griff es ein. Bevor Ertus wußte, wie ihm geschah, legten sich drei der muskulösen Greiforgane wie Schlingen um seine Brust und stoppten ihn abrupt aus vollem Lauf. Für einen Moment blieb dem Halbbuhrlo die Luft weg. »Du schon wieder.« Der Extra sprach, ohne den scharfen, papageienartigen Schnabel zu bewegen, mit einer dumpfen Stimme, die direkt aus seinem Körper zu kommen schien. »Was hat dir dieses Kind getan?« »Er hat mir das Kästchen weggenommen, das er in der Hand hält«, log Stillek dreist. Der Kleine war mittlerweile herangekommen. Er kannte das vielarmige Lebewesen als hilfreich und freundlich. »Das ist nicht wahr.« Anklagend deutete Foster auf den Halbbuhrlo. »Er lügt, Zephiro. Das Kästchen gehört unserer Mutter, er wollte es uns wegnehmen.« »So ist das also.« Der Extra ließ das Ende eines Armes vorschnellen und versetzte Stillek damit eine derbe Ohrfeige. »Ich habe dich schon einmal gewarnt. Wenn ich dich noch einmal dabei erwische, daß du jemanden belästigst, lernst du mich kennen.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, verstärkte er den Druck der Umklammerung ein wenig. Ertus hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. »Hör auf, du bringst mich um«, röchelte er. Zephiro gab ihn frei. Wie ein geprügelter Hund schlich Stillek
davon. Der Extra wandte sich den beiden Jungen zu. »So, der tut euch nichts mehr.« Er tätschelte die Brüder mit zwei seiner acht Arme. »Ihr könnt jetzt wieder spielen gehen.« »Danke, Zephiro.« Foster blickte das exotische Lebewesen ernst an. »Wir haben nicht gespielt, wir wollen unsere Mutter helfen. Sie ist in Gefahr.« »Wenn das so ist, will ich euch nicht länger aufhalten.« Der Vierjährige faßte den Älteren an der Hand. »Wir müssen uns beeilen, Pjotter. Komm!« Der Knirps winkte verabschiedend. »Nochmals vielen Dank, Zephiro!« Die beiden rannten davon. Instinktiv fühlte der Kleine, wo sich seine Mutter befand. Zielsicher geleitete er seinen Bruder durch die SOL. Das Kästchen, was sie dabei hatten, war Boras tragbares Kommunikationsgerät für SENECA. * Vergeblich hatten wir versucht, die schwebenden Kameras abzuschütteln; sie waren uns sogar gefolgt, als wir einen Antigrav benutzt hatten. Nun standen wir vor einem Verteiler, unschlüssig, welchen Gang wir nehmen sollten. »Ein Flur ist so gut wie der andere«, meinte ich. »Außerdem sehe ich keinen Sinn darin, ständig in Bewegung zu bleiben. Ich glaube nicht, daß wir den Troiliten einfach davonlaufen körinen. Und selbst wenn das der Fall wäre – wir befinden uns unter ständiger Beobachtung.« »Also gut, ruhen wir uns ein wenig aus.« Bora und Joscan hockten sich einfach auf den Boden. »Was tun wir jetzt?«
»Wir können nichts tun als warten. Wenn die Energiewesen uns hier aufspüren, haben wir gute Chancen, ihnen zu entkommen. Sie können nicht ein halbes Dutzend Korridore auf einmal abriegeln.« Deutlich empfand ich die innere Unruhe meiner beiden Begleiter. Daß ich mich so selbstbewußt gab, hatte zwar etwas auf sie abgefärbt, aber die Ungewißheit, was und vor allem wann sich etwas tat, zerrte doch an ihren Nerven. Auch mir behagte die Situation nicht. Ich war zur Untätigkeit verdammt, konnte nichts planen oder vorausdenken, mußte alles mehr oder minder dem Zufall überlassen. Erst wenn die Gegenseite uns in Zugzwang brachte, konnte ich aktiv werden – und dann konnte es bereits zu spät sein. Ich blickte mich um. Alles wirkte wie ausgestorben, auch unterwegs waren wir keiner Menschenseele begegnet. Entweder hatte der falsche Deccon den ganzen Sektor räumen lassen, oder er sperrte jeweils die Bezirke ab, in denen wir uns gerade aufhielten. Beides erforderte einen nicht unbeträchtlichen Aufwand. Die nahezu absolute Lautlosigkeit wirkte bedrückend und lähmte sogar die Kommunikation. Niemand sprach ein Wort. Plötzlich zuckte die Buhrlofrau zusammen und sprang auf. »Foster hat mich gerufen!« Fragend blickte ich den Kybernetiker an, doch der schüttelte unmerklich den Kopf. Beruhigend legte ich Bora eine Hand auf die Schulter. »Weder Joscan noch ich haben etwas gehört. Deine überreizten Nerven werden dir einen Streich gespielt haben, was in einer solchen Lage nicht verwunderlich ist. Setz dich wieder hin.« »Nein, ich bin ganz sicher.« Aufgeregt formte sie aus ihren Händen einen Trichter und rief: »Foster, wo bist du?« Kaum war das Echo ihrer Stimme verhallt, als ich deutlich zwei Kinderstimmen »Mutti!« rufen hörte. Gleich darauf tauchten aus einem der vor uns liegenden Korridore die beiden Sprößlinge Boras auf.
Nun gab es für sie kein Halten mehr, vergessen war auf einmal die Gefahr, in der wir schwebten. Mit ausgebreiteten Armen lief sie auf die beiden Jungen zu, drückte und küßte sie, lachte unter Tränen. Ihre Söhne waren von diesem wohl auch für sie unerwarteten Wiedersehen nicht weniger überwältigt. Außer dem Wort »Mutti!« brachten sie nichts über die Lippen. Joscan und ich waren taktvoll genug, für einen Moment wegzusehen, um die geradezu rührende Begrüßung nicht zu stören; immerhin hatten sich die drei seit über zehn Tagen nicht gesehen. Die Buhrlofrau hatte zwar tapfer geschwiegen, aber für eine liebende Mutter muß es furchtbar sein, so lange von ihren Kindern getrennt zu sein. »Laßt euch anschauen, ihr beiden. Gut seht ihr aus. Wie ist es euch ergangen? Hat sich jemand um euch gekümmert?« »Ja, Virgin hat uns versorgt«, sagte der Größere und setzte vorwurfsvoll hinzu: »Wo warst du denn so lange?« Die Augen der Frau wurden feucht, sie schluckte und räusperte sich vernehmlich. »Ich erzähle es euch später. Jetzt sagt mir erst einmal, wie ihr mich gefunden habt.« »Es war ganz einfach«, plapperte der Knirps unbekümmert los. »Ich habe mit Tina gespielt, und auf einmal wußte ich, daß du in Gefahr bist. Um dir zu helfen, habe ich Pjotter geholt, und das haben wir dir auch mitgebracht.« Er nahm seinem Bruder das Kästchen aus der Hand und reichte es seiner Mutter. »Mein Kommunikationsgerät für SENECA. Atlan, Joscan – das ist unsere Rettung.« Gerührt betrachtete sie zuerst ihre Söhne, dann das Gerät. »Foster, Pjotter, ihr seid zwei Prachtburschen.« »Das kann man wohl sagen. Ihr beiden habt sehr umsichtig gehandelt.« Ich schüttelte beiden die Hand. »Vor allem das Kästchen ist wichtig für uns.« Während Pjotter sich mit einem stummen Nicken begnügte,
meinte der Jüngere: »Du bist Atlan, nicht wahr?« »Ja.« Ich ging in die Knie. »Woher kennst du mich denn?« »Mutti hat viel von dir erzählt. Wenn ich groß bin, will ich so werden wie du.« »Und was willst du dann machen?« Der Dreikäsehoch musterte mich, als würde er an meinem Verstand zweifeln. »Das habe ich doch schon gesagt. Ich werde wie du und kämpfe in der SOL für Recht und Ordnung.« »Du bist wirklich ein aufgewecktes Bürschchen«, meinte ich anerkennend und richtete mich wieder auf. Meine Begleiterin lächelte stolz. »Was macht ihr hier eigentlich?« »Das ist eine gute Frage, Foster, doch ich glaube, du bist noch zu klein, um das zu verstehen. Erzähle uns lieber, wie du es geschafft hast – du und dein Bruder –, deine Mutter zu finden.« »Willst du das wirklich wissen?« »Natürlich, schließlich ist es eine, ziemliche Leistung, in diesem riesigen Schiff jemanden zu treffen, von dem man nicht einmal weiß, wo er sich aufhält. Oder hast du davon erfahren? Vielleicht über Interkom?« Der Kleine schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, gesagt hat es keiner. Es war in meinem Kopf.« Wahrscheinlich ist Foster schwach oder latent telepathisch begabt! meldete mein Extrasinn. Die Gefahr hat bei Bora geistige Energien freigesetzt, die der Kleine aufgrund der innigen Mutter‐Kind‐Beziehung empfangen hat. Da Pjotter sie nicht ebenfalls erfaßt hat, muß eine mentale Veranlagung bei Foster bestehen. Die Erklärung befriedigte mich, deshalb verzichtete ich darauf, dem Jungen weitere Fragen in dieser Richtung zu stellen und erkundigte mich statt dessen, ob versucht worden war, sie aufzuhalten. Foster nickte ernsthaft.
