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Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
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H I S T O R I S C H E
R E I H E
Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
Heftpreis 75 Pfg,
LUX HISTORISCHE REIHE bringt in fesselnder Darstellung, plastisch und farbig, Zeitbilder und Szenen aus dem großen Abenteuer der Menschheitsgeschichte. Menschen, Völker, historische Schauplätze und Landschaften aus allen Zeitaltern der Vergangenheit erstehen in bunter Folge vor dem Auge des Lesers. Geschichte wird hier zur lebendigen Gegenwart. Jedes Heft gibt ein abgerundetes und in sich abgeschlossenes Bild des dargestellten Zeitraumes. Titel der ersten Hefte: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
7. 8. 9. 10. 11. 12.
Sphinx am Strom Priester und Magier Götter und Helden Die Griechen Die Perserkriege Die Tempel Athens
Alexanderzug Pyrrhus — der Abenteurer Hannibat Untergang Karthagos Marius und Sulla Kaiser ohne Krone
Titel der folgenden Nummern: Das Goldene Rom Die ersten Christen Caesaren und Soldaten Germanenzüge Die Hunnenschlacht Die Mönche von Monte Cassino Der Prophet Allahs Karl der Große Heiliges Römisches Reich Kaiser und Päpste Die Kreuzfahrer Friedrich Barbarossa Die Hohenstaufen Bürger und Bauern Die Humanisten Der Schwarze Tod Die Renaissance Neues Land im Westen Fahrendes Volk
Ritter und Landsknechte Kaiser der Welt Der Große Krieg Der Sonnenkönig Ruf übers Meer Der Preußenkönig Rokoko Im Schatten der Bastille General Bonaparte Kaiser Napoleon Kongreß in Wien Eiserne Straßen Der vierte Stand Verschwörer und Rebellen Sieg der Technik Bismarck Die rote Revolution Demokratie und Diktatur
und viele weitere Hefte. LUX HISTORISCHE REIHE bringt jedes Heft mit farbigem Umschlag, Illustrationen, Geschichtskundlichen Landkarten, Anmerkungen und Zeittafel. VERLAG SEBASTIAN LUX - MURNAU VOR MÜNCHEN
LUX
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OTTO Z I E R E R
DAS GOLDENE ROM DAS ZEITALTER DES KAISEES AUGUSTUS
TEELAG SEBASTIAN LUX MUENAU • MÜNCHEN • INNSBEUCK • ÖLTEN
EINFÜHRUNG Um die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts, während er Gallien für das römische Reich erobert, wandelt sich der begabte Parteigänger der Volksfartei, Gajus Julius Cäsar, zum zähen, bedenkenlosen, aber erfolgreichen Heerführer und zielbeivußten Politiker. Er trägt die römischen Adler an den Rhein und an die Scheidemündung, überquert den Ärmelkanal und legt den Grund zur römischen Herrschaft auf der britischen Insel. Mit der in harten Kämpfen erprobten und ihm blind ergebenen Armee wagt der übermächtig gewordene Feldherr am 10. Januar 49 v.Chr. den Staatsstreich, überschreitet mit dem Übergang über den Rubikonfluß die Grenzen seiner Provinz und erobert in acht Wochen die ganze italische Halbinsel. Alle Nebenbuhler erliegen im Ablauf weniger Jahre seinem Siegeslauf durch Spanien, Griechenland, Ägyptisch-Nordafrika, Kleinasien und Nordwest-Afrika. Als unbeschränkter Herrscher eines Reiches, das sich vom Ärmelkanal bis an den Euphrat erstreckt, kehrt er in die Hauptstadt zurück, um seine Machtstellung in einer umfassenden Verwaltungs- und Reichsreform für immer zu sichern. An den Iden des März aber erliegt der Diktator und „Kaiser ohne Krone" den Verschwörern, die sich aus den Reihen der Anhänger des altrömischen Staatsgedankens zu einem Attentat gegen ihn zusammengefunden haben. In einer Senatssitzung wird Cäsar zu Füßen der Bildsäule seines einstigen großen Gegners Pompejus von 23 Dolchstichen tödlich getroffen. Aber die altrömische Republik ist auch durch Beseitigung des absolutistischen Herrschers nicht wiederherzustellen. Die Mörder, die den Dank der Nation erwarten, haben sich für eine Republik eingesetzt, die schon lange vor Cäsar ihr Ende gefunden hatte. Nach fünfzehn Jahren Bürgerkrieg übernimmt Cäsars Großneffe Octavianus-Äugustus das Erbe der Alleinherrschaft über das Weltreich.
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Schon am Tage nach der Ermordung Cäsars wenden sich die politischen Freunde des Gemordeten gegen die Verschwörer.DerTreuhänder des Erbes,Marcus Antonius, stellt die Leiche Cäsars auf dem Forum Romanum aus und lenkt mit geschickter Rede den Sturm der Gefühle, der brausend vom Forum durch die Gassen fegt; aus Mitleid wird Zorn, aus Trauer Raserei. Marcus Antonius gießt Öl in das Feuer, als er das Testament des Toten verliest. Der schmählich gemordete Cäsar überschüttet noch aus dem Schattenreich sein geliebtes Volk, das er so oft durch Brot und Spiele erfreut hat, mit Gaben, Stiftungen und großherzigen Spenden. Selbst die Mörder sind unter den Beschenkten! Welch ein Hohn! Es bedarf kaum noch der aufpeitschenden Anklagen des Antonius. Die Menge stürmt die Häuser der Schuldigen und jagt sie wie Aussätzige aus der Stadt. * Während die Häupter der Verschworenen in ihre Provinzen flüchten, um ein Heer gegen Marcus Antonius zu sammeln, ergreift der Senat Roms vorübergehend wieder die Macht. Auf die Kunde von Cäsars Ermordung ist auch der alte Politiker Cicero aus Athen herbeigeeilt und erlebt noch einmal glanzvolle Zeiten. Die Senatoren und ihre Parteigänger machen den berühmten Redner und Staatsmann zu ihrem Sprecher. Die Schreckenskunde von den Ereignissen erreicht den neunzehnjährigen Großneffen und Erben Cäsars, Octavianus, in der Philosophenschule von Apollonia in Illyrien. Der tatkräftige, hochbegabte Jüngling eilt sogleich nach Rom. Er nimmt den Namen Gajus Julius Cäsar Octavianus 3
an. Der Senat sieht in ihm einen Parteigänger in seinem Kampf gegen den übermächtig werdenden Marcus Antonius, der sein Streben nach der Machtergreifung kaum noch verbergen kann. Marcus Antonius weicht vor der geschlossenen Front der Senatspartei aus Rom und begibt sich ins Feldlager der Cäsarischen Legionen, die in Oberitalien in Kämpfen gegen die Cäsarmörder stehen. In seiner Abwesenheit beweist der Jüngling Octavian, daß er zu handeln versteht. Ohne zu zögern, stellt er aus dem ungeheuren ererbten Vermögen eigene Legionen auf. Von der römischen Rostra, der Rednertribüne auf dem Forum, hält in diesen Tagen Cicero seine Reden gegen jede Form von Gewaltherrschaft und gegen Marcus Antonius. „Nur zwei Wünsche habe ich noch: erstens bei meinem Tode ein freies Römervolk zu hinterlassen, das wäre mir das größte Geschenk, das mir die unsterblichen Götter geben könnten; zweitens, es möge einem jeden so ergehen, wie er es für den Staat verdient!" Octavian folgt dem Marcus Antonius und schlägt ihn in mehreren Schlachten. Als die Siege erfochten sind und Antonius nach Gallien zurückweicht, wo er in dem Statthalter Lepidus einen Verbündeten gewinnt, eilt eine Abordnung der Truppen des Octavian nach Rom und fordert für den Cäsar-Erben das Konsulat. Da der Senat die Forderung ablehnt und Stimmen laut werden, die sich gegen Octavian wenden, weil er nach der Alleinherrschaft strebe, kehrt der siegreiche Jüngling nach Rom zurück und erzwingt für sich den Oberbefehl gegen die Mörder Cäsars, die sich inzwischen in Makedonien, Syrien und auf Sizilien festgesetzt haben und von dort her Italien bedrohen. Octavian fühlt sich allein nicht stark genug, in den drei Ländern den Kampf zu beginnen. Da beweist der Erbe Cäsars zum anderen Male, welch ein Spiel er spielt. Wieder wechselt er das Lager. Im November des Jahres 43 v. Chr. trifft sich Octavian heimlich auf einer kleinen Insel des Flüßchens Renus bei Bologna mit Antonius und dessen Verbündeten Lepidus. Die drei so verschiedenen Männer schließen sich zusammen, um gemeinsam in einem Triumvirat die Regierungsgewalt zu übernehmen. Eine furchtbare Zeit für Rom bricht an, als die Legionen der Triumvirn siegreich in die Hauptstadt einmarschieren. Die Drei wissen, daß die Gegner Cäsars auch ihnen unversöhnliche Feinde sein werden. Zweitausend Ritter und 4
dreihundert Senatoren — die gefährlichsten Führer der Gegenpartei — werden geächtet und verlieren Leben und Besitz. Cicero, der auf sein Landgut bei Formiä geflüchtet ist, wird dort von den Häschern eingeholt und getötet. Seinen Kopf und seine rechte Hand läßt Marcus Antonius auf der Eednertribüne, von der Cicero so oft zum Volke gesprochen hat, ausstellen. * Bei dem Ort Philippi in Makedonien werden in den ersten Dezembertagen des Jahres 42 die letzten Legionen der Eepublik, die um die Cäsarmörder Brutus und Cassius geschart sind, vernichtend geschlagen. Die Gegenwart löscht die Vergangenheit aus. Die idealistischen Freiheitssucher und die dunklen Hasser von gestern greifen zu denselben Dolchen, die einst Cäsar niederstießen, und enden das eigene Leben. * Sieg! Sieg für die Erben Cäsars! Und Sieg bedeutet erneut Machtrausch, Übermut und zügellose Rache an den Unterlegenen. Die Welt ist niemals durch Siege besser geworden, nur der Sieg, der im großen Frieden, in der Versöhnung mündet, wird fruchtbar. Aber bis dahin ist es noch weit. Zunächst stürzen sich die Cäsarianer, die Anhänger der triumphierenden Volkspartei, auf die Güter der Unterlegenen. Beiche werden arm, und Arme kommen über Nacht zu Vermögen und Landbesitz. Der Sieger Octavian hat allen Grund, die Augen zuzudrücken und seinen Helfern eine Zeitlang freie Hand zu lassen. * Unter denen, die das Schicksal der Enteignung trifft, ist auch die Familie des Virgilius Maro, eines einfachen Angestellten aus Andes bei Mantua, der es durch Fleiß und durch günstige Heirat zu einem eigenen Gütchen gebracht hat. Durch Ankauf und Kultivierung von Waldland im lieblichen Tal des Mincio ist Virgilius Maro Eigentümer einer kleinen ertragreichen Landwirtschaft geworden. 5
Der einzige Sohn, Publius Virgilius1 weilt fern von der Heimat bei Neapel, als das Unglück das Vaterhaus überfällt. Virgilius ist ein gebildeter, hochgelehrter Mann. Er hat nicht nur die öffentliche Schule zu Cremona und die Rednerschule zu Mailand besucht, er ist auch nach Neapel und Rom gezogen, um sich bei den besten Lehrern für den Anwaltsberuf vorzubereiten. In seinen Mußestunden schreibt er Verse, aus denen die Sehnsucht nach dem Frieden des Landlebens spricht. Diese Hirtengedichte haben ihm bereits einen bescheidenen Ruf als Poet eingebracht. Doch übelwollende Leute haben ihm ein paar kecke Verse auf einen cäsarianischen Politiker als Belastung angekreidet. Und gegen den Vater hetzen die Geschäftemacher der Volkspartei, um ihn unter dem Vorwand, er sei ein frecher „Cäsarenfeind" zu enteignen. Das Gütchen geht verloren. Seufzend läßt der alte Bauer dem ahnungslosen Sohn die böse Botschaft überbringen. * Publius Virgilius Maro hat bis jetzt wenig von den gro ßen Erschütterungen in Rom verspürt. Seine Lebensziel hegen fern vom lauten Strom des Lebens. Aus dem Mund seines alten Lehrers Siro hat Virgil immer wieder die Wor Epikurs gehört: „Lebe in stiller Verborgenheit!" — „We keine Unrast in sich selber birgt, wird sich selbst und sei nen Nächsten keine Sorge machen". Diese Geisteshaltung entspricht der natürlichen Veran lagung Virgils. Trotz aller Wunder Roms, trotz der Versuchungen der Weltstadt ist er der Hirt und Bauer, der Mensch der Erde geblieben. Ihn zieht es mit allen Fasern zum Acker, zu seinen geliebten Bäumen, zu Aussaat und Ernte und zurück auf das Land, wo man den Kreislauf des Jahres erlebt und Kraft aus verborgenen Tiefen gewinnt. Als Siro stirbt, hinterläßt er seinem Lieblingsschüler Virgilius einen kleinen Landbesitz bei Neapel als Erbe. Hier baut Virgil selber die Rebe, das Obst und den Weizen, schert die Lämmer und versorgt das Geflügel; hier ist er glücklich; denn Erde scheint ihm besserer Stoff als Gesetzbücher, er hat lieber die Hand am Pflug als am Griffel. In solcher Seelenstimmung trifft ihn die traurige Nachricht des Vaters über den Verlust der Heimat. Tief erschüttert ihn die Ungerechtigkeit, tiefer noch die Tatsache, 6
daß die geliebten Gärten und Äcker, das Tal und der Wald am Mincio für immer dahin sein sollen, geraubt vielleicht von einem der großen Landbesitzer, der das Gütchen zur Abrundung braucht. Ohne zu zögern, bietet er den vertriebenen Eltern sogleich seinen eigenen Bauernhof bei Neapel an. Für die beiden Alten mag das Gut des Siro genügen. Er selber muß sich nun dem erlernten Anwaltsberuf zuwenden. Durch seine Hirtengesänge hat er sich unter den reichen Gutsbesitzern der Nachbarschaft einflußreiche Gönner geschaffen, die ihn an einen der engsten Freunde des neuen Machthabers, an den Kitter Mäcenas 2 in Eom, empfehlen. Im Hause des kunstverständigen, vermögenden Politikers findet Virgil ein bequemes Auskommen und Muße, seine Dichtkunst zur Eeife zu bringen. Rasch steigt er auf der Stufenleiter des Ruhmes empor, wird dem neuen Cäsar Octavian vorgestellt und gilt in den literarischen Kreisen Roms als der Begabteste unter den lebenden Poeten. Und doch verläßt ihn niemals die Sehnsucht nach der Erde. Vernehmlich ruft ihn eine innere Stimme in die Stille seines Bauerngutes zurück. Inmitten des Stromes von Reichtum und Macht, umgeben von Üppigkeit und Luxus, singt Virgil in dem Epos „Georgica" seine Verse zum Lobe des Landlebens .. . „Selig ist jener, dem die ländlichen Götter vertraut sind, Gott Pan und der Waldgott und der frohe Reigen der Nymphen! Ihn beugt nicht des Volkes Gewalt, noch schreckt ihn des Herrschers Purpurmantel, noch Zwist, der selbst Brüder heimtückisch hetzet. Ihn bekümmert kein Feind, der Aufruhr erregt an den Grenzen, nicht Roms innerer Krieg, noch sinkende Staaten. Auch schmerzt ihn weder das Mitleid mit Armen, noch plagt ihn der Neid auf die Reichen. Eigenes Obst und eigenes Korn auf fruchtbarer Scholle reift ihm zur Ernte entgegen . . . "
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Ein ähnliches Schicksal wie Virgil trifft einen seiner Zeitgenossen, dessen Name ebenfalls die Jahrhunderte tiberdauern wird — Quintus Horatius Flaccus3. Um Jahre jünger als der Dichter des Landlebens, hat Horatius wie Virgil in Rom studiert. Als Cäsar unter den Dolchen der Republikaner fällt, verschreibt sich der Student in jugendlich aufflammender Begeisterung der Sache der Freiheit und tritt als Tribun in das Heer des Brutus ein. Durch die Enteignungen Octavians verliert auch er sein väterliches Erbgut bei Venusia in Süditalien. In seiner Not beschließt der Student, ein bisher ungenütztes Talent zu gebrauchen und sich mit Hilfe seiner gewandten Feder Freunde und Gönner zu verschaffen. Auch er geht nach Rom und findet in der Stadt eine gering bezahlte Beamtenstelle. Doch das Leben in der Hauptstadt ist teuer, man kann Haus und Garten in Kleinstädten für die Summe kaufen, die man hier als Jahresmiete für eine finstere Wohnung bezahlt. Der Dreiundzwanzigj ährige, der sich noch vor kurzem als Student berechtigte Hoffnungen auf eine glanzvolle Staatslaufbahn gemacht hat, fühlt sich in der untergeordneten Stellung eines Quästur-Schreibers tief unglücklich. Die Quästur — eine Art Rechnungshof und Verwaltungsamt für innere Angelegenheiten — ist in einem Anbau des Saturntempels am Forum Romanum untergebracht, liegt also mitten im Herzen der brausenden Weltstadt. Hier arbeitet Horatius in der Abteilung, die unter Aufsicht eines höheren Magistratsbeamten die „Römische Staatszeitung" herstellt. Diese neue Einrichtung besteht seit dem Konsulat Cäsars und dient der laufenden Veröffentlichung der Senatsprotokolle. Nach Cäsars Tod ist es die Pflicht der zahlreichen Schreiber und Kopisten, die städtischen Nachrichten, Verordnungen, die Beförderungen, Versetzungen und Ernennungen sowie die Senatsreden zu ordnen und für die dreimal monatlich erfolgende Bekanntgabe vorzubereiten. Regelmäßig werden viele Hunderte von Exemplaren der „Römischen Denkwürdigkeiten" an hochgestellte Persönlichkeiten der Provinzen geschickt. Heute fällt Horatius die Arbeit noch schwerer als sonst. Zum Ersticken heiß ist die Luft in den korridorartigen Amtsräumen, in denen sich Pult an Pult reiht. Der Ma8
gistratsrat schreitet beobachtend hinter den gekrümmten Rücken der Schreiber auf und ab, Pergamentstreifen rascheln, die eifrige Kopistenhände mit Bimsstein glätten; Federn werden gespitzt, Tinte gemischt und Streusand auf vollbeschriebene Bogen geschüttet. Das monotone Kratzen der vielen Rohrfedern ist von einschläfernder Wirkung. Manchmal ertappt sich Horatius dabei, daß ihm die Augen zufallen. Selbst durch die Öffnung in der Decke des Saales kommt kein erfrischender Hauch herein. Wenn einer der hingekauerten Schreiber die müden Blicke gegen das Oberlicht erhebt, schließt er geblendet die Augen vor der bleiernen Glut des unbarmherzigen Himmels. Unendlich langsam schleichen die Stunden dahin, ärgerlich und mißgestimmt treibt der Magistratsrat die Kopisten •— es sind meist Sklaven — zur Eile an. Morgen ist wieder der Tag, an dem die „Zeitung" fertiggestellt sein muß und versandt wird. Der junge Schreiber denkt an die Stunde zurück, da er vor wenigen Tagen in einer öffentlichen Vorlesung seine Gedichte vortragen durfte und nicht nur den Beifall der Menge, sondern auch die Aufmerksamkeit des bekannten Poeten Publius Virgilius gefunden hat. Lächelnd beginnt er, entrückt der Wirklichkeit, auf einem Pergamentstreif zu kritzeln. „Sprech' ich bei geschloss'nem Munde zu mir selbst und hab' ich Muße, so schreib ich's hin aufs Papier, und es soll jenes große Heer von Versemachern mir zu Hilfe kommen; denn unser sind gar viele!"
