Das Erbe Hydros Roman von Curd Gorm Ein unbekannter Anrufer beordert den Testpiloten Jan Hendricks zu einer Verabredung...
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Das Erbe Hydros Roman von Curd Gorm Ein unbekannter Anrufer beordert den Testpiloten Jan Hendricks zu einer Verabredung nach Paisang. Alles bei diesem Telefonat ist seltsam: die Glocke des Apparates scheint anders als sonst zu läuten, der Unbekannte verlangt von Hendricks, daß er sich in der Luft mit ihm trifft. Am seltsamsten jedoch ist Hendricks’ Beneh men, er fliegt nämlich tatsächlich zu dieser Verabredung, denn von dem Fremden geht ein unwiderstehlicher Zwang aus. Jan Hendricks weiß nicht, daß der Start nach Paisang für ihn der Beginn eines Abenteuers ist, wie es nie vorher ein Mensch erlebt hat. Und selbst wenn er es wüßte, könnte er nicht widerstehen. Hendricks hat sein Erbe schon angetreten, ehe seine Maschine von der Erde abhebt – das Erbe Hydros, von dessen Geheimnis sen Sie jetzt lesen. PERSONEN: Jan Hendricks – ein sympathischer Testpilot Direktor Wullard – Leiter der Detroiter Flugzeugwerke Ataka, Noga, Inka – Hydronier
1. Kapitel Schrill gellten die Alarmsignale; rotglühend flammten Warnlam pen auf und erloschen wieder. Das Dröhnen des Ultraimpulsant riebs erfüllte das ganze Schiff. Die »Nova« war bereit, die trennende Wand zwischen dem Pa raraum und einem neuen, unbekannten Universum zu durchbre chen. Für Sekunden tauchte das riesige Schiff in tiefste und un durchdringliche Dunkelheit. Die stützenden Streben und Spanten, die Instrumente im Kontrollraum, ja das ganze Schiffsinnere schienen unwirklich verdreht und verbogen. Mathematik und Physik hätten diese Erscheinung nicht deuten können. Es gab keine Rundungen, keine Ecken und keine Winkel mehr. Alle Proportionen hatten sich ins Unwirkliche, Unmeßbare und Unfaßbare verschoben.
Es schien, als schüttele sich die »Nova«, als streife sie eine hemmende Last ab; und dann kreuzte das Schiff im neuen Uni versum. Relais fielen dröhnend ein, der Ultraimpulsantrieb dros selte seine Leistung, und die Rechenmaschinen begannen mit der Auswertung der ersten Meßergebnisse. Ataka ließ das Schiff für seine Begriffe langsam vorwärts eilen; trotzdem lag die Geschwindigkeit nur knapp unter der des Lich tes. Mit einer Handbewegung rief er den Roboter QX 3 und über gab ihm das Kommando. Dann stellte er sich neben Noga, der sofort nach dem Durch bruch vor die Fernsehscheibe getreten war und interessiert die Sterne dieser neuen Welt beobachtete. Kopfschüttelnd betrachtete Ataka einen Augenblick das von ern sten Sorgen zerfurchte Gesicht seines Freundes und legte ihm dann aus einem aufwallenden Gefühl des Verstehens und der Freundschaft die Hand auf die Schulter. »Wir werden es gleich wissen, ob dies die letzte Fahrt der ›No va‹ ist.« Langsam wendete der Angesprochene den Kopf. Seine Stimme klang leise, fast klagend. »Es muß die letzte Fahrt gewesen sein! Hörst du, Ataka? Es muß! Die Zeit der Welt Hydro ist abgelaufen, und wir sind die letzte, die allerletzte Hoffnung. Wir haben keine Zeit mehr für lange Experimente, keine Zeit, um noch lange nach bewohnten Planeten zu suchen.« »Ich weiß es, Noga. Sie vertrauen uns, die daheim! – Die Hoff nung unserer Heimat hängt an unserem Schiff. Ich weiß, daß für Hydro unsere ›Nova‹ der letzte Halt ist.« Er schwieg und strich sich das schlohweiße Haar aus der Stirn. Roboter QX 3 faßte die Meßergebnisse in wenigen Sätzen zu sammen. »Die ›Nova‹ nähert sich einem Sonnensystem. Neun Planeten kreisen um die Sonne. Einzelne Planeten haben Satelli ten.« Noga beugte sich interessiert vor. »Hat man Leben feststellen können?« Es schien, als bewege QX 3 bedauernd seinen metallenen Kopf und als sei Mitleid in seiner Stimme. »Die endgültigen Meßergeb nisse liegen noch nicht vor. Bisher hat man erst einen Planeten, den mit zwölf Monden, untersucht; allerdings ohne Erfolg.« Der Robot wendete seinen Kopf und lauschte zur Rechenmaschine. »Hier kommen zwei weitere Ergebnisse. Auch der Planet mit fünf
Monden – und auch der mit neun, tragen kein Leben.« Beruhigend klopfte Ataka seinem Freund Noga auf die Schulter. »Warte ab und verzweifle noch nicht. – Komm, laß uns selbst sehen.« Der Raum, in den sie eintraten, war fast völlig dunkel. Nur die Skalen der Meßinstrumente glühten matt. Roboter standen an den Maschinen und suchten in der Weite des Raums nach ihrem Ziel. Der Robot RP 1 sah beim Eintreten der beiden Menschen auf. »Wir untersuchen jetzt den dritten Planeten. Er hat nur einen Mond, der in einer Entfernung von 384 400 Kilometern rotiert. Seine Umlauf zeit beträgt 29 Tage, zwölf Stunden und 44 Minu ten.« »Hat man Atmosphäre festgestellt?« »Noch nicht mit Bestimmtheit!« »Einzelheiten?« »Er ist 149,5 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf…« »Bitte RP 1, nur zu.« Ataka lächelte aufmunternd dem Roboter zu. »Die Entfernung des Planeten von seiner Sonne würde vielleicht Leben ermöglichen. Auch die Rotation«, RP 1 sah auf die Skala eines Meßinstrumentes, »sie beträgt 23 Stunden, 56 Minuten und 4,09 Sekunden, läßt eine Atmosphäre vermuten.« »Wie hoch ist das Alter des Planeten?« »Aus der Halbwertzeit läßt sich errechnen, daß der Planet etwa fünf Milliarden Jahre alt ist.« Zurück im Kommandoraum sahen sich Ataka und Noga den drit ten Planeten auf der Fernsehscheibe an. »Es bestehen kaum noch Zweifel – wir nähern uns einer bewohnten Welt!« Schwer und bedeutungsvoll hing dieser Satz im Raum. Ataka gab den Befehl: »Wir landen auf dem dritten Planeten!« War die Erkenntnis über das Auffinden einer bewohnten Welt im All für die beiden Menschen schon erschütternd, so war es der Landebefehl noch mehr. Dieser Entschluß leitete eine Reihe von Geschehnissen und Ereignissen ein, deren Tragweite und Auswir kungen gar nicht abzuschätzen waren. Schwerelos wie eine leichte Flaumfeder legte die »Nova« den letzten Rest des Weges zurück und umkreiste dann in immer en ger werdenden Spiralen den Planeten. In weitschwingendem Bogen näherte sich das Schiff der äußers
ten Grenze der Atmosphäre und tauchte sanft und kaum spürbar ein. Vom immer stärker werdenden Reibungswiderstand wurde die »Nova« leicht abgebremst. Die Strahlen der hochstehenden Sonne brachen sich auf der sil bern schimmernden Wandung des Schiffes. Ataka und Noga ließen keinen Blick von der halbrund geboge nen Fernsehscheibe, die fast die Hälfte der Zentrale einnahm. Plastisch und farbig waren die wiedergegebenen Bilder auf der Scheibe, und als Noga jetzt einen Schalter berührte, klang aus den Lautsprechern über dem Bild Stimmengewirr und Straßen lärm. Vergeblich versuchten beide, die Laute in ein ihnen bekanntes Sprachsystem der galaktischen Einheit einzuordnen. Trotzdem lauschten sie begierig und mit leuchtenden Augen den ersten vernehmbaren Äußerungen dieser für sie noch fremden Welt. Ataka regulierte mit geübten Griffen die Schärfe des Bildes. Deutlich waren jetzt die Abmessungen einer großen Ansiedlung zu erkennen. Häuser ragten steil bis fast an die Wolken; in den tiefen Schluchten der Straßen quirlte turbulentes Leben. Wie win zige Fliegen schwirrten Flugkörper über die Fernsehscheibe in der Kommandozentrale. »Soll ich jetzt Nachricht nach Hydro geben?« Noga wandte sich schon ab, als er noch einmal zurückgerufen wurde. »Ich möchte keine falschen Hoffnungen erwecken. Wir wissen, wie sehr man auf unsere Nachricht wartet, wie man hofft, daß die ›Nova‹ endlich einmal Erfolg hat.« Atakas Stimme wurde ernst. »Zu oft schon haben wir uns geirrt und Nachricht gegeben, die wir dann widerrufen mußten.« Protestierend wies Noga auf die Fernsehscheibe. »Und das hier? Diese Bilder? Sprechen sie nicht für unseren Erfolg? Noch nie ha ben wir etwas Gleichartiges gesehen.« Er regulierte an den Stell knöpfen, und mit einer äußerst leistungsfähigen Teleoptik wurde aus der Gesamtheit der Stadt heraus jetzt ein einzeln stehendes Gebäude abgebildet. Unschwer war zu erkennen, daß es sich um einen Bahnhof han delte. Triumphierend deutete Noga auf das betriebsame Leben. »Sieh doch, die Bewohner dieser Welt sind intelligent, sie haben eine sicher gefügte Ordnung, sie haben sich die Kräfte der Natur Untertan gemacht.« In diesem Augenblick verließ ein von qual mender Lokomotive gezogener Zug das Gebäude.
»Und hier, schau doch hierher!« Er korrigierte das Bild. Statt des Gebäudes wurde jetzt die ganze Fernsehscheibe von den Köpfen zweier Menschen ausgefüllt. »Sie sehen uns ähnlich – es sind Menschen wie wir!« Die beiden Gesichter neigten sich zuei nander, die Lippen flüsterten zwar deutlich hörbare, aber für die beiden Männer in der »Nova« unverständliche Laute. Und dann, als der schrille und zur Eile mahnende Pfiff der Lokomotive ertön te, preßten sich die Lippen der beiden Menschen unten auf der Welt fest aufeinander. Ataka sah sinnend auf das Bild und nickte. »Du magst recht ha ben, Noga. Wir scheinen wirklich am Ziel unserer Reise zu sein. Die Lebewesen dort unten kennen die Liebe. Es sind Menschen wie wir – nicht nur der äußeren Gestalt nach. Sie haben Gefühl und scheuen sich auch nicht, es offen und ehrlich zu zeigen. – Tatsächlich, wir scheinen am Ziel zu sein!« »Dann gebe ich jetzt Nachricht!« Noch einmal wurde Noga zurückgerufen. »Warte! – Wir haben nur noch wenig Zeit, bis zu dem Tage, da sich das Schicksal Hydros vollenden wird. Also haben wir auch keine Zeit mehr für Heuchler und Betrüger.« Ataka sah einen Au genblick sinnend auf die Fernsehscheibe. Dann fuhr er in plötzli chem Entschluß fort: »Ich kann es noch nicht verantworten!« »Du bist der Kommandant der ›Nova‹, Ataka. Du hast zu befeh len – und ich muß mich fügen.« Ataka nickte nachdenklich und ging ein paar Schritte in der Kommandozentrale auf und ab. Er ließ sich schließlich auf einen weichen Sessel sinken, der sich sofort seiner Körperform anpaßte und auch die für ihn bequemste Beinhöhe automatisch einstellte. »Noch fehlt mir der letzte Beweis. Es mag sein, daß ich durch unsere Mißerfolge skeptisch geworden bin, daß ich jetzt übervor sichtig urteile. Aber wir kennen die Menschen dieses Planeten noch nicht. Man kann sie nicht allein nach ihrem äußeren Bild und ihrem Gebaren abschätzen und einordnen.« »Dann müssen wir sie eben anhören. Ihre Sprache müssen wir übersetzen.« »Richtig, Noga. Bereite für mich den ›Translator‹ vor. Wenn ich die Menschen verstehe, kann ich entscheiden.« Der »Translator« war ein kleines Gerät auf winzigen Rädern, das von QX 3 genau vor die Füße Atakas gerollt wurde. An sieben langen Schnüren von verschiedenen Farben war ein helmähnli
ches Gebilde befestigt, das sich Ataka aufstülpte und vorsichtig zurechtrückte. »Schalte ein, QX 3.« Aus dem »Translator« tönte ein leises, beruhigendes Brummen. Mit sicheren, geübten Griffen bediente der Roboter das Gerät und beobachtete dabei gespannt das Gesicht Atakas. Feinfühlig regu lierte er an winzigen Verstellschrauben; ein Zeiger kroch Millime ter um Millimeter über eine Skalenscheibe. »Jetzt! Genug QX 3!« Suchend glitt das Auge der Teleoptik durch die Straßen, ver harrte einen Augenblick zögernd an einem hochaufragenden turmartigen Gebäude und schwenkte dann wieder weiter. Die breite Front, die jetzt auf der Fernsehscheibe deutlich zu erken nen war, und in der sich das Licht der Sonne brach, fesselte No ga. Er schickte den Suchstrahl in die einzelnen Räume. Der Strahl erfaßte einen großen Saal. »Viele Menschen sind in diesem Raum, Ataka. Möchtest du sie anhören?« Ataka nickte nur. Er warf einen kurzen Blick auf die Fernseh scheibe, schloß dann wieder die Augen und versenkte sich ganz in die klar und deutlich zu ihm dringende Sprache. Ein Mann stand am Rednerpult. Ohne Pathos, aber doch mit Leidenschaft und innerer Bewegung, appellierte er an das Ver ständnis seiner Mitbürger. Er sprach von Frieden, Freiheit und Sicherheit. Er bat um gegenseitiges Verständnis und den Willen zur Einheit. Beschwörend wurden seine Worte, und die vielen hundert Zuhörer standen spontan auf und Spendeten Beifall. Ein versonnenes Lächeln trat in Atakas Gesicht. Dann öffnete er die Augen und stand entschlossen auf. »Ich habe mich überzeugt! Wir sind endlich am Ziel unserer ungewissen Reise. Dieser Planet hier unter uns, diese Menschen hier sind wahrhaft berufen, unser Erbe anzutreten und das Vermächtnis Hydros zu erfüllen. – Gib die Nachricht!« Wenige Augenblicke später durcheilte der Raumstrahl die uner meßlichen Weiten des Alls, traf auf Relaisstationen, wurde ver stärkt und erneut auf die Reise geschickt. Dann erreichte er sein Ziel und gab Kunde von der so heiß ersehnten Entdeckung. Währenddessen hatte die »Nova« sich wieder von dem Planeten entfernt. Flimmernd waberte die Atmosphäre um den ungeheuren Ball, um den dritten Planeten im System Sol. Um den Planeten, der von seinen Bewohnern Erde genannt wurde.
2. Kapitel Gegen den blutigflammenden Himmel hob sich die im Sonnen untergang kreuzende Maschine kaum ab. Nur wer mit einem scharfen Glas ganz genau den Horizont abgesucht hätte, und wem das Glück dabei zur Seite stand, der hätte den in mehr als siebentausend Metern Höhe dahinschießenden Schimmer be merkt. Jan Hendricks hielt den Steuerknüppel lässig mit nur einer Hand. Die Düsenmaschine flog in der ruhigen Luft über Paisang in China. Mit zwei schnellen Griffen regelte Hendricks die vier mäch tigen Düsentriebwerke neu ein. Dann gab er sich wieder ganz seinen Gedanken hin. Er flog zu einem Rendezvous mit dem Unbekannten! Er wollte sich mit jemandem treffen, der ihn auf unerklärliche Weise hierherbestellt hatte. Hierher nach Paisang. Vor zwei Tagen war es gewesen. Hendricks hatte abends wie gewöhnlich die »Detroiter Flugzeugwerke« verlassen, war mit einem schnellen Wagen über die Autostraße 211 nach Hause ge fahren und hatte, wie an jedem anderen Tage, erst geduscht und dann ruhig zu Abend gegessen. Bei der Verdauungszigarette hin terher hatte das Telefon geläutet. Wenn Jan Hendricks es sich jetzt genau überlegte und die Ereignisse jenes Abends noch einmal rekonstruierte, dann fiel ihm auf, daß sich schon das Klingeln seines Telefons anders angehört hatte als sonst. Es war nicht der helle, gewohnte Anschlag der Glocken, sondern eher ein tiefer Bimbamton gewesen. Aber wer stellt schon lange Überlegungen an, wenn abends das Telefon einmal etwas anders als sonst klingelt? »Hendricks! Ja, bitte?!« »Sind Sie der Flugingenieur und Testpilot Jan Hendricks von den Detroiter Flugzeugwerken?« hatte eine Stimme gefragt. »Ja, ich bin selbst am Apparat.« Erst bei der nächsten Frage des unbekannten Gesprächspart ners wurde er stutzig. »Daß Sie allein im Zimmer sind, sehe ich. – Aber kann Sie auch niemand belauschen?« Unwillkürlich sah Hendricks zur Tür und zum Fenster, konnte aber niemanden sehen. Er wurde ungeduldig. »Natürlich kann
mich niemand belauschen! Warum sollte man auch? – Was wollen Sie von mir? – Wer spricht dort?« Er war dicht daran, den Hörer wieder auf die Gabel zu legen und das Gespräch abzubrechen. Irgend etwas hielt ihn aber davon ab; irgend etwas zwang ihn zuzuhören. Einen kurzen Augenblick war es still in der Leitung. Hendricks glaubte Stimmen sprechen und heftig diskutieren zu hören. Dann meldete sich wieder der unbekannte Anrufer. »Wir vertrauen Ih nen, Mr. Hendricks. Kommen Sie am 23. nach Paisang…« »Nach Paisang? Wo ist das?« »Paisang liegt in China, Mr. Hendricks«, belehrte der Unbekann te geduldig. »Sie finden es auf jeder Karte. Fliegen Sie von Pai sang aus genau in nördlicher Richtung, halten Sie eine Höhe zwi schen sechs- und siebentausend Metern. – Sie haben mich ver standen?« Jan Hendricks bejahte, obwohl er nur die Worte verstanden hat te. Der Partner am Telefon wurde eindringlich. »Sie kommen? Wir brauchen Sie dringend!« »Ja, ich komme!« Wie unter Zwang, wie unter einem unerklärli chen hypnotischen Bann gab Hendricks seine Zusage. »Und um welche Zeit soll ich kommen?« »Das bleibt Ihnen überlassen. Nur den Tag müssen Sie genau einhalten. Und die Flughöhe! Vergessen Sie es nicht. Sie müssen zwischen sechs- und siebentausend Meter hoch fliegen. Genau auf nördlichem Kurs von Paisang. Am 23. – Verstehen Sie, Mr. Hendricks? Das ist wichtig. Sie müssen unbedingt am 23. kommen!« Dann war die Leitung tot. Jan Hendricks legte den Hörer auf, blieb einen Augenblick unentschlossen stehen, faßte sich dann an den Kopf und ließ sich schwer in einen Sessel fallen. Er zündete sich eine neue Zigarette an. Plötzlich fiel die eigenartige Lähmung von ihm ab. Wieder griff er zum Telefon und ließ sich mit dem Fernamt verbinden. Aber die Antwort des Mädchens in der Vermittlung bestätigte nur noch einmal seine Vermutung. Man hatte kein Ferngespräch zu ihm vermittelt! Und jetzt flog er über Paisang. Hendricks warf einen Blick auf Kompaß und Höhenmesser, ließ dann die Maschine noch um zweihundert Meter höher steigen und legte sie genau auf nördli
chen Kurs. Jetzt hatte er seine Zusage erfüllt und den Treffpunkt erreicht. Der nächste Zug in diesem Versteckspiel mit dem unbekannten Partner mußte nun von der anderen Seite kommen. Wohl schon zwei Minuten lang flog er genau auf dem angegebenen Kurs und der gewünschten Höhe. Die Maschine lag wie ein Brett in der Luft. Ohne jede Warnung der Instrumente, ohne Ankündigung durch ein optisches oder akustisches Signal, ohne jedes vorher zu be merkende Anzeichen entriß sich das Flugzeug plötzlich seiner Ge walt. Ein blaues, überirdisches Licht umspielte den Rumpf, wech selte in giftig-grüne Farbe um und lohte dann gleich wieder gelb rot auf. Ein tiefes Summen erfüllte die Luft und machte Hendricks fast taub. Wimmernd erstarb das Dröhnen der Düsenmotoren. In einer steilen Spirale schoß die Maschine dem Boden zu! Ausfall aller vier Motoren, so schoß es Hendricks durch den Kopf. Und gleich weiter: Fast siebentausend Meter Höhe, jetzt schon nur noch sechstausend, müßten zum Abfangen genügen. Verbissen versuchte er, wieder Gewalt über die Maschine zu be kommen. Aber es war eigenartig. Obwohl die Höhen-, Seiten- und Querruder den Steuerausschlägen gehorchten und sich leicht be wegen ließen, und obwohl er sein ganzes fliegerisches Können einsetzte – die Maschine gehorchte nicht! Nur das singende und sirrende Geräusch in der Luft wurde lau ter; die farbige Wolke um die Maschine breitete sich immer mehr aus. Pfeifend und jaulend strich die Luft an der Kabine der immer noch stürzenden Maschine vorbei. Der Druck preßte Hendricks fest an die Sitzlehne. Noch immer versuchte er, unter Aufbietung aller Kräfte, Herr über das abstürzende Flugzeug zu werden. Der einzige Erfolg sei ner Bemühungen war aber, daß die Maschine jetzt noch trudelte und sich immer schneller um die eigene Achse drehte. Jetzt neigte sich die Spitze der Maschine dem Erdboden zu, schossen die Klippen und Schluchten der Berge in rasendem Tempo heran. – Nun war es also endgültig vorbei! Es würde nur noch wenige Sekunden dauern. Hoffentlich geht es schnell! Das waren die letzten Gedanken Jan Hendricks’, ehe ihn der immer stärker werdende Andruck ohnmächtig werden ließ.
*
»Vorsichtig, Noga. Vielleicht verträgt er den Schock nicht. Wir kennen die Menschen dieser Welt zu wenig, um sie gleich unseren Bedingungen anpassen zu können. Außerdem scheint sein Körper beim Start der ›Nova‹ doch mehr in Mitleidenschaft gezogen zu sein, als wir annehmen konnten.« »Der Körper ist relativ Widerstandsfähig, wie ich festgestellt ha be. Viel größere Sorge habe ich um sein Denk- und Nervenzent rum. Aber es hilft nichts. Wir müssen es versuchen.« »Öffne jetzt die Augen, Fremder! Versuche aufzustehen! Die Schmerzen sind vorüber. – Komm, ich helfe dir!« Eine kühle Hand legte sich auf seine Augen. Und unter dem Schutz der Handfläche öffnete Hendricks die Lider. Mattes, wohltuendes Licht erfüllte den Raum. Ein Licht, dessen Ursprung nicht zu erkennen war, das aber alle Winkel des Rau mes schattenlos ausleuchtete. Langsam ließ Hendricks seine Au gen wandern. Er entdeckte sachlich nüchterne Möbel, Schalttafeln und Instrumente, deren Bedeutung er nicht kannte, und dann trafen sich seine Blicke mit denen des anderen. Vor ihm stand ein Mensch, wie er selbst einer war. Aus dem grundgütigen Gesicht blickten ihn zwei blaue Augen mitfühlend an. »Ich bin Ataka. So nennt man mich in meiner Welt. Und wir nennen diese Welt Hydro. Ich heiße dich willkommen an Bord der ›Nova‹, einem Sternenschiff meiner Heimat. Dies hier«, in Hend ricks Gesichtskreis trat der andere, »dies ist Noga. Ein bedeuten der Wissenschaftler auf Hydro.« Hendricks versuchte, die Gedanken zu ordnen. Zuviel auf ein mal stürzte auf ihn ein. Was waren das für seltsame, nie gehörte Namen? Ataka und Noga – eine Welt Hydro! Und von einem Ster nenschiff hatten die beiden gesprochen? Hendricks kam nicht auf die naheliegende Lösung aller seiner Fragen. Er richtete sich auf. »Waren Sie es, die mich in Detroit angerufen haben? Sind Sie es, mit denen ich mich am 23. über Paisang treffen sollte?« Hilfreich griffen Nogas Hände zu und geleiteten Hendricks zu ei nem etwas abseits stehenden bequemen Sessel. »Setzen Sie sich hierher. Und trinken Sie das. Es wird Ihnen die Kräfte zurückge ben.« Noga drückte ihm ein seltsam geschliffenes Glas in die Hand, das mit einer dunkelrot leuchtenden Flüssigkeit gefüllt war. Perlen schäumten auf dem Grund des Glases und stiegen quirlend
nach oben. Ein würziger, belebender Geruch stieg Hendricks in die Nase. Ohne Zögern trank er das Glas aus. Fast augenblicklich fühlte er sich besser, fiel die Erschlaffung von ihm ab. Hendricks stand auf, ging ein paar Schritte hin und her und blieb dabei neugierig an einer der vielen Schalttafeln ste hen. Die Bezeichnungen der Skalen trugen Zeichen und Daten, die sich mit keinem Meßinstrument irdischen Ursprungs deckten. Es war also Wirklichkeit. Es war keine Ausgeburt seiner Phanta sie. Diese Menschen dort vor ihm waren… Er schluckte schwer. »Sie sind nicht von der Erde? Sie sind…?« »Diese Fragen haben wir erwartet.« Ataka nahm Hendricks bei der Hand und führte ihn zum Sessel zurück. Mit sanftem Druck nötigte er ihn zum Sitzen. »Sie sollen Antwort haben auf diese Frage und auch auf die vielen anderen, die Sie sicherlich noch stellen werden. Es werden viele Fragen sein – und die Antworten werden Sie in Erstaunen, Beklemmung und Furcht versetzen, aber auch gleichzeitig wird Ihnen die Erkenntnis Freude berei ten.« Ataka sah sein Gegenüber fest und zwingend an und fuhr dann fort: »Sie müssen stark sein, Jan Hendricks. Stärker als jemals ein Mensch vor Ihnen. Sie sind dazu berufen, als erster Bewohner des dritten Planeten, den ihr ›Erde‹ nennt, die Welt der Sterne zu schauen!« Hendricks schwieg. Und wenn er jetzt seine Gedanken hätte preisgeben müssen, dann wäre zu erkennen gewesen, daß er kaum etwas verstand. Es war einfach zuviel für die Seele und für das Begriffsvermögen eines Erdbewohners. Ataka bemerkte die Verwirrung, ging aber darüber hinweg. »Und nun zu Ihrer ersten Frage. Ja, mein Freund Noga und ich sind nicht von eurer Welt. Auch nicht aus dem Sol-Sonnensystem. Wir leben auf dem Planeten Hydro und kreisen um die Sonne Bell.« »Planet Hydro und die Sonne Bell.« Tonlos wiederholte Hend ricks diese nie gehörten Namen. Für einen Augenblick meinte er, die ihm aufgebürdete Last niemals tragen zu können. Aber er mußte sie ja tragen – er mußte ja stark sein! Er nickte. »Ich weiß nicht, was auf mich wartet und was ihr mit mir plant. Aber ich fühle, daß ihr es gut und ehrlich mit mir meint. Ich will versuchen, euch zu verstehen.« Hendricks machte eine kleine Pause, stand dann wieder auf und
trat dicht auf Ataka und Noga zu. Beide lächelten froh und glück lich, und nacheinander schüttelten sie ihm die Hand. Diese Berüh rung schloß das Bündnis. »Komm, Hendricks, wir wollen dir die Welt der Sterne zeigen, du sollst deine eigene Welt und deine Sonne sehen. Noch ist es Zeit dazu. Schon bald wird diese Welt in unerreichbaren Fernen liegen.« Hendricks zuckte zurück, als QX 3 eintrat. »Nur ein Roboter, keine Sorgen, Hendricks! Sie werden sich an den Anblick gewöh nen.« Die anfängliche Angst wich schnell einer begreiflichen Neugier des Technikers. Er trat auf den abwartend in der Tür stehenden QX 3 zu und klopfte mit dem Fingerknöchel gegen den Brustpan zer. »Geben Sie sich keine Mühe, Herr. Damit haben Sie keinen Er folg!« »Junge, du kannst sprechen?« Hendricks dachte an ein ge schicktes Taschenspielerkunststück seiner neuen Freunde Ataka und Noga und sah sich augenzwinkernd nach ihnen um. Ataka lächelte. »Er kann sprechen, Hendricks. – Und, erschre cken Sie nicht, er kann auch denken. Selbständig denken, Ent schlüsse fassen und sie auch in die Tat umsetzen.« QX 3 nickte beifällig, und fast wollte es Hendricks scheinen, als könne er aus den geschliffenen Augenlinsen so etwas wie Stolz und Selbstbewußtsein herauslesen. Achselzuckend wandte sich Hendricks ab. »Tatsächlich, Ataka, Sie haben mir Überraschungen versprochen und halten sie auch ein.« »Wenn dem neuen Herrn das jetzige Sonnensystem gezeigt werden soll, dann wird es höchste Zeit. Wir sind schon in Nähe des sechsten Planeten.« QX 3 wandte sich jetzt direkt an Hend ricks. »Wenn es Sie wirklich interessiert, ich bin aus Transdura lium gefertigt. Das ist ein Metall mit der mehr als zehntausendfa chen Stärke und Widerstandsfähigkeit Ihres Stahls.« Lautlos ging QX 3 voran in die Kommandozentrale. Ataka, Noga und der verblüffte Hendricks folgten ihm. Der große Raum war bis auf das matte Licht der Kontrollampen an den Schalt- und Meßin strumenten dunkel. Dann leuchtete die Fernsehscheibe auf. In unwirklicher Ferne strahlten tausend und aber tausend winzi ge Lichtpünktchen in tiefster, schwärzester Finsternis. Bis in den letzten Winkel des Alls schien der Blick schweifen zu können.