»Ja, Ertus wollte uns nicht durchlassen, aber dann kam Zephiro und hat uns geholfen.« »Ertus Stillek ist ein Halbbuhrlo, aber ein Taugenichts«, warf die Sprecherin der Gläsernen erklärend ein. »Zephiro ist ein Extra, der besonders Kindern zugetan ist.« »Sonst hat niemand versucht, euch festzuhalten?« »Nein.« Das war seltsam. Warum ließ sich dann niemand blicken? Ob die Deccon‐Kopie verbreitet hatte, daß die geheimnisumwitterten Brüder der fünften Wertigkeit auftraten, jene angeblich zur SOLAG‐ Hierarchie zählenden Wesen, über die die wildesten Gerüchte im Umlauf waren? Oder hatte SENECA etwas verlauten lassen, vielleicht sogar gewarnt? Es war müßig, sich darüber Gedanken zu machen, Tatsache war, daß wir auf uns selbst gestellt waren. Du hast das Kommunikationsgerät übersehen! Wie hatte ich das nur vergessen können! »Bora, würdest du mir bitte das Kästchen geben?« Die Frau reichte es mir, ohne zu zögern. Hellmut, der bisher geschwiegen hatte, bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick, sagte aber nichts. Rasch schaltete ich das Gerät ein. »SENECA, hier spricht Atlan. Hörst du mich?« Gebannt lauschten wir, fieberten förmlich, doch eine Antwort blieb aus. Auf den Gesichtern meiner Begleiter breitete sich grenzenlose Enttäuschung aus. Ich konnte sie verstehen. SENECA war der einzige, der uns helfen konnte, doch die Biopositronik hüllte sich in Schweigen. Und jeden Augenblick konnten die Energiewesen auftauchen, um uns den Garaus zu machen. An der Reaktion ihrer Mutter merkten die beiden Kinder sofort, daß etwas nicht stimmte. Sie wurden unruhig. »Ich rufe SENECA. Hier ist Atlan. Melde dich endlich!« »Ich höre dich, Atlan. Was willst du von mir?« Die wohlklingende Stimme der biopositronischen
Hyperinpotronik löste bei uns allen neue Hoffnung aus. »Wir brauchen deine Hilfe, SENECA«, sagte ich beschwörend. »Die Troiliten sind bereits unterwegs.« »Aber das ist doch widersinnig! Es sind gerade die Troiliten, die uns vernichten wollen. Du hast die Macht, sie zurückzurufen!« SENECA ging nicht darauf ein. »Geht von Bord, wenn ihr euch retten wollt.« »Das kann nicht dein Ernst sein, SENECA. Du mußt die Troiliten neutralisieren, nichts weiter. Warum tust du das nicht?« Die Biopositronik meldete sich nicht mehr und ließ alle weiteren Kontaktversuche unbeantwortet. »Ihr habt es gehört, wir sind auf uns selbst gestellt. Immerhin hat uns SENECA einen Hinweis gegeben. Wir müssen versuchen, uns zu den Beiboot‐Hangars durchzuschlagen.« SENECA – das war wohl die größte und leistungsfähigste biopositronische Hyperinpotronik, die jemals in ein Raumschiff eingebaut wurde. Nicht nur von der Substanz, sondern auch von seinem Leistungsvermögen her war er jedem intelligenten Menschen unendlich überlegen. Dennoch war er nicht nur ein simpler Rechner, sondern eine Art »beseeltes Geschöpf«. Das Plasma in ihm verlieh ihm ein gewisses Eigenleben. Es stammte ursprünglich von der Hundertsonnenwelt, der Heimat der Posbis. Mit 125.000 Kubikmetern war es groß genug, um echte Intelligenz und entsprechende Handlungen erzielen zu können. Trotz seiner Komprimierungs‐ und Massenintelligenz war das Plasma allein nicht fähig, die mechanisch‐positronischen Anlagen SENECAS so zu beherrschen, daß der Rechner selbständig und eventuell feindselig reagieren konnte. Selbst bei einem unkontrolliert handelnden Plasmateil war SENECA als Einheit ungefährdet. Das Plasma speiste seine Intelligenz und seine »Seele« in die Maschinerie ein. Das geschah über Balpirol‐Halbleiter. Sie waren
halb organisch, halb materiell und besaßen die Eigenschaft, organisch erzeugte Befehls‐ und Unterrichtungsimpulse in technisch nutzbare Symbolgruppen umzuwandeln. SENECA – das war eine hyperschnell arbeitende Positronik. Die einzelnen Rechenvorgänge und der jeweilige Datenauswurf, der von Sektor zu Sektor verschieden war, bis schließlich die ermittelten Teildaten im Endstufenkoordinator als Ergebnis zusammengefügt wurden, liefen mit Überlichtgeschwindigkeit ab. Die Hyperverbindung zwischen den Sektorblöcken und den in ihnen enthaltenen Schaltkreisen erfolgte ausschließlich kabellos. Siganesische Mikrosender, Empfänger und Energiewandler besorgten die Umformung des normallichtschnellen Strom‐ und Datenflusses in milliardenfach überlichtschnelle 5‐D‐Impulse, die im Endstufenkoordinator in verständliche Rechenergebnisse zurückverwandelt wurden. Die üblichen Speichereinrichtungen waren durch Hochenergie‐ Datenkomprimatoren abgelöst worden. Alle nur denkbaren Ergebnisse wurden in Form eines symbolkodifizierten Impulses in ihrer Gesamtheit gespeichert. Der Speichervorgang war ebenfalls überlichtschnell, also fünfdimensional orientiert. Selbst längste Berechnungen und Berichte wurden in Form eines Impulses direkt in den energetischen Haushalt des Komprimators integriert. Die Abberufung, geschah durch einen Lösungsimpuls, der bei Bedarf hochwertig verschlüsselt sein konnte. SENECA – das war eine Art Schiff im Schiff. Der Rechner war im Mittelteil der SOL im absoluten Schnittpunkt der Hoch‐ und Längsachse installiert worden; er steckte in einer fünfhundert Meter durchmessenden Kugel aus zwei Meter starken Panzerplastwänden. Ein autarkes NU‐Gas‐Kraftwerk innerhalb des Hohlkörpers baute die starken Abwehrschirme auf, Vollpositroniken übernahmen den Einbruchsschutz. Auch vier schwere Schwarzschild‐Reaktoren der Kraftzentrale waren in die Kugel integriert. Eine Energieabschaltung
von außen war nicht möglich. Das Zellplasma war separat in einem würfelförmigen, nochmals streng durch Schutzschirme und Abwehrwaffen gesicherten Panzerstahlbehälter untergebracht, der 50 x 50 x 50 Meter maß. Nebenan standen sechs halbrunde Stahlkuppeln, in denen zwei völlig autarke Lebenserhaltungssysteme für das lebende Zellplasma untergebracht waren. Wartungsroboter kontrollierten ständig beide Stationen, von denen nur jeweils eine aktiv war, während die zweite in Reserve stand. Stahlrohre und Laufgänge für die Roboter verbanden alle sechs Kuppeln mit dem Plasmawürfel. Er befand sich exakt im Zentrum der riesigen Kugel. Wäre SENECA nach dem Prinzip NATHANS gebaut worden, jener legendären Biopositronik auf Luna, so würde er eine 30 Kilometer durchmessende Kugel ausfüllen. SENECA – das war die größte und leistungsfähigste biopositronische Hyperinpotronik, die jemals in ein Raumschiff eingebaut wurde, doch SENECA war gestört – und zudem von Order‐7 beeinflußt! * Forster und Pjotter ließen es willig mit sich geschehen, daß ihre Mutter sie bei der Hand nahm und mit sich zog. Wir nahmen die drei in die Mitte; Joscan übernahm die Rückendeckung. Ich hatte mittlerweile die Hinweisschilder studiert und drang in den links liegenden Gang ein. Er führte zwar nicht direkt zu den Hangars der 60‐Meter‐Korvetten, war aber die kürzeste Verbindung. Der Flur war voll beleuchtet, aber kein Mensch war zu sehen. Er führte schnurgeradeaus und war so breit, daß ihn auch zwei der an Bord üblichen Fahrzeuge nebeneinander passieren konnten. Wir begannen zu laufen. Der Bodenbelag verschluckte das