* Eine Hand legt sich auf die Schulter des Träumenden, der aufsichtführende Beamte blickt mit gerunzelter Stirn auf das seinem Zweck entfremdete, staatseigene Pergament. Schon erwartet Horatius Flaccus ein grimmiges Donnerwetter; als der Beamte die Zeilen gelesen hat, geht ein Schmunzeln über seine Züge. Er wirft einen kurzen Blick auf die schon länger werdenden Schatten im Saal und entläßt den Dichter mit einem fadenscheinigen Auftrag. Er soll nach den öffentlichen Plakattafeln sehen, die an verschiedenen Plätzen der Stadt aufgestellt sind, und feststellen, ob die Polizei2 (13)
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diener ihrer Pflicht genügt und die neueste Nummer der „Denkwürdigkeiten", die zu einem kleinen Teil schon ausgeliefert ist, zur Kenntnis des Publikums gebracht haben. Horatius Flaccus erhebt sich dankbar und verläßt aufatmend die schwüle Kanzlei. *
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.02.18 12:28:30 +01'00'
Im Jugaris-Viertel flutet bereits die zweite, nachmittägliche Welle des Verkehrs. Die drückendste Hitze des Tages ist vorüber, und die Märkte beleben sich mit dem Menschengewühl aller Völker und Eassen. Von der Straße aus überblickt man die Südwestseite des Forums, die von den Arkaden der Händler und Schenkwirte umgrenzt ist. Welch ein Gedränge, welches Geschrei und Gewühl! „Ganz Rom ist eine einzige Kaufhalle geworden, alle Straßen sind von Krämern und Händlern, Fleischern, Schenkwirten und Barbieren in Beschlag genommen, man sieht keine Hausschwellen mehr. Hier hängen am Pfeiler der Schenke angekettete Weinflaschen, dort schwingt mitten im Gedränge ein Barbier sein Schermesser, dampfende, rußgeschwärzte Garküchen nehmen die ganze Breite der Gasse ein, und Prätoren sind gezwungen, durch den Schmutz des Fahrdamms zu waten..."4 Horatius liebt diesen erregenden Strom des Lebens, über dem das Brausen hunderter Stimmen, das Rasseln der Wagenräder und das Dröhnen entfernter Tempelpauken liegt. Er beginnt seinen Stadtrundgang, schiebt sich mit kraftvollen Ellenbogen durch die Menge der Marktbesucher und bedauert, daß er nicht — gleich den vornehmen Herren •— einige Stockträger besitzt, die ihm Platz schaffen. Einmal faßt es ihn wie Neid an, als er die Sänfte eines Patriziers vorüberziehen sieht: An den vier Tragestangen gehen acht kraftstrotzende Negersklaven; das mit chinesischer Seide und phönikischem Purpur ausgestattete Prunklager schwebt hoch über den Köpfen der lärmenden Menge dahin, in einer ruhigeren, einsameren Sphäre, wie sie den Herren der Welt gebührt. Da liegt der Glückliche mit gelangweiltem Gesicht — ein zahnloser, hagerer 10
Greis, der über Güter und Schätze, über Menschen und Machtmittel gebietet. Gleich einer Erscheinung schwankt die Sänfte über das Forum und verschwindet bei der Scala Gemonia — der Treppe, die zur Capitolinischen Burg emporführt. Langsam schlendert Horatius an den Kaufläden des Forums entlang. Hier lagern die Güter der ganzen Welt. Arabische Gewürze und persisches Duftwasser verbreiten einen betäubenden Geruch; auf schmucklosen Tischen liegen Ballen mit Heilkräutern aus Sizilien oder Campanien, auf den samtbedeckten Brettern der Juwelierstände funkeln Smaragde aus den Kaukasusländern, indische Saphire, ägyptische Türkise; matt leuchten die wächsernen Perlen, die von den Bahreininseln — fernen, sagenhaften Eilanden — den Weg auf den römischen Markt gefunden haben. Dort gibt es Leinwand aus Alexandrien, asiatische Seide, von Karawanen über Gebirge und Steppen herbeigeschafft; Liebhaber edler Hölzer drängen sich im Gewölbe der Kunsttischler, die polierte und wunderbar gemaserte Platten aus Citrusholz, Zeder und Nußbaum anbieten. Was die Welt in allen Zonen an Herrlichkeiten hervorbringt, ist in den Bogengängen am Forum auf engstem Räume gehäuft. Auch Luxussklaven kann man hier kaufen. Aber sie werden nicht, wie beim öffentlichen Markt, auf einem Gerüst ausgestellt, sondern in kostbar ausgestatteten Zimmern einzeln den vornehmen und als zahlungsfähig bekannten Käufern vorgeführt. Keiner dieser jungen, ausgesucht schönen und herrlich gewachsenen Sklaven kostet unter zehntausend Sesterzen5; für manche Sklavinnen werden hunderttausend und mehr bezahlt. Horatius Flaocus gedenkt seines Auftrags; er überquert den Platz und geht am Janustempelchen vorüber. Hier sind auf erhöhter Plattform die großen, übergipsten Holztafeln für den Anschlag der Bekanntmachungen und Nachrichten aufgestellt. Einen Augenblick bleibt er unter den Arkaden des neuen Geschäftsviertels stehen und liest die Inschriften, die entweder angeklebt oder kurzerhand auf den weißen Stein geschrieben sind. „Vor kurzem ist in einem Bad ein Sklave abhanden gekommen, ungefähr 16 Jahre alt, kraushaarig, zart gebaut, schöngestaltet, namens Giton. Wer ihn zu11
rückgeben oder seinen Aufenthaltsort nachweisen kann, erhält eine Belohnung von 4000 Sesterzen." Darunter hat ein Wirt sein Pergament geheftet, das in unbeholfener Schrift besagt: „Ein attischer Weinkrug ist in meiner Taberne abhanden gekommen. Wenn ihn jemand wiederbringt, erhält er 65 Sesterzen; zeigt er aber den Dieb an, der ihn genommen hat, so bekommt er das Doppelte von ... Varius." Hier werden auch die Veranstaltungen von Pompeji angezeigt, denn der Kurort amFuße des Vesuvsiebt hauptsächlich von den Gästen aus Eom. Ein in grellem Purpur gefärbtes Plakat kündigt eine berühmte Gladiatorentruppe an. „Die Gladiatorentruppe des Ädilen A. Suettius Cerius wird zu Pompeji am 31. Mai kämpfen. An einer Tierhetze und einem Zeltdach wird es nicht fehlen..." Dann folgen die Paarungen der Fechter, und als besondere Attraktion ist angepriesen: „Am 1. Junius große Tierhetze und der Kampf des T. Felix mit dem helvetischen B ä r e n ! ! ! " Man müßte — denkt Horatius — das Geld haben, um auch einmal für einige Wochen in ein Luxusbad wie Pompeji zu reisen, nichts tun, mit einer Pergamentrolle im Schatten liegen, abends mit guten Freunden zum Klang der Flöten fröhlich zechen, dem Tanz der Mädchen zusehen — und keine Sorgen haben. In diesem großen Spiel des Lebens muß man den richtigen Wurf t u n : emporsteigen in die Sphären des Beichtums, sich erheben über die Masse und teilhaben am Leben der Mächtigen! Für einen armen Schreiber und Poeten gibt es nur einen einzigen Weg zum sorglosen Leben: bekannt und berühmt zu werden und einen Patron zu finden, der ihm die Last und Mühe des Broterwerbs erspart. Horatius entsinnt sich des Hinweises, den ihm Publius Virgilius kürzlich gegeben hat. Gajus Cilnius Mäcenas, der die einflußreiche Stellung eines Freundes und Beraters des jungen Cäsar Octavian einnimmt, soll sich selbst mit Schriftstellerei befassen und junge, talentierte Leute unterstützen. Virgil erfreut sich seiner Hochachtung und Gunst und lebt, umgeben von Luxus, im Hause des märchenhaft reichen Bitters. Man sollte sich in der prachtvollen Villa des Mäcenas vorstellen, vielleicht winkt dort das so lange gesuchte Glück! 12
Seufzend gedenkt der Schreiber des glücklicheren Virgil, dem die Schwester des Octavian vor einiger Zeit für fünf Verse 10000 Sesterzen geschenkt hat. Energisch beschließt er, sogleich etwas zur gründlichen Verbesserung seiner Verhältnisse zu unternehmen und Mäcenas heute noch aufzusuchen. Dazu muß er aber vorher zwei andere Wege erledigen: Der erste führt ihn zum Barbier, denn seine Wangen sind mit dunklen Bartstoppeln bedeckt, der zweite in das Gewölbe seines Verlegers, damit er sich eine Abschrift seiner Gedichte besorgt, die er als einführendes Geschenk Mäcenas zu überreichen gedenkt. * Die Barbierläden, halb unter den Arkaden, halb im Freien, gelten als die Treffpunkte der Müßiggänger und Faulenzer. Horatius wird sogleich bedient. Der Meister hat ihn in einen nach hinten geneigten Easierstuhl gebeten, die Toga mit einem weißen Leinentuch bedeckt und überschüttet sein Opfer mit einem Wortschwall. „Basieren gefällig, der Herr Schreiber?" — aber die Frage ist überflüssig; denn schon flitzt das Basiermesser über den Streichriemen, der Mann sieht gar nicht hin, sondern läßt seine flinken Augen fortwährend auf dem belebten Forum spazierenlaufen, er grüßt Bekannte, ruft wohl auch den einen und anderen an und horcht wieder kurz auf das Gespräch in seiner Frisierstube, wo die Sklaven arbeiten. „Wenn es dem Herrn Schreiber genehm ist, so wollen wir heute die neue, garantiert aus Germanien eingeführte Seife versuchen. Eine wahrhaft treffliche und die Gesundheit der Haut fördernde Erfindung dieser Barbaren, man sagt, sie werde aus Ziegentalg und Holzasche hergestellt. Sie macht das Haar schön und die Haut frisch." Ohne auf die Anwort seines Kunden zu warten, beginnt er einzuseifen. Ein Stutzer, wie sie zu Dutzenden die Rasierstuben bevölkern, rückt seinen Stuhl heran, in der Absicht, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Er hat das Kinn kunstvoll ausrasiert, eine kleine „Fliege" steht unterhalb der Lippen. Auch auf der Oberlippe trägt er ein strichdünnes Bärtchen. Umständlich bringt er aus den Tiefen seiner Toga eine Ffeife mit geradem Mundstück und ovalem Kopf6 zum Vorschein, stopft sie aus einem 13
kostbaren Jadedöschen mit einer duftenden Mischung verschiedenartiger Kräuter, schlägt Feuer mit Stein und Eisen und legt den Zündschwamm auf den Pfeifenkopf. Als die ersten blauen Wolken aufsteigen, klappt er den Pfeifendeckel zu, lehnt sich bequem zurück und zieht Horatius — den er nie vorher gesehen hat —• ungeniert ins Gespräch. „Weißt du schon, Freund", sagt er vertraulich, „Octavian ist nach Brindisi gegangen, um sich mit Marcus Antonius zu treffen?" „Ich habe davon erfahren", nickt Horatius. „Wenn nicht alles täuscht", wirft der Friseur geschäftig ein, „so wird das neue Triumvirat dasselbe Schicksal erleiden wie das alte: Damals war es Crassus, der vor dem Endkampf ausschied, diesmal wird es schon bald der unbedeutende Lepidus sein, den dieses Los trifft, seit er völlig in die Abhängigkeit unseres göttlichen Octavian geraten ist. Bleibt also nur noch Marcus Antonius! Nicht wahr, Herr Schreiber?" „Ich weiß genau, was geschehen wird!" erwidert statt des Horatius der Stutzer unter genießerischen Rauchwolken, „die Triumvirn teilen die Welt unter sich auf. Die natürlichen Grenzen der Erdteile zeichnen sich ab: So wie das Imperium zusammengesetzt worden ist, so zerfällt es nun: Octavian wird der Herr des Westens und Roms, Lepidus bekommt Afrika und Antonius den Orient." „Bei diesem Geschäft", ereifert sich der Barbier, „wird unser Octavian das schlechte Los ziehen, es sei denn, er denke heimlich daran, die Portion des Lepidus eines Tages samt der Kriegsflotte zu schlucken." Der Fremde zieht einen Metallspiegel aus der Tasche und bearbeitet mit einer kleinen Bürste Bart und Haare. „Lepidus ist heute schon ein verlorener Mann", sagt er geringschätzig, „zwei Männern wie Octavian und Antonius ist er nicht gewachsen, er wird die Partie verlieren. Aber trotzdem wird Octavian genug Sorgen behalten, wenn er zu Brindisi Friede schließt. In Italien allein warten 170000 Veteranen auf die versprochene Landzuteilung; die Parteien haben ihre Sonderwünsche, die arbeitslosen Massen Roms, Capuas und der übrigen Großstädte schreien nach Brot und Spielen, und nun kommt noch die Gefahr der Reichsteilung hinzu..." 14
„Der alte Riß!" meint der Barbier, „Ost gegen West, Hellas gegen Rom: Die Trennlinie beginnt seit alten Tagen in Makedonien und läuft entlang der Ionischen See hinüber nach Nordafrika. Aber man sollte unter allen Umständen die Einheit erhalten; das ist wohl auch das Bestreben des Senats, wie man aus den letzten Nachrichten ersehen kann. Einer der Senatoren hat es ganz richtig gesagt: Die Erzeugnisse italischen Handwerksfleißes und römischer Industrie brauchen die Märkte des Südens und Ostens, die Übervölkerung Roms fordert die Einfuhr ägyptischen, sizilischen und afrikanischen Getreides; der anwachsende Luxus verlangt nach den Wohlgerüchen, Salben, Schmuckgegenständen und Leckereien des Orients; die italischen Fabriken, Werften und Werkstätten bedürfen der Rohstoffe der Provinzen. Nicht nur die Legionen — so sagte der Senator — sondern auch die wirtschaftlichen Bande halten das Imperium zusammen..." Im Laden entsteht Unruhe, alles drängt sich um einen griechischen Arzt, der eben eingetreten ist. Der Grieche betreut die Gladiatoren im Circus und gilt als die beste Quelle für Wett-Tips. „Wer wird Sieger, Asklepiades ?" ruft es von allen Seiten. Der Arzt nimmt umständlich auf einem der Barbierstühle Platz. Bei seinem Erscheinen ist auch der Fremde aufgestanden, ohne Horatius weiter zu beachten. Der Friseur beeilt sich, fertig zu werden, denn nebenan schwirren schon die Namen der Gladiatoren und Tierhetzer, Wachstäfelchen klappern, auf denen Notizen für Wetten gemacht werden. Ein Sklave wäscht die Wangen des Schreibers mit persischem Rosenwasser, ein anderer trocknet sie ab. Dann wirft Horatius einige Kupfermünzen hin und verläßt die lärmende Gesellschaft. * Die meisten Buchläden liegen unmittelbar am Forum, dort, wo die Basilika des Ämilius Paulus steht, nur das Verlagsgeschäft der Gebrüder Sosii macht eine Ausnahme, es hat seine Verkaufsräume an der verkehrsreichen Ecke von Forum und Tuskus-Viertel. Wie immer, wenn Horatius den halbdunklen Gang betritt, der in die Verlagsgewölbe führt, schlägt ihm auch heute der Geruch von Safran und Zedernöl entgegen — 15
