Das geheimnisvolle Raumschiff Von Alf Tjörnsen Der Mars stand tief am Sommerhimmel. Eine winzige Mondscheibe. Rötlich g...
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Das geheimnisvolle Raumschiff Von Alf Tjörnsen Der Mars stand tief am Sommerhimmel. Eine winzige Mondscheibe. Rötlich gleißte er und warf ein gespenstisches Licht auf die reifenden Felder und in das stille Wasser des Dorfbaches. Ein einsamer Mann kam die Landstraße entlang. Schwer hallten seine Schritte auf der schmalen Holzbrücke, die über den Bach führte. Der uniformierte Ordnungshüter, der mit seinem Schäferhund unterwegs war, salutierte höflich, als er den späten Wanderer erkannte. „Guten Abend, Herr Winter.“ Der Wanderer sah die Verwunderung im Gesicht des Polizisten und reichte Ihm die Hand. „Abend, Wohlert! Habe noch mal nach dem Roggen gesehen. Kann einfach nicht schlafen!“ „Das macht der große Stern, Herr Winter.“ „Auch schon abergläubisch?“ lachte der Bauer mit seinem tiefen Baß und streichelte den Hund, der ihn aufmerksam anhechelte. Sie gingen an den Bauernhäusern vorbei, aus deren Gärten es warm nach Erde und Kraut und Blumen roch. Von der nahen Elbe herüber kam eine frische Brise. „Was halten Sie von dem Ding da oben, Wohlert?“ „Nichts“, lachte der junge Wachtmeister verlegen. „Ich kenne mich in der Astronomie nicht aus.“ „Es gibt Leute, die bereits den Weltuntergang ankünden, weil der Mars seit über zwanzig Jahren nicht in solcher Nähe der Erde gestanden habe.“ „Das tun diese Spinner vor jeder Mondfinsternis.“ 2
„Ich nehme solche Redensarten auch nicht ernst.“ Winter schob mit seinem Handstock einen Stein aus dem Wege. „Aber wenn man zwei Kinder bei der Weltraumfahrt hat – den Jungen auf einem anderen Planeten und das Mädel drüben in der Atomstadt – dann macht man sich doch Gedanken überlies, was über uns geschieht. Und wenn der Teufel will, schickt er uns ein Geschwader fliegender Untertassen vom Mars.“ „Um unsere Großstadt zu erobern, Herr Winter?“ Wieder flog ein Stein weg. „Wir würden sie mit der Feuerwehr In Empfang nehmen“, sagte Winter trocken. „Aber trotzdem möchte ich nicht, daß einmal so etwas geschieht – schon um Ginas willen nicht …“ Der Wachtmeister nickte. Er kannte den hübschen, aber leider so kühlen Dickschädel Gina Winter, der genau so abenteuerlustig war wie der Bruder. „Wenn wirklich einmal etwas passiert, stehen die von der Raumfahrt natürlich in vorderster Front.“ „Das ist ja meine ganze Sorge, Wohlert. Hoffentlich macht das Mädel keine neuen Dummheiten – ich habe lange nichts von ihr gehört“, knurrte der Bauer und schickte sich an, über die Dorfstraße zu seinem schmucken Hof zu gehen. Wachtmeister Wohlert blieb stehen. „Na, denn gute Nacht auch.“ „Gute Nacht, Herr Winter!“ Er hob wieder die Hand an den Mützenschirm und sah dem Alten nach, wie er sehr aufrecht und selbstbewußt die Anhöhe zu seinem Hof hinaufstieg. Im Fenster des vorderen Wohnzimmers spiegelte sich der rote Planet – der Mars … „Der hat auch nichts von seinen Kindern“, sagte er leise zu seinem Hund, der mit klugen, großen Augen zu ihm aufsah. „Der Hoferbe treibt sich als Zuchtspezialist auf der Venus herum, und das Mädel kann auch die Finger nicht davon lassen. Na, komm, Greif!“ 3
Der Schäferhund folgte gehorsam seinem Herrn. Über ihnen gloste der fremde Stern durch die Nacht. Und irgendwo im Weltall näherte sich ein geheimnisvolles, rotes Raumschiff, das selbst den Fachleuten unheimlich war. Davon wußten sie aber nichts, der Wachtmeister Wohlert und die Menschen dieses Dorfes, die in ihren Betten lagen und dem neuen Arbeitstag entgegenträumten. Und doch war die Nacht drückender und unruhiger als sonst. Der Hund winselte leise, wenn ihm der rötliche Schein in die Augen fiel. Vom Kirchturm schlug es zwei. Der alte Winter kam auch jetzt noch nicht zur Ruhe. Er stand im finsteren Wohnzimmer und horchte in die Stille. Unheimlich war sie – als tappten in ihr tausend Geister durch das schlafende Haus. Von den fernen Weiden brüllte eine seiner Rotbunten, und in der Diele knackte es. Sonst nichts. Seine Gedanken waren weit weg. „Hans und Gina!“ Leise sagte er es und trat an das Fenster. Das Herz war ihm schwer, und er wußte nicht, warum. Der rote Planet, der zwischen den Bäumen des Obstgartens hing, zog seinen Blick an und hielt ihn fest. „Verdammte Sterne“, knurrte er böse und wandte sich schroff ab. Ein ungutes Gefühl sprang ihm in den Nacken, als er sich um den Tisch tastete und die Stehlampe unter den Familienbildern anknipste Dann sah er die beiden wieder vor sich: Hans, der starrköpfige und unheimlich intelligente Recke – Gina mit der ruhigen, ausgeglichenen Schönheit einer vielleicht zu sachlich empfindenden Frau. Würde er die beiden noch einmal wiedersehen? Galt ihnen die Erde nichts mehr? Galt ihnen nur noch das Reich der Sterne etwas? Ein böser Geist mußte die Raumschiffe erfunden haben, und 4
die Atomwerke und die Außenstationen. Was wußten die beiden wohl noch davon, daß in einem kleinen, unwichtigen Dorf an der Elbe ein uralter Hof lag, der Geberationen schon heilig gewesen war. Er legte die Bilder zurück und setzte sich in einen Sessel. Schlafen konnte er nicht. Der unwirkliche Schein des erdnahen Planeten erfüllte ihn mit einem Angstgefühl, das ihm sonst fremd und lächerlich erschienen wäre. Das Ticken der altväterlichen Uhr raffte die Stunden und ließ aus der langsam verdämmernden Sommernacht den hellen Morgen erstehen. Dann war alles wieder wie sonst: die alte Haushälterin ließ in der Küche den Kaffeetisch decken, der älteste Landarbeiter holte sich seine Anweisungen, und im Garten lärmten die Tauben mit den Hühnern um die Wette. Der rote Planet war verschwunden. Die Unruhe blieb. Gegen zehn Uhr bremste der Landbriefträger sein Rad vor dem Hof. Eine kurze Karte von Gina war dabei. Winters Hand zitterte, als er sie vor die Augen hob. „Lieber Vater! Aus meinem Besuch in diesem Sommer wird wohl nichts werden. Ich habe vor einigen Tagen eine Sonderprüfung für spezielle technische Aufgaben abgelegt und werde nun wohl endlich zu einer Raumflugabteilung oder zum Mond versetzt werden. Herzliche Grüße! Deine Gina!“ Deine Gina! Winter schluckte und schluckte und mußte sich doch abwenden. Das also war die neue Zeit Sie ließ junge Mädchen „Sonderprüfungen“ ablegen für Raumflüge in scheußlichen, gespensterhaften Kombinationen, und wenn das Mädel wirklich einmal auf Besuch kommen sollte (wahrscheinlich würde sie nie mehr kommen), lächelte es natürlich mitleidig über alle Rückständigkeiten im Dorf. Der alte Winter schüttelte grollend den Kopf. Dann warf er die Karte verächtlich in eine Schale und stapfte davon. 5
Den ganzen Tag über war er auf den Feldern. Ein junger Landarbeiter, der vor einigen Tagen in Hamburg gewesen war, berichtete von tollen Gerüchten, die sich in den großen Städten breitmachten. Geheimnisvolle Flugkörper näherten sich vom Mars aus der Erde. Internationale Weltpolizei und nationale Streitkräfte lagen angeblich in Alarmbereitschaft, um Angriffe aus dem Weltall abzuwehren. Der alte Winter spuckte aus. Und fürchtete sich doch vor der nächsten Nacht mit dem glosenden Planetenauge am Himmel. Das Abendblatt brachte dann jedoch ein dickes Dementi vom WP-Hauptquartier in London. „Das Hauptquartier der Weltpolizei weist darauf hin, daß alle Gerüchte über angeblich eingeleitete Abwehrmaßnahmen im Zusammenhang mit der Marsannäherung reine Hirngespinste sind.“ Klipp und klar! Den Verantwortlichen aber war nicht recht wohl in ihrer Haut. „Hat die Presse das Dementi gebracht?“ Der Präsident der Weltpolizei, der sehr ehrenwerte und sehr hochnäsige Lord Clifford, schob seine Manschetten zurück und sah seinen Privatsekretär mit kühler Aufmerksamkeit an. Der junge Mann legte ihm eine drei Seiten lange Liste vor. „Nach den letzten Meldungen ist unsere Verlautbarung in allen westlichen Hauptstädten durch Rundfunk und Presse verbreitet worden.“ Lord Clifford ging die Liste durch und legte dann die Seiten sorgfältig wieder aufeinander. In seinem länglichen Gesicht das von einer überzüchteten Geistigkeit gezeichnet war, zuckte kein Muskel. Einen Augenblick sah er noch auf das Papier, dann schob er es dem Sekretär wieder zu. 6
„Ich hoffe, es reicht zunächst aus. Wir müssen unter allen Umständen einer Panik in den Weltzentren vorbeugen.“ „Wenn das geheimnisvolle Raumschiff nicht wäre, könnte man die ganze Angelegenheit als Kuriosum des 21. Jahrhunderts zu den Akten legen, Mylord.“ „Das unbekannte Schiff ist aber da.“ Lord Clifford sah auf seine Armbanduhr und erhob sich Dem Sekretär fiel auf, daß sein Chef in immer kürzeren Abständen auf die Uhr blickte. Er legte die Liste auf den Aktentisch und pfiff unhörbar durch die Zähne. Lag etwas in der Luft? „Ich erwarte Kommodore Parker, Johnson. Sorgen Sie bitte dafür, daß wir ungestört bleiben.“ Der Sekretär verneigte sich leicht. Also doch! Er wollte das Arbeitszimmer des WP-Präsidenten verlassen, als auf dem Schreibtisch der Fernsprecher aufsummte. Der Sekretär sah noch, wie Lord Clifford mit einer ruhigen, gewohnten Handbewegung abnahm, dann schloß er die Tür. „Clifford! Wer – Sie, Kommodore?“ „Yes, hier ist Parker.“ Die markante Stimme des berühmten Weltraumfliegers klang so gelassen wie immer. „Ich bin bereits in Orion-City. Nehmen Sie mir es bitte nicht übel, daß ich …“ Der WP-Präsident schüttelte erstaunt den Kopf. „Ich denke, Sie haben in Nordafrika das Nil-Projekt besichtigt?“ „Habe ich auch“, lachte Jim, der bereits seine Raumkombination trug und sich die letzten Whiskys einverleibte, die Freund Wernicke ihm vorsorglich hinschob. „Als ich jedoch nach London abfliegen wollte, erhielt ich aus der Atomstadt den Befehl, sofort zurückzukehren.“ Lord Clifford kaute mechanisch. „Ich will nicht neugierig sein, Kommodore – aber hängt der Befehl mit der Marsannäherung oder diesem unbekannten Raumschiff zusammen?“ 7
„Mit dem Raumschiff vorläufig nur – es erhöht seine Geschwindigkeit.“ „Mit Erdkurs?“ „Unverändert, Mylord“, sagte Jim Parker, und man konnte hören, wie er während des Gesprächs die letzten Kombinationsstücke anlegte und eilige Schritte hin und her gingen. Großalarm! Die Jagd nach dem Gespensterschiff konnte beginnen. Der sehr ehrenwerte Lord war ein überaus nüchterner Mann, der schon oft genug seinen Mitmenschen mit seiner scheinbaren Gleichgültigkeit auf die Nerven gefallen war, aber jetzt wurde er vom Jagdfieber ergriffen, und seine Stimme wurde um ein wenig teilnahmsvoller. „Seien Sie vorsichtig, Kommodore – man kann nie wissen …“ Jim lachte wieder so jungenhaft, wie nur er es konnte. „Ich werde mit dem Burschen schon fertig, Mylord.“ „Sie und Mister Wernicke allein?“ „Oh no, Mylord – wir haben uns die besten Spezialisten mitgenommen, den erstklassigen Raumfunker Brauer, Ingenieur Wellington, Oberleutnant Bleß von der ‚Internationalen Weltraum-Kontrolle’ und Miß Winter.“ „Wie – eine Frau?“ „Eine schöne Frau, Mylord.“ „Dann also, Kommodore – Hals- und Beinbruch.“ „Thank you, Mylord – wir werden das Wild erlegen!“ „Ziemlich kläglich, dieses Dementi, wie?“ Der Chefredakteur der „Morning Post and Herald“ hob seine mageren Schultern und schob die Filterbrille hoch. „Ich muß es bringen, Pitt – tut mir leid.“ „Und meine sensationellen Enthüllungen über die Geheimnisse der Marsannäherung, Boß?“ Pitt Smith war in den schmalen Hinterhöfen einer nordamerikanischen Groß^ Stadt aufgewachsen, und mit seiner eisernen 8
Entschlossenheit, dieser schmutzig-grauen Steinlandschaft zu entrinnen, verband sich die Erkenntnis, daß ihm das nur mit rücksichtslosen Ellbogen gelingen würde. Vom Schuhputzer über den Zeitungsjungen hatte er es bis zum Reporter in der Stadtredaktion gebracht, und das war nicht eben viel. Aber zum Glück hatte Boß Kling bereits ein Auge auf ihn geworfen. „Was ist denn Wahres an diesen ‚Enthüllungen’?“ Pitt verzog keine Miene und legte seine Tabakschachtel auf die Knie, um eich eine Zigarette zu drehen. „Nicht mehr als an dem, was man sich draußen auf der Straße erzählt,“ antwortete er dann schlicht. Er wußte, daß man dem Chefredakteur nicht auf krummen Wegen kommen durfte. Der schob die Filterbrille wieder über die Augen und lächelte mitleidig. „Bevorstehender Angriff der Marsbewohner, bereitstehende Schlachtgeschwader der Marsbewohner, unvorstellbare Grausamkeiten der Marsbewohner …“ „Na, so ungefähr, Boß“, grinste der Junge etwas verlegen. „Schlecht, Pitt. Solchen Kohl brauche ich mir nicht von einem Bezirksreporter verzapfen zu lassen, den liefert mir jeder erwerbslose Wissenschaftler. Damit kommen Sie bei mir auf keinen grünen Zweig.“ Pitt schob die Zigarette in den Mundwinkel und steckte die Blechschachtel wieder ein. „Mit Autounfällen und Ladendiebstählen auch nicht, Boß.“ Kling warf ihm sein Feuerzeug rüber. „Ich habe nichts dagegen, daß Sie sich anstrengen, aber es muß etwas Handfestes dahinterstecken.“ „Es gibt bedeutende Leute genug, die ernsthaft mit einem baldigen Angriff aus dem Weltall rechnen“, verteidigte sich Pitt Smith. „Dann gehen Sie eben der Sache auf den Grund und liefern mir hieb- und stichfeste Beweise dafür oder dagegen“, sagte 9
Kling nüchtern. „Wenn Sie das fertigbringen, haben Sie für die nächsten Jahre ausgesorgt.“ „Und wovon soll ich inzwischen leben?“ erkundigte sich Pitt Smith mindestens ebenso nüchtern und lehnte sich lässig im Stahlrohrsessel zurück. Der Boß legte die Hände zusammen wie ein frommer Sonntagsschüler. „Genügen Ihnen hundert Dollar plus Spesen – pro Woche?“ Pitt flog aus seiner Lässigkeit wieder auf. Er nahm sich zusammen, als er sah, daß Kling aus seiner Brusttasche einen kleinen, bedruckten Zettel zog. „Für hundert Dollar würde ich Tag und Nacht unterwegs sein. Aber, Boß – warum gerade ich?“ Der Chefredakteur drückte einen Knopf, warf einen Blick in den Redaktionssaal, in dem sich jenseits der Glaswände Männer mit aufgekrempelten Ärmeln und herabhängendem Schlips an den Schreibmaschinen austobten und reckte Pitt Smith dann den Zettel hin. „Was halten Sie davon, Pitt?“ Pitt schüttelte den Kopf. Das war ein kleiner, zerknitterter Handzettel aus gewöhnlichem Papier, wie man es für jeden Reklameschwindel zu verwenden pflegte. Und darauf stand – ebenfalls in recht billiger Aufmachung und über die ganze Längsseite des Zettels hin: „Wenn der Planet bei der Erde steht, wird das Unheil der geflügelten Könige über die Menschen kommen.“ „Verlieren Sie nicht den Kopf, Pitt!“ Pitt Smith schüttelte ihn immer mehr. „Welch ein Unsinn, Boß, welch ein krankhafter Unsinn! Was soll das? Wenn wenigstens noch dabeigestanden hätte: ‚Darum besuchen Sie vorher noch die Betstunden der Wahren Gläubigen’ oder ‚Wenn Sie sich Millers Helikopter zulegen, werden Sie der Gefahr am ehesten entgehen können’.“ „Es steht aber nicht dabei, Pitt.“ 10
„Eben – und das bedeutet?“ Die sachlich-skeptische Art dos jungen Reporters gefiel dem abgebrühten Chefredakteur, und er hob wieder seine mageren Schultern. „Es gibt nur noch die berühmten zwei Möglichkeiten – entweder stecken Phantasten oder Verbrecher dahinter.“ Pitt Smith biß sich auf die Unterlippe. „Wie kommen Sie zu dem Wisch, Boß?“ „Ich besuchte gestern abend den Lloyd-Club in der von Steuben-Street. Natürlich sprach man auch über die Marsannäherung, und dann tauchte plötzlich ein würdiger Greis auf, der die Zettel verteilte.“ „Und diesen würdigen Greis kannte niemand?“ „Niemand. Er verschwand ebenso unauffällig wie er gekommen war.“ Pitt Smith drückte enttäuscht die Zigarette aus. Was der Boß ihm hier auftischte, kam ihm so verrückt vor, daß er versucht war, den komischen Zettel in den Papierkorb neben dem Schreibtisch zu bombardieren. Dann besann er sich und verabschiedete sich mit süßsaurer Miene. Er war überrascht, als ihm unten an der Kasse wirklich ein Scheck über zweihundert Dollar ausgestellt wurde. Draußen dunkelte es. Der Verkehr der Hauptstraße lärmte an ihm vorbei. Die aufflammenden Lichtreklamen warfen die Dämmerung des Abends weit zurück und beherrschten die Stunde. Ohne zu wissen, was er nun unternehmen sollte, ließ er sich im Strom der bummelnden Passanten treiben. „Unheil der geflügelten Könige.“ Pitt, mein guter alter Pitt, wenn das nicht der lächerlichste Fall deiner Praxis ist, will ich in den nächsten zehn Jahren kein hübsches Mädchen mehr ansehen. Aber während er weiterbummelte und in den Schaufenstern alle möglichen Dinge besah, ohne daß es ihm recht bewußt wurde, gingen seine Gedanken eigene Wege. Als er auf einen freien Platz kam, dessen 11