Ausgebreitet wie auf einem Teppich aus dunklem Samt lagen die Sterne vor Hendricks. Ehrfürchtig erschauernd stand er vor der Scheibe. Kaum wagte er zu atmen. Unwillkürlich falteten sich seine Hände, und seine Lippen flüsterten unzusammenhängende Worte. Dann erfaßte ihn ein Schwindel. Er schien durch die Unendlich keit zu stürzen, in den tiefsten aller Abgründe, aus dem ein Zu rück unmöglich war. Die Sterne flogen auf ihn zu, wurden größer und größer und wuchsen in riesenhafte Dimensionen. Ein Ball schoß auf ihn zu, ein leuchtender Ball. Bald schon füllte er die ganze Fernsehscheibe aus. »Das ist ja…« Hendricks hatte die Kontinente erkannt. Die cha rakteristischen Formen der Vereinigten Staaten und Südamerikas. Den großen asiatischen Kontinent mit dem anschließenden Euro pa. Und da war auch Afrika, die riesige Insel zwischen den Ozea nen. »Ja, Hendricks, das ist deine Erde. Deine Heimat.« Langsam ro tierte der Planet in majestätischer Ruhe. »Noch niemand hat sei ne Erdheimat so gesehen, wie du es jetzt kannst. Noch nie mand!« »Niemand. Ich bin der erste Mensch, dem dieser Blick vergönnt ist, der seine Erde als Stern sieht. Ich – warum gerade ich?« Hendricks war kein himmelstürmender Held, er war kein Super athlet, der schnoddrig am Erhabensten vorübergehen konnte. Er fühlte sich klein, und er ahnte die Bedeutung des Alls und seine Mächtigkeit. Er selbst aber war nur ein winziges Staubkorn, ein kümmerliches Nichts, hilflos der Unendlichkeit preisgegeben. Kleiner wurde wieder der Erdball. Er schrumpfte zusammen und war schon nicht mehr größer als ein Apfel. Sekunden später war er nur noch einer der vielen Lichtpunkte, nicht mehr zu unter scheiden und nicht mehr herauszufinden. Der Roboter hatte die Teleoptik ausgeschaltet. QX 3 meldete sich. »RP 1 teilt mit, daß der Durchbruch in den Pararaum bevorsteht.« »Wer ist RP 1, auch solch ein Roboter?« Noga lächelte, während das Bild auf der Fernsehscheibe ver blaßte und die Kommandozentrale wieder taghell beleuchtet wur de. »Nicht auch so ein Roboter, sondern eben RP 1.« »Das begreife ich nicht! Ein Roboter ist doch ein Roboter.« »Da muß ich aber korrigieren, Herr.« QX 3 schaltete sich ein.
»Ich bin eben nur QX 3, ein einfacher Roboter mit beschränkten Funktionen. Leider, wenn ich das hier einmal sagen darf. Ich könnte durchaus…« »Halt den Mund, QX 3!« Ataka schnitt ihm das Wort ab. »Nun gut, schweige ich eben. Aber um auf RP 1 zurückzukom men: Das ist ein Robot der Klasse 1 und deshalb in der Lage, lo gische Schlüsse zu ziehen.« Noga nickte. »QX 3 hat recht, Hendricks. RP 1 kann tatsächlich völlig logisch aus gegebenen Tatsachen schlußfolgern und dann automatisch richtig handeln.« Hendricks begriff gar nicht die Ungeheuerlichkeit, die Noga eben gesagt und bestätigt hatte. Er meinte nur: »Den Burschen möch te ich mir ansehen!« »Das dürfte jetzt kaum möglich sein!« »Warum denn nicht? Man wird sich doch wohl einen Roboter an sehen können?« Hendricks war verblüfft. »Das schon – aber jetzt nicht. – Oder würden Sie auf der Erde einen Wissenschaftler bei der Arbeit stören? Und übrigens, das wird Sie sicherlich interessieren, RP 1 ist der technische Kom mandant des Schiffes und für unser Leben verantwortlich!« Dröhnend brausten die Maschinen auf. Der Ultraimpulsantrieb hatte eingesetzt und riß die »Nova« mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit hinaus in den Raum. Der Durchbruch in den Pa raraum, und gleich darauf der Eintritt in das Universum der Son ne Bell, stand kurz bevor. »Schließen Sie die Augen, Hendricks. Der Schock wäre zu groß.« Ataka griff nach der Hand von Hendricks. Dieser hatte jedoch für den Bruchteil einer Sekunde zu spät die Lider geschlossen und die erste Verformung der Materie noch erkennen können. Was er gesehen hatte, durfte es nicht geben! Nein, das konnte es nicht geben! Niemals! Er wachte erst wieder auf, als die »Nova« nur noch weniger als zehn Millionen Kilometer von Hydro entfernt war.
3. Kapitel Weich und fast schwerelos, wie eine im Sommerwind fliegende Daunenfeder, senkte sich die »Nova« zu Boden. Es gab nicht die
winzigste Erschütterung, als das Schiff landete und nach seiner langen Reise endlich zur Ruhe kam. Das nur noch leise Summen des Ultraimpulsantriebs verstummte ganz. »Willkommen auf Hydro, Hendricks! Willkommen in meiner Heimat!« Freude über die geglückte Expedition leuchtete aus Ata kas Augen, als er jetzt mit seinem Gast zur geöffneten Luft schleuse der »Nova« schritt und ihm mit weit weisendem Arm die Schönheit der Landschaft zeigen konnte. Eine rötliche Sonne stand am Himmel und überschüttete das Land mit flimmerndem Licht. Die »Nova« war auf einem leicht abfallenden Wiesenhang gelandet, der ein paar hundert Meter weiter sanft in hellen Sandstrand überging. Mit langrollender Dü nung schlugen die Wasser eines Meeres ans Ufer. Unvorstellbare Ruhe herrschte hier, und Hendricks überkam das Gefühl einer nie gekannten Geborgenheit. Unbewußt nahm er Atakas Hand und tat den ersten, zaghaften Schritt auf den Boden einer neuen Welt. »Es ist schön hier, Ataka. Unvorstellbar schön. Und ich beneide euch alle um diese Welt, um euren Frieden und die abgeschiede ne Ruhe. Ihr müßt glücklich sein, hier leben zu dürfen!« Atakas Gesicht zeigte den Schatten tiefer Traurigkeit. Nur lang sam, schleppend, und jedes einzelne Wort genau abwägend, ant wortete er: »Der Schein trügt oft, Hendricks. Was unsere Augen sehen, das ist nicht immer die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit kann hart und grausam sein. Besonders dann, wenn sie sich hinter solch einer Kulisse verbirgt.« »Was soll das heißen? Ich verstehe dich nicht!« »Warte ab. Sehr schnell schon, und bestimmt schneller als dir selbst lieb ist, wirst du dich überzeugen lassen müssen! Hydro ist wie euer irdischer Gott Janus ein Planet mit zwei Gesichtern. Hyd ro kann das Paradies sein – aber auch die Hölle!« Hendricks schwieg und versuchte die Worte seines Gefährten zu deuten. Achselzuckend gab er seine Überlegungen auf. Er würde ja sehen, was man auf Hydro von ihm wollte. In diesem Augen blick trat QX 3 hinter die beiden. »Das Kraftfeld ist eingeschaltet. Sie können sich jetzt direkt nach Stadt I begeben. Die Patriarchen sind bereits zu einer Sit zung zusammengetreten und wünschen, den Gast vom Planeten Erde im System Sol zu begrüßen.« Ataka nickte dankend und sagte zu Hendricks: »Machen wir uns
auf den Weg. Wir dürfen die Patriarchen nicht warten lassen.« »›Stadt I‹ – was ist das für eine seltsame Bezeichnung? Und wie weit ist ›Stadt I‹ von hier entfernt?« Ataka lächelte. »›Stadt I‹ ist eben ›Stadt I‹. Die erste Stadt un serer Welt – und auch die größte. Sie ist Wohnsitz der Patriar chen, die uns regieren. Die alles bestimmen, was auf Hydro ge schehen soll. Die Stadt ist sieben- bis achttausend Kilometer ent fernt.« »Also steht uns ein langer Flug bevor?« »Weder ein Flug noch eine lange Reise, Hendricks. Schließen Sie bitte jetzt die Augen, und denken Sie ganz fest daran, daß Sie sofort nach ›Stadt I‹ in den Sitzungssaal der Patriarchen müs sen.« Anstatt die Augen zu schließen, riß Hendricks sie weit auf. Ers taunen stand in ihnen zu lesen. »Was soll das, Ataka? Die Augen schließen und denken?« Ataka wurde leicht ungeduldig. »Sie müssen besser glauben lernen, Hendricks. Mit nüchternem Verstand werden Sie die auf Sie wartenden Dinge nicht erkennen und verstehen können! Glauben Sie nur, was ich Ihnen sage. – Aber es eilt jetzt wirklich. Schließen Sie nun die Augen!« Ergeben befolgte Hendricks die Anordnung und schloß die Au gen. Er dachte daran, daß er jetzt in der ›Stadt I‹ sein wollte. Er konnte sich unter ›Stadt I‹ nichts vorstellen, aber trotzdem wünschte er sich, dort zu sein. Und sein zweiter Gedanke galt dem Sitzungszimmer. Unwillkürlich stellte er sich das Glasgebäu de der UNO in New York dabei vor. Es geschah nichts. Er fühlte und spürte keine Bewegung. Und er wollte schon wieder die Augen öffnen und protestierend fragen, was nun geschehen sollte, da es offenbar nicht klappte. Er kam nicht mehr dazu, seine Frage zu stellen. Eine tiefe und wohl tönende Stimme klang unmittelbar vor ihm auf. »Willkommen, Fremder, vor dem Rat der Patriarchen von Hydro!« Entsetzt riß Hendricks seine Augen auf. Die Wiese, der Strand und das Meer waren verschwunden. Er stand in einem Saal, durch dessen riesige Fenster strahlend die Sonne schien. Vor ihm, an der Schmalseite des Raumes, saßen hinter einer langen Tafel die Patriarchen. Sieben Männer mit schlohweißen Haaren sahen ihn aus tiefblauen Augen verstehend und gütig an.
Hendricks strich sich über die Stirn und kniff sich in die Wange. Es war keine Täuschung und kein Taschenspielertrick. Allein die Kraft seiner Gedanken und sein Wollen hatten ihn hierhergeb racht – über mehrere tausend Kilometer. Neben ihm stand Ataka, der seine Verwirrung bemerkte und seine unausgesprochene Frage beantwortete. »Des Rätsels Lö sung ist ganz einfach Teleportation, Hendricks. Sie werden auch auf der Erde schon davon gehört haben, daß Wissenschaftler be haupten, man könne Materie durch geistige Kraft an jeden belie bigen und gewünschten Platz versetzen.« Die Patriarchen nickten beifällig. Hendricks versuchte so sachlich wie möglich zu sein und sich nicht verblüffen zu lassen. »Gehört schon, Ataka. Aber auch ebenso viele Stimmen von anderen Wissenschaftlern, die behaup ten, daß das nicht möglich sei!« »Nun, es ist aber tatsächlich möglich. Du hast es eben selbst erlebt.« Hendricks konnte es nicht fassen. »Ich habe also allein, lediglich durch das Äußern eines Wunsches, meinen Körper vom Lande platz der ›Nova‹ nach hier versetzt?« »Nicht ganz allein«, lenkte Ataka ein. »Wir haben mit einem Kraftfeld etwas nachgeholfen. Du hast ja selbst gehört, wie QX 3 sagte, daß man das Feld eingeschaltet hätte.« Einer der Patriarchen stand auf und beendete damit die Unter haltung, obwohl Hendricks lieber noch mehr über die Möglichkei ten der Teleportation erfahren hätte. Der Patriarch beugte sich weit über die Tafel und schien mit seinen Augen Hendricks’ durchdringen zu wollen. »Wir wissen nichts von dir, Fremder. Und doch sehen wir in dir die Erfüllung unserer heiß gehegten Wünsche. Unsere ganze Welt steht dir offen, und es kostet dich nur ein einziges Wort, um von ihr Besitz zu ergreifen. Schon morgen könntest du Herrscher der Welt Hydro sein, könntest an unserer Statt«, er wandte sich um und deutete auf die anderen Patriarchen, »die Schicksale leiten und bestimmen.« Hendricks wollte fragen, spürte aber den Druck Atakas an sei nem Arm, deutete ihn richtig und schwieg. Der Patriarch fuhr fort: »Entscheide dich aber nicht zu schnell, wäge genau alles ab und prüfe dann noch einmal deine Ent schlüsse. Erst dann komme wieder hierher zurück und sprich mit
uns. Ataka, der dich auf der Reise von deiner Heimat hierher be gleitete, wird dich aufklären und alle Fragen beantworten. Er wird dir auch sagen, warum unsere Welt Hydro gleichzeitig Paradies und Hölle ist.« Er machte eine kleine Pause und sah Hendricks nachdenklich an. »Möge deine Entscheidung ausfallen, wie sie will – wir danken dir!« »Wofür dankt ihr mir? Welche Entscheidung soll ich treffen?« Noch einmal nahm der Patriarch das Wort. Und als er zu spre chen begann, da erhoben sich die Männer neben ihm. »Wenn ein Leben sich seinem Ende nähert und man das unabänderliche Schicksal kennt, dann hat man die Pflicht, einen Erben zu suchen. Einen Erben, der das Überlieferte weiterführt, der im Sinne des Toten weiter wirken kann.« »Aber warum – was soll das alles – was hat das mit mir zu tun? Was geht mich eure Welt Hydro an?« Hendricks wußte nicht mehr ein noch aus. War ihm alles bisher noch als ein ganz großes Abenteuer vorgekommen, hatte er bis zu diesem Augenblick noch gehofft, daß man ihn vielleicht als Botschafter verwenden wollte, so war nach den letzten Sätzen des Patriarchen seine Verwirrung so groß geworden, daß er keine Worte mehr fand. »Du, Jan Hendricks, kannst unser Erbe sein! Dir fallen alle Er rungenschaften unserer Welt in den Schoß. Du wirst über mehr Wissen verfügen, als alle Wissenschaftler deiner Erde zusam men.« Die Stimme des Patriarchen wurde ernst und warnend. »Und du wirst auch über mehr Macht verfügen, als sie jemals ein Mensch hatte!« »Aber warum soll ich euer Erbe sein? Warum gerade ich? Nehmt doch Ataka oder Noga oder irgendeinen – und übergebt ihm die Macht!« »Du hast immer noch nicht verstanden und begriffen. Wir zür nen deshalb nicht, denn es muß schwer sein, sich den Untergang einer ganzen Welt vorzustellen.« »Ihr alle müßt… ihr alle, ohne Ausnahme, seid…« »Ja, wir alle, Jan Hendricks. Die Bewohner Hydros sind zum To de verurteilt. Es gibt keinen Ausweg mehr und keine Gnade. Nach eurer irdischen Zeitrechnung wären es noch etwa siebzig Jahre, bis sich unser Schicksal erfüllt. Nicht ein einziger unserer Rasse wird dann noch leben. Aber mit dem letzten Toten sollen nicht auch unser Wissen und Können dahingehen. Wir wollen es wei tergeben – damit es weiterbesteht!« Prophetisch wurden die Wor
te des Alten, als er jetzt mit hocherhobenem Haupt dastand, den Blick weit in unwirkliche Ferne gerichtet. Auf seinem greisen Ge sicht spiegelte sich der letzte Schein der Sonne wider. »Und du bist der Auserwählte! In deine Hände legen wir das Er be einer ganzen Welt! In deine Hände, Jan Hendricks! – Und nun geh und lerne!« Tief neigten sich die Häupter der sieben Patriarchen vor ihm. Schweigend wandte Hendricks sich ab. Langsam, Schritt für Schritt, ging er zurück durch den langen Saal. Er blieb noch einen Augenblick an der Tür stehen und drehte sich um. Noch immer standen die Patriarchen und sahen ihm nach. Und es schien Hendricks, als leuchte Zuversicht aus ihren Augen. »Komm, gehen wir.« Ataka führte ihn hinaus auf die Straße. »Während deines Aufenthaltes in ›Stadt I‹ wirst du mein Gast sein.« »Ich danke dir. Du wirst verstehen, daß ich jetzt etwas ausru hen möchte. Ich muß meine Gedanken ordnen und versuchen, mich langsam in alles hineinzufinden.« Ataka nickte verstehend. Dann trat er einen Schritt beiseite, hob an der Hauswand neben der Tür eine kaum handgroße Klap pe und sprach einen Befehl. Kaum zwanzig Sekunden später hing schon direkt über ihnen ein Lufttaxi. Eine blitzende Metalltreppe schob sich bis vor ihre Füße. »Steig ein, Hendricks. Der Weg zu mir ist etwas zu weit, um ihn zu Fuß zu gehen. Und die Teleportation sparen wir für wichtige Angelegenheiten auf.« Am Steuer des Lufttaxis saß ein Roboter. Ataka teilte ihm eine Zahlenkombination mit, man hörte im Innern des Roboters Relais fallen und sah Elektronenröhren aufglühen, dann hatte der Robo ter das Ziel errechnet und startete die Maschine. Pfeilschnell hoben sie sich heraus aus der Straße und schwebten über der ›Stadt I‹. In weitem Bogen flogen sie um die Stadt he rum und landeten wenig später inmitten eines parkähnlich ange legten Gartens. Durch die Bäume schimmerte hell die Fassade eines flachen, langgestreckten Gebäudes. Wie im Traum stolperte Hendricks die Stufen hinauf, ließ sich durch mehrere Räume führen und sank dann todmüde auf einem breiten Bett nieder. Er spürte kaum noch, wie geschäftig hin und her eilende Roboter vom Typ QX ihn auszogen und betteten. Dann ließ man die Rolläden vor die Fenster gleiten. Eine wohl
tuende Dunkelheit herrschte jetzt im Raum. Tief atmete Hend ricks auf, schloß dann die Augen fest und war wenig später einge schlafen. * Drei Tage schon war Jan Hendricks Gast im Hause Atakas. Er hatte sich gewöhnt an die überall dienstbereit wartenden Roboter, denen man nur einen Wunsch zuzurufen brauchte, und schon wurde er erfüllt. Er hatte sich vertraut gemacht mit den Einrich tungen dieses technisierten Hauses, mit den Erzeugnissen aus der synthetischen Küche und auch mit dem »Fernsichtraum«. Hier saß er manchmal stundenlang vor den leicht gewölbten meter großen Scheiben und sah dem Leben auf Hydro zu. Es war Fern sehen in höchster Perfektion. Sicher, auch auf Hydro mußte man beim Fernsehen eine Auf nahmekamera haben. Aber es kostete nur einen Wunsch an einen der Roboter, und auf irgendeine verzwickte und komplizierte Art, die Hendricks noch nicht erforscht hatte, wurde dann eine Auf nahmekamera dort hingeschickt, wohin man sehen wollte. »Ihr habt also kein Fleckchen mehr für euch allein in eurer Welt«, hatte er am zweiten Tag gesagt und auf die Fernsehschei be gezeigt. »Ihr müßt euch also gefallen lassen, daß der liebe Nachbar euch in die Wohnung sieht und euer Leben beobachtet?« Verneinend hatte Ataka den Kopf geschüttelt. »Abgesehen da von, daß niemand von uns etwas zu verbergen hat und es jedem von uns gleichgültig ist, ob ihm nun zugesehen wird oder nicht, gibt es auch für die Fernsehkameras bestimmte Sphären, in die sie keinen Einblick haben.« »Wie ist das zu verstehen, Ataka? Wenn ich einem Roboter den Auftrag gebe, dann wird er ihn ausführen! Du hast selbst erklärt, daß die Roboter die Menschen als ihre Herren anerkennen, daß sie jeden Befehl blindlings ausführen.« »Soweit der Befehl nicht der ersten Formel widerspricht!« »Erste Formel…?« »Wie soll ich dir das erklären, Hendricks? Du weißt, daß die Ro boter je nach ihrer Klassifizierung ein mehr oder weniger hoch wertiges Elektronengehirn haben. Sie sind in der Lage, nach ei nem Befehl selbständig Aufgaben auszuführen. Sind dabei Hin dernisse zu überwinden, dann werden sie eben vorher vom Robo
ter beiseite geräumt. Verstehst du mich?« »Völlig, Ataka. Aber das ist noch keine Antwort auf meine Frage nach der Bedeutung der ersten Formel.« »Warte nur ab.« Ataka rief einen der Roboter herbei und deute te auf die in einer Ecke des Raumes stehende Lampe. »Schlag sie entzwei!« Der Roboter setzte sich in Bewegung, tat zwei, drei Schritte und blieb dann stehen. »Herr, dieser Befehl widerspricht der ersten Formel, und ich muß seine Ausführung ablehnen!« Hendricks sah schweigend und nachdenklich zu. Ataka rief den Roboter zurück und fragte: »Würdest du den Be fehl ausführen und die Lampe zerschlagen, wenn es jetzt nicht Abend, sondern früher Vormittag wäre?« »Selbstverständlich, Herr. Am frühen Vormittag würde die Son ne das Zimmer erhellen, und die Lampe wäre nutzlos. Jetzt aber ist Dunkelheit, und ihr Licht wird benötigt. Würde ich sie zer schlagen, hätten die Menschen kein Licht. Das wäre für sie ein Schaden, den ich nach der ersten Formel nicht anrichten darf!« Der Roboter wurde zurückgeschickt, und Ataka wandte sich wieder Hendricks zu. »Eine verblüffend einfache Logik, nicht wahr? – Das also ist die erste Formel. Jeder Roboter handelt im mer zuerst nach der ersten Formel!« Hendricks lachte leise und amüsiert. »Zwar eine einfache Logik – aber auch eine falsche! Schön, der Roboter zerschlägt jetzt nicht die Lampe, weil es draußen dunkel ist und wir das Licht brauchen. Tagsüber aber würde er es tun. Und was wäre dann am nächsten Abend? Wenn es wieder dunkel wird?« Jetzt lachte auch Ataka, aber spöttisch und überlegen. »Du ver gißt, daß ich den Befehl eben einem Roboter der untersten Klasse gab, einem Roboter, dessen Gehirn mit dem eines Spatzen zu vergleichen ist. Schon einer vom Typ QX würde logisch folgern. Er würde sich genau das überlegen, was du eben andeutetest. Er würde zum gleichen Schluß kommen – und auch tagsüber die Lampe heil lassen!« Solche und ähnliche Gespräche hatten sie viele geführt. Jedesmal drang Hendricks dabei etwas tiefer in den Aufbau der Welt Hydro ein; jedesmal lernte er mehr über die technischen Wunder. Ganz leise erst, kaum spürbar, dann aber immer deutlicher und stärker, überkam ihn das Gefühl einer inneren Vereinsamung. Je mehr die Technik Hydros das Leben erleichterte und den Men
schen die Sorgen abnahm, um so armseliger wurde das Leben selbst. Es war am Abend des dritten Tages seines Aufenthaltes im Hau se Atakas. Ruhelos wanderte Hendricks in seinem Zimmer hin und her. Dann schließlich faßte er einen Entschluß und bat Ataka um eine Aussprache. Ataka hatte über das Visifon im Hause, das jedes Zimmer ver band und eine Sprech- und gleichzeitig auch Sichtverbindung möglich machte, sofort zugesagt. Als Hendricks im Arbeitszimmer seines Gastgebers eintraf, wies dieser auf einen bequemen Stuhl. »Setz dich hin, trink einen Schluck von unserem Wein und sprich.« Und Hendricks sprach. Er sprach von seinen Befürchtungen über die Auswirkungen der Technik auf die Menschen und bat offen um Erklärung. »Sage mir, Ataka, wie konntet ihr Herren der von euch selbst geschaffenen Technik bleiben? Wie kommt es, daß eure denkenden Roboter euch nicht längst übertrumpften? Und – das ist mir immer noch nicht klar und verständlich geworden, warum ist Hydro nicht nur das Paradies, wie ich es Tag für Tag sehe, sondern gleichzeitig auch die Hölle?« Nachdenklich hatte Ataka zu allen Fragen genickt und dabei for schend sein Gegenüber angesehen. Schließlich antwortete er: »Es ist jetzt an der Zeit, daß du alles erfährst, daß wir dich nicht län ger im Dunkel tappen lassen. Morgen früh schon wirst du das Staatsarchiv von Hydro sehen können. In den Aufzeichnungen wird dir jede Antwort gegeben werden.« Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Jetzt schon aber kann ich dir folgendes sagen: Wir sind nicht mehr die Herren der Technik! Die Roboter haben die Herrschaft angetreten – wenn auch nicht so, daß es zur offenen Rebellion kam. Davor schützt uns ja die erste Formel. Aber die Maschinen, die von uns geschaf fenen Hilfsmittel für ein bequemeres Leben, haben auf Hydro den Menschen überflüssig gemacht!« »Überflüssig…?« »Ja, überflüssig! Die Maschinen denken schneller – besser als wir Menschen. Sie arbeiten genauer und sauberer. Die Maschine weiß von vornherein, dieses ist gut, und das ist schlecht! Die Ma schinen kennen keine Rücksichtnahme, keine Fehlleistung. Sie arbeiten genau nach der Formel eins und lassen keinen Spielraum für persönliche Gefühle. Das ist es, Jan Hendricks! Die Maschinen
sind seelen- und gefühllos. Sie sind eben Maschinen! Aber sie arbeiten präzise!« »Dann stellt sie ab, zerschlagt sie, verwandelt sie in Trümmer haufen!« »Unmöglich, Hendricks. Die Maschinen schützen sich selbst! Wollten wir einen Roboter zerstören, dann würden fünf, zehn, hundert oder gar tausend seiner Art vor ihm stehen und ihn schützen. Alle sind darauf bedacht, die erste Formel einzuhalten. Denn alle wissen, daß die ›Herren‹ einen Roboter brauchen. Ein zerstörter Roboter aber kann nicht mehr arbeiten und den ›Her ren‹ dienen – deshalb muß er geschützt werden!« »Das ist grauenhaft – das ist unfaßbar, Ataka. Ihr seid ja beina he wie…« »Sprich es nur aus, Hendricks, denn es stimmt! Ja, in Wirklich keit sind wir die Sklaven der Roboter geworden! Wir können nichts mehr selbst tun. Wir sind abhängig geworden vom Wohl wollen unserer Maschinen.« Er schwieg, stand auf und stellte sich an das Fenster. Ohne den Kopf zu wenden fuhr er fort: »Das ist die Wahrheit, die ich dir bisher verschwiegen habe.« »Und ich sollte euer Erbe antreten? Ich, Jan Hendricks, soll die Macht auf Hydro übernehmen? Welche Macht, frage ich, Ataka. Wo ist hier Macht? Ich sehe nur Sklaverei. Endlich sehe ich sie. Sehr deutlich sogar – zu deutlich!« Auch er war aufgestanden und ging unruhig im Raum auf und ab. Unbeherrscht trat er auf einen Roboter zu und hob die Hand zum Schlag. Doch ehe er zuschlagen konnte, wurde seine erho bene Hand sanft vom plötzlich vorschnellenden Arm des Roboters festgehalten. Und die unpersönliche Metallstimme schnarrte: »Sie würden sich beim Schlag verletzen, Herr! Darum griff ich ein!« Wütend riß Hendricks sich los. Hoch aufgerichtet stand er in der Mitte des Raumes. »Ich danke! Ich verzichte, Ataka! Dieses Erbe ist eine drückende Last! Berichte dies den Patriarchen und bring mich so schnell wie möglich zurück auf die Erde.« Ataka schien über diesen Ausbruch nicht überrascht zu sein. Im Gegenteil; es schien, als umspiele ein verständnisvolles Lächeln sein Gesicht. Ruhig und gar nicht aufgeregt trat er auf seinen Gast zu. »Du wirst es nicht begreifen – aber ich danke dir im Na men meiner Welt für diese Reaktion! Genau das haben wir von dir erwartet, genau diese Worte. Hättest du freudig zugestimmt, hät test du – jetzt kann und darf ich es sagen – ohne Widerrede und
Einsprüche alles hingenommen, dann hätten wir dich noch heute nacht zurück zum dritten Planeten im System Sol gebracht.« Er trat auf Hendricks zu und legte ihm verstehend und mitfüh lend den Arm um die Schulter. »So aber bitten wir dich, morgen unser Archiv zu besuchen.« »Was versprecht ihr euch davon?« »Deine Einsicht, Hendricks. Gib der Welt Hydro die Chance, um die sie dich bittet!« Hendricks kämpfte mit sich. Dann ließ er seinen Blick zwischen dem Gesicht seines Freundes Ataka – er war ihm wirklich ein Freund geworden – und dem Roboter schweifen. Und dann stand sein Entschluß fest. Fast trotzig fuhr er mit Blick auf den Roboter auf. »Gut, ich bleibe!«
4. Kapitel Das Staatsarchiv der Welt Hydro hatte seinen Platz inmitten der ›Stadt I‹, direkt neben dem Gebäude der Patriarchen gefunden. Es war ein riesiger Bau ohne Fenster. Düster und drohend sah der Komplex aus, als Hendricks und Ataka am nächsten Morgen mit einem Lufttaxi landeten. Ehe sich vor ihnen die schwere Metalltür öffnete und sie eintraten, stellte Hendricks eine Frage, die ihn schon seit geraumer Zeit quälte. »Am Abend der Landung war ich zu verwirrt und zu aufgeregt, um mich genauer umzusehen. Aber heute morgen habe ich es getan.« »Nun, und? Ist dir etwas aufgefallen?« »Sehr viel«, nickte Hendricks. »Ataka, sag mir ganz ehrlich, wieviel Bewohner hat ›Stadt I‹?« Ehe der Gefragte noch antwor ten konnte, fuhr er fort: »Menschen natürlich, Ataka. Richtige Menschen meine ich – nicht Roboter!« Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann antwortete Ataka: »Erschrick nicht. – Es sind nur noch vierzehn!« »Die ganze Stadt hat nur vierzehn Einwohner? Nur vierzehn Menschen?« »Auf der ganzen Welt Hydro sind es etwas über einhundert, Hendricks. Verstehst du jetzt, warum wir es sehr, sehr eilig ha ben, den richtigen Erben zu finden?« Inzwischen war das große Tor zum Staatsarchiv leise weit auf geschwungen. Ataka zog den Gast von der Erde mit in das Innere
des Gebäudes. Vor einem gähnenden runden Loch im Fußboden schreckte Hendricks zurück, doch Ataka trat ohne Zögern weiter auf den Abgrund zu. »Nur ein Fahrstuhl. – Keine Sorgen! Der Fahrstuhl arbeitet mit Schwerkraftaufhebung!« Zögernd folgte Hendricks und setzte seinen einen Fuß auf das Nichts. Aber – eigenartig – er fühlte einen Widerstand. Dann trat er weiter vor und stand direkt neben Ataka. Seine Stimme zitterte doch etwas, als er mit erzwungener Fröhlichkeit sagte: »Aufwärts oder abwärts?« »Abwärts, bis in den tiefsten Keller des Archivs.« Ataka berühr te mit seiner Handfläche eine in vielen Farben bunt-schimmernde Scheibe am Rande des Schachtes. Langsam sanken die beiden tiefer und tiefer. Ganz sanft kamen sie wieder zum Stillstand. »Etwa zweihundert Meter tief sind wir jetzt unter der Oberfläche Hydros.« Ataka deu tete vor sich. »Hier unten ist seit mehr als dreihundert Jahren, eurer irdischen Zeitrechnung natürlich, niemand mehr gewesen. Wir beide sind die ersten, die vom Rat der Patriarchen wieder die Erlaubnis zum Betreten dieses Raumes bekommen!« »Sind die Geheimnisse so groß und ungeheuerlich, daß sie selbst nicht mehr den wenigen Menschen eurer Welt zugänglich gemacht werden dürfen?« Ataka mußte lächeln. »Das ganz und gar nicht! Auf Hydro weiß schließlich jeder, welches Unglück uns bevorsteht. Aber wir haben hier unten etwas verborgen, das wir geheimhalten wollten.« Er senkte die Stimme, als fürchte er auch hier in den Tiefen der Erde irgendwelche Lauscher. »Vor allen Dingen soll es auch ›Das Ge hirn‹ nicht wissen!« »Das Gehirn? – Was ist das nun wieder? Ich habe mich zwar schon an Überraschungen gewöhnt, aber das ist mir neu.« »Auch über ›Das Gehirn‹ wirst du hier unten alles erfahren, Hendricks. Komm jetzt! Du wirst sowieso schon sehr viel Zeit be nötigen, um dich mit allem vertraut zu machen.« Durch lange Gänge, die auch hier von der unsichtbaren Licht quelle erhellt wurden, schritten sie vorwärts. Trotz der Tiefe herrschte eine angenehme Temperatur, die Luft roch sauber. Eine vergitterte Tür, deren Stäbe unten im Boden und oben in der De cke fest verankert waren, versperrte den Weg. Mit einem vielfach gezackten Schlüssel, den Ataka an einem goldenen Kettchen um den Hals trug, wurde das Sicherheitsschloß der Tür geöffnet.