Mittel, die gegen Motten und Papierwürmer angewandt werden. Im dämmrigen Raum brennen Öllampen, um die Pfeiler stehen Gruppen von Literaten, die sich stundenlang hier aufhalten, um gelehrte Gespräche zu führen und Neuerscheinungen zu besprechen. Vor einem der Mittelpfeiler debattieren zwei Grammatiker. Horatius durchquert den Laden und die Offizin, ein langes, durch Oberlicht erhelltes Gemach, in dem Abschreiber die Werke der beliebtesten und gelesensten Autoren vervielfältigen. In anderen Räumen sind Buchbinder am Werk, die dickleibigen Folianten anzufertigen, die man neuerdings den Schriftrollen vorzieht. Hier trifft der Dichter den älteren der Gebrüder Sosius, einen glatzköpfigen, beleibten Herrn, der seine Geschäftstüchtigkeit hinter überströmender Herzlichkeit verbirgt und der die armen Poeten meist mit Schmeicheleien oder Vertröstungen anstatt mit klingender Münze bezahlt. Als er Horatius erblickt, huscht ein Schatten über sein Gesicht, der aber sofort einem strahlenden Lächeln weicht. „Ah! Horatius Flaccus — der Poet der Zukunft! Leider der Zukunft, mein Teuerster, die Gegenwart kennt dich nicht. Die reichen Leute kaufen am liebsten alte und ehrwürdige Bücher, zumindest aber wünschen sie, daß der Name des Autors bekannt und berühmt sei..." „Wie sollte ich es werden, Sosius, wenn du meine Werke in den dunkelsten Winkel deines Ladens stellst?" „Laß dir von einem alten Buchhändler sagen, der das Geschäft kennt: Dichten ernährt seinen Mann nicht, das ist kein Beruf, sondern eine Nebenbeschäftigung. Du mußt dir einen reichen Patron suchen — dazu sind Gedichte eben gut genug —, zum Geldverdienen taugen sie nicht." „Aber man sagt doch, daß Terentius vor einem Jahrhundert aus der Staatskasse für ein einziges Werk 8000 Sesterzen erhalten habe? Sind wir denn nicht mehr poetenfreundlich, lassen wir uns von der Vorzeit beschämen?" „Die Behörden haben es nicht mehr nötig, um die Gunst der Poeten und die Zustimmung der Öffentlichkeit zu buhlen, mein Freund. Nur die Mächtigen und Reichen räumen manchmal dem Genius ein Plätzchen an ihrer Tafel ein. Sieh zu, daß du eines erhaschen kannst!" Hastig entschuldigt sich Sosius, um der unvermeidlichen Frage nach einem bescheidenen Honorar zu entrinnen. Er eilt mit flüchtigem Gruß davon, und Horatius 18
muß froh sein, von einem Verwalter ein leicht beschädigtes Exemplar seiner eigenen Satiren als Geschenk zu erhalten. * Von der Höhe des palatinischen Hügels geht der Blick des Dichters weit über Rom hin. Die Altstadt mit ihren gewundenen Gassen, von Säulengängen und Tempeln eingefaßt, führt hinauf zum Capitol und zu dem neuen Jupitertempel. Öffentliche Bauten, die ehemalige Statthalter, Heerführer und Staatsmänner aufführen ließen, ragen wie Inseln aus dem Dschungel der engen Straßen und unregelmäßigen Plätze. Der Dichter bleibt unter den Schattendächern der Akazien stehen und blickt auf die weite, von der Tiberschleife umgrenzte Ebene. Das ist die Neustadt — erst durch Sulla und Cäsar in den erweiterten Weihebezirk einbezogen —, dort unten gibt es nicht nur die schnurgerade und breite Via Flaminia, sondern auch eine Anzahl gerader und sinnvoll angelegter Querstraßen und strahlenförmiger Ausfallwege. Viele Straßen sind durch Gewölbe überdacht, zweitausend Säulen — zum Teil aus Griechenland eingeführt — zieren den neuen Stadtteil. Und auch zur Linken des Palatins wächst Rom über den alten Stadtbereich hinaus — dort liegt der von Cäsar ausgebaute mächtige Circus Maximus, der Kampfplatz der Wagenrennen, unter buntgestreiften, gewaltigen Sonnensegeln. Drüben aber, im duftenden Park, in dem weißgekleidete Gärtnersklaven arbeiten, fremdländische Bäume aus ihrer Verpackung lösen und einpflanzen, seltsame Blumen setzen und den Rasen scheren; dort in dem ummauerten Paradies, wo die glänzenden, griechischen Plastiken stehen und die Fischteiche mit Lapislazuli ausgelegt sind, steht ein breithingelagertes, weitläufiges Gebäude mit einem Säulenvorbau aus phrygischem Marmor. Das ist die Villa des Ritters Mäcenas: ein Haus, prunkend mit Gold, Elfenbein und Zedernholz, eine Heimstätte des Glücks und des Reichtums. Höher am Berg schachten Sklaven eine riesige Baugrube aus, dort soll der neue Turmpalast entstehen, von dessen Planung Rom Wunder erzählt. Als Horatius vor dem Tor steht, zögert er. Soll er es wagen, das Haus des reichen und mächtigen Mannes zu betreten? Wird man ihn nicht wie einen lästigen Bitt3(13)
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steller abweisen oder ihm fünf oder zehn Sesterzen in die Hand drücken, um ihn loszuwerden? Nun — Horatius Flaccus hat schon mehr gewagt, und er hat es um weniger wichtige Dinge getan. Kühn faßt er nach dem Bronzehammer und schlägt auf den Gong, um den Pförtnersklaven zu rufen. * Aus der ersten Begegnung zwischen Mäcenas und Horatius erwächst eine tiefe Freundschaft, die bis zum Tode währt. Von nun an kann der Dichter — frei von den Sorgen des Alltags — seiner Muse dienen und Werke schaffen, die alle Zeiten überdauern. * Während Cäsar Octavian zielbewußt alle Schwierigkeiten niederkämpft, die sich in seinen Weg stellen, gefällt sich Antonius im Orient in seiner Rolle als Herr der römischen Lehensfürsten und Statthalter. Er setzt Herodes, den Mörder des letzten Maccabäers, als König in Jerusalem ein und bereitet in Syrien einen Feldzug gegen die Parther vor, die von Persien her den Osten bedrohen. Als Antonius in der kleinasiatischen Stadt Tarsus Hof hält, befiehlt er Kleopatra, die Königin Ägyptens, vor seinen Richterstuhl, um von ihr Rechenschaft wegen verschwörerischer Umtriebe zu fordern. Die angeklagte Königin erscheint nicht im Büßergewande, sondern tritt eines Abends, stolz und ihrer Schönheit bewußt, vor Antonius hin. Schon einmal hat sie einen Herrn der Welt bezaubert: Gajus Julius Cäsar. Aber Cäsar war rechtzeitig erwacht und hatte sich nach kurzem Getändel seiner staatsmännischen Aufgaben wieder besonnen. Er war niemals wiedergekehrt, nur Cäsarion, das Kind des Juliers, war ihr geblieben. Kleopatra ist Königin geworden durch Cäsars Gunst. Nun sind die stürmischen Jahre der Jugend dahin, kühlere Gestirne leuchten über ihrem Leben. Es geht ihr nicht mehr um Hingabe und Leidenschaft, sondern um Macht und Herrschaft. Vielleicht kann sie noch einmal einen der Großen der Erde zum Werkzeug ihrer hochfliegenden Pläne machen! Sie träumt von einem Reich des Ostens, das alle Herrlichkeit des Orients umschließen und von den 18
Nilkatarakten bis zur Krim, vom Olymp bis zum Persischen Golf reichen soll. Kleopatras letztes Abenteuer beginnt an jenem Abend zu Tarsus. Nun — da Kleopatra in sein Leben getreten ist — schickt Antonius seiner Gemahlin Octavia, der tugendhaften Schwester des Octavian, den Scheidebrief. Er weiß, was diese Brüskierung bedeutet. Er sieht das Verhängnis auf sich zukommen, fühlt die Tragik der Entscheidung. Aber es fehlt ihm die Kraft, sich aus dem Traume aufzuraffen, in den er versunken ist. Monate, Jahre, verschwelgt Antonius in Alexandrien, der Hauptstadt Ägyptens, verzaubert und bestrickt von der Königin.
* Auf Veranlassung des Octavian erklärt der Senat Kleopatra den Krieg. Abendland und Morgenland treten sich gerüstet gegenüber. Es wird ein Krieg der Flotten. Vor dem Vorgebirge Actium an der griechischen Westküste treffen die Galeeren der Gegner aufeinander.^ Octavian zerschlägt die Geschwader der Ägypter und verfolgt mit allen Rudern die Flüchtenden südwärts. Die römischen Soldaten des Antonius murren seit langem über die Günstlingswirtschaft und die asiatische Verweichlichung und verzeihen ihrem Imperator nicht, daß er den Partherfeldzug vergessen hat und alle Dreistigkeiten dieses wilden Ostvolkes hinnimmt. Ohne einen Schwertstreich geht das Ostheer geschlossen zu Octavian über. Als die Kreuzer des Siegers in den Hafen von Alexandria einlaufen, verliert Antonius alle Hoffnung und stürzt sich in sein eigenes Schwert. Kleopatra aber schmückt sich zum Empfang des Siegers. Als sie Octavian gegenübersteht, weiß sie, daß sie das Spiel verloren hat. Kalt blickt der Herr der Welt über die Besucherin hinweg. In ihrem Stolz tödlich getroffen, entflieht Kleopatra der Schande, in einem römischen Triumphzug mitgeführt zu werden, in eine andere, unerreichbare Welt. Noch einmal läßt sie sich mit königlicher Pracht schmücken, bevor sie den dunklen Weg in das Unbekannte geht. Dann legt sie sich mit rätselhaftem Lächeln eine giftige Viper an die Brust. 19
Horatius besingt den Tod der Königin in einem Gedicht: „Sie grüßte ihr Schloß noch mit heiteren Augen, faßte die schimmernde Schlange und bot tapfer den Busen dem Biß, um zu saugen schwärzliches Gift und den qualvollsten Tod. So könnt' der Tod selbst den Trotz nicht bezwingen, da sie dem Sieger den Ruhm noch entwandt, sie in Banden zur Heimat zu bringen als seines Triumphzuges stolzesten Fang." Ägypten wird römische Provinz. Cäsars Sohn Cäsarion wird auf Befehl des Octavian beseitigt. Octavian ist der Herr Roms, der Herr der Welt.
* Als der „Erste Mann im Staate", als Princeps, geht Octavian den Weg der Alleinherrschaft. Ein republikanisches Amt nach dem andern aus den Händen von Senat und Volk entgegennehmend, verbindet er den Schein der republikanischen Tradition mit der tatsächlichen Amtsgewalt des Monarchen. Als Volkstribun auf Lebenszeit und als Pontifex Maximus genießt er Unverletzlichkeit seiner Person. Als Ehrentitel erhält Cäsar Octavianus den Beinamen Augustus, unter dem er in die Geschichte eingehen wird. Durch die neue Reichseinteilung sichert er sich die Erträgnisse aus 27 von 39 Provinzen, die er durch Legaten verwalten und durch seine Legionen sichern läßt. •
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In diesen Tagen kommt aus dem umbrischen Städtchen Asisium ein dreiundzwanzigj ähriger Student, Propertius mit Namen 8 , in die römische Hauptstadt, schreibt ein paar freche Verse, in denen die Besitzer der palatinischen Schlösser mit aller Offenheit angeprangert werden, und schon ist er ein neuer Liebling jener Gesellschaft, die er in seinen Gedichten kritisiert. Die Römer finden ihn geistreich und stilvoll, vielleicht auch spielen sie mit ihm, wie ihre Frauen es lieben, mit Pantherkatzen und Schlangen zu spielen, seit Ägypten in Rom Mode geworden ist. Auch Mäcenas liest mit Entzücken die Verse des jungen Mannes: „Bei uns ist falsch das Eheweib, keine Jungfrau treu wie ehedem die Penelope! 20
Jetzt steh'n verödet Hain und Tempel, Frommheit ist hin, und alles ehrt das Geld. Gold schlug die Treue, Gold feilscht um Recht, Gesetz schielt nach Gold; — gesetzlos wird auch bald die Sitte. Ich künd' es dir, mein Land, o traue deinem Seher! Am Reichtum siecht das stolze Rom dahin . . . " Mäcenas, der Mann, den die Freundschaft Octavians für die Zeit des Kleopatrakrieges als Statthalter über Rom und Italien gesetzt hat, der vielfache Millionär, ist geblendet von diesem neuen Stern am römischen Dichterhimmel und überschüttet auch ihn mit seiner Gunst und seinem Golde. * Für den Tag, an dem Augustus zum Empfang geladen hat, ist Propertius zu Mäcenas bestellt: Er soll den Vorzug haben, bei Hofe eingeführt zu werden, Mäcenas selbst will ihn dem Kreis der Berühmten vorstellen. Nach der Begrüßung hat der Hausherr den jungen Dichter der Obhut seines Freundes Horatius anvertraut. Weil noch Zeit ist — der Empfang beginnt nicht vor der dritten Nachmittagsstunde —, führt Horatius seinen Schützling auf das Dach des Turmpalastes, in den Schatten der dort oben tropisch wuchernden Gärten. Ein phantastischer Anblick tut sich vor den Augen des Jünglings auf: das herrliche Marmorrom, das in den letzten Jahrzehnten entstanden ist und das immer prächtiger wird. Propertius steht am Rande der Brüstung und sucht das Bild in sich aufzunehmen: Neben dem alten ist ein neues, cäsarisches Forum im Entstehen. An der Milvischen Brücke wird an einem gewaltigen Gebäudekomplex gebaut, hier ist Agrippa — General, Gelehrter und Freund aller Künste — Bauherr. Ein förmliches Agrippaviertel mit Bäderanlagen, Theatern und Tempeln entsteht dort unten. Horatius ist neben den Jüngling getreten. Auch er liebt den Blick über dieses Rom, das iHrn zur zweiten Heimat geworden ist und in dem der Herzschlag der Welt pulst. Ohne Pathos, wie aus dem Stegreif, spricht er die Verse, die er zum Ruhm der Stadt gedichtet: 21
„Wo einst die Pflugschar durch den Acker schnitt, da ragen die Paläste jetzt der Reichen; der Ulme mußt' der öde Ahorn weichen, in üpp'gen Rasen sinkt des Wanderers Tritt, und hundert Wohlgerüche folgen mit, die lind und süß durch Blumenbeete streichen. Das Schilfrohr schaukelt aus gewalt'gen Teichen, wo samenstreuend einst der Landmann schritt. Wo die Olive wuchs, an sanften Hängen, wölbt jetzt der Lorbeer sich zu Schattengängen. Verlassen haben wir die alten Bahnen, und jeder ist nur auf sein Wohl bedacht. Der Götter Tempel lassen wir verfallen und bauen eig'ner Schlösser weite Hallen."