Südseite mit dem Ufer des breiten Stroms abgrenzte, der durch die Stadt floß, stieß er auf eine Menschenmauer. Ein lähmendes Schweigen lastete über dem Platz, und als ein Kraftwagen etwas zu laut hupte, fuhren sie zusammen, die eleganten Männer und Frauen, die mit großen Augen auf den Planeten sahen, der tief über dem Strom stand und sein ruhiges Wasser unheimlich aufleuchten ließ. Der Mars näherte sich der Erde. Würde er ihr Unheil bringen? Ein Raumschiff jagte durch das All. Kommodore Parker hielt das Steuer in seiner Hand und beobachtete sorgfältig die tanzenden Zahlen der Anzeigetafeln. Nur den gefüllten Spezialwhiskygießer – vom Steuermann in unermüdlicher Fürsorge vor ihm aufgebaut – ließ er unbeachtet. Wernicke sah es mißbilligend. „Wenn du so weitermachst, sehe ich schwarz für dich, großer Häuptling. Du wirst immer tiefer sinken und schließlich bei Milch und Wasser landen.“ „Dann wäre meine Seele wenigstens gerettet.“ „Pfui, Jim – was sind das für ketzerische Gedanken.“ Wernicke nahm den Spezialgießer wieder an sich, schielte flüchtig zu der blonden Gina Winter, hinüber, die verständnisvoll und etwas herablassend zugleich lächelte und goß sich dann einen Anständigen hinter die Binde. Gina Winter hatte den sogenannten „Ausguck I“ übernommen und saß schräg hinter ihnen. In der kleinen gläsernen Funkkammer hockte der leichtsinnige Brauer und nahm die Lenkpeilung der irdischen Außenstation „Luna nova“ auf. „Weiter Quadrat 17, B3!“ Der Funkoffizier riß den Streifen ab und reckte ihn zu Wernicke hin, der ihn an Jim Parker weitergab. Der warf einen Blick auf die Leuchttafel zu seiner Rechten. 12
„Dann sind wir in gut zehn Stunden bei ihm. Behalten unsere Geschwindigkeit bei.“ „Brauer!“ „Ich gebe durch“, nickte der Funkoffizier und sah hingebungsvoll auf das weißblonde Haar seiner schönen, aber leider so unnahbaren Landsmännin, die sehr kühl und sachlich an ihrem Bildschirm saß. Bei allen Planeten – sie war bestimmt tausend Sünden wert, stellte er bei sich fest und ließ die Meldung nach „Luna nova“ ab. Jim wandte den Kopf. „Vielleicht haben Sie das fremde Schiff bald auf Ihrem Schirm, Fräulein Winter.“ Sie sah nur kurz auf. „Auf den Burschen freu ich mich schon.“ Brauer zwinkerte ihr zu. „Also – in ein Raumschiff müßte man sich erst verwandeln, um Ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Woran liegt das?“ „An den Männern“, antwortete sie freundlich. „Wie kann eine Frau nur so sarkastische Bemerkungen machen“, schüttelte er betrübt den Kopf, während Jim und der Steuermann schadenfroh grinsten. Und doch waren sie nicht so recht bei diesem Gespräch, das so vieles anbahnen konnte. Weit voraus raste ihnen das Gespensterschiff entgegen, das alle Eingeweihten in seinem Bann hielt. Oft streifte Ginas Blick kurz das beherrschte Gesicht des Kommodores, auf dem ein leichtes, fast gelangweiltes Lächeln lag. Aber dieses Lächeln konnte nur Menschen täuschen, die Jim nicht kannten. „Haben Sie ihn, Gina?“ Gina Winter drehte am Verstärker. „Noch nicht, Mister Parker.“ „Ausguck II?“ Wernicke fragte schon achtern an. Aber auch Oberleutnant Bleß von der I.WJK. konnte noch nichts ausmachen. Der Kommodore hob kaum merklich die Augenbrauen. „Wir müßten ihn doch bald haben.“ 13
„Rückfrage an die Erde, Kommodore?“ „Noch nicht, Brauer.“ Weiter schoß das Schiff mit rasenden Heckflammen, in denen unvorstellbare Gewalten tobten. Nach drei Stunden kam Bordingenieur Wellington aus seinem Motorenraum. Ein ruhiger, starker Mann mit breiten Gesichtszügen. „Wie lange sollen wir noch auf Vollgeschwindigkeit bleiben, Kommodore?“ „Bis wir ran sind“, sagte Jim hart. In der engen Führerkabine steigerte sich die Spannung von Minute zu Minute. „Luna nova“ hatte noch dreimal die Ortung durchgegeben. Gina Winter oder Bleß hätten den Fremden schon lange auf ihrem Schirm haben müssen. Aber vor ihnen dehnte sich nur das unendliche All – schweigend – feindselig – Was war das für ein Schiff? „Es tut mir leid, Wellington – wir müssen die Geschwindigkeit noch halten.“ „Und wenn wir ran sind?“ „Es ist noch völlig unklar, was wir dann tun werden – es hängt wohl vom Verhalten des anderen ab. Wahrscheinlich werden wir aber auf engstem Raum Steuermanöver durchführen müssen. Achten Sie dann bitte genau auf meine Anweisungen.“ „Okay, Kommodore!“ Der Bordingenieur hob grüßend die Hand und verließ die Kabine. Er beachtete nicht, daß Brauer ganz in sich zusammengeduckt dahockte und seinen Ohren nicht zu trauen schien. Plötzlich hob der Funkoffizier den Kopf. „Parker.“ Der Kommodore gab das Steuer an Wernicke und ging ohne weiteres zu der kleinen Funkkammer hinüber. Brauer zeigte auf den Empfänger. Jim beugte sich tief und lauschte angestrengt. Die anderen wagten kaum zu atmen. 14
„Können Sie das verstehen?“ hauchte der Funkoffizier. „Yes – da ruft einer die Erde an.“ „Der Fremde?“ „Ruhig, Brauer!“ „Jim Parker tastete nach einem grünen Knopf. Lautlos spielte die Bandaufnahme. Dann verstand der Kommodore die Zeichen, die aus dem tiefen All zu ihnen drangen. „… Erde bedroht! Warnt alle! Warnt alle! Hier alles vorbei! Falter bereits im Führerraum. Erde bedroht! Erde bedroht!“ Der Kommodore peilte den Ruf an. „Das kann nur der Fremde sein.“ Brauer war nun doch etwas bleich geworden, und auch Wernicke büßte viel von seiner Schnoddrigkeit ein. „Falter – mein Gott, Kommodore, was bedeutet das?“ „Wir werden sehen!“ Auch auf der Funkstation von „Luna nova“ nahm man diese Warnung aus dem Weltall auf. Den Verantwortlichen fiel vor allem ein Wort auf das Gewissen. „Warnt alle! Warnt alle!“ Um 11.06 Uhr Stationszeit beugten sie sich über den Streifen, und ein unnennbares Grauen vor etwas Unheimlichen stand neben ihnen. Genau sechs Minuten später wurde die Meldung in der Atomstadt Generaldirektor Cunningham auf den Schreibtisch gelegt. Hier flog eine Havanna in den Ascher, Und eine mächtige Stimme verlangte gebieterisch nach einem Ferngespräch mit WP-Präsident Lord Clifford. Und wiederum dauerte es nur wenige Minuten, dann entrang sich auf der anderen Seite des Atlantiks der Brust des WP-Gewaltigen ein Stoßseufzer. „Das hat mir noch gefehlt, Cunningham. Unser Dementi ist noch nicht verdaut worden, und nun sollen wirklich Gefahren aus dem All auftauchen? Wie denken Sie darüber, Sir?“ 15
„Sie werden mich nicht für einen Phantasten halten. Mylord“, erwiderte Cunningham bedächtig. „Ich bin ein verdammt skeptische! Mann, aber in den letzten Jahren habe ich allerhand mitmachen müssen …“ „Sie weichen mir aus“, drängte der Lord nervös. „Ich muß wissen, wie ich mich zu verhalten habe.“ „Kommodore Parker muß erst einmal an das Ding heran sein.“ „Und – vorher?“ Der Generaldirektor schob nachdenklich den Ascher über die Schreibplatte. „Ahem – ich würde immerhin meine Vorbereitungen treffen.“ Lord Clifford überwand das scheußliche Gefühl, unter den Tisch sinken zu müssen. „Also – glauben Sie an die Echtheit dieses Spruches?“ „Ich muß zunächst Nachrichten von Parker abwarten.“ „Thank you, Cunningham!“ In London wurde der Hörer zögernd auf die Gabel gelegt. Lord Clifford starrte in schweigendem Entsetzen seinen Privatsekretär an, der mit regungslosem Gesicht neben ihm stand. Draußen zogen durchsichtige Wolkenschleier über den klaren Sommerhimmel. Die Vögel lärmten. Der Lord stand auf, trat an das Fenster und sah in den Garten. „Haben Sie das gehört – das mit den Faltern?“ „Es klingt unglaublich, Mylord!“ Lord Clifford schüttelte den Kopf, wandte sich dann aber scharf um und trat an einen Wandsafe, den er mit einem Elektroschlüssel öffnete. Er nahm aus einem schmalen Fach ein ledergebundenes rotes Vordruckbuch, in das er Datum, Uhrzeit und verschiedene Zeichen eintrug und diese Eintragung unterschrieb. Der Privatsekretär telefonierte inzwischen, und als der Präsident seinen Namen schrieb, betrat ein älterer Herr das Arbeitszimmer. „Weltalarm, Mylord?“ „Evakuierungsstufe 3 für die Millionenstädte, Mister Monza“, 16
sagte der Lord so sachlich, als habe er nie einen Schock erlitten. „Leider nicht zu umgehen. Wollen Sie bitte gegenzeichnen?“ Der Spanier prüfte zunächst die Eintragung und sah ungläubig auf. „Mylord – Falter aus dem Weltall – ist das wahr?“ Lord Clifford hob die Schultern. „Ich hoffe es nicht. Darf ich nun um Ihre Unterschrift bitten?“ Monza malte langgezogen seinen Namen hin. Das geschah um 12.47 Uhr WEZ. „Ich habe ihn!“ Gina Winter schrie unwillkürlich auf, als das fremde Raumschiff sich als Silhouette über den gekrümmten Bildschirm schob. Der Kommodore war sofort neben ihr. „Geht es noch deutlicher, Gina?“ Sie bediente schon den Verstärker. Jim Parker beobachtete genau den Schattenriß, der haarscharf von den Quadraten eingefangen wurde. Seine Hände ballten sich. „Der Bursche gefällt mir nicht.“ Gina sah es auch, und ihr Herz klopfte dumpf und ahnungsschwer. „Der kommt ja genau auf uns zu, Mister Parker.“ „Entfernung, Brauer!“ Der Funkoffizier ließ die Ortung spielen und nannte die Distanz. Der Kommodore rechnete und prüfte dann wieder, wie das fremde Schiff in den Quadraten lag. „Nun hält er wieder etwas von uns ab.“ „Er macht aber noch Eigenfahrt.“ „Natürlich, Gina – sonst könnte er ja nicht Tango im Weltall tanzen.“ Kameradschaftlich klopfte er seiner jungen Mitarbeiterin auf die Schulter. „Geben Sie bitte laufend die Bewegungen bekannt, Gina.“ „Gewiß, Mister Parker!“
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„Diese Maßnahmen sind geheim durchzuführen.“ Lord Clifford wollte verhindern, daß sich seine weltweite Organisation lächerlich machte. Darüber hinaus stand die Ruhe eines großen Teiles der Erde auf dem Spiel. Die Menschen waren in diesen Tagen großen seelischen Schwankungen ausgesetzt, und ein offenkundiger Widerspruch in den Verlautbarungen der Weltpolizei konnte schwerwiegende Folgen haben. Und doch hätte sich der Lord seine Geheimnistuerei schenken können; sie sollte ihm sogar noch manche Unannehmlichkeiten bereiten. Die Gerüchtemacher bekamen neuen Stoff. Der Funkspruch des Geisterschiffes war auch von Raumschiffen aufgefangen worden, die nicht unmittelbar der Kontrolle durch I.W.K, oder S.A-T. unterstanden. Die Führer dieser Schiffe dachten gar nicht daran, den Mund zu halten. Sie schlugen sogar recht heftig Alarm. Als die I.W.K, mit ziemlich lendenlahmen Ausflüchten antwortete, gingen sie eine Tür weiter. So kam es, daß die trefflichen Überlegungen von Lord Clifford wie Seifenblasen zerplatzten. Um sechs Uhr früh läutete Chefredakteur Kling von der „Morning Post and Herald“ den ehrgeizigen Pitt Smith aus den Federn. „Darf ich mich höflich erkundigen, wie weit Sie inzwischen mit Ihren Untersuchungen gekommen sind?“ frotzelte er kameradschaftlich. Pitt rieb sich die Augen und gähnte. „Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, großer Bonze – der Mars macht durstig.“ „Was Sie nicht sagen. Da haben Sie also Ihren Durst gelöscht und sind glücklich und zufrieden schlafen gegangen.“ „Nicht sehr glücklich.“ „Den ganzen Vorschuß schon versoffen?“ „Bis auf zehn Dollar habe ich noch alles. Aber die unheilbringenden geflügelten Könige durchschwirrten meine Träume.“ 18
„Dann machen Sie sich darauf gefaßt, daß es auch künftig so sein wird“, lachte der Chefredakteur etwas heiser, „Es gibt sie nämlich wirklich.“ Pitt Smith war mit einem Satz auf den Beinen. „Erzählen Sie, Chef!“ „Einige Raumer haben Funksprüche von dem Geisterschiff aufgenommen. Darin wird die Erde gewarnt. Von Faltern ist dabei die Rede, die angeblich die Herrschaft auf dem Schiff an sich gerissen haben. Jim Parker fliegt dem Teufelskahn entgegen. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Es gibt sogar Leute, die behaupten, die Falter seien bereits an verschiedenen Punkten der Erde aufgetaucht.“ „Und kommen vom Mars, wie?“ „Natürlich. .“ Pitt Smith fuhr in seine Kleider und schüttelte den Kopf, „Wir werden ja sehen!“ „Denken Sie an die Zettel, Pitt. Einer ist in der Stadt, der mehr weiß.“ „Ich werde ihn finden“, nickte Pitt Smith einfach. Und er konnte es sagen.. Die halbe Nacht hatte er sich um die Ohren geschlagen und dabei mehr Glück gehabt, als zehn Detektive zusammen. Er hatte es nie für möglich gehalten, daß in seiner immer etwas langweiligen Heimatstadt Dinge geschehen konnten, die mit Himmel und Erde und Hölle und Teufel zusammenhingen. Ausgerechnet hier im Nordwesten der USA schienen sich Weltall und Erde zu treffen. Jedenfalls wußte er, was er jetzt zu tun hatte. Nachdenklich steckte er sich eine Zigarette an und wartete darauf, daß seine Wirtin ihm sein Frühstück bringen sollte. „Ob die wirklich vom Mars kommen?“ Er trat an das Fenster und ließ die Jalousien hochrollen. Der frühe Morgen ließ eine dichte Wolkendecke über die Buildings der großen Stadt hinwegsehen. Und langsam karr die Sonne 19
durch. Unten auf den Straßen hasteten die ersten zu den UBahnschächten. Wie eine Bombe würden die neuesten Schreckensnachrichten auf sie wirken. Insekten aus dem Weltall bedrohen die Erde! Falter! Pitt Smith fuhr zusammen. Die Tür zur Diele stand offen, und deutlich konnte man von dort ein scharrendes Geräusch hören. So, als kriecht ein Tier das Holz der Tür hinauf. Die Falter? Der Junge hatte gewiß keine schlechten Nerven. Aber das scharrende Geräusch blieb, und es war fürchterlich. Es lähmte den Abwehrwillen, es war, als breite sich unvorstellbares Grauen über alles aus, was um ihn war. Pitt Smith riß sich zusammen und stellte sich so, daß er den blanken Mosaikfußboden der Diele sehen konnte. Er versuchte sein schnoddriges Lächeln, aber es verzerrte nur sein Gesicht. Das widerwärtige Scharren blieb. Mit wenigen wütenden Schritten war er in der Diele. Wollte die Tür aufreißen und prallte entsetzt zurück. Vor ihm kroch es über den Boden heran. – ein – zwei – drei – vier – Mit einer reinen Instinktbewegung, getrieben von namenloser Furcht und Ekel, stürzte er sich den handgroßen Bestien entgegen, um sie zu zertreten. „Verfluchte Glotzaugen!“ wollte er ausrufen. Er kam nicht mehr dazu. „Glaubst du an Ammenmärchen?“ Fritz Wernicke wußte nicht, daß in diesem Augenblick in einer großen amerikanischen Stadt ein junger Reporter zusammenbrach – es erging ihm, wie vielen anderen auch: er lächelte. Jim Parker aber war nicht bereit, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. „Denk an die Mondschlangen, mein Alter.“ 20
„Wenn schon!“ Fritz Wernicke seufzte sehnsuchtsvoll auf, als er mit einem kurzen Seitenblick das klare schöne Gesicht Gina Winters streifte. Auch Brauer fand immer wieder einen Grund, zu der blonden Frau hinzusehen, die so unerschrocken den tollkühnen Flug mitmachte. „Wenn schon, Jim – das war einmal.“ „Hoffen wir es, Fritz!“ „Hallo, Kommodore!“ Brauer hatte einen neuen Streifen aufgenommen und reichte ihn rüber. Er kam aus der Atomstadt – von Cunningham persönlich. „Jim, Achtung, Panikstimmung droht auszubrechen. Man befürchtet Insekteninvasion. Schiff auf keinen Fall durchlassen. Angeblich schon weitere fremde Schiffe auf der Erde gelandet. Cunningham!“ Der Kommodore zerriß den Streifen. Daß sie das Geisterschiff nicht durchließen, war selbstverständlich. Es sah auch wieder ganz so aus, als wolle der andere ein Zusammentreffen herbeiführen – jedenfalls hielt er wieder scharf Kurs auf das S. A. T.-Schiff. Inzwischen machte sich auf der Erde, die tief unter den Raumfliegern schwebte, tatsächlich eine Panikstimmung breit. „Die Falter kommen!“ Die Zeitungen dachten wieder einmal nur an ihre Auflage und schlachteten den noch ganz undurchsichtigen und unbestätigten Funkspruch in geradezu blutrünstiger Weise aus. Nachher, wenn das Geld im Kasten klingelte, jonglierte man eben auf die andere Tour um und forderte die aufgepeitschten Leser zu Vernunft und Ruhe auf. WP-Präsident Lord Clifford standen die Haare zu Berge. „Die Falter kommen!“ Zuerst hatte man über die grausigen Zeichnungen überdimensionaler Schmetterlinge mit mordgierigen Fratzen gelästert, und nur Überängstlichen schmeckte das Frühstück nicht. Als 21
die Mittagsblätter berichteten, daß an einigen Punkten der Erde „höchstwahrscheinlich“ unbekannte Raumschiffe mit Rieseninsekten an Bord niedergegangen seien, wurden auch Leute um ein verdauliches Mittagessen gebracht, die nicht gerade Schwächlinge Waren. Und als die erste offizielle Stellungnahme der W. P. sich durch Verlegenheitsfloskeln geradezu auszeichnete, kamen nur die wenigsten noch in den Genuß einer gesegneten Abendmahlzeit. So war es an jenem 28. Juni, als das Grauen mit unbekannten Lebewesen aus dem Weltall nach der Erde zu greifen drohte. Die Nacht sank hernieder. Es war ein Horchen überall – in den Städten und auf dem Lande. Die warme Sommernacht war voller sirrender Unruhe. Aus der Tiefe des Alls schoß wieder der rote Schein des nahen Planeten über die Erde. Die Menscher schauderten und spähten in die Dunkelheit. Und an drei, vier Stellen dei Erde – in Südschweden bei Mahult, in Bolivien am Poopo-See, in Westaustralien (was allerdings nie recht bewiesen wurde) und in Deutschland – schwirrten sie heran. Falter? Wirklich Lebewesen eines anderen Sterns? Wer das feine Singen der männerhandgroßen Flügel hörte, mochte es für das eines Nachtvogels halten. Man sah zunächst nichts. Vielleicht fiel einem nur auf, daß die Grillen plötzlich schwiegen, und daß ein kleiner Vogel angstvoll in den Zweigen der Bäume aufpiepste. Wenn man erst etwas sah, war es zu spät. Pitt Smith hatte es kennengelernt. Auch Dr. Brausewetter erging es so. „Ich bitte Sie, Warnberg – stellen Sie den Quasselkasten ab.“ Der Frankfurter Architekt Dr. Brausewetter war eine ausgesprochen sachliche Natur. Nichts war ihm mehr zuwider als das dreiviertelsdunkle Geraune unbestätigter Sensationen. Seit heute vormittag las er darum keine Zeitungen mehr. 22
