Das TMS-Buch: Handbuch der transkraniellen Magnetstimulation

Hartwig Siebner - Ulf Ziemann (Hrsg.) Das TMS-Buch Handbuch der transkraniellen Magnetstimulation Hartwig Siebner Ulf...

Author: Hartwig Roman Siebner | Ulf Ziemann

47 downloads 2056 Views 12MB Size Report

This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!

Report copyright / DMCA form

DOWNLOAD PDF

Hartwig Siebner - Ulf Ziemann (Hrsg.) Das TMS-Buch Handbuch der transkraniellen Magnetstimulation

Hartwig Siebner Ulf Ziemann (Hrsg.)

Das TMS-Buch Handbuch der transkraniellen Magnetstimulation

Mit 147 zum Teil farbigen Abbildungen und 40 Tabellen

13

1 2 3 4 5

Prof. Dr. med. Hartwig Roman Siebner Klinik für Neurologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel Schittenhelmstraße 10 24105 Kiel

Prof. Dr. med. Ulf Ziemann Klinik für Neurologie Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main Schleusenweg 2-16 60528 Frankfurt am Main

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

ISBN-13

978-3-540-71904-5

Springer Medizin Verlag Heidelberg

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literarturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Renate Scheddin Projektmanagement: Renate Schulz Lektorat: Dr. Astrid Horlacher, Nußloch Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Satz: medionet Prepress Services Ltd. SPIN:  Gedruckt auf säurefreiem Papier

 –      

V

Vorwort Die transkranielle Magnetstimulation ermöglicht die schmerzlose und nichtinvasive Reizung der menschlichen Hirnrinde. Seit ihrer Einführung im Jahr 1985 durch Dr. Reza Jalinous, Prof. Ian Freeston und Prof. Anthony Barker an der Universität Sheffield haben die Techniken der transkraniellen Hirnstimulation eine fast revolutionäre Entwicklung genommen. Aus der klinisch-neurophysiologischen Routinediagnostik zentralmotorischer Leitungs- und Erregbarkeitsstörungen ist die transkranielle Magnetstimulation nicht mehr wegzudenken, wobei sich die Untersuchungstechniken in den letzten 15 Jahren immer weiter ausdifferenziert haben. Neben ihrer Bedeutung in der neurophysiologischen Funktionsdiagnostik hat die transkranielle Magnetstimulation eine herausragende Bedeutung in der experimentellen Hirnforschung gewonnen. Die transkranielle Magnetstimulation kann z. B. eine passagere Funktionsstörung in einem umschriebenen Kortexareal induzieren. Dieser Läsionseffekt kann durch psychophysische Messungen charakterisiert werden und lässt wichtige Rückschlüsse über die funktionelle Relevanz des stimulierten Kortexareals zu. Auch die Kombination von transkranieller Magnetstimulation und anderen funktionellen Untersuchungsverfahren wie dem EEG oder dem funktionellen MRT hat die Anwendungsmöglichkeiten der transkraniellen Magnetstimulation in den letzten Jahren erheblich erweitert. Ein weiteres wichtiges Feld liegt in den Möglichkeiten zur anhaltenden Neuromodulation durch die Induktion von Erregbarkeitsveränderungen im stimulierten Hirngewebe und den damit verknüpften potenziell therapeutischen Anwendungen. Dieses Buch bietet in 62 Kapiteln einen aktuellen Überblick über alle wichtigen Themen – von einer Einführung in Physik und Physiologie der transkraniellen Magnetstimulation über Reizprotokolle (Kochrezepte), intraoperatives Monitoring, Einsatzmöglichkeiten in der Hirnforschung bis hin zur therapeutischen Neuromodulation. Hierdurch werden Neurologen, Psychiater, Neurochirurgen, Psychologen, medizinisch-technische Assistenten und Neurowissenschaftler gleichermaßen angesprochen. In zahlreichen Exkursboxen werden die neurophysiologischen Grundlagen zusammengefasst, um Einsteigern eine thematische Einführung zu geben. DAS TMS-Buch ist Bernd-Ulrich Meyer gewidmet, der 2001 mit seiner Familie bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. Bernd-Ulrich Meyer hat vor 15 Jahren beim Springer-Verlag das erste umfassende deutschsprachige Werk mit dem Titel »Die Magnetstimulation des Nervensystems« herausgegeben und die Entwicklung der transkraniellen Hirnstimulation von Beginn an maßgeblich vorangetrieben. Wir freuen uns besonders darüber, dass praktisch alle im deutschsprachigen Raum wissenschaftlich tätigen Arbeitsgruppen an der Erstellung der einzelnen Kapitel mitgewirkt haben. Damit wird die ausgezeichnete Qualität und international herausragende Stellung deutschsprachiger Arbeitsgruppen auf allen Feldern der transkraniellen Hirnstimulation hervorgehoben. Wir möchten uns für die hervorragenden Beiträge bei allen Koautoren und für die stets sehr angenehme Zusammenarbeit bei Frau Schulz und Frau Scheddin vom Springer-Verlag herzlich bedanken.

Kiel und Frankfurt, im Sommer 2007 Hartwig Siebner und Ulf Ziemann

VII

Inhaltsverzeichnis 3

I Grundlagen

Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Hartwig Roman Siebner, Ulf Ziemann

1

Hirnstimulation – Historischer Überblick .

3

Christian W. Hess 1.1 1.1.1

Historischer Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Entwicklung der motorischen Kortexreizung in Tierexperimenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.1.2 Erste elektrische Reizversuche am menschlichen Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.2 Der Beginn der Magnetstimulation nervöser Strukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.2.1 Frühe Versuche mit alternierenden Magnetfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.2.2 Magnetstimulatoren für Einzelreize . . . . . . . . 7 1.3 Die Einführung der TMS in die klinische Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3.1 Technische Entwicklung der Magnetstimulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3.2 Klinische Entwicklung der Magnetstimulation zu diagnostischen Zwecken . . . . . . . . . . . . . 9 1.3.3 Hemmende Phänomene und Untersuchungen zur kortikalen Erregbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 12 1.4 Therapieversuche mit rTMS . . . . . . . . . . . . . 13 1.5 Gleichstromreizung des Kortex . . . . . . . . . . . 14 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2

Hirnstimulation – Technische Grundlagen

17

Thomas Weyh, Hartwig Roman Siebner 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magnetische und elektrische Felder . . . . . . . . Grundlagen – das magnetische Feld. . . . . . . . Zeitabhängige Magnetfelder – das elektrische Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Optimale Pulsdauer bei der Magnetstimulation 2.3 Aufbau von Stimulationsgeräten . . . . . . . . . . 2.3.1 Monophasische Magnetstimulatoren . . . . . . . 2.3.2 Biphasische Magnetstimulatoren. . . . . . . . . . 2.3.3 Repetitive Magnetstimulatoren. . . . . . . . . . . 2.3.4 Angabe der Reizstärke . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Geräte für Mehrfachpulse . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Stimulationsspulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Feld – Feldgradient. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Spulenfeld – Spulengeometrie . . . . . . . . . . . 2.4.3 Reizwirkung der Spulen – Tiefenreichweite . . . 2.4.4 Spulenverluste – Spulenerwärmung. . . . . . . . 2.4.5 Akustisches Artefakt bei Spulen . . . . . . . . . . 2.5 Sicherheitsaspekte der transkraniellen Magnetstimulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 18 18 18 19 19 20 21 21 21 21 22 22 23 24 24 25 25 26

3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . Die periphere elektrische Neurostimulation . Neuroanatomische Grundlagen . . . . . . . . Ankopplung des elektrischen Feldes an die kortikale neuronale Aktivität . . . . . . . . . . 3.3 Transkranielle Stimulation des primären motorischen Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Transkranielle elektrische Stimulation des primären motorischen Handareals . . . . . . . 3.3.2 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Handareals . . . . . . . 3.3.3 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Beinareals . . . . . . . 3.3.4 Kortikospinale Aktivierung der spinalen Motoneurone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

. . . .

. . . .

28 28 28 31

. .

33

. .

35

. .

37

. .

38

. .

42

. . . .

42 44

Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

Walter Paulus, Hartwig Roman Siebner 4.1 Sicherheitsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Epileptische Anfälle . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Akute sensorische Eﬀekte . . . . . . . . . . . 4.1.3 Akute kognitive Eﬀekte . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Unerwünschte Langzeitwirkungen . . . . . 4.2 Anwendungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 TMS im Einzelreiz- oder Doppelreizmodus . 4.2.2 Repetitive TMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Transkranielle Gleichstromstimulation . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

48 48 50 50 51 52 52 52 54 55

II Routinediagnostik: Kochrezepte 5

Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

Alain Kaelin-Lang 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Vorgehensweise bei der Ableitung des MEP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schritt 1: Anbringen der Oberﬂächenelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . Schritt 2: Technische Einstellungen am Ableitegerät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schritt 3: Platzierung der Stimulationsspule über dem motorischen Kortex . . . . . . . . . . . Schritt 4: Wahl der Reizintensität . . . . . . . . . . Schritt 5: Willkürliche Anspannung des Zielmuskels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 60 61 63 63 64

VIII

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

5.2.6 5.2.7

Schritt 6: Aufzeichnung der MEP . . . . . . . . . . Schritt 7: Ausmessen des MEP und Berechnung des Amplitudenquotienten . . . . . . . . . . . . . 5.3 Spezialuntersuchungen. . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Entladungsverhalten einzelner motorischer Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Aufzeichnung der TMS induzierten Bewegung oder Muskelkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

20

Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 66 67 67 68 68

71

Florian Müller, Ulf Ziemann 6.1

Bestimmung der kortikomuskulären Leitungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Schritt 1: Auﬃnden des optimalen Reizortes über dem Motorkortex . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Schritt 2: Bestimmung der erforderlichen Reizstärke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Schritt 3: Vorinnervation des Zielmuskels . . 6.1.4 Schritt 4: Messwiederholungen und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Bestimmung der peripheren motorischen Leitungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Messmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Bewertung der Methoden . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Praktisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Berechnung der zentralmotorischen Leitungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Spezialuntersuchungen: fraktionierte Leitungszeitmessungen . . . . . . . . . . . . . 6.5 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

. .

72

. .

72

. . . .

72 72

8.2

Radikuläre und distale Stimulation des unteren Motoneurons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 F-Wellen-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Transkutane Magnetstimulation der lumbalen Nervenwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Transkutane elektrische Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Ableittechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Normwerte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Distale periphere Stimulation mit der F-Wellen-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Proximale Magnetstimulation der lumbalen Nervenwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Proximale elektrische Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

. .

73

. . . .

. . . .

73 73 74 75

. .

75

. . . . . .

76 77 78

Motorisch evozierte Potenziale der Armund Handmuskeln . . . . . . . . . . . . . . .

7.1 7.2 7.2.1 7.2.2

Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung der Untersuchung . . . . Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der peripher-motorischen Leitungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Transkranielle Stimulation des primären motorischen Handareals . . . . . . . . . . 7.3 Probleme bei der Untersuchung . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

79

. . . . . . . . . . . . . . .

80 80 82

. . . . .

82

. . . . . . . . . . . . . . .

85 87 88

Motorisch evozierte Potenziale der Beinund Fußmuskeln. . . . . . . . . . . . . . . . .

89

Detlef Claus 8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3

Motorisch evozierte Potenziale der kranialen Muskeln. . . . . . . . . . . . . . . .

92 93 93 93 94 95 95 96 96 97 97

99

Peter P. Urban 9.1 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.3 9.4

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulation der Gesichtsmuskulatur (N. fazialis) Indikationen und Möglichkeiten . . . . . . . . . . Untersuchungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Fazialisparese . . . . . . . . . . . . . . . . Periphere Fazialisparese . . . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulation der Zungenmuskulatur (N. hypoglossus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Stimulation der Kaumuskulatur (N. trigeminus) 9.6 Stimulation der vom N. accessorius innervierten Halsmuskeln . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

Helge Topka

18 19

Inhaltsverzeichnis

Transkranielle Stimulation des primären motorischen Beinareals . . . . . . . . . . . . . . . . Auﬃnden des optimalen transkraniellen Reizortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der erforderlichen transkraniellen Reizstärke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorinnervation des Zielmuskels . . . . . . . . . .

90

104 105 106 107

109

Andreas Ferbert 10.1 10.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen distalen, proximalen und axialen Muskeln . . . . 10.3 Ableitung von speziellen Muskeln . . . . . . . . . 10.3.1 M. deltoideus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 M. erector spinae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 M. pectoralis und M. latissimus dorsi . . . . . . . 10.3.4 Diaphragma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.5 M. sphincter ani externus, M. sphincter urethrae und M. bulbocavernosus . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.6 Quergestreifte Muskulatur des Pharynx und Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Triple-Stimulationstechnik . . . . . . . . . .

110 110 111 111 111 113 114 114 115 115

119

Kai M. Rösler

90 92 92

Motorisch evozierte Potenziale der axialen und proximalen Muskeln . . . . . .

100 100 100 100 102 102 103

11.1 11.1.1 11.1.2

Neurophysiologischer Hintergrund . . . . . . . . 120 Desynchronisation der induzierten Motoneuronentladungen . . . . . . . . . . . . . . 120 Mehrfachentladungen von Motoneuronen . . . 120

IX

Inhaltsverzeichnis

11.1.3 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4 11.2.5 11.2.6 11.3 11.4

Prinzip der Triple-Stimulationstechnik . Praktisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen und Grundsätzliches . Ableitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Periphere distale Stimulation . . . . . . . Proximale Nervenstimulation . . . . . . . Transkranielle Stimulation . . . . . . . . . Bestimmung der Reizintervalle . . . . . . Messungen und Berechnungen. . . . . . Klinische Anwendung der Triple-Stimulationstechnik . . . . . . . . . 11.5 Limitationen der TST. . . . . . . . . . . . . 11.6 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

121 123 123 123 125 125 126 126 126

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

126 128 129 131

Transkutane Magnetstimulation peripherer Nerven . . . . . . . . . . . . . . .

133

Christian Bischoﬀ 12.1 12.1.1 12.1.2

Magnetsimulation peripherer Nerven. . . . . . . Grundlagen der peripheren Magnetsimulation Vorteil der Magnetstimulation peripherer Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.3 Nachteile der Magnetstimulation peripherer Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.4 Hinweise zur technischen Durchführung. . . . . 12.2 Direkte Muskelstimulation . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134 134 134 134 135 136 136

139

Florian Heinen, Verena Brodbeck 13.1 13.1.1

Altersspeziﬁsche Besonderheiten . . . . . . . . . Neuroanatomische und neurophysiologische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Konsequenzen für die MEP-Ableitung im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Bestimmung der kortikalen motorischen Reizschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.3 Organisationstyp der kortikospinalen Bahn bei Zerebralparesen und kindlichem Schlaganfall . 13.3 Spezielle elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.1 Interhemisphärische Hemmung . . . . . . . . . . 13.3.2 Intrakortikale Hemmung und Bahnung. . . . . . 13.4 Klinische Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . 13.4.1 Fazialisparese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2 Multiple Sklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.3 Rett-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.4 Lähmung im Rahmen einer somatoformen Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.5 Entwicklungsneurologie der kindlichen Motorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.6 Zerebralparesen und kindlicher Schlaganfall . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 140 141 141 142 142

III Spezielle Diagnostik: Kochrezepte 14

Kortikale Reizschwelle . . . . . . . . . . . . .

149

Friedemann Awiszus, Helmut Feistner 14.1 14.2 14.2.1 14.2.2

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen kortikaler Reizschwellen . . . . . TMS-induzierte Ereignisse . . . . . . . . . . . . Vom physiologischen zum mathematischen Problem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Rezepte für die Schätzung kortikaler Reizschwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Nicht durchführbar, obsolet und ineﬃzient: Leitlinienrezepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.2 Durchführbar, aber ineﬃzient: Das Mills-Nithi-Verfahren . . . . . . . . . . . . . 14.3.3 Eﬃzient, aber grob: Schwellenjagd mittels Bisektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Interpretation kortikaler Erregbarkeitsschwellenschätzungen . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Physikalische Einﬂussfaktoren. . . . . . . . . . 14.4.2 Physiologische, pathologische und pharmakologische Einﬂussfaktoren . . . . . . 14.4.3 Schwellenschätzungen unterschiedlicher TMS-induzierter Ereignisse. . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

. . 150 . . 150 . . 151 . . 151 . . 153 . . 153 . . 154 . . 154 . . 155 . . 155 . . 157 . . 157 . . 158

Kortikale Innervationsstille . . . . . . . . . .

159

Michael Orth, Reiner Benecke 15.1 Deﬁnition und Physiologie . 15.2 Methoden und Protokolle . 15.2.1 TMS-Versuchsprotokoll . . . 15.2.2 Auswertung . . . . . . . . . . 15.2.3 Einﬂussgrößen . . . . . . . . 15.3 Fallbeispiele . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

Kortikale Doppelpulsprotokolle . . . . . . .

160 161 161 162 162 163 165

167

Mathias Wahl, Ulf Ziemann 16.1

143 143 143 144 145 145 145 145

16.1.1

145

16.2.1

145 146 146

16.2.2 16.2.3

16.1.2 16.1.3 16.2

Doppelpulsprotokolle, die zwei überschwellige Stimuli gleicher Intensität bei langen Interstimulusintervallen verwenden (10–250 ms) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technische Voraussetzungen zur Bestimmung der LICI und LICF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der LICI und LICF . . . . . . . . . . . Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . Doppelpulsprotokolle, die einen ersten unterschwelligen und einen zweiten überschwelligen Stimulus bei kurzen Interstimulusintervallen verwenden (1–20 ms) . . . . Technische Voraussetzungen zur Bestimmung von SICI und ICF. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der SICI und ICF . . . . . . . . . . . . Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . .

168 168 169 169

170 170 170 172

X

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Inhaltsverzeichnis

16.3

Doppelpulsprotokolle, die einen ersten überschwelligen und einen zweiten unterschwelligen Stimulus bei sehr kurzen Interstimulusintervallen verwenden (0,5–5 ms). . . . 16.3.1 Technische Voraussetzungen zur Bestimmung der SICF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.2 Bestimmung der SICF . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.3 Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 16.4 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 174 174 175 175

17

177

Aﬀerente Konditionierung . . . . . . . . . .

19

173

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aﬀerente Konditionierung mittels peripherer elektrischer Stimulation. . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1 Aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2 Aﬀerente sensomotorische Hemmung langer Latenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Zentrale reziproke sensomotorische Hemmung 17.3 Sonstige aﬀerente Konditionierungsparadigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.1 Aﬀerente Konditionierung durch nozizeptive Stimulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.2 Aﬀerente Konditionierung durch mechanische Stimulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.3 Aﬀerente Konditionierung durch akustische oder visuelle Reize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Bewertung der Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186 187 188 188

18

191

Zerebrale Konnektivität . . . . . . . . . . . .

178 178 183 184 185 185 185

. . 192 . . . . . . .

. . . . . . .

192 192 193 193 193 194 194

. . 195 . . 196 . . 196

. . . .

198 199 200 201

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

204 204 204 204 204 206 208 208 208

211

Stephan Brandt, Jan Brocke, Kerstin Irlbacher 20.1 Physiologische Grundlagen der TES . . . . . 20.2 Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.1 Polarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.2 Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.3 Reizstärke und Reizdauer. . . . . . . . . . . . 20.3 Anwendungsgebiete von TES . . . . . . . . . 20.4 Sicherheitsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.1 Tierexperimentelle Grundlagen. . . . . . . . 20.4.2 Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

Intraoperatives Monitoring/ Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . .

212 212 212 212 214 215 215 215 216 216

219

Andrea Szelényi 21.1 21.1.1 21.1.2 21.2

Intraoperatives Monitoring . . . . . . . . . . Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . Evozierung motorischer Potenziale und Anästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.1 Interaktion mit Anästhetika . . . . . . . . . . 21.3 Praktische Durchführung . . . . . . . . . . . . 21.3.1 Indikation zum intraoperativen MEP-Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3.2 Nebenwirkungen und Patientensicherheit. 21.3.1 Monitoring muskulärer MEP . . . . . . . . . . 21.3.2 Kranielle Eingriﬀe: Muskuläre MEP . . . . . . 21.3.3 Spinale Eingriﬀe: Kombination muskulärer und spinaler MEP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5 MEP in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 220 . . . 220 . . . 220 . . . 220 . . . 220 . . . 221 . . . .

. . . .

. . . .

221 221 221 222

. . . .

. . . .

. . . .

223 224 225 225

IV Spezielle Diagnostik: Wichtige Krankheitsbilder

. . 198 . . . .

. . . . . . . . .

Transkranielle elektrische Stimulation . . .

178

Tobias Bäumer, Alexander Münchau Methodische Überlegungen. . . . . . . . . . . Ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP) . . . . . . . 18.2.1 Methodischer Ansatz und Durchführung. . . 18.2.2 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.3 Technischer Bedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.4 Kommentare. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3 Doppelpulsprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . 18.3.1 Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3.2 Interaktion von frontalen (prämotorischen) Arealen und ipsilateralem M1 . . . . . . . . . . 18.3.3 Interhemisphärische Inhibition (IHI) . . . . . . 18.3.4 Interhemisphärische Fazilitierung . . . . . . . 18.3.5 Inhibition nach Konditionierung über der hinteren Schädelgrube . . . . . . . . . . . . . . 18.4 Beispiele von rTMS-Konditionierungsprotokollen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4.1 Methodische Ansätze und Durchführung . . 18.4.2 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19.1 Überblick über die Phänomene . 19.1.1 Phosphene . . . . . . . . . . . . . . 19.1.2 Visuelle Maskierung . . . . . . . . 19.2 Protokolle . . . . . . . . . . . . . . 19.2.1 Phosphene . . . . . . . . . . . . . . 19.2.2 Visuelle Maskierung . . . . . . . . 19.3 Physiologische Grundlagen . . . 19.4 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

17.1 17.2

203

Thomas Kammer

Monika Pötter, Hartwig Roman Siebner

18.1 18.2

Stimulation des visuellen Kortex . . . . . .

22

Multiple Sklerose . . . . . . . . . . . . . . . .

229

Patrick Jung, Ulf Ziemann 22.1 22.2 22.2.1 22.2.2 22.2.3 22.2.4

Pathophysiologische Grundlagen . . . . . . . . . Diagnostische Wertigkeit von TMS-Messwerten Sensitivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Speziﬁtät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detektion subklinischer Läsionen . . . . . . . . . Prognostischer Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230 231 231 232 232 233

XI

Inhaltsverzeichnis

22.2.5

Surrogatmarker klinischer Krankheitsprogression und therapeutischer Eﬀekte . . . . . 233 22.3 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

23

Motoneuronerkrankungen . . . . . . . . . .

237

Klaus Krampﬂ, Reinhard Dengler 23.1 23.1.1 23.1.2 23.2

Pathophysiologische Grundlagen . . . . . . Degeneration des 1. Motoneurons. . . . . . Degeneration des 2. Motoneurons. . . . . . Wesentliche TMS-Messwerte bei der Untersuchung von Patienten mit Motoneuronerkrankungen. . . . . . . . . . . 23.2.1 Zentralmotorische Leitungszeit (ZML). . . . 23.2.2 Kortikale Reizschwelle. . . . . . . . . . . . . . 23.2.3 MEP-Amplitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.4 MEP/M-Wellen-Quotient . . . . . . . . . . . . 23.2.5 Triple-Stimulationstechnik . . . . . . . . . . . 23.2.6 Kortikale Innervationsstille. . . . . . . . . . . 23.2.7 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen . . . . . . . . . . . . 23.2.8 Intrakortikale Bahnung . . . . . . . . . . . . . 23.2.9 Elektromyographische Ableitungen von einzelnen motorischen Einheiten . . . . . . 23.2.10 Ipsilaterale MEP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3 Korrelation pathologischer TMS-Befunde zum klinischen Verlauf von Motoneuronerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.4 Speziﬁsche TMS Befunde bei genetischen deﬁnierten Varianten der ALS . . . . . . . . . 23.5 TMS-Messwerte unter Therapie . . . . . . . . 23.6 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

. . . 238 . . . 238 . . . 238

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

239 239 239 239 239 240 241

. . . 242 . . . 242 . . . 242 . . . 242

. . . 242 . . . .

. . . .

. . . .

Schlaganfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243 243 244 244

247

Joachim Liepert 24.1 24.1.1

Prognose-Abschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelreiz-Stimulation der ipsiläsionellen Hemisphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.1.2 Einzelreiz-Stimulation der kontraläsionellen Hemisphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.1.3 Doppelreiz-Protokolle: Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen . . . . . . . . 24.2 Untersuchungen zur Pathophysiologie mittels TMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.2.1 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen . . . . . . . . . . . . . . . 24.2.2 Kortikale Innervationsstille. . . . . . . . . . . . . . 24.2.3 MEP-Intensitätskurven . . . . . . . . . . . . . . . . 24.2.4 MEP-Mapping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.2.5 Interhemisphärische Hemmung . . . . . . . . . . 24.2.6 Virtuelle Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.3 Therapieinduzierte Änderungen der Erregbarkeit des motorischen Kortex . . . . . . . 24.3.1 MEP-Mapping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.3.2 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen . . . . . . . . . . . . . . . 24.4 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

248 248 248 249 249 249 250 250 250 251 252 252 252 252 253 254

25

Myelopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Sven Schippling 25.1 25.2 25.2.1 25.2.2 25.3 25.3.1 25.3.2 25.4

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . MEP-Kennwerte bei Myelopathien . . . . . . . . Peripher- und zentralmotorische Leitungszeit MEP-Amplitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Myelopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompressive zervikale Myelopathie . . . . . . . Andere Myelopathien . . . . . . . . . . . . . . . . Praktisches Vorgehen und therapeutische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

. . . . . . .

256 256 256 256 257 257 258

. 258 . 259 . 260

Epilepsien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261

Janine Reis, Hajo M. Hamer, Felix Rosenow 26.1 26.2

Pathophysiologie der Epilepsien . . . . . . . . . . Durch TMS bestimmbare Kennwerte kortikaler Erregbarkeit in der Epileptologie . . . . . . . . . . 26.3 TMS-Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei generalisierten Epilepsien . . . . . . . . . . . . . . 26.3.1 Motorische Reizschwellen . . . . . . . . . . . . . . 26.3.2 MEP-Amplitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.3.3 MEP bei konditionierender aﬀerenter Stimulation peripherer Nerven . . . . . . . . . . . 26.3.4 Interhemisphärische Inhibition . . . . . . . . . . . 26.3.5 Kortikale Innervationsstille . . . . . . . . . . . . . 26.3.6 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.3.7 Intrakortikale Bahnung und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen. . . . . . . . . . . 26.4 TMS Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei fokalen Epilepsien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.4.1 Motorische Reizschwellen . . . . . . . . . . . . . . 26.4.2 MEP-Amplitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.4.3 MEP bei konditionierender aﬀerenter Stimulation peripherer Nerven . . . . . . . . . . . 26.4.4 Interhemisphärische Inhibition . . . . . . . . . . . 26.4.5 Kortikale Innervationsstille. . . . . . . . . . . . . . 26.4.6 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.4.7 Intrakortikale Bahnung und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen . . . . . . . . . . 26.5 Einﬂussfaktoren und praktische Hinweise . . . . 26.6 Sicherheitsaspekte bei Epilepsiepatienten . . . . 26.7 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Bewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . .

262 262 262 262 263 263 263 263

265 265 266 266 266 267 267 267

268 269 269 269 270 271

273

Alexander Wolters 27.1 27.2 27.2.1 27.2.2 27.3 27.3.1

Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Parkinson . . . . . . . . . . . . . . . Erregbarkeit des motorischen Kortex . . . Konnektivität des motorischen Kortex . . Parkinson-Syndrome . . . . . . . . . . . . . Parkinson-Syndrom mit Parkin-Mutation .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

274 274 274 275 275 275

XII

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Inhaltsverzeichnis

27.3.2 27.4 27.4.1

Atypische Parkinson-Syndrome. . . . . . . . . . . Dystonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erregbarkeit und Konnektivität des motorischen Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.4.2 Sensomotorische Integration . . . . . . . . . . . . 27.4.3 Stimulations-induzierte Plastizität . . . . . . . . . 27.5 Hyperkinetische Syndrome . . . . . . . . . . . . . 27.5.1 Huntington-Chorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.5.2 Essenzieller Tremor und Parkinson-Tremor. . . . 27.5.3 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom . . . . . . . . . . . 27.5.4 Myoklonus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.6 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275 276

28

281

Zerebelläre Erkrankungen . . . . . . . . . .

276 277 277 277 277 278 278 278 278 279

Karl Wessel 28.1 28.2

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderungen der zentralmotorischen Leitungszeit bei spinozerebellären Atrophien (SCA). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.2.1 SCA 1 und Friedreich-Ataxie . . . . . . . . . . . . 28.2.2 SCA 2, 3, 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.3 Änderung der Erregbarkeit des motorischen Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.3.1 Kortikale Innervationsstille. . . . . . . . . . . . . 28.3.2 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.4 Zerebelläre Konditionierung eines Test-MEP über dem kontralateralen Motorkortex . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

. 282

V Charakterisierung von Hirnfunktionen – Methoden 31

. 283 . 283

. 283 . 285 . 285

Migräne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287

31.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Prinzip der Funktionsunterbrechung . . . . . . 31.3 Eﬀektive Stimulation des Zielareals . . . . . . . 31.4 Läsionsmodus : Einzelreizung versus Reizserie 31.5 Speziﬁtät der TMS-induzierten Läsionseﬀekte. 31.6 Prolongierte Läsionseﬀekte nach rTMS . . . . . 31.7 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Pathophysiologische Konzepte der Migräne. . Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migräne Erregbarkeit des motorischen Kortex bei Migräne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.5 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

. 288 . 288 . . . .

Psychiatrische Erkrankungen. . . . . . . . .

290 293 293 294

297

Malek Bajbouj 30.1 Depressionen . . . . . . . . . . . 30.1.1 Neurobiologische Grundlagen 30.1.2 TMS-Befunde . . . . . . . . . . . 30.2 Schizophrenien . . . . . . . . . . 30.2.1 Neurobiologische Grundlagen 30.2.2 TMS-Befunde . . . . . . . . . . . 30.3 Demenz vom Alzheimer-Typ. . 30.3.1 Neurobiologische Grundlagen 30.3.2 TMS-Befunde . . . . . . . . . . . 30.4 Zwangsstörungen . . . . . . . . 30.4.1 Neurobiologische Grundlagen 30.4.2 TMS-Befunde . . . . . . . . . . . 30.5 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

298 298 298 299 299 299 300 300 300 301 301 301 302 303

. . . . . . . .

Neuronavigation der transkraniellen Magnetstimulation . . . . . . . . . . . . . . .

308 308 310 311 312 313 314 315

317

Uwe Herwig, Carlos Schönfeldt-Lecuona 32.1 32.1.1 32.1.2

Positionierungsstrategien . . . . . . . . Konventionelle Methoden . . . . . . . . Bildgebungsgestützte Nicht-EchtzeitPositionierung . . . . . . . . . . . . . . . 32.1.3 Neuronavigation der Spule in Echtzeit 32.2 Stereotaktische Spulenpositionierung 32.2.1 Komponenten. . . . . . . . . . . . . . . . 32.2.2 Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . 32.2.3 Vorteile und Grenzen . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Michael Siniatchkin, Thorsten Bartsch 29.1 29.2 29.3

307

Boris Hagen Schlaak, Alvaro Pascual-Leone, Hartwig Roman Siebner

32 . 282 . 282 . 282

Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation . .

. . . . . . 318 . . . . . . 318 . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

318 318 319 319 320 321 321

Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Mathias Wahl, Günther Heide, Ulf Ziemann

33.1 33.1.1 33.1.2

Intrakortikale und kortikospinale Erregbarkeit . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erregbarkeitsänderungen vor, während und nach einer Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.1.3 Erregbarkeitsänderungen bei Beendigung und Unterdrückung einer Bewegung . . . . . . . . . . 33.1.4 Erregbarkeitsänderungen bei Vorstellung und Beobachtung einer Bewegung . . . . . . . . . . . 33.1.5 Die ermüdende Kontraktion . . . . . . . . . . . . 33.2 Kortikokortikale Konnektivität . . . . . . . . . . . 33.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.2.2 Interhemisphärische Konnektivität zwischen den primären motorischen Handarealen . . . . . 33.2.3 Interhemisphärische Konnektivität zwischen dem dorsalen prämotorischen und dem primär motorischem Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.3 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

324 324 324 325 326 326 327 327 328

330 331 331

XIII

Inhaltsverzeichnis

34

Neuropharmakologie . . . . . . . . . . . . .

333

Ulf Ziemann 34.1 34.2

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beeinﬂussung kortikaler Erregbarkeit durch Neuropharmaka mit bekanntem Wirkmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.1 Motorische Reizschwelle . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.2 Amplitude des motorisch evozierten Potenzials (MEP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.3 Kontralaterale kortikale Innervationsstille . . . . 34.2.4 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.5 Intrakortikale Bahnung . . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.6 Intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.7 Intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.8 Aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.9 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.2.10 Kortikale Erregbarkeitsänderungen als biologischer Marker neuropharmakologischer Eﬀekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.3 Charakterisierung des Wirkmechanismus von Neuropharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.4 Kortikale Erregbarkeitsänderungen unter chronischer Gabe eines Neuropharmakons . . . 34.5 Neuropharmakologische Modulation kortikaler Plastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.5.1 Stimulationsinduzierte Plastizität. . . . . . . . . . 34.5.2 Übungsabhängige Plastizität . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Transkranielle Magnetstimulation und Elektroenzephalograﬁe . . . . . . . . . . . .

334

334 334 334 336 337 337 337 338 338 338

339

Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . TMS und PET bei neuropsychiatrischen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle MRT im Anschluss an die rTMS . . . Funktionelle MRT während der TMS . . . . . . . . Methodische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbeispiele für die TMS während der funktionellen MRT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.4.1 Physiologische Auswirkungen von transkraniellen Einzelreizen oder kurzen Reizserien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.4.2 Darstellung intrakortikaler Konnektivität . . . . 37.4.3 Klinische und neuropharmakologische Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.5 Vergleich mit anderen bildgebenden Verfahren 37.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

36.3 36.3.1 36.3.2 36.4 36.4.1

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitliche und räumliche Auﬂösung der PET . . . Interaktion zwischen TMS und PET. . . . . . . . . Methoden zur Spulenpositionierung über dem kortikalen Zielareal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . PET-Messungen während der TMS . . . . . . . . . Allgemeine Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PET-Messungen im Anschluss an die TMS . . . . Allgemeine Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367 368 368 369 369 371

371 371 372 373 373 374

Transkranielle Magnetstimulation und tiefe Hirnstimulation . . . . . . . . . . . . . .

377

Andrea A. Kühn 341 341 342 342

345

346 349 352 352

38.1 38.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherheitsaspekte zur TMS bei Patienten mit Hirnschrittmacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.3 Studien zur Kortex-Basalganglien-Interaktion. . 38.3.1 Einﬂuss der kontinuierlichen Hochfrequenzstimulation auf die motorkortikale Erregbarkeit 38.3.2 Kortikal und peripher induzierte Eﬀekte der Einzelreizstimulation über die implantierten Stimulationselektroden . . . . . . . . . . . . . . . . 38.3.3 Eﬀekte der transkraniellen Kortexstimulation auf die neuronale Aktivität in den Basalganglien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tierexperimentelle Untersuchungen. . . .

378 378 379 379

381

382 383

385

Klaus Funke

355

Martin Peller, Hartwig Roman Siebner 36.1 36.2 36.2.1 36.2.2 36.2.3

Transkranielle Magnetstimulation und funktionelle Magnetresonanztomograﬁe

37.1 37.2 37.3 37.3.1 37.4

39 Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . 363 . . . . . 364 . . . . . 365

Jürgen Baudewig, Sven Bestmann

340

35.1

36

. . . . . 361

339

Reto Huber Zeitlich getrennte Durchführung von TMS und EEG/MEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.2 Simultane Durchführung des EEG während der TMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.3 Vor- und Nachteile des TMS-EEG-Ansatzes . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36.4.2 36.5

356 356 356 356 357 357 357 359 360 360

39.1 39.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Einzelzellableitungen im visuellen Kortex der Katze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 39.3 Verhaltensexperimente zur antidepressiven Wirkung der rTMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 39.3.1 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 39.4 Einﬂuss der rTMS auf Lernen und Gedächtnis . . 390 39.5 Neurotransmitterfreisetzung, Rezeptordynamik und Genexpression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 39.5.1 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 39.6 Sicherheitsaspekte der rTMS – Neurodegeneration und Neuroprotektion . . . 392 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392

XIV

1

4 5 6 7 8 9 10

40

Aufgabenabhängige Modulation der kortikomotorischen Exzitabilität . . . . . . . . . . . . . . . 40.1.1 Bewegungsbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . 40.1.2 Bewegungsvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 40.1.3 Bewegungsauswahl und Bewegungsinitiierung 40.1.4 Bewegungsausführung . . . . . . . . . . . . . . . . 40.2 Kartierung kortikomotorischer Repräsentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.2.1 Praktische Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . 40.2.2 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.3 Kontextabhängige Konnektivität . . . . . . . . . 40.4 Passagere Funktionsunterbrechung . . . . . . . . 40.4.1 Bewegungsauswahl im dorsalen prämotorischen Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . 40.4.2 Greiﬀunktion und visuomotorische Integration im Parietallappen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.4.3 Funktionsunterbrechung im supplementären motorischen Areal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.5 Konditionierung mit der rTMS. . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

16 17 18

398 398 399 400 400 400 401 402 403 404 404 406 406 407 409

Charakterisierung trainingsinduzierter Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.4.1 Einzelpuls-TMS: Lernbedingte Änderungen der kortikospinalen Erregbarkeit . . . . . . . . . 42.4.2 Doppelpuls-TMS: Lernbedingte Änderungen der intrakortikalen Erregbarkeit. . . . . . . . . . 42.5 Motorische Rehabilitation nach Schlaganfall . 42.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

Okulomotorik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsunterbrechung während einer Augenbewegungsaufgabe bei gesunden Probanden 41.2.1 Kartierungsexperimente zur Lokalisation okulomotorischer Funktionen. . . . . . . . . . . . 41.2.2 Chronometrie von relevanten Funktionen einer okulomotorischen Region . . . . . . . . . . . . . . 41.2.3 Funktionsunterbrechung mit Doppelpulsen und kurzen Reizserien . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.3 Konditionierende rTMS bei gesunden Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.4 Interferenz während einer Augenbewegungsaufgabe bei Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.5 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Neurowissenschaftliche Fragestellungen. Funktionsfördernde Eﬀekte der TMS. . . . Stimulation während oder kurz vor der Durchführung einer Sprachaufgabe . . . . 43.2.2 Längeranhaltende Förderung von Spachfunktionen mit der rTMS . . . . . . . 43.3 Funktionshemmende TMS-Eﬀekte . . . . . 43.3.1 Stimulation während oder kurz vor der Durchführung einer Sprachaufgabe . . . . 43.3.2 Längeranhaltende Störung von Spachfunktionen mit der rTMS . . . . . . . 43.4 TMS zur Bestimmung der funktionellen Interaktion von Gehirnregionen . . . . . . 43.5 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

Motorisches Lernen. . . . . . . . . . . . . . .

19

42.2

20

42.2.1 42.2.2 42.3

Motorisches Lernen und TMS – eine Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . Konditionierende Eﬀekte einer rTMS auf motorische Lernprozesse . . . . . . . . . . . Niederfrequente rTMS. . . . . . . . . . . . . Hochfrequente rTMS. . . . . . . . . . . . . . Akute Funktionsunterbrechung während motorischer Lernaufgaben. . . . . . . . . .

. . . . 435 . . . . 435 . . . . 436 . . . . 437

Somatosensorik . . . . . . . . . . . . . . . . .

415 415

439

Hubert R. Dinse, Patrick Ragert, Martin Tegenthoﬀ 44.1 44.2 44.3

Susan Koeneke, Lutz Jäncke 42.1

. . . . 433

45

414

429

. . . . 433 . . . . 433

421

413

426 426 427 427

. . . . 432

415 417 418

413

. . . .

. . . . 430 . . . . 432

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spulenpositionierung . . . . . . . . . . . . . . . . Akute Störung der somatosensorischen Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.3.1 Intramodale Reizverarbeitung . . . . . . . . . . 44.3.2 Transmodale Reizverarbeitung . . . . . . . . . . 44.4 Anhaltende Beeinﬂussung der somatosensorischen Wahrnehmung . . . . . . 44.4.1 Frequenzabhängige Konditionierungseﬀekte der regelmäßigen rTMS . . . . . . . . . . . . . . . 44.4.2 Weitere transkranielle Konditionierungsprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.5 Transkranielle Modulation von sensorischen Lernprozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.6 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

412

. 425

Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43.1 43.2 43.2.1

411

Thomas Nyﬀeler, René M. Müri

. 425

Caterina Breitenstein, Stefan Knecht

44

41.1 41.2

15

397

Michael Martin Weiss, Hartwig Roman Siebner

11

14

Handmotorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40.1

41

13

42.4

VI Charakterisierung von Hirnfunktionen – Funktionelle Systeme

2 3

Inhaltsverzeichnis

. 440 . 440 . 440 . 440 . 441 . 441 . 441 . 444 . 444 . 445 . 446

Visuelle Verarbeitung . . . . . . . . . . . . .

449

Til Ole Bergmann, Hartwig Roman Siebner . . . . 422 . . . . 422 . . . . 423 . . . . 424 . . . . 424

45.1 45.2 45.3 45.3.1 45.3.2 45.4

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mentale Chronometrie des primären visuellen Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Visuelle Verarbeitung in höheren visuellen Arealen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegungswahrnehmung. . . . . . . . . . . . . . Objekterkennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Interaktionen zwischen visuellen Arealen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

450 450 450 450 451 452

XV

Inhaltsverzeichnis

45.4.1 45.4.2

Wechselwirkungen zwischen Areal V1 und V5 Einﬂuss des frontalen Augenfelds auf okzipitale visuelle Areale . . . . . . . . . . . . . . 45.5 Multimodale Wahrnehmung. . . . . . . . . . . . 45.6 Visuelle Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 45.7 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

. 452 . . . . .

453 454 454 455 457

459

Claus C. Hilgetag 46.1 46.2

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsatzmöglichkeiten der TMS zur Aufklärung von Aufmerksamkeitsprozessen . . . . . . . . . . 46.2.1 Lokalisierung involvierter Hirnregionen . . . . . 46.2.2 Funktionelle Spezialisierung einzelner Hirnregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.2.3 Funktionelle Lateralisierung von Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.2.4 Chronometrie von Aufmerksamkeitsprozessen 46.2.5 Interaktionen zwischen Regionen des Aufmerksamkeitsnetzwerks . . . . . . . . . . . . . 46.3 Untersuchung von Aufmerksamkeitsprozessen an gesunden Probanden . . . . . . . . . . . . . . . 46.3.1 Akute Funktionsunterbrechung während einer Aufmerksamkeitsaufgabe. . . . . . . . . . . 46.3.2 Länger anhaltende Modulation von Aufmerksamkeitsprozessen . . . . . . . . . . . . . 46.4 Untersuchung von Aufmerksamkeitsleistungen an Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.5 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

464

47

469

Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

460 460 460

48

. . . . . .

. . . . . .

462 463

. . . . . .

464 465 465 466 466

470 470 471 471 472 474

. . . 474 . . . 475 . . . 475

Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Aspekte . . . . . . . . . . . . Änderungen der kortikomotorischen Erregbarkeit im Schlaf bei Gesunden . . 48.4 TMS bei schlafbezogenen zerebralen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 48.5 Andere experimentelle Anwendungen . 48.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49.1 49.2

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung der rTMS auf die normale Aﬀektlage bei Gesunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49.2.1 Untersuchungen mit Selbstbeurteilungsskalen 49.2.2 Untersuchungen mit neurophysiologischen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49.2.3 Neuropsychologische Untersuchungen mit emotional-kognitiven Paradigmen. . . . . . . . . 49.3 Wirkung der rTMS auf induzierte Emotionen bei gesunden Probanden. . . . . . . . . . . . . . . 49.4 Methodische Beschränkungen . . . . . . . . . . . 49.5 Diskussion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

477

. . . . . 478 . . . . . 480

50

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eﬀekte der rTMS auf die kortikale Erregbarkeit im motorischen System . . . . . . . . . . . . . . . 50.2.1 Bahnung und Hemmung der kortikalen Erregbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50.2.2 Einﬂuss von Pulskonﬁguration und Gerätetechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50.2.3 Eﬀekte auf die kortikale Erregbarkeit in entfernten Hirnregionen . . . . . . . . . . . . . . 50.3 Konditionierende Eﬀekte der rTMS auf Systemebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50.4 Neue Stimulationsprotokolle . . . . . . . . . . . 50.4.1 Repetitive Doppelpulsstimulation . . . . . . . . 50.4.2 Salvenartige rTMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50.4.3 Paarig-assoziative rTMS . . . . . . . . . . . . . . . 50.5 Einﬂuss neurobiologischer Faktoren . . . . . . . 50.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

. . . .

. . . .

492 493 494 494 494 495

483 485 485 486

499

Gepaarte assoziative Stimulation . . . . . .

. 500 . 501 . 501 . 503 . 503 . . . . . . . .

503 504 504 505 507 508 509 509

513

Ulf Ziemann 51.1 51.2 51.2.1 51.2.2

51.2.4 . . . .

Repetitive transkranielle Magnetstimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50.1 50.2

51.2.3

. . . .

489 489

Nicolas Lang, Hartwig Roman Siebner

. . . . . 481 . . . .

488

VII Induktion von Plastizität – Methoden

464

Farid Salih, Pascal Grosse 48.1 48.2 48.3

487

462

Felix M. Mottaghy, Roland Sparing Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sensorisches Ultrakurzzeitgedächtnis . . . Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . Verbales Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . Visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis . . . . Langzeitgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchung von Gedächtnisfunktionen bei Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47.6 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicola Großheinrich, Kristina Fast, Frank Padberg

Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

47.1 47.2 47.3 47.3.1 47.3.2 47.4 47.5

49

51.3 51.3.1

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTP-ähnlicher Plastizität . . . . . . . . . 514 Reizprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Physiologische Eigenschaften von PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität . . . . . 515 Funktionelle Relevanz PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Klinische Relevanz PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität. . . . . . . . . . . . . . . . 518 Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTD-ähnlicher Plastizität. . . . . . . . . 519 Reizprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

XVI

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

51.3.2

Physiologische Eigenschaften PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität . . . . . . . . . . . . . . . 519 51.3.3 Funktionelle Relevanz PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität . . . . . . . . . . . . . . . 520 51.3.4 Klinische Relevanz PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 51.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

52

18 19 20

Übungsabhängiges motorisches Lernen .

523

54.4.3

Homöostatische Plastizität zwischen übungsabhängiger Plastizität und nachfolgender stimulationsinduzierter Plastizität . . . . . . . . . 549 54.5 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550

VIII Modulation von Hirnfunktionen – Therapeutische Ansätze

Cathrin Büteﬁsch 52.1 52.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakterisierung motorischer Lernvorgänge mit der TMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.2.1 Einﬂuss motorischen Lernens auf die transkraniell ausgelöste Bewegung . . . . . . . 52.2.2 Einﬂuss motorischen Lernens auf die kortikomotorische Erregbarkeit. . . . . . . . . . 52.2.3 Einﬂuss motorischen Lernens auf die intrakortikale Doppelpulserregbarkeit . . . . . 52.3 Neuropharmakologische Beeinﬂussung des motorischen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . 52.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

. 524

. 524 . 526 . 526 . 527 . 529 . 530

Transkranielle Gleichstromstimulation . .

53.1 53.2 53.3 53.4

Technische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . Praktische Durchführung . . . . . . . . . . . . Neurobiologischer Wirkungsmechanismus Auswirkungen auf motorische und visuelle Hirnfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53.5 Klinische Eﬀekte . . . . . . . . . . . . . . . . . 53.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

54

. . . 534 . . . 536 . . . 537 . . . .

. . . .

. . . .

Metaplastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . .

539 540 540 541

543

Ulf Ziemann, Hartwig Roman Siebner 54.1 54.2 54.2.1 54.2.2

54.3.1 54.3.2 54.4 54.4.1 54.4.2

55

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modulation von Plastizität durch Disinhibition Modulation stimulationsinduzierter Plastizität durch Disinhibition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modulation übungsabhängiger Plastizität durch Disinhibition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modulation von Plastizität durch neuromodulierende Medikamente . . . . . . . . Modulation stimulationsinduzierter Plastizität durch neuromodulierende Medikamente . . . . Modulation übungsabhängiger Plastizität durch neuromodulierende Medikamente . . . . Homöostatische Metaplastizität . . . . . . . . . . Homöostatische Metaplastizität stimulationsinduzierter Plastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . Homöostatische Metaplastizität zwischen stimulationsinduzierter Plastizität und nachfolgender übungsabhängiger Plastizität . .

544 545 545 546 546 546 547 547 547

549

Transkranielle Kortexstimulation . . . . . .

555

Ahmed A. Karim, Niels Birbaumer, Hartwig Roman Siebner

. 524

Michael A. Nitsche, Walter Paulus

54.3

17

Inhaltsverzeichnis

55.1 55.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Messung der kortikalen Erregbarkeit mit der TMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55.3 Neuromodulatorische Eﬀekte der transkraniellen Kortexstimulation . . . . . . . . . 55.3.1 Lokale Eﬀekte auf den stimulierten Kortex . . . . 55.3.2 Netzwerkeﬀekte im stimulierten neuronalen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55.4 Konzepte zur therapeutischen Wirkung der transkraniellen Kortexstimulation . . . . . . . . . 55.4.1 Normalisierung des regionalen Erregbarkeitsoder Aktivitätsniveaus. . . . . . . . . . . . . . . . . 55.4.2 Neuromodulation funktionell intakter Hirnareale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55.5 Methodische Aspekte der therapeutischen transkraniellen Neurostimulation . . . . . . . . . 55.5.1 Placebostimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55.5.2 Bestimmung der optimalen Stimulationsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55.5.3 Bedeutung des Funktionszustandes des Kortex 55.6 Strategien zur Optimierung der therapeutischen Eﬃzienz. . . . . . . . . . . . . . . 55.6.1 Optimierung der Kortexstimulation . . . . . . . . 55.6.2 Manipulation der kortikalen Aktivität während der Kortexstimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . 55.7 Schlussfolgerung und Ausblick . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

Schlaganfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

556 556 556 556 557 559 559 560 561 561 561 562 563 563 563 564 565

567

Agnes Flöel, Friedhelm Hummel, Christian Gerloﬀ 56.1 TMS und kortikale Erregbarkeit . 56.2 Therapiestudien . . . . . . . . . . 56.2.1 Motorisches System . . . . . . . . 56.2.2 Aphasie . . . . . . . . . . . . . . . . 56.2.3 Neglekt und Extinktion . . . . . . 56.2.4 Depression nach Schlaganfall . . 56.3 Zusammenfassung. . . . . . . . . 56.4 Ausblick/oﬀene Fragen . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

568 569 569 572 573 574 574 574 575

XVII

Inhaltsverzeichnis

57

Epilepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

577

Frithjof Tergau, Konrad J. Werhahn 57.1 rTMS bei Epilepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . 57.1.1 Allgemeine Vorbemerkungen . . . . . . . . . . 57.1.2 Pathophysiologische Konzepte . . . . . . . . . 57.1.3 Therapeutische rTMS-Studien bei Epilepsien 57.1.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

578 578 578 578 581 582

61.5.5

Vergleich mit der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.6 Magnetkonvulsionstherapie (MKT) . . . . . . . 61.7 Sicherheit der rTMS . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.8 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

. . . . .

Andere psychiatrische Erkrankungen . . .

615 617 618 618 618

621

Peter Eichhammer, Göran Hajak

58

Bewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . .

583

Martin Sommer, Hartwig Roman Siebner 58.1 58.2 58.2.1 58.2.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Parkinson . . . . . . . . . . . Pathophysiologischer Hintergrund Klinische Eﬀekte einer einmaligen rTMS-Anwendung . . . . . . . . . . . 58.2.3 Kumulative Eﬀekte wiederholter rTMS-Anwendungen . . . . . . . . . 58.3 Andere Bewegungsstörungen . . . 58.4 Oﬀene Fragen . . . . . . . . . . . . . . 58.5 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

. . . . . . . . 584 . . . . . . . . 584 . . . . . . . . 584 . . . . . . . . 585 . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

Tinnitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

587 588 589 590 590

593

Christian Plewnia, Christian Gerloﬀ 59.1 Pathophysiologische Grundlagen 59.2 Funktionelle Topograﬁe. . . . . . . 59.3 Experimentelle Therapie . . . . . . 59.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

594 594 595 597 597

599

Peter Schwenkreis, Burkhard Pleger, Martin Tegenthoﬀ 60.1 Pathophysiologisches Konzept . . . 60.2 TMS und experimenteller Schmerz. 60.3 TMS und chronischer Schmerz . . . 60.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

Depressive Erkrankungen. . . . . . . . . . .

600 601 601 605 606

609

Frank Padberg, Nicola Großheinrich, Thomas E. Schläpfer 61.1 61.2 61.3 61.4 61.5 61.5.1 61.5.2 61.5.3 61.5.4

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen der funktionellen Neuroanatomie Wirkung auf dopaminerge und serotonerge Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antidepressive Wirksamkeit der rTMS . . . . . . Speziﬁsche Anwendungen bei depressiven Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinationsbehandlung mit rTMS in der Primärtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rTMS bei therapieresistenten Depressionen . . . rTMS bei bipolaren Erkrankungen . . . . . . . . . rTMS bei anderen depressiven Syndromen . . .

610 610 611 612 612 612 614 615 615

62.1 Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.1.1 Klinik und Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . 62.1.2 rTMS bei Schizophrenie – Positivsymptomatik . 62.1.3 rTMS bei Schizophrenie – Negativsymptomatik 62.2 Angststörungen – Panikstörung . . . . . . . . . . 62.2.1 Klinik und Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . 62.2.2 rTMS bei Panikstörung . . . . . . . . . . . . . . . . 62.3 Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) . . 62.3.1 Klinik und Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . 62.3.2 rTMS bei posttraumatischer Belastungsstörung 62.4 Zwangsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.4.1 Klinik und Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . 62.4.2 rTMS bei Zwangsstörung . . . . . . . . . . . . . . . 62.5 Craving . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.5.1 Klinik und Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . 62.5.2 rTMS bei Craving . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

622 622 622 625 625 625 625 626 626 626 627 627 628 629 629 629 629

Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

631

Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

637

XIX

Autorenverzeichnis Awiszus, Friedemann, Prof. Dr.

Bischoﬀ, Christian, Prof. Dr.

Orthopädische Universitätsklinik, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg E-Mail: [email protected]

Neurologische Gemeinschaftspraxis, Burgstraße 7, 80331 München E-Mail: bischoﬀ@profbischoﬀ.de

Brandt, Stephan A., Priv.-Doz. Dr. Bajbouj, Malek, Prof. Dr. Klinik und Hochambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité, Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Eschenallee 3, 14050 Berlin E-Mail: [email protected]

Bartsch, Thorsten, Dr. Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,Campus Kiel, Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Baudewig, Jürgen, Dr. MR-Forschung in der Neurologie und Psychiatrie, Bereich Humanmedizin, Universität Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen E-Mail: [email protected]

Bäumer, Tobias, Dr. Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, 20246 Hamburg E-Mail: [email protected]

Klinik und Poliklinik für Neurologie, Charité, Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin E-Mail: [email protected]

Breitenstein, Caterina, Dr. Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweitzer-Straße. 33, 48129 Münster E-Mail: [email protected]

Brocke, Jan, Dr. Klinik und Poliklinik für Neurologie, Charité, Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin E-Mail: [email protected]

Brodbeck, Verena, Dr. Laboratoire de Cartographie des Fonctions Cérébrales, Prof. Christoph Michel Clinique de Neurologie, Hôpital Cantonal Universitaire24, rue Micheli-du-Crest, CH-1211 Genève, Schweiz E-Mail: [email protected]

Büteﬁsch, Cathrin, Priv.-Doz. Dr. Benecke, Reiner, Prof. Dr. Klinik für Neurologie und Poliklinik, Universität Rostock, Gehlsheimer Straße 2, 18147Rostock E-Mail: [email protected]

Department of Neurology West Virginina, University School of Medicine, One Medical Center Drive, PO Box 9180, Health Sciences Center Morgantown, WV 26506-9180, USA E-Mail: cbueteﬁ[email protected]

Bergmann, Til Ole Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel, E-Mail: [email protected]

Claus, Detlef, Prof. Dr. Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie, Heidelberger Landstraße 379, 64297 Darmstadt E-Mail: [email protected]; [email protected]

Bestmann, Sven, Dr. Wellcome Dept. of Imaging Neuroscience, University College London, 12 Queen Square, London WC1N 3BG, United Kingdom E-Mail: s.bestmann@ﬁl.ion.ucl.ac.uk

Birbaumer, Niels, Prof. Dr. Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensbiologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Gartenstraße 29, 72074 Tübingen E-Mail: [email protected]

Dengler, Reinhard, Prof. Dr. Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover E-Mail: [email protected]

XX

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Autorenverzeichnis

Dinse, Hubert, Prof. Dr.

Hajak, Göran, Prof. Dr.

Institut für Neuroinformatik, Ruhr-Universität-Bochum, Universitätsstr. 150, 44780 Bochum E-Mail: [email protected]

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universität Regensburg, Universitätsstr. 84, 93053 Regensburg E-Mail: [email protected]

Hamer, Hajo, Priv.-Doz. Dr. Eichhammer, Peter, Priv.-Doz. Dr. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universität Regensburg, Universitätsstr. 84, 93053 Regensburg E-Mail: [email protected]

Interdisziplinäres Epilepsiezentrum, Klinik für Neurologie, Philipps-Universität Marburg, Rudolf-Bultmann-Straße 8, 35039 Magdeburg E-Mail: hamer@staﬀ.uni-marburg.de

Heide, Guenther, Dr. Feistner, Helmut, Prof. Dr. Klinik für Neurologie II, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg E-Mail: [email protected]

Klinik für Neurologie, Friedrich-Schiller-Universität, Erlanger Allee 101, 07740 Jena E-Mail: [email protected]

Heinen, Florian, Prof. Dr. Ferbert, Andreas, Prof. Dr. Neurologische Abt., Klinikum Kassel GmbH, Mönchebergstr. 41–43, 34125 Kassel E-Mail: [email protected]

v. Hauner´sches Kinderspital, Klinik der Universität München, Lindwurmstraße 2, 80337 München E-Mail: ﬂ[email protected]

Herwig, Uwe, Dr. Flöel, Agnes, Dr. Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweitzer-Straße. 33, 48129 Münster E-Mail: ﬂ[email protected]

Funke, Klaus, Prof. Dr. Institut für Physiologie, Abt. für Neurophysiologie, Ruhr-Universität-Bochum, Universitätsstr. 150, 44780 Bochum E-Mail: [email protected]

Gerloﬀ, Christian, Prof. Dr. Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, 20246 Hamburg E-Mail: gerloﬀ@uke.uni-hamburg.de

Grosse, Pascal, Dr. Neurologische Poliklinik, Charité, Universitätsmedizin, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected]

Großheinrich, Nicola Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität, Nussbaumstraße 7, 80336 München E-Mail: [email protected]

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Minervastr. 145, 8032 Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected]

Hess, Christian, Prof. Dr. Klinik und Poliklinik für Neurologie, Inselspital, CH-3010 Bern, Schweiz E-Mail: [email protected]

Hilgetag, Claus, Prof. Dr. Internationale Universität Bremen, Campus Ring 6, 28759 Bremen E-Mail: [email protected]

Huber, Reto, Prof. Dr. Kinderspital Zürich, Universitäts-Kinderklinik, Steinwiesstraße 75, 8032 Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected]; rhuber@facstaﬀ.wisc.edu

Hummel, Friedhelm, Dr. Neurologische Universitätsklinik, Allgemeine Neurologie, Hoppe-Seyler-Straße 3, 72076 Tübingen E-Mail: [email protected]

Irlbacher, Kerstin, Dr. Klinik für Neurologie Charité, Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin E-Mail: [email protected]

XXI

Autorenverzeichnis

Jäncke, Lutz, Prof. Dr.

Liepert, Joachim, Prof. Dr.

Psychologisches Institut, Neuropsychologie, Universität Zürich, Treichlerstraße 10, CH-8032 Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected]

Neurorehabilitation Kliniken Schmieder, Zum Tafelholz 8, 78476 Allensbach E-Mail: [email protected]

Mottaghy, Felix, Prof. Dr. Jung, Patrick, Dr. Klinik für Neurologie, Klinikum der JW Goethe-Universität Frankfurt, Schleusenweg 2–16, 60528 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected]

Department of Nuclear Medicine, University Hospital KU Leuven, Herestraat 49, B-3000 Leuven, Belgium E-Mail: [email protected]

Müller, Florian, Dr. Kaelin-Lang, Alain, Dr. Klinik und Poliklinik für Neurologie, Inselspital, CH-3010 Bern, Schweiz E-Mail: [email protected]

Klinik für Neurologie, Klinikum der JW Goethe-Universität Frankfurt, Schleusenweg 2–16, 60528 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected]

Münchau, Alexander, Priv.-Doz. Dr. Kammer, Thomas, Dr. Psychiatrische Klinik, Universitätsklinikum Ulm, Leimgrubenweg 12–14, 89075 Ulm E-Mail: [email protected]

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, 20246 Hamburg E-Mail: [email protected]

Müri, Rene, Prof. Dr. Karim, Ahmed, Dr. Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensbiologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Gartenstraße 29, 72074 Tübingen E-Mail: [email protected]

Neuropsychologische Rehabilitation, Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik, Inselspital, CH-3010 Bern, Schweiz E-Mail: [email protected] 41

Knecht, Stefan, Prof. Dr.

Nitsche, Michael, Dr.

Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweitzer-Straße. 33, 48129 Münster E-Mail: [email protected]

Abt. für Klinische Neurophysiologie, Universität Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen E-Mail: [email protected]

Koeneke, Susan, Dr.

Nyﬀeler, Thomas, Dr.

Psychologisches Institut, Neuropsychologie, Universität Zürich, Treichlerstraße 10, CH-8032 Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected]

Neuropsychologische Rehabilitation, Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik, Inselspital, CH-3010 Bern, Schweiz E-Mail: thomas.nyﬀ[email protected]

Krampﬂ, Klaus, Priv.-Doz. Dr. Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover E-Mail: krampﬂ[email protected]

Orth, Michael, Dr. Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, 20246 Hamburg E-Mail: [email protected]

Kühn, Andrea, Dr. Sobell Department Institute of Neurology, 11 Queen Square, London WC1N 3BG, United Kingdom E-Mail: [email protected]

Lang, Nicolas, Dr. Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Padberg, Frank, Priv.-Doz. Dr. Klinik für Psychiatrie, Ludwig-Maximilians-Universität, Nussbaumstr. 7, 80336 München E-Mail: [email protected]

XXII

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Autorenverzeichnis

Pascual-Leone, Alvaro, Prof. Dr.

Rösler, Kai, Prof. Dr.

Department of Neurology, Beth Israel Hospital, Harvard Medical School, 330 Brookline Ave, Boston, MA 02215, USA E-Mail: [email protected]

Klinik und Poliklinik für Neurologie, Inselspital, CH-3010 Bern, Schweiz E-Mail: [email protected]

Salih, Farid, Dr. Paulus, Walter, Prof. Dr. Abt. für Klinische Neurophysiologie, Universitätsklinik Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen E-Mail: [email protected]

Neurologische Poliklinik, Charité, Universitätsmedizin, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected]

Schippling, Sven, Dr. Peller, Martin, Dr. Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, 20246 Hamburg E-Mail: [email protected]

Schlaak, Boris Hagen, Dr. Pleger, Burkhard, Dr. Wellcome Dept. of Imaging Neuroscience, University College London, 12 Queen Square, London WC1N 3BG, United Kingdom E-Mail: b.pleger@ﬁl.ion.ucl.ac.uk

Klinik für Neurologie, Neurozentrum Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Schläpfer, Thomas, Prof. Dr. Plewnia, Christian, Dr. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Osianderstr. 24, 72076 Tübingen E-Mail: [email protected]

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Straße 25, 53105 Bonn E-Mail: [email protected]; [email protected]

Pötter, Monika, Dr.

Schönfeldt-Lecuona, Carlos, Dr.

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychiatrie III Leimgrubenweg 12, 89075 Ulm E-Mail: [email protected]

Schwenkreis, Peter, Priv.-Doz. Dr. Ragert, Patrick, Dr. Human Cortical Physiology Section, National Institute of Neurological Disorders and Stroke, NIH, Building 10 10 Center Drive, Bethesda, MD 20892-1430, USA E-Mail: [email protected]

Reis, Janine, Dr. Human Cortical Physiology Section, National Institute of Neurological Disorders and Stroke, NIH, Building 10 10 Center Drive, Bethesda, MD 20892-1430, USA E-Mail: reis@staﬀ.uni-marburg.de; [email protected]

Rosenow, Felix, Prof. Dr. Interdisziplinäres Epilepsiezentrum, Klinik für Neurologie, Philipps-Universität Marburg, Rudolf-Bultmann-Straße 8, 35039 Marburg E-Mail: rosenow@staﬀ.uni-marburg.de

Neurologische Universitäts- und Poliklinik, Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil, Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum E-Mail: [email protected]

Siebner, Hartwig, Prof. Dr. Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Sinjatchkin, Michael, Dr. Abteilung für Neuropädiatrie, Universitätskinderklinik der CAU, Schwanenweg 20, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Sommer, Martin, Dr. Abt. für Klinische Neurophysiologie, Universitätsklinik Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen E-Mail: [email protected]

XXIII

Autorenverzeichnis

Sparing, Roland, Dr.

Wessel, Karl Prof. Dr.

Arbeitsgruppe Kognitive Neurologie, Institut für Neurowissenschaften und Biophysik, Abt. Medizin, Forschungszentrum Jülich, 52425 Jülich E-Mail: [email protected]

Neurologisch-Psychiatrische Klinik, Städtisches Klinikum Braunschweig GmbH, Salzdahlumer Str. 90, 38126 Braunschweig E-Mail: [email protected]

Szelenyi, Andrea, Dr. Klinik für Neurochirurgie, Klinikum der JW Goethe-Universität Frankfurt, Schleusenweg 2–16, 60528 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected]

Tegenthoﬀ, Martin, Prof. Dr. Neurologische Universitäts- und Poliklinik, Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil, Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum E-Mail: martin.tegenthoﬀ@ruhr-uni-bochum.de

Tergau, Frithjof, Priv.-Doz. Dr. Neurologische Klinik, St.-Bernward-Krankenhaus, Treibestraße 9, 31134 Hildesheim E-Mail: [email protected]

Topka, Helge, Prof. Dr. Abt. für Neurologie und Klinische Neurophysiologie, Städt. Krankenhaus München-Bogenhausen, Englschalkinger Straße 77, 81925 München E-Mail: [email protected]

Urban, Peter, Priv.-Doz. Dr. Klinik für Neurologie, Asklepios Klinik Barmbek, Rübenkamp 220, 22291 Hamburg E-Mail: [email protected]

Wahl, Mathias, Dr. Klinik für Neurologie, Klinikum der JW Goethe-Universität Frankfurt, Schleusenweg 2–16, 60528 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected]

Weiss, Michael, Dr. Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Schittenhelmstraße 10, 24105 Kiel E-Mail: [email protected]

Werhahn, Konrad, Priv.-Doz. Dr. Neurologische Klinik, Universität Mainz, Langenbeckstraße 1, 55101 Mainz E-Mail: [email protected]

Weyh, Thomas, Priv.-Doz. Dr. Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik, TU München, Arcisstraße 21, 80333 München E-Mail: [email protected]

Wolters, Alexander, Dr. Klinik für Neurologie und Poliklinik, Universität Rostock, Gehlsheimer Straße 2, 18147 Rostock E-Mail: [email protected]

Ziemann, Ulf, Prof. Dr. Klinik für Neurologie, Klinikum der JW Goethe-Universität Frankfurt, Schleusenweg 2–16, 60528 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected]

XXV

Abkürzungsverzeichnis Abkürzung*

Deutsch

Englisch

a. m.

anteromedial

anteromedial

a.-p./p.-a.

anterior-posterior/posterior-anterior

anterior to posterior/posterior to anterior

AMT

kortikale motorische Reizschwelle bei Voraktivierung

active motor threshold

CSP

kontralaterale kortikale Innervationsstille

contralateral cortical silent period

EEG

Elektroenzephalogramm

electroencephalogramm

EEG

Elektoenzephalograﬁe

electroencephalography

EMG

Elektromyograﬁe

electromyography

EPSP

exzitatorisches postsynaptisches Potenzial

excitatory postsynaptic potential

fMRT (fMRI)

funktionelle Magnetresonanztomograﬁe

functional magnetic resonance imaging

ICF

intrakortikale Bahnung

intracortical facilitation

IHF

interhemisphärische Bahnung

interhemispheric facilitation

IHI

interhemisphärische Hemmung

interhemispheric inhibition

IOD 1 (FDI)

M. interosseus dorsalis manus I

ﬁrst dorsal interosseous muscle

IPSP

inhibitorisches postsynaptisches Potenzial

inhibitory postsynaptic potential

ISI

Interstimulusintervall

interstimulus interval

iSP

ipsilaterale kortikale Innervationsstille

ipsilateral cortical silent period

KML (CML)

kortikomuskuläre Leitungszeit

cortical motor latency

l.-m./m.-l.

lateral-medial/medial-lateral

latero-medial/medio-lateral

LAI

aﬀerente sensomotorische Hemmung langer Latenz

long-latency aﬀerent inhibition

LICF

intrakortikale Bahnung bei langen Interstimulusintervallen

long-interval intracortical facilitation

LICI

intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen

long-interval intracortical inhibition

LTD

Langzeitdepression

long-term depression

LTP

Langzeitpotenzierung

long-term potentiation

MEG

Magnetoenzephalograﬁe

magnetoencephalography

MEP

motorisch evoziertes Potenzial

motor evoked potential

MKT

Magnetkonvulsionstherapie

magnetic seizure therapy

MRT (MRI)

Magnetresonanztomograﬁe

magnetic resonance imaging

MSAP (CMAP)

Muskelsummenaktionspotenzial

compound muscle action potential

MT

kortikale motorische Reizschwelle

motor threshold

p. l.

posterolateral

posterolateral

PAS

gepaarte assoziative Stimulation

paired associative stimulation

PET

Positronenemissionstomograﬁe

positron emission tomography

PML

periphere motorische Leitungszeit

peripheral motor latency

RMT

kortikale motorische Reizschwelle in Ruhe

resting motor threshold

rTMS

repetitive transkranielle Magnetstimulation

repetitive transcranial magnetic stimulation

SAI

aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz

short-latency aﬀerent inhibition

SEP

somatosensorisch evoziertes Potenzial

somatosensory evoked potential

SI

primärer somatosensorischer Kortex

primary somatosensory cortex

SICF

intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen

short-interval intracortical facilitation

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

1

Abkürzung*

Deutsch

Englisch

SICI

intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen

short-interval intracortical inhibition

2

SPECT

Einzelphotonenemissions-Computertomograﬁe

single-photon-emission-computedtomography

3

TBS

Theta-Burst-Stimulation

theta burst stimulation

tDCS

transkranielle Gleichstromstimulation

transcranial direct current stimulation

TES

transkranielle elektrische Stimulation

transcranial electrical stimulation

TMS

transkranielle Magnetstimulation

transcranial magnetic stimulation

TST

Triple-Stimulationstechnik

triple stimulation technique

ZML (CMCT)

zentralmotorische Leitungszeit

central motor conduction time

4 5

* Englische Abkürzung in Klammern, wenn die deutsche und englische Abkürzung voneinander abweichen.

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

1

Grundlagen

1

Hirnstimulation – Historischer Überblick

–3

Christian W. Hess

2

Hirnstimulation – Technische Grundlagen

– 17

Thomas Weyh, Hartwig Roman Siebner

3

Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

– 27

Hartwig Roman Siebner, Ulf Ziemann

4

Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien Walter Paulus, Hartwig Roman Siebner

– 47

1I

1

3

Hirnstimulation – Historischer Überblick Christian W. Hess

1.1

Historischer Überblick

1.1.1

Entwicklung der motorischen Kortexreizung in Tierexperimenten – 4 Erste elektrische Reizversuche am menschlichen Gehirn – 5

1.1.2

–4

1.2

Der Beginn der Magnetstimulation nervöser Strukturen – 7

1.2.1

Frühe Versuche mit alternierenden Magnetfeldern – 7 Magnetstimulatoren für Einzelreize – 7

1.2.2

1.3

Die Einführung der TMS in die klinische Neurologie – 8

1.3.1

Technische Entwicklung der Magnetstimulation – 8 Klinische Entwicklung der Magnetstimulation zu diagnostischen Zwecken – 9 Hemmende Phänomene und Untersuchungen zur kortikalen Erregbarkeit – 12

1.3.2

1.3.3

1.4

Therapieversuche mit rTMS

– 13

1.5

Gleichstromreizung des Kortex

Literatur

– 14

– 14

ZUM THEMA Das Kapitel beleuchtet zuerst die ersten frühen Experimente motorischer Kortexstimulation beim Tier im 19. Jahrhundert und skizziert die ersten Anwendungen der Kortexstimulation beim Menschen, welche ebenfalls im 19. Jahrhundert begannen. Viel Raum wird der Entwicklung der nichtinvasiven transkraniellen Hirnstimulation beim Menschen eingeräumt, welche sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte und ihren größten Durchbruch mit der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) erlebte. Diese welche erst

durch die Herstellung von Reizgeräten ermöglicht wurde, welche kurze Magnetpulse ohne Nachschwingen erzeugen. Neben der Reizung mit einzelnen Magnetpulsen werden auch die Entwicklungen mit anderen Reizmodalitäten sowohl der elektrischen Anoden-Reizung, der Gleichstromreizung als auch der TMS-Salvenreizung (rTMS) bis in die jüngste Vergangenheit dieses Jahrhunderts skizziert und dabei auf die diagnostischen, wissenschaftlichen und ersten therapeutischen Anwendungen in der Psychiatrie eingegangen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

4

Kapitel 1 · Hirnstimulation – Historischer Überblick

1.1

Historischer Überblick

1.1.1 Entwicklung der motorischen

Kortexreizung in Tierexperimenten Frühe Versuche, das Hirn elektrisch zu reizen, waren wegen methodischen Unzulänglichkeiten zu wenig konklusiv, um eine zerebrale elektrische Erregbarkeit eindeutig zu postulieren. So beschrieb z. B. der v. a. anatomisch wegweisende Turiner Luigi Rolando in seiner berühmten 1809 in Sardinien (das Piemont war von Napoleon besetzt) erschienen Arbeit ‒ Saggio sopra la vera struttura del cervello dell’uomo e degli animali e sopra le funzioni del sistema nervoso ‒ Reizversuche mit galvanischem Strom an dem nach ihm benannten präzentralen Gyrus von verschiedenen Haustieren (Capparoni u. Rolando 1928). Wegen den von ihm verursachten kortikalen Läsionen zögerte er aber, die induzierten Bewegungseffekte als elektrisch bedingt zu interpretieren. So herrschte bis weit ins vorletzte Jahrhundert hinein der Glaube, dass das Gehirn elektrisch unerregbar sei. Gustav Fritsch und (Julius) Eduard Hitzig in Berlin waren die ersten, welche dieses physiologische Dogma klar widerlegten und durch ausgedehnte Versuche an der freigelegten Hirnrinde von Hunden die physiologischen Grundlagen für die späteren Reizversuche am motorischen Kortex schufen (Fritsch u. Hitzig 1870; . Abb. 1.1). Hitzig war durch eine Beobachtung am Menschen auf die Idee gekommen, das Gehirn könnte erregbar sein: Wenn er einen konstanten galvanischen Strom (= Gleichstrom) durch den Hinterkopf eines Probanden leitete, konnte er Schwindelgefühle und »Bewegungen der Augen« (offenbar einen Nystagmus) hervorrufen und er führte dies auf eine Reizung der Vierhügelregion zurück. Obwohl wir heute annehmen müssen, dass Hitzig effektiv die Vestibularis-

a

b

nerven gereizt hatte, verdanken wir seiner Beobachtung die Weiterführung der Experimente an Hunden. Fritsch u. Hitzig stellten bereits unmissverständlich fest, dass die nichtmotorische Region des Kortex »mehr nach hinten« liegt und dass beim mehr vorne liegenden »motorischen Theil« durch schwache fokale elektrische Einzelreize »combinierte« Muskelkontraktionen der gegenüberliegenden Körperhälfte ausgelöst werden können. Sie machten auch schon die Beobachtung, dass auf der Kortexoberfläche der Anodenschließungsstrom die niedrigste Reizschwelle aufweist. Die Befunde wurden kurz darauf von dem in einer Irrenanstalt in Nordengland tätigen D. Ferrier (Ferrier 1875) unter Verwendung galvanischer und faradischer (30‒ 40 Hz) Reize am Affen bestätigt. Er bekundete dabei allerdings Mühe, die Pionierleistung von Fritsch und Hitzig korrekt zu würdigen. Die wichtige von Fritsch u. Hitzig (1870) gemachte Beobachtung, dass die Anode die niedrigste Schwelle aufweist, konnte später mehrfach tierexperimentell bestätigt werden (z. B. Ferrier 1875; Hern et al. 1962). Es erwies sich später auch für die transkranielle elektrische Kortexstimulation (TES) am Menschen als gültig (Merton u. Morton 1980). Als Erklärung für dieses auf den ersten Blick paradoxe Phänomen wurde postuliert, dass die an der Oberfläche liegende Anode durch die induzierten Reizströme in der Tiefe des Kortex kathodisch wirkt und dass dabei die Pyramidenzellen unterhalb ihrer Zellkörper am Axonhügel durch virtuelle Kathoden depolarisiert und damit direkt gereizt werden (Hern et al. 1962). Reizphysiologisch entscheidend wichtig waren die tierexperimentellen Befunde 1954 von H.D. Patton und V.E. Amassian in Seattle, welche gezeigt hatten, dass kortikale Einzelreize mit Bewegungseffekt immer raschleitende hochfrequente Salven von deszendierenden Impulsen in den kortikospinalen Neuronen indu. Abb. .a,b. Die Originalabbildung (b) aus der Arbeit von Fritsch u. Hitzig (1870) zeigt das Hundehirn von oben mit den Stimulationsorten auf der linken Hemisphäre, welche zu einem motorischen Reizerfolg auf der kontralateralen Körperseite führten. Zur besseren Sichtbarkeit sind die Stimulationsorte auf der linken Schattengraphik (a) eingezeichnet

1.1 Historischer Überblick

zierten (Patton u. Amassian 1954). Der mit Tiefenelektroden im Hirnstamm von der Pyramidenbahn abgeleitete erste Impuls bezeichneten sie als »D-Welle« (D = direkt) und alle späteren Impulse als »I-Wellen« (I = indirekt) (7 Kap. 3). Diese bei höherer Reizstärke nach einem Intervall von 1,2‒2 ms und mit weiteren Zwischenintervallen von 1‒1,8 ms nachfolgenden IWellen wurden nämlich auf eine zusätzliche indirekte transsynaptische Aktivierung der Pyramidenzellen zurückgeführt. Die von den Physiologen D. Kernell und W.U. Wu in Oxford beim Affen auf der Kortexoberfläche applizierten Einzelreize induzierten kurze Salven mit einer maximalen Entladungsfrequenz um 800 Hz und zwar in Form von repetitiven Entladungen innerhalb derselben rasch leitenden Axone (Kernell u. Chien-Ping 1967). E.V. Evarts schließlich zeigte 1966 am National Institute of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, USA am wachen, beweglichen Affen, dass bei den phasischen Entladungsmustern der großen Pyramidenzellen die Erregungen in den rasch leitenden kortikospinalen Axonen am besten mit den spontanen Bewegungen und die langsamer geleiteten Erregungen eher mit tonischen Bewegungen korrelierten (Evarts 1966). Es war das Verdienst von Y. Katayama et al. in Tokio 1988 als erste beim Menschen mittels epiduraler Elektroden diese reizinduzierte deszendierende Aktivität vom Rückenmark abgeleitet zu haben (Katayama et al. 1988). Sie stellten unter anderem fest, dass die erste D-Welle gegenüber Anästhetika resistent war, wohingegen die bei hoher Reizstärke zusätzlich rekrutierten I-Wellen unter Anästhesie verschwanden (7 Kap. 21).

1.1.2 Erste elektrische Reizversuche am

menschlichen Gehirn Als erster den menschlichen Kortex elektrisch gereizt und dabei das Prinzip der gekreuzten Repräsentation bestätigt hat schon im vorletzten Jahrhundert wahrscheinlich der amerikanische Neurochirurg Bartholow (1874) in Ohio: An einer Patientin mit traumatisch bedingter großer infizierter Knochenlücke im Schädel, führte er nach Evakuation des Eiters mit feinen Nadelelektroden am Gehirn Reizversuche durch, welche nach heutigen Begriffen heroisch anmuten: Bartholow hat nach faradischer Oberflächenreizung auch noch eine Nadelelektrode ins Gehirn versenkt und dann den Reizstrom erhöht, bis er einen generalisierten epileptischen Anfall auslöste. Die Patientin hatte in der Folge eine Reihe von spontanen epileptischen Halbseitenkrämpfen und verstarb 3 Tage nach der Operation infolge Hirnvenenthrombose. Mehre-

5

1

re Neurochirurgen in England und Amerika haben noch im vorletzten Jahrhundert während Operationen elektrische motorische Reizversuche am freigelegten menschlichen Kortex durchgeführt und die tierexperimentellen Resultate bestätigt (Horsley 1887; Lloyd u. Deaver 1888; Parker u. Gotch 1893). Die Tatsache, dass man bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts neurochirurgische Eingriffe am Gehirn mehrheitlich in Lokalanästhesie ausübte, kam der Durchführung solcher Versuche entgegen. Anfangs letzten Jahrhunderts haben A.S.F. Grünbaum und C.S. Sherrington (Grünbaum u. Sherrington 1903) in Liverpool und das Ehepaar Oskar und Cécile Vogt in Berlin (Vogt u. Vogt 1919) durch minutiöse faradische Reizuntersuchungen am Affen die schon von H. Jackson (1931) vorausgesagte somatotope Organisation des motorischen Kortex nachgewiesen. H. Cushing hat in Boston durch Reizung des freigelegten menschlichen Kortex den postzentralen Gyrus erstmals auch rein sensible Effekte erzielt (Cushing 1909). O. Foerster in Breslau erweiterte, ebenfalls durch Untersuchungen am freigelegten menschlichen Kortex, die Kenntnisse über die motorische Repräsentation, indem er auch die der Brodmann-Area 4 angrenzenden Bezirke untersuchte (Foerster 1936). W. Penﬁeld, der auch bei Foerster gearbeitet hatte, haben wir die 1937 in Montréal ebenfalls am wachen Patienten durchgeführten systematischen Reizuntersuchungen zu verdanken, welche zum heute allgemein bekannten motorischen und sensiblen »Homunculus« betreffend der Repräsentation der Körperregionen geführt haben (Penfield u. Boldrey 1937). Der Tierexperimentator Sherrington soll gegenüber Penfield die neidvoll anmutende Bemerkung gemacht haben: »It must be great fun to speak to the preparation and have it answer to you« (Penfield 1967). Von diesen Untersuchungen her war auch bekannt, dass die durch motorische Kortex-Reizung ausgelösten Muskelzuckungen vom bewussten Patienten nicht als selbst gemacht sondern als von außen aufgezwungen erlebt werden, was aus heutiger Sicht nicht überrascht, da ja der primär motorische Kortex in der Hierarchie des exekutiven Systems ein relativ untergeordnetes Organ darstellt. T. Gualtierotti und A.S. Paterson hatten 1954 in London erstmals am Affen und dann am Menschen mit bipolaren Elektroden durch den intakten Schädel hindurch bis zu 40 s dauernde Reizsalven über dem motorischen Kortex appliziert und über distal an den Extremitäten auftretende reizabhängige Muskelkontraktionen berichtet (Gualtierotti u. Paterson 1954). Die Reizmethode hat sich aber wegen zu großer Schmerzhaftigkeit als nicht praktikabel erwiesen und war wegen dem unbestimmten Erregungszeit-

6

Kapitel 1 · Hirnstimulation – Historischer Überblick

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

a

b

. Abb. .a,b. a Patrick A. Merton (1920–2000), Professor für Humanphysiologie an der Universität Cambridge U.K. mit einem Forschungslabor am Institute of Neurology, Queen Square, London. Als Pionier der tranksraniellen Hirnstimulation beim Menschen entwickelte er 1980 die erste erfolgreiche transkranielle elektrische Stimulation des motorischen Kortex und war der erste Proband 1985 für TMS mit dem Shefﬁeld-Magnetstimulator von A. Barker. b Erste öﬀentliche TES-

Sitzung im März 1981 an der Universität Cambridge vor Medizinstudenten im 2. Jahr. Proband war Prof. Pat Merton und Experimentator Dr. Richard H. Adrian. An der Tafel sieht man den Schaltkreis des Hochvoltstimulators aufgezeichnet. Dr. Adrian entlädt den Kondensator durch Drücken einer Morsetaste. Dr. Merton zeigt mit dem Zeigeﬁnger der rechten Hand auf seine linke Hand, wo die evozierten Muskelzuckungen zu beobachten sind. (. Abb. 1.2b aus Meyer 1992)

punkt für die Ausmessung von motorischen Latenzzeiten nicht brauchbar. Der an der Universität Cambridge lehrende (seit 1984 Lehrstuhl für Humanphysiologie) und gleichzeitig auch am National Hospital for Nervous Diseases in London forschende Neurophysiologe Patrick (Pat) A. Merton (. Abb. 1.2) und sein Techniker H. Bert Morton haben 1980 die von Hill et al. (1980) zur direkten Muskelreizung (unter Umgehung der intramuskulären Nervenfasern) entwickelte Methode von elektrischen ultrakurzen Hochspannungs-Kondensator-Reizen mit Erfolg zur Kortexstimulation durch den intakten Schädel an sich selbst ausprobiert: Mit der Anode über dem entsprechenden präzentralen Gebiet, der Kathode 6 cm frontal davon, einem Reiz von 2000 Volt Spannung und einer Zeitkonstante des Abfalls von 10 µs gelang es ihnen, in distalen Arm- und Fußmuskeln Einzelzuckungen auszulösen (Merton u. Morton 1980). Die von den Muskeln abgeleiteten Summenpotenziale wiesen dieselben Latenzzeiten auf, wie sie von Kortexreizungen während neurochirurgischen Operationen bekannt waren. Die Autoren fanden bald heraus, dass für die TES auch kleinere Spannungen von unter 1000 Volt genügen und dass man in den kleinen Handmuskeln schon mit ca. 500 Volt Spannung eine befriedigende Reizantwort evozieren kann. Obwohl Merton damals in typisch britisch bagatellisierender Art behauptete, dass die durch den Reiz

verursachte Empfindung »weniger stark als bei peripherer Nervenreizung« sei (Merton et al. 1982), waren diese Reize für eine breite klinische Anwendung immer noch zu schmerzhaft. Immerhin konnten mit der TES in England am Gesunden und bei Patienten wichtige Befunde erhoben werden (Ingram u. Swash 1985). So konnte mit unterschwelligen elektrischen transkraniellen Kortexreizen eine fördernde Wirkung auf den H-Reflex nachgewiesen werden (Cowan et al. 1986), was bewies, dass unterschwellige Kortexreize eine Aktivierung der Pyramidenzellen zur Folge hatten. Untersuchungen bei Patienten mit TES schließlich zeigten eine abnorme zentrale motorische Erregungsüberleitung bei multipler Sklerose (Cowan et al. 1984; Mills u. Murray 1985), bei der amyotrophischen Lateralsklerose (Ingram u. Swash 1987) und eine normale motorische Erregungsüberleitung beim Morbus Parkinson (Dick et al. 1984). Im Frühjahr 1985 war es wiederum Pat Merton, welcher den am Institut von Anthony Barker an der Universität Sheffield entwickelten Magnetstimulator zuerst an seinem eigenen Kopf ausprobieren ließ (7 Abschn. 1.2.2) und damit die moderne Ära der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) einleitete (Barker et al. 1985).

1.2 Der Beginn der Magnetstimulation nervöser Strukturen

1.2

Der Beginn der Magnetstimulation nervöser Strukturen

1.2.1 Frühe Versuche mit alternierenden

Magnetfeldern Die Reizung nervöser Substrate mittels Magnetfeldpulsen gründete auf den Erfahrungen von A. d’Arsonval (1896), Beer (1902) und S.P. Thompson (1910), welche die Wirkung eines alternierenden magnetischen Feldes auf den Organismus untersuchten. D’Arsonval konnte bei Applikation eines mit 42 Hz oszillierenden Magnetfeldes am Kopf Schwindelsensationen auslösen, welche bei gewissen Probanden »bis zur Synkope« führten, und er induzierte wahrscheinlich auch schon Muskelkontraktionen: »Ce champ magnétique alternatif modifie également la forme de la contraction musculaire et produit sur les êtres vivants d’autres effets qu’il est facile de mettre en relief...« (d’Arsonval 1896). Da die Probanden ihren Kopf und z. T. auch ihren Körper gänzlich in einer großen Solenoid-Spule platziert hatten, ist anzunehmen, dass es sich um eine erste Beschreibung magnetischer peripherer Nervenreizung handelt. Bei den induzierten Schwindelsensationen dürfte es sich um die Folge einer Vestibularisreizung gehandelt haben. Sowohl d’Arsonval, Beer wie Thompson beobachteten bei Applikation des Magnetfeldes am Kopf aber vor allem Flickerphosphene. Swinton (1911) hatte schon früh darauf hingewiesen, dass induzierte Reizströme als Ursache für diese Reizeffekte angenommen werden müssten, und Walsh et al. (1946) hatten die bereits früher geäußerte Vermutung, dass man dabei die Retina reizt, bestätigt. A. Kolin et al. (1959) gelang es mittels alternierender Magnetfelder erstmals den Froschnerv zu reizen.

7

1

schon versucht den Kortex zu reizen und bei Platzierung der Reizspule über dem Vertex »ein Gefühl von Bewegung in beiden Beinen« provoziert, ohne allerdings objektive Muskelkontraktionen zu beobachten, womit der Beweis für eine effektiv erfolgte motorische Kortexstimulation fehlte. P.A. Öberg in Uppsala gelang es, die magnetischen Nachschwingungen zu dämpfen (Öberg 1973); er unternahm aber offenbar keine Versuche, den elektrischen Reizerfolg vom Muskel abzuleiten. M. Polson schließlich entwickelte als PhD-Arbeit bei Antony Barker, dem Leiter des Department of Medical Physics and Clinical Engineering an der Universität Sheffield, einen Magnetstimulator für die kontaktlose Reizung peripherer Nerven, welcher einen Magnetfeldpuls ganz ohne Nachschwingung produzierte (Polson et al. 1982). Sie konnten nun den Reizerfolg in den Muskeln mit Elektroden ableiten, weil keine Reizartefakte mehr das Muskelsummenpotenzial verdeckten. Für die Elektroneurografie war der Magnetstimulator dennoch ungeeignet, da der exakte effektive Reizort am peripheren Nerv nicht bekannt war. So fand der aus wissenschaftlichem Interesse entwickelte Stimulator vorerst keine klinische Anwendung, bis 3 Jahre später, im Februar 1985, der im Labor von A. Barker arbeitende Student Reza Jalinous die Arbeiten von Pat Merton et al. über die elektrische Kortexreizung las, eine mögliche Anwendung des Magnetstimulators erkannte und deshalb die Gruppe in London kontaktierte (. Abb. 1.3).

1.2.2 Magnetstimulatoren für Einzelreize R.G. Bickford und B.D. Freeming in San Diego (Bickford

u. Freeming 1965) waren wahrscheinlich die ersten, welche funktionierende Magnetstimulatoren für Einzelreize bauten, mit welchen man durch Nervenreizung sichtbare Muskelzuckungen evozieren konnte. Es gelang diesen Autoren jedoch nicht, das elektrische Muskelsummenpotenzial abzuleiten. Bickford u. Freeming (1965) haben die Methode erfolgreich bei Menschen angewandt und den mechanischen Reizerfolg registriert, das Problem der über mehrere Millisekunden abklingenden Nachschwingungen des Magnetfeldpulses, welche wegen der großen Artefakte die elektrische Ableitung vom Muskel verunmöglichten, aber nicht gelöst. Dieselben Autoren hatten auch

. Abb. .. Die Erﬁnder des ersten transkraniell wirksamen Einzelpuls-Magnetstimulators an der Sheﬃeld Universität U.K. (von links nach rechts): Dr. Reza Jalinous, Prof. Ian Freeston, Prof. Anthony Barker (Leiter des Department of Medical Physics and Clinical Engineering). Hier nicht abgebildet ist M. Polson, der als Doktorand bei A. Barker tätig war

8

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 1 · Hirnstimulation – Historischer Überblick

Pat Merton ließ den Magnetstimulator von Anthony Barker nach London ans National Hospital, Queen Square bringen und ließ ihn zuerst an seinem eigenen Kopf ausprobieren. Als zweiter Proband stellte sich Lindsay Symon, der Leiter der Neurochirurgie am Queen Square zur Verfügung. Es ließen sich mühelos und völlig schmerzlos gut sichtbare Muskelzuckungen mit Bewegungseffekt an Armen und Händen hervorrufen; die transkranielle Magnetstimulation war entdeckt (Barker et al. 1985).

1.3

Die Einführung der TMS in die klinische Neurologie

1.3.1 Technische Entwicklung der

Magnetstimulation Barker et al. bauten 1985 für den klinischen Gebrauch fünf Prototypen magnetischer Hochspannungsstimulatoren (Barker et al. 1985), welche vorerst am Hallamshire Hospital in Sheffield, am National Hospital for Nervous Diseases in London, am Institute of Psychiatry des King’s College De Crespigny Park in London und am London Hospital in East London zum Einsatz kamen. Der als Modell für die später kommerziell von der Fa. Novametrix in Wales hergestellten Stimulatoren dienende Prototyp benützte einen 54-µF-Mylarfilm-Kondensator, der bei maximaler Leistung auf 4000 V aufgeladen wurde, um dann durch die Reizspule entladen zu werden. Die Reizspule besaß 26 konzentrische Windungen eines flach aneinander gelegten 4 mm breiten Kupferbandes und hatte einen mittleren Durchmesser von 9 cm (Innendurchmesser = 6,5 cm, Außendurchmesser = 12,5 cm). Der Widerstand der Spule betrug 12 mΩ, die Selbstinduktion 35 µH und bei maximaler Leistung floss ein maximaler Strom von 5500 A). Der Magnetpuls dauerte ca. 2,2 ms mit einer Anstiegszeit von 0,16 ms bis zum Maximum und einer Zeitkonstante des Abfalls von 0,5 ms. Der induzierte Strompuls war mit einer Anstiegszeit von 0,08 ms und einer Zeitkonstante des Abfalls von 0,14 ms dem Puls des elektrischen Hochvoltstimulators sehr ähnlich. Das im Zentrum mit einer Probespule gemessene maximale Magnetfeld betrug ca. 2,1 T (Tesla). Eine Leckstrom-Messvorrichtung und ein Überhitzungsschutz in der Spule schalteten das Reizgerät im Störfall automatisch ab. Reza Jalinous wechselte noch im Jahre 1985 von der Universität Sheffield zur Fa. Novametrix in Wales, wo er sich an der Marktentwicklung des Magnetstimulators beteiligte. 1989 wechselte die Lizenz für den Magnetstimulator zur neu gegründeten Fa. Magstim.

Noch im gleichen Jahr bauten P. Merton und H. Morton am Queen Square London aus einem alten Herzdefibrillator ihre eigene Version eines Magnetstimulators. In der Absicht, eine Behinderung der Forschung durch ein kommerzielles Monopol zu verhindern, publizierten P. Merton und H. Morton 1986 den kompletten Schaltplan ihres vergleichsweise billig herzustellenden Niederspannungs-Stimulators (Merton u. Morton 1986). Dieser arbeitete mit zehn 2200-µF-Stroboskop-Kondensatoren, welche in 2 seriell geschalteten Bänken von je 5 parallel geschalteten Kondensatoren angeordnet waren und auf maximal je 350 V aufgeladen wurden. Die Reizspule bestand aus 12 Windungen von 2 mm dickem, flexiblem Kupferdraht mit einem Durchmesser von etwa 14 cm. Der Magnetpuls war wesentlich länger mit einer Anstiegszeit bis zum Maximum von 0,48 ms mit einer Zeitkonstante des Abfalls von 1,3 ms. Der induzierte Strom erreichte das Maximum nach 0,1 ms und hatte eine Zeitkonstante von 0,32 ms. Der Stimulator wurde von der Fa. Digitimer vermarktet und entpuppte sich in seiner Wirksamkeit tatsächlich dem ersten Prototyp aus Sheffield als fast ebenbürtig (Hess u. Ludin 1988), allerdings mit einer geringeren maximalen Reizwirkung. Wenig später folgten als weitere kommerzielle mit Hochspannung arbeitende Magnetstimulatoren jener von der Fa. Cadwell in den USA, welche einen biphasischen Stimulus produzierten, und jener von der Fa. Dantec in Skandinavien, welcher sich mehr an die Technologie des Sheffield-Stimulators anlehnte. Eine kuriose Verwirrung entstand anfänglich betreffend der Beschreibung und Bezeichnung der Stromrichtung der monophasischen Stimuli durch die Produzenten: Es war nämlich nicht immer klar, ob der induzierende Strom in der Spule oder der induzierte Strom im Schädelinnern gemeint, bzw. ob die Stromrichtung physikalisch (negativer Fluss) oder konventionell (positiver Fluss) definiert war. Man wurde sich einig, dass immer der Strom in der Spule konventionell (positiver Fluss) definiert werden sollte, was 1990 in einem Corrigendum des Journal of Physiology ein für allemal richtig gestellt wurde (Day et al. 1990). Für Forschungszwecke war die Entwicklung einer fokalen Magnetspule entscheidend wichtig und durch S. Ueno et al. (1988) am Elektronik-Departement der Kyushu Universität in Japan 1988 technisch erstmals realisiert und am Froschnerven erprobt. Ein Jahr später wurde mit einem unabhängig davon in der Schweiz entwickelten System die fokale Wirkung der achtförmigen Doppelspule (»figure-of-eight coil« oder »twin coil«) erstmals am motorischen Kortex des Menschen erprobt und nachgewiesen (Rösler et al. 1989a). Während die Doppelspulen mit dem Ziel eines möglichst

1.3 Die Einführung der TMS in die klinische Neurologie

fokussierten Reizes in der Regel eher klein geformt waren, baute man sehr große fast den ganzen Kopf umfassende Doppelspulen, um die Tiefenwirkung zu erhöhen und damit die vergleichsweise etwas schwächere Reizwirkung ihres Aggregates zu kompensieren. Die großen und wenig fokalen runden Magnetspulen hatten für klinisch-diagnostische Zwecke den Vorteil, dass nicht lange die optimale Spulenposition gesucht werden musste. Für wissenschaftliche Untersuchungen hingegen wurden die fokalen kleinen Doppelspulen immer dann bevorzugt, wenn eine möglichst umschriebene Reizwirkung angestrebt wurde. Dabei wurde oft zuerst die Handregion mit der niedrigsten Reizschwelle als Referenzpunkt aufgesucht (7 Kap. 6 und 40). Der gewünschte Reizort wurde darauf bezogen und entsprechend der allgemeinen Hirnanatomie definiert, was aufgrund der individuellen Abweichungen mit einem gewissen Fehler behaftet ist. Deshalb wurde gelegentlich von jedem Probanden ein MRT mit kontrastierenden Bezugspunkten auf dem Skalp anfertigt. Verschiedentlich wurden auch TMS und fMRI- (engl. functional magnetic resonance imaging) Untersuchungen kombiniert, z. B. um das Mapping des motorischen Kortex beider Methoden zu vergleichen (7 Kap. 37). Bei langen Experimenten blieb die genaue und konstante Platzierung der Reizspule auf dem Kopf ein Problem. Deshalb wurden in den 90er-Jahren verschiedene automatisierte Haltevorrichtungen und schließlich eigentliche Neuronavigationssysteme entwickelt bzw. von der neurochirurgischen Stereotaxie übernommen und angepasst (7 Kap. 32). Ein weiterer bedeutender methodologischer Schritt war die Entwicklung eines repetitiven Stimulators (repetitive TMS, rTMS) , der die Applikation von Doppelreizen oder Salven ermöglichte. Um kortikale Doppelreize mit normalen Geräten applizieren zu können, wurde 1989 von der neu gegründeten Fa. Magstim in England (Nachfolger der Fa. Novametrix) ein sog. Bistim-Module konstruiert, mit welchem man die Reizpulse von zwei Magnetstimulatoren mit frei wählbarem Intervall in dieselbe Reizspule entladen konnte (Kujirai et al. 1993). Mehrere Gruppen bauten auch erfolgreich Salvenstimulatoren (z. B. Inghilleri et al. 1990), wobei die Fa. Cadwell in den USA als erste anfangs der 90er-Jahre Prototypen auf den Markt brachte. Diese produzierten Reizsalven bis zu 60 Hz. Die Überhitzung der Spule wurde mit einem Wasser-Kühlsystem verhindert. Alvaro Pascual-Leone applizierte damit längere Salven über der Broca-Region der linken Hemisphäre, um transiente Sprachstörungen zu induzieren (Pascual-Leone et al. 1991). Mit

9

1

der rTMS konnten nun eindeutige kognitive Effekte erzielt werden. Sie eröffnete neue Perspektiven für die Forschung und erstmals auch für die Therapie, weil der erzielte Effekt die Stimulation für Minuten überdauerte. Gleichzeitig stieß man durch die Applikation längerer Salven an die Grenze des sicherheitsmäßig Erlaubten, wegen des Risikos von Hautverbrennungen unter EEG-Elektroden und epileptischer Anfälle auch bei gesunden Probanden (7 Kap. 4). Die Psychiater machten sich die epileptogene Wirkung der rTMS zu Nutze, mit dem Ziel, eine mittels »magnetischer Anfallstherapie« schonendere Alternative zur klassischen Elektrokonvulsionstherapie zu entwickeln (Kosel et al. 2003; 7 Kap. 61). Die rTMS erfuhr ganz kürzlich durch die Arbeitsgruppe von John C. Rothwell am Queen Square in London nochmals eine entscheidende Wende mit der Einführung eines neuen rTMS-Protokolls, sog. Theta-Burst-rTMS ,welches aus der tierexperimentellen Neurobiologie übernommen wurde und ein längeres Überdauern des Reizeffektes ermöglicht (Huang et al. 2005; 7 Kap. 50). Dabei werden relativ schwache Reize in ganz kurzen ca. 50-Hz-Salven in einer Sequenz von 5 Hz (Theta-Frequenz) über längere Zeit ‒ entweder in Paketen von 2 s oder kontinuierlich ‒ appliziert. Je nach Protokoll erzielt man eine hemmende oder fördernde Wirkung. Präliminäre Experimente in Bern zeigten, dass es mit einem speziell weiterentwickelten Theta-Burst-Protokoll sogar möglich ist, den überdauernden Reiz-Effekt auf viele Stunden auszudehnen (Nyffeler et al. 2006).

1.3.2 Klinische Entwicklung der

Magnetstimulation zu diagnostischen Zwecken Das hervorstechende Merkmal des MagnetstimulatorReizes war die absolute Schmerzlosigkeit. Bei Applikation am Kopf fühlte man bekanntlich lediglich eine ganz kurze Kribbelparästhesie in der Kopfhaut und hörte einen Klick in der Spule, wobei das subjektive Empfinden von den heftigen bewirkten Muskelzuckungen dominiert wurde. Versuche, mit Einzelreizen sensible bzw. optische Phänomene zu evozieren führten dagegen nur mit maximaler Reizstärke sehr sporadisch zu bescheidenem Erfolg; also konzentrierte man sich vorerst auf das motorische System. Obwohl die Reizung am Kopf schmerzfrei war, hatte man 1986 naturgemäß noch großen Respekt vor den Magnetpulsen und die Befürchtung von Nebenwirkungen – möglicherweise sich erst verzögert manifestierend ‒ war latent vorhanden. Die wuchtige Ener-

10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 1 · Hirnstimulation – Historischer Überblick

gie des Magnetpulses wurde eindrücklich sichtbar gemacht, wenn man mit der Reizspule eine Büroklammer wie ein Geschoss an die Decke beförderte oder eine Blechplatte mit großem Knall an die Spule heranziehen ließ. Sie beeindruckte jeden und schreckte einige ab, obwohl die errechneten maximalen Strom- und Ladungsdichten im Kopf gegenüber der »etablierten« elektrischen Hochvoltstimulation der TES eher vorteilhaft aussahen. Es gab anfänglich auch Mutmaßungen, welche einigen Forschern die Absicht unterschoben, sie wollten durch starke Betonung der potenziellen Risiken dieser gewaltigen Stromstärken in der Spule und des großen Magnetfeldpulses eine allzu schnelle Verbreitung der Methode verhindern. Ähnliche Motivationen vermutete man auch in Anbetracht anfänglicher Gerüchte über Nebenwirkungen bei prominenten Forschern. Im Rahmen ausgiebiger Experimente in England mit hunderten von Kortexreizen an gesunden Probanden wurden Kopfschmerzen und migräniforme Phänomene v. a. bei der elektrischen Hochvoltstimulation gelegentlich verspürt. Hingegen wurden eindeutig epileptische Phänomene bei Gebrauch von Einzelreizen, obwohl man darauf achtete und gewissermaßen sogar darauf wartete, vorerst nicht beobachtet, worüber man natürlich sehr zufrieden war. Vereinzelte epileptische Anfälle wurden später nur bei Patienten mit zerebrovaskulären Ereignissen oder bei Epileptikern beobachtet, aber sie blieben insgesamt sehr selten und das Risiko epileptischer Anfälle erwies sich als vergleichbar oder kleiner als bei den visuell evozierten Potenzialen. Das änderte sich dann mit der Einführung der rTMS (7 Abschn. 1.3.1 und 7 Kap. 4). Zuerst galt es, vergleichende Untersuchungen der TMS mit der »etablierten« TES anzustellen. Diese von C.W. Hess et al. Anfang 1986 am Queen Square in London durchgeführten Untersuchungen zeigten sofort, dass die magnetisch evozierten Muskelsummenpotenziale systematisch eine um 2‒3 ms längere Latenz aufwiesen, was auf einen unterschiedlichen effektiven Reizort schließen ließ (Hess et al. 1987; . Abb. 1.4). Dies bestätigte sich später in einer großen Anzahl von Untersuchungen, so lange man moderate Reizstärken und die für den Magnetstimulus optimale Spulenorientierung auf dem Skalp verwendete (7 Kap. 4 und 20). Zudem erwies sich die Fazilitierung der Reizantworten durch eine willkürliche Vorinnervation bei der Magnetstimulation bezüglich der Amplitude als stärker im Vergleich zur elektrischen Kortexstimulation (Hess et al. 1987), was ebenfalls auf einen grundsätzlich unterschiedlichen Reizmechanismus hinwies. Die fazilitierungsbedingte Latenzverkürzung

hingegen war in beiden Reizmodalitäten vergleichbar. Die Resultate über die Physiologie der TMS-induzierten motorisch evozierten Potenziale (MEP) wurden bereits anlässlich der Frühjahrstagung der Physiological Society vom 18.‒19. April 1986 präsentiert, welche zufällig in Sheffield stattfand, also dort, wo der Magnetstimulator gebaut worden war. Wenige Monate später, am 16.‒17. Juni 1986 organisierten die Amerikaner, welche zu diesem Zeitpunkt noch über keinen Magnetstimulator verfügten, eine von der Fa. Cadwell gesponserte Tagung (»First International Symposium on Motor System Evoked Potenzial Monitoring«) an der Purdue University in West Lafayette, wo nebst tierexperimentellen Arbeiten auch die drei englischen Arbeitsgruppen vom Queen Square London, vom De Crespigny Park London und von Sheffield ihre TMSResultate präsentierten. Zur Klärung der unterschiedlichen Reizmechanismen haben die früheren experimentellen Unter-

. Abb. .. Eine der ersten TMS-Ableitungen Anfang Januar 1986 von C.W. Hess, K. Mills und N.M.F. Murray bei einer jungen Ärztin als Probandin am National Hospital, Queen Square, London abgeleitet. Je zwei Reizantworten der transkraniellen elektrischen Hochspannungsreizung (oben) und der neuen Magnetreizung (unten). Elektrischer Stimulator: Digitimer D180; Magnetstimulator: Sheﬃeld Prototyp; Signalverstärkung: Medelec MS8; Computer: Research Machines 380Z; Ausdruck: Hewlett-Packard Plotter. Die regelhaft um ca. 2 ms längere Anfangslatenz der magnetischen gegenüber den elektrisch evozierten Summenpotenzialen war hier bei der untersten Reizantwort nicht der Fall, wie das bei hohen Reizstärken, atypischer Spulenorientierung und bei grazilem Schädel gelegentlich beobachtet wurde

1.3 Die Einführung der TMS in die klinische Neurologie

suchungen wesentlich beigetragen, wobei V.E. Amassian mit seiner Publikation 1987 in der Zeitschrift Neurosurgery damals sein experimentell erarbeitetes wegweisendes Konzept der reizinduzierten pyramidalen Aktivität (D-Welle = direkte Aktivierung, I-Wellen = indirekte Aktivierung) in Erinnerung gerufen hat (Amassian et al. 1987; 7 Kap. 3). Tatsächlich zeigte sich in zahlreichen späteren Untersuchungen, dass die TES zuerst eine D-Welle in den Axonen auslöst, während die TMS primär I-Wellen auslöst und erst bei höherer Reizstärke auch eine frühe D-Welle rekrutiert. Wegen dieses Unterschieds wurde die TES nicht völlig ausgemustert, sondern blieb für Forschungszwecke als komplementäre Reizmodalität bis heute in Gebrauch (7 Kap. 20). Erwartungsgemäß entpuppte sich zudem der Magnetstimulus im Gegensatz zum elektrischen Stimulus beim narkotisierten Patienten bald als schwach bis wirkungslos (7 Abschn. 1.3.3 und 7 Kap. 21). Nachdem die ersten TMS-Arbeiten sich auf die am leichtesten kortikal erregbaren Repräsentationen kleiner Handmuskeln beschränkte, zeigten D. Ingram et al. am London Hospital und D. Claus et al. in Erlangen bald darauf, dass auch die Beinmuskeln ‒ bei einer allerdings deutlich höheren kortiko-muskulären Reizschwelle ‒ mit geeigneter Spulenplatzierung am Kopf gut erregbar waren (Claus 1990; Ingram et al. 1988; 7 Kap. 8). Später erwiesen sich die MEP zu den unteren Extremitäten erwartungsgemäß bei spinalen Affektionen als sensitiver. Für viele Neurowissenschaftler eher überraschend war dann die Entdeckung, dass sich auch willkürlich nur bedingt kontrollierbare Muskeln, z. B. des Analsphinkters, Zwerchfells und im Pharynx-Kehlkopf-Bereich, durch TMS über dem Skalp relativ leicht mit kurzer Latenz erregen ließen (7 Kap. 10). Eine Enttäuschung war die frühe Erkenntnis aller beteiligten Gruppen, dass sich die nervösen Strukturen innerhalb des Rückenmarks mit dem Magnetstimulator (im Gegensatz zur elektrischen Reizung) nicht reizen lassen. Es zeigte sich nämlich, dass die durch magnetische Nackenstimulation ausgelösten Armzuckungen durch direkte Wurzelreizung im Bereich des Foramen intervertebrale zustande kamen, an derselben Stelle also, wo auch die elektrische Hochvoltstimulation am Nacken die Wurzeln reizt (7 Kap. 6). Die motorische Wurzelreizung fand dann aber seine klinische Anwendung für die Neurografie des proximalen Armplexus. Erst 1994 gelang es Y. Ugawa et al. in Japan mit einer relativ großen Doppelspule tatsächlich die kortikospinalen Axone im Bereich des Foramen ovale zu reizen (Ugawa et al. 1994).

11

1

Ein unerwarteter positiver Nebeneffekt der Magnetstimulation am Kopf war die Entdeckung am Queen Square, dass die den Magnetstimulus begleitende Gesichtszuckung das Resultat einer intrakraniellen peripheren Nervus-facialis-Reizung ist (Schriefer et al. 1988), was die Option einer retrograden Verlängerung der Fazialisneurografie nach proximal ins Schädelinnere eröffnete. Das allerdings setzte voraus, dass man den effektiven Reizort am N. facialis kannte. Darüber entspannte sich ein transatlantischer Streit, indem die Amerikaner aufgrund indirekter Berechnungen lange glaubten, den effektiven Reizort an die Nervenaustrittsstelle am Hirnstamm lokalisieren zu können (Maccabee et al. 1988). Untersuchungen der Berner Gruppe hingegen konnten nachweisen, dass der effektive Reizort im inneren Drittel des knöchernen Canalis facialis Fallopii liegen muss, dort wo der Nerv noch von einer Durascheide begleitet und von Liquor umspült wird (Rösler et al. 1989b). Die Interpretation, dass die im Liquor durch TMS ausgelösten Wirbelströme in den knöchernen Kanal fokussiert werden, blieb bis heute die gleiche. Dies war insofern von Bedeutung, als der effektive Reizort genau dort liegt, wo bei der Bellschen Fazialisparese die Entzündung stattfindet, was auch die sehr hohe Sensitivität der magnetischen, intrakraniellen Fazialisstimulation bei dieser Entität erklärt (7 Kap. 9). Durch die magnetische Reizung der kortikalen Gesichtsareale lässt sich ebenfalls eine motorische Reizantwort evozieren, bei allerdings vergleichsweise hoher Reizschwelle (7 Kap. 9). Ernüchterung machte sich breit, als man versuchte, auf analoge Weise andere Hirnnerven intrakraniell zu reizen, weil sich zeigte, dass dies nicht mit einer Zuverlässigkeit möglich war, wie es für eine klinische Anwendung notwendig gewesen wäre (7 Kap. 9). Hingegen war die kortikale Reizung der entsprechenden Areale leichter möglich als beim N. facialis. Im Falle des N. trigeminus zeigte die Berner Gruppe viel später, dass nicht die kortikalen Strukturen, sondern wie bei der elektrischen Stimulation, effektiv die pyramidalen Axone unterhalb des Zellkörpers erregt werden, was vielleicht mit der vergleichsweise schwachen kortikalen Repräsentation dieses Muskels zusammenhängt (Guggisberg et al. 2001). Auch Augenbewegungen ließen sich trotz großer Bemühungen der Lübecker wie auch der Berner Gruppe durch kortikale Einzelreize nicht auslösen (Müri et al. 1991; Wessel u. Kompf 1991), was sich später auch mit Doppelreizen und Salven nicht änderte. Hingegen konnten Sakkaden mit Einzel-TMS über dem frontalen Augenfeld unter bestimmten Bedingungen ver-

12

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 1 · Hirnstimulation – Historischer Überblick

zögert werden (Müri et al. 1991; 7 Abschn. 1.3.3 und 7 Kap. 41). Die durch TMS am motorischen Kortex ausgelösten MEP zu den Extremitäten eroberten sich in der klinischen Neurophysiologie innerhalb weniger Jahre ihren festen Platz als in der Anwendung relativ einfachen und sensitiven diagnostischen Test, um die funktionelle Integrität des pyramidalen motorischen Systems zu untersuchen. Die mit TES erhobenen

Befunde bei Patienten wurden bald bestätigt und stark erweitert und die schmerzhafte elektrische Kortexreizung wurde sofort aus der Diagnostik verdrängt. In der Klinik konnte sich die elektrische Methode einzig für das intraoperative Monitoring behaupten, da sie gegenüber Anästhetika weniger empfindlich ist und weil hier die Schmerzhaftigkeit keine Rolle spielt (7 Kap. 21). Es zeigte sich bald, dass die MEP zwar sensitiv, aber relativ wenig spezifisch sind, indem verzögerte Reizantworten (verlängerte zentral motorische Leitungszeit) nicht nur bei demyelinisierenden Affektionen, wie bei der MS, sondern auch bei axonalen ZNS-Erkrankungen, wie z. B. der ALS vorkommen (7 Kap. 6–8 und 22–25). Bei der Amplitudenmessung kommt das Problem der großen zeitlichen Dispersion hinzu, welche den diagnostischen Wert dieses Parameters stark einschränkt. Dieses Problem wurde mit der Einführung 1998 der Triplestimulationstechnik durch Michel Magistris in Genf (Magistris et al. 1998) elegant gelöst (7 Kap. 11). Bei den Triplestimulations(bzw. Doppelkollisions-) MEP wird das motorische Summenpotenzial durch proximale periphere Reizung gewissermaßen resynchronisiert, so dass die Dispersion weitgehend ausgeschaltet ist und die Amplitude mit dem peripheren Muskelsummenpotenzial verglichen werden kann. Dadurch konnte die Sensitivität der MEP deutlich erhöht werden. Die Technik impliziert allerdings einen größeren Untersuchungsaufwand und eine etwas größere Belastung für die Patienten oder Probanden.

1.3.3 Hemmende Phänomene und

Untersuchungen zur kortikalen Erregbarkeit Nachdem sich die TMS für die MEP als Ergänzung zu den afferenten evozierten Potenzialen zu diagnostischen Zwecken in der klinischen Neurophysiologie rasch etabliert hatten, zeigten die systembiologisch orientierten Neurowissenschaftler schon früh auch Interesse an der potenziell hemmenden Wirkung der TMS. So gelang es 1989 der inzwischen ebenfalls

am Queen Square in London tätigen Gruppe von J.C. Rothwell, die Ausführung motorischer Paradigmen durch geeignet lokalisierte und zeitlich abgestimmte TMS des motorischen Kortex zu verzögern (Rothwell et al. 1989). Damit war die wissenschaftliche Anwendung der hemmenden Interferenzwirkung der TMS lanciert, indem Einzel-TMS (und später auch DoppelTMS) gewissermaßen als gezielte Störimpulse die vulnerablen bzw. suszeptiblen Zeitfenster der mutmaßlich beteiligten Hirnareale auszuloten vermochten (7 Kap. 31 und 40). Es war nun die Analyse der zeitlichen Abfolge eines kortikalen Prozesses mit hoher Zeitauflösung als wichtige Ergänzung zur funktionellen Bildgebung (PET, fMRI) ermöglicht. R. Müri et al. in Bern konnten 1991 durch Einzel-TMS ein okulomotorisches Paradigma stören: So genannte Antisakkaden (Proband schaut vom Zielpunkt weg) konnten durch Einzel-TMS während eines kurzen vulnerablen Zeitfensters über dem frontalen Augenfeld verzögert werden (Müri et al. 1991), was anschließend auf weitere Paradigmen ausgeweitet wurde. Die Effekte konnten später mit Doppelreizen verstärkt werden und bilden seither einen attraktiven Zugang zur Erforschung des okulomotorischen Systems. Dadurch, dass TMS die Analyse komplexer motorischer und später auch kognitiver Paradigmen am kooperierenden Menschen ermöglichte (7 Kap. 40– 47), hatte sie sich ‒ nach anfänglich skeptischer Beurteilung durch die Grundlagenforscher ‒ nun als ernst zu nehmende und für gewisse wissenschaftliche Fragestellungen sogar unabdingbare Ergänzung zur tierexperimentellen Forschung in der neurobiologischen Forschung etabliert. Die Grundlagenforscher hatten der TMS nämlich wegen des für ihre Verhältnisse sehr wenig lokalisierten, »groben« Reizes und wegen der Unkenntnis der effektiv gereizten nervösen Strukturen im Gehirn diesem »Spielzeug der Kliniker« als Forschungsinstrument vorerst keine Bedeutung zugemessen. Früh interessierte man sich auch für das hemmende Phänomen je nach untersuchtem Muskel zwischen 40‒300 ms dauernden kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP), welche man im relativ stark tonisch angespannten Muskel durch TMS auslösen kann (7 Kap. 15). Eine erste systematische Untersuchung 1991 in Mark Halletts Labor am NIH in Bethesda, Maryland mittels H-Reflexen (Fuhr et al. 1991) vermochte deren erste Phase spinalen und die zweite, für die Dauer der CSP entscheidende Phase (>50 ms) kortikaler Hemmung und damit einer unterbrochenen kortikospinale Aktivität zu zuschreiben. Damit wurde die Dauer der CSP als Parameter der kortikalen Erregbarkeit interessant und es fehlte nicht an

13

1.4 Therapieversuche mit rTMS

Untersuchungen, welche eine abnorme CSP bei neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen zeigten (7 Kap. 23–24 und 26–30). Es zeigte sich aber auch, dass die Dauer der CSP stark von der Reizstärke und auch anderen Parametern abhängt, was streng standardisierte Untersuchungsbedingungen notwendig machte (7 Kap. 15). Deshalb und auch wegen der großen interindividuellen Variabilität blieb die CSP wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten und hat sich für diagnostische Zwecke bisher nicht durchsetzen können. Ebenfalls anfangs der 90er-Jahre haben A. Berardelli et al. (1991) in Rom, J. Valls-Solé et al. (1992) am NIH in Bethesda, Maryland und T. Kujirai et al. (1993) am Queen Square in London begonnen, die intrakortikalen Schaltkreise des motorischen Kortex mit Doppelreizen zu analysieren (7 Kap. 16). Das Doppelreizprotokoll von Kujirai et al. mit einem unterschwelligen konditionierenden und nach kurzem Intervall (1‒20 ms) einem überschwelligen Teststimulus fand in der Folge breite Anwendung zur Untersuchung der kortikalen Erregbarkeit, indem mit sehr kurzen Intervallen von 1‒5 ms eine »intrakortikale Hemmung« und mit 8‒20 ms Intervallen eine »intrakortikale Fazilitierung« sichtbar gemacht werden konnte. Wenn umgekehrt der erste Stimulus überschwellig und der zweite unterschwellig appliziert wurde, entstand ein ganz anderes Muster (Ziemann et al. 1998), das jetzt als intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen bezeichnet wird (7 Kap. 16). Verschiedene Berichte aus Deutschland anfangs der 90er-Jahre zeigten, dass die TMS-Messwerte im Gegensatz zu den TES-Messwerten sehr sensitiv gegenüber ZNS-dämpfenden Pharmaka inklusive Alkohol und gewissen Antikonvulsiva reagieren (Hufnagel et al. 1990; Schönle et al. 1989), was die TMS für das intraoperative motorische Monitoring als wenig geeignet erscheinen ließ (7 Kap. 21). Eine Erweiterung erfuhren die differenzierten Untersuchungen der pharmakologischen Einflüsse unter Verwendung der ganzen Batterie von Tests zur Analyse der kortikalen Erregbarkeit durch U. Ziemann in Göttingen (Ziemann et al. 1996). Es zeigte sich, dass die pharmakologischen Einflüsse je nach TMS-Messwert unterschiedlich waren, was Rückschlüsse auf die beteiligten Neurotransmittersysteme erlaubte (7 Kap. 34). Etwa gleichzeitig gelang der Arbeitsgruppe von Mark Hallett am NIH, Bethesda, Maryland, USA ein weiterer entscheidender Schritt durch die Entdeckung des Frequenz-Eﬀektes von rTMS-Reizserien auf die kortikale Erregbarkeit (Pascual-Leone et al. 1994), was in den folgenden Jahren bestätigt und vertieft wurde. Niedrigfrequente rTMS um 1 Hz induzierten eine

1

signifikante Abnahme der kortikospinalen Erregbarkeit, während hochfrequente rTMS ≥5 Hz eine Fazilitierung bewirkte (7 Kap. 50). Diese rTMS-Wirkungen konnten anschließend auch über anderen kortikalen Arealen nachgewiesen werden. Dabei »überdauerte« die induzierte Hemmung oder Fazilitierung die Reizung um 15 min oder mehr, so wie das im Tierversuch bei der Langzeitpotenzierung oder -Hemmung beobachtet worden war. Dies eröffnete nun ganz neue experimentelle Möglichkeiten, indem man jetzt genügend Zeit hatte, an die Reizung anschliessend ungestörte neuropsychologische (7 Kap. 40–49) oder bildgebende Untersuchungen (7 Kap. 36–37) anzufertigen. So hatte man nun die Möglichkeit, mit 1-Hz-rTMS funktionelle, gewissermassen »virtuelle« kortikale Läsionen zu setzen und deren Auswirkung auf der Verhaltensebene experimentell zu analysieren (7 Kap. 31). Auch therapeutische Anwendungen waren nun eine realistische Option (7 Abschn. 1.4).

1.4

Therapieversuche mit rTMS

Weitaus am meisten rTMS-Therapiestudien wurden bei depressiven Patienten unternommen (7 Kap. 61). Der Neurophysiologe und EEG-Pionier Reginald G. Bickford wird manchmal als Schöpfer der Idee zitiert, die Magnetstimulation gegen Depression anzuwenden. Ihm kam dieser Gedanken erstmals im Alter von 73 Jahren anlässlich eines kurzen Studienaufenthaltes 1986 am Queen Square in London. Der britischstämmige Amerikaner hatte in den 60er-Jahren nur ganz knapp die Entdeckung der TMS am Menschen verpasst (7 Abschn. 1.2.2) und wollte sich jetzt an TMSExperimenten beteiligen. Wie jeder Laborbesucher stand er recht ausgiebig auch als Proband für TMSVersuche am motorischen Kortex zur Verfügung und verspürte dabei eine stimmungsaufhellende Wirkung. Erste Versuche bei Depression wurden 1993 in Bonn mit täglicher niederfrequenter 0,3-Hz-rTMS über dem Vertex über mehrere Tage vorgenommen und ergaben in der randomisierten einfach-blinden Erprobung ermutigende Resultate (Höflich et al. 1993). M. George et al. aus der Arbeitsgruppe von Mark Hallett in Bethesda, Maryland, USA, berichteten 1995 über eine erfolgreiche tägliche hochfrequente rTMS-Behandlung über mehrere Wochen bei 6 therapierefraktären depressiven Patienten (George et al. 1995). Weil bei depressiven Patienten im PET eine links frontale Hypoaktivität beobachtet wurde, applizierte man die erregungsfördernde -Hz-rTMS präfrontal links, was die künftig am meisten angewendete Therapiemodalität bleiben sollte (7 Kap. 61).

14

1 2 3 4 5 6 7

Andere Autoren applizierten niedrigfrequente (hemmende) rTMS erfolgreich über dem rechten präfrontalen Cortex. In den USA fand die rTMS als Therapie für depressive Patienten viele Anhänger und man hoffte, dadurch die Elektrokonvulsionstherapie überflüssig werden zu lassen. Die großen Hoffnungen, welche man in die rTMS-Behandlung setzte, wurden nach anfänglichem Enthusiasmus durch größere randomisierte Vergleichsstudien aber gedämpft. Eine bessere Wirksamkeit wird von neuen Reizprotokollen wie der Theta-Burst-rTMS (Huang et al. 2005), neuen Spulentypen und der Magnetkonvulsionstherapie erhofft (7 Kap. 61). Auf therapeutische Applikationen der rTMS bei anderen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Epilepsie, Bewegungsstörungen, Tinnitus, Schmerz, Schizophrenie und Zwangsstörungen wird in 7 Kap. 56–60 und 62 eingegangen.

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 1 · Hirnstimulation – Historischer Überblick

1.5

Gleichstromreizung des Kortex

Im 19. Jahrhundert wurden Reizversuche am Gehirn mehrheitlich mittels galvanischer Reize, also Gleichstrom durchgeführt (z. B. L. Rolando 1809, 7 Abschn. 1.1.1). Heute allerdings müssen wir annehmen, dass die beobachteten Reizeffekte durch den Anodenschließungsstrom zustande kamen, also eigentlich das Ergebnis faradischer Reizung waren und wohl mehrheitlich nicht dem Gleichstrom an sich zuzuschreiben sind. Das gilt auch für die bahnbrechenden elektrischen Reizversuche von Eduard Hitzig und Fritsch an Hunden. Hitzig war wahrscheinlich auch der erste, welche eine Erregung des menschlichen Gehirns mit Gleichstrom erprobte (Fritsch u. Hitzig 1870), dabei allerdings nicht wie angenommen den Hirnstamm, sondern die Vestibularisnerven reizte und einen Nystagmus mit Schwindel auslöste (7 Abschn. 1.1.1). Erst im letzten Jahrhundert wurden methodisch einwandfreie tierexperimentelle Untersuchungen mit schwacher zerebraler Gleichstromreizung vorgenommen, welche wie erwartet, keine phasischen Reizerfolge erzielten, sondern Effekte, welche auf eine veränderte zerebrale Erregbarkeit zurückgeführt werden konnten, wobei der Anoden- und Kathodenstrom in der Regel gegenteilige Wirkung erzielte. So wurde etwa eine Verbesserung motorischer Lernleistungen bei anodischer- und Verschlechterung bei kathodischer Reizung des motorischen Kortex beschrieben (Rosen u. Stamm, 1972). Versuche am Menschen in den 1960 bis 70er-Jahren mit Stromstärken bis zu 1 mA und mehrheitlich

kurzen Reizzeiten vermochten eher schwache und kaum signifikante Effekte im Verhaltensbereich zu erzielen. Anodischer Strom über dem motorischen Kortex beschleunigte z. B. die Reaktionszeit (Elbert et al. 1981). In therapeutischer Absicht länger applizierte, teilweise Stunden dauernde Gleichstromreizungen bei psychiatrischen Patienten vermochten scheinbar die Stimmung zu beeinflussen, wobei anodische Reizung aufhellend wirkte und kathodische Reizung eher das Gegenteil bewirkte. Die Möglichkeit mittels TMS die Erregbarkeit des kortikomuskulären Systems und damit auch des motorischen Kortex relativ exakt zu erfassen, erlaubte es A. Priori et al. (1998) 1998 in Rom einen hemmenden Effekt auf den motorischen Kortex zu quantifizieren. Sie benützten <0,5-mA-Gleichstromreize von lediglich 7 Sekunden Dauer. M. Nitsche und W. Paulus konnten 2 Jahre später in Göttingen mittels systematischer Untersuchungen an Probanden mit mehreren Minuten dauernden 1-mA-Gleichstromreizen und geeigneter Elektrodenplatzierung Veränderungen der Erregbarkeit des motorischen Kortex von bis zu 40 nachweisen, welche den Reiz, wie bei der rTMS, »um einige Minuten überdauerten« (Nitsche u. Paulus 2000; 7 Kap. 53). Auch sie benützten TMS mit der MEPAmplitude als massgeblicher Kennwert, um die Erregbarkeit zu quantifizieren. Dabei zeigte sich, dass der Effekt stark von der Elektrodenpositionierung abhängig ist. Die Erregbarkeit des motorischen Kortex wurde durch anodische Stimulation erhöht, durch kathodische Stimulation vermindert. Schließlich konnte durch sukzessive Verlängerung der Stimulationsdauer auf bis zu 13 min die Dauer der Nacheffekte deutlich und »überproportional verlängert« werden, bis zu 90 min, womit ein neuer Durchbruch gelungen war (7 Kap. 53). Ein therapeutischer Einsatz dieser Hirnstimulation war jetzt in realistischer Reichweite. Erste Therapieversuche bei psychiatrischen Patienten und solchen mit chronischen Schmerzen sind viel versprechend. Die Tatsache, dass die Patienten den schwachen Gleichstrom kaum spüren, erleichtert die für Studien notwendige Scheinbehandlung (7 Kap. 53).

Literatur Amassian VE, Stewart M, Quirk GJ, Rosenthal JL (1987) Physiological basis of motor eﬀects of a transient stimulus to cerebral cortex. Neurosurgery 20: 74–93 d’Arsonval A (1896) Dispositifs pour la mesure des courants alternatifs de toutes fréquences. C. R. Soc. Biol. (Paris) 3: 450–457

Literatur

Barker AT, Jalinous R, Freeston IL (1985) Non-invasive magnetic stimulation of human motor cortex [letter]. Lancet 1: 1106–1107 Beer B (1902) Über das Auftreten einer objektiven Lichtempﬁndung im magnetischen Felde. Klin Wochenschr 15: 108–109 Berardelli A, Inghilleri M, Cruccu G, Manfredi M (1991) Corticospinal potentials after electrical and magnetic stimulation in man. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 43: 147–154 Bickford RG, Freeming BD (1965) Neuronal stimulation by pulsed magnetic ﬁelds in animals and man. Digest of the 6th International Conference of Medical Electronics in Biology and Engineering p 112 Capparoni P, Rolando L (1928) In: Proﬁli bio-bibliograﬁci di medici e naturalisti italiani dal secolo XV al secolo XVIII. Roma, Volume II Claus D (1990) Central motor conduction: method and normal results. Muscle Nerve 13: 1125–1132 Cowan JM, Rothwell JC, Dick JP et al. (1984) Abnormalities in central motor pathway conduction in multiple sclerosis. Lancet 2: 304–307 Cowan JM, Day BL, Marsden C, Rothwell JC (1986) The eﬀect of percutaneous motor cortex stimulation on H reﬂexes in muscles of the arm and leg in intact man. J Physiol 377: 333–347 Cushing C (1909) A note upon the faradic stimulation of the post-central gyrus in conscious patients. Brain 32: 44–53 Day BL, Dressler D, Hess CW et al. (1990) Direction of current in magnetic stimulating coils used for percutaneous activation of brain, spinal cord and peripheral nerve [abstract]. J Physiol 430: 617 Dick JP, Cowan JM, Day BL et al. (1984) The corticomotoneurone connection is normal in Parkinson’s disease. Nature 310: 407–409 Elbert T, Lutzenberger W, Rockstroh B, Birbaumer N (1981) The inﬂuence of low-level transcortical DC-currents on response speed in humans. Int J Neurosci 14: 101–114 Evarts EV (1966) Pyramidal tract activity associated with a conditioned hand movement in the monkey. J Neurophysiol 29: 1011–1027 Ferrier D (1875) Experiments on the brain of monkeys. Proc R Soc Lond 23: 409–430 Foerster O (1936) The motor cortex in man in light of Hughlings Jackson’s doctrines. Brain 59: 135–159 Fritsch G, Hitzig E (1870) Über die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. Archiv Anat Physiol Wiss Med 37: 300–332 Fuhr P, Agostino R, Hallett M (1991) Spinal motor neuron excitability during the silent period after cortical stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 257–262 George MS, Wassermann EM, Williams WA et al. (1995) Daily repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) improves mood in depression. Neuroreport 6: 1853–1856 Grünbaum ASF, Sherrington CS (1903) Observations on the physiology of the cerebral cortex of the anthropoid apes. Proc R Soc Lond 72: 152–155 Gualtierotti T, Paterson AS (1954) Electrical stimulation of the unexposed cerebral cortex. J Physiol 125: 278–291

15

1

Guggisberg AG, Dubach P, Hess CW, Wuthrich C, Mathis J (2001) Motor evoked potentials from masseter muscle induced by transcranial magnetic stimulation of the pyramidal tract: the importance of coil orientation. Clin Neurophysiol 112: 2312–2319. Hern JEC, Landgren S, Phillips CG, Porter R (1962) Selective excitation of corticofugal neurones by surface-anodal stimulation of the baboon’s motor cortex. J Physiol 161: 73–90 Hess CW, Ludin HP (1988) [Transcranial cortex stimulation with magnetic ﬁeld pulses: methodologic and physiologic principles]. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 19: 209–215 Hess CW, Mills KR, Murray NM (1987) Responses in small hand muscles from magnetic stimulation of the human brain. J Physiol 388: 397–419 Hill DK, McDonnel MJ, Merton PA (1980) Direct stimulation of the adductor pollicis in man [abstract]. J Physiol 300: 2– 3P Höﬂich G, Kasper S, Hufnagel A, Ruhrmann S, Möller H-J (1993) Application of transcranial magnetic stimulation in treatment of drug-resistant major depression - A report of two cases. Hum Psychopharmacol 8: 361–365 Horsley V (1887) A note on the means of topographical diagnosis of focal disease aﬀecting the so-called motor region of the cerebral cortex. Am J Med Sci 93: 342–369 Huang Y-Z, Edwards MJ, Rounis E, Bhatia KP, Rothwell JC (2005) Theta Burst Stimulation of the Human Motor Cortex. Neuron 45: 201–206 Hufnagel A, Elger CE, Marx W, Ising A (1990) Magnetic motorevoked potentials in epilepsy: eﬀects of the disease and of anticonvulsant medication. Ann Neurol 28: 680–686 Inghilleri M, Berardelli A, Cruccu G, Priori A, Manfredi M (1990) Motor potentials evoked by paired cortical stimuli. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 77: 382–389 Ingram DA, Swash M (1985) Human corticospinal tract conduction velocity. Lancet 2: 1369 Ingram DA, Swash M (1987) Central motor conduction is abnormal in motor neuron disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 50: 159–166 Ingram DA, Thompson AJ, Swash M (1988) Central motor conduction in multiple sclerosis: evaluation of abnormalities revealed by transcutaneous magnetic stimulation of the brain. J Neurol Neurosurg Psychiatry 51: 487–494 Jackson JH (1931) Selected Writings of John Hughlins Jackson. Hodder & Stoughton, London Katayama Y, Tsubokawa T, Maejima S et al. (1988) Corticospinal direct response in humans: identiﬁcation of the motor cortex during intracranial surgery under general anaesthesia. J Neurol Neurosurg Psychiatry 51: 50–59 Kernell D, Chien-Ping WU (1967) Responses of the pyramidal tract to stimulation of the baboon’s motor cortex. J Physiol 191: 653–672 Kolin A, Brill NQ, Broberg PJ (1959) Stimulation of irritable tissue. Proc Soc Exp Biol Med 102: 251–253 Kosel M, Frick C, Lisanby SH et al. (2003) Magnetic seizure therapy improves mood in refractory major depression. Neuropsychopharmacology 28: 2045–2048

16

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 1 · Hirnstimulation – Historischer Überblick

Kujirai T, Caramia MD, Rothwell JC et al. (1993) Corticocortical inhibition in human motor cortex. J Physiol 471: 501–519 Lloyd JH, Deaver JB (1888) A case of focal epilepsy successfully treated by trephining and excision of the motor centres. Am J Med Sci 96: 477–487 Maccabee PJ, Amassian VE, Cracco RQ et al. (1988) Intracranial stimulation of facial nerve in humans with the magnetic coil. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 70: 350–354 Magistris MR, Rosler KM, Truﬀert A, Myers JP (1998) Transcranial stimulation excites virtually all motor neurons supplying the target muscle. A demonstration and a method improving the study of motor evoked potentials. Brain 121: 437–450 Merton PA, Hill DK, Morton HB, Marsden CD (1982) Scope of a technique for electrical stimulation of human brain, spinal cord, and muscle. Lancet 2: 597–600 Merton PA, Morton HB (1980) Stimulation of the cerebral cortex in the intact human subject. Nature 285: 227 Merton PA, Morton HB (1986) A magnetic stimulator for the human motor cortex [abstract]. J Physiol 381: 10P Meyer BU (Hrsg) (1992) Die Magnetstimulation des Nervensystems. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Mills KR, Murray NM (1985) Corticospinal tract conduction time in multiple sclerosis. Ann Neurol 18: 601–605 Müri RM, Hess CW, Meienberg O (1991) Transcranial stimulation of the human frontal eye ﬁeld by magnetic pulses. Exp Brain Res 86: 219–223 Nitsche MA, Paulus W (2000) Excitability changes induced in the human motor cortex by weak transcranial direct current stimulation. J Physiol 527: 633–639 Nyﬀeler T, Wurtz P, Luscher HR et al. (2006) Extending lifetime of plastic changes in the human brain. Eur J Neurosci 24: 2961–2966 Öberg PA (1973) Magnetic stimulation of nerve tissue. Med Biol Eng 11: 55–64 Parker R, Gotch F (1893) A case of focal epilepsy: Trephining: Electrical stimulation and excision of focus: Primary healing: Improvement. Brit Med J 1: 1101–1103 Pascual-Leone A, Gates JR, Dhuna A (1991) Induction of speech arrest and counting errors with rapid-rate transcranial magnetic stimulation [see comments]. Neurology 41: 697–702 Pascual-Leone A, Valls-Solé J, Wassermann EM, Hallett M (1994) Responses to rapid-rate transcranial magnetic stimulation of the human motor cortex. Brain 117: 847–858 Patton HD, Amassian VE (1954) Single- and multiple-unit analysis of cortical stage of pyramidal tract activation. J Neurophysiol 17: 345–363 Penﬁeld W (1967) The Excitable Cortex in Conscious Man. Liverpool University Press, Liverpool Penﬁeld W, Boldrey E (1937) Somatic motor and sensory representation in the cerebral cortex of man as studied by electrical stimulation. Brain 60: 389–443 Polson MJ, Barker AT, Freeston IL (1982) Stimulation of nerve trunks with time-varying magnetic ﬁelds. Med Biol Eng Comput 20: 243–244

Priori A, Berardelli A, Rona S, Accornero N, Manfredi M (1998) Polarization of the human motor cortex through the scalp. Neuroreport 9: 2257–2260 Rosen SC, Stamm JS (1972) Transcortical polarization: facilitation of delayed response performance by monkeys. Exp Neurol 35: 282–289 Rösler KM, Hess CW, Heckmann R, Ludin HP (1989a) Signiﬁcance of shape and size of the stimulating coil in magnetic stimulation of the human motor cortex. Neurosci Lett 100: 347–352 Rösler KM, Hess CW, Schmid UD (1989b) Investigation of facial motor pathways by electrical and magnetic stimulation: sites and mechanisms of excitation. J Neurol Neurosurg Psychiatry 52: 1149–1156 Rothwell JC, Day BL, Thompson PD, Marsden CD (1989) Interruption of motor programmes by electrical or magnetic brain stimulation in man. Prog Brain Res 80: 467–472; discussion 465–466 Schönle PW, Isenberg C, Crozier TA et al. (1989) Changes of transcranially evoked motor responses in man by midazolam, a short acting benzodiazepine. Neurosci Lett 101: 321–324 Schriefer TN, Mills KR, Murray NM, Hess CW (1988) Evaluation of proximal facial nerve conduction by transcranial magnetic stimulation. J Neurol Neurosurg Psychiatry 51: 60–66 Swinton AAC (1911) Visual sensations from the alternating magnetic ﬁeld. Nature 86: 143 Thompson SP (1910) A physiological eﬀect of an alternating magnetic ﬁeld. Proc R Soc Lond 82: 396–398 Ueno S, Tashiro T, Harada K (1988) Localised stimulation of neural tissues in the brain by means of a paired conﬁguration of time-varying magnetic ﬁelds. J Appl Phys 64: 5862– 5864 Ugawa Y, Uesaka Y, Terao Y et al. (1994) Magnetic stimulation of corticospinal pathways at the foramen magnum level in humans. Ann Neurol 36: 618–624 Valls-Solé J, Pascual-Leone A, Wassermann EM, Hallett M (1992) Human motor evoked responses to paired transcranial magnetic stimuli. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 355–364 Vogt C, Vogt O (1919) Allgemeinere Ergebnisse unserer Hirnforschung. J Psychol Neurol (Lpz) 25: 277–462 Walsh G, Barlow H, Kohn HI (1946) Magnetic stimulation of the human retina. Fed Proc 5: 110 Wessel K, Kompf D (1991) Transcranial magnetic brain stimulation: lack of oculomotor response. Exp Brain Res 86: 216– 218 Ziemann U, Lönnecker S, Steinhoﬀ BJ, Paulus W (1996) Eﬀects of antiepileptic drugs on motor cortex excitability in humans: a transcranial magnetic stimulation study. Ann Neurol 40: 367–378 Ziemann U, Tergau F, Wassermann EM et al. (1998) Demonstration of facilitatory I-wave interaction in the human motor cortex by paired transcranial magnetic stimulation. J Physiol 511: 181–190

17

2

Hirnstimulation – Technische Grundlagen Thomas Weyh, Hartwig Roman Siebner

2.1

Einführung – 18

2.4

Stimulationsspulen – 22

2.2

Magnetische und elektrische Felder – 18

2.4.1 2.4.2 2.4.3

2.2.1

Grundlagen – das magnetische Feld – 18 Zeitabhängige Magnetfelder – das elektrische Feld – 18 Optimale Pulsdauer bei der Magnetstimulation – 19

Feld – Feldgradient – 22 Spulenfeld – Spulengeometrie – 23 Reizwirkung der Spulen – Tiefenreichweite – 24 Spulenverluste – Spulenerwärmung – 24 Akustisches Artefakt bei Spulen – 25

2.2.2 2.2.3

2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5

Aufbau von Stimulationsgeräten

2.4.4 2.4.5

2.5

Sicherheitsaspekte der transkraniellen Magnetstimulation – 25

Literatur

– 26

– 19

Monophasische Magnetstimulatoren – 20 Biphasische Magnetstimulatoren – 21 Repetitive Magnetstimulatoren – 21 Angabe der Reizstärke – 21 Geräte für Mehrfachpulse – 21

ZUM THEMA Dieses Kapitel beschreibt die technischen Grundlagen der Magnetstimulation speziell in Bezug auf kortikale Reizung. Dabei werden die Grundlagen magnetischer und elektrischer Felder sowie das Prinzip der elektromagnetischen Induktion erläutert. Über die verschiedenen Leistungskreis-Typen von Stimulationsgeräten werden die bei der Magnetstimulation verwendeten Pulsformen erklärt.

Über den Wirkmechanismus der Reizauslösung durch elektrische Felder und Feldgradienten werden die charakteristischen Eigenschaften von Stimulationsspulen beschrieben. Weiterhin wird auf die technischen und physiologischen Sicherheitsaspekte dieses Reizverfahrens eingegangen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

18

Kapitel 2 · Hirnstimulation – Technische Grundlagen

2.1

Einführung

Eine Nervenreizung geschieht bei elektrischer Stimulation dadurch, dass über Elektroden ein kurzer Strompuls in das Körpergewebe appliziert wird. Dieser Strom hat ein elektrisches Feld zur Folge, welches eine Depolarisation des Nervs bewirken kann. Die magnetische Stimulation geht dabei über den Umweg eines magnetischen Feldes: Ein zeitveränderliches magnetisches Feld erzeugt nach dem Faradayschen Gesetz eine induzierte Spannung. Das magnetische Feld durchdringt nahezu ungeschwächt biologisches Gewebe, daher kann im Fall der magnetischen Reizung die Depolarisation berührungslos erfolgen. Die felderzeugende Spule muss also nicht einmal das Körpergewebe berühren; trotzdem kann das Magnetfeld leicht, z. B. die Schädeldecke, durchdringen und das zur Depolarisation nötige elektrische Feld in der Hirnrinde erzeugen. Weiterhin ist das Reizverfahren nahezu schmerzfrei, da keine Elektroden vorhanden sind, welche am Ort der Hautberührung sehr hohe Stromdichten erzeugen und damit die Schmerzrezeptoren direkt ansprechen. Dieser Vorzug kommt speziell bei der transkraniellen Stimulation zum Tragen: Bei der transkraniellen Elektrostimulation musste am Ort der Stromeinspeisung mit sehr hohen Strömen und Feldstärken gearbeitet werden, um ausreichende Ströme bis unter die Schädeldecke in den Kortex zu leiten, was auserserordentlich schmerzhaft war. Im Folgenden sollen die physikalischen Grundlagen der Magnetstimulation (elektrisches und magnetisches Feld), der Mechanismus der Nervenreizung und die Technik der Stimulationsgeräte beschrieben werden.

14

2.2

15

2.2.1 Grundlagen – das magnetische Feld

16 17 18 19 20

Magnetische und elektrische Felder

Ein stromdurchflossener Leiter erzeugt in seiner Umgebung ein magnetisches Feld. Dieses wird wie alle physikalischen Vektorfelder durch Richtung und Stärke an jedem Raumpunkt beschrieben. Bildlich dargestellt wird das magnetische Feld oft in Form von Feldlinien, deren Verlauf die Richtung und deren Dichte qualitativ die Stärke des Feldes anzeigen. Zur Charakterisierung des Feldes werden die beiden physikalischen Größen Flussdichte B und Feldstärke H verwendet. In nichtmagnetischen Medien, wie Luft oder Körpergewebe gilt dabei der einfache Zusammenhang B=µ×H, wobei µ die magnetische Feldkonstante ist: µ=1,257×10- Vs/Am.

Die physikalische Einheit für die Flussdichte ist das Tesla: 1 T=1 Vs/m; die magnetische Feldstärke wird in Ampere pro Meter (A/m) gemessen. Für die Stärke des magnetischen Feldes, welches ein gerader vom Strom I durchflossener Leiter in der Entfernung r erzeugt, gilt nach dem Gesetz von BiotSavart: H=

I 2Sr

Grundsätzlich ist dabei das von Leitern erzeugte Magnetfeld proportional zum Spulenstrom. Weiterhin gilt für das magnetische Feld H das sog. lineare Superpositionsprinzip. Dieses besagt, dass bei Feldern, die sich überlagern, die Vektorkomponenten der Feldstärke einfach addiert werden dürfen. Daher summieren sich bei einer Spule die durch die einzelnen Windungen erzeugten Feldanteile, so dass die Stärke des Feldes sowohl durch den Spulenstrom als auch durch die Windungszahl gesteigert werden kann. Der magnetische Fluss ) (Einheit Weber, 1 Wb=1 Vs) beschreibt bildlich gesprochen die Anzahl der Feldlinien, die eine bestimmte Fläche durchlaufen. Er wird berechnet aus dem Integral der Flussdichte B über diese Fläche. Im Falle homogener Felder kann der Fluss durch eine senkrecht zu ihm liegende Fläche direkt aus dem Produkt von Fläche und Flussdichte bestimmt werden.

2.2.2 Zeitabhängige Magnetfelder –

das elektrische Feld Im Jahr 1831 wurden von Faraday durch Experimente die Prinzipien des Elektromagnetismus enthüllt. Seine Versuche zeigten, dass ein zeitlich oder räumlich veränderliches Magnetfeld in einer Leiterschleife oder einer Spule einen Stromfluss hervorruft. Ursache für diesen Stromfluss ist eine Spannung Uind, die in dieser Leiterschleife durch Induktion entstanden ist (7 Abschn. 2.4.5, Exkurs »Elektromagnetische Induktion«). Ein zeitlich veränderliches magnetisches Feld ruft somit ein – ebenfalls zeitlich veränderliches – elektrisches Feld hervor. > Das elektrische Feld ist wie das magnetische ein Vektorfeld. Es wird in der Einheit Volt pro Meter (V/ m) gemessen. Das Wegintegral längs eines elektrischen Feldes zwischen zwei Punkten A und B ergibt die elektrische Spannung zwischen diesen zwei Punkten.

19

2.3 Aufbau von Stimulationsgeräten

Die Spannung kann im Falle einer kreisförmigen Spule vereinfachend als Produkt der Leiterlänge mit der elektrischen Feldstärke E berechnet werden. Für eine kreisförmige Leiterschleife (Windungszahl N=1) mit dem Radius r gilt also: U ind

d' Eind ¸ 2Qr ; dt

Die induzierte elektrische Feldstärke (E) ist also proportional zur Änderungsgeschwindigkeit des magnetischen Flusses und zum Radius der Leiterschleife. Zur Erzeugung eines zeitlich veränderlichen Feldes kann also eine Spule verwendet werden, die mit einem zeitveränderlichen Strom gespeist wird. Im Gegensatz dazu erzeugen Permanentmagneten grundsätzlich nur magnetische Gleichfelder ohne Induktionswirkung – es sei denn, die Magnete werden relativ zur Messvorrichtung bewegt. Wenn eine Stimulationsspule über leitfähigem Gewebe platziert wird, so ruft der Stimulationspuls der Spule im Gewebe ein elektrisches Feld hervor. Das Gewebe wirkt dabei sozusagen wie eine gedachte Leiterschleife. Entsprechend der Abnahme des magnetischen Feldes mit der Entfernung von der Spule reduziert sich auch das induzierte elektrische Feld mit zunehmender Tiefe im Gewebe. Daher ist die Tiefenreichweite der Spulen ins Gewebe begrenzt.

2.2.3 Optimale Pulsdauer bei der

Magnetstimulation Da auch bei der Magnetstimulation letztlich eine elektrische Nervenreizung erfolgt, gelten prinzipiell dieselben Betrachtungen hinsichtlich einer optimalen Reizdauer, wie sie bereits das Gesetz von Lapique beschreibt. Die zwei wesentlichen Unterschiede liegen zum einen in der Pulsform, die aus technischen Gründen nur wenig variiert werden kann (Rechteckpulspulse sind z. B. nicht möglich), zum anderen in dem System zur Pulserzeugung selbst: Die energetisch extrem schlechte Ankopplung des magnetischen Feldes ans Körpergewebe kann durch kürzere Pulse verbessert werden, so dass optimale Reize bei der Magnetstimulation kürzer sein sollten, als entsprechende bei der Elektrostimulation (d. h. unter 100 µs). Extrem kurze Pulse erfordern allerdings einen deutlich höheren technischen Aufwand, so dass typische kommerzielle Geräte meist Pulsdauern im Bereich von 200‒400 µs verwenden.

2.3

2

Aufbau von Stimulationsgeräten

Bei der induktiven Nervenreizung muss in der Stimulationsspule ein magnetisches Feld schnell aufund wieder abgebaut werden. Das technische Problem dabei besteht darin, das die Feldenergie der Spulen, die bei etwa 20‒200 J liegt, in einer physiologisch optimalen Zeit (ca. 50‒100 µs) auf- bzw. abgebaut werden muss. Daher müssen für kurze Zeit von der Pulsquelle elektrische Leistungen bis zu etwa 4000 kW geliefert und kontrolliert werden. Die erforderlichen Spulenströme liegen dabei im Bereich von etwa 1000‒ 5000 Ampere und die Spannungen von 1000‒3000 V. Üblicherweise erfolgt die Steuerung solch hoher Leistungen in großen Stromrichtern mit entsprechendem Platz- und Materialaufwand. Da diese im Falle der Magnetstimulation aber immer nur für sehr kurze Zeit, nämlich nur während des Stimulationspulses, zur Verfügung gestellt werden muss, bedient man sich eines technischen Tricks: Die Leistungskreise von Magnetstimulatoren werden als sog. elektrische Schwingkreise aufgebaut. Eine Ladeschaltung lädt zunächst den Pulskondensator Cp auf die gewünschte Spannung auf. Die gesamte Pulsenergie befindet sich zu diesem Zeitpunkt vollständig im Pulskondensator; sie bestimmt sich aus der Kapazität C und der Ladespannung des Kondensators. Bei der Pulsauslösung wird über einen Hochleistungsthyristor eine elektrische Verbindung zwischen Kondensator und Stimulationsspule hergestellt; auf diese Weise entsteht der elektrische Schwingkreis, bei dem die Pulsenergie zwischen dem Kondensator (als elektrische Feldenergie) und der Spule (in Form von magnetischer Feldenergie) hin- und herschwingt. Die Frequenz, mit der diese Energie hin- und herschwingt, die Resonanzfrequenz, bestimmt sich aus der Kapazität C des Kondensators und der Induktivität L der Stimulationsspule. Bei Vernachlässigung der elektrischen Verluste ist der Zeitverlauf von Strom und Spannung im Leistungskreis exakt sinusförmig, wobei der Stromverlauf dem der Spannung um eine Viertelwelle (bzw. 90°) nacheilt. Je nach Pulsform kann also die Polarität des Stromes während des Pulses wechseln; die übliche Angabe der Stromrichtung auf den Stimulationspulen bezieht sich daher immer auf die initiale Stromrichtung zu Beginn eines Pulses. Dies ist jedoch aus zwei Gründen leicht irreführend: 1. Bei den biphasischen Pulsformen mit Polaritätswechsel ist für die Reizwirkung eher die Polarität des zweiten Pulsabschnittes entscheidend, als der Beginn.

20

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kapitel 2 · Hirnstimulation – Technische Grundlagen

2. Der Verlauf des im Gewebe induzierten Stromes entspricht eher dem Verlauf der Spulenspannung und nicht dem des Stromes, so dass eine auf der Spule angegebene Stromrichtung nur bedingt Aussagen über die Polarität des im Gewebe induzierten Stromes liefern kann. Je nach genauer Ausführung dieses elektrischen Leistungskreises unterscheidet man die unterschiedlichen Stimulatortypen mit ihren jeweiligen Pulsformen:

2.3.1 Monophasische Magnetstimulatoren Beim monophasischen Stimulator (. Abb. 2.1, links oben) ist diese Schwingung durch einen Widerstand R und eine Diode D bedämpft, so dass nach der ersten Viertelwelle die Amplitude des Stromes abklingt, ohne die Polarität zu ändern (. Abb. 2.1, links unten). Die Bezeichnung monophasisch wurde durch den Zeitverlauf der Spulenspannung geprägt; dieser, und somit auch der Verlauf der im Gewebe induzierten Feldstärke, schwingen während des Pulses nur wenig

(ca. 20) in die Gegenrichtung und weisen daher eine ausgeprägte Polarität auf. Die Pulsdauer von monophasischen Geräten ist üblicherweise deutlich länger (Anstiegsgeschwindigkeit des Spulenstromes: ca. 100 µs; Abfallzeit: ca. 800 µs) als von biphasischen Stimulatoren, da beim monophasischen Puls in erster Linie die Anstiegsgeschwindigkeit des Stromes während der ersten Viertelwelle für den Reizeffekt verantwortlich ist. Die ersten kommerziellen Geräte verwendeten bereits diese Pulsform, da sie am ehesten mit den Pulsformen von Elektrostimulatoren vergleichbar ist (Barker 2002). Allerdings haben monophasische Pulse einen gravierenden Nachteil, denn hierbei wird bei jedem Puls die gesamte Pulsenergie im Bypass-Widerstand R bzw. in der Spule in Wärme umgewandelt. Wegen des hohen Energieverbrauchs und der starken Spulenerwärmung eignen sich diese Stimulatoren nur für Einzelreize mit einem minimalen Pulsabstand von wenigen Sekunden; sie werden als Standard-Rate-Stimulator bezeichnet. Wichtigste Einsatzgebiete sind die Forschung und Diagnostik.

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

a . Abb. .a,b. Leistungskreise und Pulsformen von Magnetstimulatoren. a Monophasischer Stimulator mit Bedämpfung negativer Spannungen durch die Diode D und den Widerstand R. b Biphasischer Stimulator zur Erzeugung von SinusVollwellen; wenn man die Diode D durch einen weiteren Thy-

b ristor ersetzt, kann der Stromverlauf bereits nach einer halben Schwingung gestoppt werden. Damit entstehen biphasische Halbwellen. Die Angaben auf der Zeitachse beziehen sich jeweils auf die Zeitdauer T einer vollen Sinusschwingung des ungedämpften Kreises

2.3 Aufbau von Stimulationsgeräten

21

2

2.3.2 Biphasische Magnetstimulatoren

2.3.4 Angabe der Reizstärke

Biphasische Stimulatoren (. Abb. 2.1, rechts oben) haben eine möglichst geringe Bedämpfung, welche nur durch die Innenwiderstände von Spule, Kondensator, Thyristor und den Stromzuführungen verursacht werden. Die Unterbrechung des Schwingungsvorganges gelingt dabei durch das selbsttätige Verlöschen des Thyristors beim Nulldurchgang des Stromes. Bei den üblichen kommerziellen Geräten geschieht dies erst nach dem Durchlaufen einer kompletten Vollwelle (. Abb. 2.1, rechts unten); durch die Verwendung von zwei Thyristoren kann sie bereits nach der ersten Halbwelle (. Abb. 2.1, rechts unten) erfolgen (biphasischer Halbwellenstimulator). Da in beiden Fällen die induzierte Feldstärke ihre Polarität wechselt, spricht man in beiden Fällen von biphasischer Stimulation. Der Vorteil der biphasischen Stimulatoren gegenüber den monophasischen Geräten besteht darin, dass ein großer Teil Pulsenergie (bis zu 80) nach einer Halb- oder Vollwelle wieder in den Pulskondensator zurückgespeist werden kann. Auf diese Weise wird sowohl der Energieverbrauch des Gerätes selbst als auch die Erwärmung der Spulen drastisch reduziert.

Die Reizstärke magnetischer Stimulatoren wird bei den kommerziellen Geräten immer auf einer Prozentskala von 0‒100 eingestellt. Diese Stärke bezieht sich gerätetechnisch auf die eingestellte Entladespannung des Pulskondensators relativ zum spezifischen Maximum des jeweiligen Gerätetyps. Eine Halbierung der Intensität in  bedeutet z. B. eine Halbierung der Entladespannung und damit auch eine Halbierung der von der Spule erzeugten Feldstärke, bzw. eine Viertelung der Pulsenergie, da die Pulsenergie quadratisch von der Kondensatorspannung abhängt. Die Bedeutung der Prozentangabe für die Reizintensität bei Stimulatoren suggeriert eine Vergleichbarkeit verschiedener Geräte untereinander. In Wirklichkeit handelt es sich hierbei aber immer um die gerätespezifische Reizstärkeneinstellung des jeweils verwendeten Gerätetyps. Diese Prozentangabe kann daher nicht zum Vergleich von Reizintensitäten bei unterschiedlichen Stimulationskonfigurationen verwendet werden, d. h. bereits bei Verwendung eines anderen Spulentyps kann die Reizschwelle stark verändert sein. Verschiedene Stimulationsgeräte mit unterschiedlichen Kapazitäten des Pulskondensators bzw. maximalen Entladespannungen oder unterschiedlichen Pulsformen würden auch bei Verwendung identischer Spulen völlig unterschiedliche Reizintensitäten erzeugen. Daher sollte grundsätzlich für jede Kombination von Patient, Spule und Pulsquelle die jeweilige Reizschwelle individuell bestimmt werden. Dies geschieht in Form der motorischen Reizschwelle in Ruhe (engl. resting motor threshold, RMT) oder der aktiven motorischen Reizschwelle (engl. active motor threshold, AMT); dabei ist die AMT oft deutlich niedriger als die RMT. Typische Reizuntersuchungen werden dann mit einem bestimmten Aufschlag gegenüber der zuvor individuell ermittelten Reizschwelle durchgeführt (7 Kap. 14).

2.3.3 Repetitive Magnetstimulatoren Repetitive Stimulatoren verwenden daher ausschließlich die biphasische Pulsform; diese Geräte können Stimulationspulse in kurzen Zeitabständen abgeben. Repetitive transkranielle Magnetstimulation wird entsprechend als rTMS abgekürzt. Die schnellsten Geräte arbeiten derzeit mit einer maximalen Pulsfrequenz von 100 Hz. Bei den meisten Anwendungen wird aber mit deutlich niedrigeren Repetierraten von ca. 1‒ 30 Hz gearbeitet. Allerdings haben biphasische Reizgeräte durch den Polaritätswechsel des induzierten Feldes auch eine leicht veränderte Reizwirkung gegenüber monophasischen Geräten: Während die Halbwellenstimulation eine der monophasischen Stimulation relativ ähnliche Wirkung erzeugt, fällt bei der Stimulation mit Vollwellen auf, dass – insbesondere bei der transkraniellen Stimulation – die Anfangspolarität des Spulenstromes für eine optimale Reizwirkung genau entgegengesetzt zur Reizung mit Halbwellen oder mit monophasischen Stimuli liegen muss. Bei der Vollwelle wird daher vermutlich die Reizwirkung hauptsächlich durch die zweite Halbschwingung verursacht (7 Kap. 3).

2.3.5 Geräte für Mehrfachpulse Für einige medizinische Fragestellungen ist es wünschenswert, zwei oder mehr Reize in sehr kurzem Zeitabstand (wenige Millisekunden) und mit unterschiedlicher Intensität abzugeben (7 Kap. 16). Da die Leistungskreise der meisten repetitiven Geräte nicht in so kurzer Folge Pulse liefern können, werden für diesen Zweck oft mehrere konventionelle Geräte über eine spezielle Leistungsverbindung an eine Stimulationsspule zusammengeschaltet. Die Geräte müssen

22

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 2 · Hirnstimulation – Technische Grundlagen

dann über ein Ansteuersystem mit kurzem Zeitversatz direkt nacheinander getriggert werden. Eine Ausnahme bilden biphasische Halbwellenstimulatoren; diese Geräte können zwei Halbwellen entgegengesetzter Polarität mit beliebig kurzen Zeitabständen abgeben, so dass auf diese Weise Doppelpulse mit nur einem Stimulationsgerät erzeugt werden können (z. B. P-Stim-160 der Fa. MAG & More GmbH).

2.4

Stimulationsspulen

Die Spule ist einerseits das Behandlungsteil, dessen magnetisches Feld ins Nervengewebe eingebracht werden soll, andererseits ist sie Bestandteil des oben beschriebenen Leistungskreises, bestehend aus Kondensator, Spule und Steuerung. Entsprechend werden auch zweierlei Anforderungen an sie gestellt: Stärke und räumliche Ausdehnung des magnetischen bzw. des induzierten elektrischen Feldes sollten den physiologischen Erfordernissen entsprechen. Gleichzeitig müssen aber auch die Induktivität und die Stromtragfähigkeit der Spule den Bedingungen für Pulsdauer, Spulenstrom und Erwärmungsverhalten genügen. Da die Anforderungen aus diesen beiden Bereichen teilweise konträr sind, stellen die tatsächlich realisierbaren Spulen in gewisser Weise immer einen Kompromiss dar. So sollte z. B. eine Spule als Medizingerät meist leicht und klein sein, damit steigt allerdings ihr ohmscher Innenwiderstand, weshalb sie wesentlich schneller überhitzt als eine große Spule. Durch die Vorgaben von Pulskondensatorkapazität und Pulsdauer (7 Abschn. 2.3) ist die für die Spule erforderliche Induktivität bereits relativ genau festgelegt. Diese wiederum bestimmt, abhängig von der Spulengröße, auch die ungefähre Windungszahl. Bei Konstruktion und Gestaltung von Spulen muss daher diese vorgegebene Windungszahl immer beachtet werden.

2.4.1 Feld – Feldgradient Ähnlich wie bei der Elektrostimulation ist für die Depolarisation einer Nervenzelle weniger die Stärke des elektrischen Feldes selbst, sondern sein räumlicher Gradient, (d.h. die Änderungsrate der Feldstärke entlang einer bestimmten Raumrichtung) entscheidend (Basser 1994; Ilmoniemi et al. 1999; Roth u. Basser 1990; Ruohonen 1998). Anhand einfacher Ersatzschaltbilder kann gezeigt werden, dass ein Ionenstrom durch die Zellmembran erzwungen werden kann, wenn sowohl das Feld, wie auch sein Gradi-

. Abb. .. Entstehung einer Depolarisation durch ein elektrisches Gradientenfeld. Links oben Ein gekrümmtes elektrisches Feld entlang einer Nervenfaser kann einen Ionenstrom durch die Membran verursachen. Links unten Horizontale, in Richtung des Axons verlaufende Feldkomponente; die Stärke nimmt nach rechts ab. Rechts Ein homogenes Feld, welches ein gekrümmtes Axon durchläuft, hat dieselbe Wirkung; aus Sicht des Axons tritt auch hier wieder ein Feldgradient auf, der das Axon depolarisieren kann, E elektrische Feldstärke

ent in Richtung des zu depolarisierenden Axons verlaufen (. Abb. 2.2, links). Da speziell sehr kleine Spulen mit gleichem Feldgradienten (aber geringerer absoluter Feldstärke) eine deutlich geringere Reizwirkung aufweisen, liegt der Schluss nahe, dass für die erfolgreiche Reizung eine Kombination aus Feldstärke und Feldgradient überschritten werden muss. Für die exakte Festlegung des Reizortes ist dies vor allem für langgestreckte periphere Nerven von großer Bedeutung, z. B. kann ein ringförmiges elektrisches Feld beim peripheren Nerv nur an einem Punkt eine Depolarisation auslösen. Für die Reizung von kortikalem Gewebe hat dagegen der gewundene Verlauf der Axone einen wichtigen weiteren Einfluss: Aus Sicht eines gebogenen Axons weist nämlich bereits ein gleichförmiges elektrisches Feld einen Gradienten auf (. Abb. 2.2, rechts) und trägt damit direkt zur Reizwirkung entscheidend bei. Somit kann speziell bei der transkraniellen Magnetstimulation eine wichtige und trotzdem relativ genaue Vereinfachung zur Bestimmung des Reizortes vorgenommen werden, indem man den Ort des maximalen elektrischen Feldes einer Spule als den Ort maximaler Reizung ansetzt. Entscheidend ist allerdings nach wie vor die Orientierung der Faser zum Feld.

23

2.4 Stimulationsspulen

2.4.2 Spulenfeld – Spulengeometrie Das von einer Stimulationsspule erzeugte Magnetfeld kann menschliches Gewebe ungehindert durchdringen; das Feld wird entsprechend selbst kaum beeinflusst. Aus dem geometrischen Verlauf des Magnetfeldes, seiner zeitlichen Änderungsrate und der Verteilung der elektrischen Leitfähigkeit kann daraus das elektrische Feld bzw. sein Gradient berechnet werden (7 Abschn. 2.2.2 und 2.4.1). Dieses kann durch die unterschiedlichen Leitfähigkeiten des Körpergewebes jedoch durchaus beeinflusst werden. Um dennoch unterschiedliche Spulengeometrien hinsichtlich Reizstärke und Fokalität objektiv untereinander vergleichen zu können, wird meist das von ihnen induzierte elektrische Feld in einem homogen leitfähigen Medium berechnet. Bei der kortikalen Stimulation halten sich die so entstandenen Abweichungen wegen Form und Größe des menschlichen Schädels meist in einem erträglichen Rahmen. Den Zusammenhang zwischen magnetischem und induziertem elektrischen Feld intuitiv zu erschliessen, fällt nicht ganz leicht: Die Richtung des elektrischen Feldes liegt immer rechtwinklig zu der des magnetischen Feldes, so dass das elektrische Feld etwa wieder in die Richtung der Spulenleiter zeigt. Allerdings liegt das maximale magnetische Feld nicht am selben Ort wie das maximale elektrische Feld. Das grundsätzliche Prinzip, wie magnetische oder induzierte elektrische Felder erzeugt werden, hat zur Folge, dass diese Felder mit der Entfernung von der felderzeugenden Anordnung immer stetig abnehmen. Daher können auch weder das magnetische noch das elektrische Feld in einer Entfernung von der Spule konzentriert oder wieder verstärkt werden, wie es z. B. bei hochfrequenten elektromagnetischen Wellen möglich ist. Sowohl die Intensität als auch die Fokalität der Spulen nimmt daher immer mit der Tiefe ab. Für die Erzeugung magnetischer Felder werden oftmals Spulen mit ferromagnetischen Kernen (wie z. B. Weicheisen) verwendet. Hierdurch kann einerseits das magnetische Feld gelenkt oder an einem bestimmten Ort konzentriert werden und andererseits die gesamte erforderliche Feldenergie reduziert werden. Speziell für die Magnetstimulation hat diese Technik aber zwei Nachteile: 1. Einerseits zeigen die Materialien oberhalb einer bestimmten magnetischen Flussdichte ein Sättigungsverhalten und lassen damit keine stärkeren Felder mehr zu. 2. Andererseits entstehen speziell bei Pulsanwendungen in diesen Materialien z. T. erhebliche Wirbelstromverluste, welche die Vorteile der

2

Flussführung wieder zunichte machen würden. Daher werden Stimulationsspulen meist als sog. Luftspulen, also ohne ferromagnetischen Kern, ausgeführt.

Die Rundspule Die ersten kommerziell hergestellten Stimulationsspulen waren Rundspulen (. Abb. 2.3, links oben); ein elektrischer Leiter mit ausreichendem Querschnitt wird einlagig spiralförmig aufwickelt. Das magetische Feld der Rundspule hat sein Maximum genau im Zentrum der Spule; das maximale elektrische Feld ist dagegen ringförmig um das Zentrum der Spule gewunden. In und unterhalb des Spulenzentrums ist die Stärke des induzierten elektrischen Feldes gleich null; Nervengewebe genau unterhalb des Spulenzentrums wird also nicht gereizt! Je nach Anordnung und Richtung der Nervenzellen unterhalb der Spule ergibt sich also entweder ein Reizmaximum auf diesem Ring oder sogar ein ringförmiges Stimulationsareal (. Abb. 2.3, links unten). Wegen der Ungenauigkeit des Stimulationsareals eignet sich die Rundspule daher nicht für topographisch präzise Untersuchungen; allerdings zeichnet sie sich durch hohe Tiefenreichweite und geringe Erwärmung aus, weshalb sie für z. B. in klinisch-neurophysiologischen Routineuntersuchungen gerne verwendet wird (7 Kap. 5–13).

Die achtförmige Spule Die achtförmige Spule (auch: Achter- oder Doppelspule) kann man sich vorstellen als zwei nebeneinander angeordnete Rundspulen (. Abb. 2.3, rechts oben). Elektrisch sind diese beiden Teilspulen so miteinander verbunden, dass der Strom zunächst die erste und dann in gegenläufiger Stromrichtung die zweite Teilspule durchsetzt. Durch diese Gegenläufigkeit addieren sich die induzierten elektrischen Felder am Berührpunkt der beiden Teilspulen. Somit ergibt sich genau unterhalb der Mitte der achtförmigen Spule ein relativ klar definiertes ‒ und im Vergleich zur Gesamtgröße der Spule auch sehr kleines ‒ Maximum des elektrischen Feldes. Wenn die verwendete Reizintensität schwellennah gewählt wird, erfolgt eine Nervenreizung nur in dem kleinen Bereich dieses Maximums (. Abb. 2.3, rechts unten). Bei etwa gleicher Gesamtgröße hat eine achtförmige Spule ein sehr kleines Reizareal; sie ist also wesentlich fokaler als eine Rundspule. Daher eignet sie sich für viele Anwendungsgebiete in Forschung und Diagnostik, wie z. B. für das kortikale Mapping, bei dem Funktionen motorischer Areale räumlich zugeordnet werden (7 Kap. 40). Spezielle Achterspulen weisen noch eine Wölbung auf, um sich noch besser

24

Kapitel 2 · Hirnstimulation – Technische Grundlagen

. Abb. .a,b. a Rund- und Achterspule (Doppelspule) sind die am häuﬁgsten verwendeten Stimulationsspulen. b Unter den Spulen ist die jeweilige Verteilung des induzierten elektrischen Feldes dargestellt; das Feld (E) wurde für beide Spulen in einer Ebene unterhalb der Spule berechnet; die Höhe der 3-D-Kurven entspricht dem Betrag des Feldes (Abbildung in Farbe 7 S. 631)

1 2 3 4

a

5 6 7 8

b

9 10

an das Gewebe anzupassen, und damit sowohl Reizwirkung als auch Fokalität noch weiter zu steigern.

11

2.4.3 Reizwirkung der Spulen –

12 13 14 15 16 17 18 19 20

Tiefenreichweite Das von der Spule erzeugte induzierte Feld nimmt grundsätzlich mit der Entfernung von den Spulenleitern ab. Damit erstreckt sich das Reizareal, also das Gebiet in welchem Aktionspotenziale in den Nervenzellen ausgelöst werden können, immer von der Spulenauflagefläche auf dem Gewebe weg ins Innere des Körpers. Bei leicht überschwelliger Reizung mit einer Achterspule hat das Reizareal z. B. etwa die Form einer Halbkugel oder eines Rotationsellipsoids. Die maximale Eindringtiefe bei einer auf das Körpergewebe aufgelegten Spule, in der noch Reize ausgelöst werden können, wird meist als Tiefenreichweite bezeichnet. Für diese Tiefe können leider schlecht allgemeingültige Aussagen gemacht werden; sie bestimmt sich aus Spulenform und -größe, aus der eingestellten Reizstärke und aus der Ansprechschwelle des Zielgewebes. Die Tiefenreichweite kommerzieller Spulen bei maximaler Reizintensität liegt etwa bei ca. 1‒6 cm. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass sich das Reizareal und die Tiefenreichweite mit der Größe der Spule bzw. mit der Reizintensität steigern lassen.

2.4.4 Spulenverluste – Spulenerwärmung Bei jedem Stimulationspuls geht aufgrund der hohen Ströme ein relativ großer Teil der Pulsenergie in Form elektrischer Stromwärmeverluste in der Spule verloren bzw. wird dort in Wärme umgewandelt. Ein wichtiges Problem der Spulen ist daher ihr Erwärmungsverhalten. Manche Spulen haben sich bereits nach wenigen 100 Pulsen soweit aufgeheizt, dass die (für den Einsatz am Körpergewebe) zulässige Temperatur von 41°C überschritten wird. Speziell für den repetitiven Einsatz existieren technische Lösungen, um eine möglichst lange Einsatzdauer ohne zwischenzeitlich erforderlich Spulenwechsel zu gewährleisten. Eine Verbesserung des Erwärmungsverhaltens kann einerseits durch den Einsatz optimierter Pulsformen, wie den biphasischen Pulsen mit guter Reizwirkung bei geringen Wärmeverlusten erfolgen. Andererseits können die Spulen hinsichtlich ihrer Stromwärmeverluste durch Reduktion des Innenwiderstands verbessert werden. Diese Reduktion kann zum Teil durch die Verwendung spezieller Hochfrequenzlitze, aber auch durch Verwendung größerer Leiterquerschnitte erreicht werden, was die Spulen allerdings wieder schwerer und unhandlicher macht. Weiterhin werden vereinzelt auch extern wasseroder luftgekühlte Spulen verwendet. Diese sind allerdings ebenfalls recht unhandlich in der Bedienung, so dass oft auf die einfachste Möglichkeit zurückgegrif-

25

2.5 Sicherheitsaspekte der transkraniellen Magnetstimulation

Exkurs

fen wird: Die Verwendung von mehreren baugleichen Spulen, die der Reihe nach ausgetauscht werden. Mit zunehmender Reizintensität steigen die Spulenverluste quadratisch an, d. h. bei Verdopplung des Stimulator-Outputs wird die maximale Pulszahl bis zur Übertemperaturabschaltung auf ein Viertel reduziert. Daher ist gerade bei repetitiver Reizung auf eine optimale Spulenpostion und -orientierung in Bezug auf das zu reizende Gewebe zu achten (7 Kap. 3, 6 und 12), um mit möglichst geringem Stimulator-Output das gewünschte Reizergebnis zu erhalten.

Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) Die tDCS (engl. transcranial direct current stimulation) stellt eine Methode dar, bei der das Gehirn über von außen am Kopf angelegten Elektroden mit Gleichstrom gereizt wird (7 Kap. 53). Die Reizung erfolgt also – ähnlich wie bei TMS nichtinvasiv – durch den intakten Schädelknochen und wird mit einer vergleichsweise niedrigen Stromstärke durchgeführt. Daher werden im Gegensatz zur TMS auch nicht direkt Aktionspotenziale ausgelöst, sondern es ﬁndet eine Art Polarisationseﬀekt statt. Der angelegte Gleichstrom wird dabei mindestens für einige Minuten transkranial appliziert. Die Wirkung der tDCS, eine Modulation der neuronalen Erregbarkeit bzw. der Intensität evozierter Potenziale, stellt sich dabei als Nachwirkung direkt nach der Stimulation ein und kann für einige Minuten bis zu mehreren Stunden anhalten. Das Verfahren wurde zwar bereits in den 60erJahren untersucht und in der Literatur erwähnt (Bindmann et al. 1964), wird aber erst seit wenigen Jahren mit erhöhter Aufmerksamkeit hinsichtlich des zu Grunde liegenden Mechanismus bzw. seiner Anwendungsmöglichkeiten erforscht (Paulus 2003). Als mögliche Erklärung des Eﬀektes wird eine durch den Gleichstrom verursachte Manipulation von Ionenkanälen bestimmter Nervenzelltypen diskutiert. Insbesondere zeigte sich, dass MEP je nach Stromrichtung eher verkleinert (kathodische tDCS) oder vergrößert (anodische tDCS) werden können. Damit erscheint die tDCS als ein neues sehr vielversprechendes Verfahren in der Erforschung der Neuroplastizität (7 Kap. 53). Möglicherweise könnte sich diese Reizmethode sogar zur Behandlung neurologischer Erkrankungen oder in der Neurorehabilitation einsetzen lassen (7 Kap. 56).

2.4.5 Akustisches Artefakt bei Spulen Durch die großen magnetischen Kräfte, die während des Strompulses auch zwischen den Spulenleitern wirken, wird die Spule bei jedem Puls kurzzeitig leicht verformt. Hierdurch entsteht ein charakteristisches Knackgeräusch, welches z. T. nicht unerhebliche Schalldrücke aufweisen kann. Kortikale Reizungen mit großen Reizintensitäten oder repetitiver Stimulation können damit sehr unangenehm und im Extremfall sogar gehörschädigend wirken (Gehörschutz!). Außerdem können durch die akustischen Reize TMS-Untersuchungen bez. ihrer Aussage stark verfälscht werden. Die Hersteller von Spulen bemühen sich daher durch spezielle Materialien für die Spulengehäuse bzw. für den Leiterverguss, diese Geräusche möglichst klein zu halten. Exkurs

Elektromagnetische Induktion – Faradaysches Gesetz In einer Spule wird eine elektrische Spannung, bzw. ein Stromﬂuss induziert, wenn der sie durchsetzende magnetische Fluss ) sich zeitlich ändert. Dieselbe Erscheinung ist zu beobachten, wenn ein Leiter quer zu den Feldlinien durch ein Magnetfeld bewegt wird. Der Vorgang wird als magnetische Induktion bezeichnet; er stellt im Prinzip die Umkehrung des Phänomens dar, bei dem stromdurchﬂossene Leiter ein magnetisches Feld erzeugen. In einer Spule der Windungszahl n wird bei zeitlicher Änderung des magnetischen Flusses eine Spannung Uind bzw. entlang der Spulenleiter eine elektrische Feldstärke Eind induziert: Uind

¨

d' Eind dl n dt

2

2.5

Sicherheitsaspekte der transkraniellen Magnetstimulation

Die transkranielle Magnetstimulation als Therapieoder Diagnoseverfahren gilt als nicht völlig ungefährlich (7 Kap. 4). Beim Gefährdungspotenzial kann man hierbei unterscheiden, ob es sich um eine elektrische Gefährdung durch hohe Spannungen oder Ströme,

26

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 2 · Hirnstimulation – Technische Grundlagen

um eine Gefährdung durch Magnetfelder handelt oder ob die magnetischen Reize selbst eine Gefährdung für den Patienten darstellen könnten. Eine elektrische Gefährdung kann nur im Falle eines Gerätedefektes auftreten, wenn z. B. Isolationen beschädigt sind. Der Gerätehersteller hat allerdings dafür Sorge zu tragen, dass solche Störungen entweder nur mit extrem geringer Wahrscheinlichkeit auftreten oder das Gerät sich im Fehlerfall abschaltet. Gefährdungen durch die starken Feldpulse können allerdings nur ausgeschlossen werden, wenn der Bediener des Gerätes entsprechend den Hinweisen der Bedienungsanleitung nicht in unmittelbarer Umgebung von Metallteilen Pulse auslöst und sich beim Patienten versichert, dass dieser keine Implantate trägt. Eine Gefährdung über die Reize selbst kann insbesondere bei der repetitiven transkraniellen Stimulation auftreten, da ‒ in seltenen Fällen ‒ z. B. epileptische Anfälle ausgelöst werden können. Diese Gefährdung kann nicht durch technische Maßnahmen ausgeschlossen werden, da je nach Anwendungsfall die unterschiedlichsten Reizintensitäten und -frequenzen sinnvoll oder erforderlich sind. Auch hier gilt es, dass sich der Bediener des Gerätes an entsprechende Sicherheitsrichtlinien hält (Chen et al. 1997). Dies sind allerdings nur relativ grobe Empfehlungen, sie können nicht speziell auf das einzelne Individuum eingehen. Wie jedes Medizingerät in Deutschland müssen Magnetstimulatoren den Vorgaben des Medizinproduktegesetzes (MPG) entsprechen. Dabei werden die Geräte grob in verschiedene Klassen möglicher Gefährdung unterteilt. Für Magnetstimulatoren ist das üblicherweise die Klasse II; dies sind z. B. Geräte, die eine potentielle Gefährdung darstellen könnten. Zur Erlangung der Zulassung in Form des CEZertifikates ist für ein solches Gerät eine komplette Risikoanalyse durchzuführen: Jede bei dem Gerät mögliche Gefährdungsart wird mit einer Auftretenswahrscheinlichkeit und dem Schadensmaß im Falle des Auftretens bewertet. Wenn das Produkt dieser beiden Kriterien zu groß ist, muss diese Gefährdungsmöglichkeit verringert werden, indem entweder die Wahrscheinlichkeit oder das Schadensmaß, z. B. durch technische Maßnahmen, reduziert wird.

Literatur Barker, AT (2002) The history and basic principles of magnetic nerve stimulation. In: Pascual-Leone A, Davey NJ, Rothwell J, Wassermann, EM, Puri BK. Handbook of transcranial magnetic stimulation. Arnold, London, pp 3–17

Basser PJ (1994). Focal Magnetic Stimulation of an Axon. IEEE Trans Biomed Eng 41(6) Bindmann LJ, Lippold OC, Redfearn JWT (1964). The action of brief polarizing currents on the cerebral cortex of the rat (1) during current ﬂow and (2) in the production of longlasting after-eﬀects. J Physiol 172: 369–382 Chen R, Gerloﬀ C, Classen et al. (1997). Safety of diﬀerent inter-train intervals for repetitive transcranial magnetic stimulation and recommendations for safe ranges of stimulation parameters. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 105: 415–421 Ilmoniemi RJ, Ruohonen J, Karhu J (1999). Transcranial magnetic stimulation – a new tool for functional imaging of the brain. Crit Rev Biomed Eng 27: 241–284 Paulus, W (2003). Transcranial direct current stimulation. In: Paulus W, Tergau F, Nitsche M, Rothwell JC, Ziemann U, Hallett M. Transcranial magnetic stimulation and transcranial direct current stimulation Suppl Clin Neurophysiol 56: 249–254 Roth BJ, Basser PJ (1990). A model of the stimulation of a nerve ﬁber by electromagnetic induction. IEEE Trans Biomed Eng 37(6) Ruohonen J (1998) Transcranial magnetic stimulation: Modelling and new techniques. Dissertation for the degree of Doctor of Technology at Helsinki University of Technology, Espoo, Finland

27

3

Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen Hartwig Roman Siebner, Ulf Ziemann 3.1

Einführung – 28

3.2

Allgemeine Betrachtungen

3.2.1

Die periphere elektrische Neurostimulation – 28 Neuroanatomische Grundlagen – 31 Ankopplung des elektrischen Feldes an die kortikale neuronale Aktivität – 33

3.2.2 3.2.3

– 28

3.3

Transkranielle Stimulation des primären motorischen Kortex – 35

3.3.1

Transkranielle elektrische Stimulation des primären motorischen Handareals – 37 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Handareals – 38 Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Beinareals – 42 Kortikospinale Aktivierung der spinalen Motoneurone – 42

3.3.2 3.3.3 3.3.4

Literatur

– 44

ZUM THEMA Dieses Kapitel behandelt die elektrophysiologischen Grundlagen der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) am Beispiel der Stimulation des primären motorischen Kortex. Die neurophysiologsichen Mechanismen der TMS sind im Vergleich zur Elektrostimulation des peripheren Nervs ungleich komplexer und viele Fragen sind aktuell noch unbeantwortet. Selbst wenn eine »fokale« achtförmige Reizspule verwendet wird, ist die TMS nicht umschrieben genug, um einzelne Neuronenpopulationen im Kortex selektiv zu stimulieren. Wird die Reizspule tangential auf die Schädeloberﬂäche aufgesetzt, induziert der Magnetreiz ein relativ homogenes, horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld in dem unter der Spule liegenden Kortex. Aufgrund theoretischer Erwägungen wird angenommen, dass die TMS bevorzugt Aktionspotenziale in solchen Axonen auslöst, die parallel zum induzierten elektrischen Feld verlaufen und einen gebogenen Verlauf haben. Die durch das elektromagnetische Wechselfeld induzierten Aktionspotenziale breiten sich über synaptische Verbindungen im stimulierten Kortex aus

und verursachen ein komplexes Muster an exzitatorischen und inhibitorischen postysnaptischen Aktionspotenzialen. Diese indirekten, »transsynaptischen« Effekte tragen wahrscheinlich wesentlich zur kortikalen Neurostimulation bei. Neben technischen Variablen wie der Reizintensität oder der Reizkonﬁguration beeinﬂussen intrinsische Variablen wie die Ausrichtung der Axone im stimulierten Kortex relativ zur Orientierung des induzierten elektrischen Feldes, der Abstand des zu stimulierenden Kortex von der Schädeloberﬂäche oder das aktuelle Erregbarkeitsniveau der kortikalen Neurone zum Zeitpunkt der TMS wesentlich die Eﬃzienz der transkraniellen Neurostimulation. Die Auslösung von Aktionspotenzialen in kortikokortikalen oder kortikosubkortikalen Projektionsneuronen führt zur transsynaptischen Ausbreitung der Neurostimulation in mit dem kortikalen Zielareal verbundene Hirnregionen. Dieser Mechanismus ist vermutlich für funktionelle »Netzwerkeﬀekte« der TMS von entscheidender Bedeutung.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

28

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

3.1

Einführung

Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) wird über ein zeitlich veränderliches Magnetfeld im Hirngewebe ein elektrisches Feld induziert, um Nervenzellen zu reizen (7 Kap. 2). Hierfür wird in der Regel eine Reizspule tangential zur Schädeloberfläche aufgelegt und mit einem zeitveränderlichen Strom gespeist. Bei homogener Leitfähigkeit des Gewebes führt ein transkranieller Magnetimpuls zu einem Stromfluss im Gewebe, der parallel zum Strom in der Stimulationsspule verläuft und eine entgegengesetzte Stromrichtung hat (7 Kap. 2). Seit ihrer Einführung durch Barker et al. (1985) wurde die TMS in zahlreichen Untersuchungen weltweit eingesetzt, um die kortikale Erregbarkeit und Konnektivität insbesondere des motorischen Systems zu untersuchen oder um Hirnfunktionen passager zu beeinflussen (7 Kap. 1). Trotz der breiten Anwendung der TMS sind wichtige Fragen zur Ankopplung des induzierten elektrischen Feldes an die kortikalen Neurone bislang unbeantwortet: 5 Welche Anteile des Kortex werden präferenziell erregt? 5 Werden auch Axonbündel im subkortikalen Marklager von der TMS effektiv stimuliert? 5 Welche Neuronenpopulationen haben die niedrigste Reizschwelle? 5 An welcher Stelle werden die Neurone erregt?

15

Am besten sind die Mechanismen der transkraniellen Neurostimulation für die TMS des primären motorischen Kortex untersucht (Übersicht bei Amassian et al. 1987; Di Lazzaro et al. 2004). Im Folgenden wird der derzeitige neurophysiologische Kenntnisstand zur Wirkweise transkranieller elektrischer und magnetischer Stimuli unter besonderer Berücksichtigung der TMS des primären motorischen Kortex zusammengefasst.

16

3.2

17

3.2.1 Die periphere elektrische

13 14

18 19 20

Allgemeine Betrachtungen Neurostimulation

Bei der TMS handelt es sich um eine induktive (elektromagnetoelektrische) Nervenstimulation, wobei über den »Umweg« eines zeitlich veränderlichen Magnetfeldes im Gewebe ein elektrisches Feld induziert wird. Da das magnetische Feld nur dazu dient, ein elektrisches Feld im Gehirn aufzubauen, ist der Begriff »Magnetstimulation« irreführend, hat sich aber in der Praxis durchgesetzt. Da das im Gehirn

induzierte, elektrische Feld die transkranielle Neurostimulation bewirkt, basiert die Nervenreizung durch die TMS prinzipiell auf denselben Mechanismen wie bei der konventionellen Elektrostimulation. Wie bei der Elektrostimulation ist für die Depolarisation eines Axons der räumliche Gradient des induzierten elektrischen Feldes (d. h. die Änderungsrate der Feldstärke entlang einer bestimmten Raumrichtung) im Verhältnis zum Verlauf des Axons entscheidend (7 Kap. 2). Überschreitet die durch den elektrischen Gradienten induzierte Membrandepolarisation eine kritische Schwelle, kommt es zu einer drastischen Zunahme der Durchlässigkeit depolarisierender Ionenkanäle (v. a. Natrium-Kanäle). Diese Permeabilitätsänderung der Ionenkanäle bewirkt einen akuten Einstrom von NaIonen von extra- nach intrazellulär und löst ein Aktionspotenzial aus (7 Exkursbox »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«). Die TMS beruht also auf einer elektrischen Stimulation kortikaler Neurone. Es ist daher sinnvoll, sich zunächst die wesentlichen Prinzipien der peripheren elektrischen und magnetischen Nervenstimulation zu vergegenwärtigen, um die Wirkweise der TMS zu verstehen. Bei der konventionellen elektrischen Nervenstimulation ist die Situation relativ übersichtlich, da ein Bündel von im Nerv parallel verlaufenden Axonen stimuliert wird. Hierzu wird eine bipolare Stimulationselektrode parallel zum Nervenverlauf auf der Haut platziert und ein rechteckförmiger Impuls mit einer Dauer von wenigen hundert Millisekunden verabreicht. Verursacht der elektrische Gewebsstrom im Axon einen auswärtsgerichteten transmembranösen Strom, wird an dieser Stelle das Membranpotenzial depolarisiert. Ist die Depolarisation des Axons überschwellig, entsteht ein Aktionspotenzial, dass orthodrom und antidrom entlang des Axons fortgeleitet wird. Bei der bipolaren elektrischen Stimulation eines lang gestreckten, peripheren Nervs fließt der Gewebsstrom zunächst in alle Richtungen von der Anode weg. Im Nervenabschnitt zwischen den beiden Elektroden verläuft der induzierte Gewebsstrom vorwiegend in horizontaler Richtung, um dann unter der Kathode wieder eine vorwiegend vertikale Ausrichtung anzunehmen. An dieser umschriebenen Stelle unter der Kathode erfolgt die Nervenstimulation, da sich dort die Stromlinien vom Nervenverlauf weg hin zur Kathode »biegen« und einen auswärtsgerichteten transmembranösen Stromfluss induzieren (7 Kap. 2, . Abb. 2.2). An dieser Stelle wird die Axonmembran depolarisiert. Überschreitet die Membrandepolarisation eine kritische Schwelle, kommt es zu einer akuten Permeabilitätsänderung der spannungsabhängigen Ionenkanäle und es wird ein Aktionspotenzial

3

29

ausgelöst (7 Exkurs »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«). Exkurs

Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung Unter einem Aktionspotenzial versteht man eine kurzzeitige, in ganz charakteristischer Form ablaufende Auslenkung des Ruhemembranpotenzials einer Nervenzelle (Neuron) oder Muskelzelle. Das Ruhemembranpotenzial liegt typischerweise zwischen –90 und –70 mV. Eine anfängliche Depolarisation der Membran triggert, sobald ein Schwellenpotenzial erreicht wird, eine Kaskade von Öﬀnungs- und Schließungsvorgängen an spannungsabhängigen Ionenkanälen. Die Öﬀnung der spannungsaktivierten Kanäle verursacht transmembranöse Ionenströme, welche das Membranpotenzial akut verändern. Hierbei reagiert die Zellmembran nach dem Alles-oder-NichtsPrinzip. Bleibt ein depolarisierender Reiz unterschwellig, wird kein Aktionspotenzial ausgelöst. Ist der depolarisierende Reiz überschwellig, wird ein gleichförmiges Aktionspotenzial induziert, egal wie stark der auslösende überschwellige Reiz ist. Die Dauer eines neuronalen Aktionspotenzials beträgt ca. 1–2 ms. Das Aktionspotenzial ist auf die Eigenschaften verschiedener Gruppen von Ionenkanälen in der Plasmamembran der Zelle zurückzuführen. Es lassen sich 4 Phasen des Aktionspotenzials beschreiben (. Abb. 3.1): In der Initiationsphase wird durch einen passenden Reiz das Membranpotenzial bis zum Schwellenpotenzial angehoben. Der auslösende Reiz kann ein Aktionspotenzial am benachbarten Membranabschnitt (im Rahmen der elektrotonischen Weiterleitung des Aktionspotenzials entlang der Zellmembran) oder die Öﬀnung von Ionenkanälen (Na+, Ca+) an der postsynaptischen Membran (im Rahmen der synaptischen Neurotransmission) sein. Die Depolarisationsphase bezeichnet den steilen Anstieg des Potenzials bis in den positiven Bereich. Den ersten sehr steilen Abschnitt bezeichnet man als Aufstrich, die Potenzialumkehr bis zu einem Bereich zwischen +20 und +30 mV ins Positive als »overshoot« Die Depolarisation entspricht also einem Anstieg des Potenzials von negativeren hin zu positiveren Werten. Der anschließende Abfall in Richtung des Ruhepotenzials wird als Repolarisationsphase beschrieben. Wird das Potenzial noch ein Stück unter das Niveau des Ruhepotenzials ausgelenkt, um dann langsam wieder das Ruhemembranpotenzial zu erreichen, spricht man von der Nachhyperpolarisation.

Die Neurone verfügen über eine Reihe von Ionenkanälen. In der Ausgangslage beﬁndet sich die Zelle in Ruhe. Im Ruhezustand liegt an der Zellmembran ein negatives Ruhemembranpotenzial an. Das Ruhemembranpotenzial wird von der Durchlässigkeit bestimmter Kaliumkanäle und dem transmembranösen Konzentrationsgefälle der Kaliumionen bestimmt. Die spannungsaktivierten Natriumkanäle sind im Ruhezustand geschlossen. Für das Aktionspotenzial sind vor allem bestimmte für Natrium- bzw. Kaliumionen speziﬁsche Ionenkanäle verantwortlich, die sich in Abhängigkeit vom Membranpotenzial öﬀnen. Bei Depolarisation über einen kanalspeziﬁschen Wert erfolgt eine Konformationsänderung spannungsabhängiger Natriumkanäle. Der Kanal wird dadurch durchlässig für Ionen und geht für wenige Millisekunden in den geöﬀneten Zustand über. Natriumionen, deren Konzentration sehr weit von ihrem Gleichgewichtspotenzial entfernt ist, strömen in die Zelle ein und depolarisieren die Zellmembran. Hierdurch werden weitere Kanäle geöﬀnet, noch mehr Ionen können in das Neuron einströmen. Aber noch bevor das Potenzialmaximum erreicht ist, beginnen die spannungsabhängigen Natriumkanäle zu inaktivieren. Gleichzeitig werden die spannungsabhängigen Kaliumkanäle aktiviert und Kalium strömt aus der Zelle aus. Im Vergleich zu den schnell öﬀnenden Natriumkanälen brauchen die Kaliumkanäle wesentlich länger für die Öﬀnung der Kanäle. Während die Natriumleitfähigkeit bereits ihr Maximum erreicht hat, sind die Kaliumkanäle gerade erst zur Hälfte geöﬀnet. Die spannungsaktivierten Kaliumkanäle erreichen ihr Maximum erst, wenn fast alle Natriumkanäle schon inaktiviert sind. Dadurch liegt der maximale Natriumeinstrom in die Zelle etwas vor dem Spannungsmaximum des Aktionspotenzials, während der Zeitpunkt des maximalen Kaliumausstroms aus der Zelle in die Phase der steilsten Repolarisation fällt. Während der Repolarisation nähert sich das Potenzial wieder dem Ruhepo tenzial an. Die spannungsabhängigen Kaliumkanäle schließen, die spannungsabhängigen Natriumkanäle werden langsam wieder aktivierbar. In vielen Neuronen ist noch

6

30

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

eine Nachhyperpolarisation zu beobachten. Sie erklärt sich durch eine auch weiterhin noch erhöhte Kaliumleitfähigkeit, wodurch das Potenzial noch näher am Kaliumgleichgewichtspotenzial liegt. Die Leitfähigkeit ist höher, weil während des Aktionspotenzials eingeströmte Kalziumionen entsprechende Kaliumkanäle öﬀnen und normalisiert sich erst, wenn der Kalziumspiegel wieder absinkt. Auch eine erhöhte Pumprate der Natrium-Kalium-ATPase kann einen Beitrag zur Nachhyperpolarisation leisten. Nach dem Abklingen des Aktionspotenzials ist das Axon für eine kurze Zeit nicht mehr erregbar. Diese Refraktärzeit wird bestimmt durch die Zeit, welche die spannungsabhängigen Natriumkanäle zur Wiederaktivierung benötigen. Während der absoluten Refraktärzeit (<1 ms), wenn die Repolarisation noch im Gange ist, können sich diese Kanäle überhaupt nicht wieder öﬀnen. Während der relativen Refraktärzeit (wenige Millisekunden) benötigt man stärkere Reize und erhält schwächere Aktionspotenziale. Das Auslösen eines Aktionspotenzials wird im Jargon auch als »Feuern« bezeichnet. Aktionspotenziale können verlustfrei entlang der Zellmembran fortgeleitet werden und ermöglichen so die Erregungsfortleitung im Nervensystem und die Kontraktion der Muskulatur. Die umschriebene Änderung des Plasmamembranpotenzials kann an der nächsten Stelle der Membran wieder als Reiz dienen, was die Grundlage der Reizfortleitung ist. Bei myelinisierten Axonen springt die Erregungsfortleitung von einer Einschnürung der Myelinscheide (Ranvierscher Schnürring) zur nächsten Einschnürung. Diese »springende« (saltatorische) Erregungsausbreitung ermöglicht eine besonders schnelle Erregungsfortleitung entlang des Axons. Die Erregungsfortleitung von einem Neuron auf ein benachbartes Neuron erfolgt über die synaptische

Neurotransmission. Erreicht ein Aktionspotenzial die Synapse, wird eine Überträgersubstanz, die auch als Botenstoﬀ oder Neurotransmitter (z. B. Glutamat) bezeichnet wird, »explosionsartig« in den synaptischen Spalt abgegeben. Je mehr Aktionspotenziale hintereinander die Synapse erreichen, desto mehr Transmitterstoﬀe werden ausgeschüttet. Im Gegensatz zum Aktionspotenzial ist das postsynaptische Potenzial also keine »Alles-oder-Nichts-Antwort«, sondern es hängt von der präsynaptischen Erregung ab. Die Neurotransmitter aktivieren über Rezeptoren Ionenkanäle (Na+, Ca+) an der postsynaptischen Membran. Der hierdurch ausgelöste Einstrom von Ionen generiert ein exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP). Ein einzelnes postsynaptisches Potenzial reicht nicht aus, um in der postsynaptischen Zelle ein fortgeleitetes Aktionspotenzial auszulösen. Dazu müssen im postsynaptischen Neuron mehrere postsynaptische Potenziale gleichzeitig generiert werden. Zudem kann an inhibitorischen Synapsen über inhibitorische Botenstoﬀe (z. B. GABA) an der postsynaptischen Membran durch Aktivierung von Chloridkanälen ein hyperpolarisierender Strom und somit ein inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP) generiert werden. EPSP und IPSP können über eine Vielzahl an Synapsen gleichzeitig im postsynaptischen Neuron generiert werden. Die Summe aller zeitgleich generierten EPSP und IPSP bestimmt, ob in der postsynaptischen Zelle ein fortgeleitetes Aktionspotenzial ausgelöst wird oder nicht. Die Erregung wird somit an den Synapsen immer nur in eine Richtung – vom präsynaptischen auf das postsynaptische Neuron fortgeleitet.

15 16 17 18 19 20

Innerhalb des Nervensystems wird die neuronale Erregung innerhalb eines Neurons als fortgeleitete Auslenkung des Ruhemembranpotenzials weitergeleitet (7 E xkurs »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«). Zwischen zwei Neuronen erfolgt die neuronale Erregung über ein chemisches Signal an der Synapse (7 Exkurs »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«). Neurone lassen sich auch von »außen« elektrisch reizen. Die künstliche Reizung der Axone peripherer Nerven kann durch die intakte Haut hindurch mit der konventionellen elektrischen Neurostimulation erfolgen. Die Effizienz der Stimulation

hängt von der Intensität und der Dauer des rechteckförmigen Stromimpulses ab (. Abb. 3.1). Im Ruhezustand wirken hyperpolarisierende zellauswärts gerichtete, transmembranöse Ionenströme (Kalium-Kanäle) dem depolarisierenden elektrischen Strom entgegen. Daher müssen Reizstärke und Reizdauer ausreichend sein, um eine überschwellige Depolarisation der Zellmembran zu erreichen. Die Reizstärke, die bei einer festgelegten Reizdauer erforderlich ist, um ein Aktionspotenzial im Axon zu induzieren, kann elektrophysiologisch bestimmt werden. Die Kurve, welche die Beziehung zwischen minimal erforderlicher

31

a

3

b

. Abb. .a,b. a Schematische Darstellung eines Aktionspotenzials: Die dicke, durchgezogene Linie zeigt die Auslenkung des Membranpotenzials, während die zwei grau gestrichelten Linien den Öﬀnungszustand der transmembranösen Na+- und K+-Kanäle während des Aktionspotenzials darstellen. b Reizschwellenkurve für die elektrische Nervenstimulation mit einem rechteckförmigen elektrischen Reizstrom. Die

dicke durchgezogene Reizschwellenkurve gibt an, welche Reizintensität bei einer gegebenen Reizdauer gerade noch ausreicht, um in einem Axon ein Aktionspotenzial auszulösen. Aus dieser Kurve lassen sich Rheobase und Chronaxie berechnen, welche die neuronale Erregbarkeit des Axons charakterisieren. (Nähere Erläuterungen 7 Abschn. 3.2.1 und Exkursbox »Aktionspotenzial und neuronale Erregungsfortleitung«)

Reizintensität und Reizdauer darstellt, beschreibt die elektrische Erregbarkeit der Nervenzelle. Diese Reizzeit-Reizstrom-Kurve lässt sich durch Rheobase und Chronaxie beschreiben (. Abb. 3.1). Die Stromstärke, die bei sehr langer Stimulationsdauer gerade noch ausreicht, um ein Aktionspotenzial auszulösen, wird als Rheobase bezeichnet. Die Chronaxie beschreibt die minimal erforderliche Reizdauer bei Stimulation mit zweifacher Rheobase und ist ein Maß für die elektrische Erregbarkeit der Nervenfaser. Stark myelinisierte Axone haben eine kürzere Chronaxie und eine niedrigere Rheobase als schwach oder unmyelinisierte Axone. Aufgrund der niedrigeren Reizschwelle sind gut myeliniserte Axone daher bei gleicher Stimulationsdauer mit einer wesentlich geringeren Reizintensität zu erregen als schlecht oder nicht myeliniserte Axone. Auch mit der peripheren Magnetstimulation lassen sich die Axone peripherer Nerven stimulieren (7 Kap. 12). Maccabee et al. (1988) untersuchten den Effekt unterschiedlicher Spulenorientierungen einer kleinen Rundspule, um mit der TMS eine optimale Nervenstimulation zu erzielen. Die Messung der Amplitude des durch den Magnetstimulus ausgelösten Muskelsummenaktionspotenzials (MSAP) zeigte, dass die Axone immer dann optimal stimuliert wurden, wenn eine Spulenorientierung verwendet wurde, die einen parallel zum Nerv verlaufenden Gewebsstrom induzierte. Analog zur peripheren elektrischen

Nervenstimulation mit Oberflächenelektroden erfolgt die Nervenstimulation bei der peripheren Magnetstimulation an dem Ort, wo die Richtung des induzierten elektrischen Feldes vom Verlauf des Nervs zu divergieren beginnt. An dieser Stelle führt das »gekrümmte« elektrische Feld zu einem auswärtsgerichteten, depolarisierenden Ionenstrom durch die Zellmembran der Axone (7 Kap. 2, . Abb. 2.2). Dagegen lösen Spulenorientierungen, die ein elektrisches Feld quer zum Verlauf der Nerven induzieren, eine minimale Erregung der Axone und somit nur ein sehr kleines MSAP aus.

3.2.2 Neuroanatomische Grundlagen Bei der transkraniellen Neurostimulation der menschlichen Hirnrinde ist die Situation ungleich komplizierter, da hier nicht wie beim peripheren Nerv ein wohlgeordnetes Faserbündel aus parallel angeordneten Axonen stimuliert wird. Die Hirnrinde ist eine hochkomplexe neuronale Struktur, die aus einer Vielzahl unterschiedlicher Neuronenpopulationen besteht, die eine unterschiedliche räumliche Ausrichtung und Erregbarkeit aufweisen. Werden bei der peripheren Neurografie ausschließlich Axone stimuliert, sind bei der Stimulation der Hirnrinde die kortikalen Neurone mit ihren Dendriten, Soma und Axon dem induzierten elektrischen Feld ausgesetzt und deshalb ist der Ort, an dem die Erregung initiiert wird,

32

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

weniger offensichtlich als bei der elektrischen Stimulation peripherer Axone eines Nervs. Dennoch gilt auch für kortikale Neurone, dass der elektrische Strom dann Aktionspotenziale auslöst, wenn das elektrische Feld einen auswärtsgerichteten Ionenstrom im Axon induziert, der die Zellmembran depolarisiert. In kortikalen Neuronen lassen sich am ehesten Aktionspotenziale auslösen, wenn das induzierte elektrische Feld von den Dendriten zum Axon fließt und dort an der Zellmembran des Somas oder proximalen Axons im Bereich des initialen Axonhügels einen auswärtsgerichteten Strom induziert (Roth 1994). Mögliche Faktoren, die die Effizienz der Neurostimulation bestimmen, sind die relative Differenz im Leitungswiderstand zwischen Dendritenbaum und Axon und eine Biegung des Axons beim Eintritt in die weiße Substanz. Der relativ hohe elektrische Widerstand des Dendritenbaums favorisiert bei einer Stromrichtung vom Dendritenbaum zum Axon einen Eintritt des Stroms in das Neuron im Bereich des Somas. Eine Biegung des Axons führt zu einem auswärtsgerichteten depolarisierendem Strom bei einem gleichförmig ausgerichteten elektrischen Feld. Die kortikale Mikroarchitektur ist komplex und weist in jedem Kortexareal spezifische Besonderheiten auf. Als mögliche neuronale Zielstrukturen für die TMS kommen vor allem die in Längsrichtung (also senkrecht zur Kortexoberfläche) verlaufenden Axone der Pyramidenzellen sowie die in Querrichtung (also parallel zur Kortexoberfläche) verlaufenden horizontalen Faserbündel in Betracht. Die kortikalen Neurone eines Kortexareals sind vielfältig über Synapsen miteinander verknüpft. Daneben sind die intrinsischen Neurone des Kortex (Interneurone) mit anderen Kortexarealen über kortikokortikale Axone synaptisch verbunden. Zudem verbinden kortikosubkortikale und subkortikokortikale Neurone jedes Kortexareal mit subkortikalen Strukturen wie den Basalganglien, dem Thalamus, Zerebellum und Rückenmark. Daraus folgt, dass eine lokale, kortikale Neurostimulation sich transsynaptisch ausbreiten kann, wenn in den entsprechenden Axonen ein Aktionspotenzial ausgelöst wurde. Dies hat zwei wichtige Implikationen für die Wirkweise der TMS: 5 Zum einen können die Neurone, in denen der transkranielle Stimulus Aktionspotenziale ausgelöst hat, über synaptische Verbindungen andere, primär nicht überschwellig stimulierte Neuronenpopulationen, erregen. Die transsynaptische Erregungsausbreitung im stimulierten Kortex löst eine Mischung aus exzitatorischen (exzitatorisches postsynaptisches Potenzi-

al, EPSP) und inhibitorischen postsynaptischen Potenzialen (IPSP) aus, welche das Ausmaß an neuronaler Erregung im stimulierten Kortex modulieren (Verstärkung durch EPSP/Hemmung durch IPSP). In der Tat führt die TMS des primären motorischen Kortex zu einer Erregung unterschiedlicher bahnender und hemmender Interneuronenpopulationen. Die Erregbarkeit dieser intrakortikalen Interneuronensysteme kann mit transkranieller Einzelreizung unter tonischer Vorinnervation (7 Kap. 15) oder in Konditionierungs-Test-Protokollen mittels Doppelpuls-TMS untersucht werden (7 Kap. 16– 17). Diese Modulation des direkten Reizeffektes durch transsynaptische Auslösung sekundärer Aktionspotenziale in neuronalen Netzwerken hat vermutlich einen wesentlichen Anteil an dem neuronalen Nettoeffekt der TMS. Die transsynaptische Aktivierungskomponente der TMS erklärt, warum im Gegensatz zur peripheren Nervenstimulation die aktuelle Erregbarkeit der kortikalen Neuronenverbände zum Zeitpunkt der TMS einen ausgeprägten Einfluss auf die Effizienz der transkraniellen Neurostimulation hat. Das augenfälligste Beispiel ist die Steigerung der kortikospinalen Erregbarkeit und damit der Amplitude des motorische evozierten Potenzials (MEP) durch willkürmotorische Aktivierung (7 Kap. 5–11). 5 Zum anderen kann sich die durch TMS induzierte Erregung eines Kortexareals über die Generierung von kortikokortikalen und kortikosubkortikalen Aktionspotenzialen in Regionen des Zentralnervensystems ausbreiten, die mit dem direkt stimulierten Kortex neuronal verbunden sind. Diese transsynaptische Erregungsausbreitung wird in der klinischen Diagnostik genutzt, um die kortikomuskuläre Überleitung mithilfe der Aufzeichnung von MEP zu bestimmen (7 Kap. 5–11). Sie kann aber auch genutzt werden, um kortikokortikale Interaktionen zwischen zwei Kortexarealen zu untersuchen (7 Kap. 18 und 33). Auch die kortikale Makrostruktur ist im Vergleich zum peripheren Nerv viel komplexer. Einzelne Kortexregionen sind in ihrer Lage und Ausdehnung starken interindividuellen Unterschieden unterworfen und die Übergänge häufig nicht klar abgrenzbar. Zudem hat der Kortex keine ebene Oberfläche, sondern besteht aus Hirnfurchen (Sulci) und Hirnwindungen (Gyri). Durch die ausgeprägte Faltung der Hirnrinde ist die räumliche Ausrichtung der gleichen neuronalen Elemente im Gyrus- oder Sulcusbereich des Kortex interindividuell unterschiedlich. Dies

33

kann erhebliche Auswirkungen darauf haben, welche neuronalen Elemente durch die TMS stimuliert werden (7 Abschn. 3.2.3). Im oberflächlichen Anteil einer Hirnwindung sind die Axone der Pyramidenzellen gegenüber der Schädel- und Hemisphärenoberfläche senkrecht bzw. radiär ausgerichtet, während die horizontalen Axonbündel des Kortex parallel zur Schädel- bzw. Hirnoberfläche verlaufen. In der Wand eines Sulcus ist die Situation umgekehrt. Hier verlaufen die Axone der Pyramidenzellen parallel und die horizontalen Axonbündel senkrecht zur Schädel- bzw. Hemisphärenoberfläche. Am Sulcusgrund ist dagegen die Ausrichtung der Axone wieder vergleichbar zur Krone des Gyrus. Am Übergang von der Krone des Gyrus zum Sulcus (und von der Wand zum Grund des Sulcus) sind die Axone der Pyramidenzellen und die horizontalen Axonbündel schräg zur Hemisphärenoberfläche ausgerichtet. Gleiches gilt, wenn der Sulcus nicht senkrecht, sondern schräg zur Hemisphärenoberfläche verläuft. Entsprechende Überlegungen gelten für die präferenzielle Ausrichtung der kortikofugalen und kortikopetalen Axone in der subkortikalen weißen Substanz.

3.2.3 Ankopplung des elektrischen Feldes

an die kortikale neuronale Aktivität Die Effizienz der TMS hängt von der Stärke des induzierten elektrischen Feldes im Hirngewebe ab. Je kürzer die Anstiegszeit des magnetischen Feldes desto effizienter ist die energetische Ankopplung des magnetischen Feldes an das Gewebe (7 Kap. 2). Das induzierte elektrische Feld ist proportional zur Anstiegszeit (zum Gradienten) des induzierten magnetischen Feldes. Diese sollte unter 100 µs liegen, um eine möglichst effiziente Neurostimulation zu erzielen. Entsprechend der Abnahme des magnetischen Feldes mit der Entfernung von der Spule nimmt die Stärke des induzierten elektrischen Feldes im Gewebe mit zunehmender Eindringtiefe ab (7 Kap. 2). Mit einer Standardrundspule mit einem Spulendurchmesser von 12 cm fällt das induzierte Magnetfeld ca. 2 cm unterhalb der Spulenoberfläche auf 50 ab. Die eingeschränkte Tiefenwirkung erklärt, warum die direkte Reizwirkung der TMS auf oberflächliche Anteile des Gehirns begrenzt bleibt und tiefe Hirnstrukturen wie der Thalamus oder die Basalganglien nicht direkt gereizt werden können. Die begrenzte Tiefenwirkung erklärt auch die Zunahme der kortikalen motorischen Reizschwelle mit zunehmendem Abstand zwischen Reizspu-

3

le und primärem motorischen Kortex. Bei der TMS des primären motorischen Handareals ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der in der Krone des präzentralen Gyrus gelegene kaudale Anteil des dorsalen prämotorischen Kortex näher der Stimulationsspule anliegt als der in der vorderen Wand des Sulcus centralis gelegene primäre motorische Kortex selbst. Eine analoge Überlegung gilt z. B. für die Stimulation des supplementären motorischen Kortexareals im Interhemisphärenspalt. Wird dieses Areal mit der TMS stimuliert, so ist gleichzeitig mit einer effektiveren Stimulation der oberflächlich gelegenen medialen prämotorischen Rindenareale zu rechnen. In einem sphärischen Volumenleiter mit homogener Leitfähigkeit induziert eine tangential aufliegende Spule ein homogenes elektrisches Feld im Gehirn, das parallel zur Spulenebene ausgerichtet ist. Diese Annahme wurde auch auf die transkranielle Kortexstimulation übertragen. Es wird angenommen, dass eine tangential der Schädeloberfläche aufliegenden Spule im Gehirngewebe ein parallel zur Oberfläche ausgerichtetes, homogenes Feld induziert (7 Kap. 2, . Abb. 2.2). Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur elektrischen Kortexstimulation, bei der das elektrische Feld im Kortex unter der Anode im Wesentlichen in alle Richtungen von der Anode weg verläuft und somit ein elektrisches Feld induziert, das z. T. senkrecht oder horizontal zur Kortexoberfläche verläuft. Die Annahme, dass die TMS ein homogenes, horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld im Gehirn induziert, gilt nur dann uneingeschränkt, wenn das stimulierte Gewebe eine homogene Leitfähigkeit hat. Nun ist die Leitfähigkeit der Strukturen im Schädelinnenraum aber unterschiedlich. Die inhomogene Leitfähigkeit der verschiedenen Gewebsanteile kann sowohl die Homogenität als auch die Ausrichtung des induzierten elektrischen Feldes beeinflussen. Der Liquor cerebrospinalis hat die höchste Leitfähigkeit und der induzierte Gewebsstrom kann sich hier sehr gut ausbreiten. Die sich im Liquor ausbreitenden Wirbelströme sind z. B. eine Voraussetzung dafür, dass eine transkranielle Stimulation zu einer direkten peripheren Erregung des N. facialis an der Schädelbasis führen kann, obwohl der Nerv mehr als 10 cm vom eigentlichen Reizort entfernt ist (7 Kap. 9). Aber auch die elektrische Leitfähigkeit der aus Liquor und Pia mater bestehenden Grenzschicht, welche die aneinanderliegenden Kortexareale der Sulcuswände voneinander trennt, könnte die Ausrichtung des induzierten elektrischen Feldes beeinflussen. So ist unklar, ob das induzierte elektrische Feld parallel zur Oberfläche der Großhirnhemisphäre (bzw.

34

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

Spulenebene) verläuft oder parallel zur pialen Kortexoberfläche verläuft und somit dem Windungsverlauf des Kortex folgt. Wenn die durch die Pia mater und Liquor cerebrospinalis gebildete Schicht zwischen den gegenüberliegenden »Wänden« eines Sulcus im Vergleich zur Hirnrinde einen relativ hohen Leitungswiderstand hätten, wäre zu erwarten, dass die horizontale Ausrichtung des induzierten elektrischen Feldes eher dem Windungsverlauf der Gyri und Sulci folgt. Hätte die piale Grenzschicht einen Leitungswiderstand, der dem der benachbarten Hirnrinde vergleichbar ist, wäre ein Verlauf des induzierten elektrischen Feldes parallel zur Hirnoberfläche anzunehmen. In diesem Fall erregt das induzierte elektrische Feld an der Krone des Gyrus und in der Wand des Sulcus unterschiedliche neuronale Elemente, da sich die Ausrichtung der Pyramidenzellen und der horizontalen Axonenbündel zwischen Krone und Sulcuswand um ca. 90° ändert (7 Abschn. 3.2.2). Aber auch die graue und weiße Substanz unterscheiden sich in ihrer elektrischen Leitfähigkeit. Da der Gewebswiderstand der weißen Substanz höher ist als der der grauen Substanz, wird angenommen, dass die induzierten Gewebsströme in der weißen Substanz vergleichsweise niedriger sind als in der grauen Substanz. In der Tat belegen am Affen durchgeführte TMS-Experimente, dass die Erregung der kortikospinalen Neurone selbst bei maximaler Stimulusintensität auf den Kortex begrenzt bleibt (Edgley et al. 1997). Nach Amassian et al. (1987) leitet die subkortikale weiße Substanz unter der Krone des Gyrus aufgrund der vorwiegend radial ausgerichteten Axone der Pyramidenzellen (Amassian et al. 1987) präferenziell Ströme, die senkrecht zur Kortexoberfläche ausgerichtet sind. Dagegen hat die Gehirnrinde aufgrund der vielen horizontal und vertikal ausgerichteten Axone auch eine gute Leitfähigkeit für horizontal zur Kortexoberfläche ausgerichtete Gewebsströme. Es besteht allenfalls bruchstückhaftes Wissen darüber, welche kortikalen Neurone durch die TMS am einfachsten erregbar sind und wo genau die Auslösung eines Aktionspotenzials erfolgt. Aufgrund der elektrischen Eigenschaften des Neurons ist die Schwelle für eine elektrische Erregung am niedrigsten im Bereich des Zellsomas oder des proximalen Axons, wo der Gewebsstrom bei ausreichender Depolarisation des Membranpotenzials ein Aktionspotenzial auslösen kann. Dagegen sind die Effekte der Elektrostimulation auf den Dendritenbaum aufgrund seines höheren elektrischen Widerstandes relativ vernachlässigbar. Die Empfänglichkeit gegenüber der TMS hängt sicherlich auch vom Zelltyp ab. Obwohl hier systematische Untersuchungen fehlen, wird angenommen,

dass Pyramidenzellen, intrakortikale, kortikokortikale oder thalamokortikale Projektionsneurone mit langen Axonen sich durch das induzierte elektrische Feld besser stimulieren lassen als intrakortikale Interneurone mit einer starken dendritischen Verästelung, aber einem kurzen Axon. Neben der Stärke des induzierten elektrischen Feldes bestimmen die Ausrichtung des Neurons im elektrischen Feld, die Größe des Neurons und die Erregbarkeit der Membran des Neurons den Effekt der TMS (Amassian et al. 1987). Präferenziell werden solche kortikalen Neurone erregt, deren Axone parallel zum induzierten elektrischen Feld ausgerichtet sind. Innerhalb des homogenen elektrischen Feldes werden allerdings nur diejenigen Axone erregt, die einen gebogenen Verlauf haben (7 Kap. 2). Dies liegt daran, dass der elektrische Strom eine Potenzialdifferenz im Verlauf des Axons induzieren muss, um eine Nervenstimulation zu bewirken. Nur durch die Biegung des Axons entsteht ein auswärtsgerichteter, depolarisierender Membranstrom, der bei ausreichender Stärke und Dauer ein Aktionspotenzial auslöst (7 Kap. 2, . Abb. 2.2). Die komplexen räumlichen Zusammenhänge zwischen dem induzierten elektrischen Feld und dem Verlauf der kortikalen Neuronen erklären, warum eine Drehung oder Verkippung der Reizspule unterschiedliche Neuronenpopulationen im stimulierten Kortex anregen kann. Inwieweit gebogene Axone im subkortikalen Marklager von der TMS effektiv erregt werden können, ist unklar. Subkortikale, horizontal verlaufende kortikokortikale Neurone, die benachbarte Kortexareale verbinden (z. B. U-Fasern) oder Axone von Pyramidenzellen im Sulcusbereich, die zunächst eine horizontale Verlaufsrichtung haben und dann subkortikal eine Biegung in die Tiefe machen, sind theoretisch optimal geeignet, um von einem gleichförmigen horizontalen Feld erregt zu werden. Da diese Axone myelinisiert sind, könnten die damit verbundene Abnahme der axonalen Erregbarkeitsschwelle und der gebogene Verlauf den erhöhten Gewebswiderstand der weißen Substanz gegen horizontale Ströme mehr als ausgleichen. Eine besondere Situation besteht dort, wo Axone durch knöcherne Austrittspforten hindurchziehen, z. B. durch die Neuroforamina der Wirbelsäule oder den Canalis facialis an der Schädelbasis. Aufgrund der besseren Leitfähigkeit gegenüber dem umgebenden Knochen werden die elektrischen Feldlinien in den Foramina gebündelt, um an der Austrittsstelle des Nervs aus dem knöchernen Kanal zu divergieren. Die divergierenden elektrischen Feldlinien verursachen einen auswärtsgerichteten, transmembranösen Strom,

35

der zu einer umschriebenen Depolarisation der Axone und zur Ausbildung eines Aktionspotenzials führt. Diese »Bündelung« des elektrischen Feldes in knöchernen Kanälen wird in der klinischen Routinediagnostik, z. B. bei der foraminalen Stimulation des Spinalnerven zur Bestimmung der peripheren motorischen Leitungszeit (7 Kap. 6) oder zur Funktionsdiagnostik des N. facialis (7 Kap. 9) genutzt.

Transkranielle Stimulation des primären motorischen Kortex

3.3

Die TMS über dem primären motorischen Handareal induziert über ein elektromagnetisches Wechselfeld ein Gewebsstrom im Kortex. Dieser löst in Abhängigkeit von der Reizintensität, Reizkonfiguration und der Spulenausrichtung eine unterschiedliche Anzahl von deszendierenden Erregungswellen in den schnell leitenden kortikospinalen Neuronen aus, die monosynaptische Verbindungen mit den spinalen Motoneuronen haben (Übersicht bei Amassian et al. 1987; Ziemann u. Rothwell 2000; Di Lazzaro et al.

3

2004). Jede deszendierende Erregungswelle entspricht hierbei zeitlich-räumlich synchronisierten Aktionspotenzialen. Diese Erregungswellen depolarisieren über exzitatorische monosynaptische Verbindungen die zervikalen spinalen Motoneurone. Hierbei summieren sich die EPSP der einzelnen Wellen an den Motoneuronen auf. Wenn die Depolarisation einen Schwellenwert überschreitet, wird im Motoneuron ein Aktionspotenzial generiert, das über das periphere motorische Axon zum Zielmuskel fortgeleitet wird. Die Summe aller peripheren motorischen Aktionspotenziale verursacht im Zielmuskel ein MEP (. Abb. 3.2). Da die durch die TMS hervorgerufene kortikomuskuläre Erregung über kortikale, spinale und neuromuskuläre Synapsen fortgeleitet wird, ergibt sich, dass das Erregbarkeitsniveau des stimulierten motorischen Kortex, der spinalen Motoneurone und der neuromuskulären Strukturen das MEP beeinflussen. Bei der Erregungsausbreitung vom Kortex zum Muskel kommt es zu einer Chronodispersion, die zu einer asynchronen Erregung der motorischen Einheiten eines Muskels führt. Diese Dispersion bedingt

a

b

c

. Abb. .a–c. Erregung der schnell leitenden, kortikomuskulären Bahnen mit der TMS. a Multiple deszendierende kortikospinale Erregungswellen: Ein überschwelliger transkranieller Einzelreiz verursacht in den schnell leitenden Neuronen des kortikospinalen Trakts eine Serie von deszendierenden Erregungswellen (hier: I1-, I2- und I3-Welle). b Auslösung eines Aktionspotenzials (AP) in der spinalen motorischen Vorderhornzelle: Die deszendierenden Erregungswellen lösen transsynaptisch im spinalen Motoneuron kurz hintereinander exzitatorische postsynaptische Potenziale (EPSP) aus. Die depo-

larisierende Wirkung der EPSP summiert sich auf und löst bei Überschreiten der Reizschwelle ein Aktionspotenzial (AP) aus. Dieses wird entlang des peripheren motorischen Axons zum Muskel fortgeleitet. c Motorisches evoziertes Potenzial: Am Zielmuskel kann über Oberﬂächenelektroden ein motorisch evoziertes Potenzial (MEP) aufgezeichnet werden. Das MEP ist ein Muskelsummenaktionspotenzial (MSAP). Alle durch den transkraniellen Einzelreiz ausgelösten Potenziale einzelner motorischer Einheiten tragen zum MEP bei. (Nähere Erläuterungen 7 Abschn. 3.3)

36

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

eine partielle Phasenauslöschung der Aktionspotenziale der einzelnen motorischen Einheiten, was sich auf die Form und Amplitude des mit Oberflächenelektroden abgeleiteten MEP auswirkt (7 Kap. 5 und 11). Insbesondere sind die MEP kleiner, länger andauernd und polyphasischer als das MSAP, welches durch supramaximale elektrische Stimulation des peripheren Nervs ausgelöst wird (7 Kap. 5).

Im Folgenden wird die durch transkraniellen Stimulation des primären motorischen Handareals ausgelöste Erregung der deszendierenden kortikospinalen Bahnen exemplarisch näher beschrieben, da diese besonders gut untersucht wurde. Auf die praktische Durchführung der TMS des primären motorischen Handareals wird nicht näher eingegangen (vgl. hierzu 7 Kap. 7).

Exkurs

Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen Bei anästhesierten Katzen oder Aﬀen wurde die freigelegte Kortexoberﬂäche elektrisch stimuliert und die Reizantwort direkt vom kortikospinalen Trakt abgeleitet (Übersicht bei Amassian et al. 1987). Diese Untersuchungen zeigten, dass ein oberﬂächlicher elektrischer Einzelreiz eine Serie von schnell fortgeleiteten (60–70 m/s), deszendierenden Erregungswellen (engl. descending waves oder descending volleys) im kortikospinalen Trakt auslösen kann. Diese deszendierenden Erregungswellen werden durch synchronisierte orthodrome Aktionspotenziale in den schnell leitenden, kortikospinalen Axonen der großen Pyramidenzellen generiert, die monosynaptische exzitatorische Verbindungen mit den spinalen Motoneuronen eingehen. Zwar können auch langsam leitende kortikospinale Pyramidenzellen zumindest teilweise durch die bipolare Kortexstimulation erregt werden, diese tragen jedoch nicht nennenswert zur Generierung der deszendierenden Erregungswellen bei. Die erste Welle wird direkte Welle oder auch D-Welle (engl. D-wave) genannt, da die kurze Latenz der DWelle eine direkte Erregung des kortikospinalen Neurons auf Höhe der subkortikalen weißen Substanz belegt. Bei anodaler Stimulation der Kortexoberﬂäche hat die D-Welle eine niedrigere Reizschwelle als indirekte Wellen (s. unten) und lässt sich daher bei gerade überschwelliger Reizintensität isoliert auslösen. Die D-Welle persistiert als einzige der deszendierenden Wellen nach Ablation des motorischen Kortex. Aufgrund des hohen Leitungswiderstandes der Dendriten wird angenommen, dass der Strom im Bereich des Zellsomas in das Neuron eintritt und am ersten oder zweiten Ranvierschen Schnürring des Axons austritt und dort über eine Depolarisation des Axons ein Aktionspotenzial auslöst.

Wird die Intensität der anodalen elektrischen Kortexstimulation erhöht, lassen sich zusätzlich zur D-Welle weitere deszendierende Wellen auslösen. Diese folgen der D-Welle in einem regelmäßigen Abstand von ~1,5 ms. Im Gegensatz zu der D-Welle werden diese Wellen durch eine synchrone transsynaptische Erregung (EPSP) der schnell leitenden Pyramidenbahnzellen ausgelöst und spiegeln somit eine indirekte Erregung der schnell leitenden kortikospinalen Axone wider. Diese indirekte Wellen oder I-Wellen (engl. Iwaves) haben eine Periodizität von ~600 Hz. Die erste nach der D-Welle auftretende I-Welle wird als I-Welle bezeichnet, die späteren I-Wellen entsprechend der zeitlichen Reihenfolge ihres Auftretens als I-, I- oder I-Welle. Mikroableitungen von einzelnen, schnell leitenden Axonen zeigten, dass bei Stimulation des primären motorischen Kortex in manchen kortikospinalen Axonen die I-Wellen auf die D-Wellen folgten, während in anderen Axonen die I-Wellen ohne vorausgehende D-Welle auftraten. Die hochgradige Periodizität der I-Wellen wurde mit einer Serie aufeinander abgestimmter EPSP, die in unterschiedlichen, miteinander verschalteten Interneuronenpopulationen generiert werden, erklärt. Dies schließt nicht aus, dass hochfrequente intrakortikale Oszillationen oder speziﬁsche Antworteigenschaften der neuronalen Zellmembran bestimmter kortikaler Neurone zur Amplitude und Periodizität der I-Wellen beitragen. Wie eﬀektiv der kortikale elektrische Reiz D- oder IWellen auslöst, hängt von der Anordnung der Stimulationselektroden und der Reizintensität ab. Bei monopolarer anodaler Stimulation über eine kleine, dem motorischen Kortex auﬂiegende Anode und eine entfernte, großﬂächige Kathode wird bei leicht überschwelliger Reizstärke zunächst selektiv eine D-Welle

6

37

ausgelöst und erst mit steigender Reizintensität werden I-Wellen generiert. Eine monopolare kathodale Stimulation (über eine kleine, dem motorischen Kortex auﬂiegende Kathode und eine entfernte, groß-ﬂächige Anode) oder eine bipolare Stimulation (über zwei eng benachbarte Oberﬂächenelektroden) löst bereits bei Intensitäten an der Reizschwelle eine Mischung aus D- und I-Wellen aus. Intrazelluläre Ableitungen von großen Pyramidenzellen konnten ein monosynaptisches exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP) als Ursache für die erste I-Welle identiﬁzieren. Amassian et al. (1987) unterscheiden ein tiefes und oberﬂächliches System von horizontal ausgerichteten Axonenbündeln im primären motorischen Kortex (engl. superﬁcial and deep tangential system). Die oberﬂächlichen horizontalen Axone liegt in Lamina I der Hirnrinde, während die tiefen horizontalen Axone etwas unterhalb der Somata der großen Betz-Pyramidenzellen in Lamina V anzutreﬀen sind. Eine selektive monopolare Stimulation des oberﬂächlichen oder tiefen horizontalen Axonennetzes zeigte, dass nur die Stimulation der tiefen horizontalen Neuronenverbände in der Lamina V eine monosynaptisch generierte I-Welle auslösen konnte. Somit scheinen die in der Lamina V horizontal verlaufenden intrinsischen Axone des motorischen Kortex nicht jedoch die horizontalen Axone in der Lamina I wesentlich zur Generierung der deszendierenden kortikospinalen Wellen beizutragen. Die antidrome Stimulation der schnell leitenden Pyramidenzellen löste keine I-Wellen aus, so dass eine rekurrente, transsynaptische Erregung des Kortex über Axonkollateralen als Mechanismus für die Generierung der I-Wellen nicht wahrscheinlich ist. Einen weiteren wichtigen Baustein im Verständnis der Mechanismen der Kortexstimulation lieferte die passagere Funktionsunterbrechung des primären motorischen Kortex durch Kühlung der pialen Kortexoberﬂäche: Die Kühlung oberﬂächlicher Rindenschichten führte zunächst zum Verschwinden der späten I-Wellen. Im weiteren Verlauf wurden auch tiefere Kortex-

3.3.1 Transkranielle elektrische

Stimulation des primären motorischen Handareals Die physiologischen Grundlagen der direkten elektrischen Kortexstimulation wurden tierexperimentell insbesondere von der Arbeitsgruppe um Vahe E.

3

schichten eﬀektiv gekühlt. Dies führte dazu, dass nunauch die frühen I-Wellen verschwanden. Basierend auf diesem Befund wurde die Hypothese formuliert, dass die I-Wellen durch die Anregung einer Kette von exzitatorischen Interneuronen ausgelöst werden, wobei die späten I-Wellen durch EPSP in weiter oberﬂächlich gelegenen und die frühen I-Wellen durch EPSP in tiefer gelegenen Interneuronenpopulationen generiert werden. Dabei sind die Neuronenpopulationen, welche die erste, zweite und dritte I-Welle hervorrufen, jeweils eine, zwei und drei Synapsen von der transsynaptisch aktivierten kortikospinalen Pyramidenzelle entfernt. Nach diesem Modell, haben die späten I-Wellen somit eine größere funktionelle »Distanz« zu den einzelnen Pyramidenzellen, da mehr Neurone (Synapsen) zwischengeschaltet sind. Da eine Läsion des Thalamus keinen Einﬂuss auf die Auslösbarkeit der deszendierenden Erregungswellen im kortikospinalen Trakt hatte, wurde geschlossen, dass die thalamokortikalen Projektionen keine Rolle bei der Generierung der D- und I-Wellen spielen. Dagegen konnten sowohl nach bipolarer oberﬂächlicher Stimulation des benachbarten primären somatosensorischen Kortex oder des prämotorischen Kortex hochamplitudige, deszendierende Wellen im kortikospinalen Trakt ausgelöst werden. Hierbei handelte es sich ganz überwiegend um I-Wellen, was eine Erregungsausbreitung als Ursache ausschließt. Nach Resektion des primären motorischen Kortex ließen sich durch Stimulation über dem primären sensorischen oder prämotorischen Kortex keine deszendierenden Erregungswellen mehr evozieren. Hieraus wurde gefolgert, dass die Oberﬂächenstimulation benachbarter Kortexareale zu einer Erregung kortikokortikaler Projektionen vom prämotorischen und somatosensorischen Kortex zum primären motorischen Kortex führt. Nach dieser Hypothese kommt es über die Aktivierung kortikokortikaler Eingänge zu einer indirekten, transsynaptischen Erregung der schnell leitenden kortikospinalen Axone und zur Auslösung deszendierender I-Wellen.

Amassian erforscht (7 Exkurs »Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen«). Im Jahr 1980 demonstrierten Merton u. Morton (1980) erstmals, dass es möglich ist den menschlichen motorischen Kortex mit elektrischen Stimuli nichtinvasiv durch die intakte Schädeldecke hindurch (transkraniell) zu stimulieren (7 Kap. 1 und 20). Bei der trans-

38

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

kraniellen elektrischen Stimulation (TES) wird ein Stromfluss zwischen auf der Kopfhaut aufgebrachten Elektroden induziert und so das neuronalen Gewebe im darunter liegenden Kortex erregt (7 Kap. 20). Der kurze Rechteckpuls (50‒100 µs Impulsbreite) mit konstanter Spannung (ca. 200–440 V) induziert einen kurzzeitigen Zusammenbruch des Gewebewiderstandes und führt bei ausreichender Reizstärke zu einer überschwelligen Depolarisation des Membranpotenzials neuronaler Zellen und löst in kortikalen Axonen ein Aktionspotenzial aus. Die meisten Studien zur TES des primären motorischen Handareals nutzten ein bipolare lateromediale Elektrodenanordnung (TESl.-m.) mit Plazierung der Anode über dem primären motorischen Handareal (6 oder 7 cm lateral vom Vertex) und die Kathode über dem Vertex, was der direkten anodalen Kortexstimulation im Tierexperiment sehr nahe kommt (7 Exkursbox »Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen«). Trotz der geringeren Fokalität entfaltet die anodale TESl.-m. des menschlichen Kortex sehr ähnliche Erregungseffekte im kortikospinalen Trakt wie die direkte monopolare anodale Kortexstimulation im Tierexperiment am freigelegten Kortex (7 Exkursbox »Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen«). Intra- oder perioperative Ableitungen der deszendierenden Erregungswellen vom zervikalen Epiduralraum bei Patienten, die an der Wirbelsäule operiert wurden, konnten zeigen, dass ein transkranieller anodaler Einzelreiz (TESl.-m.) sowohl eine D-Welle als auch eine Serie von I-Wellen auslösen kann (. Abb. 3.3; 7 Exkursbox »Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen«). Die direkte Ableitung der deszendierenden Erregungswellen bestätigte somit die Hypothese, dass die TES des primären motorischen Kortex D- und I-Wellen im kortikospinalen Trakt auslöst (Day et al. 1989). Die »D- und I-Wellen-Hypothese« der transkraniellen Stimulation basierte zunächst auf indirekten Untersuchungen der kortikospinalen Überleitung. Hierbei wurden durch die transkranielle Stimulation des motorischen Handareals ausgelöste Veränderungen der Entladungsrate einzelner motorischer Einheiten (engl. single motor units) in einem willkürmotorisch aktivierten Muskel der kontralateralen Hand erfasst. Wie bei der invasiven monopolaren anodalen Stimulaton des freigelegten Kortex rekrutiert die anodale TESl.-m. knapp über der Reizschwelle zunächst selektiv eine D-Welle. Wird die Stimulusintensität schrittweise gesteigert, lassen sich zunächst die I- und I-Welle bei höherer Intensität auch eine I-Welle auslösen. Die durch die anodale TESl.-m. evozierte D-Welle wird

durch eine direkte Depolarisation des proximalen kortikospinalen Axons 2‒3 Ranviersche Schnürringe vom Zellsoma entfernt ausgelöst. Auch eine kathodale TESl.-m. kann eine D-Welle auslösen, die allerdings eine 0,2 ms längere Latenz hat als die durch eine anodale TES induzierte D-Welle. Im Gegensatz zu den I-Wellen wird die Reizschwelle der durch anodale TESl.-m. ausgelösten D-Welle nicht durch Fluktuationen des Membranpotenzials des kortikospinalen Neurons beeinflusst. So hat eine willkürliche Voraktivierung keinen Einfluss. Die I-Wellen werden dagegen über eine transsynaptische Erregung der kortikospinalen Neurone generiert (7 Exkursbox »Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen«). Daher haben hier Fluktuationen der intrinsischen Erregbareit der kortikalen Neurone, die an der Generierung der I-Wellen beteiligt sind, einen erheblichen Einfluss auf die Auslösbarkeit der I-Wellen.

3.3.2 Transkranielle Magnetstimulation

des primären motorischen Handareals Auch nach einer TMS des primären motorischen Handareals wurden die deszendierenden kortikospinalen Erregungswellen auf Höhe des Halsmarks abgeleitet (Edgley et al. 1997; Di Lazzaro et al. 2004). Besonders aussagekräftig sind perioperative, epidurale Ableitungen bei wachen Patienten, denen aufgrund chronischer Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule ein System zur chronischen epiduralen Stimulation implantiert wurde (Di Lazzaro et al. 2004). In den meisten Untersuchungen wurde ein monophasischer Stimulus mit einer achtförmigen Reizspule über dem primären motorischen Handareal verabreicht (. Abb. 3.2). Je nach Spulenorientierung induzierte der monophasische Puls im stimulierten Kortex ein horizontales elektrisches Feld mit einer Flussrichtung von hinten nach vorne (TMSp.-a.), von vorne nach hinten (TMSa.-p.) oder von lateral nach medial (TMSl.-m.).

Abhängigkeit der kortikospinalen Erregung von der Richtung des induzierten Gewebsstroms Vergleiche zwischen verschiedenen Elektrodenanordnungen bei TES oder der Spulenform und Spulenorientierung bei TMS zeigen, dass die Art und Ausrichtung der elektrischen Felder den Stimulationsort und damit auch die induzierten Stimulationseffekte definieren (. Abb. 3.3; Di Lazzaro et al. 1998a). Eine TMSl.-m. induziert analog zur TESl.-m. bei der Mehr-

39

zahl der Probanden präferenziell eine D-Welle. I-Wellen lassen sich mit der TMSl.-m. nur mit höheren Reizintensitäten auslösen. Das durch eine anodale TESl.-m. ausgelöste MEP kann durch eine TMSl.-m. deutlich verstärkt werden, wenn die TMSl.-m. ca. 100 µs nach der TESl.-m. gegeben wird (Rothwell et al. 1992). Daraus wurde geschlossen, dass die TMSl.-m. und die TESl.-m. bei der Generierung der D-Welle überlappende Neuronenpopulation stimulieren. Die Ableitungen der deszendierenden Erregungswellen nach einer Einzelreiz-TMS zeigen, dass die TMSp.-a. mit einer fokalen achtförmigen Reizspule bei leicht überschwelliger Reizintensität zunächst präferenziell eine I-Welle auslöst. Wird die Stimulusintensität schrittweise erhöht, evoziert die TMSp.-a. späte I-Wellen und zuletzt auch eine D-Welle. Passend zur Hypothese einer präferenziellen Auslösung von I-Wellen durch posterior-anteriore Gewebsströme (7 Exkursbox »Physiologie der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen«) löst eine gerade überschwellige TMSp.-a. in der kontralateralen Hand MEP aus, die eine um 1‒2 ms längere kortikomuskuläre Latenz haben als die MEP, die mit einer anodalen TESl.-m. oder einer TMSl.-m. ausgelöst werden (Day et al. 1989; Werhahn et al. 1994). Bei einem parallel zur Sagittallinie verlaufenden Gewebsstrom hat die Richtung des Stroms (anterior-posterior oder posterior-anterior) einen wichtigen Einfluss auf die durch die monophasische TMS induzierten deszendierenden Erregungswellen. Bei TMSa.-p. sind im Vergleich zur TMSp.-a. höhere Stimulusintensitäten erforderlich, um deszendierende Erregungswellen auszulösen (Di Lazzaro et al. 2002a). Im Gegensatz zur TMSp.-a. induziert eine gerade überschwellige TMSa.-p. als erste Erregungswelle meist eine späte IWelle und erst bei höheren Stimulusintensitäten eine frühe I-Welle (Di Lazzaro et al. 2002a). Aufgrund der Richtungsselektivität der TMS-induzierten Aktivierung von D- und I-Wellen wurde vorgeschlagen, dass die kortikospinalen Axone, welche die D-Welle generieren, eine lateromediale Ausrichtung haben, während die Axone, welche die I-Wellen generieren eine posteroanteriore Orientierung (I-Welle) oder anteroposteriore Orientierung (I-Welle) haben. Eine Abhängigkeit der kortikospinalen Erregung von der Richtung des induzierten Gewebsstroms zeigte sich auch in der Modulation des Entladungsverhaltens (»Feuerungsrate«, engl. firing rate) einzelner motorischer Einheiten durch die Einzelreiz-TMS des kontralateralen Handareals (Werhahn et al. 1994; Sakai et al. 1997). Sakai et al. (1997) leiteten mit Nadelelektroden von einzelnen motorischen Einheiten des M. interosseus dorsalis manus I. (IOD 1) die moto-

3

rischen Potenziale ab, während gesunde Probanden die motorische Einheit mit einer Entladungsrate von ~10 Hz willkürlich voraktivierten. Die Modulation der Entladungsrate der jeweiligen motorischen Einheit durch eine gerade überschwellige, transkranielle Stimulation des kontralateralen Handareals wurde über die Erstellung eines Poststimulus-Zeithistogramms (engl. post-stimulus time histogram, PSTH) erfasst. Sowohl die anodale TESl.-m. als auch die TMS mit einer fokalen achtförmigen Reizspule führten zu einer Zunahme der Entladungswahrscheinlichkeit ca. 23‒28 ms nach dem transkraniellen Stimulus. Häufig zeigten sich ein oder zwei abgrenzbare Spitzen (engl. peak) in der Entladungswahrscheinlichkeit mit fixer Latenz und kurzer Dauer (1‒2 ms) ‒ vereinbar mit einer monosynaptischen Erregung des spinalen Motoneurons durch die deszendierenden Erregungswellen (. Abb. 3.3). Der Zeitpunkt der stimulationsbedingten Zunahme in der Entladungswahrscheinlichkeit hing von der Richtung des kortikal-induzierten Gewebsstroms ab. Induzierte die TMS medial oder anterior ausgerichtete Gewebsströme im motorischen Kortex, so trat der früheste Anstieg in der Entladungswahrscheinlichkeit etwa 1,5 ms nach dem durch eine anodale TESl.-m. ausgelösten, frühen »Peak« auf. Dagegen führte eine TMS, die Gewebsströme mit lateraler oder posteriorer Ausrichtung induzierte, zu einem späteren Anstieg der Entladungswahrscheinlichkeit ca. 4,5 ms nach dem durch die anodale TESl.-m. ausgelösten »Peak«. Diese Resultate sind bemerkenswert, da sich im Gegensatz zu den invasiven Ableitungen der D- und I-Wellen kein wesentlicher Unterschied in der Erregung der spinalen Motoneurone zwischen der TMSl.-m. und der TMSp.-a. zeigt. Im Kontext der D- und I-Wellenhypothese lässt sich dieses Befundmuster wie folgt deuten: Eine gerade überschwellige, monophasische TMS bewirkt eine präferenzielle Aktivierung der I-Welle, wenn der induzierte Gewebsstrom eine posterior-anteriore oder lateral-mediale Ausrichtung hat (TMSp.-a. oder TMSl.-m.). Dagegen kommt es zu einer präferenziellen Aktivierung der I-Welle bei einem anterior-posterior oder medial-lateral ausgerichteten Gewebsstrom (TMSa.-p. oder TMSm.-l.). In früheren Arbeiten wurde hervorgehoben, dass bei der TES der induzierte Strom in alle Richtungen radiär von der Elektrode wegläuft und daher vertikal als auch parallel zur Kortexoberfläche ausgerichtete Gewebsströme induziert. Im Gegensatz dazu induziert die TMS mit einer tangential aufliegenden Reizspule ein rein horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld. Diese Unterschiede im induzierten elektrischen Feld wurden für die differenziellen Reizeffekte der TES und TMS verantwortlich gemacht. Eine rezente Studie legt

40

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. Einﬂuss der im Gewebe induzierten Stromrichtung auf die Erregung der schnell leitenden, kortikospinalen Bahnen. Schematische Darstellung der evozierten deszendierenden Wellen im kortikospinalen Trakt und der PoststimulusZeithistogramme (engl. post stimulus time histogram, PSTH) für die bipolare TESl.-m. und die fokale monophasische TMS. Für die TMS sind 3 Spulenorientierungen (TMSl.-m., TMSp.-a. und die TMSa.-p.) dargestellt, die jeweils im Gewebe eine unterschiedliche Richtung des induzierten Stromes bewirken (Pfeil). In der Mitte sind die gemittelten epiduralen Ableitungen der ausgelösten deszendierenden kortikospinalen Erregungswellen dargestellt. Die Spitzenlatenzen der D-Welle, der ersten I-Wel-

le (I1) und der späteren I-Wellen (I2 und I3) sind als vertikale gepunktete Linien dargestellt. Die Auslenkung vor der D-Welle entspricht dem Stimulusartefakt. Die unterschiedlichen Stimulationsformen lösen unterschiedliche deszendierende Erregungswellen aus. Rechts sind die PSTH einer einzelnen motorischen Einheit dargestellt. TES und TMS führen zu einem kurzzeitigen Anstieg in der Feuerungsrate der motorischen Einheit, wobei das zeitliche Auftreten der Entladungsgipfel sich analog zu den ausgelösten, deszendierenden Erregungswellen verhält. A Anode; K Kathode. (Weitere Erläuterungen 7 Abschn. 3.3.2)

jedoch nahe, dass keine prinzipiellen Unterschiede im Wirkmechanismus zwischen der TES und der TMS bestehen (Brocke et al. 2005; 7 Kap. 20). Sowohl eine TMSp.-a. als auch eine TESp.-a. führten in der kontralateralen Hand zu MEP mit einer vergleichbaren kortikomuskulären Latenz, wobei die indirekten, transsynaptischen Reizeffekte mit einer gegenüber der TESl.-m. um ca. 2 ms verlängerten MEP-Latenz überwogen (7 Kap. 20, . Abb. 20.1). Dieser Befund stützt die Hypothese, dass sowohl bei der TMS als auch bei der TES die Ausrichtung der parallel zur Kortexoberfläche verlaufenden horizontalen Komponente des induzierten elektrischen Feldes für die Stimulationseffekte entscheidend ist. Unklar ist bislang, welche deszendierenden Wellen durch einen »schräg« ausgerichteten Gewebsstrom, der von posterolateral nach anteromedial senkrecht zum Sulcus centralis verläuft, ausgelöst werden. Diese TMSp.l.-a.m. mit einer Ausrichtung im 45°-Winkel zur Sagittallinie benötigt die geringste Reizstärke,

um ein MEP in Muskeln der kontralateralen Hand zu induzieren (Mills et al. 1992) und wird daher in den meisten TMS-Untersuchungen des primären motorischen Handareals verwendet. Dennoch liegt bislang keine Studie vor, in der die deszendierenden Erregungswellen nach einer TMSp.l.-a.m. epidural abgeleitet wurden. Somit ist bislang offen, ob eine posterolaterale-anteromediale Ausrichtung des induzierten Gewebsstroms präferenziell I-Wellen oder eine DWelle auslöst. Denkbar ist, dass diese Stromrichtung D- und I-Wellen gleich gut auslösen kann und deshalb mit den niedrigsten kortikalen Reizschwellen assoziiert ist. Die durch die anodale TESl.-m. oder die TMSl.-m. ausgelöste D-Welle wird durch eine direkte Depolarisation des proximalen kortikospinalen Axons 2‒3 Schnürringe vom Zellsoma entfernt ausgelöst. Daraus folgt, dass die D-Welle von Fluktuationen in der kortikalen Erregbarkeit nicht wesentlich beeinflusst wird. So wird die Amplitude dieser »frühen« D-Welle nicht

41

durch eine willkürliche Kontraktion kontralateraler Handmuskeln verstärkt. Dagegen sind die I-Wellen aufgrund ihrer transsynaptischen Entstehung empfindlich gegenüber Schwankungen in der kortikalen Erregbarkeit. Deshalb lassen sich alle I-Wellen durch eine willkürliche Kontraktion fazilitieren (Di Lazzaro et al. 1998b) oder durch eine »ermüdende« Kontraktion für 2‒3 min nach Ende der Kontraktion supprimieren (Di Lazzaro et al. 2003). Als praktische Konsequenz ergibt sich, dass Untersuchungen, welche eine Änderung der kortikalen Erregbarkeit mit der monophasischen TMS erfassen wollen, eher eine Spulenorientierung und Reizintensität verwenden sollten, die präferenziell I-Wellen auslösen.

Einﬂuss von Spulentyp und Stimuluskonﬁguration auf die deszendierende kortikospinale Erregung Auch der verwendete Spulentyp hat einen Einfluss auf die präferenzielle Aktivierung von D- oder I-Wellen (Übersicht bei Di Lazzaro et al. 2004). Wird mit einer über dem Vertex zentrierten Rundspule im primären motorischen Handareal ein posteroanteriorer Gewebsstrom induziert, kann zervikal eine »verzögerte« D-Welle epidural abgeleitet werden (Di Lazzaro et al. 2002a). Die Latenz dieser D-Welle ist im Vergleich zu der »frühen« D-Welle, die mit einer anodalen TESl.-m. oder mit einer TMSl.-m. (achtförmige Reizspule) ausgelöst wird, um ca. 0,2 ms verzögert. Im Gegensatz zur »frühen« D-Welle wird diese »verzögerte« DWelle durch willkürliche Voraktivierung verstärkt. Die längere Latenz und die Modulierbarkeit durch Voraktivierung sprechen dafür, dass der durch die Rundspule induzierte posterior-anteriore Gewebsstrom die Axone der Pyamidenzellen am initialen Segment des Axons erregt (. Abb. 3.3). Neben der monophasischen Stimuluskonfiguration wird insbesondere für die repetitive TMS (rTMS) eine biphasische Pulsform verwendet (7 Kap. 2). Die verwendete Pulsform wirkt sich auf das präferenzielle Aktivierungsmuster von D- oder I-Wellen aus (Übersicht bei Di Lazzaro et al. 2004) Im Vergleich zur monophasischen TMS führt biphasische TMS zu einer komplexeren Aktivierung der kortikospinalen Neurone. Dies wird dadurch erklärt, dass beide Phasen des biphasischen Stimulus in der Lage sind deszendierende Erregungswellen auszulösen, was zu einer variablen Generierung von D-Wellen und I-Wellen führt.

Doppelpuls-TMS und deszendierende kortikospinale Erregungswellen Die Aufzeichnung der deszendierenden Erregungswellen erbrachten auch wesentliche Aufschlüsse über

3

die neurophysiologischen Grundlagen der verschiedenen Doppelpulsprotokolle, die zur Untersuchung der Erregbarkeit des primären motorischen Kortex eingesetzt werden (Übersicht bei Di Lazzaro et al. 2004; 7 Kap. 16–18). Diese Doppelpulsprotokolle nutzen einen konditionierenden Stimulus um eine akute Veränderung der kortikalen Erregbarkeit zu induzieren. Der konditionierende Effekt auf die kortikale Erregbarkeit äußert sich in einer Hemmung (Doppelpulshemmung) oder Bahnung (Doppelpulsbahnung) des durch einen nachfolgenden überschwelligen Teststimulus erzeugten MEP. Mehrere Doppelpulsprotokolle sind mittlerweile etabliert, welche die Erregbarkeit verschiedener hemmender Interneurone im primären motorischen Kortex testen (7 Kap. 16–18). Zwei Doppelpulsprotokolle verabreichen den konditionierenden Stimulus und den Teststimulus über dieselbe Spule über dem primären motorischen Kortex. Der Unterschied zwischen den Protokollen besteht in der Intensität des konditionierenden Stimulus und dem zeitlichen Abstand zwischen den beiden Reizen. Die resultierende Hemmung wird als intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) oder als intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen (engl. long-interval intracortical inhibition, LICI) bezeichnet (7 Kap. 16). Andere Doppelpulsprotokolle verabreichen den konditionierenden Stimulus in einer anderen Struktur des Nervensystems. Um die interhemisphärische Hemmung (engl. interhemispheric inhibition, IHI) zu testen, wird der konditionierende Stimulus im kontralateralen motorischen Handareal verabreicht (7 Kap. 18). Um die afferente Hemmung des motorischen Kortex zu untersuchen wird der konditionierende Stimulus, z. B. über einem kontralateralen gemischten Nerv verabreicht bei Testung der afferenten Hemmung kurzer Latenz (engl. shortlatency afferent inhibition, SAI; 7 Kap. 17). Die spinale epidurale Aufzeichnung der deszendierenden Erregungswellen zeigte, dass bei allen Formen der Inhibition (SICI, LICI, IHI und SAI) die späten I-Wellen unterdrückt werden, während die I-Welle (und in einem gewissen Ausmaß auch die I-Welle) unbeeinflusst blieben. Auch die einmalige Gabe von Lorazepam, einem positiven Modulator am GABAA-Rezeptor führte zu einer selektiven Suppression der späteren I-Wellen ohne die I-Welle oder die Schwelle für die Auslösung der I-Wellen zu beeinflussen (Di Lazzaro et al. 2000). Diese Befunde bestätigen zum einen den intrakortikalen Ursprung der mit den Doppelpulsprotokollen gemessenen Hemmung. Sie identifizieren zum anderen die Suppression der Neuronenpopulationen,

42

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

15

die an der Generierung der späten I-Wellen beteiligt sind, als wichtigen Mechanismus der intrakortikalen Hemmung. Die divergierenden Effekte intrakortikaler Hemmung auf die frühen und späten I-Wellen machen es schließlich sehr wahrscheinlich, dass die frühen und späten I-Wellen unterschiedliche neuronale Substrate im primären motorischen Kortex haben. Die Aufzeichnung der deszendierenden Erregungswellen wurde auch verwendet, um die intrakortikale Doppelpulsbahnung zu untersuchen. Von besonderem Interesse ist hier die intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. shortinterval intracortical facilitation, SICF), da hier die Bahnung der MEP auf eine fazilitatorische Interaktion zwischen I-Wellen zurückgeführt wird (7 Kap. 16). Transkranielle Doppelpulse mit einem Interstimulusintervall von 1,2 ms führten zu einer klaren Fazilitierung der I- und I-Welle nicht jedoch der I-Welle (Di Lazzaro et al. 1999). Dagegen führt die intrakortikale Fazilitierung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16) ausgelöst durch einen unterschwelligen konditionierenden Stimulus zu keiner Modulation der deszendierenden Erregungswellen trotz einer klaren Bahnung der MEP (Di Lazzaro et al. 2006). Diese Diskrepanz zeigt die Grenzen der Ableitung der deszendierenden Erregungswellen zur Aufklärung der Physiologie der TMS auf. Eine Limitation dieser Methode besteht darin, dass die deszendierenden Wellen nicht muskelspezifisch sind und somit zwar mit dem peripher aufgezeichneten MEP in einem Zielmuskel korrelieren können, aber nicht notwendigerweise kausal verknüpft sind. Zudem basiert die epidurale spinale Ableitung auf der räumlich-zeitlich synchronisierten Aktivität in vielen kortikospinalen Axonen. Alle asynchron deszendierenden Aktionspotenziale werden nicht erfasst, sondern führen sogar zur Phasenauslöschung und damit zu einer Amplitudenabnahme der aufgezeichneten Erregungswellen.

16

3.3.3 Transkranielle Magnetstimulation

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

17 18 19 20

des primären motorischen Beinareals Perioperative Ableitungen der deszendierenden kortikospinalen Erregungswellen auf Höhe des Rückenmarks konnten nachweisen, dass im Wachzustand sowohl die anodale TES über dem Vertex als auch die TMS des primären motorischen Beinareals eine Serie von deszendierenden Wellen mit einer Periodizität von ~1,5 ms (~600 Hz) induziert (Di Lazzaro et al. 2001). Im Gegensatz zum primären motorischen Handareal haben die durch die TES und TMS ausgelösten MEP

die gleiche Latenz. Dies liegt daran, dass beide Stimulusmodalitäten vermutlich bei leicht überschwelliger Stimulation präferenziell eine I-Welle auslösen. Bei höherer Reizintensität treten spätere I-Wellen hinzu. Eine D-Welle wird am ehesten durch eine anodale TES mit Positionierung der Anode 2 cm lateral vom Vertex evoziert. Die Modulierbarkeit der deszendierenden Wellen zeigt Analogien zur TMS des primären motorischen Handareals. Eine willkürliche Voraktivierung fazilitiert die I-Wellen nicht aber die D-Welle. Die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (SICI) supprimiert die späten I-Wellen ohne die frühen I-Wellen zu beeinflussen.

3.3.4 Kortikospinale Aktivierung der

spinalen Motoneurone Wie in 7 Abschn. 3.3.2 ausgeführt, löst ein überschwelliger transkranieller Stimulus in den schnell leitenden, kortikospinalen Axonen eine Serie von synchronisierten Aktionspotenzialen aus, die als deszendierende Erregungswellen über dem kortikospinalen Trakt abgeleitet werden können. Über exzitatorische monosynaptische Verbindungen löst jede dieser deszendierenden Erregungswellen ein EPSP in den spinalen Motoneuronen aus. Die in kurzer Abfolge entstehenden EPSP summieren sich in ihrer Wirkung auf das postsynaptische Neuron auf und führen zu einer zunehmenden Depolarisation der postsynaptischen Membran. Überschreitet die postsynaptische Depolarisation eine kritische Schwelle, wird im spinalen Motoneuron ein Aktionspotenzial generiert, das zu der entsprechenden motorischen Einheit des Zielmuskels weitergeleitet wird. Entsprechend zeigen EMG-Ableitungen von einzelnen motorischen Einheiten eine deutliche, kurzzeitige Zunahme der Entladungswahrscheinlichkeit nach der TMS. Die konstante Latenz und das enge Zeitfenster des Anstiegs im Entladungsverhalten sprechen für eine Exzitation der Motoneurone im Wesentlichen über eine monosynaptische kortikospinale Verbindung, auch wenn ein zusätzlicher Beitrag einer polysynaptischen kortikospinalen Reizübertragung nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Die transsynaptische Erregung der spinalen Motoneurone hängt vom Aktivierungszustand des Zielmuskels ab. Im entspannten Zustand ist das Membranpotenzial der spinalen Motoneurone »weit entfernt« von der Schwelle und deshalb müssen sich mehrere EPSP aufsummieren, um ein Aktionspotenzial im spinalen Motoneuron auszulösen. Die Reizübertragung vom kortikospinalen Neuron auf das spi-

43

nale Motoneuron ist dagegen viel effektiver, wenn die TMS während einer willkürlichen Voraktivierung des Muskels verabreicht wird. Die Voraktivierung führt dazu, dass immer ein Teil des Motoneuronpools mit seinem Membranpotenzial nahe an der Schwelle zur Auslösung eines Aktionspotenzials ist und dann ein einzelnes EPSP (getriggert durch eine deszendierende Erregungswelle) ausreicht, in diesen Motoneuronen ein Aktionspotenzial auszulösen. Dies hat für das am Zielmuskel abgeleitete MEP mehrere Konsequenzen: Zum einen ist die kortikomotorische MEP-Latenz im voraktivierten Muskel um einige Millisekunden kürzer als im Ruhezustand, da die deszendierenden Erregungswellen weniger Zeit brauchen, um die spinalen Motoneurone bis zur Aktionspotenzialschwelle zu depolarisieren (7 Kap. 6). Die effizientere kortikospinale Erregungsüberleitung erklärt auch, warum die kortikale Reizschwelle im voraktivierten Muskel deutlich niedriger ist als in Muskelruhe (7 Kap. 14). Auch die Bahnung der MEP Amplitude während einer willkürlichen Muskelaktivierung wird zum großen Teil auf der Ebene des spinalen Motoneurons vermittelt, da während Voraktivierung eine vergleichbar starke deszendierende Erregung eine größere Anzahl spinaler Motoneurone aktiviert als in Muskelruhe. Die Latenzverkürzung und Amplitudenfazilitierung des MEP bei zunehmender Willkürkontraktion wurde auch mit dem von Hennemann beschriebenen Rekrutierungsverhalten der spinalen Motoneurone erklärt (Henneman et al. 1965). Demnach werden zunächst kleine motorische Einheiten im Zielmuskel über kleine und langsam leitende kortikospinale Pyramidenzellen und spinale Motoneurone rekrutiert. Mit zunehmendem Kraftgrad werden zunehmend große kortikospinale Neurone, spinale Motoneurone und motorische Einheiten mit höheren Leitgeschwindigkeiten rekrutiert. In vielen TMS-Studien wird mittels Einzelreiz ein MEP ausgelöst und die relative Änderung der Reizschwelle oder der mittleren MEP-Amplitude vor, während und nach einer Intervention (z. B. Lernen, afferente sensorische Stimulation, Gabe eines Pharmakons oder Applikation einer konditionierenden rTMS) untersucht. Da das MEP auf einer vorwiegend transsynaptischen Aktivierung der kortikospinalen Motoneurone und einer transsynaptischen Erregung der spinalen Motoneurone beruht, können Erregbarkeitsänderungen sowohl auf kortikaler als auch spinaler Ebene zu den Effekten der Intervention auf die kortikale Reizschwelle und die MEP-Amplitude beitragen.

3

Vier komplementäre elektrophysiologische Methoden stehen zur Verfügung, um zwischen Erregbarkeitsveränderungen auf kortikaler oder spinaler Ebene zu differenzieren: 5 Die erste, direkteste Methode basiert auf der perioperativen Ableitung der durch die TMS ausgelösten deszendierenden Erregungswellen. Nehmen nach einer Intervention eine oder mehrere der deszendierenden I-Wellen in der Amplitude zu oder ab, kann geschlossen werden, dass die Intervention die transsynaptische Erregbarkeit der kortikospinalen Neurone auf kortikaler Ebene moduliert hat. Diese Methode ist invasiv und kann nur an wenigen ausgesuchten Patienten durchgeführt werden. 5 Die zweite Methode nutzt den Vergleich zwischen monophasischer TMSp.-a. und anodaler TESl.-m.. Da die gerade überschwellige TMSp.-a. die kortikospinalen Neurone vorwiegend transsynaptisch erregt und I-Wellen induziert, werden die durch die monophasische TMSp.-a. ausgelösten MEP durch eine Änderung der kortikalen Erregbarkeit beeinflusst. Dagegen stimuliert die gerade überschwellige anodale TESl.-m. direkt das proximale kortikospinale Axon und generiert eine relativ reine D-Welle, welche nicht durch kortikale Erregbarkeitsschwankungen beeinflusst wird. Da eine einzelne D-Welle im entspannten Zustand nicht ausreicht, um im spinalen Motoneuron ein Aktionspotenzial und somit ein MEP auszulösen, muss die Untersuchung im leicht voraktivierten Zielmuskel erfolgen. Die Notwendigkeit der willkürlichen Vorinnervation limitiert diesen methodischen Ansatz, da die willkürliche Voraktivierung eine Erregbarkeitsänderung, die ausschließlich im Ruhezustand vorhanden ist, verdecken kann. Um dieses Problem zu umgehen, kann die TES mit der peripheren Auslösung eines H-Reflexes kombiniert werden. Hierbei wird das Intervall zwischen transkranieller und peripherer Stimulation so gewählt, dass der periphere afferente Eingang (H-Reflexbogen) und die kortikospinale deszendierende D-Welle am spinalen Motoneuron etwa zeitgleich eintreffen. In Motoneuronen, die überlappende synaptische Eingänge haben, fazilitieren sich die EPSP des H-Reflexbogens und der deszendierenden DWelle, so dass die Untersuchung in Muskelruhe durchgeführt werden kann. 5 Eine dritte Methode stimuliert den kortikospinalen Trakt auf Höhe des Foramen magnum (Ugawa et al. 1991). Hierzu werden zwei Oberflächenelektroden 2‒3 cm rechts und links vom Ini-

44

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 3 · Hirnstimulation – Physiologische Grundlagen

on platziert. Da auch hier nur eine deszendierende Welle ausgelöst wird, kann die Hirnstammstimulation in der Regel nur während leichter tonischer Vorinnervation ein MEP auslösen. Zudem ist unklar, inwieweit diese Art der Stimulation selektiv die schnell leitenden, kortikospinalen Axone stimuliert oder nicht auch Aktionspotenziale in anderen deszendierenden Bahnen auslöst. 5 Eine vierte Methode nutzt eine periphere Stimulation, um über die Aufzeichnung der F-Welle oder des H-Reflexes Änderungen der Erregbarkeit spinaler Motoneurone zu erfassen. Die Annahme ist, dass eine Änderung des durch die TMS ausgelösten MEP bei fehlender Modulation der F-Welle oder des H-Reflexes eine selektive Änderung der kortikalen Erregbarkeit anzeigt. Das Problem dieses Ansatzes besteht darin, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die TMS und die periphere elektrische Stimulation dieselbe Population spinaler Motoneurone erregen. Wenn z. B. eine Intervention zu einer selektiven Erregbarkeitsänderung in der Neuronenpopulation führt, die durch die deszendierenden kortikospinalen Wellen erregt werden, kann die Amplitude der F-Welle oder des H-Reflexes unverändert bleiben und somit ein falsch negatives Ergebnis liefern. Um dieses Problem zu umgehen, kann eine schwellennahe TMS (oder besser TES) mit dem H-Reflex so kombiniert werden, dass die kortikospinale Erregung die durch den H-Reflex induzierte Erregung am spinalen Motoneuronpool monosynaptisch fazilitiert. Eine nach Intervention gefundene Änderung der MEP-Amplitude zeigt bei unveränderter H-Reflex-Fazilitierung (und unveränderter Amplitude des nichtkonditionierten H-Reflexes) mit hoher Wahrscheinlichkeit an, dass die Modulation der MEP-Amplitude wesentlich durch intrakortikale Mechanismen bedingt ist (Modugno et al. 2001). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine Differenzierung zwischen einem spinalen und kortikalen Beitrag zu einer Änderung der MEP-Amplitude eine methodische Herausforderung darstellt. Es sollten möglichst mehrere komplementäre Methoden verwendet werden, wenn es darum geht eine spinale Erregbarkeitsänderung nach einer Intervention mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

Literatur 2Amassian VE, Stewart M. Quirk GJ, Rosenthal JL (1987) Physiological basis of motor eﬀects of transient stimulus to cerbral cortex. Neurosurgery 20: 74–93 Wichtiger Übersichtsartikel, der die tierexperimentellen Untersuchungen zur invasiven elektrischen Stimulation des freigelegten motorischen Kortex zusammenfasst. 2Barker AT, Jalinous R, Freeston IL (1985) Non-invasive magnetic stimulation of human motor cortex. Lancet 1: 1106–1107 Erstbeschreibung der TMS als nicht-invasive schmerzlose Methode zur Stimulation der kortikospinalen Neurone. Brocke J, Irlbacher K, Hauptmann B et al. (2005) Transcranial magnetic and electrical stimulation compared: does TES activate intracortical neuronal circuits? Clin Neurophysiol. 116: 2748–2756 1Day BL, Dressler D, Maertens de Noordhout A et al. (1989) Electric and magnetic stimulation of human motor cortex: surface EMG and single motor unit responses. J Physiol 412: 449–473 Wichtige Studie, die durch Bestimmung der kortiko-muskulären Latenz und Ableitung des spontanen Entladungsverhaltens einzelner motorischer Einheiten die Stimulationsmechanismen von TMS und TES bei Gesunden vergleicht. Di Lazzaro V, Oliviero A, Proﬁce P (1998a) Comparison of descending volleys evoked by transcranial magnetic and electric stimulation in conscious humans. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 109: 397–401 Di Lazzaro V, Restuccia D, Oliviero A et al. (1998b) Eﬀects of voluntary contraction on descending volleys evoked by transcranial stimulation in conscious humans. J Physiol 508: 625–633 Di Lazzaro V, Rothwell JC, Oliviero A et al. (1999) Intra-cortical origin of the short latency facilitation produced by pairs of threshold magnetic stimuli applied to human motor cortex. Exp Brain Res 129: 494–499 Di Lazzaro V, Oliviero A, Meglio M (2000) Direct demonstration of the eﬀect of lorazepam on the excitability of the human motor cortex. Clin Neurophysiol 111: 794–799 1Di Lazzaro, Oliviero A, Proﬁce P (2001) Descending spinal cord volleys evoked by transcranial magnetic and electrical stimulation of the motor cortex leg area in conscious humans. J Physiol 537: 1047–1058 Wichtige Studie, die über die perioperative Ableitung der kortikospinalen deszendierenden Erregungswellen die Mechanismen der TMS und TES des primären motorischen Beinareals bei Gesunden vergleicht. Di Lazzaro V, Oliviero A, Pilato F et al. (2002a) Descending volleys evoked by transcranial magnetic stimulation of the brain in conscious humans: eﬀects of coil shape. Clin Neurophysiol 113: 114–119 Di Lazzaro V, Oliviero A, Saturno E (2002b) The eﬀect on corticospinal volleys of reversing the direction of current induced in the motor cortex by transcranial magnetic stimulation. Exp Brain Res 138: 268–273 Di Lazzaro V, Oliviero A, Tonali PA (2003) Direct demonstration of reduction of the output of the human motor cor-

45

tex induced by a fatiguing muscle contraction. Exp Brain Res 149: 535–538 2Di Lazzaro V, Oliviero A, Pilato F et al. (2004) The physiological basis of transcranial motor cortex stimulation in conscious humans. Clin Neurophysiol 115: 255–266 Umfassende Zusammenfassung der bis 2004 durchgeführten Untersuchungen zur Aktivierung kortikospinaler deszendierender Erregungswellen durch transkranielle (magnetische und elektrische) Stimulation des primären motorischen Kortex. Di Lazzaro V, Pilato F, Oliviero A (2006) Origin of Facilitation of Motor Evoked Potentials after Paired Magnetic Stimulation: Direct Recording of Epidural Activity in Conscious Humans. J Neurophysiol 96: 1765–1771 Edgley SA, Eyre JA, Lemon RN, Miller S (1997) Comparison of activation of corticospinal neurons and spinal motor neurons by magnetic and electrical transcranial stimulation in the lumbosacral cord of the anaesthetized monkey. Brain 120: 839–853 Henneman E, Somjen G, Carpenter DO (1965) Excitability and inhibitability of motoneurons of diﬀerent sizes. J Neurophysiol 28: 599–620 Maccabee PJ, Amassian VE, Cracco RQ, Cadwell JA (1988) Analysis of peripheral motor stimulation in humans using the magnetic coil. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 70: 524–533 2Merton PA, Morton HB (1980) Stimulation of the cerebral cortex in the intact human subject. Nature 285: 227 Erstbeschreibung der TES als nichtinvasive Methode zur Stimulation der kortikospinalen Neurone. 1Mills KR, Boniface SJ, Schubert M (1992). Magnetic brain stimulation with a double coil: the importance of coil orientation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85:17–21 Wichtige Studie zum Einﬂuss der Spulenausrichtung der achtförmigen Reizspule über dem primären motorischen Handareal auf die kortikale Reizschwelle. Die Studie konnte zeigen, dass die kortikospinalen Projektionen am eﬃzientesten erregt werden, wenn die TMS im Kortex einen posterior-anterioren Stromﬂuss senkrecht zum Sulcus centralis induziert. Modugno N, Nakamura Y, MacKinnon CD et al. (2001) Motor cortex excitability following short trains of repetitive magnetic stimuli. Exp Brain Res 140: 453–459 Patton HD, Amassian VE (1954) Single and multiple unit analysis of the cortical stage of pyramidal tract activation. J Neurophysiol 17: 345–363 Roth BJ (1994) Mechanisms for electrical stimulation of excitable tissue. Crit Rev Biomed Eng 22: 3–4 Rothwell JC, Day BL, Amassian VE (1992) Near threshold electrical and magnetic stimulation activate overlapping sets of cortical neurons in humans. J Physiol 452: 109 1Sakai K, Ugawa Y, Terao Y et al. (1997) Preferential activation of diﬀerent I waves by transcranial magnetic stimulation with a ﬁgure-of-eight-shaped coil. Exp Brain Res 113: 24–32 Elegante Studie zum Einﬂuss der Spulenausrichtung über dem primären motorischen Handareal auf die Erregung der frühen und späten deszendierenden I-Wellen.

3

Ugawa Y, Rothwell JC, Day BL et al. (1991) Percutaneous electrical stimulation of corticospinal pathways at the level of the pyramidal decussation in humans. Ann Neurol 29: 418–427 1Werhahn KJ, Fong JK, Meyer BU et al. (1994) The eﬀect of magnetic coil orientation on the latency of surface EMG and single motor unit responses in the ﬁrst dorsal interosseous muscle. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 93: 138–146 Studie zum Einﬂuss der Spulenausrichtung einer achtförmigen Reizspule über dem primären motorischen Handareal auf die Erregung der kortikospinalen Neurone. Eine Limitation dieser Studie ist, dass nur zwei Spulenausrichtungen untersucht wurden. Ziemann U, Rothwell JC (2000) I-waves in motor cortex. J Clin Neurophysiol 17: 397–405

47

4

Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien Walter Paulus, Hartwig Roman Siebner 4.1

Sicherheitsaspekte – 48

4.2

Anwendungsrichtlinien – 52

4.1.1

Epileptische Anfälle – 48 Fallbeispiel – 49 Akute sensorische Effekte – 50 Akute kognitive Effekte – 50 Unerwünschte Langzeitwirkungen

4.2.1

TMS im Einzelreiz- oder Doppelreizmodus – 52 Repetitive TMS – 52

4.1.2 4.1.3 4.1.4

4.2.2 – 51

4.3

Transkranielle Gleichstromstimulation – 54

Literatur

– 55

ZUM THEMA Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) kann einen epileptischen Anfall auslösen. Bei Personen mit normaler kortikaler Erregbarkeit ist das Risiko der Anfallsauslösung jedoch bei der Verwendung einzelner oder gepaarter Stimuli als äußerst gering einzustufen, wenn diese mit einer unregelmäßigen Frequenz von ≤0,25 Hz verabreicht werden. Dagegen können bei Personen mit abnormal erhöhter kortikaler Erregbarkeit bereits wenige Stimuli ausreichen, um einen Anfall auszulösen. Wird eine repetitive TMS (rTMS) mit konstanter Stimulationsfrequenz verabreicht, kann in Abhängigkeit vom verwendeten Stimulationsprotokoll auch bei normaler kortikaler Erregbarkeit ein epileptischer Anfall ausgelöst werden. Im repetitiven Stimulationsmodus steigt das Anfallsrisiko mit der Anzahl der (pro Sitzung) verabreichten Stimuli, der Stimulusintensität und der Stimulationsfrequenz. Deshalb sind hier die im Rahmen einer Konsensuskonferenz festgelegten Begrenzungen für die Kombination aus Stimuluszahl, -intensität sowie Wiederholungsrate für einzelne Sitzungen zu beachten. Die Einhaltung dieser Begrenzungen bietet jedoch keine absolute Sicherheit,

da neurobiologische Faktoren das Anfallsrisiko wesentlich mitbestimmen. Die derzeit existierenden Sicherheitskriterien sind nur bedingt auf neuartige Stimulationsprotokolle, die komplexere zeitliche Stimulationsmuster verwenden oder mehrere Hirnareale ansteuern, anwendbar. Diﬀerenzialdiagnostisch muss beim Auftreten einer akuten Bewusstseinstörung insbesondere zu Beginn einer TMS-Untersuchung auch an eine vasovagale Synkope gedacht werden. Insbesondere im repetitiven Stimulationsmodus kann die TMS akute Spannungskopfschmerzen auslösen, die nach mehreren Stunden abklingen. Unerwünschte Langzeiteﬀekte der TMS sind nicht bekannt und aufgrund des nichtionisierenden Charakters der induzierten elektromagnetischen Felder auch nicht zu erwarten. Bei der Anwendung der TMS gelten die gesetzlichen Bestimmungen zum Einsatz von Medizinprodukten. Eine adäquate medizinische Betreuung muss bei Auftreten eines epileptischen Anfalls gewährleistet sein. Im Raum anwesende Personen sollten während einer repetitiven TMS Ohrstöpsel als Lärmschutz tragen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

48

Kapitel 4 · Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien

4.1

Sicherheitsaspekte

Die TMS mit Einzel- oder Doppelreizen gilt bei hirngesunden Personen als unproblematisch und sicher. Die größte Anwendungserfahrung liegt naturgemäß für die Stimulation des primären motorischen Kortex vor, da die TMS des primären motorischen Kortex seit etwa zwanzig Jahren in der neurophysiologischen Routinediagnostik eingesetzt wird, um die Funktion der kortikomotorischen Bahnen zu untersuchen (7 Kap. 5–10).

4.1.1 Epileptische Anfälle Die wesentliche akute unerwünschte Wirkung der TMS besteht in der Möglichkeit, durch die TMS einen epileptischen Anfall auszulösen. In der klinisch-neurophysiologischen Diagnostik wird die TMS im Einzelreizmodus mit einer unregelmäßigen Wiederholungsrate von maximal 0,25 Hz verabreicht. Bei Personen mit einer normalen zerebralen Erregbarkeit ist hier das Risiko, mit der TMS einen epileptischen Anfall zu provozieren als äußerst gering einzustufen. Allerdings können bei Personen mit abnormal erhöhter kortikaler Erregbarkeit bereits wenige Einzelreize ausreichen, um einen Anfall auszulösen. Ein erhöhtes Anfallsrisiko ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine strukturelle oder funktionelle Schädigung des Kortex, also z. B. ein Hirntumor, eine frische Sinusvenenthrombose oder eine Epilepsie vorliegt. So konnten TMS Einzelimpulse bei einem Patienten mit Epilepsie reproduzierbar einen sekundär generalisierten Krampfanfall auslösen (Classen et al. 1995). Die weltweite klinische Erfahrung mit der Einzelreiz-TMS in der Funktionsdiagnostik der kortikospinalen motorischen Bahnen belegt jedoch, dass diese Komplikation als äußerst selten angesehen werden kann. Dies gilt auch für die TMS mit Doppelreizen. Im Vergleich zur TMS im Einzelreiz- oder Doppelreizmodus ist das Anfallsrisiko erhöht, wenn die TMS als Reizserie mit konstanter Stimulationsfrequenz verabreicht wird. Dies liegt daran, dass die regelmäßig wiederkehrenden Stimuli während einer repetitiven TMS (rTMS) zu einer progressiven Zunahme der kortikalen Erregbarkeit führen können. Überschreitet die Erregbarkeitszunahme die Anfallsschwelle und wird die rTMS trotzdem fortgeführt, kommt es zu einem epileptischen Anfall. Das Anfallsrisiko lässt sich aus den bisher publizierten Anfällen sowie aus Untersuchungen zur magnetisch induzierten Elektrokonvulsionstherapie einigermaßen abschätzen. Das Risiko während der rTMS einen epileptischen Anfall zu

induzieren steigt mit der Anzahl, Intensität und Frequenz der verabreichten Stimuli. Schon sehr bald nach Einführung der rTMS wurde bemerkt, dass das Risiko im repetitiven Stimulationsmodus einen epileptischen Anfall auszulösen deutlich höher ist als bei EinzelreizTMS (Dhuna et al. 1991). Die während einer rTMS des primär motorischen Kortex ausgelösten Anfälle verhalten sich ähnlich wie motorische Jackson-Anfälle, die sich mit einem somatotopen Muster entsprechend der Organisation des sensorischen und motorischen Kortex ausbreiten und sekundär generalisieren können (Pascual-Leone et al.1993). Die hochfrequente (Stimulationsrate ≥5 Hz) rTMS ist bei ausreichender Intensität und Dauer wahrscheinlich immer in der Lage, Anfälle auszulösen. Das erhöhte Anfallsrisiko der rTMS führte vor nunmehr fast 10 Jahren dazu, dass in einer Konsensuskonferenz Richtlinien aufgestellt wurden, welche Kombination aus Anzahl von Impulsen, Intensität und Frequenz noch als sicher gelten kann (Wassermann 1998). Die Grenzwerte für bestimmte Kombinationen aus Stimuluszahl, Intensität und Frequenz der rTMS sind in . Tab. 4.1 zusammengefasst. Bei der Festlegung der Grenzwerte wurden rTMS-Protokolle berücksichtigt, die in früheren Studien Anfälle ausgelöst hatten, oder zu einer Ausbreitung von Myoklonien in Muskeln geführt hatten, oder die über die Stimulationsdauer persistierende EMG-Aktivität ausgelöst hatten. Die im Rahmen der Konsensuskonferenz festgelegten Begrenzungen von Stimuluszahl,- frequenz und –intensität sind für einzelne Sitzungen einzuhalten. Allerdings kann die Einhaltung der Dosierungsrichtlinien keine absolute Sicherheit gegen die Induktion von Anfallsereignissen bieten. Neben dem verwendeten Stimulationsprotokoll spielen individuelle neurobiologische Faktoren ebenfalls eine wichtige Rolle. So ist eine niedrigere Anfallsschwelle anzunehmen, wenn die untersuchte Person Substanzen (Medikamente, Drogen) einnimmt, welche die zerebrale Anfallsschwelle senken. Gleiches gilt für Patienten mit schlecht eingestellter Epilepsie oder vermutlich auch einer Stimulation des periläsionellen Kortex nach frischem Schlaganfall. Zudem machen die Richtlinien keine Aussagen über eine rTMS mit Intensitäten, die unterhalb der motorischen Reizschwelle in Ruhe liegen oder über eine mögliche Beeinflussung des Anfallsrisikos bei kurzfristiger Wiederholung der rTMS, z. B. an aufeinanderfolgenden Tagen. Die Anwendungsrichtlinien basieren auf Studien zur rTMS des primär motorischen Kortex und es bleibt offen, inwieweit diese Grenzwerte sich ohne weiteres auf alle übrigen Kortexareale übertragen lassen. Außerdem ist unklar, inwie-

49

Ziﬀern, denen ein > vorangeht, repräsentieren die längsten getesteten Reizzugdauern. Es kam weder zu Nachentladungen noch zur Ausbreitung von Entladungen auf andere Muskelgruppen innerhalb der hier aufgeführten Kombinationen aus Reizfrequenz und -intensität. (Aus Wassermann 1998)

0,08 0,08 0,4 1,28 25

0,84

0,24

0,2

0,24

0,2

0,12

0,08

0,12

0,12

0,3

0,1

0,3

0,1 0,2

0,4 0,6

0,25 0,2

0,5 0,8

0,15 0,25

0,9 0,8

0,25 0,35

1,3

1,0

0,55

4,2

2,05 20

1,6

>5 10

>5

2,9

6

1,2

7

1,6 1,4

8 11

1,6 2,4

11 27

2,6 3,6

>50 >50

5,2 7,6

>50

>10

>10

360

>10 5

>10

>1800 1

>1800

>50

210 200 190 180 170 160 150 140 130 120 110 100

Intensität (% der motorischen Reizschwelle in Ruhe)

Frequenz [Hz]

. Tab. .. Maximale Dauer (s) eines rTMS-Reizzuges, die nach den Erfahrungen des NINDS (National Institute of Neurological Disorders and Stroke) als sicher eingestuft wird

220

4.1 Sicherheitsaspekte

4

weit einige der für die rTMS angegebenen Grenzwerte wirklich ihre Berechtigung haben, z. B. die Beschränkung auf 6 Stimuli für eine 1-Hz-rTMS mit 220 der motorischen Reizschwelle in Ruhe.

Fallbeispiel Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang eine Kasuistik, welche einen epileptischen Anfall bei einem 27-jährigen, ansonsten gesunden, Tinnituspatienten während einer niedrigfrequenten temporoparietalen rTMS berichtete (Nowak et al. 2006). Der Anfall trat 9,5 min nach Beginn der rTMS auf. Zu diesem Zeitpunkt waren 580 Pulse mit einer Stimulusintensität von 90 der motorischen Ruheschwelle (38 der maximalen Ausgangsleistung eines Dantec MagPro-100-Stimulators) verabreicht worden. Interessanterweise waren 2 Tage vor dem aufgetretenen Anfall im Rahmen einer funktionellen Kartierung (engl. mapping) des linken temporoparietalen Kortex eine hochfrequente (15 Hz) rTMS durchgeführt worden. Hierbei waren wiederholt Reizserien mit einer Wiederholungsrate von 15 Hz und einer Dauer von 2 s und einer Intensität von 100 der motorischen Ruheschwelle über 8 Hirnrindenarealen appliziert worden (Nowak et al. 2006). Diese Kasuistik zeigt, dass auch eine unterschwellige und niedrigfrequente rTMS einen epileptischen Anfall auslösen kann. Denkbar ist, dass die vorausgehende hochfrequente rTMS im Kortex eine sensitivierende Wirkung auf die nachfolgende niedrigfrequente rTMS hatte. Die zitierte Kasuistik zeigt die Notwendigkeit auf, die Informationen in . Tab. 4.1 auch auf Stimulationsintensitäten unterhalb der motorischen Reizschwelle in Ruhe zu erweitern. Gleiches gilt für Frequenzen über 25 Hz. Trotz dieser Limitationen haben sich die eingeführten Grenzwerte für die regelmäßige rTMS in der Praxis als sehr wertvoll erwiesen, da nach deren Einführung nur noch wenige Anfälle unter einer rTMS beschrieben wurden.

Die eingeführten Grenzwerte beziehen sich auf Stimulationsprotokolle, die regelmäßige Reizserien mit konstanter Wiederholungsrate fokal über einem Kortexreal applizieren. Vereinzelt wurde die rTMS auch multifokal appliziert, d. h. es wurden in der gleichen Sitzung mehrere Hirnareale hintereinander repetitiv stimuliert (7 Kap. 50). Neuere Stimulationsprotokolle verwenden komplexere zeitliche Stimulationsmuster, z. B. die repetitive Gabe von sehr hochfrequenten Doppel- oder Dreifachpulsen im Sinne einer salvenartigen repetitiven Stimulation (engl. burst stimulation; 7 Kap. 50). Die für die regelmäßige rTMS etablierte

50

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 4 · Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien

Risikoabschätzung (. Tab. 4.1) ist auf diese neuen Stimulationsprotokolle nur bedingt übertragbar und wird künftig die Etablierung spezieller Sicherheitskriterien erfordern. Unter Berücksichtigung der in . Tab. 4.1 aufgelisteten Dosisbegrenzungen ist somit das Anfallsrisiko für die regelmäßige rTMS als sehr gering einzustufen. In der Tat ist es relativ schwierig mit der rTMS gezielt, z. B. bei Patienten mit Epilepsie, Anfälle auszulösen. Auch wenn es paradox erscheint, werden Epilepsiepatienten sogar unter therapeutischen Gesichtspunkten mit einer rTMS »behandelt«. Dies erfolgt allerdings nur mit niedrigen Reizfrequenzen, um hemmende Effekte auf die kortikale Erregbarkeit zu erzielen (7 Kap. 57). Das konvulsive Potential der rTMS wird bei der Magnetkonvulsionstherapie (MKT) (engl. magnetic seizure therapy) therapeutisch genutzt, um bei Patienten mit therapieresistenter Depression wiederholt einen generalisierten epileptischen Anfall auszulösen (Lisanby et al. 2003). Hier ist die Hoffnung, dass die durch repetitive TMS ausgelöste Anfallstherapie mit weniger kognitiven Nebenwirkungen einhergeht als die klassische Elektrokrampftherapie (7 Kap. 61). Die im Rahmen der magnetischen Anfallstherapie gesammelten Erfahrungen haben wichtige Informationen über die Faktoren gebracht, welche das Anfallsrisiko der rTMS erhöhen. Die Autoren benutzten eine Spezialanfertigung eines Stimulators, dessen maximale Stimulationsintensität das Doppelte der maximalen Intensität herkömmlicher Stimulatoren mit 2 Tesla an der Spulenoberfläche betrug. Die Stimulationsfrequenz variierte hierbei zwischen 40 und 60 Hz. Es waren 268±105 Reize notwendig, um unter Kurznarkose bei 10 Patienten einen Anfall auszulösen. Zur Anfallsinduktion waren nichtfokale Spulen effektiver als fokale achtförmige Spulen, so dass der rTMS mit nichtfokalen Spulen ein höheres Anfallsrisiko attestiert werden muss. Auch zeigte sich eine unterschiedliche regionale Empfindlichkeit in Abhängigkeit von der Spulenposition. Am einfachsten war es bei Spulenpositionierung über dem Vertex einen Anfall zu provozieren. Es folgte eine frontozentale Spulenposition; eine rechts präfrontale Positionierung war am ineffizientesten. Interessanterweise korrelierten die Anfallsschwelle und motorische Reizschwelle nur wenig.

4.1.2 Akute sensorische Eﬀekte Im Gegensatz zur transkraniellen elektrischen Stimulation (7 Kap. 20) ist die TMS nicht schmerzhaft, da die am Skalp erzielte Stromdichte unterschwellig für

eine direkten Erregung von Schmerzrezeptoren in der Kopfhaut ist. Allerdings kann die TMS als unangenehm empfunden werden. Dies ist besonders dann der Fall, wenn hohe Stimulusintensitäten verwendet werden oder der Stimulationsort so gewählt wird, dass die rTMS über eine begleitende periphere Nervenstimulation zu Kontraktionen der Gesichts, Schläfen- oder Nackenmuskulatur führt. Gelegentlich beklagen Probanden insbesondere nach rTMS akute Spannungskopfschmerzen, die meist nach mehreren Stunden abklingen. Eine regionale Erwärmung des stimulierten Hirngewebes ist während einer rTMS nicht zu erwarten. Die Entladung der Stimulationsspule verursacht eine Bewegung der Spulenwindungen im Gehäuse, was zu einem lauten (>120 dB), hochfrequenten Klick (2‒7 kHz) führt. Aufgrund der Lautstärke der die Spulenentladungen begleitenden Klicks bestand schon früh die Sorge, dass hier ein negativer Einfluss auf das Hörvermögen entstehen könnte (Pascual-Leone et al. 1992). Bei 2 von 5 Patienten zeigte sich eine transiente Hörschwellenerhöhung nach einer sechswöchigen rTMS, die innerhalb eines Monats vollständig reversibel war (Loo et al. 2001). Deshalb sollten die im Raum anwesenden Personen während einer rTMS Ohrstöpsel als Lärmschutz tragen.

4.1.3 Akute kognitive Eﬀekte Die TMS in der Einzelreiz- und Doppelreizapplikation haben keinen akuten Einfluss auf Kognition und Affekt. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als man anfing die rTMS zu nutzen, um höhere kortikale Funktionen durch Induktion einer virtuellen Läsion transient zu stören (7 Kap. 31), verstärkte sich die Sorge, dass die rTMS negative Auswirkungen auf höhere kortikale Funktionen haben könnte. Neuropsychologische Untersuchungen zeigen, dass eine rTMS über die Stimulation hinaus psychophysisch messbare Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit und die affektive Verarbeitung haben kann (7 Kap. 46, 47 und 49). Prinzipiell ist dies natürlich nicht nur möglich, sondern oft erwünscht: So ist es das Ziel vieler neuropsychologischer Experimente, mit Hilfe der rTMS umschriebene Kortexfunktionen über den Zeitpunkt der rTMS hinaus zu hemmen oder zu bahnen. Allerdings sind die durch die rTMS gesetzten, akuten Läsionseffekte bei gesunden Probanden meist nur von kurzer Dauer (im Bereich von wenigen Minuten) und so subtil, dass sie zu keinen klinisch auffälligen Dysfunktionen führen. Bis heute haben diverse Sicherheitsstudien daher keine wesentlichen anhaltenden unerwünschten

4.1 Sicherheitsaspekte

Beeinflussungen von kognitiven Funktionen zeigen können (Koren et al. 2001; Little et al. 2000).

4.1.4 Unerwünschte Langzeitwirkungen Als Mechanismus für eine neuronale Schädigung kommt vor allem eine stimulationsbedingte Exzitotoxizität in Betracht. Andere Schädigungsmechanismen sind aufgrund des nichtionisierenden Charakters der bei der TMS ausgelösten, elektromagnetischen Felder nicht zu erwarten. Die durch das magnetische Wechselfeld induzierte, elektrische Stimulation des kortikalen Gewebes gilt in Hinblick auf unerwünschte Langzeiteffekte als unbedenklich. Dafür spricht auch die gute Gewebsverträglichkeit der chronischen hochfrequenten Elektrostimulation von Kortex und Basalganglien über implantierte Elektroden und Schrittmachersysteme. Die bei implantierten Systemen zu berücksichtigende lokale Neurotoxizität durch elektrochemisch oder elektrolytisch entstandene toxische Produkte spielt naturgemäß bei transkranieller Stimulation keine Rolle, weil kein direkter Kontakt zwischen Elektroden und Hirngewebe besteht. Nach weltweiter Anwendung der TMS über viele Jahre sind bisher keine anhaltenden schädlichen Auswirkungen auf die Funktion und Struktur des Gehirns bekannt geworden. Es fand sich bislang kein Hinweis darauf, dass die TMS im Einzelreiz-, Doppelreiz- oder repetitiven Modus eine Induktion epileptogener Foci (engl. kindling) bewirkt. In den wenigen Fällen, in denen die TMS bei gesunden Personen einen epileptischen Anfall auslöste, war das Anfallsereignis zeitlich an die Applikation der TMS gebunden. Weitere spontane Anfälle wurden nach einem solchen Zwischenfall nicht beobachtet, so dass ein einmaliger im Rahmen der TMS auftretender Anfall prognostisch als Gelegenheitsanfall einzustufen ist. Die Langzeitverträglichkeit der TMS wurde auch tierexperimentell untersucht. Weder nach sechswöchiger, täglicher Elektrokonvulsionstherapie noch nach magnetischer Anfallstherapie waren bei insgesamt 12 Primaten histologische Veränderungen im Hirngewebe nachweisbar (Dwork et al. 2004). Tierexperimentelle Studien an der Ratte zur Verträglichkeit der rTMS konnten ebenfalls keinen das Hirngewebe schädigenden Effekte nachweisen (Post et al. 1999; Zyss et al. 2000). Es wurde sogar z. T. ein neuroprotektiver Effekt der rTMS gegenüber oxidativen Stressoren nachgewiesen und eine verlängerte Überlebensfähigkeit von hippocampalen Zellen (Post et al. 1999). Die Stimulation von Rattenhirnen mit einem für die Anwendung am Menschen konstruierten Magnet-

51

4

stimulator ist allerdings nicht direkt vergleichbar mit der Stimulation des menschlichen Gehirns. Aufgrund der geringen Größe des Rattenhirns kann der Magnetimpuls nur in einem sehr kleinen Volumen eine Spannungsdifferenz bzw. einen hieraus resultierenden Stromfluss erzeugen, da das Magnetfeld ausserhalb des Rattenkopfes nicht zur Generierung einer Spannungsdifferenz im Gehirn beiträgt. Daher sind im Tierversuch im Allgemeinen viel höhere Stimulationsintensitäten notwendig. Dieses Problem wurde in einer Studie umgangen, indem besonders kleine, an die Größe des Rattenhirns angepasste Stimulationsspulen verwendet wurden. Hier wurden nach täglicher überschwelliger Stimulation mit 1 Hz und 1000 Reizen über 5 Tage weder histologische noch kernspinspektroskopische Veränderungen gefunden (Liebetanz et al. 2003). Für die Humananwendung nur eingeschränkt verwertbar sind die neurophysiologischen Ergebnisse einer TMS im Rahmen von Invitro-Studien, bei denen sich das leitende Volumen auf einen Hirnschnitt oder auf eine Zellkultur in einer Laborschale beschränkt. Histopathologische Untersuchungen zu den Auswirkungen der rTMS auf das menschliche Gehirn lassen sich nur an Patienten, die aus anderen Gründen am Gehirn operiert werden müssen, durchführen. Bei 2 Patienten mit Epilepsie, bei denen zur Kontrolle der Epilepsie der Temporallappen entfernt wurde, fand präoperativ eine TMS-Untersuchung (ca. 2000 Stimuli) zur Feststellung der Sprachdominanz statt. Die postoperative histologische Aufarbeitung des resezierten Temporallappens zeigte keine auf die TMS zurückführbare Gewebsschädigung (Gates et al. 1992). Magnetresonanztomographische In-vivoUntersuchungen am Menschen zeigten allenfalls für wenige Minuten anhaltende Veränderung in der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomografie nach einer rTMS (Mottaghy et al. 2003). Dies soll nicht heißen, dass die rTMS keine anhaltenden Effekte auf die menschliche Hirnstruktur haben kann. So fand sich in der voxel-basierten Kernspinmorphometrie nach 5-tägiger, niedrigfrequenter (1 Hz) rTMS des temporalen auditorischen Kortex (2000 Stimuli mit 110 der motorischen Reizschwelle in Ruhe) eine Volumenzunahme im auditorischen Kortex und im Thalamus (May et al. 2007). Die neurobiologische Bedeutung dieses Befundes ist allerdings unklar. Interessanterweise kann ein prolongiertes Training ebenfalls zu einer regionalen kortikalen Volumenzunahme führen. Neben einer Nettozunahme an synaptischen Verbindungen kommen auch nichtneuronale Mechanismen, wie z. B. eine vermehrte regionale Durchblutung oder ein vermehrter Wassergehalt, in Frage.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

52

Kapitel 4 · Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien

4.2

Anwendungsrichtlinien

4.2.1 TMS im Einzelreiz- oder

Doppelreizmodus Da die TMS aktiv mit einer Körperfunktion interferiert, unterliegt die Anwendung der TMS den gesetzlichen Regelungen für Medizinprodukte. Eine CEZertifizierung des Stimulationsgerätes (Pulsquelle und Induktionsspule) muss vorliegen, wobei den Autoren keine kommerziell vertriebenen Geräte ohne CE-Zertifizierung bekannt sind. Die TMS muss von einer in die Technik der TMS eingewiesenen und in der Methodik der TMS erfahrenen Person durchgeführt werden. Auch wenn das Risiko mit der Einzelreiz- oder Doppelreizstimulation einen epileptischen Anfall auszulösen sehr gering ist, muss eine adäquate medizinische Betreuung im Falle eines epileptischen Anfalls gewährleistet sein. Die Patienten sollten über das mit der TMS assoziierte Anfallsrisiko schriftlich aufgeklärt werden. Zudem sollte in einem strukturierten Fragebogen die Kontraindikationen für die TMS zunächst schriftlich abgefragt werden. Es empfiehlt sich die Fragen nochmals mündlich mit dem Patienten/Probanden durchzugehen (. Abb. 4.1). Das Tragen eines Hörschutzes wird für die Einzelreiz- oder Doppelreizstimulation bei Verwendung der recht lauten gekrümmten Doppelstimulationsspule empfohlen. > Kontraindikationen Kontraindikationen für den Einsatz der TMS sind das Vorliegen einer akut erhöhten zerebralen Anfallsbereitschaft oder einer Schwangerschaft, Patienten mit implantierten biomedizinischen Geräten wie z. B. ein Cochleaimplantat oder eine Medikamentenpumpe sowie Patienten mit intrakraniellen Metallpartikeln (z. B. intrakranielle Gefäßclips). Patienten mit Herz- oder Hirnschrittmacher können prinzipiell mit der TMS untersucht werden. Allerdings darf die TMS-Spule unter keinen Umständen in unmittelbarer Nähe (<5 cm) des implantierten Impulsgenerators entladen werden, da dies den Stimulator irreversibel schädigen könnte. Ein minimaler Sicherheitsabstand von 10 cm zwischen TMSSpule und Schrittmacher kann durch Tragen einer Schwimmweste durch den Schrittmacherträger während der Untersuchung gewährleistet werden. Die Durchführung der TMS bei Trägern von Hirnschrittmachern wird in 7 Kap. 38 behandelt. Zahnkronen, Osteosynthesematerial oder Drahtzerklagen nach Sternotomie sind unproblematisch.

4.2.2 Repetitive TMS Für die rTMS gelten die gleichen Anwendungsrichtlinien und Kontraindikationen wie für die TMS im Einzelreiz- oder Doppelreizmodus. Bei der Anwendung der regelmäßigen rTMS sind zusätzlich die in . Tab. 4.1 angegebenen Grenzwerte für Stimuluszahl, Intensität und Frequenz einzuhalten. Die Einhaltung der Dosislimitationen kann wie oben ausgeführt jedoch keine absolute Sicherheit bieten, da endogene Faktoren wie der aktuelle Zustand des Gehirns zum Zeitpunkt der Stimulation (Medikation, Hyperventilation, Schlafentzug, pathologische Zustände etc.) eine wichtige Rolle spielen können. Das gleiche gilt für Patienten mit Hirnerkrankungen, z. B. im akuten Stadium nach Schlaganfall oder bei Vorliegen einer Epilepsie. Werden zwei Sitzungen einer rTMS in kurzem zeitlichen Abstand (Minuten-Stunden) hintereinander verabreicht, kann die erste Sitzung die Effekte der nachfolgenden rTMS über Mechanismen der Metaplastizität modulieren (7 Kap. 54). Es ist denkbar, dass sich hierdurch auch das Anfallsrisko verschiebt. Es ist bisher nicht geklärt, inwiefern eine am Tag oder in der Woche zuvor applizierte rTMS das Anfallsrisiko einer zweiten rTMS-Sitzung beeinflusst. Die kontinuierliche Aufzeichnung der elektromyographischen Aktivität (einfach) sowie der elektroenzephalographischen Aktivität (technisch schwieriger) bietet die Möglichkeit, die Ausbildung abnormer Erregbarkeitsmuster während der rTMS zu erfassen. So kann das Auftreten abnormer Nachentladungen in den kortikospinalen Bahnen und eine abnorme Ausdehnung der Erregbarkeit zu benachbarten, primär nicht stimulierten kortikalen, motorischen Repräsentationen erfasst werden. Während die Aufzeichnung der elektromyographischen Aktivität in der kontralateralen Extremität meist schon durch die Schwellenbestimmung vorgezeichnet ist, werden wesentlich seltener EEG-Registrierungen während der rTMS durchgeführt. Validierte EEG-Algorithmen, die unter den erschwerten, durch die TMS-Artefakte kontaminierten Ableitebedingungen zuverlässig Alarm schlagen, liegen nicht vor. Man wird also auch in näherer Zukunft auf die Online-Analyse des EEG durch erfahrene Auswerter angewiesen sein. Es gibt auch bisher keine klaren Richtlinien, wann diese Verfahren sinnvoll eingesetzt werden sollten. Insbesondere bei der Erprobung neuer Stimulationsprotokolle bietet die simultane EEG-Ableitung prinzipiell eine zusätzliche Sicherheitsoption. Die akustische Belastung während der rTMS ist abhängig von der Anzahl der Impulse, deren Fre-

4.2 Anwendungsrichtlinien

53

Checkliste – Kontraindikationen für die TMS: – Besteht ein erhöhtes epileptisches Anfallsrisiko? Liegen Anzeichen einer akut erhöhten zerebralen Anfallsbereitschaft vor, besteht ein erhöhtes Risiko, mit der TMS einen epileptischen Anfall auszulösen. Hier ist die medizinische Notwendigkeit der TMS sorgfältig gegen das erhöhte Anfallsrisiko abzuwägen. Der Patient ist über ein erhöhtes Anfallsrisiko unter TMS aufzuklären. Eine adäquate medizinische Versorgung muss im Falle eines unter der TMS auftretenden Anfalls gewährleistet sein. – Könnte eine Schwangerschaft vorliegen? Bei Möglichkeit des Vorliegens einer Schwangerschaft ist diese mittels Schwangerschaftstest auszuschließen. Kritisch ist hier vor allem die magnetische Nervenwurzelstimulation. Die transkranielle Stimulation ist aufgrund des großen Abstandes zur Leibesfrucht weniger bedenklich. – Trägt der Patient elektronische Implantate? Elektronische Implantate: Träger von implantierten biomedizinischen Geräten wie Cochleaimplantat oder Medikamentenpumpe dürfen nicht mit der TMS untersucht werden. Cave! Vorsichtsmaßnahmen bei Herz- oder Hirnschrittmacherträgern Träger von Herz- oder Hirnschrittmachern können prinzipiell mit der TMS untersucht werden. Allerdings darf die TMS-Spule unter keinen Umständen in unmittelbarer Nähe (<5 cm) des implantierten Impulsgenerators entladen werden, da dies den Stimulator irreversibel schädigen könnte. Ein minimaler Sicherheitsabstand von 10 cm zwischen TMS-Spule und Schrittmacher kann durch Tragen einer Schwimmweste durch den Schrittmacherträger während der Untersuchung gewährleistet werden. – Liegen intrakranielle Metallpartikel (z. B. intrakranielle Gefäßclips) vor? Personen, bei denen ferromagnetische Partikel im Schädelinnenraum oder Auge bekannt sind, sind von der TMS auszuschließen. Unproblematisch für die Durchführung der TMS sind dagegen das Tragen von Zahnkronen, Osteosynthesematerial oder Drahtzerklagen nach Sternotomie.

. Abb. .. Checkliste zur Überprüfung der Kontraindikationen für die TMS

4

54

Kapitel 4 · Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien

3

quenz und Intensität. Besonders laut sind TMSUntersuchungen innerhalb des Magnetresonanztomographen, da hier das Spulengeräusch im hohen statischen Magnetfeld nochmals deutlich zunimmt (7 Kap. 37). Generell wird empfohlen, dass die im Raum anwesenden Personen während einer rTMS Ohrstöpsel tragen sollen.

4

4.3

1 2

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Transkranielle Gleichstromstimulation

Die transkranielle Gleichstromstimulation (engl. transcranial direct current stimulation, tDCS) ist ein weiteres transkranielles Stimulationsverfahren, das die kortikale Erregbarkeit, neuronale Aktivität und Funktion im stimulierten Kortex während der Stimulation und über die Stimulation hinaus beeinflussen kann. Dieses Stimulationsverfahren wird ausführlich in 7 Kap. 53 vorgestellt. Bei der tDCS erfolgt eine tonische Applikation eines Gleichstroms über Elektroden, die der intakten Kopfhaut aufliegen. Der in der Gehirnrinde induzierte Gleichstrom führt zu einer unterschwelligen Auslenkung des Ruhemembranpotenzials kortikaler Neurone. Bei der tDCS bestimmt nicht die absolute Stromstärke, sondern die im Kortex induzierte Stromflussdichte die Effektivität der Stimulation. Die in gegenwärtigen Protokollen verwendete Elektrodengrößen betragen meist 25‒35 cm, die verwendete Stromstärke 1‒2 mA, resultierend in einer Stromdichte zwischen 0,03 und 0,08 mA/cm. Diese Stimulation kann nach dem derzeitigen Kenntnisstand als sicher gelten, wenn eine Stimulationsdauer von etwa 15‒20 min nicht wesentlich überschritten wird (Iyer et al. 2005; Nitsche et al. 2003a; Nitsche et al. 2004). Die kontinuierliche Gleichstromapplikation mit hoher Stromflussdichte kann das Hirngewebe schädigen. Zu gering dosierte Stromflussdichten wiederum haben keinen neuromodulatorischen Effekt. Unter Verwendung einer Elektrodengröße von 35 cm und einer bipolaren Elektrodenanordnung über dem primären motorischen Kortex und der kontralateralen Stirn führt eine 5-minütige tDCS mit einer niedrigen Stromstärke von 0,4 mA zu keiner Verschiebung der kortikomotorischen Erregbarkeit mehr (Nitsche u. Paulus 2000). Eine Modellierung der durch die bipolare tDCS beim Menschen induzierten intrakortikalen Stromdichten zeigte, dass eine tDCS mit hoher Stromstärke (2 mA) und Verwendung von Schwammelektroden (25 cm) kortikal eine Stromflussdichte in der Größenordnung von 0,1 µA/mm induziert (Miranda et al. 2006), was deutlich unter den am frei präparierten

Kortex in Tierexperiment induzierten Stromflussdichten liegt. Dieses Modell berücksichtigte allerdings nicht regionale Inhomogenitäten in der Leitfähigkeit der Schädelkalotte. Denkbar ist, dass regionale Unterschiede in der Leitfähigkeit, z. B. im Bereich von pacchionischen Granulationen, Foramina oder Fissuren an der Schädelbasis oder Knochendefekte nach Operation, den Stromfluss regional bündeln und somit das räumliche Muster und das Ausmaß der tatsächlich induzierten kortikalen Stromdichten maßgeblich beeinflussen. Ähnliche Überlegungen gelten für regionale Inhomogenitäten der Leitfähigkeit innerhalb des Schädels im Liquorraum und Hirngewebe. Überwiegend werden großflächige Elektroden in bipolarer Anordnung eingesetzt (35 cm), um den Gleichstrom im Kortex nebenwirkungsfrei applizieren zu können (Nitsche et al. 2003a). Je größer die Elektrode, desto geringer die kutanen Kribbelmissempfindungen am Stimulationsort, die insbesondere zu Beginn und am Ende der tDCS auftreten können. Allerdings reduziert sich hierdurch die im Kortex erzielte Stromflussdichte und somit die Fokalität der tDCS. Die tDCS kann auch mit kleineren Oberflächenelektroden (z. B. den bei EEG-Registrierungen üblichen Elektroden) durchgeführt werden. Bei Verwendung kleiner Oberflächenelektroden ist jedoch darauf zu achten, dass die kortikal induzierte Stromflussdichte nicht eine kritische Größe überschreitet (Nitsche et al. 2003b). Direkte tierexperimentelle Sicherheitsstudien zur tDCS wurden bisher nicht publiziert. Dagegen liegen tierexperimentelle Untersuchungen vor, die am freipräparierten Kortex eine direkte Gleichstromstimulation des Kortex über subkortikal und epikortikal positionierte Elektroden applizierten. Bei der Ratte bewirkte eine mehrminütige invasive kortikale Gleichstromstimulation eine Erhöhung des intrazellulären Kalziumspiegels sowie eine noradrenerg vermittelte Zunahme des intrazellulären cAMP-Spiegels (Hattori et al. 1990). Um kurzzeitige oder anhaltende Verschiebungen in der neuronalen Spontanaktivität, und der neuronalen Erregbarkeit auszulösen, wurden direkte intrakortikale Ströme von 1 bis zu 20 µA für eine Dauer von bis zu 30 min verabreicht (Bindman et al. 1964). Bei einer Elektrodengröße von 1 mm Durchmesser resultierten deutlich höhere Stromflussdichten von >1 µA/mm2 im stimulierten Kortex als bei der tDCS des menschlichen Kortex. Die Stromflussdichten waren jedoch noch unterschwellig für die Auslösung neuronaler Aktionspotenziale und hatten keinen akuten schädigenden Effekt auf die kortikalen Neurone.

Literatur

Derzeit werden Stimulationsdauern in einer Größenordnung von 20 min bei Amplituden von bis zu 2 mA angewandt, ohne dass Komplikationen bekannt geworden sind. Wir gehen derzeit davon aus, dass die bisher verwendeten Reizprotokolle zumindest nach den untersuchten Kriterien neuronenspezifische Enolase (NSE), Temperatur und Magnetresonanztomografie (MRT) sicher sind (Nitsche et al. 2003a; Nitsche et al. 2004). Inwieweit dies auch für höhere Intensitäten und wiederholte bzw. längere tDCS-Anwendungen zutrifft, ist nicht klar. Bei der sog. galvanischen Vestibularisstimulation wurden Ströme von bis zu 5 mA über 900 mm große Elektroden über beiden Mastoiden über eine Minute ohne Komplikation appliziert (Watson et al. 1998).

Literatur Bindman LJ, Lippold OC, Redfearn JW (1964) The action of brief polarizing currents on the cerebral cortex of the rat (1) during current ﬂow and (2) in the production of long-lasting after-eﬀects. J Physiol 172: 369–382 Classen J, Witte OW, Schlaug G et al. (1995) Epileptic seizures triggered directly by focal transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 94: 19–25 Dhuna A, Gates J, Pascual-Leone A (1991)Transcranial magnetic stimulation in patients with epilepsy. Neurology 41: 1067–1071 Dwork AJ, Arango V, Underwood M et al. (2004) Absence of histological lesions in primate models of ECT and magnetic seizure therapy. Am J Psychiatry 161: 576–578 Gates JR, Dhuna A, Pascual-Leone A (1992) Lack of pathologic changes in human temporal lobes after transcranial magnetic stimulation. Epilepsia 33: 504–508 Hattori Y, Moriwaki A, Hori Y (1990) Biphasic eﬀects of polarizing current on adenosine-sensitive generation of cyclic AMP in rat cerebral cortex. Neurosci Lett 116: 320–324 Iyer MB, Mattu U, Grafman J et al. (2005) Safety and cognitive eﬀect of frontal DC brain polarization in healthy individuals. Neurology 64: 872–875 Koren D, Shefer O, Chistyakov A et al. (2001) Neuropsychological eﬀects of prefrontal slow rTMS in normal volunteers: a double-blind sham-controlled study. J Clin Exp Neuropsychol 23: 424–430 Liebetanz D, Fauser S, Michaelis T et al. (2003) Safety aspects of chronic low-frequency transcranial magnetic stimulation based on localized proton magnetic resonance spectroscopy and histology of the rat brain. J Psychiatr Res 37: 277–286 1Lisanby SH, Luber B, Schlaepfer TE, Sackeim HA (2003) Safety and feasibility of magnetic seizure therapy (MST) in major depression: randomized within-subject comparison with electroconvulsive therapy. Neuropsychopharmacology 28: 1852–1865 Grundlegende Arbeit, die rTMS induzierte Anfälle nicht vermeiden sondern auslösen will.

55

4

Little JT, Kimbrell TA, Wassermann EM et al. (2000) Cognitive effects of 1- and 20-hertz repetitive transcranial magnetic stimulation in depression: preliminary report. Neuropsychiatry Neuropsychol Behav Neurol 13: 119–124 Loo C, Sachdev P, Elsayed H et al. (2001) Eﬀects of a 2- to 4week course of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) on neuropsychologic functioning, electroencephalogram, and auditory threshold in depressed patients. Biol Psychiatry 49: 615–623 1May A, Hajak G, Ganssbauer S et al. (2007) Structural brain alterations following 5 days of intervention: dynamic aspects of neuroplasticity. Cereb Cortex 17: 205–210 Erste Arbeit die morphologische Veränderungen nach rTMS in der MRT voxelbasierten Morphometrie gezeigt hat. Miranda PC, Lomarev M, Hallett M (2006) Modeling the current distribution during transcranial direct current stimulation. Clin Neurophysiol 117: 1623–1629 Mottaghy FM, Gangitano M, Horkan C et al. (2003) Repetitive TMS temporarily alters brain diﬀusion. Neurology 60: 1539–1541 Nitsche MA, Paulus W (2000) Excitability changes induced in the human motor cortex by weak transcranial direct current stimulation. J Physiol 527: 633–639 Nitsche MA, Paulus W (2001) Sustained excitability elevations induced by transcranial DC motor cortex stimulation in humans. Neurology 57: 1899–1901 2Nitsche MA, Liebetanz D, Antal A et al. (2003a) Modulation of cortical excitability by weak direct current stimulation-technical, safety and functional aspects. Suppl Clin Neurophysiol 56: 255–276 Systematische Übersicht über Sicherheitsaspekte bei tDCS. Nitsche MA, Liebetanz D, Lang N et al. (2003b) Safety criteria for transcranial direct current stimulation (tDCS) in humans. Clin Neurophysiol 114: 2220–2222; author reply 2222–2223 Nitsche MA, Niehaus L, Hoﬀmann K et al. (2004) MRI study of human brain exposed to weak direct current stimulation of the frontal cortex. Clin Neurophysiol 115: 2419–2423 1Nowak DA, Hoﬀmann U, Connemann BJ et al. (2006) Epileptic seizure following 1Hz repetitive transcranial magnetic stimulation. Clin Neurophysiol 117: 1631–1633 Erster Bericht über Anfallsauslösung mit niedrigfrequenter rTMS. Pascual-Leone A, Cohen LG, Shotland LI et al. (1992) No evidence of hearing loss in humans due to transcranial magnetic stimulation. Neurology 42: 647–651 Pascual-Leone A, Houser CM, Reese K et al. (1993) Safety of rapid-rate transcranial magnetic stimulation in normal volunteers. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 89: 120– 130 Post A, Muller MB, Engelmann M, Keck ME (1999) Repetitive transcranial magnetic stimulation in rats: evidence for a neuroprotective eﬀect in vitro and in vivo. Eur J Neurosci 3: 247–254 Thickbroom GW, Byrnes ML, Edwards DJ, Mastaglia FL (2006) Repetitive paired-pulse TMS at I-wave periodicity markedly increases corticospinal excitability: a new technique for

56

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 4 · Sicherheitsaspekte und Anwendungsrichtlinien

modulating synaptic plasticity. Clin Neurophysiol 117: 61– 66 2Wassermann EM (1998) Risk and safety of repetitive transcranial magnetic stimulation: report and suggested guidelines from the International Workshop on the Safety of Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation, June 5–7, 1996. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 108: 1–16 Erste systematische Zusammenstellung der Stimulationsgrenzwerte zur sicheren rTMS, basierend auf den bis dato gewonnen Daten, die jeweils zu Anfällen geführt hatten. Watson SR, Brizuela AE, Curthoys IS et al. (1998) Maintained ocular torsion produced by bilateral and unilateral galvanic (DC) vestibular stimulation in humans. Exp Brain Res 122: 453–458 Zyss T, Adamek D, Zieba A et al. (2000) Transcranial magnetic stimulation versus electroconvulsive shocks: neuroanatomical investigations in rats. Psychiatr Pol 34: 655–675

II 5

57

Routinediagnostik: Kochrezepte

5

Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung – 59 Alain Kaelin-Lang

6

Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit – 71 Florian Müller, Ulf Ziemann

7

Motorisch evozierte Potenziale der Arm- und Handmuskeln – 79 Helge Topka

8

Motorisch evozierte Potenziale der Bein- und Fußmuskeln Detlef Claus

9

Motorisch evozierte Potenziale der kranialen Muskeln

– 99

Peter P. Urban

10

Motorisch evozierte Potenziale der axialen und proximalen Muskeln – 109 Andreas Ferbert

11

Triple-Stimulationstechnik

– 119

Kai M. Rösler

12

Transkutane Magnetstimulation peripherer Nerven – 133 Christian Bischoff

13

Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter – 139 Florian Heinen, Verena Brodbeck

– 89

59

5

Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung Alain Kaelin-Lang 5.1

Einleitung – 60

5.2.5

5.2

Allgemeine Vorgehensweise bei der Ableitung des MEP – 60

5.2.6 5.2.7

5.2.1

Schritt 1: Anbringen der Oberﬂächenelektroden – 60 Schritt 2: Technische Einstellungen am Ableitegerät – 61 Schritt 3: Platzierung der Stimulationsspule über dem motorischen Kortex – 63 Schritt 4: Wahl der Reizintensität – 63

Schritt 5: Willkürliche Anspannung des Zielmuskels – 64 Schritt 6: Aufzeichnung der MEP – 65 Schritt 7: Ausmessen des MEP und Berechnung des Amplitudenquotienten – 66

5.3

Spezialuntersuchungen – 67

5.3.1

Entladungsverhalten einzelner motorischer Einheiten – 67 Aufzeichnung der TMS induzierten Bewegung oder Muskelkraft – 68

5.2.2 5.2.3

5.2.4

5.3.2

Literatur

– 68

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine neurophysiologische Einführung in die Aufzeichnung der motorisch evozierten Potenziale (MEP). Wie bei der peripheren motorischen Neurograﬁe, werden die transkraniell ausgelösten MEP in der Regel über Oberﬂächenelektroden als Muskelsummenaktionspotenzial (MSAP) aufgezeichnet. Allerdings bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen dem durch eine überschwellige transkranielle Magnetstimulation (TMS) ausgelösten MEP und dem durch eine supramaximale elektrische Nervenstimulation ausgelösten MSAP, die in der klinischen Anwendung beachtet weden müssen. Das MEP resultiert aus einer räumlich-zeitlichen Summation der durch die TMS ausgelösten, absteigenden Erregungssalven, die sich entlang der kortikospinalen Projektionen ausbreiten. Bei der Erregungsausbreitung vom Kortex zum Muskel kommt es zu einer Dispersion der Erregungsfortleitung und somit zu einer asynchronen Erregung der motorischen Einheiten im Zielmuskel. Diese asynchrone neuromuskuläre Erregung führt in variablem Ausmaß zu einer Phasenauslöschung, welche die Amplitude des MEP reduziert und die mehrphasige Konﬁguration des MEP erklärt. Schwankungen im Erregbarkeits-

niveau der kortikalen und spinalen Neurone, die durch den TMS-Puls erregt werden, führen dazu, dass die Latenz, Amplitude und Konﬁguration des MEP trotz identischer Stimulationsbedingungen kurzfristigen Schwankungen unterworfen sind, die das peripher ausgelöste MSAP nicht zeigt. Neben Stimulationsintensität, Spulenposition, Konﬁguration und räumlicher Ausrichtung des induzierten elektromagnetischen Wechselfelds bestimmt vor allem der Aktivierungszustand des Zielmuskels (Ruhezustand oder Voranspannung), die Latenz, Amplitude und Form des MEP. Die zentralmotorische Leitungszeit (ZML) wird im klinischen Kontext verwendet, um den Funktionszustand der kortikospinalen motorischen Bahnen zu beurteilen. Die mittlere MEP-Amplitude wird dagegen im Rahmen neurophysiologischer Studien eingesetzt, um den Einﬂuss experimenteller Manipulationen auf die kortikomuskuläre Erregbarkeit zu erfassen. Die Analyse des Entladungsverhaltens einzelner motorischer Einheiten sowie die Aufzeichnung der TMS-induzierten Bewegungen sind Spezialuntersuchungen, die wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten sind.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

60

Kapitel 5 · Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung

5.1

Einleitung

Die Ableitung und Beurteilung eines »motorischen evozierten Potenzials« (MEP) ist die häufigste Anwendung der TMS (Rossini et al. 1994; Rothwell et al. 1999). Unter MEP wird die elektromyographische Summenantwort eines peripheren Muskels verstanden, die durch die transkranielle Magnetstimulation (TMS) des primären motorischen Kortex ausgelöst wird (Rothwell et al. 1999). Auf den ersten Blick scheint das MEP dem im Rahmen der peripheren motorischen Neurografie ausgelösten Muskelsummenaktionspotenzial (MSAP) zu entsprechen. Bei näherer Betrachtung wird aber offensichtlich, dass zwischen dem transkraniell ausgelösten MEP und dem durch eine supramaximale elektrische Nervenstimulation ausgelösten MSAP wesentliche Unterschiede bestehen. Bei der peripheren motorischen Neurografie führt eine supramaximale elektrische Stimulation eines funktionell intakten, motorischen Nervs zu einem Aktionspotenzial in allen motorischen Axonen. Diese Aktionspotenziale breiten sich zum Muskel aus und lösen dort eine hochgradig synchronisierte elektrische Aktivierung aller motorischen Einheiten aus. Diese kann mit Oberflächenelektroden als elektromyographische Summenantwort abgeleitet werden. Da die motorischen Einheiten durch den elektrischen Reiz nur einmalig und nahezu zeitgleich erregt werden, kommt es insbesondere bei distaler Nervenstimulation zu keiner relevanten Phasenauslöschung und die wiederholte Nervenreizung führt zu einem gut reproduzierbaren MSAP ohne eine nenneswerte Variabilität von Latenz, Amplitude und Form des ausgelösten Potenzials. Die durch einen transkraniellen Magnetimpuls ausgelöste Erregung der motorischen Einheiten im Zielmuskel ist viel komplexer als nach einer supramaximalen elektrischen Nervenstimulation (Rossini et al. 1994; Rothwell et al. 1999). Hier ist das MEP das Endresultat einer Stimulation der schnell leitenden neuronalen Verbindungen vom primären motorischen Kortex zum Zielmuskel und die Latenz, Amplitude und Form des MEP werden von der räumlich-zeitlichen Interaktion vieler neurophysiologischer Phänomene beeinflusst (7 Kap. 3). Während der kortikomuskulären Erregungsausbreitung kommt es zu einer zeitlichen Streuung des Erregungszeitpunktes einzelner motorischen Einheiten im Zielmuskel. Durch die asynchrone Erregung der motorischen Einheiten (Phasendispersion) können sich die von den einzelnen motorischen Einheiten generierten elektrischen Potenziale nicht mehr optimal aufsummieren, son-

dern die elektrischen Potenziale löschen sich in variablem Ausmaß gegenseitig aus. Die Phasenauslöschung erklärt, warum das transkraniell ausgelöste MEP im Vergleich zum peripher ausgelösten MSAP eine kleinere »Spitze-zu-Spitze«-Amplitude und mehr Richtungsinversionen (Phasen) aufweist. Die Wahl des geigneten Zielmuskels und der optimalen TMS-Parameter hängen stark vom Ziel der Untersuchung ab. Hier lassen sich zwei Untersuchungssituationen gegenüberstellen: Die wissenschaftliche physiologische Untersuchung eines motorischen Phänomens beim Gesunden und die klinische Untersuchung des kortikospinalen Traktes bei einem neurologisch kranken Menschen. In der ersten Situation werden häufig die Veränderungen der MEPAmplituden in Abhängigkeit von experimentellen Manipulationen gemessen (z. B. die Modulation der MEP-Amplitude in Abhängigkeit von der Stimulusintensität oder durch eine konditionierende Stimulation sensorischer Afferenzen). Die mittlere Amplitude mehrerer, hintereinander ausgelöster MEP wird dann als elektrophysiologischer Kennwert für die kortikomuskuläre »Erregbarkeit« verwendet und die Dauer der Untersuchung spielt eine untergeordnete Rolle. In der klinischen Untersuchungssituation geht es dagegen ausschließlich um die Funktionsbeurteilung der kortikospinalen motorischen Überleitung. Hier sind die Untersuchungsabläufe darauf ausgerichtet, die diagnostische Sensitivität zu optimieren. In beiden Fällen, sei es in der neurowissenschaftlichen oder der klinischen Anwendung der TMS, liefert das abgeleitete MEP die wesentliche Information. Daher ist eine standardisierte Vorgehensweise bei der Aufzeichnung des MEP wesentlich für den Erfolg der geplanten elektrophysiologischen Untersuchung.

5.2

Allgemeine Vorgehensweise bei der Ableitung des MEP

5.2.1 Schritt 1: Anbringen der

Oberﬂächenelektroden Praktische Durchführung. Die MEP werden vorzugs-

weise mit Oberflächenelektroden abgeleitet, um die Summenantwort aller motorischen Einheiten eines Muskels zu erfassen. Wie bei einer peripheren motorischen Neurografie, wird die »differente« Elektrode über der Mitte des Muskelbauches des Zielmuskels und die »indifferente« Elektrode am Muskelansatz plaziert (Muskelbauch-Muskelsehnen-Montage; engl. belly tendon montage). Zunächst wird die Haut mit Ethanol, Isopropylalkohhol 70 oder Ether ge-

61

5.2 Allgemeine Vorgehensweise bei der Ableitung des MEP

reinigt. Dann werden die Elektroden auf die Haut geklebt. Der elektrische Widerstand zwischen Haut und Elektrode wird mit Elektrodengel oder -paste verrringert. Vor allem bei Ableitungen an den Händen oder bei hohen Umgebungstemperaturen sollten die Elektroden so gut geklebt werden, dass sich durch Schwitzen die Elektroden nicht ablösen. Insbesondere bei kombinierter transkranieller und peripherer elektrischer Stimulation (z. B. bei einer Triple-Stimulationstechnik, TST; 7 Kap. 11) kann die Schweißproduktion durch die sympathische Reizung stark zunehmen und die Stabilität der Ableitung beeinträchtigen. Vor allem bei langen Experimenten sollte die Impedanz ab und zu kontrolliert werden. Eine periphere Neurografie am Anfang und am Ende des Experiments ist manchmal sinnvoll, um die Stabilität der MEP-Ableitungen zu belegen. Die Erdung wird zwischen dem Ort der transkraniellen Stimulation und den Ableitelektroden angebracht. Bei MEP der Handmuskeln hat sich z. B. die Erdung mit einer Ringelektrode am Oberarm bewährt. Falls eine periphere Neurografie durchgeführt wird (7 Abschn. 5.2.7), sollte die Erdung, wie bei einer peripheren motorischen Neurografie, zwischen peripherem Reizort und Ableitelektroden (also weiter distal am Arm) angebracht werden. Eine gute Erdung trägt entscheidend dazu bei, das durch die Magnetstimulation verursachte Artefakt in der MEP-Ableitung zu minimieren. Physiologische Grundlagen. Durch Oberflächenelektroden werden die volumengeleiteten extrazellulären Potenzialschwankungen der sich depolarisierenden Muskelfasern abgeleitet (7 Kap. 3). Die Aktionspotenziale entstehen im Bereich der motorischen Endplatten meist in der Muskelmitte (engl. motor point) und breiten sich von dort in beide Längsrichtungen des Muskels aus. Deshalb ist es sinnvoll die differente Elektrode möglichst nah am »motor point« und die Referenzelektrode auf eine distale, elektrisch inaktive Stelle, z. B. die Muskelansatzsehne, zu kleben (Muskelbauch-Muskelsehnen-Montage). Bei dieser Elektrodenanordnung ist die ortständige Summenantwort der Muskeln bipolar mit einer initialen negativen Phase und einer zweiten positiven Phase (7 Abschn. 5.2.7). Durch den oft relativ großen Abstand zwischen beiden Ableitelektroden wird häufig bei der MEP-Aufzeichnung die nichtortständige elektromyographische Aktivität von anderen, durch die TMS mitstimulierten Muskeln mitabgeleitet (Volumenleitung). Die initial positive Auslenkung dieser nichtortständigen Potenziale bleibt dabei oft unbemerkt, insbesondere wenn man das MEP rektifiziert, also die negativen Kompo-

5

nenten des MEP positiviert. Diese nichtortständigen Potenziale können bis zu ~30 der MEP-Amplitude der intrinsischen (d. h. vollständig in der Hand gelegenen) Handmuskeln ausmachen (Humm et al. 2004). Insbesondere bei Ableitung der MEP von weiter proximalen Muskeln, z. B. am Unter- oder Oberarm, wird daher häufig als Alternative eine »bipolare« Ableitung der MEP durchgeführt, um so weit wie möglich ortständige Muskelaktivität abzuleiten. Bei der bipolaren Ableitung werden beide Elektroden über dem Muskelbauch in einem fixen Abstand von 4‒6 cm entlang der Längsachse des Muskels angeordnet. Manche Untersuchungsbedingungen erfordern es, die transkraniell ausgelöste Muskelantwort mit einer konzentrischen Nadel aufzuzeichnen. Hier wird nur die Antwort einer geringen Anzahl von motorischen Einheiten in Nachbarschaft zur Nadelelektrode erfasst. Die Nadelableitung lässt daher im Gegensatz zu einer Ableitung mit Oberflächenelektroden keine Bewertung der Gesamtantwort des Muskels zu. Die Latenzmessungen sind durch die Registrierung aus unterschiedlich großen motorischen Einheiten sehr variabel. Da die diagnostische Bewertung von Latenz und Amplitude der mit der Nadelelektrode abgeleiteten motorischen Antwort nur sehr eingeschränkt möglich ist, sollte in der diagnostischen Anwendung der TMS, wenn immer möglich, der MEP-Ableitung mit Oberflächenelektroden der Vorrang gegeben werden. . Tab. 5.1 gibt Untersuchungsschritte zur Ableitung und Auswertung der MEP an.

5.2.2 Schritt 2: Technische Einstellungen

am Ableitegerät Praktische Durchführung. Bei der Ableitung des MEP mit Oberflächenelektroden werden die bei der motorischen Neurografie üblichen Geräteeinstellungen verwendet. Das MEP-Signal wird zunächst vorverstärkt. Der Verstärkungsfaktor wird so gewählt, dass das verstärkte MEP-Signal optimal den Aufzeichnungsbereich des Verstärkers und des Analog-zu-Digital(AD)Umwandlers ausfüllt. Nach der Vorverstärkung wird das Biosignal durch einen Hochpass- und Tiefpassfilter in einem bestimmten Frequenzbereich eingegrenzt (z. B. 10‒2000 Hz). Der Hochpassfilter (engl. high-pass filter) lässt nur Biosignalkomponenten mit Frequenzen über 10 Hz »passieren« und unterdrückt niederfrequnte Signalanteile mit einer Frequenz unter 10 Hz. Der Tiefpassfilter (engl. low-pass filter) lässt nur Signalanteile mit Frequenzen unter 2000 Hz »passieren« und unterdrückt höherfrequente Signalanteile. Die hier angegebene Bandbreite für die MEP-Ablei-

62

1

Kapitel 5 · Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung

. Tab. .. Untersuchungsschritte zur Ableitung und Auswertung der MEP Untersuchungsschritt

Besonderheit

1

Anbringen der Oberﬂächenelektroden

Meist Muskelbauch-Muskelsehnen-Montage

3

2

Einstellungen am Ableitegerät

Breitband-Filter: 10 Hz–2 kHz Verstärkung: ca. 1000-fach

4

3

Motorische Neurograﬁe

Je nach Fragestellung, oft mit proximaler Stimulation (kann auch am Ende durchgeführt werden).

4

Platzierung der TMS Spule

Je nach Muskel, Spule und Fragestellung

5

Wahl der Stimulusintensität

Oft 120–140% der individuellen kortikalen Reizschwelle des entspannten Zielmuskels

2

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

6

Anspannung des Zielmuskels

Je nach Fragestellung.

7

Aufzeichnung mehrerer MEP

5–20 pro Untersuchungsbedingung

8

Ausmessen des MEP

Amplitude und Latenz Berechnung des Amplitudenquotienten

tung (10‒2000 Hz) versteht sich als Richtwert und kann ggf. entsprechend der Fragestellung modifiziert werden. Allerdings sollte die Bandpassfilterung nie das Frequenzspektrum des MEP-Signals »abschneiden«, da dies erhebliche Auswirkungen auf die resultierende Potenzialform haben kann. Bei MEP-Ableitungen mit Oberflächenelektroden hat es sich bewährt, Frequenzen unter 10 Hz und über 2000 Hz abzuschwächen. Dabei ist die Nulllinie stabil und Latenzen und Amplituden der MEP lassen sich trotzdem zuverlässig messen. Ein sog. Notch-Filter, der ein sehr enges Frequenzband des Biosignals abschwächt, ist in vielen Ableitegeräten integriert. Er ist auf 50 Hz eingestellt, um durch Wechselstrom verursachte Störsignale zu unterdrücken. Dieser NotchFilter sollte nicht benutzt werden, da ein Wechselstromartefakt in der Regel inakzeptable Ableitbedingungen anzeigt. Statt das Störsignal herauszufiltern, sollte man die Ableitbedingungen optimieren. Die Abtastfrequenz bzw. Aufzeichnungsrate des EMG-Signals sollte mindestens doppelt so hoch sein wie die höchste Frequenz des Biosignals (Nyquist-Theorem) und somit mindestens zweimal höher sein als die Grenzfrequenz des Tiefpassfilters. Für die Digitalisierung des mit Oberflächenelektroden abgeleiteten MEP sollte bei einer Tiefpassfilterung bei 2000 Hz die Abtastfrequenz mindestens 4000 Hz betragen. Allgemein werden 5000 Messpunkte pro Sekunde aufgezeichnet (entsprechend einer Abtastfrequenz von 5000 Hz). Die aufgezeichneten MEP sollten auch auf dem Monitor des Aufzeichnungsgerätes immer gut sichtbar sein. Hier sollte die Bildschirmverstärkung so gewählt werden, dass das ausgelöste MEP optimal

vergrößert wird ohne die Spitzenwerte abzuschneiden. Die Amplitude der abgeleiteten MEP und somit die optimale Bildschirmeinstellung hängt von vielen Faktoren wie der Stimulusintensität, dem untersuchten Muskel und der willkürlichen Voraktivierung ab. Falls die MEP-Amplituden sehr klein ausfallen, muss der Verstärkungsfaktor entsprechend vergrößert werden. Es empfiehlt sich als Bildschirmverstärkung (y-Achse) von 50‒100 µV pro Skaleneinheit (z. B. 50 µV/cm) für die Messung der motorischen Schwelle und 1‒2 mV pro Skaleneinheit während der eigentlichen MEP-Aufzeichnung (z. B. 1 mV/cm). Neben dem TMS-Artefakt sollten immer der Beginn und das Ende des MEP auf dem Bildschirm gut erkenntlich sein. Die auf dem Bildschirm dargestellte Zeitachse (x-Achse) sollte daher bei Ableitung vom Gesicht oder den oberen Extremitäten eine Vorlaufgeschwindigkeit von zumindest 5 msec pro Skaleneinheit (z. B. 5 ms/cm) und bei Ableitung von den unteren Extremitäten von 10 msec pro Skaleneinheit (z. B. 10 ms/ cm) haben. Auch der Beginn und das Ende des MEP müssen in der Aufzeichnung klar erkennbar sein. Pro Einzelmessung sollte die Aufzeichnung der EMG-Aktivität 50 ms vor dem transkraniellen Stimulus beginnen und für mindestens 100 ms nach Gabe des transkraniellen Stimulus andauern. Ein Aufzeichnungsbeginn 50 ms vor Stimulation erlaubt die Beurteilung der Muskelaktivität (Muskelruhe oder Voraktivierung) zum Zeitpunkt der TMS. Soll die postexzitatorische Innervationsstille (7 Kap. 15). ausgemessen werden, empfiehlt es sich die EMG-Aktivität für mindestens 400 ms nach dem transkraniellen Stimulus aufzuzeichnen.

5.2 Allgemeine Vorgehensweise bei der Ableitung des MEP

Physiologische Grundlagen. Für eine korrekte Ableitung der MEP ist eine optimale Filterung und eine ausreichend hohe Aufzeichnungsrate entscheidend. Dabei sollten die Frequenzspektren des EMG-Signals nicht gefiltert werden, da dies zu einer Verformung des Potenzials führt. Der Abstand zwischen den Oberflächenelektroden und dem abgeleiteten Zielmuskel sollte möglichst gering sein, da das Gewebe zwischen Muskel und Oberflächenelektrode wie ein Tiefpassfilter wirkt. Mit zunehmender Distanz zwischen dem Zielmuskel und der Hautoberfläche nimmt auch die Selektivität der MEP-Ableitung ab. Neben dem MEP im Zielmuskel tragen dann auch die in benachbarten Muskeln ausgelösten MEP verstärkt zum oberflächlich abgeleiteten Summenpotenzial bei.

5.2.3 Schritt 3: Platzierung der

Stimulationsspule über dem motorischen Kortex Praktische Durchführung. Die richtige Platzierung

der TMS-Spule über dem primären motorischen Kortex hängt vom Zielmuskel ab und wird in den jeweiligen Kapiteln genauer beschrieben (7 Kap. 7–10). Bisher werden vorrangig zwei Spulentypen eingesetzt, die einfache Rundspule und die achterförmige Doppelspule (7 Kap. 2). Nur mit der Doppelspule ist es bisher möglich ein eng begrenztes Kortexareal zu reizen, das unter dem Spulenzentrum liegt. Dagegen ist bei der einfachen Rundspule die Stimulations deutlich weniger fokal. Die Wahl und Platzierung der Stimulationsspule hängt von der wissenschaftlichen oder klinischen Fragestellung ab. Bei einer diagnostischen Anwendung der TMS bei einem kranken Patienten wird bevorzugt eine Rundspule (7 Kap. 2) verwendet. Da diese Spule eine weniger fokale Stimulationswirkung hat, ist es einfacher die Spule über dem Zielareal zu plazieren und mit der Hand in der korekten Position zu halten. Daher ermöglicht der Einsatz einer Rundspule eine klinisch verwertbare Messung der kortikospinalen motorischen Überleitung bei vertretbarem Zeitaufwand (Hess et al. 1986b). Bei der TMS mit der fokalen Doppelspule benötigt man mehr Zeit, um den optimalen kortikalen Stimulationsort zu finden. Es ist zudem schwieriger eine konstante Spulenposition während längerdauernder Messungen zu gewährleisten. Daher wird die fokale Doppelspule eher bei wissenschaftlichen Fragestellungen eingesetzt. Die Stimulationsspule wird so lange an der Schädeloberfläche verschoben, bis ein überschwelliger transkranieller Stimulus im Zielmuskel ein maxima-

63

5

les MEP auslöst (engl. motor hot spot). Die Richtung des Stromes und die Orientierung der Spule spielen dabei eine wichtige Rolle (7 Kap. 3). Die Suche sollte zunächst mit einer klar überschwelligen Intensität begonnen werden, um auch an einer suboptimalen Position eine motorische Antwort zu bekommen (je nach Spule ca. 70 der maximalen Stimulatorleistung, evtl. höher bei älteren Menschen). Die Intensität wird dann schrittweise um jeweils 5 reduziert, je näher am optimalen Reizort stimuliert wird. Bei einer MEP-Ableitung an der Hand sollte die Stimulationsspule zunächst so positioniert werden, dass das Kortexareal 4‒5 cm lateral und 1 cm anterior vom Vertex stimuliert wird (7 Kap. 7). Physiologische Grundlagen. Der optimale Reizort entspricht dem Ort der größten Dichte an kortikospinalen Verbindungen zum Zielmuskel. Die Spule sollte so genau wie möglich über der kortikalen Repräsentation des jeweiligen Muskels positioniert werden. Insbesondere bei Stimulation mit der Doppelspule kann auch eine veränderte Kippung der Spulenebene zum Kortex den Stimulationsort verschieben, ohne dass die Spule an der Kopfoberfläche verschoben wird. Bei Stimulation an einer suboptimalen Position ist die kortikale motorische Reizschwelle für den Zielmuskel höher als am »hot spot« (Conforto et al. 2004). Eine Stimulation außerhalb des »hot spot« führt zudem zu einer relativen Abnahme der mittleren MEP-Amplitude bei gleicher Reizintensität und einer Zunahme der Variabilität bei wiederholter Reizung.

5.2.4 Schritt 4: Wahl der Reizintensität Praktische Durchführung. Die Intensität des transkra-

niellen Stimulus kann entweder in Bezug auf die Stimulatorleistung (z. B. 80 der maximalen Ausgangsleistung des Stimulators) oder in Bezug auf die individuelle kortikale Reizschwelle (z. B. 120 der individuellen kortikalen Reizschwelle) angegeben werden. Eine Anpassung der Reizintensität an die individuelle kortikale motorische Reizschwelle erlaubt eine gewisse interindividuelle Standardisierung der biologischen Effizienz der TMS (Wassermann 2002). Deshalb wird Intensität des transkraniellen Stimulus meist an der individuellen motorischen Reizschwelle ausgerichtet. Die kortikale Reizschwelle kann sowohl im entspannten Zustand (als kortikale Ruheschwelle) als auch während einer definierten Voraktivierung (als aktive Reizschwelle) bestimmt werden (7 Kap. 14). Für klinische Messung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) wird oft eine Reizintensi-

64

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Kapitel 5 · Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung

tät von 120‒140 der individuellen kortikalen Ruheschwelle benutzt (7 Kap. 6–10). Physiologische Grundlagen. Da die ZML sich ab einer Reizintensität von ca. 120 der Ruheschwelle nur noch unwesentlich verändert, ist eine Reizintensität von 120‒140  der individuellen kortikalen Reizschwelle für die Bestimmung der ZML ausreichend (7 Kap. 6). Anders verhält es sich mit der MEP-Amplitude. Die Beziehung zwischen Stimulusintensität und MEP-Amplitude wird als Reiz-Antwortkurve (engl. stimulus response curve) bezeichnet (. Abb. 5.1). Die Reiz-Antwortkurve hat einen S-förmigen Verlauf. Oberhalb der kortikalen Reizschwelle steigt die Amplitude zunächst linear an. Die zeitliche Dispersion der transkraniell ausgelösten Muskelerregung verhindert ab einer gewissen Stimulusintensität durch die Phasenauslöschung einen weiteren Anstieg der MEPAmplitude und führt dazu, dass die elektrische ReizAntwortkurve ab einer bestimmten Reizintensität in ein Plateau übergeht (7 Kap. 3). Die elektrische ReizAntwortkurve wird vom Anspannungsgrad des Zielmuskels beeinflusst (. Abb. 5.1). Je nach Fragestellung wird man somit eine Reizintensität im Bereich des linearen Anstiegs oder des Plateaus der Reiz-Antwortkurve wählen. Eine hohe Reizintensität im Plateau-

12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. Beziehung zwischen der mittleren MEP-Amplitude (hier: »Spitze-zu-Spitze« gemessen und angegeben in mV) und der verwendeten Reizintensität des transkraniellen Stimulus (hier angegeben in % der maximalen Stimulatorleistung) bei einem gesunden Probanden. Pro Stimulusintensität wurden 6 MEP vom rechten M. abductor digiti minimi im vollständig entspannten Zustand (weiße Vierecke) oder bei leichter Voranspannung mit ca. 10% der maximalen isometrischen Kraft (schwarze Kreise) abgeleitet. Die Fehlerbalken entsprechen der einfachen Standardabweichung. Die Beziehung zwischen Stimulusintensität und MEP Amplitude ist nicht linear und kann als Sigmoidfunktion (Boltzmann-Funktion) modelliert werden. Sowohl der lineare Anstieg als auch das Plateau der Reiz-Antwortkurve hängen von der Anspannung des Zielmuskels ab

bereich ist sinnvoll, wenn eine maximale motorische Antwort ausgelöst werden soll. Eine mittlere Reizintensität (ca. 120‒140 der Ruheschwelle) ist besser geeignet relative Veränderungen im Reiz-Antwortverhalten, z. B. als Folge einer experimentellen Intervention, nachzuweisen.

5.2.5 Schritt 5: Willkürliche Anspannung

des Zielmuskels Praktische Durchführung. In der klinischen Untersuchungssituation wird der Zielmuskel leicht tonisch angespannt (häufig mit 10‒20 der maximalen isometrischen Kraft), um die transkraniell ausgelöste Muskelantwort zu bahnen (7 Kap. 3). Die Kontrolle der Voraktivierung des Zielmuskels kann entweder über eine akustische (oder visuelle) Rückkopplung der Muskelaktivität über das Oberflächen-EMG oder durch einen Kraftmesser erfolgen. Die maximale Fazilitierung der MEP-Amplitude wird erreicht, wenn der Zielmuskel phasisch aktiviert und der kontralaterale homologe Muskel maximal isometrisch angespannt wird (Magistris et al. 1998). Im Gegensatz dazu erfordern neurophysiologische Experimente häufig, dass der Zielmuskel völlig entspannt ist. Hier ermöglicht eine akustische Rückkopplung der fehlenden Muskelaktivität über das Oberflächen-EMG die Kontrolle der Entspannung. Mit Hilfe einer entsprechenden Software ist es auch möglich den Entspannungszustand des Muskels automatisch zu kontrollieren und die transkranielle Stimulation erst zuzulassen, wenn der Muskel für eine bestimmte Zeit entspannt war (Kaelin-Lang u. Cohen 2000; . Abb. 5.2). Physiologische Grundlagen. Eine wesentliche Eigenschaft des MEP ist die deutliche Bahnung der MEPAmplitude und Verkürzung der MEP-Latenz durch eine willkürliche Voraktivierung des Zielmuskels (Hess et al. 1986a). Während im entspannten Zustand die maximale MEP-Amplitude selten mehr als 20‒40 des peripher ausgelösten MSAP beträgt, können durch maximale Vorinnervation alle motorischen Einheiten eines Muskels transkraniell stimuliert werden (Magistris et al. 1998). Wichtig ist festzuhalten, dass die Wirkung der Vorinnervation auf die MEPAmplitude je nach Zielmuskel unterschiedlich ist (7 Kap. 7–10). Bei kleinen Handmuskeln bewirkt eine geringe Anspannung bereits eine starke Bahnung der MEP-Amplitude und eine weitere Zunahme der Anspannung zeigt wenig zusätzliche Wirkung. Hingegen ist die Beziehung zwischen der Anspannung des Zielmuskels und der ausgelösten MEP-Amplitude bei den

5.2 Allgemeine Vorgehensweise bei der Ableitung des MEP

a

65

5

b

. Abb. .a,b. Einﬂuss der Vorinnervation auf die MEP. Es sind jeweils 3 vom rechten M. abductor digiti minimi abgeleitete MEP eines gesunden 35-jährigen Mannes überlagert. Die Reizintensität lag immer bei 110% der kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe. Im entspannten Zustand (a) wurde der transkranielle Einzelreiz nur dann verabreicht, wenn der Proband für mindestens 1 s vollständig entspannt war. Zudem wurde der transkranielle Einzelreiz während einer leichten to-

nischen Voraktivierung des Zielmuskels mit 5–10% der maximalen Kraft (b) verabreicht. Die leichte, willkürliche Muskelanspannung führt zu einer deutlichen Bahnung des MEP. Die variable Ausprägung aufeinander folgender Muskelantworten ist sowohl in Muskelruhe als auch unter Voraktivierung deutlich. TS Transkranieller Stimulus (erkennbar als Stimulationsartefakt). (Mod. nach Kaelin-Lang u. Cohen 2000)

proximalen Armmuskeln und den Beinmuskeln eher linear (7 Kap. 7–10). Es muss auch beachtet werden, dass eine konstante tonische Anspannung eine geringere Bahnung der MEP-Amplitude verursacht als eine rasche phasische Muskelaktivierung, z. B. während einer ballistischen Bewegung. Aus Gründen der Standardisierung erfolgt in der klinischen Untersuchungssituation jedoch eine tonische Voraktivierung.

keit. Deshalb müssen in der klinischen Funktionsdiagnostik pro Zielmuskel immer 4‒5 MEP aufgezeichnet werden. Die Spitze-zu-Spitze-Amplitude wird dann von dem MEP mit maximaler Amplitude ausgemessen. Um die mittlere MEP-Amplitude zuverlässig abschätzen zu können, sollten in Muskelruhe mindestens 10‒20 MEP und unter tonischer Voraktivieurng mindestens 4‒5 MEP aufgezeichnet werden. Es ist dabei wichtig, zwischen zwei aufeinander folgenden Stimuli mindestens 5 Sekunden verstreichen zu lassen (Kiers et al. 1993). Vorteilhaft ist es das InterstimulusIntervall (ISI) zu variieren, um eine Antizipation des nächsten Stimulus durch den Probanden zu minimieren (z. B. Verwendung eines variablen ISI von 5‒8 s; Kaelin-Lang u. Cohen 2000).

5.2.6 Schritt 6: Aufzeichnung der MEP Praktische Durchführung. Die mit Oberflächenelek-

troden ableitbaren MEP-Amplituden liegen in der Regel deutlich über 0,1 mV und sind sowohl in Muskelruhe als auch bei leichter tonischer Voraktivierung gut von der Ausgangsaktivität abgrenzbar. Somit kann jedes Potenzial einzeln ausgemessen werden, während bei akustisch, visuell oder somatosensorisch ausgelösten kortikalen Potenzialen (AEP, VEP, SEP) eine Vielzahl an Einzelableitungen aufgezeichnet und gemittelt werden muss, um ein abgrenzbares Potenzial zu erhalten. Aufgrund der Variabilität der MEP-Amplitude werden dennoch immer mehrere aufeinander folgende MEP bei einer bestimmten Intensität abgeleitet (. Abb. 5.2). Die Anzahl der abgeleiteten MEP ist dabei oft ein Kompromiss zwischen der Dauer der Untersuchung und der erwünschten Messgenauig-

Physiologische Grundlagen. Im Gegensatz zur peripheren supramaximalen elektrischen Nervenstimulation, die ein gut reproduzierbares MSAP auslöst, sind die Amplituden der transkraniell ausgelösten MEP trotz identischer Stimulationsbedingungen bei wiederholter Messung sehr variabel (Hess et al. 1986b). Inkonstante Stimulationsbedingungen, z. B. eine ungewollte leichte Verschiebung der Position, Kippung und Orientierung der Spule im Verlauf der Untersuchung, kann zur Variabilität der MEP-Amplituden beitragen und sollte durch eine genaue Arbeitsweise minimiert werden. Die Hauptursache für die Variabilität der MEP liegt jedoch in Schwankungen der

66

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 5 · Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung

kortikalen und spinalen Erregbarkeit, welche im Verlauf der Untersuchung die motorische Antwort auf die TMS modulieren (Kiers et al. 1993). Minimale Veränderungen der Anspannung des Zielmuskels, eine Veränderung der Aufmerksamkeit und der Wachheit tragen zur intraindividuellen Variabilität der kortikomotoneuronalen Erregbarkeit im Verlauf der Untersuchung bei. Aus diesem Grunde sollten die Bedingungen eines TMS-Versuchs so konstant wie möglich gehalten werden. Darüber hinaus gibt es eine intrinsische Variabilität des MEP-Signals, die auch bei noch so standardisierten Untersuchungsbedingungen bestehen bleibt. Vor allem die Desynchronisierung der kortikospinalen Erregungsausbreitung, aber auch der variable Beitrag volumengeleiteter Potenziale von nicht ortsspezifischen Muskeln sowie multiple Entladungen der spinalen Motoneurone tragen zur Variabilität der MEP-Amplitude bei (7 Kap. 11). Wie stark jeder dieser Faktoren zur Gesamtvariabilität der MEP-Amplitude beiträgt, lässt sich im Einzelfall nicht genau feststellen. Deswegen wird weiterhin der Mittelwert mehrerer aufeinander folgender MEP als Maß für die kortikospinale Erregbarkeit angenommen.