Erstaunt fragte Hendricks: »Hier unten scheint der Fortschritt noch nicht eingedrungen zu sein. Sonst habt ihr überall automati sche Türöffner, die durch Selenzellen oder Körperwärme ge steuert werden, und hier unten gibt es noch das gute, alte Si cherheitsschloß.« Wieder senkte Ataka seine Stimme, und es wollte Hendricks scheinen, als fühle sich Ataka nicht ganz wohl in seiner Haut. »Ein Sicherheitsschloß bleibt eben immer ein Sicherheitsschloß.« Wei ter ließ er sich nicht aus. Sorgfältig verschloß er die Tür wieder hinter sich. Nun gingen sie durch verzweigte Gänge und standen dann abermals vor einer Tür. »Wir sind am Ziel, Hendricks. Hier hinter dieser Tür ist das Staatsarchiv meiner Welt!« Wieder mit einem Sicherheitsschlüssel wurde die Tür geöffnet. Bevor sie aber aufschwang, betätigte Ataka mehrere Hebel und Schalter neben der Tür. »Die Räume sind ohne jede Atmosphäre. Statt dessen haben wir sie mit einem gasartigen Konservierungsmittel gefüllt. Das Gas ist für Menschen zwar nicht tödlich – würde aber auf der Stelle in den Roboterge hirnen Kurzschluß verursachen. Es ist hoch ionisiert.« Aufleuchtende Kontrollampen und ein kaum wahrnehmbarer Summton zeigten an, daß die Räume jetzt mit atembarer Luft gefüllt waren. Die Tür öffnete sich, und als erstes sah Hendricks Millionen und aber Millionen Ton- und Filmbänder, die in durch sichtigen Kunststoffkassetten in hohen Regalen lagerten. Der Raum war in seinen Abmessungen kaum zu übersehen. »Das ist mehr, als man in einem Menschenleben zusammentra gen kann!« »Das ist das Ergebnis unserer Forschungen von Anbeginn der Tage Hydros an, Hendricks.« Ataka wies auf die vielen Regale. »Auf diesen Rollen ist die Geschichte unseres Planeten verzeich net. Seine Entwicklung zu immer höherer Stufe. Du kannst dich zurückversetzen lassen in die Zeit der primitiven ersten Einwoh ner, die sich vom Fang der Tiere ernährten und in Höhlen am Meer ein kümmerliches Dasein fristen mußten.« Die Rollen schienen nach Zeit geordnet zu sein. Zögernd und zaghaft nahm Hendricks eine von ihnen in die Hand. Die Filmbän der waren aus einem ihm unbekannten Material hergestellt und hatten keine Ähnlichkeit mit einem normalen Filmstreifen. Auf dem Band waren nur wirre Striche und Linien abgebildet. Knoten und Verästelungen, die einmal zusammenstrebten und gleich
darauf wieder auseinanderliefen. Auch wenn man den Streifen drehte und ihn von der anderen Seite betrachtete, konnte man nichts anderes erkennen. »Es ist kein Filmband im üblichen Sinne, Hendricks. Unsere Techniker und Wissenschaftler haben hier eine glückliche Mi schung aus Optik, Akustik und einer dritten Größe hergestellt.« Da Hendricks schwieg, fuhr Ataka fort: »Das Band hier vermit telt Gefühlsimpulse, die vom menschlichen Gehirn gedeutet wer den. Man sieht und hört nicht nur als Außenstehender, als unbe teiligter Gast, sondern man erlebt. Man ist beim Geschehen da bei.« Hendricks nickte, denn er hatte verstanden. Das Prinzip jeden falls; aber nicht die Grundlagen. Er wollte sich aber nicht auf Dis kussionen einlassen, dafür war er viel zu begierig, diese Bänder zu »erleben«. »Führe mir bitte so eine Rolle vor, Ataka.« »Natürlich. Dazu sind wir ja hier. Aber es würde eine Arbeit von Jahren sein, wenn du jede Rolle einzeln und nacheinander erleben wolltest. Komm«, er zog Hendricks mit sich und zeigte auf einen bequemen Sessel, der bisher hinter den Regalen verborgen ge standen hatte, »es ist schon alles vorbereitet. Wir warten ja seit langer Zeit auf dieses Ereignis.« Er zog eine besonders gekennzeichnete Rolle aus dem Regal. »Hier ist in gedrängter Form das Werden der Welt Hydro aufge zeichnet. Diese Rolle enthält Auszüge aus der Geschichte meines Planeten. Komm, setz dich.« Hendricks gehorchte. Geschäftig eilte Ataka hin und her. Eine große Maschine mit runden Skalen, Schaltknöpfen und Verstär kern stand hinter Hendricks. An beiden Handgelenken und an den Knöcheln befestigte Ataka glänzende Metallelektroden. Dann legte er seinem Gast einen ähnlichen Metallreif um die Stirn. »Nun schließe bitte die Augen.« Hendricks tat, wie ihm geheißen wurde. Er fühlte, wie Ataka ei ne dunkle Binde über seine Augen legte und dann noch mit einer Klammer einen sechsten Elektrodenanschluß befestigte. »Reich lich viel Vorbereitungen für einen Film«, meinte er. »Ich sagte ja schon, daß es mehr, viel mehr als nur ein Film ist, Hendricks. Und nun möchte ich dir noch etwas sagen. Während der Belehrung wirst du leiden müssen, aber auch Freude haben. Du wirst in meiner Welt einen Zeitraum von Jahrmillionen erle ben. Das Ganze spielt sich in Wirklichkeit aber in wenigen Minu
ten ab. Erschrick also nicht, wenn die Belehrung beendet ist und du wieder in die Wirklichkeit zurückkehrst.« Noch einmal überprüfte Ataka die Anschlüsse des Gerätes und fragte dann: »Bist du fertig?« Hendricks’ »Ja!« klang nur sehr leise. Dann legte Ataka den Hauptschalthebel um. Erst langsam, dann aber schneller und schneller begann sich die Spule mit dem selt samen Film-Tonband zu drehen. Mehrmals zuckte der Körper von Hendricks auf, dann wurde er schlaff und völlig entspannt. Die Spule lief… * »Es ist vorbei, Hendricks. Öffne die Augen!« Ataka strich leicht über die Stirn des immer noch mühsam und schweratmenden Mannes. »Ich habe doch eben eine Chronik geschrieben, ich habe…« »Nicht du warst es, sondern der neunundvierzigste Weltpräsi dent. Ihm haben wir das Staatsarchiv und die Idee des Erben zu verdanken.« »Und danach kam der Rat der Patriarchen, eure jetzige Regie rungsform?« »Richtig, wenn man überhaupt noch von Regierung sprechen kann. In Wirklichkeit regieren doch die Roboter. Versuche nur einmal, etwas selbst zu tun, versuche zu arbeiten oder wissen schaftlich zu denken. Sofort steht einer dieser seelenlosen Bur schen neben dir und nimmt dir die Arbeit ab. Versuch es nur!« Hendricks hatte sich von den Elektroden befreit, stand auf und dehnte seine Glieder. Als er antwortete, umspielte ein leises Lä cheln seinen Mund. Gleichzeitig aber auch sprühte aus seinen Augen stahlharte Entschlossenheit. »Ich werde es versuchen, Ataka. Ich werde es tun!« * Ein Lufttaxi hatte Hendricks und Ataka zurückgebracht. Schwei gend hatten sie den Weg zurückgelegt. Erst kurz vor der Lan dung, als man Atakas Haus schon durch die Bäume schimmern sah, machte Ataka eine Andeutung. »Ich glaube, Hendricks, auf dich wartet jetzt eine Überraschung.«
Doch Hendricks winkte nur müde ab. »Vielen Dank. Von Überraschungen habe ich wirklich genug.« »Auch von angenehmen, Hendricks?« Mehr verriet der Gastgeber nicht. Hendricks hatte das kurze Ge spräch schon beinahe wieder vergessen, als er die Stufen zur Hal le hinaufging. Doch plötzlich stutzte er und blieb stehen. Aus dem Schatten der Halle trat ein junges Mädchen auf ihn zu. Der erste Mensch auf Hydro, der wirklich jung war! Helles Blond haar lag flirrend über einem gesunden, braungebrannten Gesicht. Sie trug ein enges Gewand, das ihre schlanke, biegsame Gestalt voll zur Geltung brachte. Frei und offen, als sei es selbstverständlich, trat sie auf Hend ricks zu und reichte ihm die Hand. »Ich bin Inka.« Und neugierig fragte sie: »Du bist Hendricks, der Fremde aus der anderen Welt?« Das Du klang aus ihrem Mund sehr vertraut, und Hend ricks spürte plötzlich eine eigenartige Zuneigung. Endlich wich die Lähmung von ihm ab. Er drückte ihre Hand herzlich und wandte sich Ataka zu, der still lächelnd diese Szene beobachtet hatte. »Das allerdings ist wirklich eine gelungene Überraschung!« Und dann weiter, zu Inka: »Du darfst meine Verwunderung nicht mißverstehen. Aber die Überraschungen hier auf Hydro nehmen kein Ende.« »Ist das nicht schön? Und auch ich werde dazu beitragen, daß die Überraschungen weitergehen!« Ataka nahm die beiden jungen Menschen mit hinein in das Haus. »Ich glaube, daß ich Hendricks einige Aufklärungen schul dig bin. Vorher aber müssen unbequeme Lauscher entfernt wer den.« Er rief alle im Hause anwesenden Roboter zusammen und schickte sie dann mit sinnlosen Aufträgen fort. Einer bekam die Anweisung, den Weg bis nach ›Stadt I‹ zu Fuß zu machen und dabei die Schritte zu zählen. Ein anderer wurde auf einem Hügel im Park postiert und sollte registrieren, wie oft und zu welcher Zeit Vogelstimmen ertönten. Die Metallgesellen zogen wider spruchslos ab. »So weit ist es mit uns gekommen, Hendricks. Wir müssen zu Tricks greifen, wenn wir uns einmal ungestört unterhalten wollen. Kommt jetzt!« Ataka ging voran, und die beiden anderen folgten ihm. »Wie sie heißt, hat sie dir ja selbst schon gesagt«, eröffnete Ataka wenig später das Gespräch. »Inka ist – wie soll ich mich
ausdrücken…?« Er warf einen hilfesuchenden Blick zu ihr hinüber. Sie bemerkte seine Verlegenheit und lachte. »Ich bin – sagen wir es offen – ein Kunstgriff, Hendricks. Ich müßte eigentlich seit etlichen Jahrtausenden tot sein.« Hendricks wollte es nicht glauben und hielt es für einen Scherz. »Dafür bist du aber recht lebendig und munter.« »Ich sagte, ich müßte eigentlich tot sein. Der Kunstgriff war, daß man mich damals rechtzeitig einschläferte und konservierte. Ich wurde eigentlich getötet, lebte aber doch weiter!« Für Hendricks war diese Eröffnung niederschmetternd. Diese Frau dort vor ihm, blutwarm und voller Leben, hatte ihre Welt schon einmal vor Jahrtausenden gesehen. Es war verwunderlich, daß sie den Schock beim Erwachen überwunden hatte, und wie sie es verstand, sich den doch auch ihr völlig ungewohnten Ver hältnissen anzupassen. Er sagte es ihr und sah sie dabei prüfend an. Sie schüttelte den Kopf, so daß einige Locken ins Gesicht fielen. Mit einer raschen Bewegung schob sie die Haare zurück. »Als man mich einschläferte, da wußte man ja, daß man mich eines Tages wieder aufwecken würde. Nach einem genau vorausbe rechneten Plan erwachte ich von Zeit zu Zeit aus meinem Schlaf und wurde dann unten im Keller des Staatsarchivs mit allen Fort schritten vertraut gemacht. Jedesmal, wenn ich die Augen auf schlug, hatte ich die heiße Hoffnung, daß es nun endlich so weit sei; daß der große Tag gekommen wäre.« Sie seufzte. »Wie oft bin ich enttäuscht worden, wie oft mußte ich zurück in den langen Schlaf.« »Und jetzt? Jetzt bleibst du wach?« Hendricks bangte vor ihrer Antwort, und es schien ihm, als würde ihr »Ja« oder »Nein« auch entscheidend für sein eigenes Schicksal sein. Unbefangen nickte Inka mit dem Kopf. »Ja, ich bleibe wach! Als mich Ataka gestern weckte und mit mir zum Staatsarchiv fuhr, ließ er es mich gleich wissen.« Ataka hatte lächelnd der Unterhaltung zugehört und die beiden nicht gestört. Nach einem Blick auf die Leuchtuhr griff er jetzt aber in das Gespräch ein. »Über diese Dinge könnt ihr euch spä ter weiter unterhalten. Jetzt ist Wichtigeres zu beraten. Du weißt, Hendricks, was die Welt Hydro von dir erwartet.« Hendricks ließ ihn nicht ausreden. »Einen Augenblick, bitte. Ich denke, daß sich alle Probleme viel leichter lösen lassen, als ihr es
euch vorstellt. Jedenfalls jetzt!« Dabei sah er bedeutungsvoll auf Inka, die gespannt zuhörte. Als Ataka Einwände machen wollte, bat Hendricks weiter um Gehör. »Ihr sagtet mir, daß eure Rasse zum Untergang verurteilt sei, und daß es kein Gegenmittel gäbe. Ihr Menschen der Welt Hydro seid alle alt, viel zu alt, um noch Nachkommen zu haben, die eure Errungenschaften weiterführen.« »Das stimmt. Und selbst wenn es möglich wäre, Kinder zu ha ben – sie würden gleich uns von klein auf zu Untertanen wer den.« Hendricks ließ sich immer hoch nicht beirren. »Es muß aber doch noch einen Ausweg geben. Inka hier ist jung und könnte Mutter eines neuen Geschlechts werden.« Er bemerkte ihre auf steigende Röte und fuhr ihr beruhigend mit der Hand über das Haar. »Ich verstehe nicht, warum ihr nicht auch einen jungen Mann so«, er suchte nach Worten, »so aufheben konntet?« »Ich weiß, was du meinst.« Inka nahm Hendricks’ Hand und schmiegte ihren Kopf hinein. »Aber das Unglück unserer Welt liegt ja nicht im Aussterben der Rasse. An erster Stelle stehen die Roboter. Und weil niemals ein neuer Mensch in die Klauen der Maschinen geraten sollte, weil man bewußt die Herrschaft der Übertechnik zusammenbrechen lassen will, darum verzichtete man auch auf einen Gefährten für mich.« Hinter Hendricks' Stirn wirbelten die Gedanken durcheinander. Langsam aber schälte sich eine klare und logisch durchdachte Überlegung heraus. Es mußte als gegebene Tatsache hingenom men werden, daß die Roboter denken konnten. Er sprach diesen Gedanken aus und fuhr dann fort: »Das ist also Punkt eins meiner Überlegungen. Der zweite Punkt: Die Roboter, ob nun bewußt oder unbewußt, sind die eigentlichen Herrscher auf Hydro. Ver mutlich werden sie jeden Versuch, ihnen diese Herrschaft wieder abzujagen, mit Gewalt verhindern.« »Das sind die Tatsachen – aber keine neuen.« Ataka schüttelte den Kopf. »Das alles haben wir uns seit Generationen wieder und immer wieder selbst oft genug überlegt.« »Laß mich bitte ausreden, Ataka. Ich sagte anfangs, daß die Roboter denken können. Also gibt es für sie auch den Begriff ›Gewohnheit‹. Stimmt’s?« Er sah das Aufleuchten in den Augen Inkas und spürte, daß sie seinen Gedankengängen folgen konnte. Mit mehr Mut als bisher fuhr er fort: »Wer sich an etwas gewöhnt,
der wird gleichgültig. Die Wachsamkeit läßt nach. Sie ist also seit Jahrhunderten eingeschläfert worden, denn alles läuft hier im gleichen Schritt. Wenn wir sie jetzt überraschen können, wenn es uns gelingt, sie fassungslos zu machen, dann müßte eigentlich ihre Herrschaft zu brechen sein.« Zuerst hatte Ataka mit Spannung zugehört, aber schon bald verdüsterte sich wieder sein Gesicht. Und dann meinte er: »Wenn es wirklich so ist, müßten wir ›Das Gehirn‹ unschädlich machen. Dann müßte jemand den Mut aufbringen, die Zentrale der Robo ter zu zerstören. Und das«, er hob seine Stimme, »das ist un möglich! Es gibt keinen Weg, um an ›Das Gehirn‹ heranzukom men. Schon seit mehr als vierzigtausend Jahren hat kein Mensch, der die Zentrale der Roboter betrat, sie wieder lebend verlassen.« »Kein Mensch der Welt Hydro, Ataka. Ihr habt das Kämpfen verlernt. Wir von der Erde«, Hendricks lachte bitter auf, »wir ha ben leider viel zuviel Kampf!« »Weißt du schon einen Weg? Hast du irgendeinen Plan, wie man ›Das Gehirn‹ zerstören könnte?« Ehrlich mußte Hendricks zugeben: »Nein, Inka. Aber ich glaube daran, daß ich es schaffen werde!« »Daß wir es beide zusammen schaffen werden. Dafür bin ich schließlich da.« »Sie hat recht, Hendricks«, schaltete sich Ataka ein. »Es würde sicher eines Tages auffallen, wenn du ständig mit mir zusammen bist. Noch bist du für die Roboter ein Nichts. Die QX-Klassen kön nen dich kaum als Menschen einer anderen Welt identifizieren. Auch bei den Robotern der RP-Klasse könntest du vielleicht noch Glück haben. Aber ich warne dich. Wenn ›Das Gehirn‹ von deiner Anwesenheit erfährt, und das wird es sehr schnell, wenn du wei ter bei mir bleibst, dann wird es die Gefahr erkennen und richtig denken.« »Was sollte mit mir schon geschehen?« »Man würde dich töten! Töten mit der Begründung, daß es zum Schutz der wirklichen Herren in der Lesart der Roboter, also nur der Menschen der Welt Hydro, nötig war.« Ataka stand auf und reichte Hendricks die Hand. »Nun geht. In ka weiß, wie sie sich mit mir oder dem Rat der Patriarchen not falls in Verbindung setzen kann.« Diese Wendung kam für Hendricks völlig unerwartet. Aber er sah ein, daß er es mit einem ungewöhnlichen Gegner zu tun hatte
und also auch ungewöhnliche Maßnahmen in Kauf nehmen muß te. Fest drückte er noch einmal Atakas Hände. »Wir lassen von uns hören. Sobald wie irgend möglich!« Langsam stiegen Hendricks und Inka die Stufen zum Dach des Hauses empor. »Ich habe ein Lufttaxi oben, das uns erst einmal aus der näheren Umgebung von ›Stadt I‹ wegbringen wird.« »Und der Robotpilot? Kann er uns nicht verraten?« »Vergiß nicht, daß ich ein altmodisches Mädchen bin. Ich stam me aus einer weit zurückliegenden Zeit und kann daher noch flie gen. Allein fliegen – ohne von einer Maschine bevormundet zu werden!« Leise surrend hob die Maschine vom Dach ab und strebte in Richtung Westen von den hellen Lichtern der Stadt weg. Im Em porschweben sah Hendricks noch einmal nach unten. Ataka stand dort, hielt den Kopf nach oben und winkte zum Abschied. * Zwei Tage später unterschieden sich Hendricks und Inka nicht mehr von den zum Sterben verurteilten Bewohnern Hydros. Aus ihren frischen Gesichtern waren runzlige Greisenantlitze gewor den. Hendricks’ Haar war silberweiß, und trotz seines Protestes hatte Inka sich ihr blondes Haar kurz schneiden lassen. Als er das erstemal mit der Schere durch ihr Haar schnitt, zögerte er. Doch dann sah er die Notwendigkeit ein. Die beiden jungen Menschen waren in den zwei Tagen einander nähergekommen; und als sich Hendricks nach dem ersten Kuß von ihren heißen Lippen löste, hatte er lächelnd gemeint: »Ich habe noch nie eine so alte Frau geküßt, die in Wirklichkeit so jung ist!« Mit traurigen Augen hatte sie zu ihm aufgesehen. »Gefalle ich dir denn nicht?« Er brauchte diese Frage nicht zu beantworten, denn sein näch ster Kuß war ihr Antwort genug. Dann wurde er ernst. »Hör mir jetzt gut zu, Inka!« Lange und eindringlich redete er auf sie ein und entwickelte ihr seinen Plan. Als sie ihn verstanden hatte, sagte er noch: »Dies ist der einzige Weg, der uns bleibt. Ich bin dafür, daß wir diesen Weg gehen. Und je eher, desto besser für uns und die Welt Hyd ro.«
5. Kapitel Am nächsten Tage standen Hendricks und Inka vor dem Rat der Patriarchen. »Wir haben lange beraten und sind nun zu einem Entschluß ge kommen.« Gespannt sahen Hendricks und Inka auf. Instinktiv ahnten sie, daß jetzt eine wichtige Entscheidung verkündet würde. Und sie hatten sich nicht getäuscht. Ernst und gemessen trat der Patriarch auf die beiden zu und legte Hendricks’ Hand in die Inkas. Die anderen Patriarchen schlossen einen Kreis um sie. »Ihr beide werdet Träger aller Ge heimnisse werden! Ihr sollt sie den Menschen der Erde überge ben. Wir vertrauen euch – denn wir wissen, daß ihr richtig ent scheiden werdet. Niemals darf die Macht unseres Wissens – und bald auch des euren – für Zerstörung ausgenutzt werden. Nie mals soll sie Anlaß zu Kriegen sein, zu Mord und Totschlag. Alles Wissen soll zum Nutzen der Völker der Erde verwendet werden – nur zum Nutzen!« Hendricks wollte antworten, aber der Händedruck Inkas hielt ihn davon ab. So schwieg er und hörte weiter zu. »An dir wird es liegen, ob die Völker deines Heimatplaneten ge eint werden. Denn nur die Einigkeit wird sie Zwist und Hader ver gessen lassen. Nur Einigkeit wird Neid und Mißgunst besiegen!« Hendricks konnte jetzt nicht mehr schweigen. Er mußte antwor ten. »Ihr stellt mir eine Aufgabe, die für mich zu schwer ist, die ich nicht lösen kann. Ich bin kein Staatsmann, kein Diplomat. Ich bin…« »Du bist ein Mensch, Jan Hendricks. Ein Mensch mit einem ehr lichen Herzen! Das ist das Entscheidende.« Die Patriarchen gaben die beiden wieder frei und öffneten den Ring. Noch einmal ergriff einer von ihnen das Wort. »Du, Hend ricks, und du, Inka, ihr werdet zur Erde reisen. Ihr werdet das Geheimnis des Raumfluges kennen, und ihr werdet auch…« Ein anderer Patriarch deutete erregt durch eins der großen Fenster. Im Schein der untergehenden Sonne sah man wohl an die hun dert Roboter. Sie marschierten auf das Gebäude zu. Geführt wur den sie von zwei Robotern des RP-Typs. Was sie planten, war
klar. »Das ist es, was wir befürchtet hatten!« Ataka zog Hendricks und Inka vom Fenster zurück und beant wortete Hendricks aufgeregtes »Was und wieso?« »›Das Gehirn‹ hat dich erkannt. Es will dich unschädlich ma chen.« Die Roboterkolonne war jetzt in das Haus eingedrungen und lärmte die Treppenstufen herauf. Es war wie ein Ungewitter, das sich über ihren Köpfen zusammenzog, wie ein Verhängnis, das näher kam. »Schließt die Tür – verriegelt sie.« Ataka führte die Anordnung aus, meinte aber gleichzeitig: »Das wird sie auch nur ein paar Sekunden aufhalten.« »Ein paar Sekunden sind jetzt kostbar für uns.« Der Patriarch hatte all seine Würde vergessen. Hastig und erregt kamen seine Befehle. »Hendricks und Inka. Sofort hierher!« Er dirigierte die beiden in eine Ecke des Raumes. An der Tür wurde es plötzlich still. Die ersten Roboter hatten das Hindernis erreicht und waren stehengeblieben. Doch schon hörte man die blecherne Metallstimme eines RP-Roboters kalt befehlen: »Aufbrechen!« »Umfaßt euch. Denkt fest daran, daß ihr zum dritten Planeten im System Sol wollt. Denkt fest daran und glaubt, daß es gelin gen wird.« Der Patriarch richtete die Linsen eines seltsam ge formten Apparates auf die beiden jungen Menschen und bediente in fliegender Eile mehrere Einstellhebel. »Denke nicht nur an die Erde, sondern auch an den Ort, zu dem du willst, Jan Hendricks!« »Ich will nach Detroit. Ich will auf den dritten Planeten im Sys tem Sol. Ich will nach Detroit!« Kein Platz für andere Gedanken war mehr in seinem Gehirn. Nur immer wieder der eine Satz: »Ich will zum dritten Planeten, ich will heim zur Erde!« * »Sie müssen erst einmal wieder nüchtern werden, Mr. Hendricks.« Die schwarze Aufwartefrau wollte sich ausschüt ten vor Lachen. Sie hielt die Fäuste in die Seiten gestemmt und grinste über ihr ganzes breites Gesicht. »Oh, Mr. Hendricks. Sie müssen ganz schön geladen haben. Ein Wunder überhaupt, daß Sie noch in die Wohnung zurückgefunden haben. Kommen Sie, ich helfe Ihnen.«
Nur zögernd öffnete Hendricks wieder die Augen. Er saß im Ses sel des Wohnzimmers in seiner Detroiter Wohnung. Sein Kopf schmerzte zum Zerspringen, und für einen Augenblick glaubte er wirklich, er sei total betrunken. Zu unwahrscheinlich war doch alles, was in seinem Gehirn he rumging. Die Geschichte von der Welt Hydro, von Robotern und Teleportation. Doch plötzlich erhellte sich das Dunkel. »Inka – wo ist Inka?« Er stieß die hilfreiche Alte zur Seite und sah sich wirr um. Dann stürzte er zur Wohnungstür, riß sie auf und sah hinaus in den Garten. Nichts war zu sehen. Inka war nicht angekommen! Inka, seine kleine Inka! Niedergeschlagen ging er zurück und schickte die Aufwartefrau nach Hause. »Danke, Sally, ich brauche Sie heute nicht mehr.« »Soll ich nicht noch einen starken Kaffee machen?« Sie verstummte, als sie das Gesicht ihres Brotgebers sah. Still ging sie hinaus. »Der arme Mr. Hendricks!« Niedergeschlagen und in Gedanken versunken, ging Hendricks quer durch den Raum und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Es war, als hätte ein Blitz eingeschlagen und mit seinem grellen Licht das Dunkel um ihn herum zerrissen. An alles hatte Hendricks ge dacht. Nur nicht an die naheliegendem Dinge. Er hatte nach draußen gesehen, aber nicht seine ganze Wohnung untersucht. Im Bett lag – friedliches Lächeln auf dem schlafenden Gesicht – Inka. Sie atmete langsam und regelmäßig und nichts störte ihren Schlummer. Behutsam, auf Zehenspitzen, näherte sich Hendricks dem Bett. Zart strich er mit der Hand über das Haar der geliebten Frau. Dann deckte er sie mit behutsamer Bewegung zu, schloß leise die Vorhänge und ging zurück ins Wohnzimmer. Das Experiment war geglückt; der Sprung von Hydro zur Erde gelungen! Ihm wurde freier ums Herz. Jetzt war ihm auch nicht mehr Angst vor seiner Aufgabe, die hier auf der Erde auf ihn war tete.