* Als es Zeit zum Aufbruch geworden ist, begeben sich die beiden Poeten in die Halle hinab. Vor der Freitreppe stehen die prächtigen, geschmückten Zweigespanne bereit, Sklaven halten die feurigen Rosse. Die Sitte des vornehmen Roms verlangt, daß man selbst den kurzen Weg, die gepflasterte Prachtstraße hügelab- und aufwärts bis zum Augustuspalast, mit einem Gefolge schneller Wagen zurücklegt. Mäcenas lenkt seine Araberhengste selbst, H o ratius — der Propertius eingeladen hat, mit ihm zu fahren — steht hinter dem vergoldeten Wagenschild und hält die Zügel seiner Rotschimmel. Zehn Fahrzeuge brausen die Straße hinab. * Ehrfürchtig betritt Propertius die Eingangshalle des Augustuspalastes. Er ist erstaunt, daß nirgendwo in den weitläufigen Schloßanlagen eine bewaffnete Wache zu sehen ist. Wohnt der Herr des Erdkreises unbeschützt als Bürger unter Bürgern? In einer nach dem Garten zu offenen Halle, die Licht auch durch die geöffnete Decke erhält, stehen zwanglos griechische Ruhebetten, davor kleine Marmor- und Ebenholztische. Das Deckengebälk, wird von gewaltigen Säulen aus gelbem Marmor getragen, die Octavian aus Ägypten 22
mitgebracht hat. Die Gesellschaft von vierzig bis fünfzig Männern und Frauen hat sich in Gruppen verteilt, man unterhält sich oder nimmt Erfrischungen, die von Haussklaven gereicht werden. Die Diener sind einheitlich in schneeweiße Tuniken gekleidet, deren kurze Ärmel mit einem goldgestickten Mäandermuster verziert sind. Propertius steht ein wenig benommen am Eingang. Eine hochgewachsene Frau, mit griechischen, hochgekämmten Eingellocken, Lippen und Wangen tiefrot geschminkt und mit getuschten Wimpern, schreitet plaudernd an der Seite ihres Begleiters vorüber. Horatius flüstert seinem Begleiter zu: „Agrippa und Julia!, man sagt, daß sie bald heiraten werden." Propertius schaut unauffällig den beiden nach: Das also ist der Heerführer und Kunstliebhaber, der Freund des Octavian, ein männliches, sympathisches Gesicht. Eigentlich — denkt Propertius — ist er zu schade für die Cäsarentochter, von deren Skandalaffären ganz Eom erzählt. Der junge Dichter erlebt alles wie im Traum. Das also ist der Senat, dort sind die Feldherren, die Geistesfürsten, die Millionäre, von denen die Welt spricht! Namen werden genannt, die Propertius im selben Augenblick wieder vergessen hat, neue Gäste treten von der Gartenterrasse herein. Er sieht Mäcenas inmitten einer lachenden und angeregten Gruppe von Senatoren stehen. Hier scheinen sich alle seit langem zu kennen. Erstaunt bemerkt der Jüngling, wie Horatius die Hand einem durch seine Tunika als Freigelassenen kenntlichen, älteren Manne hinstreckt und ihm ein paar liebenswürdige Worte sagt. Muß man im Hause des Augustus auch den Bediensteten schmeicheln, wenn man den Gastgeber gewinnen will? Propertius hat das Gefühl, daß er noch viel lernen naisse, um in den Salons von Eom bestehen zu können. Der blasse und ein wenig befangene Mann, dem er jetzt durch Horatius vorgestellt wird, ist der große Dichter der Georgica — Publius Virgilius Maro. Und der freundliche Alte, dar ihm so vertraulich die Hände schüttelt, als kennten sie sich schon jahrelang, ist Titus Livius 9 , der bekannte Verfasser einer römischen Geschichte, ein Freund des Augustus .Neben ihm steht ein j unger, gutaussehender Mann in der Eittertoga: Albius Tibullus 10 , berühmt durch seine Elegien und Liebesgedichte. 23
Als Mäcenas den jungen Propertius heranwinkt und ihn durch laute Nennung seines Namens der Gruppe von Senatoren bekanntmacht, wird man im Saal aufmerksam; die Gesichter wenden sich dem Unbekannten zu, Frauen messen abschätzend und nicht unfreundlich seine schlanke Gestalt. Man zieht ihn ins Gespräch, er erhält Einladungen in die ersten Häuser Roms. Der Student, noch am Morgen dieses Glückstages ein unbekannter Skribent in der Heerschar der römischen Dichter, scheint auf der ganzen Linie gesiegt zu haben. Als der erste Ansturm vorüber ist, zieht sich Propertius mit glühenden Wangen in eine einsame Nische zurück, um aus all den verwirrenden Eindrücken zu sich selbst zurückzufinden. Horatius hat ihn unbemerkt beobachtet und folgt ihm nach. Der gefeierte Dichterfürst, der der Freundschaft der Mächtigen sicher ist, bewegt sich mit der Selbstverständlichkeit des Hofmannes unter den Großen. Die Herzlichkeit, mit der Mäcenas den Jüngling verwöhnt, scheint dem Horatius etwas übertrieben zu sein. Der Student hat ein paar ganz nette Verse gemacht, aber sie sind doch noch unbeholfen und anfängerhaft und keineswegs so überragend, daß man ihn gleich wie ein geniales Wunder der Elite Roms vorführen müßte. „Nun, Propertius?" sagt er spöttisch, „du fliehst, wo alles darauf ankommt, zu gefallen!" ,,Es ist zuviel auf einmal!" gibt der Jüngling zur Antwort. „Mir ist ganz wirr im Kopfe von all der Pracht, von den Namen, dem unverdienten Glück . . ." Nach einem Augenblick des Schweigens fährt er nachdenklich fort: „Woran liegt es eigentlich, daß Augustus unangefochten seine Herrschaft ausübt, während der vergötterte Julius Cäsar soviel Feindschaft und Widerstand fand? Julius Cäsar, der erfahrene Kriegsmann und geschickte Staatenlenker, ist gescheitert. Octävian aber, der als Neunzehnjähriger, kränklich und zart, in die große Politik kam, bezwingt alle Hindernisse und wird ohne Widerstand nach seiner Rückkehr aus dem Kleopatrakrieg vom Senat auf neunzehn Jahre zum Imperator und Princeps ernannt. Ihm verleiht der Senat den Titel Augustus, der Erhabene, den nicht einmal sein großer Oheim tragen durfte. H a t sich die Welt gewandelt?" Horatius schüttelt den Kopf. 24
„Daß Octavian sicher auf dem Gipfel steht, der Cäsar zum Verhängnis geworden ist, dafür gibt es vor allem zwei Gründe: sein beherrschender Reichtum und seine kluge Bescheidenheit, die ihn alles vermeiden läßt, was nach Herrschsucht oder königlicher Überheblichkeit aussieht. Der Tod Cäsars hat Octavian gewarnt, mein Freund! Unter den vier Millionen Römern ist Augustus der reichste. Die Geldleute sehen ihn als einen der Ihren an, sie denken nicht daran, gegen ihn Opposition zu machen, solange er sie in Frieden läßt. Heute sind die Provinzen des Imperiums zwischen Senat und Cäsar geteilt; die Einkünfte fließen entweder in die Taschen der senatorischen Bankiers und Großgrundbesitzer oder in die Kassen des Augustus, der klugen Gebrauch von dem Millionensegen macht und alles für Kornspenden, Bauten, Geschenke, Unterstützungen und Gründungen von Kolonialstädten verwendet. Dem Volk zeigt er sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Er geht ohne Leibwache auf dem Forum spazieren, nimmt Bittschriften entgegen und behandelt jeden Töpfer wie seinesgleichen. Verstehst du, Propertius, daß dieser Imperator der Partei des Senats wie der Partei des Volkes gleichermaßen verehrungswürdig sein muß, begreifst du, warum das ganze Reich in Aufregung geriet, als voriges J a h r der Cäsar auf den Tod erkrankte, und daß sowohl einfache Bürger wie Senatoren den Göttern opferten, als er wieder gesund wurde?" „Octavianus hat keinen besseren Fürsprecher und Verteidiger als dich, Horatius!" sagt Propertius mit warmer Herzlichkeit. Die Gäste im Saal geraten in Bewegung, die Gespräche verstummen, alles drängt zum inneren Eingang. Tiberius Claudius Nero 11 , der angeheiratete Stiefsohn des Augustus betritt mit seinem Gefolge den Raum. Tiber ist ein schöner, etwa zwanzigjähriger Jüngling von edlem Gesichtsschnitt und kraftvoller Gestalt. Nachdem er eine Reihe von Senatoren achtungsvoll begrüßt hat, bittet er im Namen des Augustus zur Tafel in den benachbarten Saal. Die Gesellschaft verteilt sich zwanglos an einer Reihe bereits gedeckter Tische. Die Aufmachung ist einfach, fast bürgerlich: Linnen ist über die Tische gebreitet, das Geschirr ist schlicht und ohne Prunk. Auch die Mahlzeit ist für römische Verhältnisse bescheiden: vier Gänge mit Suppe, Geflügel und Gemüsen, Backwerk, kandierten 4(13)
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Früchten und etwas Obst, das in Schalen gereicht wird. Als nach dem Mahl die Sklaven mit Rosenwasser in Bronzebecken und mit Handtüchern von Tisch zu Tisch gehen, damit die Gäste sich die Hände spülen können, tritt Augustus Octavianus mit seinem Hofstaat ein. Mit angenehmer Stimme bittet er, man möge sich nicht stören lassen; inmitten der Gesellschaft nimmt er an einem der Tische Platz. Augustus ist von seiner Gemahlin Livia Drusilla begleitet, der geschiedenen Gattin des Tiberius Claudius und Mutter des Prinzen Tiberius; sie sitzt mit ihrer Hofdame bei dem Stoiker Athenodorus. Der weißhaarige Greis ist Octavians Lehrer in Apollonia gewesen und steht nach wie vor in höchster Gunst. Einige Senatoren erheben sich und gehen an den Tisch des Imperators, um ihn zu begrüßen. Augustus ist höflich, umarmt die Senatoren und küßt sie auf die Wange. Das Mahl ist beendet, die Sklaven reichen süßen, mit Wasser verdünnten Wein. Lauter wird die Unterhaltung, niemand fühlt sich von der Gegenwart des Herrschers bedrückt. Als aufmerksamer Hausherr geht nun Octavian von Tisch zu Tisch und begrüßt die Gäste mit ein paar geschickt gewählten, freundlichen Worten. Als er zu den beiden Poeten Horatius und Propertius kommt, liegt ein Lächeln aufrichtiger Herzlichkeit auf seinem Gesicht. > „Ich grüße dich, mein Dichter!" sagt Cäsar, während Horatius sich ehrfürchtig verneigt, „darf ich hoffen, daß du den Palast des Mäcenas mit meinem Hause vertauschest? Die Stelle eines Sekretärs stünde dir immer offen!" Bevor noch Horatius zu antworten vermag, ist von dem gegenüberliegenden Ruhelager Mäcenas aus der Mitte seiner Freunde aufgestanden. „Das ist nicht erlaubt, Augustus!" ruft er mit gespielter Entrüstung, „du versuchst, meine Freunde zur Untreue zu verleiten. Was würdest du sagen, wollte ich das bei einer deiner Provinzen tun?" „Ich gäbe sie hin für Horatius, glücklicher Mäcenas!" antwortet Augustus lächelnd. Bildseite rechts: o b e n : Römische Legionäre, daneben: Imperator Tiberius; m i t t l e r e R e i h e : Kleopatra, Königin Ägyptens; Marcus Antonius; Standartenadler; u n t e n : römisches Haus der Kaiserzeit.
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Mäcenas benutzt die Gelegenheit, um seinen neuen Günstling Propertius vorzustellen. Mit Anteilnahme betrachtet Augustus den Jüngling, der in ängstlicher Scheu vor ihm steht. „Gerne würde ich eine Probe deiner Muse hören, mein Freund", sagt der Herrscher, „trage etwas vor, Propertius!" Wie im Traum zieht der Jüngling ein Blatt aus der Toga, eines seiner besten Gedichte, das er seiner Geliebten gewidmet hat. Als er zaghaft erklärt, die Verse müßten zur Begleitung der Lyra rezitiert werden, winkt Octavianus den Sänger Tigellius herbei, der schon Cäsar und Kleopatra gedient hat. Augustus klatscht in die Hände und bittet seine Gäste um Aufmerksamkeit. Der Sänger gibt den Saitenspielern ein Zeichen und trägt mit geschulter Stimme die Verse des Dichters vor. Als der letzte Ton verklungen ist, geht Augustus auf den jungen Propertius zu und umarmt ihn. Rauschender Beifall füllt den weiten Saal, nur um den Mund des Horatius liegt spöttischer Zweifel. Der Cäsar wendet sich dem nächsten Gast zu: Publius Virgilius. Sie sprechen eine Weile zusammen, dann bittet Augustus abermals um Gehör. „Senatoren, Freunde!" ruft er, „der eigentliche Grund dieser bescheidenen Einladung war meine Hoffnung, eine ganz besondere Überraschung verkünden zu dürfen. Diese Erwartung hat sich erfüllt, und ich bin glücklich darüber." Gespannt lauschen die Zuhörer, als Augustus fortfährt: „Publius Virgilius hat sein gewaltiges Heldengedicht, die , Aeneis',fast vollendet, einWerk,von dem wir mit Sicherheit annehmen dürfen, daß es einmal die römische Ilias genannt werden wird. Virgilius wird vor dieser erwählten Versammlung zum erstenmal Verse aus dem großen Epos lesen." Wieder setzt leises Saitenspiel ein. Sicher und unbefangen beginnt Virgil den Gesang von des Trojaners Äneas Aufenthalt bei Dido, der Gründerin von Karthago. * Immer glänzender und weltstädtischer wird das Stadtbild Roms. Augustus Octavian findet seine schönste Befriedigung darin, Macht und Größe des neugefestigten 28
Staates in Bauwerken und in plastischem und malerischem Schmuck seiner Vaterstadt auszudrücken. Zweiundachtzig verfallene Tempel Eoms werden herrlich und prunkvoll wiederhergestellt und die Basilika Julin und der riesenhohe Bau der neuen Curie vollendet. Die hohen Säulenlassaden blicken mit Hunderten von Statuen, marmorund goldfunkelnd, auf das erweiterte Forum Romanum. Die Rednertribüne ist mehr gegen des Heiligtum Cäsars hin verlegt und erhöht worden, die alten, halbverfaulten Schiffsschnäbel sind durch stilisierte, vergoldete Schnitzereien ersetzt; an den Marmorfronten der Privathäuser leuchten die hellen Farben der Fresken, die Ornamentbänder und lebensvollen Bilder, die kunstreiche Maler mit leichter Hand entwerfen. Unablässig wird auf dem Palatin gebaut. Der Berirk der kaiserlichen Villa breitet sich fast über den ganzen Berg, schneeweiß schimmern die achthundert Säulen der Kolonnaden der Livia. Der im Bau befindliche Apollotempel überragt schon die Dächer der Nebengebäude; das neuentstehende Augustusforum mit dem Heiligtum des „Rächenden Mars" ist ein einziger gewaltiger Bauplatz, auf dem schon die Konturen riesenhafter Planunffen zu erkennen sind. Die Zahl der Aquädukte hat sich verdoppelt. In langen titanischen Bogen überqueren die Wasserleitungen die Campania, steigen von den Bergen zur Stadt und machen sie überreich an Brunnen, Quellen und Trinkwasser. Bei den Thermen des Agrippa steht, gleichsam als Eingangshalle und als Krönung all dieser reichen Bautätigkeit der neu errichtete Tempel der Götter des Kaiserhauses, aus dem eineinhalb Jahrhunderte später der Tempel aller Götter des Reiches, das Pantheon, werden wird. An einem stillen Herbsttag fahren Mäcenas und Horatius von der palatinischen Villa herab, um den vielgerühmten Bau, ungestört vom Schwärm der Besucher, zu besichtigen. Sie haben sich von Augustus, der das Amt des Oberpriesters bekleidet, die Sperrung des Tempels für einige Stunden erwirkt. Unterwegs gesellt sich Vitruvius Pollio12 zu ihnen, der Baumeister und Wasserbauingenieur des Augustus. Vitruvius gilt als der bedeutendste Sachverständige für Fragen der Architektur, kürzlich erst hat er seine reichen Erfahrungen in einem dem Kaiser gewidmeten Werk niedergelegt. 29
Die Rundhalle des Tempels war ursprünglich als Halle für die riesigen Thermen angelegt worden, die der volkstümliche Agrippa für die Bürger der Weltstadt hatte erbauen lassen. Dann aber war der Bau zu einem Haus der Götter Roms und der Cäsarfamilie erhoben und für diesen Zweck herrlich verwandelt worden. Agrippa, den die römische Welt „Schwert des Augustus" nennt, hat mit diesem mächtigen Monument die Tradition jener großen privaten Bauherrn fortgesetzt, die in diesem Jahrhundert nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in den Metropolen der Provinzen sich selber bleibende Denkmäler errichtet haben. Die Großzügigkeit des Bauens war nicht vom Staat, sondern von den Feldherren, Offizieren, Zivilbeamten und Kaufherren geweckt worden. Bei Cäsars Tod mochte die Zahl der schöneren Häuser in Rom kaum hundert betragen haben. Nach dem Triumph von Actium, als das Gefühl der Sicherheit und der Stetigkeit des errungenen Wohlstandes eingekehrt war, wuchs die private Bautätigkeit ins Große und gesellte sich dem starken Bauwillen des Cäsar Octavian. Die drei Männer haben sich nach der Besichtigung des Tempelinnern neben der Vorhalle auf die marmorne Brüstung niedergelassen, die den Weihebezirk gegen das flutende Leben der Straße abschirmt. Vitruvs kundige Hand streicht prüfend über die Glätte der herrlich gemaserten Steinplatte. „Wie schnell hat es Rom verstanden, sich mit diesem funkelnden Stein zu schmücken, der noch vor zwei Menschenaltern als verderblicher Luxus gegolten h a t ! " „Für unser Rom", sagt Mäcenas, „ist nichts gut genug. Augustus hat Anweisung gegeben, daß in den Marmorbrüchen von Carrara die Arbeiter um das Vierfache vermehrt werden. Die ersten Schiffsfrachten mit Quadern, Blöcken und Tafeln sind zum Hafen von Ostia unterwegs. Die Tiberschiffe liegen bereit, die Lasten von Ostia stromauf zu den Bauplätzen Roms zu schaffen. Herrlicher Stein wird aus Athen erwartet, selbst die oberägyptischen Steinbrüche sind wieder zum Leben erweckt worden." In den Nischen der Tempelvorhalle thronen die Erzstandbilder des Augustus und seines Schwiegersohnes Agrippa. Der Dichter Horatius weist auf die beiden überlebensgroßen Figuren: „Dieser Tempel müßte die Ruhmeshalle des Reiches 30
werden", sagt er. „In einem solchen Bau sähe ich das Sinnbild unseres großen Jahrhunderts. Wie alle Völker ihre Wohnstatt in unseren Grenzen gefunden haben, müßten auch ihre Helden und ihre Götter in diesem Tempelbau sich unter einem Dache versammeln. Jeder Bürger des Beiches, der aus den Provinzen der drei Brdteile nach Born kommt, würde an dieser Stätte ein Stück Heimat wiederfinden, den Heros, den er verehrt, und den Gott, zu dem er hier wie in seiner Vaterstadt beten könnte. Über die Vielfalt der Götter aber erhöbe sich die gebietende Gewalt Jupiters. Born zeigte auch auf diese Weise allen seinen Völkern seine überlegene Macht." Ein kalter Luftzug streift durch die Halle. Mäcenas zieht fröstelnd seine Toga enger. „Mich schauert, Horatius", sagt er, „fast will es mir scheinen, als wolle ein früher Abend diesem Tage folgen!" Der Dichter blickt seinen Freund forschend von der Seite an. So lange Jahre kennen sie sich nun, mehr als drei Jahrzehnte leben sie nebeneinander, so daß jede Begung des einen von dem Gefährten mitempfunden wird. Horatius weiß, daß hinter den Worten des Mäcenas ein verborgener Sinn liegt. Mäcenas lehnt sich zurück, seine Augen wandern die Beihe der marmornen Säulen entlang. „Nie war es mir stärker bewußt, Horatius, daß wir Höchstes erreicht haben, daß es über uns keinen Gipfel mehr gibt, daß wir ein Geschlecht von Höhenwanderern sind, um das ringsum nur Abgründe klaffen. Du sprichst von der alles gebietenden Gewalt des römischen Jupiter, und du meinst die Macht Borns. Gewiß, Tiberius — des Kaisers Sohn — hat herrliche Siege an der mittleren Donau erfochten, in Pannonien eine neue Provinz gewonnen; aber sein Bruder Drusus ist in Germanien gefallen. Und ferne im Osten rebellieren immer noch unbesiegt die feindlichen Beiterheere der Parther. Manchmal weht es mich kalt an, Freund, und ich meine, Borns Imperium gleiche einem bunten, mit Leben beladenen Biesenschiff, das durch eine gefährliche Welt fährt, von Strom und Wind zu unbekanntem Strand getrieben." „Welch seltsamer Gedanke, Mäcenas", sagt der Dichter bestürzt, „warum die ungewohnte Schwermut? Steht Born nicht auf der Höhe seiner Kraft? Leben wir nicht im blühenden Sommer unserer Geschichte? 31
„Ach, mein alter, guter Horatius!" lächelt Mäcenas, „auch wir haben, scheint mir, wie Rom den Sommer überschritten; der unerbittliche Winter naht!" Die Stimme des Horatius klingt seltsam leer, als er erwidert : „Entfliehe solchen Gedanken, Freund! Noch liegt der volle Tag des Lebens wie eine goldene Krone über uns . . . Nicht denken, was morgen sein wird! Nicht nachsinnen, wohin das Imperium treibt, wenn Augustus nicht mehr sein wird; nicht fragen, wo wir selber bleiben werden, nur leben und nochmals leben! Nütze den Tag, Mäcenas!" Das Gesicht des Römers verschwimmt im Dunkel, seine Stimme kommt wie aus einer anderen Welt. „Es ist zuviel Tod um uns, Horatius! Wo sind die Freunde, die Gefährten unserer hohen Tage? Schon sind Tibull und Virgil von uns gegangen; dieser zählte vierzig, jener einundfünfzig Jahre; dann starb der junge Propertius, noch ehe er das vierte Jahrzehnt vollendet hatte; vor drei Jahren ging Agrippa, der dem Cäsar fast all seine Siege erfochten, ins Reich des Todes; er, der große Bauherr, der Freund der Künste, der Geograph und Naturwissenschaftler — er, der so gerne gelebt und gefeiert hat, stand erst im einundfünfzigsten Jahre. Im Jahre danach starb Octavia, die Schwester des Augustus, fünfzig Jahre war sie — eine gesunde und lebensfrohe Frau; vor wenigen Monaten traf es den hoffnungsvollen Drusus 13 , drüben im rauhen Germanien starb er, mitten im vollen Dasein, im neunundzwanzigsten Jahre. Der Tod ist groß, Horatius! Erinnerst-du dich an deine Verse? Ich weiß sie heute noch: ,Einst mußt du fort ohne Säumen von dem Weib, das du besessen, fort aus den geliebten Räumen. Von den treugehegten Bäumen folgen nur die Grabzypressen . . .' Du beschwörst die Götter all unserer Völker. Keiner von allen aber ist ein Gott der Hoffnung! Keiner geleitet uns über die Brücke hinüber, vor der wir schaudernd stehen. Wir haben den Erdkreis besiegt, wir Römer, und sind im Tode doch so arm wie alle Menschen vor uns." Mäcenas blickt durch das offenstehende Tempelportal zu den Götterbildern, als suche er bei einem von ihnen Hilfe und Schutz vor dem Unerbittlichen. Horatius, tief 32
ergriffen von der Stimmung des Freundes, weist auf das bekränzte Steinmonument ohne Standbild, das die Kömer dem Unbekannten Gotte geweiht haben. „Mäcenas!", sagt er, „vielleicht gibt es ihn doch, den Gott der Hoffnung, und wir wissen nur nichts von seinem Dasein?" Aber Mäcenas sieht mit müden Augen zur Höhe des Tempelgiebels empor. Leise weht der Abendwind in den Bogen und Gängen des Agrippa-Tempels. Ein Jahr darauf rafft ein Fieber Horatius und Mäcenas plötzlich dahin, sie schreiten Hand in Hand über die Brücke in das Land ohne Wiederkehr.