„Falter aus dem Weltall! Und dafür bezahlt man sein gutes Geld. Warnberg, den Empfänger lasse ich mir noch wieder herausnehmen.“ Sein technischer Zeichner schaltete mit stillem Bedauern ab. „Schade, diese Vorträge über die Marsannäherung sind außerordentlich interessant.“ „Alles Spinnerei“, sagte der Architekt wegwerfend und sah aufmerksam auf das weiße Betonband der Straße, die von den Anhöhen auf sie zufloß. Der Verkehr war schwach in dieser zweiten Stunde nach Mitternacht. Sie waren in einer nahen Kleinstadt gewesen und hatten den Bau einer neuen Wohnsiedlung besprochen. Warnberg holte seine Zigaretten hervor und steckte auch seinem Chef eine in den Mund. „Aber man hat doch so ein komisches Gefühl, Herr Doktor, wenn man bedenkt, daß es auch uns jeden Augenblick überraschen kann.“ Dr. Brausewetter machte den ersten Zug und warf dem technischen Zeichner einen unwilligen Blick zu. „Was kann uns überraschen?“ „Nun – die Falter aus dem All, Herr Doktor!“ Ein schwerer Lastzug donnerte ihnen entgegen und rauschte als dunkle Masse vorbei. Der Architekt drehte leicht am Lenkrad. „Noch ein Wort darüber und ich setze Sie hier mitten auf der Straße ab.“ Warnberg hob die Schultern und schwieg. Die Zeiger auf dem Armaturenbrett pendelten gelassen hin und her. Die beiden Männer hingen ihren Gedanken nach. Dem Architekten begann langsam der Kopf zu schmerzen von der Grelle der Lichtwand, mit der die Scheinwerfer die Dunkelheit für Sekunden wegschoben. Häuser tauchten schemenhaft vor ihm auf, die er bauen wollte, und als über die Motorhaube des Wagens ein breiter, unförmiger Schatten geisterte, kniff er verwundert mit den Augen. Der Spuk verschwand sofort wieder. 23
Brausewetter grinste – ein Nervenschwacher hätte wohl, bereits Angstzustände bekommen. Aber was war das? Wieder taumelte etwas um den Wagen, klatschte gegen das Wagenfenster neben ihm, daß er unwillkürlich zusammenfuhr. Und dann huschte wieder ein Schatten vom Dach herunter auf die Motorhaube, blieb aber an der Scheibe vor ihm hängen und versperrte Ihm die Sicht. Deutlich konnte er einen großen Falter erkennen. Brausewetter Schüttelte ärgerlich den Kopf, aber die Erscheinung verschwand nicht wieder. Instinktiv fuhr er rechts heran lind bremste. Warnberg richtete sich aus seinem Dämmerschläfchen auf. „Schon da?“ „Machen Sie nicht die Hosen voll, Warnberg – sie sind da!“ Warnberg spähte lebhaft umher. Dr. Brausewetter schaltete die Scheinwerfer ab. Und dann fuhren zwei Männer zusammen und hatten auch alle Ursache dazu. Was ihnen entgegenschimmerte, war das nackte, schreckliche Grauen. Zwei knopfgroße Tieraugen. Feindselig – ungemein tückisch und mordgierig. Und dahinter ein widerwärtiger Körper mit lauernd fächelnden Flügeln und Fühlern, die über das Glas tasteten. Genaue Einzelheiten konnten die beiden nicht so schnell erkennen, doch Dr. Brausewetter war geistesgegenwärtig genug, seine Kamera aus der Tasche zu reißen und drei, vier Aufnahmen zu machen. Dann setzte er den Scheibenwischer in Bewegung. Widerwillig zog der Falter seine Fühler zurück, taumelte dann hoch und verschwand über dem Wagendach. Warnberg stöhnte erleichtert auf. „Gott sei Dank, die wären wir los.“ „Also tatsächlich solche fremden Biester“, stellte der Architekt trocken fest „Bin nur gespannt, ob die sich hier geschwaderweise herumtreiben.“ 24
„Man müßte die Polizei benachrichtigen.“ „Das auch. Augenblick.“ Ohne sich um den warnenden Ausruf seines technischen Zeichners zu kümmern, der ihn zurückhalten wollte, öffnete er den Schlag und kletterte aus dem Wagen. Er hatte sich noch nicht aufgerichtet, als zwei dieser Bestien über ihn herfielen, mit furchtbaren Todesaugen und aufgeregtem Flügelschlagen. Im Nacken spürte er etwas. Fluchend sprang er zurück, aber als Warnberg ihn mit fliegenden Händen, in den Wagen zerren wollte, fluchte er nicht mehr. In seinem Gesicht geschah etwas Grauenvolles –• es wurde starr und fremd. „Doktor – Doktor …!“ Keine Antwort Warnberg wußte selber nicht, wie er es fertigbrachte, seinen Chef weiter in den Fond zu zerren, wo er – unerklärlich und erschütternd – in einer verzerrten Haltung hocken blieb. Mit heulendem Boschhorn jagte Warnberg nach Frankfurt, raste wie die Feuerwehr durch die Hauptstraßen und bremste so scharf vor der Charité, daß der Wagen wegrutschte. Zwei Ärzte und einige Wärter kamen gerannt Warnberg war schon draußen und stürzte aschgrau einem der Ärzte entgegen, den er kannte. „Um Gottes willen – sehen Sie sich Brausewetter an!“ Der Arzt begriff sofort. Er beugte sich in den Wagen, und dann geschah sekundenlang nichts, als daß sich die Hände des Arztes immer fester um die dünne Wagenwand preßten. Hinten im Fond hockte noch immer der Mann, der Dr. Brausewetter hieß. Der Arzt erkannte ihn an seiner kleinen Stirnnarbe und an dem kleinen Topas am Ringfinger. „Brausewetter“, sagte er aufmunternd. „Menschenskind …“ Der Mann rührte sich nicht. Der Arzt überlegte kurz, dann faßte er den Mann an, der Dr. Brausewetter hieß, und willig folgte der ihm. Wie ein Auto25
mat Wie ein Roboter. Sie führten ihn zum Portal. Als der Stationsarzt den Mann mit dem starren Gesicht und den unbewegten Augen sah, wurde er sehr bleich. „Wer ist das?“ rief er aus. „Dr. Brausewetter!“ Der Stationsarzt trat dicht an ihn heran, wandte sich dann plötzlich um und verließ den kahlen Raum. Einer seiner Assistenten folgte ihm Der Stationsarzt schüttelte den Kopf. „Das ist er nicht“, sagte er ratlos. „Und das soll ich Ihnen glauben?“ WP-Präsident Lord Clifford wußte nicht, was noch werden sollte. Er war innerlich bereits fertig, und der Wahnsinnstaumel der unheimlichen Falter begann erst. Noch hatte der Mars seine größte Annäherung an die Erde nicht erreicht, und schon knallten solche Nachrichten: „Bei Frankfurt wurde ein deutscher Architekt von den Faltern überfallen, Mylord – das ist kein dummer Scherz“, meldete eine kühle Stimme. „Der Mann hat sein eigenes Ich verloren. Selbst seine Frau erkennt er nicht mehr. Es ist, als warte er auf Befehle einer unbekannten Macht, deren Roboter er geworden ist.“ „Schön“, kaute der Lord böse. „Ich will es Ihnen glauben. Halten Sie mich in dieser Angelegenheit auf dem laufenden.“ Kurz darauf wurde ihm durchgegeben, daß auch in Südschweden, Westaustralien und Bolivien die gespenstischen Falter gesehen worden seien. Aber an diesen Punkten hatten sie keinen Menschen angegriffen. Lord Clifford blieb die Nacht über in seinem Büro. In den Morgenstunden wurde ihm gemeldet: „Raumschiff Parker hat sich dem unbekannten Schiff bis auf 160 Meilen genähert.“ Er ließ einen Funkspruch an das Schiff absetzen.
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Als Jim Parker von dem Überfall bei Frankfurt erfuhr, ging es wie ein Ruck durch ihn. Mit überwachen Augen sah er zu Brauer hinüber, der ihm den Funkspruch des WP-Präsidenten hingereckt hatte. Wernicke und Gina Winter sahen aufmerksam hoch. „Eine wichtige Nachricht, Kommodore?“ „.Haben sich die bösen Falter unserem dicken Boß auf die Nase gesetzt?“ Der Kommodore horchte auf das gleichmäßige Arbeiten der auf volle Kraft geschalteten Atommotoren, das in leichten Schwingungen den Schiffskörper durchlief. Sie hatten schon alle ihre Raumausrüstung angelegt, denn in wenigen Stunden würden sie heran sein, und wer konnte wissen, was ihnen dann bevorstand. Insgeheim bewunderte Jim sehr die blonde Gina, deren schmales Gesicht keine Spur einer Aufregung zeigte. „Du triffst haarscharf daneben, Fritz – die Falter gibt es aber wirklich, und sie haben bereits die Erde erreicht. Ich möchte nur mal wissen, wie. sie dorthin gelangt sind, und woher sie kommen.“ Gina Winter schüttelte sich nun doch. „Ist das auch kein Scherz, Mister Parker?“ „Lord Clifford hat in seinem ganzen Leibe keine humoristische Ader“, grinste Jim flüchtig und horchte wieder auf das Arbeiten der Atommotoren, das ihm irgendwie nicht, gefiel. „Außerdem …“ „Außerdem?“ faßte Wernicke nach. „Außerdem haben die Biester – sie sind leider bösartig – in Deutschland auf offener Straße einen Kraftfahrer überfallen und ihn irgendwie schwer verletzt. Der Mann hat seinen Charakter geändert und ist zu einem menschlichen Roboter geworden.“ „Unmöglich!“ „Scheußlich, Jim – aber …“ „Augenblick, Fritz“, winkte der Kommodore ab und nahm ein Meßgerät vom Kontrolltisch. 27
„Ich muß mich mal um Wellington kümmern. Paßt auf, daß hier vorn nichts schiefgeht.“ Er nickte dem Steuermann zu und verließ die Führerkabine. Hinter ihm brodelte die Erregung seiner Getreuen auf. Gina Winters Blick ging in weite Fernen – vielleicht dachte sie in diesem Augenblick doch an ihren Vater und an ein kleines Dorf an der Elbe. „Mein Gott, wenn sie scharenweise über die Menschen herfielen.“ Fritz Wernicke steuerte das rasende Schiff kaltblütig durch den Raum, dem eingepeilten Ziel entgegen. Schon konnte man mit der hochentwickelten Bordoptik den winzigen Körper eines fernen Raumschiffes ausmachen, das sich aus den Tiefen des Raumes herausschälte. Der Steuermann schnippte mit den Fingern. „Bei allen Planeten – wir werden sie ausräuchern!“ „Aber auf der Erde sollen doch bereits welche sein.“ „Die nehmen wir uns auch noch vor.“ Jim betrat den Motorenraum. „Hallo, Wellington – alles in Ordnung?“ Vor ihm lag langgestreckt und mit raffiniertem Kunststoffmantel gepanzert der Atommotor, hinter dem sich ein kleines Podium mit Sitz und Schalttafel erhob. Ein Mann beobachtete dort kritisch die grünen Anzeigebalken, die lautlos über die Skalen glitten. Als er den Kommodore bemerkte, nickte er kurz. „Hallo, Chef!“ „Wie sieht es aus bei Ihnen?“ „Wir haben jetzt 640 000 Meilen mit Höchstgeschwindigkeit zurückgelegt“, knurrte die harte Stimme vom Podium her, „aber es wird alles nichts nützen.“ Jim Parker durchquerte mit wenigen Schritten den Seitengang neben dem vibrierenden Motor und stand gleich darauf neben seinem Bordingenieur. Wellingtons breites, verschlosse28
nes Gesicht war düster und drückte eine dumpfe Schicksalsergebenheit aus, die sonst gewiß nicht zu diesem Rauhbein paßte. Jim hob die Augenbrauen. „Ist Ihnen nicht gut, Mann?“ Der Bordingenieur hob mit kurzem Auflachen die Schultern und zeigte auf das Bullauge, hinter dem das Schweigen des Raums ohne Anfang und ohne Ende stand. „Ich habe über den Bordsprecher gehört, was Sie eben vorn bekanntgaben, Kommodore. Und wenn es wirklich so ist, daß der Mars die Erde mit Insekten angreift, werden wir uns beim Zusammentreffen mit dem Gespensterschiff auf einiges gefaßt machen müssen.“ Jim wurde sehr aufmerksam. „Haben Sie etwa Angst, Wellington?“ „Angst?“ lachte der Bordingenieur wieder und sah auf. „Das wäre das erstemal, Parker.“ Hinter ihm rutschte ein grüner Balken zwei Werte hoch; ein kaum merklicher Fingerdruck regulierte den Motor. „Aber Sie werden sehen – diese niedlichen Biester werden mich fertigmachen – mich – verstanden?“ Der Kommodore schüttelte den Kopf. „Ich kann Ihnen wirklich nicht folgen, Wellington.“ „Parker, ich werde den Todesfaltern geopfert werden wie einst eine Jungfrau ihren Götzen“, grinste Wellington verzerrt. „Warum starren Sie mich so an? Ich bin noch normal.“ Wieder pendelte der Anzeigebalken um Millimeter. Jim folgte sehr aufmerksam den Bewegungen Wellingtons, der auffallend bleich geworden war. Von vorn kam zwischendurch eine kurze Distanzdurchsage Wernickes. „Wollen Sie nicht endlich deutlicher werden, Wellington?“ „Es wird hart auf hart gehen.“ „Möglich. Und?“ „Mich werden sie dabei, erwischen – mich …“ Mit einer jähen, gereizten Bewegung stellte er einen Hebel am Schaltbrett 29
und wandte sich um. Seine Hände hoben sich, und Jim sah, daß sie zitterten. In das Summen des Motors hämmerte plötzlich die Qual eines Mannes, der sonst verschlossen war wie kein zweiter – der jetzt hinausschreien wollte, was ihn bedrückte und es doch nicht konnte. Jim trat dicht vor ihn und legte ihm die Hände auf die massigen Schultern. „Wellington – was wissen Sie von diesen unheimlichen Faltern?“ Schweißtropfen standen dem Bordingenieur auf der Stirn. Er keuchte. Alles versank um sie, und nur das Schicksal eines sonst so uninteressanten Mannes war plötzlich wichtig. Wellington sah verzweifelt an dem Kommodore vorbei. „Was soll ich sagen? Ich weiß eben, was mir bevorsteht.“ „Ahnungen?“ Wellington kaute mechanisch. Seine Lippen formten die Antwort. Aber da erklang über ihnen ein Glockensignal. Schrill. Dreimal. Aufpeitschend. Wellington sah sehr finster aus, als der Kommodore sofort seine Schultern losließ und zurücktrat. „Da haben wir sie, Parker!“ „Wellington“, sagte Jim beschwörend. „Reißen Sie sich jetzt am Riemen – weg mit allen Grübeleien – ich bitte Sie …“ „Ich werde es versuchen, Kommodore!“ Der Bordingenieur blieb in seiner verschränkten Haltung stehen, bis Jim Parker aus dem Raum verschwunden war. Dann drehte er sich mit einer müden Bewegung um, stützte den erhobenen Arm gegen die Schalttafel und preßte sein Gesicht dagegen. Unnennbares Grauen durchflutete ihn. Der Kommodore aber stürzte bereits im Führerraum an den Bildschirm, an dem Gina Winter bewegungslos und unendlich beherrscht saß. „Was ist los, Herrschaften?“ „Sehen Sie, Mister Parker?“ Über die Quadrate des Bildschirms geisterte es heran – der Schattenriß des fremden Schiffes – fingerte über 117, 56 B bis 30
zum Abschirmkreis. Der Kommodore preßte die Fäuste zusammen. „Da haben wir sie“, hatte Wellington gesagt, und er hatte recht. Das Geisterschiff hatte seinen Kurs so waghalsig genommen, daß sie mit ihm zusammenstoßen mußten, wenn sie nicht haarscharf manövrierten. „Der hat uns ausgemacht, Jim“, sagte Wernicke vom Führerstand her. Der Kommodore langte neben sich zum Kontrolltisch und schaltete auf Bordruf. „Hallo, Wellington – zurück auf TCD!“ „… … … zurück auf TCD!“ Den Bordingenieur riß es aus seiner dumpfen Furcht wieder hoch, als die klare, harte Stimme seines jungen Schiffsführers die Anweisung gab. Aber er ging innerlich nicht mit. Seine Hände tasteten mechanisch über die Schaltung und setzten die Eigengeschwindigkeit herab. Das Summen des Motors ging in ein feines, kaum noch hörbares Schwingen über. Wellington stand da und konnte seinen eigenen Körper nicht mehr beherrschen, und vor seinen Augen verschwamm die eiskalt-sachliche Anlage des Raums zu einem gespenstischen Bild und wurde zum Weltall. Grell standen die Sterne. Wie leuchtende Punkte hoben sie sich vom schwarzen Firmament ab. Wellington kannte das Bild von vielen Raumflügen her. Aber heute regten ihn die fernen Sterne auf. Sie glosten ihn an wie fremde, hohnvolle Götter. Als wenn er in einem anderen Land stand, das zu durchforschen ungemein gefahrvoll war. Sie lebten ja, diese Sterne – sie waren Tieraugen – Insektenaugen. Ob sie ihn schon jetzt, auf der Stelle, haben wollten? Wellington wußte es nicht. Aber den langgestreckten Schiffskörper, der direkt auf sie zuraste, konnte 31
er auf Anhieb ausmachen. Das war das Gespensterschiff, und mit ihm kam der Tod, zu ihm, zum S.A.T.-Ingenieur Wellington. Aber noch einmal erhob sich die klare Stimme Jim Parkers, die wieder über den Bordruf kam. „Runtergehen auf TCB in fünf Stufen!“ „Runtergehen auf TCB in fünf Stufen“, wiederholte Wellington mit einer Stimme, die ihm selber fremd war. „Ist er gleich heran, Parker?“ „Noch nicht. Drei zu, Wellington!“ „Drei zu“, wiederholte Wellington abermals, und während er es sagte, wurde er ganz ruhig. Der Zusammenstoß war nicht mehr abzuwenden, da konnte Parker die tollsten Steuermanöver durchführen. Der andere, der Gespensterraumer wollte den Zusammenstoß. Aber in diesen letzten Minuten vor dem unabwendbaren Ende des eigenen Schiffes wurde es Wellington eiskalt ums Herz. Was nun geschah, erlebte er wie in einem gruseligen Alpdruckfilm, und er empfand nur ganz unbewußt, daß es auch um ihn dabei ging. Kaum hatte er die letzte Anordnung des Kommodores durchgeführt, als Jim sich wieder von vorn meldete. Diesmal aber voll verhaltener Wut. „Wellington – bereithalten zum Aussteigen – wieder auf TCE!“ Der Motor lief schneller. Deutlich nahm Wellington wahr, was draußen geschah. Das Gespensterschiff war bis auf zwei, drei Meilen heran. Der Kommodore versuchte, vor dem außerordentlich schärfen Bug des Raumers, der nun rot und grell und brüllend aufflammte, vorbeizujagen. Wellington zählte mit dröhnenden Schläfen. Eine Sekunde – eine nur. Zurücktaumelnd schloß er die Augen, als es um ihn widerwärtig und schrill aufschrammte. Der andere hatte sie aufgespießt. 32