Geräusch unserer Schritte, es war bedrückend still. Selbst die Jungen schwiegen angesichts der wie ausgestorben wirkenden, gespenstischen Umgebung. Ich blickte mich gerade um, um mich zu vergewissern, daß die anderen mithalten konnten, als die Buhrlofrau einen schrillen Schrei ausstieß. Abrupt blieb ich stehen und drehte den Kopf. Ein grelles kaltes Leuchten war vor und neben Uns entstanden, das rasch an Intensität verlor und sich in hellrote Glut verwandelte, die jedoch keine Wärme ausstrahlte. Wie ein roter, wabernder Vorhang erfüllte die seltsame Erscheinung einen Teil des Ganges, bewegte sich sanft hin und her wie unter dem Einfluß einer Luftströmung. Die Leuchtkraft ließ nach, die grelle Glut ging in ein düsteres Rot über, das Gefahr signalisierte. »Die Troiliten!« rief Bora entsetzt. Nur unterschwellig empfand ich, daß die Kinder zu weinen anfingen. Für sie mußte das, was sie sahen, entsetzlich sein, noch entsetzlicher jedenfalls als für uns Erwachsene. Das Rot verlor weiterhin an Farbe, wurde zu einer dunklen, fast schwarzen Wand, die Konturen annahm. Die überlebensgroßen Umrisse dreier humanoider Gestalten schälten sich aus der Schwärze heraus. Die beiden Jungen begannen, unartikuliert zu schreien. Drei zwei Meter große Geschöpfe starrten uns aus dunklen Augen an, die zu glühen schienen und Lichtblitze versandten, als wollten sie uns durchbohren. Sie sahen aus wie Menschen, dennoch war deutlich erkennbar, daß es keine Wesen aus Fleisch und Blut waren, sondern künstliche Geschöpfe. Ihre tiefschwarzen Körper waren glatt und unbekleidet, Haare, Wimpern und Brauen fehlten. Die Gesichter wirkten seltsam konturenlos, der Mund war nur angedeutet. Alle drei waren unbewaffnet. »Sie sind es! Die Troiliten«, flüsterte Bora.
»Ja, wir sind es«, sagten die drei mit dumpfen, dröhnenden Stimmen. »Wir treten auf, weil wir gerufen wurden.« Ich hatte mich als erster gefaßt. »Flieht, ich versuche, sie aufzuhalten!« Bora reagierte nicht. Unfähig, sich zu rühren, starrte sie auf die furchteinflößenden Gestalten und hielt ihre Kinder umklammert. In die Energiewesen kam Leben. Sie lösten sich voneinander und kamen von drei Seiten auf uns zu. Ihre Bewegungen wirkten geschmeidig wie bei einer großen Katze. Ich war von dem Gedanken beseelt, wenigstens den Jungen und ihrer Mutter ein Entkommen zu ermöglichen. Ohne lange zu überlegen, sprang ich nach vorn und versuchte, eine der Gestalten zu packen. Es gelang mir nicht. Ein harter Schlag, der mir die Luft aus den Lungen trieb, warf mich zu Boden. »Erst kommt sie!« tönten die unheimlichen Drei im Gleichklang. Die Worte weckten Bora aus ihrer Starre. Kaum, daß ich mich wieder aufgerappelt hatte, stieß sie ihre Söhne von sich direkt in meine und Joscans Arme. »Rettet sie!« schrie sie. »Bringt sie weg!« Die Troiliten hatten Bora eingekreist. Schnell schob ich Foster hinter mich, doch bevor ich der Frau zu Hilfe eilen konnte, griffen die Geschöpfe SENECAS an. Alle drei hoben synchron den rechten Arm, um auf sie einzuschlagen. Und dann geschah etwas, was mich in grenzenloses Erstaunen versetzte: Sie stoppten mitten in der Bewegung ab und zuckten zurück, als hätten sie eine Starkstromleitung berührt, wobei ich bezweifelte, daß ihnen das etwas ausgemacht hätte, denn sie mußten selbst aus Energie bestehen, einer Art Formenergie. Wieder veruchten sie, die Frau zu treffen, und wieder konnten sie ihr nichts anhaben, im Gegenteil, ihre Körper veränderten sich, wurden unförmig und drohten, instabil zu werden. Mir dämmerte, daß meine Begleiterin instinktiv jene Kraft
einsetzte, über die nur die Buhrlos verfügten; sie entlud jenen Rest von dem, was man E‐kick nannte. Diese eigentümliche Energie schien für die Troiliten absolut unverträglich zu sein. »Das ist die Rettung!« rief Joscan Hellmut spontan. Bora St. Felix lächelte verzerrt, ihre Augen glänzten wie im Fieber. Diesmal waren es nicht die Energiewesen, die angriffen, sondern sie. Wie in Trance ging sie auf die drei schwarzen Gestalten zu. Die Troiliten veränderten ihre Farbe, wurden dunkelrot und an einigen Stellen milchig‐transparent. Ihre Konturen wurden unscharf, sie verformten sich wie Amöben und waren kurz davor, zu zerfallen. Bevor es dazu kam, wichen sie schnell zurück, drängten sich dicht zusammen, wie um sich gegenseitig aufzuladen, und formierten sich erneut. »Bora, du darfst deine Energie nicht so vergeuden!« rief ich eindringlich. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie den Sinn meiner Worte erfaßt hatte. Als erwachte sie aus einem Traum, mußte sie sich erst kurz orientieren. Rasch kehrte sie zu uns zurück und bedeutete uns, hinter ihr zu bleiben. Die kurze Pause hatte den Troiliten Gelegenheit gegeben, ihre alte Gestalt zurückzugewinnen. Sie kamen näher und kreisten Bora erneut ein. Wieder brachte ihr Angriff nichts ein, es gelang ihnen nicht, die Frau zu berühren, statt dessen veränderten sich ihre Körper erneut. Diesmal war die Verformung nicht ganz so extrem wie noch vor wenigen Augenblicken. Ich erkannte, daß sich Boras Energien allmählich erschöpften; es war nur eine Frage der Zeit, wann die Energiewesen siegen würden. Angesichts unserer Notlage versuchte ich nochmals, Kontakt mit SENECA aufzunehmen. »SENECA, hier ist Atlan. Du mußt uns helfen! Rufe alle verfügbaren Buhrlos hierher zu uns. SENECA, hast du gehört?«