* Die Zeit ist reif — nicht lange mehr wird es währen, dann steigt ein Stern über der todumfangenen Menschheit auf, und in dem Stall von Bethlehem wird das Kind geboren, das den Völkern der Erde die Hoffnung auf das ewige Leben bringt. * Die Sonne des Imperium Bomanum steht im Scheitelpunkt. Ein goldenes Zeitalter friedlicher Ordnung scheint für die Kulturländer des Mittelmeeres angebrochen zu sein. Seit sechs Jahren sind die Pforten des Janustempels geschlossen, zum Zeichen dafür, daß überall innerhalb der Grenzen des Reiches die Waffen ruhen. Der Glaube an den weltumspannenden Friedensauftrag Roms ist festverwurzelt in den Völkern. In feierlicher Sitzung hat der Senat Augustus Octavianus, dem Träger der obersten Staatsgewalt, den Titel eines Pater Patriae verliehen und dem Erdkreis die Taten dieses Herrschers verkündet. 14 „Ungefähr 500000 römische Bürger standen unter den Fahnen des Augustus Octavian. Von Ihnen hat er mehr als 300000 am Ende ihrer Dienstzeit in Kolonien angesiedelt oder in ihre heimatliche Gemeinde zurückgeschickt und ihnen allen Äcker oder Geldentschädigungen für die Kriegsdienste zugewiesen. Sechshundert Schiffe erbeutete er. Zweimal hat er den kleinen Triumpheinzug in die Stadt Rom gefeiert, drei Triumphzüge hat er zu Wagen gehalten, und einundzwangzigmal ist er als 33
Imperator begrüßt worden. Als der Senat noch mehr Triumphe für ihn beschloß, hat er viermal darauf verzichtet. Zehn Jahre hintereinander war er Mitglied des Triumvirats zur Ordnung des Staates. Erster des Senats war er bis zum heutigen Tage. Er war Oberpriester, Vorzeichendeuter, Mitglied der Fünfzehn-MännerKommission zur Verrichtung der heiligen Gebräuche, der Siebenerkommission zur Abhaltung der Götterspeisung, der Brüderschaft zu Ehren der Ackergöttin Dea Dia und vieler Priesterorden... Dem römischen Volke hat er aus seinem Erbteil Mann für Mann 300 Sesterzen ausbezahlt und aus eigenem Vermögen während seines fünften Konsulats 400 Sesterzen ; zum zweiten Male aber hat er während seines zehnten Konsulats aus seinem Erbe jedem Bürger 400 Sesterzen bewilligt; ferner hat er in seinem elften Konsulat 12 Getreidespenden ausgeteilt... Als er zum zwölften Mal die Tribunatsgewalt innehatte, schenkte er zum dritten Mal allen Römern 400 Sesterzen. Diese Spenden kamen niemals weniger als 250000 Bömern zugute... Als er zum zwölften Mal Konsul war, hat er 320000 Einwohnern der Stadt 60 Denare gegeben; ferner hat er den Militärsiedlern zur Zeit seines fünften Konsulats je 1000 Sesterzen geschenkt, diese Triumphspende empfingen 120000 Mann. Und in seinem dreizehnten Konsulat gab er mehr als 200000 Menschen in Rom jeweils 60 Denare ... Viermal unterstützte Augustus Octavian die Staatskasse mit einer Spende von 150 Millionen Sesterzen... Das Gebiet aller Provinzen des römischen Volkes, denen Völkerschaften benachbart waren, die der römischen Herrschaft nicht Untertan sein wollten, hat er erweitert. Den Provinzen Gallien, Spanien und Germanien, soweit der Ozean sie umgürtet, von Cadiz in Südspanien bis an die Mündung des Eibstromes, gab er den Frieden. Die Alpen hat er von der Adriatischen See bis zum Mittelmeer befriedet, wobei er kein Volk zu Unrecht mit Krieg überzog. Seine Flotte segelte über den Ozean bis zur Rheinmündung und in das östliche Land der Kimbern, wohin bislang weder zu See noch zu Lande je ein Römer gekommen 34
war... Auf seinen Befehl und unter seiner göttlichen Ermächtigung wurden zwei Heere fast gleichzeitig nach Abessinien und Arabien geführt..." Die Senatsbotschaft, in der diese Taten des Augustus Octavian aufgeführt sind, rühmt weiterhin die Einrichtung der Provinzen in Ägypten, Armenien, zu Füßen des Kaukasus und an den Ufern des Euphrat, erwähnt auch die Gründung zahlloser Militärkolonien in Afrika, Sizilien, Spanien, Makedonien, Asien und Gallien. Eom darf glücklich und zufrieden sein, niemals vorher hat es eine Völkergemeinschaft von solchem Umfang und derartiger Machtentfaltung gegeben. In der Hauptstadt weilen zahlreiche fremde Gesandtschaften, die zum Teil aus Ländern stammen, die kaum je eines Römers Fuß betreten hat. Braunhäutige Inder bringen Elfenbein, Perlen, Edelsteine und Goldschmuck; aus den skythischen Steppen sind Abordnungen eingetroffen, die dem Herrn der Welt Smaragde vom Ural und kunstvolle Lederarbeiten vom Donfluß überreichen; von den Ufern des Aralsees, vom Kaspischen Meer und aus Turkestan kommen gelbgesichtige Männer mit köstlicher Seide und rotem Gold. * Die Jahreswende wird in Rom nach altem Brauch mit einer Folge von Festtagen begangen. Rennen, Tierhetzen, Bühnenspiele, Opfermahlzeiten und Gladiatorenkämpfe halten die Stadt in Aufregung. Vom 17. bis 19. Dezember finden die großen Saturnalien, das Volksfest um die Wintersonnenwende, statt, und zugleich mit ihnen vollzieht sich die Einweihung des neuerbauten, prachtvollen Forum Augusti. Die Weihe des Tempels „Mars Ultor" soll nachfolgen. Die Saturnalien versetzen die Hauptstadt in einen Taumel der Festfreude. Alle öffentlichen und privaten Geschäfte ruhen, den Gefangenen werden die Ketten abgenommen, und an den drei Festtagen sitzen die Sklaven am Tisch der Herren. Die Standesunterschiede scheinen ausgelöscht, myrthenlaubbekränzte Sklaven taumeln weintrunken durch die Marmorhallen der senatorischen Villen, Jünglinge mit Efeu oder Treibhausrosen im Haar durchziehen lärmend die Straßen. 35
In den Mietskasernen und Hütten der Armen erinnert man sich in diesen Tagen der frommen Sage vom „Goldenen Zeitalter", das unter der Herrschaft des Gottes Saturn gestanden haben soll. Mit Sehnsucht und Trauer denken die Sklaven an ein Dasein in paradischer Unschuld, als es nur freie Menschen mit gleichen Rechten gegeben hat. Die Unterdrückten genießen die wenigen Stunden, in denen sie vom harten Joche der Knechtschaft befreit sind. Sogar der große Augustus hat sich an diesem Tage all seiner Würden entäußert und seinen Thron einem Festkönig überlassen. * Augustus Octavian bietet dem Volk zur Belustigung eine Naumachie — das Schauspiel einer Seeschlacht; im „Hain der Cäsaren" auf dem rechten Tiberufer ist ein künstlicher See von 1800 Fuß Länge und 1200 Fuß Breite ausgeschachtet worden, den terrassenförmig ansteigende Sitzreihen säumen und eine gewölbte Holzbrücke überspannt. Seit dem frühen Morgen schmettern Posaunenklänge von der Höhe des Capitols, von den Tempeldächern der Forumplätze und aus den Säulengängen der Livia auf dem Palatin und rufen Rom zum Schauspiel. * Obschon das weitläufige Haus des Anwalts Tertius Fabius auf dem Viminal-Hügel vom Lärm der feiernden Sklaven erfüllt ist und der Gegenwart der Herrschaft eigentlich nicht entraten könnte, hat die schöne Cynthia ihren Gemahl beredet, sie zur Naumachie zu begleiten. Sie sitzt, in eine scharlachfarbene Friesdecke gehüllt, von Marder- und Fuchspelzen gewärmt, in einer Sänfte und schaukelt den Hügel hinab, der brodelnden Innenstadt entgegen. Ihr Gemahl, der schon etwas bejahrte Tertius Fabius, folgt dick vermummt in einer zweiten Sänfte nach. „Vor ihm gehen vier Läufer in prächtigem Metallschmuck, dann folgt ein Handwagen, in dem sein Lieblingssklave sitzt, ein alter, triefäugiger Bursche, der noch häßlicher ist als sein Herr. Als er so dahingetragen wird, tritt ein Musiker mit winzigkleinen 36
Flöten dicht an seinen Kopf und bläßt ihm den ganzen Weg etwas vor, als ob er ihm Geheimnisse ins Ohr flüstern wolle..." 1 5 Cynthia ist fünfundzwanzig Jahre alt. Sie ist Mutter eines sechsjährigen Töchterchens, das zu Hause geblieben ist. Es ist nicht immer angenehm, durch die Gegenwart eines heranwachsenden Kindes an das unnachsichtig fortschreitende Alter erinnert zu werden. Rom ist eine Stadt, in der Siebzehnjährige bereits als alte Jungfern gelten, wenn sie noch unverheiratet sind. Es ist an diesem Tage schwierig gewesen, für den Besuch der Naumachie genügend Sklaven bereitzustellen. An den Saturnalien gilt kein Befehl des Hausherrn; diese Tage gehören den Rechtlosen; nur reiche Geldspenden haben die Träger der Sänfte und die Vorläufer bewegen können, auf die Teilnahme am ausgelassenen Gastmahl der Dienerschaft zu verzichten. * Als Cynthia und ihr Gatte, eingekeilt in eine wogende und lärmende Menge, über die Aemilische Brücke, nahe der Tiberinsel, getragen werden, tut sich der wunderbare Blick auf den Janiculus-Hügel mit all seinen kaiserlichen Gärten und Bauten auf. Hinter den Tribünenreihen leuchtet das Wellengekräusel des künstlichen Sees. In der purpurverhangenen Loge des Augustus präsidiert einer der kaiserlichen Freigelassenen als „Festkönig"; die Saturnalien behaupten auch am Kaiserlichen Hof ihr Recht. Augustus Octavian liebt es, durch die Einhaltung von Volksbräuchen seine Bescheidenheit und Bürgerlichkeit zu betonen, ja, sie fast theatralisch zur Schau zu stellen. Der Festkönig mit der rosenbekränzten Stirn ist ein einflußreicher Mann, um dessen Gunst sich Senatoren und Ritter bemühen. Er besitzt ein Millionenvermögen, ist mit einer freien Römerin verheiratet und versieht sein Amt mit der Würde eines Konsuls. Augustus selbst liegt lässig auf seinem Ruhebett, durch die einfache Toga und einen Efeukranz zeigt er an, wie sehr er sich alter Sitte fügt. Am Eingang der Tribünen muß das Ehepaar Fabius die Sänfte verlassen und sich zu Fuß zu den Plätzen begeben; die Diener folgen mit Pelzen und Decken. 37
Im Becken der Naumachie erheben silberschuppige Meergötter ihre lotosbekränzten Häupter aus dem Wasser, Hunderte von Tubabläsern sind ringsum aufgestellt, und reichgeschmückte Schiffe lösen sich von den Ufern. Dreißig geschnäbelte Zwei- und Dreiruderer, besetzt mit 3000 Soldaten, ausgerüstet mit Enterbrücken und Wurfgeschützen, beginnen zur Freude Roms eine Seeschlacht. * Tertius Fabius bricht bereits nach knapp einer Stunde wieder auf. Es drängt ihn nach Hause, dort feiern die Sklaven und toben trunken durch die Räume. Die Träger der Sänfte überqueren den Platz vor den Thermen des Agrippa, auf dem während der Saturnalien die Sigillarmesse stattfindet. Hier haben die Einwohner der Weltstadt Gelegenheit, Geschenke für das bevorstehende Neujahrsfest zu besorgen. Tertius Fabius schickt einen Sklaven zu den Buden und läßt einige Geschenke für Faustina besorgen. Dann gibt er Befehl, zur Villa am Viminal zu eilen. * Gleich neben der Torhalle ist eine Tafel mit der Inschrift „Jeder Sklave, der ohne Erlaubnis des Herrn das Haus verläßt, soll hundert Hiebe erhalten!" angebracht. Daneben steht der Pförtner und Aufseher über die Haussklaven in grüner Tunika mit kirschrotem Gürtel. Über der Schwelle hängt ein silberner Käfig mit einer buntgesprenkelten, dressierten Elster, die mit schnarrendem „Salve!" die Eintretenden empfängt. Der Aufseher ist ein wenig angeheitert; aber auch er ist heute frei und braucht Strafe nicht zu fürchten. Tertius Fabius beachtet den Trunkenen nicht, er horcht ins Innere des Hauses, und sein Antlitz verfinstert sich. Aus den Wohnräumen schallt weinseliges Singen; die gesamte „Familia" — alle zum Haushalt gehörenden Sklaven und Freigelassenen — feiert die Saturnalien. Als der Gebieter durch den Purpurvorhang in den Speisesaal tritt, bietet sich ihm ein Bild wilder Ausgelassenheit. Das Hausgesinde speist, von Verwaltern und Hausmeistern bedient, auf kostbaren Ruhebetten Hegend, ganz wie die Herren in den Palästen. 38
Da sind die Bediener, die Zofen, die Sänftenträger, die Läufer, Kuriere, Gärtner, Pferde-, Wagen- und Küchensklaven, die Wächter, Badediener, Musiker, Tänzerinnen und Küchensklavinnen, die Schreiber und Pädagogen — der ganze Schwärm von Menschen brauner, weißer und schwarzer Hautfarbe, der zu einem reichen römischen Haushalt gehört. Die „Familia" begrüßt das Erscheinen des Herrn mit lautem Geschrei, mit Huldigungsrufen und kühnem Zutrunk. Tertius schreitet —• gute Miene zum bösen Spiel machend — langsam durch die Reihen und überfliegt mißtrauisch die angerichtete Unordnung. „Es wird höchste Zeit, daß die Burschen wieder unter die Zucht der Peitsche kommen", flüstert er dem Philosophen Rufinus zu. Dann gibt er Anweisung, daß ihm abseits von den Sklaven ein Tischchen gedeckt werde. „Hier werden wir unter der Ausdünstung weniger zu leiden haben, die diese übelriechenden Kerle verursachen." Sogleich erscheinen alexandrinische Sklaven und gießen schneegekühltes Wasser über die Hände des Herrn. Andere kommen und machen sich an die Fußpflege. Selbst bei diesem schwierigen Geschäft schweigen sie nicht, sondern singen alle gleichzeitig." 16 Wilder Lärm füllt die weite Halle. Der Anwalt weiß sich der Übermütigen kaum noch zu erwehren. Schließlich rettet er sich, indem er die Kutscherund Gärtnersklaven in den Keller schickt, zu dem er allein den Schlüssel hat, um vom besten spanischen Wein zu holen; den Musikern winkt er, die Wasserorgel in Gang zu setzen. Da beginnen die Mädchen ausgelassen zu tanzen, und der Hausherr kann sich unbemerkt in seine Privaträume zurückziehen.