5.2.7 Schritt 7: Ausmessen des

MEP und Berechnung des Amplitudenquotienten Praktische Durchführung. Das MEP kann durch verschiedene Kennwerte wie die Amplitude, die Fläche unter der Kurve der negativen Phase oder des gesamten rektifizierten MEP, die Latenz, die Dauer und die Zahl der Nulldurchgänge charakterisiert werden (. Abb. 5.3). Diese Kennwerte können mit Hilfe von Computerprogrammen automatisch ausgemessen werden. In der klinischen Praxis spielen allerdings nur zwei Kennwerte eine Rolle: die Amplitude und die Latenz des MEP (7 Kap. 6). Die MEP-Amplitude wird meist als Differenz des maximalen negativen und positiven Ausschlages eines MEP (Spitze-zu-Spitze Amplitude, engl. peakto-peak amplitude) angegeben. In der klinisch neurophysiologischen Diagnostik wird die MEP-Amplitude immer auf die maximale periphere motorische Antwort bezogen. Die Größe der MEP-Amplitude wird als Amplitudenquotient in Prozent des maximalen MSAP nach supramaximaler elektrischer Nervenstimulation angegeben. Dies ist besonders wichtig

. Abb. .. Kennwerte des Muskelsummenaktionspotenzials (MSAP) nach peripherer Stimulation (oben) und TMS (unten). Neben der Latenz und Dauer des MEP werden in der Regel 3 Kennwerte verwendet, um die Amplitude des MEP zu bestimmen: Die Amplitude der ersten maximalen negativen (N) Deﬂexion, die »Spitze-zu-Spitze«-Amplitude zwischen der maximalen negativen (N) und der maximalen positiven (P) Deﬂexion und die mittlere rektiﬁzierte Amplitude. Durch das Rektiﬁzieren werden die Werte unter der Kurve (graue Fläche) nach oben geschlagen. Der Mittelwert aller rektiﬁzierten Messpunkte des MEP ergibt die mittlere rektiﬁzierte Amplitude. Diese ist direkt proportional zur Fläche des MEP. Die verschiedenen Amplitudenkennwerte des MEP werden in der klinischen Diagnostik auf die Amplitudenkennwerte der maximalen peripheren motorischen Antwort (oben) bezogen und als Amplitudenquotient (% der peripher ausgelösten SMAP- Amplitude) angegeben (S Stimulusartefakt)

67

5.3 Spezialuntersuchungen

für klinisch-diagnostische Fragestellungen, bei denen eine Störung der kortikospinalen motorischen Überleitung nachgewiesen oder ausgeschlossen werden soll. Insbesondere bei gering ausgeprägter Störung der kortikospinalen motorischen Überleitung kann der Quotient aus MEP-Amplitude und maximalem peripheren MSAP noch normal sein. Hier hilft die TripleStimulationstechnik weiter (Magistris et al. 1999), die im Vergleich zur konventionellen Einzelsimulationstechnik sensitiver ist (7 Kap. 11). Bei neurowissenschaftlichen Experimenten interessiert häufig nur die relative Änderung der MEPAmplitude nach einer Intervention. Falls davon ausgegangen werden kann, dass die periphere motorische Antwort unverändert bleibt, ist eine zusätzliche Messung des maximalen peripheren MSAP nicht nötig. Bei Verwendung transkranieller Doppelpulsprotokolle (7 Kap. 16) und ähnlichen TMS-Techniken wird der Einfluss eines konditionierenden Stimulus auf die transkraniell ausgelöste MEP-Amplitude untersucht. Auch hier erübrigt sich die Messung der maximalen peripheren motorischen Antwort. Neben der »Spitze-zu-Spitze-Amplitude« gibt es zwei weitere Methoden zur Amplitudenbestimmung, die »mittlere rektifizierte MEP-Amplitude« und die Amplitude der ersten negativen Phase (. Abb. 5.3). Die maximale Spitze-zu-Spitze-Amplitude wird am häufigsten verwendet, da sie automatisch gemessen werden kann und robust gegenüber Störfaktoren wie Rauschen oder eine instabile Grundlinie ist (KaelinLang u. Cohen 2000). Allerdings korreliert sie nicht unbedingt mit der Anzahl motorische Einheiten, da eine Desynchronisierung des MEP mit Verlängerung der MEP-Dauer einen größeren Einfluss auf die Spitze-zu-Spitze-Amplitude als auf die Fläche haben wird. Aus diesen Gründen wird häufig die sog. mittlere rektifizierte MEP-Amplitude gemessen. Dieser Messparameter ist direkt proportional zur Gesamtfläche des MEP. Rektifizieren heißt, dass die »Beträge« aller Messpunkte des MEP genommen werden, d. h. die Werte unterhalb der Grundlinie werden invertiert bzw. »positiviert« (. Abb. 5.3). Nun hat das MEP nur noch positive Werte, diese werden dann über die gesamte Dauer des MEP gemittelt. Wie bei der Messung der MEP-Fläche wird dieser Kennwert durch Rauschen oder eine unstabile Grundlinie (z. B. wegen des TMSArtefakts) stärker verfälscht als die Spitze-zu-SpitzeAmplitude. Ein weiteres Problem ist, dass der Beginn und das Ende des MEP nicht immer leicht zu erkennen sind, insbesondere bei starker Voraktivierung. Bei gesunden Probanden und entspanntem Zielmuskel ist aber die mittlere rektifizierte MEP-Amplitude ein zuverlässiger Kennwert für das Ausmaß der

5

motorischen Antwort. Aufgrund der Rektifizierung tragen ortspezifische MEP mit negativem Abgang und volumengeleitete MEP aus anderen Muskeln mit positivem Abgang zur rektifizierten mittleren MEPAmplitude bei. Aus diesem Grund wird bei klinischen Fragestellungen häufig, in Analogie zu der Ausmessung der maximalen peripheren motorischen Antwort bei einer peripheren motorischen Neurografie, die Amplitude der ersten maximalen negativen Auslenkung berücksichtigt.

5.3

Spezialuntersuchungen

5.3.1 Entladungsverhalten einzelner

motorischer Einheiten Praktische Durchführung. Die Analyse des Entladungs-

verhaltens einzelner motorischer Einheiten kann mit Nadelelektroden im Zielmuskel durchgeführt werden (Hess et al. 1987). Dieses Verfahren wird üblicherweise nicht für klinische Zwecke verwendet. Eine Ausnahme bildet die klinische Situation, in der eine schwere periphere motorische Pathologie vorliegt (z. B. amyotrophe Lateralsklerose) und man MEP aus einem atrophierten Muskel ableiten möchte. Dabei können nichtortständige, volumengeleitete Potenziale von nichtatrophen Muskeln ein unlösbares Problem bei der Ableitung mit Oberflächenelektroden darstellen. Unter Umständen ist dann eine Ableitung mit Nadelelektroden im Zielmuskel die einzige Möglichkeit noch ortständige Aktivität nachzuweisen. Bei der Analyse der Entladungen einzelner motorischer Einheiten für wissenschaftliche Zwecke werden Methoden verwendet wie bei anderen Einzelzellableitungen in der Neurophysiologie. Von besonderem Interesse ist hier, wie die TMS die Entladungswahrscheinlichkeit einzelner motorischer Einheiten moduliert. Die Effekte der TMS auf die Entladung einzelner motorischer Einheiten werden häufig als stimulusbezogenes Histogramm (engl. peristimulus time histogram) dargestellt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es auch mit Oberflächenelektroden möglich ist, die Einflüsse der TMS auf das Entladungsverhalten einzelner motorischer Einheiten, z. B. im M. bizeps brachii, zu untersuchen. Allerdings muss hier das Oberflächenmyogramm über viele Kanäle (126 Kanäle) abgeleitete werden (Kleine et al. 2000). Physiologische Grundlagen. Ein MEP ist die Sum-

me der Entladungen der einzelnen motorischen Einheiten, und nur eine Analyse des Entladungsverhaltens der einzelnen motorischen Einheiten erlaubt ein

68

Kapitel 5 · Motorisch evozierte Potenziale – Eine Einführung

3

besseres Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen (Mills et al. 1991; 7 Kap. 11). So konnten Hess et al. (1987) bereits 2 Jahre nach Einführung der TMS zeigen, dass die motorischen Einheiten, die als erste bei einer Willkürbewegung rekrutiert werden, auch diejenigen sind, die bei der TMS die niedrigste kortikale Reizschwelle aufweisen.

4

5.3.2 Aufzeichnung der TMS induzierten

1 2

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Bewegung oder Muskelkraft Praktische Durchführung. Auch die Aufzeichnung und Analyse der durch TMS induzierten Bewegungen oder Kraftentwicklung gehört nicht zu den klinischen Routineuntersuchungen. Verschiedene Verfahren werden benützt. Eine einfache Methode ist die Messung der Beschleunigung mit einem Akzelerometer. Da ein Akzelerometer ein elektrisches Signal ausgibt, das mit den üblichen EMG Signalen aufgenommen werden kann, ist dieses Verfahren in einem neurophysiologischen Labor leicht zu implementieren. Es werden dabei üblicherweise die Richtung und die Grösse des ersten maximalen Beschleunigungsvektors gemessen. Physiologische Grundlagen. Kortikale Einzelzellableitungen zeigen, dass kinematische Aspekte einer Bewegung wie die Bewegungsrichtung im primären motorischen Kortex repräsentiert sind (7 Kap. 43 und 52). Diese Bewegungsaspekte können durch die alleinige Messung der MEP nicht erfasst werden. Die Stimulation des primären motorischen Kortex mit TMS an einer bestimmten Stelle induziert eine Bewegung in eine präferentielle Richtung (Classen et al. 1998). Diese Richtung kann durch motorisches Training geändert werden (Classen et al. 1998), was mit spezifischen Veränderungen der Exzitabilität der Agonisten und Antagonisten einhergeht. Diese übungsbedingte Plastizität wird nach passivem Training nicht beobachtet (Kaelin-Lang et al. 2005). Die Messung von kinematischen Aspekten einer TMS-induzierten Bewegung kann somit wichtige Informationen über motorische Lernprozesse liefern (7 Kap. 43 und 52). Das Verständnis der Beziehungen zwischen MEP und den kinematischen Aspekten der TMS-induzierten Bewegungen ist derzeit aber noch unvollständig. Hier konnte eine kürzlich durchgeführte Untersuchung, welche die durch die TMS ausgelösten Bewgeungsmuster untersuchte, wichtige neue Einblicke lieferen (Gentner u. Classen 2006).

Literatur Classen J, Liepert J, Wise SP et al. (1998) Rapid plasticity of human cortical movement representation induced by practice. J Neurophysiol 79: 1117–1123 Conforto AB, Z’Graggen WJ, Kohl AS et al. (2004) Impact of coil position and electrophysiological monitoring on determination of motor thresholds to transcranial magnetic stimulation. Clin Neurophysiol 115: 812–819 Gentner R, Classen J (2006) Modular organization of ﬁnger movements by the human central nervous system. Neuron 52: 731–742 1Hess CW, Mills KR, Murray NM (1986a) Magnetic stimulation of the human brain: facilitation of motor responses by voluntary contraction of ipsilateral and contralateral muscles with additional observations on an amputee. Neurosci Lett 71: 235–240 Klassiche Arbeit und erste Beobachtung der Fazilitierung der MEP-Amplitude durch willkürliche Anspannung des Zielmuskels. Hess CW, Mills KR, Murray NM (1986b) Measurement of central motor conduction in multiple sclerosis by magnetic brain stimulation. Lancet 2: 355–358 Hess CW, Mills KR, Murray NM (1987) Responses in small hand muscles from magnetic stimulation of the human brain. J Physiol 388: 397–419 Humm AM, Z’Graggen WJ, von Hornstein NE et al. (2004) Assessment of central motor conduction to intrinsic hand muscles using the triple stimulation technique: normal values and repeatability. Clin Neurophysiol 115: 2558– 2566 Kaelin-Lang A, Cohen LG (2000) Enhancing the quality of studies using transcranial magnetic and electrical stimulation with a new computer-controlled system. J Neurosci Methods 102: 81–89 Kaelin-Lang A, Sawaki L, Cohen LG (2005) Role of voluntary drive in encoding an elementary motor memory. J Neurophysiol 93: 1099–1103 1Kiers L, Cros D, Chiappa KH, Fang J (1993) Variability of motor potentials evoked by transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 89: 415–423 Lesenswerte Arbeit zur intraindividuellen Variabilität des MEP bei wiederholter transkranieller Stimulation innerhalb einer TMS-Sitzung. Kleine BU, Blok JH, Oostenveld R et al. (2000) Magnetic stimulation-induced modulations of motor unit ﬁrings extracted from multi-channel surface EMG. Muscle Nerve 23: 1005– 1015 1Magistris MR, Rösler KM, Truﬀert A, Myers JP (1998) Transcranial stimulation excites virtually all motor neurons supplying the target muscle. A demonstration and a method improving the study of motor evoked potentials. Brain 121: 437–450 Erste Beschreibung der »triple stimulation technique«. Magistris MR, Rosler KM, Truﬀert A et al. (1999) A clinical study of motor evoked potentials using a triple stimulation technique. Brain 122: 265–279

Literatur

Mills KR, Boniface SJ, Schubert M (1991) The ﬁring probability of single motor units following transcranial magnetic stimulation in healthy subjects and patients with neurological disease. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 43: 100–110 1Rossini PM, Barker AT, Beradelli A et al. (1994) Non-invasive electrical and magnetic stimulation of the brain, spinal cord and roots: basic principles and procedures for routine clinical application. Report of an IFCN committee. Electroencephal Clin Neurophysiol 91: 79–92 Wichtige Übersichtsarbeit zur praktischen Durchführung der TMS in der klinischen Anwendung und den relevanten neurophysiologischen Grundlagen. 1Rothwell JC, Hallett M, Berardelli A et al. (1999) Magnetic stimulation: motor evoked potentials. International federation of Clinical neurophysiology. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 52: 97–103 Lesenswerte Übersichtsarbeit zur Neurophysiologie des MEP. 1Wassermann EM (2002) Variation in the response to transcranial magnetic brain stimulation in the general population. Clin Neurophysiol 113: 1165–1171 Wichtige Arbeit aufgrund der Grösse der Population.

Danksagung Kai Rösler und Marianne Stephan vielen Dank für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.

69

5

71

6

Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit Florian Müller, Ulf Ziemann 6.1

Bestimmung der kortikomuskulären Leitungszeit – 72

6.1.1

Schritt 1: Aufﬁnden des optimalen Reizortes über dem Motorkortex – 72 Schritt 2: Bestimmung der erforderlichen Reizstärke – 72 Schritt 3: Vorinnervation des Zielmuskels – 72 Schritt 4: Messwiederholungen und Auswertung – 73

6.1.2 6.1.3 6.1.4

6.2

Bestimmung der peripheren motorischen Leitungszeit – 73

6.2.1 6.2.2 6.2.3

Messmethoden – 73 Bewertung der Methoden – 74 Praktisches Vorgehen – 75

6.3

Berechnung der zentralmotorischen Leitungszeit – 75

6.4

Spezialuntersuchungen: fraktionierte Leitungszeitmessungen – 76

6.5

Fallbeispiel – 77

Literatur

– 78

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine Einführung in die Methoden der Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) und deren wichtigste neurophysiologische Grundlagen. Ein wichtiger Kennwert zur Beurteilung der Integrität schnellstleitender Axone des kortikospinalen Traktes ist die ZML. Die ZML bezeichnet die minimale Latenz vom Zeitpunkt der transkraniellen Stimulation der primären motorischen Hirnrinde bis zur Erregung des peripheren motorischen Neurons. Diese wird als Diﬀerenz aus kortikomuskulärer Leitungszeit (KML) und peripherer motorischer Leitungszeit (PML) berechnet (ZML = KML–PML). Zur Bestimmung der ZML ist daher zusätzlich zur Magnetstimulation der motorischen Hirnrinde die Stimulation des peripheren Motoneurons erforderlich. Die ZML ist neben der kortikalen Reizschwelle und der Amplitude des motorisch evozierten Potenzials (MEP) der wichtigste Kennwert zur Beurteilung der Integrität des kortikospinalen Traktes. Zur Messung der KML wird mit einem transkraniellen

Einzelpuls der Motorkortex erregt und vom willkürlich leicht vorgespannten Zielmuskel das MEP mit Oberﬂächenelektroden abgeleitet. Die KML ist die kürzeste Latenz von 3–5 gemessenen Potenzialen. Zur Bestimmung der PML werden alternativ zwei Methoden eingesetzt: 5 Transkutan elektrische oder magnetische Reizung des proximalen Spinalnervs in der Nähe seines Durchtritts durch das Foramen intervertebrale oder 5 die F-Wellen-Methode. Bei der transkutanen Reizung wird im Gegensatz zur FWellen-Methode die ZML geringfügig überschätzt, da die Leitungszeit entlang des proximalen Spinalnervs der ZML zugeschlagen wird. Durch fraktionierte Leitungszeitmessungen kann die ZML in Segmenten des kortikospinalen Traktes gemessen werden. Sowohl demyelinisierende als auch axonale Schäden des kortikospinalen Traktes können die ZML verlängern.

72

Kapitel 6 · Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit

1

6.1

Bestimmung der kortikomuskulären Leitungszeit

2

6.1.1 Schritt 1: Auﬃnden des optimalen

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Reizortes über dem Motorkortex

Ausrichtung des induzierten Gewebestroms zu achten (. Abb. 6.3a,b; 7 Kap. 3).

6.1.2 Schritt 2: Bestimmung der

erforderlichen Reizstärke Prinzipiell ist die Ableitung eines MEP von fast jedem Muskel der oberen und unteren Extremität, aber auch von kranialen und axialen Muskeln möglich (Ziemann 2000). Die Auswahl des Zielmuskels richtet sich nach der klinischen Fragestellung. Die elektromyographische Ableitung des MEP erfolgt üblicherweise mit Oberflächenelektroden. In der klinischen Routine werden MEP durch Reizung des Motorkortex mit einem Einzelpuls-Magnetstimulator über eine Rundspule ausgelöst. Praktische Durchführung. Je nach Zielmuskel unter-

scheidet sich die Spulenposition für eine optimale Aktivierung der entsprechenden Repräsentation im Motorkortex. Zum Auffinden des optimalen Reizortes startet man an den jeweiligen Orientierungspunkten (. Abb. 6.3a,b) und bewegt die Spule von dort aus rasterartig ca. in 1-cm-Schritten über die Schädeloberfläche, bis man mit Reizen fester Intensität (üblicherweise 50–70 der maximalen Stimulatorleistung) den Reizort mit konsistent größten MEP-Amplituden im Zielmuskel gefunden hat. Diese Spulenposition kann man z. B. mit einem Filzstift auf der Kopfhaut markieren. Physiologische Grundlagen. Der optimale Reizort entspricht dem Ort größter Dichte kortikospinaler Fasern zum Zielmuskel. Eine optimale Spulenpositionierung ist für die korrekte Bestimmung der KML wichtig. Ein Abweichen der Magnetspule vom optimalen Reizort kann die MEP-Latenz um mehrere Millisekunden verlängern und macht so die Messung diagnostisch unbrauchbar (Fuhr et al. 1991). Dies erklärt sich aus der Physiologie der magnetischen Kortexstimulation (. Abb. 6.1, 7 Kap. 3). Die kortikospinalen Neurone können durch TMS sowohl direkt axonal als auch indirekt transsynaptisch (über kortikokortikale und thalamokortikale Fasern) erregt werden (Di Lazzaro et al. 2004). Im Falle eines nicht optimalen Reizortes werden die kortikospinalen Neurone vorwiegend oligosynaptisch erregt. Dies geht mit einer späteren ersten Erregungswelle im kortikospinalen Trakt und einer Latenzverzögerung des MEP einher. Zum Auffinden des optimalen Reizortes ist zu beachten, dass bei Verwendung der Rundspule der Kortex unter dem Spulenring optimal stimuliert wird (. Abb. 6.3a,b). Neben dem optimalen Reizort ist auch auf eine optimale

Praktische Durchführung. Ist der optimale Reizort bestimmt, erfolgt die Bestimmung der motorischen Ruheschwelle (7 Kap. 14). Diese ist üblicherweise definiert als die minimale Reizstärke, die im entspannten Zielmuskel ausreicht, um bei Stimulation über dem optimalen Reizort bei mindestens 50 der Durchläufe ein kleines MEP (>50 μV) auszulösen. Hierzu beginnt man bei einer moderat überschwelligen Reizstärke und reduziert diese schrittweise bis zum Erreichen der Schwelle. In der klinischen Routine sind Schrittweiten von 5 der maximalen Stimulatorleistung ausreichend. Zur Bestimmung der kortikomuskulären Latenz verwendet man eine Reizintensität von 120 der individuellen motorischen Ruheschwelle. Liegt die motorische Reizschwelle zwischen 83 und 100 der maximalen Ausgangsleistung des Stimulationsgeräts, erfolgt die Stimulation mit maximaler Stimulationsstärke (=100 der Ausgangsleistung). Physiologische Grundlagen. Die Konvention mit 120 der individuellen motorischen Ruheschwelle zu stimulieren, beruht darauf, dass die KML bei einer Reizung mit 100–140 der motorischen Ruheschwelle im leicht willkürlich aktivierten Muskel stabil ist (Hess et al. 1987). Deutlich höhere Reizstärken können von der untersuchten Person als unangenehm empfunden werden. Sehr hohe Reizstärken können zudem zu einer direkten axonalen Aktivierung des kortikospinalen Traktes führen, die im Rahmen klinischer Messungen der KML nicht anzustreben ist (Hess et al. 1987). Bei einer Reizstärke <120 der motorischen Ruheschwelle sind die MEP häufig zu inkonsistent für eine zuverlässige Bestimmung der KML.

6.1.3 Schritt 3: Vorinnervation des

Zielmuskels Praktische Durchführung. Die Messung der KML sollte nicht im relaxierten, sondern im mit ca. 20 der maximalen Willkürkraft isometrisch vorgespannten Muskel erfolgen. Die Stärke der Willkürkontraktion kann durch akustische Rückkopplung des EMG-Signals überwacht werden. Können Patienten, z. B. aufgrund einer Lähmung, den Zielmuskel nicht willkürlich kontrahieren, dann sollte der homonyme Muskel

73

6.2 Bestimmung der peripheren motorischen Leitungszeit

Bestimmung der peripheren motorischen Leitungszeit

der anderen Seite angespannt oder ein Jendrassik-Manöver durchgeführt werden.

6.2

Physiologische Grundlagen. Das kortikospinale Sy-

6.2.1 Messmethoden

stem wird durch Willkürkontraktion gebahnt, was zu einer Verkürzung der MEP-Latenz um etwa 2–3 ms führt (Hess et al. 1987). Grund hierfür ist in erster Linie die weitgehende Elimination der sonst notwendigen Summation erregender postsynaptischer Potenziale am spinalen Motoneuron bis zum Erreichen von dessen Entladungsschwelle (7 Kap. 3). Dieser Effekt ist bei etwa 10 der maximalen Willkürkontraktionkraft gesättigt, so dass eine stärkere Vorinnervation der Muskulatur zu keiner weiteren Latenzverkürzung des MEP mehr führt (Hess et al. 1987). Eine isometrische Kontraktion im Zielmuskel mit etwa 20 der maximalen Willkürkontraktionskraft reicht demnach aus, um eine Beeinflussung der MEP-Latenz durch undefinierte muskuläre Hintergrundaktivität zu unterbinden. Die Anspannung des homonymen kontralateralen Muskels oder das Jendrassik-Manöver führen ebenfalls zu einer, allerdings weniger effektiven Bahnung des kortikospinalen Systems (Hess et al. 1987).

6.1.4 Schritt 4: Messwiederholungen und

6

F-Wellen-Methode (. Abb. 6.1b) Praktische Durchführung. Die Untersuchung erfolgt im entspannten Zielmuskel. Der den Zielmuskel innervierende Nerv wird elektrisch mit einer bipolaren Reizelektrode muskelnah stimuliert (Kathode proximal, Anode distal). Die Erdung wird zwischen Stimulations- und Ableitelektroden angebracht. Die Reizintensität muss sicher supramaximal sein, d. h. sie wird so lange erhöht, bis die Amplitude der direkten Muskelantwort (M-Welle) nicht mehr anwächst. Zur Bestimmung der F-Wellen-Latenz wird der gefundene Intensitätswert nochmals um 20–30 gesteigert. Üblicherweise werden 10–20 F-Wellen ausgelöst. Das Intervall zwischen aufeinander folgenden Reizungen beträgt mindestens 2 s. Für die Berechnung der PML gilt:

PML [ms] = 0,5 × (F + M – 1) Dabei entspricht F der kürzesten Latenz aller aufgenommenen F-Wellen, M der M-Wellen-Latenz und 1 ms der geschätzten Verzögerung am spinalen Motoneuron (Robinson et al. 1988; . Abb. 6.1b).

Auswertung Praktische Durchführung. Zur Bestimmung der KML sollten mit der nach den 7 Abschn. 1.1–1.3 festgelegten

Methode mindestens 3–5 MEP aufzeichnet werden. Das Intervall zwischen aufeinander folgenden Durchläufen sollte mindestens 5 s betragen. Die MEP-Latenz entspricht der Zeit zwischen Beginn des TMS-Pulses und dem Beginn der ersten konsistenten negativen Deflektion des Potenzials. Als KML wird die kürzeste gemessene MEP-Latenz notiert. Physiologische Grundlagen. Unter konstanten Stimu-

lations- und Aufnahmebedingungen zeigen MEP eine inhärente Variabilität bezüglich ihrer Latenz. Es wird empfohlen, die kürzeste Latenz von 3–5 MEP zu bestimmen, die ein ähnliches Ergebnis liefert wie die Messung von 15 MEP (Hess et al. 1987).

Transkutane elektrische oder magnetische Stimulation des proximalen Spinalnervs (. Abb. 6.1c) Praktische Durchführung. Die elektrische Stimulation

des proximalen Spinalnervs kann transkutan (Claus 1990; Schmid et al. 1990) oder mittels Nadelelektrode (Evans et al. 1990) erfolgen. Für eine supramaximale Reizung mittels transkutaner elektrischer Stimulation ist ein Hochvoltstimulator erforderlich. Die Kathode wird in der Regel über dem Dornfortsatz des Zielsegments platziert (Claus 1990; Schmid et al. 1990). Die Anode wird bei zervikaler Stimulation 5–6 cm kranial davon gesetzt (Claus 1990; Schmid et al. 1990), bei lumbaler Stimulation z. B. über der Crista iliaca kontralateral zum Zielmuskel (Claus 1990; Schmid et al. 1990). Bei transkutaner magnetischer Stimulation wird die Rundspule in der Mittellinie oder 1–2 cm paramedian ipsilateral zum Zielmuskel platziert. Die technische Stromflussrichtung zeigt im horizontalen Segment der Rundspule, das über dem spinalen Zielsegment liegt, in Richtung auf den Zielmuskel (. Abb. 6.3, 7 Abschn. 6.5). Bei Reizung mittels Nadelelektrode ist diese als Kathode gepolt und wird ipsilateral zum Zielmuskel bis auf die Lamina des entsprechenden Wirbelbogens vorgeschoben, während eine Oberflächenelektro-

74

1

Kapitel 6 · Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit

a

b

c

d

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .a–d. a Physiologie der magnetischen Kortexstimulation. (Erläuterungen s. Text). b–d Methoden zur Bestimmung der PML: b F-Wellen-Methode. Der den Zielmuskel innervierende Nerv wird muskelnah elektrisch gereizt. Die orthodrome Erregungsfortleitung im Nerv führt zur M-Welle, die antidrome durch Aktivierung spinaler Motoneurone zur F-Welle. F F-Wellen-Latenz, M M-Wellen-Latenz, 1 zeitliche Verzögerung der Impulsfortleitung am spinalen Motoneuron in Millisekunden.

c Elektrische oder magnetische Stimulation des proximalen Spinalnervs in der Nähe des Foramen intervertebrale. S Latenz des ausgelösten Muskelsummenaktronspotenzials. d Muskeldehnungsreﬂex-Methode. Mittels eines PiezoReﬂexhammers wird ein Eigenreﬂex des Zielmuskels ausgelöst und zeitgleich die EMG-Aufzeichnung getriggert. T Latenz des Muskeldehnungsreﬂex-Potentials; 1 zeitliche Verzögerung der Impulsfortleitung am spinalen Motoneuron in Millisekunden.

de als Anode verwendet wird (Anode lateral von Kathode) (Evans et al. 1990). Die PML entspricht in allen Fällen der Zeit zwischen Stimulus und erster negativer Deflektion des Muskelsummenaktionspotenzials.

(Foramen ovale) angeregt werden, wenn die Rundspule lateral über der Schläfe platziert wird. Der N. facialis kann durch TMS im proximalen Teil des Canalis facialis und der N. hypoglossus an seinem Schädelaustrittspunkt aktiviert werden, wenn die Spule temporookzipital über und hinter dem Ohr platziert wird. Der N. accessorius kann in seinem intrakraniellen Verlauf mit TMS nicht angeregt werden. Die ZML zu kranialen Muskeln umfasst somit neben der Leitungszeit entlang des kortikobulbären Traktes auch mehr oder weniger lange Abschnitte des untersuchten Hirnnervs.

Muskeldehnungsreﬂex-Methode (. Abb. 6.1d) Praktische Durchführung. Mit einem Piezo-Reflexhammer wird ein Muskeleigenreflex im Zielmuskel ausgelöst, was die zeitgleiche Triggerung der EMG-Aufzeichnung erlaubt (Ofuji et al. 1998). Für die Berechnung der PML gilt:

PML [ms] = 0,5 × (T – 1) Dabei entspricht T der Latenz des Muskeldehnungsreflexes. Diese wird gemessen zwischen Triggerzeitpunkt und erster konsistenter negativer Deflektion der Reflexantwort. Mit 1 ms wird die synaptische Übertragungsund Depolarisationszeit am spinalen Motoneuron angesetzt. Es werden 5–10 Muskeldehnungsreflexe ausgelöst. Als PML wird der Mittelwert der Einzeldurchläufe notiert (Ofuji et al. 1998).

Untersuchung von Hirnnerven (7 Kap. 9) Der N. trigeminus kann durch TMS in der Nähe seines Austrittspunkts aus der mittleren Schädelgrube

6.2.2 Bewertung der Methoden Nur die F-Wellen-Methode und die Muskeldehnungsreflexmethode führen zu einer weitgehend korrekten ZML-Bestimmung (. Abb. 6.1). Bei transkutaner elektrischer oder magnetischer Reizung erfolgt die Anregung im Bereich des Austrittspunkts des Spinalnervs aus dem Spinalkanal, in der Nähe des Foramen intervertebrale (Claus 1990; Schmid et al. 1990). Somit wird mit diesen Methoden die PML falsch zu kurz gemessen und entsprechend die ZML falsch zu lang berechnet. Der Fehler hängt von der Länge des Spinalner-

75

6.3 Berechnung der zentralmotorischen Leitungszeit

vensegments im Spinalkanal ab und beträgt bei zervikalen Spinalnerven 0,5–1,4 ms, bei lumbalen Spinalnerven 3,0–4,1 ms. In der Praxis ist das nur dann ein Problem, wenn eine Leitungsverzögerung im Bereich des proximalen Spinalnervs auftritt, z. B. durch einen Bandscheibenvorfall oder durch demyelinisierende Neuropathien, und dann fälschlich als zentrale Leitungsstörung interpretiert wird.

6.2.3 Praktisches Vorgehen (. Tab 6.1) In der Regel wird für Routineuntersuchungen die transkutane magnetische Reizung des Spinalnerven zur Bestimmung der PML bevorzugt. Diese Methode hat gegenüber der transkutanen elektrischen Reizung den Vorteil der weitgehenden Schmerzfreiheit und gegenüber der F-Wellen-Methode den Vorteil der schnelleren Durchführbarkeit. Sie hat den Nachteil, dass keine supramaximale Reizung des Spinalnervens möglich ist und gelegentlich, z. B. bei Adipositas, überhaupt keine Auslösung eines reproduzierbaren Muskelsummenaktionspotenzials gelingt, so dass dann alternative Methoden (transkutane elektrische Reizung, F-Wellen-Methode) eingesetzt wer-

. Tab. .. Schritte zur Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) .

Bestimmung der kortikomuskulären Leitungszeit (KML)

1.1.

Auﬃnden des optimalen Reizortes über dem Motorkortex

1.2.

Festlegen der erforderlichen Reizstärke (120% der Ruheschwelle)

1.3.

Vorinnervieren des Zielmuskels (20% der maximalen Kraft)

1.4.

Durchführen von 3–5 Messwiederholungen

1.5.

Auswerten der KML (kürzeste MEP-Latenz)

.

Bestimmung der peripheren motorischen Leitungszeit (PML)

2.1.

Auswahl der PML-Methode. 5 Für allgemeine Routineuntersuchungen: transkutane magnetische oder elektrische Reizung des proximalen Spinalnervs in der Nähe seines Durchtritts durch das Foramen intervertebrale 5 Für genaue Messungen der PML: F-Wellen-Methode

.

Berechnung der ZML: KML–PML

6

den müssen. Besteht Unklarheit über die Zuordnung einer Leitungsstörung zu kortikospinalem Trakt versus proximalen Spinalnerv, sollte zusätzlich oder von vornherein die F-Wellen-Methode eingesetzt werden. Hierbei ist zu beachten, dass diese nur bei distalen Zielmuskeln durchführbar ist. Die Muskeldehnungsreflex-Methode findet in der klinischen Routine wegen der hierfür notwendigen technischen Ausrüstung (Piezo-Reflexhammer) und der Limitierung auf wenige Muskeln mit guter Auslösbarkeit eines Muskeleigenreflexes nur begrenzt Anwendung.

6.3

Berechnung der zentralmotorischen Leitungszeit

Die ZML berechnet sich aus den gemessenen Werten der KML und der PML gemäß ZML = KML – PML Normative ZML-Werte für häufig verwendete Zielmuskeln sind in . Tab. 6.2 zusammengefasst. Die ZML zu Zielmuskeln der unteren, nicht jedoch zu Muskeln der oberen Extremitäten ist abhängig von der Körperlänge (Robinson et al. 1988; Claus 1990; . Abb. 6.2). Ursache hierfür ist, dass die ZML linear mit der Länge der Wegstrecke vom Motorkortex zum spinalen Motoneuron des Zielmuskels zunimmt, wobei die individuelle Länge des kortikospinalen Traktes gut mit der Körperlänge korreliert. Die ZML nimmt zudem mit dem Lebensalter leicht zu. Auch die PML ist von Körperlänge und Lebensalter abhängig. Aus diesem Grund sollten Normwerte der KML und ZML immer altersbezogen angegeben werden (. Tab. 6.2). Neben den absoluten ZML-Werten ist der intraindividuelle Vergleich der ZML zu homonymen Muskeln beider Seiten besonders wichtig. Normale ZML-Seitendifferenzen betragen zu Muskeln der oberen Extremität bis zu ca. 2,0 ms, zu Muskeln der unteren Extremität bis zu ca. 3,5 ms (Claus 1990). Größere Seitendifferenzen zeigen eine Leitungsstörung zur Seite mit der längeren ZML an, auch wenn die absolute ZML noch im Normbereich liegt. > Die ZML wird von vielen Variablen bei der Bestimmung der KML (7 Abschn. 1.1–1.4) und von der Methode zur Bestimmung der PML (7 Abschn. 2.1– 2.2) beeinﬂusst. Daher ist es unverzichtbar, dass jeder Untersucher diese Einﬂüsse kennt, ggf. einen laboreigenen normativen Datensatz für ausgewählte Zielmuskeln erhebt und sich bei ZML-Messungen strikt an ein standardisiertes Untersuchungsprotokoll hält.

76

Kapitel 6 · Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit

1

. Tab. .. Normative Werte der kortikomuskulären Leitungszeit (KML) und zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) zu ausgewählten Muskeln in gesunden Erwachsenen

2

Zielmuskel

KML [ms]

ZML [ms]

Alter [Jahre]

M. masseter

5,9 ± 0,4

3–4

18–75

M. nasalis

10,0 ± 1,0

5,1 ± 0,6

24–42

M. trapezius

9,0 ± 0,9

7,5 ± 1,1

23–72

Zungenmuskulatur

8,7 ± 0,9

6,3 ± 0,9

20–53

3 4 5 6 7

M. biceps brachii

11,8 ± 1,2

6,1 ± 1,3

20–83

M. abductor pollicis brevis

20,4 ± 1,5

6,7 ± 1,2

20–83

M. interosseus dorsalis I

21,8 ± 1,9

7,5 ± 1,1

45–62

M. abductor digiti minimi

19,3 ± 1,2

6,0 ± 0,9

19–59

Alle Daten (Mittelwerte ± SD) wurden mit einer Rundspule bei vorinnerviertem Zielmuskel erhoben. Für die Bestimmung der peripheren motorischen Leitungszeit (Muskeln der oberen Extremität) wurde die Methode der transkutanen magnetischen Reizung des proximalen Spinalnervs verwendet. Die ZML zu Muskeln der unteren Extremität hängt von der Körperlänge ab und lässt sich sinnvoll nur als Nomogramm darstellen, in dem die ZML als abhängige Variable der Körperlänge aufgetragen wird (. Abb. 6.2).

8

6.4

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. ZML zum M. tibialis anterior (y-Achse, in ms) in Abhängigkeit von der Körperlänge (x-Achse, in cm) bei einem Kollektiv von gesunden Erwachsenen (n = 108, 19–59 Jahre). Die KML wurde mit einer Rundspule zentriert über Fz im vorgespannten Muskel gemessen, die PML mittels transkutaner elektrischer Stimulation (Kathode über Dornfortsatz L1). Die ZML nimmt linear mit der Körperlänge zu. Die Regressionsgerade ±95% Konﬁdenzintervall (Graubereich) sind eingezeichnet. (Aus Claus 1990; mit freundlicher Genehmigung von John Wiley & Sons, Inc.)

Spezialuntersuchungen: fraktionierte Leitungszeitmessungen

Die oben beschriebenen ZML-Methoden machen Aussagen über die Leitungszeit entlang des kortikospinalen Traktes in toto, oft sogar unter Einschluss des proximalen Abschnitts des Spinalnervs (7 Abschn. 6.2.1). Gelegentlich stellt sich jedoch die Frage nach einer genaueren topographischen Bestimmung einer Leitungsverzögerung. Hier können fraktionierte Leitungszeitmessungen entlang des kortikospinalen Traktes weiterführen. Diese stellen keine Routineuntersuchungen dar und sind Speziallabors mit entsprechender technischer Ausrüstung und Expertise vorbehalten. Durch transkutane elektrische Hochvoltstimulation ist die direkte Anregung des kortikospinalen Traktes auf Höhe des Foramen magnum und entlang des spinalen Myelons sowie der Cauda equina über der lumbalen Wirbelsäule möglich, und MEP können z. B. zum vorgespannten Tibialis anterior abgeleitet werden (Ugawa et al. 1995). Diese Messungen ergaben eine normale Leitgeschwindigkeit entlang des kortikospinalen Traktes von 68 m/s und entlang der Cauda equina von 40 m/s (Ugawa et al. 1995). Auf Höhe des Foramen magnum kann der kortikospinale Trakt knapp unterhalb der Pyramidenbahnkreuzung auch weniger schmerzhaft durch Magnetstimulation mit einer Doppelkonus-Spule aktiviert werden, die in der Mittellinie über oder knapp unterhalb des Inions platziert wird (Ugawa et al. 1994). Bei Ableitung vom M. interosseus dorsalis I ergaben sich aus den Differenzen der MEP- bzw. Muskelsummenaktionspotenzial-Latenzen bei Reizung des Motor-

77

6.5 Fallbeispiel

kortex, des Foramen magnum und des proximalen Spinalnervs fraktionierte Leitungszeiten Motorkortex – Foramen magnum von 3,5±0,4 ms und Foramen magnum – Foramen intervertebrale von 3,4±0,4 ms (Ugawa et al. 1994). Die Cauda equina kann mittels transkutaner Magnetstimulation proximal und distal gereizt werden (Maccabee et al. 1996). Dabei wird eine fokale Schmetterlingsspule für die proximale Reizung mit vertikaler Orientierung über der Mittellinie ca. 10–

6.5

Fallbeispiel

Pathologische ZML-Verlängerung zum M. abductor pollicis brevis (APB) rechts bei einer 71-jährigen Patientin 5 Tage nach lakunärem Schlaganfall (pure motor stroke) mit Aﬀektion des kortikospinalen Traktes links und Hemiparese rechts. Die ZML-Verlängerung zur paretischen Hand (9,0 ms) ist multifaktoriell verursacht. Die fehlende Vorinnervation auf der paretischen Seite führt zu einer ZML-Verlängerung von etwa 2– 3 ms (7 Abschn. 1.3). Die übrigen 6–7 ms werden durch die axonale Schädigung des kortikospinalen Traktes

13 cm (bezogen auf den Mittelpunkt der Spulenjunktion) kranial der optimalen Reizung der distalen Cauda equina (horizontale Spulenorientierung) platziert. Entsprechend der Längenzunahme der Cauda equina mit absteigenden spinalen Segmenten ergeben sich normative Leitungszeiten von 1,8–2,0 ms für den M. vastus medialis (Segmente L2–L4), von 1,8– 2,7 ms für den M. tibialis anterior (Segmente L4–L5), und von 3,1–4,0 ms für den M. abductor hallucis (Segmente S1–S2) (Maccabee et al. 1996).

bedingt, mit ineﬀektiver Summation von erregenden postsynaptischen Potenzialen am spinalen Motoneuron und einem verzögerten Erreichen der Entladungsschwelle. Zudem ist denkbar, dass vorzugsweise schnellstleitende kortikospinale Fasern durch den Infarkt geschädigt wurden, da diese eine geringere Ischämietoleranz haben als schmalkalibrige, langsamer leitende kortikospinale Fasern. Das Fallbeispiel zeigt, dass primär axonale Läsionen des kortikospinalen Traktes zu einer deutlichen ZML-Verlängerung führen können.

a

b

c

d

. Abb. .a–d. a,b Motorkortexstimulation mit Rundspule (Punkt auf dem Spulenring: optimaler Reizort des Motorkortex-Handareals rechts (a) und links (b), Pfeile: technische Stromﬂussrichtung). Ableitung von jeweils 4 MEP vom vorinnervierten APB links (a) und rechts (b). Die minimale MEP-Latenz (KML) zum linken APB ist normal (21,6 ms) zum rechten APB hingeben verlängert (30,6 ms). Die MEP-Amplitude ist links normal (5,1 mV) und rechts deutlich reduziert (0,3 mV).

6

c,d Transkutane magnetische Stimulation des proximalen Spinalnerven C8 mit Rundspule. Ableitung von Muskelsummenaktionspotenzialen (MSAP) vom entspannten APB links (c) und rechts (d). MSAP-Latenz (PML, 16,6 ms beidseits) und MSAP-Amplitude (6,4 mV links, 5,0 mV rechts) sind symmetrisch normal. Entsprechend ergibt sich eine normale ZML links (21,6–16,6 = 5,0 ms), aber eine deutlich verlängerte ZML rechts (30,6–16,6 = 14,0 ms).

78

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 6 · Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit

Literatur 1Claus D (1990) Central motor conduction: method and normal results. Muscle Nerve 13: 1125–1132 Der Artikel beschreibt verschiedene Methoden der ZML-Bestimmung und zeigt die Körperlängenabhängigkeit der ZML zu Muskeln der unteren Extremität. 2Di Lazzaro V, Oliviero A, Pilato F et al. (2004) The physiological basis of transcranial motor cortex stimulation in conscious humans. Clin Neurophysiol 115: 255–266 Überblicksartikel über die derzeitigen Kenntnisse, wie durch transkranielle Stimulation des Motorkortex kortikospinale Neurone angeregt werden. Evans BA, Daube JR, Litchy WJ (1990) A comparison of magnetic and electrical stimulation of spinal nerves. Muscle Nerve 13: 414–420 Fuhr P, Cohen LG, Roth BJ, Hallett M (1991) Latency of motor evoked potentials to focal transcranial stimulation varies as a function of scalp positions stimulated. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 81–89 2Hess CW, Mills KR, Murray NM (1987) Responses in small hand muscles from magnetic stimulation of the human brain. J Physiol 388: 397–419 Artikel, der erstmals systematisch die Abhängigkeit der MEPLatenz und MEP-Amplitude in Handmuskeln von verschiedenen Faktoren wie Vorinnervation und TMS Intensität untersucht. 1Maccabee PJ, Lipitz ME, Desudchit T et al. (1996) A new method using neuromagnetic stimulation to measure conduction time within the cauda equina. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 101: 153–166 Wichtiger Spezial-Artikel, der die Leitungszeitmessung entlang der Cauda equina beschreibt. Ofuji A, Kaneko K, Taguchi T et al. (1998) New method to measure central motor conduction time using transcranial magnetic stimulation and T-response. J Neurol Sci 160:26–32 Robinson LR, Jantra P, MacLean IC (1988) Central motor conduction times using transcranial stimulation and F wave latencies. Muscle Nerve 11: 174–180 Schmid UD, Walker G, Hess CW, Schmid J (1990) Magnetic and electrical stimulation of cervical motor roots: technique, site and mechanisms of excitation. J Neurol Neurosurg Psychiatry 53: 770–777 Ugawa Y, Genba-Shimizu K, Kanazawa I (1995) Electrical stimulation of the human descending motor tracts at several levels. Can J Neurol Sci 22: 36–42 1Ugawa Y, Uesaka Y, Terao Y et al. (1994) Magnetic stimulation of corticospinal pathways at the foramen magnum level in humans. Ann Neurol 36: 618–624 Wichtiger Spezial-Artikel, der die fraktionierte Leitungszeitmessung des kortikospinalen Traktes vom Motorkortex zum Foramen magnum und von dort zum proximalen Spinalnerv beschreibt. Ziemann U (2000) Assessment of motor cortex and descending motor pathways. In: Brown W, Bolton C, Aminoﬀ M (eds) Neuromuscular function and disease. Basic, clinical and electrodiagnostic aspects, vol 1. Saunders, Philadelphia, pp 189–221

79

7

Motorisch evozierte Potenziale der Armund Handmuskeln Helge Topka 7.1

Indikationen – 80

7.2

Durchführung der Untersuchung – 80

7.2.1 7.2.2

Vorbereitung – 82 Bestimmung der peripher-motorischen Leitungszeit – 82 Transkranielle Stimulation des primären motorischen Handareals – 85

7.2.3

7.3

Probleme bei der Untersuchung

Literatur

– 88

– 87

ZUM THEMA Motorisch evozierte Potenziale (MEP) von Hand- und Armmuskeln können sowohl nach transkranieller Magnetstimulation (TMS) des primären motorischen Kortex als auch nach Stimulation spinaler Nervenwurzeln oder der peripheren Nerven abgeleitet werden. Hauptziel der Untersuchung in der Routinediagnostik ist die Beurteilung und Quantiﬁzierung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML), die im vorherigen Kapitel ausführlich besprochen wird (7 Kap. 6). Darüber hinaus erlaubt die Amplitude des MEP Rückschlüsse auf die Integrität der absteigenden motorischen Bahnen zu Arm und Hand. Die foraminale Stimulation auf Höhe des Halsmarks erlaubt auch die Beurteilung der Funktionsfähigkeit rückenmarksnaher Abschnitte des peripheren Nervensystems. In der klinischen Routinediagnostik werden hauptsächlich Latenz und Amplitude des MEP und nur selten inhibitorische Phänomene wie die kontralaterale kortikale Innervationsstille (engl. contralateral cortical silent period;

7 Kap. 15) ausgewertet. Grundsätzlich kann mit der TMS sowohl die kortikomuskuläre Überleitung zu distalen Zielmuskeln der Hand als auch zu proximalen Armmuskeln der Schulter oder des Oberarms wie den M. deltoideus oder den M. biceps brachii untersucht werden. In der Routinediagnostik wird aus technischen und physiologischen Gründen jedoch die Ableitung von distalen Handmuskeln wie dem M. abductor pollicis brevis oder dem M. abductor digiti minimi bevorzugt. Im Vergleich zu proximalen Muskeln sind die kortikalen Repräsentationen distaler Muskeln und die monosynaptischen kortikospinalen Projektionen stärker ausgeprägt und somit mit der TMS einfacher zu lokalisieren und leichter überschwellig zu stimulieren. Dieses Kapitel stellt die Untersuchung der zentralmotorischen Projektionen zu Hand- und Armmuskeln dar und geht kurz auf die dafür relevanten Aspekte der foraminalen Stimulation ein.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

80

Kapitel 7 · Motorisch evozierte Potenziale der Arm- und Handmuskeln

7.1

Indikationen

Die Indikationen für eine TMS-Untersuchung der Hand – und Armmuskeln sind in der Übersicht in 7 Abschn. 7.1 aufgelistet und gelten auch für die TMSDiagnostik der Beinmuskulatur. Die Untersuchung der MEP der Hand- und Armmuskeln hilft in erster Linie bei der Beurteilung der Integrität kortikospinaler und peripherer motorischer Projektionen zu den oberen Extremitäten bei Patienten mit einer Kraftminderung der Arme. Es ist möglich, in klinisch nicht eindeutigen Situationen, bei Patienten mit Paresen den Läsionsort im kortikomotorischen System näher einzugrenzen, z. B. eine zentrale Läsion mit gestörter kortikospinaler Überleitung von einer peripheren Läsion abzugrenzen. Die Auswertung der ZML oder der morphologischen Analyse der von der Hand- und Armmuskeln abgeleiteten MEP erlaubt jedoch meist keine eindeutige Abgrenzung von kortikalen, subkortikalen oder spinalen Läsionsorten. Da nur ein kleiner Teil der absteigenden motorischen Bahnen der Untersuchung mit der TMS zugänglich ist 7 Kap. 3), schließen Normalbefunde einen pathologischen Prozess nicht aus. Die Sensitivität der TMS lässt sich durch Verwendung der Triple-Stimulationstechnik (TST) steigern (7 Kap. 11). Die Indikation für die TMS bei Verdacht auf eine neurologische Bewegungsstörung wie dem idiopathischen oder atypischen Parkinsonsyndrom, der Chorea Huntington, den Dystonien oder auch der spinozerebellären Ataxien besteht im Wesentlichen im Ausschluss bzw. dem Nachweis einer Beteiligung der schnell leitenden Pyramidenbahnfasern. In der Routinediagnostik lässt sich die TMS nicht zur Diagnosesicherung der eigentlichen Bewegungsstörung nutzen. Bei motorischen Schlaganfällen kann die TMS zur Prognosebeurteilung beitragen (Rapisarda et al. 1996). Hier steht im Gegensatz zu den meisten anderen Indikationen der Nachweis eines erhaltenen MEP und damit die Beurteilung der MEP-Amplitude und weniger die ZML im Vordergrund. Zwar wird die Erholung der zuvor geschädigten absteigenden Bahnen weiterhin als ein wesentlicher Mechanismus der klinischen Besserung nach Schlaganfall angesehen (Hendricks et al. 2003), zusätzlich scheint aber auch die Rekrutierung ipsilateraler Projektionen zur Erholung beizutragen (Caramia et al. 2000).

. Indikationen für die Untersuchung der MEP zu Hand- und Armmuskeln 5 Dokumentation einer akuten oder chronischen Pyramidenbahnschädigung bei klinisch manifester Parese 5 Verlaufsbeobachtung bei chronischen Erkrankungen mit Schädigung des ersten Motoneurons, z. B. multipler Sklerose 5 Diﬀerentialdiagnostische Abgrenzung einer zentralen gegen eine periphere Parese bei klinisch nicht eindeutiger Symptomatik 5 Nachweis (evtl. auch Höhenlokalisation) einer klinisch vermuteten spinalen Läsion 5 Ausschluss oder Nachweis einer Beteiligung des ersten Motoneurons bei neurodegenerativen Systemerkrankungen 5 Ausschlussdiagnostik bei Verdacht auf eine »psychogene« Parese (Konversionsstörung) 5 Beurteilung des radikulären Abschnitts des peripheren Nervensystems

7.2

Durchführung der Untersuchung

Wie bei anderen elektrophysiologischen Untersuchungen ist extrem wichtig, einen standardisierten Untersuchungsgang im Labor zu etablieren. In der Übersicht in 7 Abschn. 7.2 wird die praktische Durchführung der MEP-Aufzeichnung von den distalen Handmuskeln zusammengefasst. Die Darstellung des Untersuchungsgangs bezieht sich auf die Verwendung einer runden Standardspule (7 Kap. 2) mit einem Innendurchmesser von 9 cm und die Verwendung einer monophasischen Pulskonfiguration. Die Ableitung der MEP erfolgt von einem distalen Handmuskel (z. B. dem M. abductor digiti minimi). Die Abfolge der Arbeitsschritte 2‒4 ist nicht fest vorgegeben. Zu beachten ist, dass die kortikale Stimulation von manchen Probanden zwar nicht als schmerzhaft, aber gelegentlich als unangenehm empfunden werden kann. Deshalb kann es sinnvoll sein, die TMS als letzten Arbeitsschritt durchzuführen. Die Besonderheiten bei Verwendung einer achtförmigen Doppelspule und bei der Ableitung von proximalen Muskeln werden im Text besprochen. Die Gesamtdauer für die Untersuchung eines Muskels im Seitenvergleich beträgt bei diesem Vorgehen etwa 20‒30 min.

81

7.2 Durchführung der Untersuchung

. Untersuchungsgang: MEP-Aufzeichnung von intrinsischen Handmuskeln .

.

.

.

Vorbereitung – Platzierung des Patienten (sitzend, ruhende Armposition) – Aufklärung über Untersuchungsmethode und Beantwortung eventueller Fragen – Überprüfung der Sicherheitsaspekte (Anfallsleiden, Metallimplantate, Herzschrittmacher etc.) – Fixierung der Ableitelektroden über dem Bauch und der Sehne des Zielmuskels (Muskelbauch-Sehnenansatz-Technik; engl. bellytendon montage) Bestimmung der peripher-motorischen Leitungszeit (PML) in Muskelruhe – Bestimmung der PML mithilfe der radikulären Magnetstimulation (Rundspule, Spulenwindung tangential zum Verlauf der Nervenwurzel) beginnend bei 50–70% Stimulatorleistung – Alternativ: Bestimmung der PML mithilfe der F-Wellen-Methode (kürzeste von 10 FWellen-Latenzen) Supramaximale distale Nervenstimulation in Muskelruhe – Ableitung eines maximalen peripheren Muskelsummenaktionspotenzials (MSAP) nach supramaximaler elektrischer Nervenstimulation im Bereich der Handwurzel Transkranielle Stimulation des primären motorischen Handareals unter Voraktivierung a) Ableitung vom rechtsseitigen Zielmuskel (Stimulation des linken motorischen Handareals) – Positionierung der Spulenwindungen über dem primären motorischen Handareal. Die Rundspule wird tangential auf den Schädel aufgelegt und der geometrische Mittelpunkt der Spule über dem Vertex zentriert. Die Spule wird so aufgelegt, dass der technische Stromﬂuss in der Spule (von oben betrachtet) entgegen den Uhrzeigersinn läuft. Im Hirngewebe verläuft der induzierte Strom in die entgegengesetzte Richtung – Beginn der TMS mit einer Stimulusintensität von 40–50% der maximalen Stimulatorleistung (ggf. schrittweise Steigerung der Stimulusintensität bis die TMS eine konsistente motorische Antwort im Zielmuskel auslöst.)

Optimierung der Spulenposition bis die TMS eine maximale motorische Antwort im Zielmuskel hervorruft (engl. motor hot spot) – Bestimmung der kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe 7 Kap. 14 – Rechtsseitige Ableitung von 4 (bis 8) MEP nach kortikaler Stimulation mit 120–140% der Schwellenintensität in Ruhe, unter 20%iger tonischer Voraktivierung des Zielmuskels (z. B. rechter M. abductor digiti minimi) b) Ableitung vom linksseitigen Zielmuskel (Stimulation des rechten motorischen Handareals): – Positionierung der Spulenwindungen über dem primären motorischen Handareal. Die Rundspule wird tangential auf den Schädel aufgelegt und der geometrische Mittelpunkt der Spule über dem Vertex zentriert. Die Spule wird so aufgelegt, dass der technische Stromﬂuss in der Spule (von oben betrachtet) im Uhrzeigersinn läuft. Deshalb muss die Rundspule, wenn zuvor die rechten Handmuskeln untersucht wurden, gewendet werden, damit sich die technische Stromrichtung umkehrt – Beginn der TMS mit einer Stimulusintensität von 40–50% der maximalen Stimulatorleistung (ggf. schrittweise Steigerung der Stimulusintensität bis die TMS eine konsistente motorische Antwort im Zielmuskel auslöst.) – Optimierung der Spulenposition bis die TMS eine maximale motorische Antwort im Zielmuskel hervorruft (engl. motor hot spot) – Bestimmung der motorischen Schwelle in Ruhe – Ableitung von 4 (bis 8) MEP nach kortikaler Stimulation bei 1,2- bis 1,4-facher Schwellenintensität linksseitig, unter 20%iger Willkürinnervation des Zielmuskels (z. B. linker M. abductor digiti minimi) Berechnung der zentralen motorischen Leitungszeit (ZML) und des Amplitudenquotienten für den rechten und linken Handmuskel inkl. Seitenvergleich –

.

7

82

1

Kapitel 7 · Motorisch evozierte Potenziale der Arm- und Handmuskeln

7.2.1 Vorbereitung

13

Wie andere Untersuchungsverfahren erfordert die Untersuchung mit der Magnetstimulation die umfassende Aufklärung des Patienten und die Klärung möglicher Kontraindikationen (Anfallsleiden, Metallimplantate, Herzschrittmacher, Schwangerschaft etc.; 7 Kap. 4). Der Proband wird in entspannter Position im Sitzen und bei zunächst ruhendem Zielmuskel untersucht. Die Positionierung der Ableitelektroden ist unabhängig von der Methode zur Bestimmung der PML und richtet sich nach dem üblichen Vorgehen bei der motorischen Neurografie. In der Regel werden Oberflächenelektroden verwendet und über Muskelbauch und Muskelansatz (Muskelbauch-Sehnenansatz-Technik, engl. belly tendon montage) angebracht. Für die kleine Handmuskulatur, z. B. beim M. abductor digiti minimi wird dabei die Kathode (»aktive« Elektrode) auf dem Muskelbauch fixiert, die Anode (»inaktive« Elektrode) auf dem Sehnenansatz am Fingergrundgelenk V. Analog gilt dieses Vorgehen auch für den M. interosseus dorsalis manus I und den M. abductor pollicis brevis. Für den M. biceps brachii oder andere Armmuskeln kann die Elektrodenposition prinzipiell ebenfalls in Muskelbauch-Sehnenansatz-Technik platziert werden. Alternativ kommt eine bipolare Ableitung vom Muskelbauch mit festem Abstand der Elektroden (4‒5 cm) in Betracht. Zur Optimierung der Ableitbedingungen und Verminderung von Artefakten sollte die Haut mit Alkohol entfettet und auf eine sichere Fixierung der Elektroden geachtet werden.

14

7.2.2 Bestimmung der peripher-

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

15 16 17 18 19 20

motorischen Leitungszeit Prinzip. Die wesentliche Zielgröße der Routineuntersuchung ist die Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML), die aus der Gesamtlatenz der MEP und der peripheren Leitungszeit (PML) ermittelt wird (7 Kap. 6). Hierzu stehen im Wesentlichen zwei unterschiedliche Verfahren zur Verfügung, zum einen die magnetische Stimulation spinaler Nervenwurzeln im Neuroforamen und zum anderen die FWellen-Methode (7 Kap. 6). Bestimmung der PML mithilfe der Magnetstimulation über der Halswirbelsäule. Für die Ableitung von

Arm- und Handmuskeln können zervikale Wurzeln über ihrem Austrittsort mit der Magnetspule oder

transkutan mit elektrischer Hochvoltstimulation gereizt werden. Die elektrische Stimulation setzt besondere technische Ausrüstung voraus und ist außerdem schmerzhaft. Wir verwenden daher in der Routinediagnostik nur die foraminale magnetische Stimulation. Optimale Stimulationsbedingungen werden erreicht, wenn die Spule in Höhe der relevanten spinalen Segmente positioniert wird und der Spulenstrom, von dorsal gesehen, bei Ableitung vom linken Arm im Uhrzeigersinn und bei Ableitung vom rechten Arm entgegen dem Uhrzeigersinn fließt (. Abb. 7.1; Date et al. 1991). Der Ort der Stimulation wird bei zervikalen Wurzeln im Bereich des Foramen intervertebrale angenommen, da sich hier die elektrischen Feldlinien konzentrieren (7 Kap. 6). In die Latenzbestimmung geht deshalb bei Magnetstimulation über der Halswirbelsäule die Leitungszeit vom Soma des peripheren Motoneurons bis zum Neuroforamen (proximale, intradurale Leitungszeit) nicht ein. Praktische Durchführung. Der Proband wird im Sit-

zen untersucht. Während der Magnetstimulation über der Halswirbelsäule ist der Zielmuskel völlig entspannt. Die Spule wird über der Mittellinie oder 1‒2 cm lateral davon positioniert, damit der stimulierende Anteil des Spulenrings über der betreffenden Wurzel zu liegen kommt. Die Spule wird so orientiert, dass der Stromfluss in dem über der Nervenwurzel/Spinalnerv liegende Spulenanteil (technischer Stromfluss) zum Zielmuskel zeigt. Stimuliert wird in diesem Fall mit dem unteren bis lateralen Abschnitt des Spulenrings. Die optimale Positionierung der Spule für die Stimulation spinaler Wurzeln für den M. abductor pollicis brevis, den M. abductor digiti minimi und den M. biceps brachii illustriert . Abb. 7.1. Bei der Wurzelstimulation wird die längste PML gewertet (Abstand zwischen Stimulation und erster negativer Deflektion des abgeleiteten Potenzials). ! Wichtig ist, dass die foraminale Neurostimulation mit minimaler Stimulusintensität durchgeführt wird. Die durch die foraminale Magnetstimulation ausgelösten MEP-Amplituden sollten also möglichst klein sein. Bei Verwendung zu hoher Stimulusintensitäten verschiebt sich der Stimulationspunkt vom Neuroforamen weiter nach distal. Bestimmung der PML mit der F-Wellen-Methode. Bei

der F-Wellen-Methode wird die PML mithilfe der Latenzen der rekurrenten Aktivierung des Zielmuskels durch retrograde Stimulation des Motoneurons abge-

7.2 Durchführung der Untersuchung

a

b

. Abb. .a,b. Darstellung der optimalen Spulenposition für die Bestimmung der PML mithilfe der foraminalen magnetischen Neurostimulation. a Spulenposition für die Aktivierung der rechtsseitigen Nervenwurzel C8 bei Ableitung vom M. abductor pollicis brevis oder dem M. abductor digiti minimi. b Spulenposition bei Ableitung vom M. biceps brachii. Die Pfeilrichtungen geben den technischen Stromﬂuss in der Spule an. Im Gewebe verläuft der induzierte Strom in die entgegengesetzte Richtung. HWK Halswirbelkörper; BWK Brustwirbelkörper

schätzt (. Abb. 7.2). Verwertet wird die kürzeste Latenz von 10 F-Wellen. Die genaue Berechnung der PML mithilfe der F-Wellen-Methode wird ausführlich 7 Kap. 6 dargestellt. Bei der F-Wellen-Methode geht die intradurale proximale Leitungszeit mit in die Latenzbestimmung ein. Daher sind die mit der FWellen-Methode bestimmten PML zu den Arm- und Handmuskeln etwa 0,5‒3 ms länger als bei magnetischer Stimulation über der Halswirbelsäule (Britton et al. 1990; Ghezzi et al. 1991). Praktische Durchführung. Die Untersuchung wird beim sitzenden Probanden und ruhendem Zielmuskel durchgeführt. Die Platzierung der Ableitelektroden entspricht der bei foraminaler Magnetstimulation. Die Stimulation erfolgt elektrisch am Handgelenk mit proximal positionierter Kathode. Für den M. interosseus dorsalis manus I und den M. abductor digiti minimi

83

7

wird der N. ulnaris supramaximal gereizt, für die Ableitung vom M. abductor pollicis brevis der N. medianus. Das EMG-System wird so vorbereitet, dass sowohl die M-Antwort als auch die F-Welle aufgezeichnet werden können. Moderne EMG-Geräte erlauben die Darstellung mit unterschiedlicher Verstärkung, da die FWelle eine sehr viel niedrigere Amplitude aufweist. Da F-Wellen inkonstant ausgelöst werden, ist die Ableitung von mind. 10-, bei manchen Probanden von 20 FWellen notwendig. Die elektrische Stimulation sollte in Abständen von mindestens 2‒5 s erfolgen, um die optimale rekurrente Erregung zu gewährleisten. Bewertet wird die kürzeste F-Wellen-Latenz. Hinsichtlich der Zuverlässigkeit der beiden Methoden zur Bestimmung der PML und auch der Unannehmlichkeiten für den Patienten bestehen zwischen der F-Wellen-Methode und der direkten spinalen zervikalen Stimulation keine großen Unterschiede (Samii et al. 1998). Die F-Wellen-Methode weist eine etwas höhere Genauigkeit auf, da die spinale Stimulation die PML systematisch um die Zeitdauer der intraduralen Leitung unterschätzt. Allerdings liegt die Fehlermarge bei der Untersuchung von Arm- und Handmuskeln lediglich bei etwa 0,5–1,4 ms. Die ZML wird bei foraminaler Magnetstimulation über der Halswirbelsäule durch Verrechnung der Gesamtlatenz mit der PML (Gesamtlatenz – PML) bestimmt (7 Kap. 6). Bei der F-Wellen-Methode errechnet sich die ZML durch Subtraktion der PML (ms) = [(F-Latenz+M-Latenz‒ 1)/2] von der Gesamtlatenz (7 Kap. 6). In unserem Labor wird in der Regel die F-Wellen-Methode eingesetzt. Publizierte Normwerte für mit spinaler Stimulation und F-Wellen-Methode errechneten PML sind in . Tab. 7.1 zusammengestellt. Diese dienen zur Orientierung, können aber die Erstellung eigener Normwerte für beide Methoden nicht ersetzen. Die Untersuchung der peripheren motorischen Überleitung wird vervollständigt durch eine supramaximale distale Nervenstimulation in Muskelruhe (Kathode distal, Anode proximal). Es wird ein maximales peripheres Muskelsummenaktionspotenzial (MSAP) vom Zielmuskel abgeleitet. Dieses wird benötigt, um den Amplitudenquotienten (Amplitude des transkraniell ausgelösten MEP/Amplitude des durch supramaximale elektrische Nervenstimulation ausgelösten MEP) zu berechnen.

84

Kapitel 7 · Motorisch evozierte Potenziale der Arm- und Handmuskeln

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

. Abb. .. Schematische Darstellung der F-Wellen-Methode zur Bestimmung der PML. Die Gesamtlatenz der transkraniell ausgelösten Muskelantwort beinhaltet den zentralen und peripheren Leitungsabschnitt. Bei der Untersuchung der F-Welle wird der den Zielmuskel versorgende Nerv am Handgelenk supramaximal gereizt (Kathode proximal, Anode distal). Die Erregung propagiert sowohl orthograd in Richtung des Muskels und löst mit kurzer Latenz eine M-Antwort aus. Gleichzeitig erfolgt eine retrograde Aktivierung des Nervs bis zum spinalen Motoneuronenpool. Dort werden einzeln Motoneurone durch den eingehenden Volley depolarisiert und

lösen eine erneute orthograde Erregung desselben Nervs aus. Mit deutlich längerer Latenz durch die Summation der retrograden und anterograden Erregung kommt nach der direkten Muskelantwort die F-Welle zustande. Die PML setzt sich zusammen aus Dauer der retrograden Erregung, Dauer der orthograden Erregung bis zur F-Welle und der Latenz zur MAntwort. Zur Ermittlung der PML wird die Summe halbiert. Für die Verzögerung im spinalen Motoneuronenpool wird 1 ms abgezogen (7 Kap. 6). PML periphere motorische Leitungszeit; ZML zentralmotorische Leitungszeit

13 14

. Tab. .. Publizierte Normwerte für die motorischen Leitungszeiten der Arm- und Handmuskeln Zielmuskel

Methode

KML

PML

ZML

Autor

M. interosseus dorsalis I

Zervikale TMS Zervikale TMS F-Welle

20,6–21,2±1,8*

14,0–14,9±1,4* 13,2±1,5 14,5±1,4

5,8– 6,5±1,1*

Kloten 1992 Britton 1990 Britton 1990

M. abductor digiti minimi

Zervikale TMS Zervikale TMS Zervikale TMS F-Welle

18,8±1,2 (w) 19,7±1,0 (m)

11,8±1,0 12,7±1,1 14,0±1,5

7,0±0,8 7,1±1,1 6,0±0,9 5,8±0,8

Chu 1989 Chu 1989 Claus 1990 Claus 1990

18

M. abductor pollicis brevis

21,8±1,8 21,4±1,5 20,2±1,6

14,4±1,4 14,8±1,2

19

Zervikale TMS Zervikale TMS Zervikale TMS

7,2±1,8 6,6±1,4 7,9±2,1

Tabaraud 1989 Ludolph 1989 Eisen 1990

M. biceps brachii

Zervikale TMS Zervikale TMS

10,8–11,4±1,3* 9,4±1,7

6,3–6,8±1,1*

4,5– 4,6±1,0* 6,0±1,2

Kloten 1992 Eisen 1990

15 16 17

20

KML Kortikomuskuläre Latenz; PML Periphere motorische Leitungszeit; ZML zentralmotorische Leitungszeit *ansteigend mit zunehmendem Alter, Altersgruppe zwischen 19 und <60 Jahre, jeweils größte Standardabweichung (SD). Seitendiﬀerenzen nicht signiﬁkant; alle Angaben mit einfacher SD; w Frauen; m Männer.

7.2 Durchführung der Untersuchung

7.2.3 Transkranielle Stimulation des

primären motorischen Handareals Lokalisation des optimalen Reizortes Die Untersuchung beginnt mit einer orientierenden Spulenpositionierung. Als Ausgangspunkt können bei der Ableitung von den Handmuskeln die Spulen so positioniert werden, dass der stimulierende Spulenteil sich ungefähr über dem primären motorischen Handareal befindet. Die ungefähre Position des Handareals ist 4‒5 cm lateral und 1‒2 cm anterior vom Vertex. Wird die Standardrundspule verwendet, wird daher das geometrische Spulenzentrum über dem Vertex platziert (. Abb. 7.3). Wird eine fokale Achterspule verwendet wird das Spulenzentrum über dem jeweiligen Handareal kontralateral zum Zielmuskel positioniert (ca. 4‒5 cm lateral und 1‒2 cm anterior vom Vertex). Die Spulenorientierung und damit die Ausrichtung des induzierten Gewebsstroms in Relation zum motorischen Kortex beeinflusst die Amplitude und Latenz des MEP (7 Kap. 3 und 5). Für die elektrophysiologische Routinediagnostik sollte die technische

a

b

85

7

Stromrichtung in dem, über dem Handareal liegenden,

Spulenteil von vorne nach hinten (posterior-anterior) verlaufen. Für die Stimulation des linken motorischen Handareals (Ableitung vom rechten Arm) mit der runden Stimulationsspule gilt, dass der technische Stromfluss in der Spule von oben betrachtet gegen den Uhrzeigersinn orientiert ist (. Abb. 7.3a). Die Stimulation des rechten motorischen Handareals (Ableitung vom linken Arm) erfordert dagegen eine umgekehrte Stromrichtung (technische Stromrichtung in der Spule im Uhrzeigersinn). Deshalb muss bei Verwendung einer Rundspule für die transkranielle Stimulation des linken oder rechten Handareals die Spule um 180° gewendet werden, um die technische Stromrichtung zu invertieren. Dies ist bei Verwendung einer Achterspule nicht erforderlich. Hier zeigt der Spulengriff immer nach postero-lateral (im ~45°-Winkel zur Sagittallinie) falls die technische Stromrichtung im Spulenzentrum zum Spulengriff zeigt (. Abb. 7.3b). Nach der orientierenden Spulenpositionierung wird zunächst mit einer Intensität von 50 der maximalen Stimulatorleistung stimuliert. Sollte diese Stimulusintensität nicht ausreichen, um im Handmuskel ein MEP zu evozieren, wird die Stimulusintensität schrittweise erhöht. Sobald ein MEP konsistent auslösbar ist, wird die Spule leicht in alle Richtungen verschoben, bis die TMS eine maximale motorische Antwort im Zielmuskel hervorruft (engl. motor hot spot). Dieser optimale Stimulationsort wird dann für die weitere Untersuchung beibehalten. Es empfiehlt sich eine Markierung der Spulenposition auf der Kopfhaut, z. B. mit einem Fettstift.

Bestimmung der kortikalen Reizschwelle

. Abb. .a,b. Schematische Darstellung der Spulenposition bei Verwendung a der runden Standardspule zur transkraniellen Stimulation des linken primären motorischen Handareals oder b der achterförmigen Stimulationsspule zur transkraniellen Stimulation des rechten primären motorischen Handareals. Pfeilrichtungen zeigen den technischen Stromﬂuss in der Spule an. Dargestellt ist beispielhaft die Aktivierung des linksseitigen Handareals (entspricht in etwa der Elektrodenposition C3) mit der Rundspule und die des rechtsseitigen Handareals (entspricht in etwa der Elektrodenposition C4) mit der achterförmigen Stimulationsspule. Als Ausgangspunkt können bei der Ableitung von Handmuskeln die Spulen so positioniert werden, dass der stimulierende Spulenteil sich über dem motorischen Kortex, etwa 4–5 cm lateral beﬁndet. Sollen proximal gelegene Muskeln abgeleitet werden, ist eine weiter median gelegene Spulenposition erforderlich. Elektrodenbezeichnungen entsprechend internationalem 10–20-System

Orientierend kann durch stufenweise Reduktion der Stimulusintensität (in 5 Schritten der maximalen Ausgangsleistung des Stimulators) bei Stimulation an optimaler Position die kortikale motorische Reizschwelle bestimmt werden (7 Kap. 14). In der Routinediagnostik hat sich bewährt, diejenige Stimulationsintensität als motorische Reizschwelle anzunehmen, die bei 3 von 5 Stimulationsversuchen an optimaler Lokalisation ein MEP mit einer Amplitude von mehr als 50 µV (Spitze zu Spitze) evoziert. Die motorische Schwelle wird in der Routinediagnostik in der Regel nicht eigenständig bewertet. Dieser Kennwert zeigt aber sehr empfindlich an, inwieweit Geräteeigenschaften und Stimulationsparameter (Spulenform, Pulsform, Stimulationsort, Bahnung durch Willküraktivität) die Effizienz der TMS des motorischen Kortex beeinflussen.

86

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 7 · Motorisch evozierte Potenziale der Arm- und Handmuskeln

Ableitung der transkraniell ausgelösten MEP von der kontralateralen Hand Die Ableitung der MEP erfolgt wie bei anderen Anwendungen der Magnetstimulation meist mit bipolaren Oberflächenelektroden und einem Standard-Elektromyografie-System (EMG). EMG-System und damit die Potenzialaufzeichnung werden durch den Magnetstimulator getriggert. Bei der Untersuchung proximaler Muskeln kann sich zur Vermeidung von Stimulationsartefakten die Ableitung mit konzentrischen Nadelelektroden anbieten. Bei der Ableitung mit konzentrischen Nadelelektroden sind die Messungen der kortikomotorischen Latenz wegen der Registrierung aus unterschiedlich großen motorischen Einheiten sehr variabel und lassen im Gegensatz zu einer Ableitung mit Oberflächenelektroden keine Bewertung der Amplituden zu. Einﬂuss der Willküraktivität des Zielmuskels (Fazilitation). Während die optimale Spulenpositionierung

und –orientierung auch bei ruhendem Zielmuskel durchgeführt werden kann, sollte die für die Auswertung bestimmte Ableitung unter willkürlicher Kontraktion des Zielmuskels erfolgen. Die Fazilitation beeinflusst nicht nur Amplitude des MEP, sondern auch dessen Latenz (Ellaway et al. 1998; Kiers et al. 1993; Mills et al. 1987). Durch tonische Willküraktivität des Zielmuskels vergrößert sich die MEP-Amplitude und verkürzt sich die MEP-Latenz bei Ableitung von Handmuskeln um etwa 2‒3 ms. Für die Fazilitation ist keine kräftige tonische Willküraktivität des Zielmuskels erforderlich. Maximale MEP-Amplituden und minimale MEP-Latenzen werden bereits bei 10 der maximalen Willküraktivität des Zielmuskels erreicht (Mills et al. 1987; Ravnborg et al. 1991). Bei Paresen des Zielmuskels kann auch analog zum Jendrassik-Handgriff durch willkürliche Aktivierung anderer Muskeln (z. B. Bein- oder Kaumuskeln) eine Fazilitation erzielt werden. Fazilitation oder Suppression können auch durch nichtneurologische Erkrankungen, wie z. B. Schmerzen in benachbarten Gelenken oder nichtmotorische Störungen wie periphere oder zentrale Läsionen des sensiblen Systems, hervorgerufen werden. MEP-Amplitude. Aufgrund einer Dispersion der Er-

regungsausbreitung vom Kortex zum Muskel, kommt es zu Phasenauslöschungsphänomenen (7 Kap. 5). Die Phasenauslöschung erklärt, warum die transkraniell ausgelösten MEP eine geringere Amplitude, als die mittels peripherer supramaximaler Nervenstimulation ausgelösten MSAP haben. Ein weiteres Charakteristikum der MEP sind erhebliche intraindividuelle Schwankungen der Amplitude und Latenz der MEP bei wiederholter Ableitung (7 Kap. 5). Die Variabilität

der MEP ist insbesondere in Muskelruhe besonders stark ausgeprägt (Ellaway et al. 1998; Graham Brown u. Sherrington 1912). Die erheblichen intraindividuellen Schwankungen der Amplituden aufeinander folgender MEP-Ableitungen erklären sich durch spontane Fluktuationen der kortikalen und spinalen neuronalen Erregbarkeit. Eine Verminderung der Variabilität von MEP-Latenzen und Amplituden lässt sich erreichen durch eine Erhöhung der Stimulationsintensität, eine Vergrößerung des Stimulationsfeldes (Spulengröße) und durch tonische Voraktivierung des Zielmuskels (Bahnung bzw. Fazilitation). MEP-Aufzeichnung. Aufgrund der Variabilität der transkraniell evozierten motorischen Antworten werden in der Routinediagnostik mindestens 4 aufeinander folgende MEP pro Zielmuskel unter leichter tonischer Voraktivierung aufgezeichnet. Die kürzeste Latenz und die größte Amplitude werden dann für die Befundbeurteilung zugrunde gelegt. Für die Ableitung der MEP von Hand- und Armmuskeln werden als Stimulusintensität 120‒140 der individuellen kortikalen motorischen Ruheschwelle verwendet. Sehr hohe Reizstärken sind für den Probanden unangenehmer und können außerdem bei manchen Personen zu einer direkten Aktivierung von Axonen der Pyramidenzellen führen und so das Ergebnis verfälschen. Zwischen den einzelnen TMS-Pulsen sollte ein Intervall von 5‒ 10 s verstreichen, um eine möglichst vollständige Erholung der kortikalen Erregbarkeit zu ermöglichen. MEP-Beurteilung. Die ZML ist der primäre elektrophysiologische Kennwert zur Charakterisierung der zentralen kortikospinalen motorischen Überleitung (7 Kap. 6). Publizierte Normwerte für mit spinaler Stimulation und F-Wellen-Methode errechneten KML, PML und ZML sind in . Tab. 7.1 zusammengestellt. Diese dienen der Orientierung, können aber die Erstellung eigener Normwerte für beide Methoden nicht ersetzen. Aufgrund der großen inter- und intraindividuellen Variabilität wird die MEP-Amplitude meist nur als Nebenkriterium bei der Bewertung der MEP herangezogen. Die diagnostische Aussagekraft der MEP-Amplitude kann durch Verwendung der Triple-Stimulationstechnik (engl. triple stimulation technique, TST) wesentlich verbessert werden. Dieses ableitungstechnisch aufwendigere Verfahren wird ausführlich in 7 Kap. 11 beschrieben. Die Amplitude des MEP sollte immer als Prozent des maximalen, peripher auslösbaren MSAP angegeben werden. Hilfreich ist bei der Beurteilung ein Seitenvergleich. So gilt eine Seitendifferenz der MEP-Amplitude von mehr als 50 als pathologisch (. Abb. 7.4).

87

7.3 Probleme bei der Untersuchung

7

Fallbeispiel a

b

c

. Abb. .a–c. Fallbeispiel. Transkraniell mit der Standardrundspule über dem motorischen Handareal ausgelöste Potenziale bei einem Gesunden (b) und einem Patienten mit einer akuten linksseitigen Armparese bei multipler Sklerose (c). In der (a) Spalte ist die dazugehörige transkranielle Spulenposition dargestellt. Im oberen Bildteil sind die Ableitungen vom

rechten M. abductor digiti minimi V und im unteren Bildteil vom linken M. abductor digiti minimi V dargestellt. Die Ableitung beim Patienten zeigt eine Amplitudenreduktion im Seitenvergleich und eine linksseitige Verzögerung der kortikomotorischen Latenz

Alter und insbesondere das Geschlecht haben eher geringe Auswirkungen auf MEP. Zwar scheint die motorische Schwelle mit dem Alter anzusteigen, bei ausreichender Stimulationsintensität zeigen gesunde ältere Probanden aber keine Unterschiede bez. ZML im Vergleich zu jüngeren Gesunden (Pitcher et al. 2003; Rossini et al. 1992). Die Amplituden der MEP nehmen mit zunehmendem Alter ab. Als Hinweis auf geschlechtsspezifische Unterschiede wurde bei weiblichen Probanden eine erhöhte Variabilität der MEP berichtet (Pitcher et al. 2003; Rossini et al. 1992).

Die Untersuchung des M. biceps brachii ist technisch insofern schwieriger, als der kurze Abstand zwischen Reizort und Ableitung sowie die im Vergleich zu distalen Muskeln höhere motorische Schwelle ein größeres Risiko von Artefakten birgt. Bei den Schulter- und Oberarmmuskeln ist auch der Beitrag einer Volumenleitung zu berücksichtigen, da benachbarte Muskeln über einen »cross talk« zum lokal gemessenen MEP beitragen. Die F-Wellen-Methode zur PML-Bestimmung eignet sich bei der Ableitung von proximalen Muskeln nicht. Die zusätzliche Untersuchung anderer Muskeln, wie z. B. der Handflexoren oder -extensoren, ist zwar prinzipiell möglich, bietet in der Routinediagnostik allerdings keinen weiteren Vorteil. In der Regel ist die Ableitung mit Oberflächenelektroden sehr schwierig, da sich die Aktivität mehrerer Unterarmmuskeln nach der Stimulation überlagert und so keine klaren Ableitbedingungen herrschen.

Auswahl des Zielmuskels. Die Auswahl des Zielmus-

kels richtet sich nach der klinischen Fragestellung. In Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik kann zwischen N. medianus und N. ulnaris versorgten Muskeln ausgewählt werden. Beeinflusst wird die Entscheidung auch durch eventuell vorliegende periphere Begleiterkrankungen (Karpaltunnelsyndrom, Sulcusulnaris-Syndrom). Allerdings sind nur bei schweren peripheren Läsionen Schwierigkeiten bei der Bestimmung der ZML zu erwarten. Es ist prinzipiell zu empfehlen, dass laborspezifisch ein distaler Handmuskel als Standard ausgewählt und die Untersuchung der anderen Muskeln des Arms nur in Einzelfällen durchgeführt wird. Dies fördert die Standardisierung des Untersuchungsablaufs und erlaubt es, schneller eine ausreichende Datenbank für die Erstellung der laboreigenen Normwerte zu erstellen.

7.3

Probleme bei der Untersuchung

Manchmal lässt sich bei sonst Gesunden auch bei maximaler Stimulationsintensität kein sicheres MEP ableiten. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass es aufgrund eines zu großen Abstands zwischen dem motorischen Kortex und der Spule selbst mit 100iger Stimulatorausgangsleistung nicht gelingt

88

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 7 · Motorisch evozierte Potenziale der Arm- und Handmuskeln

eine überschwellige Stimulationsintensität zu erreichen. Umgekehrt ist auch möglich, dass z. B. bei degenerativen Systemerkrankungen normale MEP abgeleitet werden, obwohl die klinische Untersuchung eine Schädigung des ersten Motoneurons vermuten lässt. Zu erklären ist eine derartige Konstellation durch den Umstand, dass die transkranielle Magnetstimulation ganz überwiegend die schnell leitenden kortikospinalen Neurone stimuliert, die lediglich etwa 5‒10 der absteigenden, kortikospinalen Bahnen ausmachen. Eine z. T. erhebliche Degeneration langsam leitender kortikospinaler Neurone ist also möglich, ohne dass die ZML beeinträchtigt ist. Bei schweren Erkrankungen des peripheren Nervensystems, wie z. B. ausgeprägten Polyneuropathien, kann unter Umständen nicht mehr vom sonst zuverlässigen distalen Zielmuskel abgeleitet werden. In diesem Fall sollte auf den nächstgelegenen proximalen Unter- oder ggf. Oberarmmuskel ausgewichen werden. Die PML kann dann meist mit der F-WellenMethode nicht mehr ermittelt werden, so dass hier nur die direkte Stimulation der zugehörigen zervikalen Wurzeln in Betracht kommt.

Literatur 1Britton TC, Meyer BU, Herdmann J, Benecke R (1990). Clinical use of the magnetic stimulator in the investigation of peripheral conduction time. Muscle Nerve 13: 396–406 Einführende Arbeit, die die grundsätzlichen Eigenschaften magnetisch evozierter Potenziale des peripheren und zentralen Nervensystems sowie der Methoden für die Bestimmung der zentralen Leitungszeit beschreibt. Caramia MD, Palmieri MG, Giacomini P et al. (2000) Ipsilateral activation of the unaﬀected motor cortex in patients with hemiparetic stroke. Clin Neurophysiol111: 1990–1996 Chu NS (1989) Motor evoked potentials with magnetic stimulation: correlations with height. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 74: 481–485 Claus D (1990) Central motor conduction: method and normal results. Muscle Nerve 13: 1125–1132 Date M, Schmid UD, Hess CW, Schmid J (1991) Inﬂuence of peripheral nerve stimulation on the responses in small hand muscles to transcranial magnetic cortex stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 43: 212–223 2Eisen AA, Shtybel W (1990) AAEM minimonograph #35: Clinical experience with transcranial magnetic stimulation. Muscle Nerve 13: 995–1011 Untersuchung der MEP von zwei Armmuskeln und einem Beinmuskel bei einer größeren Anzahl gesunder Probanden und Patienten mit unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen. Die Arbeit beschreibt Eﬀekte des Alters sowie häuﬁger neurologischer Erkrankungen wie der multiplen Sklerose und der amyotrophen Lateralsklerose.

Ellaway PH, Davey NJ, Maskill DW et al. (1998) Variability in the amplitude of skeletal muscle responses to magnetic stimulation of the motor cortex in man. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 109: 104–113 Ghezzi A, Callea L, Zaﬀaroni M et al. (1991) Study of central and peripheral motor conduction in normal subjects. Acta Neurol Scand 84: 503–506 Graham Brown T, Sherrington CS (1912) On the instability of a cortical point. Proc R Soc Lond B Biol Sci 85: 250–277 Hendricks HT, Pasman JW, Merx JL et al. (2003) Analysis of recovery processes after stroke by means of transcranial magnetic stimulation. J Clin Neurophysiol 20: 188–195 Kiers L, Cros D, Chiappa KH, Fang J (1993) Variability of motor potentials evoked by transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 89: 415–423 Kloten H, Meyer BU, Britton TC, Benecke R (1992) Normal values and age-related changes in magneto-electric evoked compound muscle potentials. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 23: 29–36 Ludolph AC, Wenning G, Masur H et al. (1989) Electromagnetic stimulation of the nervous system. I. Normal values in the central nervous system and a comparison with electric stimulation. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 20: 153–158 Mills KR, Murray NM, Hess CW (1987) Magnetic and electrical transcranial brain stimulation: physiological mechanisms and clinical applications. Neurosurgery 20: 164–168 Pitcher JB, Ogston KM, Miles TS (2003) Age and sex diﬀerences in human motor cortex input-output characteristics. J Physiol 546: 605–613 Rapisarda G, Bastings E, de Noordhout AM et al. (1996) Can motor recovery in stroke patients be predicted by early transcranial magnetic stimulation? Stroke 27: 2191–2196 Ravnborg M, Blinkenberg M, Dahl K (1991) Standardization of facilitation of compound muscle action potentials evoked by magnetic stimulation of the cortex. Results in healthy volunteers and in patients with multiple sclerosis. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 195–201 Rossini PM, Desiato MT, Caramia MD (1992) Age-related changes of motor evoked potentials in healthy humans: non-invasive evaluation of central and peripheral motor tracts excitability and conductivity. Brain Res 593: 14–19 1Samii A, Luciano CA, Dambrosia JM, Hallett M (1998) Central motor conduction time: reproducibility and discomfort of diﬀerent methods. Muscle Nerve 21: 1445–1450 Spezialarbeit, die die Unterschiede zwischen der F-Wellenmethode und der spinalen Neurostimulation bei der Bestimmung der peripheren Leitungszeiten detailliert darstellt. Tabaraud F, Hugon J, Salle JY et al. (1989) Study of central motor pathways using cortical magnetic stimulation and spinal electrical stimulation: results in 20 normal subjects. Rev Neurol (Paris) 145: 690–695

89

8

Motorisch evozierte Potenziale der Bein- und Fußmuskeln Detlef Claus

8.1

8.1.1 8.1.2 8.1.3

8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3

Transkranielle Stimulation des primären motorischen Beinareals – 90

8.3 8.4

Normwerte – 95

Aufﬁnden des optimalen transkraniellen Reizortes – 90 Bestimmung der erforderlichen transkraniellen Reizstärke – 92 Vorinnervation des Zielmuskels – 92

8.4.1

Distale periphere Stimulation mit der F-Wellen-Methode – 95 Proximale Magnetstimulation der lumbalen Nervenwurzeln – 96 Proximale elektrische Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln – 96

Radikuläre und distale Stimulation des unteren Motoneurons – 92 F-Wellen-Methode – 93 Transkutane Magnetstimulation der lumbalen Nervenwurzeln – 93 Transkutane elektrische Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln – 93

8.4.2 8.4.3

Ableittechnik – 94

8.5

Fallbeispiel – 97

Literatur

– 97

ZUM THEMA Die Untersuchung der kortikomuskulären Überleitung zu den unteren Extremitäten ist diagnostisch besonders wertvoll, weil die gesamte spinale Leitungsstrecke erfasst wird. Die radikuläre lumbale Stimulation ist komplexer als die zervikale Stimulation, denn die Strecke zwischen dem Wurzelaustritt aus dem Rückenmark und dem Verlassen des Spinalkanals durch die Foramina intervertebralia ist relativ lang. Mit der F-Wellen-Methode kann die kortikospinale Leitungszeit ziemlich genau bestimmt werden. Mit der lumbalen Magnetstimulation werden die spinalen

Wurzeln in den Foramina intervertebralia erregt. Die Leitungszeit in der Cauda equina wird deshalb fälschlicherweise der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) zugerechnet. Mit der lumbalen elektrischen Hochvoltstimulation wird nur der proximale Abschnitt der Cauda equina zu der ZML hinzugerechnet. Diese Besonderheiten müssen vor allem bei intraspinalen lumbalen Prozessen (z. B. bei einem Caudasyndrom) und proximalen peripheren Leitungsstörungen (z. B. bei demyelinisierender Polyradikuloneuropathie) beachtet werden.

1 2 3 4 5 6

90

Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale der Bein- und Fußmuskeln

8.1

Transkranielle Stimulation des primären motorischen Beinareals

Die allgemeinen Untersuchungsschritte der diagnostischen Magnetstimulation werden in den vorangehenden Kapiteln ausführlich beschrieben (7 Kap. 5 und 6) und gelten auch für die Magnetstimulation der kortikospinalen Bahnen zu den Beinmuskeln. Dieses Kapitel behandelt die spezifischen Aspekte, welche die Untersuchung der kortikomotorischen Überleitung zu den Beinmuskeln betreffen. Bewährt hat sich in der klinischen Routinediagnostik die Ableitung der evozierten Muskelantworten vom M. tibialis anterior. a

Deshalb wird schwerpunktmäßig auf die Stimulation der kortikomotorischen Bahnen zum M. tibialis anterior eingegangen (. Abb. 8.1).

8.1.1 Auﬃnden des optimalen

transkraniellen Reizortes In der klinischen Routine erfolgt die transkranielle kortikale Stimulation des Beinareals in der Regel mit einer tangential dem Schädel aufliegenden, flachen Rundspule (90 mm Innendurchmesser). In der Regel wird zur transkraniellen Magnetstimulation (TMS) b

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .a,b. Schematische Darstellung der Spulenpositionierung zur transkraniellen und radikulären Stimulation der kortikospinalen Bahnen zum linken (a) oder rechten (b) M. tibialis anterior. Der obere Teil der Abbildung zeigt die Spulenposition für die Doppel- und Rundspule über dem primär motorischen Beinareal (Kreis). Zur Stimulation des rechtshemisphärischen Beinareals verläuft die Stromrichtung in dem Spulenanteil, der dem Beinareal auﬂiegt, von rechts nach links. Zur Stimulation des linkshemisphärischen Beinareals verläuft die Stromrichtung in dem Spulenanteil, der dem Beinareal auﬂiegt, von links nach rechts. Im unteren Teil der Abbildung ist die Spulenpositionierung für die magnetische

Stimulation der lumbalen Nervenwurzel L4 mit der Rundspule dargestellt. Die unteren Spulenwindungen werden über den Lendenwirbelkörpern (LWK) 4–5 platziert und die technische Stromrichtung im unteren Spulenanteil zeigt zum Zielmuskel. Für die bipolare transkutane elektrische Stimulation der proximalen lumbalen Nervenwurzeln wird die Kathode in der Mittellinie zwischen dem Brustwirbelkörper (BWK) 12 und LWK 1 und die Anode lateral der Wirbelsäule platziert. Die Anode wird kontralateral zum Ableitmuskel angebracht. Ein Mindestabstand von 10 cm muss zwischen Anode und Kathode eingehalten werden

8.1 Transkranielle Stimulation des primären motorischen Beinareals

des Beinareals eine monophasische Reizkonfiguration gewählt. Bei der Stimulation mit der Rundspule sollte das zu stimulierende Kortexareal immer unter den Spulenwindungen und nicht im Spulenzentrum liegen. Im Vergleich zur Stimulation des primärmotorischen Handareals wird die Rundspule zur Stimulation der kortikalen Repräsentationsgebiete der Beinmuskeln etwas weiter nach rostral verschoben (. Abb. 8.1). Zunächst wird das Zentrum der Rundspule ungefähr über der Elektrodenposition Fz nach dem internationalen 10‒20-System zur EEG-Elektrodenplatzierung positioniert (Claus et al. 1989a). In dieser Position liegt das Spulenzentrum ca. 5‒6 cm vor dem Vertex und die Spulenwindungen des posterioren Spulenanteils kommen ca. 1‒2 cm hinter dem Vertex über dem primärmotorischen Beinareal zu liegen. Diese Spulenposition dient lediglich zur initialen Orientierung; der optimale Reizort muss jeweils individuell bestimmt werden. Hierzu wird die Spule in 0,5 cm Schritten in sagittaler (anterior-posterior) und lateraler Richtung verschoben und es werden an jedem Stimulationsort einige überschwellige Einzelreize appliziert. Der optimale Stimulationsort (engl. motor hot spot) entspricht der Spulenposition, an der die Einzelreize eine maximale Muskelantwort im Zielmuskel erzielen. Die Erregung des primär motorischen Beinareals erfolgt durch den Spulenstrom im hinteren Anteil der Rundspule, da hier die Spule dem primär motorischen Beinareal aufliegt (. Abb. 8.1). Der in diesem Spulenanteil fließende Primärstrom induziert über ein Wechselmagnetfeld im primär motorischen Beinareal einen gegenläufigen, senkrecht zum Interhemisphärenspalt fließenden Gewebsstrom. Dieser erregt bei Überschreiten der Reizschwelle die schnell leitenden kortikospinalen Neurone zu den lumbalen Vorderhornzellen. Bei einer technischen Stromrichtung gegen den Uhrzeigersinn (von oben betrachtet), fließt der Primärstrom in den hinteren Windungen der Rundspule, welche über dem primär motorischen Beinareal liegen, von links nach rechts (. Abb. 8.1). Der im Gewebe induzierte Strom hat eine entgegengesetzte Richtung und führt zu einer bevorzugten Erregung des linkshemisphärischen Beinareals. Dagegen führt eine technische Stromrichtung im Uhrzeigersinn (von oben betrachtet) zu einer präferenziellen Erregung des rechten primären motorischen Beinareals. > Bei monophasischer Reizkonﬁguration muss die technische Stromrichtung von oben betrachtet gegen den Uhrzeigersinn ﬂießen, wenn die kortikomuskuläre Überleitung zu den Muskeln des rech-

91

8

ten Beines untersucht wird. Dagegen muss bei der Untersuchung der kortikomuskulären Überleitung zu den Muskeln des linken Beines die technische Stromrichtung von oben betrachtet im Uhrzeigersinn verlaufen.

Daraus folgt, dass für die Erregung des rechts- und linkshemisphärischen Beinareals die Rundspule umgedreht werden muss, um die technische Stromrichtung in der Spule umzukehren. Manche Stimulationsgeräte erlauben es, die technische Stromrichtung in der Spule per Knopfdruck zu invertieren. In diesem Falle erübrigt sich das Umdrehen der Rundspule. Die transkranielle Magnetstimulation des primär motorischen Beinareals kann auch mit einer achterförmigen Doppelspule (Spulendurchmesser pro Halbspule jeweils 70 mm) erfolgen (. Abb. 8.1). Aufgrund der höheren Fokalität der TMS ist eine exakte Positionierung der Spule über dem primär motorischen Beinareal hier besonders kritisch. Initial wird die Doppelspule so positioniert, dass das Spulenzentrum 1‒2 cm hinter dem Vertex tangential der Kopfhaut anliegt. Die Spule muss so lange verschoben werden, bis eine maximale Muskelantwort im Zielmuskel ausgelöst wird. Häufig ist es günstig die Spule von der Mittellinie um ca. 1,5 cm nach kontralateral (bezogen auf den Zielmuskel) zu verschieben. In Analogie zur TMS mit der Rundspule wird das primär motorische Beinareal besonders effektiv erregt, wenn der Strom in der Spule und somit auch der im Gewebe induzierte Strom senkrecht zum Interhemisphärenspalt, also in lateraler Richtung, verläuft. Praktisch bedeutet dies, dass der Spulengriff immer nach lateral zum Ohr hin zeigen muss, um eine laterale Stromrichtung im Spulenzentrum und im stimulierten Beinareal hervorzurufen. In Analogie zur TMS mit der Rundspule muss der Primärstrom in der Spule für eine optimale Stimulation des linken primär motorischen Beinareals von links nach rechts (von oben betrachtet) fließen. Zur Untersuchung der kortikomuskulären Überleitung zu den Muskeln des rechten Beines zeigt daher der Griff der Standarddoppelspule zum rechten Ohr, wenn ein Magstim-200Stimulator verwendet wird. Dagegen muss der Spulengriff zum linken Ohr zeigen, wenn die kortikomuskuläre Überleitung zum linken Bein untersucht werden soll. Für die Stimulation des primär motorischen Beinareals wird insbesondere bei hohen motorischen Reizschwellen eine in der Spulenebene angewinkelte Doppelspule (engl. double cone coil) verwendet, da diese im Vergleich zur »flachen« Standarddoppelspule eine bessere Tiefenwirkung hat. Die Spulenorientie-

92

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale der Bein- und Fußmuskeln

rung entspricht der Orientierung der konventionellen, flachen Doppelspule. Allerdings lässt sich die gewinkelte Doppelspule aufgrund der deutlichen Kippung in der Spulenebene meist besser über dem Beinareal positionieren, wenn die beiden Spulenrundungen jeweils über der linken und rechten Großhirnhemisphäre platziert werden. In diesem Fall sollte die Spule so über dem primär motorischen Beinareal positioniert werden, dass der Primärstrom in den mittleren Spulenwindungen von vorne nach hinten verläuft.

8.1.2 Bestimmung der erforderlichen

transkraniellen Reizstärke Die erforderliche Stimulationsintensität wird an die kortikale Reizschwelle angepasst, die große interindividuelle Unterschiede aufweist. Die kortikale motorische Reizschwelle wird sowohl für das linke und rechte primär motorische Beinareal ermittelt. Zur Bestimmung der kortikalen Reizschwelle wird die Rundspule am optimalen Reizort positioniert und die Stimulusintensität schrittweise erhöht, bis im entspannten Zielmuskel eine motorische Antwort ausgelöst wird. Zunächst wird die Stimulusintensität in 5-Schritten, bezogen auf die maximale Ausgangsleistung des Stimulators, gesteigert. In Schwellennähe wird dann die Intensität nur noch in 1-Schritten variiert. Die kortikale Reizschwelle wird in Prozent der maximalen Ausgangsleistung des Stimulators ausgedrückt und in der Regel als Ruheschwelle in völliger Entspannung bestimmt. Fällt es den Patienten schwer, in der Untersuchungssituation zu entspannen, kann für die diagnostische Anwendung die Schwellenreizstärke auch bei tonisch leicht angespannter Zielmuskulatur bestimmt werden. Diese »aktive« motorische Reizschwelle liegt niedriger als die Ruhereizschwelle des entspannten Zielmuskels. Die motorische Reizschwelle wird von verschiedenen Untersuchern unterschiedlich definiert (Meyer et al. 1991; Mills u. Kannan 1997; Rossini et al. 1991). Pragmatisch wird die geringste Reizintensität, bei der 3 von 5 aufeinander folgenden monophasischen Stimuli reproduzierbare Muskelantworten mit einer Amplitude von mehr als 50 µV (Spitze-zu-Spitze) auslösen, als Schwellenreiz definiert. In der Regel wird die Untersuchung der kortikomuskulären Überleitung zu den Beinen mit 120 der motorischen Reizschwelle in Ruhe oder 140 der aktiven motorischen Reizschwelle durchgeführt.

8.1.3 Vorinnervation des Zielmuskels Durch die Lokalisation der Reizspule und willkürliche Anspannung lässt sich beeinflussen, welche Muskeln auf den transkraniellen Stimulus antworten. Eine tonische Voranspannung des Zielmuskels bewirkt eine Latenzverkürzung, Vergrößerung und Verbreiterung des motorisch evozierten Potenzials (MEP) nach Kortexreiz (7 Kap. 5). Zudem sind die während tonischer Voranspannung ausgelösten MEP weniger variabel als die im entspannten Muskel abgeleiteten MEP. Für klinische Fragestellungen wird daher die TMS der kortikomotorischen Bahnen zum Bein während einer tonischen Kontraktion des Zielmuskels durchgeführt (Claus et al. 1989b). Hierbei sollte der Zielmuskel mit ca. 10‒20 der maximalen Kraftentfaltung angespannt werden. Es ist vorteilhaft die Kraftentfaltung mittels Oberflächen-EMG, manuell oder über einen Kraftmesser zu überprüfen. Eine genaue Quantifizierung der Muskelkontraktion ist bei distalen Extremitätenmuskeln jedoch im Allgemeinen nicht erforderlich. Vor allem bei Paresen und Bewegungsstörungen erleichtert manuelles Gegenhalten dem Patienten eine gleichmäßige Muskelanspannung. Bei Untersuchung distaler Extremitätenmuskeln genügt eine isometrische Muskelanspannung von 5‒ 10 der Maximalkraft, um eine maximale Fazilitation der Muskelantwort im Zielmuskel zu erreichen. Bei proximalen Arm- und Beinmuskeln fehlt der stark fazilitierende Effekt einer geringen Vorinnervation. Hier wird eher eine lineare Beziehung zwischen Muskelanspannung und Größe der MEP-Amplitude gefunden (Hess u. Ludin 1988). Daraus folgt, dass die Voranspannung der proximalen Muskeln mit etwa 30 der Maximalkraft erfolgen sollte.

8.2

Radikuläre und distale Stimulation des unteren Motoneurons

Die transkranielle Stimulation des primär motorischen Beinareals muss durch eine Reizung des unteren Motoneurons ergänzt werden, um die periphere motorische Leitungszeit (PML) zu bestimmen (7 Kap. 6). Hierzu stehen als Untersuchungsverfahren die F-Wellen-Methode sowie die transkutane elektrische oder magnetische Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln zur Verfügung (. Abb. 8.1). Allen Verfahren ist gemeinsam, dass sie bei völliger Entspannung der Beinmuskeln durchgeführt werden. Die neurophysiologischen Grundlagen und die allgemeinen Untersuchungsschritte werden in 7 Kap. 6 beschrieben. Dieses Kapitel geht daher nur auf spezi-

8.2 Radikuläre und distale Stimulation des unteren Motoneurons

fische Aspekte im Rahmen der Untersuchung der kortikomotorischen Überleitung zu den Beinmuskeln ein. Zusätzlich zur radikulären Stimulation muss immer eine distale supramaximale elektrische Nervenstimulation des motorischen Nervs mit bipolaren Elektroden (Kathode distal, Anode proximal) erfolgen.

8.2.1 F-Wellen-Methode Die F-Wellen-Methode »umgeht« die radikuläre Stimulation. Hier wird der den Zielmuskel versorgende Beinnerv mit herkömmlichen bipolaren Elektroden (Kathode proximal, Anode distal) im distalen Abschnitt supramaximal gereizt. Bei Untersuchung des M. tibialis anterior wird der N. peronaeus am Fibulaköpfchen stimuliert. Die durch den supramaximalen Reiz ausgelöste direkte Muskelantwort und die F-Welle werden vom entspannten Zielmuskel mittels Oberflächenelektroden aufgezeichnet. Üblicherweise werden 10‒15 F-Wellen ausgelöst und die F-Welle mit der kürzesten Latenz für die Berechnung der zentralen und peripheren Überleitungszeit herangezogen. Neben der F-Wellen-Latenz (FL) wird auch die distale motorische Latenz (DML) bestimmt. Mithilfe dieser Kennwerte lässt sich nach der Formel PML=(FL+DML‒1)/2 die periphere Überleitungszeit im unteren Motoneuron berechnen (7 Kap. 6).

8.2.2 Transkutane Magnetstimulation der

lumbalen Nervenwurzeln Die magnetische Stimulationstechnik der lumbalen Nervenwurzeln nutzt die Konzentration der Feldlinien in den Foramina intervertebralia. Die unteren Spulenwindungen werden deshalb über den Lendenwirbelkörpern 4‒5 (LWK 4‒5) platziert, wenn vom M. tibials anterior abgeleitet wird (. Abb. 8.1). Bei Ableitung vom M. extensor digitorum brevis werden die unteren Spulenwindungen über dem Lendenwirbelkörper 5 und dem ersten Sakralwirbelkörper (LWK 5‒ SWK 1) aufgesetzt. Wird der M. quadrizeps femoris untersucht, sollten die unteren Spulenwindungen über dem Segment LWK 3‒LWK 4 liegen. Praktisch wird bei transkutaner magnetischer Stimulation die Rundspule zunächst in der Mittellinie oder 1‒ 2 cm paramedian ipsilateral zum Zielmuskel platziert. Durch graduelle Verschiebung der Reizspule entlang der Wirbelsäule sowie horizontal wird dann die optimale Reizposition gefunden. Die technische Stromflussrichtung zeigt im unteren horizontalen Segment der Rundspule, das

93

8

über dem spinalen Zielsegment liegt, in Richtung auf den Zielmuskel (. Abb. 8.1). Für die transkutane Stimulation der zum rechten Bein ziehenden Nervenwurzeln sollte die technische Stromrichtung von hinten betrachtet entgegen der Uhrzeigerrichtung verlaufen. Entsprechend sollte für die transkutane Stimulation der Nervenwurzeln zur linken unteren Extremität der Spulenstrom von hinten betrachtet im Uhrzeigersinn fließen. Im Gegensatz zur TMS des primär motorischen Beinareals muss während der lumbalen Magnetstimulation der Zielmuskel völlig entspannt sein. Die Stimulationsintensität sollte so gewählt werden, dass gerade noch ein reproduzierbares MEP ausgelöst wird. Bei leicht überschwelliger Stimulation liegt der Reizort im Neuroforamen. Höhere Stimulationsintensitäten sollten vermieden werden, da dann die Gefahr besteht, dass der Reizpunkt sich weiter nach distal verschiebt. In den meisten Fällen können mit der transkutanen Magnetstimulation bei Gesunden und Patienten die spinalen Nervenwurzeln zuverlässig stimuliert werden. Die Amplituden der evozierten Summenantworten sind kleiner und die peripheren motorischen Latenzen kürzer als nach transkutaner lumbaler Elektrostimulation. Bei Erkrankungen des peripheren Nervensystems oder der Cauda equina ist die transkutane elektrische Stimulation der transkutanen Magnetstimulation überlegen, da die geschädigten motorischen Axone höhere Reizschwellen aufweisen, die mit der transkutanen Magnetstimulation selbst bei maximaler Reizstärke nicht erreicht werden.

8.2.3 Transkutane elektrische Stimulation

der lumbalen Nervenwurzeln Die transkutane elektrische Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln erfordert den Einsatz von CE-zertifizierten Hochvoltstimulatoren (z. B. Digitimer D180 mit einer maximalen Reizspannung von 750 V, Digitimer D180A mit einer maximalen Reizspannung von 1500 V oder D185 mit einer maximalen Reizspannung von 1000 V der Fa. Digitimer Ltd., Welwyn Garden City, AL73BE Hertfortshire, UK). Die Hochvoltstimulation ist nicht schmerzhafter als die elektrische proximale Nervenreizung mit einem konventionellen Reizgerät. Für die transkutane elektrische Stimulation lumbaler Wurzeln wird die Kathode in der Mittellinie zwischen BWK 12 und LWK 1 und die Anode lateral der Wirbelsäule platziert. Die Anode wird immer kontralateral zum Ableitmuskel, z. B. über der Crista iliaca, angebracht (. Abb. 8.1). Ein Mindestabstand von

94

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale der Bein- und Fußmuskeln

10 cm muss zwischen Anode und Kathode eingehalten werden, um eine ausreichende Tiefenausdehnung des im Gewebe induzierten Stromes zu gewährleisten (Claus et al. 1989a). Wird die Kathode von BWK 11 in Richtung auf SWK 1 verschoben, so kommt es sprunghaft zu Latenzverkürzungen, bei Kathodenpositionen über LWK 2‒3 für den M. quadriceps femoris, LWK 4‒5 für den M. tibialis anterior und LWK 5‒SWK 1 für den M. extensor digitorum brevis. Gleichzeitig nehmen die Potenzialamplituden nach Elektrostimulation zu. Bei Kathodenposition über BWK 12‒LWK 1 werden die Vorderwurzeln intradural weit proximal in der Cauda equina erregt. Über vergleichende F-Wellen-Messungen ließ sich für die proximale elektrische Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln der Ort der Erregung spinaler Nervenwurzeln etwa 5,5 cm distal des Austritts aus dem Rückenmark lokalisieren (Claus et al. 1989a). Erfolgt die Reizung weiter kaudal ‒ je nach Ableitmuskel in Höhe LWK 2‒SWK 1 – werden die Nervenwurzeln weiter distal im Bereich der Foramina intervertebralia stimuliert.

8.3

Ableittechnik

Durch transkranielle magnetische Einzelreizung können in den distalen Muskeln der unteren Extremität bei gesunden Probanden zuverlässig MEP ausgelöst werden. Allerdings sind die kortikalen Reizschwellen des primär motorischen Beinareals höher als die des primär motorischen Handareals. Dies liegt daran, dass das primär motorische Beinareal im Interhemisphärenspalt lokalisiert ist und somit der Abstand zwischen der Stimulationsspule und dem Kortex für das motorische Beinareal größer ist als für das Handareal. Die MEP werden mit herkömmlichen Ag/AgClOberflächenelektroden von Muskelbauch und Ansatzsehne verschiedener Muskeln ohne Mittelwertbildung abgeleitet (7 Kap. 5). Es sollte eine Breitbandfilterung mit unterer Grenzfrequenz von ~20 Hz und oberer Grenzfrequenz von ~2,5 kHz erfolgen. Die Empfindlichkeit der Aufzeichnung sollte zwischen 0,2 und 5 mV pro Einheit und die Zeitschreibung bei 50‒ 100 ms pro Einheit liegen. Bewährt hat sich als Zielmuskel in der klinischen Routineuntersuchung die Ableitung der motorischen Antworten vom M. tibialis anterior, wobei die Ableitung der MEP von den Beinmuskeln ggf. an die klinische Fragestellung angepasst werden muss. Bei Ableitung der Muskelantworten vom M. tibialis anterior werden die differenten Ableitelektroden ca. 15 cm distal des Fibulaköpfchens über dem Muskelbauch des rechten und linken M. ti-

bialis anterior, die indifferenten Elektroden über dessen distaler Muskelsehne, angebracht. Durch die Lokalisation der Reizspule und willkürliche Anspannung lässt sich beeinflussen, welche Muskeln auf transkranielle Stimulation antworten. Isometrische Muskelanspannung von 5‒10 der Maximalkraft genügt, um eine maximale Bahnung der Potenziale zu erzielen. Es ist vorteilhaft, die Kraftentfaltung mittels Oberflächen-EMG, manuell oder über einen Kraftmesser zu überprüfen. Eine genaue Quantifizierung der Muskelkontraktion ist bei distalen Extremitätenmuskeln im Allgemeinen nicht erforderlich. Vor allem bei Paresen und Bewegungsstörungen kann manuelles Gegenhalten dem Patienten eine gleichmäßige Muskelanspannung erleichtern. Um die zentralmotorische Überleitung zuverlässig beurteilen zu können, sollten unter tonischer Vorinnervation des Zielmuskels mindestens 4 Muskelantworten nach transkranieller Einzelreizung aufzeichnet werden. Hierbei sollte zwischen aufeinander folgenden transkraniellen Reizungen ein zeitlicher Abstand von mindestens 5 s eingehalten werden. Die einzelnen MEP haben eine variable Amplitude, Dauer und Form, wobei die MEP-Amplitude bei gesunden Personen im Bereich von mehreren mV liegt. Für die diagnostische Beurteilung wird aus allen MEPAufzeichnungen das MEP mit der kürzesten zentralmotorischen Latenz und der größten Amplitude ausgemessen. Eine Mittelung der abgeleiteten MEP ist daher in der diagnostischen TMS weder erforderlich noch sinnvoll. Bei der Auswertung werden die Latenzen der vom Zielmuskel abgeleiteten Summenantworten nach Stimulation des distalen Nervs, der motorischen Nervenwurzeln und transkranieller Stimulation bestimmt. Als Maß für die Potenzialgröße wird entweder die maximale Amplitude der ersten negativen Komponente, die maximale Spitze-zu-Spitze-Amplitude (engl. ‚peak to peak amplitude’) oder die Fläche der ersten negativen Potenzialkomponente herangezogen. Die Amplituden nach transkranieller Stimulation werden als relative Werte in Prozent des nach supramaximaler distaler Elektrostimulation ausgelösten Muskelsummenaktionspotenzials (MSAP) angegeben (7 Kap. 5). Um diesen Amplitudenquotienten berechnen zu können, muss zusätzlich zur transkraniellen und radikulären Stimulation eine distale supramaximale elektrische Nervenstimulation erfolgen. Bei Ableitung der MEP vom M. tibialis anterior wird der N. peronaeus am Fibulaköpfchen mit herkömmlichen bipolaren Elektroden (Kathode distal, Anode proximal) supramaximal gereizt. Eine Abnahme der nach transkraniellem Reiz ausgelösten maximalen MEP-Amplitude

8

95

8.4 Normwerte

bei normalem peripherem MSAP zeigt eine Störung der kortikospinalen Reizübertragung an. Zur Berechnung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) zur unteren Extremität wird die Latenz nach elektrischer Stimulation bei Th 12/L 1 oder magnetischer lumbosakraler Stimulation von der Kortexlatenz subtrahiert (7 Kap. 6). Die ZML wird in Millisekunden (ms) angegeben. Eine Verlängerung der ZML belegt eine gestörte kortikospinale Reizübertragung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei magnetischer Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln die proximale periphere motorische Überleitungszeit innerhalb des Spinalkanals der ZML zugeschlagen wird. Dies ist in der klinischen Praxis nur dann ein Problem, wenn eine Leitungsverzögerung im Bereich des proximalen Spinalnervs auftritt und diese proximale Leitungsverzögerung fälschlich als zentrale Leitungsstörung interpretiert wird.

(7 Kap. 6). Die im Folgenden angegebenen Normwerte dienen als Orientierungshilfe bei der Erstellung eigener, laborspezifischer Normwerte. Für die MEP-Amplitude gilt als Faustregel, dass die transkraniell ausgelöste MEP-Amplitude 20 des durch supramaximale periphere Stimulation ausgelösten MSAP nicht unterschreiten sollte. Eine RechtsLinks-Differenz der transkraniell ausgelösten MEPAmplitude von >50 kann ebenfalls als pathologisch angesehen werden. Die Normwerte für die ZML hängen von dem verwendeten peripheren Stimulationsverfahren ab. Die . Tab. 8.1 fasst publizierte Normwerte für die ZML zum M. tibialis anterior zusammen. Die Normwerte wurden am tonisch vorinnervierten M. tibialis anterior unter Verwendung verschiedener lumbaler Stimulationsverfahren ermittelt.

8.4.1 Distale periphere Stimulation mit

der F-Wellen-Methode 8.4

Normwerte

Normwerte können nur unter Beachtung der speziellen Reiztechnik, des Spulentyps und des Zielmuskels verwendet werden. Die bislang berichteten Normgrenzen wiesen keine Geschlechtsunterschiede auf. Die Körpergröße ist bei der Festlegung von Normgrenzen für die ZML zu berücksichtigen, da eine lineare Beziehung zwischen der Körpergröße und der ZML besteht

Die in . Tab. 8.1 aufgelisteten Normwerte wurden an einer Gruppe von 45 gesunden Probanden (14 Frauen, 31 Männer) mit einem mittleren Alter von 38±14 Jahren (Spannweite: 18‒71 Jahre) erhoben (Claus u. Spitzer 1991). Für die TMS des primär motorischen Beinareals wurde eine 90 mm-Rundspule verwendet. Die supramaximale Stimulation des peripheren motorischen Nervs erfolgte distal am Fibulaköpfchen unter

. Tab. .. Tabellarische Übersicht von publizierten Normwerten zur zentralen motorischen Leitungszeit (ZML) zum M. tibialis anterior (TA) Erstautor (Jahr)

Personen n

Zentrale motorische Leitungszeit zum TA Altersspanne in Jahren

MW ± SD [ms]

Grenzwert [ms]

Re.-Li. Diﬀerenz [ms]

16,5 #

4,5 *

Kortexreiz mit  mm Rundspule, Magstim , F-Wellen Methode Claus (1991)

45

18–71

9,7±2,7

Kortexreiz mit  mm Rundspule, Magstim , Radikuläre Magnetstimulation in Höhe LWK  Chu (1989)

52

17–35

14,8±1,1

17,6 #

Keine Angabe

Kloten (1992)

18

19–29

13,4±1,9

18,2 #

1,6 #

21

30–59

14,3±1,7

18,5 #

2,2 #

18

>60

16,1±1,9

20,9 #

2,0 #

Kortexreiz mit  mm Rundspule, Magstim , Elektrische Hochvoltstimulation in Höhe LWK  Claus (1990)

54

19–59

12,5±1,7

16,7 #

3,6 *

Kortexreiz mit  mm Doppelspule, Magstim , Elektrische Hochvoltstimulation in Höhe LWK  Claus (1991)

45

18–71

13,2±1,8

MW Mittelwert; SD Standardabweichung; # MW plus die 2,5-fache SD; * 99%-Perzentile.

17,8 #

3,6 *

96

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale der Bein- und Fußmuskeln

Verwendung der F-Wellen-Technik. Die periphere motorische Leitungszeit (PML) wurde nach der Formel PML=(F+M-1)/2 berechnet, wobei »F« die kürzeste Latenz aller aufgezeichneten F-Wellen und »M« die distale motorische Latenz bedeuten (7 Kap. 6). Überschreiten die ZML-Werte die aufgeführten Grenzwerte, können diese nur bei mittlerer Körpergröße als pathologisch angesehen werden, da eine lineare Beziehung zwischen der Körpergröße und der ZML besteht. An die individuelle Körpergröße adaptierte Normgrenzen lassen sich für die ZML mit folgender Formel errechnen: ZML = 0,124 × Körpergröße (cm) ‒ 5,0 Eine relative Rechts-Links-Seitendifferenz der ZML zum M. tibialis anterior von 4,5 ms ist als pathologisch zu werten.

8.4.2 Proximale Magnetstimulation der

lumbalen Nervenwurzeln Die in . Tab. 8.1 aufgelisteten Normwerte wurden an einer Gruppe von 52 jungen gesunden Probanden (25 Frauen, 27 Männer) im mittleren Alter von 26 Jahren (Spannweite: 17‒35 Jahre) erhoben (Chu 1989). Die Frauen hatten eine mittlere Körpergröße von 160±5 cm; die Männer hatten eine mittlere Körpergröße von 170±5 cm. Für die transkranielle Magnetstimulation des primär motorischen Beinareals und die lumbale Nervenwurzelstimulation wurde eine 90 mmRundspule verwendet. Die transkranielle Magnetstimulation erfolgte mit 75‒100 der maximalen Reizstärke des Stimulators. Basierend auf diesen Daten lassen sich für die ZML an die individuelle Körpergröße adaptierte Normgrenzen errechnen: ZML = 0,0805 × Körpergröße (cm) + 3,7 Die Publikation berichtet keine Grenzwerte für Rechts-Links-Seitendifferenzen. Dies wurde in einer Untersuchung von Kloten et al. (1992) an 57 gesunden Probanden untersucht. Hier erfolgte die transkranielle Magnetstimulation mit einer Rundspule (9 mm Innendurchmesser) und einer Stimulusintensität von 150 der in Ruhe bestimmten Reizschwelle. Hinsichtlich der ZML lag der Grenzwert für Rechts-LinksUnterschiede in allen 3 untersuchten Altersgruppen (19‒29 Jahre, 30‒59 Jahre und >60 Jahre) um 3,0 ms. Als Richtwert kann gelten, dass Seitendifferenzen der ZML zum M. tibialis anterior von >3,5 ms als pathologisch angesehen werden können. Die Untersuchung

von Kloten et al. (1992) zeigt auch eine Zunahme der mittleren ZML um 2,5 ms, wenn man die Mittelwerte der jungen Probanden (19‒29 Jahre) mit den Mittelwerten der Probanden über 60 Jahre vergleicht.

8.4.3 Proximale elektrische Stimulation

der lumbalen Nervenwurzeln Für die magnetische Kortexreizung und elektrische Hochvoltstimulation mit der Kathode über LWK 1 wurden 54 gesunde Probanden (25 Frauen, 29 Männer) mit einem mittleren Alter von 34±11 Jahren (Spannweite: 19‒59 Jahre) und einer Körpergröße von 156‒191 cm untersucht (Claus 1990). Die Reizspulen lagen mit ihrem Zentrum rostral des Vertex. Zur transkraniellen Reizung wurde der Fuß mit ca. 10 der maximalen Kraft dorsal flektiert. Kortikal wurde 20 oberhalb der Schwellenreizstärke mit einer Rundspule stimuliert. Die Nervenwurzeln wurden zwischen den Spinalfortsätzen BWK 12‒LWK 1 elektrisch gereizt. Die Normwerte für die kortikale transkranielle Magnetstimulation mit der Rundspule sind in der . Tab. 8.1 aufgeführt. An die individuelle Körpergröße adaptierte Normgrenzen lassen sich für die ZML mit folgender Formel errechnen: ZML = 0,076 × Körpergröße (cm) + 3,4 Ein Einfluß des Alters wurde jedoch auch für die periphere motorische Nervenleitungsgeschwindigkeit (mNLG) gefunden (p<0,001). Die Grenzwerte für Seitendifferenzen (99-Perzentile) betragen für die ZML zum M. tibialis anterior bei kortikaler Reizung mit der Rundspule unter Vorinnervation 3,6 ms. Die Subtraktion der peripheren motorischen Latenzen nach transkutaner elektrischer Stimulation der lumbalen Nervenwurzeln und distaler Nervenstimulation ermöglicht zudem die Berechnung der mNLG, die bei der Beurteilung der ZML mit berücksichtigt werden muss. Zur Berechnung der mNLG wird bei Verwendung einer proximalen Kathodenposition über BWK 12‒LWK 1 die Distanz vom LWK 1Wirbel zum Fibulakopf gemessen. Bei verlangsamter peripherer mNLG vom LWK 1 zum Fibulakopf muss ein Korrekturwert zum Grenzwert der ZML hinzugefügt werden: mNLG von 50 ms → +0,21 ms mNLG von 40 ms → +0,49 ms mNLG von 30 ms → +0,94 ms mNLG von 20 ms → +1,86 ms

97

Literatur

Fallbeispiel

8.5

Das folgende Fallbeispiel zeigt eine pathologische ZML-Verlängerung zum M. tibialis anterior bei einer 30-jähriger Patientin mit spastischer Beinparese bei sekundär chronisch-progredienter multipler Sklerose (. Abb. 8.2). Die ZML-Verlängerung zum rechten TA zeigt eine subklinische Läsion des kortikospinalen Traktes an, da das rechte Bein klinisch unauﬀällig war. ZML-Verlängerungen bei multipler Sklerose sind in erster Linie durch

8

eine Demyelinisierung schnellstleitender kortikospinaler Fasern bedingt. Dies führt zu einer langsameren Signalfortleitung im kortikospinalen Trakt und zu einer zeitlichen Streuung (Chronodispersion) der kortikospinalen Aktionspotenziale. Hierdurch kommt es zu einer verspäteten und ineﬃzienten Erregung spinaler Motoneurone. Das Fallbeispiel zeigt, dass primär demyelinisierende Läsionen des kortikospinalen Traktes zu Verlängerungen der ZML bei (meist) normalen MEPAmplituden führen.

a

b

c

d

. Abb. .a–d. Pathologische ZML-Verlängerung zum M. tibialis anterior (TA) links bei 30-jähriger Patientin mit spastischer Beinparese links mit sekundär chronisch-progredienter multipler Sklerose. a,b Stimulation des primären motorischen Beinareals mit Rundspule (Punkt optimaler Reizort des motorischen Beinareals; Pfeile technische Stromﬂussrichtung). Ableitung von jeweils 4 MEP vom vorinnervierten TA links (a) und rechts (b). Die minimale MEP-Latenz (kortikomuskuläre Latenz, KML) ist links deutlich verlängert (43,6 ms), rechts normal (29,2 ms). Die MEP-Amplitude ist links (0,8 mV)

und rechts (0,5 mV) normwertig. c,d Transkutane magnetische Stimulation des proximalen Spinalnerven L4 mit Rundspule. Ableitung von Muskelsummenaktionspotenzialen (MSAP) vom entspannten TA links (c) und rechts (d). MSAP-Latenz (PML, 11,6 ms beidseits) und MSAP-Amplitude (1,5 mV links, 2,7 mV rechts) sind symmetrisch normal. Die ZML ist links deutlich (43,6 ms–11,6 ms=32,0 ms) und rechts geringfügig verlängert (29,2 ms–11,6 ms=17,6 ms, Obergrenze bei Körperlänge von 165 cm=16,0 ms)

Literatur

Claus D, Brenner P, Flügel D (1989a) Die Untersuchung der zentralen motorischen Leitungszeit zur unteren Extremität, Normalbefunde und methodische Anmerkungen. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 20: 165–170 Claus D, Mills K, Murray N, Fish D (1989b) Changes in Human Alpha-Motoneurone Excitability Following Mechanical Muscle Stimuli. Eur Arch Psychiatry Neurol Sci 238: 140–143

Booth K, Streletz L, Raab V et al. (1991) Motor evoked potentials and central motor conduction: studies of transcranial magnetic stimulation with recording from the leg. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 57–62 Chu N (1989) Motor evoked potentials with magnetic stimulation: correlations with height. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 74: 481–485

98

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale der Bein- und Fußmuskeln

Claus D (1990) Central motor conduction: Method and normal results. Muscle Nerve 13: 1125–1132 Claus D, Spitzer A (1991) Zur Methodik der magnetischen Stimulation mit Doppelspulen. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 22: 21–27 Hess C, Ludin H (1988) Die transkranielle Kortexstimulation mit Magnetfeldpulsen: Methodische und physiologische Grundlagen. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 19: 209–215 Kloten H, Meyer BU, Britton TC Benecke R (1992) Normwerte und altersabhängige Veränderungen magneto-elektrisch evozierter Muskel-Summenaktionspotentiale. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 23: 29– 36 Meyer B, Britton T, Kloten H et al. (1991) Coil placement in magnetic brain stimulation related to skull and brain anatomy. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 38–46 Mills KR, Kannan AN (1997) Corticomotor threshold to magnetic stimulation: normal values and repeatability. Muscle Nerve 20: 570–576 Reutens DC, Macdonell RAL, Berkovic SF (1993) The inﬂuence of changes in the intensity of magnetic stimulation on coil output. Muscle Nerve 16: 1338–1341 Rossini P, Paradiso C, Zarola F et al. (1991) Brain excitability and long latency muscular arm responses: non-invasive evaluation in healthy and parkinsonian subjects. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 454–465

99

Motorisch evozierte Potenziale der kranialen Muskeln Peter P. Urban 9.1

Einführung – 100

9.3

Fallbeispiele – 103

9.2

Stimulation der Gesichtsmuskulatur (N. fazialis) – 100

9.4

Stimulation der Zungenmuskulatur (N. hypoglossus) – 104

9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4

Indikationen und Möglichkeiten – 100 Untersuchungstechnik – 100 Zentrale Fazialisparese – 102 Periphere Fazialisparese – 102

9.5

Stimulation der Kaumuskulatur (N. trigeminus) – 105

9.6

Stimulation der vom N. accessorius innervierten Halsmuskeln – 106

Literatur

– 107

ZUM THEMA Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ermöglicht die fraktionierte Untersuchung und Bewertung der zentralen und peripheren motorischen Leitungsbahnen zu Muskeln des N. fazialis, N. hypoglossus,

N. trigeminus und N. accessorius. Im Folgenden werden die Indikation, Technik, Normwerte und Grenzen der TMS zu verschiedenen Muskeln ausführlich dargestellt.

9

1 2 3 4 5 6

100

Kapitel 9 · Motorisch evozierte Potenziale der kranialen Muskeln

9.1

Einführung

Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) erlaubt die nichtinvasive Beurteilung der Pyramidenbahnfunktion und der Funktion peripherer motorischer Nerven. Auch zu bestimmten von den Hirnnerven innervierten Muskeln ist, analog zu den Extremitäten, eine fraktionierte Untersuchung der zentralen und peripheren motorischen Leitungsbahnen möglich. Im Folgenden wird die Untersuchungstechnik, Befundung und Interpretation magnetisch evozierter Potenziale zu den vom N. fazialis, N. hypoglossus, N trigeminus und N. accessorius versorgten Muskeln dargestellt.

7

9.2

8

9.2.1 Indikationen und Möglichkeiten

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Stimulation der Gesichtsmuskulatur (N. fazialis)

Eine Indikationsstellung zur TMS der Gesichtsmuskulatur ergibt sich vor allem bei Patienten mit klinisch manifester Fazialisparese. Bereits direkt nach der klinischen Manifestation einer peripheren Fazialisparese ermöglicht die TMS die Festlegung der Läsionstopografie und liefert Hinweise auf die Ätiologie. Die TMS ermöglicht eine sofortige Differenzierung zwischen einer isolierten zentralen und inkompletten, mundastbetonten peripheren Fazialisparese. Unter Einbeziehung des Fazialis-Erregbarkeitstest ist durch eine Verlaufsuntersuchung nach frühestens 10 Tagen eine prognostische Beurteilung der peripheren Fazialisparese möglich. Aber auch bei Patienten ohne eine klinisch evidente Fazialisparese kann eine TMSUntersuchung der Gesichtsmuskulatur indiziert sein. Bei Patienten mit entzündlich dissemierten Erkrankungen des ZNS (multiple Sklerose) können durch die TMS subklinische Läsionen der kortikofazialen Projektionen nachgewiesen werden.

9.2.2 Untersuchungstechnik Positionierung der Ableitelektroden. Die Muskelantwortpotenziale der mimischen Muskulatur sollten grundsätzlich als Muskelsummenaktionspotenziale (MSAP) mit Oberflächenelektroden abgeleitet werden, um eine Beurteilung der Amplitude zu ermöglichen. Als Zielmuskeln eignen sich der M. nasalis, M. orbicularis oris (lateraler Anteil), M. levator labii superioris und M. buccinator. Von diesen Muskeln lassen sich zuverlässig Summenantworten mit einem

initial negativen Abgang ableiten, was für eine exakte Latenz- und Amplitudenbestimmung vorteilhaft ist. Weniger gut geeignet sind der M. frontalis aufgrund seiner Nähe zur Reizspule und einem daraus resultierenden Reizartefakt. Ebenfalls nur bedingt einsetzbar als Zielmuskeln sind der M. orbicularis oculi aufgrund möglicher Interferenzen des kortikal evozierten Antwortpotenzials mit der R1-Komponente des Blinkreflexes sowie der M. mentalis aufgrund Mittellinien überschreitender Fasern des N. fazialis. Vor dem Anbringen der Elektroden sollte die Haut zur Reduktion des Elektrodenübergangswiderstandes (ideal: <5kÙ) mit Alkohol entfettet werden. Die aktive Elektrode wird für den M. nasalis auf den Nasenflügel, für den M. orbicularis oris ca. 1 cm lateral des Mundwinkels, für den M. levator labii sperioris im unteren Drittel der Nasolabialfalte plaziert, während beim M. buccinator die Ableitung mit einer intraoralen Ableitelektrode von der Innenseite der Wange erfolgt (Urban et al. 1997b). Grundsätzlich ist es ratsam, sich im eigenen Labor auf einen Muskel zu beschränken und laboreigene Normwerte zu erstellen. Die »inaktive« Elektrode ist auf der ipislateralen Gesichtshälfte anzubringen und zwar jeweils 2 cm entfernt von der aktiven Elektrode. Beim M. nasalis kann dies der obere Nasenflügel sein, beim M. orbicularis oris die weiter laterale Region und beim M. levator labii der obere Anteil der Nasolabialfalte. Beim M. buccinator befindet sich die »inaktive« Elektrode medial der lateralen. Da es sich im Gegensatz zur Ableitung der Extremitätenantworten bei allen Elektrodenpositionen um keine elektrisch inaktive Region handelt, sondern die Elektroden auch über z. T. anderen mimischen Muskeln liegen, handelt es sich um bipolare Ableitungen (7 Kap. 5). Die aktiven und »inaktiven« Elektroden werden jeweils spiegelsymmetrisch auf beiden Seiten des Gesichts angebracht. Die Erdungselektrode kann über der Stirn platziert werden. Stimulation des distalen N. fazialis (mastoidale Stimulation). Zunächst wird die elektrische Stimula-

tion des N. fazialis nach seinem Austritt aus dem Foramen stylomastoideum durchgeführt, die dem konventionellen Fazialis-Erregbarkeitstest entspricht. Da dem Seitenvergleich eine wichtige Bedeutung zukommt, beginnt man die Untersuchung vorzugsweise auf der gesunden Seite. Praktisch wird mit einem bipolaren Reizblock, der auch für die Untersuchung der peripheren Nerven eingesetzt wird, die Stimulation vorgenommen. Die Kathode wird direkt an der Austrittsstelle des N. fazialis am Mastoid platziert. Die Reizstärke wird solange erhöht, bis es zu keiner weiteren Amplitudenzunahme des MSAP kommt und

9.2 Stimulation der Gesichtsmuskulatur (N. fazialis)

dann um 20 gesteigert (supramaximale Stimulation). Die Gesichtsmuskulatur wird nicht voraktiviert. Damit erfolgt die endgültige Untersuchung des Nervs mit zwei Durchgängen zum Nachweis der Reproduzierbarkeit. Ausgewertet wird die Latenz (distal motorische Latenz, DML) und die Amplitude des MSAP (gemessen vom maximalen positiven bis zum maximalen negativen Ausschlag = »Spitze-zu-Spitze«). Stimulation des proximalen N. fazialis (transkranielle kanalikuläre Stimulation). Im Anschluss daran erfolgt die

transkranielle kanalikuläre Stimulation des N. fazialis mit einer tangential dem Schädel aufliegenden, flachen Rundspule (90 mm Innendurchmesser), wobei die Reizspule parieto-occipital ipsilateral zur Ableiteseite angelegt wird. In der Regel wird eine monophasische Pulskonfiguration verwendet. Rechtsseitig wird die Reizspule so angelegt, dass der in der Spule induzierte Strom (von oben betrachtet) im Uhrzeigersinn fließt; linksseitig fließt der Spulenstrom (von oben betrachtet) gegen den Uhrzeigersinn. 30‒40 der maximalen Geräteleistung reichen aus, um beim Gesunden eine supramaximale Antwort auszulösen. Die Gesichtsmuskulatur wird nicht voraktiviert. Die Antwort wird wie bei der elektrischen Stimulation mindestens einmal reproduziert. Bewertet werden die Latenz (periphere motorische Leitungszeit, PML) und die Spitze-zu-Spitze-Amplitude des Antwortpotenzials. Mittels vergleichender Messungen an chirurgisch offen gelegten Gesichtsnerven bei Operationen der hinteren Schädelgrube konnte gezeigt werden, dass der Stimulationsort im proximalsten Abschnitt des Canalis fazialis liegt, ca. 10‒15 mm nach Eintritt des Nervs in den Meatus acusticus internus (Rösler et al. 1989; Schmid et al. 1992). Der effektive Stimulationsort entspricht dem Ort der höchsten Stromdichte, nämlich am Ende der Ummantelung des N. fazialis mit Liquor an der Übergangsstelle zum Knochen. Der Stimulationsort ist bei der transkraniellen kanalikulären Stimulation daher ausgesprochen stabil. Allerdings ist zu beachten, dass bei zu tiefer Spulenposition und bei zu hoher Reizstärke akzidentell eine weiter distale Stimulation des N. fazialis nach Austritt aus dem Felsenbein erfolgen kann und somit falsch niedrige Latenzen gemessen werden. Transkranielle Stimulation des primären motorischen Kortex und Auﬃnden des optimalen Reizortes. Schließ-

lich wird noch der gesichtsassoziierte primäre motorische Kortex, kontralateral zur Ableiteseite, transkraniell magnetisch gereizt und die magnetisch evozierten Potenziale (MEP) von dem Zielmuskel bilateral abgeleitet. Die kortikale Stimulation kann sowohl mit einer Rundspule als auch einer achterförmigen

101

9

Doppelspule erfolgen. In der klinischen Praxis bietet sich die Durchführung mit einer Standardrundspule (mittlerer Spulendurchmesser: ~10 cm) an, da diese auch für die kanalikuläre Stimulation benötigt wird und somit kein Spulenwechsel während der Untersuchung erforderlich wird. Das Zentrum der Rundspule wird zur Aktivierung der Gesichtspräsentation des primären motorischen Kortex ca. 2 cm lateral des Vertex plaziert. Analog der Untersuchung der Extremitäten wird eine monophasische Stimuluskonfiguration verwendet. Bei Stimulation des linken primären motorischen Gesichtsareals fließt der Strom innerhalb der Spule (von oben betrachtet) entgegen dem Uhrzeigersinn. Bei Stimulation des rechten primären motorischen Gesichtsareals sollte dagegen die Stromrichtung in der Spule (von oben betrachtet) im Uhrzeigersinn verlaufen. Daher muss für die Erregung des rechts- und linkshemisphärischen Gesichtsareals die Rundspule umgedreht werden, um die technische Stromrichtung in der Spule umzukehren. Manche Stimulationsgeräte erlauben es, die technische Stromrichtung in der Spule per Knopfdruck zu invertieren. In diesem Falle, sowie bei Verwendung eines biphasischen Stimulus, erübrigt sich das Umdrehen der Rundspule. Die transkranielle Stimulation der primärmotorischen Gesichtsrepräsentationen kann auch mit einer achterförmigen Doppelspule (mittlerer Spulendurchmesser pro Halbspule: ~7 cm) erfolgen. Aufgrund der höheren Fokalität der TMS ist hier die genaue Spulenpositionierung besonders kritisch. Initial wird die Doppelspule so positioniert, dass das Spulenzentrum 9‒10 cm lateral des Vertex tangential der Kopfhaut anliegt. Das Spulenzentrum muss solange verschoben werden, bis eine maximale Muskelantwort im Zielmuskel ausgelöst wird. Das primärmotorische Gesichtsareal wird besonders effektiv erregt, wenn der Strom im Spulenzentrum von vorne nach hinten läuft und somit im Hirngewebe einen von hinten nach vorne verlaufenden Strom induziert. Die Stimulationsintensität wird sukzessive um jeweils 10 der maximalen Geräteleistung erhöht, bis keine weitere Latenzabnahme zu beobachten ist, was normalerweise bei etwa 60‒70 der maximalen Geräteleistung der kommerziell erhältlichen Stimulatoren erreicht wird. Bei kortikaler Stimulation ist grundsätzlich eine Vorinnervation des Zielmuskels notwendig, um auch bei Gesunden Antwortpotenziale zu registrieren. Die Instruktion zur Vorinnervation hängt vom Zielmuskel ab, der untersucht werden soll. Im Rahmen der klinischen Untersuchung ist es nicht sinnvoll die Reizschwelle zu bestimmen, da diese wesentlich vom Aus-

102

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Kapitel 9 · Motorisch evozierte Potenziale der kranialen Muskeln

mass der Vorinnervation beeinflusst wird. Der kortikalen Reizschwelle kommt daher im Gegensatz zur Extremitätenmuskulatur keine diagnostische Bedeutung zu. Aufgrund der Variabilität der kortikal evozierten Muskelantworten werden mindestens 4 MEP aufgezeichnet und die kürzeste Latenz und die grösste Spitze-zu-Spitze-Amplitude des MEP zur Beurteilung der kortikomuskulären Überleitung herangezogen. Die kürzeste Latenz entspricht der kortikomuskulären Leitungszeit (KML). Während die kortikale Stimulation bei allen Probanden zu kontralateralen motorischen Antworten führt, können die ipsilateralen MEP fehlen, längere Latenzen und niedrigere Amplituden aufweisen. Aufgrund der Inkonstanz ipsilateraler Antworten zur mimischen Muskulatur bereits beim Gesunden, sollte auf die diagnostische Bewertung ipsilateraler motorischer Antworten bei Patienten verzichtet werden. Die zentralmotorische Leitungszeit (ZML) wird aus der Differenz von kortikaler (KML) und peripherer motorischer (PML) Leitungszeit ermittelt, in die allerdings auch das periphere Segment vom Nucleus fazialis bis zum Eintritt in den Felsenbeinkanal miteinfließt. Aus der Differenz von PML und der durch elektrische Stimulation am Foramen stylomastoideum ermittelten distal motorischen Latenz (DML) errechnet sich die transossäre Leitungszeit (TOL), der allerdings keine diagnostische Bedeutung zukommt (. Tab. 9.1).

9.2.3 Zentrale Fazialisparese Für eine zentrale faziale Parese, hervorgerufen durch eine Läsion der kortikofazialen Projektionen, ist eine Veränderung des kortikalen Antwortpotenzials i. S. einer Amplitudenreduktion bis zum Potenzialausfall typisch (7 Fallbeispiel 1). Die KML ist häufig verlängert bei normaler PML und DML.

9.2.4 Periphere Fazialisparese Bei einer akut aufgetretenen peripheren Fazialisparese zeigt die Magnetstimulation bereits am ersten Tag der Parese eine hochgradige Amplitudenminderung des motorischen Antwortpotenzials bei Stimulation des kontralateralen primären motorischen Kortex und kanalikulärer Stimulation des ipsilateralen proximalen N. fazialis (7 Fallbeispiel 2). Dagegen ist bei elektrischer mastoidaler Stimulation noch ein normwertiges Antwortpotenzial erhältlich. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Waller’schen Degeneration weist die elektrische Stimulation des N. fazialis erst ab dem 10. Tag eine Amplitudenabnahme auf. Häufig ist die kanalikuläre Unter- oder Unerregbarkeit noch nach Monaten nachweisbar, wenn bei kortikaler Stimulation bereits wieder ein normales Antwortpotenzial auslösbar ist und sich die Fazialisparese vollständig zurückgebildet hat. Die initiale Unter-oder Unerregbarkeit des N. fazialis im Felsenbeinkanal belegt

13 14

. Tab. .. Normwerte der kortikomuskulären Leitungszeit (KML), peripher motorischen Leitungszeit (PML) und distal motorischen Latenz (DML) zur mimischen Muskulatur bei TMS des Motorcortex bzw. des N. fazialis

15

Autor

n

Zielmuskel

DML [ms]

TOL [ms]

KML [ms]

PML [ms]

ZML [ms]

Rösler (1989)

12

M. nasalis

3,7±0,3

1,2±0,2

10,0±1,0

4,9±0,4

5,1±0,6

Riepe (1993)

25

M. orb.oris

k.A.

k.A.

11,0±0,8

4,5±0,4

k.A.

Urban (1997b)

43

M. buccinator

2,9±0,3

1,3±0,3

10,3±1,1

4,3±0,5

5,8±1,0

16 17 18 19 20

k. A. keine Angaben; TOL transossäre Leitungszeit; ZML zentralmotorische Leitungszeit; DML distal motorischen Latenz; KML kortikomuskulären Leitungszeit; n Zahl der untersuchten Personen; TOL = PML – DML; ZML = KML – PML; Brücksichtigt wurden nur Studien zu geeigneten Muskeln und Ableitungen mit Oberﬂächenelektroden.

103

9.3 Fallbeispiele

den Läsionsort an dieser Stelle, ist aber diagnostisch unspezifisch, da dieser Befund nicht nur bei der idiopathischen (Bell’schen) Fazialisparese, sondern auch bei anderen Ursachen, wie dem Zoster oticus, der Meningeosis carcinomatosa, etc. angetroffen werden kann (Nowak et al. 2006). Gelegentlich beobach-

9.3

Fallbeispiele

Fallbeispiel 1 Die 50-jährige Patientin ist morgens mit einer isolierten Mundastschwäche links aufgewacht. Klinisch lag differentialdiagnostisch eine zentrale faziale Parese oder eine inkomplette periphere Fazialisparese der linken Gesichtshälfte vor. Die am gleichen Tag durchgeführte TMS zeigte einen Ausfall des kortikal evozierten Ant-

a

b

. Abb. .a–c. TMS des primären motorischen Gesichtsareals (obere Spur), kanalikuläre Stimulation des proximalen N. fazialis (mittlere Spur) und mastoidale Stimulation (untere Spur) des distalen N. fazialis mit Ableitung der Muskelsummenantwortpotenziale (MSAP) vom M. buccinator rechts (a) und links (b). Bei diesem Patienten liegt eine zentrale faziale Parese der linken Gesichtshälfte vor und die TMS zeigt einen Potenzial-

9

tet man bei einer klinisch nur einseitigen peripheren Fazialisparese eine bilaterale Unter- oder Unerregbarkeit in der TMS. Dies spricht gegen eine idiopathische Fazialisparese und deutet auf eine andere Ursache hin (z. B. eine Neuroborreliose oder ein Guillain-BarreSyndrom).

wortpotenzials zum linken M. buccinator bei Stimulation des rechten primären motorischen Gesichtsareals, während die magnetische Stimulation des proximalen N. fazialis beidseits regelrechte Antworten hervorrief (. Abb. 9.1, links). Das MRT des Schädels zeigte in der Diﬀusionswichtung eine frische Ischämie im Gesichtsareal des rechten primären motorischen Kortex (. Abb. 9.1, rechts).

c

ausfall zum linken M. buccinator bei Stimulation des rechten primären motorischen Gesichtsareals. Passend zum elektrophysiologischen Befund zeigt die diﬀusionsgewichtete Magnetresonanztomograﬁe (c) eine frische Ischämie in der Gesichtsrepräsentation des rechten primären motorischen Kortex

104

1 2 3

Kapitel 9 · Motorisch evozierte Potenziale der kranialen Muskeln

Fallbeispiel 2 Der 25-jährige Patient berichtete nach vorangehenden retroaurikulären Schmerzen über eine zunehmende Lidschlussschwäche und einen hängenden Mundwinkel der linken Gesichtshäfte, die sich am Tag vor der Untersuchung ausbildete. Klinisch zeigte sich eine inkomplette periphere Fazialisparese links. Die am glei-

4 a

b

5 6 7 8 9 10

chen Tag durchgeführte TMS zum M. buccinator zeigte den typischen Befund einer idiopathischen peripheren Fazialisparese mit Ausfall des Antwortpotenzials bei magnetischer Stimulation des rechten primären motorischen Kortex und des proximalen N. fazialis links. Die distale elektrische Erregbarkeit war dagegen seitengleich erhalten (. Abb. 9.2, links). . Abb. .a,b. Transkranielle magnetische Stimulation des primären motorischen Gesichtsareals (obere Spur), transkranielle kanalikuläre Stimulation des proximalen N. fazialis (mittlere Spur) und elektrische mastoidale Stimulation des distalen N. fazialis (untere Spur) mit Ableitung der Muskelsummenantwort vom M. buccinator rechts (a) und links (b). Bei diesem Patienten liegt eine periphere Fazialisparese der linken Gesichtshälfte vor und die TMS zeigt einen Potenzialausfall zum linken M. buccinator bei transkranieller Stimulation des rechten primären motorischen Kortex und linksseitiger kanalikulärer Stimulation des betroﬀenen N. fazialis

11 Stimulation der Zungenmuskulatur (N. hypoglossus)

12

9.4

13

Im Folgenden wird die Untersuchungstechnik der kortikomotorischen Bahnen zur Zungenmuskulatur dargestellt. Die von der Zungenmuskulatur magnetisch (Kortex und proximaler N. hypoglossus) und elektrisch (distaler N. hypoglossus) evozierten motorischen Antworten eines gesunden Probanden sind in . Abb. 9.3 dargestellt.

14 15 16 17 18 19 20

Positionierung der Ableitelektroden. Die Ableitung der MSAP erfolgt von jeder Zungenhälfte unter Benutzung einer löffelförmigen Elektrodenhalterung aus Kunststoff. Da diese nicht kommerziell erhältlich ist, kann eine solche auch durch eine zahntechnisches Labor angefertigt werden (Urban et al. 1997a). Die Erdungselektrode kann über der Stirn platziert werden. Stimulation des distalen N. hypoglossus. Zunächst wird die elektrische Stimulation des N. hypoglossus direkt medial des Kieferwinkels durchgeführt. Die Antwort wird mindestens einmal reproduziert. Aufgrund des Stimulationsartefakts kann oft der Potenzialbeginn nicht abgegrenzt werden, so dass die Be-

stimmung der DML entfällt. Die elektrische Stimulation dient vielmehr dazu die normale Leitungsfähigkeit des peripheren N. hypoglossus nachzuweisen. Stimulation des proximalen N. hypoglossus. Im An-

schluss erfolgt die transkranielle Stimulation des proximalen Anteils des N. hypoglossus mit einer Rundspule, die temporooccipital ipsilateral zur Ableiteseite angelegt wird. Rechtsseitig wird die Reizspule so positioniert, dass der Spulenstrom (von oben betrachtet) im Uhrzeigersinn fließt. Linksseitig sollte der Spulenstrom in die umgekehrte Richtung, also gegen den Uhrzeigersinn, fließen. Allerdings läßt sich bereits bei Gesunden nur bei ca. 75 der Seiten der periphere N. hypoglossus transkraniell magnetisch stimulieren. Ein fehlendes Antwortpotenzial kann somit nicht als pathologisch gewertet werden. Die Antwort wird wie bei der elektrischen Stimulation mindestens einmal reproduziert. Bewertet werden die PML und die Spitze-zu-Spitze-Amplitude des Antwortpotenzials. Der effektive Reizort liegt aufgrund theoretischer Überlegungen im Bereich des Canalis hypoglossi. Stimulation der kortikalen motorischen Zungenrepräsentation und Auﬃnden des optimalen Reizortes. Die

105

9.5 Stimulation der Kaumuskulatur (N. trigeminus)

a

. Abb. .a,b. TMS des linken und rechten primären motorischen Kortex (1. und 2. Spur von oben), magnetische Stimulation des proximalen N. hypoglossus (3. Spur von oben) und elektrische Stimulation des distalen N. hypoglossus (unterste Spur) mit Ableitung der MSAP von der Zunge bei einem Probanden; a Zungenmuskel rechts, b Zungenmuskel links

b

TMS des primären motorischen Zungenareals erfolgt in der Regel bilateral mit einer mittig positionierten Rundspule 4‒6 cm lateral des Vertex. Zur Stimulation des linken primären motorischen Kortex fließt der Spulenstrom (von oben betrachtet) entgegen dem Uhrzeigersinn und bei Stimulation des rechten primären motorischen Kortex (von oben betrachtet) im Uhrzeigersinn. Bei Verwendung einer Standarddoppelspule (mittlerer Spulendurchmesser pro Halbspule: ~7 cm) befindet sich der optimale Reizort ca. 8 cm lateral des Vertex, wobei der Spulengriff nach hinten zeigt und im Spulenzentrum ein von vorn nach hinten fließender Strom induziert wird. Die Stimulationsintensität wird sukzessive um jeweils 10 der maximalen Geräteleistung erhöht, bis keine weitere Latenzabnahme zu beobachten ist, was bei etwa 60‒70 der maximalen Geräteleistung kommerziell erhältlicher Stimulatoren erreicht wird. Bei dieser Stimulationsintensität werden mindestens 4 Muskelantworten aufgezeichnet. Bestimmung der erforderlichen Reizstärke. Die Stimu-

lationsintensität wird sukzessive um jeweils 10 der maximalen Geräteleistung erhöht, bis keine weitere Latenzabnahme zu beobachten ist, was bei etwa 60‒ 70 der maximalen Geräteleistung erreicht wird. Vorinnervation des Zielmuskels. Eine geringe Vorin-

nervation wird durch leichten Andruck der Zunge an die Elektrodenhalterung erreicht, wobei der knöcherne Gaumen als Widerlager dient. Diese ist notwendig, um einen sicheren Kontakt zwischen der Zungenoberfläche und den Ableitelektroden sicherzustellen. Durch die Vorinnervation ist es nicht sinnvoll die Reizschwelle zu bestimmen, da diese wesentlich vom Ausmaß der Vorinnervation beeinflusst wird. Der Reizschwelle kommt daher im Gegensatz zur Extremitätenmuskulatur keine diagnostische Bedeutung zu.

9

Messwiederholungen und Auswertungen. Aufgrund

der Variabilität der kortikal evozierten Antwortpotenziale werden mindestens 4 Stimulationen durchgeführt und die kürzeste kortikomuskuläre Latenz und die grösste Spitze-zu-Spitze-Amplitude herangezogen. Die so ermittelte Latenz ist die KML. Bei allen Probanden lassen sich bei Stimulation beider Hemisphären Antwortpotenziale an beiden Zungenhälften evozieren. Aus der Differenz von KML und PML, nach magnetischer Stimulation, ergibt sich die ZML, in die allerdings auch das periphere Segment vom Nucleus hypoglossus bis zum Eintritt in den Canalis hypoglossi miteinfließt (. Tab. 9.2).

9.5

Stimulation der Kaumuskulatur (N. trigeminus)

Die Ableitung der Antwortpotenziale der Trigeminus-innervierten Muskulatur kann aufgrund der dem M. masseter benachbarten mimischen Muskulatur nur durch konzentrische Nadelelektroden erfolgen. Selbst dann lässt sich meist noch ein volumgeleitetes Potenzial durch akzidentelle Stimulation des N. fazialis evozierten Platysmas ableiten, wodurch die Aussagekraft der Untersuchung eingeschränkt wird. Durch die Ableitung mit konzentrischen Nadelelektroden sind die Latenzmessungen durch die Registrierung aus unterschiedlich großen motorischen Einheiten sehr variabel und lassen im Gegensatz zu einer Ableitung mit Oberflächenelektroden keine Bewertung der Amplituden zu (7 Kap. 5). Diese methodischen Aspekte dürften auch die sehr unterschiedlichen kortikomuskulären Latenzen zum M. masseter erklären. Möglicherweise ist die Einstreuung volumgeleiteter Aktivität bei enoraler Oberflächenableitung in der Plica pterygomandibularis (M. masseter und M. ptery-

17 18 19 20

2,2±0,2 2,3±0,3 k. A. 7,9±0,9

8,5±1,3

8,0±0,7

k. A.

2,6±0,5 2,6±0,5 3,7±0,6 8,7±1,0

3,5±0,5

DML li [ms] DML re [ms] PML li. [ms]

k. A. keine Angaben; KML kortikomuskulären Leitungszeit; PML peripher motorische Leitungszeit; DML distal motorische Latenz; n Zahl der untersuchten Personen; PMC primär motorischer Cortex.

16

8,7±1,3

15

40

14

Müllbacher 1998

13

8,8±1,2

12

8,9±0,8

11

8,9±0,8

10

43

9

Urban 1997a

8

PML re [ms]

7

KML [ms] PMK re, Zunge li

6

KML [ms] PMK re, Zunge re

5

KML [ms] PMK li, Zunge re

4

KML [ms] PMK li, Zunge li

3

n

2

Kapitel 9 · Motorisch evozierte Potenziale der kranialen Muskeln

Autor

1

. Tab. .. Normwerte der kortikomuskulären Leitungszeit (KML), peripher motorische Leitungszeit (PML) und distal motorische Latenz (DML) zur Zunge. Die TMS des Motorcortex erfolgte jeweils mit einer Rundspule, die Ableitung der Antwortpotenziale mit Oberﬂächenelektroden

106

goideus medialis) geringer ausgeprägt. Grundsätzlich lassen sich bei kortikaler Stimulation nur bei stärkerer Vorinnervation Antwortpotenziale aus der Kaumuskulatur registrieren. Der Reizort bei kortikaler Stimulation wird sowohl 2‒3 cm ventral des Vertex als auch etwa 4 cm lateral des Vertex beschrieben. Meist lassen sich bilaterale, z. T. aber auch nur kontralaterale Antworten nach Kortexstimulation evozieren (Nordstrom et al. 1999; Guggisberg et al. 2001). Zur magnetischen Stimulation des proximalen N. trigeminus wird die Reizspule parietooccipital platziert. Die vergleichende intraoperativ durchgeführte elektrische Stimulation des N. trigeminus mit präoperativen Untersuchungen ergab, dass der effektive Reizort bei magnetischer Stimulation im Bereich des Foramen ovale liegt, jedoch interindividuell nach proximal und distal variiert und sich mit zunehmender Reizintensität weiter nach distal verlagert. Die Reizschwelle für die magnetische Stimulation des N. trigeminus ist mit 40‒80 der maximalen Geräteleistung kommerzieller Stimulatoren deutlich höher als beim N. fazialis.

9.6

Stimulation der vom N. accessorius innervierten Halsmuskeln

Bei kortikaler Stimulation wurde im Rahmen einer Mapping-Studie mit einer Doppelspule gezeigt, daß die kortikale Repräsentation des M. sternocleidomastoideus nahe der Konvexizität medial der oberen Extremitäten liegt. Allerdings lassen sich auch beim Gesunden nicht immer reproduzierbare Antwortpotenziale evozieren, so dass diesem Befund keine pathologische Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Verteilung der deszendierenden Projektionen zum M. sternocleidomastoideus und zum M. trapezius ergibt sich kein einheitliches Bild. Bei fokaler Kortexstimulation wurden sowohl bilaterale Antworten bei Stimulation beider Hemisphären, bilaterale Antworten bei Stimulation nur einer Hemisphäre und nur kontralaterale Antworten bei Stimulation beider Hemsiphären beschrieben (Odergren u. Rimpiläinen 1996; Thompson et al. 1997). In Analogie zur Trigeminus-innervierten Muskulatur kann bei Kortexstimulation durch das dem M. sternocleidomastoideus aufliegende Platysma volumgeleitete Aktivität registriert werden, die durch elektrische Stimulation des N. fazialis nachgewiesen wird. Durch die Ableitung mit konzentrischen Nadelelektroden sind die Latenzmessungen durch die Registrierung aus unterschiedlich großen motorischen Einheiten allerdings sehr variabel und lassen im Gegen-

Literatur

satz zu einer Ableitung mit Oberflächenelektroden keine Bewertung der Amplituden zu. Auch der N. accessorius lässt sich im peripheren Verlauf magnetoelektrisch depolarisieren. Im Gegensatz zum N. fazialis liegen keine vergleichenden intraoperativen Befunde vor, so dass der effektive Reizort bei tief occipitaler Spulenposition nicht gesichert ist. Aus theoretischen Überlegungen und aufgrund der Latenzen ist allerdings das Foramen jugulare der wahrscheinlichste Reizort.

Literatur Guggisberg AG, Dubach P, Hess CW et al. (2001) Motor evoked potenzials from masseter muscle induced by transcranial magnetic stimulation of the pyramidal tract: the importance of coil orientation. Clin Neurophysiol 112: 2312– 2319 Muellbacher W, Artner C, Mamoli B (1998) Motor evoked potenzials in unilateral lingual paralysis after monohemispheric ischaemia. J Neurol Neurosurg Psychiatry 65: 755– 761 Nordstrom MA, Miles TS, Gooden BR et al. (1999) Motor cortical control of human masticatory muscles. Prog Brain Res 123: 203–214 Nowak DA, Linder S, Topka H (2006) Diagnostic relevance of transcranial magnetic and electric stimulation of the facial nerve in the management of facial palsy. Clin Neurophysiol 116: 2051–2057 Odergren T, Rimpiläinen (1996) Activation and suppression of the sternomastoid muscle induced by transcranial magnetic stimulation. Electroenceph Clin Neurophysiol 101: 175–180 Riepe M, Ludolph AC (1993) Untersuchung kortikobulbärer Bahnen und peripherer Hirnnerven bei Normalpersonen und Patienten mit multipler Sklerose: Ergebnisse nach nichtinvasiver elektromagnetischer Reizung. Z EEG-EMG 24: 269–273 Rösler KM, Hess CW, Schmid DU (1989) Investigation of facial motor pathways by electrical and magnetic stimulation: sites and mechanisms of excitation. J Neurol Neurosurg Psychiatry 52: 1149–1156 Schmid UD, Moller AR, Schmid J (1992) Transcranial magnetic stimulation of the facial nerve: intraoperative study on the eﬀect of stimulus parameters on the excitation site in man. Muscle Nerve 15: 829–836 Thompson ML, Thickbroom GW, Mastaglia FL (1997) Corticomotor representation of the sternocleidomastoid muscle. Brain 120: 245–255 Urban PP, Hopf HC, Connemann B et al. (1997a) Technical considerations of electromyographic tongue muscle recordings using transcranial magnetic stimulation (letter). Brain 120:1911–1914 Urban PP, Beer S, Hopf HC (1997b) Cortico-bulbar ﬁbers to orofacial muscles: recordings with enoral surface electrodes. Electroenceph Clin Neurophysiol 105: 8–14

107

9

109

10

Motorisch evozierte Potenziale der axialen und proximalen Muskeln Andreas Ferbert 10.1

Einleitung – 110

10.2

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen distalen, proximalen und axialen Muskeln – 110

10.3.6

10.3

Ableitung von speziellen Muskeln – 111

Literatur

10.3.1 10.3.2 10.3.3

M. deltoideus – 111 M. erector spinae – 111 M. pectoralis und M. latissimus dorsi – 113

10.3.4 10.3.5

Diaphragma – 114 M. sphincter ani externus, M. sphincter urethrae und M. bulbocavernosus – 114 Quergestreifte Muskulatur des Pharynx und Ösophagus – 115

– 115

ZUM THEMA Bei der Ableitung der trankraniell ausgelösten motorischen Antworten von proximalen und axialen Muskeln sind physiologische und methodische Unterschiede gegenüber den distalen Muskeln zu beachten. Die Nähe zum Stimulationsort erschwert manchmal die zervikale Stimulation zur Bestimmung der zentralmotorischen Leitzeit. Proximale Muskeln haben eine andere Fazilitierungscharakteristik als distale Muskeln: Der maximale Bahnungseﬀekt während der tonsichen Voranspannung tritt erst bei größerer Kraftentwicklung auf. Bei axialen Muskeln ist das Prinzip der

kontralateralen Repräsentation nicht immer eingehalten, sie können auch ipsilateral oder bilateral kortikal repräsentiert sein. Proximale Muskeln, wie z. B. der M. deltoideus, sind, entgegen alten anatomischen Angaben, beim Jugendlichen und Erwachsenen überwiegend kontralateral repräsentiert. Die Untersuchung von mittelliniennahen Muskeln, wie dem Diaphragma, des Pharynx oder der Beckenmuskeln, erfolgt bei gezielter Frage nach einer Funktionsstörung in diesen Muskeln, weniger dagegen mit der Frage eines subklinischen Entmarkungsherdes.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

110

Kapitel 10 · Motorisch evozierte Potenziale der axialen und proximalen Muskeln

10.1

Einleitung

Vom primären motorischen Kortex gibt es kortikomotoneuronale Verbindungen zu allen quergestreiften Muskeln. Allerdings sind die verschiedenen Muskeln unterschiedlich stark im primären motorischen Kortex repräsentiert. Die ersten Erfahrungen hierüber teilte Otfried Foerster (1936) mit. Der Homunkulus von Penfield u. Boldrey (1937) zeigt dies ebenfalls in eindrucksvoller Weise. Die Mitteilungen von Foerster und Penfield basierten auf der direkten elektrischen Kortexstimulation bei Operationen am freigelegten Gehirn. Im Penfield´schen Homunkulus war zu erkennen, dass proximalen Muskeln ein wesentlich kleineres Kortexareal zur Verfügung steht als distalen Muskeln. Allerdings konnten diese Autoren nicht gut die absolute Größe eines kortikalen Feldes festlegen, denn dessen Größe war stark abhängig von der Stimulusintensität. Mit höherer Stimulusintensität waren die kortikalen Repräsentationsfelder größer, so dass unklar blieb, ob für unterschiedliche Muskelgruppen die kortikalen Felder sich in der anatomischen Ausdehnung, in der kortikalen Reizschwelle oder in beidem unterscheiden. Nach ersten Versuchen mit der elektrischen Stimulation war es dann vor allem die Entwicklung der achterförmigen Stimulationsspule, welche es ermöglichte, umschriebene Kortexareale transkraniell zu reizen. Wesentlicher Vorteil gegenüber der Methode von Foerster und Penfield ist, dass die Untersuchungen mit der transkraniellen magnetischen Stimulation (TMS) nichtinvasiv erfolgen. Ob nun bei der Untersuchung spezieller Muskelgruppen eher die fokale oder die nichtfokale TMS verwendet wird, ist nicht global zu beantworten. Die fokale TMS mit der achterförmigen Spule ist für den Patienten oder Probanden meist weniger unangenehm als die große runde Spule, da nur einzelne Muskelgruppen reagieren. Andererseits kann die Erfolgsrate, mit der großen runden Spule eine Muskelantwort zu erhalten, gerade bei einem proximalen Muskel etwas größer sein. Minimale Verschiebungen können bei der achterförmigen Spule leicht dazu führen, dass aus dem Zielmuskel kein Potenzial mehr zu erhalten ist. So ließen sich vom Diaphragma mit der fokalen Spule nur bei 7 der 9 Probanden motorische Antworten ableiten, während dies mit der nichtfokalen Rundspule bei allen 9 Probanden gelang (Demoule et al. 2003a). Allerdings bestehen bei der Kartierung (engl. mapping) der kortikalen motorischen Repräsentationen prinzipiell ähnliche methodische Schwierigkeiten, wie sie bereits von Foerster (1936) und Penfield u. Boldrey (1937) für die direkte intraoperative

Kortexstimulation konstatiert wurden. Diese liegen an der Ausbreitung der elektromagnetischen Felder. Die Stimulusausbreitung ist bei der TMS sogar noch ausgeprägter als bei der direkten elektrischen Kortexstimulation und kann die Interpretation der Untersuchung beeinträchtigen: Will man ein mittelliniennahes kortikales Feld reizen, auf welchem ein proximaler Muskel repräsentiert ist, dann besteht die Gefahr, dass das magnetische Feld des Stimulators auch auf die Gegenseite übergreift und den kontralateralen Kortex mitreizt. Dies stört dann besonders, wenn man klären möchte, ob die Repräsentation kontralateral, ipsilateral oder bilateral ist. Aber auch bei der Ableitung der evozierten motorischen Antwort können durch Volumenleitung Probleme auftreten. Wenn man von einem mittelliniennahen Muskel wie dem M. erector spinae ableitet, muss man besonders darauf achten, dass man nicht mit der ipsilateralen Elektrode elektrische Aktivität von der kontralateralen Muskulatur misst (»cross talk«). In diesem Kapitel wird die TMSUntersuchung von kortikomotorischen Projektionen zu einigen proximalen Muskeln sowie axialen Muskeln beschrieben.

10.2

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen distalen, proximalen und axialen Muskeln

Proximale Muskeln unterscheiden sich von distalen Muskeln in einer Reihe von anatomischen wie physiologischen Aspekten. So folgt die Amplitudenerhöhung des durch die TMS ausgelösten motorischen evozierten Potenzials (MEP) bei Voranspannung einer anderen Charakteristik als dies von distalen Muskeln bekannt ist (Turton u. Lemon 1999): Bei distalen Muskeln führt bereits eine Voranspannung von 5‒10 der maximalen Kraft zu einer deutlichen Fazilitierung. Eine stärkere Voranspannung erbringt dann keine weitere Amplitudenerhöhung mehr. Beim M. deltoideus tritt ein bahnender Effekt zwar auch bereits bei leichter Voranspannung ein, das Maximum der Fazilitierung ist jedoch erst bei einer Voranspannung von 40‒50 der maximalen Kraft erreicht. Dagegen ähneln sich proximale und distale Muskeln in Hinblick auf die Bestimmung der motorischen Schwelle und im relativen Anstieg der MEP-Amplituden mit zunehmender Stimulusintensität (Ray et al. 2002). Bezüglich der Lateralisierung sind proximale Muskeln wie auch distale überwiegend kontralateral im primären motorischen Kortex repräsentiert. Nur im Kindesalter sind proximale Muskeln und in geringerem Ausmaß auch distale Muskeln bilate-

111

10.3 Ableitung von speziellen Muskeln

ral repräsentiert mit einem größeren kontralateralen und einem kleineren ipsilateralen Anteil (Müller et al. 1997). Mit besonderen Techniken (größere Reizstärke, stärkere Voranspannung, Mittelung der Antworten) lassen sich auch kleine ipsilaterale motorische Antworten ableiten. Dies gelingt unter Verwendung der genannten Maßnahmen aber nicht nur in proximalen, sondern auch in distalen Muskeln (Ferbert et al. 1992b; Ziemann et al. 1999). Bei axialen Muskeln ist dies anders. Dies wird in den folgenden Abschnitten über den M. erector spinae, den M. pectoralis major und den M. latissimus dorsi näher ausgeführt werden. Auch andere sehr weit mittelliniennah gelegene Muskeln wie z. B. der M. digasticus weisen beim Erwachsenen ausgeprägte bilaterale kortikale Repräsentationen auf (Gooden et al. 1999). Ob eine kontralaterale Repräsentation der kortikalen Felder für die Extremitätenmuskeln besteht, ist auch eine Frage der Reife des kortikospinalen Systems: Müller et al. (1997) untersuchten 50 normale Kinder mit fokaler TMS und leiteten von proximalen und distalen Muskeln ab. Bei zwei Drittel der Kinder konnten neben kontralateralen auch ipsilaterale Antworten abgeleitet werden. In proximalen Muskeln fanden sich ipsilaterale Antworten häufiger als in distalen Muskeln. Solche ipsilaterale Antworten verschwanden ab dem Alter von 10 Jahren. Interessant ist, dass die ipsilateralen motorischen Antworten eine deutlich längere Latenz (12‒14 ms) hatten als die kontralateralen Antworten. Diese längeren Latenzen sind entweder dadurch zu erklären, dass die Erregung über ein Bahnsystem vermittelt wird, welches langsamer leitet als der Tractus corticospinalis. Es könnte sich aber auch um transcallosal vermittelte Antworten handeln. In der Arbeit von Müller et al. (1997) wurden distale und proximale, jedoch nicht axiale Muskeln untersucht.

10.3

Ableitung von speziellen Muskeln

10

tion nur kleinere Unterschiede finden. Die Kartierung der kortikomotorischen Repräsentationen erbrachte eine rein kontralaterale Repräsentation des M. deltoideus und M. interosseus dorsalis manus I (7 Kap. 40). Bei Gesunden fanden sich also keine ipsilateralen Antworten im M. deltoideus (Schulze-Bonhage et al. 1998). Die Repräsentation des M. deltoideus zeigt eine breite Überlappung mit der des M. interosseus dorsalis manus I, wobei das Punctum maximum aber 4 cm weiter medial liegt (. Abb. 10.1). Indikation zur Ableitung vom M. deltoideus besteht bei der Frage nach der Höhe einer cervikalen Läsion. Gerade bei einer zervikalen Myelopathie kann das MRT zwar die spinale Enge anzeigen, ist aber nicht ausreichend in der Lage anzuzeigen, welches Segment am stärksten involviert ist. Auch bei der Fragestellung nach einer zentralen oder peripheren Genese einer Parese ist die Ableitung vom M. deltoideus oder auch anderen proximalen Armmuskeln angezeigt. Bei der Ableitung proximaler Armmuskeln und zervikaler Stimulation stört oft ein großer Stimulusartefakt die Auswertung, auch deswegen ist bei der Frage nach einem zentralen Demyelinisierungsherd die Ableitung der MEP von einem Handmuskel vorzuziehen. Die Feststellung, dass proximale Muskeln ausschließlich kontralateral repräsentiert sind, bezieht sich auf Antworten mit kurzer Latenz, die über den Tractus corticospinalis geleitet werden. Mit speziellen Ableitetechniken (Poststimulus-Zeithistogramme) lassen sich bei einseitiger Reizung auch Antworten späterer Latenz im M. deltoideus bilateral ableiten (Colebatch et al. 1990). Dies könnte Ausdruck einer bilateralen kortikalen Repräsentation nichtmonosynaptischer kortikomotoneuraler Verbindungen sein. Auch wurde bereits oben erwähnt, dass mit speziellen Techniken in nahezu allen Armmuskeln ipsilaterale kortikomotoneurale Verbindungen nachgewiesen werden können (Ziemann et al. 1999), die allerdings gegenüber den kontralateralen Verbindungen quantitativ vernachlässigbar sind.

10.3.1 M. deltoideus 10.3.2 M. erector spinae Der M. deltoideus wird hier als Vertreter eines proximalen Armmuskels besprochen, ohne dass er zur axialen Muskulatur zählt. Bei gesunden Probanden lässt sich die Frage der kortikalen Repräsentation durch Stimulation mit einer fokalen Achterspule klären, deren Magnetfeld am Berührungspunkt der beiden Spulen relativ umschrieben Teile des Kortex erregen kann. Trotz der umfangreichen Literatur über die funktionellen Unterschiede zwischen proximalen und distalen Muskeln lassen sich mit der Magnetstimula-

Die autochthone Rückenmuskulatur zählt zu den Muskeln, die kaum bewusst innerviert werden, aber dennoch ständig aktiv sind. Bei einer Greifbewegung mit der Hand zu einer Tasse plane ich, genau diese Bewegung auszuführen. Mir ist bewusst, dass ich diese Bewegung rasch oder langsam ausführen kann und ich bin mir zumindest einigermaßen bewusst, ob die Ausführung der Bewegung der Planung zu dieser Bewegung entspricht. Kaum bewusst wird dabei, dass

112

1

Kapitel 10 · Motorisch evozierte Potenziale der axialen und proximalen Muskeln

a

b

2 3 4 5 6 7 8 9 10

. Abb. .a,b. Vergleichende Kartierung über dem primären motorischen Kortex und Ableitung der MEP vom rechten M. interosseus dorsalis manus I (a) und vom rechten M. deltoideus (b) mit einer achterförmigen Magnetspule. Für den M. interosseus dorsalis manus I liegt der Ort, an dem eine maximale kontralaterale Muskelantwort (engl. motor hot spot) induziert wird, 6 und 8 cm lateral vom Vertex (entsprechend der Elektrodenposition Cz nach dem 10–20-System).