6. Kapitel Eine ganze Woche schon verbummelte Jan Hendricks mit Inka die Zeit. Im Werk hatte er sich Urlaub geben lassen und als Be gründung für seine unvorhergesehene Abwesenheit vorher ein
fach Inka vorgestellt. »Das ist der Grund«, hatte er gelächelt. Ebenso lächelnd und mit den Augen verständnisvoll zwinkernd hatte Direktor Wullard Glück gewünscht und den erbetenen Ur laub bewilligt. Das war schon am Morgen nach der Rückkehr zur Erde gewesen, denn Hendricks war viel zu sehr Pflichtmensch, als daß er das Werk hätte noch länger im unklaren lassen können. Mit Direktor Wullard verband ihn über die rein dienstlichen Be lange hinaus noch eine persönliche Freundschaft, die in jahrelan gen Proben ihre Feuertaufe mehr als einmal bestanden hatte. Beide, Hendricks und Wullard, waren Menschen von gerader Art und scheuten sich nicht, offen ihre Meinung zu sagen. Es war nicht immer ohne Reibereien geblieben – aber jeder bemühte sich, den Standpunkt des anderen zu verstehen. Ganz ernsthaft hatte Hendricks überlegt, ob er sich seinem Freund nicht offen anvertrauen sollte, ob er ihm nicht berichten sollte von der Welt Hydro und den Sorgen ihrer Bewohner. Schon wollte er zum Sprechen ansetzen, als ihn buchstäblich im letzten Augenblick eine innere Stimme davon abhielt. Eine Stimme von solch suggestiver Kraft und Eindringlichkeit, daß Hendricks tat sächlich seinen schon begonnenen Satz mit irgendeiner Nichtig keit beendete. Mit einem Sportflugzeug waren Inka und Hendricks quer über den amerikanischen Kontinent geflogen. Jetzt ging die Reise zu rück. Ruhig sang der Motor sein Lied, die Maschine flog nur knapp vierhundert Meter hoch. Fast verspielt saß Hendricks am Steuer knüppel und glich lässig kleine Kursschwankungen aus. Gerade in diesem Augenblick, als Hendricks und Inka an nichts dachten und sich ganz dem Zauber des Fluges hingaben, hörten sie beide die Stimme. Klar und deutlich, als säße der Sprecher neben ihnen, vernahmen sie: »der rat der patriarchen von hydro grüßt euch, seit eurer an kunft auf dem dritten planeten im system sol ist dies die erste Verbindung mit euch, wir hoffen, daß ihr mich versteht.« Inka hatte sich zuerst gefaßt und die Bedeutung der Stunde er kannt. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich ganz auf das Gespräch quer durch die unendlichen Weiten des Raumes. »Wir hören, verehrungswürdiger Rat der Patriarchen von Hydro. Wir hören und verstehen deine Botschaft.« Sofort kam auch die Antwort: »ihr seid jetzt bereit, das erbe unserer welt anzutreten, ich rufe euch wieder am morgigen tag
zur gleichen stunde.« Dann riß die Verbindung ab. »Was hat er nur gemeint, Inka? Bereit, um das Erbe anzutre ten?« Doch im gleichen Augenblick wußte er, was der Patriarch hatte sagen wollen. Sein Kopf war plötzlich erfüllt von einem Wis sen um den Zusammenhang aller Dinge. Es war ja alles so selbstverständlich – so einfach – so logisch klar! Raumflug war kein Geheimnis mehr! Die Verwertung atomarer Kraft auf kleins tem Raum und völlig gefahrlos war doch ein Kinderspiel! Warum nur war noch niemand auf die Lösung aller dieser Probleme ge kommen? Inka schien in seinen Gedanken lesen zu können und antworte te: »Weil noch niemand vor dir auf Hydro war, Hendricks. Um die Dinge richtig erkennen zu können, und um sie richtig zu nutzen, bedarf es mehr als nur des Wissens. Dazu muß man frei sein. Wirklich frei!« »Wir sind frei, Inka. Die Freiheit der Menschen meiner Welt wird nicht durch Roboter gestört.« »Aber durch kleinlichen Haß! Durch Neid und Mißgunst. Ein Mensch ist auf den anderen Menschen, seinen Nachbarn, nei disch. Eine Stadt mißgönnt der Nachbarstadt etwas. Ein Land ha dert mit dem Nachbarstaat, weil dieser einen größeren Absatz hat, weil er mehr Ansehen genießt.« »Du hast sehr genau beobachtet, Inka.« »Genauer als Ataka und Noga bei ihrem ersten Besuch auf der Erde. Viel sorgfältiger als sie habe ich euch Menschen und eure Erde geprüft.« »Und was ist das Ergebnis deiner Prüfung? Ist sie gut ausgefal len, bist du mit mir zufrieden?« Sie sah ihn mit einem schrägen Blick von unten herauf an. Eine Sekunde zögerte sie mit der Antwort. »Du hast eine große Ver antwortung übernommen, Hendricks. Mehr zu tragen und ertra gen wirst du haben als je ein Mensch zuvor. Ich habe Angst – um dich und um deine Welt.« * Überall spürten sie es gleichzeitig: Ob nun in Rom oder London, Paris oder Washington, ob in Moskau oder Peking. Die herrschen den Staatsmänner, die Diktatoren und die vom Volk gewählten Vertreter, sie alle hatten nachts zur gleichen Stunde die gleiche
Erscheinung. Sie meinten wach zu sein, konnten sich aber nicht bewegen. Di rekt vor ihnen, zum Greifen nahe, schwebte im Raum das Gesicht eines Mannes. Ein seltsamer Schimmer, ein wohltuend warmes Leuchten ging von den Bildern aus. Der Mann sprach. Und ob die Muttersprache des Angesproche nen nun Italienisch, Englisch, Französisch, Russisch oder Chine sisch war – er verstand die Botschaft. »Ich grüße euch, Herrscher der Völker unserer Welt. Ich grüße euch und übermittle Grüße vom Rat der Patriarchen der Welt Hydro.« Länger als eine Stunde sprach die Erscheinung auf die Herrscher ein, berichtete ihnen vom untergehenden Geschlecht der Men schen Hydros und ihrem Wissen. Sie erzählte von dem Erbe, das der Welt zum Geschenk gemacht werden sollte und bat um Ein sicht, Frieden und Verstehen. Dann war das Gesicht wieder verschwunden. Es verging im Dunkel der Nacht, und überall in den Schlafzimmern der Herr scher auf der Erde erwachten die Männer, starrten mit entsetzten Augen in die Dunkelheit um sie herum und atmeten erst wieder auf, als sie das Licht eingeschaltet hatten. Und keiner der Männer zweifelte an der Wahrheit des eben Ge hörten, keiner glaubte daran, daß alles nur eine Sinnestäuschung gewesen sein könne. Sie wußten, daß alles so war, wie es die Erscheinung verkündet hatte. In dieser Nacht fanden die Herrscher keine Ruhe mehr. In den Staaten der Diktatur wurden die engsten Berater zusammengeru fen. Bei den demokratischen Staatsformen berief man die Parla mente zu einer Sitzung ein. Hinter verschlossenen Türen wurde verhandelt, beraten und diskutiert. Strengste Absperrung sorgte dafür, daß auch nicht die geringste Information an die Öffentlichkeit kam. Es war bezeich nend, daß zuerst die Diktaturen zu einem Entschluß kamen. Hier fragte man nicht lange, sondern akzeptierte gehorsam die Aus führungen des Staatschefs. In den demokratischen Parlamenten dagegen gingen die Diskussionen pausenlos auch den nächsten Tag hindurch weiter. Schließlich ließen sich aber auch die Ab geordneten überzeugen. Eins stand also fest: Ein Planet irgendwo im Weltraum war be reit, der Erde seine Erfindungen zu schenken!
Es kümmerte die Herrscher wenig, daß in der Botschaft von der Gesamtheit der Erde gesprochen worden, also der ganze Planet gemeint war. Die Herrscher meinten nur sich selbst – ihren Staat – ihre eigene Macht. Ein paar Tage später erschienen in den Zeitungen der Haupt städte erst vage, aber dann immer deutlicher werdende Meldun gen. Man sprach von einem Vorstoß in den Raum, der zum Wohle dieses oder jenes Staates versucht werden sollte. Gleichzeitig registrierten die Zeitungen verstärkten Betrieb auf den Versuchsanlagen der Raketenstationen. In Florida, auf den Weihnachtsin seln und in Ostrußland verging kein Tag mehr, an dem nicht fau chend auf langem Feuerschweif balancierend Raketen in den Himmel stiegen. Kopfschüttelnd las Hendricks in seiner Detroiter Wohnung die Zeitungsmeldungen, hörte die Rundfunknachrichten und sah sich die Fernsehsendungen an. Alles hatte den gleichen Tenor: Große Macht wartet auf uns, wenn wir die Schätze Hydros heben kön nen. »Macht! Inka, nur Macht! Ich verstehe das alles nicht mehr. Überall in der Welt hat ein Kampf um die Macht eingesetzt, ein Wettrennen um die Geheimnisse deines Planeten.« Die junge Frau sah auf. »Wir müssen versuchen, die Völker der Erde zur Vernunft zu bringen und sie zu überzeugen, daß Macht nur Un glück und Haß bringt.« In diesem Augenblick schlug die Glocke des Telefons an. Die Werke waren am anderen Ende der Leitung, und die Zentrale verband mit Direktor Wullard. »Hallo, Junge! Ich weiß zwar, daß du noch Urlaub hast und Inka mich vermutlich bei lebendigem Leibe rösten wird, aber ich muß dich unbedingt sehen.« »Das paßt mir schlecht, Direktor. Oder, um ganz ehrlich zu sein: überhaupt nicht! Ich habe dringende Sachen zu erledigen und war schon drauf und dran, Sie anzurufen und um Urlaubsver längerung zu bitten.« Der Stimme Wullards merkte man deutlich einen leichten Ärger an. »Ausgeschlossen, Hendricks. Sie wissen, daß ich kein Spiel verderber bin.« Hendricks unterbrach ihn. »Zugegeben, aber gerade in diesem Fall habe ich besondere Gründe und muß…« »Auch ich habe besondere Gründe, Hendricks. Wirklich ernste
Gründe!« Er lenkte ein. »Junge, nun höre einmal vernünftig zu. Ich kann am Telefon wenig sagen – wir müssen uns unbedingt sofort sehen und dann weitersprechen. Nur soviel jetzt: Es han delt sich um Raumfahrt.« Hendricks schwieg. Inka hatte das Gespräch mit angehört und meinte flüsternd: »Du solltest mit ihm sprechen. Wir werden Freunde und verständnisvolle Mitarbeiter brauchen.« Hendricks sprach wieder ins Telefon: »Gut, Direktor, ich kom me. – Wann? – Sofort! Ich schlage vor, daß wir uns in einer hal ben Stunde treffen. Abgemacht!« Seufzend legte er den Hörer auf die Gabel und ging im Zimmer hin und her. Dann hatte er seinen Entschluß gefaßt, besprach sich mit Inka und fand ihr Einverständnis. In aller Ruhe setzte er sich wieder hin und rauchte eine Zigarette. Dabei achtete er genau auf seine Uhr. Zwanzig Sekunden vor der angesetzten Zeit seiner Verabredung mit Direktor Wullard faßte er Inka bei der Hand, und beide traten in die Mitte des Zimmers. * »Miß Norden – hier Direktor Wullard. Fragen Sie bitte beim Empfang nach, ob Mr. Hendricks schon eingetroffen ist. Geben Sie mir dann gleich…« In diesem Augenblick verschlug es ihm die Sprache. Aus dem Nichts heraus materialisierten sich plötzlich zwei Gestalten, nah men feste Formen an und standen Sekunden später als Hendricks und Inka lächelnd vor ihm. »Herr Direktor – Direktor Wullard – Sie wollten noch etwas hin zufügen!« Die Stimme von Miß Norden klang mißtönend und auf geregt aus dem Telefonhörer. »Nichts. Es ist schon gut. Die Herrschaften sind bereits bei mir eingetroffen.« Mit letzter Willenskraft stammelte Wullard diesen Satz und ließ sich dann erschöpft in den Sessel zurückfallen. Inka nahm ihm den Hörer aus der Hand und legte ihn erst ein mal wieder zurück auf die Gabel. Dann lächelte sie ein wenig spöttisch und fragte: »Wollen Sie mir keinen Platz anbieten?« Wullard antwortete nicht. Er starrte immer noch fassungslos auf die beiden Besucher und rang nach Luft. Er strich sich über die Augen, als könne er dadurch die Vision zum Verschwinden brin gen.
Hendricks löste den Bann. »Wir sind es wirklich, Direktor. Wie verabredet, pünktlich auf die Sekunde genau.« Mit einem Seiten blick zur Tür fragte er: »Wir sind doch hier ungestört?« Endlich faßte sich der Direktor wieder. Er hatte sich zwar für ei nen Augenblick verblüffen lassen, gewann jetzt aber doch seine kühle Überlegung zurück. »Schön, da seid ihr. Das sehe ich. Erst einmal herzlich willkommen. – Wie ihr hergekommen seid, werdet ihr mir sicherlich noch erzählen. Durch die Luft geflogen wohl kaum?« Er lief mit langen Schritten durch den Raum. »Doch, Direktor. Wenn auch nicht so, wie Sie es sich vielleicht vorstellen.« Hendricks hielt es jetzt für an der Zeit, alles aufzuklären. Er führte Wullard zu seinem Sessel zurück und drückte ihn in die Polster. Dann sprach er leise und eindringlich auf ihn ein. So kurz wie möglich, und doch gleichzeitig auch wieder ausführlich, schil derte er seine Erlebnisse und berichtete von seinem Auftrag. »Inka ist also ein Mädchen von…?« »Ja, Direktor. Ich bin ein Mensch der Welt Hydro. Der sichtbare Beweis für die Wahrheit der Berichte. Und den zweiten Beweis haben wir Ihnen ja eben geliefert. Teleportation…« In komischer Verzweiflung hob Wullard abwehrend beide Hän de. »Nur nicht noch einmal! Besten Dank dafür! Mir hat es ge langt, als ihr beide plötzlich aus dem Nichts auftauchtet. Wenn ich mir vorstelle, daß in Zukunft jeder x-beliebige Besucher mit ei nem Male vor meinem Schreibtisch steht – und das ohne Anmel dung!« Wullard stand auf, ging zur Tür, schloß sie zweimal ab und steckte den Schlüssel in seine Westentasche. »So, von der Seite sind wir vor Überraschungen sicher.« Dann gab er telefo nisch Anweisung, daß er vorerst nicht gestört werden wollte. In den Händen dieser drei Menschen lag jetzt das Schicksal von zwei Welten. Das Schicksal der Planeten Erde und Hydro. Und je länger die Besprechung dauerte, um so drückender und schwerer fühlten die drei die Last der Verantwortung.
7. Kapitel Der Bau des Raumschiffes ging schneller voran als erwartet, wenn auch nicht immer reibungslos. Kritisch beobachtete Hendricks den Einbau der Apparate. Gegen
die ständig anwachsende Opposition der Werksingenieure hatte er schließlich doch durchsetzen können, daß am Motor des Raum schiffes und an den Bedienungsaggregaten gewisse grundlegende Änderungen vorgenommen worden waren. »Das Ding wird nie fliegen, Mr. Hendricks! Verlassen Sie sich auf mich. Ihre genialen Einfälle«, der Oberingenieur des Werkes dehnte seine Worte spöttisch, »entbehren jeder wissenschaftli chen Grundlage.« »Das Schiff wird fliegen, Williams!« »Auseinanderfliegen, Mr. Hendricks. In tausend Fetzen ausei nanderfliegen!« Offene Feindschaft war das jetzt schon. »Sie werden das Risiko nicht eingehen, Williams. Sie werden nur das tun, was ich Ihnen sage; und dann dürfen Sie den ersten Start vom sicheren Bunker aus verfolgen.« In einer stundenlangen Konferenz hatten Hendricks, Wullard und Inka alle diese Dinge erörtert und immer wieder durchgesp rochen. Hier war auch zum erstenmal die Sorge aufgetaucht, welch lohnende Beute Hendricks sein könnte. Offen hatte es Wul lard ausgesprochen: »Wenn irgendeiner, sagen wir, der Herrscher im Ostreich, von deinem Wissen erfährt, dann ist deine Sicherheit keinen Pfifferling mehr wert!« Hendricks war aufgefahren. »Du meinst, man würde mich ent führen?« Er lächelte. »Von mir aus sollen sie das ruhig versuchen. Was meinst du wohl, was die für Augen machen, wenn Sie mich am nächsten Tag nicht mehr vorfinden. Sie könnten mich mei netwegen einmauern. Mauern sind für die Teleportation kein Hin dernis!« Zustimmend hatte Wullard genickt. »Sicher, Hendricks. Einmal wird dir das glücken. Einmal werden sich die Gegner bluffen las sen. Aber wenn man erst deine überirdischen Fähigkeiten erkannt hat und merkt, daß du aus jedem Gefängnis entkommen kannst, was, meinst du, wird man dann tun?« Verwundert hatte Hendricks aufgeschaut. »Was dann? – Nun, sie werden wohl einsehen, daß sie bei mir kein Glück haben und es aufgeben.« »Aufgeben? Junge, du bist naiver, als ich gedacht habe. Du kennst nicht die Gier der Menschen nach Macht und die Skrupel losigkeit, wenn um die Macht gekämpft wird. Da spielt ein Men schenleben wirklich keine Rolle. Auch deins nicht! Sie würden dich lieber umbringen, als zuzulassen, daß ein anderer Staat von dei
nen Kenntnissen profitiert.« Schweigend hatten die drei dann dagesessen. Hendricks mußte zugeben, daß Wullards Warnungen Gründe genug hatten. Aufat mend hatte er schließlich dieses für ihn so unangenehme Thema abgebrochen. »Zum Glück weiß niemand, was ich weiß!« Dieses Gespräch war auch der Grund gewesen, daß von da an alle Anordnungen von Hendricks so gegeben wurden, als seien sie eben einer irdischen Erfindung entsprungen. Draußen vor dem Werkstor wartete Inka mit dem Wagen auf ihn. Sie war tagsüber sehr beschäftigt gewesen: Sie hatte einge kauft und dabei die Verkäufer fast zur Verzweiflung gebracht. Sie hatte manchmal Dinge gefordert, von denen die Verkäufer noch nie etwas gehört hatten. Immer wieder ertappte Inka sich dabei, daß sie viel zu unvorsichtig war. Sie vergaß einfach, daß sie nicht mehr auf Hydro war, und daß die Erde, so gut es ihr auch hier gefiel, um etliche Jahrtausende in der Entwicklung zurück war. Sie sah auf die elektrische Uhr am Armaturenbrett des Wagens. Hendricks mußte jeden Augenblick kommen. Erwartungsvoll rutschte sie dann auf den anderen Sitz und machte das Steuer für Hendricks frei. Schon an seinem Gesicht und seiner Gangart sah man ihm seine Mißstimmung an. Mürrisch setzte er sich hinter das Lenkrad und fuhr an. Müde erwiderte er ihren Gruß. »Ärger gehabt, Jan?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Ohne den Blick von der Fahrbahn zu wenden, antwortete er: »Weniger Ärger, Liebling, als Mißverständnisse. Ich kann den Leuten einfach nicht beibringen, mir zu glauben!« Später, als sie schon längst wieder in der Wohnung waren, kam er noch einmal auf das Thema zurück. »Die ganze Entwicklung gefällt mir nicht und entspricht auch nicht den Wünschen der Patriarchen von Hydro. Die Errungen schaften deiner Welt sollten der Erde geschenkt werden. Einer geeinten und friedlichen Erde, die alle Erkenntnisse gemeinsam nützt. Und«, er machte eine Pause, »und die den möglichen Ge fahren trotzen kann. Wir haben ja immer das Beispiel deiner Heimat warnend vor Augen. Eine Supertechnik kann Segen oder Fluch werden.« Inka kannte diese Perioden des Zweifels bei Hendricks und be gegnete ihnen mit weiblichem Verständnis. Sie schwieg und ließ
ihn reden. »Als ich das erstemal den Herrschern erschien und ihnen das Angebot Hydros unterbreitete, da dachte ich, man würde zwar nicht sofort, aber doch nach gewissenhafter Prüfung freudig zu stimmen und akzeptieren.« »Wozu sollten sie zustimmen?« »Nun«, er suchte nach den passenden Worten, »ich dachte an eine wirklich geeinte Welt. Weißt du«, er sprach begeistert und mit dem Enthusiasmus eines Fanatikers, »ich dachte an eine Weltregierung. An eine Institution, die über alle Völker wacht. Keine Diktatur, die jedem Volk vorschreibt, was es zu tun und zu lassen hat. Das wäre falsch. Jedes Volk soll sich weiter selbst re gieren. Aber das Große, das Ganze, das müßte geeint werden.« Unruhig lief Hendricks hin und her. Blieb einen Augenblick am geöffneten Fenster stehen und sah hinaus. Er sah das Getriebe der Straßen, sah die aufzuckenden und wieder verlöschenden Lichter der Leuchtreklamen, hörte das Hupen der Wagen und das Quietschen der Reifen beim Bremsen. Am nächtlichen Himmel zog mit blinkenden Positionslichtern ruhig eine Verkehrsmaschine dahin. Endlich hatte Hendricks einen Entschluß gefaßt und wandte sich wieder um. »Ich werde heute nacht ein Ultimatum stellen.« Er wehrte ihre Einwände ab. »Ich werde kategorisch fordern, daß alle Bemühungen um den Bau von Raumschiffen ab sofort einges tellt werden. Ich werde die Herrscher zwingen, endlich einsichtig zu sein. Die Geheimnisse Hydros sollen nicht Ziel eines Wettren nens werden!« Inka trat neben ihn. »Du mußt tun, was du für richtig hältst. Aber wenn du gehst, dann gehe ich mit.« Erstaunt sah er sie von der Seite an. Schon wollte er ablehnen, doch dann trat ein Lächeln in seine Züge. »Warum eigentlich nicht, Inka? Vielleicht sind die Herrscher weiblichem Scharm eher zugänglich als meinen ultimativen Forderungen.« * »Plan eins beginnt in einundzwanzig Minuten. Ich kann mich darauf verlassen, daß alles pünktlich wie ein Uhrwerk abläuft?!« Der Offizier nahm ohne mit einem Muskel zu zucken die Papiere aus der Hand des Herrschers im Ostreich entgegen. »Jawohl! Plan
eins läuft ab, wie in den Einzelheiten besprochen. Seit«, er sah auf die Uhr, »seit einer Stunde wird im Werk VII das erste inter kontinentale Geschoß unseres Reiches startklar gemacht. Die Meldung muß jeden Augenblick hier eintreffen. Bestückt ist das Geschoß mit der geheimen Super-X-Bombe. Und das, Herrscher, ist die unbedingte Garantie dafür, daß Plan eins Erfolg hat!« »Ist die Zielgenauigkeit garantiert? Wir haben das Geschoß bis her noch nicht praktisch erproben können. Wird das westliche Werk mit Sicherheit getroffen?« In das Gesicht des Offiziers trat ein überheblicher Ausdruck. »Die Wirkung der Super-X-Bombe ist so gewaltig, daß es auf ein paar hundert Kilometer mehr oder weniger gar nicht ankommt. Alles, was im Umkreis von etwa tausend Kilometern vom Explosi onsherd liegt, wird zerstört werden!« »Was wird zerstört werden, meine Herren? Sie erlauben mir doch die Frage?« Der Herrscher und der Offizier, die sich beide allein im bomben sicheren Leitstand glaubten, fuhren zurück. Hinter ihren Rücken hatte jemand gesprochen. »Wachen! Wachen!« Der Offizier schrie es mit sich überschla gender Stimme. »Sinnlos, mein Herr! Sie selbst haben dafür gesorgt, daß die nächsten Wachen erst hinter der zweiten Biegung des Ganges stehen. Seien Sie unbesorgt, man hört uns nicht!« Während der Herrscher bis in die äußerste Ecke zurückwich und mit starr aufgerissenen Augen die Erscheinung anstarrte und da bei fortgesetzt vor sich hin murmelte: »Das ist er wieder. Das ist er wieder…«, materialisierten sich Hendricks und Inka immer mehr. Beide schwebten etwa zwanzig Zentimeter über dem Bo den im Raum und hielten sich an den Händen. »Teufelsspuk – Sinnestäuschung!« Wutschnaubend zog der Of fizier seine Waffe und richtete sie auf Hendricks. Er zog den Ste cher durch. Bellend lösten sich zwei Schüsse, durchschlugen Hendricks, prallten gegen die Betonwand und schlugen sirrend als Querschläger zurück. Hendricks lächelte amüsiert, wurde dann aber wieder ernst. »Los, lassen Sie die Scherze. Jetzt an die Wand zurück. Aber schnell. Stellen Sie sich neben Ihren Herrscher!« Widerstrebend gehorchte der Offizier. Hendricks, der sich jetzt völlig materialisiert hatte, setzte sich bequem auf den Schreib
tisch. Inka blieb ohne Bewegung weiter in der Mitte des Raumes schweben. »So, und nun noch einmal meine Frage: Was soll ausgerottet werden?« Der Herrscher und der Offizier schwiegen und rührten sich nicht. Hendricks wurde ungeduldig. »Ich könnte euch zwingen, denkt daran. Aber noch versuche ich es mit gutem Zureden. Also – wie ist es? Gebt ihr jetzt Auskunft?« Der Herrscher hatte seine Fassung wiedergewonnen. Im Be wußtsein der Macht im eigenen Haus fragte er: »Was gibt Ihnen eigentlich das Recht, mich nach Dingen zu fragen, die Sie über haupt nichts angehen?« »Das Recht des Stärkeren und Mächtigeren, Herrscher. Ihr wißt ja selbst am besten, wie das ist. Wer die Macht hat – der hat auch das Recht, nicht wahr?« Hendricks erhob sich jetzt wieder vom Schreibtisch, wurde schemenhaft und schwebte auf den Herrscher zu. »Zum letzten Male: Was habt ihr vor, was ist hier geplant?« Der Offizier hatte auf seine Uhr gesehen und grinste jetzt ge mein und hinterhältig. »Gut, ihr sollt die Antwort hören.« Den Einwand des Herrschers wies er zurück. »Es ist zu spät zum Ein greifen.« Dann wandte er sich wieder Hendricks zu. »In genau achtzig Sekunden startet das erste interkontinentale Geschoß von hier. Ziel ist das Westreich, genauer gesagt, das Raumschiff des Westreiches. Und anschließend, es ist keine halbe Stunde mehr Zeit bis dahin, werde ich unser eigenes Raumschiff betreten und mit einer ausgesuchten Mannschaft starten. Mit anderen Worten heißt es, daß ich dann Herrscher über die Erde bin. Im Augenblick gibt es auf der Erde zwei startfertige Raumschiffe, eins im Westreich und das andere hier bei uns! – Bald aber gibt es nur noch eins, und das untersteht meinem Kommando.« »Verräter! Der Herrscher bin ich!« »Du warst einmal der Herrscher!« Kalt lächelnd hob der Offizier seine Waffe und erschoß den Herrscher. In diesem Augenblick flackerten Blinkzeichen an einem Schalt pult auf. Ein durchdringender Sirenenton wurde laut, und zur gleichen Zeit wurde eine Fernsehscheibe hell. »Da, Sie Unbekannter! Der Start des Raketengeschosses!« Die Stimme des Offiziers überschlug sich triumphierend. Hendricks und Inka sahen gleichzeitig auf dem Bildschirm, wie
sich aus dem stählernen Startgerüst die interkontinentale Rakete löste, sie auf feurigem Schweif balancierte, für einen Augenblick stillzustehen schien und dann steil in den Himmel schoß. »Zu spät für Sie, Unbekannter. Zu spät! Die Vernichtung ist auf dem Weg. Ich bin der Herrscher, ich allein!« Mehr zu sich selbst als zum Offizier sprach Hendricks, und Trauer und Verzweiflung schwangen mit in seiner Stimme. »Und solchen Kreaturen sollte das Geheimnis der wirklichen Macht an vertraut werden!« Die Mahnung von Inka wäre nicht nötig gewesen. Hendricks wußte auch so, was er zu tun hatte. Eine Sekunde konzentrierte er sich. Seine Augen waren geschlossen, auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Dann geschah es! Das Geschoß, das auf dem Fernsehschirm nur noch als Kon densstreifen zu erkennen war, hielt plötzlich in der Bewegung inne. Es stand still – dann begann der Fall rückwärts. »Nein! Das nicht! Nur das nicht! Wir liegen hier selbst noch im Bereich der totalen Zerstörung!« Der eben noch so selbstherrliche Offizier sprang auf das Schaltpult zu und zerrte und riß verzwei felt an Schaltern und Hebeln. »Nein, das darf nicht sein!« »Doch, das muß sein! Büßen Sie, noch haben Sie Zeit dazu! Bü ßen Sie, und bitten Sie um Vergebung Ihrer Sünden. Vielleicht finden Sie einen Ihnen gnädigen Gott.« Das Geschoß mit der Super-X-Bombe war jetzt schon wieder deutlich zu erkennen. Mit rasender Geschwindigkeit fiel es zurück auf die Abschußstelle. »Komm, Inka. Es ist Zeit für uns!« Als das Geschoß über Werk VII im Ostreich explodierte, saßen Hendricks und Inka schon wieder in ihrer Detroiter Wohnung. * Es war ein Kampf im Dunkeln! Die Erde drehte sich weiter auf ihrer vorgeschriebenen Bahn um die Sonne. Es wurde Tag, auf den wieder die Nacht folgte. Die Menschen gingen ihren Beschäftigungen nach. Sie liebten und haßten einander. Kinder wurden geboren und Greise starben. Freud und Leid wechselten ab wie Sonnenschein und Regen. Es war, als ob nichts geschehen sei! Die Menschen des Ostreiches nahmen stumm und ohne Klage
das Unglück hin. Und wenn sich einer Gedanken machte und über Ursachen und Anlässe überlegte, so blieb er doch still. Die Menschen im Westreich erfuhren kurz aus Zeitungen und Rundfunkmeldungen von einer Katastrophe, die sich vermutlich bei Experimenten mit nuklearen Waffen ereignet hatte. Man ging am nächsten Tag schon wieder zur Tagesordnung über. Ein Kampf im Dunkel, sonst nichts!