* Die drei Tage der Saturnalien sind vorüber, die gewohnte strenge Ordnung ist wieder in die Villen und Paläste Roms eingekehrt. Nun steht der Neujahrstag mit all seinen Festlichkeiten und Prozessionen bevor. Vorsorglich hat Tertius Fabius eine Gladiatorentruppe gemietet, die ihn und die Seinen unbeschadet durch das lebensge39
fährliche Gedränge auf den Gassen und Plätzen Korns geleiten soll. AmVorabend des lang erwarteten ersten Januartages wird das Mädchen Faustina früher als sonst zu Bett gebracht; auch die übrigen Hausbewohner gehen zeitig schlafen. Frisch und ausgeruht soll man nach alter Sitte und um der guten Vorbedeutung willen das neue Jahr beginnen. * Noch steht die Dämmerung grau und matt vor den Fenstern, als der Leibsklave des Fabius die Läden fortnimmt und die dichten Vorhänge zurückschlägt. „Wie sieht der Himmel aus, Helvetius?" fragt der Anwalt; wie die meisten Römer ist er abergläubisch und achtet an diesem Tage ängstlich besorgt auf jedes Vorzeichen. „Ein Band von Purpur säumt den Osten, Herr!" „Das könnte die Erhebung in den Senatorenstand bedeuten!" überlegt Fabius; er seufzt, denn man kennt die Preise, die Augustus für derartige Standeserhebungen zu fordern pflegt. Vorsichtig steigt er mit dem rechten Bein zuerst aus dem Bett. Der Sklave hütet sich, etwa einen guten Morgen oder Glück zum neuen Jahr zu wünschen. Es wäre übel bestellt um die Aussicht für die kommenden Monate, wenn solche Wünsche zuerst aus dem Munde eines Knechtes kämen. „Einige Gratulationskarten, Herr!" sagt der Leibsklave und schiebt ein silbernes Tablett hin. Tertius Fabius überfliegt die Pergamentstreifen, die zwei seiner Kollegen zum Jahresanfang geschickt haben. „Geizhälse!" brummt er, „sie haben das Geld für ein Geschenk gespart!" Und er beschließt, die für die beiden Gratulanten bereits zurechtgestellten Beutel mit Süßigkeiten und die kostbaren Vasen aus hellenischer Vorzeit nicht abzuschicken. Um der guten Bedeutung willen blättert Tertius ein wenig in den Prozeßakten, da man an diesem Tage des Janus auch die Arbeit ehren soll. Noch in der Dämmerung betritt er das durch zahlreiche Öllampen erhellte Atrium, in dem sich trotz der frühen Morgenstunde die Orienten17 versammelt haben. Sein „Hof40
staat" empfängt ihn mit einem unterwürfigen „Ave!" — sei gesegnet! —, und ein griechischer Poet, der sich durch Tertius Fabius Empfehlungen und Unterstützung erhofft, tritt vor und beginnt eine längere Gratulationsansprache. Tertius winkt dem Haushofmeister, einem alten, vertrauenswürdigen Sklaven, die am Janustag üblichen Geldspenden zu verteilen. Früher gab es bei solcher Gelegenheit nur die üblichen 25 Kupferstücke, „nun liegt aber eine bessere Vorbedeutung im Golde, die alte Münze ist der neuen gewichen..." Als der Grieche, gleich den übrigen dienten, das Goldstück in Händen hält, freut er sich über das rotleuchtende Bild des Augustus mit dem Lorbeer des Jupiter und der an ein Königsdiadem gemahnenden Bandschleife. Kühn setzt er seine unterbrochene Eede fort und spricht vom Doppelgesicht des Gottes Janus, der zur Vergangenheit und zur Zukunft gleichermaßen blicke. In diesem Augenblick wird der Geschwätzige zur Freude seiner Mitclienten unterbrochen. Aus dem Nebenraum stürzt in aufgelöster Eile die Zofe — eine schlanke Lyderin —, wirft sich weinend zu Füßen des Herrn nieder und überbringt ihm die dringende Aufforderung, sich sofort in die Gemächer der Herrin zu verfügen. * Er findet die Gattin in einer ihrer unberechenbaren Stimmungen. Cynthia hat sich wegen der Weihe des Tages sehr früh wecken lassen, ist aber schlecht ausgeschlafen und launisch. Sie liegt bleich in einem der purpurbedeckten Liegestühle ihres Ankleidezimmers; auf den persischen Teppich sind zahllose Kristallnaschen, Wimpernpinzetten, Lippenstifte und Pinsel, Schminkdosen und Puderquasten verstreut, als habe jemand in Raserei unter den köstlichen, goldenen und silbernen Geräten gewütet. Schluchzend liegt eine junge Sklavin am Boden und verbirgt ihr Gesicht in den langen, blonden Flechten. Tertius blickt mißbilligend auf das leicht geschürzte Gewand seiner Gemahlin; sie solle heute lieber ein sittsameres Kleid anziehen, meint er vorsichtig, es könne sein, daß ein Zensor Anstoß daran nehme; das Haus der Fabier werde dadurch leicht in Verruf geraten. 41
„In diesem Hause bin ich Zensor!" kreischt Cynthia, die durch die Eüge ganz außer Fassung gerät. Sie springt auf und schlägt mit der Peitsche, die immer griffbereit liegt, erbarmungslos auf den Bücken des Sklavenmädchens ein. „Sieh mich an, Bestie! Warum sind die Locken auf dieser Seite meiner Frisur höher als auf der anderen?" Ängstlich stehen die übrigen Sklavinnen an der Wand. Tertius bemerkt, daß sich die Lyderin, die ihn geholt hat, ein Leinenfleckchen auf den blutenden Oberarm preßt. Die Herrin hat sie aus nichtigem Anlaß mit der langen Schmucknadel verwundet. „Laß für diese Sklavin sofort ein Kreuz errichten!" wütet Cynthia. Tertius Fabius hebt abwehrend die Hand. „Durch welches Verbrechen hat sie die Todesstrafe verdient? Wer ist Zeuge? Wer klagt sie an? Kein Zaudern über eines Menschen Tod ist zu lange." „Du Narr! Ist denn ein Sklave ein Mensch? Sie hat nichts getan; gut, aber ich wünsche und befehle es, daß sie gerichtet wird, und mein Wille ist Grund genug! . . . " „Gut, ich werde sie bestrafen lassen," erwidert Tertius. „es bringt Unheil, am Janustag einen Menschen zu töten." * Etwas später begibt sich Tertius Fabius in die Stadt. Hinter ihm schreiten, stets darauf bedacht, jeden Wunsch des Gebieters zu erraten, seine Clienten. Am Forum herrscht bereits dichtes Gedränge. In den Tempeln duftet es nach Weihrauch und Safran. Opferdämpfe steigen zu den goldkassettierten Decken auf. Das Ziel des Anwalts ist die Eostra — die öffentliche Sednertribüne auf dem Forum. Anwälte, Politiker und Eedner warten darauf, einige Worte von der geweihten Stätte sprechen zu dürfen; jeder hofft, sich dadurch Glück und Erfolg für das kommende Jahr zu sichern. Mühsam schaffen die Clienten Platz. Endlich steht Tertius auf der hohen Tribüne, unter sich das Gewoge und Gewühl der Menschen, die sich stadteinwärts zum Capitol und den Tempeln bewegen. Um den Tempel des „Julius Divius" biegt ein Festzug mit einem der beiden Konsuln an der Spitze. Der Beamte hat das Elfenbeinzepter, das von einem goldenen Adler 42
gekrönt ist, in die Hand, der rote Mantel bläht sich im Wind; unmittelbar hinter ihm schreiten die Senatoren, und dann folgt ein Schaugepränge, das eines Triumphzuges würdig wäre: seltene Tiere für die Circusspiele, Gladiatoren, Kunstreiter und Tänzerinnen, die Handwerkerschaften mit Bannern und Abzeichen, die Begräbnisvereinigungen und sogar eine Abteilung der neugegründeten städtischen Feuerwehr. Der Strom dieser betenden, singenden und musizierenden Römer ist unterwegs zum Doppelbogen des Janus am Fuß des Capitols, um dort Wein, Weihrauch, Salz und Brot als Opfer darzubringen. Tertius hat schon zu lange auf der Rostra verweilt, die handfesten Clienten eines Kollegen drängen ihn beiseite, um ihrem Herrn Gehör zu schaffen. * Um diese Tageszeit, da ganz Rom die Straßen bevölkert oder in den Tempeln betet, ruht der Ritter Ovidius Naso 18 noch in seinem Daunenbett; die parfümierten, phönikischen Prunkdecken sind so weit zurückgeschlagen, daß er die Arme zum Schreiben frei hat. Auf den angezogenen Knien liegt ein Elfenbeintäfelchen mit bekritzelter Wachsschicht, der Poet schlägt mit dem Schreibgriffel den Takt für das Versmaß. Von der Straße dringen die Geräusche des Neujahrsmorgens herein, aber Publius Ovidius scheint unberührt davon. Seit Stunden müht er sich um ein heiter-liebenswürdiges Sinngedicht für seine angebetete Freundin Cynthia, aber wie er es auch anfängt — es wird immer nur ein Lied der Trauer und wehmütigen Entsagung. Sollte die leichte und beschwingte, die liebenswürdigste aller Musen, die dem Ovidius Naso bislang gelächelt, sich in Zukunft inTrauergewänder hüllen 1 Sein Leben und Dichten ist doch—bei Venus! — erfolgreich und glücklich gewesen, seit er vor sechzehn Jahren dem Staatsdienst Lebewohl gesagt und sich ganz in das Privatleben zurückgezogen hat? Ovid greift zu dem kleinen Glasspiegel aus vergoldeter Bronze und murrhinischem Kristall. Diese Züge, die ihn anschauen, sind von den feinen Runen der Jahre gezeichnet, ein vergnügliches, aber anstrengendes Nachtleben hat sie fahl und bleich gemacht. 43
Mit ärgerlichem Lächeln legt der Dichter Schreibzeug und Spiegel beiseite und ruft nach dem Sklaven.
* Als er sich mit Hilfe des Haussklaven angekleidet hat und die kosmetischen Künste einer Syrerin seine Haut erfrischt haben, macht er sich, gefolgt von einem Diener, auf den Weg zu den Verkaufsständen der Sigillarmesse, um ein paar kleine Geschenke für Cynthia zu kaufen. Einen schmalen Goldreif mit grünfunkelndem Smaragd hat er bereits gestern bei einem Juwelier in den Läden am Forum erworben. Zu einem Armring hat das Geld nicht gereicht; denn obwohl Ovid wohlhabend genug ist, um unabhängig und seinen Neigungen entsprechend zu leben, besitzt er doch keines jener großen Vermögen, die es ihren Besitzern erlauben, der Geliebten Perlen im Werte von Millionen Sesterzen zu schenken. Ovid kauft einen der Lorbeerzweige, die als glückverheißende Zeichen verschenkt werden. An dem Zweig hängen vergoldete Datteln, Nüsse und Damaskuspflaumen; dazu läßt er sich zwei große, spitze Tüten aus dünnem, gebranntem Ton geben, gefüllt mit Honigkuchen, kandierten Früchten und Figürchen aus Zuckerwerk. Faustina, dem Töchterchen der Geliebten, bringt er zwei schöne Puppen mit, so daß sein Sklave schließlich nicht mehr weiß, wie er das alles tragen soll. Nun wird es Zeit, den Gratulationsbesuch in der FabierVilla zu machen. Ovid wählt den Umweg über das Forum Eomanum, um vielleicht noch die Konsulatsprozession oder gar Augustus zu sehen, der sich an Feiertagen manchmal zwanglos unter das festliche Volk begibt. Aber Augustus scheint sich bereits auf dem Capitol zu befinden, von dort schallen langgezogene Tubastöße herab. An dem von einem Eisengeländer umgebenen Erdspalt, in dem in sagenhafter Vorzeit der hochherzige Jüngling Curtius sein Leben für das Vaterland geopfert haben soll, stehen einige Amtsdiener als Wache. Hier wird für die „Kasse des Augustus" geopfert; von den Erträgen werden Tempel oder Altäre errichtet. Unaufhörlich klirren die Kupfermünzen und Bronzesesterzen, die silbernen Denare und manchmal sogar ein
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goldener Aureus in die breite Opfersohale. Die Sammlung ist eine Ergebenheitsbezeugung für den Cäsar, und er mag am Jahr für Jahr wachsenden Ertrag der Sammlung ersehen, wie sehr seine Eegierung den Beifall und die Sympathie des Volkes findet.
* Cynthia liegt gelangweilt auf dem Ruhebett. Sie läßt sich von Rufmus, dem geduldigen Hausphilosophen, aus den Tusculaner Gesprächen Ciceros vorlesen. Es ist in Rom im Augenblick modern, sich mit Philosophie und Kunst zu beschäftigen. Aber die Herrin hört kaum zu, in Gedanken entwirft sie einen jener kleinen Liebesbriefe, die sie von Sklaven häufig ihren Verehrern überbringen läßt. Eintönig klingt die Stimme des Philosophen.
* Ovid, gefolgt von seinem Diener, betritt das Gemach und bleibt überrascht stehen. Wie aus tiefen Gedanken erwachend, begrüßt die schöne Frau den Freund — eine kleine Enttäuschung schwingt, nur dem feinen Ohr des alten Frauenkenners vernehmbar, in ihrer Stimme. Hat sie einen anderen erwartet? „Ich bin entzückt", sagt Ovid, „eine schöne Frau in tiefen, philosophischen Gedanken zu finden. Geist und Schönheit zusammen sind Mächte, denen niemand widersteht. ,Schlanke Gestalt und ein schönes Gesicht genügen nicht lange . . . darum geselle der Gliederpracht geistige Gaben, um die Geliebte zu fesseln, sonst lacht sie bald deiner .. .' " „Es gibt Männer", erwidert Cynthia spöttisch lächelnd, „die ihre Talente durch kostbare Geschenke zu unterstreichen wissen!" Sie weist auf die bescheidenen Gaben des Poeten, die armselig neben den prunkenden Goldgeschmeiden liegen, die andere Verehrer Cynthias bereits am frühen Morgen geschickt haben. Schlagfertig erwidert der Dichter: „Wechselnde Gunst mit Geschenken zu erhalten, ist leicht. 45
,Nimm!' — Ach, ein Zauberwort ist es, oft ersetzt es den Geist... Räume den Reichen das Feld, sie sind mächtiger als Dichter . ..!" Wieder entsteht Unruhe vor der Tür; der Vorhang wird zurückgeschlagen, und strahlend verneigt sich ein junger Offizier, ein Centurio der germanischen Armee, vor der Herrin des Hauses. Als Neujahrsgeschenk überreicht er eine schön getriebene Silberdose mit einer Salbe aus Germanien. Sie enthalte — erklärt der Centurio — ein beizendes Mittel und werde von manchen Frauen des nordischen Barbarenlandes verwendet, die damit das wundervolle Rotgold der Haare erzielten. „Freilich, die Gebrauchsregel verheißt nichts Angenehmes: Man muß das Haar zuerst mit Lauge auswaschen, dann mit der Salbe einstreichen und durchkneten und endlich den Kopf zum Eintrocknen der Flüssigkeit der Sonne aussetzen." „Oh — ganz gleich, wie schwierig es ist!" ruft Cynthia entzückt. „Blond ist jetzt Mode in Rom, keine Mühe wird mir zu groß sein!" Der Centurio lacht, dann geht er gewandt auf ein anderes Thema über. „Die neuesten Hofnachrichten werden dich interessieren, Cynthia! Augustus Octavian besteht darauf, daß sämtliche Damen des kaiserlichen Haushaltes, sogar die Augusta Livia und die Prinzessinnen, wie einst in Catos Tagen zur Besserung der Sitten nur mehr selbstgewebte und selbstgeschneiderte Kleider tragen . . . " „Welch widerwärtige Heuchelei", sagt Ovid ärgerlich, „der Cäsar spielt dem törichten Volk den braven Hausvater vor, den Bürger unter Bürgern — dabei fließen ihm täglich Millionen aus den cäsarischen Provinzen zu; ihm bleibt noch genug, auch wenn er Hunderttausende freihält, Geldspenden an die Bürgerschaft ausschüttet und die Staatskasse mit Millionenbeträgen unterstützt. Es ist lächerlich, die Frauen Roms in bäuerliches Leinen zu kleiden!" „Du bist sehr unvorsichtig, Ovidius Naso!" warnt der Centurio. „Warum soll ich nicht sagen, was ich denke? Schmeichelt man den Römern nicht alle Augenblicke und sicherlich auch heute wieder in zahllosen Reden, sie seien frei 46
Gallien und Germanien in der Kaiserzeit Die lateinischen Namen bedeuten: Belgica = Land der belgischen Gallier, Mosa = Maas, Germania Inferior = Niedergermanien links des Rheins, Germania Superior = Obergermanien links des Rheins, Rhenus = Rhein, Vetera = Xanten, Bonna = Bonn, Augusta Rauricorum = Basel-Augst, Agri Decumates ™ Dekumatenland.ArborFelix = vermutlich :Arbor(Schweiz), Danuvius = Donau, Brigantium — Bregenz, Campodunum — Kempten, Abudiacum = Lager am Lech, Augusta Vindelicorum = Augsburg, Abusina = Lager bei Kelheim, Regina Castra ~ Regensburg, Hereynischer Wald = mitteldeutsches Waldgebirge
und alle Gewalt gehe vom Volke aus? Zur Freiheit gehört die Freiheit des Wortes!" Der Centurio mißt den Dichter, dessen Schläfen grau sind und dessen Augenwinkel das feine Gefältel der Altersrunen zeigen, wie man einen Gegner abschätzt. „Es wäre unklug, allzu sehr auf diese Freiheit und die unbestreitbare Großmut des Augustus zu bauen", sagt er 47