Regelrecht aufgespießt. Wellington wurde das Podium unter den Füßen weggerissen. Er flog plötzlich in einem Gewirr von Trümmerstücken. Noch einmal tönte es über den Bordruf: „Schiff verlassen!“ Wellington war schon draußen. Vor ihm ragte die Backbordseite des roten Geisterschiffes auf. Deutlich schwebte einige hundert Meter vor ihm, was er gefürchtet hatte. Er wunderte sich zunächst darüber, daß dieses Schiff die bei den alten irdischen Raumschiffen gewohnte schnittige Form zeigte, wenn es auch eine wesentlich andere Bauart verriet. Auffällig war eigentlich nur, daß Bullaugen so gut wie ganz fehlten – nur am Bug waren neben einer großen Sichtscheibe zwei angebracht _., „Sie ganz harmlos aus, was, Wellington?“ … . Der Bordingenieur wandte in seiner Kunstglashaube den Kopf und sah vier . unförmige Gestalten neben sich im freien Raum schweben. Sie waren also, bereits alle von Bord gegangen. Ihr Schiff war ein wüster Trümmerhaufen, – der weitab von ihnen seine ewige Bahn zu ziehen begann. „Der hat uns aber einen ganz schönen Bumms gegeben, Kommodore.“ „Ich bin gespannt wie es in dem Kahn dort vorn aussieht.“ „Hoffentlich hat man von ‚Luna nova’ aus alles beobachtet.“ „Ich habe mit Brauer noch einen Spruch abgesetzt.“ Jim Parker ließ das Schiff nicht aus den Augen. Drüben rührte sich nichts. Keine der beiden Backbordluken öffnete sich, um den Schiffbrüchigen zu helfen. Aber auch keine Waffe flammte auf, um sie zu vernichten. Unheimlicher Anblick und todesstarres Schweigen. Und nur das eigene Blut sang und hämmerte schmerzhaft in den Schläfen. Brauer bemühte sich mit einigen Lenk-. 33
Schüssen, in Ginas Nähe zu kommen. Sie war nun doch sehr bleich und starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Der Kommodore winkte dem Steuermann und Oberleutnant Bleß. „Wir drei müssen ran. Die anderen warten.“ „Augenblick!“ Aus Wellingtons Rückstoßer flammte es zweimal kurz auf – er trieb sich neben den Kommodore. Nun, da alles so gekommen war, wie er vorausgesagt hatte, war er wieder der alte. „Ich hoffe nicht daß Sie mich für einen Feigling halten.“ „Ihre Ahnungen …“ „Jetzt nicht mehr, Kommodore!“ Jim drückte viermal ab. Wie ein Pfeil schoß er durch den leeren Raum auf die rote Rundwand zu, die immer mächtiger und drohender vor ihm aufwuchs. Er bemühte sich, an den Bug heranzukommen, und es gelang ihm auch nach einigen Steuermanövern. Wahrscheinlich nützte es nicht viel, aber Jim hatte immerhin einige Instrumente bei sich, die es mit allen Wundern des Kosmos aufnehmen konnten. Eines dieser Instrumente preßte er gegen ein Bullauge, und was er dann sah, ließ ihn unwillkürlich zusammenfahren. Im Führerstand hockten zwei leblose Gestalten. Hinter ihnen, neben einer Art Kontrolltisch, der aber wesentlich kleiner war als die der S.A.T.-Schiffe, streckte sich ein dritter menschlicher Körper, der im Fallen einen kleinen Kasten mit sich herabgerissen zu haben schien. War es vielleicht der Unbekannte, der die Erde vor den Insekten gewarnt hatte? Jim schüttelte das Grauen von sich ab, das ihn aus diesem treibenden Sarg ansprang und hangelte sich entschlossen die Schiffswand entlang, bis er die Haltegriffe der ersten Luke vor sich hatte. Wie aufgeblähte Fabelwesen folgten ihm seine Kameraden – die Atombrenner schußbereit in den Kombiklauen. „Nicht reinzukommen, wie?“ „Was hast du gesehen, Jim?“ 34
„Drei Männer. Wahrscheinlich tot. Aber gewiß nicht von anderen Planeten.“ Ein Aufatmen ging durch die Reihe. „Also ist es nichts mit dem Marsangriff“, freute sich der Oberleutnant. „Abwarten!“ Jim tastete vorsichtig die Einschlußlinie entlang und stellte mit außerordentlicher Vorsicht seinen Atombrenner. Ein messerscharfer grüner Strahl flammte sekundenlang durch die Schwärze, schnitt ein Rechteck aus der Luke, groß genug, einen schlanken Mann durchzulassen. Noch enger drängte sich die Gruppe an die Bordwand – nur Brauer hielt sich mit Gina Winter absichtlich zurück. Bevor die anderen es recht begriffen hatten, war Jim bereits im Schiff verschwunden. Wellington stieg ihm als zweiter nach. Wernicke murrte, wartete aber, bis auch der Bordingenieur eingestiegen war. Drinnen tastete sich der Kommodore mit eingeschaltetem Scheinwerfer durch die Finsternis. Entweder kannten die Burschen keine Dauerbeleuchtung für ihre Einstiegluken, oder sie hatten sie absichtlich außer Betrieb gesetzt. Wellington ‘atmete schon wieder erregter und stieß mit dem Kommodore zusammen. „Vorsicht, Mann!“ Wellington aber blieb neben dem Kommodore. „Vielleicht ist es besser, Parker, daß ich …“ „Psst – still …“ Irgendwo wurde ein Geräusch laut. Als wenn Vögel durch das Schiff flatterten. Es war kaum zu hören, dieses ferne Geräusch, doch es ließ das Blut der Männer erstarren. Die Falter? Jim überlegte kurz, gab dann aber doch ein Signal nach draußen, das auch Brauer und Gina Winter einsteigen ließ. Sie konnten schließlich nicht im All herumtreiben, bis Rettungsschiffe heran waren. Gewandt stemmten sich Gina und der Funkoffizier an Bord. Kein unnötiges Wort wurde gesprochen. 35
Wernicke dichtete die Luke wieder ab. Dann fuhr der Scheinwerferstrahl weiter über die jenseitige Schleusenwand, hinter der sich Gänge oder Kabinen erstrecken mußten. Rechter Hand mußte sich der Führerraum mit den toten Raumfliegern befinden. „Zurück mit euch allen!“ Jim stellte sich breit. Bei allen Raumschiffen, die er bisher gesehen hatte, war es üblich, daß die Schottür zwischen Schleuse und Schiffsinnerem vom Führerstand aus bedient wurde, außerdem aber ein Elektroöffner innerhalb der Schleuse angebracht war. Er pfiff zufrieden durch die Zähne, als seine tastende Rechte auch hier diesen Öffner fand. Na also! So Unheimlich ließ sich alles gar nicht an. Aber was mochte noch kommen? „Anschließen!“ Er ließ die Schottür. mit einem Ruck aufschnellen. Es gab einen kurzen, bellenden Laut, dann schwang sie aus. Vor ihnen lag der Mittschiffsgang. Dunkel. Zwei, drei Kombischeinwerfer knallten in diese Dunkelheit. Nichts. „Der Kasten ist ausgestorben“, flüsterte Wellington heiser. Der Kommodore antwortete nicht. Wellington konnte sehen, daß sein junges Gesicht von abweisender Kälte gezeichnet war. Schritt für Schritt gingen die sechs durch den Gang. Als rechts von ihnen eine Kabine abging, blieb Wellington plötzlich stehen. „Hört ihr nichts?“ sagte er gequält. Wieder war das Schwingen unsichtbarer Flügel vor ihnen. Jims Lichtbalken ging über kaltes Metall und rötlich schimmernden ;Kunststoff. Der Gang fand ungefähr zehn Meter vor ihnen an einer Schottür ein Ende. Was dahinter lag, war rätselhaft und konnte unzählige Gefahren bergen. Nichts. Wellington spürte wieder, wie die quälende Unruhe über ihn 36
kam. In seinen Ohren blieb dieses singende Schwingen, wie man es an Sommertagen auf einsamen Feldern hören kann, oder an stillen Wassern, wenn Libellen und Käfer kreisen. Ein Gedanke kam ihm. „Licht aus, Kommodore!“ Jim gab ohne zu zögern den Befehl. Die Finsternis eines toten Raumschiffes fiel über sie her. Für Bruchteile einer Sekunde stockte ihnen der Atem. Dann schrie Gina Winter auf, und es war verständlich, daß sie gellend aufschrie. Wo eben noch der nackte Schiffsgang vor ihnen lag, leuchtete plötzlich aus der Finsternis ein Augenpaar auf. Tieraugen. Insektenaugen. Wie die unheimlichen Sterne, die Wellington vorhin gesehen hatte. Wenige Meter vor ihnen. Sie überquerten schwebend den Gang – immer wieder als wollten sie den Eindringlingen den Weg absperren. „Bei allen Planeten!“ Jim Parker schenkte sich lange Überlegungen. Er stieß einfach und auf gut Glück die Kabinentür auf. Instinktiv zog Brauer das junge Mädchen hinein, als könne er sie so vor den unheimlichen Insektenaugen schützen. So sah wenigsten? Gina nicht das Grausige, das sich auf dem Gang abspielte. -Wellington stürzte sich auf die leuchtenden Augen. Als folge er einem Befehl. Jim und Wernicke und Bleß wollten ihn daran hindern. Der Kommodore warf sich ihm in den Weg, kam aber dabei im dunklen Gang zu Fall. Wellington sprang über ihn. Spürte, wie etwas gegen seinen Hals prallte, wie etwas glatt durch seine Kombination schnitt. Dann wurde es dunkel um ihn. „Müssen aussteigen und uns auf das Gespensterschiff retten.“ Der Chef der S. A. T.-Funkstation in Orion-City hatte seinem Fernfunker vom Dienst über die Schulter gesehen, als dieser 37
den Ruf aus den Tiefen des Alls – aufgefangen und weitergegeben – von „Luna nova“ – abspulte. Die Blicke der Männer trafen sich, als der Funkchef das Papier an sich nahm. Dann wandte er sich wortlos ab. Eine Minute später stand er Generaldirektor Cunningham gegenüber. „Von Parker?“ Cunningham beförderte ahnungsschwer seine Havanna in den Ascher. „Gutes bringen Sie mir natürlich nicht.“ „Kommodore Parker ist mit dem Gespensterschiff zusammengestoßen“, berichtete der andere atemlos. Cunningham richtete sich sehr gerade auf. „Zeigen Sie her!“ Er zerkaute schweigend seine erste Erregung. Dann wuchtete er seinen massigen Körper völlig aus dem Sessel auf, riß den Hörer von der Telefongabel und gab einige kurze Befehle, Der Funkchef entfernte sich mit einer kleinen Verneigung. Für ihn würde es gleich Arbeit in Fülle geben. In weniger als einer halben Stunde würden die ersten Raumschiffe von Erde und Außenstation aus losrasen, um Parker und seinen Kameraden zu helfen. Cunningham aber war sehr mitgenommen. Als Oberst Mortimer vom Sicherheitsdienst hereinstelzte, winkte er ab. „Wenn Sie mir auch noch eine Hiobsbotschaft bringen, werfe ich Sie eigenhändig zum Fenster raus.“ „Aufforderung zum Ringkampf wird abgelehnt“, grinste der Sicherheitshäuptling friedfertig, wurde aber sogleich wieder ernst, als er in einen Sessel gefallen war und die langen Beine von sich streckte. „Ich habe schon gehört, Cunningham – eine böse Sache!“ „Ihre Meinung?“ „Was kann In dieser Situation meine Meinung wert sein“, schüttelte der Oberst vorsichtig den Kopf und begann, sich eine seiner stinkenden Zigarren zu drehen. „Wir müssen abwarten, ob Jim sich von Bord dieses Geisterschiffes meldet.“ 38
„Und wenn man sie gefangennimmt, Mortimer – oder einfach umbringt?“ Der Generaldirektor wurde wenigstens dieser schrecklichen Befürchtung enthoben, dafür aber in andere Sorgen gestürzt, als gleich darauf ein weiterer Funkspruch von Jim Parker eintraf. „An Bord des fremden Schiffes. Wenig wahrscheinlich, daß dieses von einem anderen Planeten kommt. Besatzung tot. Schiff voll manövrierfähig. Wurden jedoch von Insekten unbekannter Art angegriffen. Wellington dabei verletzt. Melden uns wieder. Parker.“ Mortimer war sehr bleich geworden. „Wellington – armer Teufel!“ „Also hat der Kasten doch Insekten an Bord“, nickte Cunningham düster. „Wir werden verdammt aufpassen müssen, wenn Parker sich mit ihm der Erde nähert.“ Mortimer zerdrückte seine Zigarette. Das sollte Wellington sein? Der Kommodore zerrte einen menschlichen Roboter in die Kabine, in die sich Brauer und Gina Winter bereits geflüchtet hatten – einen fremden Mann mit totenähnlichem, versteinertem Gesicht unter der runden Kunststoffhaube, dessen Anblick so erschütternd war, daß Gina sich schluchzend abwandte. „Mister Parker – wer ist das?“ „Gina, fragen Sie nicht“, schluckte Jim Parker und führte den Willenlosen vorsichtig zu einer Bank. Zum erstenmal wußte Jim nicht, was er mit einem verletzten Menschen anfangen sollte. Verletzt? Körperlich hatte dem Bordingenieur der Stich kaum geschadet, aber seelisch war mit ihm in Minuten eine grausige Verwandlung vorgegangen. Aus dem brummigen, verschlossenen Wellington war ein Fremder geworden, der nicht mehr Herr seiner selbst zu sein schien. 39
„Wellington – setzen Sie sich auf diese Bank.“ Aber der Mann, der Wellington hieß und es doch nicht mehr war, schien es nicht gehört zu haben. Seine Augen waren wohl auf den Kommodore gerichtet, aber sie sahen ihn nicht. Als Jim jedoch mit wenigen Handgriffen energisch nachhalf, setzte er sich wie ein gehorsames Kind. Das also war Wellington. Der Kommodore schüttelte energisch das Grauen ab, das ihn aus dem weißen, fremden Gesicht seines Kameraden ansprang. Vorsichtig, fast ängstlich, ging sein Blick über seine Gefährten, die ihn stumm und wie in einem phantastischen Angsttraum umstanden. „Ich will euch nichts vormachen. Es tut mir leid, Fräulein Winter, daß ich Sie diesen scheußlichen Gefahren aussetzen muß. Mit Ausnahme von Kabine und Führerraum wimmelt das Schiff von bunten, großen Faltern. Wie furchtbar sie sind, sehen wir an Wellington. Ich hoffe, ihr begreift, was das bedeutet.“ Wernicke, der sich fertigmachte, um vorn das Steuer zu übernehmen, blieb stehen „Verflucht noch mal – eine schöne Bescherung!“ Brauer sah auf seine klobigen Kombibeine nieder. „Wir können nicht zur Erde zurückkehren?“ „Mit diesen fliegenden Bestien an Bord – niemals!“ „Aber diese Falter sind doch auch schon auf der Erde gesehen worden“, drängte der Funkoffizier verzweifelt, der spürte, wie nahe die sonst so tapfere Gina Winter am Zusammenbrechen war. „Wenn wir hier nur Männer wären, könnten Sie das schon von uns verlangen, aber so …“ „Nehmen Sie bitte auf mich keine Rücksicht“, sagte Gina mit zitternder Stimme. Jim lächelte ihr aufmunternd zu. „Wir wollen nicht für ewig als Ausgestoßene im All herumfliegen. Wellington muß auch möglichst rasch unter ärztliche 40
Kontrolle kommen.“ Er sah sich in der Kabine um, die so gar nichts Geheimnisvolles an sich hatte. So hätte es in jedem S. A. T.-Schiff aussehen können. Doch plötzlich stutzte er, trat an ein offenes Wandspind und entnahm einem Fach einen Holzkasten, in dem nichts anderes lag, als drei gute, solide Revolver. Vorsichtig nahm er sie in die Hand und wandte sich kopfschüttelnd an Bleß, der neben ihm gegen ein Ruhebett lehnte. „Komisch, was?“ Der Oberleutnant richtete sich neugierig auf. „Revolver – an Bord eines Raumschiffes?“ „Eben.“ Jim wog eines der Schießeisen in der Hand. Es waren beste belgische Fabrikate, und sie sahen wundervoll gepflegt aus. Ein Waffenliebhaber hätte seine helle Freude an ihnen gehabt. Für Jim aber wurden sie immer bedeutungsvoller, je länger er sie betrachtete. Die toten Männer, die nebenan in dem Führerraum lagen, hatten diese Waffen gewiß nicht aus Liebhaberei mitgenommen, obwohl sie lange nicht gebraucht zu sein schienen. Aber zweifellos hatte man mit Situationen gerechnet, in denen mit ihnen geschossen werden sollte. Auf Menschen? Kaum anzunehmen – Raumflieger pflegten seit vielen Jahren fast nur noch mit Strahlwaffen zu kämpfen. Dann blieben nur noch … „Erde, Mars und Venus!“ Der Kommodore konnte seinen alten Schlachtruf nicht unterdrücken. Blitzschnell erkannte er die Bedeutung der Feuerwaffen. Daß die Falter mit Atomstrahlen nur zu betäuben waren, hatte er vorhin festgestellt, als er Wellington helfen wollte. Er faßte bereits seinen Entschluß und schnippte mit den Fingern. „Wernicke – wir steuern den Mond an!“ „Okay!“ Der Steuermann grüßte und verschwand im Führerraum. „Brauer – Sie setzen sofort eine entsprechende Meldung an 41
Orion-City ab. Lassen Sie Professor Valentin vom ‚Weltinstitut für Biologie’ zum Mond beordern. Wir werden ihm Falter in Massen mitbringen.“ „Okay!“ „Bleß – wir beide …“ Jim wollte einfach zum Angriff gegen die schwirrenden Bestien übergehen, die mit ihnen dieses geheimnisvolle Raumschiff teilten, aber er kam eine Minute zu spät. Das singende Schwingen war wieder da. Jim befahl seinen Gefährten mit einer kurzen Handbewegung, in den Führerraum zu gehen. Nur Bleß und er blieben. „Wir müssen sie mit den Atomstrahlen zurückwerfen und mit diesen Knallern abschießen.“ Bleß nahm einen Revolver. „Aha – also dazu …“ „Fertig, Bleß?“ Der Kommodore trat an die Schottür zum Gang. Den Atombrenner in der Hand. Bleß postierte sich weiter zurück. Er nickte. Sein Jungengesicht war hart und entschlossen. Vorn aber ließ Wernicke das Schiff auf volle Fahrt gehen. Kurs: Erdmond! Bleß feuerte seinen Revolver ab. Der große Falter war durch den Atomstrahl geblendet oder betäubt worden. Er hatte in seiner sehr schönen und eleganten. Flugbewegung innegehalten, war zurückgetaumelt, als wolle er sich rücklings überschlagen. Aber auch diese Bewegung vollendete er nicht, war plötzlich wieder in seiner alten Fluglage und stieß wütend auf Jim Parker zu. In diesem Augenblick feuerte Bleß. Die Kugel traf den Falter in der Brust und zerfetzte ihn. Die Teile des zerrissenen Körpers flogen durch die Kabine und fielen irgendwo hinter den Männern nieder. Bleß leckte sich die Lippen. 42
„Der erste, Kommodore!“ Jim Parker lächelte grimmig. Keine Sekunde ließ er die geöffnete Schottür zum Schiffsgang aus den Augen. Im Gang schwirrten sie, und es würde aus sein, wenn sie alle auf einmal angreifen sollten. Ihre Stachel gingen glatt durch die dicksten Kombinationen, und Jim gab sich da gar keinen Hoffnungen hm Oder hatten diese Bestien mit ihren erbarmungslosen, kalten Augen etwa die Gewohnheit, einzeln anzugreifen? Wieder schwirrte es durch die Schottür. Wieder flammte der Atomstrahl und knallte der Schuß. Und wieder flogen Körperteile durch die Kabine. Jim überlegte fieberhaft. So ging es nicht. Die schwirrenden Teufel belagerten sie regelrecht, und es würde unter diesen Umständen nicht einmal möglich sein, an die sichernden Luken heranzukommen, wenn Wernicke das rasende Schiff zum Erdmond gebracht hatte. Gewiß konnte man sich auf der Steuerbordseite mit dem Atombrenner einen Ausgang schaffen, doch dann bestand die Gefahr, daß sie über die Mondanlagen herfallen würden. „Verdammt – wir haben einen Fehler gemacht, Bleß!“ Wieder schwirrten zwei Insektenaugen durch die Schottür. Jim warf sie zurück. Oberleutnant Bleß knallte sie ab. „Drüben – der Glashelm, Bleß!“ Der Oberleutnant schielte vorsichtig zur Seite und sah neben sich auf dem Spindauszug einen Glashelm der toten Besatzung liegen. Er begriff, was Jim wollte. Ohne die Schottür aus den Augen zu lassen, reckte er sich und warf Jim den Helm zu, der ihn auffing, mit der Rechten jedoch unentwegt den Atombrenner hochhielt. „Verflucht, Kommodore – da kommt wieder einer!“ Jim hatte ihn schon gesehen, den großen, bunten Falter, der heranschwirrte. Atombrenner an. Zurück mit dir! Der Falter blieb in der Luft stehen und schlug abwehrend mit den Flügeln. Nun wagte es der Kommo43