Für den M. deltoideus liegt er bei 4 und 6 cm lateral von Cz. Antworten von der rechtsseitigen Muskulatur erhält man nur bei kontralaletraler Kortexstimulation links der Mittellinie. Bei ipsilateraler Stimulation (rechts von Cz, Ableitung von der rechtsseitigen Muskulatur) sind keine MEP auslösbar. Die Karten für beide Muskeln sind unterschiedlich, zeigen aber auch eine deutliche räumliche Überlappung

eine solche Bewegung nur durchgeführt werden kann, wenn proximale und axiale Muskeln den Arm am Rumpf und den Rumpf selbst stabilisieren. Wenn die Bewegung nicht gelingt, wird man den Fehler eher im Arm und der Bewegungsplanung für den Arm suchen als in der Rückenmuskulatur. Von daher ist die Frage durchaus berechtigt, ob die autochthone Rückenmuskulatur überhaupt unter kortikaler Kontrolle steht oder ob sie quasi reflektorisch von subkortikalen oder spinalen Zentren geleitet wird. Während die Repräsentation von Gesichts-, Armund Beinmuskeln schon von Foerster (1936) und von Penfield u. Boldrey (1937) mittels direkter Kortexstimulation intensiv untersucht wurde, so verwendeten diese Autoren doch keine EMG-Registrierung für die Muskelantworten. Für die Handmuskulatur war dies akzeptabel, da man die entsprechende Bewegung sehr gut optisch beobachten kann. Bei einer Rumpfbewegung ist allerdings eine EMG-Ableitung unverzichtbar. Anderenfalls lässt sich nie entscheiden, ob die Rumpfbewegung sekundär auf eine Extremitätenbewegung erfolgte, und ob z. B. der rechte oder linke M. erector spinae sich primär kontrahiert. Feste Normwerte bei Ableitung vom M. erector spinae gibt es nicht, da bei diesem großen, langge-

streckten Muskel die Latenz entscheidend vom Ableiteort abhängt. Im Gegensatz zum proximalen M. deltoideus zeigt die axiale Erector-spinae-Muskulatur variable kortikale Repräsentationen. Es kommen kontralaterale, wie auch bilaterale Repräsentationen vor (. Abb. 10.2 und 10.3). Bei 2 von 9 Probanden ließ sich sogar eine Antwort aus dem rechten und linken M. erector spinae nur von einer Hemisphäre aus erhalten (Ferbert et. al. 1992a). Im Allgemeinen werden bei Ableitung vom M. erector spinae Latenzen gemessen, die mit einer monosynaptischen kortikomotoneuralen Verbindung vereinbar sind. Selten findet man Antworten mit deutlich längerer Latenz. Die genaue neurophysiologische Grundlage für diese späteren motorischen Antworten ist noch unbekannt. Es kommen mehrere Erklärungen in Frage: Entweder handelt es sich um eine Antwort, die nicht über den Tractus corticospinalis vermittelt wird, sondern über polysynaptische Verbindungen oder aber es handelt sich um einen Muskeldehnungsreflex: Wenn sich der M. erector spinae der einen Seite kontrahiert, kommt es zur Dehnung des kontralateralen M. erector spinae, in dem ein spinaler Reflex auftritt. Schließlich ist bekannt, dass es bei einer Armbewegung zu einer EMG-Aktivität im M. erector spi-

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

113

10.3 Ableitung von speziellen Muskeln

a

. Abb. .a,b. a EMG-Aufzeichnung vom M. erector spinae abgeleitet mit Oberﬂächenelektroden auf Höhe des achten Brustwirbelkörpers. Gereizt wurde mit der achterförmigen Spule 4 cm links vom Vertex (entsprechend der Elektrodenposition Cz nach dem 10–20-System). Der obere Teil der Abbildung zeigt die Antwort in der kontralateralen Muskulatur, der untere Teil die Registrierung aus dem zur Stimulation ipsilateralen Muskel. In diesem Fall besteht eine rein kontralaterale kortikale Repräsentation des M. erector spinae. b EMGAufzeichnung vom kontralateralen M. erector spinae. Im obe-

a

b

. Abb. .a,b. Asymmetrische kortikale Repräsentation des M. erector spinae bei einem gesunden Probanden. Bei Stimulation 4 cm links vom Vertex (entsprechend der Elektrodenposition Cz nach dem 10–20-System) lässt sich aus dem M. erector spinae beider Seiten ein Potenzial ableiten (a). Bei Reizung über der gegenseitigen Hemisphäre (b) ist überhaupt kein Potenzial erhältlich. R und L bezeichnen die Seite der Ableitung. (Aus Ferbert et al. 1992a; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

10

b

ren Teil der Abbildung Ableitung mit Oberﬂächenelektroden (identisch zu a), im unteren Teil, etwa an der gleichen Stelle, mit Nadelelektroden. Während die negative Komponente der Potenziale eine etwa gleiche Latenz hat, ist bei Ableitung mit Oberﬂächenelektroden ein früher positiver Potenzialbeginn 8 ms vorher abzuleiten. Er reﬂektiert Volumenleitung von weiteren kranial gelegenen Teilen dieses sehr langen Muskels. (Aus Ferbert et al. 1992a; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

nae kommt, die den Rumpf stabilisieren soll gegen diese Armbewegung. Die Ableitung vom M. erector spinae ist keine Routineuntersuchung. Eine mögliche Anwendung ist die Höhenlokalisation bei einer thorakalen Querschnittslähmung. Während die neurologische Untersuchung der Armmuskeln bei zervikalen Querschnittsläsionen sehr genau die Höhe der Läsion anzeigt, ist die klinische Untersuchung bei thorakalem Querschnitt sehr ungenau bzw. nur indirekt über die Sensibilitätsstörung möglich. Eine genaue Höhenbestimmung kann für therapeutische Planung von großer Bedeutung sein. Bei dieser Fragestellung sollte dann (zusätzlich) mit Nadelelektroden abgeleitet werden, da auf diesem Wege am besten die lokale EMGAktivität an der Ableitestelle bestimmt werden kann. Durch Ableitung von verschiedenen Höhen wie z. B. HWK 7 und LWK 1 lässt sich eine körpergrößenunabhängige spinalmotorische Leitungszeit mit 55,3 m/s bestimmen (Urban et al. 1993).

10.3.3 M. pectoralis und M. latissimus dorsi Vergleichbar zum M. erector spinae findet man im M. pectoralis und im M. latissimus dorsi kontralaterale und ipsilaterale Antworten mit kurzer Latenz. In 6 von 7 gesunden Probanden ließ sich eine hemis-

114

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 10 · Motorisch evozierte Potenziale der axialen und proximalen Muskeln

pherale Asymmetrie der kortikomotorischen Projektionen zu diesen Schultergürtelmuskeln nachweisen. In der »dominanten« Hemisphäre löste die TMS 3- bis 4-mal höhere MEP-Amplituden aus als die TMS der »nichtdominanten« Hemisphäre. Zudem ist das ipsilaterale kortikale Repräsentationsareal in der dominanten Hemisphäre großflächiger als das ipsilaterale kortikale Repräsentationsareal in der nichtdominanten Hemisphäre. Es gab keine Seitenpräferenz bez. der Hemisphärendominanz. Mal war die rechte mal die linke Hemisphäre dominant. Die kontralateralen kortikalen Repräsentationsareale waren dagegen in der dominanten und nichtdominanten Hemisphäre gleich stark ausgebildet (MacKinnon et al 2004).

10.3.4 Diaphragma Nachdem die erste transkranielle Untersuchung des Zwerchfells mit elektrischer Stimulation bereits vor 20 Jahren durchgeführt wurde (Gandevia u. Rothwell 1987), stammt die genaueste Beschreibung der Technik der TMS zum Diaphragma von Demoule et al. (2003a). Eine Schwierigkeit bei der Ableitung vom Diaphragma besteht darin, dass die Ableitung entweder mit Nadelelektroden erfolgt – verbunden mit allen bekannten Schwierigkeiten einer MEP-Ableitung mit Nadelelektroden ‒ und auch einem geringen Risiko für einen Pneumothorax. Bei Verwendung von Oberflächenelektroden können diese nicht direkt auf dem Muskel angebracht werden, sondern in einer gewissen Entfernung. Dieses erhöht das Risiko, dass andere Muskeln in der Region von der Elektrode mit aufgenommen werden, je nach Elektrodenposition, z. B. der M. rectus abdominis und der M. serratus anterior. Am geringsten ausgeprägt ist solche ferngeleitete EMG-Aktivität, wenn die aktive Elektrode kurz unterhalb der 8. Rippe im Interkostalraum zwischen der kostochondralen Verbindung und der Medioclavikularlinie befestigt wird und die Referenzelektrode 3 cm oberhalb und etwas lateral davon über der 8. Rippe (Demoule et al. 2003a). Bei Reizung mit der großen runden Spule wird das Zentrum der Rundspule über dem Vertex positioniert, wobei kleinere Änderungen der Spulenposition erforderlich sein können, um jeweils die größten MEP zu erhalten. Bei Verwendung der achterförmigen Spule wird deren Mittelteil 3 cm lateral und 2 cm anterior des Vertex zentriert. Das MEP hat bei dieser Elektrodenposition eine mittlere Latenz von 17 ms (15,6–19,1 ms). In 8 von 13 gesunden Probanden war es möglich mit einem Doppelpulsparadigma die intrakortikale Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency intracortical inhibition, SICI;

7 Kap. 16) sowie die intrakortikale Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16) zu untersu-

chen (Demoule et al. 2003b). Die Indikation zur MEP-Untersuchung des Diaphragma liegt in der Beurteilung von Atemstörungen, welche z. B. nach einem Trauma entweder zentral oder peripher lokalisiert sein können (Duguet et al. 2006). Bei diesen Patienten kann eine TMS auch zur prognostischen Beurteilung der Atemstörung beitragen. In diesem Zusammenhang sind die Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Entwöhnung vom Respirator nach Langzeitbeatmung und die Indikationsstellung für eine kontinuierliche Phrenicusstimulation zu nennen (Similowski et al. 1996). Bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose lässt sich mit der Methode eine frühe Beteiligung der Atemmuskulatur nachweisen, auch wenn Spirometrie oder Blutgasanalyse noch normale Resultate erbringen (Miscio et al. 2006). Bei Patienten mit multipler Sklerose ist dagegen der diagnostische Wert der Untersuchung gering (Miscio et al. 2003).

10.3.5 M. sphincter ani externus,

M. sphincter urethrae und M. bulbocavernosus Die Ableitung vom M. sphincter ani externus erfolgt meist mit Nadelelektroden. Aber auch die Verwendung spezieller intraanal platzierter Ballonelektroden ist möglich. Pelliccioni (1997) ermittelte die Latenzzeit für das MEP nach kortikaler TMS: Diese lagen bei einem Mittelwert von 26,9 ms (SD ±3,0) im entspannten Zustand und bei einem Mittelwert von 23,3 ms (SD±2,7) bei willkürlicher Voranspannung des Muskels. Eine ungewöhnlich große Differenz der Latenzen zwischen entspanntem und vorgespanntem Muskel fanden Opsomer et al. (1989): Durch Voranspannung des Muskels ließ sich die Latenz von 30 ms auf 22,8 ms verkürzen. Die kortikale motorische Reizschwelle (7 Kap. 14) des M. sphincter ani externus und die intrakortikale Doppelpulsbahnung (7 Kap. 16) unterscheidet sich nicht wesentlich von der zu einem kleinen Handmuskel, dagegen sind die kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) und die intrakortikale Hemmung kurzer Latenz (7 Kap. 16) im M. sphincter ani externus geringer ausgeprägt (Lefaucheur 2005). Die Indikation für die TMS-Untersuchung des M. sphincter ani externus liegt überwiegend im Bereich der Inkontinenzdiagnostik. Aufgrund der Häufigkeit von Blasenstörungen bei multipler Sklerose wurde in dieser Patientengruppe

115

Literatur

eine TMS-Untersuchung der kortikomuskulären Projektionen zum M. sphincter urethrae externus durchgeführt (Brostrom et al. 2003a,b). Leider waren relativ häufig überhaupt keine motorischen Antworten zu erhalten, so dass eine Latenzbestimmung nicht möglich war. Auch ergab sich keine gute Korrelation zum klinischen Bild, so dass die Autoren den Wert der TMS-Untersuchung in dieser Indikation eher kritisch einschätzen. Auch bei Gesunden sind Antworten oft nur bei Voranspannung zu erhalten. Zum M. bulbocavernosus fanden Opsomer et al. (1989) ähnliche Latenzen wie bei Ableitung vom M. sphincter ani externus, nämlich 28,8 ms im entspannten Zustand und 22,5 ms unter Voranspannung. Die zentralmotorische Leitzeit beträgt beim gesunden Mann 13,8–16,9 ms mit einem Mittelwert von 15,77 ms (Dressler et al. 1990). Aus dieser relativ kurzen zentralmotorischen Leitungszeit (engl. central motor conduction time, CMCT) kann man schließen, dass auch zum M. bulbocavernosus schnell leitende Pyramidenbahnverbindungen bestehen. Ghezzi et al. (1991) fanden bei gesunden Probanden Antworten mit einer Gesamtlatenz bei einem Mittelwert von 22,9 ms (SD ±1,8) und eine Latenz nach lumbaler Stimulation bei einem Mittelwert von 5,9 ms (SD±0,4). Eine breite klinische Anwendung hat die Untersuchung bislang nicht gefunden. Auch bei MS-Patienten mit erektiler Dysfunktion ist der diagnostische Wert der MEP sehr gering (Ghezzi et al. 1995). Peretti et al. (2003) untersuchten mit der TMS und dem Bulbocavernosusreflex bei Patienten mit vorzeitiger Ejakulation und konnten mit diesen Methoden keine Auffälligkeiten bei ihren Patienten finden.

10.3.6 Quergestreifte Muskulatur des

Pharynx und Ösophagus Die TMS über dem primären motorischen Kortex kann auch kortikomuskuläre Projektionen zur quergestreiften Muskulatur des Pharynx und Ösophagus aktivieren und mit Schluckelektroden abgeleitet werden. Die Latenzen sind recht stabil, die Amplituden allerdings sehr variabel (Paine et al. 2006). Die Neurophysiologie dieser kortikobulbären und kortikoösophagealen Bahnen wurde in den letzten 10 Jahren von der Arbeitsgruppe um Hamdy und Thompson in Manchester untersucht. Diese Arbeitsgruppe konnte 1996 erstmals zeigen, dass sich durch die TMS des motorischen Kortex ein MEP der quergestreiften Pharynxmuskulatur und Ösophagusmuskulatur auslösen und mit Schluckelektroden ableiten lässt (Aziz et al. 1996; Hamdy et al. 1996). Motorische Antworten lassen sich

10

mit einer Stimulation über beiden Hemisphären auslösen, wobei die kortikale Repräsentation unabhängig von der Händigkeit eine funktionelle Hemisphärenasymmetrie aufweist. Die Neurophysiologie dieser kortikomotorischen Projektionen wurde in den folgenden Jahren weiter untersucht. Diese Arbeiten zeigten, dass die MEP-Amplituden durch afferente Stimulation des Gesichtes, Pharynx und Ösophagus moduliert werden können und bei quasi gleichzeitiger TMS der rechts- und linkshemisphärischen Kortexrepräsentation (Interstimulus-Intervall = 1 ms) sich die MEP-Antwort aufsummiert (Hamdy et al. 1998). Diese Arbeiten wurden ergänzt durch Studien zur kortikomotorischen Reorganisation bei Patienten mit Schluckstörung (Dysphagie) nach Schlaganfall (Fraser et al. 2002). Die gleiche Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass sowohl eine repetitive afferente Stimulation oder eine rTMS der kortikalen Repräsentationen anhaltende Erregbarkeitsveränderungen in den kortikomotorischen Projektionen zur Pharynxmuskulatur induziert werden können (Fraser et al. 2002; Gow et al. 2004; 7 Kap. 50 und 51).

Literatur 1Aziz Q, Rothwell JC, Hamdy S et al. (1996) The topographic representation of esophageal motor function on the human cerebral cortex. Gastroenterology 111: 855–862 Erstmalige Demonstration, dass sich nach fokaler TMS über dem linken und rechten motorischen Kortex mit Schluckelektroden ein MEP von der quergestreiften Ösophagusmuskulatur ableiten lässt. Brostrom S, Frederiksen JL, Jennum P, Lose G (2003a) Motor evoked potentials from the pelvic ﬂoor in patients with multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 74: 498– 500 Brostrom S, Jennum P, Lose G (2003b) Motor evoked potentials from the striated urethral sphincter and puborectal muscle: normative values. Neurourol Urodyn 22: 306–313 1Colebatch JG, Rothwell JC, Day BL et al. (1990) Cortical outﬂow to proximal arm muscles in man. Brain 113: 1843– 1856 Nachweis ipsilateraler Projektionen mit Poststimulus-ZeitHistogramm-Technik. 1Demoule A, Verin E, Locher C et al. (2003a) Validation of surface recordings of the diaphragm response to transcranial magnetic stimulation in humans. J Appl Physiol 94: 453–461 Methodisch wichtige Untersuchung zur transkraniellen Untersuchung der kortikomuskulären Projektionen zum Diaphragma. Demoule A, Verin E, Ross E et al. (2003b) Intracortical inhibition and facilitation of the response of the diaphragm to transcranial magnetic stimulation. J Clin Neurophysiol 20: 59–64

116

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 10 · Motorisch evozierte Potenziale der axialen und proximalen Muskeln

Dressler D, Schonle PW, Neubauer H (1990) Central motor conduction time to bulbocavernosus muscle: evaluation by magnetic brain stimulation and testing of bulbocavernosus reﬂex. J Neurol 237: 239–241 1Duguet A, Demoule A, Gonzalez J et al. (2006) Predicting the recovery of ventilatory activity in central respiratory paralysis. Neurology 67: 288–292 Wichtige klinische Anwendung der kortikalen Stimulation zum Zwerchfell. 1Ferbert A, Caramia D, Priori A et al. (1992a) Cortical projection to erector spinae muscles in man as assessed by focal transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 382–387 Erste Ableitung von der autochthonen Rückenmuskulatur. Ferbert A, Priori A, Rothwell JC et al. (1992b) Interhemispheric inhibition of the human motor cortex. J Physiol 453: 525–546 Foerster O (1936) Motorische Felder und Bahnen. In: Bumke O & Foerster O (eds). Handbuch der Neurologie Vol. 6. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp1–357 1Fraser C, Power M, Hamdy S et al. (2002) Driving plasticity in human adult motor cortex is associated with improved motor function after brain injury. Neuron 34: 831–840 Wichtige Untersuchung zur Neuromodulation der kortikobulbären Erregbarkeit durch aﬀerente Stiimulation und zur Reorganisation der kortikobulbären Repräsentationen bei Patienten mit Schluckstörungen nach Schlaganfall. 1Gandevia SC, Rothwell JC (1987) Activation of the human diaphragm from the motor cortex. J Physiol 384: 109–118 Erste Ableitung vom Zwerchfell nach transcranieller Kortexstimulation. Ghezzi A, Callea L, Zaﬀaroni M, Montanini R, Tessera G (1991) Motor potentials of bulbocavernosus muscle after transcranial and lumbar magnetic stimulation: comparative study with bulbocavernosus reﬂex and pudendal evoked potentials. J Neurol Neurosurg Psychiatry 54: 524–526 Ghezzi A, Malvestiti G M, Baldini S, Zaﬀaroni M, Zibetti A (1995) Erectile impotence in multiple sclerosis: a neurophysiological study. J Neurol 242: 123–126 Gooden BR, Ridding MC, Miles TS et al. (1999) Bilateral cortical control of the human anterior digastric muscles. Exp Brain Res 129: 582–591 Gow D, Hobson AR, Furlong P, Hamdy S (2004) Characterising the central mechanisms of sensory modulation in human swallowing moror cortex. Clin Neurophysiol 115: 2382– 2390 1Hamdy S, Aziz Q, Rothwell JC et al. (1996) The cortical topography of human swallowing musculature in health and disease. Nat Med 2: 1217–1224 Wegweisende Arbeit zur TMS der Schluckmuskulatur, welche die methodlischen Grundlagen etabilert und bereits die potentielle klinische Applikation bei Patienten mit Schluckstörungen aufzeigt. Hamdy S, Aziz Q, Rothwell JC et al. (1998) Sensorimotor modulation of human cortical swallowing pathways. J Physiol 506: 857–866

Lefaucheur JP (2005) Excitability of the motor cortical representation of the external anal sphincter. Exp Brain Res 160: 268–272 MacKinnon CD, Quartarone A, Rothwell JC (2004) Inter-hemispheric asymmetry of ipsilateral corticofugal projections to proximal muscles in humans. Exp Brain Res 157: 225–233 Miscio G, Guastamacchia G, Priano L et al. (2003) Are the neurophysiological techniques useful for the diagnosis of diaphragmatic impairment in multiple sclerosis (MS)? Clin Neurophysiol 114: 147–153 Miscio G, Gukov B, Pisano F et al. (2006) The cortico-diaphragmatic pathway involvement in amyotrophic lateral sclerosis: neurophysiological, respiratory and clinical considerations. J Neurol Sci 251: 10–16. 1Müller K, Kass-Iliyya F, Reitz M (1997) Ontogeny of ipsilateral corticospinal projections: a developmental study with transcranial magnetic stimulation. Ann Neurol 42: 705– 711 Wichtige Studie zur Entwicklung der kortikospinalen Projektionen. Die Altersabhängigkeit ipsilateraler Antworten wird dargestellt. Opsomer RJ, Caramia MD, Zarola F et al. (1989) Neurophysiological evaluation of central-peripheral sensory and motor pudendal ﬁbres. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 74: 260–270 Paine PA, Aziz Q, Gardener E et al. (2006) Assessing the temporal reproducibility of human esophageal motor-evoked potentials to transcranial magnetic stimulation. J Clin Neurophysiol 23: 374–380 Pelliccioni G, Scarpino O, Piloni V (1997) Motor evoked potentials recorded from external anal sphincter by cortical and lumbo-sacral magnetic stimulation: normative data. J Neurol Sci. 149: 69–72. 1Penﬁeld W, Boldrey E (1937) Somatic motor and sensory representation in cerebral cortex of man as studied by electrical stimulation. Brain 60: 389–443 Klassische Arbeit, in der die bekannte Abbildung des Homunculus erstmals verwandt wird. Perretti A, Catalano A, Mirone V et al. (2003) Neurophysiologic evaluation of central-peripheral sensory and motor pudendal pathways in primary premature ejaculation. Urology 61: 623–628 1Plassman BL, Gandevia SC (1989) Comparison of human motor cortical projections to abdominal muscles and intrinsic muscles of the hand. Exp Brain Res 78: 301–308 Repräsentative Studie mit Vergleich eines axialen und eines distalen Muskels. Ray J, McNamara B, Boniface S (2002) Acquisition and expression of proximal and distal upper limb stimulus-response curves to transcranial magnetic stimulation. Muscle Nerve 25: 202–206 Schulze-Bonhage A, Cichon BM, Ferbert A (1998) Cortical representation of proximal and distal arm muscles as assessed by focal transcranial magnetic stimulation. Electromyogr Clin Neurophysiol 38: 81–86 Similowski T, Straus C, Attali V et al. (1996) Assessment of the motor pathway to the diaphragm using cortical and cer-

Literatur

vical magnetic stimulation in the decision-making process of phrenic pacing. Chest 110: 1551–1557 Turton A, Lemon RN (1999) The contribution of fast corticospinal input to the voluntary activation of proximal muscles in normal subjects and in stroke patients. Exp Brain Res 129: 559–572 Urban PP, Nix WA, Vogt H, Hopf HC (1993) Spinalmotorische Leitgeschwindigkeit: Motorisch evozierte Potentiale der segmentalen paravertebralen Muskulatur. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 24: 88– 92 1Ziemann U, Ishii K, Borgheresi A et al. (1999) Dissociation of the pathways mediating ipsilateral and contralateral motor-evoked potentials in human hand and arm muscles. J Physiol 518: 895–906 Wichtige Studie zur Frage ipsilateraler Projektionen zu verschiedenen Armmuskeln.

117

10

11

119

Triple-Stimulationstechnik Kai M. Rösler

11.1

Neurophysiologischer Hintergrund – 120

11.1.1

Desynchronisation der induzierten Motoneuronentladungen – 120 Mehrfachentladungen von Motoneuronen – 120 Prinzip der TripleStimulationstechnik – 121

11.1.2 11.1.3

11.2

Praktisches Vorgehen

11.2.1

Voraussetzungen und Grundsätzliches – 123 Ableitung – 123 Periphere distale Stimulation – 125

11.2.2 11.2.3

– 123

11.2.4 11.2.5 11.2.6

Proximale Nervenstimulation – 125 Transkranielle Stimulation – 126 Bestimmung der Reizintervalle – 126

11.3

Messungen und Berechnungen – 126

11.4

Klinische Anwendung der TripleStimulationstechnik – 126

11.5

Limitationen der TST

11.6

Fallbeispiele – 129

Literatur

– 131

– 128

ZUM THEMA In diesem Kapitel wird die Triple-Stimulationstechnik (TST) beschrieben. Es handelt sich um eine Kollisionsmethode, welche die durch einen transkraniellen Magnetstimulus ausgelösten Entladungen der spinalen Motoneurone synchronisiert. Dadurch werden Phasenauslöschungsphänomene verhindert, die durch die Dispersion der kortikomuskulären Erregung entstehen und welche die Amplitude der Reizantwort sonst in unvorhersehbarer und variierender Weise reduzieren. Zusätzlich eliminiert die TST auch Einﬂüsse multipler spinaler Motoneuronentladungen nach transkranieller Magnetstimulaton (TMS). Die TST macht es daher im

Gegensatz zur konventionellen Methode möglich, die Anzahl leitender zentraler Motoneurone zu einem Zielmuskel in Prozentwerten zu quantiﬁzieren. Beim Patienten eignet sich die TST zum Nachweis und zur Quantiﬁzierung zentraler Leitungsdeﬁzite durch Verlust oder Leitungsblock kortikospinaler Neurone. Die TST ist zwar eine etwas aufwendigere Untersuchung als die konventionelle TMS, hat aber eine viel höhere diagnostische Sensitivität als die Bestimmung der zentralen motorischen Leitungszeit. Sie erlaubt außerdem neue Einblicke in die Physiologie der TMS und der zentralen Motorik.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

120

Kapitel 11 · Triple-Stimulationstechnik

11.1

Neurophysiologischer Hintergrund

Grundsätzlich besteht ein hohes Interesse daran, für die Funktionsdiagnostik des kortikospinalen Traktes nicht nur die zentralmotorische Leitungszeit zu messen (7 Kap. 6), sondern auch über einen neurophysiologsichen Kennwert zu verfügen, der die Anzahl funktionsfähiger kortikospinaler Neurone quantifiziert. Zumindest theoretisch sollte die Amplitude eines MEP einen Aufschluss darüber geben können, wie viele kortikospinale Neurone leitfähig sind bzw. wie groß der Anteil leitfähiger Neurone am gesamten Trakt ist. Ein kortikospinaler Leitungsblock oder ein Verlust an kortikospinalen Neuronen sollte demnach zu einer Abnahme der MEP-Amplitude führen und diese Abnahme sollte messbar und mit Normwerten vergleichbar sein. Theoretisch sollte bei zentralen Paresen die Abnahme der MEP-Amplitude mit dem Paresegrad korrelieren. Es hat sich gezeigt, dass die MEP-Amplitude (oder auch die Fläche unter der Kurve) oft nur ungenaue Hinweise auf die Funktionsfähigkeit der kortikospinalen Bahn gibt. Dies ist vor allem dadurch bedingt, dass die MEP meist deutlich kleiner sind als die durch supramaximale periphere Elektrostimulation ausgelösten Muskelsummenaktionspotenziale (MSAP) und dass sich diese Amplitudenreduktion von Proband zu Proband unterscheidet (7 Kap. 5). Aus diesem Grunde ist es schwierig, eine untere Normgrenze für MEPAmplituden zu definieren. Ein weiteres wesentliches Charakteristikum der MEP ist die Variabilität ihrer Amplitude und Konfiguration von einem Stimulus zum Nächsten. Eine Sättigung der Amplitude wird wegen dieser Variabilität auch bei maximalen Stimulationsstärken nicht erreicht, so dass es bei der Untersuchung unklar bleibt, ob überhaupt alle vorhandenen bzw. funktionsfähigen kortikospinalen Neurone durch den Stimulus erregt werden konnten oder nicht. Aus diesem Grund wird von vielen Anwendern darauf verzichtet, die MEP-Amplitude als Parameter für eine kortikospinale Funktionsstörung zu verwenden. Als einziges pathologisches Amplitudenkriterium wird meist nur das vollständige Fehlen eines MEP (d. h. Amplitude = 0) bei maximaler transkranieller Stimulation oder eine deutliche Seitendifferenz gewertet. Die Triple-Stimulationstechnik (TST) wurde entwickelt, um zu einem klinisch aussagekräftigen Amplitudenparameter für die Funktion des kortikospinalen Traktes zu kommen. Die TST schaltet die beiden Hauptmechanismen aus, welche ‒ neben der Zahl der funktionsfähigen pyramidalen Axone ‒ die MEP-Amplitude verändern können. Dies ist einer-

seits die wechselnde Synchronisation bzw. Desynchronisation der durch die TMS herbeigeführten, deszendierenden Aktionspotenziale, andererseits das Vorkommen von Mehrfachentladungen einzelner spinaler Motoneurone nach TMS.

11.1.1 Desynchronisation der induzierten

Motoneuronentladungen Grundsätzlich wird in der klinischen Neurophysiologie oft davon ausgegangen, dass sich Amplituden und Flächen einzelner Potenziale addieren und ein aus solcher Summation entstehendes MSAP Aufschluss über die Menge der es konstituierenden Einzelpotenziale gibt. Diese Grundregel gilt aber nur dann, wenn die negativen Phasen der einzelnen Potenziale synchronisiert sind. Falls eine Desynchronisation auftritt, so entspricht die Größe des MSAP nicht mehr der Summe der Einzelpotenziale. Dies betrifft vor allem die Amplitude, kann jedoch, wenn die einzelnen Potenziale auch positive Ausschläge aufweisen, auch die Fläche des MSAP beeinflussen. Dieses Phänomen wird als Phasenauslöschung bezeichnet (Magistris et al. 1998). Es hat sich gezeigt, dass die Größe von MEP (Amplitude und Fläche) in hohem Ausmass durch Desynchronisation und Phasenauslöschung beeinflusst wird. Dabei ist der Synchronisationsgrad der durch die TMS hervorgerufenen Motoneuronentladungen von Stimulus zu Stimulus und von Proband zu Proband verschieden, was die beiden Hauptcharakteristika der MEP (Größenreduktion im Vergleich zur supramaximalen peripheren Nervenstimulation und Größenvariabilität) erklärt (Magistris et al. 1998, Rösler et al. 2002). Wird der gesamte Motoneuronpool eines Zielmuskels zur Erregung gebracht, so beruht die Variabilität der MEP von einem Stimulus zum Nächsten allein auf variierender Synchronisation der Entladungen (Magistris et al. 1998).

11.1.2 Mehrfachentladungen von

Motoneuronen Schon bald nach Einführung der Magnetstimulation wurde klar, dass einzelne Motoneurone nach einem transkraniellen Stimulus doppelt oder mehrfach entladen. Dies zeigt sich z. B. daran, dass die Muskelkraft einer durch TMS hervorgerufenen Muskelzuckung größer sein kann als nach supramaximaler Reizung des entsprechenden peripheren Nervs. Falls Mehrfachentladungen auftreten, so führen sie zu einer Vergrößerung des MEP, was sich vor allem auf die Flä-

121

11.1 Neurophysiologischer Hintergrund

che unter der Kurve, weniger auch auf die Amplitude auswirkt. Multiple Entladungen der Motoneurone können also die Größe eines MEP deutlich modifizieren; das Ausmass der Größenmodulation hängt von Vorinnervation und transkranieller Stimulationsstärke ab und ist interindividuell stark unterschiedlich (Z’Graggen et al. 2005).

a

. Abb. .a,b. Technisches Prinzip der Triple-Stimulationstechnik (TST). Die Pyramidenbahn ist reduziert auf 3 spinale Neurone. Die Muskelfasern der 3 motorischen Einheiten sind durch waagrechte Linien angedeutet. Weiße Dreiecke repräsentieren Aktionspotenziale, die auf der resultierenden Ableitung nicht gesehen werden, schwarze Dreiecke solche, die zur aufgezeichneten Reizantwort beitragen. Unterhalb der Schemata ist die Kurvenaufzeichnung zum jeweiligen Zeitpunkt gegeben. a Test-TST: Die eigentliche TST (Test-TST) beginnt mit einem über dem motorischen Kortex verabreichten transkraniellen Magnetstimulus. Der kortikale Magnetstimulus führt wegen eines zentralen Leitungsdeﬁzits nur zur Erregung der Neurone 1 und 2 (a1). Die Aktionspotenziale auf den Neuronen 1 und 2 deszendieren nach distal, sind aber nicht synchron. Etwas später wird der periphere Nerv am Handgelenk (HG) maximal gereizt, so dass auf allen Neuronen orthodrome Aktionspotenziale nach distal deszendieren (und ein erstes MSAP verursachen) und antidrome Potenziale nach zentral aufsteigen. Zwei dieser aufsteigenden Aktionspotenziale kollidieren mit den deszendierenden Aktionspotenzialen auf Neuronen 1 und 2 und löschen diese aus. Auf Neuron 3

11

11.1.3 Prinzip der Triple-

Stimulationstechnik Die TST eliminiert die Einflüsse von Desynchronisation und Mehrfachentladungen auf die durch die TMS ausgelöste muskuläre Reizantwort. Das Prinzip der TST wird schematisch in . Abb. 11.1 illustriert. Im Ablauf der Untersuchung werden 3 Stimuli gegeben. Der erste Stimulus ist der transkranielle Stimulus, welcher magnetisch oder elektrisch erfolgen kann. Der zweite Stimulus ist ein supramaximaler distaler Stimu-

b

steigt das antidrome Aktionspotenzial weiter auf (a2). Ein dritter maximaler elektrischer Stimulus wird am Erb’schen Punkt gegeben. Die dadurch erzeugten Aktionspotenziale können auf den Neuronen 1 und 2 ungehindert bis zum Muskel ziehen. Auf Neuron 3 ereignet sich eine Kollision(a3). Als Resultat erreichen auf den Neuronen 1 und 2 (also den beiden Neuronen, die ursprünglich durch den Magnetstimulus asynchron erregt wurden) zwei synchronisierte Aktionspotenziale den Muskel. Auf Neuron 3 ist dies nicht der Fall. Das Kurvenbild zeigt jetzt eine zweite Deﬂektion, welche ausgemessen wird (a4). b Kontroll-TST: Die Test-TST wird ergänzt durch die Aufzeichnung einer Kontroll-TST, bei welcher der erste Stimulus (Hirnstimulus) durch die maximale Reizung des Plexus brachialis am Erb’schen Punkt ersetzt wird (Abfolge der Stimuli: Plexus – Handgelenk – Plexus), wozu die Zeitintervalle entsprechend angepasst werden. Auch hier entsteht eine Aufzeichung mit zwei Deﬂektionen, wobei die zweite Deﬂektion zur Kalibrierung der motorischen Reizantwort während der TestTST dient. Sie ist in b4 3/2 größer als in a4. Demnach beträgt der TST-Amplitudenquotient hier 66,7%(b1-b4)

122

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 11 · Triple-Stimulationstechnik

lus des den Zielmuskel versorgenden Nervs, also z. B. des N. ulnaris bei Ableitung vom M. abductor digiti minimi. Der dritte Stimulus ist ein proximaler supramaximaler Stimulus der Muskelefferenz, im Falle des M. abductor digiti minimi im Bereiche des Erb´schen Punktes über dem Armplexus. Diese Stimuli erfolgen in Intervallen, die dem individuellen Patienten oder Probanden angepasst werden. Es ist nützlich, sich anhand des Schemas in . Abb. 11.1 verschiedene Situationen vorzustellen. Falls der erste transkranielle Stimulus z. B. kein spinales Motoneuron zur Entladung bringt, so wird es auf keinem dieser Neurone zu einem deszendierenden Aktionspotenzial kommen. Nun wird der zweite distale Stimulus verabreicht, welcher Aktionspotenziale in orthodromer und antidromer Richtung erzeugt. Die orthodromen Aktionspotenziale führen zu einer ersten Muskelerregung, ein maximales MSAP des Zielmuskels wird aufgezeichnet. Die antidromen Potenziale steigen auf allen Neuronen nach proximal hin auf. Bevor sie den proximalen Stimulationspunkt erreichen, erfolgt dort eine (supra-) maximale Stimulation. Die von diesem dritten proximalen Stimulus ausgelösten orthodromen Aktionspotenziale propagieren nach distal, kollidieren aber mit den durch die vom zweiten distalen Stimulus stammenden antidromen Aktionspotenzialen und können sich deshalb nicht weiter nach distal ausbreiten. Der dritte proximale elektrische Stimulus erzeugt deshalb keine Reizantwort. Das Fehlen einer Reizantwort auf den dritten Stimulus entspricht dem Effekt des transkraniellen Stimulus, welcher ja keines der spinalen Motoneurone zur Erregung brachte. Falls der erste transkranielle Stimulus zu einer Erregung aller den Zielmuskel versorgenden spinalen Motoneurone führt, so deszendieren auf allen Neuronen Aktionspotenziale. Der zweite distale elektrische Stimulus erzeugt antidrome Aktionspotenziale auf allen Neuronen. Auf allen Neuronen erfolgt eine Kollision, mit dem Resultat, dass keinerlei Aktionspotenziale antidrom aufsteigen können. Die durch den dritten proximalen Stimulus ausgelösten Aktionspotenziale können sich nun ungehindert nach distal ausbreiten und führen zur maximalen Muskelerregung. Die maximale Reizantwort auf den dritten Stimulus bildet den Effekt des ersten transkraniellen Stimulus ab, welcher ja alle spinalen Motoneurone zur Erregung brachte. Der wesentliche Unterschied ist allerdings, dass die Entladungen nunmehr nicht mehr die initiale Desynchronisation aufweisen, sondern »resynchronisiert« sind. Die genaue Analyse der Vorgänge während der TST zeigt, dass die Test-Reizabfolge zwar diejeni-

ge Desynchronisation ausschaltet, welche proximal des dritten Reizes (im wesentlichen also zentral) entstanden war. Nicht eliminiert ist aber der Einfluss der Desynchronisation der Erregungsfortbreitung entlang des peripheren Nervs. Die durch den proximalen Stimulus am Erb´schen Punkt ausgelösten Aktionspotenziale laufen auf dem peripheren Nerv nach distal und sind dadurch der in der peripheren Neurophysiologie bekannten temporalen Dispersion unterworfen, welche auf den unterschiedlichen Leitgeschwindigkeiten der einzelnen Nervenaxone beruht (7 Abschn. 11.6, Fallbeispiel 2). Diese periphere Desynchronisation ist zwar nicht so bedeutend wie die zentral entstandene, doch würde sie insbesondere bei Patienten mit peripherer Neuropathie einen Messfehler verursachen. Eine weitere Fehlerquelle ist das Auftreten muskuloneuraler Reexitation im Bereiche der intramuskulären Nervenendigungen, welche bei vielen Probanden und Patienten beobachtet werden kann und welche zu antidrom aufsteigenden Nervenaktionspotenzialen führen, die mit den Kollisionen der TST interferieren. Beide Fehlerquellen lassen sich durch die zusätzliche Durchführung einer Kontrollmessung beseitigen, bei der die TST modifiziert wird. Der transkranielle Stimulus wird dazu durch einen proximalen peripheren Stimulus ersetzt. Die Reizabfolge ist nun also bei Ableitung von einem kleinen Handmuskel: Erb´scher Punkt – Handgelenk – Erb´scher Punkt. Die Reizantwort dieser Ableitung ist nur der peripheren Desynchronisation unterworfen, und zwar im genau gleichen Mass wie die TST Testableitung. Falls muskuloneurale Reexitation auftritt, so ist dies auch bei der Kontrollkurve der Fall. Indem das durch die eigentliche TST ausgelöste MSAP (MSAPTST-TEST) mit dem durch die periphere Kontroll-TST ausgelöste MSAP (MSAPTST-KONT) verglichen wird, fällt der Einfluss der peripheren Desynchronisation und der Reexitation automatisch weg. Der kritische elektrophysiologische Kennwert ist somit der Amplitudenquotient MSAPTST-TEST/MSAPTSTKONT. Der TST-Amplitudenquotient ist damit ein Maß für die Anzahl der durch die TMS zur Erregung gebrachten kortikospinalen Neurone, ausgedrückt in Prozent des Gesamtkollektives der den Zielmuskel innervierenden Neurone. Der Quotient wird als »TST-Amplitudenquotient« bezeichnet; entsprechend kann auch ein »TST-Flächenquotient« bestimmt werden. Beim Gesunden beträgt er für alle bislang untersuchten Muskeln praktisch 100, d. h. es ist beim Gesunden möglich, mittels TMS alle kortikospinalen Neurone zu aktivieren, die einen bestimmten Zielmuskel innervieren. Die dafür benötigte TMS-Reizstärke ist interindividuell sehr verschieden und muss

123

11.2 Praktisches Vorgehen

im Einzelfall durch eine Stimulationsreihe mit aufsteigenden Reizstärken titriert werden.

11.2

Praktisches Vorgehen

Die einzelnen Untersuchungsschritte der TST sind in . Tab. 11.1 zusammengefasst, welche in den folgenden Abschnitten präzisiert wird. Es ist günstig, zu Beginn die rein periphere Kontroll-TST durchzuführen und die MSAPTST-KONT aufzuzeichnen. Diese kann zur »Eichung« der nachfolgend abzuleitenden MSAPTSTTEST dienen, gibt sie doch an, wie groß die Amplitude nach der eigentlichen transkraniellen TST sein müsste, wenn 100 aller spinalen Motoneurone erregt wurden. Wir zeichnen die MSAPTST-TEST häufig so auf, dass die Ableitspuren auf dem Gerätebildschirm mit den zuvor abgeleiteten MSAPTST-KONT überlagert dargestellt werden. Dies ermöglicht einen unmittelbaren visuellen Vergleich von Test- und Kontrollkurve. Da vor allem die Stimulation am Erb-Punkt unangenehm ist und die Kontroll-TST eine doppelte Stimulation an diesem Punkt bedeutet, ist für den Patienten die Aufzeichnung der Kontrollkurve der unangenehmste Teil der TST. Auch deshalb ist es günstig, die Untersuchung mit der Aufzeichnung der MSAPTST-KONT zu beginnen: »Das Schlimmste« ist dann für den Patienten überstanden und die folgenden Stimulationen sind dadurch besser ertragbar. Wir haben nur selten Untersuchungsabbrüche durch Patienten nach Durchführen der Kontrollkurve erlebt und halten diese Untersuchung für durchaus zumutbar.

11.2.1 Voraussetzungen und

Grundsätzliches Grundsätzlich handelt es sich bei der TST nicht um eine neue Technik, sondern um eine Kombination einiger Stimulations- und Ableittechniken, die dem klinischen Elektrophysiologen bestens bekannt sind. Dies gilt sowohl für den »peripheren Teil« der Technik als auch für den »zentralen Teil«. Für die TMS können genau die gleichen Geräte benutzt werden, wie sie zur Bestimmung der ZML verwendet werden. Es werden auch die gleichen Bahnungsmethoden angewendet und es gelten die gleichen Vorsichtsmaßregeln und Kontraindikationen. Für die periphere Stimulation ist die supramaximale Reizung unbedingt notwendig. Dies bereitet distal (Handgelenk, Fußknöchelbereich) kaum Schwierigkeiten. Bei der proximalen Stimulation, die ebenfalls supramaximal sein muss, haben viele – auch erfahrene ‒ Elektrophysiolo-

11

gen erfahrungsgemäss manchmal etwas mehr Mühe, doch auch hier reichen bekannte Stimulationstechniken prinzipiell aus. Was die benötigten Geräte betrifft, so genügt ein EMG-Gerät mit einem einzigen Ableitkanal. Es müssen jedoch neben dem Magnetstimulator noch zwei elektrische Nervenstimulatoren zur Verfügung stehen. Es ist zudem ein Impulsgenerator (engl. timer) notwendig, der die drei eingesetzten Stimulatoren in der gewünschten zeitlichen Abfolge ansteuert. Es kann eine Hardware-Lösung gewählt werden (externer Timer, zwei externe Nervenstimulatoren, externer Magnetstimulator). Falls das benutzte EMG-Gerät über zwei eingebaute elektrische Stimulatoren verfügt und softwaregesteuert ist, so ist eine Softwarelösung komfortabler: Die TST-Software triggert dann die beiden eingebauten Stimulatoren und den externen Magnetstimulator in der gewünschten Abfolge und triggert gleichzeitig die EMG-Ableitung. Gleichzeitig kann die Software auch dazu dienen, die notwendigen Intervalle zwischen den drei Stimulationen zu berechnen und die Anpassung der Stimulationszeitpunkte für die Test-TST und Kontroll-TST vorzunehmen. Zum heutigen Zeitpunkt haben die beiden Firmen Viasys (Nicolet) und Medtronic-Neuromuscular TST-Softwarelösungen für ihre EMG-Apparate vorgestellt. Die TST ist für den Patienten (oder Probanden) eine eher unangenehme Untersuchung, was vor allem an den supramaximalen Stimulationen am Erb’schen Punkt liegt. Wir halten sie aber für durchaus zumutbar. Es versteht sich von selbst, dass die Stimulationen und der Untersuchungsablauf – der auch für erfahrene Elektrophysiologen zunächst recht anspruchsvoll zu sein scheint ‒ nicht zuerst am Patienten ausprobiert werden sollten, sondern zunächst am freiwilligen Probanden geübt werden muss. In unserer eigenen Praxis führen wir eine TST-Untersuchung nach diversen Anpassungen (insbesondere durch das Einführen der Softwaresteuerung der Reizungen) in meist weniger als 30 min durch.

11.2.2 Ableitung Die TST ist nur für distale Muskeln geeignet, da nur hier eine genügend lange Leitungsstrecke zwischen distaler und proximaler Nervenstimulation besteht. Bislang wurde die TST zu 4 Muskeln ausgearbeitet und vorgestellt: Zum M. abductor digiti minimi, M. interosseus dorsalis I., M. abductor pollicis brevis der Hand und dem M. abductor hallucis des Fußes. Ableitungen vom M. tibialis anterior oder M. extensor

124

1 2

Kapitel 11 · Triple-Stimulationstechnik

. Tab. .. Praktische Anwendung der Triple-Stimulationstechnik (TST) bei Ableitung vom M. abductor digiti minimi .

a) b)

3 4

c) .

d) .

a)

8

b)

9 10

c)

12

d)

13

e)

14

f)

15

g)

16

h)

17

i)

18

j) k)

19 20

Magnetstimulator wie für konventionelle TMS Rundspule, Doppelspule, konische Doppelspule je nach Bedarf Platzierung der Spule wie für konventionelle TMS

Untersuchungsablauf a) b)

11

Supramaximale Stimulation des Plexus brachialis, mit einer monopolaren Kathode am Erb’schen Punkt (Durchmesser 1–2 cm) und einer großen Anode (ca. 30 cm) über dem oberern Skapularand. Leichter manueller Druck auf die Reizkathode, um supramaximale Stimulation zu erleichtern Fazilitierungsmanöver auch bei peripherer Stimulation (leichte Willkürinnervation)

Transkranielle Magnetstimulation a) b) c)

.

Supramaximale Stimulation des N. ulnaris am Handgelenk Oberﬂächen-Stimulationselektroden über dem Nerven ﬁxiert Der N. medianus kann am Handgelenk simultan mitstimuliert werden um Volumenleitung nach Erb-Stimulation zu berücksichtigen Fazilitierungsmanöver auch bei peripherer Stimulation (leichte Willkürinnervation)

Proximale Nervenstimulation

7 .

Anbringen der Oberﬂächenelektroden über dem Muskelbauch und Sehnenansatz des Muskels wie für die motorische Neurograﬁe Fixieren der Finger II–V, um die Muskellänge konstant zu halten. Fixieren der Hand auf der Unterlage (z. B. mittels Sandsack) Filtereinstellungen: 10 Hz–2 kHz

Periphere Nervenstimulation a) b) c)

5 6

Muskelableitung

.

Patient in Rückenlage oder sitzend. Finger und Hand ﬁxiert (s. oben) Supramaximale Stimulation des N. ulnaris am Handgelenk, dabei leichte isometrische Willkürinnervation des M. abductor digiti minimi Supramaximale Stimulation des Armplexus, dabei leichte isometrische Willkürinnervation des M. abductor digiti minimi Konventionelle TMS, mehrere Stimuli mit ansteigenden Stimulationsstärken während leicher isometrischer Willkürinnervation, um die Reizantwort zu fazilitieren. Ausmessen der kürzesten Latenz und der größten Amplitude der aufgezeichneten MEP Berechnung des Reizintervalles I: Kortikomuskuläre Latenz – distale motorische Latenz nach Reizung am Handgelenk (abgerundet auf nächste ms) Berechnung des Reizintervalles II: Latenz nach Reizung am Erb´schen Punkt – distale motorische Latenz nach Reizung am Handgelenk (abgerundet auf nächste ms) Durchführung der Kontroll-TST und Aufzeichnung des MSAPTST-KONT: 3 Stimuli: 1) Erb´scher Punkt – 2) Handgelenk – 3) Erb´scher Punkt. Intervall zwischen diesen Stimuli entspricht dem unter (f ) berechneten Reizintervall II Durchführung der eigentlichen Test-TST: 3 Stimuli: 1) Transkranieller Stimulus – 2) Handgelenk – 3) Erb´scher Punkt. Das unter e) berechnete Reizintervall I trennt Stimulus 2 von Stimulus 1 Das unter (f ) berechnete Reizintervall II trennt Stimulus 3 von Stimulus 2 Aufzeichnen mehrerer MSAPTST-TEST, mit ansteigender Reizintensität der TMS und Fazilitationsmanövern, bis die TST-Testantwort nicht mehr ansteigt Wiederholung einer Kontroll-TST und Aufzeichnung des MSAPTST-KONT Aufzeichung von F-Wellen mit Stimulation am Handgelenk, damit die zentrale motorische Laufzeit berechnet werden kann Messungen

a)

Vergleich (Größenquotient) von MSAPTST-KONT und MSAPTST-TEST (. Abb. 11.1). TST Amplitudenquotient = MSAPTST-TEST/MSAPTST-KONT Der TST-Amplitudenquotient ist bei Gesunden immer nahe bei 100% und bei Patienten mit zentralem Leitungsdeﬁzit vermindert

11.2 Praktisches Vorgehen

digitorum brevis pedis sowie zu allen anderen kleinen Hand- und Fußmuskeln sind möglich, aber Normwerte wurden noch nicht erarbeitet. Die Ableitung erfolgt mit konventionellen Oberflächenelektroden angebracht über dem Muskelbauch und Muskelsehnenansatz (engl. belly-tendon montage). Da die gesamte Untersuchung meist etwas länger dauert als eine einfache Neurografie, ist darauf zu achten, dass die Elektroden gut fixiert sind. Die Geometrie des Muskels (d. h. das Ausmaß der Muskelverkürzung während der Kontraktion) kann die Amplitude eines MSAP beeinflussen. Deshalb sollte der Muskel möglichst in einer fixierten Lage gehalten werden. Für die Ableitungen von kleinen Handmuskeln geschieht dies durch Fixation der Finger mit einem Klebeband, welches z. B. das Abspreizen des kleinen Fingers verhindert. Beim M. abductor hallucis ist eine Fixation schwieriger, doch ist hier der Bewegungsumfang ohnehin geringer als bei den Fingermuskeln, so dass auf eine Fixation verzichtet werden kann. Es hat sich gezeigt, dass es für viele Patienten angenehm ist, die Extremität, von welcher abgeleitet wird, an der Unterlage zu fixieren. Damit werden die Zuckungen, welche insbesondere durch die proximale Stimulation hervorgerufen werden, etwas unterdrückt. Einfach kann dies mit einem Sandsack von 2‒5 kg bewerkstelligt werden, welcher auf den abgeleiteten Arm oder das abgeleitete Bein zu liegen kommt. Die Ableitung der durch die Triple-Stimulation evozierten Muskelantwort sollte immer aus dem leicht sich kontrahierenden Zielmuskel erfolgen. Durch eine leichte Vorinnervation wird die Effizienz der TMS deutlich erhöht und so die Erregung der kortikomuskulären Bahnen verstärkt (7 Kap. 5).

125

11

zur bipolaren Nervenstimulation meist EEG-Napfelektroden, welche mit einer EEG-Ableitpaste gefüllt wurden, doch eignen sich auch Metallelektroden oder Klebeelektroden zum Einmalgebrauch. Bei Ableitung von intrinsischen Handmuskeln wird die Stimulationskathode am Handgelenk über dem Nerv angebracht und mittels Klebeband fixiert. Die distale Stimulation bei Ableitung vom M. abductor hallucis erfolgt mit einer aufgeklebten Stimulationskathode hinter dem inneren Fußknöchel. Die Anode kann auf der Gegenseite angebracht werden oder über der Achillessehne. Es ist sinnvoll bei Ableitung von den ulnarisversorgten Handmuskeln auch den N. medianus distal mitzustimulieren (und umgekehrt). Dies begründet sich damit, dass bei proximaler Stimulation am Erb’schen Punkt (und auch die Hirnstimulation) eine selektive Stimulation der zum N. ulnaris ziehenden Plexusanteile nicht möglich ist, sondern immer die zum N. medianus ziehenden Plexusanteile mitgereizt werden. Wenn auch distal der N. medianus mitgereizt wird, so erfolgen die gleichen Kollisionen auf beiden Nerven, Effekte der Volumenleitung werden damit ausgeschaltet. Die Mitreizung des N. medianus kann mittels einer zweiten Kathode vorgenommen werden, welche durch eine Weiche mit der über dem N. ulnaris befindlichen Kathode verbunden wurde. In diesem Fall wird die Stimulations-Anode in Form einer breiten Oberflächenelektrode am Handgelenkrücken angebracht. Man kann aber auch den N. medianus mitreizen, indem die Stimulationsanode über dem N. medianus platziert wird. Dies ist zwar grundsätzlich etwas »unsauber«, funktioniert aber in der Praxis recht gut. Bei Ableitung von N. medianus versorgten Handmuskeln wird analog vorgegangen (Humm et al. 2004a).

11.2.3 Periphere distale Stimulation Zu Beginn jeder TST Untersuchung wird die distale Stimulation des den Zielmuskel versorgenden motorischen Nervs durchgeführt. Diese muss supramaximal sein. Die periphere Nervenstimulation erfolgt während einer leichten isometrischen (im Falle des M. abductor hallucis isotonischen) Muskelkontraktion. Der Grund dafür ist der, dass sich das MSAP auch bei peripherer supramaximaler Stimulation durch den Einfluss von Willküraktivität verändert (die Amplitude nimmt zu, die Dauer des MSAP nimmt ab). Da zur Gewinnung der TST-Testkurve die willkürliche Vorinnervation meist notwendig ist, ist es deshalb sinnvoll, diese Vorinnervation auch bei den peripheren Stimulationen anzuwenden, um einen entsprechenden Messfehler zu vermeiden. Wir verwenden

11.2.4 Proximale Nervenstimulation Für die kleinen Handmuskeln erfolgt die proximale Nervenstimulation über dem Erb’schen Punkt. Dies geschieht am besten mit einer monopolaren (bzw. »pseudo«-monopolaren) Stimulation. Dazu wird eine kleine Stimulationselektrode (Durchmesser ca. 1‒3 cm) in der Fossa supraclavicularis fixiert. Sie muss meistens zur Minimierung des benötigten Reizstromes während den Stimulationen von Hand etwas in die Tiefe gedrückt werden. Als Stimulationsanode wird eine Plattenelektrode von einigen Zentimetern Durchmesser verwendet, welche über dem oberen Aspekt der Scapula angebracht wird. Der Stromfluss erfolgt in dieser Anordung transthorakal durch die

126

1 2 3 4 5

Kapitel 11 · Triple-Stimulationstechnik

oberen Thoraxapertur. Diese Stimulationsvorrichtung hat zwei Vorteile gegenüber der konventionellen Reizung am Erb’schen Punkt mit einem normalen Nervenstimulator: 5 Erstens werden durch den transthorakalen Reizsstromverlauf geringere Reizsstärken benötigt, die Stimulation ist also etwas weniger unangenehm. 5 Zweitens ist es so praktisch immer möglich, eine maximale bzw. supramaximale Stimulation zu gewährleisten, wie sie für die TST zwingend notwendig ist.

15

Kommerziell sind die entsprechenden Elektroden von den Anbietern im Bereich der klinischen Neurophysiologie nicht erhältlich. Es kommen deshalb Kunststoff-Plattenelektroden zur Anwendung, wie sie für therapeutische Nervenstimulationen (TENS) benutzt werden. Diese Elektroden können nach Bedarf auch mit einer Schere einfach zugeschnitten werden. Alternativ können Elektroden aus dünnem Bleiblech verwendet werden, welche aber selbst hergestellt werden müssen. Wenn von Fußmuskeln abgeleitet wird, so ist auch hier eine supramaximale proximale Stimulation der entsprechenden motorischen Zuflüsse notwendig. Bewährt hat sich die Stimulationsmethode, bei welcher als Kathode eine Nadelelektrode verwendet wird, welche in Höhe der Gesäßfalte zwischen den beiden Köpfen des M. biceps femoris in die Nähe des N. ischiadicus eingebracht wird. Als Stimulations-Anode wird die gleiche Plattenelektrode wie bei der Erb-Stimulation verwendet, sie wird unter die Vorderseite des Oberschenkels des auf dem Bauch liegenden Patienten platziert. Auch während der proximalen Stimulation sollte eine leichte Vorinnervation stattfinden, um die gleichen Ableitverhältnisse wie bei der TST sicher zustellen.

16

11.2.5 Transkranielle Stimulation

6 7 8 9 10 11 12 13 14

17 18 19 20

Bevor die TST durchgeführt werden kann, muss zunächst eine konventionelle TMS durchgeführt werden, um die Intervalle der späteren Reizabfolge berechnen zu können. Reizparameter, Spulenpositionierung und –orientierung erfolgen wie in 7 Kap. 6 beschrieben. Es sollte eine leichte Vorinnervation stattfinden. Wir applizieren einige Einzelstimuli mit aufsteigenden Reizstärken, bis eine Latenzverkürzung nicht mehr erkennbar wird. Anschliessend an diese TMS kann eine F-Wellen-Untersuchung stattfinden, um die ZML zu berechnen (7 Kap. 6).

11.2.6 Bestimmung der Reizintervalle Damit eine Kollision erfolgen kann, müssen die Reizintervalle so gewählt werden, dass das schnellste zu kollidierende Aktionspotenzial noch nicht am Kollisionsstimulus vorbei gelaufen ist. Andererseits sollte aber auch das langsamste der zu kollidierenden Aktionspotenziale noch in die Reizabfolge der TST mit einbezogen werden. Praktisch hat sich die folgende Berechnung bewährt: 5 Reizintervall I zwischen transkraniellem und distalem peripheren Reiz = kürzeste kortikomotorische Latenz nach TMS – Latenz nach distaler Stimulation. Dieses Intervall wird auf die nächste Millisekunde abgerundet. 5 Reizintervall II zwischen dem distal applizierten peripheren Reiz und dem proximal applizierten peripheren Reiz = Latenz nach proximaler Stimulation – Latenz nach distaler Stimulation (auf die nächste Millisekunde abgerundet). Für die Kontroll-TST, bei der der erste Reiz über dem proximalen Plexus statt über dem motorischen Kortex verabreicht wird, entspricht das Reizintervall I dem Reizintervall II und errechnet sich durch Subtraktion: Latenz nach proximaler Stimulation – Latenz nach distaler Stimulation (auf die nächste Millisekunde abgerundet).

11.3

Messungen und Berechnungen

Der transkranielle Stimulus kann beim Gesunden bei Verwendung einer genügend hohen Stimulusintensität bzw. bei genügender Bahnung praktisch immer alle den Zielmuskel versorgende Motoneurone zur Erregung bringen. Der TST-Amplitudenquotient (MSAPTST-TEST/MSAPTST-KONT) beträgt demnach immer gegen 100 (Magistris et al. 1998; Bühler et al. 2001; Humm et al. 2004a). Falls der TST-Amplitudenquotient bei einem Patienten nicht 100 erreicht, liegt ein pathologisches zentrales Leitungsdefizit vor. Die Normwerte für die bisher untersuchten Muskeln sind tabellarisch aufgelistet (. Tab. 11.2).

11.4

Klinische Anwendung der TripleStimulationstechnik

Die TMS wurde in früheren Studien vor allem benutzt, um die ZML zu bestimmen, die bei Patienten mit Krankheiten des ZNS verlängert sein kann (7 Kap. 5 und 6). Mit der TST ist es nun möglich, zusätzlich

Bühler et al. 2001 ≥84% 8,3 96,1% ≥88% 95,0% M. abductor hallucis

4,06

Humm et al. 2004a ≥80% 6,3 95,4% ≥84% 95,9% M. abductor pollicis brevis

4,7

Humm et al. 2004a ≥85% 4,9 97,4% ≥91% 97,4%

2,5

≥92% 2,48 98,5% ≥93%

M. interosseus dorsalis I

SD

2,14 99,1% M. abductor digit minimi

SD Mittelwert Mittelwert

untere Normgrenze

TST-Flächenquotient TST-Amplitudenquotient Muskel

. Tab. .. Mittel- und Normwerte der TST-Messung für gesunde Probanden

untere Normgrenze

Referenz

Magistris et al. 1998

11.4 Klinische Anwendung der Triple-Stimulationstechnik

127

11

auch kortikospinale Leitungsdefizite zu quantifizieren. Es hat sich herausgestellt, dass bei praktisch allen bisher untersuchten Krankheiten ein zentrales motorisches Leitungsdefizit häufiger auftritt als eine zentrale Leitungsverzögerung, denn bei vielen Patienten mit vermindertem TST-Amplitudenquotient ist die ZML normal (Magistris et al. 1999). Gleichzeitig ist die Amplitude der konventionellen MEP häufig nicht sicher pathologisch, was an den, aufgrund der Variabilität, breiten Normwertgrenzen liegt. Die Sensitivität der TST zum Nachweis eines Leitungsdefizits bzw. einer zentralen Funktionsstörung ist damit deutlich höher als die Sensitivität der konventionellen TMSUntersuchung. In einer großen Querschnittsstudie an 489 Armen von 271 Patienten wies die TST Leitungsdefizite auf 212 Seiten nach, während mittels konventioneller MEP nur bei 116 Seiten eine Pathologie gefunden wurde (Magistris et al. 1999). Demnach erhöhte die Kombination von MEP und TST die diagnostische Sensitivität der TMS um einen Faktor von 1,9. Das einzige Krankheitsbild, bei dem Leitungsverlangsamungen etwa gleich häufig gefunden wurden wie Leitungsdefizite, war die spondylotische zervikale Myelopathie. Warum dies so ist, bleibt unklar, doch dürfte wohl die oft lange Chronizität der Krankheit dabei eine Rolle spielen. Selbst bei diesen Patienten ergab sich aber durch die Einführung der TST eine Verbesserung der diagnostischen Sensitivität. Es ist zudem bemerkenswert, dass das Ausmaß der Reduktion des TST-Amplitudenquotienten gut mit dem Ausmaß des klinischen Defizits korrelierte (Magistris et al. 1999; Bühler et al. 2001). Der theroretische Zusammenhang zwischen messbarem Leitungsdefizit und klinischem Ausfall wurde damit bestätigt. Eine pathologische Verminderung des TSTAmplitudenquotienten kann auf einem zentralen Leitungsblock oder auf einem Verlust kortikospinaler Motoneurone beruhen. Auch eine Erhöhung der zerebralen Erregbarkeitsschwelle kann theoretisch zur messbaren Verminderung der Reizantwort führen, was bei gewissen Krankheitsbildern oder etwa auch bei Patienten unter Antiepileptika vorkommen mag. Es ist im Einzelfall aufgrund des TST-Resultates aber nicht möglich, diese drei Möglichkeiten zu unterscheiden. Welche Ursache der Verminderung des TST-Amplitudenquotienten im Einzelfall zugrunde liegt, muss deshalb im klinischen und elektrophysiologischen Gesamtzusammenhang abgeschätzt werden. Patienten mit amyotropher Lateralsklerose wurden in mehreren Studien mittels TST untersucht. Klinisch finden sich bei der amyotrophen Lateralsklerose besonders zu Beginn der Erkrankung oft nur Zei-

128

Kapitel 11 · Triple-Stimulationstechnik

15

chen des Unterganges peripherer Motoneurone und im Gegensatz, z. B. zur multiplen Sklerose, gibt es kein bildgebendes Verfahren, welches eine zuverlässige Diagnostik der zentralen Veränderungen erlaubte. Nicht selten wird die Funktionsstörung des zentralen Motoneurons durch die Dysfunktion des peripheren Motoneurons maskiert und es kann deshalb sowohl klinisch wie elektrophysiologisch problematisch sein, den Befall der zentralen Motoneurone nachzuweisen. Mittels TST sind oft zentrale Leitungsdefizite in Situationen nachzuweisen, in denen klinisch keinerlei Hinweise auf eine Pathologie der Pyramidenbahn vorliegen (Rösler et al. 2000). Unser Eindruck, dass die TST deshalb besonders zu Beginn der Krankheit eine wertvolle diagnostische Hilfe sein kann, wurde inzwischen in einer weiteren Studie bestätigt, in der subklinische zentrale Leitungsdefizite bei vielen Patienten mit vermuteter oder möglicher amyotropher Lateralsklerose nachgewiesen wurden (Komissarow et al. 2004). Auch bei der multiplen Sklerose ist die TST der konventionellen Magnetstimulation an diagnostischer Sensitivität weit überlegen. Das mit der TST gemessene Leitungsdefizit korreliert auch bei dieser Krankheit gut mit den motorischen Ausfällen des Patienten (Humm et al. 2003). Dies gilt sowohl in der Mittelung über viele Patienten, wie auch beim einzelnen Patienten, bei dem mittels Körpertemperaturänderung ein Uhthoff-Phänomen ausgelöst wurde (Humm et al. 2004b). TST-Amplitudenquotient und Gehgeschwindigkeit änderten sich unter diesen Umständen parallel. Zweifellos beruhten solche schnell zu- oder abnehmende Leitungsdefizite auf zentralen Leitungsblocks, welche in ihrem Ausmaß temperaturabhängig variieren, was mit der TST messbar ist. Bei Induktion eines Uhthoff-Phänomens ändert sich die ZML nicht. Temperaturempfindlich sind jedoch besonders diejenigen Patienten, die eine verlängerte ZML aufweisen (Humm et al. 2004b).

16

11.5

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

17 18 19 20

5

5

5

Limitationen der TST

Die klinische Anwendbarkeit der TST wird durch einige Faktoren begrenzt: 5 Die TST ist eine unangenehme Untersuchung. In unserer Erfahrung als Untersucher und Untersuchte ist die TST aber nicht schmerzhafter als viele andere neurophysiologische Untersuchungsmethoden. Wie bei allen elektrodiagnostischen Methoden kommt es auf die psychologische Führung des Patienten und die Sicherheit an, die der untersuchende Arzt ausstrahlt. Wir erleben vom Patienten gewünschte Untersuchungsabbrüche

5

nicht häufiger als z. B. bei quantitativen Nadelmyografien oder bei orthodromen sensiblen Neurografien mittels »Near-needle«-Technik. Die TST eignet sich nicht zur Messung von Leitungsdefiziten zu proximalen Muskeln. Es ist bei diesen Muskeln nicht möglich, proximale und distale Stimulation am versorgenden Nerven mit genügender Distanz – d. h. genügendem Reizintervall ‒ zu applizieren. Konventionelle TMSUntersuchungen mit proximalen Zielmuskeln können aber eine gute Ergänzung für TST-Untersuchungen sein (7 Kap. 9 und 10). Die genaue Quantifikation eines kortikospinalen Leitungsdefizits ist beim Patienten nicht immer einfach. Manchmal ist es nötig mehrere Stimulationen durchzuführen mit ansteigender TMSReizintensität und zunehmenden Fazilitationsmanövern. Auch dann noch kann es schwierig sein, einen präzisen Wert zu ermitteln, weil ein Sättigungseffekt (wie bei der Erreichung maximaler Reizstärken am peripheren Nerven) manchmal schwierig zu erkennen ist. Die TST analysiert nicht nur den zentralen Anteil der Pyramidenbahn, sondern auch die Leitung in den proximalen peripheren Abschnitten. Diese beinhalten bei Ableitung von Handmuskeln die zervikalen Wurzeln und die proximal des ErbStimulus gelegenen Plexusanteil; bei Ableitung von Fußmuskeln die entsprechenden lumbalen oder sakralen Wurzeln, den Plexus lumbosakralis sowie das proximale Segment des N. ischiadicus (proximal des glutealen Stimulationsortes). Ein proximaler peripherer Leitungsblock (etwa durch eine Wurzelkompression) kann deshalb ein zentrales Defizit vortäuschen. Andererseits kann die TST damit auch als überaus sensitive Methode zur Quantifizierung ebensolcher proximaler Leitungsblöcke dienen, wenn eine zentrale Leitungsstörung klinisch ohnehin ausgeschlossen ist. Bei der multifokalen motorischen Neuropathie können z. B. damit proximale Leitungsblöcke nachgewiesen und quantifiziert werden. Kooperation bzw. Kooperationsfähigkeit durch den Patienten ist eine Voraussetzung zur Durchführung der TST, weil eine Bahnung der Reizantwort durch Vorinnervation des Zielmuskels meist notwendig ist und es der aktiven Kooperation durch den Patienten bedarf. Deshalb sind Untersuchungen des komatösen Patienten oder des Patienten mit einer funktionellen Parese im Rahmen einer somatoformen Störung nicht empfehlenswert.

11.6 Fallbeispiele

5 Wie oben bereits ausgeführt, erlaubt es die TST nicht, zwischen axonalen oder neurapraktischen zentralen Läsionen zu unterscheiden. Hier kann eine Wiederholung der Untersuchung nach

11.6

Fallbeispiele

129

11

Minuten, Tagen oder Wochen hilfreich sein, um die Dynamik des Defizits zu analysieren (7 Fallbeispiel 1).

Eine 35 Jahre alte Patientin mit einer chronischen multiplen Sklerose klagt über eine große Temperaturempﬁndlichkeit. Bei warmem Wetter kaum gehfähig, fühlt sie sich bei kühlerer Umgebungstemperatur deutlich kräftiger und weniger müde. Die ZML zum M. abductor digiti minimi war deutlich verlängert (22,3 ms). Es wurden TST-Untersuchungen vor und nach einem Kaltwasserbad durchgeführt, an einem sehr warmen Sommertag, an dem sich die Patientin sehr schwach fühlte. Durch das Kaltwasserbad veränderte sich die ZML

kaum (21,6 ms). Die TST zeigt vor dem Kaltwasserbad eine deutlich verminderte Amplitude des MSAPTST-TEST, der TST-Amplitudenquotient beträgt 36. Es besteht damit ein ausgeprägtes zentrales Leitungsdeﬁzit. Nach dem Bad ist dieses Leitungsdeﬁzit vollständig verschwunden, der TST Amplitudenquotient beträgt nun 100. Die Untersuchung beweist, dass das Leitungsdeﬁzit in der Ausgangssituation einer neurapraktischen Läsion entspricht (d. h. einem zentralen Leitungsblock), welcher rasch reversibel ist. Es ist für das Uhthoﬀ-Phänomen typisch, dass die verlängerte ZML des Patienten durch Temperaturveränderungen kaum beeinﬂusst wird (Humm et al. 2004b; . Abb. 11.2).

. Abb. .. Klassisches Uhthoﬀ-Phänomen bei einer 35 Jahre alten Patientin mit einer chronischen MS. Muskelantworten (MSAP) abgeleitet nach Test-TST (höchste Amplitude aus 8 Stimulationen) und Muskelantworten (MSAP) abgeleitet nach

Kontroll-TST sind jeweils überlagert. Die Aufzeichnung der Kurven beginnt mit dem Stimulus am Handgelenk. Der * markiert den Reizartefakt der Erb-Stimulation. (Mod. nach Humm et al. 2004b; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

Fallbeispiel 1

130

1 2 3 4

Kapitel 11 · Triple-Stimulationstechnik

Fallbeispiel 2 Der 64 Jahre alte Patient wurde wegen zunehmender Gangunsicherheit zugewiesen. Klinisch fand sich eine spastische Paraparese. Die Tibialis-SEP zeigten kleine Reizantworten mit normaler Latenz. Die konventionelle MEP-Untersuchung ergab eine ZML von 17,2 ms zum M. abductor hallucis (obere Normgrenze: 15,1 ms). Die TST-Untersuchung zeigt ein hoch pathologisches Leitungsdeﬁzit, der TST Amplitudenquotient beträgt

maximal 19. Die weiteren Abklärungen ergaben eine zervikale Myelopathie durch spondylotische Veränderungen, ohne dass der Patient unter zervikalen Beschwerden gelitten hätte. Bei spondylotischen zervikalen Myelopathien werden Leitungsdeﬁzite etwa gleich häuﬁg gefunden wie eine verlängerte ZML. Damit ist diese Krankheit ein Ausnahme, denn im Allgemeinen sind zentrale Leitungsdeﬁzite viel häuﬁger als zentrale Leitungsverzögerungen (. Abb. 11.3).

. Abb. .. Originalaufzeichung der TST-Untersuchung bei einem 64 Jahre alten Patienten mit Gangstörung. Die Ableitung erfolgt aus dem M. abductor hallucis. Die oberen 4 Kurven sind Muskelantworten (MSAP) abgeleitet nach Test-TST, jeweils bei 100% Stimulatorleistung. Die unterste Kurve (bei

A6) ist die durch Kontroll-TST ausgelöste Muskelantwort (MSAP) nach Kontroll-TST. Die Amplituden der MSAPTST-TEST liegen zwischen 15% und 19% der MSAPTST-KONT. Der erniedrigte Amplitudenquotient belegt ein deutliches zentralmotorisches Leitungsdeﬁzit

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Literatur

Literatur Bühler R, Magistris MR, Truﬀert A et al. (2001) The triple stimulation technique to study central motor conduction to the lower limbs. Clin Neurophysiol 112: 938–949 Humm AM, Magistris MR, Truﬀert A et al. (2003) Central motor conduction diﬀers between acute relapsing-remitting and chronic progressive multiple sclerosis. Clin Neurophysiol 114: 2196–2203 Humm AM, Z’Graggen WJ, von Hornstein NE et al. (2004a) Assessment of central motor conduction to intrinsic hand muscles using the triple stimulation technique: normal values and repeatability. Clin Neurophysiol 115: 2558– 2566 Humm AM, Beer S, Kool J et al. (2004b) Quantiﬁcation of Uhthoﬀ ’s phenomenon in multiple sclerosis: a magnetic stimulation study. Clin Neurophysiol 115: 2493-2501 Komissarow L, Rollnik JD, Bogdanova D et al. (2004) Triple stimulation technique (TST) in amyotrophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol 115: 356–360 Magistris MR, Rösler KM, Truﬀert A, Myers JP (1998) Trancranial stimulation excites motor neurones supplying the target muscle. Brain 121: 437–450 Magistris MR, Rösler KM, Truﬀert A et al. (1999) A clinical study of motor evoked potentials using a triple stimulation technique. Brain 122: 265–279 Rösler KM, Truﬀert A, Hess CW, Magistris MR (2000) Quantiﬁcation of upper motor neuron loss in amyotrophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol 111: 2208–2218 Rösler KM, Petrow E, Mathis J et al. (2002) Eﬀect of discharge desynchronisation on the size of motor evoked potentials: an analysis. Clin Neurophysiol 113: 1680–1687 Z’Graggen WJ, Humm AM, Durisch N et al. (2005) Repetitive spinal motor neuron discharges following single transcranial magnetic stimuli: a quantitative study. Clin Neurophysiol 116: 1628–1637

131

11

133

12

Transkutane Magnetstimulation peripherer Nerven Christian Bischoff 12.1

Magnetsimulation peripherer Nerven – 134

12.2

Direkte Muskelstimulation – 136

12.1.1

Grundlagen der peripheren Magnetsimulation – 134 Vorteil der Magnetstimulation peripherer Nerven – 134 Nachteile der Magnetstimulation peripherer Nerven – 134 Hinweise zur technischen Durchführung – 135

Literatur

– 136

12.1.2 12.1.3 12.1.4

ZUM THEMA Diese Kapitel beschreibt die Technik der Magnetsimulation peripherer Nerven und vergleicht sie mit der klassischen Elektrostimulation. Der Vorteil der Magnetstimulation, auch tiefer liegende Nerven zu erregen, wird von den Nachteilen, wie der 5 schlechteren Lokalisation der Stimulationsorte, 5 submaximalen Stimulation und 5 schlechteren Erregbarkeit sensibler Nerven aufgehoben. So bleibt der Einsatz der Magnetstimulation bei der Untersuchung peripherer Nerven auf wenige Indikationen beschränkt. Die klassischen Fragestellungen der Neurograﬁe, die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit und Nachweis eines Leitungs-

blocks, sind derzeit mit der Magnetstimulation nicht sicher genug möglich, um die Elektrostimulation zu ersetzen. Gleiches gilt für die repetitive Stimulation peripherer Nerven, mit deren Hilfe eine neuromuskuläre Übertragungsstörung nicht sicher genug zu erfassen ist. Indikationen sind proximale Stimulationen, z. B. die des N. ischiadicus in der Glutealregion oder des N. radialis am Oberarm. Die Stimulation erfolgt mit runden Spulen, wobei der Ort der Erregung nicht die Spulenmitte, sondern eine Position am Rand der Spule ist. Dieser Ort ist bei den verschiedenen Spulen unterschiedlich.

134

Kapitel 12 · Transkutane Magnetstimulation peripherer Nerven

1

12.1

Magnetsimulation peripherer Nerven

2

12.1.1 Grundlagen der peripheren

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Magnetsimulation Bei der Magnetstimulation wird mithilfe einer Induktionsspule, in der ein sich schnell änderndes Magnetfeldes aufgebaut wird, in anderen elektrisch leitfähigen Geweben ein Strom induziert. Somit bietet die Magnetstimulation prinzipiell die Möglichkeit neben der Stimulation der Gehirnrinde auch periphere Nerven zu erregen. Erste Versuche dazu wurden bereits vor der Untersuchung des zentralen Nervensystems unternommen und führten zu sichtbaren Muskelkontraktionen (Bickford et al. 1987). Dennoch wird die Magnetstimulation zur Untersuchung peripherer Nerven in der täglichen Praxis nur sehr selten eingesetzt.

12.1.2 Vorteil der Magnetstimulation

peripherer Nerven Als ein Vorteil der Magnetstimulation im Vergleich zur elektrischen Stimulation wird die geringere Schmerzhaftigkeit der Untersuchung angesehen. Dies gilt sicher für die transkranielle Magnetstimulation (TMS), gilt aber für die Untersuchung peripherer Nerven nicht in gleichem Maße. Die geringere Schmerzhaftigkeit ist auf die geringere elektrische Feldstärke im Bereich der Haut zurückzuführen, in dem die Schmerzrezeptoren lokalisiert sind. Auch der Einfluss der Stromflussrichtung mag dabei eine Rolle spielen. Bei der Magnetstimulation sind die Stromflussrichtungen horizontal in der Haut ausgerichtet und erregen möglicherweise die kutanen Schmerzrezeptoren anders als der direkte elektrische Strompuls. Da bei der Untersuchung peripherer Nerven in aller Regel aber sog. supramaximale Stimuli notwendig sind er, muss auch hier für die Magnetstimulation die Stimulationsintensität hochgeregelt werden. Bei hohen Feldstärken kommt es zu einer größeren Ausbreitung des Magnetfelds, so dass außer dem interessierenden Nerv in der Regel auch die umgebenden Muskeln erregt werden (Machetanz et al. 1994). Diese Muskelkontraktionen werden oft als schmerzhaft empfunden. Darüber hinaus kommt es zu einem Bewegungseffekt in den stimulierten Regionen, welche oft das interessierende Antwortpotenzial kontaminieren. Im Gegensatz zu elektrischen Feldern werden Magnetfelder nicht von Geweben mit geringer elek-

trischer Leitfähigkeit, so z. B. Knochen oder Fettgewebe, abgeschwächt. Durch die bessere Penetration der Magnetfelder durch die Gewebe, die zwischen der Reizspule und den zu erregenden Strukturen liegen, können auch tiefer gelegene Nerven gereizt werden. Somit bietet sich das Verfahren ‒ wenigstens theoretisch ‒ zur Untersuchung, z. B. des N. ischiadicus im Bereich der Glutäalfalte bzw. des Oberschenkels oder des N. radialis am Oberarm, an (Maccabbee et al. 1988).

12.1.3 Nachteile der Magnetstimulation

peripherer Nerven Der geringe Einsatz der peripheren Magnetstimulation in der klinischen Routine mit herkömmlichen aber auch mit neueren Magnetspulen liegt darin begründet, dass die Magnetsimulation den peripheren Nerv nicht an genau definierten Punkten zu erregen vermag und außerdem keine supramaximale Stimulation garantiert werden kann (Bischoff et al. 1995). Ein genau definierter Stimulationsort und eine supramaximale Stimulusintensität sind jedoch Grundvoraussetzungen für die Durchführung klinisch aussagekräftiger Nervenleitungsuntersuchungen. Dass der Reizort bei der Magnetstimulation schlechter definierbar ist als bei der klassischen elektrischen Stimulation peripherer Nerven (Chokroverty 1989; Cros et al. 1990), hängt damit zusammen, dass 5 der Stimulationspunkt (die virtuelle Kathode) größer und weniger exakt vorhersagbar ist als der Kathodenpunkt bei der elektrischen Stimulation und 5 sich das Magnetfeld weiter ausbreitet und der exakte Stimulationsort vor allem bei tief gelegenen Geweben erheblich schwanken kann. Aber auch bei oberflächennaher Stimulation ist der Ort der Stimulation des Nervs nicht so exakt anzugeben wie bei der elektrische Stimulation (zur Positionierung der Spule 7 Abschn. 12.1.4). Ein weiterer Einflussfaktor, der die Voraussage des Stimulationsorts erschwert, ist die Feldinhomogenität. Dies macht sowohl eine exakte Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit aufgrund der ungenauen Distanzmessung weitgehend unmöglich als auch die Bestimmung der distal motorischen Latenz, die Distanz bezogen ermittelt wird. Der zweite wesentliche Nachteil der peripheren Magnetstimulation ist, dass mit keiner der heute verfügbaren Spulen eine supramaximale Nervenstimulation gewährleistet werden kann. Dies gilt für ober-

135

12.1 Magnetsimulation peripherer Nerven

flächennahe wie für tiefer liegende Nerven, bei denen aufgrund des quadratischen Abstandsgesetzes meist nur deutlich submaximale Antworten ausgelöst werden. Bei der für eine supramaximale Stimulation notwendigen höheren Stimulationsintensität kommt es, z. B. bei Stimulation des N. medianus am Handgelenk, in der Regel zu einer Miterregung anderer, in der Nachbarschaft liegender Nerven ‒ hier des N. ulnaris ‒ , so dass das Antwortpotenzial kontaminiert ist. Aus den genannten Gründen kommt bei der klassischen Neurografie die Magnetsimulation in der Regel nicht zum Einsatz. Die fehlende supramaximale Stimulation lässt keine Aussagen über die Zahl der erregten Nerven- bzw. Muskelfasern zu. Die Ungenauigkeit der Ortsbestimmung verhindert die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit. Damit sind die beiden wesentlichen elektrophysiologischen Kennwerte der peripheren motorischen Neurografie, nämlich die Amplitude des Muskelsummenaktionspotenzials und die maximale Nervenleitgeschwindigkeit, mithilfe der peripheren Magnetstimulation nicht zuverlässig zu bestimmen. Untersuchungen zur Reproduzierbarkeit der motorischen Neurografie peripherer Nerven mit der Magnetstimulation zeigten bei wiederholter Untersuchung der gleichen Probanden Schwankungen der Nervenleitgeschwindigkeiten zwischen 5 und 14 m/s. Das Gleiche gilt auch für die Untersuchung kurzer Nervensegmente (Olney et al. 1990). Es soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass für die foraminale Stimulation motorischer Nervenfasern im Rahmen der Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit die Fokalität der Stimulation durch die Bündelung der elektrischen Feldlinien im Neuroforamen erhöht wird. Ebenso ist in diesem Kontext eine supramaximale Stimulation weder erforderlich noch erwünscht. Die zervikale oder lumbale Magnetstimulation erfolgt hier mit gerader überschwelliger Reizstärke, also nicht supramaximal, um eine umschriebene Stimulation des Spinalnerven im Neuroforamen sicherzustellen (7 Kap. 2–6). Noch schwieriger ist die Untersuchung sensibler Nervenfasern mit der Magnetstimulation. Zum einen werden – anders als bei der elektrischen Stimulation – sensible Axone schlechter erregt als motorische, zum anderen kommt es bei der distalen Stimulation regelmäßig zu einer Überlagerung des sensiblen Nervenaktionspotenzials durch das motorische Artefakt. Auch wenn die repetitive periphere Magnetstimulation weniger schmerzhaft ist als die repetitive Elektrostimulation, kann sie nicht zur Untersuchung der neuromuskulären Übertragung eingesetzt werden, da die zur Beurteilung des Dekrements notwendige

12

supramaximale Stimulation nicht vorausgesetzt werden kann (Bischoff et al.1994).

12.1.4 Hinweise zur technischen

Durchführung Nachdem in den neunziger Jahren eine Reihe von Untersuchungen zu den elektrophysiologischen Eigenschaften der Magnetstimulation peripherer Nerven durchgeführt wurden, gibt es in den letzten Jahren nur noch wenige Arbeiten, die sich damit beschäftigen. Nach wie vor kommt zur Untersuchung peripherer Nerven bzw. der peripheren Abschnitte der Hirnnerven vorzugsweise die kreisförmige Spule zum Einsatz. Die Hoffnung, dass mithilfe von Spulen mit geringerem Durchmesser eine höhere Fokalität erreicht werden kann, hat sich leider nicht bewahrheitet. Wichtig bei der Beurteilung des Stimulationsorts ist die Tatsache, dass die Erregung des peripheren Nervs nicht von Lage und Ausdehnung des magnetischen Feldes, sondern von dem dadurch induzierten elektrischen Feld abhängig ist (Rot u. Besser 1990). Aufgrund eigener Untersuchungen (Bischoff et al. 1995) wurde der Stimulationsort des peripheren Nervs für runde Spulen sowie für die Schmetterlingsspule bestimmt. Diese Untersuchungen umfassten sowohl die Stimulation des N. medianus als auch des N. ulnaris im Bereich des Handgelenks sowie im Bereich der Ellenbeuge. Der Ort der Stimulation, d. h. der Teil der Spule, der optimalerweise über dem Nerv liegen sollte, ist weder die Spulenmitte noch die Partie der dem Griff gegenüber liegenden Region, sondern etwas seitlich davon (. Abb. 12.1). Hierin unterscheiden sich die verschiedenen runden Spulen nur gering. Das Ergebnis ist weitgehend unabhängig von der Stimulationsintensität, wenngleich sich bei höheren Intensitäten der Stimulationsort, die virtuelle Kathode, nach distal verlagern kann (Cross et al. 1990b). Dass es sich bei der Kathodenregion um einen im Vergleich zur Spule zwar kleinen, aber im Vergleich zur elektrischen Stimulation relativ großen Bezirk handelt, begründet die Unsicherheiten bei der Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit bzw. der distal motorischen Latenz. Bei der Untersuchung mit runden Spulen muss die Stromflussrichtung in der Spule beachtet werden. Durch Umdrehen der Spule um 180° ändern sich Stromflussrichtung und damit der Ort der neuronalen Erregung und die Amplitude der Muskelsummenaktionspotenziale. Optimal ist eine Stromflussrichtung des induzierten Stroms (am Nerv) nach distal, d. h. eine Stromflussrichtung in der Spule nach proximal.

136

Kapitel 12 · Transkutane Magnetstimulation peripherer Nerven

. Abb. .. Die durch schwarze Punkte gekennzeichnete Region entspricht dem Ort, an dem die mit der magnetischen Nervenstimulation ausgelösten Muskelsummenaktionspotenziale im Vergleich mit der klassischen Elektrostimulation die gleiche Latenz und die größten Amplituden aufweisen. Stromﬂussrichtung in der Spule entgegen dem Uhrzeigersinn (Richtung des induzierten Stroms von links nach rechts). (Aus Meyer 1992)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Bei umgekehrter Stromflussrichtung sind die Amplituden häufiger submaximal. Die Untersuchung der F-Welle ist nur eingeschränkt möglich, da unter dem Teil der Spule, der proximal über dem Nerv liegt, ebenfalls eine Erregung ausgelöst wird, die dann nach proximal wandert. Somit liegen die Stimulationsorte der Auslösung der direkten muskulären Antwort und der F-Wellen-Antworten 2‒4 cm auseinander. Die aus der elektrischen Stimulation bekannten Referenzwerte sind somit ungültig. Insgesamt liegen keine Referenzwerte bezüglich der Magnetsimulation peripherer Nerven vor. Trotz anderer Möglichkeiten der Spulenpositionierung (Maccabee et al. 1980) ist in der Praxis eine Position der Spule tangential zur Hautoberfläche sinnvoll, wobei die Spulenebene möglichst parallel zur Ebene, in der der Nerv verläuft, liegen soll.

15 16 17 18 19 20

12.2

Direkte Muskelstimulation

Wenn eine Magnetspule über einem Muskel platziert wird, kommt es bei der Stimulation zu einer Kontraktion des darunter liegenden Muskels. In einer Arbeit konnten wir (Machetanz et al. 1994) nachweisen, dass die Muskelkontraktion durch die Erregung der terminalen Endäste der Nerven ausgelöst wird. Es handelt sich hierbei also nicht um eine unmittelbare Stimulation des Muskels unter Umgehung der peripheren Nervenäste und der neuromuskulären Synapse. Dies ist bei der Anwendung repetitiver Stimulationstechniken zum Erhalt der Muskelfunktion zu berücksichtigen, da bei kompletter Denervierung keine Kontraktion ausgelöst werden kann.

Literatur Bickford RG, Guidi M, Fortesque P, Swenson M (1987) Magnetic stimulation of human peripheral nerve and brain: response enhancement by combined magnetoelectrical technique. Neurosurgery 20: 110–116 1Bischoﬀ C, Machetanz J, Meyer B-U, Conrad B (1994) Repetitive magnetic nerve stimulation: technical considerations and clinical use in the assessment of neuromuscular transmission. Electroenceph Clin Neurophysiol 93: 15–20 Übersicht über Technik und Grenzen der Magnetstimulation peripherer Nerven bei der Diagnostik neuromuskulärer Störungen. 2Bischoﬀ C, Riescher H, Machetanz J et al. (1995). Comparison of various coils for magnetic stimulation of peripheral nerves: physiological considerations and consequences for diagnostic use. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 97: 332–340 Übersichtsarbeit über Stimulationsort und andere Bedingungen bei der Untersuchung peripherer Nerven mithilfe der Magnetstimulation. Chocroverty S (1989) Magnetic stimulation of the human peripheral nerves. Electromyogr Clin Neurophysiol 29: 409– 419 Cros D, Day TJ, Shahani BT (1990) Spatial dispersion of magnetic stimulation in peripheral nerves. Muscle Nerve 13: 1076–1082 Maccabee PJ, Amassian VE, Cracco RQ et al. (1988) An analysis of peripheral nerve stimulation in humans using the magnetic coil. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 70: 524–533 1Machetanz J, Bischoﬀ C, Pichlmeier R et al. (1994) Magnetically induced muscle contraction is caused by motor nerve stimulation and not by direct muscle activation. Muscle Nerve 17: 1770–1775 Grundlagenarbeit zur Stimulation der Muskeln.

Literatur

Meyer B-U (1992) Die Magnetstimulation des Nervensystems. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio 2Olney RK, Goodis DS, Aminoﬀ MJ (1990) A comparison of magnetic and electrical stimulation of peripheral nerves. Muscle Nerve 13: 957–963 Erste umfassende Arbeit über die Stimulation peripherer Nerven.

137

12

139

13

Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter Florian Heinen, Verena Brodbeck

13.1

Altersspeziﬁsche Besonderheiten – 140

13.1.1

Neuroanatomische und neurophysiologische Besonderheiten – 140 Konsequenzen für die MEP-Ableitung im Kindesalter – 141

13.1.2

13.2

Elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen – 141

13.2.1

Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) – 142 Bestimmung der kortikalen motorischen Reizschwelle – 142 Organisationstyp der kortikospinalen Bahn bei Zerebralparesen und kindlichem Schlaganfall – 143

13.2.2 13.2.3

13.3

Spezielle elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen – 143

13.3.1

Interhemisphärische Hemmung Fallbeispiel – 144 Intrakortikale Hemmung und Bahnung – 144

13.3.2

– 143

13.4

Klinische Fragestellungen – 145

13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4

Fazialisparese – 145 Multiple Sklerose – 145 Rett-Syndrom – 145 Lähmung im Rahmen einer somatoformen Störung – 145 Entwicklungsneurologie der kindlichen Motorik – 145 Zerebralparesen und kindlicher Schlaganfall – 146

13.4.5 13.4.6

Literatur

– 146

ZUM THEMA In diesem Kapitel werden Unterschiede und Besonderheiten in der Durchführung der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) im Kindes- und Jugendalter im Vergleich zu Erwachsenen dargestellt. Bereits postpartal besteht die Möglichkeit, bei Kindern eine TMS des primärmotorischen Handareals durchzuführen. Der Organisationstyp des kortikospinalen Systems sowie die zentralmotorische Leitungszeit können prinzipiell in jedem Alter bestimmt werden. Allerdings ist die kortikospinale Erregbarkeit beim sehr jungen Kind noch niedrig, so dass mit hoher Reizintensität am fazilitierten Zielmuskel (für die Hand- und Unterarmmuskeln z. B. durch das Traktionsmanöver) abgeleitet werden muss. Die motorische Reizschwelle sinkt während der weiteren motorischen Entwicklung kontinuierlich ab und erreicht erst nach dem 15. Lebensjahr erwachsenengleiche Werte. Die Bestimmung der motorischen Reizschwelle bei Kindern in Ruhe ist dadurch limitiert, dass die üblichen, schwellenadaptierten physiologischen Kennwerte erst

ab dem Vorschulalter abgeleitet werden können. Die technische Durchführung unterscheidet sich dabei nicht vom Vorgehen bei Erwachsenen. Die kortikale Stimulation des Repräsentationsareals zur unteren Extremität ist frühestens ab dem 3. (bis 5.) Lebensjahr möglich. Altersabhängige TMS-Normwerte existieren bisher lediglich für die zentralmotorische Leitungszeit (ZML) und die motorische Schwelle zur oberen Extremität. Die intrakortikale Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency intracortical inhibiton; 7 Kap. 16) sowie die ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period; 7 Kap. 15) entwickeln sich erst im Schulalter, so dass die Erregbarkeit intrakortikaler inhibitorischer Interneurone erst dann mit der TMS untersucht werden kann. Die klinisch-diagnostischen Anwendungen der TMS entsprechen denen im Erwachsenenalter. Die Indikationen kindlicher Schlaganfall, Zerebralparese, multiple Sklerose, Rett-Syndrom und Diﬀerentialdiagnostik psychogener Lähmung sind hervorzuheben.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

140

Kapitel 13 · Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter

13.1

Altersspeziﬁsche Besonderheiten

13.1.1 Neuroanatomische und

neurophysiologische Besonderheiten Unterschiede in der Anwendung der TMS im Kindesbzw. Jugendalter im Vergleich zu Erwachsenen ergeben sich aus der funktionellen Unreife der schnell leitenden kortikospinalen Bahnen und assoziierter motorischer Systeme zum Zeitpunkt der Geburt. Die Axone der Pyramidenzellen sind etwa ab der 24. Schwangerschaftswoche bis ins Rückenmark deszendiert und bilden funktionelle Verbindungen mit dem spinalen DMotoneuron aus (Eyre 2003). Bereits bei Frühgeborenen lässt sich die kortikospinale Bahn mit der TMS aktivieren (Eyre et al. 2000). Die zunehmend willkürliche und zielgerichtete Steuerung der Bewegung und damit der Muskulatur, wird mit zunehmender synaptischer Verknüpfung zwischen primär motorischem Kortex und anderen kortikalen Arealen, wie dem prämotorischen und somatosensorischen Kortex möglich. Ein Schwerpunkt der motorischen Entwicklungsdynamik liegt dabei in den ersten zwei Lebensjahren. Unter dem Einfluss der Reifung höherer kortikaler Funktionen entwickeln sich die motorischen Funktionen bis zum Adoleszenten- und jungen Erwachsenenalter. Die Unreife der schnell leitenden, kortikospinalen Bahn beim Neugeborenen zeigt sich in der im Vergleich zu älteren Kindern und Erwachsenen deutlich längeren zentralmotorischen Leitungsgeschwindigkeit (7 Kap. 6, ZML) bei gleichzeitig kürzerer Distanz zwischen Kortex und Spinalwurzel. Bereits beim

Neugeborenen wird eine monosynaptische Projektion zum spinalen D-Motoneuron angenommen. Die rapide Abnahme der ZML im Verlauf der ersten zwei Lebensjahre korreliert zum einen mit der Zunahme des Axondurchmessers und der zunehmenden zentralen Myelinisierung (Eyre 2003) und zum anderen mit der kortikalen und spinalen Reifung interneuronaler Netzwerke mit synaptischen Kontakten zum 1. und 2. Motoneuron (Fietzek et al. 2000). Es ist in diesem Zusammenhang noch nicht abschließend geklärt, ob die Myelinisierung bereits zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr (Yakovlev u. Lecours 1967) abgeschlossen ist, oder ob sich dieser Reifungsprozess noch bis weit über das 6. Lebensjahr ausdehnt (Brody et al. 1987). Die altersbezogenen Veränderungen der mit der TMS abbildbaren, neurophysiologischen Kennwerte sind gut vereinbar mit der Annahme, dass sowohl die zunehmende Differenzierung intrakortikaler, interneuronaler Netzwerke als auch die zunehmende zentrale Myelinisierung entscheidend für die funktionelle Reifung bis ins Adoleszentenalter sein könnten. So entwickeln sich die intrakortikale Hemmung mit kurzen Interstimulus-Intervallen (7 Kap. 16) und die interhemisphärische Hemmung (7 Kap. 18) erst mit Erreichen des Schulalters (Mall et al. 2004; Heinen et al. 1998b). Der als Latenzsprung bezeichnete Unterschied zwischen Latenz der kortikospinalen Bahn in Ruhe und in Aktivierung (. Abb. 13.1) ist bei Erwachsenen viermal kürzer als bei Vorschulkindern, was ebenfalls mit der Reifung intrakortikaler Interneurone und der zunehmenden zentralen Myelinisierung erklärt wird (Fietzek et al. 2000; Garvey u. Gilbert 2004).

15 16 17 18 19 20

a . Abb. .a,b. Zentralmotorische Leitungszeit (ZML) abgeleitet vom tonisch voraktivierten (a) und entspannten (b) Muskel. Dargestellt sind Werte von gesunden Kindern je Alter in Jahren (x-Achse). In der Gruppe mit voraktiviertem Zielmuskel (a) erreicht das Kind das Erwachsenenkonﬁdenzinter-

b vall mit ca. 3 Jahren. Bei entspanntem Zielmuskel ist dies erst um das 7. Lebensjahr der Fall (Latenzsprung); die horizontalen, gepunkteten Linien markieren das Konﬁdenzintervall Erwachsener

13.1.2 Konsequenzen für die MEP-

Ableitung im Kindesalter Die TMS ist als Einzel- oder Doppelpulsstimulation bei Kindern jeden Alters durchführbar (Eyre et al. 2001). Es können grundsätzlich zur MEP-Ableitung die gleichen Muskeln gewählt werden wie bei Erwachsenen. Je jünger das Kind ist, desto schwieriger gestaltet sich die praktische Durchführung. Dies ist dadurch bedingt, dass die Untersuchung eine Kooperationbereitschaft des Kindes, z. B. eine gezielte Vorinnervation, erfordert. Zudem sind höhere Stimulationsintensitäten nötig, welche den Untersuchungsumfang limitieren können. Indikationen für klinische und wissenschaftliche Fragestellungen müssen unterschieden werden. Es kommt auf das Alter des Kindes und das Gesamtsetting an, ob die Durchführung einer Untersuchung möglich und sinnvoll ist (. Abb. 13.2). Während das gesamte Spektrum der Einzel- und Doppelpulsuntersuchungen bei Kindern sicher angewendet werden kann, ist die repetitive Anwendung der TMS bisher bei Kindern nur vereinzelt im Rahmen von wenigen Studien mit kleinen Fallzahlen (z. B. bei therapierefraktärer fokaler Epilepsie) erfolgt. Erst mit weiteren Langzeiterfahrungen zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei Erwachsenen und behutsamen, kontrollierten Studien bei Kindern wird abzuschätzen sein, ob die repetitive TMS für Kinder bzw. Jugendliche in Zukunft eine klinisch-diagnostische oder sogar therapeutische Option darstellen wird oder nicht.

13

141

13.2 Elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen

13.2

Elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen

Es empfiehlt sich, dem Kind den motorischen Effekt der Stimulation zunächst an sich selbst oder einer dritten Person ruhig, manchmal spielerisch zu demonstrieren. Es sollte bei Kindern versucht werden, die Anzahl der Stimuli so gering wie möglich zu halten. Die in . Tab. 13.1 aufgeführten Bereiche der korti-

. Tab. .. Normbereiche für die motorische Reizschwelle Alter

Stimulatorintensität in %

Frühgeborene

>100

Neugeborene – 2. Lebensjahr

>100 (>100–80)

2–3 Jahre

90 (100–70)

4–6 Jahre

70 (100–60)

7–8 Jahre

60 (90–40)

9–10 Jahre

50 (65–35)

10–12 Jahre

40 (50–30)

12–16 Jahre

35 (50–30)

Richtwerte für die motorische Reizschwelle der oberen Extremität in Ruhe. Die Angaben in Klammern entsprechen einem Orientierungsbereich. Beim einzelnen Kind kann die individuelle Schwelle davon erheblich abweichen. (Aus Eyre et al. 1991; Fietzek et al. 2000 und unpublizierte eigene Labordaten).

. Abb. .. Schema der wichtigsten mit der TMS bestimmbaren elektrophysiologischen Kennwerte die bei Kindern und Jugendlichen Anwendung ﬁnden, aufgetragen nach Altersspektrum der Durchführbarkeit (x-Achse), Diﬀerenzierung nach klinischer oder wissenschaftlicher Indikation (z-Achse) und Komplexität der Durchführung (y-Achse). Ab dem 16. Lebensjahr ist die Ableitbarkeit aller aufgeführten Kennwerte als erwachsenengleich anzunehmen. ZML zentralmotorische Leitungszeit; SICI intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen; ICF intrakortikale Bahnung; iSP ipsilaterale kortikale Innervationsstille

142

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 13 · Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter

kalen motorischen Reizschwelle je Alter können hier als Orientierung dienen. Um das Stimulationsgeräusch insbesondere der hohen Intensitäten zu mildern, sollte dem Kind ein angepasster Gehörschutz angeboten werden (z. B. Ohrstöpsel aus Wachs).

13.2.1 Bestimmung der zentralmotorischen

Leitungszeit (ZML) Die Stimulation zur Bestimmung der ZML erfolgt wie beim Erwachsenen entweder mit der achtförmigen Spule über dem primärmotorischen Kortex, oder mit der Rundspule über der Vertexregion bei voraktiviertem oder relaxiertem Zielmuskel. Als Zielmuskel wird einer der kleinen Handmuskeln, in der Regel der M. interosseus dorsalis manus I gewählt. Bei sehr jungen Kindern kann die Muskelmasse zu gering sein um ein MEP zuverlässig abzuleiten. In diesem Fall kann auf den M. biceps brachii (oder den M. flexor digitorum superficialis) ausgewichen werden. Die Intensität sollte außreichend hoch, im sicher überschwelligen Bereich gewählt werden. Die Durchführung inklusive der spinalen Stimulation (mit niedrigen Stimulusintensitäten, z. B. 20 der Stimulatorintensität) über dem Foramen intervertebrale unterscheidet sich ansonsten nicht von der Durchführung bei Erwachsenen (7 Kap. 6). Orientierende altersabhängige Normbereiche der ZML sind für den tonsich voraktivierten und den entspannten Zielmuskel dargestellt (. Abb. 13.1). Bereits um das 3. Lebensjahr erreicht die ZML, abgeleitet am fazilitierten Muskel, erwachsenengleiche Werte, während erwachsenengleiche Werte am relaxierten Muskel erst ab dem 7. Lebensjahr erreicht werden (Heinen et al. 1998a; Fietzek et al. 2000).

13.2.2 Bestimmung der kortikalen

motorischen Reizschwelle In der klinischen Routine hat die Bestimmung der kortikalen motorischen Schwelle (7 Kap. 14) für sich genommen wenig Aussagekraft. Zur Bestimmung der zentral- und periphermotorischen Leitungszeit sowie des Repräsentationstyps des kortikospinalen Systems, ist sie nicht erforderlich. Allerdings wird zur Bestimmung anderer elektrophysiologsicher Kennwerte wie der ipislateralen Innervationsstille oder der Doppelpulserregbarkeit die Stimulationsintensität an die individuelle Schwelle in Ruhe angepasst. Deshalb ist ‒ bei über die klinische Routine hinausgehenden Fragestellungen ‒ die zuverlässige Bestimmung der kortiko-

motorischen Reizschwelle essenziell. Die Messbarkeit dieser Kennwerte wird also auch determiniert durch das Alter, in dem die Bestimmung der exakten motorischen Schwelle möglich ist. Für die kortikomotorischen Bahnen zur oberen Extremität (7 Kap. 7) ist die Altersabhängigkeit der motorischen Schwelle gut untersucht (Koh u. Eyre 1988; Muller et al. 1991b; Fietzek et al. 2000). Je älter das Kind, desto geringer ist die motorische Reizschwelle. Gleichzeitig nimmt die interindividuelle Variabilität der Reizschwelle mit zunehmendem Alter ab. Bei Kindern unter 2 Jahren liegt die motorische Schwelle meist über 100 der Stimulatorintensität, so dass sie im entspannten Muskel nicht zuverlässig bestimmt werden kann. Bis zum Jugendalter sinkt die Schwelle exponentiell ab und erreicht Erwachsenenwerte zur Mitte der 2. Lebensdekade (Eyre et al. 1991; Fietzek et al. 2000). Eine zuverlässige Bestimmung der Ruheschwelle unter 2 Jahren ist entsprechend dieser Besonderheiten in den meisten Fällen nicht möglich. Auch die Bestimmung der aktiven Schwelle bedarf bei sehr jungen Kindern eines eingespielten Teams, welches die Stimulation mit der spielerisch provozierten Aktivierung des Zielmuskels synchronisieren kann. Noch bis zum Alter von 6 Jahren kann es erforderlich sein, die MEPAbleitung am fazilitierten Muskel durchzuführen (Garvey u. Gilbert 2004). Es kommt auf das individuelle Niveau der kortikalen Exzitabilität und die Kooperationsbereitschaft des zu untersuchenden Kindes an, ob eine Bestimmung der Schwelle in Ruhe möglich ist. Ab dem 6. Lebensjahr ist dies in aller Regel gut möglich. Es spricht nichts gegen einen Versuch der Schwellenbestimmung auch bei deutlich jüngeren Kindern, solange das Kind dazu bereit ist. Das praktische Vorgehen und die Definition der motorischen Schwelle unterscheiden sich nicht von der Bestimmung der Schwelle im Erwachsenenalter. Die Bestimmung der motorischen Schwelle der kortikospinalen Bahn zur unteren Extremität gestaltet sich auch beim Kind deutlich schwieriger als für die zur oberen Extremität. Schon bei Erwachsenen sind zur Stimulation der im Interhemisphärenspalt lokalisierten Kortexregion, die die untere Extremiät repräsentiert, höhere Intensitäten erforderlich als für die Stimulation des kortikalen Handareals (7 Kap. 8). Bei jungen Kindern ist selbst bei maximaler Ausgangsleistung des Stimulators kein sicheres MEP an der unteren Extremität auslösbar. Erst ab dem Alter von ca. 3‒5 Jahren sind bei maximaler Stimulatorintensität MEP der kleinen Fußmuskeln auslösbar (Muller et al. 1991a). Ab welchem Alter die Schwelle zur unteren Extremität bestimmt werden kann, ist bis-

13.3 Spezielle elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen

her nicht systematisch untersucht. Spezielle Spulenkonstruktionen, die mit dem Ziel entwickelt wurden, die tiefer liegenden Hirnstrukturen mit einem ausreichend hohen Magnetfeld zu erreichen, könnten die Altersgrenze zur Stimulation der unteren Extremität in Zukunft möglicherweise reduzieren. Da die Entwicklung der Gangmotorik von ganz besonderem entwicklungsneurologischem Interesse ist, hätte hier jede technische Weiterentwicklung einen hohem Einfluss auf die Relevanz der TMS für die Diagnostik der motorische Entwicklung im Kindesalter.

13.2.3 Organisationstyp der

kortikospinalen Bahn bei Zerebralparesen und kindlichem Schlaganfall Soll die Frage beantwortet werden, ob die kortikospinale Bahn einer Hemisphäre nur nach kontralateral oder auch nach ipsilateral verläuft, wird simultan an beiden Händen abgeleitet. Um eine möglichst fokale Stimulation zu gewährleisten und eine simultan bilaterale, kortikale Stimulation zu vermeiden, muss diese Stimulation des primären motorischen Handareals mit einer fokalen Achterspule erfolgen. Bei Stimulation über einer Hemisphäre zeigt sich so, ob und wenn ja mit welcher Latenz ein MEP an der ipsilateralen Handmuskulatur abgeleitet werden kann. Ein ipsilateraler Verlauf der kortikospinalen Bahn mit einer zu kontralateral vergleichbarer Leitungszeit zeigt sich z. B. bei Kindern mit unilateraler Zerebralparese (kongenitaler Hemiparese) und größeren Hirnläsionen (Staudt et al. 2004). Bei diesen Kindern entspringt die kortikospinale Bahn zur paretischen Hand häufig dem ipsilateralen primären motorischen Kortex, der auch Ursprung für die kortikospinale Bahn zur gesunden, kontralateralen Hand ist.

13.3

143

13

Spezielle elektrophysiologische Kennwerte und praktisches Vorgehen

13.3.1 Interhemisphärische Hemmung Bei überschwelliger fokaler Stimulation des primären motorischen Handareals lässt sich in den Muskeln der ipsilateralen Hand während tonischer Vorinnervation eine kurzzeitige ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period) oder eine Reduktion der Willküraktivität nachweisen (7 Kap. 18). Vermittelt wird diese interhemisphärische Hemmung durch eine transkallosale Aktivierung kortikokortikaler Projektionen. Diese Form der interhemisphärischen Hemmung zeigt eine Altersentwicklung mit erstmaligem Auftreten im Schulalter (Heinen et al. 1998b) und allmählicher Reifung von Dauer, Reproduzierbarkeit und Latenz hin zu Erwachsenenwerten. Die Ausbildung der ipsilateralen Innervationsstille ist assoziiert mit dem Verschwinden von Spiegel- bzw. assozierten Bewegungen (Wassermann et al. 1991; Meyer et al. 1995). Die interhemisphärische Hemmung wird meist mittels Oberflächen-EMG von den tonisch voraktivierten Mm. interossei dorsales manus I abgeleitet (. Abb. 13.3). Stimuliert wird mit 150 der aktiven motorischen Reizschwelle oder, falls diese höher liegt, mit der maximalen Ausgangsleistung des Magnetstimulators. Die Handmuskulatur muss während der Stimulation mit 50 (mindestens >20) der maximalen Kraft willkürlich aktiviert werden. Idealerweise sollte hierzu das EMG kontinuierlich mit auditorischem oder visuellem Feedback wiedergegeben werden, um den Stimulus bei konstanter Vorspannung auslösen zu können. In die Auswertung werden nur solche Durchgänge eingeschlossen, in denen eine ausreichende Muskelaktivierung im EMG vor Eintreffen des Stimulus erkennbar ist. Die Auswertung entspricht der Analyse im Erwachsenenalter (7 Kap. 18).

144

1 2 3 4 5

Kapitel 13 · Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter

Fallbeispiel In . Abb. 13.3 ist die Untersuchung der interhemisphäralen Inhibition mittels Messung der ipsilateralen Innervationsstille bei einem gesunden, in der neurologischen Untersuchung unauﬀälligen Jungen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten dargestellt. Die 1 Untersuchung erfolgte im Alter von 5 Jahren und 8 Monaten,

. Abb. .a,b. Analyse der EMG-Daten der linken Hand, also ipsilateral zur Stimulation. Dargestellt sind 20 bzw. 30 rektiﬁzierte und gemittelte Durchläufe. Nach der von Garvey et al. (2001) beschriebenen Analysemethode, zeigt das EMG des Kindes bei der 1. Untersuchung (a) keine ipsilaterale Innervationsstille, also keine ausreichend lange Reduktion der tonischen EMG-Aktivität unter das in der Prästimulusphase bestimmte Aktivitätsniveau. In der 2. Messung (b) ist eine Reduktion des EMG-Signals unter das 95%-Niveau mit einer Latenz von 38 ms und einer Dauer von 18 ms zu erkennen. Die mit zunehmendem Alter sich ausbildende ipsilaterale Innervationsstille kann als neurophysiologisches Korrelat der normalen Entwicklung interhemisphäraler (transkallosaler) inhibitorischer Kompetenz angesehen werden

a

6 7 8 9 10

die 2. Untersuchung im Alter von 8 Jahren und 1 Monat. Zum Zeitpunkt der 1. Untersuchung zeigte das Kind für sein Alter normale, assoziierte Mitbewegungen der nicht zur Bewegung aufgeforderten Hand bei Ausführen einer Fingersequenz. Diese assoziierten Mitbewegungen waren zum Zeitpunkt der 2. Untersuchung nicht mehr nachweisbar.

b

11 12 13 14 15 16 17

13.3.2 Intrakortikale Hemmung und

18

Die Doppelpulsstimulation, typischerweise unter Verwendung des von Kujirai et al. (1993) beschrieben Protokolls, kann bei Kindern entsprechend dem Ablauf bei Erwachsenen durchgeführt werden und wird nach eigenen Erfahrungen von Kindern ab 6 Jahren gut toleriert. Es existieren bisher noch wenige Daten zu intrakortikaler Hemmung mit kurzem Interstimulusintervall und intrakortikaler Bahnung (7 Kap. 16) im Kindesalter. Angaben aus der Literatur und eigene

19 20

Bahnung

Daten zeigen, dass sich die intrakortikale Doppelpulshemmung bei Kindern graduell, ab dem Vorschulalter entwickelt (Mall et al. 2004). Bei Kindern mit unilateraler Zerebralparese (kongenitaler Hemiparese) ist die intrakortikale Hemmung mit kurzem Interstimulusintervall in der geschädigten Hemisphäre deutlich geringer ausgeprägt, als in der nichtgeschädigten Hemisphäre (bisher unpublizierte eigene von Daten Berweck et al.).

145

13.4 Klinische Fragestellungen

13.4

Klinische Fragestellungen

13.4.1 Fazialisparese Bei erwachsenen Patienten wird die TMS zur differenzialdiagnostischen Abklärung einer Fazialisparese eingesetzt (7 Kap. 9). Die Möglichkeit einer Differenzierung zwischen kanalikulärer und präkanalikulärer Schädigung und damit eine ätiologische Zuordnung in eine idiopathisch/virale und borrelienassoziierte Fazialisparese wird diskutiert (Nowak et al. 2005). Eigene, systematische Untersuchungen bei 15 Kindern mit Fazialisparese zeigen, dass Amplitudenminderung oder Verlust des MEP von Gesichtsmuskeln (im Vergleich zur postkanalikulären elektrischen Stimulation) kein ausreichend spezifisches Kriterium der idiopathischen, primär kanalikulär zuordenbaren Schädigung des N. fazialis ist. Zusammen mit den ohnehin schwierigeren Untersuchungsbedingungen bei Kindern, ist ein sicherer Auschluß einer präkanalikulären Ätiologie mit der TMS daher nicht sicher möglich. Auf die Lumbalpunktion zur Sicherung der borrelienassoziierten und spezifisch zu behandelnden Ätiologie einer Fazialisparese kann nicht verzichtet werden. Im Gegensatz zur Untersuchung beim Erwachsenen hat sich damit die TMS zur Untersuchung bei Fazialisparese bei Kindern nicht als klinisches Routineverfahren etabliert.

13.4.2 Multiple Sklerose Die Verlängerung der ZML und die Reduktion der MEP-Amplitude sind bei erwachsenen Patienten mit multipler Sklerose vielfach beschrieben und werden pathophysiologisch mit der Schädigung der kortikospinalen Bahnen erklärt (7 Kap. 22). Bisher existieren lediglich Einzelfallberichte zu Untersuchungen bei Kindern und Jugendlichen mit multipler Sklerose (Dan et al. 2000). Zur Diagnosestellung ist die Untersuchung hilfreich zur Verifizierung einer örtlichen Dissemination. Mit Hilfe der Triple-Stimulationstechnik (7 Kap. 11) lässt sich die Sensitivität der Untersuchung erheblich steigern (Magistris et al. 1998). Eine Adaptation dieser Technik an Kinder ist technisch anspruchsvoll und durch die periphere elektrische Stimulation limitiert. Sie bleibt speziellen Fragestellungen und Zentren vorbehalten.

13

13.4.3 Rett-Syndrom Das Rett-Syndrom ist relativ häufig Ursache einer frühkindlichen dementiellen Entwicklung (1:20.000). Die Krankheit tritt zu über 90 bei Mädchen auf und ist mit Mutationen im MECP-2-Gen assoziiert. Patientinnen mit Rett-Syndrom zeigen bei gleicher peripherer Leitungszeit eine kürzere ZML als gleichaltrige gesunde Mädchen (Heinen et al. 1997). Neurophysiologisch ist dieser Befund einer pathologisch verkürzten ZML bemerkenswert und bislang bei keiner anderen Erkrankung beschrieben. Vermutlich korreliert die Abnahme der ZML mit der kortikalen Hyperexzitabilität dieser Patientinnen, die ihrerseits durch eine örtlich wie zeitlich pathologische Organisation der synaptischen Eingänge auf die Betz’schen Riesenzellen erklärt wird. Die Diagnose wird aber über den Verlauf, die Klinik und die Genetik gestellt, so dass der TMS nur eine ergänzende Rolle in der Diagnostik zukommt.

13.4.4 Lähmung im Rahmen einer

somatoformen Störung Wie bei Erwachsenen kann die TMS bei Kindern und Jugendlichen mit Verdacht auf eine rein funktionelle Lähmung im Rahmen einer somatoformen Störung eine wichtige Hilfe in der Differentialdiagnose darstellen. Da die Aktivierung der kortikospinalen Bahn zur unteren Extremität erst bei älteren Kindern ab etwa 10 Jahren zuverlässig gelingt, können bei jüngeren Kindern nur psychogene Lähmungen der oberen Extremität differenziert werden.

13.4.5 Entwicklungsneurologie der

kindlichen Motorik Die normale Entwicklung des kindlichen Gehirns kann paradigmatisch über die Entwicklung des motorischen Systems erfasst werden. Durch die methodische Kombination von TMS (Fietzek et al. 2000) mit der funktionellen und strukturellen Magnetresonanztomografie (MRT) lassen sich wesentliche Aspekte der motorischen Entwicklung messen und visualisieren. Über die Anwendung der TMS in der neurophysiologischen Forschung, gewinnt die Methode in der entwicklungsneurologischen klinischen Routine zunehmend an Bedeutung (. Abb. 13.3).

146

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 13 · Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter

13.4.6 Zerebralparesen und kindlicher

Schlaganfall Für das Verständnis der anatomischen und pathophysiologischen Konsequenzen früher Schädigungen des motorischen Systems hat die Untersuchung der kortikospinalen Bahn mit der TMS entscheidende Beiträge geliefert. Die Art der kortikospinalen Reorganisation könnte unterschiedliche therapeutische Ansätze erfordern. Die bisherigen Ergebnisse sind von einer Umsetzung und klinischen Konsequenz nicht mehr weit entfernt. Es ist wahrscheinlich, dass in Zukunft die genaue neurophysiologische Evaluation einer zerebralen Läsion mittels Bildgebung und funktioneller Neurophysiologie zum diagnostischen Standard zur Optimierung der habilitativen und rehabilitativen Therapien gehören wird.

Literatur Brody, BA, Kinney HC et al. (1987) Sequence of central nervous system myelination in human infancy. I. An autopsy study of myelination. J Neuropathol Exp Neurol 46: 283–301 Dan B, Christiaens F et al. (2000) Transcranial magnetic stimulation and other evoked potentials in pediatric multiple sclerosis. Pediatr Neurol 22: 136–8 2Eyre JA (2003) Developmental plasticity of the corticospinal system. In: Boniface S and Ziemann U (Eds) Plasticity in the Human Nervous System. Cambridge University Press, Cambridge, pp 235–249 Grundlagenarbeit zur Neurophysiologie bei Früh- und Neugeborenen. Eyre JA, Miller S et al. (1991) Constancy of central conduction delays during development in man: investigation of motor and somatosensory pathways. J Physiol 434: 441–52 Eyre JA, Miller S et al. (2000) Functional corticospinal projections are established prenatally in the human foetus permitting involvement in the development of spinal motor centres. Brain 123: 51–64 Eyre JA, Taylor JP et al. (2001) Evidence of activity-dependent withdrawal of corticospinal projections during human development. Neurology 57: 1543–1554 Fietzek UM, Heinen F et al. (2000) Development of the corticospinal system and hand motor function: central conduction times and motor performance tests. Dev Med Child Neurol 42: 220–227 2Garvey MA, Gilbert DL (2004) Transcranial magnetic stimulation in children. Eur J Paediatr Neurol 8: 7–19 Aktuelle Übersichtsarbeit, welche die wichtigsten bisher veröﬀentlichten TMS-Untersuchungen bei Kindern zusammenfasst. Garvey MA, Ziemann U et al. (2001) New graphical method to measure silent periods evoked by transcranial magnetic stimulation. Clin Neurophysiol 112 1451–1460

Heinen F, Petersen H et al. (1997) Transcranial magnetic stimulation in patients with Rett syndrome: preliminary results. Eur Child Adolesc Psychiatry 6 Suppl 1: 61–63 Heinen F, Fietzek UM, Berweck S et al. (1998a) Fast corticospinal system and motor performance in childern: conduktion proceeds skill. Pediar Neurol 19: 217–221 1Heinen F, Glocker FX et al. (1998b) Absence of transcallosal inhibition following focal magnetic stimulation in preschool children. Ann Neurol 43: 608–612 Arbeit zur Entwicklung der ipsilateralen Innervationsstille bei gesunden Kindern. Koh TH, Eyre JA (1988) Maturation of corticospinal tracts assessed by electromagnetic stimulation of the motor cortex. Arch Dis Child 63: 1347–1352 Kujirai T, Caramia MD et al. (1993) Corticocortical inhibition in human motor cortex. J Physiol 471: 501–519 Magistris MR, Rosler KM et al. (1998) Transcranial stimulation excites virtually all motor neurons supplying the target muscle. A demonstration and a method improving the study of motor evoked potentials. Brain 121: 437–450 Mall V, Berweck S et al. (2004) Low level of intracortical inhibition in children shown by transcranial magnetic stimulation. Neuropediatrics 35: 120–125 Meyer BU, Roricht S et al. (1995) Inhibitory and excitatory interhemispheric transfers between motor cortical areas in normal humans and patients with abnormalities of the corpus callosum. Brain 118: 429–440 Muller K, Homberg V et al. (1991a) Maturation of lower extremity EMG responses to postural perturbations: relationship of response-latencies to development of fastest central and peripheral eﬀerents. Exp Brain Res 84: 444–452 Muller K, Homberg V et al. (1991b) Magnetic stimulation of motor cortex and nerve roots in children. Maturation of cortico-motoneuronal projections. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 63–70 Nowak DA, Linder S et al. (2005) Diagnostic relevance of transcranial magnetic and electric stimulation of the facial nerve in the management of facial palsy. Clin Neurophysiol 116: 2051–2057 1Staudt M, Gerloﬀ C et al. (2004) Reorganization in congenital hemiparesis acquired at diﬀerent gestational ages. Ann Neurol 56: 854–863 Schönes Beispiel für eine klinisch-wissenschaftliche Anwendung der TMS in Kombination mit anderen Methoden, in der die TMS den entscheidenden Beitrag zum Verständnis der untersuchten Pathophysiologie liefert. Wassermann EM, Fuhr P et al. (1991) Eﬀects of transcranial magnetic stimulation on ipsilateral muscles. Neurology 41: 1795–1799 Yakovlev PI, Lecours A-R (1967). Myelogenetic cycles of regional maturation of the brain. In: Minkowski A (Ed) Regional Development of the Brain in Early Life. Blackwell, Oxford, pp 3–70

147

Spezielle Diagnostik: Kochrezepte

14

Kortikale Reizschwelle

– 149

Friedemann Awiszus, Helmut Feistner

15

Kortikale Innervationsstille

– 159

Michael Orth, Reiner Benecke

16

Kortikale Doppelpulsprotokolle

– 167

Mathias Wahl, Ulf Ziemann

17

Afferente Konditionierung

– 177

Monika Pötter, Hartwig Roman Siebner

18

Zerebrale Konnektivität

– 191

Tobias Bäumer, Alexander Münchau

19

Stimulation des visuellen Kortex

– 203

Thomas Kammer

20

Transkranielle elektrische Stimulation

– 211

Stephan Brandt, Jan Brocke, Kerstin Irlbacher

21

Intraoperatives Monitoring/Intensivmedizin Andrea Szelényi

– 219

14 III

149

14

Kortikale Reizschwelle Friedemann Awiszus, Helmut Feistner

14.1

Vorbemerkung – 150

14.4

Interpretation kortikaler Erregbarkeitsschwellenschätzungen – 155

14.2

Grundlagen kortikaler Reizschwellen – 150

14.4.1 14.4.2

14.2.1 14.2.2

TMS-induzierte Ereignisse – 151 Vom physiologischen zum mathematischen Problem – 151

14.4.3

Physikalische Einﬂussfaktoren – 155 Physiologische, pathologische und pharmakologische Einﬂussfaktoren – 157 Schwellenschätzungen unterschiedlicher TMS-induzierter Ereignisse – 157

14.3

Rezepte für die Schätzung kortikaler Reizschwellen – 153

Literatur

14.3.1

Nicht durchführbar, obsolet und inefﬁzient: Leitlinienrezepte – 153 Durchführbar, aber inefﬁzient: Das Mills-Nithi-Verfahren – 154 Efﬁzient, aber grob: Schwellenjagd mittels Bisektion – 154

14.3.2 14.3.3

– 158

ZUM THEMA Dieses Kapitel ist eine Einführung in das Schwellenproblem bei TMS. Ausgehend vom Begriﬀ eines TMS-induzierten Ereignisses wird eine exakte Deﬁnition des Schwellenbegriﬀs vorgenommen. Weiterhin wird ein Verfahrenstest (das Schwellenspiel) vorgestellt, mit dessen Hilfe es möglich ist, Schwellenschätzungsverfahren vor einem Einsatz am Menschen zu beurteilen. Der Rezeptteil beschreibt unterschiedliche Kochrezepte zur Schwellenschätzung. Dabei können nur zwei

Rezepte zur Verwendung in der Praxis empfohlen werden: 1) zur groben Schätzung: die Schwellenjagd mittels Bisektion; 2) zur genauen Schätzung: die Maximum-Likelihood-Schwellenjagd. Im Interpretationsteil werden Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation von Schwellenschätzungen vorgestellt.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

150

Kapitel 14 · Kortikale Reizschwelle

14.1

Vorbemerkung

TMS ist ein Verfahren, für dessen Anwendung die International Federation of Clinical Neurophysiology (IFCN) Leitlinien herausgegeben hat. Insbesondere der Bestimmung der kortikalen Reizschwelle wird innerhalb der Leitlinien besondere Beachtung geschenkt und die Passagen über Schwellen werden in wissenschaftlichen Arbeiten über TMS sehr häufig zitiert. Die ersten Leitlinien erschienen 1994 (Rossini et al. 1994). An deren Erstellung waren insgesamt 16 Autoren beteiligt. Die entscheidende Passage lautet in deutscher Übersetzung: Wegen der natürlichen Variabilität der Amplituden motorisch evozierter Potenziale (MEP) … sollte die folgende Prozedur angewendet werden, um die Erregbarkeitsschwelle präzise zu definieren: 1) Lokalisieren Sie die Spule in der frontoparietalen Region kontralateral zum Zielmuskel in der untersuchten Gliedmaße und bewegen Sie die Spule herum bis der »Ort der geheiligten Hostie« (engl. host spot) gefunden ist, an dem die Schwelle am niedrigsten und die Latenz am kürzesten ist. 2) Erhöhen Sie die Reizstärke fortschreitend in Schritten von 5 bis Sie ein Niveau erreichen, das reliable (gewöhnlich um die 100 µV) MEP in ungefähr 50 von 10‒20 aufeinanderfolgenden Durchgängen hervorruft und definieren Sie dieses als die Erregbarkeitsschwelle. Im Jahre 1999 wurde eine zweite Fassung der Leitlinien publiziert (Rothwell et al. 1999). Diese wurde von 6 Autoren verfasst, von denen 4 bereits an der Erstellung der 94er Leitlinien beteiligt waren. Die entscheidende Passage dieser Neufassung lautet in deutscher Übersetzung: Um die Schwelle für das Hervorrufen einer Antwort im Zielmuskel zu messen, muss die Spule zuerst über dem effektivsten Punkt auf der Kopfhaut für eine Antwort im Zielmuskel platziert werden. Ist dieser Punkt gefunden, muss die Reizstärke fortschreitend in Schritten von 2 oder 5 vermindert werden, bis ein Niveau erreicht ist, unterhalb dessen reliable EMG-Antworten verschwinden. .... Wenn die Schwelle im entspannten Muskel gemessen wird, kann eine reliable Antwort als ein MEP von 50‒100 µV definiert werden, das in

50 von 10‒20 aufeinanderfolgenden Durchläufen auftritt. Ebenfalls 1999 erschien noch eine dritte Version der Leitlinien (Rossini et al. 1999), die von 7 Autoren verfasst wurde, von denen 3 an allen 3 Leitlinienversionen beteiligt waren. In deutscher Übersetzung lautet sie: Suchen Sie den »heißen Ort« (engl. hot spot), das heißt diejenige Skalpposition, an der der Stimulus das MEP mit größter Amplitude und minimaler Latenz hervorruft. Um dies zu erreichen, sollte eine eindeutig überschwellige Stimulationsintensität benutzt werden (das heißt 60‒70 der Stimulatorleistung für Muskeln der oberen Extremität). Ist der »heiße Ort« gefunden, vermindern Sie fortschreitend die Reizstärke in Schritten von 1 bis MEP nur in ungefähr 50 der Durchläufe vorhanden sind und definieren Sie diese Stimulusstärke als die Erregbarkeitsschwelle. Eine praktische Durchführung dieser Rezepte scheitert daran, dass stets nur vage Andeutungen gemacht werden, was konkret durchzuführen ist. Darüber hinaus fordern die einzelnen Versionen bei den Handlungsanweisungen, die konkret genug für eine praktische Durchführung beschrieben sind, wie etwa die Richtung der Reizstärkeänderung, genau entgegengesetzte Handlungen (erste Leitlinienfassung: nur Erhöhung; zweite und dritte Fassung: nur Erniedrigung). Darüber hinaus verwenden die Leitlinientexte äußerst merkwürdige Begriffe für die Spulenpositionsbeschreibung, und auch der Begriff der reliablen MEP erscheint seltsam, da der einleitende Satz des ersten Leitlinientextes (richtigerweise) eine grundsätzlich hohe Variabilität (und damit geringe Reliabilität) von MEP feststellt. Leider fehlt in allen Leitlinientexten der Wahrscheinlichkeitsbegriff völlig, der in anderen Naturwissenschaften, die sich mit einem Schwellenbegriff beschäftigen (wie etwa die Psychophysik), essenziell notwendig ist, um eine Definition des Schwellenbegriffs vorzunehmen. In der Psychophysik würden obige Leitlinientexte bestenfalls als (recht grobe) Schätzung, keinesfalls aber als Deﬁnition einer kortikalen Erregbarkeitsschwelle gelten.

14.2

Grundlagen kortikaler Reizschwellen

Insgesamt fällt auf, dass die Leitlinien als Kochrezepte zur Schwellenbestimmung völlig ungeeignet sind. Darüber hinaus führen die Begriffsunklarheiten

14.2 Grundlagen kortikaler Reizschwellen

innerhalb der Leitlinientexte dazu, dass eine Schwellenbestimmung bei TMS ungerechtfertigterweise als etwas Mystisches erscheint. Wir werden daher im Folgenden den Schwellenbegriff klarstellen und Kochrezepte angeben, mit denen eine kortikale Schwelle tatsächlich bestimmt werden kann.

14.2.1 TMS-induzierte Ereignisse Zunächst werden wir den Begriff des TMS-induzierten Ereignisses einführen. Transkranielle Magnetstimulation ruft Aktionspotenziale in intrakraniellen Axonen hervor (7 Kap. 3). Rufen diese Aktionspotenziale eine für den Untersucher fassbare kurzzeitige Veränderung im stimulierten Probanden oder Patienten hervor, so nennen wir diese Veränderung ein TMS-induziertes Ereignis. Dabei kann das Erfassen der kurzzeitigen Veränderung durch Messung von Potenzialen wie EMG oder EEG, durch direkte Beobachtung des Probanden oder Patienten (Muskelzuckung) oder durch verbale Äußerung des Probanden oder Patienten (Phosphenwahrnehmung; 7 Kap. 19) erfolgen. Entscheidend ist, dass der Untersucher durch die Erfassungsprozedur in die Lage versetzt wird zu entscheiden, ob nach einem Stimulus das gewünschte TMSinduzierte Ereignis eingetreten ist oder nicht. Für jedes TMS-induzierte Ereignis kann eine kortikale Erregbarkeitsschwelle definiert werden, falls die Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Ereignisses mit steigender Reizstärke monoton zunimmt. Besonders einfach wird die Schwellenbestimmung, wenn das TMS-induzierte Ereignis bei niedrigen Reizstärken niemals eintritt (Wahrscheinlichkeit 0) und bei hohen Reizstärken sicher eintritt (Wahrscheinlichkeit 1). Derartige TMS-induzierte Ereignisse werden wir im Folgenden als einfache TMS-induzierte Ereignisse bezeichnen. Von besonderer Bedeutung unter den einfachen TMS-induzierten Ereignissen sind die MEP (7 Kap. 5– 10) in einem Zielmuskel, für die es möglich ist ein objektives Entscheidungskriterium anzugeben, ob das TMS-induzierte Ereignis eingetreten ist. Übersteigt die mittels EMG gemessene Amplitude eines MEP im Zielmuskel eine vorher festgelegte Amplitudengrenze, so ist das TMS-induzierte Ereignis eingetreten. Andernfalls ist das Ereignis nicht eingetreten, wobei es keine Rolle spielt, ob das MEP die festgelegte Amplitudengrenze unterschreitet oder ob überhaupt kein MEP nach dem Stimulus zu beobachten ist. Als Amplitudengrenze wird für einen Zielmuskel in Ruhe üblicherweise 50 µV verwendet. Wird der Zielmuskel vorinnerviert so wird als Amplitudengrenze 200 µV

151

14

verwendet, um nicht fälschlicherweise Willkürpotenziale, die nicht TMS-induziert sind als TMS-induziertes Ereignis zu klassifizieren. Die Festlegung auf diese speziellen Amplitudengrenzen ist allerdings völlig willkürlich und jede Wahl einer Amplitudengrenze definiert ein grundsätzlich eigenständiges TMS-induziertes Ereignis. Insbesondere kann die Wahl einer 1 mV Amplitudengrenze für spezielle TMS-Fragestellungen durchaus von Interesse sein (7 Kap. 6 und 16). Die Spulenposition wird durch die Wahl des TMSinduzierten Ereignisses bestimmt. Hierbei ist es sinnvoll, die Spule über dem für das gewählte TMS-induzierte Ereignis verantwortlichen Hirnareal zu positionieren. Entscheidend für die Validität aller folgenden Kochrezepte ist, dass diese Spulenpositionierung konstant beibehalten wird. Um Längsschnittuntersuchungen zu ermöglichen, ist es zudem wichtig, dass die Spulenposition auch an unterschiedlichen Untersuchungstagen an einem gegebenen Patienten oder Probanden reproduzierbar ist.

14.2.2 Vom physiologischen zum

mathematischen Problem Für ein einfaches TMS-induziertes Ereignis definieren wir die kortikale Erregbarkeitsschwelle als diejenige Reizstärke, bei der das TMS-induzierte Ereignis mit einer Wahrscheinlichkeit p=0,5 eintritt. Dabei muss diese Schwellenreizstärke nicht unbedingt physikalisch mit dem gegebenen Stimulator zu realisieren sein. Insbesondere für den weit verbreiteten MAGSTIM-200-Magnetstimulator gibt es nur 101 verschiedene Einstellungen am Stimulator (0 Ausgangsleistung bis 100 Ausgangsleistung in 1 Schritten). Die Reizstärke, bei der Eintreten und Nicht-Eintreten des TMS-induzierten Ereignisses gleich wahrscheinlich ist (nach Definition ist dies die Schwellenreizstärke), wird in der Regel jedoch auf einer nicht einstellbaren Zwischenreizstärke zwischen zwei ganzen Prozentschritten liegen. Auf den ersten Blick erscheint diese Definition den Vorgaben der Leitlinien zu entsprechen, in denen das Eintreten des Ereignisses in (ungefähr) 50 der Versuche bei Schwellenreizstärke gefordert wurde. Namhafte Arbeitsgruppen mutmaßten sogar in einer hochkarätigen Publikation (Amedi et al. 2004), dass sich die mathematisch korrekte, wahrscheinlichkeitsbasierte Schwellendefinition bereits in den 1994er Leitlinien befinden würde, was jedoch definitiv nicht der Fall ist, da die Leitliniendefinitionen von endlich vielen Versuchen ausgehen (10‒20, wobei in der TMSLiteratur nahezu einheitlich 10 Versuche oder weni-

152

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 14 · Kortikale Reizschwelle

ger benutzt werden) und somit eine relative Häuﬁgkeit und keine Wahrscheinlichkeit in der Definition auftaucht. Relative Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit sind jedoch völlig unterschiedliche Konstrukte, mit deren Unterschied sich die elementare Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigt. Mithilfe der elementaren Wahrscheinlichkeitsrechnung ist es z. B. möglich anzugeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein TMS-induziertes Ereignis in 5 von 10 Versuchen bei Schwellenreizstärke eintritt. Erstaunlicherweise ist diese Wahrscheinlichkeit sehr gering (p<0,25). Obwohl Eintreten und Nicht-Eintreten des TMS-induzierten Ereignisses bei Schwellenreizstärke definitionsgemäß gleich wahrscheinlich sind, ist es recht unwahrscheinlich in endlich vielen Versuchen gleiche Häufigkeit von Eintreten und Nicht-Eintreten des Ereignisses zu beobachten. Gemeinerweise wird die Situation mit steigender Zahl der Versuche ungünstiger. So ist die Wahrscheinlichkeit in genau 10 von 20 Versuchen ein TMS-induziertes Ereignis bei Schwellenreizstärke zu beobachten kleiner als 0,18. Die Idee, die hinter der Benutzung der relativen Häufigkeit in den Leitlinien steckt, ist es, einen (experimentell durchführbaren) Test zu erhalten, ob bei einer gegebenen Reizstärke Eintreten und Nicht-Eintreten des TMS-induzierten Ereignisses gleich wahrscheinlich sind. Um überhaupt eine realistische Chance zu erhalten, die Schwellenreizstärke in einem Häufigkeitstest als solche zu akzeptieren, ist es zunächst notwendig, einen Bereich von Häufigkeiten anzugeben, den wir als Schwellenindiz annehmen wollen. Ein sinnvoller Häufigkeitstest würde z. B. eine gegebene Reizstärke als Schwelle akzeptieren, wenn das TMS-induzierte Ereignis in mehr als 40 und weniger als 60 der Stimuli eintritt. Unter dieser Vorraussetzung ist es möglich, eine Abschätzung der bei einer gegebenen Reizstärke notwendigen Anzahl von Stimuli anzugeben, so dass die Irrtumswahrscheinlichkeit dieses Tests kleiner als 5 ist. Deprimierenderweise sind für den skizzierten Test 90(!) Stimuli pro Reizstärke notwendig und die in den Leitlinien angegebenen 10‒20 Stimuli stellen eine grobe Unterschätzung der für einen Häufigkeitstest notwendigen Stimuluszahl (ohne jede mathematische Basis) dar. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Kochrezepte, die wir im Folgenden zur Schwellenbestimmung empfehlen werden, gar nicht erst versuchen, einen Häufigkeitstest zum Akzeptieren einer Reizstärke als Schwellenreizstärke zu benutzen. Andererseits ist ein Verfahrenstest für Schwellenbestimmungsrezepte unbedingt erforderlich, um als Untersucher testen zu können, ob das Verfahren

überhaupt durchführbar ist und ob es das gewünschte Ergebnis (die Schwellenreizstärke) liefert. Wir wollen einen derartigen Verfahrenstest im Folgenden vorstellen, wobei wir das physiologische Problem der Schwellenbestimmung auf ein rein mathematisches Problem abbilden werden. Dies hat den Vorteil, dass wir nicht darauf angewiesen sind mit unklaren Begriffen wie reliablen MEP zu hantieren. Diesen Verfahrenstest werden wir als das Schwellenspiel einführen, wobei eine auf einem Rechner spielbare Version dieses Spiels kostenlos heruntergeladen werden kann (http:// www.med.uni-magdeburg.de/fme/ortho/forsch.htm). Dieses Spiel hat die folgenden Regeln: Ein Spielleiter hat Münzsätze mit genau 101 Münzen, die von 0‒100 durchnummeriert sind. Jeder Münzsatz enthält genau eine echte Münze (die sog. Schwellenmünze), bei der Kopf und Zahl bei einem Münzwurf gleich wahrscheinlich sind. Alle Münzen, deren Nummern höher als die der Schwellenmünze sind, tragen auf beiden Seiten das Symbol Kopf (sog. Doppelkopfmünzen). Alle Münzen, deren Nummern niedriger sind als die der Schwellenmünze, tragen auf beiden Seiten das Symbol Zahl (sog. Doppelzahlmünzen). Der Spieler hat die Aufgabe, die Schwellenmünze in jedem Münzsatz zu finden. Dazu kann der Spieler beim Spielleiter Münzwürfe anfordern, die jeweils 1 € kosten, indem der Spieler dem Spielleiter eine Münznummer nennt, die geworfen werden soll. Der Spielleiter teilt dem Spieler nach jedem Münzwurf das Ergebnis (Kopf oder Zahl) wahrheitsgemäß mit. Statt eines Münzwurfs kann der Spieler jederzeit die Lösung nennen, indem er die Münznummer angibt, von der er vermutet, dass es sich um die Schwellenmünze handelt. Ist die Lösung korrekt, wobei der Spielleiter die beiden Nachbarmünzen der Schwellenmünze auch als korrekt akzeptiert, gewinnt der Spieler 10 €. Handelt es sich bei der vom Spieler benannten Münze um eine (deutlich unterschwellige) Doppelzahlmünze, verliert der Spieler 1000 €. Nennt der Spieler bei seinem Lösungsversuch eine deutlich überschwellige Doppelkopfmünze, so verliert er sein Leben. Weiterhin ist die Zahl der Münzwürfe, die der Spieler vom Spielleiter anfordern kann dadurch begrenzt, dass innerhalb eines Münzsatzes nur maximal 20-mal der Wurf einer deutlich überschwelligen Doppelkopfmünze angefordert werden darf. Sollte

153

14.3 Rezepte für die Schätzung kortikaler Reizschwellen

der Spieler ein 21. Mal einen deutlich überschwelligen Münzwurf anfordern, so verliert er ebenfalls sein Leben.

14.3

14

Rezepte für die Schätzung kortikaler Reizschwellen

14.3.1 Nicht durchführbar, obsolet und Die Analogie zu einer Schwellenbestimmung mittels TMS liegt auf der Hand. Jeder Münzsatz repräsentiert einen Probanden oder Patienten. Die Nummern der Münzen korrespondieren zu den Reizstärken des Magnetstimulators und jeder Münzwurf repräsentiert einen Magnetstimulus. Das Ereignis Kopf steht für das Eintreten des gewählten TMS-induzierten Ereignisses, während das Nicht-Eintreten des TMS-induzierten Ereignisses nach einem Stimulus durch das Ereignis Zahl repräsentiert wird. Der Spieler wird durch das zu testende Schwellenschätzungsverfahren repräsentiert. Die Lösung stellt die abschließende Schwellenschätzung dar, wobei deutlich überschwellige Schätzungen für die Schwelle den Patienten in nachfolgenden Therapiesitzungen mit repetitiver TMS (Wassermann 1998) gefährden können (7 Kap. 4), da die Therapiereizstärke deutlich überdosiert wird. Genauso wenig ist es tolerabel, wenn die Schwellenbestimmung selbst sich zu einer Art Therapiesitzung mit einer großen Zahl deutlich überschwelliger Stimuli entwickelt, so dass bei den Schwellenspielregeln diese beiden Möglichkeiten (durch den Verlust des Lebens des Spielers) unter allen Umständen ausgeschlossen sind. Deutlich unterschwellige Schätzungen der Schwelle können hingegen zu einer deutlichen Unterdosierung einer nachfolgenden repetitiven TMS-Sitzung führen, so dass Patienten zwar nicht gefährdet werden, die einer Schwellenschätzung nachfolgenden Untersuchungs- und Therapieschritte jedoch reine Zeitverschwendung darstellen können, so dass die Schwellenspielregeln hierfür eine hohe Geldstrafe vorsehen (Zeit ist Geld!). Diese Regeln erlauben es, Verfahren zur Schwellenschätzung zu klassifizieren. Wir werden im Folgenden ein Verfahren als durchführbar bezeichnen, wenn es möglich ist, mit diesem Verfahren das Schwellenspiel zu spielen. Ein durchführbares Verfahren heißt obsolet, wenn die geringste theoretische Möglichkeit besteht, dass das Verfahren als Spieler das Schwellenspiel nicht überlebt. Des Weiteren bezeichnen wir ein durchführbares Verfahren als ineffizient, wenn jede Schwellenschätzung mit diesem Verfahren beim Schwellenspiel im Mittel mehr kostet als sie einbringt.

ineﬃzient: Leitlinienrezepte Eine notwendige Bedingung für ein durchführbares Verfahren ist, dass vor jedem Stimulus genau eine konkrete Reizstärke bekannt sein muss, mit der stimuliert werden soll. Insbesondere muss ein durchführbares Verfahren einen konkreten Startwert für den ersten Stimulus liefern, was keiner der drei Leitlinientexte tut. In der TMS-Literatur finden sich Angaben zum Startwert wie moderat überschwellig oder leicht überschwellig, die jedoch an keinem Magnetstimulator wirklich eingestellt werden können, und auch den Spielleiter im Schwellenspiel nicht dazu bringen werden, überhaupt einen Münzwurf durchzuführen. Der zweite Grund für die Undurchführbarkeit leitlinienkonformer Rezepte für die Schwellenbestimmung liegt in der geringen Wahrscheinlichkeit, den Häufigkeitstest, der die Schwellensuche beendet, zu erfüllen. Um Schwellenschätzungen mit einem Häufigkeitstest überhaupt zu ermöglichen, findet sich in der TMS-Literatur häufig als Schwellenschätzung die minimale Reizstärke, bei der nach 50 oder mehr von endlich vielen Stimuli das gewünschte TMS-induzierte Ereignis beobachtet werden konnte. Mittels elementarer Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich leicht zeigen, dass bei Schwellenreizstärke die Wahrscheinlichkeit 5 oder mehr TMS-induzierte Ereignisse bei 10 Durchläufen zu beobachten kleiner als 0,63 ist, und wir bei einem derartigen Häufigkeitstest eine inakzeptabel hohe Irrtumswahrscheinlichkeit haben, die echte Schwellenreizstärke nicht als solche zu akzeptieren. Schlimmer noch ist, dass die Wahrscheinlichkeit eine echte Schwellenreizstärke bei einem derartigen Test zu akzeptieren mit größerer Zahl der Stimuli noch weiter abnimmt. So ist die Wahrscheinlichkeit bei 20 Stimuli 10 oder mehr TMS-induzierte Ereignisse zu beobachten kleiner als 0,59. Im Schwellenspiel können wir mit einem derartigen Häufigkeitstest als Schwellenkriterium mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bei deutlich überschwelligen Reizstärken als Schwellenschätzung landen, wobei wir darauf hinweisen wollen, dass diese obsolete Form des Häufigkeitstests nicht den Leitlinien entstammt, auch wenn diese fast immer als Quelle angegeben werden. Eine französische Arbeitsgruppe (Tranulis et al. 2006) hat gezeigt, dass es möglich ist, ein durchführbares Verfahren zu konstruieren, das möglichst viele Vorgaben der zweiten Version der Leitlinien

154

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 14 · Kortikale Reizschwelle

(Rothwell et al. 1999) erfüllt. Diese nahezu leitlinienkonformen Schwellenbestimmungen von Tranulis et al. erforderten im Mittel 75 Stimuli und würden somit im Schwellenspiel als extrem ineffizient klassifiziert werden. Von dieser hohen Zahl von Stimuli waren in der Regel weit mehr als 50(!) weit überschwellig, so dass die Begrenzung der Zahl überschwelliger Stimuli beim Schwellenspiel dazu führt, dass derartige leitlinienkonforme Kochrezepte als obsolet zu klassifizieren sind. In der Tat fanden Tranulis et al., dass die mit ihrem Leitlinienverfahren bestimmten Schwellen nicht reproduzierbar waren, weshalb wir dringend davor warnen, Leitlinienrezepte in der Praxis zu verwenden.

14.3.2 Durchführbar, aber ineﬃzient: Das

beobachtet wurde. Notieren Sie diese Reizstärke als obere Schwellenschätzung. 5. Der arithmetische Mittelwert aus oberer und unterer Schwellenschätzung ist die gesuchte Schwellenschätzung der Mills-Nithi-Prozedur. Es ist leicht nachvollziehbar, dass die Mills-Nithi-Prozedur durchführbar ist. Es ist sogar möglich, (mathematisch) zu beweisen, dass man als Spieler des Schwellenspiels bei Verwendung der Mills-Nithi-Prozedur nicht ums Leben kommen kann, und daher das Verfahren nicht obsolet ist. Leider ist die durchschnittliche Zahl der Stimuli, die man bei diesem Verfahren für eine Schwellenschätzung benötigt mit 48 (Mills u. Nithi 1997) sehr hoch, so dass wir die Verwendung des Mills-Nithi-Verfahrens auf Grund seiner Ineffizienz nicht empfehlen.

Mills-Nithi-Verfahren Drei Jahre, nachdem die ersten Leitlinien publiziert worden waren, war es eine Arbeitsgruppe der Universität Oxford (Mills u. Nithi 1997), der auffiel, dass eine TMS-Schwellenbestimmung mittels der Leitlinien nicht durchführbar ist. Diese Arbeitsgruppe stellte folgendes durchführbare Verfahren vor: 1. Wählen Sie 20 der maximalen Stimulatorleistung. 2. (Grobe Aufwärtssuche) Stimulieren Sie bei der eingestellten Reizstärke genau einmal. Ist bei diesem Stimulus das gewünschte TMS-induzierte Ereignis eingetreten, fahren Sie mit Schritt 3 fort. Andernfalls erhöhen Sie die Reizstärke um 10 und wiederholen Sie Schritt 2. 3. (Feine Abwärtssuche) Vermindern Sie die Reizstärke um 1 und stimulieren Sie mit dieser Reizstärke bis einer der Stimuli das gewünschte TMSinduzierte Ereignis hervorruft oder insgesamt 10 Stimuli ohne Eintreten des gewünschten TMSinduzierten Ereignisses appliziert sind. Sollte ein TMS-induziertes Ereignis beobachtet werden wiederholen Sie Schritt 3. Notieren Sie die eingestellte Reizstärke, bei der 10 Stimuli kein TMSinduziertes Ereignis hervorgerufen haben, als untere Schwellenschätzung. 4. (Feine Aufwärtssuche) Erhöhen Sie die Reizstärke um 1 und stimulieren Sie mit dieser Reizstärke bis ein Stimulus kein TMS-induziertes Ereignis hervorruft oder insgesamt 10 Stimuli bei dieser Reizstärke appliziert sind. Wiederholen Sie Schritt 4, falls ein Stimulus kein TMS-induziertes Ereignis hervorruft, bis Sie eine Reizstärke erreicht haben, bei der nach allen 10 applizierten Stimuli das gewünschte TMS-induzierte Ereignis

14.3.3 Eﬃzient, aber grob: Schwellenjagd

mittels Bisektion Für die Anforderungen des Schwellenspiels gibt es eine einfache mathematische Lösung und das folgende extrem simple Verfahren, das wir als Schwellenjagd mittels Bisektion bezeichnen werden, ist die optimale Strategie für den Spieler im Schwellenspiel: 1. Setzen Sie 0 Stimulatorleistung als untere Grenze und 100 Stimulatorleistung als obere Grenze. 2. Addieren Sie untere und obere Grenze. Ist die Summe ungerade addieren Sie 1 zu der Summe hinzu. Teilen Sie die Summe durch 2. Benutzen Sie die resultierende ganze Zahl als Schwellenschätzung, falls 6 Stimuli bereits appliziert wurden. Andernfalls benutzen Sie die resultierende ganze Zahl als Reizstärke und applizieren Sie mit dieser Reizstärke einen Stimulus. Tritt nach diesem Stimulus das gewünschte TMS-induzierte Ereignis ein, so ersetzen Sie die aktuelle obere Grenze durch die benutzte Reizstärke. Andernfalls ersetzen Sie die untere Grenze durch die benutzte Reizstärke. 3. Wiederholen Sie Schritt 2, bis eine Schwellenschätzung erhalten wurde. Dieses Verfahren benutzt nach Konstruktion genau 6 Stimuli, wobei die Reizstärken durch den Algorithmus exakt vorgegeben werden. Man kann zudem (mathematisch) beweisen, dass die resultierende Schwellenschätzung beim Schwellenspiel immer als korrekte Lösung akzeptiert wird. Daher ist die Schwellenjagd mittels Bisektion durchführbar, nicht obsolet und effizient.

14.4 Interpretation kortikaler Erregbarkeitsschwellenschätzungen

Leider liefert die Schwellenjagd mittels Bisektion nur eine grobe Schwellenschätzung, da es durchaus passieren kann, dass die Schwellenränder (die größte Doppelzahlmünze oder die kleinste Doppelkopfmünze) als Schwellenschätzung auftauchen. Ähnlich wie bei der Mills-Nithi-Prozedur haben wir bei diesem Verfahren keine Möglichkeit durch Einsatz weiterer Stimuli die Sicherheit zu erhöhen, dass die erhaltene Schwellenschätzung wirklich die Schwellenmünze darstellt. Andererseits ist die grobe Schwellenschätzung, die durch die Schwellenjagd mittels Bisektion erhalten werden kann, für einige klinische Fragestellungen (z. B. für die Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit; 7 Kap. 6) durchaus ausreichend, so dass wir die Verwendung dieses Verfahrens für die grob orientierende Schwellenschätzung einfacher TMS-induzierter Ereignisse empfehlen. Die ohnehin niedrige Zahl von Stimuli, die für eine Schwellenjagd mittels Bisektion notwendig ist, lässt sich noch weiter reduzieren, wenn Vorwissen über die Schwellenreizstärke vorhanden ist. Kennt man von einem Probanden oder Patienten (z. B. durch eine Voruntersuchung) eine Schwellenschätzung für das gesuchte TMS-induzierte Ereignis, so kann man für Schritt 1 als untere Grenze die alte Schwellenschätzung minus 16 und als obere Grenze die alte Schwellenschätzung plus 16 verwenden. In diesem Fall beendet man das Verfahren bereits nach 4 Stimuli.

Eﬃzient und so genau wie möglich: Maximum-Likelihood-Schwellenjagd Im Jahr 2003 wurde ein Schwellenbestimmungsverfahren für TMS vorgestellt, das mit der kleinsten Zahl von Stimuli die höchste Genauigkeit der Schwellenschätzung für einfache TMS-induzierte Ereignisse erreicht (Awiszus 2003). Dieses Verfahren basiert auf der Maximum-Likelihood-Strategie, ist also ein nach mathematischen Kriterien optimales Verfahren. Anders als bei allen bisher diskutierten Verfahren, ist es nicht möglich, dieses Verfahren ohne Rechner zu benutzen. Eine deutschsprachige Version dieser sog. Maximum-Likelihood-Schwellenjagd, die auf jedem Windows PC ausführbar ist, kann kostenlos heruntergeladen werden (htttp://www.med.uni-magdeburg.de/ fme/ortho/forsch.htm). Zudem wurde in Zusammenarbeit mit J.J. Borckardt (Brain Stimulation Laboratory, Medical University of South Carolina, USA) eine überarbeitete Version der englischsprachigen Maximum-Likelihood-Schwellenjagd entwickelt, die für einen TMS-Anwender zusätzlich zur reinen Schwellenschätzung weitere nützliche Informationen liefert. Dieses Programm kann ebenfalls kostenlos herunter-

155

14

geladen werden (http://www.clinicalresearcher.org/ software.htm). Analog zur Schwellenjagd mit Bisektion beginnt das Verfahren mit der Wahl einer unteren und oberen Grenze, wobei wir die initiale Grenzwahl analog zur Schwellenjagd mit Bisektion empfehlen. Ist die Schwelle völlig unbekannt, wählen sie 0 als untere und 100 als obere Grenze; bei Vorwissen wählen sie vorherige Schwellenschätzung minus 16 als untere und vorherige Schwellenschätzung plus 16 als obere Grenze. Aus den gegebenen Informationen berechnet das Programm dann stets eine Reizstärke, mit der im Folgenden genau einmal stimuliert werden soll. Nachdem der Stimulus appliziert wurde, teilen sie dem Rechner durch einen Tastendruck mit, ob nach diesem Stimulus das TMS-induzierte Ereignis eingetreten ist oder nicht, woraufhin das Programm eine neue Schwellenschätzung errechnet. Für die klinische Routine empfehlen wir die Schwellenschätzung nach 10 Stimuli mit der Maximum-LikelihoodSchwellenjagd als kortikale Erregbarkeitsschwelle für das gewünschte TMS-induzierte Ereignis zu verwenden. Nach Konstruktion ist eine derartige 10-StimuliMaximum-Likelihood-Schwellenjagd im Schwellenspiel durchführbar und effizient. Darüber hinaus lässt sich (mathematisch) beweisen, dass dieses Verfahren nicht obsolet ist und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Schwellenspiel genau zur Schwellenmünze führt. Der große Vorteil der Maximum-LikelihoodSchwellenjagd ist, dass man als Untersucher nicht nach einer festgelegten Zahl von Stimuli abbrechen muss, sondern die Genauigkeit der Schwellenschätzung durch weitere Stimuli erhöhen kann. Wir verwenden in unseren Laboren für Forschungsfragestellungen eine 15-Stimuli-Maximum-Likelihood-Schwellenjagd. Für die Dosisfindung bei Therapiesitzungen mit repetitiver TMS (7 Kap. 50 und 55–62) empfehlen wir die Verwendung einer 20-Stimuli-MaximumLikelihood-Schwellenjagd zur Schwellenschätzung, um die Sicherheitskriterien mit hinreichender Genauigkeit erfüllen zu können (Wassermann 1998).

14.4

Interpretation kortikaler Erregbarkeitsschwellenschätzungen

14.4.1 Physikalische Einﬂussfaktoren Für das Auftreten TMS-induzierter Ereignisse ist die Stärke des intrakortikal induzierten elektrischen Feldes an den verantwortlichen Axonen entscheidend. Bei gegebener Reizstärke nimmt das induzierte elektrische Feld nahezu exponentiell mit stei-

156

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 14 · Kortikale Reizschwelle

gendem Abstand von der Spule ab (Epstein et al. 1990; 7 Kap. 2), so dass der Abstand zwischen Skalpoberfläche und den für das TMS-induzierte Ereignis entscheidenden Axonen, den absolut gemessenen Schwellenwert wesentlich beeinflusst. Daher ist eine Berücksichtigung dieses Skalp-Axon-Abstands bei der Interpretation von kortikalen Erregbarkeitsschwellenschätzungen unerlässlich (Stokes et al. 2005). Leider führte die Verwendung des mittels MRT gemessenen Skalp-Kortex-Abstands als Surrogatparameter für den entscheidenden Skalp-Axon-Abstand nur zu recht bescheidenen Erfolgen bei der Erklärung der interindividuellen Varianz von Erregbarkeitsschwellenschätzungen (Stokes et al. 2005), so dass der Aufwand für jeden Patienten oder Probanden individuelle MRT als Interpretationshilfe für Schwellenschätzungen anzufertigen, kaum gerechtfertigt erscheint. Neben dem vom Untersucher nicht zu beeinflussenden Skalp-Axon-Abstand, beeinflussen Änderungen der Spulenposition relativ zum Schädel Schätzungen kortikaler Erregbarkeitsschwellen. Leider gibt es 6(!) Freiheitsgrade bei der Positionierung einer Spule relativ zum Schädel, so dass eine Positionsoptimierung mittels elektrophysiologischer Parameter (wie der in der dritten Version der Leitlinien vorgesehenen MEP-Amplitude in einem Zielmuskel), eine 6dimensionale statistische Optimierung erfordern würde. Effiziente statistische Verfahren für derartig hochdimensionale statische Optimierungsprobleme sind durchaus bekannt (sie erfordern eine generalisierte Maximum-Likelihood-Strategie). Seriöse Abschätzungen der für derartige statische Optimierungen notwendigen Stimuluszahl führen jedoch zu der ernüchternden Erkenntnis, dass selbst bei der Verwendung einer statistisch optimalen Strategie mit 100 Stimuli nur eine recht geringe Genauigkeit bei der Positionsoptimierung erreicht werden kann. In der Praxis werden jedoch zur Positionsoptimierung Verfahren mit deutlich weniger Stimuli und unstrukturierten Positionsänderungen (das in den Leitlinien geforderte Herumbewegen der Spule) bei hohen Reizstärken verwendet, die neben der Tatsache, dass sie unangenehm für den Patienten oder Probanden sein können, nur mit verschwindend geringer Wahrscheinlichkeit zur optimalen Spulenposition für den untersuchten Probanden oder Patienten führen. Wir empfehlen daher die Spulenplatzierung am Anfang der Untersuchung an anatomischen Landmarken orientiert (oder mithilfe von MRT-Bildern; 7 Kap. 32) ohne Stimulation vorzunehmen und auf Spulenpositionsoptimierungen mit unstrukturierten, suboptimalen Verfahren, die bez. der Stimuluszahl unterdimensioniert sind, grundsätzlich zu verzichten.

Neben der Amplitude ist der Zeitverlauf des induzierten elektrischen Feldes ein physikalischer Einflussfaktor auf Schwellenschätzungen. Ein Magnetstimulator stellt physikalisch gesehen einen gedämpften Schwingkreis dar (7 Kap. 2) und alle Parameter, die diesen Schwingkreis charakterisieren, haben Auswirkungen auf Schwellenschätzungen. Die größte Beachtung unter den Schwingkreisparametern wird in der TMS-Literatur dem Anteil einer Vollschwingung geschenkt, nach dem der Schwingkreis abgeschaltet wird. Es gibt Stimulatoren, die nach einem Viertelzyklus (diese werden auch als monophasisch bezeichnet), nach einem Halbzyklus (sog. Halbsinus-Stimulusform) oder nach einem Vollzyklus (die sog. biphasische Stimulusform) den Schwingkreis bei einem Stimulus unterbrechen. Die Art der verwendeten Stimulusform beeinflusst Schwellenschätzungen (Sommer et al. 2006), wobei deprimierenderweise gute Evidenzen dafür existieren, dass eine statistisch korrekte 6-dimensionale Positionsoptimierung für jede Stimulusform zu einer anderen Spulenposition führen würde. Daher sind Ergebnisse, die mit einer Stimulusform erhalten wurden, nicht auf andere Stimulusformen übertragbar. Neben dem Zyklusanteil beeinflusst die Dauer der Basisschwingung des Schwingkreises sehr stark die Schwellenschätzungen (Barker et al. 1991). Die Dauer der Basisschwingung gibt für einen Viertelzyklusstimulator (wie etwa den weit verbreiteten MAGSTIM-200-Stimulator) einen Parameter, der mit der Reizbreite bei elektrischen Rechteckreizen zur peripheren Nervenstimulation eng verwandt ist. Bei der peripheren Nervenstimulation ermöglichen Schwellenschätzungen bei unterschiedlichen Reizbreiten die Berechnung eines physiologisch bedeutsamen Exzitabilitätsparameters, der Chronaxie, die auch als »strength-duration time constant« bezeichnet wird (7 Kap. 3). Leider erlauben derzeit handelsübliche Magnetstimulatoren keine systematische Veränderung der Dauer der Basisschwingung, so dass es (noch) nicht möglich ist, aus Schwellenschätzungen mit unterschiedlichen Schwingungsdauern eine Schätzung der zentralen Chronaxie zu erhalten, was mit geeigneten Magnetstimulatoren durchaus möglich wäre (Barker et al. 1991). Der für TMS-Anwender unangenehmste physikalische Einfluss auf Schwellenschätzungen ist die Unzuverlässigkeit der Herstellerangaben über die derzeit handelsüblichen Magnetstimulatoren. Der spektakulärste Fall einer derartigen Herstellerunzuverlässigkeit wurde von Sommer et al. (2006) berichtet, die durch Messungen des induzierten elektrischen Feldes herausfanden, dass der benutzte Magnetstimulator

14.4 Interpretation kortikaler Erregbarkeitsschwellenschätzungen

gar nicht in der Lage war, eine bestimmte vom Hersteller spezifizierte Stimulusform zu erzeugen. Ebenso unangenehm ist die Tatsache, dass die Hersteller von Magnetstimulatoren feste Baureihenbezeichnungen für ihre Spulen verwenden (z. B. P/N 9925 für die weit verbreitete 70 mm Achterspule der Fa. MAGSTIM), die suggerieren, dass die physikalischen Eigenschaften aller Spulen dieser Baureihe sich nur geringfügig unterscheiden. Zusätzlich unterstützen die Hersteller den Glauben der TMS-Anwender an die Invarianz der Spulen einer Baureihe dadurch, dass die eigentlichen Spulenwindungen in ein Kunststoffgehäuse verpackt werden, so dass alle Spulen einer Baureihe für einen TMS-Anwender visuell nicht unterscheidbar sind. Einfache Röntgenaufnahmen zweier nominell baugleicher Spulen in unseren Laboren zeigten jedoch, dass die im Kunststoffgehäuse verborgene Spulengeometrie sehr unterschiedlich war, was sich auch auf Messungen des induzierten elektrischen Feldes deutlich auswirkte. Daher können Schwellenschätzungen selbst nominell baugleicher Spulen deutliche Unterschiede aufweisen und wir empfehlen daher Spulenwechsel auf nominell baugleiche Spulen (z. B. bei Überhitzung einer Spule) bei der Untersuchung eines Probanden oder Patienten zu vermeiden.

14.4.2 Physiologische, pathologische und

pharmakologische Einﬂussfaktoren Jedes einfache TMS-induzierte Ereignis setzt neben der Reizung von bestimmten Axonen, die Intaktheit vieler zentralnervöser Schaltkreise voraus. TMSAnwender würden daher gerne Änderungen kortikaler Erregbarkeitsschwellen als Fehlfunktion einzelner zentralnervöser Schaltkreise deuten. Angesichts der Vielzahl rein physikalischer Einflussfaktoren erscheint eine derartige Interpretation jedoch sehr gewagt, und der Absolutwert einer Schwelle hat für einen Patienten keinerlei diagnostische Wertigkeit (Wassermann 2002). Zudem können leichte Asymmetrien der Relativgeometrien von linker und rechter Kortex- und Schädelhälfte, die an sich keinen Krankheitswert haben, auf Grund der physikalischen Einflussfaktoren zu deutlich messbaren Seitendifferenzen in den Schwellenschätzungen führen, so dass eine diagnostische Wertung einer Seitendifferenz von Schwellenschätzungen äußerst problematisch ist. Führt man hingegen mehrere Schwellenschätzungen bei einem Probanden oder Patienten für exakt dasselbe TMS-induzierte Ereignis bei derselben Spulenposition mit derselben Spule und demselben Stimulator mit einem effizienten Schwellenschätzungs-

157

14

verfahren durch, ist eine ausreichende Kontrolle physikalischer Einflussfaktoren gegeben, und die Interpretation von derartigen intraindividuellen Schwellenänderungen als zentralnervöser Erregbarkeitsänderung erscheint gerechtfertigt. Diese engen Voraussetzungen werden (näherungsweise) in neuropharmakologischen TMS-Experimenten erfüllt (7 Kap. 34), so dass man durch Schwellenschätzungen zeigen konnte, dass z. B. Natriumkanalblocker einen dämpfenden Einfluss auf die zentralnervöse Erregbarkeit haben. Leider wurden Schwellenschätzungen in den bisherigen neuropharmakologischen Experimenten stets mit obsoleten Verfahren durchgeführt, so dass man mit der Interpretation einer (statistisch) fehlenden Beeinflussung von Schwellenschätzungen durch ein Neuropharmakon vorsichtig sein sollte.

14.4.3 Schwellenschätzungen

unterschiedlicher TMS-induzierter Ereignisse Die Leitlinientexte beschäftigen sich ausschließlich mit MEP zu einer niedrigen Amplitudenschwelle als TMS-induziertem Ereignis und erwecken so den Eindruck, dass die kortikale Erregbarkeitsschwelle für dieses sehr spezielle TMS-induzierte Ereignis universelle Bedeutung auch für andere TMS-induzierte Ereignisse hat. So ist zu erklären, dass MEP Schwellenschätzungen (zu einer niedrigen Amplitudengrenze) benutzt werden, um Reizstärken zum Untersuchen anderer TMS-induzierter Ereignisse zu skalieren (z. B. die kortikale Innervationsstille; 7 Kap. 15 oder MEP nach Doppelpulsen; 7 Kap. 16). Implizit steckt hinter diesem Vorgehen die Hoffnung, dass die Schwellen aller TMS-induzierten Ereignisse direkt proportional zueinander sind. Eine theoretische Basis für eine derartige globale Proportionalitätshoffnung gibt es jedoch nicht und experimentelle Ergebnisse zeigen eindeutig, dass eine Proportionalität von TMSSchwellenschätzungen unterschiedlicher TMS-induzierter Ereignisse in der Praxis noch nicht einmal annähernd vorkommt. Talelli et al. (2006) wiesen darauf hin, dass die Benutzung der globalen Proportionalitätshoffnung zu fatalen Fehlinterpretationen von TMS-Befunden speziell bei Schlaganfallpatienten führen kann. Daher empfehlen wir, TMS-Untersuchungsprotokolle, die direkt oder indirekt eine globale Proportionalitätshoffnung verwenden, zu vermeiden und stattdessen für jedes TMS-Ereignis separat eine eigene Schwellenschätzung mit einem der empfohlenen Rezepte dieses Kapitels durchzuführen.

158

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 14 · Kortikale Reizschwelle

Literatur Amedi A, Floel A, Knecht S et al. (2004) Transcranial magnetic stimulation of the occipital pole interferes with verbal processing in blind subjects. Nat Neurosci 7: 1266–1270 Awiszus F (2003) TMS and threshold hunting. Suppl Clin Neurophysiol 56: 13–23 Barker AT, Garnham CW, Freeston IL (1991) Magnetic nerve stimulation: the eﬀect of waveform on eﬃciency, determination of neural membrane time constants and the measurement of stimulator output. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 43: 227–237 Epstein CM, Schwartzberg DG, Davey KR, Sudderth DB (1990) Localizing the site of magnetic brain stimulations in humans. Neurology 40(4): 666–670 Mills KR, Nithi KA (1997) Corticomotor threshold to magnetic stimulation: normal values and repeatability. Muscle Nerve 20: 570–576 Rossini PM, Barker AT, Berardelli A et al. (1994) Non-invasive electrical and magnetic stimulation of the brain, spinal cord and roots: basic principles and procedures for routine clinical application. Report of an IFCN committee. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 91: 79–92 Rossini PM, Berardelli A, Deuschl G et al. (1999) Applications of magnetic cortical stimulation. The International Federation of Clinical Neurophysiology. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 52: 171–185 Rothwell JC, Hallett M, Berardelli A et al. (1999) Magnetic stimulation: motor evoked potentials. The International Federation of Clinical Neurophysiology. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 52: 97–103 Sommer M, Alfaro A, Rummel M et al. (2006) Half sine, monophasic and biphasic transcranial magnetic stimulation of the human motor cortex. Clin Neurophysiol 117: 838–844 Stokes MG, Chambers CD, Gould IC et al. (2005) A simple metric for scaling motor threshold based on scalp-cortex distance: application to studies using transcranial magnetic stimulation. J Neurophysiol 94: 4520–4527 Talelli P, Greenwood RJ, Rothwell JC (2006) Arm function after stroke: neurophysiological correlates and recovery mechanisms assessed by transcranial magnetic stimulation. Clin Neurophysiol 117: 1641–1659 Tranulis C, Gueguen B, Pham-Scottez A et al. (2006) Motor threshold in transcranial magnetic stimulation: comparison of three estimation methods. Neurophysiol Clin 36: 1–7 Wassermann EM (1998) Risk and safety of repetitive transcranial magnetic stimulation: report and suggested guidelines from the International Workshop on the Safety of Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation, June 5–7, 1996. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 108: 1–16 Wassermann EM (2002) Variation in the response to transcranial magnetic brain stimulation in the general population. Clin Neurophysiol 113: 1165–1171

159

15

Kortikale Innervationsstille Michael Orth, Reiner Benecke

15.1

Deﬁnition und Physiologie

– 160

15.2

Methoden und Protokolle

15.2.1 15.2.2 15.2.3

TMS-Versuchsprotokoll – 161 Auswertung – 162 Einﬂussgrößen – 162

– 161

15.3

Fallbeispiele – 163

Literatur

– 165

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine Einführung in die neurophysiologischen Grundlagen und die Methoden zur Bestimmung der kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP). Die CSP bezeichnet die Minderung der EMG-Aktivität in einem tonisch aktiven Muskel ausgelöst durch TMS des kontralateralen motorischen Kortex. Die Dauer der CSP wird i.d.R. vom Stimulationsartefakt oder vom Beginn des motorisch evozierten Potenzials (MEP) bis zum Wiederbeginn kontinuierlicher EMG-Aktivität gemessen. Alle Anteile der CSP jenseits von 100 ms reﬂektieren sehr wahrscheinlich ausschließlich die Aktivierung intrakortikaler

inhibitorischer GABAerger Netzwerke, aber auch innerhalb der ersten 100 ms spielen diese Netzwerke eine Rolle. Die MEP-Größe korreliert mit der Dauer der nachfolgenden CSP. Die interindividuelle Variabilität von CSP-Dauer und MEP-Größe ist beträchtlich (20– 35%). Somit eignen sich diese Parameter nicht gut, um verschiedene Gruppen von Probanden oder Patienten miteinander zu vergleichen. Allerdings ist die intraindividuelle Variabilität gering (~10%), so dass wiederholte Messungen z. B. mit der Frage nach den Eﬀekten einer Behandlung oder im Verlauf einer Erkrankung gut möglich sind.

1 2 3 4 5 6 7 8

160

Kapitel 15 · Kortikale Innervationsstille

15.1

Deﬁnition und Physiologie

Unter einer Innervationsstille (engl. silent period) versteht man eine durch Stimulation ausgelöste, vorübergehende relative oder absolute Minderung von EMGAktivität während einer tonischen Aktivierung eines Muskels. Alle Bestandteile des motorischen Systems zwischen Stimulationsort und Ableitung der motorischen Antwort (motorischer Kortex, kortikospinale Neurone in der Pyramidenbahn, Rückenmark, spinale alpha-Motoneurone und peripherer Nerv), aber auch antidrome motorische Impulse, inhibitorische Interneuronschleifen auf Rückenmarksebene sowie Afferenzen aus Muskelspindeln und Golgi-Sehnenrezeptoren beeinflussen die Länge der Innervationsstille (. Abb. 15.1). Eine Innervationsstille kann nach elektrischer Stimulation oder nach Magnetstimulation über verschiedenen Stimulationsorten ausgelöst werden (Motorkortex, zervikomedullärer Übergang, peripherer Nerv). Für die Anwendung im Alltag inte-

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. Schematische Zeichnung des motorischen Systems. Die Ableitung zeigt ein MEP und nachfolgend eine Innervationsstille (CSP) im EMG des vorgespannten Zielmuskels. Die linke gestrichelte Linie (Stimulationsartefakt) bezeichnet den Beginn, die rechte gestrichelte Linie das Ende (Wiederbeginn kontinuierlicher EMG-Aktivität) der CSP. Zeitbalken am rechten Rand des Diagramms gibt die zu erwartende Dauer der Innervationsstille in Abhängigkeit vom Reizort an

ressant ist vor allem die durch TMS des motorischen Kortex ausgelöste kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP) als ein Maß für lang anhaltende kortikale Hemmung. Es gibt gute Hinweise für die Annahme, dass die ersten 50 ms der CSP auch spinale inhibitorische Mechanismen reflektieren. Hier mischen sich vermutlich die Hyperpolarisation von alpha-Motoneuronen nach der Entladung, Feedback-Inhibition von inhibitorischen Renshaw-Zellen im Rückenmark und inhibitorische Einflüsse des motorischen Kortex auf das Rückenmark. Es ist wahrscheinlich, dass die Aktivierung spinaler und v. a. kortikospinaler inhibitorischer Bahnen auch den 50–100 ms-Anteil der CSP beeinflusst. Alle Anteile der CSP von mehr als 100 ms reflektieren sehr wahrscheinlich ausschließlich die Aktivierung intrakortikaler inhibitorischer GABAerger Netzwerke (Chen et al. 1999; Fuhr et al. 1991; Inghilleri et al. 1993; Reid et al. 2002). In Abhängigkeit von der Intensität des TMS-Pulses kann die Dauer der CSP bis zu 300 ms in den kleinen Handmuskeln betragen. In größeren Extremitätenmuskeln, in axialen Muskeln oder in Gesichtsmuskeln ist die CSP kürzer (etwa 100 ms) (Roick et al. 1993). Die Größe des durch den TMS-Puls generierten MEP (entweder Spitze-zu-Spitze Amplitude oder Fläche unter der MEP-Kurve) korreliert mit der Dauer der nachfolgenden CSP (Orth u. Rothwell 2004). Dieses Verhältnis zwischen MEP-Größe und CSP-Dauer ist interindividuell recht konstant, obwohl MEP-Größe und CSP-Dauer alleine betrachtet sehr variabel sind (. Tab. 15.1 und . Tab. 15.2). Gleiches gilt für Vergleiche dieser Messwerte in Abhängigkeit von der Konfiguration des TMS-Pulses (Orth u. Rothwell 2004). Ein monophasischer TMS-Puls, der einen posterioranterioren Stromfluss im Motorkortex induziert (die am häufigsten verwendete Art der TMS), erzeugt bei gleicher Intensität des TMS-Pulses relativ zur aktiven kortikalen Reizschwelle (7 Kap. 14) ein kleineres MEP gefolgt von einer kürzeren CSP im Vergleich zu einem monophasischen TMS-Puls mit anterior-posteriorem Stromfluss im motorischen Kortex oder einem biphasischen TMS-Puls. Das Verhältnis zwischen MEPGröße und Dauer der CSP unterscheidet sich allerdings nicht wesentlich in Abhängigkeit von der Konfiguration des TMS-Pulses. Dies legt nahe, dass die Variabilität von MEP-Größe und CSP-Dauer von den gleichen Faktoren bestimmt wird. Eine einfache Erklärung könnte darin bestehen, dass die Stimulation kortikospinaler Bahnen auch die CSP verursacht. Kortikospinale Neurone geben rekurrierende Kollaterale ab, die wiederum die kortikale Erregbarkeit beeinflussen können. Bei der Katze haben rekurrierende Kolla-

15

161

15.2 Methoden und Protokolle

. Tab. .. Normwerte. Einﬂuss der Flussrichtung bei einer Stimulationsintensität von 150% AMT auf die Dauer der CSP und die MEP-Amplitude oder MEP-Fläche und die Quotienten aus CSP-Dauer und korrespondierender MEP-Amplitude bzw. MEP-Fläche Parameter

p.-a.

a.-p.

p.-a./a.-p.