Ich erhielt keine Antwort. Meine Hoffnung, diesen ungleichen Kampf doch noch zu unseren Gunsten entscheiden zu können, schwand dahin. Achtlos steckte ich das Kommunikationsgerät ein. Angesichts der Tatsache, daß uns der Weg zu den Beibooten abgeschnitten war, hatte es keinen Sinn mehr, hier noch länger zu verweilen. Diese Stelle im Mittelteil der SOL war nicht besser als jede andere. »Kommt, wir ziehen uns zurück!« Die Frau nickte, ohne die Energiewesen aus den Augen zu lassen. Ich nahm die Jungen an der Hand und führte sie ein Stück den Gang zurück. »Joscan, paß auf die beiden auf. Ich möchte in Boras Nähe bleiben für alle Fälle.« Der Kybernetiker nickte stumm. Stumm waren auch Foster und Pjotter. Mit großen, ungläubigen Kinderaugen, in denen sich die Angst spiegelte, beobachteten sie ihre Mutter und die furchteinflößenden Gestalten. Abermals griffen die Troiliten an. Bora mußte gemerkt haben, daß ihr E‐kick schwächer wurde, und begann, damit hauszuhalten. Sie warf sich herum und rannte auf uns zu. Schnell und gewandt folgten die drei. Gleichzeitig versuchten sie, die Sprecherin der Gläsernen niederzuschlagen – es mißlang. Wieder mußten sie zurückweichen, als Bora einen Teil dieser unerklärlichen Energien entlud. Die glatten, schwarzen Körper waren auf einmal wie mit Beulen übersät. Die drei blieben stehen und stabilisierten sich wieder, dann setzten sie der Fliehenden nach. Joscan, die Kinder und mich ließen sie immer noch unbeachtet. Als wir den Verteiler erreicht hatten, wandten wir uns in Richtung Hauptzentrale und wichen im Schutz von Boras schwindenden Energien weiter zurück, beobachtet von den schwebenden Kameras. Meines Erachtens konnte die Buhrlofrau die Troiliten noch zwei‐, dreimal aufhalten und zurückschlagen, dann mußte ihr E‐kick
erschöpft sein, womit auch unser Schicksal besiegelt war. Vergeblich zermartete ich mir den Kopf nach einem Ausweg. 6. Order‐7 entgleisten regelrecht die Gesichtszüge, als er auf dem Bildschirm sah, daß die Troiliten zurückwichen und Mühe hatten, ihre Form zu bewahren. Erregt sprang er auf. »Bei allen Raumgeistern, was ist das?« Als die Energiewesen Bora St. Felix angriffen, hatte er sich innerlich bereits darauf eingerichtet, sie sterben zu sehen, und fühlte sich nun um dieses für ihn so lustvolle Erlebnis betrogen. Kalte Wut stieg in ihm auf. Erbost stellte er eine Verbindung zu SENECA her. »Deccon hier. Was ist mit den Troiliten los? Ich denke, sie sind unbesiegbar, doch dieses Weib bringt sie ohne Waffen fast zur Auflösung. Über welche Kraft verfügt sie?« Die Biopositronik schwieg, wie schon so oft in der letzten Zeit. »Ich weiß, daß du mich hörst«, tobte der massige Mann. »Und ich weiß auch, daß du mit den Troiliten in Verbindung stehst. Ich verlange, daß du auf der Stelle antwortest!« SENECA reagierte nicht. Mit einem Fluch schaltete der Hüne ab. Sein schwammiges Gesicht war zornrot angelaufen. »Was gafft ihr mich so dämlich an, ihr Idioten?« fuhr er die Magniden an. Unwillkürlich duckten sich die Versammelten. Daß sie gegen die Beleidigung nicht protestierten, zeigte, daß sie nach wie vor beeinflußt waren, doch der falsche High Sideryt wollte sich darauf nicht verlassen. Er sondierte ihre Gedanken und stellte dabei lediglich Verwunderung und Unverständnis, aber keine Auflehnung fest. Um sein Mütchen zu kühlen, suggerierte er Herts, Kyr‐Kyr zu sein. Augenblicklich rutschte der Verwachsene aus seinem Sitz, ließ
sich auf alle viere nieder und rannte wie der hundeähnliche Extra in der Zentrale herum. Als Order‐7 ihm eingab, daß Kölsch Herts war, sprang er diesen an, knurrte, zerrte mit gefletschten Zähnen an dessen Gewand und biß ihn in den Arm. Betroffen blickten die anderen auf Herts, der plötzlich den Verstand verloren haben mußte, während Kölsch sich vergeblich gegen den im wahrsten Sinne des Wortes bissigen Solaner zur Wehr zu setzen versuchte. »Bist du denn von Sinnen, Gallatan? Laß gefälligst den Unsinn!« Als Herts nicht von ihm abließ, versetzte Kölsch ihm einen Schlag auf den Hinterkopf, worauf dieser seinen Arm losließ und wütend nach der anderen Hand schnappte. Order‐7 lag fast in seinem Sessel und lachte Tränen. Erst als er keine Luft mehr bekam, löste er den Block. Kyr‐Kyr verwandelte sich in den Magniden zurück. Befremdet erkannte Herts, daß er vor Wajsto Kölsch auf dem Boden saß. Vergeblich versuchte er sich zu erinnern, was geschehen war. »Was starrt ihr mich alle so merkwürdig an?« giftete er und erhob sich. »Bin ich vielleicht ein Monster?« »Nein, aber in dir scheint die Veranlagung eines Extras namens Kyr‐Kyr zu schlummern.« »Du spinnst ja, Wajsto«, sagte Gallatan Herts im Brustton der Überzeugung und machte eine bezeichnende Geste. »Wenn hier einer spinnt, dann bist du es«, antwortete Kölsch böse und streifte einen Ärmel zurück. Deutlich war Hertsʹ Gebißabdruck zu sehen. »Das ist dein Werk. Du bist auf allen vieren hier herumgerannt, hast mich dann angefallen und gebissen.« Die anderen nickten beifällig. »Chart, hast du das auch gesehen?« fragte der Bruder der ersten Wertigkeit verunsichert. »Ich meine, habe ich mich wirklich wie ein Tier benommen?« »Ja, Gallatan, und ich habe mich köstlich darüber amüsiert.« Bevor
es zu Streitigkeiten kam, ließ der Doppelgänger seine suggestiven Kräfte auf alle Versammelten einwirken. »Ich denke, so einen kleinen Spaß sollten wir uns öfter gönnen.« »Natürlich, Chart«, erklärten die Anwesenden im Chor. Wohlgefällig musterte Order‐7 die Runde, die gar nicht anders konnte, als »Ja!« zu sagen und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Die Szenerie hatte mittlerweile in seinem Sinne gewechselt. Zwar hatten die Troiliten immer noch keinen Erfolg erzielen können, aber es zeichnete sich ab, daß sie Sieger bleiben würden. Der falsche High Sideryt lächelte zufrieden. Atlan, Bora St. Felix und Joscan Hellmut waren auf der Flucht. Daß sich zwei Kinder bei ihnen befanden, belastete ihn nicht. Soweit er erkennen konnte, handelte es sich um die Söhne der Buhrlofrau. Es war ihm nur recht, wenn sie ebenfalls getötet wurden; in seiner grenzenlosen Niedertracht schreckte er nicht einmal davor zurück, Vier‐ und Achtjährige umbringen zu lassen, Kinder, die ihm – vielleicht – in zehn oder zwölf Jahren erst gefährlich werden konnten, obwohl auch diese Überlegung nur rein theoretischer Natur war. Gegen ein Wesen, das Suggestor, Hypno und Telepath in Personalunion mit dem High Sideryt war, war kein Kraut gewachsen. Die Magniden waren ein deutliches Beispiel dafür. »He, seht euch das an. Sie weichen in Richtung Hauptzentrale zurück – als wenn sie das retten würde.« Er lachte hämisch. »Gleich haben die Troiliten es geschafft. Wirklich tolle Burschen, die drei. Ich werde sie in Zukunft verstärkt einsetzen.« »Es war der letzte Einsatz der Troiliten«, ließ sich SENECA vernehmen. »Das hast du nicht zu entscheiden«, knurrte der Hüne. Ärgerlich runzelte er die Stirn. »Wenn ich sie brauche, wirst du sie gefälligst wieder aktivieren.« Die Biopositronik widersprach nicht, sondern hüllte sich in Schweigen. Order‐7 deutete das als Zustimmung, daß SENECA