dore. Ein weiterer grüner Strahl schuf noch einmal Spielraum für Sekunden. „Nicht schießen, Bleß! Schottür zu!“ Bleß begriff auch das sofort. Er stürzte an dem sirrenden Falter vorbei, überwand das scheußliche Gefühl einer niederträchtigen Furcht, als er von draußen das Summen unzähliger Insekten hörte und ließ die Schottür zugleiten. Hinter ihm drängte Jim den vor Hilflosigkeit rasenden Falter immer weiter zurück. Der Kommodore ließ die Bestie aus seinem breiten Atomstrahl nicht los, aber es sah aus, als erhole sie sich von dem Schock und wolle jeden Augenblick wieder vorstoßen. Das konnte leicht schiefgehen. Bleß hob den Revolver. „Soll ich nicht lieber …“ „Weg mit dem Ding, Mann“, rief Jim scharf. „Ich muß ihn lebend haben.“ „Kommodore, es …“ Aber Jim hatte die Gefahr schon erkannt. Der bunten, giftschönen Bestie mit den kalten Teufelsaugen hatte der Atomstrahl tatsächlich nichts anhaben können. Sie ließ sich plötzlich um Zentimeter fallen und stieß dann wie eine rasende Jagdmaschine vor. Wenn sie gegen Jim prallte, war es aus. Aber sie flog in den Glashelm, den Jim ihr entgegengeschleudert hatte. Wurde abermals betäubt. Der Helm knallte gegen eine Kojenstange, flog auf eine Bank und rollte dort aus. Gebannt standen die Männer. Doch sie hatten Glück. Der Glashelm barg den zuckenden Körper. Mit einem Jubelschrei stürzten sie sich darauf, stellten den Helm so, daß der Falter nicht entweichen konnte. Bleß sah aus, als wolle er tausend Dankgebete sprechen. „Nun haben wir wohl Ruhe bis zum Mond.“ „Hoffentlich“, sagte Jim trocken, ging nach vorn in den Führerraum, streifte mit einem teilnahmsvollen Blick die Leichen der fremden Raumflieger, die man auf die Kojen gelegt hatte. 44
Funkoffizier Brauer sah ihm aufmerksam entgegen. Trotz aller Gefahren herrschte hier vorn eine ruhige, sachliche Atmosphäre. Jim trat neben den Funkoffizier. „Spruch an Mondwerk. Schätzungsweise mehrere tausend Falter im Schiff. Massenvernichtung, wenn überhaupt, dann nur unter Einsatz von Giftgasen oder anderen hochentwickelten Giftstoffen möglich. Bei Landung unbedingt entsprechendes Mittel bereithalten. Parker. Qu/GB 6.“ Brauer ließ bereits die Peilung spielen. Gina Winter half ihm bei der Durchgabe. Vom Führerstand her, der sich in der rasenden Fahrt des Schiffes in die unergründliche Tiefe des Alls zu bohren schien, lachte Wernicke meckernd auf. „Schöne Aussichten, und das ohne Whisky an Bord dieses zehnmal verfluchten Kastens. Und was geschieht, hochedler Kommodore, wenn die Herren Giftmischer nicht mitkommen?“ „Dann müssen wir Wellington und Fräulein Winter abladen und mit dem Schiff schleunigst wieder im All verschwinden, wenn wir Mondwerke und Erde nicht noch mehr gefährden wollen.“ Professor Valentin und seinem Assistenten erging es wesentlich besser als dem trockengelegten Steuermann. Sie waren vor einer Stunde zum erstenmal in ihrem Leben auf dem Erdmond gelandet und besänftigten ihre Erschütterung über dieses großartige Erlebnis mit drei, vier Lagen hochaktiver Eisgetränke. Valentin trank bedächtig ein weiteres Glas, erhob sich dann und trat an das Fenster im Beratungsraum der Zentrale von „Luna IV“. „Giftgase, meine Herren? No – ausgeschlossen!“ Um einen niedrigen, runden Tisch saßen sechs Männer. Sie trugen leichte Leinenanzüge, die besonders für dieses mörderische Klima geschaffen worden waren, und hatten zergrübelte 45
Gesichter. Durch das große Fenster das fast bis zum Boden reichte, konnte man auf die weite Eldorado-Ebene und die fernen Amerika-Berge sehen, die im Süden verschwommen aufragten. Es war unerträglich heiß. Professor Higgins, der vor Jahren mit dem Kommodore gegen die riesigen Mondschlangen kämpfte und als international anerkannter Zoologe wieder herbeigeeilt war, zündete sich nachdenklich eine Zigarette an. „Ich fürchte, mein verehrter Kollege hat recht.“ Unruhe wurde laut. Der Funkspruch des Kommodores lag wie ein gebieterischer Befehl auf dem Tisch. Wenn es nur nicht so heiß gewesen wäre! Draußen kochte die ganze Trostlosigkeit der Mondlandschaft unter einem grün-dünnen Himmel. Irgendwo wurde laut gesprochen. Ein Schnellwagen schnurrte über den weiten, betonierten Werkplatz. Sonst über allem ein Schweigen, das darüber hinwegtäuschte, wie intensiv in den Abteilungen und Kraterwerkstätten die Arbeit auf Hochtouren lief. Unter ihnen spielte bereits die Fernpeilung, und vor dem Portal der Zentrale standen vier Hubschrauber, um die Wissenschaftler zum voraussichtlichen Landeplatz zu bringen. Hier im Beratungsraum aber war der eine noch Ratloser als der andere, und immer wieder sah man scheu auf die große Stationsuhr unter der S.A.T.-Flagge. Der kleine Italiener hob mit großer Gestik die Hände. „Es muß etwas geschehen! Wenn es uns nicht gelingt, in zwei Stunden ein Massenvernichtungsmittel zu finden, liefern wir eine tapfere Raumschiffsbesatzung und vielleicht die Mondwerke dem sicheren Verderben aus!“ Higgins winkte begütigend ab. „Das wissen wir alle, Signore Pacelli. Aber ich glaube, Mister Valentin hat einen Vorschlag zu machen.“ Valentin hatte grübelnd in das Flirren des hohen Mondnachmittags gestarrt. Nun bat er mit einer Handbewegung um die Aufmerksamkeit seiner Kollegen. 46
„Meine Herren! Wenn schon die Macht eines Atombrenners diesen seltsamen Tieren nichts anhaben kann, wieviel weniger würden Giftgase helfen. Werfen wir ihnen aber Staub unter die Flügel …“ „Aber, verehrter Valentin“, lächelte Pacelli ironisch, „Sie sollten diese Bestien noch mit Schmutzklumpen bewerfen –“ „Pacelli, hören Sie doch erst weiter“, bremste Higgins unwillig. Valentin kam wieder an den Beratungstisch zurück. „Der Strahl des Atombrenners hat die Insekten nur betäubt; nehmen wir aber radioaktiven Staub, so würde sich diese Wirkung verzwanzigfachen – sie würden daran zugrunde gehen.“ „Von mir aus mit dem dicksten Vergnügen“, sagte der stellvertretende Kommandant von „Luna IV“ sofort und stand auf. „Wenn die Herren einverstanden sind, lasse ich über die Außenstation Orion-City anrufen, da über dieses Teufelszeug nur der Generaldirektor persönlich verfügen darf.“ Higgins richtete sich etwas auf. „Nun, meine Herren?“ Nur Pacelli hob die Schultern; die anderen steckten ihre Notizblöcke weg. „Einverstanden!“ In den tiefsten Bunkern der Mondkrater lagerte dieses teuflische Mittel als graues, glitzerndes Pulver in torpedoförmigen Röhren, an die nur noch große Zerstäuber angeschraubt zu werden brauchten. Die Herren zögerten nun keine Minute mehr, und Generaldirektor Cunningham gab ohne weiteres seine Zustimmung. Keine halbe Stunde später eilte ein Trupp in den Niedergang des Arizona-Kraters. Der Verantwortliche für diesen Krater führte sie. „Ich kann in einer Stunde drei Torpedos klarmachen.“ „Das ist zu wenig“, sagte Valentin scharf. „Wir brauchen wenigstens fünf.“ „Ich werde es versuchen.“ Hinter ihnen landeten zwei mäch47
tige Urweltwesen von Hubschraubern. Unter dem Rumpf waren Greifer angebracht, die die Torpedos halten sollten! Athletisch gebaute S.A.T.-Flieger sprangen aus den Maschinen und tippten an die Kappen, als sie ihre Kameraden vom Kraterdienst begrüßten. „Sollen euren komischen Staubzucker abholen.“ „Gebt doch nicht so an. Ihr habt ja jetzt schon die Hosen voll.“ „Vor Lachen“, grinsten die Flieger. „Weil ihr euch so aufspielt. Taugt das Zeug wenigstens was?“ „Ihr könnt ja mal einen Torpedo fallen lassen.“ „Lieber nicht.“ Wernicke hatte den Erdmond bereits im Fadendreieck. „In siebzig Minuten haben wir festen Grund unter den Füßen“, freute er sich, und der Gedanke an das gute Feuerwasser der als besonders durstig bekannten Mondmänner ließ das Lächeln einer frohen Hoffnung auf seinem braunen Jungengesicht erstrahlen. Jim Parker, der mit Brauer und der immer noch sehr blassen Gina Winter hinter ihm am Empfänger saß, war wesentlich ernster. Und er hatte auch allen Grund dazu. Aus dem Empfänger – Jim hatte inzwischen alle Geräte dieses Gespensterschiffes genauestens untersucht und festgestellt, daß sie aus Frankreich stammten – erklangen alarmierende Nachrichten von der Erde zu den einsamen Weltraumfliegern. „London. Wie das Hauptquartier der Weltpolizei mitteilte, hat sich die Zahl der von den rätselhaften Faltern angefallenen und verletzten Personen in Nord- und Südamerika, Europa und Australien inzwischen auf insgesamt 29 erhöht. Bei allen Verletzten wurden die gleichen Symptome festgestellt: Ausschaltung des eigenen Willens und Verlust des Gedächtnisses. Die Weltpolizei wird in den nächsten Stunden Richtlinien herausgeben, die von allen Personen bei der Annäherung von Faltern zu beachten sind.“ 48
„Schön gesagt“, grinste der Kommodore ironisch und dachte an den Wirbelsturm der tosenden Bestien, die sich jenseits der noch halbwegs sicheren Kabinenwände austobten. „Wenn die einmal ran sind, hilft nur noch ein stilles Gebet.“ „Oder ein Wurf mit dem Kunstglashelm.“ „Das hilft nur in Ausnahmefällen“, knurrte der Kommodore und schaltete einen nordamerikanischen Sender ein, der ebenfalls sein möglichstes tat, um der Bevölkerung die Größe der Gefahr aus dem Weltall vor Augen zu halten. Jim wollte bereits mit einer verächtlichen Bewegung abschalten, als der Sprecher begann, die Orte der einzelnen Überfälle aufzuzählen. Gina stenografierte mit und reichte dann Jim den Block. Der sah nachdenklich darauf. „Wenn die Falter wirklich aus dem All kommen …“ „Oh, oh, großer Kommodore!“ „Ich sagte, wenn, Wernicke – wir müssen eben alle Möglichkeiten einkalkulieren. Nehmen wir an, außer unserem Schiff hätten noch weitere Raumer mit diesen Lebewesen die Erde angeflogen, dann müssen sie im Norden der USA, Bolivien, Mitteleuropa und Westaustralien gelandet sein. Jedenfalls haben sich an diesen Punkten der Erde die meisten Überfälle ereignet.“ „Und in Südschweden.“ „Südschweden ist ein Fall für sich, der noch genau untersucht werden muß. Dort sind zwar zahlreiche Insekten dieser Art gesehen worden; sie haben aber keinen Menschen angegriffen.“ „Wahrscheinlich ist alles in Deckung gegangen.“ „Im Gegenteil – Kinder haben auf der Straße gespielt.“ „Merkwürdig.“ Gina Winter horchte auf das unheimliche Gesumme im Hauptgang, aber Oberleutnant Bleß, der in der Mannschaftskabine mit schußbereitem Atomstrahler die Wände kontrollierte, 49
lächelte ihr beruhigend zu. Noch einmal suchte er gewissenhaft die geschlossene Schottür ab, dann wandte er sich plötzlich um und trat neben den Kommodore. „Parker, sagten Sie eben ‚im Norden der USA’?“ „Gewiß.“ Jim sah auf. „Allein in Minneapolis hat es sieben Opfer der Falter gegeben.“ „Ahem – ich meine nur, Kommodore – weil Professor Valentin aus Minneapolis stammt.“ „Und?“ Der Oberleutnant wurde etwas verlegen. „Valentin ist doch Insektenforscher, wenn ich mich nicht irre.“ Aber der Kommodore winkte ab. „Das hat noch nichts zu besagen, Bleß.“ „Landen Sie dort in der großen Mulde.“ Professor Valentin hätte wahrscheinlich laut herausgelacht, wenn er von den kühnen Kombinationen des I. W. K.Oberleutnants gehört hätte. Auch ihm lag es schwer im Magen, daß ausgerechnet in seiner Vaterstadt die Gespensterfalter aus dem Weltall ihr Unwesen trieben, aber er brachte sie nicht eine einzige Minute mit seinen eigenen Versuchen in Verbindung. Und in diesem Augenblick hatte er auch andere Sorgen. Der Hubschrauberführer führte mit betonter Achtung seinen Befehl aus. „Okay, Sir!“ „Und vorsichtig niedergehen, mein Lieber – sonst wundern sich die Leute auf der Erde über das schöne Feuerwerk am Abendhimmel.“ Der Flieger nickte grinsend. Sie führten die Staffel der Torpedoträger an, die den radioaktiven Staub zum Landeplatz des roten Raumschiffes brachte. Hinter ihnen brummten noch drei Maschinen durch die dünne Mondluft. Weiter zurück folgte eine Ambulanzmaschine, die den armen Wellington sofort an Bord nehmen sollte. Zwei der besten S. A. T.-Ärzte waren im Mondwerk einge50
troffen. Ein deutscher Mediziner von Weltruf. war: unterwegs. Valentin mußte an den jungen Journalisten denken, den er auf der Straße in Minneapolis in den Armen gehalten hatte. Menschen ohne Ich und ohne Willen. Wie mochte ihnen zumute sein? Sie litten nicht. Wenn ihre Angehörigen und unzählige mitleidige Seelen auf der ganzen Erde das gewußt hätten, wären sie, nicht ganz so verzweifelt gewesen. Sie empfanden weder körperliche noch seelische Schmerzen. Was um sie war, wurde von ihren Sinnen registriert, aber ihr Gehirn verdichtete diese Wahrnehmungen nicht mehr zu deutlichen Eindrücken. Sie waren ohne Seele und ohne Willen, und nur eine unbekannte und undeutbare Macht war um sie wie ein höheres Wesen und steuerte sie, wie man einen Roboter steuert. Zwei Hände griffen nach Pitt Smith. „Pitt – alter Junge – nun tun Sie doch nicht so, als hätten Sie mich nie gesehen!“ Pitt Smith’s Augen nahmen den Mann wahr, der vor ihm stand und ihn rüttelte. Aber er wunderte sich nicht einmal darüber, und er erkannte ihn auch nicht, obwohl es Chefredakteur Kling vom „Herald“ war. Er ließ sich widerspruchslos rütteln, bis die unbekannte, ferne Macht seinen Körper versteifte. „Das soll Pitt Smith sein?“ schluchzte der Chefredakteur und sah flehend den blassen Arzt an, der müde und überarbeitet abwinkte. „Sie sind nicht der erste, der heute eine solche Frage stellt. Geben Sie sich keine Mühe.“ Aber der Chefredakteur begann wieder, den Jungen zu schütteln. Verzweiflung und Wut und eine dumpfe Angst packten ihn. „Das ist doch Unsinn! Smith! Pitt Smith!!“ Er schrie den 51
Namen immer lauter, bis es durch das große Arbeitszimmer hallte und der Arzt mit erhobenen Armen auf sie zukam. „Smith – kommen Sie doch endlich zu sich!“ Der Journalist setzte jetzt dem Rütteln spürbaren Widerstand entgegen, wenn auch sein regungsloses, stupides Gesicht und die gleichgültigen Augen nichts davon verrieten. Doch plötzlich wandte er sich so schroff ab, daß der Chefredakteur ihn entsetzt losließ. Mit seinen automatisierten, eckigen Bewegungen schritt er durch den großen Raum auf eine Tür zu. Kling konnte kaum noch atmen. „Doc – ist er – aufgewacht?“ Der Arzt schüttelte den Kopf. Pitt Smith wurde an der Tür von zwei Krankenschwestern angehalten, die sich in den letzten Stunden das Grauen vor solchen gespenstischen Erscheinungen abgewöhnt hatten. Zunächst sah es aus, als wolle er sich ihnen widersetzen, und er wollte es auch, da die große Macht seinen Körper so auf ihre Griffe reagieren ließ, doch dann änderte sie ihren Befehl, und er ließ sich abführen. Chefredakteur Kling taumelte auf einen Stuhl und hielt sich den Hals, als würge ihn etwas. „Doo – haben Sie zufällig einen Brandy oder so etwas da?“ Der Arzt baute Flaschen und Gläser auf, wartete, bis sich Kling dreimal die scharfe Flüssigkeit hinter die Binde gegossen hatte, und steckte sich eine Zigarette an. „Nun haben Sie sich selber davon überzeugen können, Kling, wie solche Menschen ohne Willen aussehen. Tut mir leid. Ich kann verstehen, daß es Ihnen nahegeht, einen Ihrer besten Leute in einer solchen Verfassung zu sehen, aber …“ „Es handelt sich nicht allein um Smith“, unterbrach ihn der Journalist rauh und nahm sich auch eine Zigarette aus der silbernen Schale. „Ich muß annehmen, daß er das erste Opfer der Geisterfalter geworden ist – und das nicht zufällig …“ Der Arzt kniff das rechte Auge zu. „Wollen Sie mir das nicht genauer erklären?“ 52
„Deshalb bin ich ja gekommen, Doc.“ Es gehörte wohl allerhand dazu, den abgebrühten Sensationsfuchs unsicher werden zu lassen, aber nun war er soweit. Der Arzt stellte mit wachsendem Erstaunen fest, daß sogar seine Hände zitterten, als er sich seine Zigarette zurechtklopfte. Er mußte allerlei auf dem Herzen haben, der gute Kling. „Also, schießen Sie los, mein Lieber!“ „Ob Sie mir es glauben oder nicht, Doc – ich hatte Smith auf die Spur der ‚geflügelten Könige’, die wohl mit den Geisterfaltern identisch sein dürften, gesetzt, und ich konnte ihm auch gewisse Anhaltspunkte geben. Ersparen Sie mir jetzt noch Einzelheiten. Ich rief ihn gestern früh an und konnte seinen Worten entnehmen, daß er sich schon umgesehen hatte. Als ich: ihn am Nachmittag abholen wollte, war er nicht zu Hause, Sein Frühstück stand unberührt auf dem Tisch.“ Der Arzt strich seine Zigarette ab, nahm Klings Glas und schenkte nochmals ein. Der Chefredakteur trank aber noch nicht, sondern drehte es nur nachdenklich zwischen den Fingern. „Ich sprach mit seiner Wirtin. Sie hatte ihm das Frühstück gebracht und sich dabei über verschiedenes geärgert und gewundert. Er stand am Fernseher, hatte ihr den Rücken zugekehrt, und als sie grüßte, wandte er sich weder um, noch erwiderte er ihren Morgengruß. Sie hatte dann ziemlich laut das Tablett hingestellt, aber er war weiterhin regungslos stehengeblieben …“ „Was sonst nicht seine Art war?“ „Pitt war immer zu allen dummen Scherzen aufgelegt und sah in seiner Wirtin wohl immer etwas seine zweite Mutter. Es ist ihr dann direkt unheimlich geworden, und sie hat sich vorgenommen, später noch einmal nach ihm zu sehen, was dann aber leider unterblieben ist. Inzwischen ist er verschwunden.“ „Wann hat sie ihm denn das Frühstück gebracht?“ 53