warnend, „ich entsinne mich, gehört zu haben, daß der junge Octavian die Darstellung des Eepublikaners Labienus über den Bürgerkrieg öffentlich verbrennen ließ, der Autor beging Selbstmord. Auch die Schriften des Cassius Severus sind in allen Buchhandlungen beschlagnahmt und durch die Stadtpolizei vernichtet worden . . ." „Es fehlt nur noch", höhnt Ovid, „daß die Spitzel und Angeber in unsere Wohnungen eindringen, sich unter den Betten verstecken oder gar als Sklaven Dienst tun. Dann werde ich auswandern!" Cynthia lacht hell auf; sie schlägt den Poeten scherzend mit dem Fächer aus Nephrit auf die Schulter. „Ach, Ovidius", sagt sie, „versprich nicht, was du nicht zu erfüllen vermagst. Jede Zeile deiner Gedichte bezeugt deine Liebe zu Rom, ein Mann wie du vermöchte nirgends anders zu leben und würde verkümmern, gleich dem Baume, den man unter fremden Himmel verpflanzt." Am Nachmittag findet das herkömmliche Festmahl auf dem Capitol statt, zu dem sich auch Ovid — als entfernter Verwandter des Augustus — einfindet. Die neuen Konsuln werden durch Senat und Cäsar in ihr Amt eingeführt — eine Ehre, die teuer gewoiden ist; Konsul zu werden kostet heute über 2000 Pfund Gold. An langen Tafeln liegen die Gäste auf seidenen Kissen, die Frauen aber müssen sich hier ausnahmsweise mit unbequemen Stühlen begnügen; denn die Göttinnen Juno und Artemis, die als Bilder an dem Fest teilnehmen, sitzen ebenfalls. Ovid ist zu seiner Bestürzung bei der Begrüßungsaudienz von Octavian übergangen und keinerAnrede gewürdigt worden. Einige seiner Freunde ziehen sich bereits vorsichtig von dem anscheinend in Ungnade gefallenen Dichter zurück. Zornig verläßt er das Capitol. Den Neujahrstag beendet er in jener anderen Welt, die neben Capitol und Palatin innerhalb der Weihegrenze Roms liegt: in der Unterwelt der Subura. * Wenige Wochen später wird ihm ein von Augustus persönlich gezeichnetes Dekret zugestellt, in dem der Ritter Publius Ovidius Naso, geboren zu Sulmo im Jahre 710 48
nach Gründung der Stadt, aufgefordert wird, sich sofort nach Tomi ans Schwarze Meer zu begeben. Tomi? Das bedeutet Einsamkeit und Vergessen! Bei Tomi ist das Ende der Welt, ist die Öde der Barbarei. . . Kein Wort verrät, welchem Kläger oder welcher Beschuldigung er die Verbannung zuzuschreiben hat. Eine Denunziation, eine Verärgerung des Augustus über ein paar höhnende Verse oder das Werk eines Spitzels? Das Dekret schweigt, wie der Beamte, der mit unbewegtem Antlitz vor Ovid steht. Auch dieses Schweigen und Treffen aus der Stille heraus gehört zum Wesen und zum System des großen Augustus Octavian. * Sechs Jahre später . . . Ein sternenheller Sommerhimmel wölbt sich über dem schönen Tal zwischen Apennin und Vesuv. Steil steht die Feuerkrone des Vulkans über dem fernen Horizont. Die Nacht ist erfüllt von tausend klagenden Stimmen, vom dumpfen Gedröhn der Lurenhörner, vom Schlag gedämpfter Pauken. Auf der Militärstraße, die nach Benevent führt, wälzt sich eine Feuerschlange herab, selbst die Hänge von Neapel sind von unzähligen, wandernden Flammen bedeckt; Legionen mit Fackeln nähern sich im Trauerschritt dem kleinen Landstädtchen Nola, Bauern, Bürger und Sklaven wandern mit Windlichtern über die Landstraßen und Bergwege; denn in Nola starb der Imperator Augustus Octavian. 19 Der Vater des Vaterlandes ist von seinen Völkern gegangen . .. Die dichte Postenkette der Legionäre, die um das Trauerhaus gezogen ist, öffnet sich nur den Abordnungen der nahegelegenen Städte, den vornehmen Patriziern der nahen Landsitze, den Senatsmitgliedern und Verwandten des Kaisers. Sie alle sind gekommen, um einen letzten Blick auf den Cäsar zu werfen und der greisen Kaiserin ihr Beileid auszusprechen. Augusta Livia hat sich in ihre Gemächer, zurückgezogen, zwei Offiziere halten vor ihrer Tür Wache und lassen niemanden vor. Die Kaiserin will allein sein. Ein Öllämpchen brennt neben ihr, dunkel starrt das offene Fenster. Das Weinen der Tausende, das Klirren 49
der Marschierenden, das Flüstern und Raunen, der unstete Schein vorüberziehender Fackeln... alles spricht vom Tode, vom unerbittlichen Scheiden. Aufrecht sitzt die einundsiebzigj ährige, immer noch schöne und geflegte Frau vor dem kleinen Tischchen, auf dem die letzte Post für den Kaiser noch ungeöffnet liegt. Als sie nach einem umfangreichen Briefe greifen will, an dessen Hülle das große Siegel des Germanicus hängt, öffnet sich die Tür. Livia wendet sich, unwillig über die Störung, um. Vor dem Vorhang, vom Licht der Öllampe rot überflackert, steht ein hochgewachsener Mann und blickt sich mit mißtrauischen, kurzsichtig zusammengekniffenen Augen, die schmalen Lippen fest aufeinandergepreßt, in dem kleinen Raum um. Das dünne, graue Haar ist halblang geschnitten; der späte Besucher macht den Eindruck eines Mannes, der von Menschen und Dämonen gehetzt ist. Das ist Tiberius, der jüngste Sohn der Livia, der Erbe des Augustus. Die Kaiserin blickt zu ihm auf und reicht ihm ihre Hand zum Gruß. Scheu und unruhig mustert Tiberius den Raum, als suche er verborgene Horcher, sein Blick erfaßt alle Einzelheiten. Ach, Tiberius! denkt die Kaiserin, was haben diese Jahrzehnte des Wartenmüssens, des Maskierens und Verbergens aus dir gemacht! Aber nun ist es endlich erreicht, du wirst der neue Herr des Imperiums sein — nun, da du siebenundfünfzig Jahre zählst! Tiberius ist einer der Söhne aus Livias erster Ehe, die Octavian kraft seiner Herrschergewalt getrennt hatte. "Während es sein älterer Bruder Drusus verstand, durch sein fröhliches und liebenswürdiges Wesen das Herz des Stiefvaters zu gewinnen, war Tiberius von früher Jugend an ernsthaft, nachdenklich und still aufgewachsen; es fiel ihm schwerer als anderen, den leichten Schmeichelton zu treffen, der am Hofe üblich geworden war. Auf seinem Lebensweg war ihm wenig Glück beschieden gewesen; man hatte ihn stets nur als eine Figur im Brettspiel der Politik benutzt. Augustus verheiratete ihn; aber kaum fiel ein Abglanz des Familienglücks auf Tiberius, als die Hand des SchickBüiscüe rechts: o b e n : Augustus als Jüngling; Stadtburg Roms; Münze mit dem Bildnis Agrippas; Augustus als Imperator; Virgil; Legionäre im Angriff; Grabmal eines Legaten; u n t e n : Augustus-Forum
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sals eingriff und ihn auf andere Bahnen stieß. Eine Reihe von Todesfällen änderte alle Thronfolgepläne des Augustus. Zuerst starb sein Schwiegersohn Agrippa, den Augustus bereits mit hohen Regierungsaufgaben betraut hatte; dann stürzte Prinz Drusus, der Liebling des Kaisers, in Germanien vom Pferde und fand den Tod. Agrippa war mit Julia, der einzigen Tochter Octavians aus erster Ehe verheiratet gewesen, einer charakterlosen Frau, der aber damals noch die volle Vaterliebe des Kaisers gehörte. Es war nicht zuletzt ein Werk der vorausschauenden Livia, daß Tiberius von seiner Gattin geschieden und nun mit Julia, der Witwe Agrippas, vermählt wurde; denn durch diese Verbindung glaubten sowohl Augustus wie Livia die Herrschaft für ihre Familie gesichert zu haben. Die Unfähigkeit, Freundschaft zu erwecken, hemmte Tiberius selbst jetzt noch, da er als Schwiegersohn des Kaisers eine gebietende Stellung einnahm. Der Cäsar vermied es, mit Tiberius zusammenzutreffen und wandte seine Liebe den Kindern Julias aus der Ehe mit Agrippa zu. Zäh kämpfte Tiberius um seine Rechte, er erkaufte sich die Gunst einflußreicher Höflinge, ja sogar der Freigelassenen des Kaisers. Zahlreiche Intrigen erschwerten sein Leben. Erst allmählich erkannte Octavian die unbestreitbare Tüchtigkeit des Tiberius, sein ernsthaftes Bemühen, sich in Regierungsgeschäften zu bewähren, und seine militärische Begabung. Endlich erwarb sich der Vereinsamte schrittweise die Zuneigung des Augustus, er wurde mit Geschenken geehrt und erhielt einflußreiche Amter. Vor zehn Jahren war das Ziel aller Mühen erreicht: Augustus Octavian adoptierte Tiberius und bekundet damit, daß er ihn zu seinem Nachfolger bestimmt habe. Tiberius nähert sich gehorsam der Kaiserin, küßt sie zerstreut und läßt sich zu ihren Füßen nieder. „Ich weiß, Livia," beginnt er leidenschaftlich erregt das Gespräch, „überall sind die Netze gespannt, um mich zu fangen. Ich bin über die Machenschaften meiner Gegner unterrichtet, seitdem Sejanus, der Präfekt der Prätorianergarde20, mein Freund ist. Ich weiß aber auch, daß die Legionen in Rom mir zur Seite stehen werden, wenn man mich übergehen will." 52
Als Tiberius dem Throne ganz nahe stand, war die Liebe des alten Augustus einen letzten Nebenweg zu dem hochbegabten Sohn des gefallenen Drusus, zu Germanicus Cäsar, gegangen. Die Freunde des jungen Germanicus hatten diese späte Neigung des Kaisers nach Kräften unterstützt, um diesmal vielleicht endgültig den verachteten Tiberius beiseite zu drängen. Der plötzliche Tod des Augustus aber hat alle Pläne der Germanicuspartei zunichte gemacht. * „Komm näher, Tiber!" sagt Livia, die von Augustus zum Mitregenten bestimmt ist, „setz dich zu mir, wir wollen darüber sprechen, was nun zu tun ist!" Die Augusta legt ihm die kühle Hand auf die geballte Faust. .j|.' „Das Imperium", sagt sie gelassen, „besteht nicht nur aus der Prätorianergarde, auch nicht aus den acht Legionen, die am Rhein stehen. Seit der große Tote das Reich neu geordnet hat, gibt es ein stehendes Heer von 25 Legionen, das über alle Provinzen verteilt ist. Von ihnen sind die sechs Legionen an der mittleren und unteren Donau dir, ihrem ehemaligen Befehlshaber, dem Manne, der Noricum, Pannonien und Moesien erobert und geordnet hat, treu ergeben. Übrigens ist dein Name auch an der Rheingrenze nicht unbekannt. Hast du nicht im Jahre 757 in Germanien die Legionen bis zur Elbe geführt? und gingen deine Truppen nicht vor drei Jahren erneut siegreich über den Rhein? Aber, mein Sohn, auch alle Legionen zusammen bedeuten nicht Rom; die Stärke des Imperiums beruht auf dem wohldurchdachten System der Verwaltung. Wie oft hörte ich den Augustus sagen, daß dies der Schlüssel seiner Regierung sei: Die militärischen Leistungen soll Italien tragen, die finanziellen Lasten gebühren den Provinzen. Die Zählung der Steuerpflichtigen, die Augustus zusammen mit dir noch im Mai dieses Jahres vorgenommen hat, ergab rund fünf Millionen, die das römische Bürgerrecht haben, 800000 leben allein in Rom. Die geschlossene Einheit dieser fünf Millionen ist Roms Kraft, Tiberius. Was hätten die Legionen am Rhein dagegen zu setzen?" 53
„Einen Namen, Mutter", zürnt Tiberius, „einen verfluchten Namen, der viele bestrickt." „Du meinst Germanicus? Name und Beliebtheit sind nichts, wenn auf der anderen Seite das Recht und die Macht stehen. Ich kenne das Testament des Toten. Du erbst das gesamte Vermögen des Kaisers, das heißt: Auch der dritte Cäsar wird der reichste Mann der Welt sein! Fürchtest du noch immer die Legionen am Rhein?" Tiberius gibt keine Antwort; er hat die Briefe erspäht, die auf dem Tische liegen. Hastig greift er danach und betrachtet die Aufschriften. „Wem gehören diese Schreiben?" sagt er, „sie sind an Augustus gerichtet..." Livia lächelt, sie neigt gewährend den Kopf. „Sie gehören jetzt dir, dem neuen Imperator Augustus." „Du bist die erste, Mutter, die mich mit diesem Titel anspricht. Ich will es als gutes Vorzeichen nehmen." Tiberius greift einen der Briefe heraus, reißt das Siegel ab. „Von Germanicus!", sagt er betroffen. Halblaut beginnt er zu lesen. „Cäsar Germanicus an Imperator Augustus Octavianus. Heil, Gesundheit und Glück dir, erhabener Cäsar! Ich schreibe aus dem Feldlager am Flusse Mosella bei dem Ort Trier, wo ich eifrig Rüstungen betreibe, um das jenseits des Rheines gelegene Germanien nun endgültig zu unterwerfen oder doch wenigstens mit solchem Erfolge niederzuschlagen, daß seine barbarischen Bewohner für lange Zeit Frieden halten müssen. Du hast, göttlicher Augustus, in deinem letzten Schreiben einen eingehenden Bericht über die Lage in Germanien angefordert, und ich spüre, wie sehr du noch immer unter dem Eindruck jener Katastrophe stehst, die sich vor nunmehr fast fünf Jahren ereignet hat. Laß mich in diesem Zusammenhang, nachdem sich so viele erfahrene Männer über die Sachlage geäußert haben, auch meine Meinung über die Ursachen der Niederlage abgeben, die Quinctilius Varus in jenem Jahr erlitten hat. 21 Ich glaube, kein Zeitpunkt könne für derartige Betrachtungen passender sein als dieser, in dem ich einen abermaligen Vorstoß auf der Bahn des Varus plane; kein Mann hat mehr die Pflicht, sich über das Verflossene Gedanken zu machen als der Feldherr, dessen Aufgabe es sein wird, Rache zu nehmen. 54
Als vor einem halben Jahrhundert der vergöttlichte Julius Cäsar auf seinem gallischen Feldzug den Rheinstrom erreicht und die Germanen besiegt hatte, beabsichtigte er, den Strom als breiten Grenzgraben des Imperiums zu sichern. Seine Vorstöße aufs rechte Ufer hatten den Zweck, die Barbaren zu erschrecken und im Zaume zu halten. Eine Reihe von Kolonialstädten, Castellen und festen Feldlagern schützte die Rheinflanke des Reiches. Gallien konnte sich zu einer ertragreichen Provinz entwickeln, die Gallier fügten sich rasch unter das milde römische Joch und sind heute selbst von dem Wunsche beseelt, daß die Herrschaftder römischen Adler erhalten bleibe. Die rechts des Rheines wohnenden Germanen aber blieben ungebändigt. Ihre wilden Völkerschaften erheben sich von Zeit zu Zeit, stiften Unruhe, kämpfen und plündern und nehmen jede Gelegenheit wahr, über die friedlicheren Gallier herzufallen, ihr Vieh wegzutreiben, Tribut zu erpressen und Kinder und Frauen als Sklaven zu entführen. Man kann nur dadurch zeitweilig Ruhe erzwingen, daß man die Germanen durch militärische Stärke beeindruckt, ihre Gaue rächend durchzieht oder die Grenze stark besetzt hält und mit festen Castellen sichert. Diese Erfahrungen wird auch mein Oheim Tiberius bestätigen müssen, der mit meinem ruhmgekrönten Vater Drusus zusammen und später auch mit mir Feldzüge nach dem inneren Germanien geführt hat. Mein Vater hat, um das unwegsame Wald- und Sumpf land Innergermaniens besser und schneller erreichen zu können, einen Kanal von dem Flusse Ems zur Weser und Elbe gebaut. Die einzig wirksame Art von Kriegsführung wäre es, die Wälder abzubrennen und Militärstraßen anzulegen, sie durch Festungen zu sichern und Kolonien zu gründen. Das ist freilich angesichts der Ausdehnung und völligen Unwegsamkeit des Landes nicht möglich. Unsere Hauptfestungen22 liegen am Rande des germanischen Gefahrenherdes. An der mittleren Donau hält Vindobona, das feste Standlager der 13. Legion, die Wacht, flußaufwärts folgt am Zusammenfluß von Inn und Donau, auf dem Boden einer alten Keltenburg, das Kohortenlager Castra Batava und am nördlichsten Punkt des Stromes unsere 16. Legion in Regina Castra; südlich davon, im Lande der Vindelicer, hat mein Vater 55
Augusta Vindelicorum erbauen lassen, am oberen Rheinstrom hat Drusus Noviomagus •— das man jetzt Spira nennt — als Grenzplatz eingerichtet, etwas weiter stromab Borbetomagus und am Rheinknie das Castellum Moguntiacum, den Standort der 22. Legion; am Zusammenfluß von Mosel und Rhein, an demselben Platze, an dem Cäsar im Jahre 695 die Brücke über den Rhein schlug, steht das feste Confluentes, das Drusus ausbauen ließ, der ebenfalls ein Stück stromab Bonna und noch weiter entfernt die Kolonie Vetera gegründet hat." * Bis hierher hat Tiberius ohne Unterbrechung gelesen, er hebt den Kopf und blickt Livia mit zornig gerötetem Gesicht an. „Begreifst du, was er will, Mutter? Drusus hat gebaut, Drusus hat gegründet, Drusus hat gesichert... Alles hat Drusus getan! Von Tiberius und seinen Taten an Rhein und Donau, von den Provinzen, die ich dort neu gewann und den vielen Plätzen, die ich anlegen ließ, erwähnt er kein Wort." „Augustus ist tot!" erwidert Livia ungerührt, „weder dieser Brief noch andere können ihn erreichen." „Aber es haben ihn schon genug erreicht. Die Verehrer des Germanicus, die heute schon von einem Triumphzug für ihn sprechen, schüren weiter..." „Wir werden Germanicus", sagt Livia fest, „sobald er seine für das Imperium wichtige Aufgabe im Norden erfüllt hat, so weit weg versetzen, daß es seinen Freunden schwer fallen soll, Politik mit seiner Person zu treiben. Haben wir nicht Provinzen, die seinen germanischen Leibgarden zu heiß und ihm selber zu ungesund sein könnten ?" Tiberius lächelt verstehend, dann liest er weiter. „Als Tiberius nach Rom ging, schlug er Quinctilius Varus als Legaten Germaniens vor. Ich war mit dieser Wahl nicht einverstanden, da ich wußte, daß Varus ein rücksichtsloser und eitler Mann war, höchst ungeeignet, mit den schwierigen Germanen fertig zu werden. Varus war einer der typischen Profitmacher, wie wir leider allzuviele in den Provinzen haben. Nach seinem Kommando in Afrika hatte er sich durch gute Verbindungen die Statthalterschaft Syriens gesichert; arm betrat er das reiche Land, um das arme Land reich wieder zu verlassen. An 56