Mittelwert

SD

CV

Mittelwert

SD

CV

Mittelwert

SD

CV

CSP Dauer (ms)

108,0

38,1

35,3

139,2

30,8

22,1

132,0

37,3

28,3

MEP-Amplitude (mV)

7,1

1,7

24,1

8,0

2,0

25,0

8,0

1,6

20,0

MEP-Fläche (mV × ms)

620,9

215,3

34,7

746,8

223,4

29,9

776,4

205,5

26,5

Dauer/Amplitude (ms/mV)

15,4

2,2

14,2

19,0

5,2

27,4

16,8

2,7

16,4

Dauer/Fläche (ms/mV × ms)

0,18

0,02

12,8

0,20

0,05

26,0

0,18

0,03

17,5

Daten von jeweils 3 wiederholten Messungen bei 11 gesunden Probanden. Abkürzungen für die induzierte Stromﬂussrichtung im motorischen Kortex: p.-a. posterior-anterior; a.-p. anterior-posterior; p.-a./a.-p. posterior-anterior/anterior-posterior; CV Variationskoeﬃzient.

. Tab. .. Normwerte. Normwerte für verschiedene Stimulationsintensitäten bei Richtung des induzierten Stroms im motorischen Kortex in posterior-anteriorer Richtung (monophasischer TMS-Puls) Parameter

% AMT

% AMT

% AMT

Mittelwert

SD

CV

Mittelwert

SD

CV

Mittelwert

SD

CV

CSP Dauer (ms)

75

25,9

34,5

126,2

32,4

25,7

160,3

27,8

17,4

MEP-Amplitude (mV)

3,3

1,5

46,5

6,8

1,7

25,2

8,3

2,5

30,6

MEP-Fläche (mV × ms)

313,2

141,7

45,2

687,2

193,2

28,1

902,5

204,6

22,7

Dauer/Fläche (ms/mV × ms)

0,27

0,06

22,5

0,19

0,04

19,1

0,19

0,04

23,1

Die Daten stammen von 24 gesunden Probanden. AMT aktive motorische Reizschwelle; CV Variationskoeﬃzient.

terale von schnellleitenden kortikospinalen Neuronen einen inhibitorischen Einfluss auf langsamleitende kortikospinale Neurone. TMS-Pulse erregen vermutlich schnellleitende Axone. Wenn der tonischen Aktivierung des Ableitemuskels eine Aktivität langsamleitender kortikospinaler Axone zugrunde liegt, dann könnte hiermit die Entstehung der CSP erklärt werden. Einige Daten (CSP ohne vorangehendes MEP bei niedrigen Stimulationsintensitäten, Saturierung der MEP-Amplitude bei gleichzeitiger Zunahme der CSP-Dauer bei hohen Stimulationsintensitäten) sprechen allerdings dafür, dass MEP und CSP zumindest partiell unabhängig voneinander sind. Eine Veränderung des Quotienten aus MEP-Größe und CSP-Dauer z. B. nach einer Intervention wäre somit Ausdruck

eines unabhängigen Effekts der Intervention auf exzitatorische und/oder inhibitorische Netzwerke innerhalb des Motorkortex.

15.2

Methoden und Protokolle

15.2.1 TMS-Versuchsprotokoll Grundsätzlich unterscheidet sich der Versuchsaufbau nicht von dem für die Bestimmung der motorischen Reizschwellen (7 Kap. 14). Probanden sollten den Zielmuskel (in der Regel den M. interosseus dorsalis manus I der dominanten Hand) möglichst kontinuierlich aktivieren. Ein akustisches und optisches

162

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 15 · Kortikale Innervationsstille

Feedback des EMG-Signals kann den Probanden helfen, die Kontraktion möglichst konstant zu halten. Obwohl das Ausmaß der Kontraktion keinen wesentlichen Einfluss auf die Dauer der CSP zu haben scheint, sollte eine zu geringe Kontraktion vermieden werden, da sich womöglich Schwierigkeiten mit der Abgrenzung des Endes der CSP vor dem Hintergrund geringer EMG-Aktivität ergeben. Sehr starke Kontraktionen wiederum können EMG-Aktivität mit niedriger Amplitude während der CSP verursachen, die ebenfalls zu Schwierigkeiten beim Vermessen der Dauer der CSP führen kann. Es hat sich daher bewährt, etwa 20‒30 der maximalen Kontraktionsstärke zu wählen. Für die CSP-Messung können sowohl runde Reizspulen als auch achtförmige Spulen verwendet werden. Die TMS-Intensität kann variiert werden. Üblicherweise orientieren sich die Stimulationsintensitäten an den motorischen Reizschwellen (150 der aktiven motorischen Reizschwelle oder etwa 130 der Ruheschwelle). Es bietet sich allerdings an, mit verschiedenen Stimulationsintensitäten (z. B. 130, 150, 175 der aktiven motorischen Reizschwelle) die CSPDauer zu bestimmen, zumal jedes Experiment mit 10 Messwiederholungen bei einer Zeit von 4 oder 5 s zwischen den TMS-Pulsen weniger als 1 min dauert. Andere Untersucher schlagen vor, die Untersuchung der CSP unabhängig von den motorischen Reizschwellen vorzunehmen, entweder bei einer auf die maximale Stimulatorleistung bezogenen Reizstärke (z. B. 80 der maximalen Stimulatorleistung), oder bei einer auf die CSP-Schwelle bezogenen Reizstärke. Die CSP-Schwelle kann als die minimale Reizstärke definiert werden, bei der eine signifikante CSP mit einer Mindestdauer von z. B. 15 ms ausgelöst wird. Ein solches von der motorischen Reizschwelle unabhängiges Vorgehen umgeht das Problem, dass durch Krankheit oder Medikamente motorische Reizschwelle und CSP unabhängig voneinander verändert werden können.

15.2.2 Auswertung Die Dauer der CSP wird in der Regel vom Stimulationsartefakt oder vom Beginn des MEP bis zum Wiederbeginn kontinuierlicher EMG-Aktivität gemessen (. Abb. 15.1). Dies schließt das MEP mit ein und muss ein ungenaues Maß für die CSP-Dauer bleiben. Genauer wäre es, den Beginn der CSP nach dem MEP zu veranlagen, damit interindividuelle Unterschiede der MEP-Latenz die Messung der CSP-Dauer nicht beeinflussen. In der Praxis ist es allerdings

häufig schwierig, den Anfang der CSP im MEP auszumachen. Die CSP-Dauer kann manuell mit geeigneter Software offline bestimmt werden. Entweder wird jede der Ableitungen separat ausgewertet und aus den Einzelwerten der Mittelwert berechnet oder alle Ableitungen werden mit geeigneter Software rektifiziert und gemittelt. Allerdings sind auch automatisierte Auswertverfahren beschrieben worden, die helfen könnten, die Variabilität der Auswertungsergebnisse zwischen verschiedenen Untersuchern (Interrater-Variabilität) zu senken und somit die Auswertung zu objektivieren (King et al. 2006). Neben der CSP-Dauer lässt sich zusätzliche Information aus der Bestimmung der Amplitude und der Fläche unter der Kurve des MEP gewinnen. Die Berechnung des Quotienten aus MEP-Amplitude bzw. Fläche unter der MEP-Kurve und CSP-Dauer jeder Ableitung kann Rückschlüsse auf eine differenzielle Veränderung der Aktivierung der neuralen Elemente ermöglichen, die dem MEP bzw. der CSP zugrunde liegen. Hier ist die Fläche unter der MEP-Kurve besser geeignet als die MEP-Amplitude, die bei höheren Stimulationsintensitäten früher saturiert.

15.2.3 Einﬂussgrößen Die Dauer der CSP und die Größe des vorhergehenden MEP nehmen mit zunehmender Intensität des TMSPulses im Bereich zwischen 130 AMT und 175 AMT nahezu linear zu. Stimulationsintensitäten über etwa 200 AMT führen schließlich nicht mehr zu einer Vergrößerung der MEP-Amplitude. CSP-Dauer und MEP-Fläche unter der Kurve können aber immer noch größer werden. Das MEP gewinnt bei hohen Stimulationsintensitäten zwar nicht an Amplitude, wird aber dafür polyphasisch, d. h. die Fläche unter der Kurve nimmt weiter zu. Für Untersuchungen der Rekrutierung inhibitorischer Netzwerke empfiehlt es sich insofern, Stimulationsintensitäten zwischen 130 und 175 AMT zu wählen. Die Konfiguration des TMS-Pulses beeinflusst ebenfalls die motorischen Schwellen, die Größe des MEP und die Dauer der CSP (Orth u. Rothwell 2004; . Tab. 15.1 und . Tab. 15.2). Vermutlich liegt dies daran, dass unterschiedliche Flussrichtungen verschiedene Neuronenpopulationen im motorischen Kortex aktivieren, deren Eigenschaften sich unterscheiden. Es ist zum Beispiel bekannt, dass ein posterior-anteriorer Fluss vornehmlich I-Wellen in kortikospinalen Neuronen rekrutiert, während ein anterior-posteriorer Fluss vornehmlich I-Wellen rekrutiert (7 Kap. 3). Wenn sich das Rekrutierungsverhalten

15.3 Fallbeispiele

abhängig von der Flussrichtung unterscheidet, kann dies die Unterschiede der Größe des MEP erklären. Mit Hinblick auf die Abhängigkeit CSP-Dauer von der MEP-Größe wäre die Variabilität der CSP-Dauer dann sekundär zur Variabilität der MEP-Größe. Die Variabilität von CSP-Dauer und MEP-Größe zwischen verschiedenen Probanden ist beträchtlich, (interindividuelle Variabilität 20‒35; Orth u.

15.3

Fallbeispiele

Beispiel 1 Patienten mit Epilepsie leiden mitunter unter psychiatrischer Komorbidität. Eine Depression erfordert hier häuﬁg eine antidepressive medikamentöse Behandlung. Zur Frage, ob das Antidepressivum Mirtazapin die kortikale Erregbarkeit steigert und somit prokonvulsiv wirken könnte, wurde bei 6 Gesunden und 7 Patienten mit Epilepsie und Depression die Auswirkungen von Mirtazapin auf die kortikale Erregbarkeit untersucht (Münchau et al. 2005). Veränderungen der motorischen Reizschwelle in Ruhe (7 Kap. 14) und von intrakortikaler Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI), intrakortikaler Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF) und intrakortikaler Bahnung bei kurzen InterstimulusIntervallen (engl. short-interval intracortical facilitation, SICF; 7 Kap. 16) ließen sich nach Einnahme von Mirtazapin nicht nachweisen. Bei den Gesunden nahm die CSP-Dauer unter Mirtazapin signiﬁkant zu. Dies kann bedeuten, dass Mirtazapin die der CSP zugrunde liegenden inhibitorischen Mechanismen unterstützt.

Beispiel 2 Insbesondere im Rahmen von kardiogenen Embolien kann es zu sehr umschriebenen rein kortikalen Infarkten mit meist fokalen Paresen in der kontralateralen oberen und unteren Extremität kommen. Gelegentlich kann bei diesen Patienten die Abgrenzung gegen eine periphere Parese schwierig sein. Bei Patienten mit solchen eng umgrenzten kortikalen Infarkten konnte beobachtet werden, dass die motorische Reizschwelle bei Ableitung eines leicht paretischen Muskels und auch MEP-Amplitude und MEP-Latenz nahezu unbeeinträchtigt bleiben, während die CSP deutlich verkürzt ist oder sogar ganz fehlen kann (Schnitzler u. Benecke 1994). Da andererseits die spinale Inhibition nach Rei-

163

15

Rothwell 2004). Dies bedeutet, dass sich diese Messwerte nicht gut eignen, um verschiedene Gruppen von Probanden oder Patienten miteinander zu vergleichen. Allerdings ist die intraindividuelle Variabilität deutlich geringer (~10), so dass wiederholte Messungen z. B. mit der Frage nach den Effekten einer Behandlung oder im Verlauf einer Erkrankung gut möglich sind.

Allerdings ﬁel auf, dass auch die MEP-Größe (als Fläche unter der MEP-Kurve) deutlich zunahm, auch wenn dies nicht statistisch signiﬁkant war, und somit der Quotient aus CSP-Dauer und MEP-Größe unverändert blieb. Wegen der guten Korrelation zwischen MEP-Größe und CSP-Dauer spricht dies vermutlich für eine Zunahme der Erregbarkeit kortikaler Neurone in einem aktivierten Zustand. Bei den Patienten konnte eine signiﬁkante Reduktion der aktiven motorischen Reizschwelle und eine (nichtsigniﬁkante) Zunahme der MEP-Größe bei Präaktivierung nachgewiesen werden. CSP-Dauer und Quotient aus CSP-Dauer und MEP-Größe blieben unverändert. Dieses Beispiel unterstreicht, dass es sinnvoll ist, nicht nur die CSP-Dauer, sondern auch MEP-Messwerte zu erfassen. Die alleinige Beurteilung der CSP-Dauer hätte auf eine Zunahme der intrakortikalen Inhibition bei Gesunden schließen lassen, während die Abnahme der aktiven Reizschwelle bei Patienten eine Zunahme der kortikalen Erregbarkeit nahe gelegt hätte. Erst durch die Zusammenschau mit den MEP-Messwerten ließ sich eine gleichsinnige Veränderung der kortikalen Erregbarkeit bei Gesunden und Patienten durch Mirtazapin nachweisen.

zung peripherer Nerven in diesen Muskeln unauﬀällig ist, deutet dieser Befund darauf hin, dass intrakortikale inhibitorische Netzwerke die CSP auch schon in den ersten 50 ms beeinﬂussen. Eine Erklärungsmöglichkeit für diese isolierte Aﬀektion der CSP ist die präferenzielle ischämische Vulnerabilität inhibitorischer intrakortikaler Interneurone gegenüber erregenden kortikalen und kortikospinalen Neuronen. In . Abb. 15.2 ist der Fall einer 71-jährigen Patientin dargestellt, bei der es apoplektiform zu einer leichten Parese der Hand- und Fingerstrecker links gekommen war. Die Ausführung individueller Fingerbewegungen war ungestört, es zeigten sich keine weiteren 6

164

Kapitel 15 · Kortikale Innervationsstille

1 2 3

a

4 5 6 7

b

8

. Abb. .a–c. Verlust der kortikalen Innervationsstille (CSP) bei einer Patientin mit Nachweis eines fokalen ischämischen Infarktes im Handareal des rechten Motorkortex in axialen Schichten des protonengewichteten Magnetresonanztomogramms (c). EMG-Ableitungen vom M. extensor carpi radialis (ECR) (a) und vom M. interosseus dorsalis manus I (IOD 1) (b) beidseits nach jeweils kontralateraler TMS des motorischen Kortex. In dem leicht paretischen linken ECR wird ein Verlust der CSP bei erhaltenem MEP sichtbar, während im nicht paretischen linken IOD 1 und in den nicht betroﬀenen Muskeln der rechten Hand unauﬀällige CSP zu beobachten sind. Nach peripherer supramaximaler Stimulation des N. radialis bzw. des N. ulnaris sind allseits unauﬀällige spinale Innervationsstillen ableitbar. (Mod. nach Schnitzler u. Benecke 1994)

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

c

neurologischen Symptome. Die zerebrale Kernspintomograﬁe einen Tag nach Entwicklung der fokalen Parese zeigte einen eng umschriebenen Infarkt im handassoziierten rechten primären motorischen Kortex. Die motorischen Reizschwellen für den rechten und linken M. extensor carpi radialis waren seitengleich, die MEPAmplitude im aﬃzierten linken M. extensor carpi radialis war nur leicht reduziert. Auch die zentrale motorische Leitungszeit zeigte sich bei Ableitung vom linken M. extensor carpi radialis regelrecht. Die CSP war

jedoch in den paretischen Muskeln deutlich verändert; es zeigte sich zwar noch eine leichte Amplitudenreduktion der tonischen Muskelaktivität, eine CSP nach den üblichen Kriterien war jedoch nicht mehr messbar. Diese Patientin wurde nach Demonstration des CSP-Verlustes primärprophylaktisch antikonvulsiv mit Carbamazepin behandelt, da bekannt ist, dass Patienten mit dieser Befundkonstellation ein hohes Risiko für die Entwicklung von epileptischen Anfällen haben (Kessler et al. 2002).

Literatur

Literatur Chen R, Lozano AM, Ashby P (1999) Mechanism of the silent period following transcranial magnetic stimulation. Exp Brain Res 128: 539–542 Fuhr P, Agostino R, Hallett M (1991) Spinal motor neuron excitability during the silent period after cortical stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 257–262 Inghilleri M, Berardelli A, Cruccu G, Manfredi M (1993) Silent period evoked by transcranial stimulation of the human cortex and cervicomedullary junction. J Physiol 466: 521– 534 Kessler KR, Schnitzler A, Classen J, Benecke R (2002) Reduced inhibition within primary motor cortex in patients with poststroke focal motor seizures. Neurology 59: 1028– 1033 King NK, Kuppuswamy A, Strutton PH, Davey NJ (2006) Estimation of cortical silent period following transcranial magnetic stimulation using a computerised cumulative sum method. J Neurosci Methods 150: 96–104 Münchau A, Langosch JM, Gerschlager W et al. (2005) Mirtazapine increases cortical excitability in healthy controls and epilepsy patients with major depression. J Neurol Neurosurg Psychiatry 76: 527–533 1Orth M, Rothwell JC (2004) The cortical silent period: intrinsic variability and relation to the waveform of the transcranial magnetic stimulation pulse. Clin Neurophysiol 115: 1076–1082 Methodologische Aspekte der Bestimmung der kortikalen Innervationsstille im Verhältnis zu MEP-Amplitude und Stimulationsintensität, sowie mit Angaben zur intraindividuellen und interindividuellen Variabilität 1Reid AE, Chiappa KH, Cros D (2002) Motor threshold, facilitation and the silent period in cortical magnetic stimulation. In: Pascual-Leone A, Davey NJ, Rothwell J, Wassermann EM, Puri BK (eds) Handbook of Transcranial Magnetic Stimulation. Arnold, London, pp 97–111 Nützliche, kompakte Übersicht über Methoden und Physiologie der kortikalen Innervationsstille. Roick H, von Giesen HJ, Benecke R (1993) On the origin of the postexcitatory inhibition seen after transcranial magnetic brain stimulation in awake human subjects. Exp Brain Res 94: 489–498 Schnitzler A, Benecke R (1994) The silent period after transcranial magnetic stimulation is of exclusive cortical origin: evidence from isolated cortical ischemic lesions in man. Neurosci Lett 180: 41–45

165

15

167

16

Kortikale Doppelpulsprotokolle Mathias Wahl, Ulf Ziemann

16.1

Doppelpulsprotokolle, die zwei überschwellige Stimuli gleicher Intensität bei langen Interstimulusintervallen verwenden (10–250 ms) – 168

16.1.1

Technische Voraussetzungen zur Bestimmung der LICI und LICF – 168 Bestimmung der LICI und LICF – 169 Physiologische Grundlagen – 169

16.1.2 16.1.3

16.2

16.2.1 16.2.2 16.2.3

Doppelpulsprotokolle, die einen ersten unterschwelligen und einen zweiten überschwelligen Stimulus bei kurzen Interstimulusintervallen verwenden (1–20 ms) – 170

16.3

Doppelpulsprotokolle, die einen ersten überschwelligen und einen zweiten unterschwelligen Stimulus bei sehr kurzen Interstimulusintervallen verwenden (0,5–5 ms) – 173

16.3.1 16.3.2 16.3.3

Technische Voraussetzungen zur Bestimmung der SICF – 174 Bestimmung der SICF – 174 Physiologische Grundlagen – 174

16.4

Fallbeispiel – 175

Literatur

– 175

Technische Voraussetzungen zur Bestimmung von SICI und ICF – 170 Bestimmung der SICI und ICF – 170 Physiologische Grundlagen – 172

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine Einführung in die verschiedenen Methoden, die mithilfe von TMS-Doppelpulsprotokollen und Applikation beider Stimuli über dieselbe Reizspule die physiologischen Grundlagen der Erregbarkeit des motorischen Kortex und deren Modulierung durch lokale exzitatorische und inhibitorische kortikokortikale Netzwerke untersuchen. Als Ausdruck der durch einen konditionierenden Magnetstimulus erzeugten Veränderungen motorkortikaler Erregbarkeit kommt es im Vergleich zu einem

unkonditionierten Kontroll-MEP im entsprechenden Zielmuskel entweder zu einer MEP-Zunahme im Sinne einer Bahnung oder MEP-Abnahme im Sinne einer Hemmung. Weiterhin werden die apparativen Voraussetzungen zur Durchführung von Doppelpulsprotokollen sowie die wichtigsten Einﬂussfaktoren auf die Messparameter wie z. B. die Stimulusintensität, das Interstimulusintervall und die Stromﬂussrichtung erläutert.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

168

Kapitel 16 · Kortikale Doppelpulsprotokolle

16.1

Doppelpulsprotokolle, die zwei überschwellige Stimuli gleicher Intensität bei langen Interstimulusintervallen verwenden (10–250 ms)

Die gepaarte TMS mit zwei überschwelligen Stimuli führt dann zu einer Veränderung der Amplitude des Test-MEP, wenn beide Stimuli mit einem Interstimulusintervall (ISI) von 10‒200 ms mit derselben Spule über dem Motorkortex ausgelöst werden. Das Ergebnis der Interaktion zwischen den beiden Stimuli wird wesentlich durch das ISI und die Stimulusintensität bestimmt (. Abb. 16.1). Bei ISI von 60‒200 ms und deutlich überschwelligen Stimuli ist das MEP, ausgelöst durch den zweiten Stimulus, gehemmt. Diese Hemmung wird als intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen (engl. long-interval intracortical inhibition, LICI) bezeichnet. Bei kürzeren ISI von 10 ms bis 30‒40 ms entsteht hingegen eine MEP-

Fazilitierung, die entsprechend als intrakortikale Bahnung bei langen Interstimulusintervallen (engl. long-interval intracortical facilitation, LICF) bezeichnet wird (Claus et al. 1992; Valls-Solé et al. 1992).

16.1.1 Technische Voraussetzungen zur

Bestimmung der LICI und LICF Zur Durchführung von Doppelpulsprotokollen mit langen ISI sind eine Reihe der kommerziell verfügbaren repetitiven Stimulatoren einsetzbar, vorausgesetzt, diese können mit der entsprechenden Frequenz entladen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die meisten Hochfrequenz-Stimulatoren maximal mit der vom Hersteller angegebenen Wiederholungsrate getriggert werden können. Dies bedeutet z. B. eine Limitierung der Entladungsrate von 30 Hz für den Magstim Standard Rapid (Fa. Magstim Company Ltd., Spring Gardens, Whitland, Carmarthenshire . Abb. .. Intrakortikale Bahnung und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen. Amplitude des konditionierten MEP (ausgelöst durch den zweiten Stimulus) in Prozent der Amplitude des konditionierenden MEP (ausgelöst durch den ersten Stimulus) als Funktion des Interstimulusintervalls bei 3 unterschiedlichen Stimulusintensitäten. In der oberen rechten Ecke jedes Diagramms wird die Stimulusintensität in Prozent der motorischen Reizschwelle in Ruhe angezeigt (gleiche Reizstärke für beide Stimuli). Die Ableitung der MEP erfolgte über dem entspannten M. abductor pollicis brevis. Die oberen beiden Abbildungen zeigen Mittelwerte (±SD) von 6, die untere von 3 Gesunden. Bei allen dargestellten Stimulusintensitäten zeigen sich eine Bahnung des konditionierten MEP bei Interstimulusintervallen von 10–30 ms (LICF) und eine Hemmung bei Interstimulusintervallen von 60–200 ms (LICI). Dauer und Ausprägung der LICI nehmen mit der Reizstärke zu. (Aus Valls-Solé et al. 1992; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

16

169

16.1 Doppelpulsprotokolle, . . .

SA34 0HR Wales, UK), 50 Hz für den Magstim Super Rapid (Fa. Magstim) und 30 Hz für den MagPro (Fa. Dantec Medical A/S, Tonsbakken 16‒18, DK-2740 Skovlunde, Dänemark). Entsprechend können mit dieser technischen Ausstattung Messungen mit minimalen ISI von 33 ms (Magstim Standard Rapid und MagPro) bzw. 20 ms (Magstim Super Rapid) durchgeführt werden. Zudem arbeiten die Magstim Geräte nur bei 50 und die MagPro bei 80 der maximalen Stimulationsintensität, wenn die maximal mögliche Stimulationsfrequenz eingestellt ist. Der Cadwell Rapid Rate Magnetstimulator (Fa. Cadwell Laboratories, 1021 N. Kellog Street, Kennewick, Washington 99336, USA) kann mit höheren Frequenzen extern getriggert werden; allerdings nimmt die Intensität des zweiten Stimulus als Funktion des ISI ab. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, Doppelpulsprotokolle mit zwei Einzelstimulatoren durchzuführen, die auf dieselbe Spule entladen (z. B. Magstim-200-Stimulatoren, die über ein BiStim-Modul mit derselben Spule verbunden werden). Dies ermöglicht beliebig kurze ISI und erlaubt zudem, die Intensität des konditionierenden Stimulus und Testpulses unabhängig voneinander zu verändern.

tex zentriert wird (Claus et al. 1992). Als Voraussetzung für alle weiteren Messschritte muss zunächst die motorische Reizschwelle in Ruhe bestimmt werden (7 Kap. 14). In der Regel werden die beiden Stimuli (erster Reiz = konditionierender Reiz = S1, zweiter Reiz = Testreiz = S2) auf dieselbe überschwellige Intensität eingestellt. Dabei können die oben genannten Effekte, also eine Bahnung der MEP-Amplitude bei ISI von 10 ms bis 30‒40 ms und eine Hemmung des MEP bei ISI von 50 ms bis ca. 200 ms, durch eine große Bandbreite von S1-Intensitäten (120‒150 der motorischen Reizschwelle in Ruhe) erreicht werden. Wird die Intensität von S2 variiert, so zeigt sich eine ausgeprägte LICI bei niedrigen S2-Intensitäten, die mit Zunahme der Stimulusintensität abnimmt oder in eine Fazilitierung umschlagen kann (Triggs et al. 1993). Studien, die den Einfluss einer willkürlichen Kontraktion des Zielmuskels auf die gepaarten Stimulationseffekte untersucht haben, sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, zeigen jedoch, dass das Messergebnis durch Muskelaktivität entweder in die eine oder die andere Richtung verändert werden kann (Claus et al. 1992; Wassermann et al. 1996), so dass standardisierte Untersuchungsbedingungen (z. B. Untersuchung bei willkürlich entspanntem Zielmuskel) eingehalten werden sollten (. Tab. 16.1).

16.1.2 Bestimmung der LICI und LICF In den bisher verfügbaren Studien erfolgte die Ableitung der MEP von intrinsischen Hand- oder Unterarmmuskeln mittels Oberflächenelektroden. Die TMS wurde entweder mit einer achtförmigen Spule über der Hand-Arm-Repräsentation des primären motorischen Kortex in der zur Auslösung eines MEP optimalen Spulenposition durchgeführt (Valls-Solé et al. 1992) oder mit einer Rundspule, die über dem Ver-

16.1.3 Physiologische Grundlagen Vermutlich ist die LICI das Ergebnis sowohl spinaler als auch supraspinaler inhibitorischer Interaktionen. Die Annahme, dass sowohl die LICF als auch die LICI hauptsächlich durch intrakortikale Mechanismen zustande kommen, wird jedoch durch mehrfache Evidenz gestützt: Wird S2 durch einen elektrischen Sti-

. Tab. .. TMS-Doppelpuls-Protokolle: die wichtigsten Reizparameter Protokoll

Reizstärke S

Reizstärke S

Interstimulusintervall [ms]

Zielmuskel

LICF

120–150% RMT

120–150% RMT

10–30

Entspannt

LICI

120–150% RMT

120–150% RMT

50–200

Entspannt

SICI

≤90% AMT, SICI%

MEPmV

3

Entspannt

ICF

90% AMT

MEPmV

10–15

Entspannt

SICF

MEPmV

90% RMT

1,3 (1,1–1,5)

Entspannt

LICF intrakortikale Bahnung bei langen Interstimulusintervallen; LICI intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen; SICI intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen; ICF intrakortikale Bahnung; SICF intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen; RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; AMT aktive motorische Reizschwelle; SICI50% Reizstärke des konditionierenden Stimulus, die zu einer SICI von 50% führt. MEPmV Reizstärke, die zu einem unkonditionierten Test-MEP von 1 mV Amplitude führt; S1 erster (konditionierender) Reiz; S2 zweiter (Test-) Reiz.

170

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 16 · Kortikale Doppelpulsprotokolle

mulus (TES) anstelle des Magnetstimulus ersetzt, so wird bei einem ISI von 10 ms keine MEP-Fazilitierung hervorgerufen. Da TES hauptsächlich eine direkte Aktivierung des kortikospinalen Systems bewirkt, im Unterschied zur hauptsächlich transsynaptisch erfolgenden Aktivierung durch TMS (7 Kap. 3 und 20), ist von einer intrakortikalen Fazilitierung auszugehen. Epidurale Ableitungen deszendierender kortikospinaler Entladungen (7 Kap. 3), die eine Inhibition später I-Wellen bei ISI von 50‒200 ms bei fehlender DWellen Affektion zeigen (Nakamura et al. 1997), sprechen dafür, dass hauptsächlich intrakortikale inhibitorische Mechanismen auch für die LICI verantwortlich sind. Dagegen zeigt sich bei einem ISI von 50 ms eine Zunahme der I-Wellen-Amplituden trotz vermindertem MEP. Folgerichtig ist bez. der Entstehung der MEP-Verminderung bei 50 ms (also zu Beginn der LICI) von einer subkortikalen (am ehesten spinalen) Inhibition auszugehen, welche die supraspinale Fazilitierung überdeckt (Di Lazzaro et al. 2002). Wahrscheinlich repräsentiert die LICI eine lang anhaltende kortikale Inhibition, die über den Gamma-Aminobuttersäure-B-Rezeptor (GABABR) vermittelt wird. Hierfür spricht die Verstärkung der LICI durch den spezifischen GABABR-Agonisten Baclofen (7 Kap. 34). Durch die unterschiedlichen pharmakologischen Profile der GABAAR-vermittelten SICI (s. unten) und der GABABR-vermittelten LICI eröffnet sich die Möglichkeit der nicht-invasiven Untersuchung unterschiedlicher GABA-abhängiger inhibitorischer Netzwerke und deren Interaktionen im humanen Kortex durch Einsatz unterschiedlicher Doppelstimulationsprotokolle (7 Kap. 34). Diesbezüglich gelang der Nachweis einer signifikanten SICI-Reduktion in Gegenwart der LICI, wahrscheinlich im Zuge einer GABABR-vermittelten präsynaptischen Hemmung jener inhibitorischen Interneurone, die an der Entstehung der SICI beteiligt sind (Sanger et al. 2001).

16.2

Doppelpulsprotokolle, die einen ersten unterschwelligen und einen zweiten überschwelligen Stimulus bei kurzen Interstimulusintervallen verwenden (1–20 ms)

Gepaarte Stimulationsprotokolle, die auf der Applikation eines ersten unterschwelligen Stimulus (S1) und eines zweiten überschwelligen Stimulus (S2) bei einem kurzen ISI über dieselbe Spule beruhen, wurden von Rothwell et al.entwickelt (Kujirai et al. 1993; Ziemann et al. 1996). Inhibitorische Effekte werden bei einem ISI von 1‒5 ms erzielt und entsprechend als intrakor-

tikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) bezeichnet. ISI von 10‒15 ms führen dagegen zu einer Zunahme der MEP-Amplitude im Sinne einer intrakortikalen Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; . Abb. 16.2).

16.2.1 Technische Voraussetzungen zur

Bestimmung von SICI und ICF Die meisten Untersuchungen wurden mittels zweier über ein BiStim-Modul verbundener Magstim-200Magnetstimulatoren (Fa. Magstim) durchgeführt, die eine monophasische Pulskonfiguration aufweisen. Das ISI kann dabei entweder durch einen HardwareSchalter oder durch ein externes Triggergerät, welches die beiden Stimulatoren über den externen Triggereingang ansteuert, vorgegeben werden. Die maximale Repetitionsfrequenz wird durch die Wiederaufladezeit der Kondensatoren bestimmt und beträgt je nach Reizintensität 0,3‒0,5 Hz. Die Reizintensität kann für beide Stimulatoren separat eingestellt werden. Allerdings muss bei Reizung mit dem BiStim-Modul ein Verlust von ca. 20‒30 der Stimulatorleistung im Vergleich zur Stimulation über den einzelnen Magnetstimulator berücksichtigt werden. Ebenfalls zur Doppelpulsstimulation mit kurzen ISI geeignet ist z. B. der Mags-2-Magnetstimulator (Fa. Schwarzer GmbH, Medical Diagnostic Equipment, München).Dieser erlaubt eine Stimulation mit monophasischen Reizen mit einer Doppelpulsrepetitionsfrequenz von 1 Hz bei unabhängiger Einstellung der beiden Stimulusintensitäten und deckt ISI von 0,2‒950 ms ab.

16.2.2 Bestimmung der SICI und ICF In der Regel werden die MEP durch Oberflächenelektroden über intrinsische Handmuskeln abgeleitet. Es wird üblicherweise eine achtförmige Spule eingesetzt, eine Applikation über eine Rundspule ist jedoch ebenfalls möglich. Bei Verwendung einer achtförmigen Spule wird zunächst der Reizort mit der größten MEP-Amplitude im kontralateralen Zielmuskel aufgesucht. Die Spule wird antero-posterior orientiert mit nach hinten und 45° von der Mittellinie weg nach außen zeigendem Spulengriff. Mit dieser Spulenposition, bei der ein monophasisch induzierter Strom von lateral-posterior nach medial-anterior ungefähr perpendikular zum zentralen Sulkus orientiert ist, wird erfahrungsgemäß eine optimale transsynaptische Aktivierung des kortikospinalen Systems erreicht,

171

16.2 Doppelpulsprotokolle, . . .

a

16

b

. Abb. .a,b. Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung. Inhibition des durch TMS ausgelösten Test-MEP im M. interosseus dorsalis I durch einen vorgeschalteten konditionierenden TMS-Puls unterschwelliger Intensität. a MEP einer repräsentativen gesunden Versuchsperson. Oberste Spur: Sie zeigt, dass der konditionierende TMS-Puls kein MEP auslöst, somit unterschwellig ist. Untere beide Spuren: überlagerte Darstellung der unkonditionierten (gepunktete Linie) und konditionierten MEP (durchgezogene Linie) bei Applikation des Teststimulus 3 ms (Mitte) und 2 ms (unten) nach dem konditionierenden Stimulus. Jede Spur zeigt den Durchschnittswert von 10 Durchläu-

fen. Gut zu sehen ist, dass der konditionierende Puls bei beiden Interstimulusintervallen zu einer deutlichen Hemmung des unkonditionierten Test-MEP führt. b Eﬀekte des konditionierenden Reizes auf die Amplitude des Test-MEP als Funktion des Interstimulusintervalls (Mittelwerte ± SEM von 10 gesunden Versuchspersonen). Die Eﬀekte des konditionierenden Reizes sind als Prozentwert des konditionierten zum unkonditionierten Test-MEP dargestellt. Bei Interstimulusintervallen von 1–5 ms bewirkt der konditionierende Stimulus eine Inhibition (SICI), bei Intervallen von 10–15 ms eine Fazilitierung (ICF). (Aus Kujirai et al. 1993; mit freundlicher Genehmigung von Blackwell)

während direkte kortikospinale Effekte gering ausfallen (7 Kap. 3). Rundspulen werden etwa über dem Vertex zentriert. Je nach verwendetem Untersuchungsprotokoll beträgt die Stimulationsintensität für S1 80 der motorischen Reizschwelle in Ruhe (Kujirai et al. 1993) oder wird auf ungefähr 5 unterhalb der Stimulatorleistung der Reizschwelle des aktiven Zielmuskels eingestellt (Di Lazzaro et al. 1998; Ziemann et al. 1996). Die Bezugnahme auf die aktive motorische Reizschwelle hat den Vorteil, dass mit Reizstärken getestet wird, die sicher unterhalb der Aktivierungsschwelle des kortikospinalen Systems liegen. Effekte von S1 auf das durch S2 ausgelöste MEP finden somit vorwiegend oder ausschließlich auf der Ebene des Motorkortex statt. S2 wird üblicherweise auf eine Reizintensität adjustiert, mit der ein unkonditioniertes Test-MEP mit einer Amplitude von ungefähr 1 mV (ausgemessen vom maximalen negativen zum maximalen positiven Gipfel des Potenzials) hervorgerufen wird. Durch

systematische Änderung der Reizstärke von S1 können die SICI- und ICF-Schwellen bestimmt werden. Diese können als die minimalen Reizstärken operationalisiert werden, die zu einer kleinen (z. B. 20igen) Hemmung bzw. Fazilitierung des Test-MEP führen. Die SICI-Schwelle liegt etwas unter der ICF-Schwelle (Ziemann et al. 1996). In neueren Studien wird die Reizstärke von S1 so adjustiert, dass eine 50ige SICI resultiert, da bei Einstellung auf 80 der Reizschwelle in Ruhe oder 5 unter der aktiven Reizschwelle oft eine maximale SICI resultiert. Messungen im Saturationsbereich, also bei maximaler SICI, werden unempfindlich gegenüber Änderungen durch experimentelle Manipulation (7 Kap. 50), wohingegen Messungen bei 50iger SICI einen maximalen Spielraum für Änderungen nach oben und unten herstellen. SICI findet sich bei ISI von 1‒5 ms (Kujirai et al. 1993; . Abb. 16.2). Wichtig ist, dass nicht von einer einheitlichen Hemmungsphase auszugehen ist. Bei einem ISI von 1 ms trägt die Refraktärität der durch

172

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 16 · Kortikale Doppelpulsprotokolle

S1 aktivierten neuronalen Strukturen relevant zur Reduktion der Test-MEP Amplitude bei. Erst bei ISI um 3,0 ms ist von einer überwiegend synaptisch vermittelten Hemmung auszugehen (Fisher et al. 2002; Hanajima et al. 2003). Daher sollte SICI bevorzugt bei einem ISI von 3 ms getestet werden (. Tab. 16.1). ICF wird üblicherweise bei einem ISI zwischen 10‒15 ms getestet (. Tab. 16.1 und . Abb. 16.2). Weiterhin sollte beachtet werden, dass die SICI ein Nettoeffekt ist, der insbesondere bei relativ hohen Intensitäten des konditionierenden Stimulus durch einen fazilitierenden Effekt (intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen, SICF, s. unten) überlagert wird (Ilic et al. 2002). SICI-Intensitätskurven zeigen daher typischerweise mit steigender Intensität des konditionierenden Stimulus einen umgekehrt U-förmigen Verlauf, beginnend bei der SICI-Schwelle, Zunahme der SICI bis zu einem Optimum und Abfall bei weiterer Erhöhung der Reizstärke des konditionierenden Stimulus durch Rekrutierung fazilitierender Effekte. Um eine Kontamination der SICI durch SICF zu vermeiden, wird empfohlen, die Messungen bei niedrigen Reizstärken des konditionierenden Stimulus durchzuführen, so dass idealerweise im »aufsteigenden Schenkel« der SICI-Intensitätskurve getestet wird (MacKinnon et al. 2005). Aufgrund der intrinsischen MEP-Variabilität von Durchlauf zu Durchlauf sollten das unkonditionierte Test-MEP und jedes ISI mindestens 8- bis 10mal, möglichst in zufälliger Abfolge abgeleitetet werden. Zur Quantifizierung der konditionierungsbedingten Effekte wird der Mittelwert der Amplitude des konditionierten MEP bei einem bestimmten ISI in Prozent des Mittelwertes des unkonditionierten Test-MEP angegeben. Für SICI sollte korrekterweise dieser Prozentwert von 100 abgezogen werden (SICI = 100 ‒ konditioniertes MEP/unkonditioniertes MEP × 100), so dass ein Wert von 100 vollständige Hemmung, ein Wert von 0 einen fehlenden Effekt des konditionierenden Reizes und negative Werte eine Bahnung anzeigen. Die Ausprägung dieses Effekts wird durch verschiedene Faktoren modifiziert. Insbesondere führt bereits eine minimale willkürliche Kontraktion des Zielmuskels zu einer signifikanten Reduktion der SICI (Ridding et al. 1995). Daher ist es wichtig, dass der Kontraktionszustand des Zielmuskels während der Messung durch visuelle und/oder auditorische Rückkopplung des hoch verstärkten EMG-Signals überwacht wird. Insbesondere bei Patienten, bei denen es im Vergleich zu Gesunden gehäuft zu einer unbeabsichtigten Anspannung der Zielmuskeln kommt, ist dies zu berücksichtigen. Falls Patienten zu einer aus-

reichenden Entspannung nicht in der Lage sind, sind die Messungen ggf. bei Patienten und gesunder Vergleichsgruppe im leicht willkürlich aktivierten Muskel durchzuführen.

16.2.3 Physiologische Grundlagen Vieles deutet darauf hin, dass SICI- und ICF-Maße intrakortikaler (kortiko-kortikaler) Erregbarkeit sind. Das Fehlen inhibitorischer Effekte des konditionierenden Stimulus auf das Test-MEP, wenn der Test-Puls durch TES ausgelöst wird, und die fehlende Beeinflussung des Hoffmann-Reflexes durch den konditionierenden Stimulus sprechen für die Kontribution einer inhibitorischen Interaktion auf Ebene des primären motorischen Kortex (Kujirai et al. 1993; Ziemann et al. 1996). Weitere Evidenz für diese Annahme sind epidurale Ableitungen vom zervikalen Myelon, die eine deutliche Amplitudenreduktion später I-Wellen (7 Kap. 3) zeigen, wenn dem Test-Puls eine konditionierender Puls mit 2‒5 ms vorgeschaltet wird (Di Lazzaro et al. 1998). Vermutlich liegen der SICI und ICF unterschiedliche Mechanismen mit Beteiligung unterschiedlicher neuronaler Netzwerke zugrunde. Hierfür spricht die niedrigere Schwelle zur Auslösung der SICI im Vergleich zur ICF (Kujirai et al. 1993; Ziemann et al. 1996). Weiterhin hängt im Gegensatz zur SICI das Ausmaß der ICF stark von der Richtung des induzierten Stroms ab, mit maximalem Effekt in posterior-anteriorer Richtung (Ziemann et al. 1996). Darüber hinaus können SICI und ICF differenziell neuropharmakologisch beeinflusst werden oder selektiv im Rahmen bestimmter neurologischer Erkrankungen betroffen sein. Dabei ist die ICF vermutlich das Nettoergebnis einer überwiegenden Bahnung gegenüber einer gleichzeitig noch stattfindenden, aber schwächer ausgeprägten Hemmung (Hanajima et al. 1998). Angesichts pharmakologischer Studien, die eine ICF-Verminderung durch Einsatz von glutamatergen N-Methyl-DAspartat-Rezeptor (NMDAR) Antagonisten zeigen, ist von einer NMDAR-vermittelten Wirkung auszugehen (7 Kap. 34). Der Einsatz von GABAAR-Agonisten bewirkt ebenfalls eine Reduktion der ICF infolge der Verstärkung der inhibitorischen Mechanismen in Form der GABAAR-vermittelten bis zu 20 ms anhaltenden SICI (Hanajima et al. 1998). SICI (bei einem ISI von ~3 ms) wird über GABAAR vermittelt, da positive Modulatoren an diesem Rezeptor (z. B. Benzodiazepine) diese Inhibition verstärken (7 Kap. 34). Der klinische Anwendungsbereich der SICI- und ICFMessungen liegt insbesondere im Nachweis einer defi-

173

16.3 Doppelpulsprotokolle, . . .

16

Doppelpulsprotokolle, die einen ersten überschwelligen und einen zweiten unterschwelligen Stimulus bei sehr kurzen Interstimulusintervallen verwenden (0,5–5 ms)

zienten GABAAR-vermittelten Inhibition im motorischen Kortex bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen (7 Kap. 23–24 und 26– 30) und dem elektrophysiologischen Monitoring von Therapieeffekten, z. B. durch pharmakologische Verstärkung von inhibitorischen Mechanismen bei der Behandlung von Epilepsiepatienten (7 Kap. 26) oder nach elektrokonvulsiver Stimulation bei Patienten mit Depression (7 Kap. 30).

16.3

. Abb. .. Intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen. MEP-Fazilitierung im entspannten M. abductor digiti minimi durch Doppelpuls-TMS als Funktion des in Schritten von 0,1 ms abgestuften Interstimulusintervalls (Abszisse). Der erste Stimulus wurde auf eine Reizintensität adjustiert, die ein MEP von 1 mV hervorruft. Der zweite Stimulus wurde auf 90% der motorischen Reizschwelle in Ruhe eingestellt. Die durch S1+S2 hervorgerufenen MEP sind im pro-

zentualen Verhältnis zum unkonditionierten (durch S1 alleine ausgelösten) Kontroll-MEP dargestellt (gepunktete Linie). Gezeigt sind die Mittelwerte (+SD) von 5 Gesunden. Ausgefüllte Kreise zeigen eine MEP-Fazilitierung mit statistischer Signiﬁkanz an. Insgesamt können 3 Fazilitierungsgipfel unterschieden werden. Diese liegen bei Interstimulusintervallen von 1,1–1,5 ms, 2,3–2,9 ms und 4,1–4,4 ms. (Aus Ziemann et al. 1998; mit freundlicher Genehmigung von Blackwell)

Doppelpuls-TMS über dem motorischen Kortex führt dann zu einer MEP-Fazilitierung, wenn beide Stimuli mit einer Intensität nahe der motorischen Reizschwelle (Ilic et al. 2002; Tokimura et al. 1996) oder wenn S1 oberhalb der Reizschwelle und S2 unterhalb der Reizschwelle (Ilic et al. 2002; Ziemann et al. 1998) mit ISI von 1,0‒1,5 ms, 2,5‒3,0 ms oder ca. 4,0‒4,5 ms appliziert werden (. Abb. 16.3). Diese MEP-Fazilitierung wird als intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical facilitation, SICF) bezeichnet.

174

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 16 · Kortikale Doppelpulsprotokolle

16.3.1 Technische Voraussetzungen zur

Bestimmung der SICF Prinzipiell sind die technischen Voraussetzungen zur Durchführung gepaarter Stimulationsprotokolle mit sehr kurzen ISI dieselben wie die im vorherigen Abschnitt für SICI- und ICF-Messungen beschriebenen. Bisherige Erfahrungen beruhen überwiegend auf dem Magstim-System mit zwei über ein BiStimModul verbundenen Magstim-200-Stimulatoren.

16.3.2 Bestimmung der SICF Alle bisherigen Studien wurden in intrinsischen Handmuskeln durchgeführt. Die TMS-Applikation erfolgt üblicherweise über eine achtförmige Spule. Versuche mit einer zirkulären Spule haben jedoch zu ähnlichen Ergebnissen geführt. Um einen zum zentralen Sulkus perpendikulär verlaufenden Stromfluss zu gewährleisten, wird die Spule über der kortikalen Repräsentation der kontralateralen Hand vorzugsweise mit nach hinten- und 45° gegenüber der Mittellinie nach außen rotiertem Spulengriff positioniert. Erfahrungsgemäß hat sich die Einstellung von S1 auf eine Stimulusintensität, die ein MEP von ~1 mV erzeugt und von S2 auf eine Stimulusintensität von 90 der motorischen Reizschwelle in Ruhe zur Erzielung einer robusten und gut reproduzierbaren SICF als günstig erwiesen (Ziemann et al. 1998; . Tab. 16.1). Die untersuchten ISI reichen von 0,5‒6 ms und wurden in 0,5 ms Schritten (Tokimura et al. 1996) bzw. 0,1 ms Schritten variiert (Ziemann et al. 1998) (. Abb. 16.3). Für klinische oder wissenschaftliche Fragestellungen reicht die Beschränkung auf Messungen eines repräsentativen ISI aus, vorzugsweise im Bereich des »ersten Gipfels«, der bei Intervallen von 1,1‒1,5 ms auftritt (. Abb. 16.3 und . Tab. 16.1). Die Quantifizierung des durch S2 hervorgerufenen Effektes erfolgt üblicherweise in Form der mittleren, aus S1 und S2 resultierenden MEP-Amplitude in Prozent, der durch alleinige Applikation von S1 ausgelösten Kontroll-MEP-Amplitude. Vorzugs-

weise erfolgt die Untersuchung der SICF im ruhenden Zielmuskel, da willkürmotorische Anspannung das Ausmaß und den zeitlichen Ablauf der Fazilitierung verändern kann (Ziemann et al. 1998).

16.3.3 Physiologische Grundlagen Werden beide Stimuli oder der Test-Stimulus mittels TES appliziert, so ist bei identischen ISI keine MEPFazilitierung zu beobachten (Tokimura et al. 1996; Ziemann et al. 1998). Demnach ist anzunehmen, dass die SICF auf einem Fazilitierungseffekt auf der Ebene des motorischen Kortex beruht. In Einklang zu dieser Annahme steht auch die Beobachtung, dass eine MEP-Fazilitierung auch noch bei einer S2 Intensität von 70 der motorischen Ruheschwelle nachweisbar ist (Ziemann et al. 1998), bei der üblicherweise keine Aktivierung des kortikospinalen Systems stattfindet. Zudem zeigen epidurale Ableitungen vom zervikalen Rückenmark eine Fazilitierung später I-Wellen. Dieser Befund ist für den supraspinalen Ursprung dieser MEP-Fazilitierung praktisch beweisend (Tokimura et al. 2000). Ausgehend von der Beobachtung, dass den ISI, die effektiv eine SICF hervorrufen, die gleiche Periodizität zugrunde liegt wie den vom motorischen Kortex absteigenden I-Wellen (Inter-Peak-Intervalle von ~1,5 ms), kann davon ausgegangen werden, dass an der Generierung der SICF dieselben neuronalen Elemente wie bei der Produktion von I-Wellen beteiligt sind, also vermutlich eine Kette erregender Interneurone (Hanajima et al. 2002; Ilic et al. 2002; 7 Kap. 3). Die verfügbaren neuropharmakologischen Studien zeigen, dass SICF durch GABAAR kontrolliert wird (7 Kap. 34). Der klinische Anwendungsbereich für die Messung der SICF ist noch nicht klar definiert. Hier könnte sich jedoch die Möglichkeit einer nicht-invasiven Untersuchung exzitatorischer Interneurone bzw. deren Rolle bei der Entstehung von I-Wellen eröffnen.

175

Literatur

16.4

Fallbeispiel

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der es in erster Linie zu einem Untergang von 1. Motoneuron im motorischen Kortex und 2. Motoneuron in den Vorderhörnern des Rückenmarks kommt. Einzelne neuropathologische Hinweise sprechen dafür, dass darüber hinaus auch inhibitorische Interneurone im motorischen Kortex mit betroﬀen sein können. Dies konnte durch Nachweis einer pathologisch verminderten intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (SICI) elektrophysiologisch gestützt werden (. Abb. 16.4).

a

16

Spätere Untersuchungen konnten das Ausmaß der SICI-Deﬁzienz mit der Dauer der ALS-Erkrankung und der Aﬀektion der kortikospinalen Projektion korrelieren (7 Kap. 23). Das Beispiel zeigt, dass TMS-Doppelpuls-Untersuchungen Aussagen über die pathophysiologischen Mechanismen einer gestörten Erregbarkeit des motorischen Kortex zulassen (hier: Reduktion der GABAAR-vermittelten intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen) und ggf. als Marker des Krankheitsverlaufs dienen können (hier: Korrelation mit Krankheitsdauer und Aﬀektion der kortikospinalen Projektion).

b

. Abb. .a,b. a SICI-Messungen (Ableitung vom M. interossens dorsalis) bei einer repräsentativen gesunden Kontrollperson (links) und bei einem ALS-Patienten (rechts). ISI nimmt von 1 ms (oberste Spur) in 1 ms-Schritten bis auf 5 ms (unterste Spur) zu. Unkonditioniertes Test-MEP ist jeweils dünn, Konditioniertes MEP fett gezeichnet. Alle Kurven sind Mittelwerte von 10 Durchläufen. Der verminderte inhibitorische Eﬀekt des konditionierenden Pulses auf das Test-MEP bei dem ALS-Pati-

enten im Vergleich zum Gesunden ist gut zu erkennen, insbesondere bei ISI von 2–4 ms. b Mittelwerte (±SD) der SICI- und ICF-Messungen als Funktion des ISI von 14 ALS-Patienten (offene Quadrate) und 13 altersentsprechenden gesunden Kontrollen (schwarze Kreise). Die SICI ist in der ALS-Gruppe signiﬁkant reduziert, während sich für die ICF kein Gruppenunterschied zeigt. (Mod. nach Ziemann et al. 1997; mit freundlicher Genehmigung von Williams & Wilkins)

Literatur

mal subjects and in a patient with vascular parkinsonism. Clin Neurophysiol 113: 1673–1679 Fisher RJ, Nakamura Y, Bestmann S et al. (2002) Two phases of intracortical inhibition revealed by transcranial magnetic threshold tracking. Exp Brain Res 143: 240–248 Hanajima R, Ugawa Y, Tereo Y et al. (1998) Paired-pulse magnetic stimulation of the human motor cortex: diﬀerences among I waves. J Physiol 509: 607–618 Hanajima R, Ugawa Y, Terao Y et al. (2002) Mechanisms of intracortical I-wave facilitation elicited with paired- pulse magnetic stimulation in humans. J Physiol 538: 253–261 Hanajima R, Furubayashi T, Iwata NK et al. (2003) Further evidence to support diﬀerent mechanisms underlying intra-

1Claus D, Weis M, Jahnke U et al. (1992) Corticospinal conduction studied with magnetic double stimulation in the intact human. J Neurol Sci 111: 180–188 Erste Beschreibung von intrakortikaler Bahnung und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen. Di Lazzaro V, Restuccia D, Oliviero A et al. (1998) Magnetic transcranial stimulation at intensities below active motor threshold activates intracortical inhibitory circuits. Exp Brain Res 119: 265–268 Di Lazzaro V, Oliviero A, Mazzone P et al. (2002) Direct demonstration of long latency cortico-cortical inhibition in nor-

176

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 16 · Kortikale Doppelpulsprotokolle

cortical inhibition of the motor cortex. Exp Brain Res 151: 427–434 1Ilic TV, Meintzschel F, Cleﬀ U et al. (2002) Short-interval paired-pulse inhibition and facilitation of human motor cortex: the dimension of stimulus intensity. J Physiol 545.1: 153–167 Systematische, sehr detaillierte Untersuchung zu den Mechanismen von intrakortikaler Bahnung und Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen. 1Kujirai T, Caramia MD, Rothwell JC et al. (1993) Corticocortical inhibition in human motor cortex. J Physiol 471: 501–519 Erste Beschreibung von intrakortikaler Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikaler Bahnung. MacKinnon CD, Gilley EA, Weis-McNulty A, Simuni T (2005) Pathways mediating abnormal intracortical inhibition in Parkinson’s disease. Ann Neurol 58: 516–524 Nakamura H, Kitagawa H, Kawaguchi Y, Tsuji H (1997) Intracortical facilitation and inhibition after transcranial magnetic stimulation in conscious humans. J Physiol 498: 817–823 Ridding MC, Taylor JL, Rothwell JC (1995) The eﬀect of voluntary contraction on cortico-cortical inhibition in human motor cortex. J Physiol 487: 541–548 Sanger TD, Garg RR, Chen R (2001) Interactions between two diﬀerent inhibitory systems in the human motor cortex. J Physiol 530: 307–317 1Tokimura H, Ridding MC, Tokimura Y et al. (1996) Short latency facilitation between pairs of threshold magnetic stimuli applied to human motor cortex. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 101: 263–272 Erste Beschreibung von intrakortikaler Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen. Tokimura H, Di Lazzaro V, Tokimura Y et al. (2000) Short latency inhibition of human hand motor cortex by somatosensory input from the hand. J Physiol 523: 503–513 Triggs WJ, Kiers L, Cros D et al. (1993) Facilitation of magnetic motor evoked potentials during the cortical stimulation silent period. Neurology 43: 2615–2620 Valls-Solé J, Pascual-Leone A, Wassermann EM, Hallett M (1992) Human motor evoked responses to paired transcranial magnetic stimuli. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 355–364 Wassermann EM, Samii A, Mercuri B et al. (1996) Responses to paired transcranial magnetic stimuli in resting, active, and recently activated muscles. Exp Brain Res 109: 158–163 Ziemann U, Rothwell JC, Ridding MC (1996) Interaction between intracortical inhibition and facilitation in human motor cortex. J Physiol 496: 873–881 Ziemann U, Winter M, Reimers CD et al. (1997) Impaired motor cortex inhibition in patients with amyotrophic lateral sclerosis. Evidence from paired transcranial magnetic stimulation. Neurology 49: 1292–1298 Ziemann U, Tergau F, Wassermann EM et al. (1998) Demonstration of facilitatory I-wave interaction in the human motor cortex by paired transcranial magnetic stimulation. J Physiol 511: 181–190

177

17

Aﬀerente Konditionierung Monika Pötter, Hartwig Roman Siebner

17.1

Einleitung

– 178

17.3

Sonstige afferente Konditionierungsparadigmen – 185

17.2

Afferente Konditionierung mittels peripherer elektrischer Stimulation – 178

17.3.1

17.2.1

Afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz – 178 Afferente sensomotorische Hemmung langer Latenz – 183 Zentrale reziproke sensomotorische Hemmung – 184

Afferente Konditionierung durch nozizeptive Stimulation – 185 Afferente Konditionierung durch mechanische Stimulation – 185 Afferente Konditionierung durch akustische oder visuelle Reize – 186

17.2.2 17.2.3

17.3.2 17.3.3

17.4

Fallbeispiel – 187

17.5

Bewertung der Verfahren

Literatur

– 188

– 188

ZUM THEMA Dieses Kapitel fasst neurophysiologische Ansätze zusammen, in welchen eine überschwellige transkranielle Magnetstimulation (TMS) des primären motorischen Kortex durch einen vorausgehenden sensorischen Stimulus konditioniert wird. Zur Konditionierung werden räumlich und zeitlich deﬁnierte, sensorische Reize verwendet. Am gebräuchlichsten sind kurze, nichtschmerzhafte, elektrische Stimuli z. B. peripherer Nerven im Bereich der Hand, aber auch mechanische, akustische oder visuelle Stimuli können verabreicht werden. Im Anschluss an die aﬀerente Stimulation wird der primär motorische Kortex mit einer Einzelreiz-TMS überschwellig stimuliert und es werden die magnetisch evozierten motorischen Potenziale (MEP)

in einem kontralateralen Zielmuskel aufgezeichnet. Gemessen wird die durch die aﬀerente Konditionierung bedingte relative Amplitudenänderung des MEP. Durch systematische Variation des zeitlichen Abstandes zwischen den beiden Stimuli sowie der räumlichen Beziehung von peripherer Konditionierung und zentralmotorischer Stimulation (TMS) können sowohl die zeitliche Dynamik als auch die Somatotopie sensomotorischer Integration nichtinvasiv untersucht werden. Die meisten Untersuchungsparadigmen sind technisch einfach durchführbar und ermöglichen wichtige Einblicke in die Neurophysiologie der sensomotorischen Integration.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

178

Kapitel 17 · Afferente Konditionierung

17.1

Einleitung

Die neuronale Erregbarkeit im motorischen System wird kontinuierlich an den über periphere Afferenzen vermittelten, sensorischen Kontext angepasst. Diese enge funktionelle Kopplung des sensorischen und motorischen Systems ermöglicht eine flexible Anpassung motorischer Programme an die aktuellen Umweltbedingungen. Eine Möglichkeit, sensomotorische Integrationsprozesse zu untersuchen, bietet die Aufzeichnung der durch sensorische Stimuli ausgelösten reflektorischen Muskelaktivität. So lässt sich nach einem unerwarteten akustischen Reiz eine rasche, unwillkürliche Muskelaktivierung mit charakteristischem Verteilungsmuster ableiten (Schreckreflex (engl. startle reflex)) oder es kommt zu einem reflektorischen Augenschluss nach elektrischer Stimulation des N. supraorbitalis (Blinzelreflex (engl. blink reflex)). Auch können wiederholt applizierte elektrische periphere Stimuli oder mechanische Dehnungsreize, die willkürliche, tonische elektromyographische Muskelaktivität in den kleinen Handmuskeln modulieren. Dabei scheint eine späte Komponente durch einen transkortikalen Reflex vermittelt zu werden (Reflex langer Latenz, engl. long-latency reflex). Die Aufzeichnung von Reflexantworten erlaubt jedoch nur eine indirekte Untersuchung zentralnervöser sensomotorischer Integrationsprozesse, da die konditionierenden Effekte der sensorischen Stimulation am Endorgan des motorischen Systems, dem Muskel, aufgezeichnet werden. Aussagen darüber, ob die konditionierenden Effekte auf kortikaler, subkortikaler oder spinaler Ebene vermittelt werden, sind nur eingeschränkt möglich. Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) des primären motorischen Kortex (M1) bietet einen direkteren Ansatz, über eine transsynaptische Erregung der schnell leitenden, kortikospinalen Motoneurone (7 Kap. 3), den Einfluss sensorischer Stimuli auf das kortikospinale motorische System zu untersuchen. Hierzu wird die Methode der afferenten Konditionierung verwendet: Zunächst wird ein genau definierter sensorischer Reiz in einer Körperregion verabreicht. Nach dem konditionierenden sensorischen Stimulus wird ein überschwelliger transkranieller Teststimulus über M1 verabreicht, der im kontralateralen Zielmuskel eine Muskelantwort auslöst. Der TMS-Puls wird also durch einen afferenten Stimulus »konditioniert«. Um die zeitliche Dynamik des Einflusses des afferenten Stimulus auf die kortikomotorische Erregbarkeit zu erfassen, wird das Intervall zwischen dem konditionierenden afferenten Stimulus und dem TMSPuls, das Interstimulusintervall (ISI), systematisch

variiert. Für jedes ISI wird dann die mittlere Amplitude des MEP im Zielmuskel gemessen. Die durch die afferente Konditionierung hervorgerufene relative Bahnung oder Hemmung der kortikomotorischen Erregbarkeit lässt sich quantifizieren, indem für jedes ISI das Verhältnis zwischen der konditionierten mittleren MEP-Amplitude und der nichtkonditionierten mittleren MEP-Amplitude (ohne vorausgehende afferente Konditionierung) bestimmt wird. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die wichtigsten Konditionierungs-Test-Paradigmen (. Tab. 17.1). All diese Paradigmen zielen darauf ab, die hemmenden und bahnenden Effekte eines umschriebenen sensorischen Stimulus auf die kortikospinale motorische Erregbarkeit in ihrem Ausmaß und Zeitverlauf zu charakterisieren. Die meisten Protokolle verwenden eine nichtschmerzhafte elektrische Stimulation eines gemischten oder rein sensiblen Armnervs und testen die Auswirkung des elektrischen Stimulus auf die kortikomotorische Erregbarkeit im kontralateralen M1 mit der Einzelreiz-TMS. Der Vorteil der Elektrostimulation liegt in der einfachen Anwendbarkeit und der Induktion einer hochgradig synchronisierten Erregung sensorischer Afferenzen. Konditionierungsprotokolle, die andere konditionierende Stimuli (z. B. Schmerzreize, mechanische , akustische oder visuelle Reize) verwenden, werden in diesem Kapitel ebenfalls kurz behandelt.

17.2

Aﬀerente Konditionierung mittels peripherer elektrischer Stimulation

17.2.1 Aﬀerente sensomotorische

Hemmung kurzer Latenz Die Messung der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency afferent inhibition, SAI) ist derzeit das am meisten verwendete Untersuchungsverfahren. Im Folgenden beschreiben wir das von Tokimura et al. (Tokimura et al. 2000) eingeführte Paradigma zur kurzfristigen afferenten sensomotorischen Hemmung des M1-Handareals nach kontralateraler Nervenstimulation der Hand (. Abb. 17.1a).

Untersuchungsschritte Schritt : Transkranielle Magnetstimulation des primären motorischen Kortex. Eine achtförmige Standardspule

wird über dem M1-Handareal am optimalen Reizort für den kontralateralen Zielmuskel, z. B. den M. interosseus dorsalis manus I, platziert (7 Kap. 7). Die Stimulusintensität des monophasischen TMS-Pulses

Aﬀerente Konditionierung

Nichtschmerzhafter, elektrischer Stimulus (Dauer 0,2 ms) N. medianus am Handgelenk (I=1×MT) oder Nn. digitales II, III (I=2–3×ST)

Nichtschmerzhafter, elektrischer Stimulus (Dauer 0,1 ms) N. medianus in Ellenbeuge (I=1×MT) oder N. radialis im Sulcus spiralis (I=1×MT)

Nichtschmerzhafter, elektrischer Stimulus (Dauer 0,2 ms) N. digitalis I (I=2×ST) oder N. digitalis V (I=2×ST)

Nichtschmerzhafter, elektrischer Stimulus (Dauer 0,2 ms) N. medianus am Handgelenk (I=1×MT) oder N. digitalis III (I=3×ST)

Nichtschmerzhafter, elektrischer Stimulus (Dauer 0,2 ms) N. medianus am Handgelenk (I=1×MT)

Schmerzhafter, elektrischer Stimulus (Dauer 0,5 ms) N. digitalis II (I=100 mA)

Studie

Tokimura 2000

Bertolasi 1998

Classen 2000

Chen 1999

Sailer 2002

Koﬂer 1998

. Tab. .. Übersicht der Protokolle zur aﬀerenten Konditionierung

Hemmung (IOD 1)

Reziproke Hemmung des Antagonisten, nicht des Agonisten

Somatotope Hemmung oder Bahnung

Hemmung (APB) von 200–1000 ms

Hemmung (IOD 1) LAI interagiert mit LICI, nicht mit SICI Hemmung (Thenar) Bahnung (Bic.)

11–24

16–500

200–4000

200

100

Monophasisch, Rundspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: p.-a. I = 115% MT Ruhe Zielmuskel: ECR u. FCR (Ruhe)

Monophasisch, Achterspule, Magstim-200/Cadwell Technische Stromrichtung: a.-p. I = MEP-Amplitude von 0,5–1,5 mV Zielmuskel: APB (Ruhe/VI) Monophasisch, Achterspule, Cadwell Technische Stromrichtung: a.-p. I = MEP-Amplitude von 1,0 mV Zielmuskel: APB (Ruhe) Monophasisch, Achterspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p. I = MEP-Amplitude von 0,2–1,4 mV Zielmuskel: IOD 1 (Ruhe) Monophasisch, Rundspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p. I = 150% MT Ruhe Zielmuskel: Thenar/Bic (Ruhe)

Eﬀekt auf MEP

18–50

ISI [ms]

Monophasisch, Achterspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p. I = MEP-Amplitude von 0,5–2 mV Zielmuskel: IOD 1 (Ruhe/VI)

TMS über M

17.2 Afferente Konditionierung mittels peripherer elektrischer Stimulation 179

17

18

19

20 11

12

13 Monophasisch, Rundspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p. I = MEP-Amplitude von 1,0–2,0 mV Zielmuskel: Delt (VI) Biphasisch, Rundspule, Cadwell Technische Stromrichtung: a.-p. I = 120% MT Ruhe Zielmuskel: APB (VI)

Auditorischer Stimulus (1 kHz, 100 dB, 50 ms)

Visueller Stimulus (10 s Train 5, 10, 15, 20, 30, 50, 60 Hz)

Fisher 2004

EntezariTaher 2000

Bahnung (FDP)

Bahnung (FCR)

Bahnung (FPB)

Hemmung (IOD 1)

Hemmung (Delt)

Verkürzung CSP bei 50–60 Hz

38–58

3000

200

10–100

50–70

5000

Eﬀekt auf MEP

1

7

Studie Studienangabe mit Erstautor und dem Jahr der Publikation, genauere Literaturverweise s. Literaturverzeichnis; Aﬀerente Konditionierung Eigenschaften des sensorischen, aﬀerenten Stimulus; TMS über M1 Eigenschaften des TMS Pulses appliziert am primär motorischen Kortex; ISI Interstimulusintervall zwischen sensorischem, aﬀerentem Stimulus und TMS Puls in ms; Eﬀekt auf MEP Auswirkung der aﬀerenten Konditionierung auf das magnetisch evozierte Potenzial; N. Nervus; Nn. Nervi; I Intensität; MT motorische Schwelle; ST sensorische Schwelle; a.-p. anterior-posterior Stromrichtung in TMS Spule; p.-a. posterior-anterior Stromrichtung in TMS Spule; Ruhe Messung des MEP in Ruhebedingungen; VI Messung des MEP unter Vorinnervation; IOD 1 M. interosseus dorsalis manus I; ECR M. extensor carpi radialis; FCR M. ﬂexor carpi radialis; APB M. abductor pollicis brevis; Bic M. biceps brachii. FDP M. ﬂexor digitorum profundus; FPB M. ﬂexor pollicis brevis; Delt. M. Deltoideus; CSP Cortical silent period.

Monophasisch, Rundspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p. I = MEP-Amplitude von 0,2–0,5 mV Zielmuskel: IOD 1 (VI)

Auditorischer Stimulus (Abfolge von 18 Klicks; 110 dB)

Furubayashi 2000

17 Monophasisch, Rundspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p. I = MEP-Amplitude von 0,1–1,0 mV Zielmuskel: FPB (Ruhe)

16

Taktiler Stimulus (Luftstoß) an der Fingerkuppe

15

Terao 1995

14 Monophasisch, Achterspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p./p.-a. I = MEP-Amplitude von 1,0 mV Zielmuskel: FCR (VI)

10

Umschriebene Vibration eines Unterarmmuskels (Dauer 4 s, 80 Hz, 0,5 mm Amplitude)

9

Rosenkranz 2003

8

Monophasisch, Rundspule, Magstim-200 Technische Stromrichtung: a.-p. I = 100% MT Ruhe Zielmuskel: FDP (leichte VI)

6

Akute Muskeldehnung des rechten Musculus ﬂexor digitorum profundus

5

ISI [ms]

4

Day 1991

TMS über M

3

Aﬀerente Konditionierung

2

Studie

. Tab. .. Fortsetzung

180 Kapitel 17 · Afferente Konditionierung

181

17.2 Afferente Konditionierung mittels peripherer elektrischer Stimulation

a

b

17

c

. Abb. .a–c. Schematische Darstellung der aﬀerenten sensomotorischen Konditionierung mittels elektrischer, nichtschmerzhafter Stimulation. Um die aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (a) zu messen, wird ein elektrischer Stimulus des N. medianus am Handgelenk oder der Nn. digitales etwa 20–25 ms vor einem transkraniellen Teststimulus über dem kontralateralen primär motorischen Handareal (M1) verabreicht. Die MEP werden in den kleinen Handmuskeln ipsilateral zur aﬀerenten Konditionierung abgeleitet. Dieselbe Stimulationsanordnung wird für die Testung der sensomotorischen Hemmung langer Latenz (b) eingesetzt, nur dass hier längere Intervalle (~200 ms) zwischen elektrischem konditionierenden Stimulus und dem transkraniellen Teststimulus verwendet werden. Bei der Testung der zentralen, reziproken Hemmung (c) wird der N. medianus in der Ellenbeuge etwa

15 ms vor dem transkraniellen Teststimulus über dem kontralateralen primärmotorischen Handareal gereizt. In dem vom N. medianus versorgten M. ﬂexor carpi radialis wird nahezu keine Hemmung, jedoch in dem antagonistischen, vom N. radialis versorgten, M. extensor carpi radialis eine deutliche »reziproke« Hemmung des MEP beobachtet. Alternativ kann der N. radialis im Sulcus spiralis gereizt und eine reziproke Hemmung im, vom N. medianus versorgten, M. ﬂexor carpi radialis beobachtet werden. Dementsprechend ändern sich die Ableite- und Konditionierungskonstellationen. Originalableitungen: obere Reihe unkonditioniertes MEP; untere Reihe konditioniertes MEP; KS konditionierender Stimulus; TS Teststimulus. (Aus Bertolasi et al. 1998; mit freundlicher Genehmigung von Blackwell Publishing)

wird so gewählt, dass der nicht konditionierte Einzelreiz im Zielmuskel eine Muskelantwort mit einer MEP-Amplitude (Spitze-zu-Spitze) von 0,5‒1,0 mV auslöst. Um konstante Stimulationsbedingungen zu sichern, empfiehlt es sich, die optimale Position der Stimulationsspule mit einem wasserlöslichen Stift an der Kopfhaut zu markieren. Die Konstanz der korrekten Spulenposition ist während der Messungen kontinuierlich zu überprüfen. Das Ausmaß der afferenten Hemmung scheint von der Ausrichtung des durch die TMS im Kortex generierten Stromflusses abzuhängen (Bertolasi et al. 1998). Die Stromrichtung in der Spule sollte so ausgerichtet sein, dass der im Gehirn induzierte elektrische Strom eine von vorne nach hinten verlaufende Rich-

tung hat. Die technische Stromrichtung in der Spulenmitte sollte somit von hinten nach vorne ausgerichtet sein. Jedoch wurde im Großteil der Studien die konventionelle, technische a.-p. Richtung gewählt, in diesen Studien war ebenfalls ein guter Effekt nachweisbar. Schritt : Periphere elektrische Nervenstimulation. Ein

Rechteckimpuls (Dauer: 200 µs) wird transkutan mit einer bipolaren Reizelektrode (Kathode proximal) über dem peripheren N medianus auf Höhe der Handwurzel verabreicht. Die Stimulusintensität sollte knapp über der motorischen Reizschwelle liegen, was in etwa der 2- bis 3-fachen sensorischen Reizschwelle entspricht. Alternativ können auch Hautnerven wie

182

Kapitel 17 · Afferente Konditionierung

3

die Nn. digitales mit Ringelektroden mit 2- bis 3-facher sensorischer Reizschwelle am Zeige- oder Mittelfinger gereizt werden. Wichtig ist, dass sich während der Messung die Position der Oberflächenelektrode nicht verschiebt. Deshalb empfiehlt es sich, bei Reizung im Bereich des Handgelenks die bipolare Oberflächenelektrode mit einem Kreppband gut zu fixieren.

4

Schritt : Messung der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung. Nach Adjustierung der Stimulusintensi-

5

täten kann die eigentliche Messung beginnen. In der Mehrzahl der Durchgänge wird der überschwellige transkranielle Testreiz durch die elektrische Nervenstimulation konditioniert. Um das Ausmaß und den Zeitverlauf der afferenten sensomotorischen Hemmung auf die kortikospinale Erregbarkeit im kontralateralen M1 zu messen, sollte das ISI zwischen dem konditionierenden, peripheren Stimulus und dem transkraniellen Teststimulus variiert werden (z. B. ISI von 10, 15, 20, 25, 30, 40, 50 ms). Bei gesunden erwachsenen Probanden ist die maximale Hemmung bei einem ISI um 20 ms zu erwarten. Zusätzlich muss der transkranielle Teststimulus alleine gegeben werden, um die kortikospinale Erregbarkeit ohne vorausgehende afferente Stimulation zu messen. Die verschiedenen Stimulationsbedingungen werden in pseudorandomisierter Reihenfolge alle 5‒7 s appliziert, um Ordnungseffekte zu vermeiden. Während die ISI in dem oben genannten Verfahren relativ willkürlich festgelegt sind, kann man die ISI auch an die individuelle N20-Latenz des somatosensorisch evozierten Potenzials (SEP) des N. medianus adjustieren (Kessler et al. 2005). Dies hat den Vorteil, dass die individuelle Leitungszeit des afferenten Schenkels bis zum Kortex mit berücksichtigt wird. Diese Vorgehensweise hat klare Vorteile bei Patienten mit verzögerter peripher-kortikaler Leitungszeit und optimiert die inter-individuelle Vergleichbarkeit der Messungen. Eine maximale Hemmung durch afferente Konditionierung erzielt man bei einem ISI, das der individuellen N20-Latenz bzw. der N20+2 msLatenz entspricht (Kessler et al. 2005). Adjustiert man die ISI an die individuelle N20-Latenz, kann man die afferente Hemmung bei folgenden ISI untersuchen: N20‒10 ms, N20‒5 ms, N20‒2 ms, N20, N20+2 ms, N20+5 ms und N20+10 ms. Es empfiehlt sich, das Interval N20+10 ms einzubeziehen, da hier Patienten evtl. einen abnormen bahnenden Effekt des konditionierenden Stimulus zeigen (Kessler et al. 2005). Die durch die TMS evozierte Muskelantwort wird als MEP mittels Oberflächenelektroden aufgezeichnet (Breitbandfilter: 10 Hz‒2 kHz; Aufzeichnungsrate: 5 kHz). Pro ISI sollten mindestens 10 MEP aufgezeich-

1 2

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

net werden. Zudem sollten mindestens 20 unkonditionierte MEP abgeleitet werden, da diese MEP anschließend benutzt werden, um das relative Ausmaß der afferenten Inhibition zu messen. Schritt : Quantiﬁzierung der aﬀerenten Hemmung. Für

jedes abgeleitete MEP wird die Spitze-zu-Spitze Amplitude im Zielmuskel gemessen und für die jeweiligen ISI die mittlere MEP-Amplitude berechnet. Ebenso wird die mittlere MEP-Amplitude des unkonditionierten Test-MEP ermittelt. Für jedes ISI lässt sich so ein Quotient aus der mittleren Amplitude der afferent konditionierten MEP und der mittleren Amplitude der unkonditionierten MEP errechnen. Das Ausmaß der afferenten Hemmung wird als prozentuale Änderung der konditionierten MEP-Amplitude im Vergleich zum unkonditionierten MEP angegeben.

Physiologische Grundlagen Die afferente Hemmung kurzer Latenz kann durch Stimulation unterschiedlicher peripherer Afferenzen ausgelöst werden. In den distalen Handmuskeln kann sowohl die elektrische Stimulation des gemischten N. medianus am Handgelenk als auch die Stimulation der rein sensiblen Nn. digitales der Finger eine afferente Hemmung kurzer Latenz auslösen (Kessler et al. 2005; Tokimura et al. 2000). In weiter proximal gelegenen Muskeln, wie dem M. extensor carpi radialis hingegen scheint nicht die Stimulation von Hautafferenzen, sondern vorwiegend von Muskelspindelafferenzen zur afferenten Hemmung beizutragen (Aimonetti et al. 2001; Bertolasi et al. 1998). Für die neuronale Kontrolle distaler Handmuskeln, die ausschließlich an der Kontrolle feiner Fingerbewegungen beteiligt sind, spielt offenbar die kutane sensorische Information eine größere Rolle als für proximal gelegene Muskeln. Die afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz wird durch intrakortikale hemmende Interneurone vermittelt. Ein wesentlicher Beleg für eine intrakortikale Hemmung als zugrunde liegender Mechanismus ist das Fehlen eines inhibitorischen Effekts auf die MEP-Amplitude, wenn zur Auslösung der MEP statt der TMS eine lateromediale, transkranielle elektrische Stimulation (TES) verwendet wird (Bertolasi et al. 1998; Tokimura et al. 2000). Im Gegensatz zur TMS werden bei der TES die kortikospinalen Axone nicht transsynaptisch, sondern direkt am Axonhügel erregt und somit von den intrakortikalen inhibitorischen Effekten nicht beeinflusst (Bertolasi et al. 1998; Tokimura et al. 2000; 7 Kap. 20). Epidurale spinale Ableitungen der durch die TMS ausgelösten, deszendierenden Erregungswellen zeigen, dass der

17.2 Afferente Konditionierung mittels peripherer elektrischer Stimulation

afferente Stimulus die späten deszendierenden Wellen (engl. I-Waves) supprimiert, die transsynaptisch im M1 generiert werden (Tokimura et al. 2000; 7 Kap. 3). Das optimale ISI zur Auslösung der Hemmung entspricht der N20-Latenz des Medianus-SEP, und somit der individuellen peripher-kortikalen Leitungszeit (Bertolasi et al. 1998; Kessler et al. 2005). Derzeit ist noch unklar, ob die Hemmung über thalamische Afferenzen direkt zum M1 oder mit einem kurzen Relay im primär somatosensiblen Kortex und von dort über intrakortikale Assoziationsfasern zum M1 vermittelt wird (Tokimura et al. 2000). Eine besondere Rolle in der Vermittlung der intrakortikalen afferenten Hemmung kommt dem Thalamus zu. Die »spezifischen«, somatosensorischen Kerne sind wesentlich in der Informationsübertragung von der Peripherie zum Kortex, während »unspezifische«, paramediane Kerne über diffuse, weitverzweigte Projektionen an einer generellen Bahnung oder Hemmung kortikaler neuronaler Aktivität und an der Vigilanzkontrolle beteiligt sind. Eine Thalamusläsion, die somatosensorische Thalamuskerne einbezieht, führte zum Verlust der ipsilateralen N20-Komponente des SEP und der ipsilateralen afferenten Hemmung (Bertolasi et al. 1998). Interessanterweise führte auch eine Läsion der paramedianen Thalamuskerne trotz eines normalen SEP zu einer Reduktion der afferenten sensomotorischen Hemmung (Oliviero et al. 2005). Eine Erklärungsmöglichkeit ist, dass die Läsion der paramedianen »unspezifischen« Thalamuskerne die generelle Bahnung des M1 beeinträchtigt und so indirekt das Antwortverhalten des M1 auf sensorische Stimuli vermindert. Pharmakologische Untersuchungen belegen eine Beteiligung muskarinerger Acetylcholin-Rezeptoren an der afferenten Hemmung (7 Kap. 34). Die orale Gabe des muskarinergen Acetylcholinantagonisten Scopolamin führte zu einer selektiven Reduktion der afferenten sensomotorischen Hemmung, ohne andere Formen intrakortikaler Hemmung zu beeinflussen (Di Lazzaro et al. 2000). Die Beteiligung einer Gammaaminobuttersäure-A-Rezeptor (GABAAR) vermittelten Neurotransmission an der afferenten Hemmung kurzer Latenz wurde kürzlich durch Applikation von verschiedenen Benzodiazepinen, positiven allosterischen Modulatoren am GABAAR, ebenfalls belegt (Di Lazzaro et al. 2005b).

183

17

17.2.2 Aﬀerente sensomotorische

Hemmung langer Latenz Zusätzlich zur kurzzeitigen Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit mit Maximum bei ca. 20 ms bewirkt eine periphere Elektrostimulation sensorischer Afferenzen auch eine später einsetzende und länger anhaltende Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit. Diese hat ihr Maximum etwa 200 ms nach peripherer Stimulation und wird als afferente sensomotorische Hemmung langer Latenz (engl. long-latency afferent inhibition, LAI) bezeichnet (. Abb. 17.1b).

Untersuchungsschritte Die Vorgehensweise zur Messung der afferenten sensomotorischen Hemmung langer Latenz entspricht den Untersuchungsschritten, die bei der Messung der sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz durchgeführt werden. Deshalb wird auf die detaillierte Darstellung in 7 Abschn. 17.2.1 verwiesen. Der einzige Unterschied zur Messung der afferenten Hemmung kurzer Latenz liegt in der Verwendung längerer ISI zwischen dem peripheren konditionierenden Stimulus und dem transkraniellen Teststimulus. So werden in der Regel zur Messung der afferenten sensomotorischen Hemmung langer Latenz ISI zwischen 150 und 1000 ms verwendet (z. B. 200, 400, 600 und 1000 ms; Chen et al. 1999). Den stärksten hemmenden Effekt kann man in der Regel bei einem ISI um 200 ms beobachten. Aufgrund der nahezu identischen Vorgehensweise ist es möglich, die afferente sensomotorische Hemmung kurzer und langer Latenz gleichzeitig zu bestimmen, indem man kurze ISI um 20 ms und lange ISI um 200 ms in einem Messblock vermischt und die konditionierten MEP-Amplituden mit der unkonditionierten MEP-Amplitude vergleicht.

Physiologische Grundlagen Als Ursache für die afferente sensomotorische Hemmung langer Latenz wird ebenfalls ein intrakortikaler Hemmmechanismus angenommen. Die Amplituden der F-Wellen, die indirekt die Erregbarkeit der spinalen Motoneurone widerspiegeln, werden durch die afferente Elektrostimulation des N. medianus in diesem Latenzbereich nicht beeinflusst (Chen et al. 1999). Das individuelle Ausmaß der afferenten sensomotorischen Hemmung langer Latenz korreliert mit dem individuellen Ausprägungsgrad der intrakortikalen Hemmung kurzer Latenz, welche durch intrakortikale GABAerge Interneurone vermittelt wird (Trompetto et al. 2001). In ihrem Zeitverlauf entspricht die sensomotorische Hemmung langer Latenz der Rückkehr (engl. Rebound) des kortikal generierten, über

184

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 17 · Afferente Konditionierung

der Zentralregion lokalisierten 20 Hz-Rhythmus nach elektrischer Stimulation des N. medianus, von dem angenommen wird, dass er eine kortikale Deaktivierung darstellt (Chen et al. 1999). Die afferente sensomotorische Hemmung langer Latenz wird vermutlich durch die Stimulation großkalibriger kutaner Afferenzen vermittelt (Chen et al. 1999). Dafür spricht, dass die Stimulation der Nn. digitales eine vergleichbar starke Hemmung auslöst wie Reizung des gemischten N. medianus. Zudem führt eine Erhöhung der Reizstärke über die dreifache sensorische Schwelle hinaus zu keiner weiteren Zunahme der afferenten sensomotorischen Hemmung langer Latenz. Dies zeigt, dass die zusätzliche Stimulation höherschwelliger motorischer Afferenzen den hemmenden Effekt durch die niederschwelligen großkalibrigen sensorischen Afferenzen zumindest nicht weiter verstärkt. Es wird angenommen, dass der periphere Stimulus über den sensorischen Thalamus zum kontralateralen somatosensiblen Kortex und anschliessend über intrakortikale Assoziationsfasern zum M1 geleitet wird. Allerdings führt eine unilaterale Stimulation des N. medianus sowohl kontralateral als auch ipsilateral zu einer nachweisbaren afferenten Hemmung, die ipsilateral jedoch schwächer ausgeprägt ist (Chen et al. 1999). Dies passt zu Untersuchungen, die zeigen, dass eine unilaterale periphere Stimulation auch den ipsilateralen, primären und sekundären somatosensiblen Kortex und posterioren parietalen Kortex aktiviert (Zusammenfassung in Chen et al. 1999). Die afferente sensomotorische Hemmung langer Latenz ist bei Stimulation des N. medianus am Handgelenk in den intrinsischen Handmuskeln (z. B. M. interosseus dorsalis manus I.) stärker ausgeprägt als in Unterarmmuskeln wie dem M. extensor carpi radialis (Chen et al. 1999). Zudem beeinflusst der motorische Kontext das Verteilungsmuster. Im entspannten Ruhezustand führt eine elektrische Stimulation der Hautnerven des 2. oder 5. Fingers in räumlich korrespondierenden »homotopen« Muskeln und räumlich entfernten »heterotopen« Muskeln zu einer vergleichbaren sensomotorischen Hemmung (Kobayashi et al. 2003). Während einer Zeigefingerbewegung kommt es jedoch zu einer veränderten räumlichen Gewichtung der Hemmung im Sinne einer Zunahme der »Umfeldhemmung« (engl. surround inhibition) in den Muskeln, die an der Bewegung nicht beteiligt sind (Voller et al. 2005).

17.2.3 Zentrale reziproke sensomotorische

Hemmung Bertolasi et al. (1998) entwickelten ein Untersuchungsprotokoll, welches auf kortikaler Ebene hemmende Einflüsse der Afferenzen von agonistischen Muskelgruppen des Unterarms (z. B. den Flexoren) auf die kortikomotorische Erregbarkeit ihrer Antagonisten (also in diesem Beispiel der Extensoren) untersucht. Dieses Protokoll stellt eine Untersuchungsmethode dar, um eine »zentrale reziproke sensorische Hemmung« (in Abgrenzung zur spinalen reziproken Hemmung) zu untersuchen (. Abb. 17.1c).

Untersuchungsschritte Schritt : Adjustierung des Teststimulus durch die transkranielle Magnetstimulation. Für die TMS des linken

M1 wird ein monophasischer Einzelreiz mit einer konventionellen Rundspule verabreicht. Die Rundspule wird über dem Vertex mit leichter Neigung nach links an der optimalen Stelle zur Auslösung motorischer Antworten in den rechten Unterarmbeugern und -streckern positioniert (7 Kap. 7). Die technische Stromrichtung in der Spule sollte von oben betrachtet im Uhrzeigersinn fliessen, so dass der induzierte Gewebsstrom im linken M1 von vorne nach hinten fließt. Die Reizstärke wird auf 115 der individuellen motorischen Ruheschwelle adjustiert. Das OberflächenEMG wird von den Unterarmextensoren und Flexoren abgeleitet. Hierzu werden die bipolaren Oberflächenelektroden über dem M. extensor carpi radialis und M. flexor carpi radialis platziert (Breitbandfilter: 20‒2000 Hz). Schritt : Adjustierung des konditionierenden elektrischen Stimulus. Eine bipolare elektrische Stimula-

tion (Kathode proximal) wird mit einem Rechteckpuls von 100 µs Dauer und einer Stromstärke knapp oberhalb der motorischen Schwelle durchgeführt. Zur Messung der reziproken sensomotorischen Hemmung der Unterarmextensoren durch die Afferenzen von den Unterarmflexoren wird der rechte N. medianus in der Ellenbeuge gereizt. Zur Messung der reziproken sensomotorischen Hemmung der Unterarmflexoren durch die Afferenzen von den Unterarmextensoren wird der rechte N. radialis im Sulcus spiralis am distalen Oberarm gereizt. Die peripheren elektrischen Stimuli werden 11‒24 ms vor dem transkraniellen Testpuls verabreicht. Eine maximale reziproke Inhibition lässt sich bei Verwendung von ISI zwischen 15‒17 ms beobachten (Bertolasi et al. 1998).

17.3 Sonstige afferente Konditionierungsparadigmen

Schritt : Messung und Auswertung. Die relevanten ISI sind 14, 15, 16, 17, 18, 19 und 20 ms. Zusätzlich muss der transkranielle Teststimulus alleine gegeben werden, um die kortikospinale Erregbarkeit ohne vorausgehende afferente Stimulation zu messen. Die verschiedenen Stimulationsbedingungen werden in pseudorandomisierter Reihenfolge alle 7‒10 s appliziert, um Ordnungseffekte zu vermeiden. Pro ISI sollten mindestens 10 Messwiederholungen durchgeführt werden. Für das unkonditionierte MEP empfehlen sich mindestens 20 Messwiederholungen. Da die MEP der Unterarmmuskeln meist polyphasisch konfiguriert sind, ist die Messung der Spitzezu-Spitze Amplitude nicht zu empfehlen. Die aufgezeichneten MEP sollten rektifiziert und anschließend gemittelt werden. Als elektrophysiologischer Kennwert dient dann die Fläche unter der Kurve (engl. area under the curve, AUC). Die mittlere AUC der konditionierten MEP wird als prozentualer Anteil der mittleren AUC des unkonditionierten MEP ausgedrückt, um das relative Ausmaß der reziproken Inhibition zu quantifizieren.

Physiologische Grundlagen Die Untersuchungen von Bertolasi et al. (1998) legen nahe, dass die zentrale reziproke Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit über eine kortikale sensomotorische Schleife vermittelt wird. So war diese Form der Hemmung bei einem Patienten mit thalamischer Läsion und fehlender N20-Komponente im SEP nicht auslösbar. Zudem war die zentrale reziproke Hemmung nur nachweisbar, wenn die MEP durch transsynaptische Erregung der kortikospinalen Axone mit einem transkraniellen magnetischen Testpuls ausgelöst wurden. Zudem zeigte sich eine deutlich geringere zentrale reziproke Hemmung, wenn der durch TMS induzierte Stromfluss im M1 von posterior nach anterior gerichtet war, was für die Beteiligung später IWellen spricht (Bertolasi et al. 1998).

17.3

Sonstige aﬀerente Konditionierungsparadigmen

185

17

gt sind. Die Modulation der durch TMS ausgelösten MEP durch einen peripheren Schmerzreiz erlaubt es, die Interaktion des Schmerzsystems mit dem motorischen System zu untersuchen. Exemplarisch wird hier das von Kofler et al. (1998) verwendete Untersuchungsprotokoll beschrieben. Ein transkranieller Testreiz wird mit einer Rundspule über dem linken M1-Handareal appliziert. Die Stimulusintensität wird auf 150 der individuellen motorischen Ruheschwelle eingestellt und die MEP vom kontralateralen Daumenballen und dem M. biceps brachii abgeleitet. Als konditionierender Schmerzreiz wird ein elektrischer Rechteckpuls von 500 µs Dauer mit Ringelektroden an der Spitze des rechten Zeigefingers mit der maximal tolerablen Stimulusintensität (meist~100 mA) 100 ms vor dem transkraniellen Testpuls appliziert. Es werden jeweils 10 durch den Schmerzreiz konditionierte MEP und 10 MEP ohne vorausgehenden Schmerzreiz aufgezeichnet. Nach elektrischer, schmerzhafter Stimulation werden MEP im Thenar und M. biceps brachii gehemmt (Kofler et al. 2001; Kofler et al. 1998). Das Verhältnis der mittleren Amplitude der konditionierten MEP zu den nicht konditionierten MEP spiegelt das Ausmaß der afferenten nozizeptiven Hemmung wider. Es wird angenommen, dass dieser hemmende Effekt über ADelta-Fasern vermittelt wird, jedoch werden durch den elektrischen Reiz auch andere afferente Fasertypen erregt und somit ist eine sichere Zuordnung nicht möglich. Im Gegensatz zu den in 7 Abschn. 17.2 besprochenen Protokollen, die allesamt einen nicht schmerzhaften elektrischen Stimulus verwenden, ist bei der schmerzhaften, afferenten Konditonierung bislang nicht sicher geklärt, ob die Modulation der MEP auf kortikaler oder subkortikaler Ebene erfolgt. Schmerzhafte konditionierende Stimuli hemmen die durch TMS und TES ausgelösten MEP gleichermaßen, was für subkortikale Reflexbögen als neurophysiologische Grundlage der afferenten nozizeptiven Hemmung spricht (Kofler et al. 2001).

17.3.2 Aﬀerente Konditionierung durch

mechanische Stimulation 17.3.1 Aﬀerente Konditionierung durch

nozizeptive Stimulation Schmerzhafte Stimuli können die neuronale Erregbarkeit im motorischen System effektiv modulieren (Kofler et al. 1998). Die Applikation eines Schmerzreizes an den Fingern führt zu einer kurzzeitigen Unterdrückung der Muskelaktivität in den Muskeln, die an einer zielgerichteten Greifbewegung beteili-

Technisch aufwendiger und deshalb nicht weit verbreitet sind Protokolle, die mechanische Reize, z. B. Muskeldehnungs- (Day et al. 1991), Vibrations- (Rosenkranz et al. 2003) oder taktile Reize (Terao et al. 1995) zur Konditionierung des transkraniellen Testreizes verwenden. Day et al. (1991) applizierten einen überschwelligen transkraniellen Testreiz über dem linken M1-Handa-

186

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 17 · Afferente Konditionierung

real nach einer maschinell induzierten, raschen Muskeldehnung des rechten M. flexor digitorum profundus. Die Muskeldehnung führte zu einer Bahnung der MEP-Amplitude, wenn der Abstand zwischen Beginn der Muskeldehnung und transkraniellem Testreiz so eingestellt wurde, dass das MEP in die späte Phase des transkortikalen Dehnungsreflexes fällt. Eine kortikale Vermittlung der MEP-Fazilitierung ist somit naheliegend (Day et al. 1991). Durch Applikation eines umschriebenen kurzzeitigen Vibrationsreizes lässt sich der konditionierende Effekt propriozeptiver Afferenzen auf die kortikospinale Erregbarkeit untersuchen (Rosenkranz et al. 2003). Hier wird ein elektromagnetischer, mechanischer Stimulator über dem Zielmuskel platziert und dieser mit einer der Haut aufliegenden rundlichen Platte (Durchmesser: 0,7–2 cm) hochfrequent stimuliert (Vibrationsfrequenz: 80 Hz, Auslenkung: 0,2‒ 0,5 mm). Die Muskelvibration sollte keinen tonischen Vibrationsreflex auslösen, da dieser mit dem Ergebnis der afferenten Konditionierung durch Anstoßen komplexer spinaler Mechanismen interferieren würde. Des Weiteren sollte der Vibrationsreiz von kurzer Dauer (1,5–4 s) sein, um nicht ein subjektives Gefühl einer »Scheinbewegung« bei dem Probanden hervorzurufen. Der Vibrationsreiz aktiviert umschriebene Ia-Spindelafferenzen im stimulierten Muskel und führt zu einer somatotopen Bahnung der MEPAmplituden. Allerdings erfolgt unter physiologischen Bedingungen immer auch eine taktile Stimulation des dem Muskel aufliegenden Hautareals. Die Vibration bewirkt eine sensomotorische Interaktion auf kortikaler Ebene (Rosenkranz et al. 2003). Der Vibrationsstimulus bahnt nur die durch die TMS, nicht aber die durch TES ausgelösten MEP im vibrierten Muskel. Zudem moduliert der Vibrationsstimulus die Erregbarkeit kortikaler inhibitorischer Interneurone (Rosenkranz et al. 2003). Bemerkenswert ist eine ausgeprägte Somatotopie der sensomotorischen Verarbeitung. In dem vibrierten Muskel kommt es zu einer Fazilitierung der kortikomotorischen Erregbarkeit, während in benachbarten Muskeln oder in den Antagonisten keine Veränderungen oder sogar eine zunehmende Hemmung der konditionierten MEP zu beobachten ist.

Eine umschriebene Reizung taktiler Aﬀerenzen (Terao et al. 1995), z. B. der ventralen Fingerkuppe durch einen Luftstoß, führt ebenfalls zu einer somatotopen Bahnung der MEP in angrenzenden Muskeln. Dies legt nahe, dass die bei der umschriebenen Muskelvibration auftretenden Konditionierungseffekte zumindest teilweise durch die gleichzeitige taktile Stimulation der Haut bedingt sind.

17.3.3 Aﬀerente Konditionierung durch

akustische oder visuelle Reize Es bleibt noch zu erwähnen, dass auch auditorische und visuelle Stimuli die kortikospinale Erregbarkeit konditionieren können. Die Interaktion von Hirnstammarealen und dem M1 kann durch Applikation von den Hirnstamm aktivierenden, auditorischen Stimuli untersucht werden. Konditionierende auditorische Stimuli (Lautstärke >80 dB, Dauer >50 ms) führen zu einer Hemmung der durch TMS des M1-induzierten MEP in den kleinen Handmuskeln (Furubayashi et al. 2000). Diese auditorisch induzierte Hemmung der MEP lässt sich auch in proximalen Muskeln nachweisen, die mittels TMS des M1 und dorsal prämotorischen Kortex ausgelöst wurden (Fisher et al. 2004). Es wird derzeit angenommen, dass diese Hemmung durch die Aktivierung inhibitorischer, retikulokortikaler Projektionen vermittelt wird. Diese retikulokortikale Hemmung ermöglicht eine funktionelle Segregation der subkortikal reflexvermittelten motorischen Antworten und der kortikal generierten, willkürlichen motorischen Programme und minimiert eine störende Interferenz dieser beiden Systeme. Eine weitere, bislang noch nicht verbreitete Methode stellt die afferente Konditionierung des motorischen Kortex durch visuelle Reize dar (Entezari-Taher et al. 2000). Eine intermittierende, hochfrequente Photostimulation (50‒60 Hz) führt zu einer Verkürzung der über dem M1 ausgelösten kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period) in den kleinen Handmuskeln (7 Kap. 15).

187

17.4 Fallbeispiel

17.4

Fallbeispiel

Die durch peripher elektrische Reizung ausgelöste aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz im primär motorischen Kortex wird, wie oben beschrieben, durch die cholinerge Neurotransmission beeinﬂusst. Dadurch bietet sich dieses Verfahren an, um bei neuropsychiatrischen Erkrankungen Änderungen in der intrakortikalen, cholinergen Neurotransmission nichtinvasiv zu untersuchen (. Abb. 17.2). So konnte gezeigt

a

b

. Abb. .a–d. Sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (SAI) bei Demenz. a Originalableitungen der sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz in einem Normalprobanden und in einem Patienten mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ. Während der Normalproband eine konsistente Hemmung der MEP durch eine vorangehende N. medianus Stimulation bei ISI von N20–N20+8 ms zeigt, ist die Hemmung der MEP bei dem Alzheimer-Patienten reduziert. b Das Streudiagramm zeigt eine Korrelation zwischen der relativen Zunahme der sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz nach einmaliger Rivastigmingabe und den langfristigen Verbesserungen neuropsychologischer Leistungen bei Patienten mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ unter cholinerger Therapie. Das Ausmaß der akuten Normalisierung der aﬀerenten Hemmung durch Rivastigmin ist ein prädiktiver Marker für das langfristige Ansprechen der Patienten auf eine cholinerge

17

werden, dass bei der Demenz vom Alzheimer-Typ die aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz gegenüber einer gesunden Kontrollgruppe reduziert ist (Di Lazzaro et al. 2002; . Abb. 17.2a). Eine einmalige, orale Gabe von Rivastigmin, das über Hemmung der zentralen Acetylcholinesterase einen cholinergen Eﬀekt entfaltet und zur symptomatischen Behandlung der Demenz angewendet wird, führt zu einer fast vollständigen Normalisierung der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz bei Patienten mit

c

d

Therapie. c Vergleich der sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz (ISI N20+2 bis N20+8 ms) bei Normalpersonen (schwarze Kreise), Patienten mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ (schwarze Quadrate) und Patienten mit frontotemporaler Demenz (leere Kreise). Die Sternchen zeigen signiﬁkante Unterschiede zwischen den Patienten mit AlzheimerDemenz und den anderen beiden Gruppen an. d Scatterplot der individuellen sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz bei Normalprobanden (schwarze Dreiecke), Patienten mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ (schwarze Quadrate) und Patienten mit frontotemporaler Demenz (FTD, schwarze Kreise). Im Gegensatz zu Patienten mit einer Demenz vom AlzheimerTyp zeigen Patienten mit frontotemporaler Demenz eine normale sensomotorische Hemmung kurzer Latenz. (Aus Di Lazzaro et al. 2005a [mit freundlicher Genehmigung der BMJ Publishing Group], 2006)

188

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Kapitel 17 · Afferente Konditionierung

Demenz vom Alzheimer-Typ (Di Lazzaro et al. 2002). Dabei scheint das individuelle Ausmaß der Normalisierung der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung nach einer Einzelgabe von Rivastigmin ein Indikator für das langfristige Ansprechen auf eine cholinerge Therapie zu sein (Di Lazzaro et al. 2005a; . Abb. 17.2b). Die Messung der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz wurde auch bei anderen Demenz-For-

17.5

Bewertung der Verfahren

Standardverfahren (. Tab. 17.1) zur afferenten Konditionierung ist die Gabe eines konditionierenden nichtschmerzhaften elektrischen Stimulus gefolgt von einem überschwelligen transkraniellen Teststimulus. Der Vorteil der elektrischen afferenten Konditionierung ist die einfache Adjustierung und Normierung der Stimulationsstärke. Während bei der Muskeldehnung oder Vibration oder auch beim taktilen Reiz nicht abgeschätzt werden kann, ob und wie viele Afferenzen durch den jeweiligen Reiz jeweils in den verschiedenen Probanden erregt werden, kann beim elektrischen Stimulus anhand der ausgelösten Muskelzuckung oder der sensorischen Schwelle das Ausmass der Afferenzerregung kontrolliert und innerhalb eines Probandenkollektivs normiert werden. Die elektrische Stimulation eines gemischten Nervs resultiert allerdings in einer gleichzeitigen Stimulation verschiedener sensibler Afferenzen. Durch Adjustierung der Stimulationsintensität oder durch anatomisch geschickt gewählte Stimulationsorte (z. B. an den Fingern Stimulation der rein sensiblen Nn. digitales) erlaubt auch die periphere Elektrostimulation eine annähernd selektive Stimulation sensorischer Fasertypen.

16

Literatur

17

Aimonetti JM, Nielsen JB (2001) Changes in Intracortical excitability induced by stimulation of wrist aﬀerents in man. J Physiol 534: 891–902 1Bertolasi L, Priori A, Tinazzi M, Bertasi V et al. (1998) Inhibitory action of forearm ﬂexor muscle aﬀerents on corticospinal outputs to antagonist muscles in humans. J Physiol 511: 947–956 Der Artikel beschreibt erstmals die zentrale sensomotorische reziproke Hemmung. Classen J, Steinfelder B, Liepert J, Stefan K et al. (2000) Cutaneomotor integration in humans is somatotopically organized at various levels of the nervous system and is task dependent. Exp Brain Res 130: 48–59

18 19 20

men untersucht. Passend zu der pathophysiologischen Annahme, dass die frontotemporale Demenz ohne ein cholinerges zentralnervöses Deﬁzit einhergeht, weisen Patienten mit frontotemporaler Demenz im Gegensatz zur Demenz vom Alzheimer-Typ eine normale aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz auf (Di Lazzaro et al. 2006; . Abb. 17.2c und d).

1Chen R, Corwell B, Hallett M (1999) Modulation of motor cortex excitability by median nerve and digit stimulation. Exp Brain Res 129: 77–86 Diese Studie beschreibt erstamls Eigenschaften und funktionelle Bedeutung der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung langer Latenz. Day BL, Riescher H, Struppler A, Rothwell JC et al. (1991) Changes in the response to magnetic and electrical stimulation of the motor cortex following muscle stretch in man. J Physiol 433: 41–57 1Di Lazzaro V, Oliviero A, Proﬁce P, Pennisi MA et al. (2000) Muscarinic receptor blockade has diﬀerential eﬀects on the excitability of intracortical circuits in the human motor cortex. Exp Brain Res 135: 455–461 In dieser Arbeit wird die pharmakologische Beteiligung von Achethylcholin an der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz erstmals beschrieben. Aufgrund dieser Arbeit folgen weitere Studien zur Anwendung der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz bei neuropsychiatrischen Erkrankungen wie dem M. Alzheimer. Di Lazzaro V, Oliviero A, Tonali PA, Marra C et al. (2002) Noninvasive in vivo assessment of cholinergic cortical circuits in AD using transcranial magnetic stimulation. Neurology 59: 392–397 Di Lazzaro V, Oliviero A, Pilato F, Saturno E et al. (2005a) Neurophysiological predictors of long term response to AChE inhibitors in AD patients. J Neurol Neurosurg Psychiatry 76: 1064–1069 Di Lazzaro V, Pilato F, Dileone M, Tonali PA et al. (2005b) Dissociated eﬀects of diazepam and lorazepam on short-latency aﬀerent inhibition. J Physiol 569: 315–323 Di Lazzaro V, Pilato F, Dileone M, Saturno E et al. (2006) In vivo cholinergic circuit evaluation in frontotemporal and Alzheimer dementias. Neurology 66: 1111–1113 Entezari-Taher M, Dean AC (2000) Alteration of motor cortex excitability in response to intermittent photic stimulation. Clin Neurophysiol 111: 1809–1812 Fisher RJ, Sharott A, Kuhn AA, Brown P (2004) Eﬀects of combined cortical and acoustic stimuli on muscle activity. Exp Brain Res 157: 1–9 Furubayashi T, Ugawa Y, Terao Y, Hanajima R et al. (2000) The human hand motor area is transiently suppressed by an unexpected auditory stimulus. Clin Neurophysiol 111: 178–183

Literatur

Kessler KR, Ruge D, Ilic TV, Ziemann U (2005) Short latency afferent inhibition and facilitation in patients with writer’s cramp. Mov Disord 20: 238–242 Kobayashi M, Ng J, Theoret H, Pascual-Leone A (2003) Modulation of intracortical neuronal circuits in human hand motor area by digit stimulation. Exp Brain Res 149: 1–8 Koﬂer M, Glocker FX, Leis AA, Seifert C et al. (1998) Modulation of upper extremity motoneurone excitability following noxious ﬁnger tip stimulation in man: a study with transcranial magnetic stimulation. Neurosci Lett 246: 97–100 Koﬂer M, Fuhr P, Leis AA, Glocker FX et al. (2001) Modulation of upper extremity motor evoked potentials by cutaneous aﬀerents in humans. Clin Neurophysiol 112: 1053–1063 Oliviero A, Leon AM, Holler I, Vila JF et al. (2005) Reduced sensorimotor inhibition in the ipsilesional motor cortex in a patient with chronic stroke of the paramedian thalamus. Clin Neurophysiol 116: 2592–2598 Rosenkranz K, Pesenti A, Paulus W, Tergau F (2003) Focal reduction of intracortical inhibition in the motor cortex by selective proprioceptive stimulation. Exp Brain Res 149: 9– 16 Sailer A, Molnar GF, Cunic DI, Chen R (2002) Eﬀects of peripheral sensory input on cortical inhibition in humans. J Physiol 544: 617–629 Terao Y, Ugawa Y, Uesaka Y, Hanajima R et al. (1995) Input-output organization in the hand area of the human motor cortex. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 97: 375–381 2Tokimura H, Di Lazzaro V, Tokimura Y, Oliviero A et al. (2000) Short latency inhibition of human hand motor cortex by somatosensory input from the hand. J Physiol 523: 503–513 Dieser Artikel erarbeitete die wichtigsten, physiologischen Prinzipien der aﬀerenten sensomotorischen Hemmung kurzer Latenz. Insbesondere wurde gezeigt, dass diese Hemmung im Wesentlichen ein kortikal vermittelter Mechanismus ist. Trompetto C, Buccolieri A, Abbruzzese G (2001) Intracortical inhibitory circuits and sensory input: a study with transcranial magnetic stimulation in humans. Neurosci Lett 297: 17–20 Voller B, St Clair Gibson A, Lomarev M, Kanchana S et al. (2005) Long-latency aﬀerent inhibition during selective ﬁnger movement. J Neurophysiol 94: 1115–1119

189

17

191

18

Zerebrale Konnektivität Tobias Bäumer, Alexander Münchau

18.1

Methodische Überlegungen – 192

18.3.3

18.2

Ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP) – 192

18.3.4 18.3.5

18.2.1 18.2.2 18.2.3 18.2.4

Methodischer Ansatz und Durchführung – 192 Auswertung – 193 Technischer Bedarf – 193 Kommentare – 193

18.4

Beispiele von rTMS-Konditionierungsprotokollen – 198

18.4.1

18.3

Doppelpulsprotokolle – 194

18.4.2

Methodische Ansätze und Durchführung – 199 Fallbeispiel – 200

18.3.1 18.3.2

Vorbemerkungen – 194 Interaktion von frontalen (prämotorischen) Arealen und ipsilateralem M1 – 195

Literatur

– 201

Interhemisphärische Inhibition (IHI) – 196 Interhemisphärische Fazilitierung – 196 Inhibition nach Konditionierung über der hinteren Schädelgrube – 198

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen Überblick über Messprotokolle, mit denen die funktionelle Konnektivität zwischen Hirnarealen mit TMS untersucht werden kann. Hauptaugenmerk wird auf Verfahren zur Untersuchung interhemisphärischer Verbindungen zwischen dem primär motorischen Kortex (M1) und benachbarten motorischen Arealen und korrespondierenden kontralateralen motorischen Regionen sowie intrahemisphärischer Verbindungen zwischen M1 und ipsilateralen prämotorischen/somatosensiblen Arealen gelegt. Des

Weiteren werden Untersuchungen zur Konnektivität zwischen Zerebellum und M1 vorgestellt. Verschiedene Messprotokolle wie die Bestimmung der ipsilateralen Innervationsstille und Konditionierungsverfahren, insbesondere die Einzelpuls-Konditionierung und die Konditionierung mittels rTMS werden erläutert. Die zugehörigen Messprotokolle werden in Hinblick auf ihre wichtigen Einﬂussgrößen besprochen und diese detailliert dargestellt. Es werden Fallbeispiele für eine veränderte Konnektivität bei Patientengruppen gezeigt.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

192

Kapitel 18 · Zerebrale Konnektivität

18.1

Methodische Überlegungen

Die Messprotokolle, die in diesem Kapitel vorgestellt werden, haben zum Ziel, über die Messung der Erregbarkeit in Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnregionen und M1 eine Aussage über die funktionelle Konnektivität zwischen diesen Arealen zu treffen. Wünschenswert wären hierfür prinzipiell Methoden, mit denen es gelänge, selektiv sowohl die interessierende Region als auch M1 zu stimulieren, ohne benachbarte und oft eng verschaltete Areale gleichzeitig zu erregen. Des Weiteren ist anzustreben, Effekte zu erfassen, die über eine möglichst direkte Verschaltung vermittelt werden. Schließlich ist zu fordern, dass beobachtete Effekte ausreichend robust, reproduzierbar und, was Messungen mittels rTMS angeht, auch längere Zeit anhalten. Tatsächlich erfüllen die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Messprotokolle jeweils nicht alle diese Bedingungen. Zum Nachweis der Konnektivität von Arealen mit M1 bieten sich Doppelpulsprotokolle an, bei denen ein Areal mit einem TMS-Puls konditioniert und einige Millisekunden später ein Testpuls über M1 appliziert wird. Sollen Areale untersucht werden, die unmittelbar benachbart sind, (z. B. prämotorischer Kortex und M1), so sind Doppelpulsprotokolle mit den üblichen TMS-Spulen angesichts der geringen Distanz der Areale nicht durchführbar. Es müssen daher speziell angefertigte kleine Spulen verwendet werden. Problemlos lassen sich Doppelpulsprotokolle jedoch für die Untersuchung von weiter entfernten Arealen realisieren. Dies gilt z. B. für Untersuchungen interhemisphärischer Interaktionen. Allerdings erlauben auch hier kleinere Spulen eine fokalere Stimulation als die in der »Routine« üblichen achtförmigen Spulen mit einem Durchmesser der Spulenringe von 90 mm. Das Problem der räumlichen Nähe der Zielareale kann durch die zeitliche Trennung von Konditionierung und Erregbarkeitsmessung zumindest teilweise umgangen werden. Hierzu eignen sich rTMS-Protokolle, bei denen das zu konditionierende Areal mit einer Serie von TMS-Pulsen stimuliert wird. Vor und nach der Konditionierung werden Messungen der M1Erregbarkeit durchgeführt. Der Vorteil dieser OfflineMethode (7 Kap. 31) liegt darin, dass sich ein gewisses Zeitfenster nach der rTMS-Konditionierung ergibt, in dem etwaige induzierte Effekte erfasst werden können (Messungen z. B. der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und der intrakortikalen Fazilitierung (SICI und ICF) oder der afferenten sensomotorischen Inhibition kurzer Latenz (SAI) (7 Kap. 16 und 17). Bei der Offline-Methode ist jedoch der Nachweis einer direkten Konnektivität durch die

zeitliche Trennung von Konditionierung und Messung ungewisser als bei den o. g. Doppelpulsprotokollen, die die Konnektivität durch Applikation eines konditionierenden TMS-Pulses über einem Areal und Applikation des Testpulses wenige Millisekunden später über M1 bestimmen. Bei den o. g. Methoden ist die Messgröße jeweils die MEP-Amplitude, ausgelöst durch den über M1 applizierten TMS-Testpuls. Eine andere Methode nutzt eine ipsilateral zu einem TMS-Puls verursachte Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP). Diese unterscheidet sich hinsichtlich Physiologie und Interpretation von der kontralateralen kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) und bietet einen Ansatz zur Erfassung interhemisphärischer Inhibition.

18.2

Ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP)

Um den inhibitorischen Einfluss von M1 auf den kontralateralen M1 zu erfassen, steht als ein methodisch einfaches Verfahren die Bestimmung der ipsilateralen Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP) zur Verfügung (Meyer et al. 1995). Untersucht wird die Suppression einer tonischen Muskelaktivierung ipsilateral zu einem über dem M1 applizierten deutlich überschwelligen fokalen TMS-Puls. Es gibt gute Evidenz dafür, dass diese Suppression durch einen transkallosalen Effekt des TMS-Pulses auf den nicht-stimulierten gegenseitigen willkürmotorisch aktiven M1 zustande kommt (Meyer et al. 1995). Hierdurch wird eine im Vergleich zur CSP deutlich kürzere und später auftretende (zusätzliche Latenz für den interhemisphärischen Transfer) Unterbrechung der willkürmotorischen Aktivität im gegenseitigen kortikospinalen System ausgelöst. Dauer der iSP und das Ausmaß der EMG-Suppression während der iSP gelten als Maße für die Stärke der interhemisphärischen Inhibition. In einer Studie, in der über eine Tiefenhirnstimulationselektrode die Capsula interna stimuliert wurde, konnte ebenfalls eine iSP ausgelöst werden, so dass anzunehmen ist, dass die iSP zumindest teilweise auch durch eine nicht transkallosal, sondern ipsilateral vermittelte Hemmung zustande kommt (Compta et al. 2006).

18.2.1 Methodischer Ansatz und

Durchführung Der methodische Aufbau ist bis auf den ipsilateralen Zielmuskel identisch mit dem der Bestimmung der

193

18.2 Ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP)

a

b

CSP (7 Kap. 15). Die Stimulusintensität sollte deutlich überschwellig liegen (150 der Reizschwelle in Ruhe), um eine iSP auszulösen. Der Zielmuskel sollte maximal tonisch aktiviert werden. Während die CSP beim Gesunden für jeden einzelnen Durchgang eindeutig vom Stimulusartefakt oder dem Beginn des MEP bis zum Wiederauftreten der kontinuierlichen EMGAktivität zu bestimmen ist (7 Kap. 15), ist die iSP deutlich geringer ausgeprägt. Daher ist eine Mittelung von ca. 20 Durchgängen erforderlich (. Abb. 18.1). Hierbei empfiehlt sich vor Mittelung eine Gleichrichtung (Rektifizierung) der EMG-Daten.

18.2.2 Auswertung Ausgewertet werden die Latenz vom TMS-Puls bis zum Beginn der iSP, die Dauer der iSP und das Ausmaß der Suppression der EMG-Aktivität. Die Dauer der iSP wird aus den gleichgerichteten und gemittelten Daten zu den Zeitpunkten festgelegt, an dem die gemittelte EMG-Aktivität 20 der mittleren EMGAktivität vor dem TMS-Puls unter und zum Ende wieder übersteigt. Das Ausmaß der EMG-Suppression wird aus der mittleren Amplitude während der iSP im Verhältnis zur EMG-Aktivität vor dem TMSPuls bestimmt. Des Weiteren kann die Differenz des

18

. Abb. .a,b. Kontralaterale kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period) (a) und ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period) (b), jeweils abgeleitet vom tonisch vorgespannten rechten M. interosseus dorsalis manus I (IOD 1) nach fokaler TMS des Handareals des linken primären Motorkortex (a), bzw. rechten primären Motorkortex (b). a Obere Spur: gemitteltes EMG aus 10 Durchgängen, Zeitpunkt des TMS-Pulses markiert (Pfeil nach unten), dem MEP und der markierten MEP-Amplitude (AMP); untere Spur: gleichgerichtete Ableitung mit der markierten Dauer der kontralateralen Innervationsstille (SP) gemessen vom Anfang des MEP bis zum Wiederauftreten willkürlicher EMG-Aktivität. b Aus 10 Durchgängen gleichgerichtetes und gemitteltes EMG. Markiert sind der TMSPuls (Pfeil) und die Dauer der ipsilateralen Innervationsstille (iSP). (Mod. nach Meyer 2002)

Beginns der iSP und des MEP nach Stimulation des kontralateralen Motorkortex zum gleichen Zielmuskel während tonischer willkürmotorischer Aktivierung ermittelt werden. Diese Latenzdifferenz gilt als Maß der transkallosalen Leitungszeit. Normative Daten zur ipsilateralen Innervationsstille und der transkallosalen Leitungszeit sind in . Tab. 18.1 zusammengestellt.

18.2.3 Technischer Bedarf 5 Magnetstimulator und eine achtförmige Spule, 5 Rundspulen eignen sich nicht, da es auf eine fokale, d. h. sicher unilaterale Stimulation des M1 ipsilateral zum Zielmuskel ankommt, 5 Möglichkeit zum Gleichrichten und zur Mittelung der EMG-Daten.

18.2.4 Kommentare 5 Geringer technischer Aufwand, 5 auch in kleinen Gruppen von Probanden/Patienten sinnhaft anzuwendendes Messprotokoll, 5 durch hohe Stimulusintensitäten geringe räumliche Trennschärfe.

194

1

Kapitel 18 · Zerebrale Konnektivität

. Tab. .. Normative Daten zur ipsilateralen Innervationsstille (iSP) und transkallosalen Leitungszeit Mittelwert

Standardabweichung

iSP-Beginn

36,2 ms

3,3 ms

3

Ausmaß der EMG-Suppression während der iSP

68%

10%

iSP-Dauer

26 ms

4 ms

4

Transkallosale Leitungszeit

10,2–20,0 ms

–

2

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Normwerte nach Meyer et al. (2002).

18.3

Doppelpulsprotokolle

18.3.1 Vorbemerkungen Um funktionelle Konnektivität zwischen unterschiedlichen Hirnarealen und M1 mit hoher zeitlicher Auflösung zu untersuchen, eignen sich Doppelpulsprotokolle. Es können sowohl inhibitorische als auch fazilitierende Interaktionen untersucht werden.

Methodische Ansätze und Durchführung Allen Messprotokollen ist gemein, dass ein konditionierender TMS-Puls über einem Hirnareal vor einem zweiten (Test-) TMS-Puls über M1 appliziert wird. Die Intensität des Testpulses wird so gewählt, dass im korrespondierenden Zielmuskel (üblicherweise ein Muskel der kontralateralen Hand) ein MEP ausgelöst wird. Wenn in Entspannung untersucht wird, sollte die mittlere Amplitude des Test-MEP zwischen 0,5‒1 mV liegen. Dies lässt sich zumeist mit einer Testpuls-Intensität von 120 der Reizschwelle in Ruhe realisieren. Die Intensität und die Flussrichtung des konditionierenden Pulses unterscheiden sich in den verschiedenen Messprotokollen und werden dort im Detail besprochen. Die verwendeten Interstimulusintervalle (ISI) zwischen konditionierendem und Testpuls sollten ISI einschließen, die der vermuteten Leitungszeit zwischen den untersuchten Arealen entsprechen. Zum Beispiel empfehlen sich für interhemisphärische Untersuchungen ISI, die um die transkallosale Leitungszeit (ca. 7 ms; Ferbert et al. 1992) angesiedelt sind, z. B. ISI zwischen 3 und 15 ms.

marken an der Hirnoberfläche orientieren. Alternativ können Zielgebiete auf der Grundlage vorangegangener Aktivierungsstudien individuell angesteuert werden. Der methodische Aufwand hierfür ist hoch, ermöglicht jedoch ein genaues Auffinden der Zielregionen des individuellen Gehirns. Stehen keine Neuronavigationssysteme zur Verfügung, lassen sich einige Areale verhältnismäßig treffsicher aufsuchen, indem man die TMS-Spule in definierten Distanzen ausgehend von M1 platziert. Dies ist einigermaßen zuverlässig für den dorsalen prämotorischen Kortex (dPM) und den primären somatosensorischen Kortex möglich, da diese Areale direkt vor bzw. hinter dem M1-Areal lokalisiert sind. Neben der Großhirnrinde ist auch eine Konditionierung des Hirnstamms und des Kleinhirns möglich. Allerdings sind hierzu meist hohe Reizintensitäten erforderlich. Nicht bei allen Probanden gelingen diese Protokolle.

Platzieren der Spulen Die Doppelpulsprotokolle sollten von 2 Untersuchern durchgeführt werden, da das akkurate Platzieren und Halten der Spulen durch einen Experimentator nicht ausreichend zuverlässig möglich ist. Durch die Verwendung eines Rahmens, in dem der Proband/Patient sitzt und an dem die Spulen in ihrer Position relativ zum Kopf fixiert werden können, werden die Untersuchungen erleichtert und die Genauigkeit erhöht. Rahmen und Spulenhalter lassen sich selbst anfertigen (z. B. aus Halterahmen und Klemmen aus der Fototechnik), werden aber auch kommerziell vertrieben (z. B. von Anbietern der Neuronavigationssysteme).

Auﬃnden der Stimulationsorte M1 wird wie in 7 Kap. 6 beschrieben aufgesucht. Zum Auffinden der zu konditionierenden Areale gibt es unterschiedliche Ansätze. Handelt es sich um den kontralateralen M1, so gelten gleiche Regeln. Außerhalb von M1 empfehlen sich Neuronavigationssysteme (7 Kap. 32). Beim Auffinden der Zielareale kann man sich im strukturellen MRT an anatomischen Land-

Auswertung Die MEP-Amplituden werden für jeden einzelnen Durchgang von Gipfel zu Gipfel ausgemessen. Für alle unkonditionierten Test-MEP und die mit unterschiedlichen ISI konditionierten MEP werden jeweils die MEP-Amplituden für jeden einzelnen Probanden gemittelt. Der Quotient aus gemittelten kondi-

18.3 Doppelpulsprotokolle

195

18

tionierten MEP-Amplituden und gemittelten TestMEP-Amplituden gilt als Maß des Konditionierungseffektes.

Technischer Bedarf 5 Zwei Magnetstimulatoren, 5 zwei (fokale) TMS-Spulen, 5 Steuereinheit zur Applikation von TTL-Pulsen an den externen Triggereingang der Magnetstimulatoren in randomisierter Folge, 5 idealerweise Neuronavigationssystem.

18.3.2 Interaktion von frontalen

(prämotorischen) Arealen und ipsilateralem M1 Civardi et al. (2001) konnten zeigen, dass sich von der Intensität des konditionierenden Pulses, der Lokalisation, der Stromflussrichtung und dem ISI abhängige Effekte eines konditionierenden Pulses über prämotorisch Arealen auf die Test-MEP-Amplitude, ausgelöst im ipsilateralen M1, erzeugen lassen. Als Haupteffekt fand sich bei einem in anterior-posteriorer (a.-p.) Flussrichtung (Richtung des induzierten Stroms im Gehirn) applizierten konditionierenden Puls mit einer Intensität von 90 der aktiven motorischen Reizschwelle (AMT) über einem Areal 6 cm anterior und 6 cm lateral des Vertex ein inhibitorischer konditionierender Effekt bei einem ISI von 6 ms. Unter ansonsten gleichen Bedingungen fand sich bei einer Intensität von 120 AMT eine Fazilitierung. Dieses Doppelpulsprotokoll eignet sich somit zur Untersuchung von Interaktionen von frontalen/prämotorischen Arealen und dem ipsilateralen M1.

Besonderheiten bei der Durchführung Die TMS-Pulse müssen topographisch sehr nahe beieinander appliziert werden, daher ist eine Untersuchung mit den üblichen achtförmigen Spulen mit einem Durchmesser von z. B. 90 mm nicht möglich. Es werden spezielle kleinere Doppelspulen benötigt. In der Originalarbeit von Civardi et al. (2001) wurden Spulen mit einem inneren Durchmesser von 40 mm verwendet. Entsprechend des experimentellen Aufbaus von Civardi et al. (2001) wird die Test-Spule über dem Handareal des linken M1 platziert. Die konditionierende Spule wird, vom Vertex aus gesehen, 6 cm vor diesem und im rechten Winkel um 6 cm nach lateral links versetzt aufgesetzt (. Abb. 18.2). Orientiert man sich von M1 aus, entspricht dies etwa einem Punkt 5 cm anterior auf einer zur Mittelinie parallelen 1 cm nach lateral versetzen Linie. Werden Spulen mit

. Abb. .. Doppelpulsprotokoll zur Messung funktioneller Konnektivität zwischen prämotorischen Arealen und ipsilateralem M1. Im oberen Teil sind die Punkte markiert über denen der Testpuls (hot spot, Handareal M1) und die konditionierenden Pulse appliziert wurden. Die Rastergröße entspricht 1 cm, die Abstandsangaben (cm) beziehen sich auf den Vertex (Cz). Schwarz hervorgehoben ist der Punkt über dem dorsalen prämotorischen Kortex (5 cm anterior und 1 cm lateral des M1-Handareals), von dem aus konditionierende TMSPulse die MEP-Amplitude, ausgelöst durch den Testpuls, am eﬀektivsten modulieren. Verwendet werden zwei fokale besonders kleine (Innendurchmesser der Spulenringe 40 mm) achtförmige Magnetspulen. Die konditionierende Spule (Griﬀ zeigt nach anterior) induziert im Gehirn einen von anterior nach posterior gerichteten Strom, die Testspule (Griﬀ zeigt nach posterior) einen von posterior nach anterior gerichteten Strom. (Mod. nach Civardi et al. 2001; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

Handgriffen in der gleichen Ebene wie die Spulen und normale Stimulatoren verwendet, so ist die Stimulation nur mit im Gehirn posterior-anterior (p.-a.) gerichteten Flüssen für den Testpuls und AP für den konditionierenden Puls zu realisieren. Verwendet man stempelförmige Spulen (engl. branding iron coil) mit dem Griff senkrecht zu den Spulen, können AP und PA Flussrichtungen frei variiert werden. Die Konditionierungsintensität beträgt in dem Protokoll nach Civardi et al. (2001) 90 bzw. 120 der AMT über einem ipsilateralen prämotorischen Areal. Die o. g. Effekte treten bei einem ISI von 6 ms auf.

196

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 18 · Zerebrale Konnektivität

18.3.3 Interhemisphärische Inhibition (IHI) Ein robustes Konditionierungsprotokoll zur Messung der interhemisphärischen Inhibition (IHI) wurde von Ferbert et al. (1992) entwickelt. Hierbei führt ein konditionierender Puls über dem M1 einer Hemisphäre zu einer Inhibition des M1 der anderen Hemisphäre, die sich in einer Amplitudenabnahme des Test-MEP widerspiegelt (Ableitung von einem kontralateral zum Test-Puls bzw. ipsilateral zum konditionierenden Puls gelegenen Handmuskel). Diese Inhibition lässt sich im entspannten oder im voraktivierten Zielmuskel mit leicht überschwelligen konditionierenden Pulsen von 110 der motorischen Reizschwelle in Ruhe (RMT) bei ISI von 6 ms bis ca. 12 ms erzeugen (Ferbert et al. 1992). Werden höhere Intensitäten des konditionierenden Pulses (125 RMT) verwendet, lässt sich der kontralaterale M1 bis zu 50 ms nach Konditionierung hemmen (Chen et al. 2003). Bei hohen Test-MEP-Amplituden um 2 mV ist die IHI schwächer ausgeprägt als bei den üblichen MEP-Amplituden zwischen 0,5 und 1 mV.

Besonderheiten bei der Durchführung Die konditionierende und Test-Spule werden über M1 der konditionierenden und Test-Hemisphäre platziert. Um eine robuste IHI zu erzeugen, sollte die Intensität des konditionierenden Pulses deutlich über der motorischen Reizschwelle in Ruhe liegen (z. B. 120 RMT). Die Intensität des Testpulses über dem kontralateralen M1 wird so gewählt, dass die Amplitude des MEP im entspannten Zielmuskel bei 0,5‒1 mV liegt. Dies wird i.d.R. ebenfalls mit Intensitäten von 120 RMT erreicht (. Abb. 18.3a). Eine IHI lässt sich so bei ISI von ca. 6‒50 ms auslösen (Chen et al. 2003). Wird mit größeren achtförmigen Spulen untersucht, so empfiehlt es sich, den Testpuls mit einer induzierten Stromflussrichtung von posterior nach anterior über M1 zu applizieren und die Spule für den konditionierenden Puls zu drehen, so dass die resultierende Flussrichtung des konditionierenden Pulses nach medial gerichtet ist (Spulengriff zeigt dann nach lateral), da sich ansonsten die Spulen in der Mittellinie behindern würden. Da Chen et al. (2003) belegen konnten, dass die Flussrichtung des konditionierenden Pulses zumindest bei hohen Reizstärken keinen relevanten Einfluss auf die interhemisphärische Inhibition hat, ist eine Spulenorientierung mit nach medial gerichtetem Stromfluss unproblematisch. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, die Spulen bei allen Probanden bzw. Patienten gleich anzuordnen. Der fehlende Einfluss der Stromflussrichtung des konditionierenden Pulses auf die IHI gilt nur für

höhere Reizintensitäten. Bei niedrigen Intensitäten sind die Effekte variabel. Es gibt Belege dafür, dass ein nach medial gerichteter Stromfluss des konditionierenden Pulses mit Intensitäten von 90 RMT zu IHI führt, wenn der dorsale prämotorische Kortex (dPM), nicht jedoch wenn M1 konditioniert wird. Andererseits führt ein von posterior nach anterior gerichteter Stromfluss mit einer niedrigen Intensität zu einer IHI bei Konditionierung von M1, nicht aber von dPM (Mochizuki et al. 2004; Bäumer et al. 2007b).

18.3.4 Interhemisphärische Fazilitierung Mit Doppelpulsprotokollen kann auch eine interhemisphärische Fazilitierung (IHF) erzeugt werden, diese ist allerdings deutlich weniger robust und variabler als die IHI (Ferbert et al. 1992; Hanajima et al. 2001; Bäumer et al. 2006). Mit zwei TMS-Protokollen wurde IHF im motorischen System dargestellt. Dieses Phänomen lässt sich nur unter bestimmten Konditionierungsbedingungen auslösen. Hanajima et al. (2001) beschreiben IHF in einem tonisch aktivierten Zielmuskel bei ISI von 4‒ 5 ms nach einer Konditionierung von M1. In einer eigenen Arbeit (Bäumer et al. 2006) ließ sich IHF im entspannten Zielmuskel zwischen dPM und kontralateralem M1 und zwischen M1 und M1 mit jeweils unterschiedlichen Stimulationsparametern auslösen. Für beide Protokolle gilt, dass schon geringe Änderungen der Stimulationsparameter (Flussrichtungen, Intensitäten, ISI) die Effekte abschwächen oder aufheben.

IHF im voraktivierten Zielmuskel In dem Paradigma, das Hanajima et al. (2001) entwickelten, wurde der rechte M1 konditioniert. Bei Verwendung eines konditionierenden Pulses mit einer resultierenden medialen Flussrichtung und einer Intensität von 105 bzw. 110 AMT über M1, gefolgt von einem Testpuls, der einen posterior gerichteten Strom erzeugte, trat bei ISI von 4‒5 ms eine Fazilitierung des Test-MEP auf. Bei keiner anderen der getesteten Bedingungen (Stromflussrichtung durch den Testpuls anterior, lateral, medial) konnte bei einem ISI von 4 ms eine Fazilitierung hervorgerufen werden.

Besonderheiten bei der Durchführung Um den beschriebenen IHF-Effekt zu erzielen, wird über dem rechten M1 ein konditionierender Puls mit 105 der jeweiligen AMT in medialer Flussrichtung appliziert. Die ISI sollten, will man nur die IHF untersuchen, zwischen 4‒5 ms gewählt werden. Der Test-

18.3 Doppelpulsprotokolle

197

18

a

b

c

. Abb. .a–c. Doppelpulsprotokolle zur Messung interhemisphärischer Inhibition (IHI) und interhemisphärischer Fazilitierung (IHF). Dargestellt sind links die Positionen der Spulen. Es wurden kleine achtförmige 70 mm stempelförmige Spulen verwendet. Über dem Handareal des rechten primären motorischen Kortex (M1) wird der Testpuls verabreicht (schwarze Reizspulen in a–c). Der konditionierende Puls (weiße Reizspulen in a–c) induziert immer einen posterior-anterior (p.-a.) gerichteten Stromﬂuss im Gehirn. Pfeile auf den Spulen kennzeichnen die Richtung des induzierten Stromﬂusses im Gehirn. Das Interstimulusintervall in a–c beträgt 8 ms. Rechts sind gemittelte MEP (10 Durchläufe) dargestellt, abgeleitet vom linken M. Interosseus dorsalis manus I eines repräsentativen Probanden für die jeweilige Bedingung. Die jeweils obe-

re Spur zeigt die gemittelten MEP nach einem Testpuls (TP), die jeweils untere Spur die gemittelten MEP nach einer Konditionierung (KP) des TP. a IHI vom linken M1 zum rechten M1 bei posterior-anterior induziertem Stromﬂuss des Testpulses und einer leicht überschwelligen Intensität des konditionierenden Pulses von 120% der aktiven motorischen Reizschwelle (AMT). b IHF vom linken M1 zum rechten M1 bei anterior-posterior induziertem Stromﬂuss des Testpulses und einer Intensität des konditionierenden Pulses von 80% AMT. c IHF vom linken dorsalen prämotorischen Kortex (dPM) zum rechten M1 bei posterior-anterior gerichtetem Stromﬂuss des Testpulses und einer Intensität des konditionierenden Pulses von 80% AMT

puls wird über dem kontralateralen M1 so verabreicht, dass ein posterior gerichteter Stromfluss im Gehirn erzeugt wird. Die Intensität des Testpulses wird so gewählt, dass in dem mit 5‒10 der Maximalkraft vorinnervierten kleinen Handmuskel (verwendet wurde der M. interosseus dorsalis manus I) ein MEP von 0,2‒0,4 mV abgeleitet wird.

80 AMT mit in anterior resultierenden Stromflüssen über dem dPM und M1 eine IHF in Abhängigkeit von der resultierenden Stromflussrichtung des Testpulses darstellen. Nach Konditionierung des M1 trat eine IHF bei einem ISI von 8 ms auf, wenn das Test-MEP durch einen posterior gerichteten Stromfluss ausgelöst wurde. Demgegenüber ließen sich fazilitierende Effekte nach Konditionierung des dPM nur dann erzielen, wenn das Test-MEP durch einen posterior-anterior gerichteten Stromfluss ausgelöst wurde. Unter Voraktivierung trat in Analogie zur Arbeit von Hanajima (2001) bei Konditionierung von M1 eine IHF nur bei einem ISI von 8 ms und einem Test-

IHF im ruhenden Zielmuskel Im entspannten Zielmuskel lässt sich IHF sowohl vom linken dPM als auch vom linken M1 zum rechten M1 induzieren (. Abb. 18.3b–c). Wir konnten bei Applikation unterschwelliger konditionierender Pulse von

198

Kapitel 18 · Zerebrale Konnektivität

1

puls mit anterior-posterior gerichteten Stromfluss auf (Bäumer et al. 2006).

2

Besonderheiten der Durchführung

3 4 5

Zur Erzeugung der oben angeführten gewünschten Stromflüsse müssen die Spulen in einem Winkel von 45° zur Mittellinie positioniert werden. Dies ist nur mit kleinen Spulen möglich. Am praktischsten sind kleine Stempelspulen mit einem Durchmesser von 55 mm. Diese Spulen lassen sich besonders gut in einem Halterahmen befestigen. Die Intensität der konditionierenden Pulse wird in Bezug auf die aktiven motorischen Reizschwellen bei 60 bzw. 80 AMT gewählt.

6 7 8 9 10 11 12 13 14

12 Punkten ipsilateral zur Zielhand in einem 3×4 Gitter mit je 2 cm Abstand zwischen Inion und Inzisura mastoidea und 2 cm darunter und 4 cm darüber ermittelt. Die Intensität des konditionierenden Pulses betrug 95 der AMT, gemessen über dem Inion. Dies ist absolut gesehen in der Regel eine recht hohe Intensität. Die Stromflussrichtung im Hirn sollte aufwärts gerichtet sein. In anderer Richtung fand sich keine Inhibition. Die Testpulse werden über dem zur konditionierenden Reizung kontralateralen M1 appliziert.

18.4

Beispiele von rTMSKonditionierungsprotokollen

18.3.5 Inhibition nach Konditionierung

über der hinteren Schädelgrube Ugawa et al. (1995) beschreiben nach einer TMS-Konditionierung über der hinteren Schädelgrube ipsilateral zur Seite des Zielmuskels eine Suppression eines Test-MEP, ausgelöst über dem kontralateralen M1 bei ISI von 5‒8 ms. Vermutlich wird der Effekt des konditionierenden Pulses über Aktivierung von PurkinjeZellen im Zerebellum mit ihrem inhibitorischen Ausgang auf die zerebello-dentato-thalamo-kortikale Projektion vermittelt.

Besonderheiten der Durchführung Die Untersuchung wurde mit einer speziellen achtförmigen Spule mit zueinander geneigten Einzelspulen durchgeführt. Die Bauart dieser Spulen mit großen Windungen ist erforderlich, um eine Stimulation in der Tiefe zu erreichen. Eine Stimulation unter diesen Bedingungen ist wenig fokal. Die optimale Stelle der Konditionierung wurde bei jedem Probanden aus

Ziel von Konditionierungsprotokollen mittels rTMS ist es, zeitlich begrenzte Veränderungen der Erregbarkeit des stimulierten Kortex oder mit dem stimulierten Kortex funktionell verbundener Areale zu induzieren und nachfolgend über Messungen der Erregbarkeit in M1 die entsprechenden kortikalen Netzwerke zu charakterisieren. Wohl am besten mittels rTMS untersucht sind Verbindungen zwischen dem dPM und M1. Auf die hierzu verwendeten Protokolle sowie Untersuchungen zur Konnektivität zwischen dem primären somatosensorischen Kortex und M1 wird im Folgenden eingegangen. Mit verschiedenen rTMS-Protokollen konnte gezeigt werden, dass es in Abhängigkeit von der Intensität, der Frequenz und der Stromflussrichtung durch rTMS über dem dPM zu unterschiedlichen Änderungen der Erregbarkeit in M1 kommt (. Tab. 18.2). Bei einer Intensität von 90 AMT und 900 Pulsen mit einer Frequenz von 1 Hz lässt sich durch rTMS

15 16

. Tab. .. Eﬀekte von rTMS über dem dorsalen prämotorischen Kortex auf die Erregbarkeit des ipsilateralen primären motorischen Kortex

17

Frequenz

Intensität

MEPAmplitude

Intrakortikale Erregbarkeit

Autoren

18

Induzierte StromﬂussRichtung

1 Hz

90% AMT

p.-a.

Vermindert

Unverändert

19

(Gerschlager et al. 2001; Münchau et al. 2002)

1 Hz

80% AMT

p.-a.

Unverändert

Gesteigert

(Münchau et al. 2002; Bäumer et al. 2003; Rizzo et al. 2004)

5 Hz

80% AMT

a.-p.

Gesteigert

Vermindert

(Rizzo et al. 2004)

20

AMT Aktive motorische Reizschwelle, p.-a. posterior-anterior, a.-p. anterior-posterior.

199

18.4 Beispiele von rTMS-Konditionierungsprotokollen

des dPM eine Suppression der MEP-Amplituden bis zu 15 min nach der Stimulation erzielen (Gerschlager et al. 2001). Dieser Effekt ist robuster, wenn rTMS in anterior-posteriorer Richtung appliziert wird (Rizzo et al. 2004). Demgegenüber führt 5-Hz-rTMS über dem dPM zu einer Zunahme der MEP-Amplituden (Rizzo et al. 2004). Wird der dPM mit einer Intensität von 80 AMT und einer Frequenz von 1 Hz (1.200 Pulse) konditioniert, kommt es zu einer Zunahme der Erregbarkeit von M1, wenn diese mittels Doppelpulsprotokollen zur Bestimmung von intrakortikaler Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. shortinterval intracortical inhibition, SICI) und intrakortikaler Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16) bei ISI von 6‒7 ms gemessen wird (konditionierender Puls 80 AMT) (Kujirai et al. 1993; Münchau et al. 2002). Andererseits führt eine 5-Hz-rTMS des dPM mit ansonsten gleichen Parametern zu einer Abnahme der Erregbarkeit bei einem ISI von 7 ms (Rizzo et al. 2004).

18

18.4.1 Methodische Ansätze und

Durchführung Allen Protokollen ist gemein, dass rTMS-Effekte durch Messungen der M1-Erregbarkeit vor und nach rTMS-Applikation bestimmt werden. In den Studien zu Konditionierung des dPM orientiert man sich bez. der Intensität der rTMS an den über M1 gemessenen motorischen Reizschwellen. Bei Verwendung üblicher biphasischer rTMS-Pulse ist zu beachten, dass die zweite Phase als die für die biologische Wirkung entscheidende angesehen werden kann (Kammer et al. 2001). Dies ist in Hinblick auf flussrichtungsabhängige Effekte zu bedenken. Was die Lokalisation des Zielpunktes angeht, gilt Gleiches wie unter 7 Abschn. »Auffinden der Stimulationsorte« angeführt. Grundsätzlich sollten alle Messwerte, auf die der Einfluss der rTMS getestet wird, vor und nach rTMS, mit identischem Messprotokoll durchgeführt werden. Da z. B. bei der Messung der SICI und ICF die motorischen Reizschwellen Bezugspunkt bei der Festlegung der Intensität des konditionierenden Pulses sind, sich die Schwellen jedoch durch die rTMS-Intervention ändern können, sollten die Schwellen nach der rTMS erneut bestimmt werden. In den meisten Arbeiten wurde eine Dauer der rTMS-Effekte auf die M1-Erregbarkeit von etwa 15‒ 30 min beobachtet. Somit sollten Messungen nach rTMS möglichst nicht länger als 15 min in Anspruch nehmen.

200

1 2 3 4 5

Kapitel 18 · Zerebrale Konnektivität

18.4.2 Fallbeispiel Eine Studie zur Untersuchung der Eﬀekte von 1-HzrTMS mit einer Intensität von 90 RMT über dem primären somatosensorischen Kortex auf die aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (engl. shortlatency aﬀerent inhibition, SAI; 7 Kap. 17) ergab, dass eine Modulation der SAI unter bestimmten Bedin-

a

gungen bei Patienten mit Schreibkrampf, nicht jedoch bei gesunden Probanden, möglich ist (Bäumer et al. 2007a; . Abb. 18.4). Dies könnte darauf hinweisen, dass die Patienten eine erhöhte Suszeptibilität gegenüber Plastizität-induzierenden Protokollen aufweisen, die ursächlich sein könnte für die abnorme (maladaptive) Reorganisation des somatosensorischen Kortex bei Schreibkrampfpatienten.

b

6 7 8 9 10

c

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .a-c. Aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (SAI) nach Konditionierung mit 1.200 Pulsen einer 1-Hz-rTMS (Intensität 90% der motorischen Reizschwelle in Ruhe) (rTMS) über dem primären somatosensorischen Kortex (S1) (a) oder dem primären motorischen Kortex (M1) (c) bei Patienten mit Schreibkrampf und über dem primären somatosensorischen Kortex (S1) bei gesunden Kontroll-Pro-

banden (b). Die SAI nimmt bei den Patienten, nicht aber bei den Gesunden, nach Konditionierung über dem somatosensorischen Kortex ab. Gestrichelte Linie auf 100% normalisierte mittlere unkonditionierte Testamplituden (MEP); Fehlerbalken Standardfehler des Mittelwertes; ISI interstimulusintervall; Stern p<0,05

Literatur

Literatur Bäumer T, Lange R, Liepert J et al. (2003) Repeated premotor rTMS leads to cumulative plastic changes of motor cortex excitability in humans. Neuroimage 20: 550–560 Bäumer T, Bock F, Koch G et al. (2006) Magnetic stimulation of human premotor or motor cortex produces interhemispheric facilitation through distinct pathways. J Physiol 572: 857–868 Bäumer T, Demiralay C, Hidding U et al. (2007a) Abnormal plasticity of the sensorimotor cortex to slow repetitive transcranial magnetic stimulation in patients with writer’s cramp. Mov Disord 22: 81–90 Bäumer T, Dammann E, Bock F et al. (2007b) Laterality of interhemispheric inhibition depends on handedness. Exp Brain Res 180: 195–203 1Chen R, Yung D, Li JY (2003) Organization of ipsilateral excitatory and inhibitory pathways in the human motor cortex. J Neurophysiol 89: 1256–1264 Die Arbeit gibt eine gute Übersicht über verschiedene Methoden und mögliche Einﬂussgrößen. Civardi C, Cantello R, Asselman P, Rothwell JC (2001) Transcranial magnetic stimulation can be used to test connections to primary motor areas from frontal and medial cortex in humans. Neuroimage 14: 1444–1453 Compta Y, Valls-Solé J, Valldeoriola F et al. (2006) The silent period of the thenar muscles to contralateral and ipsilateral deep brain stimulation. Clin Neurophysiol 117: 2512– 2520 2Ferbert A, Priori A, Rothwell JC et al. (1992) Interhemispheric inhibition of the human motor cortex. J Physiol 453: 525–546 Grundlagenarbeit zur interhemisphärischen Inhibition beim Menschen. Gerschlager W, Siebner HR, Rothwell JC (2001) Decreased corticospinal excitability after subthreshold 1 Hz rTMS over lateral premotor cortex. Neurology 57: 449–455 Hanajima R, Ugawa Y, Machii K et al. (2001) Interhemispheric facilitation of the hand motor area in humans. J Physiol 531: 849–859 Kammer T, Beck S, Thielscher A, Laubis-Herrmann U, Topka H (2001) Motor thresholds in humans: a transcranial magnetic stimulation study comparing diﬀerent pulse waveforms, current directions and stimulator types. Clin Neurophysiol 112: 250–258 Kujirai T, Caramia MD, Rothwell JC et al. (1993) Corticocortical inhibition in human motor cortex. J Physiol 471: 501–519 Meyer BU (2002) Callosal ﬁbre function. In: Pascual-Leone A (ed) Handbook of Transcranial Magnetic Stimualtion. Oxford University Press inc, New York, pp 163–165 2Meyer BU, Röricht S, Gräﬁn von Einsiedel H et al. (1995) Inhibitory and excitatory interhemispheric transfers between motor cortical areas in normal humans and patients with abnormalities of the corpus callosum. Brain 118: 429–440 Darstellung von Veränderungen der ipsilateralen Innervationsstille in Abhängigkeit von Läsionen des Corpus Callosum.

201

18

Mochizuki H, Huang YZ, Rothwell JC (2004) Interhemispheric interaction between human dorsal premotor and contralateral primary motor cortex. J Physiol 561: 331–338 Münchau A, Bloem BR, Irlbacher K et al. (2002) Functional connectivity of human premotor and motor cortex explored with repetitive transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 22: 554–561. Rizzo V, Siebner HR, Modugno N et al. (2004) Shaping the excitability of human motor cortex with premotor rTMS. J Physiol 554: 483–495 Ugawa Y, Uesaka Y, Terao Y et al. (1995) Magnetic stimulation over the cerebellum in humans. Ann Neurol 37: 703–713

203

19

Stimulation des visuellen Kortex Thomas Kammer

19.1

Überblick über die Phänomene – 204

19.3

Physiologische Grundlagen – 208

19.1.1 19.1.2

Phosphene – 204 Visuelle Maskierung

19.4

Fallbeispiel – 208

19.2

Protokolle – 204

Literatur

– 208

19.2.1 19.2.2

Phosphene – 204 Visuelle Maskierung

– 204

– 206

ZUM THEMA Die Stimulation des okzipitalen Kortex kann einerseits zur Wahrnehmung von Phosphenen (Lichtblitze) führen, andererseits können normale, über die Retina vermittelte visuelle Wahrnehmungen, abgeschwächt oder vollständig maskiert werden. In diesem Kapitel werden Stimulationsprotokolle für die Auslösung von Phosphenen und für Maskierungsexperimente dargestellt. Die subjektive Wahrnehmung von Phosphenen muss in der Regel kurz geübt werden. Sie lässt sich dann zur Messung der Erregungsschwelle des visuellen Kortex verwenden. Die notwendigen Stimulationsintensitäten sind vergleichbar mit den Schwellenwerten des motorischen Kortex. Ebenso sind biphasische Pulse eﬃzienter als monophasische Pulse. Trotz der Vergleichbarkeit scheint die Phosphenschwelle nicht mit der motorischen Reizschwelle der gleichen Versuchsperson zu korrelieren.

Die Wahrnehmung eines kurz präsentierten visuellen Reizes lässt sich durch getriggerte TMS etwa 100 ms später maskieren. Hierzu sind im Vergleich zur Phosphenauslösung höhere TMS-Intensitäten erforderlich. Vermutlich werden Phosphene durch eine gemischte Stimulation des striären und extrastriären Kortex hervorgerufen. Die Kongruenz zwischen Phosphenform im visuellen Feld und perimetrisch gemessener Maskierung legt nahe, dass die gleichen Strukturen auch für die Maskierung verantwortlich sind. Phosphenschwellen sind wiederholt bei Patienten mit Migräne bestimmt worden. Es wurden sowohl erniedrigte als auch erhöhte Schwellenwerte im Vergleich zu Gesunden berichtet.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

204

Kapitel 19 · Stimulation des visuellen Kortex

19.1

Überblick über die Phänomene

TMS über dem visuellen Kortex kann positive und negative Phänomene auslösen: Phosphene und visuelle Maskierung. Bereits im allerersten Kongressbeitrag zur TMS berichteten Barker et al. (1985) neben den positiven Effekten über dem motorischen Kortex (Auslösung eines motorisch evozierten Potenzials) auch über die Möglichkeit, durch okzipitale Stimulation die Wahrnehmung von Phosphenen zu erzeugen. Der erste Bericht zur Auslöschung visueller Wahrnehmung stammt von Amassian et al. (1989).

19.1.1 Phosphene Phosphene (von griech. φωˆς »Licht« und φαίνειν »erscheinen«) sind Lichtwahrnehmungen, die nicht durch Licht auf der Retina, sondern durch andere Stimuli erzeugt werden. Die durch TMS über dem Hinterkopf auslösbaren Phosphene sind recht unspektakulär. Sie erscheinen mit der Stimulation sehr kurz als Linien oder wolkenartige Gebilde. Meist sind sie farblos, grau oder weißlich, vergleichbar mit einer Seifenblase, die kurz im Gesichtfeld erscheint und zerplatzt. Gelegentlich wird auch über eine leichte Einfärbung berichtet, besonders bei höheren Stimulationsstärken oder bei Pulssalven. Phosphene werden überwiegend in den unteren Gesichtsfeldquadranten beobachtet, bei Verwendung einer fokalen Spule kontralateral zur stimulierten Hemisphäre. Mit hohen Stimulationsstärken können sie gelegentlich das ganze Gesichtsfeld einnehmen. Ebenso lässt sich manchmal ein Bewegungseindruck erzeugen. Bei einigen Versuchspersonen konnte durch parietookzipitale Stimulation über dem visuellen Bewegungszentrum (MT/V5) ebenfalls die Wahrnehmung eines bewegten Phosphens erzeugt werden (7 Kap. 45). Phosphene eignen sich zur Bestimmung der individuellen Erregungsschwelle des visuellen Kortex. Dies setzt eine gewisse Übung bei der subjektiven Beurteilung der Phosphene voraus.

18

19.1.2 Visuelle Maskierung

19

Die normale, kontinuierliche visuelle Wahrnehmung kann durch TMS nicht beeinflusst werden. Präsentiert man jedoch einen visuellen Reiz für sehr kurze Zeit (wenige Millisekunden), so lässt sich diese Wahrnehmung mittels TMS über dem Hinterkopf stören. Hierzu muss man den Magnetstimulus etwa 100 ms nach der Präsentation des visuellen Reizes auslösen.

20

Es handelt sich bei dieser Störung nicht um eine vollständige Auslöschung der visuellen Information, sondern nur um eine Maskierung. Wird die Helligkeit des visuellen Reizes erhöht, so wird er auch trotz Magnetstimulation wieder sichtbar (Kammer et al. 2005a). Perimetrische Untersuchungen haben gezeigt, dass die visuelle Maskierung meist auf einen kleinen Teil des Gesichtsfeldes begrenzt ist bei Verwendung einer fokalen Spule kontralateral zur stimulierten Hemisphäre in einem parafovealen Segment. Vergleicht man wahrgenommene Phosphene und visuelle Maskierung für einen Stimulationsort, so zeigt sich, dass die Stimulationsintensität, die für die Maskierung erforderlich ist, wesentlich höher liegt als diejenige, die ein Phosphen auslöst. Phosphene und Maskierung treten in korrespondierenden Bereichen des Gesichtsfeldes auf (Kammer et al. 2005b).

19.2

Protokolle

19.2.1 Phosphene Spule. Beide gängigen Spulentypen sind möglich. Mit der einfachen Rundspule werden eher großflächigere Phosphene in beiden Gesichtsfeldhälften induziert. Sie bewirkt meist eine unangenehme Mitstimulation der Nackenmuskulatur sowie der Trigeminus- und Fazialisnerven. Mit der fokalen Schmetterlingsspule lässt sich leichter isoliert eine Hemisphäre stimulieren. Zudem wird die Nackenmuskulatur deutlich weniger mitstimuliert. Pulsform. Biphasische Pulse sind effizienter als mo-

nophasische Pulse (vergleichbar mit der Situation am Motorkortex, . Abb. 19.1b). Spulenposition. Über dem Hinterkopf, Höhe Inion

oder wenige Zentimeter über dem Inion. Spielraum lateral bis zu 5 cm. Orientierung der Spule. Die optimale Stromrichtung ist noch unklar. In den meisten Studien mit fokaler Spule wurde der Griff nach oben gehalten (somit induzierter Stromfluss im Gehirn bei monophasischen Pulsen von kranial nach kaudal). Augen des Probanden. In den meisten Studien wur-

den die Augen des Probanden mit einer Binde verschlossen. Nach unseren Erfahrungen ist dies jedoch nicht erforderlich, da die Wahrnehmbarkeit von Phosphenen dadurch nicht erleichtert wird und sich die Phosphenschwellen nicht ändern (Kammer

205

19.2 Protokolle

u. Beck 2002). Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass eine lang andauernde Dunkeladaptation (>45 min) die Phosphenschwellen absenken kann (Boroojerdi et al. 2000). Wir bitten unsere Probanden initial, einen Punkt auf einer homogenen Fläche zu fixieren, da Phosphene dann leichter beobachtet werden können. Trainierte Probanden nehmen Phosphene unabhängig vom visuellen Input war. Stimulationsintensität. Im Vergleich zur Stimulation

des motorischen Kortex werden ähnliche oder etwas höhere Stimulationsintensitäten benötigt. Doppelpulse s. unten. Kriterien für die Validität der Phosphenwahrnehmung. Da es sich bei Phosphenen um eine innere

Empfindung handelt, muss der Untersucher sich auf die Schilderung des Probanden verlassen. Jedoch ist es möglich, die Validität der subjektiven Beschreibung mithilfe physiologischer Abhängigkeiten der Phosphenwahrnehmung systematisch zu testen (Meyer et al. 1991). Die folgende Sequenz hat sich in unserem Labor bewährt:

a

. Abb. .. a Phosphenkarte. Blick auf den okzipitalen Kortex. Jede Nadel markiert eine Stimulationsposition (Mittelpunkt der fokalen Spule, neuronavigiert). Die Farben geben die Wahrnehmung der Versuchsperson an: Rot Phosphen im rechten Gesichtsfeld, gelb Phosphen bilateral, blau Phosphen im linken Gesichtsfeld, grau kein Phosphen (Abbildung in Farbe 7 S. 631). Unten sind 3 typische Zeichnungen von Phosphenkonturen dargestellt. b Phosphenschwellen. Die Rohdaten zweier Schwellenmessungen (fokale Spule, Griﬀ nach

19

1.

Abhängigkeit von der stimulierten Hemisphäre. Bei links lateraler Position der Spule muss das Phosphen in der rechten Gesichtsfeldhälfte sichtbar sein und umgekehrt (. Abb. 19.1a). 2. Sichtbarkeit des Phosphens sowohl bei geöffneten als auch bei geschlossenen Augen. Die Wahrnehmungsqualität kann sich geringfügig ändern. Bei geschlossenen Augen sollten die Versuchspersonen einen zentralen Fixationspunkt vor sich imaginieren, da sich die Phosphenwahrnehmung sonst vertikal verschieben kann. 3. Abhängigkeit des Ortes im Gesichtsfeld von der horizontalen und vertikalen Blickrichtung. Da das Phosphen im retinotopen System des visuellen Kortex ausgelöst wird, behält es seine Position relativ zur Blickrichtung, wandert also mit veränderter Blickrichtung mit. Dieser Effekt ist meist auch bei geschlossenen Augen zu beobachten! Manche Probanden nehmen bereits bei der ersten Stimulation Phosphene war, andere brauchen mehrere Sitzungen bis zur sicheren Wahrnehmung. Mögli-

b

oben) mit mono- und biphasischen Pulsen sind zusammen mit sigmoiden Näherungskurven dargestellt. In randomisierter Reihenfolge sind pro Intensitätsstufe 10 Teststimuli appliziert worden. Auf der Ordinate ist die Anzahl der wahrgenommenen Phosphene aufgetragen. Anhand der Näherungskurven beträgt die Schwelle (5 von 10 Phosphenen wahrgenommen) für den biphasischen Puls 51%, für den monophasischen Puls 70% der Stimulatorleistung

206

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 19 · Stimulation des visuellen Kortex

cherweise hängt die Wahrnehmung an einem Prozess der Gestaltbildung, der unterschiedlich schnell erfolgt. Es ist umstritten, ob es Probanden gibt, die überhaupt keine Phosphene wahrnehmen können (Kammer et al. 2005b). Dokumentation der Phosphenwahrnehmung. Bei gleich bleibendem Stimulationsort ist die Erscheinungsform des Phosphens im Gesichtsfeld relativ stabil. So ist es möglich, die Konturen des Phosphens aufzuzeichnen (. Abb. 19.1a unten). Dies kann der Proband z. B. auf einem Blatt Papier tun, welches vor ihm an ein Stativ geheftet und mit einem Fixationspunkt versehen ist. Farben und andere Spezifika des Erscheinungsbildes sollten zusätzlich dokumentiert werden. Schwellenmessung. Entscheidend

für eine reliable Schwellenbestimmung ist eine stabile Phosphenwahrnehmung. Diese ist im Schwellenbereich besonders schwierig, da die Phosphene naturgemäß sehr schwach und undeutlich erscheinen. Zudem wird die Wahrnehmung überlagert durch die unspezifischen Stimulationseffekte (Vibration und Klicken der Spule), die sich nicht eliminieren lassen. So kann ein Proband allein aufgrund des unterschiedlich lauten Klickens der Spule eine plausible Schwelle angeben, ohne überhaupt ein Phosphen wahrzunehmen. Es empfiehlt sich eine großzügig bemessene Übungssitzung vor einer Schwellenmessung, um eine stabile Phosphenwahrnehmung zu erreichen. Zur Schwellenmessung müssen wiederholt überschwellige und unterschwellige Reize appliziert werden (vgl. auch Schwellenmessungen am motorischen Kortex; 7 Kap. 14). Wir ermitteln zunächst orientierend einen sicher überschwelligen und einen sicher unterschwelligen Intensitätswert. Dann applizieren wir je 10 Stimuli von 8‒10 Intensitätsstufen, die gleichmäßig den orientierend gemessenen Bereich überdecken, mit einer Spreizung von 2‒3 der maximalen Stimulatorleistung. Die Abfolge der Intensitätsstufen ist randomisiert. An die gemessenen Antworten passen wir eine sigmoide Funktion (z. B. BoltzmannFunktion) an und lesen die Schwelle bei dem halbmaximalen Wert der Funktion ab (. Abb. 19.1b). Wahrscheinlich führen einfachere Verfahren, z. B. das systematische Herantasten an die Schwelle durch Absenken der Intensität alle 6–10 Stimuli zu ähnlichen Ergebnissen, da die gemessenen Schwellenfunktionen sehr steil verlaufen. Der Einsatz von adaptiven Verfahren (7 Kap. 14) ist ebenfalls problemlos möglich. Ein systematischer Vergleich verschiedener Schwellenmessverfahren liegt bisher nicht vor.

Doppelpulse. Zwei Pulse gleicher Intensität führen zu

einer stärkeren Phosphenwahrnehmung als ein Puls alleine (Ray et al. 1998). Daher haben es einige Untersucher vorgezogen, Phosphene generell mit Doppelpulsen zu untersuchen. Typische Interstimulusintervalle sind 5‒50 ms. Mehrfach ist versucht worden, die Doppelpuls-Protokolle des motorischen Kortex, die zu einer intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) führen (7 Kap. 16), auf den visuellen Kortex zu übertragen. Dies ist bisher jedoch nicht gelungen. Eine Kombination von einem schwachen Konditionierungspuls und einem stärkeren Testpuls führte entweder zu einer unveränderten Phosphenwahrnehmung im Vergleich zum Testpuls alleine, oder die Phosphenwahrnehmung wurde sogar verstärkt statt inhibiert.

19.2.2 Visuelle Maskierung Spule, Pulsform, Spulenposition, Orientierung der Spule. Vergleiche 7 Abschn. 19.2.1 (Phosphene). Stimulationsintensität. Zur visuellen Maskierung werden deutlich höhere Intensitäten der Magnetstimulation benötigt als zur Auslösung eines Phosphenes (Kammer et al. 2005b). Oft werden Maskierungsexperimente mit 80–100 der maximalen Ausgangsleistung des Stimulators durchgeführt. Maskierungsschwellen sind bisher nicht systematisch untersucht worden. Gestaltung des Experimentes. In der Regel wird auf einem Bildschirm zunächst ein Fixationskreuz gezeigt. Es folgt der zu erkennende visuelle Reiz, meist mit der kürzest möglichen Darstellungsdauer. Der TMS-Puls wird mit einem exakt kontrollierten Interstimulusintervall (s. unten) nach dem Erscheinen des visuellen Reizes getriggert ausgelöst (. Abb. 19.2a). Ein fovealer visueller Reiz lässt sich schlechter maskieren als ein parafoveal platzierter Reiz. Aufgrund der Korrespondenz zwischen wahrgenommenem Phosphen und maskiertem Areal empfiehlt es sich, zunächst eine Spulenposition zu suchen, bei der das Phosphen den Bereich im Gesichtsfeld bedeckt, in dem der visuelle Stimulus präsentiert wird. Die Maskierung wird erleichtert, wenn sich der visuelle Stimulus selbst bereits nahe der Wahrnehmungsschwelle befindet. Dies lässt sich durch niedrigen Kontrast, kleinen Sehwinkel und kurze Darstellungsdauer (ein Bildschirmtakt) erreichen. Üblicherweise werden Ziffern oder Buchstaben präsentiert, die zu diskriminieren

207

19.2 Protokolle

sind. Auch reine Detektionsexperimente sind möglich (wurde ein visueller Reiz gezeigt oder nicht?). Das Problem der Subjektivität der Wahrnehmung besteht bei Maskierungsexperimenten in ähnlicher Form wie bei Phosphen-Schwellenmessungen. Gestaltet man die Abfrage im Sinne einer Wahlpflichtaufgabe (»forced choice«, es muss immer eine Antwort gegeben werden, bei Unsicherheit muss geraten werden), lässt sich das subjektive Wahrnehmungskriterium kontrollieren. Maskierung liegt dann vor, wenn die Häufigkeit korrekter Antworten im Bereich der Ratewahrscheinlichkeit liegt (. Abb. 19.2b,c). Bei Diskriminationsexperimenten ist darauf zu achten, dass alle zu diskriminierenden Reize gleichhäufig präsentiert werden, und sich der Schweregrad der Diskriminationsleistung für die einzelnen Reize nicht wesentlich unterscheidet. Bei Detektionsexperimenten lässt sich eine Wahlpflichtaufgabe gestalten, indem man immer zwei Blöcke mit Magnetstimulation hintereinander schaltet. Nur in einem der zwei Blöcke wird der visuelle Stimulus gezeigt, und der Proband muss antworten, ob das visuelle Ereignis im ersten oder zweiten Block war (temporal forced choice design).

19

a

b

c

Interstimulusintervall. Das Intervall zwischen Darbie-

tung des visuellen Reizes und Triggerung des TMSPulses (ISI) ist in den Maskierungsexperimenten häufig eine unabhängige Größe, die systematisch variiert wird. Typischerweise beobachtet man den stärksten Maskierungseffekt in einem Zeitintervall von 80‒120 ms. Das optimale ISI hängt stark von der Helligkeit des visuellen Reizes und der Hintergrundhelligkeit ab. Dunkle Reize (<1 cd/m) werden bei etwa 120 ms ISI optimal maskiert (. Abb. 19.2c), hellere Reize (> 10 cd/m) etwa bei 90 ms (. Abb. 19.2b). Möglicherweise beeinflusst die Art der Wahrnehmungsaufgabe ebenfalls das optimale ISI; systematische Untersuchungen hierzu stehen noch aus. Von einigen Autoren wurde postuliert, dass neben diesem Hauptintervall (ISI 80‒120 ms) noch ein früheres Intervall existiert, in dem visuelle Wahrnehmung maskiert werden kann (z. B. ISI 30‒50 ms). Die vorliegenden Befunde hierzu sind inkonsistent. So wurde oft der frühe Maskierungseffekt auch bei simultaner Darbietung von visuellem Stimulus und TMS (ISI 0 ms) oder gar bei der Sequenz TMS vor visuellem Stimulus (ISI ‒30 ms) beobachtet (Corthout et al. 1999). In diesen Fällen ist der Effekt nicht mehr sicher auf eine kortikale Interferenz zurückzuführen, sondern kann auch durch periphere Effekte der TMS wie Blinzeln o. Ä. erklärt werden. Darüber hinaus scheint es für das frühe Intervall deutliche interindividuelle Unterschiede zu geben.

. Abb. .a-c. a Ablauf eines Maskierungsexperimentes. Nach der Fixationsperiode wird parafoveal ein zu erkennendes Objekt geblitzt. Danach wird mit variabler Verzögerung ein Magnetstimulus getriggert. Die Versuchsperson muss dann angeben, was sie gesehen hat. b Maskierung bei hellem Bildschirmhintergrund (100 cd/m). Die Orientierung eines U-Hakens (4 Möglichkeiten) muss erkannt werden. Auf der Abszisse ist die Triggerzeit des TMS-Pulses aufgetragen, 0 bedeutet Aufblitzen des U-Hakens. Die Ordinate stellt die relative Anzahl der richtigen Antworten dar (je 12 Präsentationen). Die U-Haken werden mit 3 verschiedenen Helligkeiten präsentiert. Die maximale Maskierung wird bei etwa 90 ms erreicht. c Maskierung bei dunklem Bildschirmhintergrund (0,6 cd/m) und niedrigem Kontrast. Im Vergleich zu b liegt die maximale Maskierung bei etwa 120 ms

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

208

Kapitel 19 · Stimulation des visuellen Kortex

19.3

Physiologische Grundlagen

Die physiologischen Mechanismen, die einerseits zur Wahrnehmung von Phosphenen führen, andererseits visuelle Reize maskieren, sind noch nicht vollständig verstanden. Als Stimulationsort wird von den meisten Autoren das primäre visuelle Areal V1 (striärer Kortex, Brodmann Areal 17) angegeben. Die Argumente hierfür sind jedoch nicht hinreichend. So findet sich bei Verschiebung der Spule über V1 keine Veränderung der Phosphenlokalisation im Gesichtsfeld, die der retinotopen Repräsentation entspricht. Außerdem lassen sich an Stimulationsorten, die mehrere Zentimeter von V1 entfernt liegen, problemlos Phosphene auslösen (. Abb. 19.1a). Weitere potenzielle Stimulationsorte sind: a) die Radiatio optica (Sehstrahlung), b) extrastriäre kortikale Areale (dorsale Anteile von V2, V3, Brodmann Areale 18 und 19), c) Projektionsfasern, die von den extrastriären Arealen zurück nach V1 laufen. Vermutlich trägt die gleichzeitige Stimulation aller genannten Orte gemeinsam zu den Phosphenen bei (Kammer et al. 2005b). Aufgrund verschiedener Beobachtungen ist es wahrscheinlich, dass Phosphene nur wahrgenommen werden können, wenn die durch TMS hervorgerufene Erregung durch einen intakten striären Kortex (V1) laufen kann (Pascual-Leone u. Walsh 2001). Es ist noch unklar, ob die individuelle kortikale Erregbarkeit über verschiedene Areale hinweg konstant ist. Wiederholt wurden Phosphen- und motorische Reizschwellen bei den gleichen Probanden gemessen, aber meist keine signifikante Korrelation gefunden (Stewart et al. 2001). Dies ist ein wichtiges negatives Resultat, da motorische Reizschwellen, die oft als Bezugspunkt zur Festlegung der TMS-Intensität verwendet werden, nur für Reizung des motorischen Kortex selbst mit ausreichender Sicherheit gültig sind. Der Stimulationsort für visuelle Maskierung ist gleichsam nicht näher bestimmt. Die Kongruenz zwischen Phosphenform im visuellen Feld und perimetrisch gemessener Maskierung legt nahe, dass die gleichen Strukturen, die zur Phosphenwahrnehmung beitragen, auch für die Maskierung verantwortlich sind. Bezüglich der Phosphenwahrnehmung ist es plausibel, davon auszugehen, dass exzitatorische neuronale Aktivität zugrunde liegt. So wurde bei direkter kortikaler Stimulation von striären und extrastriären Arealen mit Mikroelektroden ebenfalls von Phosphenwahrnehmung berichtet (Brindley et al. 1972). Unklar

ist hingegen, ob die visuelle Maskierung eher durch die exzitatorische Aktivität oder aber durch eine TMS-evozierte inhibitorische Aktivität zu erklären ist. Einerseits ist es gut vorstellbar, dass die Überlagerung des retinalen visuellen Signals durch das unspezifische TMS-Signal zur Maskierung führt. Andererseits haben Einzelzellableitungen von visuellen Neuronen der Katze eine TMS-induzierte massive, lang anhaltende Inhibition gezeigt, die ebenfalls für die Maskierungseffekte ursächlich sein könnte (Moliadze et al. 2003).

19.4

Fallbeispiel

Ein 35-jähriger Patient leidet seit über 10 Jahren an einer Migräne mit visueller Aura. Im vergangenen Jahr traten mindestens 2 Attacken pro Monat auf. Die Phosphenschwelle (fokale Spule, monophasische Pulsform) liegt bei 48. Der Patient wird auf eine Phasenprophylaxe mit 500 mg Valproinsäure in retardierter Form eingestellt. Nach 2 Monaten wird die Phosphenschwelle erneut gemessen. Sie hat sich deutlich erhöht und liegt jetzt bei 60. Dieser Befund weist auf die neuropharmakologische Modulierbarkeit der Erregbarkeit des visuellen Kortex hin und weist Parallelen zur pharmakologischen Modulation der motorischen Reizschwellen auf (7 Kap. 34). Das Fallbeispiel folgt der Pilotstudie von Mulleners et al. (2002). Interessanterweise ist es umstritten, ob eine Migräne mit Aura zu einer Absenkung der Phosphenschwelle führt. Verschiedene Autoren haben das Gegenteil, eine abnorme Erhöhung der Phosphenschwelle, beschrieben. Möglicherweise führten methodologische Inkonsistenzen zu den widersprüchlichen Befunden. Eine kritische Diskussion ﬁndet sich bei Fumal et al. (2003) und in 7 Kap. 29.

Literatur Amassian VE, Cracco RQ, Maccabee PJ et al. (1989) Suppression of visual perception by magnetic coil stimulation of human occipital cortex. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 74: 458–462 Barker AT, Freeston IL, Jalinous R et al. (1985) Magnetic stimulation of the human brain. J Physiol 369: p 3 (abstract) Boroojerdi B, Bushara KO, Corwell B et al. (2000) Enhanced excitability of the human visual cortex induced by short-term light deprivation. Cereb Cortex 10: 529–534 Brindley GS, Donaldson PE, Falconer MA, Rushton DN (1972) The extent of the region of occipital cortex that when stimulated gives phosphenes ﬁxed in the visual ﬁeld. J Physiol 225: 57–58

Literatur

Corthout E, Uttl B, Ziemann U et al. (1999) Two periods of processing in the (circum)striate visual cortex as revealed by transcranial magnetic stimulation. Neuropsychologia 37: 137–145 1Fumal A, Bohotin V, Vandenheede M, Schoenen J (2003) Transcranial magnetic stimulation in migraine: a review of facts and controversies. Acta Neurol Belg 103: 144–154 Versuch, die kontroverse Befundlage zu den Schwellenmessungen bei Patienten mit Migräne zu erläutern. Kammer T, Beck S (2002) Phosphene thresholds evoked by transcranial magnetic stimulation are insensitive to shortlasting variations in ambient light. Exp Brain Res 145: 407– 410 1Kammer T, Puls K, Strasburger H et al. (2005a) Transcranial magnetic stimulation in the visual system. I. The psychophysics of visual suppression. Exp Brain Res 160: 118–128 1Kammer T, Puls K, Erb M, Grodd W (2005b) Transcranial magnetic stimulation in the visual system. II. Characterization of induced phosphenes and scotomas. Exp Brain Res 160: 129–140 Grundlagen für das hier vorliegende Buchkapitel. 1Meyer BU, Diehl RR, Steinmetz H et al. (1991) Magnetic stimuli applied over motor cortex and visual cortex: Inﬂuence of coil position and ﬁeld polarity on motor responses, phosphenes, and eye movements. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 43: 121–134 Erstbeschreibung der Beziehung von stimulierter Hemisphäre und Ort des Phosphens im kontralateralen Gesichtsfeld. 2Moliadze V, Zhao Y, Eysel UT, Funke K (2003) Eﬀect of transcranial magnetic stimulation on single-unit activity in the cat primary visual cortex. J Physiol 553: 665–679 Die direkte Messung von TMS-evozierter neuronaler Aktivität im visuellen Kortex der Katze zeigt ein komplexes Muster aus Erregung und Hemmung, die intensitätsabhängig ist. Mulleners WM, Chronicle EP, Vredeveld JW, Koehler PJ (2002) Visual cortex excitability in migraine before and after valproate prophylaxis: a pilot study using TMS. Eur J Neurol 9: 35–40 Pascual-Leone A, Walsh V (2001) Fast backprojections from the motion to the primary visual area necessary for visual awareness. Science 292: 510–512 Ray PG, Meador KJ, Epstein CM et al. (1998) Magnetic stimulation of visual cortex: Factors inﬂuencing the perception of phosphenes. J Clin Neurophysiol 15: 351–357 1Stewart LM, Walsh V, Rothwell JC (2001) Motor and phosphene thresholds: a transcranial magnetic stimulation correlation study. Neuropsychologia 39: 415–419 Erstmaliger Vergleich der Erregbarkeit von motorischem und visuellem Kortex: Die Reizschwellen korrelieren nicht.