8. Kapitel »ich hörte deinen ruf – jan hendricks – ich hörte deinen ruf – sage, was dich bedrückt – sage es frei und offen – der rat der patriarchen von hydro hört dich.« Hendricks wälzte sich in seinem Bett. Im Traum kämpfte er mit einem Ungeheuer, das die ganze Welt zu verschlingen drohte. Er kämpfte mit letzter Kraft, und niemand stand ihm bei. Feixend sahen die anderen Menschen von weitem zu. Sie lachten zynisch und höhnisch und schrien und brüllten. »Hilf dir selbst, du Über mensch. Nun zeige deine Kräfte!« »ich hörte deinen ruf – jan hendricks – ich hörte deinen ruf – warum antwortest du nicht? – ich warte.« Ganz tief im Unterbewußtsein spürte Hendricks die wohltuende Ruhe, die dieser Ruf an ihn ausstrahlte. Auch wurden die Bewe gungen des Ungeheuers langsamer – es schien, als sollte er doch noch den so heiß ersehnten Sieg erringen. »antworte – hendricks – antworte dem rat der patriarchen – antworte.« Die Gestalt des Molochs löste sich in Schatten auf, wurde zu ei ner graugetönten Wolke, die auf schwebte und entschwand. Stumm sah die Menge zu. Und als Hendricks gesiegt hatte, als der Feind floh, da wandte sich die Menge ab und ging schwei gend. »jan hendricks – hier ruft der rat der patriarchen – sprich mit uns – wir wollen dir helfen.« Dort, wo sich eben noch die dunkle Wolke auflöste, ging jetzt strahlend hell mit gleißendem Schein ein leuchtender Ball auf. Gleitend und schwebend tanzte er auf und nieder. Hendricks schloß geblendet die Augen. Aber das Licht bohrte sich durch seine Lider, so unerträglich,
daß er die Hände verzweifelt vor die Augen legte. Um ihn herum war nun alles ganz still. Zögernd öffnete er seine Augen. Die grausame Helligkeit war verschwunden. Statt dessen stand einer der Patriarchen vor ihm. Träume ich noch – oder erlebe ich es wirklich? Hendricks wußte es nicht. »Sei gegrüßt, Hendricks!« Der Patriarch reichte ihm seine Hand zum Gruß. Und erst als Hendricks die Kühle der Haut und den Druck spürte, da wußte er, daß er tatsächlich nicht mehr allein war. »Ich grüße dich, Patriarch, und danke für dein Kommen!« Von dem Gespräch geweckt, kam Inka herein. Sie war zwar auch über den unerwarteten Besuch verblüfft, faßte sich, aber viel schneller als Hendricks. »Gruß dir, Patriarch. Dein Kommen bedeutet für uns die Rettung aus großer Not!« Nach den üblichen Begrüßungen und Ehrungen fand man sich kurze Zeit später im Wohnzimmer wieder zusammen. Neugierig hatte der Patriarch die Einrichtung gemustert, hier anerkennend gelobt und dort sprachlos über so viel Primitivität den Kopf ge schüttelt. Einen Imbiß lehnte er dankend ab. Er wies auch gleich darauf hin, daß er längstens eine Stunde Zeit hätte, da das Kraftfeld für die weite Teleportation zwischen Hydro und Erde nicht lange un bemerkt aufrechterhalten werden konnte. »Es eilt also, Hend ricks«, meinte er dann. Hendricks suchte nach den richtigen Worten. »Vor einiger Zeit habt ihr mich von der Erde nach Hydro geholt, weil ihr euch von mir Hilfe versprochen habt. – Jetzt bist du hier, weil wir Hilfe brauchen.« Verblüfft sah der Patriarch auf. »Ihr braucht Hilfe? Die Erde wendet sich an uns…« »Nicht die Erde, Patriarch«, schaltete sich Inka ein. »Wir selbst brauchen Hilfe.« Mit kurzen Worten schilderte sie ihm die Ereig nisse der letzten Zeit. Sie schloß: »Die Erde und ihre Menschen sind noch nicht reif für das Erbe Hydros, noch nicht würdig genug für wirkliche Macht. Glaube mir, Patriarch, Hendricks hat alles getan, was getan werden konnte. Die Menschen wollen nicht ein sehen, daß Machtwille zu allgemeiner Zerstörung führt.« Sinnend hatte der Patriarch zugehört. Frei und offen sah er sei ne Gastgeber an. »Diese Auskunft macht alle unsere Pläne zu
nichte. Wir haben uns auf Hydro in der Erde und ihren Menschen getäuscht.« Er bemerkte das Erschrecken bei Hendricks und lenk te ein: »Es gibt Ausnahmen, Hendricks. – Ich kam nicht zu dir, um dir im Kampf Hilfe zu geben, sondern ich wurde gesandt, um abermals bei dir um Beistand zu bitten.« Er sah, daß Hendricks ihn unterbrechen wollte, und bat daher mit einer leichten Handbewegung um Gehör. »Wir dachten, daß eine geeinte Erde zusammen mit den Machtmitteln Hydros die Roboter unterwerfen könnte.« »Haben sie etwa…?« Der Patriarch nickte müde. »Ja, Hendricks, die Roboter haben die Macht angetreten. Ich bin kein Patriarch mehr – jedenfalls habe ich keine Autorität mehr auf Hydro. Alle Macht gehört jetzt den Robotern. Wir sind – unsere Welt ist eine Maschinenwelt ge worden.« Aufschluchzend schlug Inka die Hände vor das Gesicht, und hei ße Tränen fielen auf ihr Kleid. Mitfühlend beugte sich Hendricks über sie und fuhr ihr tröstend mit der Hand über das Haar. »Es muß noch einen Ausweg geben, Inka. Irgendeine Lösung!« Er wandte sich wieder dem Patriarchen zu. »Berichte bitte, wie alles gekommen ist.« Erst langsam, dann aber schneller und zuletzt hastig, erzählte der Patriarch vom Aufstand der Maschinen auf Hydro. Ein unbluti ger Aufstand, denn immer noch dachten und handelten die Robo ter nach der ersten Formel. »Keinem Menschen wurde etwas angetan, Hendricks! Aber mit ihrer maschinellen Kraft zwangen sie uns, alle wissenschaftlichen Forschungsstationen zu verlassen. Uns wurde untersagt, jemals wieder die Zentrale der Roboter zu betreten. Wir dürfen praktisch nichts mehr tun. Alles wird von den Robotern bestimmt!« Der Alte atmete schwer. »Und immer wieder betonen sie, daß wir die Her ren sind, daß alles nur getan wird, um uns, die Herren, zu schüt zen und zu hüten!« Hendricks überlegte. »Patriarch – die Erde in ihrer Gesamtheit kann euch nicht helfen. Aber ich habe eine Idee.« Traurig schüttelte der Alte den Kopf. »Was nützt uns eine Idee, Hendricks. Du vergißt, daß es uns Menschen von Hydro im Grun de gleichgültig ist, ob die Roboter die Herren sind oder nicht. Es bliebe ja so oder so nur eine kurze Spanne Zeit, und unser Schicksal hätte sich vollendet. Ich wurde zwar mit der Bitte um
Beistand geschickt, denn unsere Errungenschaften solltet ihr ja erben, aber jetzt ist doch alles zwecklos.« Seine Stimme hob sich. »Lieber soll Hydro untergehen und mit ihr alles Wissen, als daß ein Unberufener die Macht in die Hände bekommt.« Hendricks war erschüttert. Er mußte dem Patriarchen recht ge ben und wollte schon resignierend einlenken. Da fiel ihm Inka ins Wort und wandte sich protestierend an den Alten. »Gewiß, die Erde ist nicht reif und würdig, das haben wir selbst gesagt. Aber denkt ihr auf Hydro nicht weiter? Denkt ihr nur an euch selbst, an euer eigenes kümmerliches Leben, das sowieso dem Ende zu geht?« »Inka, wie sprichst du mit unserem Gast?« »Aber es ist die Wahrheit, Hendricks! Die Menschen meiner Heimat resignieren und sprechen große Worte voll erhabener Be deutung – aber sie reden sie in den Wind!« »Sprich weiter, Inka.« Der Alte hatte zugehört und forderte sie auf. »Ich sehe es dir an, daß du einen wichtigen Gedanken hast. Sprich also weiter!« »Ihr vergeßt über euren eigenen Sorgen die wirklich große Be drohung der ganzen Galaxis. Glaubt ihr denn, daß die Roboter sich mit Hydro zufrieden geben werden? Wer hindert sie daran, schon morgen oder übermorgen einen anderen Planeten anzuflie gen – vielleicht sogar die Erde?« Eifrig fuhr Inka fort: »Ich merke, daß du meinen Gedanken folgst, Patriarch. Ich sehe schon förmlich unsere Raumschiffe um die Erde kreisen, und ich kann es mir genau ausmalen, wie die Roboter, getreu ihrer ersten Formel, sich auch den Menschen hier Untertan machen.« »Es läge im Bereich der Möglichkeiten, daß tatsächlich so etwas eintritt. Obwohl ich glaube, daß Inkas Phantasie der Wirklichkeit weit voraus ist.« Alle drei hörten die aufklingende Stimme gleichzeitig. Diese Stimme voller metallischer Schärfe. Unpersönlich und kalt sprach sie aus dem unendlichen Raum zu ihnen. »Hier spricht Roboter RP 7. Wir haben das Gebäude der Patriarchen besetzt! Wenn…« Der Patriarch saß da wie erstarrt. Dann sprang er auf und schrie: »Aufpassen! Wenn der Roboter in das Kraftfeld kommt, ist es zu spät!« Es war zu spät!
Aus dem Nichts heraus, so, wie man es gewöhnt war, materiali sierte sich RP 7 und stand mitten im Zimmer. Der erste denkende Roboter war auf der Erde! Hendricks faßte sich als erster. Er mußte den Roboter zerstören! Schnell zerstören, ehe das Maschinenungeheuer weitere seiner Art herbeirufen konnte. Noch schien RP 7 nicht zu wissen, daß er auf Terra, auf einem anderen Planeten war. Aber wie sollte Hendricks ihn zerstören? Er wußte, daß er gegen die Panzerung nicht ankam. Jedes Geschoß würde wirkungslos abprallen. Es mußte also mit einer List versucht werden! Unbefangen trat er auf RP 7 zu und verneigte sich ironisch vor ihm. »Wir haben einen Befehl für dich! Wirst du ihn ausführen?« Die Metallstimme antwortete: »Selbstverständlich, Herr, wenn er nicht gegen die erste Formel verstößt. Wir Roboter sind…« Hendricks unterbrach ihn schonungslos. »Schon gut, das weiß ich besser als du, Bursche. Da«, er wies auf einen Sessel, »setze dich dort hin!« Mit Absicht postierte er RP 7 so, daß hinter dessen Rücken das Fernsehgerät stand. Zu Inka gewandt, sprach er: »Kläre unseren Freund auf und tei le ihm mit, daß wir unbedingt ein neues Haus haben müssen. Erkläre ihm genau, wie es eingerichtet werden soll!« Inka ahnte, welche Absicht Hendricks verfolgte. RP 7 sollte ab gelenkt werden. Weitschweifig begann sie zu erwidern: »Also, unser Haus soll niedrig sein – aber sehr geräumig. Es darf keine Fenster haben, muß aber doch Licht der Sonne einlassen.« Man hörte an den fallenden Relais bei RP 7, daß er angestrengt nachdachte und eine Logik in den Befehlen suchte. Währenddessen hatte Hendricks Zeit, sein Vorhaben auszufüh ren. Er schraubte den Stecker am Stromkabel des Fernsehgerätes ab und näherte sich vorsichtig mit den blanken Drahtenden von hinten dem Roboter. Inka redete ununterbrochen das sinnloseste Zeug vor sich hin und erreichte damit tatsächlich, daß RP 7 den Dingen hinter sei nem Rücken keine Aufmerksamkeit schenkte. Jetzt stand Hend ricks unmittelbar hinter ihm. Nur noch zwei Zentimeter waren die stromführenden Drahtenden vom Metallrücken des Roboters ent fernt. Da stieß Hendricks zu! Es war, als würde RP 7 von einem epi leptischen Anfall geschüttelt. Gleichzeitig wurden alle seine Funk tionen in Betrieb gesetzt: Er bewegte Arme, Beine und den Kopf.
Aus seinem Lautsprechermund quollen unverständliche, wirre Laute. Funken sprühten auf. Dann gab es einen Kurzschluß in der Hausleitung. Aber der Strom hatte seine Schuldigkeit getan. Das empfindli che Gehirn des Roboters hatte einen solchen Schock bekommen, daß es jetzt nicht mehr wert war als der Herstellungspreis der Einzelteile. Apathisch stand RP 7 da und rührte sich nicht. Hendricks hatte schon einen Hammer in der Hand und schlug auf den Roboter ein. Er zertrümmerte die Quarzglasaugen und drang dann bis an das Elektronengehirn vor. Zwei Schläge genügten, um es vollends außer Betrieb zu setzen. RP 7 war gewesen. Jetzt endlich löste sich die Spannung bei dem Patriarchen und bei Inka. Sie sahen selbst, daß der Roboter keine Gefahr mehr darstellte, aber sie wußten auch, daß jeden Moment ein zweiter auftauchen konnte. Solange noch das Kraftfeld in Betrieb war, solange blieb die Bedrohung bestehen. Der Patriarch zögerte einen Augenblick und trat dann auf Hend ricks zu. »Meine Zeit ist um. Ich muß zurück. Ich lege die Ent scheidung in deine Hände – wie schon einmal. Es liegt an dir, wie sich alles entwickeln wird.« »Du kannst nicht zurück, Patriarch. Die Roboter haben den Pa last besetzt!« Inka wollte sich an ihm festklammern. »Bleib hier auf der Erde!« »Die Roboter haben den Palast besetzt und das Kraftfeld be steht noch. Ist das nicht Grund genug für meine Rückkehr? So lange das Kraftfeld die Brücke zwischen Hydro und Erde ist, so lange besteht die Gefahr weiterer unerwünschter Besuche. Lebt wohl! – Denke daran, Hendricks, die Entscheidung liegt bei dir. Bei dir ganz allein. Niemand wird dir jetzt noch helfen und raten können!« Die fetzten Worte würden leiser und leiser. Vor den Augen der beiden Zurückbleibenden löste sich die Gestalt des Patriarchen auf und verschwand. »Sie werden ihn im Palast finden und töten!« »Kaum, Inka. Die erste Formel wird das verhüten. Ich hoffe nur, daß sein Opfer nicht umsonst ist und daß er das Kraftfeld noch ausschalten kann!« Schweigend saßen sie länger als zwei Stunden und rührten sich
kaum. Überall im Raum hatte Hendricks schnell provisorische Stromfallen angebracht. Der Morgen dämmerte schon, als er und Inka gleichzeitig die kaum vernehmbare Botschaft hörten: »ataka ruft erde – ataka ruft erde – mein haus ist zentrale des Widerstandes – wir können nur senden – nicht empfangen – kraftfeld ist aufgehoben – keine sorge und keine gefahr –« Meh rere Male wiederholte Ataka seine Gedankenbotschaft. Dann wur de anscheinend die Energie schwächer und schwächer. Nur noch ein Flüstern war zu vernehmen – jetzt war es ganz still. Hallend schlugen die Uhren die fünfte Morgenstunde. Inka stand müde und zerschlagen auf, öffnete die Fenstervorhänge und die Fensterflügel und ließ das Licht des neuen Tages herein. Hendricks trat neben sie und legte seinen Arm um ihre Schulter. »Welch eine Nacht«, flüsterte er. »Welch eine Nacht für die Menschheit!« Sie machte sich frei von ihm und sah ihn fest an. Ihre weichen Hände lagen auf seinen Schultern. »Was wirst du tun?« »Kämpfen, Inka! Kämpfen für die Freiheit der Erde und für die Bewohner deiner Heimat, damit sie für den Rest ihres Daseins frei sind. Ich werde mir Hilfe suchen. Starke und mutige Helfer – und ich werde sie finden!« »Ich habe es gewußt, ich habe dir vertraut!« Sie näherte ihre Lippen seinem Mund. Heiß und innig küßte sie ihn.
9. Kapitel Hendricks war hinausgefahren zum Werk und hatte Direktor Wullard klipp und klar berichtet. Er beschönigte nichts und sagte offen, daß sein Plan gefährlich sei. »Unsere Fahrt ist mehr als nur ein Spiel mit dem Leben, Wullard. Die Chance, heil zurückzu kommen, steht nicht einmal eins zu hundert!« In komischem Entsetzen hatte der Direktor entgegnet: »Eins zu hundert? Das ist mehr, als ich jemals erwarten konnte. Unter die sen günstigen Bedingungen mache ich natürlich mit!« »Ihren Optimismus möchte ich haben, Direktor!« Der wehrte ab. »Sie haben mehr als das, Hendricks. Sie haben einen unerschütterlichen Glauben!« Dann hatte man alle Einzelheiten besprochen. Der Plan von
Hendricks hörte sich ganz einfach an. Das Raumschiff sollte fer tiggestellt und startklar gemacht werden. Mit einer ausgesuchten Mannschaft von Technikern und Wissenschaftlern an Bord sollte die »Nova II«, so hatte Hendricks das Schiff schon getauft, nach Hydro fliegen. »Vorher müssen wir uns überlegen, mit welchen Mitteln wir der Roboter Herr werden können. Wir dürfen nicht harmlos wie Tauben dort landen. Verhandeln hat keinen Sinn! Wir müssen einen fertigen Plan haben. Einen Plan, der keine Lücken hat.« »Alles in allem also eine Kleinigkeit für uns, Hendricks!« Wullard lachte sarkastisch. »Wir haben uns ein Pensum vorgenommen, an dem gemessen die Konstruktion der 1945er Atombombe das Re chenexempel für einen unterbegabten ABC-Schützen war.« »Der Vergleich hinkt, Wullard. Mit Bomben hat unsere Mission nichts zu tun – aber vielleicht werden auch wir Bomben anwen den müssen.« »Wenn zwei das gleiche tun, so heißt es ja wohl, ist es immer noch nicht das gleiche!« »Genau das, Wullard. Nun verschonen Sie mich aber mit Zita ten, sonst kommt haargenau noch: Der Zweck heiligt die Mittel!« »Das wollte ich gerade sagen!« Nach diesem Geplänkel, das nur die innere Aufgewühltheit der beiden Männer verbergen sollte, beriet man stundenlang. Bei dieser Besprechung war ihnen plötz lich klargeworden, daß jeder überflüssige Mann an Bord der »No va II« eine Belastung wäre – und ein unsicherer Faktor in der Rechnung. »Niemand kann einem Menschen in die Seele sehen, Hendricks«, hatte Wullard zu bedenken gegeben. »Wer garantiert uns, daß trotz aller Prüfungen und Tests nicht doch ein schwarzes Schaf durchschlüpft?« Als man dann weiter nachdachte, kam man schließlich zu dem Ergebnis, daß man gut und gern auf alle Besatzungsmitglieder verzichten könne. »Wenn wir in drei Wachen gehen, hat jeder von uns acht Stun den Dienst im Kommandoraum, acht Stunden Zeit für sonstige Arbeit an Bord und noch acht Stunden Freizeit«, rechnete Jan Hendricks aus. »Wir können ja sowieso nicht mit einer Armee nach Hydro fliegen. Und ob wir nun drei oder zehn Personen sind – die Roboter sind uns so oder so immer überlegen!« Dieser Tatsache konnte sich Wullard nicht verschließen, und so blieb es dabei, daß allein Hendricks, Inka und er mit der »No
va II« den Flug wagen sollten. Einen Plan machten sie sich nicht – ihre Entscheidungen konn ten erst an Ort und Stelle getroffen werden! Zwar nicht unbemerkt, aber doch so still wie möglich, startete die »Nova II« – das Raumschiff des Westreiches – ein paar Tage später. Während für Wullard Start und Flug zu einem aufwühlenden Er lebnis wurden und er wieder und immer wieder stumm und still an den Ausguckluken stand und zur immer kleiner werdenden Erde zurücksah, überlegten Hendricks und Inka, wie sie mit Ataka in Verbindung treten wollten. Die einfachste Lösung wäre eine Funkverbindung gewesen, aber beide wußten, daß mit tödlicher Sicherheit auch die Roboter den Spruch empfangen würden. Inka war es, die schließlich auf die glückliche Lösung kam. »Wir fliegen Hydro an und gehen dort in die Kreisbahn. Wenn wir Glück haben, lassen uns dort die Roboter in Ruhe. Von der Kreisbahn aus werde ich dann mit Teleportation in Atakas Haus gehen und die Lage erkunden.« Hendricks widersprach ihr, mußte dann aber einsehen, daß ihr Vorschlag tatsächlich wohl die beste Möglichkeit war. Er versuchte zwar noch, sie abzuhalten und sie zu überzeugen, daß lieber er selbst den Besuch machen sollte, fand aber keine Gegenliebe. »Ich kenne die Verhältnisse besser als du, Hendricks. Und außer dem, wenn mir wirklich etwas passieren sollte, kannst du immer noch eingreifen!« Bei dieser Entscheidung war es geblieben. Ohne irgendwelche Zwischenfälle erreichte die »Nova II« die Kreisbahn um Hydro und umkreiste jetzt in ständig gleichbleibender Höhe den Plane ten. Es war Abend, als Inka sich von Hendricks und Wullard ver abschiedete. »Ich hoffe, daß ich spätestens in einer Stunde zu rück bin. Wenn nicht, dann haben mit Sicherheit die Roboter et was gemerkt und halten mich fest.« »Mach’s kurz, Inka«, bat Hendricks, als sie ihm noch einmal die Lippen zum Kuß bot. Sie nickte lächelnd, trat ein paar Schritte zurück und sah Hendricks an. Sie hob die Hand zum Gruß… Vor den Augen von Hendricks und Wullard verblaßte dann ihre Gestalt, wurde durchsichtig und verschwand schließlich ganz. »Jetzt können wir nur warten«, sagte Hendricks. Unruhig und voller Sorgen lief er im Kommandostand hin und her. Alle Minuten
sah er auf die Uhr. Monoton teilte der Zeiger die Zeit. Es war Hendricks, als dehnten sich die Sekunden zu Ewigkeiten. Schließ lich hielt er die Spannung nicht mehr aus. »Schon vierzig Minuten ist sie weg. Längst könnte Inka eine Nachricht gegeben haben. Ich muß wissen, was los ist! Ich gehe ihr nach!« Es war keine Angst, die Wullard zum Widerspruch veranlaßte. Aber er wies darauf hin, daß Hendricks der einzige sei, der die »Nova II« kannte. »Wenn du gehst, Junge, dann ist das gleichbe deutend mit einem Todesurteil für mich. Ich würde für alle Zeiten mit dem Schiff um Hydro kreisen und eines Tages verhungern! – Und außerdem«, er sah auf die Uhr, »fehlen immer noch zwölf Minuten an der vollen Stunde.« Knurrend hatte Hendricks diesen Argumenten zustimmen müs sen. Anschließend aber sprach er kein Wort mehr. Er stand vor der Uhr und ließ den Zeiger nicht mehr aus den Augen. Noch zehn Minuten – noch neun – noch acht – jetzt nur noch sieben… In diesem Augenblick materialisierte sich Inka wieder in der Kommandozentrale. Neben ihr tauchte Ataka auf. Nach der ersten Überraschung wurde der Gelehrte herzlich und mit ehrlicher Be geisterung von Hendricks begrüßt. »Und das hier, Ataka, das ist Direktor Wullard aus Detroit.« »Ich freue mich, daß Sie nicht nur den Gewinn sehen, sondern auch das Wohl und Wehe der Menschheit bedenken.« Wullard wußte keine Antwort. »Woher kennen Sie mich so ge nau? Auf der Erde sagt man mir das Gegenteil nach. Dort be hauptet man, daß ich ein eiskalter Rechner und Geschäftsmann sei.« Ataka lächelte leicht und sagte: »Ihr Menschen der Erde habt zwei Gesichter. Ein echtes und wahres, das ihr aber meist hinter einer Maske verbergt. Hinter der Maske, die das zeigt, was die anderen gerne sehen möchten. Ihr Erdmenschen seid nie euer wirkliches Ich.« »Ich glaube, Ataka«, Inka schaltete sich in das Gespräch ein, »daß wir jetzt lieber reale Tatsachen erörtern sollten, anstatt uns mit Philosophie über die Menschen der Erde zu beschäftigen.« Gleich wurde Ataka wieder ernst, und es hatte den Anschein, als sei ihm dieses Thema gar nicht lieb. So war es auch. Ohne Um schweife sagte er: »Eure Reise hat hier schon ihr Ende gefunden.