die unterwürfigen und geduldigen Eingeborenen Afrikas und des Vorderen Orients gewöhnt, glaubte er, seine Methoden nun auch im Norden anwenden zu können: ein Irrtum, der Rom viel Blut gekostet hat. Gegen den R a t verständiger Männer begann Varus, der Günstling meines verehrten Oheims Tiberius, die Romanisierung Ostgermaniens mit brutalen Methoden voranzutreiben. Er erließ Gesetze wie in besiegten Provinzen, führte römisches Recht und lateinische Amtssprache auch in den freien Gauen rechts des Rheines ein und glaubte sich gesichert, weil er einige Straßen in das Bergland gegen den Teutoburger Wald vorangetrieben und mitten im Germaniengebiet Castelle errichtet hatte. Wie wir heute wissen, war der Cherusker Armin, der als Offizier bei uns römische Kriegskunst gelernt hatte, das Haupt der entstehenden Verschwörung. Seine Sendboten gingen zu allen Germanenstämmen ringsum, sie zur Einigkeit gegen die Römer ermahnend und um ihre Bundesgenossenschaft werbend. Unser Glück war es damals, daß die Eifersucht der Gaufürsten und die Uneinigkeit der Germanen es ihnen unmöglich machte, mit geballter Kraft und nach einheitlichem Plane loszuschlagen. Vor allem weigerte sich unser Bundesgenosse Marbod, der König der Markomannen, sich dem Befehl Armins zu unterstellen. So traf das Verhängnis nur den unvorsichtigen Varus, nicht aber das Reich. Den Rest weißt du, o Imperator Augustus. Man lockte Varus mit drei Legionen durch falsche Nachrichten tief ins unwegsame Bergland. Wetter, Sümpfe und Regengüsse taten das übrige. Als die erschöpften und verirrten Truppen tagelang ohne Nachschub in den Wäldern festsaßen, fielen die Barbaren von allen Seiten über sie her. Varus starb durch sein eigenes Schwert, nur die Reiterei entkam nach schrecklicher Flucht in das Castell Aliso23. Ich darf dir zusichern, Cäsar, daß eine Wiederholung dieses Unglücks bei meiner vorsichtigen Kriegsführung nicht zu befürchten ist. Das Ergebnis, das ich zu erreichen hoffe, ist eine tatkräftige Abwehr der germanischen Überfälle und die Verhinderung einer großen, zweiten germanischen Verschwörung gegen Rom. Wenn wir die Germanen durch unseren schnellen Vormarsch in Furcht versetzt haben, werden wir uns wieder auf die alten Grenzen zurückziehen, die wir lediglich den natürlichen Verteidi57
gungslinien anpassen; vielleicht werden wir sie durch Wälle, Türme und Feldlager verstärken. Im übrigen soll man die Germanen ihrer eigenen Uneinigkeit überlassen, sie werden durch klug verteilte Geschenke, aufgewühlten Neid und angeborenen Haß gegeneinander immer in Schach zu halten sein. Das ist es, was dir Germanicus rät." Livia nickt zustimmend. „Nicht unklug", sagt sie, „er stellt sein Licht nicht unter den Scheffel." „Es ist noch ein Anhang da!" Tiberius entfaltet einige Pergamentbogen, die eine andere Handschrift zeigen; sie sind dem Hauptschreiben beigelegt. „Agrippina, die Tochter Julias, an den Imperator Augustus Octavianus. Verehrter Vater, erlaube deiner Enkelin einige Zeilen ohne Politik und Kriegsgedröhn. Denn Agrippina will nichts weiter als Gattin und Mutter sein, obgleich es böswillige Zungen gibt, die auch mir ehrgeizige Absichten unterschieben. Nie werde ich eine Frau wie Livia sein: klug in allen politischen Dingen und wohlberaten in den Regierungsgeschäften. Ich bin anders, mein Glück ist mein Gatte Germanicus, er ist mein Held und mein Gott; mein Ehrgeiz sind die Kinder, die ich hoffnungsfroh heranwachsen sehe. Mein und unser aller Liebling ist der kleine Gajus Cäsar; kürzlich stolperte er mit Soldatenstiefeln, die ihm viel zu groß waren, durch das Lager. Du kannst dir nicht vorstellen, Imperator, welche Freude die Legionäre hatten. Sie trugen und herzten ihn und sprachen vom Großvater des Kleinen, vom unvergessenen Drusus. Den Jungen aber nennt die ganze Armee seither „Caligula" — das Soldatenstiefelchen. 24 Ach, Augustus, ich bin eine sehr törichte Frau, daß ich dir von solchen Nebensächlichkeiten rede, aber du wirst deiner Enkelin vergeben... sie ist manchmal sehr einsam. Germanicus gehört mir nicht allein. Er ist der Abgott seiner Legionen, besonders der germanischen Hilfsvölker. Wenn er sie auszeichnen will, legt er eine germanische Rüstung an. Das verursacht im Lager wahre Begeisterungsstürme. Während ich diese Zeilen schreibe und an dich denke, wünschend, daß du gesund und glücklich sein mögest, sitze ich im balkengefügten Hause, dessen Wände mit Teppichen verhängt sind. Draußen im Feldlager klirrt 58
der Schritt der Wache, Postenruf antwortet — mein ganzes Leben ist durch den Wall des Truppenlagers bestimmt, durch die vier Tore begrenzt. Wenn ich hinaustrete, sehe ich die reihenweise angeordneten Baracken, die Versamlungsplätze der Eegimenter mit den aufgepflanzten Legionsadlern davor und den bewegungslosen Ehrenposten. Täglich poltern Wagenzüge herein mit Waren aus Italien oder Innergallien. Manchmal ist auch Post aus Rom für mich dabei. Aber wir Offiziersfrauen, die ihren Männern in den rauhen Norden gefolgt sind, danken schon den Göttern, wenn auf den Wachtürmen nicht die Alarmsignale ertönen, wenn die Trompeten nicht geblasen werden und keine Schreckenskunde von Barbarenaufständen eintrifft, wenn wir nicht in Furcht um das Leben der Geliebten sein müssen. Denn auch das habe ich erlebt, daß der nächtliche Horizont ringsum in blutigem Licht aufglühte, daß Gallier mit Weib und Kind, endlose Züge des Elends, Karawanen flüchtender, armer Leute an unser Lager herantrieben, Einlaß und Hilfe begehrend, und daß die Blöcke der Kohorten im Sturmschritt ausrückten, mit ihren Standarten den Feldherrn grüßend. Und Germanicus, mein Gatte, saß wie ein Bronzebild zu Pferde, unbewegt und ohne Blick für die, die ihn liebten. Wenn er dann inmitten seines Stabes zum Tore ausritt, war Agrippina tief unglücklich und warf sich zu Füßen des Altares, den grausamen Mars um Wiederkehr des Teuren anflehend. Aber Germanicus, so tapfer er nach Aussage der Soldaten im Gefecht ist, scheint unverwundbar. Vielleicht haben ihn die Götter zu Großem bestimmt." Tiberius springt auf. „Das nennt diese Frau keine Politik treiben! Merkst du nicht, Mutter, wie sie Augustus zu umgaukeln versucht hat ?'' Livia greift zu Rohrfeder und Papyrus. „Was willst du t u n ? " fragt Tiberius mißtrauisch. „Einen Antwortbrief schreiben!" „Sei vorsichtig, Mutter!" warnt der Cäsar, „noch wissen wir nicht, in welchem Lager die Legionen stehen." „Es wird ein Brief ohne Politik werden, ein Brief, der nichts verraten kann, weil er nichts sagt." Und eifrig beginnt sie zu schreiben: „Augusta Livia Drusilla an Imperator Germanicus und seine Gattin Agrippina. 59
Ich schreibe diese Zeilen noch unter dem Eindruck der größten Erschütterung meines Lebens. Augustus ist nicht mehr. Tränen verdunkeln meinen Blick, ich sehe ein Bild vor mir aufsteigen, das noch vor einem Vierteljahre schöne Wirklichkeit war. Wie ihr wißt, baut man seit einigen Jahren auf dem Marsfeld zu Rom am Mausoleum Augusti, an diesem herrlichen Werk, das die sterblichen Überreste des Kaisers aufzunehmen bestimmt ist. Die besten Künstler schlugen prachtvolle Reliefs aus den Steinen, die den Sockel des Augustusaltares umhüllen. Noch im Mai dieses Jahres brachte der Cäsar als Pontifex maximus dort das Rauchopfer dar. Damals stand er in schneeweißer Toga vor den hunderttausend Römern, und als er segnend die Arme über die Menge und das marmorne Rom hob — jenes Rom, das sein Werk ist —, da brachen Tausende in die Knie, und ich sah Senatoren und Feldherren weinen. Sie alle dachten, was auch in meinem Herzen als angstvolle Furcht lebte: Wie lange noch wird er bei uns weilen? Wir wußten, daß Augustus wieder am Husten litt, daß ihn des Nachts Nierenschmerzen plagten, und... er war sechsundsiebzig! Als der Monat August herankam und Tiberius, der gehebte Sohn des Toten, sich auf den Weg machen sollte, die bei Brindisi versammelten Legionen zu übernehmen, um nach Illyrikum und an die Donau zu gehen, ließ es sich Augustus trotz seiner Beschwerden nicht nehmen, dem Auszug des Tiberius bis Benevent zu folgen. Hier verabschiedete er sich, blieb unter Ehrungen durch den Rat der Stadt in der dortigen Curie, mußte sich aber bereits legen. Gegen Abend, als sich starkes Fieber einstellte, verlangte er, daß man ihn in das nahe Nola zum Sterbehause seines Vaters bringe. Es war dem Augustus prophezeit worden, daß er in demselben Zimmer enden werde, in dem sein Vater bei seiner Rückkehr von Makedonien verschieden war. In Nola verschlimmerte sich die Krankheit zusehends. Wir schickten sogleich Botschaft an Tiberius, den Erben des Sterbenden, und riefen ihn zurück. Vergeblich mühten sich die Leibärzte. Der gelehrte Celsus, ein weitbekannter Arzt, der an einem großen Werk über die Medizin 60
schreibt, sollte durch Eilkuriere herangeholt werden; er kam zu spät. Am Morgen des 19. August erkundigte sich der Kaiser, der eine schreckliche und qualvolle Nacht verbracht hatte, ob wegen seines Zustandes bereits Unruhe im Volke herrsche. In der zweiten Nachmittagsstunde ließ er sich einen Spiegel vors Gesicht halten und studierte lange seine eingefallenen, marmorblassen Züge. Dann befahl er, daß ihm das Haar gekämmt, die Wangen mit kaltem Wasser gewaschen und die niedersinkenden Kinnladen gestützt würden. Man mußte ihm Kissen unter den Rücken schieben und ihn aufrichten. Er versuchte zu lächeln, als er an die Umstehenden die leise Frage richtete, ob ihnen die Rolle gefallen habe, die er im Drama des Lebens gespielt habe. Ich nahm seinen schmal und leicht gewordenen Körper in die Arme, Husten würgte ihn, aber dann schien er wieder ganz der alte, fröhliche Octavian, der ewig junge Philosoph, dem immer ein Scherz auf den Lippen lag. Flüsternd sprach er in griechischer Sprache jene Verse, die für gewöhnlich die Schauspieler am Ende des Stückes sagen, wenn sie an die Rampe treten: ,Hat das Ganze euch gefallen, Nun, so klatschet unserm Spiel, Und beginnt mit Freude alle Insgesamt den Beifallsruf!' Gleich danach schloß er die Augen für immer. "
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ANMEKKUNGEN J ) Virgil (auch Vergil), lebte von 70 bis 19. v.Chr.; der bedeutendste Dichter Roms in der Zeit des Augustus begründete seinen Ruhm mit den „Bucolica", Hirtengedichten, und den „Georgica", landwirtschaftlichen Lehrgedichten. Als das Nationalepos der Römer galt die „Äneis", der Heldensang von den Ruhmestaten des Äneas, des sagenhaften Stammvaters der Römer; — 2) M., gest. 8 v.Chr., Vertrautester des Augustus, ohne ein Amt zu bekleiden; Kunstsammler, nahm sich bedrängter junger Dichter an, Freund und Gönner der Künstler und Gelehrten („Mäzen"); — 3 ) Horatius (Horaz) lebte von 65 bis 8 v. Chr.; neben Virgil klassischster Dichter der Augustus-Zeit, größter Lyriker in lateinischer Sprache; in seiner Dichtung spiegelt sich der Glanz des „Goldenen Zeitalters des Augustus", aber auch die Sehnsucht nach sittlicher Wiedergeburt Roms; — *) nach Seneca, 1. J h . n.Chr.; — s) röm. Silber-,später Messingmünze, etwa 1ji Mark; 4 S. waren 1 Denar; — 8) solche Pfeifen besitzt z. B. noch das Museum in Freiburg in der Schweiz; — 7 ) am 2. September 31 v.Chr.; —8) P. lebte um 50 bis 15 v.Chr.; Dichter voll leidenschaftlicher Empfindung und dunkler, aber gemeisterter Sprache; — 9 ) L. lebte von 59 v.Chr. bis 17 n.Chr.; röm. Geschichtsschreiber, lebte meist in Rom, schrieb verherrlichend die Geschichte Roms in 142 Büchern, von denen 35 erhalten sind; — w ) T., gest. 19 v.Chr.; besang das Glück des Landlebens und der stillen Liebe; — u ) der spätere Kaiser Tiberius, 42 v.Chr. geboren; — 12) römischer Architekt und Schriftsteller unter Cäsar und Augustus; sein Werk über die Architektur wurde in der Renaissance zum Leitfaden der Baukunst; — 13) Bruder des Tiberius, kämpfte 12—9 v.Chr. gegen die Germanen und stieß bis zur Elbe vor; — u ) das Folgende ist ein Auszug aus den „Res gestae Augusti" (Die Taten des Augustus); — ") u. 16) nach dem Schriftsteller Petronius; — 17) Halbfreie, die in einem besonderen Schutz- und Treueverhältnis zu ihrem Herrn (Pa. tron) standen; er trug zu ihrem Lebensunterhalt bei, vertrat sie bei Gericht; sie unterstützten ihn bei den Wahlen und bildeten sein Gefolge in der Öffentlichkeit; — 18) lebte von 43 v.Chr. bis 18 n.Chr.; weltmännischeleganter Meister des Verses, glanzvoller Erzähler von Mythen und Sagen; — 19 ) 14 n.Chr.; — 20) seit Augustus Garnisontruppe in Rom und Leibwache der Kaiser; — 21) 9 n.Chr. auf einem Marsche mit drei Legionen im Teutoburger Wald überfallen; der Sieg über Varus sicherte den Germanen die Freiheit von römischer Vorherrschaft; — 22) die lateinischen Namen in diesem Abschnitt bedeuten in der Reihenfolge: Wien, Passau, Regensburg, Augsburg, Speyer, Worms, Mainz, Koblenz, Bonn, Xanten; — as ) vermutlich bei Haltern am heutigen Lippekanal in Westfalen. — u) Beiname des späteren Kaisers Gajus Cäsar, des Nachfolgers des Tiberius (37-41 n.Chr.).
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ZEITTAFEL 44 v.Chr. Der Tod Cäsars stürzt das Imperium 15 Jahre lang in neue Bürgerkriege. Der 19 jährige Großneffe und Erbe Cäsars, Octavian, stellt sich bald gegen Marcus Antonius, den Testamentsvollstrecker Cäsars, und findet die Unterstützung des Senats, der in den Wirren die Macht wieder an sich gerissen hat. Nach der Niederringung des Antonius wendet sich Octavian gegen den Senat und schließt 43 v.Chr. mit Antonius und dessen Verbündeten Lepidus ein Triumvirat. 42 v.Chr. Die Armee der Cäsarmörder wird durch Antonius bei Philippi besiegt. Die Attentäter Cassius und Brutus begehen Selbstmord. 40 v.Chr.
Die Herrschaft über das Eeich wird geteilt; Lepidus übernimmt Afrika, Antonius den Osten, Octavian den Westen. Antonius heiratet Octavia, die Schwester Octavians. Er geht nach Ägypten, trennt sich von Octavia, heiratet die ägyptische Königin Kleopatra und setzt die Ptolemäerherrschaft in Ägypten fort.
36 v. Chr.
Lepidus verliert seine Machtstellung in Afrika.
33 v. Chr.
Antonius wird zum Keichsfeind erklärt.
32 v. Chr.
Rom erklärt Ägypten den Krieg.
31 v.Chr. Seesieg bei Actium über Antonius, dessen Landarmee kampflos zu Octavian übergeht. Ägypten wird röm. Provinz. Selbstmord des Antonius und der Kleopatra. Ende des Bürgerkrieges : Octavian ist Alleinherrscher; seit 27 trägt er den Beinamen Augustus, der Erhabene. 31 v.Chr. Regierungszeit des „Kaisers Augustus", „Aubis gusteisches Zeitalter." Augustus sammelt in 14 n. Chr. Rom die führenden italisch-westlichen Kulturkräfte und stellt sie der müde gewordenen griechisch-hellenistischen Kulturwelt des Ostens, die Cäsar bevorzugt hatte, gegenüber. Beginn der bewußten neurömischen Nationalität der Kaiserzeit. 63
29 v.Chr. Schließung des Janus-Kriegstempels, Beginn des Augustus-Friedens. 27 v.Chr. Neue Keichsemteilung: 12 senatorische und 27 kaiserliche Provinzen. 15 v.Chr. Tiberius und Drusus unterwerfen die Alpenvölker. Die Grenze wird zur Donau vorgeschoben. 12 v.Chr. Augustus Pontifex Maximus; von dieser Zeit ab ist jeder röm. Kaiser oberstes Haupt der Staatskirche. In dieser Zeit Sicherung des Imperiums durch die Dreistrom-Grenze: Euphrat, Donau, Rhein. 7 oder 6 vor der Geburt Jesu Christi. Zeitrechnung 4 n. Chr. Nach dem Tode des Thronfolgers bestimmt Augustus seinen Stiefsohn Tiberius zum Reichserben. 9 n. Chr. Auf Grund der Niederlage des Varus im Teutoburger Wald wird die erstrebte Elbegrenze nicht erreicht. Germanien jenseits des Rheins bleibt von der antiken Kultur unberührt. 12 n. Chr. Die Volkszählung ergibt 4 937 000 röm. Bürger. 19. August Tod des 77 jährigen Augustus in Nola, Bestat14 n. Chr. tung im Mausoleum Augusti. Seine Grabinschrift und der von ihm verfaßte Regierungsbericht sind in Abschriften erhalten.
Alle Rechte vorbehalten. Umßchlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Kartenzeiehnung: Anton Eckert; Illustrationen: H.G.Strick Druck: Dr.F.P.Datterer & Cie.-Inhaber Sellier-Freising/Obb.
Der Leser, der die in diesem Heft geschilderten Ereignisse im großen nahmen weiterverfolgen will, wird auf die spannend geschriebene Weltgeschichte
BILD DER JAHRHUNDERTE von OTTO Z I E R E R verwiesen. In neuartiger, eindrucksvoll erzählender Darstellung behandelt Otto Zierer im „Bild der Jahrhunderte", dem der Text zu dem vorliegenden Heft im wesentlichen entnommen ist, die Geschichte des Abendlandes und der Welt von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
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