209

19

211

20

Transkranielle elektrische Stimulation Stephan Brandt, Jan Brocke, Kerstin Irlbacher

20.1

Physiologische Grundlagen der TES – 212

20.2

Durchführung – 212

20.2.1 20.2.2 20.2.3

Polarität – 212 Ausrichtung – 212 Reizstärke und Reizdauer – 214

20.3

Anwendungsgebiete von TES

20.4

Sicherheitsaspekte – 215

20.4.1 20.4.2

Tierexperimentelle Grundlagen Nebenwirkungen und Kontraindikationen – 216

Literatur

– 216

– 215

– 215

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen methodischen und inhaltlichen Einblick in die transkranielle elektrische Stimulation (TES). Die Besonderheiten dieser Methode entstehen aus der Möglichkeit die Polarität der Elektroden und deren Ausrichtung zu bestimmen (posterior-anteriore Stimulation vs. lateromediale Stimulation und anodale vs. kathodale Stimulation) und das neuronale Gewebe direkt zu reizen. Das Kapitel enthält praktische Anleitungen zur Positionierung der Elektroden und zur Wahl der Stimulationsparameter. Hier wird der Überlappung und der Abgrenzung zur transkraniellen

Magnetstimulation besondere Aufmerksamkeit geschenkt und der Vergleich dieser Methoden am Beispiel der Doppelpulsstimulation deutlich gemacht. Der klinische Einsatz der TES ist aufgrund der Schmerzhaftigkeit begrenzt. Die ausführliche Beschreibung der Sicherheitsaspekte macht aber deutlich, dass die Möglichkeiten sowohl bei bestimmten klinischen Fragestellungen (z. B. Unterscheidung von kortikalen vs. subkortikalen/spinalen Prozessen) als auch bei experimentellen Fragestellungen (z. B. Kombination mit fMRT) dieser Methode einen besonderen Platz einräumen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

212

Kapitel 20 · Transkranielle elektrische Stimulation

20.1

Physiologische Grundlagen der TES

Bei der transkraniellen elektrischen Stimulation (TES) wird ein Stromfluss zwischen auf der Kopfhaut aufgebrachten Elektroden induziert, der eine Erregung im neuronalen Gewebe des darunter liegenden Kortex bewirkt. Der kurze Rechteckpuls (50‒100 µs Breite) mit konstanter Spannung (ca. 200–440 V) induziert einen kurzzeitigen Zusammenbruch des Gewebewiderstandes. Es resultiert eine überschwellige Depolarisation des Membranpotenzials neuronaler Zellen, so dass ein Aktionspotenzial ausgelöst wird. Bei der Stimulation über dem primären motorischen Kortex (M1) werden damit unterhalb der Reizelektroden die Pyramidenbahnzellen direkt oder indirekt (also transsynaptisch) erregt. Durch kortikospinale Erregungsausbreitung bis zur motorischen Endplatte werden dann motorische Antworten in der kontralateralen Muskulatur induziert und können elektromyographisch quantifiziert werden. Die Dauer der Erregungsausbreitung entlang der kortikospinalen Bahnen hängt dabei vom Reizort ab und spiegelt sich in der Latenz wieder, mit der das elektromyographische Potenzial auf den Kortexreiz folgt.

20.2

Durchführung

20.2.1 Polarität Bei der TES unterscheidet man zwischen unifokaler und bifokaler elektrischer Stimulation. Bei der unifokalen TES wird eine einzelne Stimulationselektrode (üblicherweise die Anode) über dem M1 platziert, während ein Ring aus Elektroden einen perikraniellen Pol bildet. Häufiger wird die bifokale elektrische Stimulation verwendet. Sie basiert auf der von Merton und Morton 1980 vorgestellten Verwendung von zwei Stimulationselektroden (Anode und Kathode), die auf dem Skalp über der Zielregion des Kortex platziert werden (Merton u. Morton 1980). Bei der bifokalen Stimulation kann so der Stromfluss gezielter in eine Hauptrichtung festgelegt werden als bei der TMS (7 Abschn. 20.2.2.2).

20.2.2 Ausrichtung

Praktische Durchführung und Nomenklatur Bei der bifokalen Stimulation sind mehrere Ausrichtungen von Anode und Kathode möglich. Bei der bifokalen anodalen TES des M werden die Kathode auf dem Vertex und die Anode mehrere Zentimeter

(5‒7 cm) lateral auf der Interaurallinie platziert. Liegt umgekehrt die Kathode über dem M1 und die Anode über dem Vertex, spricht man von kathodaler TES. Im Gegensatz zu diesen senkrecht zur Mittellinie gewählten Anordnungen ist auch eine Orientierung parallel zu Mittellinie möglich. Dabei befinden sich die Anode ebenfalls über dem primären motorischen Handareal und die Kathode etwa 4‒5 cm rostral vom Handareal. Diese Anordnung wurde analog zur Nomenklatur bei TMS auch als posterior-anteriore Stimulation (p.-a.), die senkrecht zur Mittellinie orientierte anodale Stimulation als lateromediale (l.m.) bezeichnet (7 Kap. 3).

Stromﬂuss und elektrische Felder Der am Reizort induzierte Stromfluss hängt von der Form, Anordnung und Polarität der Elektroden ab (Saypol et al. 1991). Die unifokale TES induziert ein elektrisches Feld, bei dem das Maximum unmittelbar unter der Anode liegt und der Stromfluss überwiegend radial zur Kortexoberfläche erfolgt, während bei der bifokalen TES der kritische Stromfluss sowohl radial als auch tangential verläuft. Im Gegensatz dazu wird angenommen, dass bei der TMS ein relativ homogener Stromfluss tangential zur Kalotte induziert wird (Tofts 1990).

Reizort und Stimulationseﬀekte Vergleiche zwischen verschiedenen Elektrodenanordnungen bei TES oder der Spulenform und -orientierung bei TMS zeigen, dass die Art und Ausrichtung der elektrischen Felder den Stimulationsort und damit auch die induzierten Stimulationseffekte definieren. Anodale TES (TES l.m.) über M1 löst Muskelpotenziale mit einer 1‒2 ms kürzeren Latenz aus als TMS mit einer postero-anterioren Ausrichtung des induzierten Stromflusses (TMS p.-a.) (Day et al. 1989). Dieser Latenzzeitunterschied weist auf unterschiedliche Reizorte im M1 hin und wurde mithilfe der Dund I-Wellen-Hypothese erklärt: Wie von Patton und Amassian (1954) am offenen M1 von Katzen und Affen demonstriert, induzieren einzelne elektrische Reize multiple absteigende Wellen im kortikospinalen Trakt (7 Kap. 3). Während die erste Welle aus einer direkten Erregung von kortikospinalen Axonen resultiert, sind nachfolgende Wellen die Folge einer indirekten, transsynaptischen Aktivierung von kortikospinalen Zellen. Die erste Welle wird deshalb auch als D (direkte)Welle, die späteren Wellen als I (indirekte) -Wellen bezeichnet. Basierend auf diesem Modell wurde gefolgert, dass die anodale TES (l.m.) die kortikospinalen Fasen überwiegend direkt erregt und D-Wellen auslöst, während die TMS (p.-a.) die Pyramidenbahnzellen präferenziell transsynaptisch, also indirekt

20.2 Durchführung

über Axone horizontaler Interneurone, erregt und IWellen folgen (Day et al. 1989; Ziemann u. Rothwell 2000). Der Latenzzeitunterschied entspricht dabei vermutlich der Zeit der transsynaptischen Aktivierung der Pyramidenbahnzellen. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich beim Vergleich von TMS in postero-anteriorer Ausrichtung mit TMS in lateromedialer Ausrichtung (TMS p.-a. versus TMS l.m.) über dem M1: Die postero-anteriore Ausrichtung führte zu 1‒2 ms längeren Latenzen des induzierten Muskelpotenzials. Hypothesen zur Erklärung dieser Phänomene basieren auf der erstmals von Rushton (1927) beschriebenen Beobachtung, dass zur elektrischen Stimulation eines Nervs das induzierte elektrische Feld eine Komponente enthalten muss, die parallel zur Nervenfaser verläuft. Die vorzugsweise Induktion von I-Wellen durch TMS p.-a. wurde dadurch erklärt, dass tangential ausgerichtete neuronale Elemente, also horizontale Axone von Interneuronen oder horizontale Kollateralen von Pyramidenzellen durch das in etwa parallel ausgerichtete tangentiale elektrische Feld bei TMS p.-a. erregt werden (Day et al. 1989; Mills et al. 1992). Der in früheren Untersuchungen festgestellte Latenzzeitunterschied von TES l.m. und TMS p.-a. führte zur Annahme, dass bei TES die radiale Komponente des elektrischen Feldes vorzugsweise eine direkte Erregung von Pyramidenbahnneuronen induzieren könnte, die in der Tiefe des Sulcus centralis senkrecht zur Kortexoberfläche orientiert sind. Neuere direkte Vergleiche von TES p.-a. und TES l.m. weisen jedoch darauf hin, dass hier die Ausrichtung der tangentialen Komponente ähnlich wie bei TMS einen wesentlichen Einfluss auf die induzierten Stimulationseffekte ausübt: TES p.-a. induziert wie TMS p.-a. indirekte, TES l.m. wie TMS l.m. direkte Stimulationseffekte (Brocke et al. 2005; . Abb. 20.1).

213

20

Doppelpuls-Protokolle: Vergleiche von TES und TMS Ein weiterer Hinweis für die D- und I-Wellen-Hypothese stammt von Experimenten mit transkraniell applizierten Doppelpulsen, d. h. es wird z. B. ein unterschwelliger konditionierender Stimulus über M1 appliziert und sein Einfluss auf einen zweiten überschwelligen Testreiz untersucht (Kujirai et al. 1993). Eine ausführliche Darstellung von kortikalen Doppelreizprotokollen findet sich in 7 Kap. 16. Während Doppelreiz-TMS p.-a. über dem Handareal mit kurzen Interstimulusintervallen (ISI=2‒3 ms) zu einer signifikanten intrakortikalen Inhibition (SICI) führt, induzieren längere Interstimulusintervalle (ISI>10 ms) eine signifikante intrakortikale Fazilitierung (ICF) des Muskelpotenzials. Diese Effekte werden mit einer Modulation der Pyramidenbahnzellen durch hemmende oder erregende Interneurone auf kortikaler Ebene erklärt und setzen eine Erregungsausbreitung voraus, die den Nervenzellkörper mit einschließt. Ein unterschwelliger TMS-Konditionierungsreiz führt damit nicht zu einer Inhibition eines nachfolgenden TES-l.m.-Reizes, da dieser Testreiz das kortikospinale Axon distal des Nervenzellkörpers erregt und hier durch modulierende Effekte auf kortikaler Ebene unbeeinflusst bleibt (Kujirai et al. 1993). Werden jedoch elektrische Doppelreize mit einer posterio-anterioren Orientierung der Elektroden appliziert (TES p.-a.), so können vergleichbare kortikalinhibierende und fazilitierende Effekte wie bei TMS p.-a. induziert werden (SICI und ICF) (Brocke et al. 2005; . Abb. 20.2).

. Abb. .. Vergleich der Latenzen der durch TMS p.-a., TES p.-a. und TES l.m. induzierten Muskelpotenziale in einem Handmuskel. Dargestellt sind die gemittelten kortikomotorischen Latenzen von je 10 Messwiederholungen pro Bedingung (TMS p.-a., TES p.-a., TES l.m.) für 3 gesunde Probanden. Die Fehlerbalken zeigen den Standardfehler des Mittelwertes. Wird mit der TES oder der TMS ein postero-anteriorer (p.-a.) Gewebsstrom ausgelöst, induzieren TES und TMS Muskelpotenziale mit vergleichbaren kortikomotorischen Latenzen. Werden die Elektroden für die TES so platziert, dass ein lateromedialer (l.m.) Gewebsstrom induziert wird, haben die durch die TES ausgelösten Muskelpotenziale eine um 1,6–1,9 ms verkürzte kortikomotorische Latenz. (Aus Brocke et al. 2005a; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

214

Kapitel 20 · Transkranielle elektrische Stimulation

1 2

a

b

c

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

15

. Abb. .a–c. Doppelpulsexperimente mit TMS p.-a. (a), TES p.-a. (b) und TES l.m. (c) über M1 an 3 Probanden. Die Intervalle zwischen dem unterschwelligen konditionierenden Stimulus und dem überschwelligen Teststimulus sind dabei gegen die Amplituden der konditionierten Antwortpotenziale in Prozent der Amplituden bei Einzelstimulation (%Testreiz) aufgetragen. Wird ein Gewebsstrom mit posterior-anteriorer (p.-a.) Stromrichtung induziert, führen sowohl die Doppelpuls-TMS als auch die Doppelpuls-TES zu einer signiﬁkanten Amplitudenreduktion bei kurzen Intervallen und

einem signiﬁkanten Amplitudenanstieg bei längeren Intervallen. Diese Eﬀekte werden auf den Einﬂuss kortikaler inhibitorischer und exzitatorischer Neuronenpopulationen auf die Pyramidenbahnzellen zurückgeführt (intrakortikale Inhibition und Fazilitierung). Wird mit der TES ein Gewebsstrom in lateromedialer (l.m.) Richtung ausgelöst, führt die DoppelpulsTES hingegen zu einem deutlichen Amplitudenanstieg insbesondere bei kurzen Intervallen, der vermutlich über eine Fazilitierung auf spinaler Ebene vermittelt wird. (Aus Brocke et al. 2005a; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

16

20.2.3 Reizstärke und Reizdauer

Schwelle mit beiden Methoden D- und I-Wellen induziert werden (Di Lazzaro 2004; 7 Kap. 3).

13 14

17 18 19 20

Neben der Stromflussrichtung ist die Reizstärke ein wesentlicher Einflussfaktor auf die induzierten Stimulationseffekte, da die Reizstärke die Ausdehnung und Eindringtiefe des elektrischen Feldes definiert. Mithilfe von spinal abgeleiteten Potenzialen wurden die Latenzen der durch TES l.m. und TMS p.-a. induzierten kortikospinalen Entladungen verglichen. Während sich bei Stimulation an der motorischen Reizschwelle die genannten Latenzzeit-Unterschiede, z. B. zwischen TES l.m. und TMS p.-a., zeigen lassen, können mit Reizen deutlich oberhalb der motorischen

! In humanphysiologischen Experimenten dient TES l.m. auch als Kontrollbedingung für direkte Stimulationseﬀekte. Um sicherzustellen, dass tatsächlich isoliert D-Wellen ausgelöst werden, muss der Zielmuskel tonisch vorinnerviert werden und die TES mit Stimulusintensitäten knapp oberhalb der aktiven motorischen Reizschwelle verabreicht werden, um so weitgehend Mischeﬀekte (D- und I-Wellen) zu vermeiden.

20.4 Sicherheitsaspekte

Bei der Reizdauer kann man bei den gängigen Stimulatoren nur zwischen 50 µs und 100 µs wählen. Aufgrund der geringeren Schmerzhaftigkeit wird beim wachen Probanden meist mit 50 µs stimuliert. Außerdem führt eine Stimulation mit 100 µs schon bei einer geringeren Stromstärke zu einer höheren Ladungsdichte. Somit werden in der Regel geringere Reizstärken zur Auslösung eines Potenzials benötigt, andererseits ist aus Sicherheitsgründen damit die Reizstärke und Anzahl der applizierbaren Pulse stärker limitiert (7 Abschn. 20.4).

20.3

Anwendungsgebiete von TES

Die TES des Kortex mit Hochvoltreizen hat in der klinischen Routine aufgrund der Schmerzhaftigkeit eine geringe Bedeutung. Ausnahme ist hier die Anwendung von TES im intraoperativen Monitoring (7 Kap. 21). In der Grundlagenforschung ist die TES aufgrund der oben beschriebenen Eigenschaften für bestimmte Fragestellungen ein interessantes Instrument, da sie die Unterscheidung von kortikalen, subkortikalen und spinalen Komponenten ermöglicht. Obwohl auch die Kombination von TMS mit anderen bildgebenden Verfahren (z. B. fMRT) erfolgreich angewandt wird (7 Kap. 37), kann in der Kombination mit anderen elektrophysiologischen (EEG), optischen (Nah-Infrarot-Spektroskopie, NIRS) oder bildgebenden Verfahren (fMRT) die TES aus methodischen Gründen der TMS überlegen sein (Brandt et al. 2001). Durch die Verwendung nicht ferro-magnetischer Materialien ist eine simultane funktionelle Kernspintomografie und Kortexstimulation mit TES besonders artefaktarm möglich. Es können mehrere Elektrodenpaare auf engem Raum platziert werden und/oder bihemisphärisch stimuliert werden. Anders als bei TMS werden dabei insbesondere auch am Reizort keine relevanten Artefakte ausgelöst. Das bietet u. a. Vorteile bei Fragestellungen, für die die lokale BOLD (Blood Oxygenation Level Dependent) -Antwort quantifiziert werden muss. So konnte durch die Verwendung von TES der Einfluss von transkallosaler Inhibition auf das lokale BOLD-Signal untersucht werden (Brocke et al. 2005).

20.4

Sicherheitsaspekte

20.4.1 Tierexperimentelle Grundlagen Die Sicherheit der elektrischen Kortexstimulation wurde in tierexperimentellen Studien evaluiert

215

20

(Agnew u. McCreery 1987). Neuronale Schädigung kann zum einen durch elektrochemisch oder elektrolytisch entstandene toxische Produkte ausgelöst werden. Dieser Mechanismus ist bei der TES zu vernachlässigen. Auch die Erwärmung des Hirngewebes sollte bei der TES vernachlässigbar sein (Yuen et al. 1981). Die Wahrscheinlichkeit einer neuronalen Schädigung ist hier vor allem durch Exzitotoxizität bedingt und von der Ladungsdichte/Phase sowie von der Wiederholungsrate und der Stimulationsdauer abhängig. In den tierexperimentellen Studien wurden allerdings Parameter gewählt, die zur Evaluation der chronischen direkten Stimulation, z. B. bei zentralen Schmerzsyndromen, gedacht waren. So erfolgte z. B. eine Stimulation mit einer Frequenz von 50 Hz über 4 bzw. 15 h. Der vorgeschlagene Höchstwert für die Ladungsdichte, gemessen an der Skalpoberfläche, wurde bei 40 µC/cm × ph festgelegt (Agnew u. McCreery 1987). Dieser Wert kann mit folgender Formel berechnet werden: Ladungsdichte pro Phase = (Stromstärke/Fläche der Elektrode) × Pulsdauer jeder Stimulusphase Da der elektrische Stimulus beim Durchdringen von Skalp und Kalotte abgeschwächt wird, ist die kortikale Ladungsdichte im Vergleich zur Ladungsdichte an der Skalpoberfläche deutlich reduziert (auf etwa 1/30; Levy et al. 1984). Mit einem handelsüblichen Hochvoltstimulator (z. B. Digitimer D185 oder D180) lässt sich demnach auch mit hohen Stromstärken (1500 mA, Pulsdauer von 50 µs, Elektrodenfläche von 0,64 cm2) eine kortikale Ladungsdichte von <6 µC/ cm × ph erzielen (MacDonald 2002). Ein weiterer relevanter Faktor zur Induktion neuronaler Schäden ist die absolute Ladungsmenge (Ladung/Phase × Anzahl der applizierten Pulse). So löste eine vierstündige kontinuierliche Stimulation mit einer Ladungsdichte von 100 µC/cm/Phase und einer Pulsrate von 50 Hz einen wesentlich schwereren neuronalen Schaden aus als eine Stimulation mit einer Frequenz von 20 Hz (Agnew u. McCreery 1987). Daraus ergibt sich, dass das experimentelle Design so optimiert werden sollte, dass eine möglichst niedrige Stimulusanzahl verwendet werden kann. Es wird also klar, dass die kritische Ladungsdichte bei Experimenten mit Einzel- und Doppelreizapplikation am wachen Probanden in der Regel nicht erreicht wird, sondern vor allem bei TES im intraoperativen Monitoring berücksichtigt werden muss, da hier kurze aber wiederholte, hochfrequente Reizserien verabreicht werden (MacDonald 2002).

216

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 20 · Transkranielle elektrische Stimulation

20.4.2 Nebenwirkungen und

Kontraindikationen Nach Anwendung der Stimulationsmethode über viele Jahre in verschiedenen neurophysiologischen Laboren sowie zum intraoperativen Monitoring sind bisher keine anhaltenden Nebenwirkungen bekannt geworden. Schmerzen. Der relevanteste adversive Effekt ist die Schmerzhaftigkeit der Stimulation. Durch die hohe Stromdichte am Skalp kommt es zu einer direkten Erregung von Schmerzrezeptoren in der Kopfhaut. Außerdem kann es zu einer Erregung von Ästen des N. facialis und der Muskulatur der Kopfschwarte kommen, die zu einer Kontraktion der Muskulatur führen. In Einzelfällen berichten Probanden von transienten Spannungskopfschmerzen nach einer Stimulation. Epileptische Anfälle. Die Auslösung von epileptischen

Anfällen bei Einzel- oder Doppelreizapplikation ist sehr unwahrscheinlich. Während bei repetitiver Stimulation mit Reizserien von 50‒60 Hz über 1 s oder länger epileptische Anfälle auch bei fehlender Prädisposition und unter Narkose ausgelöst werden können, wurden durch niedrigfrequente (<0,5 Hz) oder kurzdauernde hochfrequente Stimulation nur sehr selten epileptische Anfälle provoziert (MacDonald 2002). Es fand sich bislang kein Hinweis darauf, dass TES in Einzelreiz-Applikation oder in repetitiver Form eine Induktion epileptogener Foci (»kindling«) bewirkt (MacDonald 2002). In Untersuchungen zur Anwendungssicherheit am Menschen konnten keine Veränderungen des Elektroenzephalogramms oder der Prolactin-Konzentration im Serum nachgewiesen werden (Boyd u. de Silva 1986). Kognitive und andere Nebenwirkungen. In der Litera-

tur gibt es keine systematischen Untersuchungen zu kognitiven oder affektiven Störungen nach TES. Herzrhythmusstörungen oder autonome Reaktionen wurden nicht in kausalem Zusammenhang mit der Anwendung von TES gesehen. Es wurden keine Fälle von Hautverletzungen durch Erhitzung unter den Elektroden publiziert, jedoch berichtete Mac Donald (2002) von zwei persönlich kommunizierten Fällen unter 845 Patienten, bei denen eine Verbrennung zweiten Grades unter der Anode aufgetreten sei. Die verwendeten Stimulationsparameter wurden nicht mitgeteilt. Kontraindikationen. Kontraindikationen für den Einsatz der TES sind das Vorliegen einer Epilepsie, eine

stattgehabte neurochirurgische Operation oder Schädelfraktur, implantierte biomedizinische Geräte, wie z. B. ein Herzschrittmacher und intrakranielle Gefäßclips.

Literatur 1Agnew WF, McCreery DB (1987) Considerations for safety in the use of extracranial stimulation for motor evoked potentials. Neurosurgery 20: 143–147 Umfassende und ausführliche Untersuchungen mit verschiedenen Frequenzen, Dauer und Intensität am Tier, um Höchstwerte für die transkranielle Stimulation beim Menschen abzuleiten. Boyd SG, de Silva LV (1986) EEG and serum prolactin studies in relation to transcutaneous stimulation of central motor pathways. J Neurol Neurosurg Psychiatry 49: 954–956 Brandt A, Brocke J, Röricht S et al. (2001) In vivo Assessment of Human Visual System Connectivity with Transcranial Electrical Stimulation during Functional Magnetic Resonance Imaging. NeuroImage 14: 366–375 Brocke J, Irlbacher K, Hauptmann B et al. (2005a) Transcranial magnetic and electrical stimulation compared: does TES activate intracortical neuronal circuits? Clin Neurophysiol 116: 2748–2756 Brocke J, Schmidt S, Irlbacher K et al. (2005b). Inhibition and excitation in BOLD-fMRI investigated with transcranial cortex stimulation. Abstr Soc Neurosci 454, pp 11 1Day BL, Dressler D, Maertens de Noordhout A et al. (1989) Electric and magnetic stimulation of human motor cortex: surface EMG and single motor unit responses. J Physiol 412: 449–473 Wichtiger Spezialartikel, der durch Latenzzeituntersuchungen die Stimlationsmechanismen von TMS und TES vergleicht. 1Di Lazzaro V, Oliviero A, Pilato F et al. (2004) The physiological basis of transcranial motor cortex stimulation in conscious humans. Clin Neurophysiol 115: 255–266 Überblicksartikel über die derzeitigen Kenntnisse, wie durch transkranielle (magnetische und elektrische) Stimulation des motorischen Kortex kortikospinale Neurone angeregt werden. 1Kujirai T, Caramia MD, Rothwell JC et al. (1993) Corticocortical inhibition in human motor cortex. J Physiol 471: 501–519 Wichtiger Spezialartikel, der erstmalig intrakortikale Inhibition und Fazilitierung durch Kortexstimulation systematisch untersucht. Levy WJ, York DH, McCaﬀrey M, Tanzer F (1984) Motor evoked potentials from transcranial stimulation of the motor cortex in humans. Neurosurgery 15: 287–302 MacDonald DB (2002) Safety of intraoperative transcranial electrical stimulation motor evoked potential monitoring. J Clin Neurophysiol 19: 416–429 1Merton PA, Morton HB (1980) Stimulation of the cerebral cortex in the intact human subject. Nature 285: 227

Literatur

Wichtige Pilotstudie, die erstmals die nichtinvasive elektrische Kortexstimulation (TES) beim Menschen durch einzelne Hochvoltreize beschreibt und die Grundlage für die heute angewandte Form der bipolaren trankraniellen elektrischen Kortexstimulation bildet. Mills KR, Boniface SJ, Schubert M (1992) Magnetic brain stimulation with a double coil: the importance of coil orientation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 17–21 Patton HD, Amassian VE (1954) Single and multiple unit analysis of the cortical stage of pyramidal tract activation. J Neurophysiol 17: 345–363 Rushton WAH (1927) The eﬀect upon the threshold for nervous excitation of the length of nerve exposed, and the angle between current and nerve. J Physiol 63: 357–377 Saypol JM, Roth BJ, Cohen LG, Hallett M (1991) A theoretical comparison of electric and magnetic stimulation of the brain. Ann Biomed Eng. 19: 317–328 Tofts P (1990) The distribution of induced currents in magnetic stimulation of the nervous system. Phys Med Biol 35: 1119–1128 Yuen TG, Agnew WF, Bullara LA, Jacques S, McCreery DB (1981) Histological evaluation of neural damage from electrical stimulation: considerations for the selection of parameters for clinical application. Neurosurgery 9: 292–299 Ziemann U, Rothwell JC (2000) I-waves in motor cortex. J Clin Neurophysiol 17: 397–405

217

20

219

21

Intraoperatives Monitoring/Intensivmedizin Andrea Szelényi

21.1

Intraoperatives Monitoring

21.1.1 21.1.2

Zielsetzung – 220 Physiologische Grundlagen

21.2

Evozierung motorischer Potenziale und Anästhesie – 220

21.2.1

Interaktion mit Anästhetika – 220

21.3

Praktische Durchführung

21.3.1

Indikation zum intraoperativen MEP-Monitoring – 221 Nebenwirkungen und Patientensicherheit – 221

21.3.2

– 220 – 220

– 221

21.3.1 21.3.2 21.3.3

Monitoring muskulärer MEP – 221 Kranielle Eingriffe: Muskuläre MEP – 222 Spinale Eingriffe: Kombination muskulärer und spinaler MEP – 223

21.4

Fallbeispiel – 224

21.5

MEP in der Intensivmedizin

Literatur

– 225

– 225

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die Anwendung der TMS und TES des motorischen Kortex und des kortikospinalen Systems beim intraoperativen Monitoring und in der Intensivmedizin. Es wird auf die physiologischen Besonderheiten der veränderten kortikalen und spinalen Erregbarkeit durch Analgo-

sedierung und Bewusstseinsveränderung eingegangen. Die Stimulationsparameter, die Wahl der Stimulationsorte, die Überlegungen zur Auswahl der Zielmuskulatur, speziﬁsch intraoperative Veränderungen sowie deren Beurteilung und eventuelle Auswirkungen auf die Operationsstrategie werden erläutert.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

220

Kapitel 21 · Intraoperatives Monitoring/Intensivmedizin

21.1

Intraoperatives Monitoring

21.1.1 Zielsetzung Vor der Einführung der TES und TMS und einer hochfrequenten Reizfolge war eine nicht invasive, kontinuierliche, intraoperative Funktionsüberprüfung des motorischen Kortex und seiner deszendierenden Bahnen nicht möglich. So wurde die Beurteilung der motorischen Funktion während einer Skoliosekorrektur durch einen einzeitigen intraoperativen »Wake-up«-Test beurteilt. Da die Dauer einer bereits eingetretenen Schädigung unklar blieb, war die Paraparese nicht immer reversibel. Zur Beurteilung neurologischer Funktion wurden zunächst alleinig somatosensorisch evozierte Potenziale (SEP) verwendet. Deren hohe Spezifität und Sensitivität hinsichtlich der Funktion des somatosensorischen Kortex und Systems führte zu vermeintlich falsch negativen SEP: Postoperative Paresen traten bei intraoperativ unveränderten SEP auf. Bei Eingriffen in der Zentralregion beschrieb Penfield (1937) eine funktionell-topographische Orientierung mit einer 4 Sekunden dauernden direkt kortikalen 60-Hz-Stimulation. Dies ermöglicht im Wechsel mit der Resektion eines Tumors eine intermittierende Lokalisation motorischer Funktion und Funktionsprüfung, jedoch kein kontinuierliches Monitoring, sodass der Zeitpunkt einer Läsion unbemerkt bleiben kann und eine postoperative Parese resultiert.

(I2), 3 (I3) oder mehr Synapsen (Amassian u. Cracco 1987; 7 Kap. 3). Die spinale epidurale Aufzeichnung dieser deszendierenden kortikospinalen Erregungssalve wird als spinale motorisch evozierte Potenziale (MEP) bezeichnet. Das durch zeitliche und örtliche Summation dieser Erregungssalve depolarisierte alpha-Motoneuron leitet sein Summenaktionspotenzial via peripheren Nerv zum Zielmuskel, an dem das entstehende Muskelsummenaktionspotenzial als muskuläres MEP abgeleitet wird (7 Kap. 3). Beim anästhesierten oder bewusstseinsveränderten Patienten ist die kortikale und spinale Erregbarkeit reduziert und gleichzeitig die Bahnung eines MEP durch Willkürinnervation nicht möglich. Zur intraoperativen verlässlichen und kontinuierlichen MEP-Ableitung müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Ein Narkoseregime mit ausreichender Analgosedierung, präziser Steuerbarkeit bei gleichzeitig geringem und vorhersagbarem Einfluss auf die Aktivierung neuronaler Strukturen im motorischen Kortex und auf deren Fortleitung entlang des kortikospinalen Systems. 2. Stimulationsparameter, die so gewählt werden müssen, dass trotz Suppression der kortikalen Exzitabilität eine deszendierende Erregungssalve entlang des kortikospinalen Systems erreicht wird, die die alpha-Motoneurone depolarisiert.

21.2 21.1.2 Physiologische Grundlagen Es wird übereinstimmend angenommen, dass durch den magnetoelektrischen Impuls überwiegend Axone kortikaler Interneurone aktiviert werden, die die Pyramidenzellen transsynpatisch aktivieren (7 Kap. 3). Die direkte Aktivierung der Pyramidenzellen an ihren Axonhügeln oder Axonen wird mittels TMS bei höheren Stimulationsstärken erreicht, und ist abhängig von der Spulenposition und -orientierung. Hingegen aktiviert die TES (insbesondere bei lateromedialer Orientierung des induzierten Stromflusses) primär die Axonhügel oder Axone der Pyramidenzellen und die transsynaptische Aktivierung durch Interneurone erfolgt mit Erhöhung der Stimulationsstärke (Patton u. Amassian 1954; Brocke et al. 2005; 7 Kap. 20). Die erste Welle der deszendierenden kortikospinalen Aktivierung wird D-Welle (d. h. direkt aktiviert) genannt. Dieser folgen hochfrequent mit 1,3‒2,1 ms Abstand sog. I-Wellen, bezeichnet nach der transsynaptischen (i. e. indirekten) Aktivierung kortikaler Pyramidenzellen via Interneurone über 1 (I1), 2

Evozierung motorischer Potenziale und Anästhesie

21.2.1 Interaktion mit Anästhetika Da Narkotika dosisabhängig v. a. die synaptische Transmission beeinflussen, wird die Generierung der I-Wellen inhibiert, jedoch kaum der D-Wellen. Dies erklärt die dosisabhängige Veränderung der muskulären MEP mit Latenzverlängerung und Amplitudenminderung (Hicks et al.1992; Thompson et al. 1991). Ein weiterer Effekt der Narkotikagabe kann eine Blutdrucksenkung sein, die eine relative Ischämie mit Reduktion der synaptischen Transmission und neuronalen Erregungsfortleitung bedingen kann.

Muskelrelaxantien Die Depolarisation der motorischen Endplatte durch Muskelrelaxantien hemmt die Kontraktion des Muskels und somit die Auslösung muskulärer MEP. Es sollte lediglich zur Intubation ein kurz wirksames Relaxans verabreicht werden. Bei ausgedehnten Wirbelsäulenzugängen wird während der Freilegung axi-

221

21.3 Praktische Durchführung

aler Muskeln nicht selten eine Relaxierung vom Operateur gewünscht, diese sollte aber zum Zeitpunkt des überwachungspflichtigen Teils der Operation beendet sein. Das Maß der Relaxation kann mit einem Relaxometer und der »Train-of-4«-Technik überprüft werden (TOF; dazu wird die Anzahl der motorischen Reizantworten ausgelöst durch Stimulation eines motorischen peripheren Nerven mit 4 überschwelligen Stimuli und 2 Hz gezählt; 0/4 Antworten entsprechen einer kompletten Relaxierung).

21

Empfehlung: Anästhesieprotokoll Zusammenfassend wird die totale intravenöse Anästhesie (TIVA) bestehend aus Propofol und einem Opioid empfohlen; Inhalationsanästhetika können mit einer MAK<0,5 angewandt werden.

21.3

Praktische Durchführung

21.3.1 Indikation zum intraoperativen MEP-

Monitoring Inhalationsanästhetika und Hypnotika Untersuchungen des Einflusses von halogenierten Inhalationsanästhetika auf die Generierung sowohl spinaler wie muskulärer MEP haben gezeigt, dass Isofluran gefolgt von Enfluran und Halothan dosisabhängig v. a. muskuläre MEP supprimiert. Die jüngeren Substanzen Desfluran und Sevofluran entsprechen der Potenz des Isoflurans, sind jedoch besser steuerbar. Mit weniger als 0,5 maximale alveoläre Konzentration (MAK) können muskuläre MEP abgeleitet werden (Kalkman et al. 1992). Barbiturate und Benzodiazepine wirken vergleichbar den halogenierten Substanzen supprimierend auf MEP. Obwohl Propofol in höheren Dosen ein burst-suppression Muster bis hin zur isoelektrischen Stille im EEG induziert, lassen sich unter gebräuchlicher Dosierung verlässlich muskuläre MEP ableiten (Kalkman et al. 1992). Im Vergleich zu den Inhalationsanästhetika liegt die motorische Schwelle bei geringerer Stimulationsintensität und die Amplituden sind größer. Ketamin, das beim Erwachsenen aufgrund der in der Aufwachphase auftretenden Halluzinationen und »bad trips« (Cave: keine Amnesie!) nur bei bestimmten Indikationen eingesetzt wird, ruft Analgesie und Bewusstlosigkeit, aber keine Muskelrelaxierung hervor. Muskuläre MEP werden in niedriger Dosierung »fazilitiert« und erst in höherer supprimiert. Nach eigener Erfahrung und publizierten Daten kann bei Patienten mit bestehenden motorischen Ausfällen während der Exstirpation intramedullärer Prozesse die additive Ketamingabe zur totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) die Ableitung von muskulären MEP ermöglichen (Kawaguchi et al. 2000).

Bei allen operativen Eingriffen, bei denen durch direkte chirurgische oder indirekte (z. B. Lagerung) Manipulation das motorische System betroffen ist, ist eine kontinuierliche intraoperative MEP-Ableitung sinnvoll: thorakale Aortenchirurgie, Skoliosekorrektur, neurochirurgische Eingriffe in der Zentralregion und am Hirnstamm, spinale Tumore.

21.3.2 Nebenwirkungen und

Patientensicherheit Grundsätzlich sollten Patienten mit implantierten elektrischen Geräten von der Untersuchung ausgenommen werden (7 Kap. 4). Bedenken gegen die intraoperative Anwendung der TES bestehen bzgl. eines gewebeschädigenden Stromflusses (7 20.4), Verletzungen durch Bewegung, insbesondere Bissverletzungen durch direkte Aktivierung der Kaumuskulatur und bzgl. der Auslösung von epileptischen Anfällen. Ein Beißschutz (Güdeltubus, gerollte Mullkompresse) schützt vor Verletzungen von Zunge, Zähnen und Tubus. Epileptische Anfälle werden in weniger als 0,5 der TES-Anwendungen gesehen. Da der Nutzen des MEP-Monitorings die Nebenwirkungen übersteigt, sind bekannte Epilepsien, kardiale Vorerkrankungen (anekdot. Auslösung von Arrhythmien) und ein erhöhter intrakranieller Druck nur relative Kontraindikationen (MacDonald 2002, 2006).

21.3.1 Monitoring muskulärer MEP

Analgetika

Stimulationsparameter

Opioide (Fentanyl, Sufentanil, Remifentanyl) beeinflussen die Amplituden muskuläre MEP relativ gering. Dennoch sollten Bolusgaben wegen einer möglichen und dann schwer zuzuordnenden Amplitudenminderung vermieden werden.

Reizssalve. Die beim Wachen durch einen Einzelreiz

ausgelöste deszendierende Erregungssalve muss beim Patienten in Narkose durch eine hochfrequente Reizsalve generiert werden (Taniguchi et al. 1993). Dazu wird ein anodaler Stimulus bestehend aus 5 (3‒9) Rechteck-Einzelreizen mit einem Interstimulusintervall (ISI) von 2–4 ms (i. e. 250–500 Hz) appliziert. Un-

222

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 21 · Intraoperatives Monitoring/Intensivmedizin

ter moderater Anästhesie generiert jeder Einzelstimulus bei schwellennaher Stimulation eine D-Welle, deren relative Refraktärzeit 4 ms beträgt (Novak et al. 2004). Somit ist mit einer ISI von 4 ms die niedrigste motorische Reizschwelle zur Generierung eines muskulären MEP zu erwarten. Bei geänderter Anästhesietiefe, supramaximaler Stimulation oder einer Affektion des motorischen Systems kann eine kürzere, aber auch längere ISI zu stabileren und amplitudengrößeren muskulären MEP führen (Reinacher et al. 2006). Dies sollte individuell intraoperativ getestet und angepasst werden. Stimulationsintensität. Die

Stimulationsintensitäten hängen neben den o.g. Stimulationsparametern von der Kalottendicke, der individuellen Anästhetikaempfindlichkeit und vorbestehenden Läsionen des motorischen Systems ab. Die Stimulationsintensität sollte unter Beobachtung von Patientenbewegungen beginnend bei 60 V bzw. 40 mA schrittweise erhöht werden.

Gerätewahl: TMS oder TES? TMS. Um TMS intraoperativ anzuwenden, sind eine zum Kopf unverrückbare Spulenposition, Stimulationsfrequenzen >100 Hz, eine Kontrolle der Spulenerwärmung und ‒ bei neurochirurgischen intrakraniellen Eingriffen ‒ ein steriler Aufbau für die zum intrakraniellen Eingriff wesentliche ipsilaterale Stimulation Bedingung. Dies ist derzeit technisch nicht zuverlässig möglich. Die einfacher anzubringenden Stimulationselektroden und die schnelle Repetitionsfrequenz elektrischer Stimulatoren haben zu einer nahezu ausschließlichen Anwendung der TES im Operationssaal geführt.

Lokalisation der Stimulationselektroden TES. Zur Stimulation können Oberflächen- (Nachteil:

aufwendige Applikation mit Kollodium) oder Nadelelektroden verwendet werden. Elektroden vom Korkenziehertyp haben Impedanzen <1 kÙ und den Vorteil nicht zu dislozieren (Nachteil: Blutung beim Entfernen, Hämatombildung). Die Position und Verschaltung der Stimulationselektroden erfolgt nach dem 10‒ 20 EEG-Schema, gemäß der kortikalen motorischen Repräsentationsareale und der Ausbreitung des elektrischen Feldes. Am Anfang empfiehlt sich ein »start easy«: Für spinale Eingriffe ist eine Elektrodenposition über C3 oder C4 ausreichend (Cave: erhebliche Patientenbewegung durch Aktivierung axialer Muskulatur möglich). Bei intrakraniellen Eingriffen wird eine möglichst oberflächennahe Aktivierung der kortikalen Pyramidenzellen im Übergang grauer zur weißen Substanz gewünscht. Dies wird vermutlich mit einer gering überschwelligen Stimulation an den Positionen C1 und C2 erreicht. Die Handareale werden bevorzugt mit der Anodenposition über C3 für die linke Hemisphäre bzw. C4 für die rechte Hemisphäre und der Kathodenreferenz über Cz aktiviert. Mit einer über Cz platzierten Anode und einer dazu 6 cm anterior gesetzten Kathode wird eine fokale Aktivierung der Beinmuskeln erreicht (Deletis 2002). ! Eine spinale Stimulation mit Katheterelektroden ist zur Auslösung spinaler MEP nicht geeignet, da der kortikospinale Trakt (KST) nicht selektiv aktiviert wird und die abgeleitete Aktivität eine Mischung aller aktivierten Bahnsysteme, z. B. des propriospinalen Systems darstellt. Eine Schädigung des KST kann damit unerkannt bleiben (Minahan et al. 2001).

TES. Zur Auswahl steht die Hochvoltstimulation (Fa.

Digitimer, UK) mit einer festen Pulsbreite von 50 µs, einer maximalen Spannung von 1.000 V und in Abhängigkeit der Elektrodenimpedanz einem Stromstärke bis 1.500 mA (7 Kap. 20). Die alternative Konstantstromstimulation wird mit Pulsbreiten von 0,4– 1 ms durchgeführt. Die 100-mA-Begrenzung der meisten Ableitgeräte reicht nicht für ein kontinuierliches und stabiles MEP-Monitoring aus, erfahrungsgemäß werden Stromstärken bis 200 mA benötigt (Osiris, Fa. Inomed). Aus theoretischen Überlegungen ist der Konstantstromstimulation wegen der relativen Unabhängigkeit von der Elektrodenimpedanz der Vorzug zu geben.

21.3.2 Kranielle Eingriﬀe: Muskuläre MEP

Durchführung Die Wahl der Zielmuskeln richtet sich nach der Lokalisation des Eingriffs und der potenziellen Genese einer Funktionsstörung. Wird eine vaskuläre Genese, z. B. Gefäßokklusion während des Clippings eines intrazerebralen Aneurysmas, erwartet, so sollten die Zielmuskeln der kortikalen Repräsentation der Gefäßterritorien entsprechen: z. B. A. cerebri media: kontralateraler M. abd. pollicis brevis, M. bizeps brachii und M. extensor digit. communis. Wird eine mechanische Genese durch die Manipulation in der direkten Nähe motorisch kortikaler oder subkortikaler Bahnsysteme erwartet, z. B. bei Prozessen der Zentralregion, sollten die Zielmuskeln diese Areale repräsentieren: z. B.

223

21.3 Praktische Durchführung

21

. Tab. .. MEP-Beurteilung bei supratentoriellen Eingriﬀen. (Mod. nach Neuloh u. Schramm 2002 und eigener Erfahrung in über 500 Fällen) Intraoperativer MEP-Verlauf

Zu erwartende postoperative motorische Funktion Unverändert

Transiente Parese/Plegie

Permanente Parese/Plegie

Unverändert

Meist

Selten

Nicht berichtet

Transient reduziert

Selten

Wahrscheinlich

Selten

Permanent reduziert

Sehr selten

Wahrscheinlich

Wahrscheinlich

Permanenter Verlust

Nicht berichtet

Selten

Meist

Tumore der Mantelkante: kontralateraler M. tibialis anterior, M. quadrizeps und M. abductor hallucis. Bei chirurgischer Exposition des motorischen Kortex werden zusätzlich Verfahren mit direkter kortikaler Stimulation eingesetzt. Deren Stimulationsparameter entsprechen denen der TES (7 20), die Stimulationsintensität wird allerdings wegen der direkten kortikalen Aktivierung auf 20 mA begrenzt. Beurteilung. Ein plötzlicher Anstieg der motorischen

Reizschwelle und/oder eine gleichzeitige 50-Amplitudenminderung unter Ausschluss anderer Ursachen sind Warnkriterien, die von einer Überprüfung der Operationsstrategie gefolgt werden sollten. Bei erhaltenen oder temporär veränderten muskulären MEP ist der postoperative klinische motorische Befund meist unverändert, es kann allenfalls eine diskrete und temporäre Parese beobachtet werden (. Tab. 21.1). Diese Variabilität des klinischen Befundes liegt in der bislang nicht quantifizierbaren Bewertung der muskulären MEP. Ein permanenter muskulärer MEP-Verlust sagt jedoch immer eine meist permanente hochgradige Parese voraus (Neuloh et al. 2004; Szelényi et al. 2006). > Ausblick: Präoperativer Einsatz der TMS Die präoperative Diagnostik mittels TMS kann zur Evaluation subklinischer Läsionen des motorischen Systems einen wichtigen Beitrag leisten. Zunehmend wird das Mapping motorischer, wie sprachrelevanter Areale und deren Verbindung zu fMRT in die neurochirurgische Operationsplanung mit einbezogen werden (7 Kap. 37, 40 und 43).

21.3.3 Spinale Eingriﬀe: Kombination

muskulärer und spinaler MEP Stimulationsparameter spinale MEP Einzelpuls. Spinale MEP werden epidural mit Katheterelektroden abgeleitet. Die Amplitude der D-Welle nimmt entsprechend der kranio-kaudalen Verringerung schnellleitender kortikospinaler Fasern ab und kann kaudal BWK10 bzw. ab dem Konus nicht abgeleitet werden. Beurteilt werden spinale MEP durch die Messung der Amplitude der evozierten D-Welle. Die Stimulationsstärke entspricht der motorischen Reizschwelle der muskulären MEP kaudal der spinalen MEP.

Durchführung: Spinales Monitoring Bei Eingriffen an der Wirbelsäule stehen Läsionen vaskulärer Genese im Vordergrund, sodass das Monitoring des KST von Bedeutung ist: MEP vom M. abductor hallucis brevis und M. tibialis anterior beider Seiten, die bei zervikalen Eingriffen durch Kennmuskeln des jeweiligen Segments ergänzt werden können. Bei intraduralen und intramedullären spinalen Operationen sollten zusätzlich bei zervikalen oder lumbalen Eingriffen die Kennmuskeln des/der jeweiligen Segments wegen möglicher direkter mechanischer Irritation des Vorderhorns oder der Wurzeln abgeleitet werden. Beurteilung. Plötzliche muskuläre und spinale MEP-

Veränderungen sind häufig das erste Zeichen einer beginnenden Funktionsstörung des KST und sollten zu einer Resektionspause, bei Bestätigung der Veränderungen zu einem Strategiewechsel und allgemeinen Maßnahmen wie Blutdruckerhöhung zur besseren spinalen Perfusion führen. Ableitbare muskuläre MEP sagen erhaltene motorische Funktion voraus. Bei einem Verlust der muskulären MEP zeigen vorhandene spinale MEP eine Aktivierung des KST an, die jedoch nicht zur Generierung muskulärer MEP

224

Kapitel 21 · Intraoperatives Monitoring/Intensivmedizin

21

. Tab. .. MEP-Beurteilung bei spinalen intraduralen Eingriﬀen. (Nach Kothbauer et al. 1998)

22

Muskuläre MEP

Spinale MEP

Zu erwartender postoperativer neurologischer Befund

Unverändert

Unverändert

Unverändert, allenfalls transiente leichtgradige Para-/Tetraparese

Verlust

>50% Ausgangsamplitude

Transiente Para-/Tetraparese

Verlust

<50% Ausgangsamplitude

Permanente Para-/Tetraparese

Verlust

Nicht abzuleiten

Transiente–permanente Para-/Tetraparese: keine Diﬀerenzierung möglich!

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

ausreicht: postoperativ tritt eine transiente Para-/Tetraparese auf. Tritt eine hochgradige Minderung oder ein Verlust der D-Welle ein, ist die Para-/Tetraparese permanent. Somit kann die Kombination muskulärer und spinaler MEP sicher permanente oder transiente postoperative Defizite vorhersagen: eine über 50 Minderung der D-Welle und ein Verlust muskulärer MEP wird von einer bleibenden schweren Para-/Te-

21.4

traparese gefolgt (Kothbauer et al. 1998). Können spinale MEP aufgrund eines Alters unter 21 Monaten, der lumbo-sakralen Lokalisation der Operation oder einer hochgradigen Desynchronisation der Erregungsleitung nicht abgeleitet werden, ist diese Unterscheidung nicht möglich. Aufgrund der multisegmentalen Versorgung der meisten Extremitätenmuskeln kann eine Wurzelläsion unbemerkt bleiben (. Tab. 21.2).

Fallbeispiel

Das Fallbeispiel zeigt die simultane spinale und muskuläre MEP-Ableitung (. Abb. 21.1). . Abb. .. Ableitung von muskulären MEP von beiden Mm. tibiales anteriores und der spinalen MEP in Höhe des unteren Zervikalmarks. Die muskulären MEP wurden durch eine Salve von 7 TES-Pulsen (Interstimulusintervall 4 ms) ausgelöst, das spinale MEP (D-Welle) durch einen TES-Einzelpuls. Während der operativen Exstirpation eines intramedullären Tumors kam es zu einem Verlust der muskulären MEP und einer 40%igen Amplitudenminderung der spinalen MEP. Postoperativ bestand eine transiente Paraplegie mit kompletter Erholung nach einer Woche. (Aus Deletis u. Kothbauer 1998)

225

Literatur

> Zur technischen Kontrolle und Beurteilung nichtchirurgischer Einﬂüsse wird die Ableitung mindestens eines muskulären MEP empfohlen, dessen zentrale Repräsentation kontralateral bzw. dessen spinales Segment rostral des Eingriﬀs liegt.

21.5

MEP in der Intensivmedizin

Während die Wertigkeit der SEP und akustisch evozierten Potenzialen (AEP) für eine hinreichende Aussage zur Gesamtprognose bei Patienten mit traumatischen wie nicht traumatisch bedingten schweren Schädelhirnverletzungen evaluiert wurde, fehlen diese Daten für MEP. Diese werden zur spezifischen Evaluation und Prognose eines motorischen Defizits meist im intensivmedizinischen Verlauf nach Absetzen der Analgosedierung durchgeführt. Alle Studien sind durch die Verwendung der Einzelpulsstimulation und einem durch das Absetzen der Analgosedierung entsprechendem variablen Zeitabstand nach dem Ereignis limitiert. So korreliert bei Patienten mit intrinsischen Hirnstammläsionen die Ableitbarkeit von MEP mit einer Sensitivität von 0,65 und Spezifität von 0,97 mit dem klinischen motorischen Befund nach 3 Monaten (Schwarz et al. 2000). Bei Rückenmarkverletzungen korreliert die Evozierbarkeit von MEP gut mit dem klinischen Befund. In der Frühphase nach einem spinalen Trauma prognostizieren erhaltene MEP eine Restitution. Die Evaluation der Atemmuskulatur kann ebenfalls zur Prognose einer dauerhaften Beatmungspflicht bei hochzervikalen Läsionen herangezogen werden. Werden Patienten mit einem spinalen Trauma früh operativ stabilisiert, ist die Ableitung spinaler und muskulärer MEP intraoperativ zur Diagnostik möglich. Bei inkompletten Läsionen und erhaltenen MEP kann ein weiteres medulläres Trauma, z. B. durch die Lagerung einer instabilen zervikalen Wirbelsäule, verhindert werden. Nach einem spinalen Trauma sagen erloschene spinale und muskuläre MEP eine permanente Paraplegie voraus, während die Ableitung erhaltener spinaler MEP bei erloschenen muskulären MEP die Erholung der motorischen Funktion ankündigen (Costa et al. 2006; persönl. Mitteilung). Beim Analgosedierten oder tief komatösen Patienten ist der TES mit einer Stimulationssalve wie im intraoperativen Setting der Vorzug zu geben. Aus eigener Beobachtung entspricht die Beurteilung der muskulären MEP bei moderater Analgosedierung bei Patienten in der Frühphase einer schweren Schädelhirnverletzung jeglicher Genese denen der intraope-

21

rativen Kriterien (publizierte evidenzbasierte Daten fehlen).

Literatur Amassian VE, Cracco RQ (1987) Human cerebral cortical responses to contralateral transcranial stimulation. Neurosurgery 20: 148–155 Brocke J, Irlbacher K, Hauptmann B et al. (2005) Transcranial magnetic and electrical stimulation compared: does TES activate intracortical neuronal circuits? Clin Neurophysiol 116: 2748–2756 Costa P, Bruno A, Muratore M et al. (2006) Neurophysiologic assessment of spinal cord function in spine and spinal cord trauma: An intraoperative study. Suppl Clin Neurophysiol 117, pp 116 Deletis V, Kothbauer K (1998) Intraoperative neurophysiology of the corticospinal tract. In: Stålberg E, Sharma HS, Olsson Y. (eds.) Spinal Cord Monitoring 17, Springer Verlag, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 421–444 2Deletis V (2002) Intraoperative Neurohphysiology and methodologies used to monitor the functional integrity of the motor system. In: Deletis V, Shils J (eds) Neurophysiology in Neurosurgery: A modern intraoperative approach 1(2), Academic Press, New York, pp 25–51 Weiterführende Spezialliteratur zur intraoperativen Neurophysiologie des motorischen Systems. Hicks R, Burke D, Stephen J et al. (1992) Corticospinal volleys evoked by electrical stimulation of human motor cortex after withdrawal of volatile anaesthetics. J Physiol 456: 393–404 Kalkman CJ, Drummond JC, Ribberink AA et al. (1992) Eﬀects of propofol, etomidate, midazolam, and fentanyl on motor evoked responses to transcranial electrical or magnetic stimulation in humans. Anesthesiology 76: 502–509 Kawaguchi M, Sakamoto T, Inoue S et al. (2000) Low dose propofol as a supplement to ketamine-based anesthesia during intraoperative monitoring of motor-evoked potentials. Spine 25: 974–979 1Kothbauer K, Deletis V, Epstein F (1998) Motor-evoked potential monitoring for intramedullary spinal cord tumor surgery: correlation of clinical and neurophysiological data in a series of 100 consecutive procedures. Neurosurgical Focus 4: 1–9 Artikel beschreibt erstmals die klinische Wertigkeit der kombinierten Anwendung spinaler und muskulärer MEP in einer großen Fallzahl. 2MacDonald DB (2002) Safety of Intraoperative Transcranial Electrical Stimulation Motor Evoked Potential Monitoring. J Clin Neurophysiol 19: 416–429 Wichtiger Übersichtsartikel zu Sicherheitsaspekten der intraoperativen TES-Andwendung. 2MacDonald DB (2006) Intraoperative motor evoked potential monitoring: overview and update. J Clin Monit Comput 20: 347–377

226

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 21 · Intraoperatives Monitoring/Intensivmedizin

Empfehlenswerter weiterführender Artikel, der zahlreiche Aspekte der derzeit intraoperativ möglichen Anwendung von MEP beschreibt. Minahan RE, Sepkuty JP, Lesser RP et al. (2001) Anterior spinal cord injury with preserved neurogenic ‚motor’ evoked potentials. Clin Neurophysiol 112: 1442–1450 Neuloh G, Pechstein U, Cedzich C et al. (2004) Motor evoked potential monitoring in supratentorial surgery. Neurosurgery 54: 1061–1072 Neuloh G, Schramm J (2002) Intraoperative Neurophysiological Mapping and Monitoring. In: Deletis V, Shils J (eds) Neurophysiology in Neurosurgery: A modern intraoperative approach 1(15), Academic Press, New York, pp 386– 387 Novak K, de Camargo AB, Neuwirth M et al. (2004) The refractory period of fast conducting corticospinal tract axons in man and its implications for intraoperative monitoring of motor evoked potentials. Clin Neurophysiol 115: 1931– 1941 Patton HD, Amassian VE (1954) Single- and multiple unit analysis of cortical state of pyramidal tract activation. J Neurophysiol 17: 345–363 Penﬁeld W, Boldrey E (1937) Somatic motor and sensory representation in the cerebral cortex of man as studied by electric stimulation. Brain 60: 389–443 Reinacher PC, Priebe HJ, Blumrich W et al. (2006) The eﬀects of stimulation pattern and sevoﬂurane concentration on intraoperative motor-evoked potentials. Anesth Analg 102: 888–895 Schwarz S, Hacke W, Schwab S (2000) Magnetic evoked potentials in neurocritical care patients with acute brainstem lesions. J Neurol Sci 172: 30–37 Szelényi A, Langer D, Kothbauer K et al. (2006) Motor Evoked Potentials Monitoring during cerebral aneurysm surgery: Intraoperative changes and postoperative outcome. J Neurosurg 105: 675–681 Taniguchi M, Cedzich C, Schramm J (1993) Modiﬁcation of cortical stimulation for motor evoked potentials under general anesthesia: technical description. Neurosurgery 32: 219–226 Thompson PD, Day BL, Crockard HA et al. (1991) Intra-operative recording of motor tract potentials at the cervico-medullary junction following scalp electrical and magnetic stimulation of the motor cortex. J Neurol Neurosurg Psychiatry 54: 618–623

227

Spezielle Diagnostik: Wichtige Krankheitsbilder

22

Multiple Sklerose

– 229

Patrick Jung, Ulf Ziemann

23

Motoneuronerkrankungen – 237 Klaus Krampfl, Reinhard Dengler

24

Schlaganfall

– 247

Joachim Liepert

25

Myelopathien

– 255

Sven Schippling

26

Epilepsien

– 261

Janine Reis, Hajo M. Hamer, Felix Rosenow

27

Bewegungsstörungen

– 273

Alexander Wolters

28

Zerebelläre Erkrankungen

– 281

Karl Wessel

29

Migräne

– 287

Michael Siniatchkin, Thorsten Bartsch

30

Psychiatrische Erkrankungen Malek Bajbouj

– 297

22 IV

229

22

Multiple Sklerose Patrick Jung, Ulf Ziemann

22.1

Pathophysiologische Grundlagen – 230

22.2

Diagnostische Wertigkeit von TMS-Messwerten – 231

22.2.1 22.2.2

Sensitivität – 231 Speziﬁtät – 232

22.2.3 22.2.4 22.2.5

Detektion subklinischer Läsionen – 232 Prognostischer Wert – 233 Surrogatmarker klinischer Krankheitsprogression und therapeutischer Effekte – 233

22.3

Fallbeispiel – 234

Literatur

– 235

ZUM THEMA In diesem Kapitel wird auf die diagnostische Wertigkeit der bisher am besten untersuchten TMS-Messwerte zum Nachweis demyelinisierender und axonaler Schädigungen des kortikospinalen Traktes bei Patienten mit multipler Sklerose (MS) eingegangen, d. h. durch Einzelpuls-TMS ausgelöste motorisch evozierte Potenziale (MEP) und zentralmotorische Leitungszeiten, durch die Triple-Stimulationstechnik (TST) ausgelöste MEP und die ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP). In den aktuellen diagnostischen Kriterien der MS werden die Ergebnisse von TMS-Messwerten nicht mehr berücksichtigt, da diese im paraklinischen Nachweis einer räumlichen Dissemination von Läsionen der konventionellen Magnetresonanztomograﬁe (MRT) deutlich unterlegen sind. Im Gegensatz zur MRT können

TMS-Kennwerte jedoch den demyelinisierenden Charakter einer Schädigung identiﬁzieren. Des Weiteren zeigen MEP und die mittels TST bestimmten MEP-Amplituden einen engeren Zusammenhang mit klinischmotorischen Deﬁziten als die MRT und können durch eine Kortisonschubbehandlung induzierte rasche Verbesserungen klinisch-motorischer Deﬁzite verlässlich widerspiegeln. Im Vergleich zur konventionellen MRT kann durch multimodale evozierte Potenziale (EP) unter Einschluss der MEP eine wesentlich höhere transversale und longitudinale Korrelation mit der bei der MS gebräuchlichen klinischen Skala der Expanded Disability Status Scale (EDSS) erzielt werden. Zusätzlich liefern multimodale EP unter Einschluss der MEP im Gegensatz zur konventionellen MRT einen moderaten prognostischen Wert bei der sicheren MS.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

230

Kapitel 22 · Multiple Sklerose

22.1

Pathophysiologische Grundlagen

Die multiple Sklerose (MS) führt zu multiplen fokalen, räumlich disseminierten Demyelinisierungen und Axonverlusten in der weißen Substanz des zentralen Nervensystems (ZNS). In jüngster Zeit konnten für die MS jedoch auch eine diffuse Schädigung des ZNS und fokale Läsionen in der grauen Substanz nachgewiesen werden. Für die Entstehung der ZNSSchäden werden sowohl entzündliche als auch primär neurodegenerative pathogenetische Prozesse verantwortlich gemacht. Im Rahmen der entzündlichen

Vorgänge kommt es zu Makrophagen- und T-Zellvermittelten Entmarkungen bzw. zu Antikörper- und Komplement-vermittelter Phagozytose von Myelinbestandteilen; bei den primär degenerativen Mechanismen handelt es sich in erster Linie um die Apoptose Myelin-bildender Oligodendrozyten. Durch die Demyelinisierung der Axone und freigesetzte Entzündungsmediatoren kann es zu einer irreversiblen Schädigung von Axonen kommen. Der Krankheitsverlauf der MS ist neben diesen destruktiven Vorgängen auch abhängig von reparativen Prozessen in Form von Remyelinisierungen.

Exkurs Physiologie und Pathophysiologie der Erregungsleitung in myelinisierten Axonen In einem zentralen myelinisierten Axon folgen markhaltige (Internodien) und sehr kurze marklose (Ranvier-Schnürringe) Abschnitte aufeinander. In den markhaltigen Abschnitten sind der Membranwiderstand sehr groß und die Membrankapazität niedrig, so dass es in diesen Bereichen zu nahezu keinem transmembranalen Stromverlust kommt. Die Erregung (Auslösung von Aktionspotenzialen) wird hierdurch saltatorisch weitergeleitet, d. h. es kommt zu einer sprunghaften und damit deutlich beschleunigten Erregungsausbreitung von einem RanvierSchnürring zum nächsten. Unter physiologischen Bedingungen können Aktionspotenziale nur im Bereich eines Schnürrings ausgelöst werden, durch die Aktivierung einer hohen Anzahl an Natriumkanälen. Im Internodium hingegen ist die Anzahl der Natriumkanäle zu gering zur Auslösung eines Aktionspotenzials, ferner ﬁnden sich hier repolarisierende Kaliumkanäle in geringer Dichte. In einem akut demyelinisierten Axon treten vermehrt Stromverluste über die internodale Membran auf. Hierdurch wird die zur Auslösung eines Aktionspotenzials benötige Depolarisationsschwelle am nächsten Schnürring verzögert erreicht; es resultiert eine Verlangsamung der Geschwindigkeit der Erregungsausbreitung. Bei schweren Myelinverlusten kann es sogar vorkommen, dass die Schwelle zur Auslösung eines Aktionspotenzials am nächsten Schnürring nicht überschritten wird; es resultiert ein Leitungsblock bei intaktem Axon. Das Ausmaß demyelinisierender Schädigungen der einzelnen Axone kann sehr variabel sein, die Folge ist eine zeitlich disperse Impulsfortleitung innerhalb eines Bündels parallel verlaufender Axone. Des Weiteren sind in demyelinisierten Axonen die Refraktärperioden durch

Aktivierung internodaler Kalium-Kanäle verlängert, wodurch Leitungsblöcke bei höherfrequenten Impulssalven auftreten können. In einem Bündel parallel verlaufender demyelinisierter Axone kann es zu einem abnormen Überspringen der Erregung zwischen benachbarten Axonen kommen (ephaptische Erregungsübertragung). Auf diese Weise kann aber auch in einer fokalen MS-Läsion die ektope Erregung einer übererregbaren Faser auf eine relevante Anzahl von Axonen übertragen werden. Dies führt in sensiblen Nervenfasern z. B. zu MS-charakteristischen Symptomen wie Parästhesien. Eine weitere wichtige Eigenschaft demyelinisierter Nervenfasern ist die hohe Empﬁndlichkeit gegenüber Temperaturveränderungen. Temperaturerhöhungen im physiologischen Bereich führen bei intakten Nervenfasern zu einer beschleunigten Impulsfortleitung, erst ab einer Temperatur von ca. 50°C wird die Erregungsweiterleitung blockiert. Im Gegensatz dazu können bei demyelinisierten Fasern bereits Temperaturerhöhungen um 0,5°C Leitungsblöcke zur Folge haben. Dies kann zur klinischen Manifestation subklinischer Läsionen oder zur Verstärkung vorbestehender Beschwerden führen (Uhthoﬀ-Phänomen). Nach einer akuten demyelinisierenden Schädigung kann es zu verschiedenen reparativen Prozessen kommen, z. B. konnte die Expression einer erhöhten Natrium-Kanal-Dichte an demyelinisierten internodalen Axonsegmenten demonstriert werden. Hieraus folgt eine kontinuierliche Erregungsfortleitung wie sie an marklosen Fasern normalerweise zu beobachten ist. Auf diese Weise kann an schwer demyelinisierten

6

231

22.2 Diagnostische Wertigkeit von TMS-Messwerten

Axonen eine Erregungsweiterleitung wiederhergestellt werden, allerdings mit einer deutlich langsameren Ausbreitungsgeschwindigkeit. Auch Remyelinisierungen konnten gezeigt werden. Hierbei ist die Erregungsweiterleitung in der Regel ebenfalls verzögert, da remyelinisierte Fasern meist dünnere und verkürzte Internodien aufweisen.

22.2

Diagnostische Wertigkeit von TMS-Messwerten

Die bisher am besten untersuchten TMS-Messwerte bei MS-Patienten sind die durch Einzelpuls-TMS ausgelösten motorisch evozierten Potenziale (MEP) bzw. die zentralmotorischen Leitungszeiten (ZML; 7 Kap. 5–10). In diesem Abschnitt wird die diagnostische Wertigkeit der MEP für die MS dargelegt, unter Berücksichtigung von 5 Sensitivität, 5 Spezifität, 5 Detektionsrate subklinischer Läsionen, 5 Wert als Prognosemarker, 5 Wert als Progressionsmarker. Daneben sollen auch die ipsilaterale Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP) und die mittels der Triple-Stimulationstechnik (TST; 7 Kap. 11) bestimmten MEP-Amplituden besprochen werden, soweit für die MS-Daten diese TMS-Messwerte zu den verschiedenen Aspekten vorliegen.

22

22.2.1 Sensitivität Unter allen evozierten Potenzialen (EP) weisen die MEP der unteren Extremitäten und die visuellen EP (VEP) mit ca. 75 die höchste Sensitivität bei der sicheren MS auf (. Abb. 22.1). Es ist sogar von einer höheren Sensitivität der MEP im Vergleich zu den VEP auszugehen, wenn MEP der oberen und der unteren Extremitäten kombiniert gemessen werden. Eigene, bisher unveröffentlichte Daten bestätigen diesen Befund (. Abb. 22.1). Die MEP sind demnach die EP-Modalität mit der höchsten Sensitivität bei MS. Die Sensitivitätsangaben in . Abb. 22.1 beziehen sich auf die Gesamtgruppe von MS-Patienten, d.h. eine Unterscheidung nach den verschiedenen Verlaufsformen der MS (schubförmig-remittierend, sekundär chronisch-progredient, schubförmig-progredient, primär chronisch-progredient), der Krankheitsdauer und der Schwere der klinischen Beeinträchtigung ist – mangels ausreichend publizierter Daten – nicht berücksichtigt. Die Sensitivität aller EP-Modalitäten steigt jedoch mit 5 zunehmender Krankheitsdauer, 5 zunehmendem klinischen Defizit, 5 ferner ist sie höher bei der primär und sekundär chronisch-progredienten als bei schubförmigremittierenden Verlaufsform, 5 der sicheren im Vergleich zur möglichen MS. Es existieren bisher keine aussagekräftigen direkten prospektiven Vergleichsstudien zwischen den Sensitivitäten der MEP und der konventionellen Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns sowie oligoklonaler Banden (OKB) im Liquor. Zahlreiche Studi-

. Abb. .. Vergleich der mittleren Sensitivitäten verschiedener EP-Modalitäten (Fehlerbalken = einfache Standardabweichung) bei diagnostisch gesicherter MS, wobei eine Diﬀerenzierung zwischen den verschiedenen MS-Verlaufsformen nicht berücksichtigt ist. VEP visuell evozierte Potenziale; FAEP frühe akustisch evozierte Potenziale; MN-SEP somatosensorisch evozierte Potenziale nach Stimulation des N. medianus; TN-SEP somatosensorisch evozierte Potenziale nach Stimulation des N. tibialis; MEP motorisch evozierte Potenziale. Kumulierte Daten aus Studien, die die Sensitivität der MEP mit mindestens einer weiteren EP-Modalität vergleichen. (Hess et al. 1987; Kandler et al. 1991; Leocani et al. 2006; Mayr et al. 1991; Ravnborg et al. 1992; Witt et al. 1988; eigene Daten)

232

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 22 · Multiple Sklerose

en untersuchten jedoch die Sensitivität der MRT und von OKB bei der MS, ohne diese mit den MEP direkt zu vergleichen. Nach diesen Studien muss gegenüber den MEP von einer deutlich höheren Sensitivität der MRT (ca. 95) und einer geringfügig höheren bis gleichwertigen Sensitivität der OKB (ca. 80) (Comi et al. 1999) ausgegangen werden. Bisher fehlen Daten bez. der MEP-Detektionsrate von MS-Läsionen im Rückenmark und deren Vergleich mit der spinalen MRT. Die in der klinischen Routine angewandten MEPMessungen lassen jedoch keine genaue topografische Zuordnung von ZNS-Läsionen zu. Hierfür ist die Durchführung fraktionierter Leitungszeitmessungen oder die ZML-Messung zu Zielmuskeln mehrerer spinaler Segmente (7 Kap. 6) notwendig, welche allerdings aufgrund ihres höheren zeitlichen Aufwands und für die fraktionierten Leitungszeitmessungen der Schmerzhaftigkeit spinaler elektrischer Stimulationen als zusatzdiagnostische Standardverfahren nicht geeignet sind. Amplitudenmessungen mittels Einzelpuls-TMS ausgelöster MEP liefern aufgrund ihrer hohen intraund interindividuellen Variabilität keinen relevanten diagnostischen Nutzen (7 Kap. 5 und 11). Unter Verwendung der TST können zentralmotorische Leitungsblöcke und/oder Verluste kortikospinaler Axone valide quantifiziert werden. Mittels TST bestimmte MEP-Amplituden (abgeleitet von einem Handmuskel) zeigen in einer Gruppe unselektierter MS-Patienten eine deutlich höhere Sensitivität (48) als die mittels Einzelpuls-TMS gemessene ZML und MEPAmplituden (27) (Magistris et al. 1999). Ähnlich wie die Messung fraktionierter Leitungszeitmessungen ist die Anwendung der TST als Routineverfahren in der MS-Diagnostik nur eingeschränkt einsetzbar, aufgrund ihres derzeit noch relativ hohen zeitlichen Aufwands und der als unangenehm empfundenen elektrischen Stimulation über dem Erb-Punkt. Die iSP galt lange als elektrophysiologischer Marker, der transkallosale motorische Leitungsstörungen spezifisch abbilden kann (Meyer et al. 1998). Einige Studien fanden eine hohe Sensitivität der iSP von 74‒ 80 bei der MS (Höppner et al. 1999; Schmierer et al. 2000), was plausibel erschien, da das Corpus callosum im Rahmen der MS frühzeitig und häufig geschädigt wird. Eine rezente Studie zeigte aber, dass die iSP nicht ausschließlich über transkallosale motorische Fasern vermittelt wird und zumindest im frühen Stadium der schubförmig-remittierenden MS eine nur geringe Sensitivität von 29 aufweist (Jung et al. 2006).

22.2.2 Speziﬁtät Pathologische MEP- bzw. ZML-Verlängerungen sind wenig spezifisch für die MS (7 Kap. 23–25, 27–28). Das gleiche gilt für die mittels der TST nachgewiesenen zentralmotorischen Leitungsstörungen und die iSP. Von einer demyelinisierenden Erkrankung kann jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, wenn eine deutliche ZML-Verlängerung trotz scharf konfigurierter MEP normaler Amplitude oder eine deutlich disperse MEP-Konfiguration vorliegen.

22.2.3 Detektion subklinischer Läsionen Die Identifikation subklinischer Läsionen ist zum Nachweis einer räumlichen Dissemination und damit zur Diagnosesicherung der MS von essenzieller Bedeutung. Von allen EP-Modalitäten gelang der Nachweis subklinischer Herde im Mittel am häufigsten mit den VEP (39). Die MEP konnten im Mittel ca. 20 der subklinischen Läsionen aufdecken (zur Übersicht: Altenmüller u. Dichgans 1996). Hierbei zeigten sich jedoch insbesondere für die VEP und MEP große Schwankungen zwischen den verschiedenen Studien. Die Spannweite der Detektionsrate subklinischer Läsionen lag für die VEP zwischen 30 und 85, für die MEP zwischen 10 und 69, wobei in den meisten Studien dabei lediglich MEP zu den oberen Extremitäten gemessen wurden. Eigene, bisher unveröffentlichte Daten legen jedoch nahe, dass gerade MEPMessungen zu Zielmuskeln der unteren Extremitäten die Detektionsrate klinisch stummer Läsionen erhöht. Während nur bei 12 der Patienten mit erstdiagnostizierter schubförmig-remittierender MS subklinische Läsionen durch MEP zu den oberen Extremitäten identifiziert wurden, war dies deutlich häufiger (57) für die MEP zu den unteren Extremitäten der Fall. Durch die Messung von MEP zu den Beinen konnte auch eine höhere Detektionsrate subklinischer Herde als für die VEP (37) erreicht werden. Es ist also möglich, dass die bislang postulierte höhere Sensitivität der VEP bez. des Nachweises subklinischer Läsionen gegenüber den MEP gar nicht zutrifft, wenn ZML-Messungen zu den Beinen in die Untersuchung einbezogen werden. In einer Studie wurde explizit der Reklassifizierungswert paraklinischer Tests (MRT, OKB im Liquor, VEP, SEP, MEP) untersucht (Beer et al. 1995), d. h. der Anteil der Patienten mit klinisch erstmaligem MSverdächtigem Erkrankungsschub, der auf der Grundlage eines paraklinischen Tests als wahrscheinliche oder sichere MS nach den alten MS-Diagnosekrite-

22.2 Diagnostische Wertigkeit von TMS-Messwerten

rien nach Poser höher eingestuft werden konnte. Für die Kombination von MEP zu den Armen und Beinen wurde ein geringerer Reklassifizierungswert (20) als für VEP (29) festgestellt. Beide EP-Modalitäten erreichten jedoch nicht annähernd den Reklassifizierungswert der kranialen MRT (60). Es wurden von den Patienten, die nicht anhand der MRT reklassifiziert werden konnten, aber immerhin 32 durch eine der EP-Modalitäten als wahrscheinliche oder sichere MS eingestuft.

22.2.4 Prognostischer Wert Bei sicherer MS besitzen die Ergebnisse von MEP-Messungen einen moderaten Vorhersagewert des zukünftigen mittelfristigen klinischen Krankheitsverlaufs, falls diese in Werteskalen multimodaler EP integriert werden (Fuhr et al. 2001; Leocani et al. 2006). MEP können damit zur frühzeitigen Erkennung von MSPatienten beitragen, denen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein relativ ungünstiger klinischer Krankheitsverlauf bevorsteht, und demnach therapeutische Entscheidungen potenziell beeinflussen. Im Gegensatz dazu scheint konventionellen MRT-Aufnahmen (FLAIR, T2- , T1-gewichtet vor und nach GadoliniumGabe) kein relevanter prognostischer Wert zu zukommen (Kappos et al. 1999; Rudick et al. 2006), sobald die MS sicher diagnostiziert ist. Es existieren bisher keine Studien, die den prädiktiven Wert von TMS-Messwerten auf die Konversionsrate zur klinisch sicheren MS nach erstmaligem Erkrankungsschub (sog. klinisch isoliertes Syndrom) untersucht haben. Es kann jedoch unter der Annahme, dass keine relevanten Unterschiede zwischen den prädiktiven Werten der MEP und der sensorischen EP existieren, ein deutlich niedrigerer prädiktiver Wert der MEP gegenüber der MRT vermutet werden.

22.2.5 Surrogatmarker klinischer

Krankheitsprogression und therapeutischer Eﬀekte Bei MS besteht ein enger Zusammenhang zwischen pathologischen ZML-Verlängerungen und klinischen Zeichen einer Pyramidenbahnschädigung in Form von gesteigerten Muskeleigenreflexen, Babinski-Zeichen oder Paresen (Hess et al. 1987). Auch für MEPAmplitudenreduktionen, die mit der TST erhoben wurden, konnte ein enger linearer Zusammenhang mit den Paresengraden der untersuchten Muskeln gezeigt werden (Magistris et al. 1999).

233

22

Sowohl die Häufigkeit als auch die Ausprägung pathologischer ZML-Verlängerungen nehmen mit dem Grad der klinischen Behinderung zu. Des Weiteren ist die Frequenz abnormer ZML-Werte auch von dem MS-Verlaufstyp abhängig, mit häufigeren pathologischen Ergebnissen bei der primär oder sekundär chronisch-progredienten im Vergleich zur schubförmig-remittierenden Verlaufsform (Leocani et al. 2006). Das gleiche trifft für pathologische iSP-Befunde zu (Schmierer et al. 2002). Querschnittsanalysen ergaben im Gruppenmittel eine moderate bis starke Korrelation zwischen multimodalen EP-Werteskalen, die MEP beinhalteten, und dem EDSS (Fuhr et al. 2001; Leocani et al. 2006). Auch für die longitudinale Betrachtung gibt es Evidenzen für eine enge Korrelation zwischen Veränderungen multimodaler EP-Werteskalen und der EDSSProgression (Fuhr et al. 2001). Im Gegensatz dazu korrelieren die T2-Läsionslast und die Zahl Gadolinium-anreichernder Läsionen in der konventionellen MRT sowohl transversal als auch longitudinal nur schwach mit klinischen Parametern (Kappos et al. 1999; O’Connor et al. 1998). Zusammenfassend kann bei MS ein stärkerer Zusammenhang zwischen klinischen Defiziten und pathologischen TMS-Messparametern im Vergleich zur konventionellen MRT abgeleitet werden. Einschränkend muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der erläuterte Zusammenhang in fortgeschrittenen Krankheitsstadien, bzw. bei klinisch schwer beeinträchtigten MS-Patienten, weniger ausgeprägt oder nicht vorhanden sein könnte, da in diesen Fällen relativ häufig keine MEP mehr abgeleitet werden können und somit ein Sättigungsproblem in der Abbildung weiterer klinischer Verschlechterungen resultiert. Anhand von MEP können kurzfristige therapeutische Effekte abgebildet werden. Eine mehrtägige hochdosierte Kortisonschubbehandlung verbessert parallel pathologische ZML-Werte und klinisch manifeste motorische Defizite (Salle et al. 1992). Ferner normalisieren sich – parallel zum Rückgang der Paresen der entsprechenden Muskeln – die mittels TST bestimmten MEP-Amplituden nach hochdosierter Kortisonschubtherapie (Humm et al. 2006). Zusammenfassend scheinen sich in multimodale EP-Skalen integrierte MEP bei der MS – abgesehen von den therapeutisch wenig beeinflussbaren fortgeschrittenen Krankheitsstadien – sehr gut als klinischer Progressionsmarker zu eignen. Bislang wurden multimodale EP allerdings als paraklinischer Parameter der Krankheitsaktivität in Zulassungsstudien für MS-

234

21 22 23 24 25 26 27 28 29

Kapitel 22 · Multiple Sklerose

Medikamente nicht berücksichtigt, sondern lediglich die konventionelle MRT. Da sich multimodale EP in enger Korrelation zur Klinik der MS verän-

22.3

Fallbeispiel

Ein 33-jähriger Patient beklagt ein vor wenigen Tagen bemerktes und seitdem zunehmendes Taubheitsgefühl der linken Körperseite sowie ein gürtelförmiges Engegefühl auf Höhe des Dermatoms Th12. Beim Gitarrespielen habe er gestern seine linke Hand nicht mehr so schnell wie gewohnt bewegen können, beim Joggen habe sich sein linkes Bein steif angefühlt. Vor wenigen Monaten habe er bereits für 2–3 Tage auf dem linken Auge leicht verschwommen gesehen und ein Druckgefühl und leichte Schmerzen bei Bewegungen des linken Auges verspürt. In der neurologischen Untersu-

a

c

b

d

30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

dern, erscheint deren zukünftiger Einschluss in Medikamentenstudien als Surrogatmarker zur Abbildung therapeutischer Effekte durchaus sinnvoll.

chung ﬁnden sich linksbetonte Muskeleigenreﬂexe, ein linksseitig positives Babinski-Zeichen und eine diskrete Parese der distalen Armmuskulatur links. Die kraniale MRT zeigt räumlich disseminierte multiple, periventrikulär betonte Läsionen mit Balkenbeteiligung. Im Liquor werden OKB nachgewiesen. Von den multimodal angefertigten EP sind das VEP linksseitig sowie die MEP zum linken Arm und Bein pathologisch, in Form einer Verlängerung der ZML und einer zeitlichen Dispersion der MEP-Konﬁguration (. Abb. 22.2). In der Zusammenschau der Befunde kann bei dem Patienten eine sichere (schubförmig-remittierende) MS diagnostiziert werden. . Abb. .a–d. a,b MEP-Ableitungen vom leicht vorinnervierten M. abductor pollicis brevis (APB) nach kortikaler (obere Spur) und zervikal-spinaler (untere Spur) Magnetstimulation. Zum linken APB zeigt sich eine prolongierte zentralmotorische Leitungszeit (ZML, 10,2 ms, normale Obergrenze: 9,2 ms) mit dispersem kortikalem MEP (a), rechts ﬁnden sich Normalbefunde (b). c,d MEP-Ableitungen vom leicht vorinnervierten M. tibialis anterior (TA). Die ZML zum linken TA ist deutlich verlängert (30,2 ms, körperlängenadjustierte Obergrenze: 16,5 ms) (c), während sie zum rechten TA im Normbereich liegt (d)

Literatur

Literatur Altenmüller E, Dichgans J (1996) Die Wertigkeit der somatosensorisch, visuell und akustisch evozierten Potenziale sowie der transkraniellen Magentstimulation in der Diagnostik der multiplen Sklerose. In: Evozierte Potentiale. Stöhr M, Dichgans J, Buettner UW, Hess CW, Altenmüller E (Hrgs). Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio Beer S, Rösler KM, Hess CW (1995) Diagnostic value of paraclinical tests in multiple sclerosis: relative sensitivities and speciﬁcities for reclassiﬁcation according to the Poser committee criteria. J Neurol Neurosurg Psychiatry 59: 152–159 Comi G, Leocani L, Medaglini S et al. (1999) Measuring evoked responses in multiple sclerosis. Mult Scler 5: 263–267 1Fuhr P, Borggrefe-Chappuis A, Schindler C, Kappos L (2001) Visual and motor evoked potentials in the course of multiple sclerosis. Brain 124: 2162–2168 Dieser Artikel konnte erstmalig einen signiﬁkanten prädiktiven Wert multimodaler evozierter Potenzialmessungen für die weitere klinische Krankheitsprogression der multiplen Sklerose nachweisen. Hess CW, Mills KR, Murray NM, Schriefer TN (1987) Magnetic brain stimulation: central motor conduction studies in multiple sclerosis. Ann Neurol 22: 744–752 Höppner J, Kunesch E, Buchmann J et al. (1999) Demyelination and axonal degeneration in corpus callosum assessed by analysis of transcallosally mediated inhibition in multiple sclerosis. Clin Neurophysiol 110: 748–756 Humm AM, Z’Graggen WJ, Buhler R et al. (2006) Quantiﬁcation of central motor conduction deﬁcits in multiple sclerosis patients before and after treatment of acute exacerbation by methylprednisolone. J Neurol Neurosurg Psychiatry 77: 345–350 Jung P, Beyerle A, Humpich M et al. (2006) Ipsilateral silent period: A marker of callosal conduction abnormality in early relapsing-remitting multiple sclerosis? J Neurol Sci 250: 133–139 Kandler RH, Jarratt JA, Gumpert EJ et al. (1991) The role of magnetic stimulation in the diagnosis of multiple sclerosis. J Neurol Sci 106: 25–30 Kappos L, Moeri D, Radue EW et al. (1999) Predictive value of gadolinium-enhanced magnetic resonance imaging for relapse rate and changes in disability or impairment in multiple sclerosis: a meta-analysis. Gadolinium MRI Metaanalysis Group. Lancet 353: 964–969 Leocani L, Rovaris M, Boneschi FM et al. (2006) Multimodal evoked potentials to assess the evolution of multiple sclerosis: a longitudinal study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 77: 1030–1035 1Magistris MR, Rösler KM, Truﬀert A et al. (1999) A clinical study of motor evoked potentials using a triple stimulation technique. Brain 122 (Pt 2): 265–279 In diesem Artikel wird erstmalig die Methode der Triple-Stimulationstechnik beschrieben und klinisch angewandt. Mayr N, Baumgartner C, Zeitlhofer J, Deecke L (1991) The sensitivity of transcranial cortical magnetic stimulation in de-

235

22

tecting pyramidal tract lesions in clinically deﬁnite multiple sclerosis. Neurology 41: 566–569 Meyer BU, Röricht S, Woiciechowsky C (1998) Topography of ﬁbers in the human corpus callosum mediating interhemispheric inhibition between the motor cortices. Ann Neurol 43: 360–369 2O’Connor P, Marchetti P, Lee L, Perera M (1998) Evoked potential abnormality scores are a useful measure of disease burden in relapsing-remitting multiple sclerosis. Ann Neurol 44: 404–407 Bisher einzige Studie, die in einem transversalen und longitudinalen Ansatz bei der multiplen Sklerose den EDSS mit sowohl den Ergebnissen multimodaler evozierter Potenziale als auch der konventionellen Magnetresonanztomograﬁe korrelierte und dabei im Vergleich zur MRT einen deutlich stärkeren Zusammenhang der multimodalen EP zum klinischen Deﬁzit zeigen konnte. Ravnborg M, Liguori R, Christiansen P et al. (1992) The diagnostic reliability of magnetically evoked motor potentials in multiple sclerosis. Neurology 42: 1296–1301 Rudick RA, Lee JC, Simon J, Fisher E (2006) Signiﬁcance of T2 lesions in multiple sclerosis: A 13-year longitudinal study. Ann Neurol 60: 236–242 Salle JY, Hugon J, Tabaraud F et al. (1992) Improvement in motor evoked potentials and clinical course post-steroid therapy in multiple sclerosis. J Neurol Sci 108: 184–188 Schmierer K, Niehaus L, Röricht S, Meyer BU (2000) Conduction deﬁcits of callosal ﬁbres in early multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 68: 633–638 Schmierer K, Irlbacher K, Grosse P et al. (2002) Correlates of disability in multiple sclerosis detected by transcranial magnetic stimulation. Neurology 59: 1218–1224 Witt TN, Garner CG, Oechsner M (1988) Central motor conduction time in multiple sclerosis: a comparison of visual and somatosensory evoked potentials in relation to the type of disease course. ZEEG-EMG Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 19: 247–254

237

23

Motoneuronerkrankungen Klaus Krampfl, Reinhard Dengler

23.1

Pathophysiologische Grundlagen – 238

23.1.1 23.1.2

Degeneration des 1. Motoneurons – 238 Degeneration des 2. Motoneurons – 238

23.2

Wesentliche TMS-Messwerte bei der Untersuchung von Patienten mit Motoneuronerkrankungen – 239

23.2.1

Zentralmotorische Leitungszeit (ZML) – 239 Kortikale Reizschwelle – 239 MEP-Amplitude – 239 MEP/M-Wellen-Quotient – 239 Triple-Stimulationstechnik – 240 Kortikale Innervationsstille – 241 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen – 242 Intrakortikale Bahnung – 242 Elektromyographische Ableitungen von einzelnen motorischen Einheiten – 242 Ipsilaterale MEP – 242

23.2.2 23.2.3 23.2.4 23.2.5 23.2.6 23.2.7 23.2.8 23.2.9 23.2.10

23.3

Korrelation pathologischer TMSBefunde zum klinischen Verlauf von Motoneuronerkrankungen – 242

23.4

Speziﬁsche TMS Befunde bei genetischen deﬁnierten Varianten der ALS – 243

23.5

TMS-Messwerte unter Therapie – 243

23.6

Fallbeispiel – 244

Literatur

– 244

ZUM THEMA Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) behält auch nach der Einführung einer medikamentösen Therapieoption ihren schicksalhaften Charakter mit einer durchschnittlichen Überlebenszeit von 3–5 Jahren nach Diagnosestellung. Da die Erkrankung charakteristisch insbesondere durch den Befall des 1. Motoneurons im Motorkortex und des 2. Motoneurons im Hirnstamm und im Vorderhorn des Rückenmarks gekennzeichnet ist, kommt den neurophysiologischen Methoden ganz zentrale Bedeutung in der Diagnostik zu. Die Nadelelektromyograﬁe leistet den Nachweis der Schädigung des 2. Motoneurons, zum Nachweis einer Schädigung des 1. Motoneurons steht die transkranielle Magnetstimulation (TMS) zur Verfügung.

Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die speziﬁsche Pathophysiologie der Motoneuronerkrankungen, insbesondere der ALS, und stellt Befunde der TMS vor, die die Analyse dieser Veränderungen im klinisch neurophysiologischen Labor wie auch im experimentell-wissenschaftlichen Forschungslabor ermöglichen. Stehen in der Klinik sowie im Bereich der klinischen Studienmedizin die frühe Diagnosesicherheit und die quantitative Erfassung von Verlaufsmarkern im Vordergrund, so konnten mittels TMS im experimentellen Bereich wertvolle Erkenntnisse zum Pathomechanismus der ALS wie auch zur Pharmakologie der Erkrankung erarbeitet werden.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

238

Kapitel 23 · Motoneuronerkrankungen

23.1

Pathophysiologische Grundlagen

23.1.1 Degeneration des 1. Motoneurons Wie von Charcot bereits in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet, kommt es bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) zur Degeneration nicht nur der motorischen Vorderhornzelle, des 2. Motoneurons oder á-Motoneurons, sondern auch des 1., kortikalen Motoneurons bzw. seiner Projektionsbahnen (Charcot u. Joffroy 1869). Zellkern und körper der auch als Betz-Riesenzellen benannten, charakteristisch großen Pyramidenzellen finden sich im primär motorischen Kortex, im Gyrus präcentralis, in der 5. der 6 histologisch differenzierbaren isokortikalen Schichten, der Lamina ganglionaris. Entsprechend dem Verlauf der Pyramidenbahn finden sich die Axone dieser Zellen auf dem Weg zu ihren spinalen Zielsynapsen in der Corona radiata, der Capsula interna, den Hirnschenkeln (Crura cerebri) und nach dem teilweisen Kreuzen auf die kontralaterale Seite in der Decussatio pyramidorum im Tractus corticospinalis anterior (Fasern u. a. für die Versorgung der oberen Extremitäten, höherer Anteil ungekreuzter Axone) und Tractus corticospinalis lateralis (Fasern u. a. für die Versorgung der unteren Extremitäten). Eine klinisch-ausschließliche Degeneration des 1 Motoneurons liegt bei der primären Lateralsklerose vor, die als Sonderfall von einer typischen ALS abgegrenzt werden kann und in der Nadelelektromyografie keine oder allenfalls diskrete Denervationszeichen aufweisen sollte. Die Symptomatik mit progredienter Pseudobulbärparalyse und Spastik im Extremitätenbereich bezieht sowohl den hirnnervenversorgten Bereich als auch die spinal versorgte Muskulatur mit ein. Bei der hereditären spastischen Spinalparalyse dagegen zeigt sich eine in der Regel im Jugendalter einsetzende progrediente Paraspastik mit Ausbreitung nach proximal.

23.1.2 Degeneration des 2. Motoneurons Wegweisend für die Diagnosestellung bei der ALS, die mit einer Prävalenz von 5‒8/100.000 die häufigste motorische Systemdegeneration darstellt, ist das Auftreten initial asymmetrischer und meist distal, besonders im Bereich der Handmuskulatur, ausgeprägter atropher Paresen. Im weiteren Verlauf entwickelt sich der Befund disseminiert atropher Paresen unter Einbeziehung des Hirnnervenbereiches, wobei die äußeren Augenmuskeln ebenso regelhaft ausgespart bleiben wie die vom sakralen Onufschen Nervenkern ver-

sorgten Sphinktermuskeln. Der Muskelatrophie liegt ein Verlust an Motoneuronen im Hirnstamm sowie im Vorderhorn des Rückenmarkes zugrunde. Im Verlauf von 3‒5 Jahren entwickeln sich bei der Mehrzahl der Patienten eine Bulbärparalyse sowie eine muskuläre Ateminsuffizienz, die letztlich zum Tod führen. Diagnostisch ist neben dem klinisch neurologischen Untersuchungsbefund insbesondere die Nadelelektromyografie von höchstem Wert, da Zeichen einer akuten und chronischen Denervierung mit einer der klinischen Untersuchung überlegenen Sensitivität erfasst werden und zugleich von einer Myopathie abgegrenzt werden können (El Escorial Kriterien der WFN, Appendix III). Daneben ist der Ausschluss einer multifokalen motorischen Neuropathie mit Leitungsblöcken mithilfe der Elektroneurografie differentialdiagnostisch wichtig. Die im klinischen Alltag häufigste diagnostische Problemstellung besteht in der frühen diagnostischen Einordnung von Krankheitsbildern, die primär durch distale atrophe Paresen bei fehlender Sensibilitätsstörung gekennzeichnet sind. Nicht nur die qualifizierte Beratung des Patienten, sondern auch der Einsatz neuroprotektiver Substanzen sollte möglichst früh erfolgen. Insbesondere auch für die Durchführung klinisch pharmakologischer Studien ist eine frühe und sichere Zuordnung des Krankheitsbildes von entscheidender Bedeutung. Dabei ist über die Zeichen des 2. Motoneurons hinaus der Nachweis einer Affektion der Pyramidenbahn entscheidend. Dies ist klinisch in der Frühphase nicht immer möglich. Der bildgebende Nachweis einer Motorkortex- oder Pyramidenbahnschädigung ist durch die moderne Kernspintomografie in Gruppenuntersuchungen zwar möglich, bei einzelnen Patienten allerdings selten signifikant erkennbar und als Entscheidungsgrundlage derzeit nicht geeignet. In dieser Situation kommt der neurophysiologischen Funktionsdiagnostik höchste Bedeutung zu. Mit der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) liegt ein Verfahren vor, mit dem ohne erhebliche Belastung des Patienten die spezifische Pathophysiologie der Pyramidenbahn bei Motoneuronerkrankungen erfasst werden kann.

23.2 Wesentliche TMS-Messwerte bei der Untersuchung von Patienten . . .

23.2

Wesentliche TMS-Messwerte bei der Untersuchung von Patienten mit Motoneuronerkrankungen

23.2.1 Zentralmotorische Leitungszeit

(ZML) Die zentralmotorische Leitungszeit (ZML) ergibt sich aus der Differenz der kortikomuskulären Leitungszeit (Zeitpunkt der TMS bis zum Beginn des motorisch evozierten Potenzials) und der peripheren Leitungszeit. Die in 7 Kap. 6 dargestellten Techniken zur Bestimmung der peripheren Leitungszeit mittels Wurzelstimulation oder F-Wellen-Methode können dabei routinemäßig zum Einsatz kommen. Bei ALS-Patienten mit ausgeprägten Muskelatrophien kann allerdings die Bestimmung der F-Welle erschwert oder unmöglich sein. Hinsichtlich der ZML wurden in zahlreichen Studien an ALS-Patienten meist leichtgradige pathologische Verlängerungen beschrieben, allerdings nur bei einem Teil der untersuchten Patientenkollektive (Claus et al. 1995; Mills u. Nithi 1998) und ohne zuverlässige Korrelation zum klinisch neurologischen Befund oder zum klinischen Progress (Claus et al. 1995; Mills 2003). Sensitiver zum Nachweis einer Beteiligung des 1. Motoneurons bei der ALS soll die Untersuchung der ZML zu hirnnervenversorgten Muskeln sein (Urban et al. 1998; 7 Kap. 9). Zusammengefasst kann eine verlängerte ZML bei etwa 20 der ALS-Patienten mit gesicherter Diagnose festgestellt werden, ohne dass dieser Parameter eine hohe Sensitivität oder eine wesentliche prognostische Bedeutung aufweist. Gelegentlich helfen pathologische ZML-Werte, allerdings in der frühen Diagnosestellung bei ALS (Mills 2004; Krampfl et al. 2004).

23.2.2 Kortikale Reizschwelle Zur Bestimmung der kortikalen Reizschwelle (motorische Reizschwelle, MT) stehen verschiedene Techniken zur Verfügung (7 Kap. 14). Entsprechend den Empfehlungen der International Federation of Clinical Neurophysiology (IFCN) wird die MT als minimale Stimulationsintensität definiert, die ausreicht, motorisch evozierte Potenziale (MEP>50 ìV) bei mindestens 50 der Stimulationen bei ruhendem (Ruheschwelle, RMT) oder vorinnerviertem (aktive motorische Schwelle, AMT) Zielmuskel hervorzurufen. Im Verlauf der Erkrankung kommt es bei der ALS zu einer Zunahme der MT, in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien ist oftmals auch mit maximaler Stimu-

239

23

lationsintensität kein MEP auszulösen, was als neurophysiologisches Korrelat einer axonalen Schädigung der kortikomotoneuronalen Projektion eingeordnet wird (Eisen et al. 1993; Mills 2003; Triggs et al. 1999). Im Gegensatz dazu wurde in einzelnen Studien eine in frühen Erkrankungsstadien erniedrigte MT berichtet, die im Sinne einer kortikalen Übererregbarkeit interpretiert wurde. Dabei scheint eine pathologisch gesteigerte glutamaterge Neurotransmission im Sinne der sog. Exzitotoxizität vorzuliegen (Mills u. Nithi 1998). In der Praxis ist insbesondere ein signifikanter Anstieg der MT bei individuellen Patienten im Erkrankungsverlauf als neurophysiologischer Hinweis auf eine Affektion der kortikospinalen Projektion zu werten, da die MT bei deutlicher interindividueller Variabilität einen physiologischerweise intraindividuell konstanten Messwert darstellt (7 Kap. 14).

23.2.3 MEP-Amplitude Die Bestimmung der MEP-Amplitude erfolgt am sinnvollsten von der maximalen positiven zur maximalen negativen Potenzialspitze, darüber hinaus steht auch die Flächenmessung zur Verfügung (7 Kap. 5). Bei steigender Stimulationsintensität kann eine typischerweise sigmoidale Amplitudenzunahme der MEPAmplituden festgestellt werden, wobei regelhaft steilere MEP-Intensitätskurven an kleinen, dicht innervierten Muskeln (Handmuskulatur) vorliegen. Da die indirekte Stimulation der kortikalen Motoneurone bei zunehmender Stimulationsintensität von besonderer Bedeutung ist, stellt die maximale MEP-Amplitude, also das Plateau der MEP-Intensitätskurve, einen Parameter mit Aussagewert für transsynaptische kortikale Aktivierungsprozesse dar (Ziemann 2004; 7 Kap. 3). Die MEP-Amplitudenabnahme bei ALSPatienten ist im Wesentlichen durch axonale Degeneration kortikospinaler Fasern bzw. durch einen kortikospinalen Leitungsblock bei erhöhter Chronodispersion der kortikospinalen Potenzialfortleitung bedingt (7 Abschn. 23.2.5 und Kap. 11). Ferner ist die Einbeziehung der Amplitude der maximalen M-Antwort wesentlich, um eine Beurteilung der kortikospinalen Projektion unabhängig von einer peripheren Denervierung zu ermöglichen (7 Abschn. 23.2.4).

23.2.4 MEP/M-Wellen-Quotient Der Quotient aus maximaler MEP-Amplitude und Amplitude der maximalen M-Antwort erlaubt eine Interpretation der MEP-Amplituden als Maß für die

240

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 23 · Motoneuronerkrankungen

Beeinträchtigung der kortikospinalen Projektion, unabhängig von einer Affektion des 2. Motoneurons (7 Kap. 5). Bei Erkrankungen, die wie die ALS das 1. und 2. Motoneuron betreffen, kann die Reduktion der MEP-Amplitude prinzipiell durch eine Schädigung des 1. oder 2. Motoneurons begründet sein, so dass erst eine pathologische Reduktion des MEP/M-Wellen-Quotienten sicher eine Affektion des 1. Motoneurons identifiziert. Insbesondere bei Durchführung der Bestimmung der peripheren Leitungszeit mithilfe der F-Wellen-Methode wird eine M-Antwort immer mit aufgezeichnet. Wichtig ist in der Praxis, dass die Ableitung der M-Antwort und des MEP mit unveränderter Position der EMG-Elektroden erfolgt. Bei Gesunden lässt sich für Handmuskeln bei maximaler Stimulationsintensität ein durchschnittlicher MEP/M-WellenQuotient von 0,5‒0,6 feststellen bei allerdings ausgeprägten interindividuellen Unterschieden. Als pathologisch ist daher erst eine Reduktion <0,15 anzusehen (Hess et al. 1987). Besonders limitiert ist die Interpretation der MEP-Amplituden durch Desynchronisierung entlang des kortikospinalen Traktes mit Amplitudenabfall infolge Phasenauslöschung. Um dieses Problem zu umgehen, wurde der methodisch elegante Ansatz der Triple-Stimulationstechnik entwickelt (7 Abschn. 23.2.5 und 7 Kap. 11).

der vom Handgelenk aszendierenden Erregungswellen kommen. Eine mit der Verzögerung MSAPErbLatenz ‒ MSAPHandgelenkLatenz (MSAP = Muskelsummenaktionspotenzial) applizierte zweite Stimulation am Erbschen Punkt erzeugt wiederum eine deszendierende Erregungswelle, die ungehindert fortgeleitet wird und ein MSAP annähernd maximaler Amplitude hervorruft. Registriert wird zum einen die maximale M-Antwort nach elektrischer Stimulation am Handgelenk, und mit einer entsprechend längeren Latenz, das MSAP ausgelöst durch die zweite Stimulation am Erbschen Punkt. In physiologischer Situation kommen zwei ähnliche Summenaktionspotenziale zur Darstellung (. Abb. 23.1 Kontrolle). Es folgt die TSTTestMessung, bei der die erste elektrische Stimulation am Erbschen Punkt durch eine TMS des Motorkortex ersetzt wird. Die Stimulationen am Handgelenk erfolgen nach dem Intervall »MEPLatenz ‒ MSAPHandgelenkLatenz« und am Erbschen Punkt nach dem Intervall »MSAPErbLatenz ‒ MSAPHandgelenkLatenz«. Nach Optimieren der Spulenposition wird die Intensität der TMS gesteigert, bis das zweite MSAP (. Abb. 23.1) eine maximale Amplitude aufweist.

23.2.5 Triple-Stimulationstechnik Die Triple-Stimulationstechnik (TST; 7 Kap. 11), die zu den Kollisions-Techniken gehört, wurde von Magistris et al. entwickelt (Magistris et al. 1998; Magistris u. Rösler 2004), um mit einer einzigen Untersuchung den Synchronisationsgrad der kortikospinalen Aktivierung nach TMS und den Einfluss der Schädigung des 2. Motoneurons zu kontrollieren. Drei zeitlich exakt abgestimmte Stimuli (zwei periphe elektrische und ein transkraniell magnetischer) werden appliziert, wobei die Koordination über einen digitalen externen Timer oder eine geräteinterne Einheit erfolgen kann. Dabei wird zunächst die sog. TSTKontrollMessung durchgeführt, die auf einer Kollision der antidrom rückläufigen Erregungswelle nach distal peripherer elektrischer Stimulation mit der orthodrom deszendierenden Erregungswelle nach proximal elektrischer Stimulation beruht. Bei Ableitung vom M. abductor digiti minimi wird eine erste supramaximale elektrische Stimulation am Erbschen Punkt durchgeführt, gefolgt von einer ebenfalls supramaximalen Stimulation des N. ulnaris am Handgelenk. Es sollte zur Auslöschung der von Erb deszendierenden und

. Abb. .. Triple-Stimulationstechnik: Gezeigt sind Überlagerungen der TSTKontrollMessung und der TST TestMessung (Pfeile) für 1 gesunde Kontrollperson und 2 ALS-Patienten. Die %Angaben beschreiben das Verhältnis der Flächen unter der Kurve. Die pathologische Verminderung der Amplitude der TST TestMessung bei den ALS Patienten ist deutlich erkennbar

23.2 Wesentliche TMS-Messwerte bei der Untersuchung von Patienten . . .

Der entscheidende Parameter für die Auswertung ist das Verhältnis der Amplituden der zweiten Muskelantwort bei TSTTestMessung vs. TSTKontrollMessung. Alternativ können die Flächen unter den Antwortkurven herangezogen werden, was die Sensitivität der Untersuchung möglicherweise steigert (Komissarow et al. 2004). Ein TSTTest/TSTKontroll-Amplitudenquotient von ≥0,93 kann für den M. abductor digiti minimi als untere Normgrenze verwendet werden. Rösler et al. (2000) konnten bei ALS eine um den Faktor 2,1 höhere Sensitivität der TST im Vergleich zu konventioneller Einzelpuls-TMS zeigen. Komissarow et al. (2004) beschreiben ebenso eine Zunahme der Sensitivität und konnten insbesondere auch bei 6 Patienten in frühen Erkrankungsstadien Auffälligkeiten im Flächenverhältnis darstellen. Die TST erfordert sicherlich einen höheren Aufwand als konventionelle TMS, erlaubt allerdings eine genauere und empfindlichere Beurteilung der Schädigung des 1. Motoneurons. Neben dem Einsatz in der Forschung erscheint sie besonders geeignet für die Frühdiagnostik von Schädigungen des kortikospinalen Systems.

23.2.6 Kortikale Innervationsstille Unter der kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP) versteht man die Unterbrechung einer tonischen Willküraktivität im EMG des Zielmuskels, die regelhaft nach einem MEP beobachtet wird (7 Kap. 15). Die Dauer der CSP kann von Beginn des MEP (empfehlenswert, keine Unsicherheit durch variable MEP-Konformation) oder vom Ende des MEP bis zum Wiedereinsetzen durchgehender EMG-Aktivität gemessen werden. Die Dauer der CSP zeigt eine positive Korrelation zur Reizstärke, die bei der Beurteilung von Veränderungen infolge pathologischer Prozesse beachtet werden muss. Als CSP-Schwelle kann die minimale Intensität bestimmt werden, die im Zielmuskel (typischerweise ein Handmuskel) eine CSP >50 ms in drei aufeinander folgenden Reizungen auslöst (Chistyakov et al. 2001). Die Reizstärke für die CSP-Messung sollte dann relativ zur CSP-Schwelle festgelegt werden, die von der motorischen Schwelle des kortikospinalen Systems (MT) deutlich divergieren kann (Chistyakov et al. 2001). Die interindividuelle Spannbreite der CSP-Dauer ist allerdings beträchtlich. Da insbesondere der späte Anteil der CSP durch eine lang anhaltende kortikale Inhibition erklärt wird (Ziemann 2004), ist der Parameter geeignet, um Veränderungen der Erregungskontrolle im motorischen

241

23

a

b . Abb. .a,b. Kortikale Innervationsstille bei einem ALSPatienten mit initialer Verkürzung (a) und Verlängerung zu normalen Werten im Verlauf eines Jahres (b). Abgeleitet wurde vom M. abductor digiti minimi (rektiﬁziertes EMG). Kalibrierungen: 0,2 mV, 50 ms

Kortex abzubilden. Eine Interpretation der CSP-Dauer als Messwert GABAB-Rezeptor-vermittelter intrakortikaler Inhibition wird durch humanpharmakologische Untersuchungen unterstützt (7 Kap. 34). Triggs et al. (1992) beobachteten bei einem ALSPatienten, dass die CSP auslösbar blieb, obwohl MEP nicht mehr evozierbar waren. Dies bestätigt die kortikale Herkunft der CSP, da sich bei fehlendem MEP die Aktivierung spinaler Inhibitionsmechanismen weitgehend ausschließen lässt. Eine Verkürzung der CSP konnte insbesondere für frühe Erkrankungsstadien der ALS gesichert werden, wobei eine Assoziation zur Glutamat-induzierten Exzitotoxizität hergestellt wurde (Prout u. Eisen 1994). Auch Desiato u. Caramia (1997) konnten eine Verkürzung der CSP bei ALS-Patienten in einer größeren Studie beobachten und insbesondere auch das Fehlen einer Relation zwischen CSP-Dauer und Stimulationsintensität herausarbeiten. In einer Verlaufsuntersuchung verschiedener TMS-Messwerte an 121 ALS-Patienten konnte Mills (2003) in frühen Stadien eine Verminderung, im Verlauf eine relative Zunahme, aber keine signifikante Veränderung der CSP-Dauer im Verhältnis zu Referenzwerten feststellen (. Abb. 23.2). Veränderungen der ipsilateralen Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period; 7 Kap. 18) sind bei verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen beschrieben worden und wurden kürzlich auch für ALS-Patienten berichtet (Wittstock et al. 2007). Ursächlich wird ein Defizit der transkallosalen Hemmung vermutet.

242

21 22

Kapitel 23 · Motoneuronerkrankungen

23.2.7 Intrakortikale Hemmung bei kurzen

Interstimulus-Intervallen

28

Die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) wird durch Applikation eines unterschwelligen (80 der kortikalen Reizschwelle in Ruhe bzw. 90 der aktiven Reizschwelle) konditionierenden und eines überschwelligen Test-Stimulus mit Interstimulusintervallen von 1‒5 ms ausgelöst (7 Kap. 16). Eine Reduktion der SICI stellt ein sensitives Maß einer Störung der Balance von glutamaterger Exzitation und GABAerger Inhibition im motorischen Kortex dar (7 Kap. 34), ohne spezifisch für einen bestimmten Krankheitsprozess zu sein (Ziemann 2004). Eine Verminderung der SICI bei ALS konnte unter anderem von Ziemann et al. (1997) gezeigt werden und von Zanette et al. (2002) mit der Krankheitsdauer und der klinischen Beteiligung der kortikospinalen Projektion korreliert werden (Fallbeispiel in 7 Kap. 16).

29

23.2.8 Intrakortikale Bahnung

23 24 25 26 27

30

33

Wird ein unterschwelliger konditionierender Stimulus mit einem Interstimulusintervall von 7‒20 ms appliziert, zeigt sich eine Bahnung der MEP Amplitude (7 Kap. 16). Diese sog. intrakortikale Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF) erlaubt Untersuchungen zu Veränderungen der motorkortikalen Erregbarkeit. Bei Patienten mit Motoneuronerkrankungen finden sich keine reproduzierbaren Auffälligkeiten (Zanette et al. 2002).

34

23.2.9 Elektromyographische Ableitungen

31 32

35 36 37 38 39 40

von einzelnen motorischen Einheiten Die Ableitung von einzelnen motorischen Einheiten (engl. single motor units) während TMS ist insbesondere für wissenschaftliche Untersuchungen von Interesse. Sie erfordert eine hohe Kooperationsfähigkeit des Patienten, der eine konstante Innervation des Zielmuskels aufrechterhält, während über dem kontralateralen motorischen Kortex 100‒200 TMSPulse zufallsverteilt (Intervall 1–5 s) appliziert werden (Eisen 2001). Es wird die Wahrscheinlichkeit für Entladungen der motorischen Einheit in Form eines Peri-Stimulus-Time-Histogramms (PSTH) erfasst (Zeitfenster von 50 ms vor bis 200 ms nach TMS). In Handmuskeln kann bei Gesunden etwa 20 ms nach dem TMS-Puls ein primärer Gipfel erhöhter Entla-

dungswahrscheinlichkeit (engl. primary peak, PP) nachgewiesen werden, der die synchrone und rasche Leitung der Erregungswelle vom motorischen Kortex zum Motoneuron der abgeleiteten motorischen Einheit repräsentiert. Nachfolgende Unterkomponenten können eine maximale Dauer des PP von etwa 6 ms begründen und entsprechen den I-Wellen (indirekte Aktivierungen des kortikospinalen Traktes; 7 Kap. 3). Während die Latenz des PP im Wesentlichen der MEP-Latenz entspricht, erlaubt die Erfassung einer Zunahme der Dauer des PP den Rückschluss auf eine pathologische Desynchronisierung im kortikospinalen Trakt und/oder multiple Entladungen der spinalen Motoneurone, was bei ALS-Patienten häufig beobachtet werden kann.

23.2.10 Ipsilaterale MEP Bei Gesunden werden ipsilaterale MEP im entspannten Zielmuskel niemals beobachtet. Die klinische Beobachtung von Mitbewegungen der kontralateralen Hand bei Prüfung unimanueller Feinmotorik bei ALS-Patienten hat den Anstoß zur Untersuchung ipsilateraler MEP gegeben. Eine Untersuchung an 37 ALS-Patienten zeigte bei Ableitung vom M. abductor pollicis brevis ohne Vorinnervation ipsilaterale MEP bei 68 der Patienten. Bei 9 von 19 Patienten mit einem, klinisch isoliert, das untere Motoneuron betreffenden Krankheitsbild lieferten ipsilaterale MEP einen Hinweis auf eine kortikospinale Funktionsstörung (Krampfl et al. 2004). Methodisch wesentlich ist bei derartigen Untersuchungen eine möglichst fokale Stimulation, um eine Mitreizung des kontralateralen Kortex zu vermeiden. Ursächlich liegt dem Auftreten ipsilateraler MEP bei ALS am ehesten eine kortikale Übererregbarkeit bzw. eine gestörte transkallosale Inhibition (7 Abschn. 23.2.6) zugrunde.

23.3

Korrelation pathologischer TMSBefunde zum klinischen Verlauf von Motoneuronerkrankungen

Physiologische interindividuelle Unterschiede erschweren die Definition von Referenzbereichen für TMS-Messwerte. Individuelle Verlaufsuntersuchungen können dagegen auch mit einfachen, »robusten« Messwerten wie motorischer Reizschwelle oder MEP/MWellen-Quotient von großem diagnostischem Wert bei Motoneuronerkrankungen sein. Triggs et al. (1999) konnten bei 12 von 121 Patienten mit einer Motoneuronerkrankung eine Verlaufsuntersuchung durchfüh-

243

23.5 TMS-Messwerte unter Therapie

ren und einen Anstieg der motorischen Reizschwelle beobachten. Eine weitere Verlaufsuntersuchung an 76 ALS-Patienten zeigte ausschließlich in der Gruppe der Patienten, die bereits bei der ersten TMS-Untersuchung klinische Zeichen für eine Schädigung des 1. Motoneurons aufwiesen, eine Zunahme der motorischen Reizschwelle und der ZML (Mills 2003). Für die CSP konnte wie in früheren Studien eine Verkürzung in frühen Krankheitsstadien und eine Zunahme im Krankheitsverlauf festgestellt werden, allerdings bei Werten innerhalb des Referenzbereiches (. Abb. 23.2). Die Tatsache, dass statistisch in Gruppenuntersuchungen keine signifikante Änderung der TMS-Messwerte im Verlauf der Erkrankung erwartet werden kann, spricht nicht gegen den diagnostischen Einsatz der TMS im Verlauf eines individuellen Patienten. Die Sensitivität steigt dabei durch die Untersuchung von mehreren Zielmuskeln und Erfassung von Seitendifferenzen signifikant (Osei-Lah u. Mills 2004). Die u. a. von Ziemann et al. (1997) gezeigte Verminderung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen bei ALS konnte von Zanette et al. (2002) signifikant mit dem Krankheitsverlauf korreliert werden.

23.4

Speziﬁsche TMS Befunde bei genetischen deﬁnierten Varianten der ALS

Die autosomal rezessiv vererbte D90A-SOD-1 (Superoxid-Dismutase) -Mutation konnte mit einer klinisch langsam progredienten Motoneuronerkrankung assoziiert werden, die sich neurophysiologisch durch eine erhebliche Verlängerung der ZML auszeichnet. Weber et al. (2000) konnten an einer Gruppe von 8 Patienten, die als homozygote Genträger der D90A-SOD-

23

1-Mutation identifiziert wurden, eine erhebliche Verlängerung der Latenz des PP sowie eine deutliche Desynchronisierung (7 Abschn. 23.2.9) nachweisen. Dieser Befund wurde als Nachweis einer Degeneration schnellstleitender kortikospinaler Neurone bei erhaltenen langsamer leitenden kortikospinalen Neuronen interpretiert, die auch über lange Zeit eine willkürmotorische Funktion aufrecht erhalten können (Weber et al. 2000). Turner et al. (2005) konnten in einer Studie, die auch 11-D90A-Patienten einschloss, zeigen, dass die bei Patienten mit sporadischer ALS reduzierte SICI bei den homozygoten Trägern der Mutation normal war. Dieser erhaltene inhibitorische Mechanismus wurde als möglicherweise neuroprotektiv interpretiert.

23.5

TMS-Messwerte unter Therapie

Bei ALS-Patienten müssen insbesondere die Auswirkungen der Therapie mit dem Neuroprotektivum Riluzol bei der Interpretation von TMS-Befunden berücksichtigt werden. Pharmakologisch wirkt Riluzol blockierend an spannungsaktivierten Natriumkanälen, was indirekt zu einem antiglutamatergen Effekt führt. Darüber hinaus ist eine potenzierende Wirkung an GABAA-Rezeptoren gut belegt, während eine direkt blockierende Wirkung an postsynaptischen Glutamatrezeptoren weniger sicher ist. In mehreren Studien bei Gesunden (Liepert et al.1997; Schwenkreis et al. 2000) und ALS-Patienten (Stefan et al. 2001) konnte entsprechend eine Steigerung der SICI, teilweise auch eine Verminderung der ICF gezeigt werden. Caramia et al. (2000) zeigten, dass die verminderte SICI bei ALS-Patienten unter Diazepam oder Gabapentin reversibel ist.

21 22 23 24

244

Kapitel 23 · Motoneuronerkrankungen

23.6

Fallbeispiel

Fallbeispiel: Amyotrophe Lateralsklerose Im Folgenden werden Verlaufsuntersuchungen eines zum ersten Untersuchungszeitpunkt 58-jährigen männlichen ALS-Patienten vorgestellt (. Abb. 23.3). Das zu diesem Zeitpunkt ein Jahr zurückliegende Erstsymptom der Erkrankung war eine asymmetrische progrediente atrophe Parese der Handbinnenmuskulatur. Im Verlauf zeigten sich innerhalb von 6 Monaten dis-

seminiert atrophe Paresen im Bereich der oberen und unteren Extremitäten bei erhaltenen bis gesteigerten Muskeleigenreﬂexen sowie ein leichtgradig bulbär verändertes Sprechen als Hinweis auf eine Beteiligung der bulbär versorgten Muskulatur. Die Vitalkapazität war während des Untersuchungszeitraumes nicht wesentlich eingeschränkt. Der Patient war zum Zeitpunkt der Untersuchungen stabil auf das Neuroprotektivum Riluzol eingestellt.

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .. Vier Verlaufsuntersuchungen bei einem 58jährigen ALS-Patienten über einen Zeitraum von 12 Monaten. MEP Einzelpuls; SICI Doppelpuls, Interstimulusintervall, ISI 3 ms; ICF Doppelpuls, ISI 15 ms abgeleitet vom entspannten M. abductor pollicis brevis. Es zeigt sich im Krankheitsverlauf eine stetige pathologische Abnahme der SICI, wäh-

rend die ICF in allen Untersuchungen weitgehend unverändert blieb. Die Prozentwerte geben die Amplituden der konditionierten MEP ausgelöst durch Doppelpulsstimulation im Vergleich zu den durch Einzelpulse ausgelösten MEP an. Kalibrierungen: 2 mV, 30 ms

Literatur

changes in cortical excitability. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 105: 1–7 Eisen A, Pant B, Stewart H (1993) Cortical excitability in amyotrophic lateral sclerosis: a clue to pathogenesis. Can J Neurol Sci 20: 11–16 1Eisen A (2001) Clinical electrophysiology of the upper and lower motor neuron in amyotrophic lateral sclerosis. Seminars in Neurology 21(2): 141–154 Umfassender Überblick über elektrophysiologische Untersuchungen bei Motoneuronerkrankungen mit interessanter Diskussion pathophysiologischer Hypothesen. Hess CW, Mills KR, Murray NM, Schriefer TN (1987) Magnetic brain stimulation: central mtor conduction studies in multiple sclerosis. Ann Neurol 22: 744–752 Komissarow L, Rollnik JD, Bogdanova D et al. (2004) Triple stimulation technique (TST) in amyotrophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol 115: 356–360 Krampﬂ K, Mohammadi B, Dengler R, Buﬂer J (2004) Mirror movements and ipsilateral motor evoked potentials in ALS.

Caramia MD, Palmieri MG, Desiato MT et al. (2000) Pharmacologic reversal of cortical hyperexcitability in patients with ALS. Neurology 54: 58–64 Charcot JM, Joﬀroy A (1869) Deux cas d’atrophie musculaire progressive avec lesions de la substance grise et des faisceaux anteriolatéraux de la moelle épinière. Arch Physiol Norm Pathol 2: 354–367, 629–649, 744–760 Chistyakov AV, Soustiel JF, Hafner H et al. (2001) Excitatory and inhibitory cortcospinal responses to transcranial magnetic stimulation in patients with minor to moderate head injuries. J Neurol Neurosurg Psychiatry 70: 580–587 Claus D, Brunholzl C, Kerling FP, Henschel S (1995) Transcranial magnetic stimulation as a diagnostic and prognostic test in amyotrophic lateral sclerosis. J Neurol Sci Suppl129: 30–34 Desiato MT, Caramia MD (1997) Towards a neurophysiological marker of amyotrophic lateral sclerosis as revealed by

Literatur

Amyotroph Lateral Scler Other Motor Neuron Disord 5: 154–163 Liepert J, Schwenkreis P, Tegenthoﬀ M, Malin JP (1997) The glutamate antagonist riluzole suppresses intracortical facilitation. J Neural Transm 104: 1207–1214 2Magistris MR, Rösler KM, Truﬀert A, Myers JP (1998) Transcranial stimulation excites virtyally all motor neurons supplying the target muscle. A demonstration and a method improving the study of motor evoked potentials. Brain 121: 437–450 Methodischer Milestone Artikel mit erstmaliger Darstellung der Triple-Stimulationstechnik. Magistris MR, Rösler KM (2004) The triple stimulation technique. Clinical Neurophysiology of Motor Neuron Diseases. In: Eisen A (Ed) Handbook of Clinical Neurophysiology 4, pp 305–315 Mills KR, Nithi KA (1998) Peripheral and central motor conduction in amyotrophic lateral sclerosis. J Neurol Sci 159: 82– 87 2Mills KR (2003) The natural history of central motor abnormalities in amyotrophic lateral sclerosis. Brain 126: 2558– 2566 Verlaufsstudie bei ALS-Patienten mit konventionellen TMSMesswerten. Mills KR (2004). Magnetic stimulation and central conduction time. In: Eisen A (Ed) Handbook of Clinical Neurophysiology 4, pp 283–293 Osei-Lah AD, Mills KR (2004) Optimisig the detection of upper motor neuron function dysfunction in amyotrophic lateral sclerosis – a transcranial magnetic stimulation study. J Neurol 251: 1364–1369 Prout AJ, Eisen A (1994) The cortical silent period and amyotrophic lateral sclerosis. Muscle Nerve 17: 217–223 Rösler KM, Truﬀert A, Hess CW, Magistris MR (2000) Quantiﬁcation of upper motor neuron loss in amyotrophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol 111: 2208–2218 Schwenkreis P, Liepert J, Witscher K et al. (2000) Riluzole suppresses motor cortex facilitation in correlation to its plasma level. A study using transcranial magnetic stimulation. Exp Brain Res 135: 293–299 Stefan K, Kunesch E, Benecke R, Classen J (2001) Eﬀects of riluzohe on cortical excitability in patients with amyotrophic lateral sclerosis. Ann Neurol 49: 537–540 Triggs WJ, Macdonell RA, Cros D et al. (1992) Motor inhibition and excitation are independent of magnetic cortical stimulation. Ann Neurol 32: 345–351 2Triggs WJ, Menkes D, Onorato J et al. (1999) Transcranial magnetic stimulation identiﬁes upper motor neuron involvement in motor neuron disease. Neurology 53: 605– 611 Studie mit hoher praktischer Relevanz und interessanten Beobachtungen zu Veränderungen im Krankheitsverlauf bei ALS Patienten. Turner MR, Osei-Lah AD, Hammers A et al. (2005) Abnormal cortical excitability in sporadic but not homozygous D90A SOD1 ALS. J Neurol Neurosurg Psychiatry 76: 1279–1285

245

23

Urban P, Vogt T, Hopf H (1998) Corticobulbar tract involvement in amyotrophic lateral sclerosis: a transcranial magnetic stimulation study. Brain 121: 1099–1108 Weber M, Eisen A, Stewart HG, Andersen PM (2000) Preserved slow conducting corticomotoneuronal projections in amyotrophic lateral sclerosis with autosomal recessive D90A CuZn-superoxide dismutase mutation. Brain 123: 1505–1515 Wittstock M, Wolters A, Benecke R (2007) Transcallosal inhibition in amyotrophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol 118: 301–307 Zanette G, Tamburin S, Manganotti P et al. (2002) Diﬀerent mechanisms contribute to motor cortex hyperexcitability in amyotrophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol 113: 1688–1697 2Ziemann U, Winter M, Reimers CD et al. (1997) Impaired cortex inhibition in patients with amyotrophic lateral sclerosis. Evidence from paired transcranial magnetic stimulation. Neurology 49: 1262–1268 Interessante und methodisch wegweisende Anwendung von TMS-Doppelpuls-Protokollen bei ALS-Patienten. 1Ziemann U (2004) Cortical threshold and excitability measurements. Clinical Neurophysiology of Motor Neuron Diseases. In: Eisen A (Ed) Handbook of Clinical Neurophysiology 4, pp 17–335 Konzise Zusammenfassung insbesondere der theoretischen Hintergründe einzelner TMS-Messwerte im Hinblick auf die klinische Anwendung.

247

24

Schlaganfall Joachim Liepert

24.1

Prognose-Abschätzung – 248

24.1.1

Einzelreiz-Stimulation der ipsiläsionellen Hemisphäre – 248 Einzelreiz-Stimulation der kontraläsionellen Hemisphäre – 248 Doppelreiz-Protokolle: Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen – 249

24.1.2 24.1.3

24.2

Untersuchungen zur Pathophysiologie mittels TMS – 249

24.2.1

Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen – 249 Kortikale Innervationsstille – 250 MEP-Intensitätskurven – 250

24.2.2 24.2.3

24.2.4 24.2.5 24.2.6

MEP-Mapping – 250 Interhemisphärische Hemmung Virtuelle Läsionen – 252

24.3

Therapieinduzierte Änderungen der Erregbarkeit des motorischen Kortex – 252

24.3.1 24.3.2

MEP-Mapping – 252 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen – 252

24.4

Fallbeispiel – 253

Literatur

– 254

– 251

ZUM THEMA In diesem Kapitel wird dargestellt, welchen Beitrag TMS zur prognostischen Einschätzung der motorischen Erholung nach einem Schlaganfall liefern kann, welche Erkenntnisse zur Pathophysiologie der Folgen eines Schlaganfalls bisher gewonnen wurden und inwieweit durch TMS therapieinduzierte kortikale Reorganisation nachgewiesen werden kann. Die Bestimmung der motorischen Reizschwelle gestattet schon innerhalb der ersten 24 h nach Schlaganfall eine erste prognostische Einschätzung. Das Fehlen von MEP trotz maximaler Reizstärke und ipsi- oder kontralateraler Vorinnervation des Zielmuskels ist mit einer schlechten Prognose verbunden. Schlaganfälle mit Beteiligung motorischer Bahnen bewirken überwiegend eine Disinhibition im ipsiläsionellen motorischen Kortex, aber es wurde auch eine Enthemmung in der kontraläsionellen Hemisphäre

beschrieben. Die Lokalisation des Infarktes bestimmt die Art der Erregbarkeitsänderung. Eine interhemisphärische Dysbalance mit verstärktem inhibitorischen Einﬂuss der kontraläsionellen auf die ipsiläsionelle Hemisphäre ist wahrscheinlich bedeutsam für eine beeinträchtigte Funktionsrestitution. Vor einer physiotherapeutischen Behandlung sind die Repräsentationsareale der paretischen Muskulatur im motorischen Kortex der läsionierten Hemisphäre typischerweise kleiner als homologe Repräsentationen in der intakten Hemisphäre. Nach Therapie lassen sich Vergrößerungen der Repräsentationareale in der ipsiläsionellen Hemisphäre nachweisen, und Arealverschiebungen deuten auf eine therapieinduzierte Rekrutierung zusätzlicher Hirnareale als Zeichen einer kortikalen Reorganisation hin.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

248

Kapitel 24 · Schlaganfall

24.1

Prognose-Abschätzung

Die durch einen Schlaganfall verursachte Hemiparese führt bei ca. 30‒40 der Patienten zu einer bleibenden Behinderung. Der Schweregrad der Parese hängt entscheidend vom Ausmaß der Läsion der kortikospinalen motorischen Bahn ab. Eine frühzeitige prognostische Einschätzung ist aus verschiedenen Gründen wünschenswert: Der Patient kann bei positiver prognostischer Einschätzung eine Stimmungsund Motivationsverbesserung entwickeln, was über eine optimierte Kooperation die Funktionsrestitution beschleunigt. (Physio-)Therapeuten erhalten frühzeitig den Hinweis, ob schwerpunktmäßig an der Funktionswiederherstellung der paretischen Seite oder eher an Kompensationsstrategien mit der gesunden Seite gearbeitet werden sollte. Die Prognosen anhand von TMS-Ergebnissen sind denen aufgrund rein klinischer Untersuchungen überlegen (Hendricks et al. 2002).

5 Die Untersuchung sollte unter Vorinnervation erfolgen (wenn der Zielmuskel plegisch ist, dann Willkürinnervation des homologen Muskels der gesunden Seite), da Patienten, die unter Muskelentspannung keine, wohl aber unter Vorinnervation MEP haben, eine günstigere Prognose haben als die Patienten, die auch unter Muskelanspannung keine MEP zeigen. 5 Das Fehlen von MEP kurz nach dem Schlaganfall ist mit einer ungünstigen Prognose bez. einer funktionell bedeutsamen motorischen Besserung assoziiert. 5 Die Bestimmung der motorischen Schwelle kann schon innerhalb der ersten 24 h erste prognostische Hinweise liefern. 5 Wenn MEP 10‒30 Tage nach dem Schlaganfall vom M. tibialis anterior ableitbar sind, ist die Prognose hinsichtlich der weiteren Mobilisierung des Patienten günstig.

24.1.1 Einzelreiz-Stimulation der

24.1.2 Einzelreiz-Stimulation der

ipsiläsionellen Hemisphäre Für TMS-Untersuchungen zur prognostischen Beurteilung wurden überwiegend Ableitungen von der Muskulatur der oberen Extremität gewählt, da die motorischen Reizschwellen für die Beinmuskulatur schon physiologischerweise höher sind und der Schlaganfall typischerweise zu einer weiteren Erhöhung der motorischen Reizschwelle führt. Die Studien sind hinsichtlich des Designs, z. T. auch der Ergebnisse heterogen. Einige Autoren wählten die motorische Reizschwelle als Parameter, andere die Präsenz oder das Fehlen von auslösbaren MEP. Einteilungen in Gruppen erfolgten entweder aufgrund des Ergebnisses der TMS oder anhand der Schwere der klinischen Symptomatik. Die Untersuchungen wurden zwischen Stunden und Monaten nach dem Schlaganfall durchgeführt. Die meisten Arbeiten benutzten TMS einzeitig; in wenigen Studien erfolgte ein elektrophysiologisches Follow-up. Die Lokalisation der Läsion (kortikal vs. subkortikal) wurde überwiegend nicht berücksichtigt. Diese Heterogenität erschwert die Vergleichbarkeit. Dennoch lassen sich die folgenden, für die Mehrzahl der Studien zutreffenden Aussagen machen (Liepert 2003): 5 Patienten, die innerhalb der ersten 7 Tage nach dem Schlaganfall auslösbare MEP bei Stimulation des Motorkortex der läsionierten Hemisphäre haben, zeigen eine signifikant bessere Prognose als Patienten, bei denen keine MEP von der paretischen Muskulatur ableitbar sind.

kontraläsionellen Hemisphäre Bei Stimulation des motorischen Kortex der kontraläsionellen (intakten) Hemisphäre und Ableitung von der paretischen Muskulatur lassen sich manchmal ipsilaterale MEP (iMEP) auslösen. Die prognostische Beurteilung ist nicht einheitlich und lässt auf zwei grundsätzlich unterschiedliche Patientengruppen schließen: In der einen Gruppe von Patienten, die eine hochgradige Parese mit schlechter Prognose aufwiesen, waren iMEP nur niedrigamplitudig bei hoher Reizintensität ableitbar. Dieses Phänomen kann als Disinhibition interpretiert werden, wobei die Stärke der ipsilateralen kortikospinalen Bahn nicht für eine funktionelle Relevanz ausreicht (Turton et al. 1996). Im Gegensatz dazu wurden Patienten beschrieben, die relativ hochamplitudige iMEP bei Stimulation im kontraläsionellen prämotorischen Kortex schon bei relativ niedrigen Reizintensitäten aufwiesen und mit einer guten Prognose verbunden waren (Caramia et al. 1996). Möglicherweise spielen hier anatomische Faktoren wie die Stärke der vom prämotorischen Kortex ausgehenden kortikospinalen Bahnen eine entscheidende Rolle. Die von Caramia et al. (1996) berichteten Phänomene sind nur bei einer Minorität von Patienten nachzuweisen. Die Stimulation der intakten Hemisphäre und Ableitung von der kontralateralen, gesunden, willkürlich vorinnervierten Handmuskulatur zeigte im Verlauf nach Schlaganfall 2 unterschiedliche Muster:

24.2 Untersuchungen zur Pathophysiologie mittels TMS

1.

Zum einen wurde eine progressive Abnahme der MEP-Amplitude beobachtet, während MEP, ausgelöst durch Stimulation der läsionierten Hemisphäre und Ableitung von der paretischen Muskulatur, größer wurden. Diese Konstellation deutet auf eine zunehmende Balance der Motorkortexerregbarkeit zwischen den Hemisphären hin. 2. Zum anderen wurde bei Patienten, die sich motorisch nicht erholten, eine progrediente Größenzunahme der durch Stimulation der intakten Hemisphäre ausgelösten MEP in der kontralateralen intakten Handmuskulatur beobachtet – ein Hinweis auf eine zunehmende interhemisphärische Dysbalance.

24.1.3 Doppelreiz-Protokolle:

Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen In mehreren Studien wurde die transkranielle Doppelstimulation zur Messung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical Inhibition, SICI; 7 Kap. 16) eingesetzt und mit dem Outcome der Patienten verglichen. Die meisten Gruppen fanden eine intrakortikale Disinhibition, wobei die Korrelation mit klinischer Besserung widersprüchlich war: Persistierende Disinhibition im kontraläsionellen motorischen Kortex war in 2 Studien mit einer schlechteren (Manganotti et al. 2002; Shimizu et al. 2002), in einer Studie mit einer besseren Funktionsrestitution (Bütefisch et al. 2003) der paretischen Seite verbunden, in einer weiteren Untersuchung nicht mit dem klinischen Verlauf korreliert. Bislang sind die Gründe für diese Diskrepanzen (z. B. unterschiedliche Läsionslokalisationen oder unterschiedliche Reizintensitäten) nicht geklärt. Verlaufsuntersuchungen der SICI in der läsionierten Hemisphäre weisen darauf hin, dass sich die Disinhibition parallel zur klinischen Besserung zurückbildet (Cicinelli et al. 2003).

24.2

Untersuchungen zur Pathophysiologie mittels TMS

24.2.1 Intrakortikale Hemmung bei kurzen

Interstimulusintervallen Stimulation der ipsiläsionellen Hemisphäre In nahezu allen Studien wurde für »motor strokes« eine Verminderung der SICI (7 Kap. 16) im motorischen Kortex der läsionierten Hemisphäre beschrie-

249

24

ben. Allerdings muss man einschränkend feststellen, dass die SICI sowohl durch die MEP-Amplitude als auch durch die Intensität des konditionierenden Stimulus beeinflusst werden kann. Wenn das unkonditionierte Test-MEP eine niedrige Amplitude hat, kann allein hierdurch die SICI vermindert erscheinen. Die Intensität des konditionierenden Stimulus wird in Abhängigkeit von der motorischen Reizschwelle festgelegt; die motorische Schwelle ist nach einem Schlaganfall üblicherweise erhöht und somit auch die Intensität des konditionierenden Reizes. Dies kann ebenfalls eine scheinbare Verminderung der SICI bewirken, da bei hohen Intensitäten des konditionierenden Stimulus zunehmend auch erregende Projektionen auf kortikospinale Neurone rekrutiert werden, so dass die SICI dann einen Nettoeffekt aus Inhibition und Fazilitation darstellt (7 Kap. 16). Zusammenfassend wird also die Interpretation der SICI im Falle niedrigamplitudiger MEP und/oder hoher Reizintensitäten erschwert. Klärung kann ggf. durch die Messung von SICI-Intensitätskurven gewonnen werden, bei denen die Intensität des konditionierenden Stimulus systematisch variiert wird (7 Kap. 16). Eine Reduktion der SICI ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Hinweis für eine verminderte Erregbarkeit GABAerger inhibitorischer Regelkreise (7 Kap. 34). Ob dies eine unmittelbare Folge der Läsion ist oder eher einen Kompensationsmechanismus darstellt, muss offen bleiben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit spielt jedoch die Läsionslokalisation eine bedeutende Rolle. Disinhibitionen wurden bei kortikalen Infarkten häufiger als bei subkortikalen Infarkten beschrieben (Shimizu et al. 2002; Liepert et al. 2005). Auch Thalamusläsionen, die eine Hemihypästhesie verursachen, führen zu einer Disinhibition im motorischen Kortex. Hingegen sind zerebelläre Infarkte, die den Nucleus dentatus betreffen, mit einer verstärkten SICI und einem Verlust der intrakortikalen Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16) assoziiert (Liepert et al. 2004). Die Disinhibition der läsionierten Hemisphäre bildet sich üblicherweise parallel zur klinischen Besserung zurück (Cicinelli et al. 2003).

Stimulation der kontraläsionellen Hemisphäre Auch im motorischen Kortex der intakten Hemisphäre wurde von mehreren Gruppen eine verminderte SICI beschrieben (Talelli et al. 2006). Im Gegensatz dazu zeigten die ICF-Daten keinen Unterschied zu gesunden Kontrollen. Die intrakortikale Disinhibition der intakten Hemisphäre unterstützt tierexperimentelle Daten, die darauf hinweisen, dass eine singu-

250

Kapitel 24 · Schlaganfall

21

läre, unilaterale Läsion ein bihemisphärisches neuronales Netzwerk moduliert.

22

24.2.2 Kortikale Innervationsstille

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Die kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15), die durch TMS unter tonischer Vorinnervation des Zielmuskels generiert wird, zeigt bei Gesunden eine relativ starke interindividuelle, aber nur geringe intraindividuelle Variation ihrer Dauer (Haug et al. 1992). Sie kann vor allem in der Frühphase nach einem Schlaganfall in der paretischen Muskulatur verlängert sein und stellt einen sensitiveren Parameter als die Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) dar (Haug et al. 1992). Somit ist die CSP-Untersuchung insbesondere bei normaler ZML zur weiteren Befundobjektivierung indiziert. Die Interpretation der Ergebnisse wird erschwert, wenn die motorische Schwelle in der läsionierten Hemisphäre erhöht ist und Reizstärke zur CSP-Messung sich an der motorischen Schwelle orientierte, da bei Gesunden nachgewiesen wurde, dass ein enger Zusammenhang zwischen Reizintensität und CSP-Dauer besteht (7 Kap. 15). Daher sind verlässliche Aussagen zu den inhibitorischen neuronalen Verbindungen, die die CSP generieren, nur dann möglich, wenn die motorischen Schwellen – und somit auch die Reizintensitäten – in beiden Hemisphären ähnlich sind. CSP-Veränderungen werden auch durch die Infarktlokalisation bestimmt. Läsionen im primär motorischen Kortex führen zu einer Verkürzung der CSP (7 Kap. 15, Fallbeispiel 2). Kortikale Infarkte, die den motorischen Kortex aussparen sowie subkortikale Infarkte, sind hingegen typischerweise mit einer Verlängerung der CSP-Dauer assoziiert (von Giesen et al. 1994; Liepert et al. 2005). Besonders ausgeprägte CSP-Verlängerungen wurden bei Patienten mit motorischem Hemineglect beobachtet. Die Dauer der CSP korrelierte hierbei mit der Schwere dieser motorischen Aufmerksamkeitsstörung (Classen et al. 1997). Spastizität sowie infarktbedingte Hyperkinesien, z. B. dystone Syndrome, zeigen dagegen eher Verkürzungen der CSP Dauer.

24.2.3 MEP-Intensitätskurven Durch systematische Steigerung der Reizintensität kommt es bei Gesunden zu einer Zunahme der MEPAmplitude, überwiegend aufgrund der Rekrutierung von Neuronen mit höheren Schwellen. Dieses Ver-

fahren ermöglicht somit eine Untersuchung der kortikospinalen Erregbarkeit und geht über die Informationen, die man durch eine Bestimmung der motorischen Reizschwelle erhält, hinaus (7 Kap. 5 und 34). Bei Schlaganfällen in der Capsula interna und bei paramedianen Ponsinfarkten trat nahezu keine weitere MEP-Amplitudenzunahme auf, wenn man die Reizstärke von 110‒140 der Schwellenreizstärke steigerte (Liepert et al. 2005; . Abb. 24.1). Dieses deutet am ehesten darauf hin, dass schon schwellennah die meisten aktivierbaren Neurone bzw. kortikospinalen Bahnen rekrutiert sind. Zur besseren Einordnung sind weitere Untersuchungen erforderlich.

24.2.4 MEP-Mapping Das MEP-Mapping dient zur Darstellung des kortikalen Repräsentationsareales eines Muskels (Wassermann et al. 1992; 7 Kap. 40). Durch systematisches Verschieben einer fokalen (achtförmigen) Spule, üblicherweise in 1 cm Schritten, wird das Areal auf der Kopfoberfläche kartiert, von welchem aus MEP im Zielmuskel ausgelöst werden können. Die wichtigsten Kennwerte sind die Anzahl der Spulenpositionen, von denen aus MEP generiert werden können und der geometrische Schwerpunkt der Repräsentation (7 Kap. 40). Das an der Kopfoberfläche bestimmte Areal ist erheblich größer als die tatsächliche Repräsentation im motorischen Kortex. Das liegt z. T. an der physikalischen Ausbreitung des Magnetfeldes, das auch noch Axone stimuliert, die nicht unmittelbar unterhalb der Spule liegen, z. T. auch an der Aktivierung horizontal verlaufender Axone, die durch Impulspropagation entfernter positionierte Neurone anregen können. Die Arealgröße wird dementsprechend wesentlich durch die Reizstärke determiniert, so dass Fehler bei der Bestimmung der motorischen Reizschwelle erhebliche Auswirkungen auf die Größe der MEP-Karte haben können. Verschiebungen des Arealschwerpunktes deuten hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf »echte« Reorganisation und auf die Rekrutierung zuvor inaktiver neuronaler Verbindungen hin. Typischerweise ist das Repräsentationsareal eines paretischen Muskels kleiner als das des homologen Muskels der gesunden Seite und vergrößert sich mit klinischer Besserung im Verlauf (Traversa et al. 1997). Dieser Befund weist zunächst nur auf eine steigende Erregbarkeit des läsionierten motorischen Kortex hin. Arealverlagerungen sind hingegen am ehesten Ausdruck zusätzlich rekrutierter Bahnen oder Kortexareale. Eine Verlagerung nach anterior wird z. B. als Hin-

251

24.2 Untersuchungen zur Pathophysiologie mittels TMS

b

a

c

24

d

. Abb. .a–d. MEP-Intensitätskurven in Abhängigkeit von der Läsionslokalisation. Pons-Läsionen (a), Capsula-internaLäsionen (b), striatokapsuläre Läsionen (c), Läsionen im primär motorischen Kortex (d). Die Schlaganfallpatienten waren klinisch ähnlich betroﬀen. Weiße Quadrate Stimulation des kontraläsionellen motorischen Kortex und Ableitung von der nicht betroﬀenen Handmuskulatur; schwarze Karos Stimulation des motorischen Kortex der läsionierten Hemisphä-

re und Ableitung von der paretischen Handmuskulatur. * signiﬁkante Unterschiede zwischen paretischer und gesunder Seite (p<0.05). Die MEP-Amplituden werden als Prozentwert der maximalen M-Antwort (Muskelsummenaktionspotenzial ausgelöst durch supramaximale peripher-elektrische Nervenstimulation) dargestellt. Auf der Abszisse ist die Intensität des TMS-Pulses in Prozent der individuellen motorischen Reizschwelle abgebildet

weis auf eine Beteiligung des prämotorischen Kortex, eine Verschiebung nach posterior als Ausdruck einer Rekrutierung des somatosensorischen Kortex interpretiert (Byrnes et al. 2001).

den Teststimulus über der intakten Hemisphäre, so kommt es bei Patienten mit subkortikalen, unterhalb des Corpus callosum gelegenen Läsionen, zu einer normalen IHI. Patienten mit kortikalen Läsionen weisen hingegen z. T. eine geminderte IHI auf (Boroojerdi et al. 1996). Murase et al. (2004) zeigten, dass auch bei subkortikaler Infarktlokalisation eine IHI-Veränderung vorliegen kann. Unter Ruhebedingungen wiesen Patienten und Gesunde noch eine vergleichbare IHI auf. Wenn man die IHI im Rahmen einer Reaktionszeitaufgabe sehr kurz vor Durchführung der Fingerbewegung untersucht, so geht die IHI bei den Gesunden in eine interhemisphärische Fazilitierung über. Bei den Patienten persistierte die IHI vor Bewegung des »paretischen« Fingers jedoch (. Abb. 33.2 in 7 Kap. 33). Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass die intakte Hemisphäre einen besonders starken hemmenden Einfluss auf die läsionierte Hemi-

24.2.5 Interhemisphärische Hemmung Interhemisphärische Hemmung kann man entweder durch eine Doppelreiz-Protokoll mit einem konditionierenden Stimulus über dem motorischen Kortex der einen und einem nachfolgenden Teststimulus über dem motorischen Kortex der anderen Hemisphäre (engl. interhemispheric inhibition, IHI; 7 Kap. 18) oder durch die Messung der ipsilateralen Innervationsstille (engl. ipsilateral silent period, iSP; 7 Kap. 18) untersuchen. Wenn man den konditionierenden Stimulus über der läsionierten Hemisphäre appliziert und

252

21 22 23 24

Kapitel 24 · Schlaganfall

sphäre hat. Dieser Befund stellt eine wichtige pathophysiologische Begründung für die therapeutischen Effekte inhibitorisch wirkender repetitiver TMS über dem motorischen Kortex der kontraläsionellen Hemisphäre dar (7 Kap. 56).

24.3.1 MEP-Mapping 24.2.6 Virtuelle Läsionen

35

Durch einzelne oder repetitiv applizierte Magnetimpulse wird die Aktivität des kortikalen Netzwerkes, welches sich im stimulierten Areal befindet, kurzzeitig gestört. Dieses Prinzip der sog. virtuellen Läsion (7 Kap. 31) kann eingesetzt werden, um die funktionelle Relevanz einzelner Hirnareale im Rahmen der Schlaganfallreorganisation zu untersuchen. Bisherige Studien haben gezeigt, dass virtuelle Läsionen des ipsiläsionellen Motorkortex die motorischen Funktionen der paretischen Hand beeinträchtigen. Für eine virtuelle Läsion des kontraläsionellen motorischen Kortex sind die Daten uneinheitlich: In der einen Studie (Werhahn et al. 2003) wurden keine Effekte, in einer anderen Untersuchung hingegen eine Beeinträchtigung komplexer Fingerbewegungen gefunden (Lotze et al. 2006). Möglicherweise ist die Wahl der motorischen Aufgabe entscheidend, da bei Werhahn et al. (2003) einfaches »finger tapping« untersucht wurde. Andere Studien weisen darauf hin, dass sowohl der ipsiläsionelle als auch der kontraläsionelle prämotorische Kortex für motorische Fähigkeiten nach Schlaganfall bedeutsam sind. Es wurde vermutet, dass die Schwere der Strukturschädigung definiert, ob ipsi- oder kontraläsioneller prämotorischer Kortex im Prozess der motorischen Funktionsrestitution involviert sind (Tatelli et al. 2006). Eine funktionell bedeutsame Rolle des kontraläsionellen prämotorischen Kortex wird insbesondere bei ausgedehnten Infarkten vermutet.

36

24.3

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

37 38 39 40

gen. Wenn möglich, ist auch ein »Crossover-Design«, bei dem die Patienten an 2 Interventionen teilnehmen und ihre eigenen Kontrollen sind, sinnvoll.

Therapieinduzierte Änderungen der Erregbarkeit des motorischen Kortex

Für den Nachweis therapieinduzierter Änderungen der Erregbarkeit des motorischen Kortex ist es notwendig, eine eventuelle durch spontane Remission hervorgerufene Erregbarkeitszunahme so sicher wie möglich auszuschließen. Dieses kann am besten durch die Untersuchung von Patienten, die in der chronischen Phase ihrer Erkrankung sind (üblicherweise mindestens >6 Monate nach dem Schlaganfall) sowie durch den Nachweis einer stabilen Ausgangssituation durch mindestens 2 Basismessungen erfol-

Das schon unter 7 Abschn. 24.2.4 beschriebene MEPMapping-Verfahren wurde von mehreren Arbeitsgruppen zum Nachweis therapieinduzierter Änderungen der Erregbarkeit und Reorganisation des motorischen Kortex eingesetzt (Liepert et al. 2000; Platz et al. 2005). Typischerweise war das Repräsentationsareal des paretischen Muskels vor Therapiebeginn kleiner als das des homologen gesunden Muskels und vergrößerte sich während/nach der physiotherapeutischen Intervention (. Abb. 24.2a). Somit konnte nachgewiesen werden, dass die Erregbarkeit im motorischen Kortex der läsionierten Hemisphäre zunimmt. Das Ausmaß der Arealgrößenzunahme korrelierte in einer Studie mit dem Ausmaß der motorischen Verbesserung (Liepert et al. 2006). In mehreren Untersuchungen traten auch Verlagerungen des Arealschwerpunktes auf, deren Ausmaß (Liepert et al. 2006) bzw. Richtung (Platz et al. 2005) ebenfalls mit der Funktionsbesserung korrelierten. Die Verlagerung des Arealschwerpunktes lässt sich als Hinweis für die Rekrutierung zusätzlicher, der ursprünglichen Repräsentation benachbarter Hirnareale interpretieren. Die Korrelationen zwischen Änderungen der MEP-Karten und klinischen Parametern sprechen dafür, dass die elektrophysiologischen Resultate kein Epiphänomen sind, sondern eine direkte funktionelle Relevanz abbilden.

24.3.2 Intrakortikale Hemmung bei kurzen

Interstimulusintervallen Die Untersuchung der SICI (7 Kap. 16) vor und nach einer zweiwöchigen Forced-use-Behandlung (Immobilisation des gesunden Armes, hierdurch erzwungene Benutzung des paretischen Armes) ergab im motorischen Kortex der läsionierten Hemisphäre nach Therapieende signifikant stärkere Veränderungen als in der gesunden Hemisphäre. Es traten allerdings sowohl Abnahmen als auch Zunahmen der SICI auf. Einen Erklärungsansatz für die divergierenden Befunde bot eine Studie mit detaillierter MRT-Bildgebung: Patienten mit einer Läsion im motorischen Kortex oder dessen unmittelbaren deszendierenden Bahnen zeigten nach der Therapie eine Zunahme der SICI (=verstärkte Hemmung); Patienten mit Läsionen außerhalb des primär motorischen Kortex wiesen hin-

24.4 Fallbeispiel

253

24

. Abb. .a,b. Modulation von MEPKarte und intrakortikaler Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen eines Schlaganfallpatienten durch aktive Physiotherapie a MEP Karte eines paretischen Handmuskels (TMS-Mapping des motorischen Kortex der läsionierten Hemisphäre) bei einem chronischen Schlaganfallpatienten vor und nach einer vierwöchigen aktiven Physiotherapie. Schnittpunkt der Achsen: Vertex. b Kartierung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen desselben Patienten vor Therapiebeginn. Das Quadrat in der Mitte entspricht dem Schwerpunkt der MEPKarte, die anderen Punkte sind je 1 cm von diesem Punkt entfernt. Je dunkler die Farbe, desto geringer die intrakortikale Hemmung. Der Kreis symbolisiert die Verlagerung des Schwerpunktes der MEPKarte nach Therapieende

gegen nach der Behandlungsphase eine Abnahme der SICI auf (Hamzei et al. 2006). Somit beeinflusst die anatomische Lokalisation der Läsion therapieassoziierte Veränderungen intrakortikaler Erregbarkeit. Eine aktuelle Studie kombinierte das MEP-Mapping Verfahren mit SICI-Messungen an mehreren Orten der MEP-Karte (. Abb. 24.2b). Es zeigte sich, dass die therapieinduzierte Verschiebung des Schwerpunktes der MEP-Karte in die Richtung erfolgte, in der auch schon vor Therapiebeginn die geringste SICI bestand.

24.4

Fallbeispiel

Aus einer Gruppe von chronischen Schlaganfallpatienten, die an einer speziellen Physiotherapie teilnahmen, wird ein Patient exemplarisch vorgestellt. Die Therapie bestand aus einer Modiﬁkation der Forceduse-Behandlung und beinhaltete vor allem eine Immobilisation der nicht betroﬀenen Hand und ein mehrstündiges Üben mit der betroﬀenen Hand unter häuslichen Bedingungen. Eine detailliertere Darstellung ist bei Liepert et al. (2006) nachlesbar. Vor und nach der vierwöchigen Behandlungsphase wurden ein TMS-Mapping (MEP-Karte) der Repräsentation der paretischen Handmuskulatur im Motorkortex der läsionierten Hemisphäre und ein Mapping der SICI durch ein Doppelreiz-Protokoll durchgeführt. Das SICI-Mapping erfolgte am Schwerpunkt der MEP-Kar-

Somit hängen Reorganisation von kortikalen Repräsentationen und intrakortikale Inhibition offenbar eng zusammen (Liepert et al. 2006). Da vermutet wird, dass die SICI v. a. durch den inhibitorischen Neurotransmitter GABA determiniert ist (7 Kap. 34), liegt die Schlussfolgerung nahe, dass GABAerge Aktivität kortikale Reorganisation beim Menschen beeinflusst. Tierexperimentell existieren hierfür schon zahlreiche Hinweise.

te sowie jeweils 1 cm davon in anteriorer, posteriorer, medialer und lateraler Richtung. . Abb. 24.2a zeigt, wie sich das Mapping-Areal nach der Therapie verändert hatte. . Abb. 24.2b zeigt eine Karte der SICI vor Therapiebeginn. Eingezeichnet ist die Verlagerung des Schwerpunktes der MEP-Karte nach Therapieende. Bei diesem Patienten kam es – genau wie bei den anderen 7 Patienten dieser Gruppe auch – zu einer Verschiebung des Schwerpunktes der MEP-Karte in die Richtung, in der schon vor Therapiebeginn die geringste SICI vorhanden war. Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass die SICI in einem Repräsentationsareal nicht überall gleich ausgeprägt ist und die therapieinduzierte Rekrutierung zusätzlicher Areale durch das schon vor der Therapie vorhandene topographische SICI-Proﬁl (mit) determiniert wird.

254

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 24 · Schlaganfall

Literatur Boroojerdi B, Diefenbach K, Ferbert A (1996) Transcallosal inhibition in cortical and subcortical cerebral vascular lesions. J Neurol Sci 144: 160–170 Büteﬁsch CM, Netz J, Wessling M et al. (2003) Remote changes in cortical excitability after stroke. Brain 126: 470–481 Byrnes ML, Thickbroom GW, Phillips BA, Mastaglia FL (2001) Long-term changes in motor cortical organisation after recovery from subcortical stroke. Brain Res 889: 278–287 Caramia MD, Iani C, Bernardi G (1996) Cerebral plasticity after stroke as revealed by ipsilateral responses to magnetic stimulation. Neuroreport 7: 1756–1760 Cicinelli P, Pasqualetti P, Zaccagnini M et al. (2003) Interhemispheric asymmetries of motor cortex excitability in the postacute stroke stage: a paired-pulse transcranial magnetic stimulation study. Stroke 34: 2653–2658 Classen J, Schnitzler A, Binkowski F. et al. (1997) The motor syndrome associated with exaggerated inhibition within the primary motor cortex of patients with hemiparetic stroke. Brain 120: 605–619 von Giesen H-J, Roick H, Benecke R (1994) Inhibitory actions of motor cortex following unilateral brain lesions as studied by magnetic brain stimulation. Exp Brain Res 99: 84–96 Hamzei F, Liepert J, Dettmers C et al. (2006) Two diﬀerent reorganization patterns after rehabilitative therapy: An exploratory study with fMRI and TMS. Neuroimage 31: 710–720 Haug BA, Schönle PW, Knobloch C, Köhne M (1992) Silent period measurement revives as a valuable diagnostic tool with transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 158–160 Hendricks HT, van Limbeek J, Geurts AC, Zwarts MJ (2002) Motor recovery after stroke: a systematic review of the literature. Arch Phys Med Rehabil 83: 1629–37 Liepert J (2003) TMS in Stroke. Clin Neurophysiol Suppl 56: 368–80 1Liepert J, Bauder H, Miltner WHR et al. (2000) Treatmentinduced cortical reorganization after stroke in humans. Stroke 31: 1210–1216 Mit TMS wird erstmals eine therapieinduzierte Reorganisation im motorischen Kortex nach Schlaganfall nachgewiesen. Liepert J, Kucinski T, Tüscher O et al. (2004) Motor cortex excitability after cerebellar infarction. Stroke 35: 2484–2488 Liepert J, Restemeyer C, Kucinski T et al. (2005) Motor Strokes: The Lesion Location Determines Motor Excitability Changes. Stroke 36: 2648–2653 Liepert J, Haevernick K, Weiller C, Barzel A (2006) The surround inhibition determines therapy-induced cortical reorganisation. Neuroimage 32: 1216–1220 Lotze M, Markert J, Sauseng P et al. (2006) The role of multiple contralesional motor areas for complex hand movements after internal capsular lesion. J Neurosci 26: 6096–6102 Manganotti P, Patuzzo S, Cortese F et al. (2002) Motor disinhibition in aﬀected and unaﬀected hemisphere in the early period of recovery after stroke. Clin Neurophysiol 113: 936–943

1Murase N, Duque J, Mazzocchio R, Cohen LG (2004) Inﬂuence of interhemispheric interactions on motor function in chronic stroke. Ann Neurol 55: 400–409 Wichtige Beschreibung einer potenziell ungünstigen hemmenden Dominanz der kontraläsionellen Hemisphäre auf die läsionierte Hemisphäre bei Initiierung einer Bewegung. Platz T, van Kaick S, Moller L et al. (2005) Impairment-oriented training and adaptive motor cortex reorganisation after stroke: a fTMS study. J Neurol 252: 1363–1371 Shimizu T, Hosaki A, Hino Tet al. (2002) Motor cortical disinhibition in the unaﬀected hemisphere after unilateral cortical stroke. Brain 125: 1896–1907 2Talelli P, Greenwood RJ, Rothwell JC (2006) Arm function after stroke: Neurophysiological correlates and recovery mechanisms assessed by transcranial magnetic stimulation. Clin Neurophysiol 117: 1641–1659 Umfassende, detaillierte und exzellent strukturierte Zusammenfassung von TMS-Studien bei Schlaganfall. 1Traversa R, Cicinelli P, Bassi A et al. (1997) Mapping of motor cortical reorganization after stroke. Stroke 28: 110– 117 Erste longitudinale Studie von Veränderungen kortikaler Repräsentationen im Verlauf nach Schlaganfall. Turton A, Wroe S, Trepte N et al. (1996) Contralateral and ipsilateral EMG responses to transcranial magnetic stimulation during recovery of arm and hand function after stroke. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 101: 316–328 Wassermann EM, McShane LM, Hallett M, Cohen LG (1992) Noninvasive mapping of muscle representations in human motor cortex. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 1–8 Werhahn KJ, Conforto AB, Kadom N et al. (2003) Contribution of the ipsilateral motor cortex to recovery after chronic stroke. Ann Neurol 54: 464–472

255

25

Myelopathien Sven Schippling

25.1

Einführung – 256

25.2

MEP-Kennwerte bei Myelopathien – 256

25.2.1

Peripher- und zentralmotorische Leitungszeit – 256 MEP-Amplitude – 256

25.2.2

25.3

Myelopathien – 257

25.3.1 25.3.2

Kompressive zervikale Myelopathie – 257 Andere Myelopathien – 258

25.4

Praktisches Vorgehen und therapeutische Konsequenzen

25.5

Fallbeispiel – 259

Literatur

– 260

– 258

ZUM THEMA Neuere, leistungsstärkere MRT-Geräte haben sich insbesondere durch eine verbesserte Darstellung spinaler Prozesse bewährt. In klinisch eindeutigen Fällen verlässt sich die Diagnostik der kompressiven zervikalen Myelopathie daher heute zu Recht auf das spinale MRT allein, wenn monosegmentale Stenosen vorliegen. Problematischer kann die Einschätzung komplexerer radiologischer Befunde sein, insbesondere dann, wenn polysegmentale Engen nachzuweisen und in der klinischen Untersuchung neben klaren myelopathischen auch atypische Befunde zu erheben sind. In diesen Fällen kann die Ableitung der motorisch evozierten Potenziale (MEP) die bildgebende Diagnostik nicht nur sinnvoll ergänzen, sondern mittels segmentaler Ableitung von Muskeln verschiedener Myotome (Etagen-

diagnostik) in Einzelfällen die klinisch relevante Höhe und subklinische Läsionen nachweisen helfen. In der Diagnostik der Myelopathie haben sich die MEP als sehr sensitives Untersuchungsinstrument erwiesen. Das Kapitel resümiert die wesentlichen Befunde, die bei der kompressiven zervikalen Myelopathie und Myelopathien anderer Ursache zu erheben sind. Es zeigt ferner, wie mittels Ableitung von verschiedenen Zielmuskeln Lokalisationsdiagnostik betrieben werden kann. Als sensitivster Parameter hat sich die Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) herausgestellt. Sowohl demyelinisierende als auch axonale Schädigungen der Pyramidenbahn können die ZML verlängern.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

256

Kapitel 25 · Myelopathien

25.1

Einführung

Im klinischen Alltag stützt sich die Diagnostik der Myelopathien gegenwärtig weitestgehend auf bildgebende Untersuchungen und hierbei vor allem auf das MRT. Gleichwohl haben sich die motorisch evozierten Potenziale (MEP) nicht nur als sehr sensitiv, sondern oft als sinnhafte komplementäre Untersuchung erwiesen. Bei der kompressiven zervikalen Myelopathie liegt die Sensitivität der MEP mit klinischer oder bildmorphologischer Referenz (MRT) bei annähernd 100. Abhängig vom Referenz-Standard findet sich hinsichtlich Spezifität der MEP eine ungleich heterogenere Datenlage. Jüngere, prospektive Studien mit MRT-Referenz-Untersuchungen geben die Spezifität mit bis zu 98 an (Lo et al. 2006). Im Vergleich zu den somatosensorisch evozierten Potenzialen (SEP) sind die MEP bei der Diagnostik der Myelopathien insbesondere in frühen Stadien der Erkrankung sensitiver (Chistyakov et al. 2004). Zudem darf als gesichert gelten, dass mittels TMS auch klinisch stumme Läsionen in substanziellem Ausmaß (bis zu 65 der Fälle) detektiert werden können (Travlos et al. 1992). Hierbei ist festzuhalten, dass sich die Sensitivität mit zunehmender Anzahl der Ableitungen und Einbeziehung der Beinmuskeln (M. tibialis anterior) erhöht (Lo et al. 2006; Tavy et al. 1994).

25.2

MEP-Kennwerte bei Myelopathien

Prinzipiell kommen bei der Diagnostik der Myelopathien die üblichen MEP-Kennwerte zum Einsatz. Zur Bestimmung der kortikomuskulären Latenz wird eine Reizintensität von 120 der individuellen Ruheschwelle verwendet. Auch sollte die Messung nicht im entspannten, sondern isometrisch vorkontrahierten Muskel erfolgen (ca. 20 der maximalen Willkürinnervation). Dieser Wert hat sich zum Erhalt einer ruhigen Grundlinie bewährt. Werte darüber oder aber eine genaue Eichung der Vorinnervation sind nicht nötig, da rasch eine Sättigung der MEP-Amplitude eintritt und auch eine weitere MEP-Latenzabnahme bei höherer Vorspannung nicht zu erwarten ist (7 Kap. 6). Eine Ausnahme hinsichtlich der Amplitudensättigung bilden die proximalen Arm- und Unterarmmuskeln, die eine eher lineare Beziehung zwischen Grad der isometrischen Anspannung und Amplitudenzunahme auszeichnet. Aus diesem Grunde dürfen – streng genommen – die absoluten MEP-Amplituden der entsprechenden Muskeln nur unter Kenntnis der genauen Vorinnervation beurteilt werden, während die Amplituden der kleinen Handmuskeln sowie des

M. tibialis anterior prinzipiell auch ohne Kenntnis der Stärke der Vorspannung ausgewertet werden können.

25.2.1 Peripher- und zentralmotorische

Leitungszeit Die Bestimmung der periphermotorischen Leitungszeit (PML) geschieht wie in 7 Kap. 6.2 dargestellt in der klinischen Routine entweder mit der F-WellenMethode oder mittels transkutaner magnetischer oder elektrischer Stimulation. Die F-Wellen-Methode bietet den Vorteil der Genauigkeit, da sie den proximalen Spinalnerven-Abschnitt von seinem Ursprung bis zum Foramen intervertebrale mit abdeckt. Im Gegensatz hierzu kann die transkutane periphere Stimulation insbesondere dann zu falsch verlängerten zentralmotorischen Leitungszeiten (ZML) führen, wenn Leitungsverzögerungen im Verlauf des proximalen Spinalnerven-Abschnitts vorliegen. Die ZML berechnet sich aus der Differenz aus kortikomuskulärer Latenz und PML (7 Kap. 6). Normwerte der ZML zu verschiedenen Zielmuskeln finden sich in . Tab. 6.2 und . Abb. 6.2.

25.2.2 MEP-Amplitude Nicht zuletzt wegen des linearen Anstiegs der Amplituden in Abhängigkeit vom Ausmaß der Vorinnervation im Falle proximaler Arm- und Beinmuskeln (z. B. M. biceps brachii) ist der Vergleich absoluter MEPAmplituden wenig sinnvoll. Zudem sind am entspannten Muskel mittels kortikaler Stimulation in der Regel lediglich kleine und sehr variable Antworten auszulösen. Die Antwort im vorinnervierten Muskel hängt in hohem Maße von den Untersuchungsbedingungen ab und unterliegt starken Schwankungen. Als pathologisch kann deshalb bei Ableitung von proximalen Muskeln lediglich das völlige Fehlen des MEP gewertet werden. Die Bestimmung des MEP/M-Wellen-Quotienten (MEP-Amplitude und maximale M-Antwort nach supramaximaler elektrischer Stimulation des peripheren Nervs) bietet dagegen zum einen den Vorteil der Bereinigung um die interindividuelle Schwankungsbreite der absoluten MEP-Werte. Zum anderen wird dem Phänomen Rechnung getragen, dass kleine MEP-Amplituden nicht zuletzt durch kleine M-Antworten bedingt sein können. Normwerte. Bei Ableitung vom M. interosseus dorsalis manus I und M. abductor digiti minimi sind MEP/

25.3 Myelopathien

M-Wellen-Quotienten <0,15 pathologisch (Hess et al. 1987; Kloten et al. 1992). Für den M. tibialis anterior sind Werte <0,10 als pathologisch anzusehen (Kloten et al. 1992).

25.3

Myelopathien

25.3.1 Kompressive zervikale Myelopathie Grundlagen. Keine andere Form der Myelopathie ist so reichhaltig und umfassend untersucht wie die spondylotische, zervikal-kompressive Myelopathie. Dies liegt nicht zuletzt an der Häufigkeit der Erkrankung. Selbst unter asymptomatischen über 64-Jährigen lassen sich in 26 pathologische MRT-Befunde nachweisen (Teresi et al. 1987). Das klinische Bild wird allzu oft kontaminiert durch ein Nebeneinander radikulärer und myelopathischer Zeichen und Symptome, was die Wertung in der Praxis häufig limitiert und ein klares therapeutisches Vorgehen erschwert. Sind aber erst einmal klinisch Zeichen der Schädigung langer Bahnen nachweisbar, so finden sich in aller Regel auch pathologische MEP-Befunde. Gleiches gilt für radiologisch mittel- bis hochgradige Kompressionen des Myelons, wie neuere MRT-Arbeiten zeigen konnten (Lo et al. 2006). Ist hingegen der Spinalkanal zwar eingeengt, das Myelon jedoch entweder frei oder allenfalls berührt, so sind die MEP zu nahezu 100 unauffällig (Lo et al. 2006). Verbesserungen in der bildgebenden Diagnostik, aber auch die subtilere Kategorisierung der Patienten nach klinischen oder bildmorphologischen Gesichtspunkten haben zu einer nachhaltigen Erhöhung auch der Spezifität der MEP geführt. Es bleibt festzuhalten, dass bei klarem radiologischen und klinischen Befund (i. e. Zeichen der Pyramidenbahnschädigung) von MEP-Untersuchungen kein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Anders verhält es sich in Fällen leichtgradiger Schädigungen ohne radiologischen Nachweis einer konkaven Myelonläsion in Höhe der Enge, bei denen die klinischen Stigmata der Myelopathie bzw. Zeichen des ersten Motorneurons (spastisches Reflexniveau, spastische Paraparese) noch fehlen. Gerade hier haben sich die MEP als früh sensitiv und diagnostisch hilfreich erwiesen. Pathophysiologisch macht das durchaus Sinn, handelt es sich doch in den allermeisten Fällen um eine anteriore Kompression des Zervikalmarks, bei der der Tractus corticospinalis frühzeitig geschädigt wird (Ogino et al. 1983). Störungen der Hinterstrangbahnen mit konsekutiven SEP-Veränderungen treten hingegen erst im Verlauf der Erkrankung auf und sind in der Regel mit einer schlechteren

257

25

Prognose und einem schlechteren chirurgischen Outcome assoziiert (Lyu et al. 2004). Befunde. Die Bestimmung der ZML hat sich als sensi-

tivster Parameter bewährt (Lo et al. 2006). Bei Vorliegen einer Kompression des Zervikalmarks um mehr als ein Drittel des anteroposterioren Durchmessers sind bei Ableitung von jeweils einem Hand- und Fußmuskel in nahezu 100 pathologische Werte zu erwarten. Liegt die Kompression des Myelons unter einem Drittel, so finden sich immer noch annähernd 90 pathologische Werte. Normwerte sind dabei weniger vom eingesetzten Gerät als vielmehr von der eingesetzten Methode zur Ermittlung der peripheren Leitungszeit abhängig (7 Kap. 6). Es empfiehlt sich daher in jedem Fall, die aus der Literatur übernommenen Normwerte an einem kleinen Kontrollkollektiv im eigenen Labor zu überprüfen. Pathophysiologie. Bei der magnetischen Kortexstimulation repräsentiert die ZML die Integrität der schnell leitenden Pyramidenbahnfasern. Histopathologische Studien und Tiermodelle konnten zwar bei zervikaler Myelopathie eine segmentale Demyelinisierung zentralmotorischer Bahnen nachweisen (Gooding et al. 1975), neuere, intraoperative epidurale Ableitungen zeigen dagegen lediglich leichtgradige Konduktionsstörungen der Pyramidenbahn (Kaneko et al. 2001). Für die Verlängerung der ZML scheinen weniger die Demyelinisierung als vielmehr die Zunahme der zeitlichen Dispersion der am spinalen alpha-Motoneuron sich aufsummierenden deszendierenden Potenziale sowie Desynchronisierungsphänomene verantwortlich zu sein. Mithin ein Effekt, der sich mit zunehmender Entfernung der Ableitung (z. B. M. tibialis anterior) vom Ort der Stimulation (Motorkortex) in stärkerem Maße bemerkbar macht. Es überrascht daher nicht, dass sich die Ableitungen von Muskeln der unteren Extremität (M. abductor hallucis und M. tibialis anterior) als besonders sensitiv in der Diagnostik der kompressiven Myelopathie erwiesen haben. Bemerkenswerterweise zeigen sich Signalaufälligkeiten im MRT (T2-Hyperintensität) nicht zwingend an den Orten der maximalen Kompression des Myelons. Gleichwohl finden sich im Bereich der T2Läsionen die stärksten Reduzierungen der evozierten spinalen Potenziale (ESP) bei epiduraler Ableitung (Kaneko et al. 2001). Die MEP-Amplituden bzw. die MEP/M-Wellen-Quotienten sind im Kontext der zervikalen Myelopathie bislang nicht systematisch untersucht. Werte >0,15 im Falle der kleinen Handmuskeln und >0,1 für den M. tibialis anterior dürfen aber als Normwerte extrapoliert werden. Wenngleich die

258

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 25 · Myelopathien

MEP-Auffälligkeiten nach kortikaler Magnetstimulation (pathologisch verlängerte ZML, Amplitudenreduktion) den Vergleich mit der peripheren Elektroneurografie nahelegen, sollte man nicht der Versuchung erliegen, die bekannten Phänomene aus der Neurografie unmittelbar auf die Magnetstimulation bzw. das MEP, im Sinne ZML-Verlängerung = Demyelinisierung und Amplitudenreduktion = axonaler Schaden, zu übertragen. Die Vorstellung, die MEPBefunde erlaubten den direkten Rückschluss auf die Art der Erkrankung, hat sich als zu einfach erwiesen (7 Kap. 6). Die Entstehung des MEP und folglich auch der MEP-Auffälligkeiten sind ungleich komplizierter, da erstens wenigstens eine zusätzliche Synapse involviert ist und zweitens die Magnetstimulation des Motorkortex zu multiplen, deszendierenden Potenzialen (D-wave, I-waves) führt (7 Kap. 3). Etagendiagnostik. Bei klinisch eindeutigen Zeichen

der Myelopathie ergibt sich bei monosegmentalen Stenosen die Höhe der relevanten Läsion häufig allein aus der Kombination aus klinischem Befund und MRT. Insofern sind MEP in dieser Konstellation eigentlich entbehrlich (7 Abschn. 25.3.1). Anders verhält es sich im Falle multisegmentaler Kompressionen, bei asymptomatischen Patienten oder unklarer bzw. atypischer klinischer Präsentation. Hier können pathologisch latenzverlängerte MEP zu Kennmuskeln von Myotomen unterhalb der Schädigung einerseits die klinisch relevante Höhe anzeigen und andererseits helfen, subklinische Läsionen zu detektieren. Bei Ableitungen von Handmuskeln und dem M. biceps brachii ist die Schädigung oberhalb des Segmentes C4/5 zu vermuten, wenn zusätzlich zu den Handmuskeln auch das MEP zum M. biceps brachii pathologisch latenzverlängert ist. Liegt die Schädigung darunter oder wenigstens auf Höhe von C4/5, so sollte das entsprechende MEP zum M. biceps brachii unauffällig, die MEP der Handmuskeln aber weiterhin latenzverlängert sein.

25.3.2 Andere Myelopathien Ist eine peripher nervöse Beteiligung ausgeschlossen, so sind MEP Veränderungen naturgemäß nur dann zu erwarten, wenn eine Störung der Pyramidenbahn vorliegt. Bei primär intramedullären Schädigungen wie der Syringomyelie finden sich ebenfalls häufig verlängerte ZML, jedoch scheint das MEP hier weniger sensitiv als im Falle der kompressiven zervikalen Myelopathie zu sein (Masur et al. 1992). Die parallele Ableitung von Unterschenkel- bzw. Fußmuskeln erhöht die

Sensitivität im Falle der Syringomyelien nicht. SEP können in der Diagnostik der Syringomyelie den MEP überlegen sein. Bei der transversen Myelitis wiederum sind insbesondere die MEP zum M. tibialis anterior pathologisch. In einer Studie fanden sich in 90 der Fälle pathologische zentralmotorische Leitungszeiten, im Gegensatz zu lediglich 30 zu Muskeln der oberen Extremität (Kalita u. Misra 2000). Diese Ergebnisse sind in guter Übereinstimmung mit der Tatsache, dass bei der transversen Myelitis zumeist das thorakale und in lediglich 10 das zervikale Myelon betroffen ist. Beim Vitamin B-Mangel geht die myelopathische (funikuläre Myelose) der neuropathischen Manifestation oft voran, und auch hier kann mittels TMS die subklinische Beteiligung der Pyramidenbahn in Form verlängerter ZML aufgedeckt werden (Di Lazzaro et al. 1992). Die HTLV-I-assoziierte Myelopathie zeigt ebenfalls eine hohe Rate pathologisch latenzverlängerter MEPs (Ugawa et al. 1988). Die hepatische Myelopathie ist eine seltene Komplikation chronischer Lebererkrankungen, die mit einem portosystemischen Shunt einhergehen. Eine Studie konnte bei einigen Patienten bereits vor der klinischen Manifestation pathologische MEP ableiten (Nardone et al. 2006). Die MEP Auffälligkeiten korrelierten dabei mit dem Ausmaß der klinischen Befunde. Nach Lebertransplantation zeigten Patienten mit moderater hepatischer Myelopathie eine Normalisierung der MEP. Auch bei Patienten mit einem Diabetes mellitus konnten in 30 mittels MEP Hinweise auf eine zentralmotorische Störung im Sinne einer diabetischen Myelopathie erhoben werden (Abbruzzese et al. 1993).