„Keine Viertelstunde nach meinem Anruf, und Sie können sich darauf verlassen, Doc, daß er noch ganz der alte war, als ich mit ihm sprach.“ „Haben Sie Spuren gefunden?“ Mit einer hastigen Bewegung trank Kling sein Glas aus, stand dann auf und holte seine Aktentasche, die er neben einen Sessel gestellt hatte. Unwillkürlich richtete sich der Arzt auf, als der Chefredakteur ein Papierknäuel hervorholte und es vorsichtig auf den Tisch legte. Dann rollte er es mit spitzen Fingern auseinander. „Das habe ich gefunden.“ „Barmherziger Himmel!“ Der Arzt flog hoch und starrte auf den großen bunten Falter, der bewegungslos und mit erloschenen Augen vor ihm lag. Zum erstenmal sah er eine der Bestien vor sich, die sich anschickten, eine Welt in Panik zu jagen, und er war so überwältigt, daß er sich sekundenlang nicht rühren konnte. Dann siegte die Neugier des Wissenschaftlers, und schon hielt er Pinzette und Handschuhe in der Hand. „In der Wohnung gefunden?“ „Yes – neben der Zimmertür. Mir nur schleierhaft, daß die Wirtin nicht darüber stolperte. Halten Sie es für möglich, Doc, daß der Falter von allein in die Wohnung eingedrungen ist, die nur über Lift und verschiedene Treppen zu erreichen ist, und deren Fenster nachweisbar seit dem Vorabend geschlossen blieben?“ Der Arzt sah ihn aufmerksam an. „Das halte ich nicht für möglich, Kling!“ „Dann wird sich die Polizei über einen Anruf freuen“, sagte Kling leise und mit nicht ganz reinem Gewissen … „Alles klar? Auch Gina?“ Sie überprüften noch einmal ihre Atemgeräte, die sie unter ihren Glasheimen angelegt hatten. 54
Unter dem Schiff drehte sich die von allen guten Geistern verlassene Mexiko-Senke mit rissigem Felsboden und dünnen Moosflächen heran. Der Kommodore hatte das Steuer übernommen. Es war ein ungutes Gefühl, mit einem fremden Raumschiff landen zu müssen. Wenn es schiefging, zerknallten sie in einer großartigen Wolke und die mordgierigen Biester, die wie wild im Hauptgang herumtobten, stürzten sich summend über die Mondwerke. Schöner Gedanke! „Fertig, Boß!“ Aus der Senke hoben sich Gestalten ab, dahinter Hubschrauber und Schnellwagen mit flachen Spezialanhängern. Jim achtete darauf, daß das Schiff, senkrecht und mit dem Heck nach unten gerichtet, in der Nähe der Schnellwagen aufsetzte. Es gelang ihm großartig. Ein Wagen mit hohem Gerüstaufbau schob sich blitzschnell heran. Auf einer Plattform war ein Torpedo mit einem trichterförmigen Zerstäuber angebracht, dessen Spitze genau in das Rechteck passen sollte, das Jim bei ihrem „Umsteigen“ im Weltall in die Backbordluke geschnitten hatte. Der Kommodore hatte noch nicht die Motoren abgestellt, als schon die Öffnung wieder klaffte und ein Mann unter der Plattform einen Hebel umlegte. Ein schauerliches Heulen stieß den radioaktiven Staub in den Schiffskörper. Jim wandte sich den anderen zu, die an der Steuerbordwand bereitstanden. „Aussteigen!“ Wernickes Atombrenner flammte auf und fuhr mit feinem, aber vollstarkem Strahl über eine mit Zeichenstift an der Bordwand markierte mannsgroße Fläche Brauer sah kritisch zu. „Millimeterarbeit, Wernicke!“ „Wird schon“, grinste der Steuermann freundlich und stellte nebenher fest, daß die Luft bereits durch die Nähe des radioaktiven Staubes zersetzt wurde. „Die können hier gleich ihren zweiten Parfümzerstäuber anbringen. Fertig, Gina?“ Gina Winter war fertig. Sie wehrte sich auch mit keinem 55
Wort dagegen, daß sie als erste das Gespensterschiff verlassen sollte. Als das Stück aus der Bordwand klappte, schob sich von draußen die Plattform eines zweiten Gerüstwagens heran, auf die man nur zu gehen brauchte. Wernicke gab das Zeichen, und schon polterten Ginas schwere Stiefel los. Männerfäuste halfen, als sie auf die Leiter stieg Irgendwer vom Mondwerk fing sie auf und umarmte sie. Mehr weinend als lachend ließ sie sich betreuen Hinter ihr kamen Brauer und Bleß mit dem willenlosen Bordingenieur. Vorsichtig stieg Bleß zuerst über die Stufen, über sich Wellington, der gehorsam seine Füße aufsetzte. Schweigen lastete über der Szene. Neben den Gerüstwagen tauchte Valentin auf. „Das ist Wellington?“ Bleß und Brauer nickten. Wissenschaftler und Mondmänner drängten heran. Wellington kannte gewiß eine ganze Reihe von ihnen, aber jetzt kannte er eben keinen mehr, und ihre Zurufe fielen von ihm ab. Valentin wurde sehr ernst und, wie es Bleß schien, auch etwas bleich. Er machte ein kurzes Zeichen mit dem Kopf, und sie führten Wellington hinter ihm her zur Ambulanzmaschine. Ein Captain sah ihnen erschüttert nach und wandte sich dann schroff ab. „Scheußlich. Fertig da oben?“ Die Leichen der fremden Raumflieger wurden ausgeladen. Wernicke sprang herunter, und erst, als der Torpedo langsam gegen die Öffnung vorging, zwängte eich noch der Kommodore hindurch. Sein Gesicht war unheimlich hart, und er blieb auf der Plattform stehen, als sich der Zerstäuber gegen die Steuerbordöffnung preßte und der Mann unten seinen Hebel umlegte. Nun heulte es von beiden Seiten in den Schiffskörper hinein. Langsam stieg Jim hinunter und Wandte sich an die Mondmänner, die begeistert aufjubelten. „Das Zeug räumt furchtbar unter den Bestien auf.“
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Die Zerstäuber heulten. Gebannt standen die Männer. Tausende von bunten. Geisterfaltern duckten sich jetzt in den radioaktiven Wolken, die ihre Flügel lähmten und sie leblos zu Boden sinken ließen. Der Mensch hatte wenigstens dieses kosmische Todesgeschwader bezwungen, war aber damit die Gefahr für die Erde endgültig gebannt? Blieben nicht noch alle Fragen offen? Ohne Gnade heulten die Zerstäuber. Die Mondwerke konnten zunächst einmal aufatmen, und eine mutige Frau war den Krallen eines grausigen Todes im Weltall entrissen worden. Ein ganz klein wenig sehnte sich der Kommodore nun nach etwas Rühe, und als er sich seine geliebte „Maza Blend“ ansteckte, stieß ihm der Steuermann in die Rippen. „Mensch, Jim – einen Durst habe ich …“ Die Mondmänner lachten dröhnend auf. Jim nahm seinen Glashelm ab und trocknete sich die Stirn. „Deine Worte zeugen von lichter Weisheit, alter Knabe. Ein anständiger Schluck wird uns bestimmt guttun.“ Sie sollten aber nicht recht zum Genuß kommen. Als sie den stellvertretenden Kommandanten des Mondwerkes begrüßt hatten und mit ihm zur Zentrale geflogen waren, worüber immerhin fast zwei Stunden vergingen, kam ihnen beim Kommandoturm der Verantwortliche des Sicherheitsdienstes entgegen, und sein Benehmen verriet einige Ratlosigkeit. Jim Parker stutzte. „Hallo, Major – ist etwas geschehen?“ „Kommodore!“ Der Mann fuhr zusammen, ließ sich von den Männern die Hand schütteln, sah sich aber immer dabei um. „Das kann man wohl sagen – ahem – ich meinte vielmehr, ich hoffte nicht, daß daraus ein Unglück entstehe – oder haben die Herren den Professor vielleicht gesehen?“ „Von wem sprechen Sie denn?“ 57
„Aber – doch von Professor Valentin“, stotterte der Major, riß sich dann aber zusammen, als er sah, daß sein Vorgesetzter kaum merklich die Augenbrauen hob. „Verzeihen Sie, aber dieser I. W. K.-Oberleutnant hat mich schon ganz konfus gemacht. Jedenfalls ist Valentin seit einer Stunde verschwunden.“ Der Steuermann räusperte sich mit trockener Kehle. „Er wird in der Kantine sitzen, Herr Major – wir werden gleich mal nachsehen.“ „Er ist in der ganzen Zentrale nicht zu finden“, schüttelte der Major den Kopf. „Ich habe schon jeden Raum im Fernseher gehabt. Nach Aussage des I. W. K.-Oberleutnants hat er schon bei der Vorführung des – ahem – verunglückten Bordingenieurs eine gewisse Niedergeschlagenheit gezeigt. Er soll dann zufällig zugegen gewesen sein, als man die Leichen der fremden Raumflieger brachte, und beim Anblick eines dieser Toten soll er gewankt haben. Der Oberleutnant hat ihn. stützen wollen, doch hat er sich zusammengerissen und zu ihm gesagt, er müsse sofort zur Erde zurückkehren, um seine Vaterstadt und die ganze Menschheit vor den geflügelten Königen zu schützen, die nun tatsächlich aus dem Weltall über sie alle kommen Sodann hat er den Raum verlassen.“ Jim Parker verzichtete vorerst auf den anständigen Schluck und ließ sich Oberleutnant Bleß kommen, der seine Aussage aber nur wiederholen konnte. „Und dann hat er den Untersuchungsraum verlassen.“ „Wie sah er denn aus dabei, Bleß?“ „So, als wenn ihm nicht gut sei.“ Ein Wagen hielt vor dem Portal des Flughafens. Das war weiter nicht auffällig, und es sah sich auch kein Mensch nach dem würdigen, weißhaarigen Greis um, der aus dem Wagen stieg und mit einer gezierten, nervösen Bewegung auf seine Armbanduhr sah. Auf der anderen Wagenseite hob ein 58
hünenhafter Fahrer zwei große Luftkoffer heraus und kam damit um den Wagen herum. Die Fahndung nach einem würdigen Greis war noch nicht angelaufen, da Chefredakteur Kling in diesem Augenblick seinen Bericht vor der Polizei noch nicht beendet hatte, und so konnte der Herr mit seinem stämmigen Begleiter ungehindert zum Frachtschalter gelangen. – „Ich möchte die beiden Koffer nach London befördern lassen.“ Der Angestellte hinter der Glaswand war etwas unaufmerksam an diesem Vormittag, wie die meisten Einwohner von Minneapolis. Er sah immer wieder auf von seinen Formularen, als könne durch die große Schalterhalle einer der Geisterfalter heranschwirren. Auch anderen erging es so. Die herzjagende Unruhe, die einer Panik unmittelbar vorangeht, brandete bereits an die Ordnung der Stadt heran. „Zwei Koffer, mein Herr? Wollen Sie diese bitte in der Abfertigung untersuchen lassen?“ Der würdige Greis entnahm seiner Brieftasche, einen Schein, den er auf die Glasplatte legte. „Ich habe eine Sondergenehmigung vom Hauptzollamt, die eine nochmalige Untersuchung ausschließt. Die Koffer enthalten Gegenstände, die eine andauernde Berührung mit der Luft nicht vertragen.“ Der Fall war immerhin so selten, daß der Angestellte zunächst einmal mit dem Hauptzollamt telefonierte, wo man jedoch die Behauptung des alten Herrn bestätigte und auf verschiedene Ausnahmebestimmungen in den Vorschriften hinwies. Zum erstenmal zeigte der Greis ein verbindliches/Lächeln. „Ich hoffe, dieser Bescheid beruhigt Sie?“ „Selbstverständlich, mein Herr. Ich werde die Koffer sogleich zur Rollbahn bringen lassen.“ „Wann werden sie in London sein?“ Der Zeigefinger glitt über den Flugplan. 59
„In etwa sechs Stunden, um 23.00 Uhr WEZ.“ „Ich danke Ihnen sehr, Sir!“ Der große Globus glühte. Er war das Wahrzeichen des riesigen Gebäudes, in dem die Fäden, der Weltpolizei zusammenliefen. Und er war auch das Ziel einer schnellen kleinen Reisemaschine, die gegen 21.30 Uhr WEZ über London kurvte und auf dem Dachflugplatz niederging WP-Präsident Lord Clifford schüttelte dem aussteigenden Herrn die Hand. Es war Professor Higgins. „Ich bringe Ihnen leider widersprechende Nachrichten, Mylord“, sagte er mit ernster Stimme und fuhr sich durch das dichte Haar. „Um Ihnen das Wichtigste nicht länger vorzuenthalten: meinen Kollegen Valentin haben wir kurz vor meinem Abflug vom Mond mit einem Nervenzusammenbruch aufgefunden.“ Lord Clifford sah fast ängstlich auf die Ledermappe, die der Zoologe mit sich führte. Er hätte jetzt was für drei Stunden Schlaf gegeben, aber unter ihnen, im großen Konferenzzimmer, warteten die Polizeidelegierten aus allen Erdteilen, die bereits seit dem Nachmittag tagten. Aufgepulvert durch Kaffee und Nikotin starrte er aus tiefliegenden Augen auf das Wandmuster des Fahrstuhls, mit dem sie in den vierten Stock sausten. „Glauben Sie, daß der Zusammenbruch Valentins irgendwie mit den Insekten zusammenhängt?“ „Todsicher! Ich hoffe nur, daß Valentin bald vernehmungsfähig sein wird.“ „Ernst?“ „Nicht so sehr, wie man zuerst befürchtete – die Ärzte von ‚Luna IV werden ihn schon wieder auf die Beine stellen. Der arme Kerl muß vor einer furchtbaren Erkenntnis gestanden haben, als er Wellington und die toten Raumflieger sah.“ 60
Lord Clifford drehte die unangebrannte Zigarette zwischen seinen Lippen. „Hm – und wenn er vielleicht Enthüllungen fürchtete, die seinem Ansehen in der Öffentlichkeit schaden könnten?“ „Sie meinen, er könnte der Urheber des ganzen Spuks sein? Das halte ich für ausgeschlossen.“ Der Lord hob die Schultern, und als sie den breiten Hauptgang im vierten Stock entlanggingen, sah Higgins durch ein großes Fenster den roten Planeten tief über der britischen Hauptstadt stehen. In dreizehn. Stunden würde die Annäherung des Mars an die Erde ihren Höhepunkt erreicht haben. Schauer des Unwirklichen umschwebten das seltsame Bild. Schauer waren auch in den Herzen der Männer. Was würden die nächsten Stunden bringen? Nachdenklich betraten sie den Konferenzraum, über den sich sekundenrasch erwartungsvolles Schweigen senkte. „Meine Herren“, begann der Lord mit lauter Stimme, bevor sie noch ihre Plätze erreicht hatten, „ich hoffe, daß einer unserer besten Experten, Professor Higgins, der direkt vom Mondwerk kommt, wenigstens etwas Licht in das Dunkel bringen wird. Herr van Fliet?“ Der Vertreter der Niederlande erhob sich. „Ich bitte um eine Auskunft, ob die Kommissionsmitglieder im Mondwerk über den Fall des amerikanischen Journalisten Smith unterrichtet worden sind, dem die Weltpolizei seit einigen Stunden nachgeht. Ich glaube doch, daß dies von großer Bedeutung sein könnte.“ „Meines Wissens ist das geschehen.“ Lord Clifford sah den Gelehrten fragend an, der seiner Mappe unter den neugierigen Blicken der WP-Verantwortlichen eine kleine Stahlkassette entnahm. „Ich nehme doch an, Herr Professor …“ „Doch, dem S.A.T.-Sicherheitsdienst von Luna IV ist mitgeteilt worden, daß ein Journalist in Minneapolis dem Rätsel der 61
Falter nachgegangen sein soll“, nickte Higgins. „Darf ich die Herren um Ihre Fragen bitten?“ „Hat man das fremde Raumschiff untersucht?“ „Die eingehende Untersuchung war bei meinem Abflug noch nicht abgeschlossen, doch steht bereits fest, daß es auf der Erde gebaut worden ist.“ „Interessant! Woher kam es?“ „Auch das stand noch nicht fest. Es dürfte auch schwer sein, zuverlässige Anhaltspunkte zu finden, da Tagebücher und andere Aufzeichnungen fehlen. Auch Karten sind nicht vorhanden.“ „Könnte es nicht von einem geheimen Punkt der Erde gestartet sein und nur einen kurzen Flug durch das All unternommen haben?“ • „Kaum anzunehmen. Es wurde Proviant gefunden, der auf einen längeren Aufenthalt auf unbelebten Weltkörpern schließen läßt und zur Hälfte aufgebraucht ist.“ Eine Bewegung ging durch die Sesselreihen. „Konnte man die toten Besatzungsmitglieder identifizieren?“ „Leider war es nicht möglich.“ „Hat man die im Schiff befindlichen Falter durch radioaktiven Staub vernichten können?“ „Restlos!“ „Das ist immerhin eine gute Nachricht. Sind die Falter untersucht worden?“ „Sehr gründlich sogar“, lächelte der Zoologe, und man sah ihm an, daß er auf diese Frage nur gewartet hatte. Er ließ sich zunächst eine kleine Erfrischung servieren, die er bedächtig zu sich nahm und griff dann zu der Kassette. „Ich habe Ihnen zwei Falter mitgebracht, und zwar einen, den man hier auf der Erde – in Germany – gefunden hat und einen, der mir von dem Kommodore Parker überlassen wurde.“ Mit leisem Klicken öffnete sich der Deckel. „Es wird Sie überraschen, wenn ich feststelle, daß wir es mit zwei verschiedenen Arten einer Gattung zu tun haben. Wir müssen also unterscheiden zwischen Faltern, die 62
hier auf der Erde ihr Unwesen treiben und denen, die mit einem Raumschiff aus dem All gekommen sind.“ Das schlug ein, das war eine Feststellung, die die Menschen auf ihren Plätzen lähmte, bis sich der indische Vertreter als erster faßte. „Herr Professor, bedeutet das also, daß wir es mit verschiedenen Lebewesen zu tun haben?“ „Allerdings.“ Nun klappte der Deckel ganz hoch, und gleich darauf lagen die beiden Falter vor den Herren. Sie waren so gebannt, daß sie nicht einmal auf den Sekretär achteten, der sich zu Lord Clifford durchschlängelte und ihm ein Telegramm überreichte. Der WP-Präsident las es, sein Kopf ruckte vor Staunen vor, noch einmal las er, dann sprang er auf und verließ den Raum. Die Delegierten aber ließen kein Auge von den Insekten, die Higgins hochhob., „Sie können sich ohne weiteres davon überzeugen, daß der Falter aus dem Raumschiff größer ist und irgendwie plumper wirkt als der andere. Es steht ferner außer jedem Zweifel, daß er nicht von der Erde, sondern von einem anderen Weltkörper stammt, da sein Organismus von denen irdischer Insekten erheblich abweicht. Trotzdem ist die nahe Verwandtschaft zwischen beiden Faltern offenkundig. Ich überlasse es Ihnen, die phantastischen Folgerungen daraus zu ziehen.“ Die Herren taten es bereits eifrig, und in allen möglichen Sprachen wurde in den nächsten Minuten ziemlich wirr diskutiert, bis wieder der Inder aufstand. „Herr Professor, die logischen Folgerungen sind allerdings so phantastisch, daß ein nüchterner Mensch sich sträubt, sie anzuerkennen. Wenn zwischen Lebewesen der Erde und solchen, die von einem anderen Weltkörper stammen, eine enge Verwandtschaft besteht, so kann das doch nur bedeuten, daß eine außerirdische Macht hier auf der Erde Fuß gefaßt hat und hier Abarten ihrer eigenen Tierwelt züchtet.“ 63