seine Macht anerkannt hatte. Selbstzufrieden betrachtete er die von den schwebenden Kameras gesendeten Bilder. * Bora war am Ende ihrer Kraft; taumelnd bewegte sie sich durch den Gang. Auch wir anderen waren ziemlich erschöpft. Wir hatten größere Strecken im Laufschritt zurückgelegt, Joscan und ich hatten die Jungen dabei zeitweise getragen, da sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Ich setzte Pjotter ab und eilte zu Bora, um sie zu stützen. Dankbar ließ sie es geschehen. Lautlos wie Schatten, zugleich aber unnachgiebig und beharrlich wie ein Rudel hungriger Wölfe, waren uns die Troiliten bisher gefolgt. Ich hatte keine Hoffnung mehr, ihnen entkommen zu können. Wieder formierten sie sich zu einem Angriff, fächerten auseinander und umzingelten Bora und mich. Ihre Bewegungen waren präzis aufeinander abgestimmt, ein dunkles, unheimliches Ballett des Todes. Die Augen in den schwarzen Gesichtern schienen von innen heraus zu glühen, als sie gleichzeitig nach der Frau griffen. Instinktiv wußte ich, daß Bora nicht mehr in der Lage war, sie noch einmal zurückzudrängen. Ihre E‐kick‐Reserven waren erschöpft und verbraucht. Alles in mir bäumte sich gegen das bevorstehende Ende auf. Obwohl mir bewußt war, daß ich gegen die Energiewesen keine Chance hatte, griff ich wild entschlossen an. Allein schon die Reaktion der schwarzen Gestalt führte mir deutlich vor Augen, wie hoffnungslos unterlegen ich ihnen war. Kaum, daß meine Faust den schwarzen Körper berührte, der sich hart und kühl anfühlte, wirbelte der Angegriffene in
atemberaubendem Tempo herum. Er gab sich nicht die Mühe, meinen Schwinger abzublocken, sondern fegte mich einfach weg wie ein lästiges Insekt. Drei, vier Meter wurde ich durch die Luft geschleudert. Obwohl es mir gelang, mich abzustützen, kam ich ziemlich unsanft auf und schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Benommen blieb ich liegen. Die Troiliten hatten sich durch den kurzen Zwischenfall nicht ablenken lassen. Sie griffen nach Bora, und diesmal zuckten sie nicht zurück. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrte die Buhrlofrau sie an. »Ihr dürft mich nicht umbringen«, stieß sie hervor. Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper. »Was soll denn aus meinen Kindern werden?« Die drei ließen sie los. Schon wollte ich aufatmen, als ich sie mit ihrer dumpfen, dröhnenden Stimme sagen hörte: »Du und die beiden anderen – ihr seid eine Gefahr für die SOL.« »Das ist nicht wahr!« schrie Bora. »Und SENECA weiß, daß das nicht wahr ist.« Die Energiewesen traten einen Schritt zurück und hoben die Hände zum Schlag, da sah ich aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung. Ein Buhrlo war im Gang aufgetaucht, nein, nicht einer, zwei, drei, zehn, fünfzig – es wurden immer mehr, und sie rannten auf uns zu. Ich glaubte, zu träumen, doch es war Realität. Also hatte SENECA meiner Bitte entsprochen und die Gläsernen alarmiert. »Bora, Joscan, wir sind gerettet!« rief ich begeistert und sprang auf. »SENECA hat uns die Buhrlos geschickt.« Die Troiliten fuhren herum und ließen von der Frau ab. Dumpfe, unverständliche Laute drangen aus ihren kaum sichtbaren Mündern. Wußten sie, daß sie in Gefahr waren, oder spürten sie bereits jene eigentümliche Energie, über die die Gläsernen verfügten? Schon waren die ersten an meiner Seite. Sie stoppten abrupt und
starrten wie gebannt auf die drei schwarzen Gestalten. »DieTroiliten!« »Ja, es sind die Troiliten. Sie wollen uns umbringen. Ihr müßt die Reste eures E‐kicks auf sie entladen, anders ist ihnen nicht beizukommen.« »Tut, was Atlan sagt«, forderte Bora sie auf. »Ihr müßt uns helfen.« In die Masse der Buhrlos kam Bewegung. Wie eine Phalanx aus rötlich schimmernden Leibern rückten sie gegen die Energiewesen vor. Schritt für Schritt wichen die schwarzen Gestalten zurück. »Wir sind in SENECAS Auftrag hier«, tönten die drei im Chor. »Hört nicht auf sie!« rief ich, um keine Unsicherheit aufkommen zu lassen. »SENECA hat euch gerufen, um uns beizustehen. Setzt euer E‐kick ein!« Die Gläsernen taten es. Ich konnte von dieser unbegreiflichen Kraft nichts sehen oder spüren, aber bei den Troiliten zeigte es sich deutlich, daß sie da war. Ihre Körper wurden unförmig, deformierten sich und wurden in den Konturen unscharf, wellenförmige Bewegungen liefen über die glatte Oberfläche ihrer energetischen Leiber, das tiefe Schwarz verwandelte sich in düsteres Rot. Die Energiewesen begannen zu jammern, sie stießen dumpfe, unverständliche Laute aus. »Laßt euch nicht beirren«, spornte ich die Buhrlos an. Die Troiliten wichen schneller zurück, rückten dicht zusammen und versuchten, sich zu formieren. Es gelang ihnen nicht. Die Ränder ihrer Körper wurden faserig, zeigten Auflösungserscheinungen und verloren deutlich an Masse – sofern man bei ihnen überhaupt davon sprechen konnte. Sie wurden zusehends kleiner und schwächer, schrumpften regelrecht. Schon waren sie nicht mehr größer als Pjotter, und auch ihr Lamentieren wurde kraftloser und leiser. Es war ein gespenstischer Kampf mit unheimlichen Waffen, der da vor meinen Augen geführt wurde. Wir drei und die Kinder hatten
uns hinter die Buhrlos zurückgezogen. Gebannt, zugleich aber auch glücklich und unendlich erleichtert, verfolgten wir den Fortgang der Auseinandersetzung. Mittlerweile waren die Troiliten nur noch so groß wie Molaaten, ihre humanoide Gestalt hatten sie völlig verloren. Sie sahen aus wie ein willkürlich geformtes Stück Knetmasse. Und dann war es endgültig mit ihnen aus. Sie zerfielen völlig, wogten wie ein rötlicher Nebel über dem Boden und vergingen in einer grellen Leuchterscheinung. »Wir haben es geschafft«, jubelte Bora und fiel mir um den Hals, dann umarmte sie überglücklich ihre Söhne. Joscan Hellmut sagte nichts, nur am Leuchten seiner Augen sah ich, wie aufgewühlt und zugleich erleichtert er war. Die Buhrlos standen unschlüssig herum. Sie schienen nicht begreifen zu können, daß es so einfach gewesen war, die geheimnisumwitterten Brüder der fünften Wertigkeit zu vernichten. Die Bestätigung dafür erhielten wir sofort. Die Rundrufanlage sprach an, SENECA meldete sich mit seiner wohlklingenden Stimme. »Das war das Ende der Troiliten. Sie können nie mehr eingesetzt werden.« Jubel und Applaus brandeten auf. Die Sprecherin der Gläsernen trat einen Schritt nach vorn und hob beschwichtigend die Hände. Augenblicklich trat Ruhe ein. »Liebe Freunde, ich möchte mich in unser aller Namen bei euch bedanken. Dank eurer und SENECAS Hilfe haben wir es geschafft, gegen die unüberwindlichen Troiliten bestehen zu können. Sie wollten uns töten, doch nicht SENECA trachtete uns nach dem Leben, sondern der falsche High Sideryt. Er hat SENECA dahingehend beeinflußt, daß dieser in Atlan, Joscan und mir eine Gefahr für die SOL sehen mußte, die nur durch den Einsatz der Energiewesen beseitigt werden konnte. Glücklicherweise hat SENECA erkannt, daß er manipuliert wurde, und hat euch