25.4

Praktisches Vorgehen und therapeutische Konsequenzen

Zusammenfassend kann die Ableitung der MEP die bildgebende Diagnostik somit insbesondere dort sinnvoll ergänzen, wo atypische Symptome und polysegmentale Engen die klinische Beurteilung erschweren. Hier kann das MEP die Affektion der Pyramidenbahn belegen. Dabei sollten immer bilateral mindestens ein Hand- und ein Unterschenkel- bzw. Fußmuskel abgeleitet werden, da die Einbeziehung von Muskeln der unteren Extremität aus besagten Gründen die Sensitivität insbesondere des Nachweises zervikaler Kompressionen erhöht. Die differenzierte Ableitung von Kennmuskeln unterschiedlicher Myotome kann in unklaren Fällen helfen, die ursächliche Läsionshöhe nachzuweisen.

259

25.5 Fallbeispiel

spektive Studien, die zudem an insgesamt 130 Patienten keine Überlegenheit einer chirurgischen Intervention gegenüber einem konservativen Vorgehen nachweisen konnten.

Evidenz für eine Behandlungsempfehlung oder gar den geeigneten Zeitpunkt für ein operatives Vorgehen aus dem MEP-Befund ableiten zu wollen, gibt die Datenlage sicher nicht her. Ein Cochrane Review (Fouyas et al. 2001) identifizierte lediglich zwei pro-

25.5

Fallbeispiel

entsprechend einer Kraftgrad-4-Parese, nachweisbar. Zeigen sich für den M. biceps brachii beidseits noch unauﬀällige kortikomuskuläre Latenzzeiten und MEPAmplituden, so ist das MEP zum M. interosseus dorsalis manus I links bereits deutlich amplitudengemindert und latenzverlängert. Beidseits deutlich verlängert ist die MEP-Latenz zum M. tibialis anterior, was gut mit dem klinischen Befund der Paraspastik korreliert. Wie oben ausgeführt, war angesichts der Normalbefunde zum M. biceps brachii sowie des pathologischen MEP zum M. interosseus dorsalis manus I links und zum M. tibialis anterior beidseits die Läsion unterhalb oder in Höhe von C6 zu vermuten.

Pathologische Verlängerung der MEP-Latenz zu Muskeln unterhalb der Myotome C5/6 bei einer 68-jährigen Patientin mit degenerativer, kompressiver zervikaler Myelopathie. Das T2-gewichtete MRT (. Abb. 25.1) zeigt die Schwere der degenerativen Veränderungen mit Gefügelockerungen, Osteochondrose und Spondylarthrose. Intramedulläre Signalauﬀälligkeiten ﬁnden sich betont in Höhe HWK5 und HWK6. Klinisch war bei der Patientin, die subjektiv über eine Schwäche der linken Hand und eine zunehmende Gangstörung klagte, neben einer Paraspastik mit positiven Pyramidenbahnzeichen eine Parese der Fingerspreizung links,

a

. Abb. .a,b. Kompressive zervikale Myelopathie. a MRTBefund (T2-gewichtetes Bild, Sagittalschnitt). b Motorisch evozierte Potenziale nach transkranieller Magnetstimulation und Ableitung vom M. biceps brachii, M. interosseus dorsa-

25

b

lis manus I und M. tibialis anterior, jeweils rechts (A) und links (B). Amplitudenminderung sowie pathologische Leitungszeit zum M. interosseus dorsalis manus I links und M. tibialis anterior beidseits bei Normalbefunden zum M. biceps brachii

260

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 25 · Myelopathien

Literatur Abbruzzese G, Schenone A, Scramuzza G et al. (1993) Impairment of motor conduction in diabetic patients. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 89: 335–340 Chistyakov AV, Soustiel JF, Hafner H et al. (2004) The value of motor and sensory evoked potentials in evaluation of cervical myelopathy in the presence of peripheral neuropathy. Spine 29: 239–247 Di Lazzaro V, Restuccia D, Fogli D et al. (1992) Central sensory and motor conduction in vitamin B12 deﬁciency. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 84: 433–439 Fouyas IP, Statham PF, Sandercock PA et al. (2001) Surgery for cervical radiculomyelopathy (Cochrane Review). Cochrane Database Syst Rev 3: CD00146.6 Gooding MR, Wilson CB, Hoﬀ JT (1975) Experimental cervical myelopathy. Eﬀects of ischemia and compression in the canine cervical cord. J Neurosurg 43: 9–17 Hess CW, Mills KR, Murray NMF et al. (1987) Magnetic brain stimulation: central motor conduction studies in multiple sclerosis. Ann Neurol 22: 744–752 Kalita J, Misra UK (2000) Neurophysiological studies in acute transverse myelitis. J Neurol 247: 943–948 1Kaneko K, Taguchi T, Morita H et al. (2001) Mechanism of prolonged central motor conduction time in compressive cervical myelopathy. Clin Neurophysiol 112: 1035–1040 Wichtiger Artikel, der mittels epiduraler Ableitung evozierter spinaler Potenziale die Ursachen der Verlängerung der ZML bei kompressiver zervikaler Myelopathie untersucht. Kloten H, Meyer BU, Britton TC, Benecke R (1992) Normwerte und altersabhängige Veränderungen magnetoelektrisch evozierter Muskelsummenpotenziale. EEG EMG Z Elektroenzephalogr Elektromyogr Verwandte Geb 23: 29–36 1Lo YL, Chan LL, Lim W et al. (2006) Transcranial magnetic stimualtion screening for cord compression in cervical spondylosis. J Neurol Sci 244: 17–21 Aktuelle Arbeit, die Sensitivität und Speziﬁtät von TMS-Kennwerten bei zervikaler Myelopathie anhand einer neuen Klassiﬁkation von MRT-Veränderungen prospektiv untersucht. Lyu RK, Tang LM, Chen CJ et al. (2004) The use of evoked potentials for clinical correlation and surgical outcome in cervical spondylotic myelopathy with intramedullary high signal intensity on MRI. J Neurol Neurosurg Psychiatry 75: 256–261 Masur H, Oberwittler C, Fahrendorf G et al. (1992) The relation between functional deﬁcits, motor and sensory conduction times and MRI ﬁndings in syringomyelia. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 321–330 Nardone R, Buratti T, Oliviero A et al. (2006) Corticospinal involvement in patients with a portosystemic shunt due to liver cirrhosis. A MEP study. J Neurol 253: 81–85 Ogino H, Tada K, Okada K et al. (1983) Canal diameter, anteroposterior compression ratio and spondylotic myelopathy of the cervical spine. Spine 8: 1–15 Tavy DLJ, Wagner GL, Keunen RWM et al. (1994) Transcranial magnetic stimulation in patients with cervical spondylotic myelopathy: clinical and radiological correlations. Muscle Nerve 17: 235–241

Teresi LM, Lufkin RB, Reicher MA et al. (1987) Asymptomatic degenerative disc disease and spondylosis of the cervical spine: MR imaging. Radiology 164: 83–88 Travlos A, Pant B, Eisen A (1992) Transcranial magnetic stimulation for detection of preclinical cervical spondylotic myelopathy. Arch Phys Med Rehabil 73: 442–446 Ugawa Y, Kohara N, Shimpo T, Mannen T (1988) Central motor and sensory conduction in adrenoleukomyeloneuropathy, cerebrotendinous xanthomatosis, HTLV-1-associated myelopathy and tabes dorsalis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 51: 1069–1074

261

26

Epilepsien Janine Reis, Hajo M. Hamer, Felix Rosenow

26.1

Pathophysiologie der Epilepsien – 262

26.2

Durch TMS bestimmbare Kennwerte kortikaler Erregbarkeit in der Epileptologie – 262

26.3

TMS-Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei generalisierten Epilepsien – 262

26.3.1 26.3.2 26.3.3

Motorische Reizschwellen – 262 MEP-Amplitude – 263 MEP bei konditionierender afferenter Stimulation peripherer Nerven – 263 Interhemisphärische Inhibition – 263 Kortikale Innervationsstille – 263 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung – 265 Intrakortikale Bahnung und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen – 265

26.3.4 26.3.5 26.3.6

26.3.7

26.4

TMS Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei fokalen Epilepsien – 266

26.4.1 26.4.2 26.4.3

Motorische Reizschwellen – 266 MEP-Amplitude – 266 MEP bei konditionierender afferenter Stimulation peripherer Nerven – 267 Interhemisphärische Inhibition – 267 Kortikale Innervationsstille – 267 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung – 268 Intrakortikale Bahnung und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen – 269

26.4.4 26.4.5 26.4.6

26.4.7

26.5

Einﬂussfaktoren und praktische Hinweise – 269

26.6

Sicherheitsaspekte bei Epilepsiepatienten – 269

26.7

Fallbeispiel – 270

Literatur

– 271

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen Überblick über TMS-Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei Patienten mit generalisierter und fokaler Epilepsie sowie kortikalem Myoklonus. Epileptischen Anfällen liegt eine Störung des Gleichgewichtes zwischen neuronaler Inhibition und Exzitation im Gehirn zugrunde. Mit TMS können diese Veränderungen charakterisiert werden. Die juvenile myoklonische Epilepsie zeigt oft eine reduzierte intrakortikale Inhibition. Bei generalisiertem kortikalem Myoklonus ﬁndet sich eine Übererregbarkeit, die auch den sensiblen Kortex und die interhemisphärische Hemmung betriﬀt. Die Lateralisierung der epilepto-

genen Hemisphäre oder die Lokalisierung der epileptogenen Läsion ist das Ziel der TMS bei fokaler Epilepsie. Intrakortikale Inhibition und Fazilitation sowie die kortikale Innervationsstille sind im Hemisphärenvergleich und im Vergleich zu Gesunden die aussagekräftigsten Parameter. Jedoch können auch Distanzeﬀekte im motorischen Kortex der nicht epileptogenen Hemisphäre nachgewiesen werden, was die Lateralisierung erschwert. Insgesamt ist der Einsatz der TMS in der Epileptologie limitiert, da eine Klassiﬁkation der Epilepsie und eine Lokalisierung der epileptogenen Läsion bisher nicht ausreichend sicher gelingen.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

262

Kapitel 26 · Epilepsien

26.1

Pathophysiologie der Epilepsien

Die Epilepsien gehören zu den häufigsten schwerwiegenden chronischen neurologischen Erkrankungen. Die Inzidenz liegt in Nordamerika und Europa im Durchschnitt bei 0,06, die Prävalenz bei durchschnittlich 0,65 (Sander u. Shorvon 1996). Die Epilepsien werden in generalisierte und lokalisationsbezogene Epilepsien mit weiterer Unterteilung in idiopathische, symptomatische oder kryptogene Epilepsien eingeteilt. In die Einteilung epileptischer Anfälle und Syndrome fließt die Semiologie der Anfälle mit ein. Epileptische Anfälle sind plötzlich auftretende Verhaltens- und/oder Befindensstörungen mit dem zerebralen elektrophysiologischen Korrelat abnormer exzessiver, synchroner Entladungen ausreichend großer Neuronengruppen. Diese elektrophysiologischen Veränderungen sind häufig auch im Oberflächen-EEG nachweisbar. Die zellulären Primärmechanismen, welche zu dieser synchronen, schnell repetitiven Depolarisation neuronaler Zellverbände führen können, sind bisher nicht eindeutig geklärt. Es wird vermutet, dass es sich um eine Störung des Gleichgewichtes zwischen neuronaler Inhibition und Exzitation im Gehirn mit einem Überwiegen der Exzitation handelt (Tassinari et al. 2003). Eine solche Störung kann bedingt sein durch 5 genetische Faktoren, 5 durch eine Veränderung des intra- oder extrazellulären Ionenhaushaltes, 5 eine Störung spezieller Membranstrukturen (Rezeptoren), 5 einen Überschuss exzitatorischer Aminosäuren und Transmitter, 5 einen Mangel an inhibitorischen Transmittern oder Neuronen. Dabei handelt es sich um einen dynamischen pathophysiologischen Prozess, bei dem akute Schwankungen der kortikalen Exzitabilität auftreten.

26.2

Durch TMS bestimmbare Kennwerte kortikaler Erregbarkeit in der Epileptologie

Die durch TMS bestimmbaren Kennwerte, die bei der Untersuchung der Exzitabilität des motorischen Kortex bei Epilepsiepatienten zur Anwendung kommen, unterscheiden sich nicht von den üblicherweise verwendeten Kennwerten in der klinischen Neurophysiologie. Die Untersuchung des motorischen Kortex mittels TMS beinhaltet üblicherweise die Erfassung

der motorischen Reizschwellen, der MEP-Amplitude, der kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period) sowie der intrakortikalen Inhibition und Fazilitation bei kurzen und langen Interstimulus-Intervallen (7 Abschn. 5.14–16). Nur in Einzelfällen wurde die interhemisphärische Inhibition (7 Kap. 18) oder die afferente sensomotorische Hemmung kurzer oder langer Latenz (7 Kap. 17) untersucht. Die intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical facilitation; 7 Kap. 16) ist bisher noch nicht an Epilepsiepatienten untersucht worden. Bei den generalisierten Epilepsien wird meistens der motorische Kortex einer Hemisphäre als »Indikator« für die Exzitabilität des gesamten Gehirns untersucht, bei den fokalen Epilepsien werden beide Hemisphären untersucht, um zu erwartende trennende Befunde der ipsi- und kontraläsionellen Hemisphäre zu erheben (auch im Sinne von Distanzeffekten bei Läsionen außerhalb des primären motorischen Kortex).

26.3

TMS-Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei generalisierten Epilepsien

Bei generalisierten Epilepsien betrifft die pathologische Veränderung der kortikalen Erregbarkeit – zumindest im iktalen Zustand – beide Hemisphären. Für die TMS-Messung verwendet man somit den motorischen Kortex repräsentativ für die gesamtzerebrale Erregbarkeit, wobei die Untersuchung üblicherweise interiktal erfolgt. Ein grundlegendes Problem hinsichtlich der Vergleichbarkeit der bislang publizierten Studien ergibt sich aus der Heterogenität der Patientengruppen bezüglich des vorliegenden Epilepsiesyndroms und/ oder des Anfallstyps, fehlender Angaben über die antikonvulsive Medikation, die erheblichen Einfluss auf die mit TMS bestimmbaren Kennwerte kortikaler Erregbarkeit haben kann (7 Kap. 34) oder über den zeitlichen Abstand zum letzten Anfall. Idealerweise erfolgt die TMS-Messung an medikamentös unbehandelten Patienten und unter Berücksichtigung des Epilepsiesyndroms.

26.3.1 Motorische Reizschwellen Hyperexzitabilität kann sich als Erniedrigung der motorischen Reizschwellen (7 Kap. 14) darstellen. Im Vergleich zu einem gesunden Kontrollkollektiv

26.3 TMS-Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei generalisierten Epilepsien

zeigten medikamentös unbehandelte Patienten mit einer primär generalisierten Epilepsie in einzelnen Studien diesen Befund (Reutens et al. 1993), während sie in anderen Studien eine normale motorische Reizschwelle aufwiesen (Brodtmann et al. 1999; Macdonell et al. 2001). Dabei setzen sich die Patientenkollektive dieser Studien aus Patienten mit juveniler myoklonischer Epilepsie (JME), juveniler Absencenepilepsie oder nur anhand primär generalisierter Anfälle klassifizierter Epilepsien zusammen. Bei der JME führte Schlafentzug bei allen Patienten zu einer Schwellenerniedrigung (Manganotti et al. 2006). Gianelli et al. (1994) untersuchten die motorischen Reizschwellen bei 8 unbehandelten Patienten mit Absencenepilepsie. Hier zeigte sich eine Erhöhung der Schwellen, was auf eine verminderte Erregbarkeit des motorischen Kortex hindeutet und mit der Vorstellung einer exzessiven Inhibition thalamokortikaler Neurone bei dieser Epilepsieform übereinstimmt. In diesen Studien wurde durch Aufdosierung einer antikonvulsiven Medikation zumeist eine erhöhte motorische Reizschwelle erreicht (Caramia et al. 1996; Reutens et al. 1993; Reutens u. Berkovic 1992). Da es sich v. a. um Valproinsäure in Monotherapie handelte, welche nachweislich zu einer Schwellenerhöhung führt, ist dies in erster Linie als Medikamenteneffekt zu interpretieren (7 Kap. 34). Gleiche Resultate zeigten Studien an bereits chronisch medikamentös behandelten Patienten mit JME (Caramia et al. 1996) oder Absencenepilepsien (Gianelli et al. 1994). Patienten wiesen 48 h nach einem ersten primär generalisierten epileptischen Anfall eine signifikante Erhöhung der motorischen Reizschwelle auf, welche sich 2‒4 Wochen nach dem Ereignis normalisierte (Delvaux et al. 2001). Dies wird als akute protektive Gegenregulation des Kortex zur Verhinderung weiterer Anfälle aufgefasst (. Tab. 26.1). Ein ähnliches Phänomen ist bei Patienten mit kortikalem Myoklonus zu beobachten. Diese zeigen mit oder ohne antikonvulsive Medikation eine Schwellenerhöhung (Brown et al. 1996), welche mit der Anfallshäufigkeit (keine oder weniger Anfälle) und dem klinischen Ausmaß des Myoklonus (eher fokal als generalisiert) korrelierte.

26.3.2 MEP-Amplitude In den meisten Studien wurde die MEP-Amplitude (7 Kap. 5) nach Einzelpuls-TMS nicht detailliert untersucht. Es zeigten sich keine Auffälligkeiten der MEP-Amplitude für Patienten mit JME (Manganotti et al. 2000) und progressiver Myoklonusepilepsie

263

26

(Manganotti et al. 2001). Interessanterweise fand sich in einer Arbeit mit synchroner EEG-Ableitung während der TMS-Messung ein Zusammenhang zwischen MEP-Amplitude und dem EEG-Muster (Gianelli et al. 1994). Wurde der Einzelpuls während des Auftretens eines 3-Hz-Spitze-Welle-Komplexes (engl. spike-wave complex) synchron zur trägen Nachschwankung (engl. slow wave) appliziert, war die MEP-Amplitude signifikant reduziert, was die elektrophysiologische Vorstellung einer Hyperpolarisation von Pyramidenzellen während der trägen Nachschwankung stützt.

26.3.3 MEP bei konditionierender

aﬀerenter Stimulation peripherer Nerven Wird ein peripherer Nerv (z. B. N. ulnaris, N. medianus) durch einen elektrischen Reiz vor TMS des kontralateralen motorischen Kortex konditioniert (7 Kap. 17), resultiert bei Gesunden bei einem Interstimulus-Intervall von 20‒60 ms eine Inhibition des MEP. Diese Inhibition findet sich auch nach kutaner Stimulation im Bereich der Finger. Patienten mit idiopathischer generalisierter Epilepsie unterscheiden sich hinsichtlich dieser afferenten sensomotorischen Hemmung nicht wesentlich von Gesunden (Reutens et al. 1993). Einen Sonderfall stellt jedoch die progressive Myoklonusepilepsie dar, bei der sich bei gleichen Interstimulus-Intervallen eine Fazilitation anstatt einer Inhibition nachweisen lässt (Manganotti et al. 2001), welche auf eine abnormale sensomotorische Integration und Hyperexzitabilität im Bereich des somatosensiblen und primär motorischen Kortex hinweist.

26.3.4 Interhemisphärische Inhibition Patienten mit kortikalem generalisiertem Myoklonus, dem meistens eine generalisierte Epilepsie zugrunde liegt, wiesen eine reduzierte oder sogar fehlende interhemisphärische Inhibition (7 Kap. 18) auf (Brown et al. 1996; Hanajima et al. 2001), was aufgrund der fehlenden Umgebungshemmung als begünstigender Faktor für die Ausbreitung des Myoklonus verstanden wird.

26.3.5 Kortikale Innervationsstille Macdonell et al. (2001) fanden bei unbehandelten Patienten mit idiopathischer generalisierter Epilep-

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

23

18

53

Fokal

Fokal

Fokal

–

CBZ, andere

CBZ, VPA, andere

CBZ, LTG, andere

–

VPA, PB, keine

–

VPA, PHT, CBZ, CLZ, keine

–

–

VAP (30), andere

– VPA

n

p5,8

n5,8

=5

p7

n

=5

p n

p6

=

=

=

n

p

=

=

=

p

=

=5

=4

n

n

=

=

n3

p2

=

Delvaux et al. 2001

Literatur

Hufnagel et al. 1990

Cantello et al. 2000

Hamer et al. 2005

Werhahn et al. 2000

Manganotti et al. 2000

Gianelli et al. 1994

Manganotti et al. 2001

Macdonell et al. 2001

Brodtmann et al. 1999

Reutens et al. 1992

p

CSP

n

=

LICI

Reutens et al. 1993

=

ICF

p n

n

SICI

IGE idiopathische generalisierte Epilepsie; JME juvenile myoklonische Epilepsie; VPA Valproinsäure; CBZ Carbamazepin; CLZ Clobazam; PB Phenobarbital; PHT Phenytoin; RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; SICI Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen; ICF intrakortikale Bahnung; LICI Intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen; CSP kortikale Innervationsstille; n erhöht/Zunahme; p erniedrigt/Abnahme; = nicht verändert im Vergleich zu Gesunden. 1 gemessen innerhalb der ersten 48 h nach einem ersten generalisierten Anfall. 2 Bahnung anstatt LICI bei Interstimulus-Intervallen von 200–300 ms. 3 MEP durch periphere Nervenstimulation induziert. 4 Die durchschnittliche motorische Reizschwelle war bei medikamentös unbehandelten Patienten niedriger als bei behandelten Patienten. 5 Kein Unterschied zwischen epileptischer und gesunder Hemisphäre. 6 Bei Temporallappenepilepsie (n=7) stärkere Abnahme der ICF in der epileptischen Hemisphäre. 7 Stärkere Verkürzung in der epileptischen Hemisphäre. 8 Assoziiert mit hoher Anfallsfrequenz und häuﬁgem Auftreten epilepsietypischer Potenziale im EEG.

15

Fokal

4

PME

8

21

IGE

15

7

IGE

Absencen

34

IGE

JME

18

20 36

MEPAmplitude

RMT

22

1. gen. Anfall 1

Medikation

21

IGE

Patientenzahl

23

Epilepsiesyndrom

. Tab. .. Übersicht über die mit TMS bestimmbaren Kennwerte der Erregbarkeit des motorischen Kortex bei verschiedenen Epilepsiesyndromen

264 Kapitel 26 · Epilepsien

26.3 TMS-Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei generalisierten Epilepsien

265

26

sie eine Verlängerung der kortikalen Innervationsstille (7 Kap. 15), als möglichen Hinweis auf eine gestörte intrakortikale Inhibition oder vermehrten fazilitierenden Einfluss des Thalamus auf kortikale hemmende Interneurone (Macdonell et al. 2001). Im Gegensatz dazu wiesen Patienten nach einem ersten generalisierten Anfall, wie auch medikamentös behandelte Patienten mit juveniler myoklonischer Epilepsie eine normale Dauer der kortikalen Innervationsstille auf (Delvaux et al. 2001; Manganotti et al. 2000; . Tab. 26.1).

26.3.6 Intrakortikale Hemmung bei kurzen

a

Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung Die intrakortikale Inhibition bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI; 7 Kap. 16) war bei Patienten mit kortikalem Myoklonus, mit progressiver Myoklonusepilepsie und mit JME mit und ohne antikonvulsive Therapie reduziert (. Abb. 26.1) (Manganotti et al. 2000). Dies zeigte sich in einer Studie zur JME besonders ausgeprägt nach Schlafentzug und korrelierte mit dem vermehrten Auftreten epilepsietypischer Potenziale im EEG (Manganotti et al. 2006). Dies wird als Störung GABAerger Neurotransmission aufgefasst (7 Kap. 34), die sich als Hyperexzitabilität im Motorkortex präsentiert. Im Gegensatz zur einer gestörten intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen zeigte sich eine normale intrakortikale Bahnung bei Patienten mit kortikalem Myoklonus (Brown et al. 1996), Progressiver Myoklonusepilepsie und JME (Manganotti et al. 2000) im Vergleich zu Gesunden. Nur nach Schlafentzug war die intrakortikale Bahnung bei Patienten mit JME erhöht (Manganotti et al. 2006; . Tab. 26.1).

26.3.7 Intrakortikale Bahnung

und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen Im Vergleich zu Gesunden wiesen medikamentös unbehandelte Patienten mit generalisierter Epilepsie die typische bei Interstimulusintervallen von 100‒ 200 ms beschriebene MEP-Amplitudenreduktion nur verringert auf, und zeigten darüber hinaus eine signifikante vermehrte Fazilitation bei sehr langen Interstimulus-Intervallen von 200‒300 ms (. Abb. 26.2; Brodtmann et al. 1999; 7 Kap. 16). Hier ist zu erwähnen, dass die Patienten mit der ausgeprägtesten späten

b

. Abb. .a,b. Intrakortikale Hemmung ausgelöst durch Doppelpuls-TMS bei kurzen Interstimulusintervallen (1–4 ms), im Vergleich zu einem MEP nach einem Teststimulus allein (erste Zeile). a Gesunder Proband mit einer normalen intrakortikalen Hemmung. b Patient mit juveniler myoklonischer Epilepsie, der statt einer Hemmung eine Bahnung des MEP aufweist. Überlagerung von 7 Durchgängen pro Interstimulusintervall. (Aus Manganotti et al. 2000; mit freundlicher Genehmigung von Blackwell Publishing)

Fazilitation häufige generalisierte Anfälle oder sehr häufige Myoklonien aufwiesen und eine zeitliche Korrelation mit dem Muster der 3‒5-Hz-Spitze-WelleKomplexe im EEG gefunden wurde (Brodtmann et al. 1999). Im Gegensatz dazu fanden Manganotti et al. eine normale intrakortikale Inhibition bei Intervallen von 100‒150 ms bei 15 Patienten mit JME im Vergleich zu Gesunden. Eine späte Fazilitation war weder bei Patienten noch bei den Kontrollpersonen nachweisbar (Manganotti et al. 2000; . Tab. 26.1).

266

21

Kapitel 26 · Epilepsien

a

22 23 24

b

c

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .a–c. Intrakortikale Hemmung ausgelöst durch Doppelpuls-TMS bei langen Interstimulusintervallen (250 ms). a Gesunder Proband mit starker Hemmung der MEP-Amplitude ausgelöst durch den zweiten TMS-Puls im Vergleich zur Antwort auf den ersten TMS-Puls. b Ein Patient mit einer juvenilen Absencenepilepsie und generalisierten tonisch-klonischen Anfällen zeigt hingegen eine MEP-Bahnung anstatt einer Hemmung. c Ein Patient mit der Erstdiagnose einer juvenilen myoklonischen Epilepsie und häuﬁgen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und Myoklonien zeigt eine ausgeprägte MEP-Bahnung. (Aus Brodtmann et al. 1999; mit freundlicher Genehmigung von Lippincott Williams & Wilkins)

des epileptogenen Fokus. Für eine Untersuchung der motorkortikalen Exzitabilität mittels TMS bei Patienten mit einer fokalen Epilepsie sollte man berücksichtigen, ob der epileptogene Fokus den motorischen Kortex einbezieht oder ob sich dieser vom Motorkortex entfernt befindet. Im ersteren Fall würde man abnormale Veränderungen der TMS-Kennwerte auf die direkte Mitbeteiligung des Motorkortex zurückführen, während man im Fall eines entfernten epileptogenen Fokus dessen indirekten Effekt auf den ipsioder kontraläsionellen Motorkortex erfasst. Auch bei den fokalen Epilepsien ist die Vergleichbarkeit der bislang publizierten Studien aufgrund der Heterogenität der Patientengruppen bezüglich der Lokalisation und Ätiologie des epileptogenen Fokus, der Anfallssemiologie, der antikonvulsiven Medikation und des zeitlichen Abstandes zum letzten Anfall eingeschränkt. Wünschenswert wäre zum Versuch einer Lateralisation eine bihemisphärische TMS-Messung an medikamentös unbehandelten Patienten und unter besonderer Berücksichtigung der Lokalisation des epileptogenen Fokus und dessen Bezug zum Motorkortex. Für den Versuch einer Lokalisation ist zusätzlich die Patientenauswahl anhand der Lage der epileptogenen Läsion zu erwägen.

26.4.1 Motorische Reizschwellen

Fazit Eine eindeutige Klassifizierung eines generalisierten Epilepsiesyndroms ist derzeit mittels TMS nicht möglich. Die konkordantesten Befunde ergeben sich für die juvenile myoklonische Epilepsie, bei der sich häufig eine reduzierte intrakortikale Inhibition bei kurzen Interstimulus-Intervallen zeigt, die ohne antikonvulsive Medikation, unter Schlafentzug oder bei häufigerem Auftreten von Myoklonien oder epilepsietypischen Potenzialen im EEG verstärkt nachweisbar wird. Bei generalisiertem kortikalen Myoklonus zeigen sich die ausgeprägtesten auf eine kortikale Hyperexzitabilität hinweisenden Veränderungen der TMS-Kennwerte, die auch die sensomotorische Integration und die interhemisphärische Interaktion betreffen.

26.4

TMS Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei fokalen Epilepsien

Eine der wesentlichsten Fragen zu TMS bei fokalen Epilepsien ist der Wert der Methode zur Lateralisation der »erkrankten« Hemisphäre oder Lokalisation

Die Bestimmung motorischer Reizschwellen (7 Kap. 14) erscheint nicht geeignet die Hemisphäre mit dem epileptogenen Fokus zu ermitteln. Sowohl der Vergleich zu Gesunden als auch der Vergleich zwischen erkrankter und nicht-erkrankter Hemisphäre zeigten in den meisten Studien keinen signifikanten Unterschied (Cantello et al. 2000; Werhahn et al. 2000). Eine Erhöhung der motorischen Reizschwellen wurde als Medikamenteneffekt der eingenommenen Antikonvulsiva aufgefasst (Cantello et al. 2000; Hamer et al. 2005; Hufnagel et al. 1990; . Abb. 26.3). Dies war in einer der Studien unter Medikamentenreduktion reversibel und die niedrigsten Schwellen korrelierten mit dem häufigen Auftreten von epilepsietypischen Potenzialen im EEG sowie der Anfallshäufigkeit (Hufnagel et al. 1990; . Tab. 26.1).

26.4.2 MEP-Amplitude Die MEP-Amplitude (7 Kap. 5) bei Patienten mit fokaler, überwiegend temporaler Epilepsie zeigte

26.4 TMS Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei fokalen Epilepsien

a

b

c

d

267

26

. Abb. .a–d. Vergleich der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (SICI) (a) und der intrakortikalen Bahnung (ICF) (b) sowie der kortikalen Innervationsstille (CSP) (c) und der motorischen Reizschwelle in Ruhe (RMT) (d)beider Hemisphären bei Patienten mit fokaler Epi-

lepsie. Es werden die Ergebnisse ipsilateral und kontralateral zum epileptogenen Fokus dargestellt. Patienten mit Temporallappenepilepsie (leere Kreise ), Patienten mit extratemporaler Epilepsie (schwarze Quadrate). (Aus Hamer et al. 2005; mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press)

sich gegenüber der bei Gesunden gemessenen MEPAmplitude unverändert (Hufnagel et al. 1990).

26.4.4 Interhemisphärische Inhibition

26.4.3 MEP bei konditionierender

aﬀerenter Stimulation peripherer Nerven Bei 7 Patienten mit benigner Rolando-Epilepsie (BECT) wurde eine pathologische Bahnung der durch TMS induzierten MEP-Amplitude der Fingermuskulatur nachgewiesen, wenn man einen konditionierenden kutanen elektrischen Stimulus (7 Kap. 17) an den Fingern der kontralateralen Hand in zeitlichem Abstand von 10‒200 ms vor dem TMS-Puls applizierte. Die periphere Stimulation allein induzierte im EEG ein typisches Spitze-Welle-Muster (engl. spikewave). Eine zeitliche Korrelation zwischen der MEPAmplitudenzunahme und der aufsteigenden Phase des Spikes ließ auf eine gesteigerte Exzitation zwischen sensiblem und motorischem Kortex schließen (Manganotti u. Zanette 2000).

Die interhemisphärische Inhibition (7 Kap. 18) wurde bei Patienten mit fokaler Epilepsie bislang nicht untersucht. Um weitere Informationen zu erhalten, ob bei fokaler Epilepsie eine Anfallspropagation zur kontralateralen Hemisphäre durch eine verminderte interhemisphärische Hemmung begünstigt wird, könnten TMS-Studien unter Einschluss dieses Messparameters von Bedeutung sein.

26.4.5 Kortikale Innervationsstille Die meisten Studien an Patienten mit fokaler Epilepsie ohne Mitbeteiligung des Motorkortex zeigen sowohl im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv als auch im Hemisphärenvergleich keine signifikanten Veränderungen der kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) (Cantello et al. 2000; Tassinari et al. 2003; Werhahn et al. 2000). Hamer et al. wiesen jedoch an einem Patientenkollektiv (23 Pati-

268

Kapitel 26 · Epilepsien

. Abb. .. Beispiel für eine Verkürzung der kortikalen Innervationsstille im Oberﬂächen-EMG des M. abductor digiti minimi (ADM) der linken Hand im Vergleich zur rechten Hand. Bei diesem Patienten liegt eine Temporallappenepilepsie rechts vor, d. h. die Verkürzung der kortikalen Innervationsstille der linken Hand ist bzgl. des epileptogenen Fokus lateralisierend. Die durchgezogene vertikale Linie zeigt den Zeitpunkt des TMS-Pulses an, die gestrichelte vertikale Linie das Ende der kortikalen Innervationsstille im ADM links. Darstellung als gemitteltes EMG von 15 Durchläufen. (Aus Hamer et al. 2005; mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press)

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

enten mit temporaler oder extratemporaler Epilepsie, ohne Beteiligung des Motorkortex) eine interiktale Verkürzung der CSP bei Stimulation der ipsiläsionellen Hemisphäre gegenüber der kontraläsionellen Hemisphäre nach, was auf eine Verminderung der afferenten inhibitorischen Kontrolle auf den ipsiläsionellen Motorkortex über Assoziationsfasern hindeuten könnte (Hamer et al. 2005; . Abb. 26.3 und 26.4). Bei der Subgruppenanalyse fiel auf, dass die Patienten mit einer extratemporalen Epilepsie eine größere interhemisphärische Asymmetrie der CSP aufwiesen als Patienten mit Temporallappenepilepsie. Weiterhin war die CSP ipsiläsional auch im Vergleich zu Gesunden signifikant verkürzt. Die Patienten mit einer temporalen Epilepsie hingegen zeigten im Vergleich zu Gesunden eine normale CSP. Die Autoren schlossen daraus, dass die CSP eine Lateralisation der erkrankten Hemisphäre ermöglicht, dieser remote Effekt jedoch mit zunehmender Entfernung des epileptogenen Fokus vom Motorkortex abnimmt (Hamer et al. 2005). Schließt der epileptogene Fokus den Motorkortex ein, variieren die Befunde von einer Verkürzung der CSP bis hin zu einer extrem verlängerten CSP (Tassinari et al. 2003). Dabei handelte es sich überwiegend um einzelne Fallberichte. Eine Arbeit von Cincotta et al. an 8 Patienten mit fokalen motorischen Anfällen zeigte eine bilaterale Verlängerung der CSP gegenüber Gesunden, wobei dieser Befund in der nicht-erkrankten Hemisphäre am ausgeprägtesten war. Die Autoren schlossen einen Medikamenteneffekt aus, da ähnlich behandelte Patienten ohne Beteiligung des Motorkortex diesen Befund nicht aufwiesen und gingen davon

aus, dass es sich um eine interiktale kompensatorische Zunahme inhibitorischer Neurotransmission im Bereich des ipsi- und kontraläsionellen Motorkortex handele (Cincotta et al. 1998; . Tab. 26.1).

26.4.6 Intrakortikale Hemmung bei kurzen

Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung In den meisten Studien an Patienten mit fokalen Epilepsien wurde eine Reduktion der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen beschrieben (7 Kap. 16), wobei sich dieser Befund zum Teil nur in Patienten-Subgruppen fand (Tassinari et al. 2003). Den ausgeprägtesten Befund beschrieben Werhahn et al. (2000), deren Patienten mit temporaler oder extratemporaler Epilepsie (mit oder ohne Motorkortexbeteiligung) eine bilaterale Abnahme der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen aufwiesen. Dies konnte in zwei weiteren Studien nicht reproduziert werden (Cantello et al. 2000; Hamer et al. 2005). Die Gründe dafür sind unklar. Es sei angemerkt, dass die beiden letzteren Studien Patienten mit einer epileptogenen Zone im Bereich des Motorkortex ausschlossen. Betrachtet man intraindividuell die epileptogene und nicht epileptogene Hemisphäre, kann man gegebenenfalls eine interhemisphärische Asymmetrie der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen finden, welche jedoch bezüglich des epileptogenen Fokus nicht eindeutig lateralisierend ist. Die intrakortikale

269

26.6 Sicherheitsaspekte bei Epilepsiepatienten

Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen war in der gesunden Hemisphäre (Werhahn et al. 2000) oder in der erkrankten Hemisphäre reduziert, wobei in diesem Falle Patienten mit extratemporaler Epilepsie die größte Asymmetrie aufwiesen (Hamer et al. 2005). Eine hohe Anfallsfrequenz und häufige epilepsietypische Potenziale im EEG führten eher zu einer bezüglich der Lateralisation unspezifischen Abnahme der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (Cantello et al. 2000). Die intrakortikale Bahnung ist in Abhängigkeit von der Lokalisation des epileptogenen Fokus und der Aktivität der Epilepsie im Vergleich zu Gesunden entweder reduziert, vermehrt oder unverändert (Cantello et al. 2000; Hamer et al. 2005; Tassinari et al. 2003; Werhahn et al. 2000). Dies mag unter anderem durch die geringe Reliabilität bei wiederholten Tests und die hohe interindividuelle Variabilität der intrakortikalen Bahnung bedingt sein. Den Studien gemeinsam ist jedoch eine Asymmetrie zwischen beiden Hemisphären, mit einer eher verringerten intrakortikalen Bahnung in der epileptogenen Hemisphäre (Hamer et al. 2005; Werhahn et al. 2000), die bei Temporallappenepilepsien deutlicher nachweisbar war als bei extratemporalen Epilepsien (Hamer et al. 2005; . Abb. 26.3). In beiden Studien waren die Patienten medikamentös behandelt und für mindestens 24 h vor der TMS-Messung anfallsfrei. Bei Patienten mit signifikant höherer Anfallsfrequenz und häufigen epilepsietypischen Potenzialen im EEG kann man hingegen eine bez. der Lateralisation unspezifische Zunahme der intrakortikalen Bahnung finden (Cantello et al. 2000; . Tab. 26.1).

26

sicher lateralisierend. Auch für den motorischen Kortex der nicht epileptogenen Hemisphäre zeigen sich häufig abnormale Befunde, was als Distanzeffekt anzusehen ist.

26.5

Einﬂussfaktoren und praktische Hinweise

Wie bereits für die einzelnen Epilepsiesyndrome beschrieben, hängt die Erhebung eines aussagekräftigen TMS-Befundes bei Epilepsiepatienten von unterschiedlichen Faktoren ab (Cantello et al. 2000; Gianelli et al. 1994; Hamer et al. 2005; Tassinari et al. 2003; Werhahn et al. 2000). An erster Stelle ist das Epilepsiesyndrom, und bei fokalen Epilepsien die Lokalisation der epileptogenen Zone, insbesondere deren Lagebeziehung zum motorischen Kortex, zu berücksichtigen. Neben der antikonvulsiven Medikation (Art des Medikamentes, Dosis und zeitlicher Abstand der TMS-Messung von der letzten Einnahme; 7 Kap. 34) empfiehlt es sich, den zeitlichen Abstand vom letzten und zum nächsten Anfall zu erheben (Delvaux et al. 2001). Zudem scheint die Anfallsfrequenz einen Einfluss auf die mit TMS-bestimmbaren Kennwerte der Erregbarkeit des motorischen Kortex zu haben, ebenso wie das Vorhandensein häufiger epilepsietypischer Potenziale im EEG (Cantello et al. 2000; Gianelli et al. 1994). Bei Patienten mit generalisierten Epilepsien führt Schlafentzug häufiger zu einem abnormalen TMS-Befund (Manganotti et al. 2006). Zumindest bei Patientinnen mit katamenialen Anfällen verändert sich die Exzitabilität des Motorkortex mit der Phase des Menstruationszyklus (Hattemer et al. 2006).

26.4.7 Intrakortikale Bahnung

und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen Unter Berücksichtigung der uns zur Verfügung stehenden Literatur sind uns bisher Studien bekannt, die die intrakortikale Bahnung und Hemmung bei langen Interstimulusintervallen bei Patienten mit fokaler Epilepsie untersucht haben (7 Kap. 16).

Fazit Eine Lateralisierung der epileptogenen Hemisphäre oder Lokalisierung der epileptogenen Zone mittels TMS ist bisher nicht möglich. Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen, intrakortikale Bahnung sowie die kortikale Innervationsstille waren im Hemisphärenvergleich und im Vergleich zu Gesunden häufig abnormal, jedoch nicht hinreichend

26.6

Sicherheitsaspekte bei Epilepsiepatienten

Unter Berücksichtigung der allgemeinen Ausschlusskriterien für eine TMS-Untersuchung (wie Herzschrittmacher, metallische Implantate im Kopf-HalsBereich oder Gefäßclips, frische Kalottendefekte) gilt die Einzel- und Doppelpuls-TMS-Technik als sicher und komplikationsarm (7 Kap. 4). Bei Patienten mit Epilepsie wurde in Einzelfällen während oder unmittelbar nach diesen Untersuchungen ein epileptischer Anfall der für den Patienten typischen Semiologie gesehen. Meistens handelte es sich um Patienten mit fokaler Epilepsie. Diese Fallberichte wurden überwiegend als akzidentelle epileptische Anfälle während der TMS eingeschätzt. Eine Metaanalyse aller berichteten Anfallsereignisse im Zusammenhang mit Ein-

270

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Kapitel 26 · Epilepsien

zel- und Doppelpuls-TMS ergab eine relatives Risiko eines Anfalls von 0‒2,8 für Einzelpuls-TMS und 0‒3,6 für Doppelpuls-TMS (Schrader et al. 2004). Die Wahrscheinlichkeit für ein Anfallsereignis während der TMS-Untersuchung ist höher unter Medikamentenentzug oder -reduktion, bei häufigen epilepsietypischen Potenzialen, hoher Anfallsfrequenz, bei kurzem zeitlichem Abstand zum letzten Anfall und wenn der epileptogene Fokus im motorischen Kortex lokalisiert ist (Schrader et al. 2004). Für die repetitive TMS (rTMS) wurden häufiger epileptische Anfälle berichtet, daher müssen weitere Sicherheitsrichtlinien berücksichtigt werden (7 Kap. 4 und 57).

26.7

Fallbeispiel

Fallbeispiel für die Dynamik einer Epilepsie unter antikonvulsiver Ersttherapie Motorische Reizschwelle in Ruhe (RMT), kortikale Innervationsstille (CSP), intrakortikale Hemmung bei kurzem Interstimulusintervall von 3 ms (SICI) und intrakortikale Bahnung (ICF, 10 ms) bei einer 37-jährigen Patientin mit familiärer adulter Myoklonusepilepsie (FAME) vor und nach Beginn einer antikonvulsiven Therapie

! Die Wahrscheinlichkeit eines Anfallsereignisses während einer diagnostischen TMS-Untersuchung mit Einzel-/Doppelpulsen ist höher 5 Unter Medikamentenentzug oder -reduktion 5 Bei häuﬁgen epilepsietypischen Potenzialen im EEG 5 Bei hoher Anfallsfrequenz 5 Bei kurzem zeitlichem Abstand zum letztem Anfall 5 Bei Applikation der TMS im Bereich des epileptogenen Fokus (Motorkortex)

mit Valproinsäure (VPA). Unbehandelt weist die Patientin im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv (80 Personen) eine niedrig normale motorische Reizschwelle, eine normale Dauer der kortikalen Innervationsstille, eine deutlich verringerte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und ein Fehlen der intrakortikalen Bahnung auf. Zu diesem Zeitpunkt fanden sich häuﬁge epilepsietypische Potenziale im EEG; die Patientin zeigte tägliche Myoklonien. Nach Aufdosierung von 600 mg Valproinsäure stieg (erwartungs-

32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .. Proﬁl von mit TMS bestimmbaren Kennwerten der Erregbarkeit des motorischen Kortex. Motorische Reizschwelle (RMT), intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (SICI), intrakortikale Bahnung (ICF) und kortikaler Innervationsstille (CSP) bei einer 37-jährigen Patientin mit familiärer adulter Myoklonusepilepsie vor und nach Beginn einer antikonvulsiven Medikation mit Valproinsäu-

re (VPA) und im Vergleich mit einem gesunden Kontrollkollektiv (Mittelwerte und Standardabweichungen). Die RMT ist in % der maximalen Stimulatorleistung abgetragen, SICI und ICF als Prozentwerte des konditionierten über dem unkonditionierten MEP (cMEP/uMEP) und die Dauer der CSP in Millisekunden (ms)

Literatur

271

26

gemäß) die motorische Reizschwelle leicht an, die Dauer der kortikalen Innervationsstille blieb unverändert, die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen nahm weiter ab und die intrakortikale Bahnung normalisierte sich. Das EEG zeigte weniger epilepsietypische Potenziale. Die Patientin war frei von Myoklonien (. Abb. 26.5). Die weitere Abnah-

me der intrakortikalen Hemmung war unerwartet, insbesondere im Hinblick auf die klinische Verbesserung der Patientin. Die TMS-Kennwerte der Erregbarkeit des motorischen Kortex erfassen jedoch den Nettoeﬀekt der Veränderungen im gesamten kortikalen Netzwerk und könnten damit z. B. als Gegenregulation in diesem Kortexareal zu betrachten sein.

Literatur

Hufnagel A, Elger CE, Marx W, Ising A (1990) Magnetic motorevoked potentials in epilepsy: eﬀects of the disease and of anticonvulsant medication. Ann Neurol 28: 680–686 Macdonell RA, King MA, Newton MR et al. (2001) Prolonged cortical silent period after transcranial magnetic stimulation in generalized epilepsy. Neurology 57: 706–708. Manganotti P, Zanette G (2000) Contribution of motor cortex in generation of evoked spikes in patients with benign rolandic epilepsy. Clin Neurophysiol 111: 964–974 Manganotti P, Bongiovanni LG, Zanette G, Fiaschi A (2000) Early and late intracortical inhibition in juvenile myoclonic epilepsy. Epilepsia 41: 1129–1138 1Manganotti P, Tamburin S, Zanette G, Fiaschi A (2001) Hyperexcitable cortical responses in progressive myoclonic epilepsy: a TMS study. Neurology 57: 1793–1799 Spezialartikel, der die gestörte sensomotorische Integration und pathologische Veränderungen im somatosensiblen Kortex bei PME beschreibt. Manganotti P, Bongiovanni LG, Fuggetta G et al. (2006) Eﬀects of sleep deprivation on cortical excitability in patients affected by juvenile myoclonic epilepsy: a combined transcranial magnetic stimulation and EEG study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 77: 56–60 Reutens DC, Berkovic SF (1992) Increased cortical excitability in generalised epilepsy demonstrated with transcranial magnetic stimulation. Lancet 339: 362–363 Reutens DC, Berkovic SF, Macdonell RA, Bladin PF (1993) Magnetic stimulation of the brain in generalized epilepsy: reversal of cortical hyperexcitability by anticonvulsants. Ann Neurol 34: 351–355 Sander,JW, Shorvon SD (1996) Epidemiology of the epilepsies. J Neurol Neurosurg Psychiatry 61: 433–443 1Schrader LM, Stern JM, Koski L et al. (2004) Seizure incidence during single- and paired-pulse transcranial magnetic stimulation (TMS) in individuals with epilepsy. Clin Neurophysiol 115: 2728–2737 Metaanalyse der berichteten Anfallsereignisse im Zusammenhang mit Einzel- und Doppelpuls-TMS. 2Tassinari CA, Cincotta M, Zaccara G, Michelucci R (2003) Transcranial magnetic stimulation and epilepsy. Clin Neurophysiol 114: 777–798 Übersichtsartikel zum Einsatz der TMS in der Epileptologie. Werhahn KJ, Lieber J, Classen J, Noachtar S (2000) Motor cortex excitability in patients with focal epilepsy. Epilepsy Res 41: 179–189

Brodtmann A, Macdonell RA, Gilligan AK et al. (1999) Cortical excitability and recovery curve analysis in generalized epilepsy. Neurology 53: 1347–1349 Brown P, Ridding MC, Werhahn KJ et al. (1996) Abnormalities of the balance between inhibition and excitation in the motor cortex of patients with cortical myoclonus. Brain 119: 309–317 Cantello R, Civardi C, Cavalli A et al. (2000) Cortical excitability in cryptogenic localization-related epilepsy: interictal transcranial magnetic stimulation studies. Epilepsia 41: 694–704 Caramia MD, Gigli G, Iani C et al. (1996) Distinguishing forms of generalized epilepsy using magnetic brain stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 98: 14–19 Cincotta M, Borgheresi A, Lori S et al. (1998) Interictal inhibitory mechanisms in patients with cryptogenic motor cortex epilepsy: a study of the silent period following transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 107: 1–7 1Delvaux V, Alagona G, Gerard P et al. (2001) Reduced excitability of the motor cortex in untreated patients with de novo idiopathic »grand mal« seizures. J Neurol Neurosurg Psychiatry 71: 772–776 Spezialartikel der die Akutveränderungen der Erregbarkeit des motorischen Kortex nach einem ersten generalisierten Anfall beschreibt. Gianelli M, Cantello R, Civardi C et al. (1994) Idiopathic generalized epilepsy: magnetic stimulation of motor cortex timelocked and unlocked to 3-Hz spike-and-wave discharges. Epilepsia 35, 53-60. 2Hamer HM, Reis J, Mueller HH et al. (2005) Motor cortex excitability in focal epilepsies not including the primary motor area--a TMS study. Brain 128: 811–818 Wichtiger Artikel, der erstmalig Hinweise auf eine lateralisierende Funktion der kortikalen Innervationsstille bei fokaler Epilepsie aufzeigt. Hanajima R, Ugawa Y, Okabe S et al. (2001) Interhemispheric interaction between the hand motor areas in patients with cortical myoclonus. Clin Neurophysiol 112: 623–626 Hattemer K, Knake S, Reis J et al. (2006) Cyclical excitability of the motor cortex in patients with catamenial epilepsy: A transcranial magnetic stimulation study. Seizure 15: 653– 657

273

27

Bewegungsstörungen Alexander Wolters

27.1

Pathophysiologie – 274

27.5

Hyperkinetische Syndrome – 277

27.2

Morbus Parkinson

27.5.1 27.5.2

27.2.1

Erregbarkeit des motorischen Kortex – 274 Konnektivität des motorischen Kortex – 275

27.5.3 27.5.4

Huntington-Chorea – 277 Essenzieller Tremor und ParkinsonTremor – 278 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom – 278 Myoklonus – 278

27.6

Fallbeispiel – 278

Literatur

– 279

27.2.2

– 274

27.3

Parkinson-Syndrome – 275

27.3.1

Parkinson-Syndrom mit ParkinMutation – 275 Atypische Parkinson-Syndrome

27.3.2

– 275

27.4

Dystonien – 276

27.4.1

Erregbarkeit und Konnektivität des motorischen Kortex – 276 Sensomotorische Integration – 277 Stimulations-induzierte Plastizität – 277

27.4.2 27.4.3

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über charakteristische Befunde bei neurologischen Bewegungsstörungen, die mittels TMS zur Erregbarkeit und funktionellen Konnektivität des motorischen Kortex erhoben wurden. Distinkte Muster abnorm veränderter TMS-Kennwerte können zur Diﬀerentialdiagnose von Bewegungsstörungen genutzt werden. Am umfangreichsten sind Patienten mit Morbus Parkinson, anderen Parkinson-Syndromen und Dystonien untersucht

worden. Die Datenlage zu hyperkinetischen Bewegungsstörungen ist geringer. Mit der TMS können Therapie-Eﬀekte abgebildet werden. Dopamimetika bei Morbus Parkinson oder Botulinumtoxin bei Dystonien können abnorm veränderte TMS-Kennwerte normalisieren. Patienten mit Bewegungsstörungen weisen unwillkürliche tonische oder phasische Muskelaktivität auf. Diese kann unkontrolliert die Ergebnisse der TMSUntersuchung beeinﬂussen.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

274

Kapitel 27 · Bewegungsstörungen

27.1

Pathophysiologie

Eine Dysfunktion der Basalganglien ist für viele Bewegungsstörungen von zentraler Bedeutung. Basalganglionäre Efferenzen projizieren u. a. in den sensomotorischen Kortex. Eine abnorme Aktivität dieser Efferenzen führt zu einer veränderten Erregbarkeit verschiedener motorkortikaler Neuronenverbände. Auch an einer Integration sensorischer Reize bei unwillkürlichen und willkürlichen Bewegungen sind basalganglionäre Relaisstationen beteiligt. Der Mechanismus einer gestörten sensomotorischen Integration ist bei Bewegungsstörungen besonders für Dystonien bedeutsam.

27.2

Morbus Parkinson

27.2.1 Erregbarkeit des motorischen Kortex Die zentralmotorische Leitungszeit (ZML; 7 Kap. 6) ist bei Morbus Parkinson nicht verändert. In Ruhe ist die MEP-Amplitude erhöht. Die motorische Reizschwelle (7 Kap. 14) kann insbesondere bei Patienten mit Rigor erniedrigt sein. Beide Befunde sind Ausdruck einer gesteigerten motorkortikalen Erregbarkeit in Ruhe. Willkürmotorische Aktivierung resultiert demgegenüber im Vergleich zu Gesunden in einer eher erhöhten aktiven motorischen Reizschwelle und einer verminderten MEP-Amplitude (VallsSolé et al. 1994). Diese Befunde sprechen dafür, dass das kortikospinale System bei Morbus Parkinson in Ruhe übererregbar ist, jedoch weniger effektiv als bei Gesunden willkürmotorisch aktiviert werden kann. Unter den TMS-Kennwerten motorkortikaler Inhibition ist die verkürzte kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) auf der klinisch dominant betroffenen Seite in der Off-Phase ein prägnanter Befund. Die Einnahme von Dopamimetika führt zu einer im Seitenvergleich normalisierten Dauer der kortikalen Innervationsstille (Priori et al. 1994). In Doppel-Puls-Protokollen sind die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI; 7 Kap. 16), intrakortikale Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16) und die intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulus-Intervallen (engl. long-interval intracortical inhibition, LICI; 7 Kap. 16) untersucht worden. Auffällige Befunde finden sich vornehmlich unter Ruhebedingungen. Die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen und die intrakortikale Bahnung sind vermindert. Die intrakortikale Hem-

mung bei langen Interstimulus-Intervallen ist dagegen verstärkt. Das gegenteilige Verhalten der intrakortikalen Hemmungen bei kurzen vs. langen Interstimulus-Intervallen kann durch die Interaktion dieser beiden Inhibitionen erklärt werden (7 Kap. 16): die verstärkte intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulus-Intervallen führt zu einer verstärkten präsynaptischen Hemmung (Disinhibition) der intrakortikalen Hemmung bei kurzen InterstimulusIntervallen. Die pathologischen Veränderungen in den Doppel-Puls-Paradigmen finden sich im Wesentlichen in der Off-Phase oder bei unbehandelten Patienten (Berardelli et al. 1996). Eine einmalige oder chronische Einnahme von Dopamimetika kann diese Veränderungen normalisieren. Dies weist darauf hin, dass mit der TMS Therapie-Effekte bei Morbus Parkinson abgebildet werden können (Übersicht bei Lefaucheur 2005; 7 Kap. 34). Demzufolge können Ergebnisse von Einzel- und Gruppenvergleichen bei Nichtbeachtung einer dopamimetischen Medikation einen Bias aufweisen. Die afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency afferent inhibition, SAI; 7 Kap. 17) ist bei nicht behandelten Patienten mit Morbus Parkinson normal (Sailer et al. 2003) oder sogar gesteigert (Nardone et al. 2005), unter dopaminerger Medikation auf der klinisch stärker betroffenen Seite jedoch vermindert (Sailer et al. 2003). Die afferente sensomotorische Hemmung langer Latenz (engl. longlatency afferent inhibition, LAI; 7 Kap. 17) ist dagegen unabhängig von dopaminerger Medikation konsistent vermindert. Diese Befunde sprechen dafür, dass die sensomotorische Integration bei Morbus Parkinson gestört ist, und dass es sich bei der afferenten sensomotorischen Hemmung kurzer vs. langer Latenz um unterschiedlich regulierte Phänomene handelt. Eine unwillkürlich erhöhte Aktivität motorischer Einheiten in Ruhe ist bei Morbus Parkinson mit dem klinischen Symptom des Rigors assoziiert. Nadelelektromyographische Ableitungen von einzelnen motorischen Einheiten (engl. single motor units) haben gezeigt, dass willkürlich und durch TMS dieselben motorischen Einheiten rekrutiert werden, die schon in Ruhe eine erhöhte Feuerrate aufweisen (Cantello et al. 1995). Dies weist auf eine abnorme tonische Aktivität kortikospinaler Neurone hin, welche an der Pathophysiologie des Rigors beteiligt ist. Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse der TMSUntersuchungen bei Morbus Parkinson in Ruhe eine gesteigerte Erregbarkeit des motorischen Kortex. Willkürlich-motorische Aktivierung weist hingegen eine verminderte Kapazität zur Fazilitierung auf. Die-

27.3 Parkinson-Syndrome

275

27

se Befunde sind mit den klinischen Symptomen des Rigors und der Akinese assoziiert. TMS-Untersuchungen zu Tremor 7 27.5.2.

27.2.2 Konnektivität des motorischen

Kortex Die funktionelle Konnektivität des prämotorischen Kortex und des primär motorischen Kortex (7 Kap. 18 und 33) ist mit repetitiver TMS (rTMS) über dem prämotorischen Kortex und Bestimmung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen vor und nach rTMS untersucht worden. rTMS wird hierbei unter der Vorstellung eingesetzt, die Erregbarkeit der Projektion vom prämotorischen zum primär motorischen Kortex zu modifizieren (7 Kap. 50). Bei unbehandelten Patienten mit Morbus Parkinson führt eine 1-Hz-rTMS zu einer signifikanten Verstärkung einer vor Intervention reduzierten intrakortikalen Inhibition bei kurzen Interstimulus-Intervallen. Normalpersonen zeigen einen gegenläufigen Befund. Die einmalige Gabe von 250 mg L-Dopa bewirkt in diesem Protokoll bei Patienten mit Morbus Parkinson eine Abnahme der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen nach 1-Hz-rTMS des prämotorischen Kortex, also eine Modulation der Konnektivität zwischen prämotorischem und primär motorischen Kortex wie bei Gesunden (Buhmann et al. 2004). Die interhemisphärische Hemmung, die mittels der ipsilateralen kortikalen Innervationsstille (engl. ipsilateral cortical silent period, iSP; 7 Kap. 18) die Konnektivität homologer Areale beider Motorkortexes untersucht, ist bei Morbus Parkinson nicht gestört (. Abb. 27.1).

27.3

Parkinson-Syndrome

. Abb. .. Ipsilaterale kortikale Innervationsstille, maximale Vorinnervation des ipsilateralen M. interosseus dorsalis manus I, Stimulationsstärke 1,5 × motorische Reizschwelle in Ruhe, Rektiﬁzierung von 10 Ableitungen. Obere Reihe normale ipsilaterale Innervationsstille bei einem Patienten mit Morbus Parkinson (Latenz 35 ms, Dauer 30 ms), mittlere Reihe gestörte ipsilaterale Innervationsstille bei einem Patienten mit progredienter supranukleärer Blickparese mit verlängerter Latenz (53 ms) und Dauer (40 ms), untere Reihe Verlust der ipsilaterale Innervationsstille bei einem Patienten mit kortikobasaler Degeneration

Ruhe erhöht und die MEP-Amplitude reduziert (De Rosa et al. 2006).

27.3.1 Parkinson-Syndrom mit Parkin-

Mutation Mutationen des Parkin-Gens sind der häufigste Grund für Parkinson-Syndrome mit frühem Erkrankungsbeginn unter 45 Jahren. Klinisch sind Patienten mit Parkin-Mutationen u. a. durch symmetrische, gut L-Dopa-responsive Parkinson-Symptome, häufigere dystone Zeichen und zum Teil gesteigerte Muskeleigenreflexe gekennzeichnet. Eine erste TMS-Untersuchung zeigt eine Verlängerung der ZML besonders zu den unteren Extremitäten. In einzelnen Patienten ist als Ausdruck einer verringerten motorkortikalen Erregbarkeit die motorische Reizschwelle in

27.3.2 Atypische Parkinson-Syndrome Bei der progredienten supranukleären Blickparese (PSP) und der kortikobasalen Degeneration (KBD) ist die ZML normal. Bei der Multisystematrophie (MSA, Parkinson-Subtyp) kann die ZML zu den unteren Extremitäten verlängert sein. MEP-Amplituden in Ruhe können bei PSP und MSA-P vergrößert sein, wohingegen eine Erhöhung der motorischen Reizschwelle in Ruhe bei Patienten mit KBD gefunden worden ist (Kühn et al. 2004). Bei MSA-P ist die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen reduziert und kann durch Einnahme von L-Dopa nor-

276

Kapitel 27 · Bewegungsstörungen

21

. Tab. .. Übersicht wichtiger TMS-Kennwerte der Erregbarkeit und funktionellen Konnektivität des motorischen Kortex bei Bewegungsstörungen

22

Bewegungsstörung

ZML

MT

MEP

CSP

SICI

LICI

iSP

ICF

Morbus Parkinson

N

N, p bei Rigor

n in Ruhe

p

p

n

N

p

KBD

N

l

N

p

p

–

≠

−

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

PSP

N

N

N

n

−

≠

−

MSA-P

N z. T. zu uE n

N

N

N

p

–

N

–

Essenzieller Tremor

N

N

N

N

N

N

–

–

Dystonien

N

N

nn bei dyst. Kontraktion

p

p

p

N

N

Huntington-Chorea

N

ln

N

n

l

l

–

n

Kortikaler Myoklonus

N

N

N

p

p

n

≠

N

Tourette-Syndrom

N

p

N

p

p

–

–

–

N normal; p erniedrigt/verkürzt; n erhöht/verstärkt/verlängert; l uneinheitliche Befunde; ≠ gestörte iSP (Verlust, verlängerte Latenz oder Dauer); – nicht untersucht; ZML zentral-motorische Leitungszeit; MT Motorschwelle; MEP Amplitude des MEP; CSP kortikale Innervationsstille; SICI intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen; LICI intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen; iSP ipsilaterale kortikale Innervationsstille; ICF intrakortikale Bahnung; PSP progressive supranukleäre Blickparese; MSA-P Multisystematrophie vom Parkinson-Subtyp; KBD Kortikobasale Degeneration; uE untere Extremitäten.

malisiert werden. Ansonsten besteht für atypische Parkinson-Syndrome, so weit untersucht, keine L-DopaSensitivität der TMS-Kennwerte. Diese Beobachtung kann zur Differentialdiagnose eines unklaren Parkinson-Syndromes mit herangezogen werden. Typischerweise zeigen KBD-Patienten klinisch lateralisierte Zeichen. In TMS-Untersuchungen bildet sich eine erhöhte Exzitabilität des motorischen Kortex der dominant betroffenen Hemisphäre ab. Die motorkortikale Repräsentation kleiner Handmuskeln ist hier vergrößert und die Dauer der kortikalen Innervationsstille reduziert. Die Untersuchung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen ergab sogar eine deutliche Fazilitierung anstelle einer Inhibition, die eine Unterscheidung von Patienten mit Morbus Parkinson ermöglichte. Bei KBD-Patienten, insbesondere solchen mit einem Alien-limb-Phänomen zeigen sich bei fokaler TMS des motorischen Kortex auf der Seite des Alien-limb-Phänomens häufig ipsilaterale MEP, die in Ruhe bei Gesunden niemals zu beobachten sind. Diese ipsilateralen MEP sind gegenüber kontralateralen MEP im selben Zielmuskel um 7‒8 ms verzögert und werden durch einen abnormen exzitatorischen transkallosalen Eingang vom stimulierten in den nicht-stimulierten motorischen Kortex erklärt, der dort zur Aktivierung der gekreuzten kortikospinalen Projektion führt (Valls-Solé et al. 2001). Entsprechend finden sich Störungen in der Untersuchung

der transkallosal vermittelten Inhibition (ipsilaterale Innervationsstille) bis hin zu deren Verlust (Wolters et al. 2004; . Abb. 27.1). Auch Patienten mit PSP zeigen eine transkallosale Dysfunktion, allerdings im Sinne einer verlängerten Dauer der ipsilateralen Innervationsstille (. Abb. 27.1). Bei Patienten mit MSA sind Störungen der ipsilateralen Innervationsstille gering ausgeprägt bis nicht vorhanden. Die afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz ist bei PSP im Gegensatz zu Morbus Parkinson nicht gestört (Nardone et al. 2005). Atypische Parkinson-Syndrome weisen distinkte Muster von TMS-Befunden auf, die zur differentialdiagnostischen Einordnung auch gegenüber Morbus Parkinson herangezogen werden können (. Tab. 27.1).

27.4

Dystonien

27.4.1 Erregbarkeit und Konnektivität des

motorischen Kortex TMS-Untersuchungen sind vor allem bei Patienten mit einer fokalen Hand- oder zervikalen Dystonie durchgeführt worden. Dies liegt in der erschwerten Untersuchbarkeit von Patienten mit segmentaler oder generalisierter Dystonie begründet. ZML, motorische Reizschwellen und MEP-Amplituden in Ruhe sind bei

277

27.5 Hyperkinetische Syndrome

27

fokaler Hand- und zervikaler Dystonie nicht verändert. Während Willkürinnervation findet sich dagegen in dystonen Muskeln eine exzessive MEP-Fazilitierung. Diese ist bei Patienten mit dystonem Schreibkrampf aufgabenspezifisch ausgeprägt. Dieselbe Patientengruppe weist bei MEP-Mapping (7 Kap. 40) eine topographische Verschiebung und Verzerrung der motorkortikalen Repräsentation dystoner Handmuskeln auf (Byrnes et al. 1998). Die Injektion von Botulinumtoxin in die dystone Muskulatur führt zu einer transienten Normalisierung dieser Veränderungen (Byrnes et al. 1998). Die Modulation der motorkortikalen Erregbarkeit durch Botulinumtoxin weist auf den Einfluss veränderter afferenter Muskelspindel-Aktivität hin. Die kortikale Innervationsstille ist in dystonen Muskeln bei Patienten mit Schreibkrampf, Tortikollis spasmodicus und anderen kranialen Dystonien verkürzt. Diese Verkürzung kann während dystoner Muskelaktivität stärker ausgeprägt sein als während nicht-dystoner Willkürinnervation. Eine verkürzte kortikale Innervationsstille kann typischerweise bilateral nachgewiesen werden, d. h. auch in Muskeln der klinisch unauffälligen Seite. Diese subklinische Auffälligkeit weist auf den systemischen Charakter von fokalen Dystonien hin und steht gut mit der häufigen Beobachtung in Einklang, dass z. B. Patienten mit dystonem Schreibkrampf nach Wechseln der Schreibhand dort auch einen Schreibkrampf entwickeln. Injektion von Botulinumtoxin hat keinen Einfluss auf die Dauer der kortikalen Innervationsstille. Uneinheitliche Ergebnisse sind für Untersuchungen der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen bei Patienten mit dystonem Schreibkrampf gefunden worden. Überwiegend zeigt sich eine reduzierte Hemmung im motorischen Kortex beider Seiten. Diese kann durch Injektion von Botulinumtoxin vorübergehend bis zu dessen Wirkverlust nach drei Monaten normalisiert werden. Auch bei Patienten mit Torticollis spasmodicus findet sich eine reduzierte intrakortikale Hemmung in den dystonen, aber oft auch in nicht dystonen Muskeln.

Muskels. Patienten mit dystonem Musikerkrampf zeigen unter dieser Bedingung eine MEP-Fazilitierung sowohl des Agonisten als auch des Antagonisten. Dies weist auf eine geringer fokussierte sensomotorische Verarbeitung eines propriozeptiven Inputs im Sinne einer gestörten Umfeldhemmung bei Dystonie hin (Rosenkranz et al. 2005). Ähnlich ist der Befund einer aufgehobenen somatotop geordneten Modulation der MEP-Amplitude durch konditionierende kutane elektrische Stimulation zu werten. Bei Gesunden führt nur eine kutane Stimulation über dem homonymen Finger (z. B. Indexfinger bei Ableitung der MEP vom M. interosseus dorsalis manus I) nach 20‒50 ms zu einer Inhibition der MEP-Amplitude, nicht jedoch kutane Reizung eines heteronymen Fingers (z. B. Kleinfinger). Patienten mit fokaler Hand-Dystonie, aber auch Tortikollis-Patienten, zeigen eine Inhibition der MEPAmplitude nach kutaner Stimulation auch des heteronymen Fingers (Tamburin et al. 2002).

27.4.2 Sensomotorische Integration

27.5

Für die Pathophysiologie von Dystonien ist eine gestörte sensomotorische Integration bedeutsam. In TMS-Studien ist der Einfluss sensorischer Afferenzen auf die Erregbarkeit des motorischen Kortex bei Dystonie untersucht worden. Vibration über einem Zielmuskel führt nach TMS physiologischerweise zu einer Fazilitierung der MEP-Amplitude und zu einer Reduktion der MEP-Amplitude des antagonistischen

27.5.1 Huntington-Chorea

27.4.3 Stimulations-induzierte Plastizität Mit assoziativer gepaarter Stimulation (PAS) können Langzeitpotenzierung (LTP)- und Langzeitdepression (LTD)-ähnliche Veränderungen der Exzitabilität des motorischen Kortex induziert werden (7 Kap. 51). Bei Patienten mit dystonem Schreibkrampf findet sich eine abnorm verstärkte PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität (Quartarone et al. 2003). Diese weist wie auch die LTD-ähnliche Plastizität einen Verlust der somatotopen Spezifität auf: Veränderungen der motorkortikalen Erregbarkeit können im Gegensatz zu Gesunden auch durch PAS mit nicht-homologer peripher-elektrischer Stimulation induziert werden (Weise et al. 2006). Dieser Befund einer abnormen sensomotorischen Plastizität passt in das pathophysiologische Konzept aufgabenspezifischer Dystonien. Bei ihnen wird u. a. eine maladaptive Plastizität infolge repetitiver Bewegungen für die Manifestation der Dystonie angenommen.

Hyperkinetische Syndrome

Die ZML ist bei Huntington-Chorea nicht verändert. In den meisten TMS-Studien wurden normwertige MEP-Amplituden gefunden. Zum Teil erhöhte motorische Reizschwellen in Ruhe und eine verlängerte kortikale Innervationsstille weisen gegenläufig zum Morbus Parkinson auf eine Hypoexzitabilität

278

21 22 23 24 25

des motorischen Kortex und verstärkte inhibitorische Mechanismen bei Huntington-Chorea hin. Eine Ausnahme ist deren hypokinetisch-rigide Variante. Bei dieser wurde eine Verkürzung der kortikalen Innervationsstille gefunden. Die Untersuchungen zur intrakortikalen Hemmung bei kurzen und langen Interstimulus-Intervallen und zur intrakortikalen Bahnung ergeben bislang uneinheitliche Befunde. Dies kann auf methodische Unterschiede der Untersuchungsprotokolle zurückgeführt werden.

27.5.2 Essenzieller Tremor und Parkinson-

26 27 28 29 30 31

Kapitel 27 · Bewegungsstörungen

Tremor Patienten mit essenziellem Tremor zeigen keine Veränderung der ZML, motorischen Reizschwellen, Dauer der kortikalen Innervationsstille oder der intrakortikalen Hemmung. Die Aktivität eines Haltetremors kann durch einen TMS-Puls über dem motorischen Kortex zeitgebunden an den TMS-Puls für bis zu mehreren hundert Millisekunden unterdrückt werden. Dieses Phänomen tritt bei Patienten mit essenziellem Tremor und Morbus Parkinson auf. Es zeigt eine Einbindung des motorischen Kortex in die oszillatorische Aktivität der Tremorgeneration (PascualLeone et al. 1994).

32

27.5.3 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom Nähere Erläuterungen hierzu finden sich unter 7 Abschn. 30.4.

27.5.4 Myoklonus Mit TMS-Untersuchungen können bei Patienten mit Myoklonien hinsichtlich der differential-diagnostischen Einordnung hilfreiche Befunde erhoben werden. Ein kortikaler Ursprung eines Reflex-Myoklonus kann mithilfe der TMS belegt werden. Dazu wird die kortikomuskuläre Leitungszeit mit der somatosensiblen N20-Latenz addiert und mit der Latenz bis zum Auftreten des Reflex-Myoklonus verglichen. ZMLund MEP-Amplituden sind bei kortikalem Myoklonus nicht verändert. Eine gestörte sensomotorische Integration bei kortikalem Reflex-Myoklonus zeigt sich durch eine exzessive MEP-Fazilitierung nach konditionierender peripher-elektrischer Stimulation (7 Kap. 26). Eine gestörte interhemisphärische Inhibition weist bei kortikalem Myoklonus auf eine Tendenz zur Generalisierung hin. Die Dauer der kortikalen Innervationsstille und die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen sind bei kortikalem Myoklonus reduziert. Diese Disinhibition findet sich zum Teil deutlicher bei Patienten, die klinisch eine sekundäre Generalisierung der MyoklonusAktivität zeigen (7 Kap. 26).

33 34 35 36 37 38 39 40

27.6

Fallbeispiel

Ein 55-jähriger Patient mit einem leichtgradigen akinetisch-rigiden Parkinson-Syndrom wird zur Diagnosestellung eingewiesen. Die Symptome sind seit ca. 6 Monaten vom Patienten selbst bemerkt worden. Eine eindeutige Seitenbetonung besteht nicht. Ein Apomorphin-Test hatte angesichts des nur leichtgradig ausgeprägten Parkinson-Syndromes keinen sicher positiven Befund ergeben. Kognitive Beeinträchtigungen waren bei dem berufstätigen Patienten nicht aufgefallen. Die TMS-Untersuchung mit Rundspule ergibt keine Auﬀälligkeiten der motorischen Reizschwelle in Ruhe oder bei aktivem Zielmuskel. Die ZML und MEP-Amplitude sind zu Zielmuskeln aller Extremitäten normal. In der Untersuchung mit der fokalen Spule ist allerdings die Dauer der kontralateralen kortikalen Innervationsstille in der Ableitung vom rechten M. interosseus dorsalis manus I im Seitenvergleich um 30 ms verringert (170 vs. 200 ms) (. Abb. 27.2). Daraufhin wird eine Untersu-

chung der intrakortikalen Hemmung bei einem Interstimulusintervall von 3 ms durchgeführt. Es ergibt sich auf beiden Seiten eine nur schwach ausgeprägte Hemmung auf 80 der MEP-Testamplitude, die im Seitenvergleich für den linken motorischen Kortex noch etwas weniger deutlich ist. Die Untersuchung der ipsilateralen kortikalen Innervationsstille ergibt keine Auffälligkeiten. Nach 3-tägiger Prämedikation mit Domperidon wird die TMS-Untersuchung eine Stunde nach Einnahme von 250 mg L-Dopa wiederholt. Es ﬁndet sich nun eine deutlicher ausgeprägte intrakortikale Hemmung bei einem Interstimulusintervall von 3 ms auf 50 der MEP-Testamplitude ohne Seitenunterschied. Die Untersuchung der kontralateralen kortikalen Innervationsstille ergibt jetzt beidseits eine normale Dauer von ca. 200 ms. Damit unterstützen die Befunde der TMS-Untersuchung die Diagnose eines akinetisch-rigiden Morbus Parkinson mit Rechtsseitendominanz. 6

Literatur

279

27

. Abb. .. L-Dopa-Sensitivität der kontralateralen kortikalen Innervationsstille bei einem Patienten mit Morbus Parkinson. Untersuchung mit Fokalspule. Ableitung vom mit 30% der maximalen Kraft tonisch vorgespannten linken und rechten M. interosseus dorsalis manus I (IOD 1) nach TMS mit einer Intensität von 1,5 × motorische Reizschwelle in Ruhe. Einmalige Gabe von 250 mg L-Dopa führt zur Normalisierung der zuvor verkürzten Dauer der kontralateralen kortikalen Innervationsstille im rechten IOD 1. Abbildung von repräsentativen Einzeldurchgängen

Literatur Berardelli A, Rona S, Inghilleri M et al. (1996) Cortical inhibition in Parkinson`s disease. A study with paired magnetic stimulation. Brain 119: 71–77 1Buhmann C, Gorsler A, Bäumer T et al. (2004) Abnormal excitability of premotor-motor connections in de novo Parkinson’s disease. Brain 127: 2732–2746 Dieser Artikel untersucht erstmals mittels Doppelpuls-TMS die funktionelle Konnektivität des prämotorischen und motorischen Kortex bei Patienten mit Parkinsonerkrankung. Byrnes ML, Thickbroom GW, Wilson SA et al. (1998) The corticomotor representation of upper limb muscles in writer’s cramp and changes following botulinum toxin injection. Brain 121: 977–988 Cantello R, Gianelli M, Civardi C et al. (1995) Parkinson’s disease rigidity: EMG in a small hand muscle at »rest«. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 97: 215–222 De Rosa A, Volpe G, Marcantonio L et al. (2006) Neurophysiological evidence of corticospinal tract abnormality in patients with Parkin mutations. J Neurol 253: 275–279 1Kühn A, Grosse P, Holtz K et al. (2004) Patterns of abnormal motor cortex excitability in atypical parkinsonian syndroms. Clin Neurophysiol 115: 1786–1795 Dieser Artikel beschreibt die wichtigsten TMS-Kennwerte bei Patienten mit verschiedenen atypischen Parkinson-Syndromen. 2Lefaucheur JP (2005) Motor cortex dysfunction revealed by cortical excitability studies in Parkinson`s disease: inﬂuence of antiparkinsonian treatment and cortical stimulation. Clin Neurophysiol 116: 244–253 Übersichtsartikel, der den Wissensstand zur Erregbarkeit des motorischen Kortex bei Parkinson-Patienten unter dem Einﬂuss einer dopaminergen Therapie wiedergibt.

Nardone R, Florio I, Lochner E et al. (2005) Cholinergic cortical circuits in Parkinson’s disease and in progressive supranuclear palsy: a transcranial magnetic stimulation study. Exp Brain Res 163: 128–131 Pascual-Leone A, Valls-Solé J, Toro C et al. (1994) Resetting of essential tremor and postural tremor in Parkinson’s disease with transcranial magnetic stimulation. Muscle & Nerve 17: 800–807 2Priori A, Berardelli A, Inghilleri M et al. (1994) Motor cortical inhibition and the dopaminergic system. Pharmacological changes in the silent period after transcranial magnetic stimulation in normal subjects, patients with Parkinson`s disease and drug-induced parkinsonism. Brain 117: 317–323 Dieser Artikel beschreibt erstmals eine verlängerte kortikale Innervationsstille in Handmuskeln der klinisch dominant betroﬀenen Seite bei Parkinson-Patienten mit Normalisierung des Befundes unter dopaminerger Therapie. 2Quartarone A, Bagnato S, Rizzo V et al. (2003) Abnormal associative plasticity of the human motor cortex in writer’s cramp. Brain 126: 2586–2596 Diese Arbeit zeigt erstmals bei Patienten mit einer fokalen Dystonie eine Störung PAS-induzierter Plastizität auf. Rosenkranz K, Williamon A, Butler K et al. (2005) Pathophysiological diﬀerences between musician’s dystonia and writer’s cramp. Brain 128: 918–931 Sailer A, Molnar GF, Paradiso G et al. (2003) Short and long latency aﬀerent inhibition in Parkinson’s disease. Brain 126: 1883–1894 1Tamburin S, Manganotti P, Marzi CA et al. (2002) Abnormal somatotopic arrangement of sensorimotor interactions in dystonic patients. Brain 125: 2719–2730 Dieser Artikel belegt eine gestörte sensomotorische Interaktion bei Dystonie-Patienten.

280

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 27 · Bewegungsstörungen

Valls-Solé J, Pascual-Leone A, Brasil-Neto JP et al. (1994) Abnormal facilitation of the response to transcranial magnetic stimulation in patients with Parkinson`s disease. Neurology 44: 735–741 Valls-Solé J, Tolosa E, Marti MJ et al. (2001) Examination of motor output pathways in patients with corticobasal ganglionic degeneration using transcranial magnetic stimulation. Brain 124: 1131–1137 Wolters A, Classen J, Kunesch E et al. (2004) Measurements of transcallosally mediated cortical inhibition for diﬀerentiating parkinsonian syndromes. Mov Disord 19: 518–528 Weise D, Schramm A, Stefan K et al. (2006) The two sides of associative plasticity in writer’s cramp. Brain 129: 2707– 2721

281

28

Zerebelläre Erkrankungen Karl Wessel

28.1

Einführung – 282

28.2

Änderungen der zentralmotorischen Leitungszeit bei spinozerebellären Atrophien (SCA) – 282

28.2.1 28.2.2

SCA 1 und Friedreich-Ataxie SCA 2, 3, 6 – 282

28.3

Änderung der Erregbarkeit des motorischen Kortex – 283

28.3.1 28.3.2

Kortikale Innervationsstille – 283 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung – 283

28.4

Zerebelläre Konditionierung eines Test-MEP über dem kontralateralen Motorkortex – 285

Literatur

– 285

– 282

ZUM THEMA Es wird eine Einführung in die pathophysiologischen Konzepte der diagnostischen Einsatzmöglichkeiten der TMS bei zerebellären Erkrankungen gegeben. Zunächst wird insbesondere auf Änderungen der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML) bei den unterschiedlichen Typen der spinozerebellären Atrophien (SCA) eingegangen. Von Interesse ist insbesondere die Frage, mit welcher Sicherheit sich die SCA 1 anhand einer Verlängerung der ZML (phänotypisch) von der SCA 2, 3 oder 6 abgrenzen lässt, bei denen die ZML in der Regel normal ist. Es wird dann darauf eingegangen, wie

zerebelläre Einﬂüsse eine Änderung der Erregbarkeit des motorischen Kortex bedingen können. Dies unter physiologischen Bedingungen, wenn über dem Kleinhirn stimuliert wird, oder unter pathologischen Bedingungen, wenn eine Kleinhirnerkrankung vorliegt. Schließlich werden die Befunde behandelt, die eine Änderung der funktionellen Konnektivität zwischen Zerebellum und motorischem Kortex belegen, gemessen durch zerebelläre Konditionierung eines Test-MEP über dem kontralateralen motorischen Kortex.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

282

Kapitel 28 · Zerebelläre Erkrankungen

28.1

Einführung

Das Kleinhirn trägt wesentlich zur neuronalen Kontrolle des motorischen Verhaltens, aber auch zu kognitiven Funktionen bei. Voraussetzung dafür sind vielfältige reziproke Projektionen zwischen Zerebellum und Großhirnkortex. Im Zusammenhang mit der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) spielen Verbindungen zwischen dem Zerebellum und den motorischen Kortizes eine besondere Rolle. Diese Zusammenhänge können mit Hilfe der TMS, z. B. mittels Untersuchung der kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) oder mittels Doppelpuls-TMS durch Messung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) oder der intrakortikalen Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16), studiert werden. Eine Änderung der Konnektivität zwischen Zerebellum und motorischem Kortex kann durch die zerebelläre Konditionierung eines Test-MEP über dem kontralateralen motorischen Kortex gemessen werden (7 Kap. 18). Unmittelbare klinische Bedeutung hat die TMS in der Beschreibung von Phänotyp und Verlauf bei spinozerebellären Atrophien (SCA). Es geht hier insbesondere um die Frage, ob die Bestimmung der zentralmotorischen Leitungszeit (ZML; 7 Kap. 6) zur phänotypischen Beschreibung dieser Erkrankungen beiträgt und in wie weit mit diesen Messungen eine Überschreitung des rein zerebellären Systems als Verlaufsparameter prognostiziert werden kann.

33 34 35 36 37 38 39 40

28.2

Änderungen der zentralmotorischen Leitungszeit bei spinozerebellären Atrophien (SCA)

Bei zerebellären Erkrankungen kann pathophysiologisch gesehen einerseits die gestörte zerebellokortikale Projektion zu einer Änderung der Erregbarkeit des motorischen Kortex beitragen, andererseits kann bei degenerativen Erkrankungen wie den SCA auch eine Überschreitung des rein zerebellären Systems z. B. im Sinne von zusätzlichen kortikalen, pontinen oder spinalen Störungen eine Änderung der Erregbarkeit des motorischen Kortex bedingen. Dass Ersteres zutrifft, zeigen schon frühe Untersuchungen von Meyer et al. (1994) bei Patienten mit Kleinhirninfarkten. Diese Patienten, bei denen unterstellt werden kann, dass Strukturen außerhalb des Kleinhirns nicht in den Krankheitsprozess einbezogen waren, zeigten in TMS-Untersuchungen eine erhöhte motorische Reizschwelle (7 Kap. 14). Neben diesem Phäno-

men ergab sich auf der anderen Seite der Befund, dass bei einem Teil der Patienten mit SCA die zentralmotorische Leitungszeit verlängert oder kein MEP auslösbar war. Dies als möglicher Hinweis auch auf eine Mitbeteiligung nicht-zerebellärer Strukturen (z. B. motorischer Kortex, Pons oder Rückenmark) am degenerativen Krankheitsprozess. Erste Arbeiten hierzu (ohne dass seinerzeit eine molekulargenetisch Klassifikation einer nennenswerten Anzahl dieser Erkrankungen möglich war) stammen von Claus et al. (1988).

28.2.1 SCA 1 und Friedreich-Ataxie Systematische Studien an Patientenkollektiven mit SCA sind für die Typen SCA 1 bis 3 und 6 durchgeführt worden. Die Krankheitsdauer war bei diesen Patienten mit im Mittel etwa 10 Jahren relativ lang. Bei praktisch allen Patienten mit SCA 1 wurden deutlich verlängerte zentralmotorische Leitungszeiten (>10 ms) oder fehlende MEP gefunden. Dies betraf sowohl die oberen als auch die unteren Extremitäten. Schwenkreis et al. (2002) fanden außerdem eine erhöhte motorische Reizschwelle bei Patienten mit SCA 1. Bei Patienten mit Friedreich-Ataxie war die zentralmotorische Leitungszeit ebenfalls verlängert, z. T. deutlich.

28.2.2 SCA 2, 3, 6 Die zentralmotorische Leitungszeit war dahingegen bei den meisten Patienten mit SCA 2, 3 und 6 normal, nur einzelne Patienten mit dieser Krankheitsklassifikation zeigten gering verlängerte zentralmotorische Leistungszeiten. In einer anderen Studie wurden dagegen auch bei Patienten mit SCA 2 mit langer Krankheitsdauer (Median 17 Jahre) eindeutig verlängerte zentralmotorische Leitungszeiten und auch erhöhte Reizschwellen gefunden (Übersicht bei Moshagen et al. 2003). In einer eigenen Untersuchung hing passend zu den letztgenannten Ergebnissen die Verlängerung der zentralmotorischen Leitungszeit bei Patienten mit Kleinhirnatrophie von der Schwere der Erkrankung ab. Zusammenfassend kann derzeit zumindest festgestellt werden, dass Verlängerungen der zentralmotorischen Leitungszeiten sowohl von der SCA-Klassifizierung als auch vom Schweregrad der Ataxie abzuhängen scheinen. Bei Patienten mit SCA 2 und bei Patienten mit idiopathischer zerebellärer Ataxie (IDCA) fand sich eine Verlängerung der kortikalen Innervationsstille (7 Abschn. 28.3.1). Die Verlängerung war unabhän-

28.3 Änderung der Erregbarkeit des motorischen Kortex

gig davon, ob eine SCA 2 oder eine IDCA vorlag, vielmehr schien diesbezüglich die Dauer und die Schwere der Kleinhirnerkrankung eine Rolle zu spielen (Revisto et al. 2004). Eine andere Studie (Schwenkreis et al. 2002) ergab dahingegen bez. kortikaler Innervationsstille und intrakortikaler Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (7 Abschn. 28.3.2) keinen Unterschied zwischen SCA-Patienten und gesunden Kontrollen. Die intrakortikale Bahnung (7 Abschn. 28.3.2) war jedoch bei Patienten mit SCA 2 und SCA 3 reduziert.

28.3

Änderung der Erregbarkeit des motorischen Kortex

Eine ganze Anzahl von Arbeiten befasst sich mit der Frage, ob die Erregbarkeit des primären motorischen Kortex unter physiologischen Bedingungen verändert ist, wenn über dem Kleinhirn stimuliert wird, oder unter pathologischen Bedingungen, wenn eine Kleinhirnerkrankung vorliegt. Erste Arbeiten zu dieser Frage führten zu der Schlussfolgerung, dass die Stimulation von zerebellären Strukturen über zerebello-thalamo-cortikale Verbindungen die Erregbarkeit des motorischen Kortex unterdrückt (7 Kap. 18). Meyer et al. (1994) fanden dann aber eine höhere Reizschwelle des motorischen Kortex bei Patienten mit Kleinhirninfarkten. In Hinblick auf diese widersprüchlichen Resultate ist erwähnenswert, dass nach wie vor nicht vollständig geklärt ist, welche anatomische Struktur, z. B. Zerebellum oder Hirnstamm, durch Stimulation über dem lateralen Okziput erregt wird. Offensichtlich beeinflusst TMS über dem lateralen Okziput die kortikospinale Erregbarkeit sowohl durch einen zerebellären als auch durch einen peripheren Mechanismus. Repetitive TMS über dem rechten Okziput oder über der rechten Nackenregion fazilitiert die MEP in der rechten Hand und im rechten Unterarm bis zu 30 min nach Ende der Stimulation. Ein wesentlicher Teil dieses persistierenden Effektes der repetitiven Stimulation auf die kortikospinale Erregbarkeit schien dabei mehr durch die Stimulation peripherer (Afferenzen im Bereich des Nackens) und nicht zentraler Strukturen bedingt zu sein (Übersicht bei Wessel 2003).

28.3.1 Kortikale Innervationsstille Die schon erwähnte erhöhte motorische Reizschwelle bei Patienten mit Kleinhirnläsionen weist auf bahnende Einflüsse des Zerebellums auf das kortikospinale System hin. Die Kleinhirnkerne als Quelle der

283

28

zerebellären Ausgangsneurone üben möglicherweise einen tonischen bahnenden Effekt auf den motorischen Kortex aus, wobei dieser Effekt durch die Purkinje-Zellen, die inhibitorisch auf die Kleinhirnkerne einwirken, moduliert werden kann. Inhibitorische Wirkungen der transkraniellen Magnetstimulation können als kortikale Innervationsstille (Unterdrückung willkürlicher tonischer EMG-Aktivität) gemessen werden. Es kann angenommen werden, dass diese kortikale Innervationsstille im primären motorischen Kortex generiert wird und dass intrakortikale hemmende Interneurone dabei die wesentliche Rolle spielen (7 Kap. 15 und 34). Bei Patienten mit SCA wurde eine signifikant verlängerte kortikale Innervationsstille gefunden (Wessel 2003; Revisto et al. 2004, Tamburin et al. 2004). Die . Abb. 28.1a,b gibt dafür ein Fallbeispiel bei einem Patienten mit SCA 3 (. Abb. 28.1b) mit auf 223 ms verlängerter Innervationsstille (pI‒ S) im Vergleich zu einer normalen Kontrollperson (. Abb. 28.1a) mit einer Innervationsstille von 138 ms. Tamburin et al. 2004 interpretieren ihre diesbezüglichen Befunde so weit, dass sie die Prävalenz inhibitorischer Phänomene bei den Kleinhirn-Patienten in Relation zu gegenteiligen Befunden bei Patienten mit anderen Bewegungsstörungen (Dystonie und Parkinson) stellen (7 Kap. 27); Zerebellum und Basalganglien würden also in jeweils unterschiedlicher Richtung die Erregbarkeit des motorischen Systems beeinflussen und regulieren.

28.3.2 Intrakortikale Hemmung bei kurzen

Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung Die intrakortikale Inhibition bei kurzen Interstimulusintervallen und die intrakortikale Bahnung können mit Doppelpuls-Protokollen untersucht werden (7 Kap. 16). Bei dieser Technik liegt die Intensität des ersten, konditionierenden Stimulus unterhalb der motorischen Reizschwelle, die Intensität des zweiten Test-Stimulus liegt über der motorischen Reizschwelle und löst das Test-MEP aus. Kurze Interstimulusintervalle (1‒4 ms) vermindern dabei die Amplitude des Test-MEP, längere Interstimulusintervalle (8‒ 20 ms) führen zu einer Bahnung. Sowohl inhibitorische als auch fazilitatorische Phänomene sind die Folge kortikaler Mechanismen (7 Kap. 16 und 34). Mit dieser Technik haben wir Patienten mit zerebellärer Atrophie im Vergleich zu Gesunden untersucht (Liepert et al. 1998). . Abb. 28.2 zeigt ein entsprechendes Fallbeispiel bei einem Patienten mit SCA 3. Die Amplitude des MEP bei den verschiedenen Inter-

284

. Abb. .a,b. Kortikale Innervationsstille (CSP) im rechten M. interosseus dorsalis manus I. a EMG-Ableitung bei einer gesunden Kontrollperson, 5 Durchgänge superponiert, Dauer der kortikalen Innervationsstille 138 ms. b EMG-Ableitung bei einem Patienten mit SCA 3 mit auf 223 ms verlängerter kortikaler Innervationsstille unter gleichen Stimulationsbedingungen. (Aus Wessel et al. 1999)

21 22 23 24

Kapitel 28 · Zerebelläre Erkrankungen

a

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

b

. Abb. .. Superponierte MEP (jeweils 4 Durchläufe) nach Doppelpuls-TMS, konditionierender Stimulus unterhalb der motorischen Reizschwelle, Test-Stimulus über der motorischen Reizschwelle, Interstimulus-Intervalle (ISI) von 1–20 ms. Ableitung vom M. interosseus dorsalis manus I bei einem Patienten mit SCA 3 (beachte die unterschiedliche Amplitudenskalierung zwischen den oberen 4 und den unteren 5 Ableitungen). Normale intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (obere 4 Spuren) aber fehlende intrakortikale Bahnung der MEPAmplitude im Vergleich zum unkonditionierten Test-MEP (unterste Spur) bei längeren ISI (8–20 ms). (Aus Wessel u. Moshagen 2005)

285

Literatur

stimulusintervallen (ISI) muss dabei in Relation zur Amplitude des unkonditionierten Test-MEP (unterste Spur in . Abb. 28.2) gesetzt werden. Bei diesem Patienten zeigt sich bei kurzen ISI (1‒4 ms) eine Reduzierung der MEP-Amplitude ähnlich wie bei gesunden Kontrollpersonen. Bei längeren ISI (8‒20 ms) ist die Amplitude des MEP vergleichbar mit der Amplitude des Test-MEP. Bei diesem Patienten ergibt sich mit längeren ISI also keine intrakortikale Bahnung, wie sie bei gesunden Kontrollpersonen zu beobachten ist. Die motorischen Reizschwellen waren bei Patienten und Kontrollen gleich. Die Tatsache, dass bei SCAPatienten die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen normal war, die interkortikale Bahnung dagegen abnormal, zeigt erneut, dass diese beiden Phänomene unabhängig voneinander durch unterschiedliche Neurone vermittelt werden (7 Kap. 16). Die Ergebnisse zeigen, dass bei SCA-Patienten das Äquilibrium zwischen Hemmung und Fazilitierung des primären motorischen Kortex gestört ist, wobei fazilitierende Einflüsse reduziert sind, was zu einem Überwiegen inhibitorischer Phänomene führt.

28.4

Zerebelläre Konditionierung eines Test-MEP über dem kontralateralen Motorkortex

Insbesondere die Arbeitsgruppe um Ugawa (Übersicht bei Iwata u. Ugawa 2005) untersuchte den Effekt einer konditionierenden (elektrischen) Stimulation über dem Zerebellum auf die Erregbarkeit (TestMEP) über dem kontralateralen motorischen Kortex. Inhibitorische Effekte hingen dabei von der Art der Stimulation über dem motorischen Kortex ab: durch TMS ausgelöste MEP über dem motorischen Kortex mit einem Intervall von 5‒8 ms nach der zerebellären Stimulation wurden inhibiert, durch transkranielle elektrische Stimulation ausgelöste MEP zeigten diese Inhibition dagegen nicht. Bei posteriorer, magnetisch induzierter Stimulationsrichtung im motorischen Kortex zeigte sich eine Inhibition, während dies bei anteriorer Stimulationsrichtung weniger der Fall war. Diese unterschiedlichen Effekte wurden durch jeweils unterschiedliche evozierte indirekte Wellen (I-waves) erklärt (7 Kap. 3). Die Arbeitsgruppe um Ugawa fand zunächst nur diese inhibitorischen Effekte, obwohl die Projektion von den Kleinhirnkernen über den Thalamus zum motorischen Kortex prinzipiell exzitatorisch ist. Später fand diese Gruppe bei einem kürzeren Intervall zwischen zerebellärer Stimulation und Motorkortexstimulation von nur 3 ms auch kurz anhaltende fazilitatorische Effekte. Oliveri

28

et al. (2005) fanden nach konditionierender niedrigfrequenter repetitiver TMS (1 Hz, 600 Pulse, Intensität 90 der motorischen Reizschwelle in Ruhe) über dem Zerebellum keine inhibitorischen, sondern bis zu einer Dauer von 30 min anhaltende fazilitatorische Effekte auf die kortikospinale Erregbarkeit. Dies war entsprechend Untersuchungen mit der Methode der Doppelstimulation Folge einer Zunahme der intrakortikalen Bahnung. Die Schlussfolgerung war, dass niedrigfrequente repetitive TMS den inhibitorischen Effekt der Purkinje-Zellen auf die tiefen Kleinhirnkerne vermindert, so dass daraus eine gesteigerte Erregbarkeit von Hirnarealen resultiert, die über thalamische Projektionen mit dem Kleinhirn verbunden sind (z. B. der motorische Kortex). Die Arbeitsgruppe von Ugawa fand für Patienten-Studien nur die von ihnen beschriebenen inhibitorischen Phänomene geeignet, dabei war die Inhibition durch zerebelläre konditionierende Stimulation bei Patienten mit zerebellärer Ataxie signifikant reduziert. Dies bezog sich insbesondere auf Läsionen im afferenten (dentatothalamokortikalen) System (Läsionen in der Kleinhirnhemisphäre, im Nucleus dentatus, im oberen Kleinhirnschenkel oder im Thalamus). Patienten mit anderen zerebellären Läsionen oder mit nicht-zerebellären (afferenten) Ataxien zeigten diese Reduktion der Inhibition des motorischen Kortex durch zerebelläre konditionierende Stimuli nicht. Liepert et al. 2004 fanden bei Patienten mit einem Infarkt im Territorium der A. cerebelli superior eine gesteigerte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen und eine reduzierte intrakorticale Bahnung. Patienten mit Infarkten im Territorium der A. cerebelli inferior anterior sowie A. cerebelli inferior posterior zeigten diese Effekte nicht.

Literatur Claus D, Harding AE, Hess CW et al. (1988) Central motor conduction in degenerative ataxic disorders: a magnetic stimulation study. J Neurol Neurosurg Psychiatr 51: 790– 795 1Iwata NK, Ugawa Y (2005) The eﬀects of cerebellar stimulation on the motor cortical excitability in neurological disorders: A review. Cerebellum 4: 218–223 Übersichtsartikel, der die vielen und zum Teil unterschiedlichen Ergebnisse, meist aus der eigenen Arbeitsgruppe, zum Eﬀekt einer cerebellären Stimulation auf die Erregbarkeit des kontralateralen motorischen Kortex beschreibt. 1Liepert J, Wessel K, Schwenkreis P et al. (1998) Reduced intracortical facilitation in patients with cerebellar degeneration. Acta Neurol Scand 98: 318–323 Spezial-Artikel der erstmals Befunde zur intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intra-

286

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 28 · Zerebelläre Erkrankungen

kortikalen Bahnung bei Patienten mit degenerativen Kleinhirnerkrankungen beschreibt. Liepert J, Kucinski T, Tuscher O et al. (2004) Motor cortex excitability after cerebellar infarction. Stroke 35: 2484–2488 Meyer BU, Röricht S, Machetanz J (1994) Reduction of corticospinal excitability by magnetic stimulation over the cerebellum in patients with large defects of one cerebellar hemisphere. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 93: 372–379 1Moshagen V, Moschner C, Wessel K (2003) Wertigkeit neurophysiologischer Verfahren bei der Diﬀerentialdiagnose der Systematrophien. Clin Neurophysiol 34: 55–64 Übersichtsartikel über neurophysiologische (auch TMS) Untersuchungsresultate bei Patientengruppen mit unterschiedlichen (insbesondere auch zerebellären) Systematrophien. Oliveri M, Koch G, Torriero S, Caltagirone C (2005) Increased facilitation of the primary motor cortex following 1 Hz repetitive transcranial magnetic stimulation of the contralateral cerebellum in normal humans. Neurosci Lett 376: 188–193 Restivo DA, Lanza S, Giuﬀrida S et al. (2004) Cortical silent period prolongation in spinocerebellar ataxia type 2 (SCA2) Funct Neurol 19: 37–41 2Schwenkreis P, Tegenthoﬀ M, Witscher K et al. (2002) Motor cortex activation by transcranial magnetic stimulation in ataxia patients depends on the genetic defect. Brain 125: 301–309 Spezial-Artikel der erstmals systematisch TMS Untersuchungen an größeren Gruppen genetisch deﬁnierter AtaxiePatienten kontrastiert. Tamburin S, Fiaschi A, Andreoli A et al. (2004) Stimulus-response properties of motor system in patients with cerebellar ataxia. Clin Neurophysiol 115: 348–55 Wessel K (2003) Transcranial magnetic brain stimulation and the cerebellum. In: Paulus W, Tergau F, Nitsche MA, Rothwell JC, Ziemann U, Hallett M (Hrsg) Transcranial Magnetic Stimulation and Transcranial Direct Current Stimulation. Suppl Clin Neurophysiol 56: 441–445 Wessel K, Moshagen V (2005) Systemdegenerationen. In: Buchner H, Noth J (Hrsg) Evozierte Potenziale, Neurovegetative Diagnostik, Okulographie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York, pp 124–134 Wessel K, Otto V, Liepert J et al. (1999) Changed intracortical facilitation and silient period in the motor cortex of patients with cerebellar degeneration. In: Paulus W, Hallett M, Rossini PM, Rothwell JC (Hrsg) Transcranial Magnetic Stimulation. Suppl Clin Neurophysiol 51: 289–295

287

29

Migräne Michael Siniatchkin, Thorsten Bartsch

29.1

Pathophysiologische Konzepte der Migräne – 288

29.2

Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migräne – 288

29.3

29.4

Ausblick – 293

29.5

Fallbeispiel – 293

Literatur

– 294

Erregbarkeit des motorischen Kortex bei Migräne – 290

ZUM THEMA Dieses Kapitel fasst TMS-Untersuchungen zur kortikalen Erregbarkeit bei Patienten mit Migräne zusammen. In einer Reihe von Studien konnte eine veränderte kortikale Erregbarkeit und deren Modulierbarkeit in visuellen und motorischen Kortexarealen gezeigt werden, obgleich die Richtung der Erregbarkeitsveränderung nicht eindeutig geklärt werden konnte. Den Veränderungen der kortikalen Erregbarkeit im Rahmen der Migränepathophysiologie können dysfunktionale kortikale Regulations- und Kompensations-

mechanismen zugrunde liegen, die wiederum auf veränderte Mechanismen der neuronalen Homöostase zurückzuführen sind. Neben methodischen Diﬀerenzen können episodische Variationen der kortikalen Erregbarkeit viele Unterschiede zwischen den Studien erklären und eine bedeutende Rolle in der Migränepathophysiologie spielen, müssen jedoch im Hinblick auf Langzeiteﬀekte und mögliche therapeutische Anwendungen noch detaillierter untersucht werden.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

288

Kapitel 29 · Migräne

29.1

Pathophysiologische Konzepte der Migräne

Die Migräne ist eine episodische, anfallsartig auftretende Erkrankung mit bis zu 72 h dauernden Kopfschmerzen, vegetativen, sensorischen und z. T. fokalneurologischen Symptomen. Die zumeist pulsierendpochenden starken Zephalgien sind mit Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit assoziiert und werden durch physische Aktivität verstärkt. Neben der am häufigsten vorkommenden Migräne ohne Aura treten in ca. 15 der Fälle vor der Kopfschmerzphase zumeist visuelle oder seltener sensible Erscheinungen auf, welche als Aura bezeichnet werden. Die seltene familiäre hemiplegische Migräne ist durch wiederkehrende Hemiparesen als Aurasymptom bei familiärer Häufung definiert. Das vielgestaltige klinische Bild der Migräne spiegelt eine Beteiligung verschiedener funktioneller Systeme in der Pathophysiologie wider (Übersicht bei Waeber u. Moskowitz 2003). Die gemeinsame physiologische Endstrecke dieser Systeme als funktionelles Korrelat von Kopfschmerzen besteht in einer Aktivierung des trigeminalen nozizeptiven Systems von meningealen Nozizeptoren über den Trigeminuskern bis zu supraspinalen schmerzverarbeitenden Zentren im Mittelhirn, Thalamus und sensomotorischen Kortex. Die derzeitig etablierten Erklärungsmodelle beschreiben die Art dieser Aktivierung und versuchen die verschiedenen klinischen Beobachtungen zu integrieren. Die vaskuläre Theorie postuliert, dass eine Dilatation meningealer Gefäße mit der Freisetzung vasoaktiver Neuropeptide zu einer Aktivierung trigeminaler Schmerzfasern führt, wohingegen die neurogene Entzündungstheorie eine aseptische Entzündung an den Meningen beschreibt. Bei der Hirnstammtheorie soll eine Aktivierung von schmerzmodulierenden Hirnstammkernen wie dem periaquäduktalen Grau (PAG) eine führende Rolle in der Migräneauslösung spielen. Die Aura- bzw. Spreading-Depression-Theorie stellt eine Aktivierung von meningealen Schmerzfasern durch wiederholte Migräneauren, die zu einer Depolarisation kortikaler Neurone und einer kortikalen Blutflussänderung führen soll, in den Vordergrund. Weiterhin zeigen genetische Studien, dass Mutationen an zerebralen Ionenkanälen möglicherweise eine Rolle spielen, insbesondere in der familiären hemiplegischen Migräne. Man nimmt heute an, dass mutmaßlich genetisch determinierte Schwankungen der Erregbarkeit subkortikaler und kortikaler Neurone eine wichtige Komponente in der Pathophysiologie der Migräne darstel-

len. Unklar dabei ist die sequenzielle Beteiligung der einzelnen funktionellen Komponenten des ZNS. Deswegen stehen Studien zur kortikalen Erregbarkeit und deren Mechanismen im Fokus neurophysiologischer Migräneforschung. Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist eine wichtige nicht-invasive Methode der Messung und Modulation der kortikalen Erregbarkeit, mit der sich inhibitorische und exzitatorische Regelkreise im Gehirn studieren lassen (7 Kap. 14– 19). In den letzten Jahren haben sich verschiedene Arbeitgruppen mit TMS-Untersuchungen bei Migränepatienten beschäftigt. Sowohl der visuelle als auch der motorische Kortex wurden in zahlreichen Studien bei Migränepatienten untersucht.

29.2

Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migräne

Da Migränepatienten überwiegend unter visuellen Auren leiden, wurde vor allem die Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migränepatienten erforscht. Die Untersuchung der Phosphenschwellen kann die Erregbarkeit des visuellen Kortex mit einer guten intraindividuellen Reliabilität charakterisieren (7 Kap. 19). Wie die . Tab. 29.1 zeigt, sind die Ergebnisse zu Phosphenprävalenzen (Anteil der Personen, die Phosphene wahrgenommen haben) und Phosphenschwellen (minimale Stimulationsstärke, bei der die Phosphene wahrgenommen werden können) bei Migräne variabel und z. T. sehr heterogen. So wiesen unterschiedliche Arbeitsgruppen unabhängig erhöhte Phosphenprävalenzen und niedrige Phosphenschwellen sowohl bei Migräne mit als auch ohne Aura sowie bei der menstruellen und chronischen Migräne nach. Z. B. zeigte eine neuere Studie, bei der die Patienten mit einer achtförmigen Spule im kopfschmerzfreien Intervall mindestens 3 Tage vor oder nach einer Migräneattacke mit einem Einzelpuls untersucht wurden, signifikant niedrigere Phosphenschwellen bei Migränepatienten mit Aura und tendenziell niedrigere Schwellen bei Patienten ohne Aura verglichen mit gesunden Probanden (Gerwig et al. 2005). Bei Anwendung einer effektiveren Doppelpulsstimulation zeigten die Patienten ohne Aura ebenfalls signifikant niedrigere Phosphenschwellen. Diese Ergebnisse weisen auf eine erhöhte Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migräne hin. Die Befunde bezüglich der Erregbarkeitssteigerung sind für die Migräne mit Aura reproduzierbar und für Migräne ohne Aura uneinheitlich. Hinsichtlich anderer Migräneformen ist die Datenlage aufgrund niedriger Patientenzahlen unzureichend.

29

289

29.2 Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migräne

. Tab. .. Studien zur Erregbarkeit des visuellen Kortex bei unbehandelten Patienten mit Migräne. Die Tabelle zeigt Phosphenprävalenzen (Anteil der Personen, die in der Lage waren Phosphene wahrzunehmen) und Phosphenschwellen (die minimale Stimulatorleistung, bei der Phosphene empfunden werden können). Die Pfeile sind nur neben den Daten mit signiﬁkanten Unterschieden gegenüber einer gesunden Kontrollgruppe gestellt Studien

Diagnose (n)

Tage vor/nach einer Attacke

Spule (mm)

Prävalenz (%)

Schwelle (% max. Stimulatorleistung)

Aurora et al. 1998

MA (11) GP (11)

7/k.A.

Rund 95

100 27

n

44,2±8,6 p 68,7±3,1

Afra et al. 1998

MA (25) MO (33) GP (27)

3/3

Rund 130

56 82 89

p

46 50 48

Mulleners et al. 2001

MA (16) MO (12) GP (16)

1/k.A.

Rund 130

75 83 94

Battelli et al. 2002

MA (16) MO (9) GP (16)

14/k.A.

8er 90

65 67 6

n n

80±24 p 88±22 p 108±11.8

Brighina et al. 2002

MA (13) GP (15)

2/2

8er 90

100 47

n

56±7 57±13

Bohotin et al. 2003

MA (13) MO (24) GP (33)

3/3

8er 70

69 63 64

84,3±12,5 n 84,5±12,6 n 68,6±12,5

Aurora et al. 2003

MA (10) MO (10) GP (10)

7/k.A.

Rund 95

100 n 60 n 30

42,8±11,4 p 55,7±12 57,3±23,9

Young et al. 2005

MA (11) MO (10) MM (9) GP (15)

Wiederholte Aufnahmen

Rund 95

100 100 100 80

37,3±10,7 p 35,3±9,14 p 38,7±6,14 p 54±11,1

Gerwig et al. 2005

MA (19) MO (19) GP (22)

3/3

8er 90

100 100 100

39,6±4,2 40,3±4,9 44,6±6,0

Gunaydin et al. 2006

MA (15) MO (15) GP (31)

7/3

Rund 135

93 86 71

35,6±11,9 p 57,8±18,2 p 72,5±12,4

47,1±4,7 p 46,3±3,6 p 66,2±10,1

p p

n Zahl untersuchter Patienten/Probanden; MA Migräne mit Aura; MO Migräne ohne Aura; MM menstruelle Migräne; GP gesunde Personen; k.A. keine Angaben; p reduziert; n erhöht. Die genauen Literaturangaben sind in PubMed unter den Stichwörtern »Transcranial magnetic stimulation and Migraine« zu ﬁnden.

Andererseits zeigte eine andere Studie, bei der die Versuchspersonen auch mit einer achtförmigen Spule im kopfschmerzfreien Intervall mindestens 3 Tage vor oder nach einer Migräneattacke mit einem Einzelpuls untersucht wurden, signifikant höhere Phosphenschwellen bei Migränepatienten mit und ohne Aura verglichen mit gesunden Probanden (Bohotin et al. 2003). Diese Ergebnisse wurden als ein Beleg für eine erniedrigte Erregbarkeit des visuellen Kortex bei

Migräne interpretiert. Die Heterogenität der verschiedenen Studien kann mutmaßlich zumeist auf methodische Unterschiede zurückgeführt werden. Zwei weitere alternative Erklärungsmodelle haben in der letzten Zeit an Attraktivität gewonnen: Bei der Migräne mit Aura wird eine dysfunktionale Modifizierbarkeit der Erregbarkeit des visuellen Kortex vermutet, da Untersuchungen zur TMSinduzierten Wahrnehmungssuppression (7 Kap.

290

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 29 · Migräne

19) eine veränderte Reagibilität des visuellen Kortex auf Magnetstimulation zeigten. Wird ein TMS-Puls 100 ms nach einer kurzen Bildschirmpräsentation von Buchstaben bei gesunden Probanden appliziert, führt dies zu einer Unterdrückung der visuellen Wahrnehmung, so dass nur ca. 50‒60 aller Buchstaben erkannt werden können. Derselbe Puls ist jedoch nicht in der Lage, diese Unterdrückung bei Patienten mit Migräne mit Aura hervorzurufen. Die Patienten können 90 der Buchstaben trotz der Interferenz mit dem TMS-Puls erkennen. Bei Patienten ohne Aura verursacht ein TMS-Puls ähnliche Wahrnehmungssuppression wie bei Gesunden (Chronicle et al. 2006). Ausgehend von tierexperimentellen Untersuchungen wird angenommen, dass inhibitorische Interneurone eine bedeutende Rolle in der TMS-induzierten Wahrnehmungssuppression spielen. Eine nicht ausreichende Unterdrückung der Wahrnehmung durch TMS bei der Migräne mit Aura wird als Beleg einer mangelnden Inhibition im visuellen Kortex interpretiert. Die Inhibitionshypothese wurde auch von Brighina et al. (2002) als Modell seiner Studien favorisiert, in denen eine 1-Hz-repetitive-TMS bei Gesunden zu einer Erhöhung der Phosphenschwellen führte, wohingegen bei Migränepatienten mit Aura eine paradoxe Reaktion festgestellt werden konnte, da diese Patienten eine Reduktion von Phosphenschwellen nach einer 1-HzrTMS aufwiesen. Allerdings erscheinen die Schlussfolgerungen über eine mangelnde Inhibition im visuellen Kortex bei Migräne im Moment noch vorläufig. Mittels evozierter und Ereignis-korrelierter Hirnpotenziale konnte gezeigt werden, dass sich die Reizverarbeitung und die Reagibilität des Zentralnervensystems bei Migräne zwischen den Attacken verändern kann, wobei in den meisten Fällen Auffälligkeiten vor einer Migräneattacke festgestellt werden konnten (Übersicht bei Schoenen et al. 2003), was den dynamischen Charakter der Migräne unterstreicht. Kritisch für ein experimentelles Modell scheint somit der Untersuchungszeitpunkt innerhalb des Intervalls zwischen den Migräneattacken zu sein, da die elektrophysiologischen Parameter deutlich schwanken können. Viele Studien haben allerdings den Zeitpunkt der Datenerhebung zur folgenden Migräneattacke nicht kontrolliert. Dass diese Kontrolle wichtig ist, zeigt eine jüngere Studie von Antal et al. (2006): Ein Tag vor der Migräneattacke wurden Migränepatienten entweder durch auffällig niedrige oder hohe Phosphenschwellen als auch durch eine ausgeprägte Variabilität der Phosphenschwellen charakterisiert. Bei so einer hohen Variabilität scheint eine einmalige Untersuchung besonders bei niedrigen Patientenzahlen pro Gruppe mit einem hohen Fehlerrisiko verbunden

zu sein. Die dynamischen Veränderungen der TMSMesswerte und deren hohe Variabilität im Migräneintervall lassen vermuten, dass Mechanismen homöostatischer Regulation der kortikalen Erregbarkeit bei Migräne verändert sind, was eine Rolle in der Auslösung einer erneuten Attacke spielen könnte (Antal et al. 2006). Dieses Erklärungsmodell lässt dabei die Richtung der Erregbarkeitsänderung offen. Welchen Stellenwert die Schwankungen kortikaler Erregbarkeit bei Migräne im Kontext weiterer Mechanismen einnehmen kann, zeigt die Studie von Bohotin et al. (2002). In dieser Studie wurde bei Migränepatienten mit und ohne Aura sowie gesunden Probanden eine repetitive TMS mit 1 Hz- und 10 Hz-Stimulationsfrequenz über den visuellen Kortex durchgeführt, wobei bei den Versuchspersonen die Habituation von visuell evozierten Potenzialen (VEP) vor und nach der Stimulation untersucht wurde. Die 1-Hz-Stimulation war nur bei Gesunden effektiv und resultierte in einer initialen Verringerung der VEP-Amplitude mit einer Zunahme dieser Amplitude über die Zeit (Dishabituation). Die Migränepatienten demonstrierten Veränderungen von VEP-Amplituden nur nach der 10-Hz-Stimulation, wobei sich bei diesen die ursprünglich auffällige Störung der Habituation in eine normale Habituation umwandelte (. Abb. 29.1). Dabei scheint das Ausgangsniveau der kortikalen Erregbarkeit eine entscheidende Rolle zu spielen (Schoenen et al. 2003). Einerseits bekräftigte diese Studie die Annahme, dass die Schwankungen der kortikalen Erregbarkeit einen wesentlichen Faktor der Migränepathogenese darstellen. Andererseits wies die Untersuchung auf die Möglichkeit, durch die Veränderung der Erregbarkeit einen therapeutischen Effekt zu erreichen. In einer Studie haben Fumal et al. (2006) gezeigt, dass eine repetitive TMS mit 10 Hz über 5 Tage eine Normalisierung der Habituation bei Migräne bewirken kann. Diese VEPNormalisierung wurde jedoch nur bei einzelnen Patienten festgestellt. Weitere Studien zur Validierung des Modells müssen durchgeführt werden, um die Bedeutung dieser Methode abschätzen zu können.

29.3

Erregbarkeit des motorischen Kortex bei Migräne

TMS-Studien des motorischen Kortex haben den methodischen Vorteil, dass im Gegensatz zur subjektiven Wahrnehmung von Phosphenen nach Stimulation des visuellen Kortex objektivierbare Messwerte des motorischen Systems als Monitor der kortikalen Erregbarkeit studiert werden können (7 Kap. 5– 6 und 14–16). So wurden in verschiedenen Studien

291

29.3 Erregbarkeit des motorischen Kortex bei Migräne

a

b

c

d

29

. Abb. .a–d. Ergebnisse der Untersuchung von visuell evozierten Potenzialen (VEP), die bei Migränepatienten und gesunden Probanden vor und nach einer 1 Hz und einer 10 Hz repetitiven TMS aufgezeichnet wurden. Die X-Achse bezeichnet 6 Blöcke mit jeweils 100 Durchgängen, damit konnte der Verlauf der VEP-Amplitude (Habituation mit Reduktion der VEP-Amplitude über die Zeit und Dishabituation bei Steigerung der VEP-Amplitude) dargestellt werde. Die Y-Achsen zeigen die VEP-Amplituden in µV an. a,b Die gesunden Probanden sind durch hohe VEP-Amplituden im ersten Block der Aufnahme charakterisiert, mit einer Reduktion der Amplitude über die Zeit (Habituation). a 1-Hz-rTMS verursacht bei ihnen

eine Absenkung der VEP-Amplitude im ersten Block und eine Dishabituation. b Die 10-Hz-rTMS hat bei Gesunden keinen Eﬀekt auf die Habituation. c,d Bei den Migränepatienten wird eine gegenseitige Tendenz deutlich. Sie haben eine niedrige VEP-Amplitude im ersten Block und weisen eine Dishabituation auf. c Dies ändert sich nicht nach 1-Hz-rTMS. d Eine 10-HzrTMS führt bei Migränepatienten zu einer Steigerung der VEPAmplitude im ersten Block und dann zur Habituation, d. h. nach einer 10-Hz-TMS zeigen die Migränepatienten eine VEPReagibilität ähnlich wie die Gesunden vor rTMS. (Aus Bohotin et al. 2003; mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press)

bei Migränepatienten Messwerte wie die motorische Reizschwelle in Ruhe und unter willkürlicher Aktivierung des Zielmuskels, die kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period), die zentralmotorische Leitungszeit, die maximale MEP-Amplitude und die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibiti-

on) untersucht (Übersicht bei Schoenen et al. 2003; einen Überblick über die verschiedenen Studien zeigt . Tab. 29.2) In der ersten Studie des motorischen Kortex bei Patienten mit Migräne mit Aura wurde eine deutlich erhöhte motorische Reizschwelle und eine erniedrigte MEP-Amplitude auf der Körperseite der Aura gefun-

292

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

Kapitel 29 · Migräne

. Tab. .. Studien zur Erregbarkeit des motorischen Kortex bei unbehandelten Patienten mit Migräne. Daten zur zentralmotorischen Leistungszeit und zur intrakortikalen Inhibition bzw. Fazilitation werden nicht gezeigt, da diese Messwerte nicht signiﬁkant verändert waren. Die Pfeile sind nur neben den Daten mit signiﬁkanten Unterschieden gegenüber einer gesunden Kontrollgruppe gestellt Diagnose (n)

Tage vor/nach einer Attacke

Spule (mm)

Ruheschwelle (% max. Stimulatorleistung)

Maertens de Noordhout et al. 1992

MA (10) MO (10) GP (20)

7/7

Rund 130

55±9 45±6 48±6

n

Bettucci et al. 1992

MO (10) GP (10)

k.A.

–

58±5 48±7

n

Van der Kamp et al. 1996, 1997

MA (10) MP (10) FHM (10) GP (10)

3/k.A.

Rund 130

37±4 38±9 44±6 36±5

Afra et al. 1998

MA (25) MO (33) GP (27)

3/3

Rund 130

54±8 52±12 47±7

Aurora et al. 1999

MA (10) GP (10)

7/k.A.

Rund 95

63±14 58±9

Werhahn et al. 2000

MA (12) FHM (9) GP (17)

2/k.A.

8er 90

61±12 60±10 55±12

183±30 178±5 179±30

Ozturk et al. 2002

MO (29) CM (20) GP (20)

3 / k.A.

Rund 90

39±6 40±5 41±5

143+34 170+34 150+27

Bohotin et al. 2003

MO (24) MA (13) GP (33)

3/3

8er 70

60±10 62±10 58±8

Khedr et al. 2006

MO (18) MA (10) GP (20)

3/3

8er 90

40±8 * p 35±9 * p 47±8

71±39 * p 76±37 * p 99±28

Guanaydin et al. 2006

MA (15) MO (15) GP (31)

7/3

Rund 135

36±6 39±4 37±5

189±28 197±29 189±27

34 35 36 37 38 39 40

CSP Dauer (ms)

Studien

n 101±49 100±49 101±23 n

63±27 ** p 107±20

n

n Zahl untersuchter Patienten; MA Migräne mit Aura; MO Migräne ohne Aura; FHM Familiäre hemiplegische Migräne; CM chronische Migräne; GP gesunde Probanden; CSP kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period); k.A. keine Angaben (*Signiﬁkanz erst durch gepoolte Daten MA/MO, **Bestimmung der CSP nur mit einer Reizstärke in Höhe der mot. Schwelle); p vermindert; n erhöht. Die genauen Literaturangaben sind in PubMed unter den Stichwörtern »Transcranial magnetic stimulation and Migraine« zu ﬁnden.

den (Maertens de Noordhout et al. 1992). Es wurden dabei nur Patienten untersucht, deren Aura-Symptome immer auf der gleichen Seite auftraten und die kontralaterale Seite als intraindividuelle Kontrolle benutzt wurde. Erhöhte motorische Reizschwellen wurden weiterführend bei Patienten mit menstrueller Migräne und familiärer hemiplegischer Migräne festgestellt, obgleich die Ergebnisse einer erhöhten

motorischen Reizschwelle bei Patienten mit Migräne mit Aura von anderen Gruppen nicht repliziert werden konnten. Hingegen wurde von Khedr et al. (2006) eine erniedrigte motorische Reizschwelle gefunden, obgleich eine Signifikanz erst nach Zusammenführung der beiden Gruppen mit/ohne Aura erreicht wurde (. Tab. 29.2). Eine weitere Studie fand erhöhte motorische Reizschwellen unter Kontraktion, jedoch

293

29.5 Fallbeispiel

nicht in Ruhe (Afra et al. 1998). Zwei Studien beschrieben eine verkürzte kortikale Innervationsstille, eine Studie an Patienten mit chronischer Migräne hingegen eine Verlängerung (. Tab. 29.2). Allerdings wurde in der Studie von Aurora et al. (1999) die kortikale Innervationsstille nur mit motorischer Schwellenreizstärke bestimmt und in der Studie von Khedr et al. (2006) die statistische Signifikanz erst nach Zusammenführung beider Patientengruppen erreicht. Die übrigen Arbeitsgruppen hingegen fanden eine unauffällige kortikale Innervationsstille. Die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen wurde von allen Studien als normal beschrieben. Auch bei der familiären hemiplegischen Migräne konnte Werhahn et al. (2000) keine veränderten Kennwerte motorkortikaler Erregbarkeit feststellen. Wie auch für den visuellen Kortex, sind die Ergebnisse zur TMS des motorischen Kortex zum Teil heterogen. Die Mehrheit der Studien zeigt jedoch unauffällige TMS-Kennwerte des motorischen Kortex. Interessant ist, dass die Studien, die den visuellen als auch den motorischen Kortex bei Migräne untersucht haben, eine dissoziierte Erregbarkeit beider Kortexareale im Sinne einer normalen Erregbarkeit des motorischen Kortex und einer veränderten Erregbarkeit des visuellen Kortex beschreiben (Bohotin et al. 2003; Gunaydin et al. 2003; Fallbeispiel, 7 Abschn. 29.5). Den z. T. uneinheitlichen Ergebnissen in den TMS-Studien bei Migränepatienten liegen mehrere mögliche methodische Unterschiede zugrunde: Unterschiede in der Stimulationsart mit unterschiedlichen Stimulatoren, Spulenformen, -größen und orientierung. Des Weiteren waren nicht alle Studien verblindet. In einigen Studien wurde nicht für die Seite der Aura oder der Kopfschmerzen oder die Abhängigkeit vom weiblichen Hormonzyklus kontrolliert (. Tab. 29.2). Zusätzlich scheint eine veränderte Modifizierbarkeit des motorischen Kortex, wie

29.5

Fallbeispiel

Die . Abb. 29.2 stellt Kennwerte der Erregbarkeit des visuellen und motorischen Kortex bei einer 19-jährigen Patientin mit Migräne ohne Aura dar. Die Phosphenschwellen wurden mit einer Doppelpulsstimulation (Interstimulus-Intervall = 50 ms) wie in der Studie von Gerwig et al. (2005) untersucht. Die TMS-induzierte Suppression der visuellen Wahrnehmung wurde nach dem Protokoll von Chronicle et al. (2006) hervorgerufen und die motorische Reizschwelle in Ruhe und die kortikale Innervationsstille wurden nach Afra et al.

29

für den visuellen Kortex demonstriert, eine wesentliche Rolle zu spielen. So konnte Brighina et al. (2005) bei Migränepatienten mit Aura mit einer 1-Hz-rTMS (900 Reize bei einer Reizstärke von 90 der motorischen Reizschwelle) über dem motorischen Kortex eine abnorme intrakortikale Fazilitierung auslösen, wohingegen sich die MEP-Amplitude bei Gesunden durch 1-Hz-rTMS signifikant verminderte. Auch zeigte sich bei den Migränepatienten in der Basismessung (im Gegensatz zu den meisten anderen Studien anderer Untersucher, . Tab. 29.2) eine signifikant erniedrigte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen gegenüber den Gesunden. Diese abnorme rTMS-induzierte Fazilitierung bei Migränepatienten könnte somit auf dysfunktionellen inhibitorischen kortikalen Regelkreisen beruhen, wie sie auch schon für den visuellen Kortex postuliert wurden (Chronicle et al. 2006; 7 Abschn. 29.2).

29.4

Ausblick

Die TMS-Studien zur kortikalen Erregbarkeit zeigen eine veränderte Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migräne und eine fraglich veränderte kortikale Erregbarkeit des motorischen Kortex, obgleich die Richtung dieser Veränderung (verringerte oder gesteigerte Erregbarkeit) noch offen ist. Die gefundenen Veränderungen scheinen bei Migräne mit Aura stärker ausgeprägt zu sein als bei Migräne ohne Aura. Methodische Heterogenitäten erschweren hierbei den Vergleich zwischen den Studien. Auch sind die Effekte einer akuten oder prophylaktischen Medikation auf die Parameter der kortikalen Erregbarkeit bei der Migräne unklar, so dass weiterführende Studien zur Klärung der funktionellen Modulierbarkeit auch im Hinblick auf mögliche therapeutische Optionen notwendig erscheinen.

(1998) bestimmt. Alle TMS-Messwerte wurden 1 Tag vor und 1 Tag nach einer Migräneattacke sowie in der Mitte des schmerzfreien Intervalls (10 Tage nach und 12 Tage vor einer Attacke) erhoben. Die Patientin nahm keine prophylaktische Medikation. Alle Parameter wurden mit der Referenz der Mittelwerte einer Gruppe gesunder Jugendlicher (n=16; 20,8±3,7 Jahre alt) verglichen. Die Patientin zeigte niedrigere Phosphenschwellen als gesunde Probanden im schmerzfreien Intervall und 1 Tag nach der Migräneattacke, was auf eine erhöhte kortikale Erregbarkeit hinweist. Die Phosphenschwel6

294

21

Kapitel 29 · Migräne

a c

22 23 24

b

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

. Abb. .a–c. a Phosphenschwellen und motorische Reizschwellen in Ruhe, b Dauer der kortikalen Innervationsstille, c die Ergebnisse der TMS-induzierten Wahrnehmungssuppression, die bei einer Migränepatientin vor und nach einer Mi-

gräneattacke sowie in der Mitte des schmerzfreien Intervalls untersucht wurden. Diese Daten sind Referenzwerten einer Gruppe gesunder Probanden gegenübergestellt

len näherten sich 1 Tag vor der Migräneattacke dem normalen Referenzwert an. Die Kurve der TMS-induzierten Wahrnehmungssuppression, die in der Mitte des Intervalls und nach der Migräneattacke erhoben wurde, zeigte kaum Abweichung von der Referenzkurve der gesunden Probanden. Vor der Migräneattacke war jedoch die Patientin nicht in der Lage die Buchstaben auf dem Bildschirm zu erkennen, wenn ein TMSPuls 80–120 ms nach der Stimuluspräsentation über dem primären visuellen Kortex gegeben wurde. Die Werte der motorischen Ruheschwelle und der kortikalen Innervationsstille unterschieden sich zu keinem Zeitpunkt von den Referenzwerten der Gesunden. Die-

ser Fall macht folgende Aspekte deutlich: 1) die Erregbarkeit des visuellen Kortex bei dieser Patientin ist auffällig, die des motorischen Kortex aber normal; 2) die Kennwerte der Erregbarkeit des visuellen Kortex zeigen Schwankungen im schmerzfreien Intervall. Die Phosphenschwelle ist besonders in der Mitte des Intervalls und kurz nach der Migräneattacke auﬀällig erniedrigt. Dies weist auf eine dynamische Dysfunktionalität des visuellen Kortex hin und unterstreicht, dass der Untersuchungszeitpunkt relativ zur letzten und zur nächsten Migräneattacke in das Design zukünftiger Studien mit einbezogen werden muss.

Literatur

Aurora SK, al-Sayeed F, Welch KM (1999) The cortical silent period is shortened in migraine with aura. Cephalalgia 19: 708–712 2Bohotin V, Fumal A, Vandenheede M et al. (2002) Eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation on visual evoked potentials in migraine. Brain 125: 912–922 Die einzige Arbeit, die den Stellenwert der Veränderungen kortikaler Erregbarkeit im Kontext anderer pathogenetischer Mechanismen der Migräne im Rahmen eines humanen Experimentes beschreibt. Bohotin V, Fumal A, Vandenheede M et al. (2003) Excitability of visual V1-V2 and motor cortices to single transcranial magnetic stimuli in migraine: a reappraisal using a ﬁgure-ofeigth coil. Cephalalgia 23: 264–270

36 37 38 39 40

Afra J, Marcia A, Gerard P et al. (1998) Interictal cortical excitability in migraine: a study using transcranial magnetic stimulation of motor and visual cortices. Ann Neurol 44: 209–215 1Antal A, Arlt S, Nitsche M et al. (2006) Higher variability of phosphene thresholds in migraineurs than in controls: a consecutive transcranial magnetic stimulation study. Cephalalgia 26: 865–870 Wichtige Studie, die die Veränderungen der Erregbarkeit des visuellen Kortex bei Migräne im schmerzfreien Intervall untersucht hat.

Literatur

Brighina F, Piazza A, Daniele O, Fierro B (2002) Modulation of visual cortical excitability in migraine with aura: eﬀects of 1 Hz repetitive transcranial magnetic stimulation. Exp Brain Res 145: 177–181 Brighina F, Giglia G, Scalia S et al. (2005) Facilitatory eﬀects of 1 Hz rTMS in motor cortex of patients aﬀected by migraine with aura. Exp Brain Res 161: 34–38 Chronicle E, Pearson A, Mulleners W (2006) Objective assessment of cortical excitability in migraine with and without aura. Cephalalgia 26: 801–808 Fumal A, Coppola G, Bohotin V et al. (2006) Induction of longlasting changes of visual cortex excitability by ﬁve daily sessions of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in healthy volunteers and migraine patients. Cephalalgia 26: 143–149 Gerwig M, Niehaus L, Kastrup O et al. (2005) Visual cortex excitability in migraine evaluated by single and paired magnetic stimuli. Headache 45: 1394–1399 Gunaydin S, Soysal A, Atay T, Arpaci B (2006) Motor and occipital cortex excitability in migraine patients. Can J Neurol Sci 33: 63–67 Khedr EM, Ahmed MA, Mohamed KA (2006) Motor and visual cortex excitability in migraineurs patiens with or without aura: transcranial magnetic stimulation. Neurophysiol Clin 36: 13–18 Maertens de Noordhout A, Pepin JL, Schoenen J, Delwaide PJ (1992) Percutaneous magnetic stimulation of the motor cortex in migraine. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 110–115 2Schoenen J, Ambrosini A, Sandor PS, Maertens der Noordhout A (2003) Evoked potentials and transcranial magnetic stimulation in migraine: published data and viewpoint on their pathophysiologic signiﬁcance. Clin Neurophysiol 114: 955–972 Umfassender Ubersichtsartikel der derzeitigen Kenntnisse über neurophysiologischen Studien bei der Migräne. Waeber C, Moskowitz MA (2003) Therapeutic implications of central and peripheral neurologic mechanisms in migraine. Neurology 61: 9–20 Werhahn KJ, Wiseman K, Herzog J et al. (2000) Motor cortex excitability in patients with migraine with aura and hemiplegic migraine. Cephalalgia 20: 45–50

295

29

297

30

Psychiatrische Erkrankungen Malek Bajbouj

30.1

Depressionen – 298

30.1.1 30.1.2

Neurobiologische Grundlagen TMS-Befunde – 298

30.2

Schizophrenien – 299

30.2.1 30.2.2

Neurobiologische Grundlagen TMS-Befunde – 299

30.3

Demenz vom Alzheimer-Typ

30.3.1 30.3.2

Neurobiologische Grundlagen TMS-Befunde – 300

– 298

30.4

Zwangsstörungen – 301

30.4.1 30.4.2

Neurobiologische Grundlagen TMS-Befunde – 301

30.5

Fallbeispiel – 302

Literatur

– 303

– 301

– 299

– 300 – 300

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine Einführung in pathophysiologische Grundlagen bei häuﬁgen psychiatrischen Erkrankungen. Der Schwerpunkt liegt auf mit TMS messbaren Kennwerten der Erregbarkeit des motorischen Kortex bei den Krankheitsbildern Depression, Schizophrenie, Demenzen sowie Zwangsstörungen und Gilles-de-la-Tourette-Syndrom. Für diese psychiatrischen Krankheitsbilder stellt die TMS des Motorkortex einen einfachen, nichtinvasiven Zugang zur Funktionsuntersuchung unterschiedlicher Populationen exzitatorischer und inhibitorischer Neurone im primären motorischen Kortex dar. Bei der Depression konnten indirekte Hinweise auf gestörte GABAerge Hemmung gefunden werden. Therapeutische Interventionen können die TMS-Kennwerte kortikaler Erregbarkeit bei

Depressiven modulieren. Systematische Untersuchungen zur Auswirkung antidepressiver Medikation auf die Exzitabilität des Motorkortex liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor. Bei Patienten mit Schizophrenien konnten eine gestörte intrakortikale und interhemisphärische Inhibition gezeigt werden. Der Einﬂuss von typischen und atypischen Antipsychotika auf diese Parameter wurde bei Gesunden und Patienten dargestellt. Bei Patienten mit einer Alzheimer-Demenz fanden sich insbesondere Hinweise auf eine gestörte aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz. Patienten mit einer Zwangsstörung oder einem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom zeigen insbesondere Hinweise für eine gestörte intrakortikale Hemmung.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

298

Kapitel 30 · Psychiatrische Erkrankungen

30.1

Depressionen

30.1.1 Neurobiologische Grundlagen Das Krankheitsbild der Major Depression ist die häufigste affektive Störung, deren Verlauf in der Regel episodenhaft oder chronisch ist und die klinisch typischerweise durch Symptome wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Suizidalität und auch psychomotorische Phänomene gekennzeichnet ist. Die Depression ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern fasst eine heterogene Gruppe von Syndromen zusammen, die in unterschiedlicher Ausprägung von genetischen und Umweltfaktoren bestimmt werden. Als pathophysiologisches Korrelat wird ein dysfunktionales und komplexes System mit Beteiligung einer Vielzahl unterschiedlicher Neurotransmittersysteme angenommen. Intensiv untersucht wurde bislang vor allem die Rolle von Katecholaminen, Serotonin sowie in geringerem Ausmaß auch von Acetylcholin und Glutamat. Allerdings existieren insbesondere bei depressiven Patienten mit psychomotorischen Symptomen auch Hinweise auf eine Beteiligung des GABAergen Systems an der Pathophysiologie depressiver Störungen. So stellen sich in tierexperimentellen Studien nach akutem und chronischem Stress eine Reduktion der GABA-Konzentration sowie eine veränderte GABA-Rezeptor-Funktionalität dar. Substanzen mit direktem oder indirektem Einfluss auf das GABAerge System, wie Antikonvulsiva, sind antidepressiv, insbesondere stimmungsstabilisierend, und anxiolytisch wirksam. Schließlich zeigen sowohl Liquoruntersuchungen als auch magnetresonanzspektroskopische Untersuchungen des Gehirns eine Reduktion der GABA-Konzentration bei depressiven Patienten im Vergleich zu gesunden Probanden (Bajbouj et al. 2006a).

36

30.1.2 TMS-Befunde

37

Untersuchungen an medikamentenfreien Patienten mit einer Depression im Vergleich zu gesunden Kontrollen zeigten eine reduzierte Dauer der kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) sowie eine verringerte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI; Bajbouj et al. 2006a; 7 Kap. 16). Zudem fand sich eine Korrelation zwischen diesen Auffälligkeiten und dem Schweregrad der Depression. Die Kenngrößen der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen und der kortikalen Innervationsstil-

38 39 40

le werden von unterschiedlichen GABA-Rezeptoren beeinflusst: die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen wird durch GABAA-Rezeptoren und die kortikale Innervationsstille dagegen durch GABAB Rezeptoren vermittelt (Daskalakis et al. 2002b; 7 Kap. 34). Die Befunde sind daher als ein Hinweis auf eine gestörte, durch GABAA- und GABABRezeptoren vermittelte Neurotransmission bei Patienten mit einer Depression interpretierbar und stützen Vorbefunde, die eine Beteiligung des GABAergen Systems insbesondere bei Depressionen mit psychomotorischer Verlangsamung zeigten. Es existieren klinische Überlappungen dieser Untergruppe mit anderen Krankheitsbildern, wie z. B. dem Morbus Parkinson in Form von motorischen Symptomen wie Hypokinesie und Hypomimie. Interessanterweise sind die mit der TMS messbaren Kennwerte der Exzitabilität des motorischen Kortex bei psychomotorisch verlangsamten depressiven Patienten und Morbus Parkinson Patienten in gleichartiger Richtung modifiziert (7 Kap. 27). Der Einfluss unterschiedlicher therapeutischer Interventionen auf die genannten Kennwerte der kortikalen Exzitabilität ist in einer Reihe von Studien untersucht worden. Im Rahmen einer Elektrokonvulsionstherapie, einer sehr wirkungsvollen antidepressiven Behandlungsform, kam es sowohl nach einer einzelnen als auch nach wiederholten Anwendungen zu einem Anstieg der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und der Dauer der kortikalen Innervationsstille. Diese Veränderungen korrelierten mit dem Ausmaß der Verbesserung der klinischen Depression (. Abb. 30.1). Repetitive TMS des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und eine linksseitige Vagusnervstimulation – beides neuartige Verfahren zur nichtmedikamentösen Behandlung von Depressionen – führten zu einem Anstieg der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen. Die Auswirkungen der Behandlung mit Antidepressiva auf die genannten TMS-Kennwerte bei depressiven Patienten sind bislang nicht systematisch untersucht worden. Allerdings konnten in Untersuchungen bei Gesunden nach Einnahme von selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern eine verstärkte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen, eine verlängerte kortikale Innervationsstille und nach chronischer Administration eine deutlichere intrakortikale Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF) dargestellt werden. Letzterer Befund zeigte sich auch nach Gabe des noradrenerg wirkenden Antidepressivums Reboxetin.

299

30.2 Schizophrenien

30

. Abb. .. Positive Korrelation zwischen Änderung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (SICI) und der Verbesserung der klinischen depressiven Symptomatik gemessen mit der Hamilton-Depressions-Skala (HAMD). (Aus Bajbouj et al. 2006b)

30.2

Schizophrenien

30.2.1 Neurobiologische Grundlagen Die Erkrankung der Schizophrenie ist eine schwerwiegende psychiatrische Störung, die klinisch durch Wahn, Halluzinationen, Ich- und Denkstörungen (sog. Positivsymptomatik) sowie durch Affektverflachung, Anhedonie und Apathie (sog. Negativsymptomatik) charakterisiert ist. Ein verbreitetes pathophysiologisches Erklärungsmodell für dieses heterogene Krankheitsbild stellt die Dopaminhypothese dar, die eine exzessive dopaminerge Neurotransmission bei schizophrenen Patienten annimmt und historisch aus der Beobachtung einer antipsychotischen Wirksamkeit dopaminantagonistischer Neuroleptika entstand (Carlsson 2006). Jedoch existieren auch Hinweise auf die Beteiligung anderer Neurotransmittersysteme wie des noradrenergen, serotonergen und GABAergen Systems. Für die Beteiligung des GABAergen Systems an der Pathophysiologie typischer schizophrener Symptome und auch für eine Beteiligung des motorischen Systems gibt es gute Evidenzen: 5 Klinisch zeigen Patienten häufig feinmotorische Störungen, welche möglicherweise ein Korrelat einer gestörten kortikalen Inhibition darstellen. 5 In neurokognitiven Untersuchungen findet man bei Patienten mit einer Schizophrenie ein gestörtes sensomotorisches »gating« als Folge einer exzessiven subkortikalen Dopaminaktivierung und konsekutiv verringerter Aktivierung kortikaler inhibitorischer Projektionen. 5 Weiterhin konnte in Untersuchungen mit Ereignis-korrelierten Potenzialen eine gestörte Inhibition gefunden werden.

5 Schließlich wurden in neuropathologischen Untersuchungen morphologische Veränderungen kortikaler GABAerger Interneurone demonstriert. Bei Patienten mit einer Schizophrenie sind daneben auch makroskopische strukturelle Veränderungen des Corpus callosum von besonderem Interesse, die auf eine gestörte interhemisphärische Konnektivität hindeuten können.

30.2.2 TMS-Befunde In Untersuchungen zur motorischen Reizschwelle (7 Kap. 14) zeigten weder medizierte noch unmedizierte Patienten Auffälligkeiten. Lediglich PascualLeone et al. (2002) konnten in einer Untersuchung an einer kleinen, mit antidopaminerg wirkenden Substanzen behandelten Patientengruppe eine erhöhte motorische Reizschwelle der dominanten Hemisphäre darstellen. Da Gesunde üblicherweise eine niedrigere motorische Reizschwelle der dominanten verglichen mit der nichtdominanten Hemisphäre aufweisen, wurden diese Ergebnisse als Hinweis auf eine umgekehrte Asymmetrie kortikospinaler Erregbarkeit bei schizophrenen Patienten gedeutet. In der Mehrzahl der Untersuchungen konnte bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen eine verkürzte kortikale Innervationsstille gezeigt werden. In einer Arbeit von Daskalakis et al. (2002a) an medizierten und unmedizierten Patienten zeigte sich eine kürzere Dauer der kortikalen Innervationsstille in der unmedizierten Gruppe (. Abb. 30.2). In dieser Studie konnte zudem eine reduzierte intrakortikale Hemmung

300

Kapitel 30 · Psychiatrische Erkrankungen

21 22

a

23 24

b

25 26 27

c

bei Patienten mit einer Schizophrenie zeigte sich eine Reduktion dieser Hemmung nach Gabe eines konventionellen, d. h. antidopaminerg wirksamen Neuroleptikums. Die Gabe von atypischen Neuroleptika wie z. B. Olanzapin führte hingegen dosisabhängig zu einer Verlängerung der Dauer der ipsilateralen kortikalen Innervationsstille (engl. ipsilateral cortical silent period; 7 Kap. 18), einem Maß für interhemisphärische Hemmung, im Vergleich zu Risperidon, einem neueren Antipsychotikum mit einem eher klassischen antidopaminergen Wirkprofil. Zusammenfassend gibt es Evidenz, dass konventionelle, antidopaminerg wirkende Antipsychotika zu einer Reduktion verschiedener Kennwerte kortikalen und interhemisphärischer Inhibition führen können, neuere sog. atypische Neuroleptika dagegen eine Verstärkung kortikaler Hemmung bewirken (Daskalakis et al. 2002b; Fitzgerald et al. 2002).

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

30.3 . Abb. .a–c. Dauer der kortikalen Innervationsstille (abgleitet aus dem vorgespannten M. interosseus dorsalis manus I, ausgelöst durch TMS 40% über der motorischen Reizschwelle) bei einem unmedizierten schizophrenen Patienten (a), einem neuroleptisch behandelten schizophrenen Patienten (b) und einer gesunden Kontrollperson (c). (Aus Daskalaikis et al. 2002a)

bei kurzen Interstimulusintervallen bei den schizophrenen Patienten und eine signifikante Korrelation zwischen dem klinischen Schweregrad und dem Ausmaß der Reduktion dieser Hemmung dargestellt werden. Weitere Studien konnten den Befund einer reduzierten intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen bei Patienten mit einer Schizophrenie replizieren. Die mittels Doppelpuls-TMS getestete interhemisphärische Inhibition (engl. interhemispheric inhibition, IHI; 7 Kap. 18) war bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen signifikant und unabhängig von einer antipsychotischen Medikation reduziert (Fitzgerald et al. 2002). Dieser Befund unterstützt die Annahme, dass bei Patienten mit Schizophrenie eine Störung der interhemisphärischen Konnektivität zwischen den motorischen Kortexes vorliegt. Gegenstand weiterer Studien war die Untersuchung des Effektes antipsychotisch wirksamer Pharmaka auf die genannten TMS-Kennwerte. Eine Reduktion der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen durch Haloperidol konnte bei Gesunden nachgewiesen werden (7 Kap. 34). Auch

Demenz vom Alzheimer-Typ

30.3.1 Neurobiologische Grundlagen Die Demenz vom Alzheimer-Typ ist eine neurodegenerative Erkrankung, die durch eine allgemeine Beeinträchtigung kognitiver Funktionen, Gedächtnis und Persönlichkeit bei fehlender Störung von Bewusstsein und Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist. Klinisch finden sich neben diesen typischen Frühsymptomen erst im späteren Verlauf motorische Symptome wie zum Beispiel Myoklonien oder ein Parkinson-Syndrom. Mögliche Ursache für das späte klinische Auftreten sind umfangreiche dentritische Aussprossungen und insbesondere die gut ausgeprägte Kompensationsund Reorganisationsfähigkeit motorischer Hirnregionen. Trotzdem treten Alzheimer-typische neuropathologische Befunde wie neurofibrilläre Tangles und senile Plaques im motorischen Kortex in gleicher Weise wie z. B. im Hippokampus auf. Neben der direkten Beteiligung des motorischen Kortex sind aber insbesondere auch cholinerge muskarinerge Afferenzen vom Nucleus basalis Meynert typischerweise bei der Demenz vom Alzheimer-Typ betroffen (Selden et al. 1998).

30.3.2 TMS-Befunde Bei Patienten mit einer mild bis moderat ausgeprägten Demenz vom Alzheimer-Typ fand sich eine reduzierte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen, deren Ausmaß mit dem klinischen

301

30.4 Zwangsstörungen

Schweregrad der Demenz korrelierte. Die Behandlung mit einem Acetycholinesterase-Inhibitor führte zu einem Anstieg der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (Liepert et al. 2001). Ebenfalls hinweisend auf eine kortikale Übererregbarkeit zeigten Patienten mit Alzheimer-Demenz eine niedrigere motorische Reizschwelle als Gesunde, die durch einmalige Administration eines Acetylcholinesterase-Inhibitors nicht beeinflusst wurde (Di Lazzaro et al. 2005). Diese beiden exemplarisch ausgewählten Studien demonstrieren, dass bei Patienten mit einer Alzheimer-Demenz trotz fehlender klinisch-motorischer Auffälligkeiten mithilfe der TMS eine gesteigerte Erregbarkeit des motorischen Kortex nachweisbar ist. Darüber hinaus zeigen Patienten mit Demenz vom Alzheimer-Typ auch eine pathologisch reduzierte afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency afferent inhibition, SAI; 7 Kap. 17), die durch Behandlung mit einem Acetylcholinesterase-Inhibitor normalisiert werden kann und in der differentialdiagnostischen Abgrenzung zu anderen Demenzformen, z. B. der frontotemporalen Demenz, verwendet werden kann, deren afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz normal ist (. Abb. 17.2).

30.4

Zwangsstörungen

30.4.1 Neurobiologische Grundlagen In dem vorherigen Abschnitt über demenzielle Erkrankungen konnte gezeigt werden, dass mit der TMS messbare Veränderungen der Erregbarkeit des motorischen Kortex nicht notwendigerweise durch motorische Symptome klinisch apparent werden müssen. Umgekehrt konnten bei Patienten mit Depression und Schizophrenie neurophysiologische Korrelate motorischer Begleitsymptome dargestellt werden. Noch mehr als diese beiden Erkrankungen befinden sich Zwangs- und Ticstörungen im Grenzbereich zwischen neurologischen Bewegungsstörungen und psychiatrischen Erkrankungen. Beide Krankheitsentitäten zeigen Überlappungen im klinischen Erscheinungsbild, im Vererbungsmuster und nicht zuletzt eine außergewöhnlich hohe Komorbidität (Alsobrook u. Pauls 1997). Nach DSM-IV ist das Krankheitsbild der Zwangsstörung gekennzeichnet durch das Auftreten von Zwangsgedanken (wiederholte lästige, eigene Vorstellungen, Impulse oder Gedanken) oder von Zwangshandlungen (wiederholte, stereotype Verhaltensweisen), die ein erhebliches Leid verursachen und mindestens eine Stunde pro Tag in Anspruch nehmen.

30

Pathophysiologisch nimmt man bei den Zwangsstörungen (ebenso wie bei den Ticstörungen) disinhibierte oder primär überaktive neuronale Netzwerke zwischen frontalem Kortex, Striatum, Globus pallidus sowie Thalamus an. Eine mit der Zwangsstörung verwandte Erkrankung stellt das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom dar, eine chronische neuropsychiatrische Störung mit Erkrankungsbeginn in der Kindheit, welche durch stereotype und schwer kontrollierbare motorische und vokale Tics charakterisiert ist. Auch bei diesem Erkrankungsbild wird eine Dysfunktion kortikaler-subkortikaler Regelkreise mit Verbindungen zwischen Kortex zum Striatum, Globus pallidus, Thalamus und zurück zum Motorkortex vermutet (Albin u. Mink 2006).

30.4.2 TMS-Befunde Bei Patienten mit einer Zwangsstörung fanden sich Hinweise auf eine gesteigerte motorkortikale Exzitabilität bei zwei Kennwerten: es zeigte sich sowohl eine reduzierte motorische Reizschwelle als auch eine reduzierte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (Greenberg et al. 2000). Letzterer Befund stützt die Vermutung einer gestörten striatalen Funktion bei Patienten mit Zwangsstörung. Ein alternatives Erklärungsmodell für den Befund der reduzierten intrakortikalen Hemmung beschreibt eine gestörte intrakortikale Imbalance zwischen GABA und Glutamat durch einen gestörten thalamokortikalen Input. Beim Gilles-de-la-Tourette-Syndrom konnte (insbesondere bei aufmerksamkeitsdefizitären) Kindern eine reduzierte intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und bei Erwachsenen zusätzlich eine verkürzte kortikale Innervationsdauer gefunden werden (Gilbert et al. 2005; Ziemann et al. 1997; . Abb. 30.3). Zudem fand sich im Vergleich zu gesunden Kontrollen eine niedrigere motorische Reizschwelle. Die motorische Reizschwelle wird unter anderem beeinflusst durch die Erregbarkeit kortikokortikaler Axone und glutamaterger Neurotransmission (7 Kap. 34). Eine Reduktion dieses Kennwertes kann daher durch funktionelle Alteration an neuronalen Membranen, die Anzahl exzitatorischer und inhibitorischer Projektionen zum Motorkortex oder Rezeptorveränderungen erklärt werden.

302

Kapitel 30 · Psychiatrische Erkrankungen

. Abb. .. Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung bei Patienten mit Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (Kreise, Mittelwerte von 20 Patienten) und altersentsprechenden Gesunden (Quadrate, Mittelwerte von 21 Probanden). Auﬀällig ist die verminderte Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen in der Patientengruppe. (Mod. nach Ziemann et al. 1997) (Abbildung in Farbe 7 S. 632)

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

30.5

Fallbeispiel

Eine 40-jährige Patientin A mit einer seit 10 Monaten dauernden pharmakoresistenten depressiven Episode ist zunächst erfolglos mit 12 Sitzungen einer elektrokonvulsiven Therapie (EKT) und anschließend erfolgreich mit einer 10-wöchigen Vagusnervstimulation (VNS) behandelt worden. Eine 65-jährige Patientin B mit einer seit 12 Monaten dauernden, ebenfalls pharmakoresistenten depressiven Episode ist zunächst mit einer 10-wöchigen VNS und bei unzureichender klinischer Eﬀektivität anschließend erfolgreich mit einer EKT behandelt worden. Bei beiden Patientinnen war die psychopharmakologische Behandlung über den gesamten Behandlungszeitraum konstant. Mithilfe der TMS wurden Kennwerte der Exzitabilität des

a

36 37 38 39 40

7

. Abb. .a,b. Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI; Dreiecke hellgrau) und kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; Quadrate schwarz) sowie klinischer Verlauf (gemessen mit der Hamilton Depressionsskala, HAMD; Rhomben dunkelgrau) bei 2 Patientinnen mit schwerer Depression; Patientin A (a), Patientin B (b). Auﬀällig sind die verstärkte Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen sowie die verlängerte Dauer der kortikalen Innervationsstille nach erfolgreicher antidepressiver Therapie. Die neurophysiologischen Baseline-Messwerte wurden auf 100% normalisiert

b

Literatur

303

30

motorischen Kortex vor Beginn und nach Abschluss der ersten Behandlung und nach Abschluss der zweiten Behandlung erhoben (. Abb. 30.4). Im Verlauf der ersten antidepressiven Interventionen (EKT bei Patientin A, VNS bei Patientin B) zeigte sich bei beiden Patientinnen weder eine relevante Verbesserung der depressiven Symptomatik noch Veränderungen der neurophysiologischen Parameter. Die zweite antidepressive Intervention (VNS bei Patientin B, EKT bei Patientin A) führte bei beiden Patientinnen zu einer deutlichen kli-

nischen Verbesserung der Symptomatik und ging mit einer Verlängerung der kortikalen Innervationsstille und einem Anstieg der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen einher. Diese neurophysiologischen Befunde sind hinweisend auf eine Beteiligung des GABAergen Systems an der Pathophysiologie der Depression und sprechen möglicherweise auch dafür, dass das GABAerge System bei der Vermittlung des therapeutischen Eﬀektes von antidepressiven Stimulationsverfahren eine Rolle spielt.

Literatur

marker of attention-deﬁcit/hyperactivity disorder scores in tourette syndrome. Biol Psychiatry 57: 1597–1600 1Greenberg BD, Ziemann U, Cora-Locatelli G et al. (2000) Altered cortical excitability in obsessive-compulsive disorder. Neurology 54: 142–147 Wichtiger Originalartikel, in dem erstmals umfangreich Veränderungen der kortikalen Inhibition bei Patienten mit einer Zwangsstörung beschrieben werden. Liepert J, Bar KJ, Meske U et al. (2001) Motor cortex disinhibition in Alzheimer's disease. Clin Neurophysiol 112: 1436– 1441 Pascual-Leone A, Manoach DS, Birnbaum R et al. (2002) Motor cortical excitability in schizophrenia. Biol Psychiatry 52: 24–31 Selden NR, Gitelman DR, Salamon-Murayama N et al. (1998) Trajectories of cholinergic pathways within the cerebral hemispheres of the human brain. Brain 121: 2249–2257 1Ziemann U, Paulus W, Rothenberger A (1997) Decreased motor inhibition in Tourette’s disorder: evidence from transcranial magnetic stimulation. Am J Psychiatry 154: 1277–1284 Wichtiger Originalartikel, in dem Veränderungen der kortikalen Inhibition bei Patienten mit einem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom beschrieben werden.

1Albin RL, Mink JW (2006) Recent advances in Tourette syndrome research. Trends Neurosci 29: 175–182 Übersichtsartikel über den derzeitigen Kenntnisstand über das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom. Alsobrook JP, Pauls DL (1997) The genetics of Tourette’s syndrome. Neurol Clin 15: 381–393 1Bajbouj M, Lisanby SH, Lang UE et al. (2006a) Evidence for impaired cortical inhibition in patients with unipolar major depression. Biol Psychiatry 59: 395–400 Wichtiger Originalartikel, in dem erstmals umfangreich Veränderungen der kortikalen Inhibition bei unmedizierten Patienten mit einer unipolaren Depression beschrieben werden. Bajbouj M, Lang UE, Niehaus L et al. (2006b) Eﬀects of right unilateral electroconvulsive therapy on motor cortical excitability in depressive patients. J Psychiatr Res 40: 322–327 1Carlsson A (2006) The neurochemical circuitry of schizophrenia. Pharmacopsychiatry 39 Suppl 1: 10–14 Kurzer Übersichtsartikel über den derzeitigen Kenntnisstand der Neurobiologie schizophrener Störungen. 1Daskalakis ZJ, Christensen BK, Chen R et al. (2002a) Evidence for impaired cortical inhibition in schizophrenia using transcranial magnetic stimulation. Arch Gen Psychiatry 59: 347–354 Wichtiger Originalartikel, in dem erstmals umfangreich Veränderungen der kortikalen Inhibition bei Patienten mit einer Schizophrenie beschrieben werden. Daskalakis ZJ, Christensen BK, Fitzgerald PB et al. (2002b) The mechanisms of interhemispheric inhibition in the human motor cortex. J Physiol 543: 317–326 Di Lazzaro V, Oliviero A, Pilato F et al. (2005) Neurophysiological predictors of long term response to AChE inhibitors in AD patients. J Neurol Neurosurg Psychiatry 76: 1064– 1069 1Fitzgerald PB, Brown TL, Daskalakis ZJ (2002) The application of transcranial magnetic stimulation in psychiatry and neurosciences research. Acta Psychiatr Scand : 324–340 Übersichtsartikel, in dem ein prägnanter Überblick über die Anwendungen der TMS in der Psychiatrie gegeben wird. Gilbert DL, Sallee FR, Zhang J et al. (2005) Transcranial magnetic stimulation-evoked cortical inhibition: a consistent

305

31 V

Charakterisierung von Hirnfunktionen – Methoden

31

Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation – 307 Boris Hagen Schlaak, Alvaro Pascual-Leone, Hartwig Roman Siebner

32

Neuronavigation der transkraniellen Magnetstimulation – 317 Uwe Herwig, Carlos Schönfeldt-Lecuona

33

Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität Mathias Wahl, Günther Heide, Ulf Ziemann

34

Neuropharmakologie

– 333

Ulf Ziemann

35

Transkranielle Magnetstimulation und Elektroenzephalograﬁe – 345 Reto Huber

36

Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe – 355 Martin Peller, Hartwig Roman Siebner

37

Transkranielle Magnetstimulation und funktionelle Magnetresonanztomograﬁe – 367 Jürgen Baudewig, Sven Bestmann

38

Transkranielle Magnetstimulation und tiefe Hirnstimulation – 377 Andrea A. Kühn

39

Tierexperimentelle Untersuchungen Klaus Funke

– 385

– 323

307

31

Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation Boris Hagen Schlaak, Alvaro Pascual-Leone, Hartwig Roman Siebner 31.1

Einführung – 308

31.5

Speziﬁtät der TMS-induzierten Läsionseffekte – 312

31.2

Prinzip der Funktionsunterbrechung – 308

31.6

Prolongierte Läsionseffekte nach rTMS – 313

Effektive Stimulation des Zielareals – 310

31.7

Ausblick – 314

Literatur

– 315

31.3

31.4

Läsionsmodus : Einzelreizung versus Reizserie – 311

ZUM THEMA In den letzten 10 Jahren hat sich die TMS zu einem wichtigen Untersuchungsinstrument der kognitiven Neurowissenschaften entwickelt. Das Interesse der kognitiven Neurowissenschaften an der TMS liegt darin begründet, dass die TMS die Funktion des stimulierten Kortexareals kurzzeitig beeinträchtigen kann. Die durch die TMS ausgelöste, örtlich und zeitlich umschriebene Funktionshemmung wird auch als transiente »virtuelle Läsion« bezeichnet. Typischerweise wird die fokale TMS über einem Rindenareal verabreicht, während der Proband eine Aufgabe durchführt (Online-TMS) . Mit Einzelreizen oder kurzen hochfrequenten Reizserien wird zu bestimmten Zeitpunkten während der Ausführung der Aufgabe eine passagere regionale Funktionshemmung induziert. Die Güte der Aufgabendurchführung wird über Verhaltensmaße wie die Reaktionszeit oder die Fehlerrate erfasst. Die Analyse der Verhaltensmaße zeigt an, ob und wie der durch die TMS ausgelöste, passagere Läsionseﬀekt die Durchführung der Aufgabe beeinträchtigt hat. Kommt es durch die TMS zu einer Verlängerung der Reaktionszeit

oder einer Zunahme der Fehlerrate, kann geschlossen werden, dass das stimulierte Kortexareal in relevanter Weise an der Durchführung der Aufgabe beteiligt ist. Die passagere Funktionsunterbrechung erbringt somit wichtige Informationen über die funktionelle Bedeutung des stimulierten Kortex und über die kognitive Neuroanatomie des menschlichen Gehirns. Durch systematische Verschiebung des Zeitpunktes der TMS kann zudem untersucht werden, wann die TMS während der Aufgabenausführung einen Läsionseﬀekt entfaltet. Mithilfe dieser »mentalen Chronometrie« kann das Zeitfenster bestimmt werden, während dessen das stimulierte Kortexareal kritisch an der Aufgabenausführung beteiligt ist. In diesem Kapitel werden die grundlegenden neurowissenschaftlichen Konzepte erörtert, die hinter der virtuellen Läsionsmethode stehen. Zudem werden allgemeine methodische Aspekte diskutiert, die bei der Versuchsplanung und Interpretation der mit der TMS ausgelösten Verhaltenseﬀekte zu berücksichtigen sind.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

308

Kapitel 31 · Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation

31.1

Einführung

In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten mit bildgebenden Verfahren Hirnfunktionen zu lokalisieren wesentlich erweitert. Zahlreiche funktionelle Aktivierungsstudien konnten die Hirnregionen identifizieren, die während der Ausführung einer Aufgabe funktionell »aktiviert« werden. Zeigt eine Region in der funktionellen Bildgebung eine aufgabenspezifische Zunahme der neuronalen Aktivität, wird allgemein gefolgert, dass diese Region aktiv an den kognitiven Prozessen teilnimmt, die zur Ausführung der Aufgabe erforderlich sind. Aufgrund der korrelativen Natur bildgebender Verfahren bleibt allerdings unklar, ob eine regionale Aktivierung für die Durchführung der untersuchten Aufgabe überhaupt relevant ist. Auch erlauben funktionelle Aktivierungsstudien keine Rückschlüsse darüber, welche spezifische Rolle die aktivierten Regionen für die untersuchten kognitiven Funktionen spielen. Diese Wissenslücke kann mit der TMS geschlossen werden, da die TMS eine dosierte kurzzeitige Funktionsblockierung umschriebener Hirnareale erlaubt (Pascual-Leone et al. 1999; Jahanshahi u. Rothwell 2000; Walsh u. Cowey 2000). In der Regel werden zur Funktionsblockierung fokale Doppelspulen verwendet, da aufgrund der hohen Fokalität dieser Spulen ein umschriebenes Hirnrindenareal gezielt stimuliert werden kann (7 Kap. 3). Um eine Funktionsunterbrechung im Kortex hervorzurufen, werden mit der fokalen Doppelspule entweder Einzelpulse oder kurze hochfrequente Serien von Einzelpulsen zu definierten Zeitpunkten der Informationsverarbeitung während der Aufgabe verabreicht. Die korrekte Ausführung der Aufgabe wird über Verhaltensmaße wie die Reaktionszeit oder die Fehlerrate quantifiziert. Beeinträchtigt der durch die TMS ausgelöste Läsionseffekt die Durchführung der Aufgabe, ist das stimulierte Kortexareal an der Informationsverarbeitung während der Aufgabe in relevanter Weise beteiligt. Aufgrund der passageren Funktionsunterbrechung ist es mit TMS möglich, kausale Funktionszusammenhänge in kognitiven Systemen zu belegen (PascualLeone et al. 1999). Der interventionelle Charakter der TMS macht den wesentlichen Vorteil der TMS gegenüber der funktionellen zerebralen Bildgebung aus, die lediglich korrelative Zusammenhänge zwischen neuronaler Aktivität und kognitiven Funktionen aufdecken kann. Da die TMS nur eine kurzzeitige Funktionsunterbrechung induziert, die völlig reversibel ist, kann die Funktionsunterbrechung mittels TMS innerhalb der publizierten Sicherheitskriterien fast beliebig wiederholt werden. Dies erlaubt es, an denselben Pro-

banden mehrere »Läsionsbedingungen« in einer Sitzung zu untersuchen oder mehrere Läsionsexperimente an verschiedenen Tagen durchzuführen.

31.2

Prinzip der Funktionsunterbrechung

Die TMS nutzt die elektromagnetische Induktion, um die menschliche Hirnrinde fokal und nichtinvasiv zu stimulieren (7 Kap. 3). Der passagere Läsionseffekt der TMS entsteht durch die Erregung neuronaler Strukturen im stimulierten Kortex. Aufgrund der Abschwächung des Stimulationseffektes mit zunehmendem Abstand von der Spule bleibt der direkte Stimulationseffekt auf den Kortex unter dem Spulenzentrum der Doppelspule begrenzt. Die Eindringtiefe der TMS in das Gehirn liegt am Ort der maximalen Stimulation, in Abhängigkeit von der verwendeten Stimulusintensität, bei 1‒3 cm. Im stimulierten Kortexareal führt das elektromagnetische Wechselfeld zu einer synchronen neuronalen Aktivierung, die bei Überschreiten der Reizschwelle exzitatorische und inhibitorische postsynaptische Potenziale auslöst (Jahanshahi u. Rothwell 2000). Unter anderem können GABAB-erge inhibitorische postsynaptische Potenziale induziert werden, die eine lang anhaltende (50‒250 ms) intrakortikale Inhibition bewirken und so die spontane neuronale Aktivität im stimulierten Kortex unterdrücken (7 Kap. 3). Zudem kann der transkranielle Einzelreiz oszillatorische neuronale Aktivität im stimulierten Kortex auslösen. Die Summe der durch die TMS ausgelösten »extrinsischen« neuronalen Aktivität interferiert mit der »intrinsisch« ablaufenden neuronalen Informationsverarbeitung während der Aufgabe und führt zu einer passageren Funktionsstörung im stimulierten Kortexareal. In diesem Zusammenhang wird die durch die TMS bewirkte neuronale Aktivierung als »neuronales Rauschen« (engl. neuronal noise) bezeichnet und der Läsionseffekt der TMS über eine Reduktion des »Signal-zu-Rauschen-Verhältnisses« (engl. signal-to-noise ratio) erklärt (Walsh u. Cowey 2000). Neben der Beeinträchtigung des normalen intrakortikalen Erregungsablaufs im stimulierten Kortex führt die »fokale« TMS auch intensitätsabhängig zu einer ortho- und antidromen Aktivierung kortikokortikaler sowie kortikosubkortikaler Neurone und somit zu einer synchronen transsynaptischen Erregung von Neuronenpopulationen in den mit dem stimulierten Kortex verbundenen Hirnregionen (7 Kap. 3). Dies kann zu einem Zurücksetzen oszillatorischer Netzwerkaktivität führen (engl. resetting) oder neuronale Oszillationen im stimulierten Netzwerk auslösen. Es

31.2 Prinzip der Funktionsunterbrechung

ist wahrscheinlich, dass diese »Netzwerkeffekte« neben der lokalen intrakortikalen Funktionsbeeinträchtigung zum Läsionseffekt der fokalen TMS beitragen. Die komplexen biophysikalischen Eigenschaften und die komplizierte anatomische Makround Mikrostruktur des stimulierten Hirngewebes erschweren detaillierte Vorhersagen über die durch die TMS hervorgerufene neuronale Erregung für ein bestimmtes Hirnareal. Aufgrund regionaler biophysikalischer, neuroanatomischer und physiologischer Unterschiede ist anzunehmen, dass die gleiche TMS (gleiche Pulskonfiguration, Intensität und Spulenorientierung) bei Stimulation unterschiedlicher Hirnrindenareale eine quantitativ und qualitativ unterschiedliche Erregung neuronaler Strukturen verursacht. Dies impliziert eine eventuelle substanzielle Variation der durch die TMS hervorgerufenen Perturbation im stimulierten Kortex und in den kortikokortikalen und kortikosubkortikalen Verbindungen, je nachdem welches Hirnareal mit der TMS passager »läsioniert« wird. Die Wahl der richtigen experimentellen Aufgabe entscheidet mit über den Erfolg eines TMS-Läsionsexperimentes. Die Aufgabe sollte so gestaltet sein, dass die Durchführung der Aufgabe von dem kognitiven Prozess, der untersucht werden soll, kritisch abhängt. Hierbei sollten die Anforderungen an den kognitiven Prozess durch den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe relativ hochgeschraubt werden, um die Aussichten einer Beeinträchtigung der Aufgabendurchführung mittels TMS zu erhöhen. Eine elegante Opti-

309

31

on besteht darin, den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe parametrisch zu modulieren. So konnten Bestmann et al. (2002) zeigen, wie 4 Pulse einer 20-Hz-rTMS über dem linken oder rechten posterioren parietalen Kortex die Durchführung einer visuomotorischen Rotationsaufgabe verzögerte. Der Läsionseffekt war abhängig vom Schwierigkeitsgrad der Aufgabe, da die Reaktionszeitverlängerung nur bei großen Rotationswinkeln auftrat, nicht jedoch bei kleinen Rotationswinkeln. Ein weiterer Faktor, der das Ausmaß der durch die TMS induzierten Funktionsunterbrechung wesentlich beeinflusst, ist der Funktionszustand des stimulierten Kortex zum Zeitpunkt der transkraniellen Perturbation (. Abb. 31.1). Befindet sich das stimulierte Kortexareal in einem Ruhezustand, ist die regionale Erregbarkeit erniedrigt und der neuronale Informationsaustausch mit verbundenen Kortexregionen gering. Daher wird ein transkranieller Stimulus nur eine relativ geringe Anzahl an kortikalen Neuronen effektiv stimulieren und die transkraniell induzierte neuronale Erregung wird sich nur eingeschränkt auf verbundene Hirnregionen ausbreiten, wenn die Stimulation während eines Ruhezustands erfolgt. Die Situation ändert sich grundlegend, sobald der stimulierte Kortex durch eine funktionelle Beteiligung an einer Aufgabe in einen »aktivierten Zustand« übergeht. Wird der stimulierte Kortex in die neuronale Informationsverarbeitung während der Durchführung einer Aufgabe mit einbezogen, erhöht sich sowohl die regionale Erregbarkeit als auch die neuronale Wechselwirkung mit anderen Regionen. Hierdurch antwor. Abb. .. Schematische Darstellung der neuronalen TMS-Empfänglichkeit. Wird das Zielareal im Laufe der Aufgabenausführung (Hirnfunktion) stärker rekrutiert, so erhöhen sich die regionale Erregbarkeit und die Wechselwirkung mit verbundenen Neuronenpopulationen in anderen Hirnregionen und somit auch der zu diesem Zeitpunkt auslösbare TMS-Läsionseﬀekt

310

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 31 · Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation

ten nun deutlich mehr intrakortikale Neurone auf den transkraniellen Stimulus mit einem Aktionspotenzial als im Ruhezustand. Gleichzeitig aktiviert die TMS aufgrund der erniedrigten Reizschwelle nun wesentlich effizienter kortikokortikale und kortikosubkortikale Neurone. Daraus folgt, dass die aufgabenbedingte funktionelle Aktivierung das kortikale Zielareal für den Läsionseffekt der TMS empfänglich macht, indem die aktivierten neuronalen Ensembles leichter durch die TMS erregt werden können. Diese kontextabhängige Sensibilisierung neuronaler Netzwerke gegenüber der TMS erklärt, warum die TMS als funktionelles Läsionsverfahren in der neurowissenschaftlichen Anwendung so effizient ist. Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass die durch die TMS induzierte »virtuelle Läsion« nur eingeschränkt mit den Effekten einer anhaltenden strukturellen Läsion, z. B. nach Schlaganfall, zu vergleichen ist. Die virtuelle TMS-Läsion führt zu einer kontextabhängigen Perturbation neuronaler Netzwerke und lebt geradezu von der Intaktheit des stimulierten Kortexareals. Da der Läsionseffekt innerhalb weniger Millisekunden nach Applikation des transkraniellen Stimulus einsetzt, kann das stimulierte funktionelle System keine, oder zumindest nur sehr bedingt, kompensatorische Mechanismen aktivieren. Die Situation ist grundlegend anders bei Patienten mit einer permanenten fokalen Schädigung des Kortex. Hier sind aufgrund des Zelluntergangs die neuronale Aktivität und die funktionelle Interaktion mit verbundenen Hirnregionen völlig erloschen. Die permanente strukturelle Läsion stößt zudem komplexe Kompensationsprozesse innerhalb der noch verbliebenen Netzwerkkomponenten an. Lässt sich mit einem TMS-Läsionsexperiment keine Funktionsunterbrechung auf der Verhaltensebene hervorrufen, muss dieses negative Ergebnis sehr vorsichtig interpretiert werden. Das Ausbleiben eines Verhaltenseffektes schließt die Relevanz der stimulierten Zone für die untersuchte Aufgabe nicht aus. Möglicherweise war die Dosis oder der Zeitpunkt der TMS nicht geeignet, um eine Funktionsunterbrechung zu induzieren. Vielleicht wurde der optimale Stimulationsort verfehlt oder das durch die TMS induzierte Läsionsvolumen war zu gering, woraufhin die stimulierte Region den Läsionseffekt noch kompensieren konnte. Denkbar ist auch, dass die Aufgabe zu einfach war und eine schwierigere Aufgabe einen Läsionseffekt gezeigt hätte. Vielleicht war die gleiche Funktion in verschiedenen Kortexarealen repräsentiert und es hätten daher mehrere Kortexareale gleichzeitig läsioniert werden müssen, um einen manifesten Funktionsverlust zu induzieren. Daraus folgt auch: Ein feh-

lender TMS-Läsionseffekt über einem Zielareal bedeutet nicht, dass das stimulierte Areal an der Prozessierung der Aufgabe nicht teilnimmt.