„Diese Spekulation ist allerdings sehr weitgehend“, lächelte Higgins freundlich. „Man könnte ebensogut den anderen Weg einschlagen und annehmen, es sei umgekehrt. Nun, Tatsache ist jedenfalls, daß beide Arten gleich bösartig sind und beim Menschen eine grauenvolle Selbstvergessenheit hervorrufen.“ „Das ist ja gerade das Furchtbare“, rief der Australier erregt aus. „Bedenken Sie doch, Gentlemen, was das bedeutet. Wir sind auf dem besten Wege, einer teuflisch klugen Macht zu unterliegen, die wir nicht kennen und die jenseits unserer Einflußsphäre liegt.“ „Wir werden von Insekten anderer Planeten beherrscht!“ „Und wer steht hinter den Geisterfaltern?“ Higgins ruderte mit beiden Armen, aber die Erregung war nicht zu besänftigen. „Wehrlos sind wir ihnen ausgeliefert. Die Ärzte verzweifeln. In dreizehn Stunden hat sich der Mars uns genähert. Was dann? Was dann, Herr Präsident?“ Die Blicke richteten sich auf den Sessel Lord Cliffords. Er war leer. Einer der anwesenden Sekretäre gab bekannt, daß der Herr Präsident ein wichtiges Überseegespräch mit dem Polizeichef von Minneapolis führe. Das war neuer Zündstoff. Aber bevor die Erregung über alle Ufer ging, läutete Professor Higgins wie wild. . „Meine Herren! Ich verstehe Ihre Aufregung. Aber Sie hindern mich ja daran, Ihnen etwas mitzuteilen, das zu einigen Hoffnungen Anlaß gibt.“ Skeptisch sahen sie auf sein energisches Zupacken, mit dem er die Klingel in Bewegung hielt. Der offene Aufruhr brandete zurück. Higgins holte tief Luft. „Wie Ihnen bekannt sein dürfte, wurde der Bordingenieur Jim Parkers beim Übersteigen in das fremde Raumschiff von einem der größeren Falter angefallen und verletzt. Auch ihm wurde sein eigenes Ich genommen. Zur Stunde wird er im Werkhospital von ‚Luna IV behandelt, und die Mediziner hof64
fen, ein Mittel gefunden zu haben, um ihn von seiner Willenlosigkeit zu befreien …“ „Was ist das für ein Mittel?“ „Man wird ihm kleinste Mengen der Giftstoffe der Falter einspritzen.“ „Eine Heilung auf homöopathischer Grundlage?“ „Man kann es so nennen.“ „Und wie würde die Weltpolizei uns helfen können?“ Dem Polizeichef von Minneapolis war es verflucht gleichgültig, daß am anderen Kabelende der WP-Präsident in eigener Person mit ihm sprach, er hatte einen Zorn auf die Weltpolizei, die ihn bis jetzt nur mit guten Ratschlägen abgespeist hatte. Lord Clifford war einsichtig genug, den etwas zu scharfen Ton des glatzköpfigen, untersetzten Mannes in den USA nicht zu rügen. Er war sogar betont liebenswürdig. „Wir werden Ihnen helfen, Sir – verlassen Sie sich darauf!“ „Die Unruhe in Minneapolis wächst von Stunde zu Stunde, Mylord“, sagte der Polizeichef hart und klopfte mit seinem Drehbleistift erregt auf die Schreibtischplatte. „Diese Teufelsinsekten schwirren hier am hellen Tage durch die Luft. Seit heute vormittag haben wir vier neue Fälle. Ich weiß nicht, wie lange die Bevölkerung noch ruhig bleibt.“ „Ich verstehe alles, Sir“, erwiderte Lord Clifford ruhig, obwohl es ihm sehr schwer fiel, das zu sagen, was seine Pflicht war. „Unser Apparat läuft auf Hochtouren. Kommodore Parker vom S. A. T., der mit dem fremden Raumschiff auf t dem Mond gelandet ist, wird sich einschalten, sobald sich ihm ein Ansatzpunkt bietet. Halten Sie aus, auch, wenn ich Ihnen etwas sehr Unangenehmes mitteilen muß …“ Der Drehbleistift klopfte noch einmal auf und wurde dann weggeworfen. 65
„Noch mehr?“ „Ich habe vor zehn Minuten eine Drohung von unbekannter Seite – aus Ihrem Bundesstaat Minnesota – erhalten, nach der Minneapolis in der Stunde der größten Annäherung des Mars an die Erde von großen Insektenschwärmen heimgesucht werden soll.“ „Thank you, Mylord!“ preßte der Polizeichef etwas zusammenhanglos hervor. „Ihre Bundesregierung in Washington ist bereits unterrichtet. Wahrscheinlich wird sie über Minneapolis den Notstand verhängen.“ „Wahrscheinlich, Mylord!“ „Kopf hoch, Oberst! Mit dieser Drohung hat man uns eher beruhigt als beunruhigt. Geister oder eine Insektenintelligenz dürften kaum Telegramme aufgeben – Menschen aber kann man entlarven! Machen Sie es gut!“ Lord Clifford verschwieg dem Polizeichef, daß in dem seltsamen Telegramm außerdem die Vernichtung eines Überseeflugzeuges durch die Insekten angekündigt wurde. Er verschwieg außerdem – weil es über den Sinn dieser dienstlichen Unterweisung hinausging – daß WPExperten das Telegramm bereits als die ungewöhnlichste Drohung der letzten Jahrzehnte bezeichneten, weil in ihm auch nicht die leiseste Spur eines Erpressungsversuches zu finden war, die angekündigten Schrecken vielmehr als etwas Unabwendbares hingestellt wurden. Diese Experten fragten sich bereits, ob dahinter überhaupt ein normaler Mensch stecken konnte. Den Polizeichef hätten diese Einzelheiten im Augenblick auch wenig interessiert. Seine Sorgen galten ausschließlich seiner Stadt, und diese Sorgen wuchsen noch. Um sieben Uhr abends wurde der Notstand ausgerufen. Die Sirenen heulten wie vor einem Luftangriff, • Lautsprecherwagen fuhren langsam über die dunkelnden Streets und 66
verkündeten offen und ehrlich die bevorstehende Gefahr. Die Folge davon war, daß sich ein unübersehbarer Strom von Kraftwagen aus dem Stadtgebiet heraus ergoß. Die Behörden hatten eine solche Reaktion jedoch einkalkuliert und lenkten den Strom der Flüchtlinge so sicher, daß es zu keinen schweren Unfällen kam. Aber nicht alle flohen, und es waren nicht nur die Besonnenen, sondern auch die wollüstig erregten Neugierigen, die – von den Kranken, Alten und Schwachen selbstverständlich abgesehen – zurückblieben. Um 22.00 Uhr befanden sich schätzungsweise noch rund 300 000 Menschen in der Stadt. Die Nacht konnte kommen. Die Nacht, in der der Mars sich in großer Nähe der Erde befand. Die Nacht war schwül, und die Bäume der Parks standen im Schein ferner Blitze. Schwül war es auch in den Nightclubs. Die Zeiger der elektrischen Uhren glitten im ungewissen Licht der giftfarbenen Leuchtröhren, und bei jeder vollendeten Stunde ließ man das Leben hochleben. Noch lebte man. Aber wann würden sie angreifen, die Insektenschwärme? Gegen 23.30 Uhr war es soweit. Gerade übertrug der Fernseher in das Klirren der Gläser und Lachen nervöser Frauen hinein eine Reportage aus der LickSternwarte in Kalifornien. Der Mars war zu sehen, und die Stimme des Reporters war leise und fast ehrfurchtsvoll. Und während die meisten gebannt auf das große Bild des roten Planeten starrten, stand plötzlich eine junge, rassige Dame auf und zog ihren Begleiter zur kleinen Tanzfläche. „Was ist denn, Mabel?“ erkundigte er sich besorgt. Ihre dunklen Augen waren groß und voller Angst, und er spürte, wie unruhig ihr Herz schlug. Die kostümierten Jungen von der Band sahen etwas verwundert auf, hoben dann aber doch ihre Instrumente. 67
„Ich will tanzen“, sagte sie leise und zitternd. „Vielleicht greifen sie uns dann nicht an …“ „Mabel, Liebes …“ Sie sagte noch etwas, aber so unsicher, daß es im ersten Tom-Tom unterging, mit dem die Urwaldmelodie loslegte. Die Jungen strengten sich ah, und der Banjo-Jüngling tat es auch, aber er konnte kein Auge von dem Gestirn auf dem Bildschirm wenden, das ihn drohend angloste. Und plötzlich bewegte sich etwas davor, segelte elegant und surrend durch den Barraum, und er ließ das Banjo fallen und brüllte auf. Mit einem Biesensatz war er auf der Tanzfläche, wollte die junge Dame zurückreißen, auf die zwei gräßliche Insektenaugen zuschössen, aber es war zu spät. Der Falter fiel über sie her. In seinem Zustoßen schwirrte es immer lauter auf. Drei, vier, zehn kreisten über den Gästen, die aufsprangen und mit den Armen sinnlose Abwehrbewegungen machten. Die junge Dame sackte in die Knie. Neben der Tanzfläche stierte ein aufgeschwemmter Lebemann in eisigem Entsetzen auf einen Falter, der vor ihm auf dem weißen Tischtuch mit gnadenlosen Augen herangekrochen kam. Es war furchtbar anzusehen, wie das Insekt mit gespreizten Flügeln die weichliche Hand des Mannes antastete, unsagbar, selbstsicher hinaufkroch, dann über den Ärmel bis zur Schulter, immer gefolgt von dem grauenerfüllten Blick des Gebannten, und dann mit einem kurzen Auf schwirren auf den Hals zustieß. Der aufgeschwemmte Bursche röchelte sich von seinem Stuhl hoch und taumelte vorwärts. Um ihn kümmerte sich niemand. Auch nicht um die korpulente Bürgersfrau, die sich verzweifelt gegen zwei Falter wehrte und dabei von ihrem Mann unterstützt wurde. Wer sollte sich auch um sie kümmern? In dem Aufbrüllen des Banjo-Jünglings war die Panik losgebrochen. Falter! Gütiger Himmel, daß man solche Angst haben konnte vor 68
großen bunten Schmetterlingen, die elegant ihre Kreise zogen, mit singenden Schwingen, wie auf einer Sommerwiese, Aber es waren Schwingen des Grauens, und man hatte scheußliche Angst vor ihnen. Man wollte raus, nur raus hier, man schob und drängte und boxte sich in einem dichten Menschenknäuel aus dem Barraum heraus, man schlug einem anderen zwischen die Augen, der einem nie etwas getan hatte. Das war aber so in diesen Minuten. Und am gemeinsten war es, als man draußen war und aufatmen wollte, den fieberheißen Kopf ein wenig hob und nichts sah als unzählige Falterschwärme, die in den straßenlangen Lichterketten der Lichtreklamen ihre angriffslustigen Reigen tanzten. Viele warfen sich einfach niedergeschmettert zu Boden. Der halbe Knäuel drängte sich weinend und betend wieder zurück. Ein wildgewordener Polizeioffizier raste auf einem Krad die Straße entlang und schrie durch seinen Handlautsprecher: „Licht aus – alle Lichter aus!“ Wie durch ein Wunder geschah es. Mit einem Schlage trat Dunkelheit ein. Die Straße lag als finster gähnender Schlauch da, nur einige Autoscheinwerfer glitten vorbei. Aber was taten die Menschen? Sie schlugen die Hände vor die Gesichter und jammerten, jammerten, jammerten. Und es war ganz klar, daß sie jammerten wie Kinder, die von Vater und Mutter verlassen werden, denn nun fiel die Hölle mit ihrer ganzen furchtbaren Fremdheit und Unwirklichkeit über sie her. Die Falter waren nicht mehr zu erkennen, aber ihre Augen – diese großen Insektenaugen, geprägt von der satanischen Klugheit unbekannter Mächte. Auch dem Polizeioffizier war es, als werde seine Seele zerschlagen von diesem Anblick und er sorgte dafür, daß alle Lichter wieder aufflammten. Als es geschehen war, sahen die Menschen sich in die wachsbleichen Gesichter. „Diese Nacht wird keiner von uni überleben.“ „Seht nur – seht nur – es sind Tausende!“ 69
Tausende? Ihr Narren! Hängt Nullen daran, und ihr kommt dieser Heimsuchung nur um ein weniges näher. Was meint das reizende junge Mädchen mit der schnittigen Sportkappe? „Aber hier draußen tun sie uns nichts!“ Ein flacher, geschlossener Sportwagen kam vom nahen. Park herauf, hinter dem das ferne Wetterleuchten der hohen Sommernacht stand. Auf diesen Wagen stürzte sich ein ganzer Schwärm, der ihn erst von oben herab in Spiralen einkreiste und dann dem Fahrer die Sicht versperren wollte. Doch bevor es soweit war, gespensterte plötzlich ein grüner Schein um den Wagen, der die Bestien zurücktrieb. Als grünes Phantom jagte der Wagen vorbei. In ihm saßen vier Männer, die wußten, daß nur noch ein paar Stunden die Stadt von ihrem völligen Verderben trennten. Einer von ihnen sah sehr angegriffen aus und rieb sich öfter wie im Traum über die Stirn. Es war Bordingenieur Wellington. Wernicke, der neben ihm saß, schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Nur nicht den Kopf hängen lassen, mein Lieber! Drei Pullen Brandy von der besten Supermarke werden Sie wieder völlig auf die Beine stellen. Ist es noch weit zum Marien-Hospital, Jim?“ Der Kommodore warf einen flüchtigen Blick auf den kleinen Stadtplan neben sich. „Noch drei Straßen.“ Drei Straßen. Und in allen Straßen das gleiche Bild. Wirbelnde Insektenschwärme. Fliehende Menschen mit zustoßenden Faltern im Genick. Schon angefallene, die fremd und als Robotersklaven eines Unbekannten herumstelzten. Die Falter beherrschten Minneapolis. „Drei Zugänge!“ Das war nur ein Hospital der großen Stadt. Und wurde zum Sammelplatz der Selbstvergessenen, wie die anderen auch. Vorsorglich verstärktes Aufnahme-personal, das trotzdem hoff70
nungslos zu unterliegen drohte. Eine fromme Oberschwester, die vor Arbeit nicht zum Beten kam und Ärzte, die nicht mehr wußten, wie sie helfen sollten. Der Chefarzt wehrte schon ab, als sein Oberarzt hereinkam. Er hatte den Telefonhörer in der Hand und sich vom Polizeihauptquartier den neuesten Lagebericht geben lassen. Die Uhr an seinem Handgelenk zeigte auf 23.40 Uhr. „Es sieht wüst aus draußen!“ „In allen Stadtteilen, Doc?“ „Die Falter scheinen keinen Hinterhof zu verschonen. Drei Zugänge?“ „Eben waren es noch drei“, grinste der andere verzweifelt und steckte sich gierig eine Zigarette an. Er hatte das Streichholz noch nicht in den Ascher geworfen, als eine Schwester eintrat. „Doc, der berühmte Raumflieger bittet dringend, vorgelassen zu werden.“ Der Chefarzt und sein Oberarzt wechselten einen kurzen Blick. Dann stand der Verantwortliche auf. „Meinen Sie etwa Kommodore Parker?“ Die Schwester war jung und hatte sehnsüchtige Augen, die auch in dieser schrecklichen Nachtstunde noch lebten. „Es ist Jim Parker, und er trägt das Einsatzabzeichen der Weltpolizei“, nickte sie glücklich. Gleich darauf traten vier Männer ein: Parker, Wernicke, der noch ziemlich knieweiche Wellington und der S. A. T.-Arzt Dr. Werner, ein Deutscher. Jim hielt sich nicht lange, bei der Vorrede auf; zu furchtbar waren die Eindrücke, die er von draußen mitbrachte. „Doc, Sie haben einen Patienten namens Pitt Smith?“ Der Chefarzt war sofort im Bilde. Auf Anordnung der Polizei hatte man Pitt Smith in ein Extrazimmer bringen müssen, wo er Tag und Nacht bewacht wurde. Er trat an den Schreibtisch und drückte einen Knopf. 71
„Dr. Bordet kommt gleich. Er betreut den jungen Journalisten und hat auch mit dessen Chefredakteur ein langes Gespräch geführt. Doch lassen Sie sich erst einmal die Hand schütteln, Kommodore – das mit dem fremden Raumschiff haben Sie großartig gemacht.“ Jim reichte ihm die Hand und wurde etwas verlegen. „Verzeihen Sie unsere Formlosigkeit, Doc – aber wir sind in großer Eile.“ Nun erst fiel dem Chefarzt auf, daß sich ein Mediziner in Jims Begleitung befand und auch der Bordingenieur Wellington. Es durchfuhr ihn wie ein heißer Strom. Standen vor ihm die Männer, die helfen konnten? Es dauerte nur einige Minuten, bis der blasse Arzt mit seinem Patienten eintrat. Wellington fuhr zusammen. „Mein Gott, Dr. Werner – helfen Sie ihm!“ Mit seinen eckigen, entseelten Bewegungen kam Pitt Smith heran. Der deutsche Arzt und Jim Parker ließen keinen Blick von ihm. Endlich wandte sich Dr. Werner dem Bordingenieur zu. „Was bei Ihnen gelungen ist, sollte sich bei ihm wiederholen.“ „Dann helfen Sie ihm!“ Es wurde 23.50 Uhr. Während sich im Marien-Hospital der Mann, der angeblich mehr wußte, gehorsam entkleidete und auf ein Ruhebett legte, tobte draußen die Abwehrschlacht gegen die fliegenden Feinde. Das Polizeikorps kämpfte bis zum Umfallen, ohne Rücksicht darauf, daß es nicht viel Zweck hatte, den schwirrenden Geschwadern der Geisterfalter mit Atombrenner und Revolver beikommen zu wollen. Aber pausenlos zerfetzten die Feuerwaffen die Insekten, die sich im Lichtkreis der Lampen zeigten. Über der Stadt aber kreisten drei Hubschrauber, in denen der Stab dieser Schlacht um Minneapolis saß. In der Maschine über dem Stadtzentrum befanden sich auch Lord Clifford, Professor 72
Higgins und der Oberbürgermeister, der mit eingefallenem Gesicht vor dem Bordseher hockte. „Ich verstehe das nicht“, sagte er tonlos. „Warum gerade meine Stadt?“ „Das möchte ich auch gern wissen“, meinte ein anderer. „Minneapolis hat doch weiß Gott keine Weltbedeutung.“ Higgins schwieg, obgleich er den roten Faden bereits haken sah. Valentin hatte nicht umsonst seinen Nervenzusammenbruch erlitten. Um 23.56 Uhr kam eine Meldung von unten. „In zwanzig Minuten 178 neue Fälle.“ Der Kopf des Oberbürgermeisters sank vornüber. Higgins aber betrachtete sich mit zusammengekniffenen Lippen das schauerliche Bild im Bordseher, das die Schrecken der gequälten Stadt zu ihnen heraufholte. Da war der breite Strom, der auch heute im magischen Schein des nahen Planeten lag. Zwei schreiende Frauen am Ufer, auf die drei, vier Falter herabstießen. Higgins drehte fluchend einen der vielen Alarmknöpfe um den Bildschirm. Minuten später sauste ein Streifenwagen an den Strom, aber da waren auch, aus diesen Frauen fremde, seelenlose Geschöpfe geworden. Higgins schüttelte den Kopf. So ging es nicht weiter. Kurz entschlossen griff er zum Taschensprecher. „Was haben Sie vor?“ fragte Lord Clifford. „Ich muß mit dem Kommodore sprechen!“ „Ich kann Ihnen noch keine positive Wirkung auf den Kranken mitteilen, meine Herren!“ Der Chefarzt des Marien-Hospitals war vom Fieber der Männer angesteckt, die in seinem Arbeitszimmer ruhelos hin und her gingen. Draußen stand der Mars tief über der Stadt, und in der Ecke saß eine abgekämpfte Schwester und betete unaufhörlich. „Herr, laß die Stunde des Schreckens an uns vorübergehen, Herr …“ 73