alarmiert, damit ihr uns beistehen konntet.« Beifall klang auf, es waren aber auch Rufe zu hören wie »Nieder mit dem falschen High Sideryt!« Ich lächelte. Ganz so, wie Bora es erzählt hatte, war es nicht gewesen, denn SENECA war erst auf meine Bitte hin aktiv geworden, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Es ist nicht sicher, daß SENECA nicht von sich aus eingegriffen hätte, meldete sich mein Extrasinn. Es wäre sicherlich leicht gewesen, die Troiliten wieder zu desaktivieren, statt dessen hat er sie vernichten lassen, so daß kein Mißbrauch mehr möglich ist. Du könntest recht haben, gab ich gedanklich zurück. Bora hatte erneut das Wort ergriffen. »Kommt mit mir zur Zentrale. Wir versuchen, den Magniden die Augen zu öffnen.« Bevor ich michʹs versah, fühlte ich mich eingekeilt und von der Masse fortgeschoben. Dicht an dicht drängten mehr als hundert Buhrlos durch den Gang nach vorn, und ich steckte mittendrin, ließ es jedoch geschehen. Vielleicht gelang es wirklich, den einen oder anderen Magniden dem unseligen Einfluß des Doppelgängers zu entziehen. * Nach ein paar hundert Metern kam der Vormarsch ins Stocken, die Buhrlos wichen zurück. Gleich darauf erkannte ich auch den Grund dafür: Die Deccon‐Kopie, seine Robotleibwache und die Magniden versperrten den Gang vor uns. Da das Interesse des Hünen ganz sicher nicht den harmlosen Gläsernen galt und ich sie nicht unnötig in Gefahr bringen wollte, bahnte ich mir einen Weg und trat nach vorn! Mutig schlossen Bora und Joscan sich mir an. Der massige Mann musterte uns kalt; ein zynisches Lächeln
umspielte seine Lippen. »Ich weiß nicht, mit welchem Trick ihr es geschafft habt, SENECAS Unterstützung zu erhalten, aber das ist jetzt auch belanglos, denn diesmal entkommt ihr mir nicht mehr. Keine Macht der Welt kann euch davor bewahren, daß ich euch auf der Stelle töten lasse.« »Warum haßt du uns so?« fragte Bora verbittert. Der Doppelgänger zog die Brauen hoch und tat verwundert. »Ich hasse euch nicht, ihr seid mir sogar ziemlich gleichgültig, aber ihr steht meinen Plänen im Weg. Nur wenn ihr tot seid, kann ich meine Aufgabe erfüllen.« »Die Macht über die SOL.« Er grinste diabolisch. »So ist es, Atlan, und weder du noch deine Gefährten werden mich daran hindern.« Er machte eine herrische Gebärde. »Schluß jetzt mit dem Geplänkel. Tötet sie!« Noch bevor er ausgesprochen hatte, hechtete ich nach vorn, landete neben ihm und war mit einem Satz hinter ihm. Das und einen tödlich wirkenden Dargor‐Griff am Hals ansetzen, war eins. Wie einen lebenden Schild hielt ich den Hünen vor mich. Als die Automaten sahen, daß ich ihren Herrn in meiner Gewalt hatte, zögerten sie, zu schießen. »Ein falsches Wort von dir, Order, und du erleidest das gleiche Schicksal, was du uns zugedacht hast. Sage den Magniden, sie sollen ihre Waffen ablegen und befiehl den Robotern, daß sie verschwinden sollen.« Meine Drohung ließ ihn unbeeindruckt. »Nicht nur du, dieses Weib und Hellmut müssen daran glauben, sondern auch ein paar Dutzend Buhrlos«, preßte er hervor. »Los, ihr Idioten, worauf wartet ihr noch? Feu …« In meiner Verzweiflung drückte ich zu. Im gleichen Augenblick hatte ich das Gefühl, daß etwas in meinem Gehirn explodierte, eine Flut von Suggestivimpulsen überflutete mich mit solcher Intensität,
daß mir schwindelte. Loslassen, loslassen! hämmerte es in mir. Schon spürte ich, wie mein Wille erlahmte, der Griff meiner Hände sich zu lockern begann. Schwäche erfaßte mich, mein Geist war wie betäubt, die Umgebung verschwamm vor meinen Augen. Loslassen, loslassen! Mit einer geradezu unmenschlichen Willensanstrengung gelang es mir, die Suggestivimpulse für einen Moment zurückzudrängen. In dieser Phase drang der Gedanke an die Oberfläche meines Bewußtseins, daß ich mich in Lebensgefahr befand. Mit lezter Kraft drückte ich zu, fand kaum Widerstand, drückte fester. Es war, als befände sich zwischen meinen Händen geschmeidiger Teig. Irritiert ließ ich seinen Hals los und versetzte ihm einen Schlag auf die Herzspitze. Ohne einen Laut von sich zu geben, brach er zusammen und ging zu Boden. Erleichtert atmete ich auf, doch der Anblick der Roboter ernüchterte mich sogleich wieder; die Gefahr war durchaus nicht vorbei. Ich blickte zu den Magniden. Starr wie Statuen standen sie da, in ihren Augen spiegelte sich Entsetzen. Und dann sah ich es auch: Der Körper Orders begann sich zu verformen. Die Veränderung war geradezu erschreckend. Ohren und Nase begannen aufzuquellen wie Hefe, die Haut wurde löchrig, grobporig wie ein Schwamm, veränderte ihre Konsistenz und verwandelte das Gesicht in eine konturenlose Masse von weißlich‐ grauer Farbe. Der Kopf verlor seine Umrisse. Er wurde zu einem unförmigen Klumpen, der langsam wie zäher Brei zerfloß. Aus unerfindlichen Gründen trug der Doppelgänger nicht die Kleidung des High Sideryt, sondern eine normale Bordkombination. Sie verlor ihre Fasson, wurde prall wie ein gefüllter Sack und erschlaffte wieder, als das in eine amorphe Masse verwandelte Körpergewebe aus den Hals‐ und Armöffnungen austrat und auf den Boden floß. Es gehörten wirklich starke Nerven dazu, um
diesen Anblick ertragen zu können. Schon als der Hüne zu Boden ging, waren die Suggestivimpulse verebbt. War damit auch die Beeinflussung der Magniden aufgehoben? Neugierig betrachtete ich sie, versuchte in ihren Gesichtern zu forschen – und das rettete mir das Leben. Nurmers Brust hob und senkte sich, als bekäme er nicht genug Sauerstoff, er verdrehte die Augen, wie im Krampf bewegten sich seine Hände. Plötzlich packte er seinen Strahler, starrte mich an wie einen Geist und stieß einen Wutschrei aus, dann schoß er auf mich. Da ich den Angriff fast im Ansatz erkannt hatte, gelang es mir, mich zur Seite zu schnellen und dem tödlichen Feuerstoß trotz der kurzen Distanz zu entgehen. In Ermangelung einer Waffe bückte ich mich blitzschnell, packte in die schwammige Masse und schleuderte eine Handvoll davon nach Nurmer. Der Magnide versuchte auszuweichen, stolperte und rutschte weg. Torkelnd und mit den Armen rudernd, kämpfte er um sein Gleichgewicht. Eher ungewollt feuerte er noch im Fallen seinen Strahler ab, vollführte aber gleichzeitig eine halbe Körperdrehung, um den Sturz aufzufangen. Der konzentrierte Energiestrahl traf seine linke Brust. Er war auf der Stelle tot. In die unbewegten Gestalten der anderen Magniden kam Leben. Beinahe zeitlupenhaft zogen sie ihre Waffen. Das war endgültig das Aus! Gegen eine solche Übermacht hatte ich keine Chance, zumal ich völlig deckungslos im Gang stand. Ich wollte auch nicht mehr kämpfen, fühlte mich müde und ausgebrannt. Alles war auf einmal sinnlos geworden – der Sieg über Romeo ebenso wie die Vernichtung der Troiliten und der Tod von Deccons Doppelgänger. Auf die Dauer konnte niemand seinem Schicksal entgehen. Immerhin erfüllte es mich mit Genugtuung, daß es mir gelungen war, zwei große Gefahren für die SOL auszuschalten – Order und