Eine Landung auf Hydro ist völlig unmöglich. Ebenso ausgeschlos sen wie ein Kampf gegen die Roboter.« Er wehrte die Proteste ab. »Glaubt mir nur. Es hat keinen Zweck irgendwelche feindlichen Handlungen zu begehen. Der ein zige Erfolg wäre der, daß die Roboter auf euch, und damit auf die Erde, aufmerksam würden!« »Du resignierst, weil du nicht anders kannst«, brauste Hend ricks auf. »Du und die Patriarchen, ihr wartet seit Jahrtausenden auf das Ende. Wer aber wartet, wer sich ohne Gegenwehr ergibt und nicht mehr ans Kämpfen denkt, der…« »Mach ihnen keine Vorwürfe, Hendricks. Sie gaben den Kampf auf, weil sie nicht wußten, wofür sie kämpfen sollten. Das ist der Grund.« »Schön, Inka, alles zugegeben. Trotzdem lasse ich mich nicht abhalten! Ich weiß, daß für Hydro so oder so jede Hilfe zu spät kommt. Man kann ein sterbendes Volk nicht am Leben erhalten, wenn zum Leben alle Voraussetzungen fehlen. Aber ich habe das Erbe übernommen. Das Erbe, das eines Tages an die Menschheit der Erde weitergegeben wird. Und es soll unbeschadet übergeben werden – an Menschen einer freien Erde, die nicht von irgendwel chen Robotern ›bemuttert‹ werden. Deshalb will ich kämpfen!« »Stelle den Außenfernseher auf Welle 1783,5 ein. Das ist eine Frequenz, die von den Robotern noch nicht entdeckt wurde.« Als Hendricks zögerte, machte Ataka selbst die Einstellung. Die große Bildröhre wurde warm. Wie plastisch standen dann die Szenen im Raum. Sie sahen die Metropole von Hydro, ›Stadt I‹, eine Gespenster stadt. Je nach der Klassifizierung gingen die tausend und aber tausend Roboter mehr oder weniger menschenähnlich ihrer Be schäftigung nach. Zuerst wollte Hendricks lachen, als er Roboter bei rein mechanischen Verrichtungen sah. Sie säuberten die Straßen, waren mit Kanalisationsarbeiten be schäftigt und installierten neue Lampen. »Wofür brauchen Roboter Lampen? Sie sehen doch nicht wie Menschen!« flüsterte Wullard erregt. »Die Roboter arbeiten für die Menschen, nach wie vor. Und Menschen brauchen Licht.« Dem Direktor aber verging der Humor, als das Bild wechselte und nun eine Maschinenhalle zeigte. Roboter bauten hier Roboter! Am Fließband standen sie. Einer nach dem anderen – immer
mehr – Roboter ohne Zahl. »Das ist ungeheuerlich«, stöhnte Hendricks. Aber die Bilder wechselten schon wieder. Man sah eine riesige Halle, deren Ab messungen nicht zu schätzen waren. Aufgereiht wie Zinnsoldaten standen sie hier, leblos und starr, ohne jede Bewegung. »Paß auf, Hendricks. Jetzt geschieht es. Jede Stunde zum vollen Glockenschlag einmal.« Ataka zeigte auf das Bild. Man hörte zwar den Glockenschlag nicht, sah aber den Zeiger, wie er auf der Uhr die volle Stunde anzeigte. Im gleichen Augen blick fuhr es wie ein Schlag durch die neuen Roboter. Hinter den Quarzglasaugenlinsen flackerte Licht auf, sie drehten die Köpfe, hoben die Arme und setzten sich dann in Bewegung. Vorwärts stampfend, mit einer alles niederwalzenden Wucht marschierten die Kolosse in Zwanzigerreihe durch ein breites Tor hinaus ins Freie. – Das Bild wurde dunkel. »Wohin gehen sie?« Hendricks schrie fast. »Ataka, wohin gehen sie?« Müde zuckte der Angesprochene mit den Schultern. »Wer weiß es? Niemand weiß es!« »›Das Gehirn‹ wird es wissen!« Erschreckt zuckte Ataka zusammen. »›Das Gehirn‹«, flüsterte er nur. »Nenne den Namen nicht so laut. Ja, ›Das Gehirn‹ weiß alles. Es weiß auch, daß ich jetzt bei euch bin, daß ihr hier seid.« »Unsinn!« Hendricks schüttelte mit aller Gewalt die Angst von sich ab. Er wiederholte noch einmal: »Unsinn! Wenn das sagen hafte ›Gehirn‹ das wüßte, dann wäre es allwissend. Außerdem hätte es dann sicherlich längst Gegenmaßnahmen ergriffen. War um sollte es uns schonen, da wir es doch vernichten wollen!?« In diesem Augenblick zeigte das Bild der Fernsehscheibe gerade die Zentrale der Roboter. Aber alles hatte sich verändert. Es war nicht mehr so, wie es Hendricks und Inka in der Erinnerung hat ten. War damals schon die Zentrale ein großes Gebäude gewe sen, so bildete sie jetzt einen Mammutkomplex. Die aufstreben den Mauern reichten bis fast an den Horizont, und um den Bau herum wimmelte es von Robotern, die alle mit irgendwelchen Aufträgen beschäftigt waren. Ataka schaltete die Fernsehröhre aus. »Glaubt ihr jetzt, daß es sinn- und zwecklos ist, einen Angriff zu wagen? Ich kann euch nur den ehrlichen Rat geben, euch zurückzuziehen. Du, Hendricks, kennst unsere Geheimnisse. Hüte sie und wende sie an, wenn die
Roboter eines Tages die Erde erobern wollen. Das ist die einzige Möglichkeit.« Hendricks mußte beipflichten. So einfach, wie er es sich vorges tellt hatte, würde er mit dem überorganisierten Maschinenstaat nicht fertig werden. Aber es mußte trotzdem versucht werden. Und er begründete auch seinen Entschluß dazu. »Wir haben gesehen, wie leicht Roboter auch auf die Erde kommen können. Und glaube mir, Ataka, Panik und Entsetzen werden die Menschen mehr zermürben, als es alle Kriege bisher getan haben.« Hendricks wischte sich den perlenden Schweiß von der Stirn und fuhr fort: »Es darf nicht sein, daß die Erde mit dem Beispiel Hydros vor Augen in ständiger Angst vor einem Aufstand der Maschinen lebt. Die Menschen sollen und müssen die Herren bleiben. Und deshalb will ich die Überlegenheit des menschlichen Geistes beweisen!« »Große Worte, Hendricks.« Ataka hatte genau zugehört, und man sah seinem Gesicht an, daß er scharf nachdachte. »Deine Überlegungen sprechen von viel Verantwortungsbewußtsein. Aber trotzdem – ich muß dir noch einmal abraten. Du setzt dich nur einer Gefahr aus, der du nicht mehr Herr werden kannst.« »Das werden wir ja sehen!« * So leise und unbemerkt wie möglich landete die »Nova II« dicht neben Atakas Haus. Man hatte wieder die altbewährte Methode angewandt und die Roboter mit belanglosen Aufträgen fortge schickt. Trotzdem wußte niemand genau, ob die Landung nicht doch bemerkt worden war. Es gab keine langen Begrüßungen und Beratungen. Die Patriar chen, Hendricks und Inka, sowie Direktor Wullard – sie alle legten schweigend mit Hand an. In fieberhafter Eile wurde das ganze erste Stockwerk des Hau ses zur Verteidigung eingerichtet. Man nahm blanke Kupferleitun gen und schloß sie im Keller an einen Generator an, der sonst das Laboratorium mit Strom versorgt hatte. Eine tödliche Sperre leg ten sie vor jedes Zimmer und jedes Fenster. »So, das ist das einzige, was wir vorerst tun können. Strom wirkt tödlich auf die Maschinenburschen.«
Hendricks inspizierte noch einmal die Räume und begann dann mit einer kurzen Beratung. »Fest steht, daß die Roboter gegen Stromzufuhr empfindlich sind. Ihr Gehirn reagiert dann nicht mehr, und man kann die be wegungslosen Gesellen leicht zerstören. Es fragt sich nur, be merkt ›Das Gehirn‹ die Zerstörung eines Roboters?« Er sah Ataka fragend an. Der antwortete: »Nach unseren Erfahrungen müssen wir das annehmen. Vielleicht bemerkt ›Das Gehirn‹ den Ausfall eines Ro boters nicht sofort – spätestens aber dann, wenn es an diesen Roboter einen Befehl gibt.« »Ist das sicher?« Ataka zuckte mit den Schultern und stellte eine Gegenfrage: »Was ist in unserer Situation schon sicher? Es sind doch alles nur Vermutungen. Wir haben fest angenommen, daß unsere Roboter für uns, nur für uns, arbeiten würden. Und was ist heute?« Er wartete nicht auf eine Antwort, und die anderen gaben auch keine. Jeder wußte ja, wie es jetzt aussah. »Achtung! Ein Roboter kommt auf das Haus zu!« Die helle Stimme Wullards, den man als Posten im Erdgeschoß aufgestellt hatte, von wo aus er die durch den Park führende Straße beo bachten konnte, alarmierte die Männer. Ein Blick aus dem Fenster genügte. Lakonisch meinte Ataka: »Das ist QX 7. Ein netter Bursche, dumm und treu. Allerdings nur so lange, wie wir das tun, was uns vom ›Gehirn‹ befohlen wird.« »Er geht in das Haus. Ich komme nach oben!« Wullard schrie laut und unbeherrscht auf und hastete die Treppe nach oben. »Vorsicht! Wullard, achte auf die Stromleitungen!« Die Warnung Inkas erreichte den Direktor im letzten Moment. Buchstäblich in allerletzter Sekunde bückte er sich und kroch unter den blanken Leitungen hindurch. »Er kommt! – Er kommt hinter mir her!« rief Wullard. Hendricks mußte trotz des Ernstes der Situation lächeln. »Wir wissen es, Wullard. Wir haben ihn sogar erwartet. Aber beruhige dich, es ist nur einer!« Wullard merkte den Sarkasmus und wurde ruhiger. »Du hast recht. Aber komisch, wenn man zum erstenmal so einem Unge heuer gegenübersteht, dann versagen einfach die Nerven.« Alle hörten das metallische Tapptapp der Roboterfüße auf den Stufen. Ataka wies die anderen zurück in eine Ecke des Zimmers
und trat in die Tür, achtete aber peinlich darauf, daß genügend Raum zwischen ihm und den Drahtleitungen blieb. Scharf rief er den Roboter an: »QX 7 komm bitte her!« »Ja, Herr. Ich komme!« Kaum wagten die Menschen zu atmen, als QX 7 langsam auf den Türrahmen zutrat. Jetzt waren es nur noch ein paar Zentime ter – jetzt! Eine blendende Stichflamme! Genau wie schon in Detroit in der Wohnung von Hendricks be kam der Roboter einen Elektroschock, sein Gehirn wurde lahmge legt, und er war damit praktisch wertlos geworden. Hendricks wollte den Roboter zerstören, wurde aber von Ataka daran gehin dert. »Das läßt sich leichter erledigen!« Zwei schnelle Handgriffe ge nügten, und triumphierend hielt er ein kaum zwei Zentimeter lan ges Metallstück hoch. »Da hätten wir es!« »Was ist das?« Neugierig trat Wullard hinzu und griff nach dem Stückchen Metall. Ohne Widerrede wurde es ihm ausgehändigt. Leichthin und läs sig meinte Ataka: »Das ist seine Antriebsquelle. Auf der Erde dürfte es dafür keine Bezeichnung geben. Aber es hat ein Atom gewicht von 311.« Als hielte er glühendes Eisen in der Hand, ließ Wullard das Stück fallen. »Atomgewicht 311? Sie sind wahnsinnig, das anzu fassen. Wir haben alle keine Schutzkleidung an.« Er wich bis in die äußerste Ecke des Raumes zurück. Ataka hob das Ding wieder auf und steckte es achtlos in die Ta sche. »Es strahlt nur dann, wenn es mit einem anderen Element in Verbindung gebracht wird. Im Augenblick ist es völlig harm los.« Hendricks und ein Patriarch hatten inzwischen den leblosen QX 7 mit vereinten Kräften in einen anderen Raum geschleift und dort abgestellt. »Was nun?« wollte Hendricks wissen. »Sollen wir so einen nach dem anderen fangen und unschädlich machen? Ich fürchte, das würde ein paar Jahre dauern.« Zu weiteren Erörterungen kam man nicht, denn drei weitere Roboter näherten sich dem Haus. Mit mehr Mut als beim ersten mal bereitete man ihren Empfang vor. Jeder wurde in das erste Stockwerk zitiert, kam auch ahnungslos herauf und lief in die Stromfalle. Man mußte schließlich schneller und immer schneller arbeiten.
»Wieviel Roboter besitzt du eigentlich, Ataka?« fragte Inka keu chend, die gerade mitgeholfen hatte, wieder einen Roboter ins Nebenzimmer zu schaffen. »Wieviel stehen jetzt drüben?« Sie zählte an den Fingern ihrer Hände ab und meinte dann: »Elf Stück bisher.« »Dann fehlt noch einer. Zwölf waren es, die ich vor eurer Lan dung weg geschickt habe.« »Dann müssen wir den noch erwarten!« Sie warteten die ganze Nacht hindurch, aber der zwölfte Robo ter kam nicht zurück. Er hatte seinen Auftrag nicht ausgeführt! Was das bedeutete, wußten die Wartenden nur zu genau. Ataka sprach es als erster aus. »Wir haben uns vom ›Gehirn‹ täuschen lassen. Es waren nicht alles Typen QX mit einfachen Gehirnen, sondern einer, eben der zwölfte Roboter, stammte aus einer höheren Klasse. Ihn haben wir nicht hinter das Licht führen können. Er hat etwas gemerkt, und es ist sicher, daß er Alarm geschlagen hat.« Ataka schwieg einen Augenblick und trat dann auf Hendricks zu. »Noch ist es Zeit zum Fliehen. Draußen steht euer Schiff! Ich be schwöre dich, Hendricks! Kehre mit Inka und Wullard zurück zur Erde!« »Nein! Noch gebe ich nicht auf. Noch ist es ja nur eine Vermu tung, daß der zwölfte Roboter uns auf die Spur gekommen ist. Wir bleiben!«
10. Kapitel Die Nacht war einem neuen Morgen gewichen. Langsam wurde die Dunkelheit vom Schein der höhersteigenden Sonne Bell ver drängt. Aus der Dämmerung heraus schälten sich die ersten Um risse. Die mystischen Schatten des Parks bargen nichts Geheim nisvolles mehr. Die Bäume und Büsche wiegten sich im Wind, hoch oben in der Luft zogen mit schnellen Flügelschlägen große Vögel dahin. Von weither, nur als ein Dröhnen wahrnehmbar, hörte man den Lärm von ›Stadt I‹. Aber sonst herrschten Frieden und Ruhe. Gähnend strich sich Inka die Haare aus dem Gesicht, erhob sich aus dem Sessel unten in der Halle und sah auf die Uhr. Es war
kurz vor acht Uhr morgens. In ein paar Minuten würde Wullard zur Ablösung kommen. Zwei Stunden Wache hatte sie hinter sich. Man war übereinge kommen, daß ab sofort das Haus nicht mehr unbewacht sein durfte. So frühzeitig wie möglich mußte ein Angriff der Roboter erkannt werden. Man wußte zwar, daß man nicht lange standhal ten konnte, wollte die Freiheit aber doch so teuer wie möglich verkaufen. »Es ist nur gut, daß unser Leben nicht bedroht ist«, hatte Inka bei Antritt ihrer Wache scherzhaft gemeint. »Das erste Gesetz der Roboter dürfte wohl unser bester Schutz sein!« Hendricks hatte Ataka. bei diesen Worten angesehen. Beide dachten dasselbe: Töten würden die Roboter nicht! Aber ob le benslängliche Gefangenschaft nicht noch viel schlimmer war? Inka vertrat sich die Beine. Aufmerksam beobachtete sie den Weg und achtete auf jedes Geräusch. Ihr sollte nichts entgehen! Und doch entging ihr etwas! Sie sah nicht den Schatten des lautlos hinter dem Hause landenden Schiffes und hörte auch kein Geräusch, als sich drei Roboter vorsichtig ihren Weg durch ein offenes Fenster in das Haus suchten. Ohne zu zögern durchquer ten die Roboter zwei Zimmer, verharrten eine Sekunde regungs los in der Eingangshalle und stürzten sich dann mit ein paar schnellen Schritten auf Inka. Ihr leiser, überraschter Schrei wurde erstickt von einer Metall hand, die sich fast zärtlich weich auf ihren Mund legte. Sie wollte sich frei machen, sie strampelte mit den Beinen und schlug mit den Händen um sich. Dann spürte sie nur noch eine warme Welle, die ihr Gesicht um spülte. Unbewußt nahm sie den Befehl auf, sofort jede Gegen wehr zu unterlassen. Nur ganz kurz noch kam ihr mit erschre ckender Deutlichkeit zum Bewußtsein, daß das ein Befehl vom »Gehirn« sein mußte. Ein Befehl auf telepathischem Wege – ein Befehl, gegen den es keinen Widerspruch gab. Noch einmal bäumte sie sich auf, dann schwanden ihr die Sinne. Genauso leise und unauffällig wie beim Kommen, verschwanden die Roboter wieder. Wullard wachte ein paar Minuten nach acht Uhr auf. Schuld an dieser Verspätung war die automatische Uhr, die aus irgendeinem Grunde nicht wie sonst die Zeit angesagt hatte. Genau wie vorher besprochen, löste er Inka nicht sofort ab, sondern ging erst über
die Hintertreppe in den Keller und kontrollierte den Generator. Erst als er sich überzeugt hatte, daß alles betriebsbereit war, kam er wieder herauf und ging in die Halle. Er konnte Inka nicht finden. Kopfschüttelnd sah er aus der Tür, entdeckte sie aber auch draußen nicht. Sollte sie etwa doch in den Park gegangen sein? Das war doch ausgeschlossen! Ausdrücklich war vereinbart wor den, daß die Wache sich nicht aus der Halle entfernen sollte. »Inka – Inka! – Ablösung! – Wo steckst du denn?« Keine Antwort. »Inka! – Melde dich bitte! – Mach keine Scherze!« Sein Ruf hall te durch das ganze Haus und drang bis weit in den Park hinein. Aber keiner antwortete. Inka schwieg. Mit erschreckender Eindringlichkeit kam Wullard plötzlich zum Bewußtsein, was das Schweigen bedeutete! Inka war entführt worden! Mit wilder Eile stürmte er die Treppen hinauf. »Inka ist weg! – Aufstehen! – Aufwachen! – Inka ist entführt worden! Hendricks, Ataka! – Die Roboter haben Inka gefangen!« Bestürzt fuhren die Männer auf. Inka entführt worden?! Hendricks faßte sich als erster. »Los! Al le Mann durchsuchen zuerst einmal das Haus. Dann den Park. Aber vorsichtig! Es kann sein, daß Roboter in den Büschen lauern und nur darauf warten, bis wir herauskommen!« Die Männer verteilten sich und suchten. Aber alle Zimmer waren leer. Auch im Park fand man keine Spur. Oder doch? Mit ernstem Gesicht deutete Ataka auf tiefe Eindrücke im wei chen Sand hinter dem Haus. »Hier muß ein Schiff gelandet sein!« »Das hätte Inka doch gehört und Alarm gegeben«, wandte Hendricks zweifelnd ein. »Selbst die Antigrav-Schiffe brauchen immer noch eine Starthilfe mit Raketen.« »Wenn sie von einem Planeten aus starten wollen und die An ziehungskraft überwinden müssen. Aber in diesem Fall hier«, Ataka wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich kann mir gut vorstel len, daß ein Antigrav-Schiff lautlos starten kann, wenn es nur ein paar Meter hoch will. Dazu reicht die Energie aus.« »Schön, das mag möglich sein. Aber wir wollen ja keine techni schen Probleme erörtern.« Hendricks fuhr sich durch die immer noch vom Schlaf zerrauften Haare. »Inka ist spurlos verschwun den, darüber besteht kein Zweifel. Aber warum hat man uns in Ruhe gelassen? Warum hat man nicht auch uns unschädlich ge
macht?« Einer der Patriarchen kam, ohne es zu wissen, der Lösung sehr nahe, als er meinte: »Vielleicht ist es Angst vor unserer Strom sperre gewesen. Es ist doch sicher, daß der zwölfte Roboter ge nau weiß und sicher berichtet hat, was die Roboter hier im Hause erwartet.« Noch immer konnte sich Hendricks nicht damit abfinden, daß Inka in der Gewalt der Roboter war. Er dachte an die Möglichkei ten der Teleportation, mit der sich Inka aus dem sichersten Ge fängnis hätte entfernen können. Aber Ataka widersprach, als Hendricks diese Hoffnung ausdrückte. »Ich glaube kaum, daß ihr das möglich sein wird. Die Roboter kennen unsere Fähigkeiten und werden Vorsorge getroffen haben, daß eine Teleportation nicht mehr möglich ist. Es genügt ja eine Gedankensperre, und schon ist die Fähigkeit zum gedanklichen Transport verloren!« Hendricks wußte sich keinen Rat mehr und sank aufstöhnend in einen Sessel. Wullard hatte von den meisten Dingen nur eine theoretische Ahnung, und die Patriarchen sahen in dem Vorfall eine Bestätigung ihrer eigenen Meinung, daß ein Kampf und ein Widerstand gegen die Roboter sinnlos sei. Der einzige mit klarem Kopf blieb Ataka. Er überlegte alle Mög lichkeiten, die ihnen noch zur Verfügung standen. Er winkte Hendricks zu sich heran. Minutenlang flüsterten die beiden miteinander. Zuerst schüttelte Hendricks ablehnend den Kopf, schließlich aber hatte Ataka ihn wohl überzeugt, denn er nickte. »Habt ihr einen Plan?« Neugierig kam Wullard näher. Mit der Hand abwehrend, antwortete Ataka unbestimmt: »Kann sein – kann aber auch nicht sein. Es kommt auf einen Versuch an.« Nähere Einzelheiten ließ er sich nicht entlocken, und da auch Hendricks beharrlich schwieg und nur vage Andeutungen machte, gaben sich die anderen schließlich zufrieden. Ihre Neugier wurde auf eine harte Probe gestellt. Es dauerte bis zum Mittag, ehe Ataka und Hendricks wieder aus dem unterirdi schen Laboratorium auftauchten. Sie hatten die Zeit damit ver bracht, aus fingerdicken Kupferstäben einen Käfig zu bauen, der wie eine übergroße Rattenfalle aussah. Keuchend setzten die beiden das schwere Ding ab. »So, das
wäre es!« »Ein Käfig? Was wollt ihr damit? Wullard ging langsam um das Ding herum und sah fragend auf. Mit ein paar Worten erklärte Hendricks: »Wir beschaffen uns ein Lufttaxi, machen den Roboterpiloten unschädlich und befestigen den Kupferkäfig an der Unterseite der Flugmaschine. Der ganze Käfig wird unter Hochspannung gesetzt und gibt uns dadurch Schutz vor angreifenden Robotern. – Ganz einfach, nicht wahr?« »Einfach schon – aber was soll das? Ich sehe den Sinn nicht ganz ein. Wohin wollt ihr mit dem Lufttaxi?« Wirklich überrascht antwortete Ataka: »Natürlich Inka befreien! Was sonst. Wir fliegen damit zur Zentrale der Roboter und statten dem ›Gehirn‹ einen Besuch ab.« Schon eine knappe Stunde später war der Käfig an einem Luft taxi montiert. Es hatte alles ohne jeden Zwischenfall geklappt. Einer der Patriarchen hatte ein Taxi herbefohlen, der Roboter wurde außer Gefecht gesetzt und stand jetzt bewegungslos neben seinen elf Leidensgenossen. Das Lufttaxi erhob sich wenig später. Am Steuer saß Hendricks. Wullard hielt die Funkverbindung mit Ataka. Am Fernsehgerät im Haus beobachtete der Hydronier die Umgebung. »Nichts Verdächtiges zu sehen. Ihr könnt abfliegen!« »Verstanden!« Die Maschine schoß mit äußerster Kraft über die Parkbäume und gewann schnell an Höhe. Weit hinten sahen Wullard und Hend ricks ›Stadt I‹ liegen. »In etwa zwei Minuten werden wir am Ziel sein, Wullard. Ich will versuchen, direkt auf dem Dach der Zentrale der Roboter zu landen. Deine Aufgabe ist es, mir für ein paar Minuten den Rück en freizuhalten.« Wullard ahnte etwas von dem Vorhaben. »Du willst von oben eindringen und…« »Genau das! Im Schutze des Kupferkäfigs werde ich das Dach durchbrechen und dann ›Das Gehirn‹ kurzschließen.« »Achtung, Hendricks!« Ataka meldete sich. »Ihr seid bemerkt worden. Eben sind Robotermaschinen zur Verfolgung gestartet!« »Wullard, frage an, ob die Maschinen bewaffnet sind!« Die Antwort kam schnell. »Nein, es sind die üblichen Trans portmaschinen. Aber in jedem Fahrzeug sind mindestens zehn Roboter.«
»Danke, verstanden!« Im gleichen Augenblick setzte Hendricks auch schon zur Landung an und brachte das Lufttaxi genau in der Mitte des Daches zum Stehen. »So, jetzt heißt es aufpassen. Ach te darauf, daß der Generator ständig voll läuft und Spannung hält!« Gelenkig ließ sich Hendricks durch die Lücken des Käfigs glei ten, peinlich darauf achtend, ja keinen der Stäbe zu berühren. Das Dach der Zentrale der Roboter bestand aus einer glasähnli chen Masse. Einen Augenblick nur zögerte Hendricks, dann führte er mit einem Hammer einen wuchtigen Schlag. Würde das Dach nachgeben? Ein erster, feiner Riß zeigte sich. Noch einmal schlug Hendricks zu und noch einmal. Die Risse vermehrten sich, aber noch hielt das Dach. Er konnte sehen, wie neben ihm die Robotermaschinen landeten. »Paß auf! Halte die Spannung!« Hendricks schrie laut auf, ob wohl er wußte, daß Wullard ihn wegen des Lärms kaum würde verstehen können. Voller Wut und Verzweiflung schlug Hendricks wieder zu. Ein kleines Loch zeigte sich, ein winziges Loch nur, das aber der Anfang war. Eine erste Bresche war geschlagen. »Achtung, Wullard! Die Roboter greifen den Käfig an!« Wullard konnte sich die sarkastische Bemerkung »Das sehe ich selbst am besten!« nicht verkneifen. Wütend schaltete er das Funkgerät aus und widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem Generator. Hendricks hatte jetzt das Loch in der Decke so weit vergrößert, daß er seinen Kopf durchstecken konnte. Der Raum unter ihm war voller Roboter, die in dichten Reihen ›Das Gehirn‹ umstan den. Alle hatten die Köpfe nach hinten geneigt und sahen nach oben zur Decke. Es war ihm, als glotze ihn ein Ungeheuer mit tausend Augen an und als warte es nur darauf, die Fänge nach ihm auszustrecken. Am Käfig donnerten und blitzten die Kurzschlußentladungen. Wie eine Horde Fanatiker stürzten sich die Roboter auf den Käfig, bekamen einen Stromschlag, torkelten zurück und fielen um. Aber immer neue Roboter tauchten aus den Maschinen auf, grif fen an und wurden zurückgeschlagen. Rings um den Käfig türmte sich ein Wall aus Robotern auf. »Beeil dich, Hendricks, mach schnell! Ich kann nur noch kurze Zeit aushalten!«
Aber Hendricks hörte diesen Ruf nicht mehr. Und wenn er ihn gehört hätte, würde er sich nicht um ihn gekümmert haben. Er hatte Inka entdeckt. Unmittelbar vor dem »Gehirn« lag sie re gungslos auf dem Fußboden. Ihre Augen waren weit geöffnet. Aber nichts war in ihnen zu lesen. Hatte sie ihn gesehen und er kannt? »Komm zurück, Hendricks! Ich muß aufgeben!« Wullard schrie noch einmal verzweifelt. Der Wall der bewegungslosen Roboter wurde von den anderen jetzt als Treppe benutzt. Ungehindert drangen sie vor. »Ich muß starten. Ich muß…!« Verzweifelt drückte Wullard den Beschleunigungshebel nach vorn. Aber nichts geschah, das Luft taxi rührte sich nicht. Harte, rauhe Hände griffen nach ihm und zerrten ihn aus der Kanzel. Ehe er ohnmächtig wurde, sah er noch, wie Hendricks durch das Dach nach unten verschwand. * Hendricks wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte oder wie lange er ohne Besinnung gewesen war. Jedenfalls herrschte tiefe Dunkelheit, als er die Augen öffnete. Nur mühsam kehrte die Erinnerung zurück. Er mußte den Verstand verloren haben, als er Inka als Gefangene entdeckte und sich zwischen die Roboter stürzte. Inka hatte er nicht befreien können – dafür hatten die Roboter jetzt einen Gefangenen mehr. Vorsichtig tastete er seinen Körper ab. Verletzt war er anschei nend nicht. Wenigstens ein Vorteil. Seine unsichtbaren Gefäng niswärter mußten bemerkt haben, daß er erwacht war. Die Dunkelheit wich einem sanften Licht, das aus versteckten Öffnungen den Raum erhellte. Hendricks lag in einem Zimmer, dessen Ausdehnung ihn verblüffte. Mindestens 20 mal 20 Meter lange und hohe Wände umgaben ihn. Lautlos öffnete sich eine Tür und schloß sich sofort wieder hinter dem eingetretenen Roboter. Langsam trat der Maschinenmensch auf Hendricks zu und beobachtete ihn. Mit einer freundlich wir kenden Geste wies er auf das Lager, auf dem Hendricks bis eben geruht hatte. »Nehmen Sie wieder Platz, Mr. Hendricks!« Unwillkürlich wich Hendricks zurück. Gleich darauf schalt er sich
selbst einen Narren. Er hatte ja schließlich zur Genüge die oft verblüffend logische Denkweise der Roboter beobachten können und brauchte sich daher nicht zu wundern, daß ihnen auch gesell schaftliche Formen geläufig waren. »Danke, ich tue es gern.« Und gleich schloß er noch eine Frage an: »Wie lange bin ich schon in Ihrer Gewalt?« »Gewalt? – Das dürfte nicht der richtige Ausdruck sein. Betrach ten Sie sich lieber als unser Gast. Aber um auf Ihre Frage zurück zukommen. Es ist heute der vierte Tag.« Hendricks nahm sich zusammen und faßte Mut zu einer weite ren Frage. »Können Sie mir sagen, wie es der Frau geht?« Der Roboter begriff sofort. »Sie meinen Miß Inka? Selbstver ständlich kann ich das. Ich muß es sogar – dazu bin ich schließ lich hier. Miß Inka geht es gut, sie verlangt dauernd nach Ihnen.« »Darf ich sie sehen?« Hendricks sprang auf. »Bitte, warum nicht!?« Der Roboter machte eine einladende Handbewegung. »Wenn Sie mir folgen wollen.« Er ging ohne Zögern auf die Wand zu. Einen Meter davor flammte aus seiner Brust ein heller Strahl auf, traf einen verbor genen Mechanismus und öffnete dadurch die Tür. Der Roboter trat zur Seite. »Bitte, Mr. Hendricks, nach Ihnen.« Zögernd trat Hendricks durch die Tür in einen anderen Raum ein. Es war das typische Gemach einer Frau. Weiche Teppiche bedeckten den Boden, die Wände waren mit bunten Tapeten und großflächigen Bildern verkleidet. An der einen Seite stand ein kleiner Schreibtisch. Mit tief geneigtem Kopf saß Inka da und schrieb. Beim ersten Geräusch der Eintretenden fuhr ihr Kopf hoch. Ihre Augen weite ten sich ungläubig und staunend. Noch konnte sie es nicht fassen – nicht glauben – nicht begreifen. »Hendricks – Jan – du Lieber!« Achtlos fiel das Schreibgerät aus ihrer Hand. Hendricks lief, so schnell er konnte, auf sie zu. Langsam kam sie ihm entgegen. Aufschluchzend barg sie ihren Kopf an seiner Brust. Unbeteiligt stand der Roboter und sah zu. Aber die beiden Lie benden kümmerten sich nicht um den ungebetenen Gast. Sie leb ten ganz dem Augenblick und der Freude des Wiedersehens. Be wußt verzichteten sie auf die Fragen: Wie soll es weitergehen? Was wird nach dieser Sekunde kommen? Diese Sekunde gehörte ihnen. Ihnen beiden ganz allein – und
niemand sollte ihre Seligkeit stören. »Ich darf die Herrschaften darauf aufmerksam machen, daß ich in Zukunft für jede Dienstleistung zur Verfügung stehe.« Leise aber bestimmt brachte sich der Roboter wieder in Erinnerung. »Sie brauchen nur an mich zu denken, mehr nicht, nur denken, daß ich zur Verfügung stehen soll. Dann komme ich schon.« Hendricks, dem der Augenblick des Zusammenseins mit Inka neue Kräfte und neuen Mut geschenkt hatte, wendete sich brüsk um. »Denken? An wen sollen wir denken? An einen Roboter? An irgendeinen?« »Nicht an irgendeinen, Mr. Hendricks. Denken Sie einfach an den Roboter Oliver!« Stolz schien bei dieser Erklärung in der Me tallstimme mitzuschwingen. »Oliver, das bin nämlich ich!« Erst sahen sich Hendricks und Inka verblüfft an, dann brachen sie in schallendes Gelächter aus. »Teufel, Inka, die Brüder ma chen tatsächlich erhebliche Fortschritte. Sie geben sich jetzt so gar schon richtige Namen.« Er deutete eine komische Verbeu gung an. »Sehr erfreut, Oliver. Oder muß ich Mr. Oliver sagen?« »Oliver genügt, Mr. Hendricks. Nur Oliver!« Wie ein gekränkter Butler zog sich der Maschinenmensch zurück. »Sie haben uns allein gelassen, Jan.« Inka konnte es immer noch nicht begreifen. Hendricks blieb skeptisch. »Da steckt doch irgendeine Teufelei dahinter. Warum hatte man uns erst gefangen und auseinander gebracht, wenn man uns jetzt wieder zusammenließe?« In den nächsten Stunden – oder waren es nur Minuten? – spra chen die beiden jungen Menschen über tausenderlei Dinge. Sie hatten kein Zeitgefühl mehr. Und manchmal schien es ihnen, als rase die Zeit nur so dahin; dann wieder schlichen die Minuten in tödlicher Langsamkeit. Erst eine Frage Inkas brachte Hendricks wieder in die erbar mungslose Wirklichkeit zurück. »Herrgott, was ist mit Wullard passiert?« Ehe er sich selbst Rechenschaft über den Ursprung seines Ent schlusses geben konnte, dachte er angestrengt an Oliver. »He, Oliver, komm her. Ich brauche dich!« Sekunden später öffnete sich die Tür, und der auf telepathi schem Wege gerufene Roboter trat ein und blieb abwartend ste hen. Hendricks ging auf ihn zu. »Oliver, kennst du Wullard? Mei nen Freund Wullard?«
Eine Sekunde zögerte der Gefragte mit der Antwort. »Ja, Mr. Hendricks, ich kenne ihn.« »Nun, und was ist mit ihm los?« »Ich fürchte, ich werde Ihnen Kummer bereiten müssen. Wollen Sie es wirklich erfahren?« Hendricks fuhr auf. »Ist er tot? Habt ihr ihn getötet?« »Wir können nicht töten, das wissen Sie doch! Ihr Freund Wul lard fügte sich leider den Schaden selber zu. Wir wollten ihn, ge nau wie Sie und Miß Inka, in Schutz nehmen vor bösen Dingen und bösen Gedanken. Nun, und er wehrte sich. Er stieg mit einem Lufttaxi auf, und dabei…« »Raus mit der Sprache, Oliver. Was ist ihm geschehen?« »Er verlor die Herrschaft über die Maschine und stürzte ab.« Der Roboter wurde belehrend eifrig. »Warum nahm er auch kei nen Robotpiloten? Einem Robotpiloten passiert so etwas nicht. Ein Robot kann nicht abstürzen.« »Wullard ist also verletzt«, stellte Inka fest. »Ja, sehr schwer verletzt sogar. Wir haben alle Mühe, ihn wie der zu kurieren. Es ist schwer für uns, so einen Körper zu reparie ren. Wir wollten ihn schon auseinandernehmen und durch Ersatz teile ergänzen, als wir einen Notruf von Ataka auffingen. Er hatte uns an seinem Fernsehgerät beobachtet und warnte uns.« Hendricks und Inka gingen ein paar Schritte weg und flüsterten. »Das ist ja schlimmer, als ich dachte. Die Roboter entwickeln sich in einer Form, die ganz stark auf unsere eigene menschliche Le bensweise hinzielt. Wir müssen etwas tun – aber was nur?« »Zuerst einmal sollten wir Wullard wieder auf die Beine helfen, Jan. Ich glaube, daß unsere wenigen medizinischen Kenntnisse immer noch besser für ihn sind als das Ersatzteillager der Robo ter.« Aber so sehr sie auch befahlen und baten: Oliver verweigerte einen Besuch bei Wullard. Er gab die Gründe nicht an, ließ sich aber auch nicht erweichen. Er blieb bei seinem »Nein!«. Wieder waren mehrere Tage vergangen. Hendricks und Inka brauchten nichts zu entbehren. Jeder Wunsch, den sie äußerten, wurde sofort von Oliver erfüllt. Nur ihre Fragen, was mit ihnen werden würde, blieben unbeantwortet.