Der Kommodore sah auf ihren grauen Scheitel, und ein weiches Gefühl überkam ihn. Dann aber straffte er sich und hielt dem Chefarzt seine Zigarettenpackung hin. „Wie lange kann es noch dauern, bis Smith seine eigenen Kräfte wiedererlangt hat?“ „Die Gegenwirkung des Giftes scheint recht langsam zu sein – wir müssen uns wohl noch drei Stunden gedulden, wenn nicht länger!“ „Das können wir nicht!“ Jim Parker hatte genug von diesem zermürbenden Zustand. Wenn Smith erst in einigen Stunden aussagen konnte, was – vielleicht – wichtig war, so würde das Tausende weitere Opfer kosten! Das ging nicht an! „Wernicke, die Biester müssen verschwinden!“ Wernicke war der einzige, der noch Humor genug hatte, an Brandy und solche Sachen zu denken, und der sich unentwegt an seiner Taschenflasche labte. Auch ihm brannte es unter den Fingernägeln. „Ich bin zu allen Schandtaten bereit, Mondrakete!“ Jims TS-Sprecher summte auf. Von seinem Hubschrauber meldete sich Higgins. „Hallo, Kommodore, wie weit seid ihr mit Smith?“ Der Kommodore horchte nach draußen, wo federleicht die Ambulanzwagen anfuhren. Ununterbrochen! Ununterbrochen! Arme große Stadt! „Es kann Stunden dauern, Higgins. So lange können wir nicht warten!“ „Meine Meinung, Parker. Von hier aus beobachten wir die grausigsten Dinge. Das ist wie das Jüngste Gericht! Und die Polizei weiß nicht, wo säe anhaken soll. Die Fahndung nach dem würdigen Greis, der angeblich dahinterstecken soll, ist bisher ergebnislos verlaufen. Aber ich habe etwas Interessantes beobachtet.“ „Mensch, Higgins – raus damit!“ 74
„Die Falter werden von dem Licht angelockt wie ihre harmlosen Verwandten von der Stubenlampe. Könnte man nicht …“ „Erde, Mars und Venus“, brüllte der Kommodore mit überschnappender Stimme dazwischen und haute auf den Tisch, daß die arme Schwester entsetzt aufsprang. „Das ist die Rettung! Wir werden sie einfangen und mit radioaktivem Staub unschädlich machen. Alle auf einmal! Das ist die Rettung! Higgins, in einer Stunde sind die Flugkugeln aus Orion-City da! Sie sorgen dafür, daß die Stadt dann mit einem Schlage verdunkelt wird.“ Aber noch schrie diese Stadt wie eine einzige getroffene Kreatur. Und nur der würdige weißhaarige Greis lächelte. Oh, er konnte lächeln, und er verzauberte sein würdiges, gütiges Gesicht in wundersamer Weise, wie er so auf einer Anhöhe vor seinem Landhaus in der Nähe der Stadt stand und ab und zu in der Ferne einen Insektenschwarm in dem unruhigen Zwielicht der schwülen Sommernacht aufsteigen sah. Aus dem Empfänger auf dem Gartentisch klang die mitgenommene Stimme des Sprechers. „Wir haben jetzt 0.20 Uhr. In noch nicht einer Stunde haben über neunhundert Einwohner von Minneapolis durch Überfälle der schrecklichen Invasoren aus dem Weltall das eigene Ich verloren. Was soll noch werden?“ Das fragt ihr? Noch hatte der Mars den Höhepunkt seiner Annäherung an die Erde nicht erreicht. Das kosmische Ereignis dieser Jahrzehnte vollzog sich in erhabener Lautlosigkeit. Aber seine Sendboten – der würdige Greis lächelte ironisch und sah auf seine schmalen Hände – holten sich bereits ihre Beute. Schritte wurden hinter ihm laut. Ein stämmiger Bursche brachte ihm ein heißes Getränk, das er trotz der Schwüle mit Behagen zu sich nahm. Genußvoll schlürfend hörte er eine weitere Meldung aus dem schwarzen Edelholzkasten. 75
„Völlig unerklärlich ist auch die Tragödie, die sich vor einigen Stunden an Bord eines britischen Passagierflugzeuges abspielte, das aus den USA kam Kurz vor der Landung in London wurden die Insassen von Geisterfaltern überfallen, die sich bereits an Bord befunden haben müssen.“ „Ha, ha – wie genial!“ rief der Greis begeistert aus und hob sein Glas dem Sternenhimmel zu. „He, Chressyr, bist du mit mir zufrieden – Chressyr auf dem toten Stern – Chressyr, ich habe ein wenig Politik auf eigene Faust getrieben …“ Chressyr, der die Erde seit einem Jahr nicht gesehen hatte, würde sich freuen. Doch am Himmel geschahen Dinge, die auch der Greis nicht erwartet hatte. Fünf große, leuchtende Kugeln schwebten nicht sehr hoch über der Stadt. Wie aus dem Nichts gekommen, waren sie plötzlich da. Der Greis sprang auf. „Barmherziger – was ist das?“ Er trat wieder auf seinen Beobachtungsplatz, und was nun folgte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Die große Stadt, die weit hingestreckt vor ihm lag, wurde mit einem Schlage dunkel. Die Kugeln glitten wie Leuchtphantome herab bis auf etwa hundert Meter, wobei sie sich über das ganze Stadtgebiet verteilten. Fünf, zehn Minuten geschah nichts, doch dann schwirrte es plötzlich aus der Stadt auf. Schwärme. Wolken. Dunkle Wolken mit unzähligen leuchtenden Tieraugen. Schwirrten auf und verschwanden in den Kugeln. Der Greis wollte seinen Augen nicht trauen. „Diese Schufte!“ knirschte er und ballte seine kraftlosen Fäuste. „Das sollen sie mir büßen. Bob!!“ Der Stämmige kam aus dem Haus gestürzt. „Die Schlüssel zur Zuchtbaracke, Bob. Schnell!!“
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Es war genau 1.02 Uhr, als das geschah. Bei allen Heiligen, man würde sich diese Minute genau merken, da der Himmel mit einem Zuschlagen die Hölle besiegte. Wo man eben noch mit eingezogenem Kopf und abwehrbereiten Händen die Straßen entlangrannte, konnte man sich wieder aufrichten. Nur die zehn Minuten zwischen dem unbegreiflichen Verlöschen aller Lichter und dem plötzlichen Aufschwirren aller Insektengeschwader waren furchtbar gewesen. Aber das war überstanden. Fünf große Leuchtkugeln standen über der Stadt. Und in diese, in ihre weithin sichtbar gähnenden Öffnungen stürzten sie hinein, die Schwärme der Geisterfalter. Stürzten sich ins Verderben. Wurden von radioaktivem Staub empfangen und abgewürgt. Tausende. Viele Tausende. Auf den Straßen standen die Menschen mit glücklichen Augen, wie sie nur eine unerwartete Erlösung schenken kann. Im Polizeihauptquartier aber standen einige Männer an den Fenstern, die sich inzwischen dorthin geflüchtet hatten. Lord Clifford kam eben in einem Sportwagen vorgefahren, in dem noch einige Männer mehr saßen. Der Lord sprang heraus, der Wagen ruckte gleich wieder an und jagte weiter. Aus dem Gebäude kam einer seiner Mitarbeiter gestürzt. „Mylord – war das Kommodore Parker?“ „Ich muß unverzüglich mit London sprechen“, stieß der WPPräsident atemlos hervor. „Der Kommodore hat den Journalisten Smith bei sich, der uns eben Unglaubliches berichtete. Wir haben es tatsächlich mit einem bevorstehenden Angriff auf die Erde zu tun. Ich hoffe aber, die unmittelbare Gefahr kann heute nacht völlig gebannt werden. Melden Sie ein Blitzgespräch mit London an. Schnell! Schnell!“ Der andere drehte sich auf seinem Absatz. „Sofort, Mylord!“ „Geht es, Smith?“ 77
Pitt Smith war noch lange nicht fit, und der gute Chefarzt vom Marien-Hospital hatte dreimal ergeben die Schultern gehoben, als man ihn halbwach vom Ruhebett aufzerrte. Mit glasigen Augen sah er auf den breiten Rücken des Kommodores, der sich vornüber das Steuer beugte. Aber als die beiden, die neben ihm saßen, und das waren sein sensationshungriger Chefredakteur Kling und Fritz Wernicke, sich kameradschaftlich um ihn bemühten, grinste er schon wieder. „War alles nur ein böser Traum, Gentlemen! Bin verdammt froh, wieder zurückgekehrt zu sein in die vornehme Gesellschaft der Menschheit.“ „Und in die gesunde Nachbarschaft edler Flaschen“, zwinkerte Wernicke voller Wohlwollen. „Oder sind Sie Abstinenzler?“ „Sehe ich so aus?“ Sie lachten, und in diesem Lachen ging eigentlich alles unter, was Smith noch anhaftete an Fremdheit und Selbstvergessenheit. Er langte ohne weiteres dreimal zu, und wenn jemals Kognak eine segensreiche Wirkung hatte, dann hier in diesem rasenden Wagen, der sich rücksichtslos und mit heulendem Polizeihorn den Weg durch die menschenübersäte Innenstadt bahnte. Pitt Smith lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster. „Sind die Falter wirklich alle vernichtet worden?“ erkundigte er sich mißtrauisch. Der Kommodore nickte, ohne seinen Kopf zu wenden. Der Journalist renkte sich fast die Augen aus. „Tatsächlich, die Straßen sind rein. Wie habt ihr das nur fertiggebracht?“ „Eingefangen haben wir sie“, grunzte der Steuermann und ließ die Flasche kreisen. „Mit riesigen Flugkugeln, die alles taten, um sie anzulocken. Das war wirklich ein rettender Einfall, Jim.“ „Danke dem Himmel, daß es uns gelungen ist.“ 78
„Uns gelingt alles“, prahlte Wernicke, der sich unendlich erleichtert fühlte da der Bann von der großen Stadt genommen war. Auch den Menschen auf den Straßen, durch die sie rasten, erging es so. Sie waren außer sich vor Freude und bewunderten die toten Falter, die herumlagen, wie harmloses Spielzeug So schnell kann ein Mensch überwinden. Und das ist gut so. Wenn sie allerdings gewußt hätten, wer in dem Wagen saß, der an ihnen vorbeiheulte, hätten sie ihn zum Halten gebracht und den Kommodore herausgerissen. Aber Jim hatte jetzt andere Sorgen, als sich feiern zu lassen. Die Leuchtkugeln über der Stadt waren ebenfalls verschwunden; auch das war gut so, oder wenigstens notwendig. Das S. A. T. konnte nicht alle seine Geheimnisse preisgeben. Als sie den großen Zentralplatz überquerten, wurde ein Mann im Fond unruhig. Chefredakteur Kling. „Also, Pitt, wenn Sie sich gestärkt haben …“ „Haben Sie vorhin nicht alles mitgekriegt, Boß?“ „Ihre Andeutungen klangen so unglaublich, daß ich mir wirklich überlege, ob ich …“ „No, Boß, Sie träumen nicht“, lachte Pitt. „Das Unglaubliche habe ich hinter mir, und es war wirklich so. Es begann damit, daß ich am späten Abend vor dem Lloyd-Club in der von Steuben-Street den würdigen, weißhaarigen Greis traf, der sich große Mühe machte, einer Horde von Neugierigen zu versichern, er habe niemals im Club Handzettel verteilt …“ „Was??“ „Nicht unterbrechen, Boß, sonst reißt der Faden.“ Der Wagen raste nun eine breite Ausfallstraße entlang, auf der es zum Ziel gehen sollte, wie Smith angegeben hatte. „Nun, es glaubte ihm niemand recht. Man war ziemlich erbost, und nur einige waren darunter, die ihn auslachten. Der Alte stand mit gut geschauspielerter Verständnislosigkeit in dem Ring, der sich immer enger um ihn schloß. Erst als eine Polizeistreife aufkreuzte, 79
ließ man von ihm ab – Sie verstehen, Boß – ahem, der LloydClub –“ Kling wurde etwas rot, ärgerte sich darüber und knurrte vor sich hin. „Na ja, also ab und zu wird bei uns mal anständig gespielt und so …“ „Und so. Yes. Der Greis schien sehr froh zu sein, als er der Meute entkommen war. Er schlenderte die von Steuben-Street entlang. Ich immer hinter ihm, wissen Sie, und er war ganz arglos und nicht so, wie einer, der etwas zu verbergen hatte. Schließlich erwischte ich ihn in diesem langweiligen Musiklokal beim Roosevelt-Garden. Sein Hut fiel ihm aus der Hand, und ich hob ihn auf. So kamen wir ins Gespräch und natürlich auf das Tagesthema Nummer 1. Nun, ich habe zunächst einmal mächtig auf die geschimpft, die glaubten, daß es mit der Marsannäherung nichts auf sich habe. Da wurde er ganz zugänglich und ging aus sich heraus. Schließlich …“ „Verzeihung, Pitt – welchen Eindruck machte er?“ „So als Mensch? Nun, gewiß keinen geheimnisvollen. Er hätte Gehilfe in einer Buchhandlung sein können oder Bürobote oder so was. Jedenfalls hatte ich Mühe, ernst zu bleiben, als er mir von seinen astronomischen Forschungen erzählte, die er vor Jahren getrieben hätte. Weither schien es aber mit seinen einschlägigen Kenntnissen nicht zu sein, denn er wußte kaum den Unterschied von Fixstern und Planet. Ihn hatte auch wohl mehr die Frage nach der Bewohnbarkeit anderer Weltkörper interessiert, und er spann ziemlich krauses Zeug darüber. Jedenfalls kann ich mir vorstellen, welche Anerkennung er geerntet hat, als er vor drei Jahren auf eigene Kosten eine Broschüre drucken ließ und diese an alle möglichen Wissenschaftler verschickte. Man hat ihn ausgelacht und tief gekränkt …“ „Aha!“ machte Kling bedeutungsvoll. Pitt Smith zwinkerte. „Der rote Faden, Boß! Er ist dann aus verschiedenen Bürostellungen hinausgeflogen, ziemlich versumpft, von einem Auto 80
angefahren worden, und in diesem Wagen hat der Insektenforscher Valentin gesessen Der hat – ihm als Hausmeister Arbeit und Brot gegeben und alles ging gut, bis ihm der böse Geist über den Lebensweg lief.“ „In menschlicher Gestalt?“ „Natürlich. Es war nicht einfach, den roten Faden weiter zu verfolgen, denn der Gute wollte mir seine Biographie vor der Nase zuklappen. Er war mißtrauisch geworden. Nun, ich habe ihn erst einmal in Ruhe gelassen, über allen möglichen Unsinn gesprochen, und als er ziemlich viel scharfe Sachen vertilgt hatte, fragte er mich plötzlich, ob ich nicht in seine Dienste treten wolle, denn er werde in einigen Tagen die Weltherrschaft antreten.“ „Nicht schlecht“, grinste Kling, und Wernicke trank auf diesen Job. „Ich war sofort begeistert, und nach und nach erfuhr ich, was ich wissen wollte. Den Rest mußte ich dazwischenhauen, aber ich glaube, ich weiß nun, was es mit den Faltern auf sich hat, wenn die Geschichte auch reichlich märchenhaft klingt.“ Wernicke winkte ab. „Wir haben schon ganz andere Sachen erlebt.“ „Valentin befaßte sich mit der Züchtung neuer Insektenarten. Mein alter Freund, der schließlich nicht dumm war, nur nicht ganz normal, wurde so etwas wie sein Handlanger, trug Wasser herbei, fütterte die niedlichen Tierchen und so. Eines Tages begegnete ihm ein geheimnisvoller Mann – der böse Geist – der sehr reich und energiegeladen war und sich Chressyr nannte. Für teures Geld besorgte der Alte ihm Valentins Forschungsunterlagen. Schließlich nahm der Fremde ihn ganz zu sich, und er wechselte das Lager.“ „Was wollte dieser Chressyr?“ „Er wollte nicht, Boß, er will auch heute noch die Herrschaft über die Erde vom Weltall aus erringen, und er scheint ein ech81
ter Kerl zu sein, der so etwas fertigbringen könnte. Vor einem Jahr hat er die Erde in einem Raumschiff verlassen, um auf einem anderen Gestirn seine Arbeiten fortzusetzen. Er muß aber auch ein unheimlicher, dämonischer Mensch sein, denn es ist ihm gelungen, eine Falterart zu züchten, deren Giftstoffe den Menschen willenlos machen, zu Robotern gewissermaßen, die er nachher nur zu dirigieren braucht.“ „Und das soll ich Ihnen glauben?“ fuhr der Chefredakteur auf. Smith wandte sich an den Steuermann. „Wernicke?“ „Ich glaube es Ihnen ohne weiteres – und mein Freund auch.“ Jim Parker war sehr ernst. „Mister Smith übertreibt durchaus nicht.“ „Dank für die freundliche Anerkennung. Chressyr also hat die Erde verlassen. Ein weiterer verblendeter Angestellter Valentins ist mit ihm geflogen, und noch ein paar Leute mehr. Ich nehme an, daß sie versucht haben, von dem fremden Gestirn zu fliehen, Chressyr aber vorsichtshalber eine Zucht in seinem Schiff unterbrachte, deren Opfer sie unterwegs wurden. Der Giftstoff wirkt nämlich tödlich, wenn zu viele Biester über einen Menschen herfallen.“ „Das erklärt auch Valentins Nervenzusammenbruch“, nickte Wernicke. „Er hat seinen Mitarbeiter wiedererkannt, als er die toten Raumflieger sah. Und was ist nun mit dem würdigen Greis?“ „Er hat die Züchtungen auf eigene Faust fortgesetzt, um die bösen Menschen, die ihn verlachten, ein wenig zu terrorisieren. Das wäre ihm tatsächlich fast gelungen. Mir hat er freundlicherweise einige Falter ins Haus geschickt. Wahrscheinlich hat es ihm nachher leid getan, so offenherzig gewesen zu sein. Gleich links abbiegen, Kommodore.“ „Ich sehe schon.“ Jim Parker nahm etwas Gas weg. als linker 82
Hand ein Feldweg heranschoß und bog in diesen ein. Ein öde Gegend war es, halbvergessen vor den Toren der großen Stadt. Endlich tauchten – wieder linker Hand – Gebäude auf. Ein Wohnhaus. Daneben in einem Garten eine langgestreckte Baracke. Und davor etwas Dunkles. Zwei menschliche Gestalten. Jim bremste scharf, und gleich darauf standen die Männer vor zwei Toten. Einer von den beiden war ein würdiger, weißhaariger Greis. Besät mit den Körpern eingegangener Insekten, die nicht weiterleben konnten, weil sie ihr Gift verspritzt hatten. Sie hatten ihren eigenen Herrn gerichtet. Wo aber war Chressyr? War er auf dem fremden Gestirn von seinen Männern ermordet worden, bevor diese ihre Schreckensfahrt im Raumschiff antraten? Oder bildete er noch eine Gefahr für die Erde? Und noch eine Frage ließ die verantwortlichen Männer nicht zur Ruhe kommen: was für ein Mensch war er? Auch Jim fand keine Ruhe. Er mußte ihn finden! In einem kleinen Dorf an der Elbe aber wurde bald eine großartige Verlobung gefeiert, zu der Bauer Winter nah und fern geladen hatte. Die blonde Gina Winter war ausgerechnet dem leichtsinnigen, schnoddrigen Funkoffizier Brauer erlegen. Und das gehörte immerhin zu der erfreulichen Seite dieses seltsamen Geschehens, das für Tage die ganze Menschheit in Atem hielt … ENDE
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