Romeo und Julia. Das war eine gute Voraussetzung dafür, daß das Schiff wieder auf friedlichem Weg zu einer Einheit werden konnte. Was wurde aus dem Auftrag der Kosmokraten? Ich würde ihn ja nicht mehr ausführen können – das mußte ein anderer tun. Vielleicht Breckcrown Hayes, der neue High Sideryt? Die Magniden hatten ihre Strahler gehoben und zielten, doch sie zielten nicht auf mich, sondern auf die Reste Orders. Mit einer gewissen Feierlichkeit betätigten sie den Auslöser ihrer Waffen und zerstrahlten die amorphe Substanz. Ein mächtiger Mentalimpuls erreichte mich: SETH‐APOPHIS WIRD SIEGEN! AUCH WENN ICH NUR EIN DIENER IHRES VERSCHOLLENEN DIENERS WAR! An den Reaktionen der anderen erkannte ich, daß sie die Worte ebenfalls vernommen hatten. 7. Wir hatten uns in der Zentrale im Mittelteil der SOL zusammengefunden – Bora St. Felix, Joscan Hellmut, die verbliebenen Magniden und ich. Die fünf machten wieder einen ganz vernünftigen Eindruck, jegliche Beeinflussung war geschwunden. Übereinstimmend hatten sie berichtet, daß es ihnen vorgekommen war, aus einem Traum zu erwachen, als dieses Kunstwesen gestorben war, das sich als Deccon ausgegeben hatte. Über die Ereignisse der letzten Tage wußten sie so gut wie nichts. Gemeinsam gelang es Bora, Joscan und mir recht schnell, ihre Gedächtnislücken aufzufüllen. Aufkommende Schuldgefühle – insbesondere bei Wajsto und Ursula – zerstreute ich schnell mit dem Hinweis, daß sie infolge der suggestiven Beeinflussung nicht für das verantwortlich waren, was sich innerhalb der vergangenen Zeit zugetragen hatte. Dagegen war ich weniger zurückhaltend, als es um den
Doppelgänger ging. Offen und schonungslos berichtete ich, unterstützt von der Buhrlofrau und dem Kybernetiker, welch ein Unhold dieser Order gewesen war. Insbesondere sein teuflischer Plan, die SZ‐2 durch die Vereinigung von Romeo und Julia zu vernichten, stieß auf Abscheu und Entsetzen. Wajsto Kölsch, der sich zum Sprecher der Magniden gemacht hatte, blickte mich ernst an. »Atlan, ich habe mir in den letzten Stunden so meine Gedanken über alles gemacht – nicht nur ich, wohl wir alle hier in der Runde.« Die anderen nickten beifällig. »Ich möchte dich bitten, uns über deine bisher gemachten Äußerungen hinaus zu erklären, was das alles zu bedeuten hatte.« »Dem will ich gerne nachkommen, Wajsto.« Ich gab einen kurzen Abriß über das; was ich mit der SZ‐2 erlebt hatte, und schloß: »Order war ein Instrument der negativen Mächte. Es gibt auch gute Mächte, aber beiden ist gemein, daß weder unser Verstand noch unsere Vorstellungskraft ausreicht, um sie oder ihre Handlungsweise zu erfassen. Wie grenzenlos überlegen sie uns sind, habt ihr am Beispiel Orders selbst erlebt. Welcher Mensch, welches Volk überhaupt wäre imstande, ein solches Wesen zu erschaffen?« Die Männer und Frauen schwiegen beeindruckt. »Ich habe bereits erwähnt, daß Deccon tot ist – der echte Chart Deccon. So bedauerlich sein Tod auch ist – er ist nicht umsonst gestorben, denn er hat sich für die gute Sache geopfert. Er hat kein Vermächtnis hinterlassen bis auf die Bestimmung seines Nachfolgers, wie es verlangt wird. Dieser Nachfolger ist Breckcrown Hayes – er ist der neue High Sideryt.« Ich machte eine Pause und ließ meine Worte wirken, denn ich konnte mir vorstellen, daß der eine oder andere in dieser Runde jetzt einen harten Kampf mit sich selbst ausfocht. Bestimmt hatte sich jeder gewisse Chancen ausgerechnet, Deccons Position eines
Tages einnehmen zu können. Nun war er tot, und kein Magnide wurde Befehlshaber der SOL, sondern ein Niemand, denn etwas anderes konnte er in ihren Augen nicht sein. Möglicherweise hatte das aber auch sein Gutes. Es gab niemanden unter ihnen, der bevorzugt worden war, es gab also keinen Grund, sich gegenseitig zu befehden, obwohl Neid und Mißgunst nicht auszuschließen waren. »Nun, da die erkennbaren Gefahren erst einmal beseitigt sind«, fuhr ich fort, »ist auch die Gewähr dafür gegeben, daß sich die Verhältnisse an Bord stabilisieren und im positiven Sinn entwickeln. Das kann aber nicht nur für die Teil‐SOL gelten oder für die SZ‐2, sondern für das ganze Schiff. Die SOL ist eine Einheit. Ich plädiere dafür, friedlichen Kontakt zur SZ‐2 aufzunehmen und sie zu suchen.« Ich lehnte mich zurück und blickte sie der Reihe nach an. Ihren Mienen war nicht zu entnehmen, was sie dachten. »Damit ihr mich recht versteht: Ich habe nicht die Absicht, euch zu überrumpeln, und noch ferner liegt mir, Druck auf euch auszuüben, aber in meinen Augen ist dieses Splitting widersinnig. Die SOL kann getrennt operieren, aber sie ist als ein Schiff konzipiert. Nur in ihrer Gesamtheit ist sie die SOL, die ihr kennt, liebt und die eure Heimat ist.« Pjotter und Foster tobten heran. Nach der langen Trennung hatte Bora es nicht übers Herz gebracht, sie allein zu lassen. Ein Roboter hatte sie durch die Zentrale geführt, doch nun schien den beiden die Sache zu langweilig zu werden. Die Augen der Frau glänzten, als sie ihre Söhne in die Arme schloß. »Mutti, spielst du jetzt endlich mit uns?« bettelte der Kleine. Fragend blickte sie mich an. »Wenn du willst, kannst du dich um deine beiden Helden kümmern«, sagte ich lächelnd. »Au, fein«, freute sich der Vierjährige. Er faßte seine Mutter an der Hand und zog sie mit sich. »Komm endlich, du hast doch gehört,
was Atlan gesagt hat.« Bora winkte verabschiedend und ließ sich von ihren Sprößlingen zum Ausgang bugsieren. »Ich denke, mich braucht ihr auch nicht mehr«, sagte Joscan Hellmut und erhob sich. »Im Augenblick nicht.« Ich schüttelte ihm die Hand. »Danke für deine Unterstützung, Joscan.« »Ich habe nicht viel tun können, bin dafür aber um so müder.« Der Anflug eines Lächelns erschien auf seinem Gesicht. »Du solltest dir ebenfalls etwas Ruhe gönnen.« »Ich werde alles nachholen«, versprach ich und blickte ihm nach, bis er den Raum verlassen hatte. Für den wortkargen, verschlossenen Kybernetiker war das, was er da gerade von sich gegeben hatte, fast schon eine kleine Rede. Ich wandte mich wieder den Magniden zu. »Es ist wohl besser, wenn ich jetzt ebenfalls gehe, damit ihr in Ruhe beraten könnt.« »Du störst uns nicht.« »Mag sein, Wajsto, aber niemand soll mir später vorwerfen können, daß er durch mich beeinflußt worden wäre. Und in einer solch schwerwiegenden Entscheidung wie dieser kann allein schon meine Anwesenheit als Einmischung ausgelegt werden.« Ich stand auf und nickte ihnen zu. »Laßt mich wissen, zu welchem Ergebnis ihr gekommen seid. Ihr findet mich in meiner Kabine.« * Die fünf Männer und Frauen warteten, bis Atlan die Zentrale verlassen hatte, dann ergriff Kölsch das Wort. »Ihr habt gehört, was Atlan gesagt hat. Was haltet ihr davon?« »Ich glaube, jeder von uns hat sich mehr oder minder berechtigte Hoffnungen darauf gemacht, eines Tages den Platz von Chart