11. Kapitel
Die Hilfe für die Eingekerkerten kam wieder einmal von Ataka. Es mußte ihm gelungen sein, die Strahlensperre zu durchbrechen. Die Sperre, die auch jede Möglichkeit einer Teleportation aus schloß. Er selbst kam nicht, dafür aber seine Stimme. Leise zwar nur, aber doch klar und deutlich verständlich. »Ich rufe euch. Macht euch bereit zur Flucht. In der nächsten Nacht werdet ihr befreit!« Dreimal kam der Ruf, immer dringlicher, immer mahnender und suggestiver. »Das kann nur Ataka gewesen sein. Ich habe seine Stimme deutlich erkannt.« Inka pflichtete Hendricks bei. »In der nächsten Nacht will er kommen. Wann ist eigentlich Nacht? Ich weiß nicht, ob jetzt Nacht ist oder früher Morgen.« Fragen nach der Zeit waren bei Oliver auch immer ohne Ergeb nis und ohne Erfolg geblieben. Für Roboter schien es einfach kei ne Zeit, keinen Tag und keine Nacht zu geben. Sie lebten ja auch nicht nach menschlichem Rhythmus; sie hatten keine besondere Schaffens- und Arbeitsperiode, die dann von einer Zeit der Ermat tung und des Ruhebedürfnisses abgelöst wurde. »Wir müssen eben wach bleiben, Inka. Wir müssen abwech selnd wachen. Anders wird es nicht gehen.« Hendricks wollte die erste Wache übernehmen, aber Inka war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Zeit schlich nur so dahin. Bei jedem leisesten Geräusch schreckten sie hoch. Bei jedem ungewöhnlichen Fußtritt außerhalb ihres Raumes er warteten sie die Befreier. Beide hatten wohl der Anspannung der Nerven nicht mehr standhalten können und waren eingeschlafen. Sie wurden wach von einem durchdringenden Geruch. Der ganze Raum war in ein fast violettes Licht getaucht. »Was ist das, Jan? Ich habe Angst!« Inka klammerte sich fest an Hendricks. »Die Befreiung, Inka. Es kann nur unsere Befreiung sein!« In diesem Augenblick verschwand ein Teil der Wand. Sie löste sich an dieser Stelle auf und war nicht mehr da. Zwölf Roboter stampften herein, liefen stur geradeaus. Einer von ihnen schnarr te: »Jan Hendricks und Inka, bitte mitkommen. Keine Angst ha
ben! Wir sind gute Roboter von Ataka.« »Warum seid ihr gute Roboter?« »Jan Hendricks und Inka, bitte mitkommen. Keine Angst haben! Wir sind…« Dauernd wiederholte der Roboter sein Sprüchlein. Abwartend standen die anderen. Inka kam zuerst auf die Lösung. »Es sind die zwölf Roboter aus Atakas Haus. Er hat sie wieder in Bewegung gesetzt. Er muß ihre Gehirne umgebaut haben, weißt du? Sie gehorchen nur ihm und führen keine Befehle des ›Gehirns‹ aus.« Ataka mußte alles auf seinem Fernsehschirm mitverfolgt haben, denn kaum traten Hendricks und Inka auf die Roboter zu, als die sich auch schon in Bewegung setzten. Geschützt von allen Seiten verließen die beiden Flüchtenden ihr Gefängnis. Die Roboter hat ten sich ihren Weg auf die einfachste Weise gesucht. Mit einem Kraftstrahl hatten sie den molekularen Aufbau der Wände und Mauern zerstört. Den gleichen Weg ging es jetzt zurück. Hendricks sah sich draußen nach einem Flugschiff um, konnte aber keins entdecken. Statt dessen wies der Roboter zu einer einfachen auf dem Erdboden liegenden Metallplatte. »Jan Hendricks und Inka bitte auf die Antigravplatte treten. Jan Hendricks und Inka bitte auf die Antigravplatte treten. Jan Hend ricks und Inka bitte…« »Schon gut, alter Junge. Machen wir.« Die Flüchtenden und die Roboter traten auf die Platte. Leicht und lautlos hob sich das seltsame Flugschiff. Inka schwindelte es, als sie freischwebend mehr als hundert Meter hoch über die ›Stadt I‹ hinflog. Zuerst hatte es den Anschein, als führe sie der Flug zurück in Atakas Haus. Sie waren auch schon in der Nähe, als plötzlich die Antigravplatte spürbaren Auftrieb bekam und wie ein Fahrstuhl senkrecht nach oben stieg. »Schließe lieber die Augen, Inka.« Gehorsam befolgte sie Hendricks’ Rat und sah deshalb nicht, wie in mehr als tausend Meter Höhe die Scheibe in eine dicke Dunstwolke eintauchte. »Künstlicher Nebel«, murmelte Hendricks vor sich hin. Er hatte recht, denn schon kurze Zeit nach dem Eintauchen in die Dunkel heit der Wolke verlangsamte die Antigravplatte ihre Geschwindig keit und blieb schließlich bewegungslos in der Schwebe.
Direkt über Hendricks öffnete sich eine Luke. Heller Lichtschein fiel heraus. »Unsere ›Nova II‹. Mach die Augen auf, Inka. Wir sind bei unse rem Schiff!« Hilfreiche Hände zogen Hendricks und die Frau in das Innere der »Nova II«. Dann folgten die Roboter nach. Zuerst einmal mußten die beiden Geretteten erzählen. Dann wollte Ataka Näheres über »Das Gehirn« wissen. Besonders inter essierte ihn, zu welchen Zeiten die Denkmaschine ihre Befehle an die Roboter gab. »Keine Ahnung, Ataka. Wir saßen wie Vögel in einem Käfig. Noch nicht einmal die geringste Kleinigkeit konnten wir herausfin den.« Bedauernd mußte Hendricks diesen Bescheid geben. »Aber warum ist das so wichtig? Viel wichtiger wäre doch, daß auch Wullard endlich befreit würde. Er braucht unbedingt medizi nische Hilfe. Er ist schwer verletzt und muß…« »Ich weiß, Hendricks. Aber keine Sorge. Wullard wurde bereits vorher befreit. Er ist schon eine Stunde hier an Bord.« »Wie geht es ihm? Wird er durchkommen?« »Kaum, Hendricks. Und wenn er mit dem Leben davonkommen sollte, wird er für alle Zeiten geistesgestört sein. Seine Schädel verletzungen waren so schwer, daß nur sofortige Operation helfen konnte. Und das Ergebnis dieser Operation…« Er brach ab und winkte Hendricks dicht zu sich heran und sprach nur flüsternd weiter: »Das Ergebnis ist mehr als traurig. Wullard hat sein Erin nerungsvermögen verloren. Seine ganzen geistigen Fähigkeiten sind dahin. Er hat jetzt das Gehirn eines dreijährigen Kindes!« Erschüttert wandte Hendricks sich ab. Aber nur für einen Au genblick übermannte ihn die Niedergeschlagenheit. Dann hatte er sich wieder gefaßt. »Ich will ihn sehen! Kann ich mit ihm spre chen?« Zweifelnd schüttelte Ataka den Kopf. »Wir können es immerhin einmal versuchen. Du bist schließlich sein Freund gewesen und stehst ihm näher als wir. Vielleicht weckt dein Anblick bei ihm den Funken der Erinnerung.« Der Krankenraum war bis auf eine matte Lichtquelle verdunkelt. In einem breiten Bett lag Wullard. Sein Kopf wurde zu mehr als der Hälfte von einem Verband verhüllt. Er spielte mit seinen Fin gern, verknotete sie und löste sie wieder voneinander. Er streckte seine Hände nach oben, hielt sie vor die Augen und lachte dabei.
Vergnügt strampelte er unter der Bettdecke mit den Beinen. Hier lag tatsächlich ein Kind. Ein Kind im Körper eines erwach senen Mannes. Hendricks schämte sich nicht seiner Tränen, als er näher an das Bett herantrat. »Wullard, alter Junge!« Mit Gewalt zwang Hendricks Fröhlichkeit in seine Stimme. »Dich hat’s aber erwischt! Nun – das wird wie der in Ordnung gehen. Laß uns nur erst wieder auf der Erde sein.« Wullard sah ihn an, seine Augen hielt er direkt auf Hendricks gerichtet. Aber keine Spur des Erkennens war in den Augen zu lesen, nicht die leiseste Erinnerung. Wullard verlor schon wieder das Interesse. Sprunghaft wandte er sich anderen Dingen zu: seinen Fingern. »Nun laß das einmal sein! Hör mich an!« Erschrocken fuhr Wullard zurück. Angst stand in seinen Augen. Die Angst eines gescholtenen Kindes. Systematisch ging Hendricks jetzt vor. »Wie heißt du? Hast du überhaupt einen Namen?« Begeistert nickte der Kranke. »Wullard heiße ich. Ja, Wullard. Ich wohne in Detroit. Und ich bin…« Er suchte nach dem passen den Ausdruck und fand ihn auch. »Ich bin Direktor der Detroiter Flugzeugwerke!« Als er das sagte, wechselte plötzlich sein Gesichtsausdruck. Für eine Sekunde verschwand die Maske des Kindes und machte dem gewohnten Gesicht Platz. Er war wieder Direktor Wullard! Erfreut wollte Hendricks aufschreien. Aber schon wieder vergaß der Patient alles. Nur für Sekunden war sein wirkliches Ich zu rückgekehrt. »Weiter, Hendricks. Sie sind auf dem richtigen Wege. Erinnern Sie ihn an die Vergangenheit. Wir wollen dabei helfen!« Ein Patriarch war hereingetreten und hatte Hendricks’ Versuche beobachtet. Ihm schien eine Idee gekommen zu sein, denn er richtete einen Verstärkerstrahl genau auf das Zentrum der Schä deldecke. »Ich projiziere ihm Bilder von Detroit ins Gehirn. Wenn er nicht nur akustisch, sondern auch optisch in die Vergangenheit gerufen wird, kann er sich vielleicht besser erinnern!« Der Strahl rief eine seltsame Veränderung bei Wullard hervor. Das nervöse Zucken seiner Glieder hörte auf, der kindliche Zug im Gesicht verschwand völlig. Er wollte sich aufrichten, wurde
aber von Hendricks weich in die Kissen zurückgedrängt. »Weißt du, wer ich bin?« »Dumme Frage, warum nicht?« Wullard sah von einem zum an deren. »Ich habe anscheinend ganz schön einen mitbekommen. Mein Schädel schmerzt zum Zerspringen.« »Kannst du dich an die Dinge erinnern, die zurückliegen?« »Was stellst du nur für dumme Fragen, Jan. Natürlich kann ich das, aber ich will nicht! Ich bin froh, daß das vorbei ist. Wenn ich an die Roboterbande denke!« Er schüttelte sich in komischem Entsetzen, faßte sich aber gleich wieder an den Kopf. »Schütteln verträgt mein Schädel noch nicht.« »Dann ruhe dich bitte erst etwas aus. Schlafe ein paar Stun den.« Hendricks hörte nicht auf den Protest und verließ mit Ataka und dem Patriarchen den Raum. Den Verstärkerstrahl ließen sie ein geschaltet. Sie achteten genau darauf, daß sie von Wullard nicht gehört werden konnten. »Sie meinen, daß Wullard nie wieder normal wird?« Zustimmend nickte der Patriarch. »Ich habe den Verstärker strahl schon auf äußerste Leistung stellen müssen, um überhaupt einen Erfolg zu erreichen. Wullards Gehirn ist völlig umnachtet.« Inka bemerkte die Müdigkeit und Abspannung von Hendricks und sorgte für Ruhe. »Laßt Jan erst einmal ein paar Stunden schlafen!« Dankbar zog Hendricks die geliebte Frau an sich. »Das war der beste Gedanke. Habt ihr irgendwo eine ruhige Ecke für mich?« Ein paar Minuten später schlief er schon. Die »Nova II« umkreiste indessen stetig und in vorgeschriebe ner Kreisbahn den Planeten Hydro. Und wer von hier oben die sonnenbeschienene Heimat der lieben Freunde wie Ataka, Noga und der Patriarchen sah, der hätte sich gewünscht, auf diesem heimeligen Fleckchen Erde sein Leben verbringen zu können. Man durfte nur nicht näher hinsehen, man durfte sich nicht um die Angelegenheiten kümmern, die einen nichts angingen. Hydro war eine Maschinenwelt, auf der Menschen nichts mehr zu suchen hatten! *
Ein neuer Tag brach an. Noch immer schwebte die »Nova II« in der Kreisbahn. Hendricks war nach dem Schlaf erfrischt aufge wacht. Sein erster Weg führte ihn nach einem kurzen Imbiß in die Krankenstube zu Wullard. Der Patient lag mit offenen, wachen Augen da und grinste ver gnügt. Hendricks sah mit einem Blick, daß der Verstärkerstrahl noch immer auf die Schädeldecke gerichtet war. »Nun, wie geht’s, alter Junge?« Betont optimistisch trat er an das Bett und schüttelte Wullard die Hände. Das Lachen erstarb etwas. »Setz dich hin, Hendricks. Ich glau be, wir haben uns einige Zeit zu unterhalten.« Er bemerkte Hend ricks’ abwehrende Handbewegung und fuhr deshalb schnell fort: »Doch, doch! Wir müssen uns unterhalten. Sehr ernsthaft sogar.« Und nach einer kleinen Pause fragte er abrupt: »Ich bin also nicht mehr zu retten?« Hendricks fuhr auf. »Wie kommst du zu dieser Frage?« Wullard deutete auf das Projektionsgerät. »Ich bin doch nicht dämlich – jedenfalls so lange nicht, wie dieser komische Strahl auf meinen Schädel gerichtet ist.« »Du hast es also herausgefunden? – Wann – und wie?« »Gleich nachdem ihr alle gegangen wart. Der Strahl folgte zwar meinen Bewegungen automatisch. Auch wenn ich aufstand.« »Bist du aufgestanden? Deine Verletzungen…« »Nun laß mich bitte erst einmal ausreden. Meine Verletzungen spielen keine Rolle. Ich merkte also…« Sehr ruhig und ganz sachlich, so, als ginge es ihn persönlich gar nichts an und als müßte er die Erlebnisse einer ihm völlig fremden Person schildern, berichtete Wullard. Ihm waren der Strahl und das Projektionsgerät aufgefallen. Aufgefallen war ihm auch das seltsame Verhalten von Hendricks und die Fragen nach seinem Erinnerungsvermögen. »Und da habe ich eben einen kleinen Versuch gemacht. Schließ lich verstehe ich genug von Elektrotechnik, um einen Zeitschalter einzubauen. Es klappte tadellos! Der Zeitschalter unterbrach den Verstärkerstrahl – und ich wurde ein albernes Kind – der Strahl wurde wieder eingeschaltet – und da bin ich wieder. Der alte Wul lard. So, das wäre es also.« Er zog Hendricks ganz dicht zu sich heran und faßte nach dessen Hand. »Erfülle mir eine Bitte. Um unserer Freundschaft willen. Ich bin ohne den Strahl unrettbar verloren?!«
Hendricks drehte und wendete sich. Er wollte die Wahrheit nicht sagen, aber auch dem Freund nicht die letzte Hoffnung nehmen. Aber Wullard merkte es sehr wohl. »Gut, Junge, du brauchst es nicht mehr zu sagen. Ich sehe es dir an. – Also keinerlei Hoff nung!« Verzweifelt zuckte Hendricks mit den Schultern. Wullard wechselte sprunghaft das Thema. »Übrigens, die Idee mit den umgebauten Robotern läßt mir keine Ruhe. Weißt du et was darüber, ob das ›Umdrehen‹ große Schwierigkeiten gemacht hat?« Hendricks wußte es, denn Ataka hatte diesbezügliche Fragen gern beantwortet. Es war eine Kleinigkeit bei außer Betrieb ge setzten Robotern. Wenn ein Roboter vom »Gehirn« keine Befehls impulse bekam und deshalb auch Eingriffe in sein Gehirn nicht ablehnte, war es nur eine Arbeit von Sekunden Dauer. Es brauch ten lediglich ein paar Relaiseinstellungen verändert zu werden. Die Zentrale der Roboter konnte dann keine Befehle mehr geben. Aufmerksam verfolgte Wullard diese Erklärungen. Verstehend nickte er. »Mir ist da nämlich eine Idee gekommen.« »Um Himmels willen. Wir haben jetzt erst einmal genug von Ideen. Denk vor allen Dingen an dich.« Doch Wullard wehrte ärgerlich ab. »Ich unterstelle, daß bisher alle unsere Pläne fehlgeschlagen sind. Einschließlich deines ersten Angriffs auf ›Das Gehirn‹. Daraus läßt sich folgern, daß die Ma schinenmenschen nur durch grobe Gewalt vernichtet werden können.« »Grobe Gewalt? Du weißt selbst, daß wir beide grobe Gewalt vorhatten und auch dabei den kürzeren zogen!« »Wir beide, ja. Wenn jetzt aber grobe Gewalt von Robotern an gewendet wird? Was dann?« »Du denkst an die zwölf von Ataka?« Hendricks dachte nach und nickte beifällig. »Schon möglich, daß es geht. Vielleicht zu Anfang. Aber wenn ›Das Gehirn‹ erst einmal gemerkt hat, daß einige Roboter abtrünnig geworden sind, wird es sehr schnell Ge genmaßnahmen ergreifen. Und was sind schon zwölf Roboter auf unserer Seite gegen die zigtausend in der Stadt!« »Genau das habe ich mir auch überlegt. Zwölf sind zu wenig. Hundert wären besser. Tausend noch schöner – zehntausend Ro boter auf unserer Seite wären der Sieg. Zehntausend Roboter sind eine Streitmacht, die ohne Erbarmen alles niederwalzt, was
sich ihr in den Weg stellt.« »Zehntausend Roboter – woher sollen wir die nehmen?« Das war alles, was Hendricks zu diesem Vorschlag zu sagen hatte. Wullard wurde eifrig und verteidigte seine Überlegungen. »Es gibt doch da die große Halle. Ataka hat sie uns auf dem Fernseh bildschirm gezeigt.« »Die Halle hinter der Fabrik, in der sich die Roboter selbst hers tellen?« »Ja die, Hendricks. Wenn ich mich recht erinnere«, er lächelte bei dieser Redewendung etwas schmerzhaft, »wurden die neuen Maschinenmenschen leblos hier aufgestellt. Und immer nach einer bestimmten Zeit…« »Es war genau immer eine Stunde Zwischenraum, jetzt erinnere ich mich auch wieder.« »Siehst du, und also immer nach einer Stunde bekamen die Ro boter den ersten Impulsstrahl und erwachten.« Wullard lächelte etwas verkniffen. »Gib mir eine Zigarette, Junge!« »Du weißt doch, daß Ataka ausdrücklich das Rauchen untersagt hat, weil…« »Ich weiß. Aber nun gib schon.« Hendricks wußte, daß die Zigarette seinem Freund schaden würde. Gleichzeitig aber dachte er an dessen zukünftiges Leben. Mit einem verlegenen Lächeln streckte er ihm das gefüllte Etui hin und gab ihm Feuer. »Ich kenne deine Überlegungen und weiß, warum du mir die Zi garette gegeben hast. Aber beruhige dich; ich hätte genauso ge handelt.« Er machte ein paar tiefe Züge und stieß den Rauch ge nießerisch durch die Nasenlöcher aus. Dann kam er auf das The ma zurück. »Also in dieser einen Stunde besteht die Möglichkeit, ohne Gefahr an die Roboter heranzukommen und sie umzustel len. Sechzig Minuten bleiben, um ein paar hundert von ihnen für uns einzuspannen. Diese ersten werden genug Schutz geben, um auch die nächsten zu bearbeiten. Ich denke, daß in ein paar Stunden eine genügend große Streitmacht für uns auf die Beine gestellt werden kann.« Hendricks mußte diesen Gedankengängen beipflichten. Es gab praktisch keine Lücke. Auch auf die Frage, wer den Gang in die Höhle des Löwen wagen sollte und die ersten Roboter umschalten würde, wußte Wullard eine Antwort. »Natürlich die zwölf Burschen, die wir hier haben. Sie bekom
men von Ataka genau spezifizierte Befehle. Am Fernsehschirm können wir sie ja verfolgen und nach Bedarf die Befehle abän dern.« Ataka, die Patriarchen und auch Inka waren hellauf begeistert von diesen Vorschlägen. Hendricks hatte sie kurz informiert, und Wullard hatte gern noch einmal seine Gedankengänge entwickelt. »Unsere Roboter können das sicher«, meinte Ataka. »Außerdem haben sie den Vorteil, daß sie sich unter ihresgleichen aufhalten und wohl kaum schnell erkannt werden. Machen wir uns also an die Arbeit!« Genau bekam jeder der zwölf Roboter seinen Auftrag. Jeder wiederholte ihn leiernd. Bevor Hendricks die »Nova II« landete, wurde er noch einmal von Ataka beiseite gezogen. »Weißt du, daß wir etwas vorhaben, was es seit Jahrtausenden auf Hydro nicht mehr gegeben hat?« Hendricks begriff sofort und nickte ernst. »Ja, Ataka! Es gibt Krieg! Krieg, bei dem es grausam zugehen wird.« Er brachte die »Nova II« in Landeposition. Dann wandte er sich noch einmal Ataka zu. »Wir entfesseln den Krieg der Roboter!«
12. Kapitel Fieberhaft gespannt verfolgten alle an Bord der »Nova II« den Marsch der zwölf Roboter durch die Stadt. Aus Gründen der Si cherheit hatte Ataka ihnen drei verschiedene Wege angegeben, so daß immer nur vier zusammen gingen. Vier Roboter fielen we niger auf als zwölf. Alle paar Sekunden wechselte Ataka die Einstellung der Fern sehscheibe, so daß sie alle drei Marschgruppen unter Kontrolle behielten. »Noch etwa drei Minuten Weg haben sie bis zum Ziel!« Einer der Patriarchen flüsterte es. Ataka nickte. Feine Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Auf der Fernsehscheibe zeigte sich jetzt das Eingangstor zur großen Halle. Da tauchte auch schon die erste Gruppe auf. Und da die zweite! Aber wo war die dritte Gruppe? Wo waren die vier anderen Roboter geblieben? Ataka schwenkte das Bild zurück und verfolgte den Weg. Die Sorge war grundlos gewesen. Die letzten vier Roboter hatten le
diglich einer langen Kolonne ausweichen müssen, die gerade an der anderen Seite die Halle verließ. »Der Zeitpunkt ist günstig. Die Halle ist jetzt leer, und wir ha ben eine ganze Stunde Zeit. Los, Ataka! Schick die Burschen hi nein!« Es bedurfte gar nicht der Aufforderung. Die drei Gruppen hatten sich jetzt vereinigt und strebten auf das Tor zu. Dicht hinterei nander gingen die Maschinenmenschen stur auf ihr Ziel los. Sie hatten einen Befehl und wollten ihn ausführen. Der erste berührte das Tor. »Da, die Tür ist gesichert. Vermutlich eine Strahlensperre!« Hendricks schrie es, als er den taumelnden Roboter sah, der sich nur noch mühsam aufrecht hielt und dann umstürzte. Auch dem zweiten Roboter ging es nicht besser. Sekunden später war auch er nur noch ein wertloser Schrotthaufen. Auch Ataka hatte die Situation erfaßt und gab den Robotern Gegenbefehle. Aber auch noch ein dritter Roboter wurde ein Op fer der Sperre, ehe die anderen dem neuen Befehl gehorchten und sich zurückzogen. »Nur noch neun Roboter. Was tun wir jetzt?« Resigniert zog Ataka die übriggebliebenen noch weiter zurück. »Wir müssen untersuchen, um was für eine Art Sperre es sich handelt.« »Gut gesagt, Hendricks. Aber wie? Es wird eine Strahlensperre sein, die auf Roboter anspricht. Vielleicht auf ihr Metall, vielleicht auf ihre Antriebskraft. Was weiß ich?« Ataka, Hendricks und die Patriarchen waren bald in eine Diskus sion vertieft und achteten nicht mehr auf ihre Umgebung. Es fiel ihnen auch nicht auf, daß Inka den Kommandoraum der »No va II« verließ. Erst als sie zurückkehrte und rief: »Wullard ist weg. Verschwunden! Die Krankenstube ist leer!« fuhren sie auf. Schnell stellte man fest, daß Wullard tatsächlich das Schiff ver lassen hatte. Heimlich hatte er eine Antigravplatte bestiegen. Auch das Projektionsgerät war verschwunden. »Wenigstens kann er vernünftig denken. Obwohl seine Hand lungsweise alles andere als vernünftig ist!« Ataka sah zufällig wieder auf die Fernsehscheibe. »Da ist er. Er landet gerade!«
Deutlich konnte man die langsam niederschwebende Antigrav scheibe entdecken. Seelenruhig kauerte Wullard darauf. Vorsich tig änderte er jetzt die Richtung des Verstärkerstrahls. »Er richtet ihn auf das Tor! Aber was war das? Der Strahl hat keinerlei Wirkung!« Verzweifelt rang Ataka die Hände. Nein, Wirkung hatte der Strahl nicht. Aber er ermöglichte es, daß Wullard bei völlig klarem Verstand auf das gesicherte Tor zugehen konnte. Jetzt stand er davor. Alle in der »Nova II« hat ten den Eindruck, als winke Wullard noch einmal, als lächele er ermutigend. Dann sahen sie nur noch seinen Rücken. Zwei schnelle Schritte brachten ihn mitten in die Strahlenbahn! Grelles Licht flammte auf, als die Strahlen seinen Körper trafen. »Er hat sich umgebracht! Warum nur?« »Um den Weg frei zu machen, Ataka! Die Strahlensperre ist jetzt unterbrochen! Schicke die Roboter los! Schnell, beeile dich! Oder soll sein Tod nutzlos gewesen sein? Soll er sich sinnlos geopfert haben?« Ataka hatte begriffen und gab den wartenden Robotern einen neuen Befehl. Sie setzten sich wieder in Marsch, erreichten die Strahlensperre am Tor – und schritten ungehindert hindurch. Aufzischend verglomm der Körper Wullards zu einem Nichts. »Das hat er uns hinterlassen.« Inka legte schweigend einen Brief in Hendricks’ Hände. Dann schlug sie aufschluchzend die Hände vor die Augen. »Ihr Lieben! Um über Sinn und Zweck des Lebens zu streiten und zu debat tieren, dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Auch ich selbst habe kaum darüber nachgedacht. Ich weiß nur eins: Der Mensch, mag er nun als Heimat die Erde im System Sol oder den Planeten Hydro unter der Sonne Bell haben, muß ewig und immer Mensch bleiben. Niemals darf die Maschine Herr der Menschen werden. Niemals darf menschlicher Geist vom Elektronengehirn unterjocht werden. Für dieses Ziel ist kein Opfer zu groß. Also auch meins nicht! Außerdem, ich bin ja kein Held, der mit fliegenden Fahnen un tergeht, weiß ich doch ganz genau, daß nur ein Kranker das tun kann, was ich gleich tun werde. Kranke gibt es schon genug – warum also noch einen mehr mit zurück auf die Erde nehmen? Übrigens, Hendricks, alter Junge, die Prozentzahlen von der
Chance des Zurückkommens waren noch zu hoch. Ansonsten aber…« Da brach der Brief ab. Wullard hatte wohl gemerkt, daß es al lerhöchste Zeit für ihn wurde. Als Hendricks das Schreiben aus der Hand legte, war es naß von seinen Tränen. * Nur schwer fanden die Menschen im Kommandoraum wieder zu rück in die Wirklichkeit. Das Bild der Fernsehscheibe zeigte die neun Roboter, wie sie schematisch und ohne gestört zu werden ihr Werk vollendeten. Jeder neu aus der Fabrik gelieferte Roboter wurde umgestellt. Es war nur ein kleiner, dafür aber um so schwerwiegenderer Eingriff in die Schaltung des Gehirns. Jeder Roboter wurde zu einer Kriegsmaschine gemacht. Wurde ausgerichtet auf Zerstörung und noch einmal Zerstörung. Genau mit dem nächsten Glockenschlag, wenn der erste Impuls vom ›Gehirn‹ kam, würde sich die ungeheure Maschinerie in Bewe gung setzen. Mehrere hundert waren es nun schon, die auf das Zeichen war teten; die zerstören wollten, was Hydros Menschen in Jahrtau senden ersonnen und erschaffen hatten. Zitternd und bebend beobachteten die Patriarchen das Werk der Roboter. Inka hielt Hendricks fest umklammert und schluchzte leise. Ataka glich jetzt einem Feldherrn, der seine Truppen auf den Kampf vorbereitet. »Noch zwei Minuten!« Er deutete auf die Uhr. »Was werden die ›umgedrehten‹ Roboter eigentlich tun?« wag te Hendricks noch eine Frage. Nur ein Achselzucken war die Antwort. Und dann: »Sie sehen in jedem anderen Roboter einen Gegner, der zerstört werden muß. Mehr weiß ich auch nicht.« Nur noch wenige Sekunden waren es jetzt noch bis zum Glo ckenschlag, bis zu dem erwarteten Augenblick, da der erste Im puls vom »Gehirn« die Roboter in Bewegung setzen würde. »Jetzt! Es geht los! Der erste Impuls ist da!« Niemand kümmer te sich darum, wer das geschrien hatte. Alle starrten wie gebannt auf die Fernsehscheibe.