einnehmen zu können«, meinte Ursula Grown und sprach damit aus, was alle dachten. »Nun hat Chart aber einen anderen gewählt – eben diesen Breckcrown Hayes. Jeder High Sideryt hat das Recht, seinen Nachfolger selbst zu bestimmen. Chart hat es getan, und wir sollten das akzeptieren. Nicht nur, weil es der Wunsch des Toten ist, sondern auch, weil es innerhalb der SOLAG so Tradition ist.« Gallatan Herts lachte meckernd. »Wenn ich mich im Schiff so umsehe, sind die Traditionen so ziemlich zum Teufel gegangen.« »Du warst in letzter Zeit ebenso beeinflußt wie wir«, wandte die älteste Magnidin ein. Der Verwachsene machte eine abfällige Handbewegung. »Meines Eindrucks bedarf es dazu kaum. Du hast selbst gehört, was Atlan, Bora und Joscan gesagt haben.« Er strich sich das strähnige Haar zurück. »Außerdem kann ich mich noch deutlich an die Zeit erinnern, als es diesen – äh – Doppelgänger überhaupt noch nicht gab.« »Warum redest du um die Sache herum?« ärgerte sich Ursula Grown. »Wir sind hier unter uns, also kannst du offen zugeben, daß du gegen eine Vereinigung der SOL bist.« »Das habe ich mit keiner Silbe gesagt, meine Liebe.« Der kleinwüchsige Mann verzog das Gesicht. »Meines Erachtens soll das hier eine Diskussion sein, wozu ich durch die Einbringung von Fakten beitragen wollte.« »Was sonst durchaus nicht deine Art ist«, kommentierte Curie van Herling bissig. »Wie ich dich kenne, hast du doch bestimmt bereits eine schändliche Idee im Hinterkopf.« Bevor Herts zurückschlagen konnte, fuhr Wajsto Kölsch dazwischen. »Hört mit diesen Unterstellungen auf. Es führt zu nichts, wenn ihr euch gegenseitig Gemeinheiten an den Kopf werft. Gallatan, welchen Vorschlag hast du vorzubringen?« Herts bedachte die beiden Frauen mit einem bösen Blick, bevor er
sich zu einer Antwort bequemte. »Nun, es ist so, daß auch ich dafür bin, die SOL wieder zu einer Einheit zu verbinden, denn es hat sich gezeigt, daß unsere Chancen dadurch optimiert werden. Nur …« »Nur?« dehnte Ursula Grown. »Es gefällt mir nicht, daß dieser Hayes der SOLAG‐Führer sein soll.« »Das hat Chart so bestimmt.« »Richtig, Ursula.« Ein verschlagener Blick traf die Frau. »Ich habe auch nicht die Absicht, diese Entscheidung anzufechten, nur – muß es unbedingt einen einzigen High Sideryt geben?« Herts beugte sich vor. »Was haltet ihr davon, wenn Hayes die SZ‐2 befehligt und wir für die Rest‐SOL einen High Sideryt aus unserer Mitte wählen? Damit wäre doch allen gedient.« »Wenn du dir Chancen für diesen Posten ausgerechnet haben solltest, Gallatan, solltest du das lieber vergessen«, spottete Arjana Joester. »Ich glaube, es gibt niemanden in dieser Runde, der dich als eine Art ›Gegen‐High‐Sideryt‹ sehen möchte.« »Von mir war überhaupt nicht die Rede«, giftete der Magnide. »Es geht mir lediglich um uns und die SOL.« »Du lügst«, sagte Arjana Joester, und auch die beiden anderen Frauen sparten nicht mit abfälligen Bemerkungen. Trotz der Emotionen, die das Gespräch bestimmten, blieb Kölsch ruhig und sachlich. »Wie hast du dir das vorgestellt, Gallatan? Willst du Grenzen durch die SOL ziehen, vielleicht einen Teil vom anderen abschotten?« »Warum nicht?« »Abgesehen davon, daß es ein Rückfall in die finsterste Vergangenheit wäre, wie soll das praktisch aussehen, wenn unser Schiff etwa angegriffen wird? Wer hat da die Befehlsgewalt? Wer bestimmt über die Versorgungsgüter? Wessen Wort hat Priorität? Wem soll die SOLAG folgen?«
»Man wird darüber sprechen müssen«, kam griesgrämig die Antwort. »Laßt uns zur Sache kommen. Ist jemand gegen die Vereinigung der SOL?« Niemand meldete sich. »Dann haben wir nur abzustimmen, ob wir Gallatans Vorschlag annehmen oder Hayes als High Sideryt akzeptieren. Ich bitte um Handzeichen. Wer unterstützt Gallatan?« Herts sah, daß er mit seiner Idee auf verlorenem Posten stand, und enthielt sich der Stimme. »Damit steht die Entscheidung fest«, verkündete Kölsch mit einer gewissen Feierlichkeit in der Stimme. »Ich werde Atlan informieren.« * Die Magniden hatten mich in die Zentrale zurückgerufen. »Zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen? Soll die SOL friedlich vereinigt werden?« fragte ich. Die Versammelten nickten stumm. »Ihr habt eine weise Entscheidung getroffen«, sagte ich zufrieden. Schon vier Minuten später, exakt um 18.33.17 Uhr Bordzeit – man schrieb mittlerweile den 30. März 3792 – wurde über die Antennen der Teil‐SOL ein Hyperfunkspruch abgesetzt. Er lautete: Wir erwarten den neuen High Sideryt Breckcrown Hayes mit der SZ‐2 zur friedlichen Ankoppelung. Gezeichnet Ursula Grown, Curie van Herling, Gallatan Herts, Arjana Joester, Wajsto Kölsch, Atlan. Die Erwähnung meines Namens war mir gar nicht so recht, doch die Magniden hatten mich regelrecht dazu gedrängt; mir lag nichts ferner, als mich in den Vordergrund zu spielen, doch dann hatte ich mir gesagt, daß es für Breckcrown ein deutliches Zeichen dafür war, daß er nichts zu befürchten hatte und daß das Angebot ernst
gemeint war. Du hast nicht nur gesiegt, sondern auch gewonnen. Ja, es läßt sich nicht leugnen, dachte ich. Es wäre ein Fehler, wenn du jetzt deinem Bemühen nachläßt. Verschaffe ihnen ein Erfolgserlebnis! Sie brauchen es! Später, gab ich gedanklich zurück. Was ich jetzt brauche, ist Schlaf. Dein Zellaktivator scheint auch nicht mehr das zu sein, was er einmal war, beschwerte sich mein Extrasinn. Ihm wird es gehen wir dir, schließlich wird niemand jünger, antwortete ich lautlos. Belustigt registrierte ich, daß mein Logiksektor schwieg; wahrscheinlich war er beleidigt. Das war nur recht, denn nichts ist schlimm als eine innere Stimme, die einen am Einschlafen hindert. ENDE Seit dem Vergehen des Deccon‐Doppelgängers sind einige Wochen vergangen. Die SOL ist wieder vereinigt, und die Solaner erkennen Breckcrown Hayes als neuen Schiffsführer an. Nur einer scheint mit der Normalisierung und Stabilisierung der Verhältnisse an Bord des Generationenschiffs nicht einverstanden zu sein. Mehr zu diesem Thema berichtet Peter Terrid im Atlan‐Band der nächsten Woche. Der Roman erscheint unter dem Titel: DER SOL‐HIRTE