Das schon einmal beobachtete Zittern lief durch die Roboter, ei ne Sekunde lang standen sie noch still – dann stürmten sie los. Wie eine Horde urweltlicher Ungetüme stampften sie voran, zer malmten und rissen nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Es gab keine Hindernisse für sie. Die scheinbar für die Ewigkeit gebauten Mauern der riesigen Halle begannen unter dem Ansturm der Metallleiber zu wanken. Staub, Dreck und Qualm wallten auf und trübten für einen Au genblick die Sicht. Als das Bild wieder klar wurde, war die Halle verschwunden. Nur fein zermahlener Staub erinnerte daran, daß hier einmal ein gro ßer Bau gestanden hatte. Auf den Straßen der Stadt waren einige Roboter stehengeblie ben; es waren Typen der intelligenteren Klasse, die das Ausmaß der Katastrophe erkennen konnten. Andere wieder gingen weiter ihrer Beschäftigung nach und führten die ihnen gegebenen Auf träge aus. Sie alle wurden schnelle Opfer von Atakas Armada. Sie alle kamen nicht mehr zu einer Gegenwehr. Sie wurden überrannt und in Sekunden buchstäblich in Stücke gerissen. Metalltrümmer lagen auf den Straßen, Öllachen breiteten sich aus, Kurzschlußfunken zitterten durch die Luft. Und das alles wurde begleitet von einem infernalischen Lärm, vom kreischen den Reißen des Metalls und berstenden Dröhnen zusammenbre chender Mauern. »Jetzt wird es ernst. ›Das Gehirn‹ ist aufmerksam geworden und organisiert die Abwehr!« Ataka hatte auf der Fernsehscheibe weit hinten am Horizont Formationen marschierender Roboter bemerkt. Und er sah noch etwas. »Sie sind bewaffnet!« Bestimmt schaltete sich ein Patriarch ein. »Das ist unmöglich! Niemals haben Roboter Waffen tragen dürfen.« Mit einem mitleidigen Blick wies Ataka auf die Fernsehscheibe. »Die Tatsachen belehren uns anders. Diese Roboter haben Waf fen! Und zwar unsere eigenen.« »Tatsächlich. Sie haben Kupferstäbe. Sie wollen unsere Roboter mit Hochspannung lähmen!« Hendricks überlegte fieberhaft. Die Bewaffnung der gegneri schen Roboter hatte eine ganz andere Situation geschaffen. »Es bleibt nur ein einziger Ausweg: Wir müssen auch Waffen haben!« »Dann aber schnell, Hendricks. Die beiden Streitkräfte dürften
in wenigen Minuten zusammentreffen.« Ataka gab seinen Robo tern den Befehl, vorerst einmal auszuweichen. Prompt wurde die Anordnung ausgeführt. Die eben noch wild durch die Straßen tobenden Roboter wurden plötzlich gesittet und ruhig. Langsam zogen sie sich zurück und sammelten sich. Bisher waren erst einige der Maschinenmenschen ausgefallen. Sie hatten bei ihren Angriffen bisher immer die Überraschung auf ihrer Seite gehabt. Bisher! Denn jetzt wurde es anders! »Das Gehirn« holte zum Gegenschlag aus! Es mußte genau wis sen, daß Atakas Roboter keine Waffen trugen. Ohne Rücksicht ließ ›das Gehirn‹ seine eigene Streitkraft auf den Sammelplatz zu marschieren. Auch für diese Streitkräfte gab es kein Hindernis. Häuser sanken plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, in sich zu sammen. In den Straßen taten sich Abgründe auf. »Es setzt auch Flugmaschinen ein! Ataka, achte auf den Him mel. Über unseren Robotern hängen Lufttaxis!« Ataka gab neue Befehle und ließ die Roboter sich zerstreuen. Er verteilte seine Macht auf mehrere Straßen und versuchte, dem Hauptansturm aus dem Wege zu gehen. Zwischendurch fragte er schrill und aufgeregt: »Hendricks, welche Möglichkeiten haben wir für eine Bewaffnung?« »Eine Bewaffnung ist nicht mehr nötig!« Aus den Lufttaxis waren plötzlich kupferne Leitungen rings um mehrere von Atakas Robotern gefallen. Blitzschnell zogen sich die Leitungen wie Schlingen zusammen, und wo sie einen Roboter berührten… »Sie bringen unsere Roboter um!« Blitze flammten auf. Kurzschlüsse im Gehirn lähmten die Robo ter. Starr und steif blieben sie stehen. Der Rest des Zerstörungs werkes war nur eine Arbeit von Sekunden. In zigtausend Einzel teile zerfetzt, blieben Atakas Roboter liegen. Inka hatte schweigend das Zerstörungswerk mit angesehen. Eben noch war sie erschüttert Zeuge gewesen, wie auch dieser Plan, der so vielversprechend begonnen hatte, an der Macht des ›Gehirns‹ scheiterte. Doch jetzt ging eine Veränderung mit ihr vor. Sie wuchs über sich hinaus. Klar und hell, bestimmt und zwingend klang ihre Stimme. »›Das Gehirn‹ darf nicht siegen. Diese Notwendigkeit fordert von uns den Einsatz des letzter Mittels!«
»Nein, Inka. Das dürfen wir nicht Das darf nicht sein!« Ataka wehrte sich gegen den ungeheuerlichen Vorschlag. Hendricks sah verständnislos der Szene zu. Inka trat auf Ataka zu und blickte ihm fest in die Augen. »Dein Leben ist verwirkt, das weißt du! – Die Zeit Hydros ist vorbei – das weiß du auch!« Ataka nickte nur. Inka fuhr fort: »Sollen unser Pläne zum ewigen Schrecken der Völker im All werden? Soll von unserer Heimat aus ein Krieg an gefacht werden, dem denkende Menschen zum Opfer fallen? Sol len Roboter die Herren der Galaxis werden? – Ich kann diese Ver antwortung nicht auf mich nehmen. Niemand kann diese Verant wortung tragen. Auch du nicht, Ataka!« »Auch ich nicht!« Einen Augenblick zögerte er noch, dann hatte er sich zu einem Entschluß durchgerungen. Noch einmal gab er den verbliebenen wenigen Robotern einen Befehl. Dann winkte er alle Anwesenden an die Fernsehscheibe. »Seht euch noch einmal die Welt Hydro an. Meine Heimat! Ihr Schicksal hat sich unabwendbar erfüllt!« »Was willst du tun?« Hendricks stellte die bange Frage. »Das einfachste – aber auch furchtbarste. Ich werde einen gan zen Planeten austilgen. Meine Roboter haben den Befehl bekom men, die Grundenergie Hydros auszulöschen. Alle unsere Maschi nen, alle Roboter, ja auch ›Das Gehirn‹ leben von der Grundener gie.« Hendricks verstand ihn. »Gesteuerter Atomzerfall!« Langsam nickte Ataka. »Richtig. Und jetzt wird die Sperre auf gehoben. Es gibt keine Kontrolle mehr. – Nur noch eine riesige Kettenreaktion, die alles verschlingen wird.« Die Roboter konnte man schon nicht mehr sehen. Sie waren auf dem Weg zu dem unterirdischen Atommeiler in ›Stadt I‹. Ataka sah auf die Uhr. »Jetzt werden sie unten in der Anlage sein und die Kettenreaktion auslösen! Es wird Zeit für uns, wenn wir dem Inferno lebend entkommen wollen!« * Drei Tage war die »Nova II« nun schon auf dem Rückflug. Am ersten Tage hatte die Fernsehscheibe ein kaum verändertes Bild von Hydro gezeigt. Nur dort, wo ›Stadt I‹ lag, war ein dunkelrot leuchtender Schimmer aufgetaucht, der später dann in helles,
blendendes Rot überging. Der zweite Tag machte das ganze Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Vom Herd des Atomzerfalls aus breitete sich der Brand über den ganzen Planeten aus. »Himmel, eine ganze Welt steht in Flammen und kommt darin um.« Bestürzt stand Hendricks am Bildschirm. Noch immer rie sengroß schwebte der Planet im Raum. Eine ungeheure Hitze mußte von ihm ausgehen, denn der Bildübertragungsstrahl wurde ständig gestört von Schlieren und Glutausbrüchen. Heute, am dritten Tag, war Hydro zu einer blendenden Kugel geworden. Nur noch mit durch dunkle Gläser geschützten Augen konnte man das Ende dieser Welt beobachten. Hendricks und Inka saßen dicht zusammengedrängt in einem Sessel und starrten auf die Fernsehscheibe. Ihre Augen sahen Bilder, wie sie Menschen noch nie vor ihnen gesehen hatten. Wa bernde Lohe flammte von der Kugel auf, die einst der Planet Hyd ro gewesen war. Die Flammenzungen mußten Millionen Kilometer lang sein. Gewaltige Eruptionen schleuderten Gesteinsmassen in die Luft und erschütterten Hydro bis in das tiefste Innere. Alles, was Hydro an ihrem Platz im All gehalten hatte, war durcheinandergebracht. Man konnte genau erkennen, wie die Rotation schwankte. Wie sich einmal die Welt wie wild drehte, dann wieder langsamer wurde und schließlich sogar ganz still stand. Dann veränderte sie ihren Abstand zur Sonne Bell. Wieder waren zwei Tage vergangen. Aus Gründen der Sicherheit hatte Ataka die »Nova II« noch weiter in Richtung Pararaum flie gen lassen. Es war genau 11.24 Uhr irdischer Zeit. Das Schiff wurde von einem Wirbel erfaßt. Die automatische Steuerung versagte. Das Licht erlosch, der Ultraimpulsantrieb erstarb wimmernd. Die »Nova II« wurde von einer ungeheuren Druckwelle erfaßt. Die Geschwindigkeit des kosmischen Sturms ließ sich nicht mehr messen. Das Metall der Außenwände erhitzte sich immer mehr. Keiner hatte Zeit, sich um den anderen zu kümmern. Jeder war vollauf damit beschäftigt, sein eigenes, kümmerliches Leben zu retten. Hendricks und Inka hatten Glück gehabt. Sie hatten in den Sesseln vor der Fernsehscheibe gesessen, und die weichen Ses selpolster fingen den ersten harten Stoß auf. Ehe die Stromversorgung ausfiel, sahen sie beide es noch: Hyd ro war auseinandergeflogen. Wie ein platzender Fußball, dem die
Luft entwich, war eine ganze Welt untergegangen. Hydro existier te nicht mehr! Eine ganze Welt hatte aufgehört zu bestehen! Das war das letzte, was sie sahen. Ein neuerlicher Stoß schleu derte die beiden zu Boden. Eine Welle heißen Schmerzes durch flutete sie und ließ Inka gepeinigt aufschreien. Dann erlöste beide eine Ohnmacht. * Die Katastrophe in der »Nova II« war nicht mehr aufzuhalten. Kein Fünkchen Leben regte sich mehr. Das Schiff glich einem Me tallsarg, dazu bestimmt, irgendwann einmal die Bahn eines Plane ten zu kreuzen, in die Anziehungskraft zu geraten und dann schneller und immer schneller darauf zuzustürzen. Es würde zer schellen – und niemals mehr würde Kunde vom Ende Hydros und der Roboterherrschaft zur Erde gelangen. Der kosmische Sturm hatte nachgelassen. Aber immer noch raste die »Nova II« mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch das All. Völlig aus dem Kurs gerissen mit unbestimmtem Ziel. Für kurze Zeit flammte hinter einer der Ausguckluken ein schwacher Lichtschimmer auf und erlosch dann wieder zuckend. Als Inka die Augen aufschlug, wußte sie im ersten Augenblick nicht, was geschehen war. Mit erschreckender Deutlichkeit ge wahrte sie dann jedoch nach und nach das ganze Ausmaß des Unglücks. Mühsam versuchte sie, sich aufzurichten. Taumelnd hielt sie sich an einer Verstrebung fest und tastete sich im un durchdringlichen Dunkel weiter. Ihre vorsichtig fühlenden Hände glitten über Schalter und Hebel. Ein neuerlicher Stoß, der die »Nova II« einen schnellen Satz machen ließ, brachte die junge Frau zum Taumeln. Sie ergriff etwas zum Festhalten, klammerte sich an – und riß dabei einen Apparat zu Boden. Polternd schlug das schwere Gerät auf. Irgend etwas zerbrach wie Glas, singend und sirrend rissen Drähte. Aus einer blauschimmernden Maschine quoll rotes Feuer. Durch den Lärm wurde der an der Grenze zwischen Wachsein und Ohnmacht schwebende Hendricks ganz in die Wirklichkeit zurückgerufen. Viel schneller als Inka überfiel ihn das Bewußtsein der mißlichen Lage. »Inka – wo bist du? – Inka, hörst du mich?« Ein leises, befreites Aufatmen antwortete ihm und machte sein
Herz weit. »Hören kann ich schon. Nur nichts sehen!« »Bleibe stehen, wo du gerade bist. Sei vorsichtig, Inka. Die Stromanschlüsse könnten freiliegen. – Warte! Ich such’ nach Licht.« Tastend kroch Hendricks auf dem Fußboden weiter. Er erkannte auch im Dunkeln die Umrisse der Kommandozentrale und konnte sich so orientieren. Die »Nova II« hatte eine Notbeleuchtung, gespeist aus Batterien, und wenn er an den Schalter herankom men könnte, müßte es eigentlich gleich wieder Licht geben. »Au – das waren Glasscherben!« Hendricks’ tastende Finger hatten in die Trümmer eines Apparates gegriffen. Gleichzeitig aber hatte er auch den Schalter gefunden. Ehe Hendricks den Kontakt betätigte, überkam ihn noch einmal die Angst, daß auch die Notbeleuchtung versagen würde. Dann drückte er auf den Knopf. Die Beleuchtung funktionierte! »Endlich wieder Licht, Hendricks!« Inka kletterte vorsichtig über die Trümmer. »Dich hat es ganz schön erwischt. Deine Beulen und blauen Flecke lassen sich kaum zählen.« Vorsichtig und be hutsam strich sie Hendricks über das zerschundene Gesicht. Er ergriff ihre Fingerspitzen und hauchte einen Kuß darauf. »Du kannst von dir auch nicht gerade behaupten, eine Schön heitskönigin zu sein.« Mit schnellen Blicken hatte Hendricks erkannt, daß die »No va II« in ihrem jetzigen Zustand völlig manövrierunfähig war. Es würde lange Zeit und noch mehr Arbeit kosten, wenn sie dieses Wrack überhaupt flugfähig erhalten wollten. »Komm mit!« Der erste Rundgang zeigte erschreckende Bilder. Ataka wurde mit schweren Verletzungen im Laboratorium gefunden. Die Me teortrümmer hatten Löcher in den Ultraimpulsantrieb gerissen! Hendricks sah mit einem Blick: Die »Nova II« würde nie mehr zur Erde zurückkehren können! Sie waren gefangen, für die Ewigkeit in den Raum gebannt! Ataka stand auf und nahm Hendricks und Inka fest in die Arme. »Das ist ja wie ein Abschied«, wunderte sich Hendricks. »Es ist ein Abschied, Jan Hendricks! Ein Abschied für immer. Ich habe dich einst von deiner Heimaterde geholt – ich werde dich jetzt dorthin zubringen. Der Tag wird kommen, wo Raumschiffe der Erde durch das All reisen und an einem bestimmten Punkt der
Kommandant in das Logbuch schreibt: ›Heute, passiert um x Uhr frühere Koordinaten der Welt Hydro!‹« Tief erschüttert standen Inka und Hendricks. Sie schwiegen, sie fanden keine Antwort. Aber Ataka sprach weiter: »In euren Händen liegt das Schicksal der irdischen Welt. In euren Händen liegt alles Wissen und alle Macht Hydros. Hütet es gut!« Und mit veränderter Stimme wies er die beiden an: »Stellt euch jetzt nebeneinander! Denkt an Detroit, denkt an eure Wohnung!« Inka schrie auf. »Teleportation. Er will uns zurück zur Erde ge leiten!« Skeptisch wandte Hendricks ein: »Ohne Verstärkerstrahl? Das ist unmöglich!« »Nichts ist unmöglich, Hendricks. Und so erfahre jetzt auch das letzte und allergrößte Geheimnis. Mit der Energie seines eigenen Körpers kann ein Mensch den Verstärkerstrahl ersetzen. Er kann Unmenschliches leisten – er kann Berge versetzen und Materiali sationen an jedem beliebigen Platz hervorrufen. Nur«, er wurde ernst, und Trauer trat in seine Augen, »die menschliche Energie ist begrenzt. Entweder das eine oder das andere – entweder das eigene Leben oder das große Werk!« Hendricks konnte nicht mehr denken. Er stand neben Inka und klammerte sich an ihrem Körper fest. Mit angstvoll aufgerissenen Augen starrte er auf Ataka. Inka wollte den Mund öffnen, wollte: ›Einhalten! Das Opfer ist zu groß!‹ schreien. Aber kein Ton kam über ihre Lippen. Noch einmal hob Ataka abschiednehmend die Hände und winkte einen letzten Gruß. Dann umspülte eine nie gefühlte Wärme die Körper der beiden jungen Menschen, hob sie hinaus aus aller Not und Pein, entführte sie aus der Qual des Gefangenseins. Sie flogen durch den Raum, sie wurden getragen von der Macht des Geistes und dem festen Willen, ihnen zu helfen, sie zurück zubringen zur Erde. Sie waren körper- und wesenlos. Sie waren nicht mehr ihr eigenes Ich. Sie wußten, daß ihr Wissen eines Tages zurückkehren würde, daß sie sich wieder erinnern würden. Jetzt war eine hohe Mauer des Vergessens um sie herum aufgerichtet worden. Eine Mauer zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz der irdischen Menschen. *
»Passen Sie doch besser auf!« Der Alte drehte sich unwillig um und sah den Mann und die Frau an, die ihn eben unsanft von hin ten angerempelt hatten. Er sah in ihre verstörten Gesichter und dachte: Total betrunken! Und das am frühen Vormittag! Kopf schüttelnd sah er ihnen nach und wunderte sich, daß die beiden bei rotem Ampellicht über die Fahrbahn stolperten und nur um ein Haar dem Überfahrenwerden entkamen. Eng zusammengedrängt blieben Hendricks und Inka auf der an deren Seite der Straße stehen. Sie achteten nicht auf das laute Geschimpfe der wütenden Kraftfahrer, und Hendricks schreckte erst auf, als ein Polizist mit seinem Stöckchen auf sie zukam und sie verwarnte. Mit langsamen Schritten gingen sie durch die Stadt. Sie bogen um die richtigen Ecken und näherten sich der Wohnung. Mit zit ternden Fingern schloß Hendricks auf, und beide traten ein. »Herrgott, wie sehe ich aus? Daß du mich so hast neben dir auf der Straße herumlaufen lassen!« Inka starrte entsetzt in den Spiegel auf dem Flur. Mit flinken Fingern ordnete sie ihr Haar. Im Wohnzimmer klingelte das Telefon. Mechanisch nahm Hend ricks ab und meldete sich. »Hier Detroiter Flugzeugwerke, guten Morgen, Mr. Hendricks! Wir haben Sie gestern abend nicht mehr erreichen können. Eine traurige Nachricht. Haben Sie schon die Zeitungen gesehen?« »Nein – ist etwas passiert?« »Ja, Mr. Hendricks. Direktor Wullard ist verunglückt. Bei einem Probeflug, den er unbedingt selbst beaufsichtigen wollte.« »Tot?« fragte Hendricks tonlos. »Ja! Die Leiche ist zu Asche gebrannt. Nicht einmal Spuren sei ner Kleidung blieben übrig.« Ohne Antwort hängte Hendricks ein. Inka trat in das Wohnzimmer. Es war so, wie es immer gewesen war. Seit dem Tag, als sie sich zum erstenmal ihre Liebe gestan den. Schweigend breitete Hendricks seine Arme aus, willig fügte sich Inka in ihren Schutz und bot ihm die Lippen zum Kuß. * Einst wird der Tag kommen! Er wird überraschend kommen, und niemand wird erwarten, daß es gerade dieser Tag ist.
Wann ist dieser Tag? Vielleicht übermorgen, vielleicht morgen schon? Wer ist der Hüter der Geheimnisse? Dein Nachbar kann es sein, der Mann, der nur um die Ecke wohnt und friedfertig Jahr für Jahr seiner Arbeit nachgeht. Du selbst kannst es sein! Ja, du selbst, ohne es zu wissen. Und wenn die Zeit reif ist, dann wird aus dem tödlichen Erbe ein wertvoller Schatz für uns Menschen werden. Aber noch ist uns das Erbe der Welt Hydro gefährlich, und deshalb erinnern wir uns nicht.