31.3

Eﬀektive Stimulation des Zielareals

Soll ein kortikales Areal passager läsioniert werden, ist es wichtig, die Stimulationsspule so zu platzieren, dass das kortikale Zielareal optimal stimuliert wird. In der Regel erfolgt die TMS mit einer fokalen Doppelspule, die tangential der Kopfhaut anliegt und mit dem Spulenzentrum über dem Zielareal positioniert wird. Die stereotaktische Spulenpositionierung unter Berücksichtigung der individuellen Neuroanatomie ist insbesondere für nichtmotorische Kortexareale zu empfehlen, da sich hier die korrekte Spulenposition nicht durch die evozierte Muskelantwort verifizieren lässt (7 Kap. 32). Neben dem strukturellen MRT-Bild ist es durchaus sinnvoll, die individuellen aufgabenspezifischen Aktivierungskarten bei der stereotaktischen Neuronavigation zu berücksichtigen. Zwar ist die korrekte anatomische Positionierung eine Grundvoraussetzung für die effektive TMS des Zielareals, darüber hinaus spielen aber auch physiologische Einflussgrößen eine Rolle, die in der Praxis häufig vernachlässigt werden. Für den primären motorischen Kortex konnte gezeigt werden, dass die optimale Erregung des motorischen Kortex von der Richtung des induzierten Gewebsstroms (und somit von der Orientierung der Stimulationsspule) abhängt (7 Kap. 3). Im Kontext virtueller Läsionsexperimente konnte für den medialen präfrontalen Kortex gezeigt werden, dass der Läsionseffekt bei einer Augenbewegungsaufgabe kritisch von der im Kortex induzierten Stromflussrichtung abhing (Hill et al. 2000). Die Spulenorientierung, welche für ein bestimmtes kortikales Zielareal eine optimale Neurostimulation bewirkt, ist für die meisten Stimulationsorte derzeit unbekannt. Ein weiteres Problem besteht in der Abschätzung einer ausreichenden Stimulationsintensität. Während für den primären motorischen Kortex über die Ableitung der MEP die Effizienz der TMS ohne weiteres überprüft und quantifiziert werden kann, stehen für die meisten Kortexareale keine einfach ableitbaren Biosignale zur Verfügung, mit deren Hilfe die Intensität der TMS angepasst werden kann. Daher wird häufig die kortikale motorische Reizschwelle mit der Einzelreiz-TMS über dem primären motorischen Handareal bestimmt und die Intensität der TMS anhand der individuellen motorischen Schwelle adjustiert, auch wenn ein anderes Kortexareal mit der TMS läsioniert wird. Dieses Vorgehen ist problematisch, da nicht

31.4 Läsionsmodus : Einzelreizung versus Reizserie

angenommen werden kann, dass sich die Reizschwellen verschiedener Kortexareale entsprechen. Neben Unterschieden in der Neuroanatomie spielen auch Unterschiede in der Distanz zwischen Spule und em Zielareal eine erhebliche Rolle. Diese Unterschiede im Spulen-Kortex-Abstand sollten berücksichtigt werden, wenn die motorische Ruheschwelle zur Adjustierung der Stimulationsintensität für die TMS anderer Kortexareale verwendet wird. Falls möglich empfiehlt es sich in einem TMS-Läsionsexperiment die Intensität der TMS systematisch zu variieren. Dies ermöglicht eine Einschätzung der Beziehung zwischen Stimulusintensität und Läsionseffekt und kann ggf. helfen eine Reizschwelle für den Läsionseffekt zu ermitteln.

31.4

Läsionsmodus : Einzelreizung versus Reizserie

Um eine passagere Läsion mit der TMS zu induzieren, werden entweder einzelne Reize oder kurze hochfrequente Reizserien über dem kortikalen Zielareal verabreicht. Die Applikation eines einzelnen Reizes führt intensitätsabhängig zu einer relativ kurz anhaltenden Funktionsunterbrechung im Bereich mehrerer Zehntel Millisekunden (~20‒60 ms). Es ist immer dann sinnvoll Einzelreize zur Funktionsunterbrechung zu verwenden, wenn von einem kurzen Zeitfenster ausgegangen werden kann, in dem das stimulierte Kortexareal kritisch an der Informationsverarbeitung beteiligt ist. Durch systematische Variation des Zeitpunktes

a

b

311

31

der TMS während der Durchführung der Aufgabe ist es möglich herauszufinden, wann die neuronale Aktivität im stimulierten Kortexareal für die untersuchte Aufgabe von Bedeutung ist. Dieses Vorgehen bezeichnet man auch als mentale Chronometrie. Eine klassisches Beispiel für die mentale Chronometrie liefert eine TMS-Studie zur visuellen Wahrnehmung (Amassian et al. 1989). In dieser Untersuchung wurden kurzzeitig Trigramme, zufällige Kombinationen dreier nebeneinander stehender Buchstaben, präsentiert, die von den Probanden benannt werden mussten. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt der TMS nach Stimuluspräsentation blockierte ein über dem okzipitalen Kortex applizierter Einzelreiz die Wahrnehmung der Trigramme. Die TMS führte zu einer maximalen Funktionshemmung der visuellen Wahrnehmung, wenn der okzipitale Einzelreiz 80‒100 ms nach Darbietung der Trigramme gegeben wurde (. Abb. 31.2). Somit ließ sich mit der TMS ein kritisches Zeitfenster eingrenzen, während dessen der okzipitale Kortex kritisch an der visuellen Wahrnehmung der Trigramme beteiligt ist. Unter Umständen kann es von Interesse sein, nicht nur das Zeitfenster sondern auch das Ausmaß des Läsionseffektes oder die Reizschwelle für die Auslösung eines Läsionseffektes zu quantifizieren. So zeigte ein rezente Studie, dass fotosensitive Personen mit einer generalisierten fotoparoxysmalen Reaktion im EEG stärker auf den Läsionseffekt einer okzipitalen TMS reagieren (Sinjatchkin et al. 2007). Bei gesunden Personen, die im EEG eine generalisierte foto-

. Abb. .a,b. Entstehung einer »virtuellen Läsion«. Im oberen Bildteil (a) ist der zeitliche Verlauf der funktionellen Beteiligung eines kortikalen Zielareals an einer bestimmten Aufgabe schematisch dargestellt. Hier ist auch die Steigerung der regionalen Wechselwirkung und der Erregbarkeit angedeutet. Im unteren Bildteil (b) ist ein spiegelbildlicher Zeitverlauf des durch die TMS-bedingten Läsionseﬀektes dargestellt. Die Abbildung bezieht sich auf die von Amassian et al. (1989) erstmals publizierten Befunde zur passageren Unterbrechung der visuellen Wahrnehmung mit einer okzipitalen Einzelreiz-TMS des visuellen Kortex

312

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 31 · Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation

paroxysmale Reaktion unter intermittierender visueller Stimulation entwickeln, führt die okzipitale TMS zu einer ausgeprägteren Unterdrückung der visuellen Wahrnehmung als bei gesunden Personen ohne fotoparoxysmale Reaktion. Oft kann es erforderlich sein, dass die TMS im kortikalen Zielareal eine länger anhaltende Funktionshemmung (z. B. für mehrere Hundert Millisekunden) induzieren muss, um eine manifeste Funktionshemmung zu bewirken. Dies kann der Fall sein, wenn das kortikale Zielareal über eine längere Zeit während einer Aufgabe aktiv ist. In diesem Fall bietet es sich an, statt einem transkraniellen Einzelreiz eine kurze hochfrequente Serie von Einzelreizen (engl. bursts) über dem Zielareal zu applizieren. Die Intensität der TMS, die Zahl der Pulse pro Reizserie und die Stimulationsfrequenz (≥5 Hz) können hierbei flexibel gewählt werden, wobei die publizierten Sicherheitskriterien zu beachten sind (7 Kap. 4). Im Vergleich zur Einzelpulsstörung wird durch Gabe einer Reizserie der Läsionseffekt verlängert. Ob und wie die Effektstärke der Funktionsblockierung mit der Zahl der Pulse und der Stimulationsfrequenz zunimmt ist bislang unklar. Es ist anzunehmen, dass die einzelnen Reize einer hochfrequenten Serie nicht im gleichen Ausmaß die Neurone im kortikalen Zielareal erregen, sondern die Reizantwort auf späte Einzelreize der Reizserie durch die bereits applizierten Reize konditioniert wird. So kann es während einer Reizserie zu einer Fazilitation der neuronalen Erregung durch Summation von polysynaptischen exzitatorischen postsynaptischen Potenzialen sowohl innerhalb des stimulierten Kortex, als auch rekurrent über kortiko-subkortiko-kortikale neuronale Schleifen kommen. Dies kann zu einer zunehmenden Aktivierung kortikofugaler neuronaler Projektionen während der Reizserie führen und eine Ausbreitung des Läsionseffektes auf verbundene Hirnregionen fördern. Es ist auch möglich, dass die Applikation einer hochfrequenten Reizserie neuronale Oszillationen im Frequenzbereich der Reizserie induziert, die das Ende der Reizserie überdauern und den Läsionseffekt verlängern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Verwendung hochfrequenter Reizserien die Dauer sowie die Effektstärke und die räumliche Ausdehnung des Läsionseffektes im stimulierten System erhöht. Wegen der schlechteren zeitlichen Auflösung lassen sich allerdings die durch kurze Reizserien induzierten Verhaltenseffekte schlechter chronometrisch interpretieren. Auch ist der Läsionseffekt weniger fokal, da sich die neuronale Erregung während hochfrequenter Reizserien eher innerhalb des funktionellen Netzwerkes ausbreitet und mit dem stimu-

lierten Kortex verbundene Hirnregionen in die »funktionelle Läsion« einbezieht.

31.5

Speziﬁtät der TMS-induzierten Läsionseﬀekte

Ziel jedes TMS-Läsionsexperimentes ist es, die Beteiligung eines Kortexareals an einer Hirnfunktion zu charakterisieren. Kann über die Erfassung der Verhaltensmaße eine veränderte Durchführung der experimentellen Aufgabe, z. B. eine Zunahme der Fehlerrate während der TMS, nachgewiesen werden, stellt sich die Frage, ob die veränderte Aufgabendurchführung auf die Funktionsunterbrechung der Informationsverarbeitung im stimulierten Kortexareal zurückgeführt werden kann. Daher ist es wichtig, das experimentelle Design so zu gestalten, dass die Spezifität des durch die TMS induzierten Verhalteneffektes evident wird. Dieses Problem ist nicht trivial, da die TMS neben der elektromagnetischen Kortexstimulation auch mit unspezifischen Stimulationseffekten einhergeht. Die Entladung der Spulen während der TMS führt zu einem deutlich hörbaren Klickgeräusch. Zudem führt die TMS in Abhängigkeit vom Stimulationsort und der Stimulusintensität zu einer lokalen Erregung somatosensorischer, trigeminaler Nervenfasern und kann Muskelzuckungen in der Stirn-, Schläfen- oder Nackenmuskulatur auslösen. Wird die TMS über einer Hemisphäre verabreicht, kann die unilaterale sensomotorische Stimulation im Kopfbereich zu einer Verschiebung der räumlichen Aufmerksamkeit zur Seite der TMS führen. Da diese unspezifischen Stimulationseffekte die Ausführung kognitiver Aufgaben beeinflussen können, müssen sie bei der Versuchsplanung bedacht werden. Werden hochfrequente Reizserien zur Funktionsunterbrechung verwendet, ist die begleitende akustische und sensomotorische Stimulation stärker ausgeprägt. Mehrere experimentelle Strategien bieten sich an, um die Spezifität der TMS-induzierten Funktionsunterbrechung zu belegen. Eine Möglichkeit besteht darin aufzuzeigen, dass der TMS-Läsionseffekt aufgabenspeziﬁsch ist. Um die aufgabenspezifische Beteiligung eines Kortexareals an einem kognitiven Prozess nachzuweisen, sollte das experimentelle Design neben der eigentlichen Experimentalaufgabe eine Kontrollaufgabe beinhalten. Die eigentliche Experimentalaufgabe sollte die interessierende Hirnfunktion prüfen. Hierzu sollte ein Aspekt der Aufgabe entscheidungsrelevant sein, der die zu untersuchende Hirnfunktion erfordert (z. B. Formdiskrimination). Für die korrekte Durchführung der Kontrollaufgabe sollte

313

31.6 Prolongierte Läsionseffekte nach rTMS

dagegen die interessierende Hirnfunktion nicht benötigt werden (z. B. Farbdiskrimination). Es ist darauf zu achten, dass die interessierende Aufgabe und die Kontrollaufgabe sich ansonsten weitestgehend entsprechen (z. B. hinsichtlich der sensorischen Stimulation, der erforderlichen motorischen Antwort, des Schwierigkeitsgrades etc.). Führt die TMS über einem visuellen Kortexareal zu einer Beeinträchtigung der Formdiskrimination, nicht jedoch der Farbdiskrimination, kann von einem aufgabenspezifischen Läsionseffekt ausgegangen werden, der eine spezifische Beteiligung des Areals an der Formwahrnehmung belegt. Unspezifische Stimulationseffekte können den aufgabenspezifischen Läsionseffekt nicht erklären, da ein unspezifischer Effekt die Experimental- und die Kontrollaufgabe gleichermaßen beeinflussen sollte. Die zeitliche Speziﬁtät eines funktionellen Läsionseffektes ist ein weiteres wichtiges Indiz für die Exklusivität eines durch die TMS induzierten Läsionseffektes. Hierzu wird die TMS zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Aufgabe appliziert. Beeinträchtigt die TMS nur innerhalb eines kritischen Zeitfensters die Durchführung der Aufgabe, erlaubt dies Rückschlüsse darüber, ab wann und für wie lange das stimulierte Kortexareal an der Durchführung der Aufgabe beteiligt ist. Häufig wird die TMS nicht nur über dem eigentlichen kortikalen Zielareal sondern auch über ein oder zwei Kontrollarealen verabreicht, um die räumliche Speziﬁtät des TMS-Läsionseffektes zu überprüfen. Während vom Zielareal angenommen wird, dass es für die zu untersuchende Aufgabe (Hirnfunktion) wichtig ist, werden als Kontrollareale häufig Kortexareale ausgewählt, von denen angenommen wird, dass sie nicht wesentlich zur untersuchten Aufgabe beitragen. Verursacht die TMS-bedingte Funktionsunterbrechung über dem kortikalen Zielareal eine Verhaltensänderung, kann nicht sofort auf eine spezifische Beteiligung des stimulierten Kortex an der Aufgabenprozessierung geschlossen werden. Erst durch den Vergleich mit den als irrelevant vermuteten Zonen, bei denen das gleiche Stimulationsprotokoll zu keinem vergleichbaren Verhaltenseffekt führte, ist die räumliche Spezifität des Läsionseffektes überzeugend gezeigt. Idealerweise sollte ein TMS-Läsionsexperiment sowohl einen aufgaben- und zeitspezifischen, als auch einen ortsspezifischen Läsionseffekt nachweisen. Eine zeitlich und örtlich spezifische Funktionsunterbrechung während der Experimentalaufgabe, nicht jedoch während der Kontrollaufgabe, belegt die funktionelle Relevanz des passager läsionierten Kortexareals für die untersuchte Hirnfunktion.

31.6

31

Prolongierte Läsionseﬀekte nach rTMS

Alternativ zur passageren Funktionsunterbrechung während einer Aufgabe verwenden viele Studien einen Konditionierungsansatz zur kortikalen Läsionierung. Zunächst wird ein hemmendes rTMS-Protokoll über dem kortikalen Zielareal verabreicht, um die Erregbarkeit im konditionierten Kortex anhaltend zu supprimieren (7 Kap. 50). In der Regel wird eine kontinuierliche 1-Hz-rTMS als Stimulationsprotokoll verwendet. Allerdings werden zunehmend andere hemmende Protokolle wie die kontinuierliche Theta-Burst-Stimulation eingesetzt. Dieser experimentelle Ansatz basiert auf der zentralen Annahme, dass die durch die rTMS induzierte Abnahme der kortikalen Erregbarkeit im konditionierten Kortex zu einer funktionellen Läsion führt, die zumindest für mehrere Minuten nach Ende der rTMS anhält. Deshalb führen die Versuchsteilnehmer nicht während, sondern erst nach der rTMS-Konditionierung die experimentelle Aufgabe oder eine Kontrollaufgabe durch. Dieser Konditionierungsansatz (Offline-Läsion) ist konzeptionell allerdings nicht unproblematisch. Elektrophysiologische Untersuchungen am primären motorischen Kortex haben gezeigt, dass die Suppression der kortikalen Erregbarkeit eine hohe interindividuelle Variabilität aufweist (7 Kap. 50). Zudem kann selbst ein »hemmendes« Konditionierungsprotokoll unter bestimmten Umständen eine konsistente Fazilitierung der kortikalen Erregbarkeit bewirken (7 Kap. 54). Somit ist der neurophysiologische Effekt hemmender Protokolle auf die kortikale Erregbarkeit im Einzelfall ungewiss. Sollte der Läsionseffekt wirklich kritisch von der Abnahme der kortikalen Erregbarkeit abhängen, wäre somit zweifelhaft, ob und in welchem Ausmaß eine Funktionsunterbrechung induziert wurde. Die Annahme, eine Abnahme der regionalen Erregbarkeit münde notwendigerweise in einer Funktionshemmung des konditionierten Kortexareals, klingt zwar zunächst plausibel, ist aber bislang nicht belegt. Man könnte genauso gut argumentieren, dass eine anhaltende Bahnung der kortikalen Aktivität unter gewissen Umständen einen Läsionseffekt verursacht, und eine Hemmung kortikaler Erregbarkeit zu einer Funktionsverbesserung führen kann. Weiterhin ist zu bedenken, dass eine fokale rTMS möglicherweise eine rasche komplexe Reorganisation auf Netzwerkebene induziert (Lee et al. 2003). Dies hat zwei Implikationen für die Anwendung der rTMS zur Induktion funktioneller Läsionen. Zum einen kann aufgrund der diffusen Konditionierungseffekte im stimulierten Netzwerk eine Verhaltensänderung nach

314

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Kapitel 31 · Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation

konditionierender rTMS nicht eindeutig dem direkt stimulierten Kortexareal zugeordnet werden. Zum anderen hat das konditionierte Netzwerk die Möglichkeit, sich an die durch die rTMS-induzierte Funktionsänderung anzupassen und den gesetzten Läsionseffekt effektiv zu kompensieren, da die TMS-Läsion nicht unmittelbar während der Durchführung der Aufgabe gegeben wird. In diesem Fall besteht das Risiko, dass die Verhaltensdaten keinen anhaltenden Läsionseffekt anzeigen, obwohl das konditionierte Areal eigentlich zur untersuchten Funktion einen relevanten Beitrag leistet. Oft werden die unmittelbare Online-Läsion während der Aufgabendurchführung und die OfflineLäsion nach rTMS-Konditionierung als austauschbare Methoden dargestellt, die im Wirkprinzip und bzgl. ihrer Aussagekraft vergleichbar sind. Aus den oben ausgeführten Erwägungen heraus ist es nicht gerechtfertigt, die unmittelbare Online-Läsion während der Aufgabendurchführung mit der Offline-Läsion nach rTMS-Konditionierung gleichzusetzen. Wahrscheinlich sorgt die Konditionierung mit der rTMS für eine geringere Funktionsunterbrechung, da das Gehirn Zeit zur kompensierenden Reorganisation hat. Eine temporale Spezifität des Läsionseffektes kann mit einer konditionierenden rTMS vor der Aufgabendurchfüh-

rung nicht nachgewiesen werden. Auch die örtliche Spezifität des Läsionseffektes ist bei einer Offline-Läsion weniger eindeutig ableitbar. Im Gegenzug werden einige unerwünschte Nebeneffekte der akuten TMSLäsion während der Aufgabendurchführung vermieden. Die lauten Klickgeräusche und die somatosensorische Stimulation während der TMS müssen aufgrund der zeitlichen Trennung von rTMS und Aufgabenausführung nicht kontrolliert werden; ebenso wird eine Minderung der Verhaltensleistung durch unbequeme Körperhaltung und Muskelzuckungen im Laufe des Experiments vermieden.

. Abb. .. Grobe Einordnung der räumlich-zeitlichen Auflösung korrelativer und kausaler Methoden der kognitiven Neurowissenschaften: Die TMS in ihren verschiedenen Anwendungsformen bildet eine wichtige Ergänzung als kausales Prüﬁnstrument. CT Computertomograﬁe; dTMS Doppelpuls-

TMS; EEG Elektroenzephalograﬁe; EKP ereigniskorrelierte Potenziale; eTMS Einzelpuls-TMS; fMRT funktionelle Magnetresonanztomograﬁe; MEG Magnetenzephalograﬁe; MRT Magnetresonanztomograﬁe; PET Positronenemissionstomograﬁe; rTMS repetitive TMS

31.7

Ausblick

Dieses Kapitel erörtert nur die grundlegenden Konzepte hinter der TMS-Läsionsmethode. In nachfolgenden Kapiteln (7 Kap. 40‒49) wird an verschiedenen funktionellen Systemen aufgezeigt, wie stark die TMS als Läsionsmethode in den kognitiven Neurowissenschaften bereits Fuß gefasst hat. Dies liegt an der Fähigkeit der TMS, kurzzeitig die neuronale Informationsverarbeitung im stimulierten Kortex zu stören und somit kausale Zusammenhänge der kognitiven Neuroanatomie auf der Systemebene nachzuweisen.

32 33 34 35 36 37 38 39 40

Literatur

Eine Einordnung der räumlichen und zeitlichen Auflösung der TMS-Läsionsverfahren und anderer funktioneller Kartierungsverfahren gibt . Abb. 31.3. Wichtige Impulse für die Anwendung der TMS als Läsionsinstrument sind in den nächsten Jahren durch die Kombination von TMS-Läsionsexperimenten und anderen funktionellen Verfahren zu erwarten. Die bildgebende Darstellung der veränderten neuronalen Aktivierung während einer durch die TMS-induzierten Läsion wird die Interpretierbarkeit der Verhaltenseffekte wesentlich verbessern (Johansen-Berg et al. 2002). Eine weitere wesentliche Erweiterung des TMS-Läsionsansatzes bietet die Induktion multifokaler Läsionen mit hochfokalen Stimulationsspulen. Dieser multifokale Läsionsansatz erlaubt es, die Dynamik kortikokortikaler Interaktionen zwischen wichtigen Komponenten eines funktionellen Netzwerkes zu untersuchen (Pascual-Leone u. Walsh 2001). Ein weiterer viel versprechender Ansatz nutzt die TMS als »Maske« oder als bahnenden Stimulus (engl. prime) und kombiniert die TMS mit anderen physiologischen Stimuli, die ebenfalls als »Maske« oder »prime« fungieren. Die Interaktion der TMS mit den physiologischen Maskierungs- oder »Priming«-Effekten liefert wichtige Einblicke in kortikale Wahrnehmungsprozesse (Campana et al. 2002). Unter bestimmten Umständen kann die fokale TMS, obwohl sie eine fokale Funktionsunterbrechung hervorruft, die Ausführung einer Aufgabe verbessern (Walsh et al. 1998). Künftige Untersuchungen müssen klären, wann und warum eine »virtuelle Läsion« bestimmte Hirnfunktionen passager verbessern kann. TMS-Untersuchungen zur paradoxen Bahnung von Hirnfunktionen werden unser Verständnis erweitern, wie kognitive Systeme miteinander interagieren. Die überwiegende Zahl der TMS-Läsionsexperimente wurde bislang an gesunden Probanden durchgeführt. Aber gerade die Anwendung der TMS als Läsionsexperiment bei Patienten mit neuropsychiatrischen Erkrankungen ist besonders viel versprechend um die krankheitsbedingte funktionelle Reorganisation kognitiver Systeme besser zu verstehen (JohansenBerg et al. 2002).

Literatur 2Amassian VE, Cracco RQ, Maccabee PJ et al. (1989) Suppression of visual perception by magnetic coil stimulation of human occipital cortex. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 74: 458–462 Dieser Beitrag nutzte zum ersten Mal den TMS-Läsionsansatz, um eine kortikale Funktion, die visuelle Wahrnehmung von Trigrammen, kurzzeitig zu unterbrechen. Gleichzeitig

315

31

liefert der Artikel ein eindrucksvolles Beispiel für die mentale Chronometrie mittels TMS. Es gelang den Autoren ein kritisches Zeitfenster einzugrenzen, während dessen die TMS eine Funktionsunterbrechung entfaltet. 1Bestmann S, Thilo KV, Sauner D et al. (2002) Parietal magnetic stimulation delays visuomotor mental rotation at increased processing demands. Neuroimage 17: 1512– 1520 Elegante Untersuchung, die zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines TMS-induzierten Läsionseﬀektes mit der Schwierigkeit der Aufgabe steigt. 2Campana G, Cowey A, Walsh V (2002) Priming of motion direction and area V5/MT: a test of perceptual memory. Cereb Cortex 12: 663–669 Studie, in der es gelang, mit der TMS über dem Areal V5/MT orts- und aufgabenspeziﬁsch die perzeptive Bahnung (engl. perceptual priming) der Bewegungswahrnehmung durch einen subliminalen Bewegungsreiz zu unterdrücken. 2Hill AC, Davey NJ, Kennard C (2000) Current orientation induced by magnetic stimulation inﬂuences a cognitive task. Neuroreport 11: 3257–3292 Dieser Beitrag ist für den Einsatz der TMS zur Funktionsunterbrechung von großer methodischer Relevanz. Die Autoren konnten zeigen, dass ein Läsionseﬀekt einer medialen präfrontalen TMS auf die Ausführung gedächtnisgeführter Sakkaden kritisch von der durch die TMS induzierten Stromrichtung im stimulierten Kortex abhängt. Dies zeigt, dass die induzierte Stromrichtung (und somit die Orientierung der TMS-Spule) den Läsionseﬀekt der TMS beeinﬂusst und als separate Variable in TMS-Läsionsstudien berücksichtigt werden muss. Jahanshahi M, Rothwell J (2000) Transcranial magnetic stimulation studies of cognition: an emerging ﬁeld. Exp Brain Res 131: 1–9 2Johansen-Berg H, Rushworth MF, Bogdanovic MD et al. (2002) The role of ipsilateral premotor cortex in hand movement after stroke. Proc Natl Acad Sci U S A 99: 14518– 14523 Dieser Artikel belegt das Potenzial der fokalen Funktionsunterbrechung mittels TMS, um bei Patienten (hier: Patienten nach Schlaganfall) die Reorganisation funktioneller Netzwerke (hier: im motorischen System) zu untersuchen. Die Arbeit zeigt auch eindrucksvoll den komplementären Nutzen von funktioneller Bildgebung und TMS-Experimenten zur Funktionslokalisation im menschlichen Gehirn. Lee L, Siebner HR, Rowe JB et al. (2003) Acute remapping within the motor system induced by low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 23: 5308–5318 Pascual-Leone A, Bartres-Faz D, Keenan JP (1999) Transcranial magnetic stimulation: studying the brain-behaviour relationship by induction of ’virtual lesions’. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci 354: 1229–1238 2Pascual-Leone A, Walsh V (2001) Fast backprojections from the motion to the primary visual area necessary for visual awareness. Science 292: 510–512 Der Artikel liefert ein illustratives Beispiel für das Potenzial der bifokalen TMS über zwei Kortexarealen zur Erforschung

316

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 31 · Passagere Funktionsunterbrechung mit der transkraniellen Magnetstimulation

funktioneller kortikokortikaler Interaktionen. Am Beispiel des visuellen Kortex wird aufgezeigt, wie die Wechselwirkungen zwischen den Arealen V1 und V5 mit zeitlich synchronisierten TMS-Einzelreizungen beider Areale untersucht werden können. 2Sinjatchkin M, Groppa S, Jerosch B et al. (2007) Spreading photoparoxysmal EEG response is associated with an abnormal cortical excitability pattern. Brain 130: 78–87 Elegante Studie zur Unterdrückung der visuellen Wahrnehmung während einer okzipitalen TMS bei fotosensitiven Personen. Gesunde Probanden mit einer generalisierten paroxysmalen EEG-Antwort auf eine intermittierende Fotostimulation zeigten einen stärker ausgeprägten TMS-Läsionseﬀekt als gesunde Probanden ohne eine fotoparoxysmale Reaktion im EEG. Walsh V, Cowey A (2000) Transcranial magnetic stimulation and cognitive neuroscience. Nat Rev Neurosci 1: 73–79 2Walsh V, Ellison A, Battelli L, Cowey A (1998) Task-speciﬁc impairments and enhancements induced by magnetic stimulation of human visual area V5. Proc Biol Sci 265: 537–543 In dieser Untersuchung zeigen die Autoren, dass die fokale TMS mitunter auch die perzeptive Leistung der Probanden verbessern kann. Die Autoren präsentierten bewegte visuelle Stimuli während einer visuellen Suchaufgabe, welche die Verarbeitung von Farbe und Form der Stimuli erforderte. In diesem Kontext besserte eine virtuelle Läsion des Areals V5/ MT, das visuelle Bewegungsreize verarbeitet, die Performanz der Probanden.

317

32

Neuronavigation der transkraniellen Magnetstimulation Uwe Herwig, Carlos Schönfeldt-Lecuona 32.1

Positionierungsstrategien – 318

32.2

32.1.1 32.1.2

Konventionelle Methoden – 318 Bildgebungsgestützte Nicht-EchtzeitPositionierung – 318 Neuronavigation der Spule in Echtzeit – 318

Stereotaktische Spulenpositionierung – 319

32.2.1 32.2.2 32.2.3

Komponenten – 319 Durchführung – 320 Vorteile und Grenzen – 321

Literatur

– 321

32.1.3

ZUM THEMA Die erfolgreiche Anwendung der TMS steht und fällt mit einer korrekten Positionierung der Stimulationsspule über dem kortikalen Zielareal. In der Regel wird mit der TMS entweder die Funktion eines Hirnrindenareals geprüft oder mit therapeutischem Ziel ein bestimmtes Kortexareal stimuliert, dem eine Einbindung in die Pathophysiologie der betreﬀenden Erkrankung zugeschrieben werden kann. In jedem Fall ist es erforderlich, die Zielregion mit der TMS überpüfbar zu erreichen. Zur Positionierung der Stimulationsspule werden 3 Methoden mit unterschiedlicher Genauigkeit eingesetzt: 1. Konventionelle Strategien zentrieren die Stimulationsspule über der Zielregion ohne Steuerung oder Überprüfung durch bildgebende Verfahren. Hierbei wird die funktionelle Auswirkung der TMS (z. B. die durch die TMS ausgelöste Muskelantwort) als Indikator für die korrekte Spulenposition verwen-

2.

3.

det. Alternativ wird das internationale 10–20-System zur EEG-Elektrodenpositionierung verwendet. Neuere Positionierungsverfahren nutzen die zerebrale Bildgebung, um die Spulenposition an die individuelle Anatomie anzupassen. Hier kommt die zerebrale Bildgebung entweder vor oder nach der Stimulation (oﬄine) zum Einsatz, um die Spulenposition zu Beginn oder am Ende des Experimentes zu kontrollieren bzw. zu dokumentieren. Rahmenlose, stereotaktische, bildgebungsgesteuerte Methoden ermöglichen die Positionierung und Kontrolle der Spulenposition in Echtzeit (online). Dieser Ansatz ist aktuell das genaueste Verfahren zur Spulenpositionierung und ist insbesondere dann empfehlenswert, wenn fokale Stimulationsspulen und niedrige Stimulusintensitäten verwendet werden.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

318

Kapitel 32 · Neuronavigation der transkraniellen Magnetstimulation

32.1

Positionierungsstrategien

32.1.2 Bildgebungsgestützte Nicht-

Echtzeit-Positionierung 32.1.1 Konventionelle Methoden Die einfachste Methode einer zuverlässigen Positionierung beruht auf der Platzierung der Spule mit unmittelbarer Überprüfung durch den Stimulationserfolg anhand klar definierbarer funktioneller Kriterien. Dies ist aber lediglich in Kortexregionen möglich, wo sich mit der TMS objektiv messbare Phänemone (z. B. eine Muskelzuckung) oder subjektiv wahrnehmbare Phänemone (z. B. Phosphene) induzieren lassen. Dazu gehören der primär motorische Kortex mit entsprechend ableitbaren motorisch evozierten Potenzialen (MEP) oder sichtbaren Muskelkontraktionen sowie, visuelle Kortexareale, über denen sich Phosphene auslösen lassen (Herwig et al. 2001a, Schönfeldt-Lecuona u. Herwig 2003). Sollen allerdings andere Kortexareale erreicht werden, müssen zusätzliche Kriterien für die Spulenpositionierung herangezogen werden. So wurde diese funktionell orientierte Positionierung durch anatomische Kriterien ergänzt. Bei der experimentellen Behandlung von Depressionen wird z. B. über dem dorsolateralen Kortex stimuliert. Das primäre motorische Handareal wird funktionell über die Auslösung einer Motorantwort identifiziert. Das Spulenzentrum wird dann vom motorischen »hot spot« in der Sagittallinie 5 cm nach rostral verschoben, um den dorsolateralen präfrontalen Kortex zu erreichen. In einer Überprüfung mit der Neuronavigation zeigte sich jedoch, dass dieser funktionelle Ansatz anatomisch nicht zuverlässig genug ist, um den dorsolateralen präfrontalen Kortex zielsicher zu erreichen (Herwig et al. 2001b). Grundsätzlich ist es aber auf diese Weise möglich, mit Bezug auf den motorischen »hot spot«, Hirnregionen in der Nähe der Zentralregion (z. B. den prämotorischen Kortex oder den primären sensorischen Kortex) anzusteuern. Für Regionen, die von der Zentralfurche weiter entfernt liegen, ist diese Methode allerdings nicht zu empfehlen, da die Ungenauigkeit in der Grössenordnung von einigen Zentimetern liegen dürfte. Eine weitere konventionelle Methode ist die Orientierung der Spulenpositionierung anhand des internationalen 10‒20-Systems für die Positionierung von EEG-Elektroden. Es lokalisiert Hirnregionen zwar nur indirekt, da die Positionen am Schädel ausgemessen werden und die individuelle Kortexanatomie nicht berücksichtigt wird, es kann jedoch gemäß Koregistrierungen mit der Hirnanatomie bei Streuungen von maximal ca. 20 mm über den Elektrodenpositionen für mittelgradig genaue Positionierungen eingesetzt werden (Herwig et al. 2003a).

Zuverlässiger als die konventionellen Methoden sind Positionierungsstrategien, welche die zerebrale Bildgebung wie die Magnetresonanztomografie (MRT) vor oder nach dem TMS-Experiment (offline) nutzen, um die Spulenposition zu Beginn oder am Ende des Experimentes zu überprüfen. Hierbei wird die Spulenposition über der zu stimulierenden Region mittels struktureller Bildgebung ermittelt oder die stimulierte Region im Nachhinein mit den strukturellen Bilddaten überprüft. So kann beispielsweise vor der Magnetstimulation eine strukturelle MRT mit an der Kopfhaut angebrachten MR-kontrastgebenden Markern durchgeführt werden. In der Praxis werden dafür oft Vitamin E- oder Nifedipin-Kapseln verwendet (Terao et al. 1998). Anschließend kann anhand der Marker die Orientierung der Magnetspule und deren Positionierung erfolgen. Diese Lösung ist kostengünstig und einfach anzuwenden, allerdings kann die individuelle zerebrale Anatomie nur grob orientierend und indirekt berücksichtigt werden. Präziser ist die Offline-Anwendung stereotaktischer Neuronavigationsmethoden. Zunächst wurde dafür der auf Radiofrequenzsignalen basierende Polhemus Isotrak II (Fa. Polhemus Digital Corp. Colchester, VT, USA) für Positionierungszwecke verwendet (Wassermann et al. 1996). Mit einem Referenzierungsstift werden anatomische Referenzpunkte am Kopf des Probanden erfasst, die mit der zuvor durchgeführten, zerebralen MRT des Probanden koregistriert werden. Anschließend lassen sich mit dem Stift vor oder nach Durchführung der Stimulation die Stimulationsorte anpeilen und bildlich mit guter Präzision im Verhältnis zum Gehirn darstellen. Diese Positionierungstechnik ist jedoch nicht geeignet für eine Navigation der Spule in Echtzeit (online), da sie durch die Magnetstimulation (Interferenz mit den Radiowellen) gestört wird.

32.1.3 Neuronavigation der Spule in

Echtzeit Bei der stereotaktischen Neuronavigation findet die Positionierung unter ständiger visueller Kontrolle der Position auf einem Bildschirm im Bezug zur strukturellen Anatomie des Kopfes statt. Sie wird seit Anfang der 90er-Jahren zur Planung und Steuerung neurochirurgischer Eingriffe eingesetzt (z. B. zur Ortung neurochirurgischer Instrumente). Entsprechende Systeme werden seit 1997 auch zur Positionierung der Stimula-

319

32.2 Stereotaktische Spulenpositionierung

tionsspule für die TMS genutzt. Während bei Operationen in Narkose die Fixierung des Kopfes in einem Stereotaxie-Rahmen keine Belastung für den Patienten darstellt, haben sich für die Magnetstimulation fixationsfreie, rahmenlose Verfahren durchgesetzt. Bei der stereotaktisch navigierten TMS lassen sich 2 prinzipielle Ansätze unterscheiden: 1. Die Navigation mit mechanischen Gelenkarmen. Dieser Ansatz beruht auf der Anwendung von mit Gelenksensoren versehenen Armen, die am Kopf des Probanden und an der Stimulationsspule befestigt werden und somit deren Position in einem gemeinsamen Koordinatensystem registrieren (Kammer u. Nusseck 1998). Mit diesemVerfahren ist während der Stimulation eine gute Einstellung und Kontrolle der Spulenposition möglich. Eine spezielle Software kann zudem eine probandengesteuerte Korrektur bzw. Wiedereinstellung der Spulenposition gewährleisten. Durch die Fixierung von Kopf und Spule an den Gelenkarmen sind die Bewegungsfreiheitsgrade allerdings relativ eingeschränkt. 2. Die optisch bzw. akustisch gesteuerte Navigation. Dieser Ansatz benutzt Infrarot-Leuchtdioden oder Infrarot reflektierende Kugeln (engl. passive spheres) bzw. Ultraschall reflektierende Marker, die über einen Träger am Kopf des Probanden und an der Stimulationsspule angebracht werden (Ettinger et al. 1998). Über ein Detektorsystem wird die Position der an Kopf und Spule fixierten Träger in einem gemeinsamen Koordinatensystem registriert. Diese optisch oder akustisch geleiteten stereotaktischen Spulenpositionierungen haben mittlerweile die grösste Verbreitung erfahren und stellen einen präzisen, zuverlässigen und praktikablen Ansatz dar. Das Funktionsprinzip des optischen bzw. akustischen stereotaktischen Ansatzes wird im folgenden Abschnitt näher erläutert.

32.2

32

führungen beziehen sich auf die neuronavigierte TMS mit einer achterförmigen Schmetterlingsspule.

32.2.1 Komponenten Das Ziel ist, die Spulenposition mit dem Fokus des Magnetfeldes relativ zum 3D-Bild der individuellen MRT-Aufnahme des Gehirns auf dem Computermonitor darzustellen und die Spulenbewegungen während der Stimulation in Echtzeit zu verfolgen (. Abb. 32.1). Für die stereotaktische Neuronavigation sind 3 Komponenten notwendig: 1. Träger mit 3 Infrarot-Leuchtdioden oder Ultraschall bzw. Infrarot reflektierenden Kügelchen bilden einen dynamischen Referenzrahmen (engl. dynamic reference frame). Je ein Träger wird am Kopf des Probanden und am Griff der Stimulationsspule befestigt. Es sind mindestens 3 Infrarot-Leuchtdioden oder Ultraschall reflektierende Kügelchen pro Träger (pro Referenzrahmen) nötig, um die Information über den jeweilgen Ort von Kopf und Spule im Raum spezifisch zu erfassen. Diese Referenzrahmen liefern somit die nötige räumliche Information über die Spulenund Kopfposition, um sie in einem gemeinsamen stereotaktischen Bezugssystem darzustellen. 2. Als 2. Komponente ist ein Detektorsystem erforderlich. Dieses dient als Empfänger und erfasst stereotaktisch über 2‒3 Kameras oder Ultraschallmikrofone die Positionen der dynamischen Referenzrahmen in allen 6 Freiheitsgraden (Translati-

Stereotaktische Spulenpositionierung

Für die stereotaktische Neuronavigation ist es grundsätzlich sinnvoll, eine Achterspule (Doppelspule) zu verwenden. Da dieser Spulentyp unter dem Kreuzungspunkt der Spulenwindungen ein klar definiertes Maximum des induzierten elektromagnetischen Feldes aufweist (7 Kap. 3), induziert die Schmetterlingsspule im Gegensatz zur sog. Rundspule eine relativ fokale Stimulation der Hirnrinde unter dem geometrischen Mittelpunkt der Spule. Die folgenden Aus-

. Abb. .. Technische Komponenten der neuronavigierten TMS. 1 Kamerasystem 2 Achterspule mit einem dynamischen Referenzrahmen 3 Kopfband mit zugehörigem dynamischen Referenzrahmen 4 Referenzierungsstift. Erläuterungen 7 Abschn. 32.2.1 und 32.2.2. (Mit freundlicher Genehmigung von O. Granert, Klinik für Neurologie, Christian-Albrechts-Universität Kiel)

320

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Kapitel 32 · Neuronavigation der transkraniellen Magnetstimulation

onen x, y, z und Rotationen um die x-, y-, z-Achse). 3. Die 3. Komponente ist die Computereinheit mit der Navigationssoftware, welche die Rauminformationen berechnet und nach einer Referenzierungsprozedur die Stimulationsspule und den Kopf des Probanden im Verhältnis zur individuellen MRT-Aufnahme auf dem Bildschirm visualisiert.

32.2.2 Durchführung Zunächst muss die Zielregion für die Stimulation klar hinsichtlich der Kortexanatomie definiert sein. Für die stereotaktisch navigierte Spulenpositionierung wird zunächst eine hochauflösende (empfohlene Voxelgröße: 1×1×1 mm) T1-gewichtete MRT-Aufnahme des Gehirns angefertigt und diese strukturelle MRT-Aufnahme in die Navigationssoftware eingelesen. Auf dieser MRT kann nun in der Software die zu stimulierende Region markiert werden (. Abb. 32.2). Prinzipiell ist dies auch mittels Koregistrierung individueller funktioneller Aktivierungskarten möglich, die in einem funktionellen MRT-Experiment erhoben wurden. Eine solche Koregistrierung hat den Vorteil, dass die Informationen über individuelle regionale Akti-

32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .. Echtzeitdarstellung der Spulenposition auf dem Bildschirm in Bezug auf die individuelle strukturelle MRT des Gehirns. Die Darstellung erfolgt in diesem Falle dreidimensional in der Axial-, Sagittal- und Coronarebene. In der MRT kann die zu stimulierende Region, hier der rechte dorsolaterale präfrontale Kortex, markiert und gezielt angesteuert werden. A anterior; P posterior; L links, R rechts, H oben (Head)

vierungsmaxima als funktionelles Kriterium zusätzlich zu der strukturellen neuroanatomischen Information bei der stereotaktischen Spulenpositionierung mitberücksichtigt werden können. Nun muss ein mit 3 Leuchtdioden oder akustischen Reflektoren ausgestatteter dynamischer Referenzrahmen am Kopf des Probanden befestigt werden. Dafür eignen sich zum Beispiel Latex-Stretch-Badekappen, auf welche der Referenzrahmen mit Klebeband fixiert werden kann. Dies kann flexibel über einer Region erfolgen, welche nicht stimuliert werden soll. Dieser Ansatz zeigt eine gute Reliabilität der Spulenpositionierung innerhalb einer Sitzung sowie zwischen verschiedenen Sitzungen (Schönfeldt-Lecuona et al. 2005). Alternativ ist auch die Verwendung der von den Herstellern angebotenen Fixierungsmethoden möglich. Der Kopf des Probanden behält so seine Bewegungsfreiheit. Auch am Griff der Stimulationsspule wird ein dynamischer Referenzrahmen fest installiert. Der nächste Schritt dient der stereotaktischen Referenzierung. In diesem Schritt werden die Referenzrahmen für Kopf und Spule zu den eingelesenen MRT-Aufnahmen, also zu der individuellen Anatomie des Gehirns, ins Verhältnis gesetzt. Grundsätzlich ist zu Beginn jedes TMS-Experiments eine neue Referenzierung vorzunehmen. Damit wird nun die Information über das Verhältnis des Kopfes zur Spule im Raum in einem gemeinsamen Koordinatensystem berechnet. Für dieses Prozedere werden mit einem Referenzierungsstift mindestens 3 genau zu bestimmende anatomische Referenzpunkte (engl. landmarks), wie Nasion, Orbitaränder, Tragi der Ohren, die zuvor an der 3D-Oberflächenrekonstruktion der individuellen MRT definiert wurden, berührt und bei Berührung die Rauminformation gespeichert. So wird diese Information von der Navigationssoftware mit der MRT der betreffenden Person in einem gemeinsamen Koordinatensystem koregistriert. Auf dem Bildschirm kann nun die Spulenposition im Verhältnis zur individuellen Neuroanatomie des Gehirns dargestellt werden. Die Darstellung der Spulenposition erfolgt je nach Software z. B. virtuell mit einer gestrichelten Linie, die eine Senkrechte durch den Spulenmittelpunkt darstellt (. Abb. 32.2). Diese zeigt den Ort des Maximums des elektromagnetischen Feldes im Verhältnis zur Kortexanatomie an. Die Anzeige kann durch Schnittbilder in den 3 Ebenen axial, sagittal, koronar oder als Oberflächendarstellung des Gehirnes erfolgen (. Abb. 32.2). Nun können die anatomisch definierten Zielorte für die Stimulation aufgesucht und dokumentiert werden. Ebenso wird die Stabilität der Spulenposition während der Stimulation geprüft.

321

Literatur

32.2.3 Vorteile und Grenzen Die stereotaktische Neuronavigation eignet sich insbesondere für zwei Anwendungsbereiche. In den kognitiven Neurowissenschaften können mit ihrer Hilfe Ergebnisse funktionell bildgebender Studien mittels TMS überprüft und weiter charakterisiert werden. Wurde auf der individuellen Ebene zum Beispiel mittels fMRT eine bestimmte Region des präfrontalen Kortex identifiziert, die in das Arbeitsgedächtnis eingebunden ist (Herwig et al. 2003b), kann diese Region nun gezielt angesteuert und während der Durchführung einer Arbeitszeitgedächtnisaufgabe stimuliert werden. Die TMS führt zu einer vorübergehenden Funktionsunterbrechung, indem die durch die TMS ausgelöste Neurostimulation mit der lokalen Informationsverarbeitung im präfrontalen Kortex interferiert (7 Kap. 31). Ist die in der fMRT nachgewiesene Aktivierung des präfrontalen Kortex für das Arbeitsgedächtnis relevant, sollte die TMS der präfrontalen kortikalen Region die individuelle Leistungsfähigkeit während der Arbeitszeitgedächtnisaufgabe beeinträchtigen. Darüber hinaus können über eine experimentelle Variation des Zeitpunktes der TMS während der Aufgabe chronometrische Aspekte der Informationsverarbeitung untersucht werden (7 Kap. 31). Der zweite Anwendungsbereich ergibt sich für therapeutische Anwendungen der TMS (7 Kap. 55). Werden bei bestimmten psychischen oder neurologischen Erkrankungen pathophysiologisch relevante Hirnareale identifiziert und erscheint eine TMS neurobiologisch begründet und therapeutisch sinnvoll, so können diese Areale wiederum mit der Neuronavigation gezielt aufgesucht und stimuliert werden (Schönfeldt-Lecuona et al. 2004). Auch ermöglicht die Neuronavigation, dass über multiple Sitzungen hinweg das kortikale Zielareal mit goßer Wiederholungsgenauigkeit angesteuert werden kann. Durch die stereotaktische Navigation lassen sich die Vorteile der hohen Ortsauflösung der MRT im Millimeterbereich und der hohen zeitlichen Auflösung der TMS im Millisekundenbereich vereinen. Die Grenzen der räumlichen Auflösung werden durch die Genauigkeit des Bildgebungsverfahrens bestimmt, mit dem die zu stimulierenden Hirnregion definiert wurde. Basiert die Neuronavigation auf mit der funktionellen Bildgebung gewonnene Aktivierungskarten, so liegt die räumliche Präzison in der Größenordnung von wenigen Millimetern. Zudem ist die Genauigkeit der Referenzierungsmethode begrenzend, wobei diese, von einem erfahrenen Untersucher durchgeführt, ebenfalls in der Größenordnung von wenigen Millimetern liegt (Schönfeldt-Lecuona et al. 2005). Die

32

wesentliche Quelle für die räumliche Ungenauigkeit ergibt sich jedoch aus dem physikalisch-komplexen Verhältnis vom Ort der maximalen Stärke des induzierten elektromagnetischen Feldes, welches unter dem Spulenmittelpunkt lokalisiert werden kann, und dem tatsächlichen Ort der neuronalen Depolarisation. Grundsätzlich kann die Darstellung des Spulenmittelpunktes im Bezug zum Gehirn aber als gute Näherung für den Ort der stärksten Depolarisation angesehen werden (7 Kap. 2). Es existieren Software-Lösungen, welche zusätzlich noch die Ausbreitung des durch die Spule im Kortex induzierten elektromagnetischen Feldes mit den entsprechenden Magnetfeldstärken visualisieren. Dies sollte den Anwender allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Visualisierung nicht mit dem Ort der tatsächlichen Depolarisation gleichzusetzen ist. Letzlich kann die stereotaktische Neuronavigation zwar relativ genau den Ort des maximalen Magnetfeldes aufzeigen, aber für sich genommen keine exakte Information über die optimale oder die tatsächliche Stromrichtung und Stimulusintensität im Zielareal bieten. Diese wird in komplexer Weise durch die lokale Anatomie der Gyri und Sulci bestimmt. Auf der anderen Seite liegt die Grösse des stimulierten Areals je nach Intensität bei bis zu mehreren Quadratzentimetern (Herwig et al. 2002), so dass Ungenauigkeiten der Navigation im Millimeterbereich kompensiert werden. Hinsichtlich des apparativen Aufwandes stehen durch Weiterentwicklung mittlerweile Platz sparende, anwenderfreundliche Systeme zur Verfügung. Ein erfahrener Untersucher benötigt für die Vorbereitung der Navigation ca. 10 min. Zusammenfassend bietet die optisch oder akustisch geleitete stereotaktische Neuronavigation den aktuell besten Standard für eine Echtzeit-Navigation der transkraniellen Magnetstimulation.

Literatur Ettinger GJ, Leventon ME, Grimson WE (1998) Experimentation with a transcranial magnetic stimulation system for functional brain mapping. Med Image Anal 2: 133–142 Herwig U, Schönfeldt-Lecuona C, Wunderlich AP et al. (2001a) The navigation of transcranial magnetic stimulation. Psychiatry Res Neuroimaging 108: 123–131 Herwig U, Padberg F, Unger J et al. (2001b) Transcranial magnetic stimulation in therapy studies: examination of the reliability of »standard« coil positioning by neuronavigation. Biol Psychiatry 50: 58–61 Herwig U, Kölbel K, Wunderlich AP et al. (2002) Spatial congruence of neuronavigated transcranial magnetic stimulati-

322

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 32 · Neuronavigation der transkraniellen Magnetstimulation

on and functional neuroimaging. Clin Neurophysiol 113: 42–48 Herwig U, Satrapi P, Schönfeldt-Lecuona C (2003a) Using the International 10–20 system for positioning of transcranial magnetic stimulation. Brain Topogr16: 95–99 Herwig U, Abler B, Wunderlich A et al. (2003b) Verbal storage in a premotor-parietal network: evidence from fMRI-guided magnetic stimulation. Neuroimage 20: 1032–1041 Kammer T, Nusseck HG (1998). A new method to measure and maintain the position of the magnetic coil with respect to the head. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 107: 74 Schönfeldt-Lecuona C, Herwig U (2003) Positionierungsstrategien für die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Dtsch Z Nervenheilkd 22: 177–181 Schönfeldt-Lecuona C, Grön G, Walter H et al. (2004) Stereotaxic rTMS for the treatment of auditory hallucinations in schizophrenia. Neuroreport 15: 1969–1973 Schönfeldt-Lecuona C, Thielscher A, Wunderlich A et al. (2005) Accuracy of frameless stereotaxic TMS positioning. Brain Topogr 17: 253–259 Terao Y, Ugawa Y, Sakai K et al. (1998) Localizing the site of magnetic brain stimulation by functional MRI. Exp Brain Res 121: 145–152 Wassermann EM, Wang B, Zeﬃro TA et al. (1996) Locating the motor cortex on the MRI with transcranial magnetic stimulation and PET. Neuroimage 3: 1–9

323

33

Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität Mathias Wahl, Günther Heide, Ulf Ziemann 33.1 33.1.1 33.1.2 33.1.3

33.1.4

33.1.5

Intrakortikale und kortikospinale Erregbarkeit – 324 Allgemeines – 324 Erregbarkeitsänderungen vor, während und nach einer Bewegung – 324 Erregbarkeitsänderungen bei Beendigung und Unterdrückung einer Bewegung – 325 Erregbarkeitsänderungen bei Vorstellung und Beobachtung einer Bewegung – 326 Die ermüdende Kontraktion – 326

33.2

Kortikokortikale Konnektivität – 327

33.2.1 33.2.2

Allgemeines – 327 Interhemisphärische Konnektivität zwischen den primären motorischen Handarealen – 328 Interhemisphärische Konnektivität zwischen dem dorsalen prämotorischen und dem primär motorischem Kortex – 330

33.2.3

33.3

Ausblick – 331

Literatur

– 331

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über experimentelle Ansätze, wie durch Messung motorkortikaler und kortikospinaler Erregbarkeit die physiologischen Grundlagen willkürmotorischer Prozesse der Bewegungssteuerung, wie z. B. die Vorbereitung, Durchführung oder Beendigung einer Bewegung, untersucht werden können. Auch die Auswirkungen der Beobachtung oder Imagination einer Bewegung auf motorkortikale und kortikospinale Erregbarkeit oder die Grundlagen zentraler Ermüdung können durch diesen Ansatz getestet werden. Willkürliche Bewegungen involvieren auch Interaktionen in einem distribuierten kortikokortikalen

Netzwerk. Zum Beispiel ist für die Unterdrückung von Spiegelbewegungen eine hemmende Interaktion zwischen den motorischen Kortexarealen der beiden Hemisphären wichtig, für die Bewegungsauswahl spielen Interaktionen zwischen dorsalem prämotorischen Kortex und primär motorischem Kortex eine Rolle. Diese funktionelle kortikokortikale Konnektivität und ihre Modulation durch willkürmotorische Prozesse können mittels Doppelpuls-TMS-Protokollen untersucht werden. Schließlich kann eﬀektive kortikokortikale Konnektivität durch repetitive TMS im Modus der virtuellen Läsion untersucht werden.

324

Kapitel 33 · Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität

21

33.1

Intrakortikale und kortikospinale Erregbarkeit

22

33.1.1 Allgemeines

23

Die verfügbaren Protokolle zur Messung intrakortikaler und kortikospinaler Erregbarkeit des primären motorischen Kortex mittels TMS werden im Detail in anderen Kapiteln besprochen (7 Kap. 5, 14–18, 34). In diesem Kapitel wird gezeigt wie diese Kennwerte kortikaler Erregbarkeit eingesetzt werden können, um verschiedene Funktionszustände des motorischen Kortex, z. B. vor, während und nach einer Willkürbewegung, zu untersuchen.

24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

wenn dieser dem MEP unmittelbar vorausgeht oder unmittelbar folgt. In letzterem Fall kommt es durch die Auslösung einer kontralateralen, kortikalen Innervationsstille (engl. contralateral cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) typischerweise zu einer Verzögerung der willkürmotorischen Antwort. Dieser Effekt ist umso stärker ausgeprägt, je näher der Zeitpunkt des TMS-Pulses am vermuteten Beginn der Willkürantwort liegt (Ziemann et al. 1997; . Abb. 33.1). Ähnlich dem Zielmuskel kommt es auch in NichtZielmuskeln, sowohl ipsi- als auch kontralateral, vor einer Willkürbewegung als Ausdruck einer veränderten kortikospinalen Erregbarkeit zu einer Veränderung der MEP-Amplitude. Im Gegensatz zum Ziel-

33.1.2 Erregbarkeitsänderungen vor,

während und nach einer Bewegung Die TMS eröffnet Möglichkeiten, motorkortikale und kortikospinale Erregbarkeit vor, während und nach der Ausführung von Bewegungen zu untersuchen. Als Ausdruck von Veränderungen kortikospinaler Erregbarkeit nimmt die MEP-Amplitude in einem Zielmuskel entweder ab oder zu. Übereinstimmend haben eine Reihe von Untersuchungen eine Zunahme der MEP-Amplitude vor dem Beginn der EMG-Aktivität bei Durchführung einer Willkürbewegung gezeigt (Rossini et al. 1988; Ziemann et al. 1997). Bezüglich der Dauer, in der eine erhöhte Entladungsrate von kortikospinalen Neuronen im motorischen Kortex der Bewegung vorausgeht, bestehen unterschiedliche Ansichten. In Einzelzellableitungen an wachen Primaten ändert sich die kortikospinale Entladungsrate bis zu 400 ms vor dem Beginn der Willküraktivität im Muskel bei einer selbst initiierten Kontraktion und bis zu 100 ms vor der Reaktion in einer Reaktionszeitaufgabe. Letztgenanntes Zeitintervall spiegelt den Zeitverlauf der MEP-Amplitudenzunahme in humanen TMSReaktionszeitexperimenten wider, mit einem Beginn ca. 100 ms vor der Reaktion (Rossini et al. 1988; Ziemann et al. 1997; . Abb. 33.1). Die stetig zunehmende kortikospinale Erregbarkeit vor einer Willkürbewegung reflektiert vermutlich den Zeitbedarf, der zum Aufbau ausreichender kortikospinaler Aktivität notwendig ist, um schließlich eine Depolarisation spinaler Motorneurone zu bewirken. Die oben genannten Untersuchungen beruhen auf der Messung der Modulation kortikospinaler Erregbarkeit während einer Reaktionszeitaufgabe. Dabei gestaltet sich die Bestimmung des genauen Beginns der Willküraktivität im EMG dann problematisch,

. Abb. .. Kortikospinale Erregbarkeit vor und während einer Bewegung. Einzeldurchläufe rektiﬁzierter (gleichgerichteter) EMG-Aufzeichnungen vom rechten M. interosseus dorsalis manus I während einer einfachen Reaktionszeitaufgabe (Indexﬁngerﬂexion als Antwort auf ein visuelles Reaktionssignal). Die vertikale gepunktete Linie gibt den Beginn des Reaktionssignals (Go-Signals) an. Die oberste Spur zeigt eine EMGAntwort ohne TMS (Kontrolle) nach ca. 170 ms. Die anderen Durchläufe zeigen Test-Durchläufe mit TMS über dem Handareal des linken primären motorischen Kortex zu verschiedenen Zeitpunkten (Sterne) während der Reaktionsvorbereitung. Die Intensität der Einzelreiz-TMS betrug 20% der Stimulatorleistung über der kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe. Die MEP-Amplitude nimmt zu, je später die TMS vor dem vermuteten Zeitpunkt der EMG-Antwort gegeben wird (vgl. insbesondere Spuren 3–5). In den Spuren 4 und 5 ist zudem zu erkennen, dass der Beginn der EMG-Antwort durch den TMS-Puls verzögert wird. In der untersten Spur fällt TMS in die bereits ablaufende EMG-Antwort. (Aus Ziemann et al. 1997; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier Science B.V.)

33.1 Intrakortikale und kortikospinale Erregbarkeit

muskel tritt in Nicht-Zielmuskeln jedoch vor oder mit Beginn der Willküraktivität eine Verminderung der MEP-Amplitude auf (Leocani et al. 2000; Sohn u. Hallett 2004; Sohn et al. 2003). Diese Abnahme der Erregbarkeit könnte dazu beitragen, die Kontraktion auf den Zielmuskel zu fokussieren und unwillkürliche Kokontraktionen anderer Muskeln zu verhindern. Diese Fokussierung der kortikospinalen deszendierenden Erregungen basiert wesentlich auf der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI; 7 Kap. 16). Diese nimmt während einer Willkürbewegung im Zielmuskel ab und gleichzeitig ‒ zumindest bei einem Teil gesunder Individuen ‒ in den umliegenden Muskeln im Sinne einer sog. Umfeldhemmung (engl. surround inhibition) zu (Stinear u. Byblow 2003). Analog dem MEP ist die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (SICI) im agonistischen Muskel vor dem Beginn der Kontraktion vermindert und vor Terminierung der Kontraktion erhöht. Ballistische isotone Bewegungen im Handgelenk sind durch ein triphasisches Aktivitätsmuster mit präziser zeitlicher Abfolge gekennzeichnet. Einem primären sog. EMG-Burst des agonistischen Muskels folgt ein EMG-Burst im antagonistischen Muskel zur Abbremsung der initialen Bewegung und ein terminaler agonistischer Burst zur Unterdrückung nachlaufender Oszillationen im Gelenk. Während der primäre EMG-Burst im agonistischen Muskel durch ansteigende kortikospinale Erregbarkeit über 80‒100 ms vorbereitet wird (s. oben), treten im antagonistischen Muskel die MEP-Fazilitierung und der EMG-Burst zeitgleich auf (MacKinnon u. Rothwell 2000). Die fehlende Verzögerung zwischen der Bahnung der MEPund der peripheren EMG-Antwort kann darauf hinweisen, dass sich die Generierung des antagonistischen EMG-Bursts einer bereits erhöhten kortikospinalen Erregbarkeit bedient und ein Aufbau kortikospinaler Aktivität nicht erneut notwendig ist. Einzelzellableitungen im motorischen Kortex wacher Affen zeigten, dass ein wesentlicher Anteil der kortikospinalen Neurone ihr Entladungsverhalten bereits im Intervall zwischen einem instruktiven Warnsignal und einem darauf folgenden Reaktionssignal zum Abruf der instruierten Bewegung verändert. Viele Neurone, die eine Steigerung der Entladungsrate während einer bestimmten Bewegung aufweisen, zeigen diese bereits spezifisch auf ein Warnsignal, welches eben diese Bewegung ankündigt (»Set-Neurone«). Diese Daten führten zu der Erwartung, dass in der Periode zwischen Warn- und Reaktionssignal gesteigerte kortikospinale Erregbarkeit

325

33

auch in humanen TMS-Experimenten nachweisbar sein müsste. Die Untersuchungen zeigten im Gegenteil jedoch eine MEP-Verminderung im Zielmuskel als Ausdruck einer aktiven Reduktion kortikospinaler Erregbarkeit (Touge et al. 1998). Möglicherweise dient diese Reduktion der Vermeidung einer nichtintentionalen verfrühten Reaktion bereits auf das Warnsignal statt auf das Reaktionssignal.

33.1.3 Erregbarkeitsänderungen bei

Beendigung und Unterdrückung einer Bewegung Terminierung einer Bewegung. Im sich willkürlich entspannenden Muskel am Ende einer Kontraktion nimmt die kortikospinale Erregbarkeit (MEP-Amplitude im Zielmuskel) etwa zeitgleich mit dem Nachlassen der willkürlichen EMG-Aktivität ab. Der Zeitgang dieser Veränderungen ist aber bisher nicht so genau untersucht worden wie der während der Vorbereitung auf eine Kontraktion (7 Abschn. 33.1.2; Buccolieri et al. 2004). Etwa 30 ms vor Abfall der MEPAmplitude kommt es bereits zu einer Steigerung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen, so dass eine Zunahme der Hemmung der Zielmuskelrepräsentation im motorischen Kortex für die willkürliche Beendigung einer Kontraktion eine wichtige Rolle zu spielen scheint (Buccolieri et al. 2004). Unterdrückung einer Bewegung. Die Rolle motorkortikaler Inhibitionsmechanismen bei der Unterdrückung einer vorbereiteten Bewegung kann in sog. Go/No-Go-Testansätzen untersucht werden. Diese Experimente konnten eine Abnahme von MEP-Amplitude im Zielmuskel auf Werte unterhalb der Grundlinie zeigen, wenn die Probanden durch ein Signal instruiert wurden, eine vorbereitete Bewegung zurückzuhalten (Sohn et al. 2002). Zugleich kommt es zu einer Steigerung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen, die darauf hinweist, dass die unterdrückte Antwort durch eine aktive Hemmung der Zielmuskelrepräsentation realisiert wird (Sohn et al. 2002). Die MEP-Amplituden zu benachbarten Muskeln unterliegen nicht dieser Modulation, so dass die Unterdrückung einer Bewegung durch fokale Modulation kortikospinaler Erregbarkeit erreicht wird.

326

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 33 · Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität

33.1.4 Erregbarkeitsänderungen bei

Vorstellung und Beobachtung einer Bewegung Vorstellung (Imagination) einer Bewegung. Beinahe jede vorgestellte Bewegung geht mit einer geringen EMG-Aktivität einher. Dieser Umstand kann bei der Untersuchung kortikaler Netzwerke und kortikospinaler Erregbarkeit durch TMS zu Kontaminationen führen. Während solcher Messungen sollte daher eine Kontrolle der spinalen Erregbarkeit durch Messungen von H-Reflexen oder F-Wellen erfolgen. Prinzipiell verhält sich die kortikospinale und intrakortikale Erregbarkeit bei der Vorstellung einer Bewegung genauso, wenngleich weniger ausgeprägt, wie bei der realen Durchführung einer Willkürbewegung. Als Ausdruck einer gesteigerten kortikospinalen Erregbarkeit zeigt sich im Zielmuskel eine Erhöhung der MEP-Amplitude während der Imagination einer Bewegung des Zielmuskels im Vergleich zur Ruhesituation und eine Abnahme der MEP Amplitude während der Imagination einer Bewegung, die durch einen Antagonisten des Zielmuskels realisiert wird (Hashimoto u. Rothwell 1999). Die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen ist während einer vorgestellten Kontraktion des Zielmuskels erniedrigt und in umliegenden Nicht-Zielmuskeln erhöht (Stinear u. Byblow 2004). Die visuelle Imagination einer Bewegung ist dabei weniger effektiv die Modulation der kortikospinalen Projektion hervorzurufen als die kinästhetische Imagination (Fourkas et al. 2006). Beobachtung einer Bewegung. Die humanen TMS-

Studien zur Untersuchung von Änderungen kortikospinaler Erregbarkeit stehen in engem Zusammenhang mit dem bei Primaten identifizierten sog. Spiegelneuronensystem. Prinzipiell nimmt die MEP-Amplitude bei Beobachtung einer Bewegung in den homologen Muskeln zu, die auch bei der realen Ausführung dieser Bewegung beteiligt wären (Montagna et al. 2005). Diese Ergebnisse sprechen auch für die Möglichkeit einer Fazilitierung motorischer Lernprozesse (7 Kap. 42 und 52) allein durch die Beobachtung von Bewegungen. In der Tat kann die wiederholte Beobachtung einer bestimmten Bewegung eine Steigerung der Erregbarkeit der kortikospinalen Projektionen zu diesem Muskel bewirken. Bei gesunden Probanden, die eine der initial durch TMS-induzierten Bewegung entgegenlaufende Bewegung des Daumens wiederholt beobachten, nimmt mit der Beobachtungszeit die Wahrscheinlichkeit zu, durch einen TMS-Puls eine der beobachteten Bewegung gleich-

sinnige Bewegung des Daumens auszulösen (Stefan et al. 2005). Einzelzellableitungen in tierexperimentellen Untersuchungen legen nahe, dass die Fazilitierung der kortikospinalen Projektion während Bewegungsbeobachtung durch erregende Projektionen vom ventralen prämotorischen Kortex zum primären motorischen Kortex entsteht. Messungen der intrakortikalen Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical facilitation; 7 Kap. 16) als möglicher Surrogatmarker für diese Vorgänge im menschlichen Motorkortex zeigten eine gesteigerte Bahnung bei einem Interstimulusintervall von 2,5 ms vor Durchführung von, auf ein greifbares Objekt gerichteten, Zielbewegungen. Die Fazilitierung bezog sich spezifisch auf die an der Bewegung beteiligten Muskeln und war bei Durchführung der Bewegung mit verdeckter Sicht oder bei Imagination der Bewegung nicht nachweisbar (Cattaneo et al. 2005). Die Schlussfolgerung war, dass die Betrachtung des greifbaren Objekts eine Steigerung der Erregbarkeit von Verbindungen des ventralen prämotorischen Kortex zu kortikospinalen Neuronen im primären motorischen Handareal hervorruft, welche in Erwartung der bevorstehenden Bewegung rekrutiert werden (Cattaneo et al. 2005).

33.1.5 Die ermüdende Kontraktion Im Verlauf einer anhaltenden willkürlichen Kontraktion kommt es zu einem allmählichen Nachlassen der Muskelkraft. Dieser Ermüdungsvorgang ist einerseits durch eine nachlassende Interaktion kontraktiler Elemente im Muskel selbst, im Sinne einer »peripheren Ermüdung«, andererseits durch ein Versagen der zentralmotorischen Innervation bei der vollständigen Aktivierung des Muskels bedingt. Bei letzterem Vorgang handelt es sich um eine »zentrale Ermüdung«, also um ein zentral bedingtes Nachlassen der Fähigkeit während einer anhaltenden isometrischen Kontraktion eine maximale Muskelkraft zu erhalten. Der Nachweis zentraler Ermüdung gelingt mit der sog. Twitch-interpolation-Technik (Merton 1954). Dabei zeigt sich, dass unmittelbar nach Beginn einer maximalen Muskelkontraktion keine Kraftzunahme durch supramaximale Stimulation des entsprechenden peripheren Nervs bewirkt werden kann, während ein später im Verlauf der Kontraktion applizierter Impuls zu einem Kraftzuwachs führt. Während einer maximalen Kontraktion kommt es zu einer allmählichen Zunahme der MEP-Amplitude im kontrahierenden Zielmuskel. Dieser Befund

327

33.2 Kortikokortikale Konnektivität

scheint eine Zunahme der kortikospinalen Erregbarkeit während intensiver Willkürkontraktionen anzuzeigen. Analog zu der o. g. Twitch-interpolationTechnik kann auch ein TMS-Puls über dem primären motorischen Kortex eingesetzt werden, um zentrale Ermüdung zu messen. Zu Beginn einer maximalen Kontraktion führt ein TMS-Puls zu keiner Kraftzunahme im Zielmuskel, aber wenn die willkürliche Kraft im Verlauf der maximalen Kontraktion nachlässt, führen TMS-Pulse zu einem Kraftzuwachs (Gandevia et al. 1996). Hieraus lässt sich schließen, dass neuronale Elemente im motorischen Kortex zum Phänomen der zentralen Ermüdung beitragen. Im Anschluss an eine ermüdende Kontraktion kehrt die MEP-Amplitude des Zielmuskels rasch innerhalb von 15‒30 s auf das Ausgangsniveau zurück, wenn die Messung während kurzer maximaler Kontraktionen durchgeführt wird. Im Gegensatz dazu ist die MEP-Amplitude nach kurz anhaltender Fazilitie-

33

rung lang anhaltend (bis zu 30 min) erniedrigt, wenn im entspannten Zielmuskel gemessen wird. Diese Phänomene werden als »post-excercise facilitation« und »post-excercise depression« bezeichnet. Ihre physiologischen Grundlagen sind weitgehend unbekannt.

33.2

Kortikokortikale Konnektivität

33.2.1 Allgemeines Mithilfe gepaarter Stimulationsprotokolle kann die Interaktion von einzelnen über unterschiedlichen Hirnarealen applizierten TMS-Stimuli (7 Kap. 18) und deren Modulation, durch z. B. sensorimotorische Prozesse, untersucht werden. Dieser Ansatz erlaubt somit die Untersuchung von funktioneller kortikokortikaler Konnektivität (7 Exkursbox »Kortikokortikale Konnektivität«).

Exkurs

Kortikokortikale Konnektivität Wahrnehmungen, sensorimotorische oder kognitive Prozesse, Erinnerungen und Emotionen werden in der Großhirnrinde durch speziﬁsche neuronale Erregungsmuster repräsentiert, die auf der zeitlich korrelierten Aktivität in umschriebenen Nervenzellpopulationen beruhen. Diese neuronalen Ensembles entwickeln synchrone, rhythmische Entladungen, die zu Oszillationen ihrer elektrischen Aktivität führen. An diesen Interaktionen sind verschiedene, funktionell spezialisierte Kortexareale beteiligt, weshalb ein umfangreiches Netzwerk kortikokortikaler Verbindungen erforderlich ist. Mit dem Begriﬀ »Konnektivität« wird der strukturelle und funktionelle Aufbau dieser Netzwerke beschrieben, wobei zwischen anatomischer, funktioneller und eﬀektiver Konnektivität unterschieden wird. Anatomische Konnektivität. Die Bahnverbindungen, die das anatomische Substrat der kortikokortikalen Konnektivität darstellen, bilden zusammen mit den Projektionsfasern, die die Verbindungen zu subkortikalen Hirnregionen herstellen, das Marklager der Großhirnhemisphären. Unterschieden werden Assoziations- und Kommissurenfasern. Die Assoziationsfasern verbinden als kurze U-Fasern oder ﬁbrae propriae gyrorum Teile eines Gyrus oder benachbarte Gyri über einen Sulkus hinweg. Längere Fasern oder ﬁbrae arcuatae ziehen zu weiter entfernten Gyri. Ihre

Ursprungsneurone liegen in den Schichten III und V des Isokortex. Weiterhin gibt es tiefer im Marklager gelegene Faserverbindungen zwischen den zerebralen Lobi (Hirnlappen), die teilweise als anatomisch abgrenzbare Bahnen deﬁniert sind, wie z. B. der Fasciculus arcuatus, der von den Gyri frontales zu den oberen und mittleren Temporalwindungen zieht. Diese Fasern haben ihren Ursprung vor allem in der Rindenschicht V. Je länger die Assoziationsfasern sind, desto tiefer liegen sie unter der Rinde. Sie bilden vor allem mit den Dendriten in den Kortexschichten I und II synaptische Kontakte. Der überwiegende Anteil der Kommissurenfasern des Großhirns, die zumeist korrespondierende Kortexareale der beiden Hemisphären miteinander doppelläuﬁg verbinden, zieht durch den Balken (Corpus callosum). Die Axone haben ihren Ursprung in den Laminae III und V des Isokortex, die synaptischen Kontakte liegen in allen Rindenschichten, vor allem in I und II. Daneben verbindet die nur wenige Millimeter dicke Commissura anterior in der rostralen Wand des III. Ventrikels die Hippokampi und die Corpora amygdaloidea miteinander. Dieses sehr dichte Netz aus Assoziations- und Kommissurenfasern ermöglicht Verbindungen jedes Kortexareals quasi zu allen anderen, so dass allein aus anatomischen Daten keine verlässlichen Rückschlüsse auf

6

328

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 33 · Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität

funktionelle Interaktionen gezogen werden können. Darüber hinaus sind für Annahmen über die physiologischen Eﬀekte dieser Verbindungen weitere Informationen, z. B. zu den Zielzellen oder den Rezeptortypen an den Synapsen, erforderlich. Funktionelle Konnektivität. Diese beschreibt Zusammenhänge zwischen den Aktivitäten verschiedener Kortexareale bei sensorimotorischen, perzeptiven oder kognitiven Aufgaben. Sie ist deﬁniert als »die zeitliche Korrelation zwischen räumlich entfernten neurophysiologischen Ereignissen« (Friston et al. 1993b) und kann mit zahlreichen unterschiedlichen Techniken analysiert werden, wie z. B. PET, fMRT, Multiunit-Mikroelektroden-Ableitungen, EEG/ MEG oder Doppelpuls-TMS (7 Kap. 18), die hämodynamische, metabolische oder elektrische Phänomene

33.2.2 Interhemisphärische Konnektivität

zwischen den primären motorischen Handarealen Durch Applikation eines konditionierenden überschwelligen Stimulus über dem primären motorischen Handareal der einen Hemisphäre und eines zweiten überschwelligen Teststimulus über dem homologen motorischen Hanareal der anderen Hemisphäre eröffnet sich die Möglichkeit, interhemisphärische Interaktionen zu untersuchen, die vermutlich in erster Linie über das Corpus Callosum vermittelt werden (7 Kap. 18). Bei Intervallen von 7‒50 ms kommt es typischerweise zu einer interhemisphärischen Hemmung (engl. interhemispheric inhibition) (Ferbert et al. 1992). Die interhemisphärische Hemmung (IHI) wird während willkürmotorischer Bewegungen moduliert. Bereits in der Originalarbeit von Ferbert et al. wurde festgestellt, dass willkürliche tonische Kontraktion des Zielmuskels kontralateral zum konditionierenden motorischen Kortex die IHI verstärkt, verglichen mit entspanntem Zielmuskel (Ferbert et al. 1992). Dieser Befund deutet darauf hin, dass willkürliche Aktivierung eines motorischen Handareals bei intendierten unimanuellen Bewegungen zu einer verstärkten Hemmung des motorischen Handareals der anderen Hemisphäre führt. Hierdurch können eine Koaktivierung des anderen motorischen Kortex und hiermit assoziierte Spiegelkontraktionen der willkürlich nicht aktivierten Hand verhindert werden. Die Modulation der IHI kann auch dynamisch während der Vorbereitung einer unimanuellen Kontraktion in einem Reaktionszeit-Paradigma untersucht

erfassen. Die Ergebnisse der verschiedenen Modalitäten zeigen entsprechend ihrem unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Auﬂösungsvermögen z. T. starke Abweichungen. Eﬀektive Konnektivität. Während die funktionelle Konnektivität Aktivitätsmuster beschreibt, aber keine Aussagen über deren kausale Zusammenhänge liefern kann, analysiert die eﬀektive Konnektivität »den Einﬂuss, den ein neuronales System direkt oder indirekt auf ein anderes ausübt« (Friston et al. 1993a). Dies wird z. B. ermöglicht durch rTMS-induzierte virtuelle Läsionen (7 Kap. 31), die die vorübergehende Ausschaltung deﬁnierter kortikaler Areale und damit die Analyse von deren Auswirkungen auf die funktionelle Konnektivität erlauben.

werden. Bei Gesunden zeigt sich hierbei, dass die IHI zur Reaktionshand unmittelbar vor Reaktionsbeginn abnimmt und typischerweise von einer Hemmung in eine interhemisphärische Bahnung (engl. interhemispheric facilitation) umschlägt (. Abb. 33.2a; Murase et al. 2004). Dies bedeutet, dass eine Abnahme der IHI vom willkürlich nicht aktivierten motorischen Kortex (ipsilateral zur Reaktionshand) zum willkürlich aktivierten motorischen Kortex stattfindet und somit diese willkürliche Aktivierung durch Wegfall der Hemmung aus der anderen Hemisphäre unterstützt wird. Diese Modulation der IHI ist bei Patienten nach Schlaganfall gestört, wenn diese versuchen, ihre paretische Hand zu bewegen. Hier fehlt typischerweise das Umschwingen von interhemisphärischer Hemmung in eine interhemisphärische Bahnung (IHF) kurz vor Reaktionsbeginn, d. h. die interhemisphärische Hemmung von der nicht betroffenen in die vom Schlaganfall geschädigte Hemisphäre persistiert unbeeinflusst von der Bewegungsvorbereitung (. Abb. 33.2b; Murase et al. 2004). Die Persistenz der IHI bei Reaktionsbeginn korreliert mit den motorischen Funktionsdefiziten der Patienten, so dass davon auszugehen ist, dass die gestörte interhemisphärische Konnektivität eine abnorme Hemmung im motorischen Kortex der geschädigten Hemisphäre aufrechterhält, was zum Funktionsdefizit signifikant beiträgt (7 Kap. 56). Diese Arbeit ist ein Beispiel par excellence für eﬀektive Konnektivität (7 Exkurs kortikokortikale Konnektivität), da der Einfluss einer willkürlichen Aktivierung eines motorischen Kortex auf das System der IHI vom anderen (nicht aktivierten) auf den aktivierten motorischen Kortex untersucht wird.

329

33.2 Kortikokortikale Konnektivität

a

33

c

b

. Abb. .a–c. Modulation interhemisphärischer Inhibition (IHI) während der Bewegungsvorbereitung. a,b Messprotokoll. Der konditionierende Stimulus (KS) wird bei den Schlaganfallpatienten über dem Handareal des primären motorischen Kortex der nicht geschädigten Hemisphäre appliziert, der Teststimulus (TS) 10 ms später über dem Handareal des primären motorischen Kortex der geschädigten Hemisphäre. Die paretische Hand vollzieht in einer einfachen Reaktionszeitaufgabe auf ein Startsignal (»Los!«) eine kurze Abduktion des Zeigeﬁngers. TS alleine oder KS+TS (nach unten zeigende Pfeile in b) werden in variablem Abstand nach dem Startsignal vor Beginn der willkürmotorischen Reaktion appliziert, die durch das EMG der Reaktionshand aufgezeichnet wird. c Interhemisphärische Hemmung zum motorischen Kortex der Reaktionshand in einem Gesunden (oben) und einer

Schlaganfallpatientin 1,8 Jahre nach einem linkshemisphärischen subkortikalen Infarkt (unten). Auf der x-Achse sind die Zeitpunkte (ms) der Applikation des TS bezogen auf das Startsignal (»Los!«) aufgetragen. Die y-Achse zeigt die IHI zur Reaktionshand (rechte Hand bei dem Gesunden, paretische Hand bei der Patientin). Werte <1 zeigen interhemisphärische Inhibition an; Werte >1 Fazilitierung. Die grauen horizontalen Linien zeigen die mittlere Reaktionszeit ±SD in Kontrolldurchläufen ohne TMS an. Bei dem Gesunden kommt es kurz vor Reaktionsbeginn (Ausrufezeichen) zu einer Abnahme der IHI und einem Überschwingen in eine interhemisphärische Bahnung (ICF). Diese Bahnung bleibt bei der Patientin aus. (Mod. nach Murase et al. 2004; mit freundlicher Genehmigung von John Wiley & Sons, Inc.)

Effektive kortikokortikale Konnektivität kann auch mit einer repetitiven TMS (rTMS) untersucht werden (7 Kap. 31). Unter Verwendung eines hemmenden Konditionierungsprotokolls (7 Kap. 50) kann die funktionelle kortikokortikale Konnektivität über den Zeitpunkt der rTMS hinaus gehemmt werden. Die veränderte Konnektivität kann zur Störung des durch die kortikokortikalen Verbindungen unterstützten biologischen Prozesses führen, die in parallelen Verhaltensexperimenten dokumentiert werden können muss. Niedrigfrequente 1-Hz-rTMS über dem primären motorischen Handareal kann zu einer Abnahme der IHI vom mit der rTMS behandelten primär motorischen Handareal zum nicht stimulierten Handareal

führen (Gilio et al. 2003). Allerdings wurden in dieser Arbeit die Konsequenzen dieser Modulation auf der Verhaltensebene nicht untersucht. In eigenen Experimenten (Hübers u. Ziemann, bisher unveröffentlicht) wurde als Verhaltensmaß die Änderung von Spiegelaktivität im EMG der nicht bewegten Hand bei unimanuellen Kontraktionen der anderen Hand vor und nach rTMS untersucht. Es zeigte sich, dass die Änderung der IHI umgekehrt mit Änderungen der EMGSpiegelaktivität korrelierte. Eine Abnahme der IHI war mit einer Zunahme der Spiegelaktivität verbunden, und umgekehrt eine Zunahme der IHI mit einer Abnahme von Spiegelaktivität (. Abb. 33.3). Diese inverse Korrelation legt einen kausalen Zusammenhang nahe: je stärker die interhemisphärische inhibi-

330

21

Kapitel 33 · Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität

a

b

22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

. Abb. .a,b. Zunahme von interhemisphärischer Inhibition und gleichzeitige Abnahme von EMG Spiegelaktivität durch rTMS. a Diagramme zeigen interhemisphärische Inhibition (IHI, Intensität des konditionierenden Reizes über dem linken motorischen Kortex, 140% der motorischen Reizschwelle in Ruhe, Intensität des Teststimulus über dem rechten motorischen Kortex adjustiert zur Auslösung eines TestMEP von 1 mV, Interstimulusintervall 12 ms) abgeleitet vom M. interosseus dorsalis manus I (IOD 1) der linken Hand vor (oben) und nach (unten) 15-minütiger 1-Hz-rTMS des linken motorischen Kortex (Intensität 120% der motorischen Reizschwelle in Ruhe) bei einer repräsentativen gesunden Versuchsperson. Dünne Kurven unkonditionierte MEP; dicke Kurven konditionierte Potenziale (jeweils Mittelungen über 10 Durchgänge). Es ist eine Zunahme der IHI von 34% auf

54% nach rTMS zu erkennen. b Diagramme zeigen die EMGSpiegelaktivität im linken IOD I. Zur Messung der Spiegelaktivität führte die Versuchsperson 50 ballistische Indexﬁngerabduktionen mit der rechten Hand (Aufgabenhand) bei leichter tonischer Kontraktion des linken IOD I (Spiegelhand). Das EMG wurde rektiﬁziert, der Beginn der willkürlichen EMGBursts im rechten IOD I markiert (Zeitpunkt 0 ms) und Segmente von 400 ms vor bis 400 ms nach diesen Markierungen sowohl für den rechten als auch linken IOD I gemittelt. Dargestellt ist eine Abnahme der EMG Spiegelaktivität im linken IOD 1 von 29% (oben) auf 17% (unten) nach rTMS. Somit führt rTMS bei dieser Versuchsperson zu einer Zunahme der IHI, die mit einer Zunahme der willkürlichen interhemisphärischen Kontrolle und einer Abnahme von Spiegelaktivität bei intendierten unimanuellen Bewegungen einhergeht

torische Kontrolle vom willkürmotorisch aktiven zum nicht aktiven Motorkortex, desto weniger Spiegelaktivität tritt auf. Diese Untersuchungen belegen erstmals, dass Doppelpuls-TMS-Protokolle zur Messung funktioneller kortikokortikaler Konnektivität in Kombination mit rTMS im virtuellen Läsionsmodus auch zur Untersuchung effektiver Konnektivität eingesetzt werden können.

33.2.3 Interhemisphärische Konnektivität

34 35 36 37 38 39 40

zwischen dem dorsalen prämotorischen und dem primär motorischem Kortex Der linke dorsale prämotorische Kortex (PMd) spielt eine wichtige Rolle bei der Bewegungsauswahl sowohl der rechten als auch linken Hand. Die effektive Konnektivität zwischen linkem PMd und rechten primären motorischem Kortex wurde mit Doppelpuls-TMS während einer Wahlreaktionszeitaufgabe untersucht (Koch et al. 2006). In Ruhe können, abhängig von der Reizstärke des konditionierenden Stimulus über dem linken dorsalen prämotorischen Kortex sowohl inhibitorische (Reizstärke: 110 der motorischen Schwelle in Ruhe) als auch fazilitierende Projektionen (Reiz-

Literatur

stärke: 80 der motorischen Schwelle in Ruhe) zum rechten primären motorischem Kortex identifiziert werden. Das Interstimulus-Intervall zwischen konditionierendem Reiz und Teststimulus beträgt hierbei 8 ms. Die hemmenden und bahnenden Projektionen waren während des überwiegenden Teils der Reaktionszeit supprimiert, wurden jedoch kurz vor Reaktionsbeginn spezifisch aktiviert, abhängig davon ob die bevorstehende Reaktion mit der linken oder rechten Hand durchgeführt wurde. Die fazilitierende Projektion war 75 ms nach dem Reaktionssignal in denjenigen Durchläufen aktiv, in denen eine Antwort der linken Hand durch das Reaktionssignal instruiert war. Dagegen wurde die inhibitorische Projektion 100 ms nach dem Reaktionssignal aktiviert, wenn eine Antwort der rechten Hand verlangt wurde (Koch et al. 2006). Interhemisphärische Interaktionen zwischen dem rechten dorsalen prämotorischen Kortex und dem linken primären motorischem Kortex waren in Ruhe überwiegend inhibitorisch und zeigten eine ähnliche Modulation der inhibitorischen Projektion wie von linkem dorsalen prämotorischen Kortex zum rechtem primären motorischem Kortex, allerdings ohne Hinweise für fazilitierende Interaktionen. Diese Befunde illustrieren die Bedeutung des linken dorsalen motorischem Kortex für Bewegungsselektion, nicht nur im Sinne einer Fazilitierung einer instruierten Bewegung (der vom rechten primären motorischen Kortex kontrollierten linken Hand), sondern auch im Sinne einer Unterdrückung einer vorbereiteten, aber nicht umgesetzten Bewegung (der vom rechten primären motorischen Kortex nichtkontrollierten rechten Hand).

33.3

Ausblick

Der Einsatz von Doppelpuls-TMS-Protokollen zur Untersuchung funktioneller und insbesondere effektiver kortikokortikaler Konnektivität ist ein neues Feld. In Ergänzung, Erweiterung und Kombination mit anderen Methoden (MRT, EEG, MEG) werden sich in der Zukunft mit diesem experimentellen Ansatz weit reichende Möglichkeiten ergeben, sensorimotorische, perzeptive und kognitive Prozesse des menschlichen Gehirns besser zu verstehen.

Literatur Buccolieri A, Abbruzzese G, Rothwell JC (2004) Relaxation from a voluntary contraction is preceded by increased excitability of motor cortical inhibitory circuits. J Physiol 558: 685–695

331

33

Cattaneo L, Voss M, Brochier T et al. (2005) A cortico-cortical mechanism mediating object-driven grasp in humans. Proc Natl Acad Sci U S A 102: 898–903 Ferbert A, Priori A, Rothwell JC et al. (1992) Interhemispheric inhibition of the human motor cortex. J Physiol 453: 525– 546 Fourkas AD, Ionta S, Aglioti SM (2006) Inﬂuence of imagined posture and imagery modality on corticospinal excitability. Behav Brain Res 168: 190–196 Friston KJ, Frith CD, Frackowiak RSJ (1993a) Time-dependent changes in eﬀective connectivity measured with PET. Hum Brain Map 1: 69–80 Friston KJ, Frith CD, Liddle PF, Frackowiak RS (1993b) Functional connectivity: the principal-component analysis of large (PET) data sets. J Cereb Blood Flow Metab 13: 5–14 Gandevia SC, Allen GM, Butler JE, Taylor JL (1996) Supraspinal factors in human muscle fatigue: evidence for suboptimal output from the motor cortex. J Physiol 490: 529–536 Gilio F, Rizzo V, Siebner HR, Rothwell JC (2003) Eﬀects on the right motor hand-area excitability produced by low-frequency rTMS over human contralateral homologous cortex. J Physiol 551: 563–573 Hashimoto R, Rothwell JC (1999) Dynamic changes in corticospinal excitability during motor imagery. Exp Brain Res 125: 75–81 1Koch G, Franca M, Del Olmo MF et al. (2006) Time course of functional connectivity between dorsal premotor and contralateral motor cortex during movement selection. J Neurosci 26: 7452–7459 Diese Arbeit untersucht erstmals die Modulation funktioneller kortikokortikaler Konnektivität zwischen dorsalem prämotorischen Kortex und kontralateralem primär motorischen Kortex während einer Reaktionszeitaufgabe und trägt damit wesentlich zu einem verbesserten Verständnis der Steuerungsmechanismen bei, die der Bewegungsselektion zugrunde liegen. Leocani L, Cohen LG, Wassermann EM et al. (2000) Human corticospinal excitability evaluated with transcranial magnetic stimulation during diﬀerent reaction time paradigms. Brain 123: 1161–1173 MacKinnon CD, Rothwell JC (2000) Time-varying changes in corticospinal excitability accompanying the triphasic EMG pattern in humans. J Physiol 528: 633–645 Merton PA (1954) Voluntary strength and fatigue. J Physiol 123: 553–564 Montagna M, Cerri G, Borroni P, Baldissera F (2005) Excitability changes in human corticospinal projections to muscles moving hand and ﬁngers while viewing a reaching and grasping action. Eur J Neurosci 22: 1513–1520 1Murase N, Duque J, Mazzocchio R, Cohen LG (2004) Inﬂuence of interhemispheric interactions on motor function in chronic stroke. Ann Neurol 55: 400–409 Diese Arbeit untersucht erstmals die dynamische Modulation interhemisphärischer Inhibition während der Vorbereitung einer unimanuellen Handbewegung und trägt damit wesentlich zum Konzept der interhemisphärischen inhibitorischen Kontrolle von Handbewegungen bei.

332

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 33 · Kortikale Erregbarkeit und kortikokortikale Konnektivität

1Rossini PM, Zarola F, Stalberg E, Caramia M (1988) Pre-movement facilitation of motor-evoked potentials in man during transcranial stimulation of the central motor pathways. Brain Res 458: 20–30 Diese Arbeit untersucht erstmals Änderungen kortikospinaler Erregbarkeit während der Vorbereitung einer Handbewegung und stellt damit eine Pionierleistung dar, die physiologischen Grundlagen von Willkürmotorik durch TMS Experimente zu verstehen. Sohn YH, Hallett M (2004) Surround inhibition in human motor system. Exp Brain Res 158: 397–404 Sohn YH, Jung HY, Kaelin-Lang A, Hallett M (2003) Excitability of the ipsilateral motor cortex during phasic voluntary hand movement. Exp Brain Res 148: 176–185 Sohn YH, Wiltz K, Hallett M (2002) Eﬀect of volitional inhibition on cortical inhibitory mechanisms. J Neurophysiol 88: 333–338 Stefan K, Cohen LG, Duque J et al. (2005) Formation of a motor memory by action observation. J Neurosci 25: 9339–9346 Stinear CM, Byblow WD (2003) Role of intracortical inhibition in selective hand muscle activation. J Neurophysiol 89: 2014–20 Stinear CM, Byblow WD (2004) Modulation of corticospinal excitability and intracortical inhibition during motor imagery is task-dependent. Exp Brain Res 157: 351–358 Touge T, Taylor JL, Rothwell JC (1998) Reduced excitability of the cortico-spinal system during the warning period of a reaction time task. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 109: 489–495 Ziemann U, Tergau F, Netz J, Hömberg V (1997) Delay in simple reaction time after focal transcranial magnetic stimulation of the human brain occurs at the ﬁnal motor output stage. Brain Res 744: 32–40

333

34

Neuropharmakologie Ulf Ziemann

34.1

Einführung – 334

34.3

34.2

Beeinﬂussung kortikaler Erregbarkeit durch Neuropharmaka mit bekanntem Wirkmechanismus – 334

Charakterisierung des Wirkmechanismus von Neuropharmaka – 339

34.4

34.2.1 34.2.2

Motorische Reizschwelle – 334 Amplitude des motorisch evozierten Potenzials (MEP) – 334 Kontralaterale kortikale Innervationsstille – 336 Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen – 337 Intrakortikale Bahnung – 337 Intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen – 337 Intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen – 338 Afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz – 338 Zusammenfassung – 338 Kortikale Erregbarkeitsänderungen als biologischer Marker neuropharmakologischer Effekte – 339

Kortikale Erregbarkeitsänderungen unter chronischer Gabe eines Neuropharmakons – 340

34.5

Neuropharmakologische Modulation kortikaler Plastizität – 341

34.5.1 34.5.2

Stimulationsinduzierte Plastizität – 341 Übungsabhängige Plastizität – 342

Literatur

– 342

34.2.3 34.2.4 34.2.5 34.2.6 34.2.7 34.2.8 34.2.9 34.2.10

ZUM THEMA Zentral wirksame Medikamente verändern die neuronale Erregbarkeit des Gehirns. Diese Wirkungen lassen sich mithilfe der TMS des motorischen Kortex durch Messung etablierter Kennwerte der kortikomotorischen Erregbarkeit nichtinvasiv erfassen. Neuropharmakologische Experimente dienen der pharmakophysiologischen Charakterisierung dieser Erregbarkeitsmaße, aber auch der Charakterisierung von pharmakologischen Wirkmechanismen auf systemphysio-

logischer Ebene. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist auch in klinisch-neurophysiologischen Routineuntersuchungen wichtig, da mit zentralwirksamen Medikamenten behandelte Patienten hierdurch eine veränderte Erregbarkeit des motorischen Kortex aufweisen können. Neuropharmaka können auch Prozesse wie Plastizität oder Lernen beeinﬂussen. Auch diese Wirkungen können mittels TMS gemessen und charakterisiert werden.

21 22 23

334

Kapitel 34 · Neuropharmakologie

34.1

Einführung

Welche Applikationen von Neuropharmaka sind im Kontext mit transkranieller Magnetstimulation (TMS) denkbar, und wie lassen sich hierdurch Hirnfunktionen besser verstehen? .

Neuropharmaka mit einem genau bekannten Wirkmodus können eingesetzt werden, um den Einfluss bestimmter Neurotransmittersysteme auf die mit der TMS bestimmbaren Kennwerte kortikaler Erregbarkeit zu charakterisieren. In einem typischen Experiment wird die Erregbarkeit des motorischen Kortex und des kortikospinalen Systems mittels TMS direkt vor und zu einem oder mehreren Zeitpunkten nach Applikation des Neuropharmakons gemessen, idealerweise in einem randomisierten, placebo-kontrollierten und doppel-blinden Versuchsdesign. Dieser Ansatz hat das neurophysiologische Verständnis von Erregbarkeitsmessungen des Motorkortex mittels TMS wesentlich verbessert.

24 25 26 27 28 29

.

Neuropharmakologische Applikation

Hier ergeben sich mehrere nützliche Anwendungen, die Dynamik und Kinetik eines Neuropharmakons auf systemphysiologischer Ebene zu bestimmen. a) Ein gut charakterisierter neurophysiologischer Kennwert kortikaler Erregbarkeit kann als biologischer Marker verwendet werden, um Dosis-Wirkungsbeziehungen eines Neuropharmakons zu messen. Hierbei werden unterschiedliche Dosen eines Neuropharmakons verabreicht und erfasst, welchen Einfluss die verabreichte Dosis auf das Ausmaß und die Dauer der kortikalen Erregbarkeitsänderung hat. b) Multiple gut charakterisierte TMS-Erregbarkeitskennwerte können verwendet werden, um das Wirkmuster eines Neuropharmakons mit unbekanntem oder mehreren Wirkmechanismen auf kortikaler Ebene zu bestimmen. c) Chronische Medikamentenwirkungen können sich von Akutwirkungen deutlich unterscheiden. Diese können durch vergleichende Messungen der durch das Pharmakon induzierten Erregbarkeitsänderungen erfasst werden.

30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Neurophysiologische Applikation

.

Neuromodulatorische Auswirkungen auf neuronale Plastizität und Lernen

Neuropharmaka können erhebliche Effekte auf verhaltensbiologisch relevante Prozesse wie Pla-

stizität oder Lernen haben. Diese können in TMS-Experimenten ebenfalls operationalisiert und gemessen werden.

34.2

Beeinﬂussung kortikaler Erregbarkeit durch Neuropharmaka mit bekanntem Wirkmechanismus

Messprotokolle zur Bestimmung bestimmter Kennwerte kortikaler Erregbarkeit und ihre physiologische Bedeutung werden in anderen Kapiteln dieses Buches ausführlich besprochen (7 entsprechende Querverweise in diesem Kapitel). Die hier zusammengefassten Daten beziehen sich auf Untersuchungen an gesunden Erwachsenen.

34.2.1 Motorische Reizschwelle (7 Kap. 14) Blocker spannungsabhängiger Natriumkanäle, z. B. die Antiepileptika Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenytoin und Lamotrigin erhöhen die motorische Reizschwelle (Chen et al. 1997; Ziemann 2004; Ziemann et al. 1996; . Tab. 34.1). Spannungsabhängige Natriumkanäle regulieren die Erregbarkeit von Axonen. Somit repräsentiert die motorische Reizschwelle in erster Linie einen Marker für die Erregbarkeit kortiko-kortikaler Axone, die durch TMS angeregt werden (7 Kap. 3). Zusätzlich wird die motorische Schwelle durch Glutamat-Rezeptoren (non-N-Methyl-DAspartat (NMDA)-Rezeptoren) beeinflusst, die für schnelle Übertragung von Erregung verantwortlich sind (. Tab. 34.1). Diese Zusammenhänge sind dafür verantwortlich, dass z. B. Patienten mit Epilepsie, die mit einem Natriumkanal-Blocker behandelt werden, sehr hohe motorische Schwellen aufweisen können oder sich sogar durch die TMS keine MEPs mehr auslösen lassen.

34.2.2 Amplitude des motorisch evozierten

Potenzials (MEP) Reizantwort-Intensitätskurven zeigen eine sigmoide Zunahme der MEP Amplitude mit der Reizintensität (7 Kap. 5). Im schwellennahen Intensitätsbereich erzeugt die TMS des motorischen Handareals bei antero-posteriorer Spulenausrichtung oft nur eine einzelne kortikospinale Entladung (I1-Welle), bei höhere Reizstärken kommt es zu multiplen kortikospinalen Entladungen, die vermutlich über Anregung einer Kette erregender kortikaler Interneurone entstehen,

Substanzen

Carbamazepin Oxcarbazepin Phenytoin Lamotrigin

Diazepam Lorazepam Zolpidem Thiopental Phenobarbital Ethanol

Baclofen

Flumazenil

Dextromethorphan Memantine Ketamin

L-Dopa

Bromocriptin Pergolid Cabergolin

Haloperidol Sulpirid

Methylphenidat d-Amphetamin Reboxetin Atomoxetin

Yohimbin

Prazosin

Wirkmechanismus

Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle

Positive Modulation am GABAARezeptor

GABAB-Rezeptor-Agonist

GABAA-Rezeptor-Antagonist

NMDA-Rezeptor-Antagonist

Dopamin-Precursor

Dopamin-Rezeptor-Agonist

Dopamin-Rezeptor-Antagonist

Noradrenalin-Agonist

Alpha-2-Adrenozeptor-Antagonist

Alpha-1-Adrenozeptor-Antagonist

6

6

o

o

o

8

88o 8 888 8 66o o 6o 6 o

8 o

6o o

8

6

o

o

8

8

o

LICI

8 66 6

SAI

335

o

8

o

8 8 88

oo o oo6

o

o

8

oo o

o o 6

8 8 8 8 o

o 6

o o o

o

o

8

o

6 6 o 8 8 o

o o o

o o 8

o oo 6 o

o

o

o

ooo8

o

oo

o

ooo

6

8

8

o

o

6 6

6 6

66 6o 6

88o 888 8oo

6o 8§ 8 o

6 66 6 6

oooo ooooo oo o

o

SICF

o

o6

ICF

oo

oo o

oo

SICI

oo

o o oo o

o

CSP

8o 8 88 888

MEP

MT

. Tab. .. Akute Wirkung von Neuropharmaka auf durch TMS bestimmbare Erregbarkeitskennwerte

34.2 Beeinﬂussung kortikaler Erregbarkeit durch Neuropharmaka . . .

34

8

8 o

6

6 o

8

o

o o

o 6 6 oo o o 88

6

27

6

26

8

25

ICF

24

SICI

SICF

23

8

LICI

22

6

SAI

21

Kapitel 34 · Neuropharmakologie

o 8

8 8 o o o o8

o

6

MEP

30

o

29

o

CSP

28

o 6

MT

32

o

31 33 Guanfacin

Sertralin Paroxetin Citalopram

Tacrin

Atropin Scopolamin

Alpha-2-Adrenozeptor-Agonist

Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitor

Acetylcholinesterase-Inhibitor

Muskarin-Rezeptor-Antagonist

36

Substanzen

35

Wirkmechanismus

34

38 39 40

. Tab. .. Fortsetzung

37

o kein Eﬀekt; 8 Steigerung; 6 Senkung; § Eﬀekt variiert mit Reizintensität; MT motorische Schwelle; MEP motorisch evoziertes Potenzial; CSP cortical silent period/kortikale Innervationsstille; SICI shortinterval intracortical inhibition/intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen; ICF intracortical facilitation/intrakortikale Bahnung; SICF short-interval intracortical facilitation/intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen; LICI long-interval intracortical inhibition/intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen; SAI short-latency aﬀerent inhibition/aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz.

336

die synaptisch auf kortikospinale Neurone projizieren (7 Kap. 3). Es ist daher zu erwarten, dass MEP Amplituden insbesondere im hochamplitudigen Abschnitt der Reizantwort-Intensitätskurve durch hemmende (Gamma-Aminobuttersäure, GABA) und erregende Neurotransmitter (Glutamat) und Neuromodulatoren (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Acetylcholin) reguliert werden. Entsprechend führen positive Modulatoren am GABAA-Rezeptor-Agonisten (Benzodiazepine, Barbiturate), Dopamin-RezeptorAgonisten (Cabergolin) und Noradrenalin-Antagonisten (Guanfacin) zu einer Abflachung der MEPIntensitätskurve, wohingegen Dopamin-RezeptorAntagonisten (Haloperidol), Noradrenalin-Agonisten (Amphetamin, Methylphenidat, Reboxetin, Yohimbin), Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (Sertralin, Paroxetin, Citalopram) und Muskarin-Rezeptor-Antagonisten (Scopolamin) eine Steigerung der MEP-Intensitätskurve hervorrufen (. Tab. 34.1).

34.2.3 Kontralaterale kortikale

Innervationsstille Die kontralaterale kortikale Innervationsstille (engl. contralateral cortical silent period, CSP) bezeichnet eine durch einen TMS-Einzelreiz ausgelöste Unterbrechung willkürmotorischer elektromyographischer Aktivität im kontralateralen Zielmuskel (7 Kap. 15). Die Dauer der kortikalen Innervationsstille nimmt sigmoid mit der Reizintensität zu und wird im Wesentlichen durch kortikale Inhibition vermittelt. Bei niedrigen Reizstärken und einer Dauer der kortikalen Innervationsstille <50 ms scheint eine Hemmung über GABAA-Rezeptoren zu dominieren, während bei hohen Reizstärken und einer Dauer der CSP im Bereich von 100 ms und mehr eine Hemmung über GABAB-Rezeptoren im Vordergrund steht. Dies entspricht etwa der Dauer durch GABAA- und GABAB-Rezeptoren vermittelter inhibitorischer postsynaptischer Potenziale. Entsprechend wird die kortikale Innervationsstille durch einen positiven Modulator am GABAA-Rezeptor (Lorazepam) bei niedrigen Reizzstärken verlängert, bei hohen Reizstärken jedoch verkürzt (Kimiskidis et al. 2006). Letztgenannter Effekt kommt vermutlich dadurch zustande, dass Aktivierung von GABAA-Rezeptoren im Gewebeschnitt zu einer Verminderung von durch GABABRezeptoren vermittelter Inhibition führen kann. Die direkte Evidenz für eine Rolle von GABAB-Rezeptoren ist allerdings noch uneinheitlich und wird nur durch eine Studie unterstützt, in der nach hohen intrathekal applizierten Dosen des GABAB-Rezeptor-Agonisten

34.2 Beeinﬂussung kortikaler Erregbarkeit durch Neuropharmaka . . .

Baclofen bei einem Patienten mit generalisierter Dystonie eine Verlängerung der kortikalen Innervationsstille beobachtet wurde (Sieber et al. 1998). Einige Studien zeigen eine Verlängerung der kortikalen Innervationsstille durch L-Dopa oder Dopamin-Rezeptor-Agonisten (. Tab. 34.1) . Die pharmakologischen Daten sind gut mit der Beobachtung vereinbar, dass Patienten mit dopaminergem Defizit, z. B. Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom, häufig eine verkürzte kortikale Innervationsstille zeigen.

34.2.4 Intrakortikale Hemmung bei kurzen

Interstimulusintervallen Die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) wird in einem Doppelpuls-Protokoll mit einem unterschwelligen ersten und einem überschwelligen zweiten Puls bei kurzen Interstimulusintervallen (2,5‒4 ms) gemessen (7 Kap. 16). Der erste Puls aktiviert vermutlich einen niedrigschwelligen inhibitorischen Eingang auf kortikospinale Neurone und erzeugt dort ein über GABAA-Rezeptoren vermitteltes inhibitorisches postsynaptisches Potenzial, das die Generierung von Aktionspotenzialen durch den überschwelligen zweiten Puls vermindert (Ilic et al. 2002). Entsprechend verstärken positive Modulatoren am GABAA-Rezeptor (klassische Benzodiazepine) die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (Ilic et al. 2002; Ziemann et al. 1996; . Tab. 34.1). Zolpidem, ein positiver Modulator am GABAA-Rezeptor mit hoher Affinität für den die alpha-1-Untereinheit tragenden Subtyp des GABAARezeptors, verstärkt die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen dagegen nicht. Daher ist anzunehmen, dass diese Form der Doppelpulshemmung durch einen anderen Subtyp des GABAA-Rezeptors vermittelt wird (Di Lazzaro et al. 2006). Dieser Befund weist auf die interessante Perspektive hin, dass die TMS eine rezeptorsubtypen-spezifische Untersuchung neuronaler Netzwerke ermöglicht. Der GABAB-Rezeptor-Agonist Baclofen vermindert dagegen die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (McDonnell et al. 2006) . Dieser Befund steht im Einklang mit der aus Gewebeschnittexperimenten bekannten präsynaptischen Hemmung von GABAAergen hemmenden Interneuronen durch GABAB-Rezeptoren. Neuromodulatoren können GABAerge Neurotransmission erheblich beeinflussen. Die neuropharmakologischen Experimente zeigen, dass Dopamin-Rezeptor-Agonisten und Noradrenalin-Antagonisten die intrakortikale

337

34

Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen verstärken, wohingegen der Dopamin-Rezeptor-Antagonist Haloperidol, Noradrenalin-Agonisten und der Acetylcholinesterase-Hemmer Tacrin diese vermindern (. Tab. 34.1).

34.2.5 Intrakortikale Bahnung Die intrakortikale Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF) wird mit demselben Doppelpulsprotokoll bestimmt wie die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (7 Kap. 16). Der einzige Unterschied ist, dass die Intervalle zwischen dem unterschwelligen ersten und einem überschwelligen zweiten Puls zwischen 7‒20 ms liegen. Die physiologischen Grundlagen der intrakortikalen Bahnung sind wenig geklärt. Es ist davon auszugehen, dass es sich um eine Nettofazilitierung handelt, die aus einer Überlagerung von durch GABAA-Rezeptoren vermittelter Hemmung und am ehesten durch NMDARezeptoren vermittelter Bahnung zustande kommt. Entsprechend zeigen neuropharmakologische Untersuchungen eine Verminderung der intrakortikalen Bahnung durch positive Modulatoren am GABAARezeptor und durch NMDA-Rezeptor-Antagonisten wie Dextromethorphan oder Memantine (. Tab. 34.1). Unter den Neuromodulatoren führen insbesondere noradrenerge Substanzen konsistent zu einer Verstärkung der intrakortikalen Bahnung (. Tab. 34.1). Die Synopsis zeigt auch, dass die pharmakologische Modulation von intrakortikaler Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen und ICF weitgehend entgegengesetzt ist, aber z. T. auch dissoziiert. Daraus folgt, dass die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen und die ICF teils über gemeinsame, teils aber über unabhängige Mechanismen generiert werden.

34.2.6 Intrakortikale Bahnung bei kurzen

Interstimulusintervallen Die intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICF) wird ebenfalls in einem Doppelpulsprotokoll gemessen, aber unter Verwendung eines überschwelligen ersten und eines unterschwelligen zweiten Pulses (7 Kap. 16). Eine Bahnung der MEP tritt bei diskreten Interstimulusintervallen von 1,1‒1,5 ms, 2,3‒2,9 ms und 4,1‒4,4 ms auf. Das entspricht ziemlich genau der Periodizität von I-Wellen von ca. 1,5 ms (7 Kap. 3), was zu der Hypothese führte, dass

338

21 22 23 24 25 26 27 28

Kapitel 34 · Neuropharmakologie

die neuronalen Elemente, die für die Generierung von I-Wellen verantwortlich sind auch an der Entstehung der intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen beteiligt sind (Ilic et al. 2002). Positive Modulatoren am GABAA-Rezeptor vermindern diese Form der Doppelpulsbahnung (. Tab. 34.1). Dies weist darauf hin, dass die I-Wellen-generierenden exzitatorischen Interneurone durch GABAerge Hemmung kontrolliert werden. NMDA-Rezeptoren scheinen dagegen keine Rolle zu spielen, da zumindest der NMDA-Rezeptor-Antagonist Memantine intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen nicht beeinflusst. Alle weiteren bekannten pharmakologischen Wirkungen sind in . Tab. 34.1 zusammengefasst.

anderen Formen kortikaler Inhibition unterschieden werden kann (. Tab. 34.1). Insbesondere wird die SAI durch den Muskarin-Rezeptor-Antagonisten Scopolamin vermindert, während intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen nicht beeinflusst wird (Di Lazzaro et al. 2000). Dieser muskarinerge Einfluss auf die afferente sensomotorische Hemmung ist aus klinischer Sicht interessant, da z. B. Demenzpatienten mit cholinergem Defizit (Alzheimer Demenz, Lewy-Body-Demenz) eine pathologisch reduzierte SAI zeigen können, die sich durch Behandlung mit Acetylcholinesterasehemmer normalisiert, während die SAI bei Patienten mit Demenzen ohne cholinerges Defizit (frontotemporale Demenz) normal ist (7 Kap. 17 und 30).

34.2.7 Intrakortikale Hemmung bei langen

34.2.9 Zusammenfassung

Interstimulusintervallen

35

Die intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen (engl. long-interval intracortical inhibition, LICI) wird mit einem Doppelpulsprotokoll gemessen, das zwei überschwellige Reize in einem zeitlichen Abstand von 50‒200 ms verabreicht (7 Kap. 16). Der Bereich effektiver Interstimulusintervalle zeigt an, dass es sich bei der intrakortikalen Hemmung bei langen Interstimulusintervallen um eine Form der Hemmung handelt, die Ähnlichkeiten zur kontralateralen kortikalen Innervationsstille (7 Abschn. 34.2.3) aufweist. Entsprechend wurde vermutet, dass die intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen über GABAB-Rezeptoren vermittelt wird. Dies wurde durch Applikation des spezifischen GABABRezeptor-Agonisten Baclofen bestätigt, der zu einer Verstärkung der intrakortikalen Hemmung bei langen Interstimulusintervallen führt (McDonnell et al. 2006) .

36

34.2.8 Aﬀerente sensomotorische

29 30 31 32 33 34

37 38 39 40

Hemmung kurzer Latenz Die afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency afferent inhibition, SAI) wird mit einem Doppelpulsprotokoll gemessen, das aus einem elektrischen Reiz an einem peripheren Nerven der Hand (z. B. N. medianus) gefolgt von einem TMS-Puls des kontralateralen primär-motorischen Handareals besteht (7 Kap. 17). Das effektive Interstimulusintervall liegt bei ca. 20‒25 ms. Pharmakologische Untersuchungen zeigen, dass die afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (SAI) von den

Diese Daten zeigen, dass neuropharmakologisches Testen zu einer sehr differenzierten Ansicht über die physiologischen Grundlagen der mit TMS bestimmbaren Erregbarkeitskennwerte geführt hat. Mittlerweile ist klar, dass neben axonaler Erregbarkeit (motorische Reizschwellen) glutamaterge (intrakortikale Bahnung) und GABAerge (alle Formen der intrakortikalen Hemmung) synaptische Erregbarkeit gemessen werden können. Des Weiteren ist es möglich, die inhibitorischen Messwerte in solche zu differenzieren, die durch Aktivierung von GABAA-Rezeptoren (Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen) oder GABAB-Rezeptoren (kontralaterale kortikale Innervationsstille und intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulus-Intervallen) vermittelt oder durch Acetylcholin moduliert werden (SAI). Es ist wahrscheinlich, dass für diese unterschiedlichen Formen kortikaler Hemmung unterschiedliche inhibitorische neuronale Netzwerke verantwortlich sind, die wiederum in komplexer Weise interagieren können (7 Kap. 16). Bei neurologischen und psychiatrischen Patienten kann es zu charakteristischen Veränderungen im kortikalen Erregbarkeitsprofil kommen. Diese Zusammenhänge werden in den 7 Kap. 22–30 vertieft.

34.3 Charakterisierung des Wirkmechanismus von Neuropharmaka

34.2.10 Kortikale

Erregbarkeitsänderungen als biologischer Marker neuropharmakologischer Eﬀekte Biologische Marker (Biomarker) haben folgende Grundeigenschaften: 5 Sie sind objektiv messbar, 5 dienen als Indikatoren eines normalen biologischen Prozesses, 5 eines pathologischen Prozesses, 5 einer Antwort auf eine (pharmakologische) therapeutische Intervention. Die Beziehung zwischen Medikamentenspiegel im Plasma und Medikamenteneffekt (KonzentrationsWirkungs-Kurve) ist oft komplex und hängt von vielen Einflussgrößen ab, z. B. der Plasmaproteinbindung, der Gängigkeit durch die Bluthirnschranke, der Kinetik der Medikamenten-Rezeptor-Interaktion oder der Rezeptor-Signal-Transduktion. Konzentrations-Wirkungs-Kurven sind typischerweise sigmoid und können durch pharmakokinetische oder pharmakodynamische Modelle beschrieben werden. Die Erstellung von individuellen Konzentrations-Wirkungs-Kurven könnte dazu dienen, bei Patienten therapeutische Medikamenteneffekte vorherzusagen. Dabei wäre vorstellbar, dass ein TMS-Erregbarkeitskennwert einen klinischen Endpunkt als Surrogatmarker ergänzt. Ein Beispiel wäre die Erhöhung der motorischen Schwelle oder die Zunahme der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen als ergänzende biologische Marker einer antikonvulsiven Wirkung (klinischer Endpunkt: Reduktion der Anfallshäufigkeit) bei Patienten mit Epilepsie. Konzentrations-Wirkungs-Kurven sind bisher nur in wenigen Studien untersucht worden. Die Plasmakonzentration von Phenytoin korreliert linear mit der Zunahme der kortikalen motorischen Schwelle (Chen et al. 1997). In diese Analyse gingen jedoch einzelne Datenpunkte von mehreren Individuen ein, und somit ermöglichte diese Untersuchung keine Aussagen über individuelle Konzentrations-Wirkungs-Kurven. Die potenzielle Bedeutung individueller Konzentrations-Wirkungs-Kurven wurde in einer weiteren Studie untermauert (Tergau et al. 2003). Auch hier zeigte sich für die Gruppe eine lineare Korrelation zwischen Plasmakonzentration von Lamotrigin und Zunahme der kortikalen motorischen Schwelle. Die Probanden wurden hier jedoch mit steigenden Lamotrigin-Dosen titriert, und es wurden pro Individuum mehrere Datenpaare erhoben, um die individuelle KonzentrationsWirkungsbeziehung zu bestimmen. Die Korrelation

339

34

der individuellen Lamotriginspiegel mit der Zunahme der kortikalen motorischen Schwelle ergab keine linearen, sondern sigmoide Zusammenhänge. Es fand sich dabei eine bemerkenswerte interindividuelle Varianz: Bei einigen Individuen führte bereits eine niedrige Lamotrigindosis zu einer signifikanten Zunahme der kortikalen motorischen Schwelle, bei anderen waren hierzu deutlich höhere Dosen nötig im Sinne einer Rechtsverschiebung der Konzentrations-WirkungsKurve. Somit findet hier eine sigmoide Transformation von Medikamentenkonzentration in biologische Wirkung, entsprechend den Erwartungen pharmakokinetischer/pharmakodynamischer Modelle, statt. In klinischen Studien muss zukünftig geklärt werden, ob diese Transformation auf einen biologischen Marker (hier: Erhöhung der kortikalen motorischen Schwelle) den therapeutischen Effekt (Reduktion der Anfallshäufigkeit) besser abbildet oder gar vorhersagt als die Plasmakonzentration des Medikamentes. Zu der hohen interindividuellen Varianz neuropharmakologischer Effekte auf TMS-Erregbarkeitskennwerte tragen genetische Polymorphismen bei. Die Untersuchung dieser Zusammenhänge ist ein neues, zukünftig systematisch zu bearbeitendes Feld. Als richtungsweisendes Beispiel sei hier genannt, dass die Steigerung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen durch den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram vom Polymorphismus einzelner Nukleotide am 5-HT-Transportergen abhängt: Nur solche Probanden mit Homozygotie für die lange Variante dieses Transportergens zeigten eine Zunahme der Hemmung, wohingegen diese bei Probanden mit der kurzen Variante des Transportergens ausblieb (Eichhammer et al. 2003). Dieser Unterschied kann dadurch erklärt werden, dass Homozygote für die lange Variante eine etwa zweifach effektivere Serotonin-Rückaufnahme haben und die pharmakologische Inhibition dieses Transportersystems zu einem entsprechend effektiveren Anstieg der serotonergen Neurotransmission führt als bei Heterozygoten oder Homozygoten für die kurze Variante des 5-HT-Transportergens.

34.3

Charakterisierung des Wirkmechanismus von Neuropharmaka

Die meisten mit der TMS bestimmbaren Kennwerte kortikaler Erregbarkeit sind mittlerweile gut physiologisch und pharmakologisch charakterisiert (7 Abschn. 34.2 und 7 Kap. 5, 14–17). Dieses Wissen kann nun auch umgekehrt eingesetzt werden, um die system-

340

21 22 23 24 25 26 27 28 29

Kapitel 34 · Neuropharmakologie

physiologischen Wirkungen von Neuropharmaka mit bisher unbekanntem oder unvollständig bekanntem Wirkmechanismus zu bestimmen oder bei Neuropharmaka mit bekannterweise multiplen Wirkmechanismen den auf systemphysiologischer Ebene »dominierenden Effekt« zu identifizieren. Ein Beispiel für diesen Ansatz ist das Antiepileptikum Topiramat. Diese Substanz zeigte in präklinischen Studien verschiedener tierexperimenteller Epilepsiemodelle eine breite Wirksamkeit, und auf der zellulären Untersuchungsebene wurden folgende potenziellen Wirkmechanismen gefunden: 1. Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle, 2. Verstärkung inhibitorischer Neurotransmission durch den GABAA-Rezeptor, 3. Suppression erregender glutamaterger Neurotransmission durch non-NMDA-Rezeptoren (AMPA- und Kainat-Rezeptoren), 4. Blockade spannungsabhängiger Kalziumkanäle vom L-Typ.

37

Die pharmakophysiologischen Untersuchungen am gesunden Menschen zeigten, dass eine orale Einmaldosis von 50 oder 200 mg Topiramat zu einer dosisabhängigen Steigerung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen und einem Trend in Richtung auf eine Abnahme der ICF führt, während die kortikale motorische Schwelle und die Dauer der kortikalen Innervationsstille unverändert bleiben (Reis et al. 2002). Aus diesem Wirkmuster lässt sich schlussfolgern, dass der dominante Effekt von Topiramat auf der systemphysiologischen Betrachtungsebene des primären motorischen Kortex in einer signifikanten Zunahme der Neurotransmission über den GABAA-Rezeptor und/oder einer Abnahme der Neurotransmission über die non-NMDA-Rezeptoren besteht, während die Blockade spannungsabhängiger Ionenkanäle keine relevante Rolle spielt, da dann auch eine Zunahme der kortikalen motorischen Reizschwelle zu erwarten gewesen wäre. Andere TMS Untersuchungen von Neuropharmaka mit unbekannten oder multiplen Wirkmechanismen sind in Tab. 3 in Ziemann (2004) zusammengefasst.

38

34.4

30 31 32 33 34 35 36

39 40

Kortikale Erregbarkeitsänderungen unter chronischer Gabe eines Neuropharmakons

Chronische neuropharmakologische Wirkungen können sich von akuten Wirkungen erheblich unterscheiden. Es existiert eine Reihe von Mechanismen, die diesen Unterschied begründen:

1.

Pharmakokinetische Toleranz: Das Pharmakon induziert die verstärkte Synthese des inaktivierenden Enzyms und wird infolgedessen schneller eliminiert. 2. Pharmakodynamische Toleranz: Der Rezeptor, an den das Pharmakon bindet, oder der nachgeschaltete Reaktionsweg werden unempfindlicher. Grundlage für den erstgenannten Prozess ist meistens eine Abnahme der Zahl oder Funktion der Rezeptoren (Desensitivierung). 3. Sensitivierung: Der Rezeptor, an den das Pharmakon bindet, oder der nachgeschaltete Reaktionsweg werden empfindlicher. Chronische neuropharmakologische Wirkungen bei Gesunden wurden aus ethischen Gründen (prolongierte Medikamentenexposition) bisher nur in wenigen Studien untersucht. Ein repräsentatives Beispiel bietet die Studie von Schwenkreis et al. (2000), in der die Wirkungen einer 8-tägigen oralen Einnahme von 100 mg pro Tag der antiglutamatergen Substanz Riluzole auf TMS-Erregbarkeitskennwerte untersucht wurden (Schwenkreis et al. 2000). Riluzole führt in der Akutphase 2‒8 h nach erstmaliger Einnahme zu einer signifikanten Abnahme der ICF. Dieser Effekt ist auch in der chronischen Phase nach 8 Tagen noch unverändert nachweisbar. Zusätzlich zeigt sich nun eine Anhebung der kortikalen motorischen Reizschwelle, die initial noch nicht nachweisbar war (Schwenkreis et al. 2000). Die anhaltende Abnahme der ICF deutet darauf hin, dass sich zumindest nach Ablauf einer Behandlungswoche keine relevante pharmakokinetische oder pharmakodynamische Toleranz bez. des antiglutamatergen Effektes entwickelt. Die nur in der chronischen Phase nachweisbare Erhöhung der kortikalen motorischen Schwelle legt zudem nahe, dass erregungshemmende Wirkungen von Riluzole (entweder Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle oder Hemmung der glutamatergen Neurotransmission) erst mit längerzeitiger Behandlung zum Tragen kommen, was u. a. durch Sensitivierung erklärt werden könnte. Diese Daten sind für die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen wie der amyotrophen Lateralsklerose mit Riluzole von Bedeutung (7 Kap. 23) und unterstützen die Annahme, dass Riluzole keinem Wirkverlust durch Toleranz unterliegt.

34.5

Neuropharmakologische Modulation kortikaler Plastizität

34.5.1 Stimulations-induzierte Plastizität Stimulation des motorischen Kortex mit repetitiver TMS (rTMS; 7 Kap. 50), gepaarter assoziativer Stimulation (PAS; 7 Kap. 51) oder transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS; 7 Kap. 53) kann zu einer über die Dauer der Stimulation hinausgehenden, über mindestens 30 min anhaltenden Änderung der kortikospinalen Erregbarkeit führen. Diese wird i.d.R. als Änderung der MEP Amplitude zu einem das gereizte Kortexareal repräsentierenden Muskel erfasst und als stimulations-induzierte Plastizität bezeichnet. Ihre physiologischen Eigenschaften ähneln denen synaptischer Plastizität in Gewebeschnittexperimenten, insbesondere Langzeitpotenzierung (LTP) und -depres-

34

341

34.5 Neuropharmakologische Modulation kortikaler Plastizität

sion (LTD) , und es ist daher wahrscheinlich, dass es sich hierbei um LTP-/LTD-ähnliche Plastizität handelt. Neuropharmakologische Untersuchungen haben dazu beigetragen, diese Formen stimulations-induzierter Plastizität genauer zu charakterisieren. Einheitlich werden alle Formen stimulations-induzierter Plastizität durch pharmakologische Hemmung des NMDA Rezeptors supprimiert (. Tab. 34.2), in guter Übereinstimmung mit der häufig zu beobachtenden Abhängigkeit der Induktion von LTP/LTD im Gewebeschnitt von der Aktivierung von NMDA-Rezeptoren. Blockade von Natrium- und Kalziumkanälen führt ebenfalls zu einer Suppression. Agonisten in den neuromodulatorischen Systemen (Dopamin, Noradrenalin, Acetylcholin) verstärken, Antagonisten in diesen Systemen vermindern stimulations-induzierte Plastizität (. Tab. 34.2; Überblick bei Ziemann et al. 2006).

. Tab. .. Neuropharmakologische Wirkungen auf LTP/LTD-ähnliche stimulations-induzierte Plastizität und übungsabhängige Plastizität im Motorkortex Wirkmechanismus

Substanzen

rTMS

PAS

Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle

Carbamazepin, Lamotrigin

6

Blockade von L-Typ Kalziumkanälen

Nimodipin, Flunarizin

GABAerge Disinhibition

Ischämischer Leitungsblock

8

Positive Modulation am GABAA-Rezeptor

Lorazepam

6

NMDA-Rezeptor-Agonist

D-Cycloserin

NMDA-Rezeptor-Antagonist

Dextromethorphan, Memantine, Amantadin

Dopamin-Precursor

L-Dopa

Dopamin-Rezeptor-Agonist

Cabergolin, Pergolid

8

8

8

Dopamin-Rezeptor-Antagonist

Haloperidol, Sulpirid

6

6

6

Noradrenalin-Agonist

Methylphenidat, d-Amphetamin, Atomoxetin

8

8

8

Alpha1-Adrenozeptor-Antagonist

Prazosin

6

Beta-Adrenozeptor-Antagonist

Propanolol

Acetylcholinesterase-Inhibitor

Tacrin

o

8

Muskarin-Rezeptor-Antagonist

Biperiden, Scopolamin

6

6

6

tDCS

ÜAP

6

o

6 8 8

6

8 6

6

6

6 8

6 6

o kein Eﬀekt; 8 Steigerung; 6 Senkung; rTMS repetitive transkranielle Magnetstimulation; PAS gepaarte assoziative Stimulation; tDCS transkranielle Gleichstromstimulation; ÜAP übungsabhängige Plastizität.

6

342

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 34 · Neuropharmakologie

LTP und LTD gelten als grundlegende Kandidatenmechanismen wichtiger Prozesse des Zentralnervensystems wie Gedächtnisbildung und Lernen. Deshalb sind die hier zusammengefassten Befunde zur pharmakologischen Modulation von stimulations-induzierter LTP-/LTD-ähnlicher Plastizität von besonderem Interesse, da hierdurch neben den Mechanismen dieser Plastizität (z. B. Notwendigkeit der NMDA-Rezeptor-Aktivierung) auch indirekt Rückschlüsse auf die Möglichkeit einer gerichteten pharmakologischen Beeinflussung von LTP-/LTDabhängigen biologischen Prozessen gezogen werden können. Übungsabhängige Plastizität sollte sich dann ähnlich pharmakologisch modulieren lassen wie stimulations-induzierte Plastizität (7 Abschn. 34.6.2).

34.5.2 Übungsabhängige Plastizität Repetitive willkürmotorische Bewegungen gehen mit Plastizität beübter Repräsentationen im Motorkortex einher (7 Kap. 52). So führen repetitive ballistische Finger- oder Armbewegungen zu einer Zunahme der maximalen Beschleunigung der beübten Bewegung (Lerneffekt) und der MEP-Amplitude in den beübten Muskeln (übungsabhängige Plastizität) . In einem anderen Protokoll löst fokale TMS vor dem Training eine Bewegung des Daumens der kontralateralen Hand konsistent in eine bestimmte Richtung aus (z. B. Daumenflexion). Die Probanden werden anschließend aufgefordert, repetitive ballistische Daumenbewegungen in die entgegengesetzte Richtung (Daumenextension) zu üben. Nach dem Training zeigt sich übungsabhängige Plastizität durch eine Richtungsänderung der TMS-induzierten Daumenbewegungen in die Richtung der trainierten Bewegung. In einem weiteren etablierten Protokoll zur Messung übungsabhängiger Plastizität werden ballistische Bewegungen zweier Repräsentationen (z. B. Hand und Schulter) repetitiv trainiert, wobei es darauf ankommt diese Bewegungen möglichst simultan durchzuführen. Der Lerneffekt wird durch die Verbesserung der Synchronizität der Bewegungen erfasst, während übungsabhängige Plastizität durch Messung der Schwerpunkte der MEP-Karten der beiden trainierten Repräsentationen gemessen wird, die sich durch das Training einander annähern. Die aktuell verfügbaren Daten zur neuropharmakologischen Modulation übungsabhängiger Plastizität sind in . Tab. 34.2 zusammengefasst. Diese Übersicht zeigt, dass die neuropharmakologischen Effekte auf stimulationsinduzierte und übungsabhängige Plastizität sich weitgehend parallel verhalten. Übungsabhän-

gige Plastizität wird durch Disinhibition und positive Modulation des dopaminergen, noradrenergen und cholinergen Systems verstärkt (Meintzschel u. Ziemann 2006; Ziemann et al. 2001), durch GABAAerge Inhibition und negative Modulation des dopaminergen, noradrenergen und cholinergen Systems jedoch vermindert (Bütefisch et al. 2000; Meintzschel u. Ziemann 2006). Die Ähnlichkeiten mit der neuropharmakologischen Modulation von LTP-ähnlicher stimulations-induzierter Plastizität unterstützen die Vermutung, dass LTP-ähnliche synaptische Plastizität ein wichtiger Mechanismus von motorischen Lernprozessen des menschlichen Gehirns ist. Diese Erkenntnisse könnten in der Zukunft bei der pharmakologischen unterstützenden Modulation von Rehabilitationsprozessen bei neurologischen Patienten, z. B. nach einem Schlaganfall, eingesetzt werden (Ziemann et al. 2006).

Literatur Büteﬁsch CM, Davis BC, Wise SP et al. (2000) Mechanisms of use-dependent plasticity in the human motor cortex. Proc Natl Acad Sci USA 97: 3661–3665 Chen R, Samii A, Canos M et al. (1997) Eﬀects of phenytoin on cortical excitability in humans. Neurology 49: 881–883 Di Lazzaro V, Oliviero A, Proﬁce P et al. (2000) Muscarinic receptor blockade has diﬀerential eﬀects on the excitability of intracortical circuits in human motor cortex. Exp Brain Res 135: 455–461 Di Lazzaro V, Pilato F, Dileone M et al. (2006) GABAA receptor subtype speciﬁc enhancement of inhibition in human motor cortex. J Physiol 575: 721–726 Eichhammer P, Langguth B, Wiegand R et al. (2003) Allelic variation in the serotonin transporter promoter aﬀects neuromodulatory eﬀects of a selective serotonin transporter reuptake inhibitor (SSRI). Psychopharmacology (Berl) 166: 294–297 Ilic TV, Meintzschel F, Cleﬀ U et al. (2002) Short-interval pairedpulse inhibition and facilitation of human motor cortex: the dimension of stimulus intensity. J Physiol 545.1: 153– 167 Kimiskidis VK, Papagiannopoulos S, Kazis DA et al. (2006) Lorazepam-induced eﬀects on silent period and corticomotor excitability. Exp Brain Res 173: 603–611 McDonnell MN, Orekhov Y, Ziemann U (2006) The role of GABA(B) receptors in intracortical inhibition in the human motor cortex. Exp Brain Res 173: 86–93 Meintzschel F, Ziemann U (2006) Modiﬁcation of Practice-dependent Plasticity in Human Motor Cortex by Neuromodulators. Cereb Cortex 16: 1106–1115 Reis J, Tergau F, Hamer HM et al. (2002) Topiramate selectively decreases intracortical excitability in human motor cortex. Epilepsia 43: 1149–1156.

Literatur

Schwenkreis P, Liepert J, Witscher K et al. (2000) Riluzole suppresses motor cortex facilitation in correlation to its plasma level. Exp Brain Res 135: 293–299 1Tergau F, Wischer S, Somal HS et al. (2003) Relationship between lamotrigine oral dose, serum level and its inhibitory eﬀect on CNS: insights from transcranial magnetic stimulation. Epilepsy Res 56: 67–77 Artikel untersucht erstmals die Wirkungen eines Neuropharmakons auf einen TMS-Erregbarkeitskennwert durch Bestimmung individueller Konzentrationswirkungskurven. Siebner HR, Dressnandt J, Auer C, Conrad B (1998) Continnous intrathecol baclofen infusions induced a marked increase of the transcranially evoked silent period in a patient with generalized dystonia. Muscle Nerve 21: 1209–1212 2Ziemann U (2004) TMS and drugs. Clin Neurophysiol 115: 1717–1729 Systematischer Überblick neuropharmakologischer Wirkungen auf durch TMS bestimmbare Kennwerte der Erregbarkeit des motorischen Kortex und kortikospinalen Systems. 2Ziemann U, Lönnecker S, Steinhoﬀ BJ, Paulus W (1996) Effects of antiepileptic drugs on motor cortex excitability in humans: a transcranial magnetic stimulation study. Ann Neurol 40: 367–378 Erste systematische Studie zu Wirkungen von Neuropharmaka (Antiepileptika) mit verschiedenen Wirkmechanismen auf TMS-Erregbarkeitskennwerte. Die Studie war wegbereitend für die heutigen Kenntnisse zur Pharmakophysiologie der mit TMS gemessenen Erregbarkeit des primären motorischen Kortex und kortikospinalen Systems. Ziemann U, Muellbacher W, Hallett M, Cohen LG (2001) Modulation of practice-dependent plasticity in human motor cortex. Brain 124: 1171–1181 1Ziemann U, Meintzschel F, Korchounov A, Ilic TV (2006) Pharmacological modulation of plasticity in the human motor cortex. Neurorehabil Neural Repair 20: 243–251 Systematischer Überblick neuropharmakologischen Wirkungen auf stimulationsinduzierte und übungsabhängige Plastizität im primären motorischen Kortex.

343

34

345

35

Transkranielle Magnetstimulation und Elektroenzephalograﬁe Reto Huber 35.1

Zeitlich getrennte Durchführung von TMS und EEG/MEG – 346

35.3

Vor- und Nachteile des TMS-EEGAnsatzes – 352

35.2

Simultane Durchführung des EEG während der TMS – 349

Literatur

– 352

ZUM THEMA Die hohe zeitliche Auﬂösung von Elektroenzephalograﬁe (EEG) und Magnetenzephalograﬁe (MEG) ermöglicht eine direkte Ableitung der durch die TMS ausgelösten Hirnaktivität. Neben der zeitlich getrennten Durchführung von TMS und EEG/MEG (Oﬀline-Registrierung) bietet vor allem die gleichzeitige Durchführung von TMS und EEG (Online-Registrierung) eine einmalige Gelegenheit kortikokortikale Verbindungen zu untersuchen. Über Verfahren zur Quellenlokalisation, basierend auf hochauﬂösenden EEG-Ableitungen, werden hierbei die durch einzelne TMS-Pulse induzierten Aktivierungsmuster lokalisiert und als Karte dargestellt. Neben der Untersuchung der

kortikokortikalen Konnektivität kann die Kombination von TMS und EEG auch die Anregbarkeit einer bestimmten Hirnregion erfassen. Insbesondere die Analyse von plastischen Veränderungen des Gehirns nach Lernaufgaben oder als Folge von Schlaganfall, Amputation von Gliedmaßen, Rückenmarkverletzungen oder degenerativen Erkrankungen ist von großem Interesse. So kann die TMS mit der EEG oder MEG kombiniert werden, um die funktionellen Reorganisationsmuster nach einer Hirnschädigung oder Änderungen in der intrazerebralen Konnektivität bei degenerativen Erkrankungen zu erfassen. Ein weiteres Einsatzgebiet ist die präoperative Kartierung kognitiver Hirnfunktionen.

346

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Kapitel 35 · Transkranielle Magnetstimulation und Elektroenzephalograﬁe

Exkurs

Grundlagen des EEG und MEG Elektroenzephalograﬁe (EEG) ) und Magnetenzephalograﬁe (MEG) ) ermöglichen es, die regionale neuronale Aktivität des Gehirns nicht-invasiv zu untersuchen. Beide Modalitäten messen elektromagnetische Signale, die durch die elektrische Aktivität unseres Gehirns generiert werden. Der Hauptentstehungsort der Signale ist der Stromﬂuss in apikalen Dendriten von Pyramidenzellen im Neokortex. Die EEG-Signale resultieren aus Potenzialdiﬀerenzen, die von radialen, vertikal zur Hirnoberﬂäche ausgerichteten Gewebsströmen im Kortex herrühren (Lopes da Silva 2004). Diese Potenzialdiﬀerenzen werden mit Elektroden von der Kopfoberﬂäche abgeleitet. Die Diﬀerenz wird zwischen einer aktiven Elektrode und einer Referenzelektrode gemessen. Die aktive Elektrode kann beliebig an der Kopfhaut über dem Gehirn platziert werden. Die Referenzelektrode kann entweder beliebig an der Kopfhaut über dem Gehirn (aktive Referenzelektrode, bipolare Ableitung) oder über dem Mastoid (partiell aktive Referenzelektrode, referenzielle Ableitung) oder auf den Ohrläppchen oder der Nase (neutrale Referenzelektrode, monopolare Ableiung) platziert werden. Die Wahl der Ableitungsmethoden hat einen nicht zu unterschätzenden Einﬂuss auf das aufgezeichnete Signal. Generell gilt, je weiter die Referenzelektrode von der Ableitungselektrode entfernt ist, desto größer ist die Potenzialdiﬀerenz und desto größer ist die gemessene Signalamplitude. Für die EEG-Registrierung werden die Ströme verstärkt und mit einer Abtastrate zwischen 50 Hz und 5 KHz aufgezeichnet. Sie bewegen sich im Mikrovoltbereich. Die sog. Volumenleitung (engl. volume conductance) , die durch die Leitfähigkeit des Hirngewebes, im speziellen der Hirnﬂüssigkeit, entsteht, wirkt wie ein räumlicher Filter und verwischt den Ort

der eigentlichen Aktivitätsentstehung (Lopes da Silva 2004; Niedermeyer 1996). Hochauﬂösende EEG-Ableitungen verwenden bis zu 256 Elektroden. Die räum liche Auﬂösung ist dabei gleich der Elektrodendistanz (bis zu 1–2 cm). Bei der MEG werden magnetische Felder abgeleitet, welche aufgrund der neuronalen elektrischen Aktivität durch die im Gehirn ﬂießenden Ströme erzeugt werden (Lopes da Silva 2004). Im Gegensatz zum EEG- wird das MEG-Signal vorwiegend durch parallel zur Hirnoberﬂäche ﬂießende Gewebsströme generiert. Die Ausbreitung und Ableitung magnetischer Felder wird nicht durch die Volumenleitung verzerrt und reﬂektiert deshalb mit größerer Genauigkeit den Entstehungsort der neuronalen Aktivität. Die räumliche Auﬂösung des MEG liegt bei ca. 5 mm. Als weiterer Vorteil ist die Referenzunabhängigkeit der MEGMessung hervorzuheben. Da bei der MEG, im Gegensatz zu EEG, keine Elektroden platziert werden müssen, können die MEG-Messungen mit relativ kurzer Vorbereitungszeit durchgeführt werden. Zur Ableitung der magnetischen Felder werden supraleitende Magnetometer (engl. superconducting quantum interference device, SQUID) eingesetzt. Es können derzeit bis zu 512 solcher Messköpfe verwendet werden. Die Sonden müssen in einem magnetisch abgeschirmten Raum platziert werden. Diese Sonden stellen auch den grössten Nachteil des MEG dar. Die ﬁxe Anordnung der Ableitungssonden hat zur Folge, dass sich die Versuchsperson während der Ableitung nicht bewegen darf, da sich sonst die räumliche Beziehung zwischen Kopf und Messeinrichtung ändert. Dies erschwert den Einsatz der MEG bei Patienten und limitiert die Durchführung von Langzeitableitungen.

36 37 38 39 40

35.1

Zeitlich getrennte Durchführung von TMS und EEG/MEG

Grundsätzlich können EEG und TMS entweder zeitlich getrennt als Offline-Registrierung oder simultan als Online-Registrierung durchgeführt werden. Die Offline-Durchführung des EEG ist technisch leichter zu realisieren, da durch die zeitliche Trennung von TMS- und EEG-Registrierung keine störenden Interaktionen zwischen den beiden Methoden entstehen. In der Offline-Anwendung werden

mittels MEG oder EEG die anhaltenden elektrophysiologischen Veränderungen erfasst, die durch eine vorherige TMS-Sitzung induziert wurden. Elektrophysiologische Veränderungen können durch spezielle TMS-Konditionierungsprotokolle induziert werden, welche eine die Stimulation überdauernde Verstärkung oder Abschwächung von neuronale Verbindungen bewirken (Ziemann et al. 2004; 7 Kap. 50 und 51). Die exzellente zeitliche Auflösung in Kombination mit einer großen Anzahl von Ableitungspunkten machen sowohl MEG wie auch EEG zu einer bevor-

347

35.1 Zeitlich getrennte Durchführung von TMS und EEG/MEG

zugten Untersuchungsmethode. Ableitungen spontaner Hirnströme im Wachzustand, aber auch während des Schlafes, sind möglich. Die Wahl der Untersuchungsmethode und des Vigilanzzustandes hängt von der jeweiligen Fragestellung ab. Untersuchungen, die TMS-induzierte EEG-Veränderungen offline registrieren, können sowohl grundlegende als auch klinische Fragestellungen bearbeiten. In der Grundlagenforschung können mit diesem Ansatz vor allem Modelle der Gedächtnisbildung, des Bewusstseins, des Informationsaustauschs oder andere kognitive Prozesse untersucht werden. Insbesondere die Untersuchung von plastischen Veränderungen des Gehirns nach Lernaufgaben oder unter pathologischen Bedingungen, wie etwa nach Schlaganfall, Amputation von Gliedmaßen, Rückenmarkverletzungen oder Ähnlichem, ist von großem Interesse (Rossini u. Pauri 2000). So verdichten sich die Hinweise, dass die Amplitude der spontanen lang-

a

. Abb. .a,b. Lokale Änderungen des spontanen Wach(a) und Schlaf-EEG (b) nach einer Konditionierung des primären motorischen Kortex mit einer hochfrequenten rTMS. Topographische Darstellung der t-Werte des Vergleichs zwischen der Konditionierung mit der 5-Hz-rTMS und einer ineffektiven Kontrollbedingung (engl. sham rTMS) für die Aktivität im Alpha-Frequenzband (9–10 Hz) im Wachzustand und für die Aktivität im Delta-Frequenzband (1–4,5 Hz) im Schlaf. Das Wach-EEG wurde kontinuierlich über 2 min aufgezeichnet mit Aufzeichnungsbeginn durchschnittlich 22 min nach Ende der TMS-Konditionierung. Das Schlaf-EEG stellt einen Mittelwert der ersten 30 min des Schlafes ohne schnelle Augenbewegungen (engl. non-rapid eye movement, bzw. NREM-sleep) dar. Weiße Punkte markieren Elektroden, bei denen mit einem

35

samen Wellen im Schlaf ein Maß der tagsüber evozierten synaptischen Potenzierung darstellt (Tononi u. Cirelli 2006). In einer kürzlich durchgeführten Studie wurde hochfrequente repetitive TMS (rTMS) verwendet, um die regionale Erregbarkeit des motorischen Kortex über die Stimulation hinaus zu erhöhen (Huber et al. 2007). Zunächst wurde mittels Einzelreiz-TMS gezeigt, dass 1.500 Stimuli mit einer Grundfrequenz von 5 Hz die Amplitude der ausgelösten motorisch evozierten Potenziale (MEP) steigerten (7 Kap. 50). Anschließend wurde die spontane kortikale Aktivität der Versuchspersonen im Wachzustand und im Schlaf mittels hochauflösendem EEG (60 Elektroden) aufgezeichnet. In der Hirnregion, die eine erhöhte kortikospinale Erregbarkeit nach der effektiven 5-Hz-rTMS aufwies, zeigte das EEG eine lokale Zunahme der Amplitude langsamer Wellen im Schlaf (. Abb. 35.1). Dieser Befund unterstützt die Hypothese, dass die Amplitude langsamer Wellen

b

nichtparametrischen Analyseverfahren eine signiﬁkante Erhöhung der EEG-Aktivität gefunden wurde. Zur anatomischen Lokalisation der Elektroden, die einen signiﬁkanten Unterschied aufwiesen, wurden alle 60 Elektroden (graue Nadeln) digitalisiert und mit dem Kernspintomogramm jeder Versuchsperson koregistriert. Wurden nach diesem Verfahren die Unterschiede der TMS-Konditionierung und der Kontrollbedingung auf das Gehirn projiziert, so lagen die signiﬁkanten Elektroden über dem prämotorischen Kortex. Diese Untersuchung zeigt, dass TMS Langzeitwirkungen haben kann, die im spontanen Wach- und Schlaf-EEG messbar sind und sich maximal in zur eigentlichen Stimulation rostral gelegenen Hirnregionen zeigen. (Abbildung in Farbe 7 S. 632)

348

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 35 · Transkranielle Magnetstimulation und Elektroenzephalograﬁe

im Schlaf in direktem Zusammenhang mit der Potenzierung kortikaler Synapsen steht (Tononi u. Cirelli 2006). Klinisch wird versucht, die Offline-Registrierung von EEG und MEG als diagnostisches Mittel einzusetzen (Rossini u. Pauri 2000). Die Effizienz von rTMS-Konditionierungsprotokollen könnte z. B. als Kriterium für den Erfolg von Therapiemaßnahmen herangezogen werden. Hierbei könnte mittels SchlafEEG nach rTMS-Konditionierung getestet werden, ob Hirnregionen, welche eine pathologische erhöhte oder verringerte Erregbarkeit aufweisen, sich mittels rTMS modulieren lassen. So wird z. B. die rTMS bei depressiven Patienten dazu verwendet, frontale Hirnregionen anzuregen (7 Kap. 61). Die langsamen Wellen im Schlaf könnten hier darüber Auskunft geben, in welchem Maß die Therapie auf physiologischer Ebene erfolgreich ist. Methodische Aspekte. Nach der rTMS-Konditionierung (7 Kap. 50 und 51) wird das spontane Wach- und/ oder Schlaf-EEG/MEG aufgezeichnet. Das Wach-EEG wird meist während einiger Minuten unter möglichst konstanten Bedingungen abgeleitet. Entweder wird dies mit geschlossenen oder offenen Augen durchgeführt. Um Augenbewegungen zu reduzieren ist eine Wach-EEG/MEG-Ableitung mit geschlossenen Augen von Vorteil. Eine zusätzliche Reduzierung der Augenbewegungen kann dadurch erreicht werden, dass die Versuchspersonen einen Finger leicht auf die geschlossenen Augenlider auflegen. Um Muskelartefakte zu reduzieren, sollte die Ableitung in möglichst entspanntem Zustand erfolgen. Der Nachteil einer Ableitung mit geschlossenen Augen ist die Schwierigkeit, die Versuchsperson in einem konstanten Vigilanzzustand zu halten. Besonders bei erhöhtem Schlafdruck besteht die Gefahr des Einschlafens. Dies hat dramatische Veränderungen der Hirnströme zur Folge (. Abb. 35.2). Alternativ kann das Wach-EEG mit offenen Augen abgeleitet werden. Auch hier sollten insbesondere Augenbewegungen aber auch sonstige Bewegungen möglichst minimiert werden. Um Augenbewegungen zu reduzieren können in diesem Fall die Versuchspersonen instruiert werden einen Punkt zu fixieren. Neben der Wachregistierung kann eine Registrierung während des Schlafs für bestimmte Fragestellungen von Vorteil sein. Zu den Vorteilen einer Registrierung während des Schlafs gehören die einfache Erhebung großer Datenmengen ohne Ermüdungserscheinung der Versuchspersonen, die Unabhängigkeit von momentaner kognitiver Aktivität und das gute Wissen über den Ursprung der Hirnaktivität während des Schlafs (Steriade 2003). Nach einer Artefaktbereinigung werden die abgeleiteten Hirnströme mit-

. Abb. .. Unterschiedliche kortikale Aktivierung im Wach- und Schlafzustand . Oben: Globale mittlere Feldstärke (engl. global mean ﬁeld power) der durch die TMS evozierten Potenziale für den Wach- (graue Linie) und Schlafzustand (schwarze Linie). Diese mittlere Feldstärke reﬂektiert die insgesamte elektrische Aktivierung der Hirnrinde durch die TMS, die aus den gemittelten multikanal Signalen berechnet wurde (Massimini et al. 2005). Die TMS wurde über dem rechten rostralen prämotorischen Kortex appliziert. Im Wachzustand induzierte TMS eine langanhaltende Antwort periodisch auftretender Aktivierung. In den ersten 100 ms nach transkranieller Stimulation dominierte hochfrequente EEG-Aktivität (20–35 Hz). Auf diese folgten langsamere EEG-Komponenten (8–12 Hz) bis ungefähr 300 ms nach der TMS. Mit dem Schlafbeginn änderte sich diese TMS-induzierte Hirnantwort deutlich: Die Amplitude der ersten Welle verdoppelte sich und dauerte länger an. Nach dieser anfänglichen Welle ließ sich im Schlaf bis auf einen kleinen negativen Rücksprung keine weitere TMS-induzierte EEG-Aktivität mehr feststellen. Unten: Räumliche und zeitliche Darstellung der durch die TMS evozierten kortikalen Ströme. Für jeden Zeitpunkt mit maximaler Aktivierung (. Abb. 35.3) wurde die Stromdichte in Abhängikeit der Latenz farbkodiert (hellgrau 0 ms; weiß 300 ms). Das Kreuz markiert auf dem Kortex das Zentrum der Stimulationsspule. Im Wachzustand bewegte sich die maximale Aktivierung zwischen dem prämotorischen und dem präfrontalen Kortex beider Hirnhälften hin und her. Im Gegensatz dazu wurde im Schlaf weder eine räumliche noch eine zeitliche Bewegung der TMS-induzierten Aktivität festgestellt. Aus diesen Resultaten wurden in der Studie von Massimini et al. (2005) geschlossen, dass im Schlaf die kortikokortikale Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rindenarealen weitestgehend zusammenbricht. (Mit freundlicher Genehmigung von M. Massimini; ausführlich s. Massimini et al. 2005) (Abbildung in Farbe 7 S. 633)

35.2 Simultane Durchführung des EEG während der TMS

tels Spektralanalyse (. Abb. 35.1), Kohärenzanalyse oder anderer signalverarbeitender Methoden weiter ausgewertet. Auch das Ableiten von evozierten kortikalen Potenzialen kann je nach Fragestellung von Nutzen sein. So können im Anschluß an eine rTMS-Konditionierung die evozierten Potenziale verschiedener Modalitäten z. B. die somatosensorisch evozierten kortikalen Potenziale dazu verwendet werden, um Änderungen der zerebralen Erregbarkeit festzustellen (Tsuji u. Rothwell 2002). Eine prominente ereignisbezogene Änderung der EEG-Aktivität ist die Blockierung oszillatorischer Aktivität vor einem Ereignis z. B. einer selbstinitiierten Bewegung, einhergehend mit einer Abnahme der Leistung (engl. power) in bestimmten Frequenzbändern. Dieses Phänomen der Leistungsabnahme wird als ereignisbezogene Desynchronisation (engl. event-related desynchronization’) bezeichnet und wurde verwendet, um fokale Aktivierungsmuster, die mit verschiedenen sensorischen, motorischen und kognitiven Tests assoziiert sind, über eine Zeit zu verfolgen (Pfurtscheller u. Lopes da Silva1999). Funktionelle Kopplung zwischen Hirnregionen können mittels der Kohärenzanalyse, welche die zeitliche Korrelation von oszillatorischen Aktivitäten verschiedener Hirnregionen quantifiziert, untersucht werden (Andrew u. Pfurtscheller 1996). Intrazelluläre Ableitungen bei Tieren (Destexhe et al. 1999) haben gezeigt, dass die Modulation der Erregbarkeit kortikaler Pyramidenneuronen eine leistungsstarke Rückmeldung zum Thalamus bewirkt. Dies wiederum hat eine kohärente Oszillation zwischen Thalamus und Kortex über Kortex-Thalamus-Kortex-Scheife zur Folge und stellt deshalb einen möglichen zellulären Mechanismus der kohärenten Oszillation des thalamokortikalen Systems dar.

35.2

Simultane Durchführung des EEG während der TMS

Die simultane Durchführung des EEG während der TMS ist eine relativ neue Methode, bei der evozierte Potenziale der TMS aufgezeichnet werden. Mit dieser Methode kann eine direkte Hirnantwort auf eine TMSAnregung gemessen werden (Ilmonemi et al. 1997). Das EEG bietet dabei die nötige zeitliche Auflösung, um solche Hirnantworten zu messen und die TMS ist eine nichtinvasive Methode, mit der sich gezielt Neuronengruppen anregen lassen. Während die OfflineRegistrierung von EEG und MEG die anhaltenden Auswirkungen der rTMS-Konditionierung auf die Hirnfunktion erfassen kann, können mittels simul-

349

35

taner TMS und EEG die durch einen transkraniellen Stimulus induzierten kortikalen Aktivierungsmuster dargestellt werden. Die Ausbreitung der Aktivierung in Raum und Zeit ermöglicht Rückschlüsse über die durch die TMS aktivierten kortikokortikalen Verbindungen (Ilmonemi et al. 1997). Ein breites Spektrum an Fragestellungen kann mit dieser Methode angegangen werden (Komssi u. Kahkonen 2006). Generell können Fragen der kortikokortikalen Konnektivität und Erregbarkeit untersucht werden. Bei der Untersuchung der Konnektivität wird eine bestimmte Hirnregion mit der TMS fokal stimuliert und die Hirnantwort mit großer zeitlicher Auflösung topographisch aufgezeichnet. Mithilfe von Methoden zur Quellenlokalisation (engl. source localization) kann danach die Ausbreitung der Hirnaktivität auf die TMS abgeschätzt werden (. Abb. 35.3). Da diese mathematischen Verfahren das »inverse Problem« (Niedermeyer 1996) lösen und deshalb Annahmen gemacht werden müssen, ist die Methode nur eine Approximation der eigentlichen Hirnaktivität. Bei der Untersuchung der kortikalen Erregbarkeit wird das Ausmaß der EEG-Antwort auf die TMS herangezogen. Die Amplitude der ereigniskorrelierten Hirnantwort ist ein regional generiertes Maß für die Erregbarkeit der zugehörigen Neuronen. Diese Methode wurde schon in den klassischen Experimenten von Bliss und Lomo (Bliss u. Lomo 1973) zur Untersuchung der Langzeitpotenzierung (LTP) in Tiermodellen angewendet. Daraus folgt, je effizienter die synaptische Übertragung zwischen Neuronen ist, desto einfacher ist ein Aktionspotenzial transsynaptisch induzierbar. Allerdings ist Vorsicht geboten bei der Interpretation von Amplitudenunterschieden, da viele anatomische und physiologische Faktoren wie die Orientierung der anzuregenden Neuronenverbände, die Schädeldicke und die Balance zwischen hemmenden und anregenden Neuronen einen zusätzlichen Einfluss auf die durch das EEG ableitbare, regionale Hirnantwort haben. Die gute zeitliche Auflösung des EEG erlaubt auch die Messung von Signalübertragungszeiten zwischen verschiedenen Hemisphären oder Hirnregionen. Dazu wird eine bestimmte Hirnregion mittels TMS angeregt und durch Quellenlokalisation die Hirnantwort in der anderen Hirnhälfte oder in anderen Hirnregionen derselben Hirnhälfte aufgezeichnet. Solche Messungen könnten von großem klinischen Nutzen sein. Bei psychischen Erkrankungen, die mit einer gestörten Kommunikation zwischen verschiedenen Hirnregionen in Verbindung gebracht werden, könnten exakte elektrophysiologische Messungen durchgeführt werden und mit einem Normkollektiv verglichen werden.

350

Kapitel 35 · Transkranielle Magnetstimulation und Elektroenzephalograﬁe

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .. Räumlich-zeitliche Dynamik der durch die TMS-induzierten kortikalen EEG-Potenziale im Wachzustand. Die fokale TMS wurde über dem rechten rostralen prämotorischen Kortex gegeben (7 digitale Abbildung der Koregistierung von Stimulationsspule und strukturellem MRT). Im oberen Teil der Abbildung sind für eine repräsentative Versuchsperson die gemittelten durch die TMS evozierten, kortikalen Potenziale aller 60 Elektroden als »butterﬂy plot« dargestellt. Der Zeitpunkt der TMS ist mit einem schwarzen vertikalen Balken markiert. Die Oberﬂächenprojektionen im unteren Teil der Abbildung zeigen die räumlich-zeitliche Modellierung

des Aktivitätsursprungs, die für jede Potenzialkomponente bei dem lokalen Maxima der Feldstärke durchgeführt wurde (dunkelgraue Markierungen). Die Rekonstruktion der Stromdichte erfolgte mit einer »Minimum-norm-least-squares«-Methode. Die Resultate der Stromdichterekonstruktion wurden zu jedem Zeitpunkt autoskaliert und bei 80% der maximalen Stromdichte (engl. current density ratio, CDR) abgeschnitten. (Mit freundlicher Genehmigung von M. Massimini; ausführlichere Beschreibung dieser räumlichen und zeitlichen Dynamik der TMS-induzierten kortikalen Potenziale in Massimini et al. 2005) (Abbildung in Farbe 7 S. 634)

So konnte in einer Pilotstudie gezeigt werden, dass die Ausbreitung der Aktivität nach einem TMS–Einzelreiz in Versuchspersonen mit einer Schizophrenie verändert ist (Massimini et al. 2005). Eine vielversprechende Anwendung ist die simultane TMS und EEG-Aufzeichnung während des Schlafes. Hiermit konnte gezeigt werden, dass Tiefschlaf mit einem Verlust der kortikalen Kommunikation einhergeht (Massimini et al. 2005). Während im Wachzustand eine spezifische Ausbreitung der Hirnaktivierung in andere kortikale Areale beobachtet werden konnte, blieb die durch einen fokalen transkraniellen Einzelreiz verursachte Hirnaktivierung im Schlaf auf das stimulierte Kortexareal beschränkt (. Abb. 35.2). Eine weitere innovative Anwendungsmethode besteht darin, die transkranielle Stimulation durch ein bestimmtes EEG-Signal zu triggern. So

könnte z. B. während des Schlafes, wann immer eine Schlafspindel oder eine langsame Welle auftritt, diese detektiert werden und dann ein transkranielle Stimulation mit einer bestimmten Latenz ausgelöst werden. So könnte die Erregbarkeit bestimmter Hirnregionen in Abhängigkeit der momentanen Aktivität abgeleitet werden (7 Kap. 48). Auch im Wachzustand sind solche Messungen der aktivitätsabhängigen Erregbarkeit möglich. So wurde z. B. gezeigt, dass die Erregbarkeit des prämotorischen Kortex, mit TMS-EEG gemessen, vor einer Bewegungsausführung ansteigt (Nikulin et al. 2003). Die kontinuierliche Messung der kortikalen Anregbarkeit mittels TMS-EEG könnte auch als Sicherheitsmonitoring z. B. während Narkosen verwendet werden. Weitere Anwendungen wären Studien zur funktionellen Reorganisation nach fokaler Hirnverletzung, präoperatives Vermessen wichtiger

35.2 Simultane Durchführung des EEG während der TMS

Hirnfunktionen oder Untersuchungen zur Integrität der intrazerebralen Konnektivität bei degenerativen Erkrankungen. Generell ermöglicht die simultane Anwendung von TMS und EEG es festzustellen, ob eine kortikale Region durch Krankheit oder Medikation über- oder untererregbar ist. So konnte z. B. gezeigt werden, dass Alkohol die Erregbarkeit des präfrontalen Kortex reduziert (Kahkonen et al. 2003). Um die Ausbreitung der TMS-induzierten neuronalen Aktivität an der Gehirnoberfläche zu verfolgen, wird die kortikale Stromdichte mittels mathematischer Algorithmen bestimmt (Hamalainen u. Ilmoniemi 1994). Je nach Ort der Stimulation treten verschiedene neuronale Aktivierungsmuster auf. Es wird angenommen, dass diese Aktivierungsmuster die funktionelle Konnektivität des stimulierten Hirnrindenareals reflektiert. Als Beispiel zeigt . Abb. 35.3 ein räumlich-zeitliches kortikales Aktivierungsmuster nach fokaler Einzelreizstimulation des primären motorischen Kortex. Neben der Analyse der evozierten Potenziale in der räumlich-zeitlichen Domäne, kann auch die Frequenzdomäne Aufschluss über direkte Auswirkungen der TMS auf die Hirnaktivät geben. So kann mittels Spektralanalyse untersucht werden, ob bestimmte oszillatorische Hirnaktivitäten durch die TMS verstärkt oder abgeschwächt werden. Einzelreizstimulation führt z. B. zu einer kurfristigen Synchronisation der Hirnstromoszillation im Betabereich (15‒30 Hz) (Paus et al. 2001). Solche TMS-induzierten Veränderungen von oszillatorischer Hirnaktivität kommen wahrscheindlich durch eine Rückstellung von endogenen Oszillationen zustande (Pfurtscheller u. Lopes da Silva 1999). Methodische Aspekte. Da die TMS ein starkes elektromagnetisches Wechselfeld induziert, stellt die simultane Ableitung von Hirnströmen im Mikrovoltbereich während der TMS eine technische Herausforderung dar. Wegen der starken Verstärkung der EEG-Signale führt die TMS zu einem starken Artefakt, welcher je nach analoger Filterbeschaffenheit des EEGVerstärkers von unterschiedlicher Dauer sein kann. Im schlimmsten Fall, bei kleiner dynamischer Breite und hohen Impedanzen, kann ein solches Artefakt für mehrere hundert Millisekunden andauern und dadurch die eigentliche Antwort des Gehirns überdecken. Die wohl bisher erfolgreichste Methode ein technisches Artefakt zu verhindern, ist ein EEG-Verstärker mit einem »sampling-and-hold circuit« (Virtanen et al. 1999). Hierbei wird für einige Mikrosekunden vor und einige Millisekunden nach dem TMSPuls das Signal am Verstärkerausgang konstant ge-

351

35

halten. Dadurch geht etwas an Daten verloren, jedoch kann damit die langandauernde Interaktion zwischen TMS und EEG verhindert werden. Ein alternatives Gerät benutzt einen »slew-rate limiter« zur Unterdrückung des Artefaktes (Epstein 1995). Neben einem technischen Artefakt können jedoch auch Artefakte anderer Art auftreten, wobei Muskelartefakte die wohl häufigste Ursache sind. Hierbei werden durch die TMS direkt Muskelfasern stimuliert. Ob und bei welcher Stimulationsintensität solche Muskelartefakte auftreten ist von der Versuchsperson abhängig. Außerdem spielt der Stimulationsort eine entscheidende Rolle, wobei zentrale Regionen am wenigsten von Muskelartefakten betroffen sind. Die erhobene Datenqualität evozierter Potenziale ist direkt abhängig von der Signalqualität. Verschiedene Faktoren können diese Signalqualität beeinflussen. Besonders zu erwähnen sind äußere elektromagnetische Felder, z. B. von Steckdosen, aber auch die eigentliche Qualität der Elektrodenpreparation. So können zu hohe Impedanzen der Elektroden (>5 k:) zu einer drastischen Reduktion der Datenqualität beitragen. Eine ausreichend gute Signalqualität über eine längere Zeit aufrecht zu erhalten ist nicht immer ganz einfach. Bewegungen der Versuchsperson, das Platzieren und Verschieben der TMS-Spule, aber auch das Austrocknen der Elektroden tragen zu Veränderungen der Signalqualität bei. Auch die Reproduzierbarkeit kann je nach Versuchsaufbau eine Schwierigkeit darstellen. So können z. B. kleinste Verschiebungen der TMS-Spule (im Millimeterbereich) schon zu Änderungen der evozierten Potenziale führen, vermutlich da nicht genau die gleichen Neuronen stimuliert werden. Eine Erhöhung der Stimulationsstärke kann dem entgegenwirken, da damit ein größerer Bereich mit maximaler Stimulation abgedeckt wird. Leider hat eine Erhöhung der Stimulationsstärke oftmals ebenfalls negative Auswirkungen auf die Datenqualität. Zu beachten sind auch Änderungen der kognitiven Aktivität der Versuchsperson während der EEGAufzeichnung. Schon kleinste Änderungen der Vigilanz können z. B. einen großen Einfluss auf die Amplitude und die Charakteristika der evozierten kortikalen Potenziale haben (. Abb. 35.2; Massimini et al. 2005). Idealerweise wird deshalb versucht, z. B. mit einem simplen kognitiven Test, den Vigilanzzustand konstant zu halten. Das Klicken und die Vibration der TMS-Spule während der Reizapplikation stellen weitere mögliche Probleme dar. Das Klicken kann ein auditorisch evoziertes Potenzial auslösen. Dies kann dadurch verhindert werden, dass das aufgezeichnete Klicken mit wei-

352

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 35 · Transkranielle Magnetstimulation und Elektroenzephalograﬁe

ßem Rauschen vermischt und über Kopfhörer der Versuchsperson dargeboten wird (Massimini et al. 2005). Die verwendeten Kopfhörer sollten hierbei unbedingt auf direkten Einfluss der TMS geprüft werden. Die Lautstärke des maskierenden Rauschens wird so adjustiert, dass die Versuchsperson das Klicken der TMS nicht mehr wahrnimmt. Der Einfluss des auditorisch evozierten Potenzials kann auch mittels einer ineffektiven Kontrollstimulation festgestellt werden. Dabei wird unter die Spule eine Plastikkubus (2‒3 cm Dicke) platziert, um die Distanz zum Kortex zu vergrößern und dadurch die direkte elektromagnetische Hirnstimulation zu verringern. Die Vibration der TMS-Spule während der Entladung kann sich auf die Elektroden übertragen. Solche Bewegung der Elektroden kann zu substanziellen Gleichstrom-Verschiebungen führen, die eine Zeitkonstante von bis zu 300 ms aufweisen. Die Verwendung eines Hochpass-Filters kann solchen Verschiebungen entgegenwirken.

35.3

Vor- und Nachteile des TMS-EEGAnsatzes

Ein klarer Vorteil des TMS-EEG-Ansatzes ist die gute zeitliche Auflösung der EEG-Messung. Diese erlaubt die Messung der direkten Hirnantwort auf eine TMSAnregung im Millisekundenbereich. Die Positronenemissionstomografie (PET) und die funktionelle Magnetresonanztomografie (MRT) erlauben jedoch nur eine zeitliche Auflösung im Minuten- (PET) oder Sekundenbereich (funktionelle MRT). Ausserdem basiert die EEG-Messung auf einer direkten Ableitung der Hirnaktivität, wohingegen sowohl die PET des regionalen zerebralen Blutflusses als auch die funktionelle MRT auf der regionalen neurovaskulären Kopplung basieren und so nur ein indirektes Maß der regionalen neuronalen Aktivität und eine limitierte zeitliche Auflösung bieten. Die räumliche Auflösung des EEG im Zentimeterbereich ist deutlich geringer als die der funktionelle MRT. Vor allem die dreidimensionale Auflösung kann beim EEG nur abgeschätzt werden. Hier haben PET (7 Kap. 36) wie auch funktionelle MRT (7 Kap. 37) klare Vorteile. Die simultane Durchführung von TMS und funktioneller MRT ist jedoch mit technischen Schwierigkeiten aufgrund der Interaktion der starken Magnetfelder beider Techniken verbunden.

Literatur Andrew C, Pfurtscheller G (1996) Event-related coherence as a tool for studying dynamic interaction of brain regions. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 98: 144–148 Bliss TV, Lomo T (1973) Long-lasting potentiation of synaptic transmission in the dentate area of the anaesthetized rabbit following stimulation of the perforant path. J Physiol 232: 331–356 Destexhe A, Contreras D, Steriade M (1999) Cortically-induced coherence of a thalamic-generated oscillation. Neuroscience 92: 427–43 Epstein CM (1995) A simple artifact-rejection preampliﬁer for clinical neurophysiology. Am. J. EEG Tech. 35: 64–71 Hamalainen MS, Ilmoniemi RJ (1994) Interpreting magnetic ﬁelds of the brain: minimum norm estimates. Med Biol Eng Comput 32: 35–42 Huber R, Esser SK, Ferrarelli F et al. (2007) TMS-induced cortical potentiation during wakefulness locally increases slow wave activity during sleep. PLoS ONE 2: e276 2Ilmoniemi RJ, Virtanen J, Ruohonen J et al. (1997) Neuronal responses to magnetic stimulation reveal cortical reactivity and connectivity. Neuroreport 8: 3537–3540 Die Autoren beschreiben zum ersten Mal die Methode zur simultanen Durchführung des EEG während der TMS mit dem Zweck die kortikale Erregbarkeit und Konnektivität nichtinvasiv zu messen. Kahkonen S, Wilenius J, Nikulin VV et al. (2003) Alcohol reduces prefrontal cortical excitability in humans: a combined TMS and EEG study. Neuropsychopharmacology 28: 747–754 1Komssi S, Kahkonen S (2006) The novelty value of the combined use of electroencephalography and transcranial magnetic stimulation for neuroscience research. Brain Res Brain Res Rev 52: 183–192 Ein Übersichtsartikel über Anwendungen der simultanen Durchführung des EEGs während der TMS. Lopes da Silva F (2004) Functional localization of brain sources using EEG and/or MEG data: volume conductor and source models. Magn Reson Imaging 22: 1533–1538 2Massimini M, Ferrarelli F, Huber R et al. (2005) Breakdown of cortical eﬀective connectivity during sleep. Science 309: 2228–2232 Die Autoren verwenden die simultane Durchführung des EEGs während der TMS im Schlaf und zeigen, dass der Tiefschlaf mit einem Verlust der kortikalen Kommunikation einhergeht. Niedermeyer E (1996) Dipole theory and electroencephalography. Clin Electroencephalogr 27: 121–131 Nikulin VV, Kicic D, Kahkonen S et al. (2003) Modulation of electroencephalographic responses to transcranial magnetic stimulation: evidence for changes in cortical excitability related to movement. Eur J Neurosci 18: 1206–1212 Paus T, Sipila PK, Strafella AP (2001) Synchronization of neuronal activity in the human primary motor cortex by transcranial magnetic stimulation: an EEG study. J Neurophysiol 86: 1983–1990

Literatur

Pfurtscheller G, Lopes da Silva FH (1999) Event-related EEG/ MEG synchronization and desynchronization: basic principles. Clin Neurophysiol 110: 1842–1857 Rossini PM, Pauri F (2000) Neuromagnetic integrated methods tracking human brain mechanisms of sensorimotor areas ‚plastic’ reorganisation. Brain Res Brain Res Rev 33: 131– 154 Steriade M (2003) The corticothalamic system in sleep. Front Biosci 8: 878–899 Tononi G, Cirelli C (2006) Sleep function and synaptic homeostasis. Sleep Med Rev 10: 49–62 1Tsuji T, Rothwell JC (2002) Long lasting eﬀects of rTMS and associated peripheral sensory input on MEPs, SEPs and transcortical reﬂex excitability in humans. J Physiol 540: 367–736 Die Autoren verwenden die zeitlich getrennte Durchführung von TMS und EEG und zeigen Änderungen der Erregbarkeit des sensorischen und motorischen Kortex im Anschluß an eine rTMS-Konditionierung. Virtanen J, Ruohonen J, Naatanen R et al. (1999) Instrumentation for the measurement of electric brain responses to transcranial magnetic stimulation. Med Biol Eng Comput 37: 322–326 Ziemann U, Ilic TV, Pauli C et al. (2004) Learning modiﬁes subsequent induction of long-term potentiation-like and long-term depression-like plasticity in human motor cortex. J Neurosci 24: 1666–1672

353

35

355

36

Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe Martin Peller, Hartwig Roman Siebner 36.1

Einführung – 356

36.4

PET-Messungen im Anschluss an die TMS – 360

36.2

Methodische Aspekte – 356

36.2.1

Zeitliche und räumliche Auﬂösung der PET – 356 Interaktion zwischen TMS und PET – 356 Methoden zur Spulenpositionierung über dem kortikalen Zielareal – 357

36.4.1 36.4.2

Allgemeine Aspekte – 360 Fallbeispiele – 361

36.5

TMS und PET bei neuropsychiatrischen Erkrankungen – 363

36.6

Ausblick – 364

Literatur

– 365

36.2.2 36.2.3

36.3 36.3.1 36.3.2

PET-Messungen während der TMS – 357 Allgemeine Aspekte – 357 Fallbeispiele – 359

ZUM THEMA Dieses Kapitel beschreibt den kombinierten Einsatz von TMS und Positronenemissionstomograﬁe (PET) zur Erforschung menschlicher Hirnfunktionen. Zunächst wird auf methodische Aspekte eingegangen, die bei der Kombination von TMS und PET zu berücksichtigen sind. Im Weiteren wird an einigen Beispielen das neurowissenschaftliche Potenzial der Kombination von TMS und PET aufgezeigt. TMS und PET können gleichzeitig (online) oder zeitlich versetzt (oﬄine) durchgeführt werden. Die Online-PET kann akute neurophysiologische Eﬀekte während der TMS erfassen. Neben den regionalen Eﬀekten im stimulierten Kortex kann die simultane TMS-PET auch die funktionellen Auswirkungen der TMS in den mit dem stimulierten Kortex

verbundenen Hirnregionen darstellen. Dieser Ansatz erlaubt es, die funktionelle Konnektivität des stimulierten Kortex zu untersuchen. Mit der Oﬄine-PET im Anschluss an eine rTMS-Konditionierung können andauernde Eﬀekte der rTMS auf bestimmte Hirnfunktionen erfasst werden. Dies ermöglicht es, die durch die rTMS induzierten Reorganisationsmuster aufzudecken und so die neuromodulatorischen Eﬀekte der rTMS auf Systemebene zu charakterisieren. Oﬄine-TMS-PET Untersuchungen an Patienten sind geeignet die therapeutischen Eﬀekte der rTMS zu erforschen und die Pathophysiologie neuropsychiatrischer Erkrankungen besser zu verstehen.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

356

Kapitel 36 · Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe

36.1

Einführung

Aufgrund der engen räumlich-zeitlichen Kopplung von regionalem zerebralem Blutfluss, Glukosestoffwechsel und synaptischer Aktivität liefert die Positronenemissionstomografie (PET) des regionalen zerebralen Blutflusses oder der regionalen Glukoseaufnahme ein Abbild des regionalen zerebralen Aktivierungszustands zum Zeitpunkt der PET-Messung ( 7 Exkursbox »Positronenemissionstomografie«). Neben der metabolischen Bildgebung zur Darstellung der regionalen synaptischen Nettoaktivität kann die PET zusätzliche Aspekte menschlicher Hirnfunktion darstellen, die bislang weder der funktionellen MRT noch der EEG zugänglich sind. So stehen für die PET Radioliganden zur Verfügung, mit denen die Effekte der TMS auf spezifische Neurotransmittersysteme (z. B. das dopaminerge System) oder Zellpopulationen (z. B. Mikroglia) untersucht werden können (7 Exkursbox »Positronenemissionstomografie«). All diese PET-Untersuchungsverfahren eröffnen in der Kombination mit der TMS wertvolle Einblicke in die Wirkweise der TMS und die funktionelle Neuroanatomie des menschlichen Gehirns. Die kombinierte Anwendung von PET und transkranieller Magnetstimulation (TMS) wurde 1997 etabliert. Im gleichen Jahr führten zwei unabhängige Gruppen PET-Messungen des regionalen zerebralen Blutflusses während einer fokalen TMS durch. Beide Gruppen konnten an gesunden Probanden zeigen, dass die Änderungen im regionalen zerebralen Blutfluss während der TMS herangezogen werden können, um die Konnektivität des stimulierten Kortexareals in vivo darzustellen (Paus et al. 1997; Fox et al. 1997).

36.2

Methodische Aspekte

36.2.1 Zeitliche und räumliche Auﬂösung

der PET Bei der Planung einer kombinierten TMS-PET-Studie ist es sinnvoll sich die spezifischen Vorteile und Grenzen der kombinierten TMS-PET-Bildgebung vor Augen zu halten. Die PET-Bildgebung des regionalen zerebralen Blutflusses oder der regionalen Glukoseaufnahme liefern ein metabolisches Maß für die mittlere regionale synaptische Aktivität im Sekunden- (HO-PET des regionalen Blutflusses) oder Minutenbereich (FDG-PET der regionalen Glukoseaufnahme). Daraus folgt, dass die TMS während der PET-Aufnahme als kontinuierliche Reizserie oder als wiederkehrende Salven verabreicht werden muss, um

eine Änderung des PET-Signals zu induzieren. Hierbei stellt die PET-Messung die kumulativen Effekte der multiplen TMS-Reize auf die regionale synaptische Aktivität dar. Die limitierte zeitliche Auflösung der PET verhindert, dass mit der PET die neuronale Aktivierung durch einen Einzelpuls oder eine kurze TMS-Reizserie erfasst werden kann. Allerdings hat die begrenzte zeitliche Auflösung der PET auch durchaus Vorteile. Bei wiederholter Applikation von Einzelreizen oder kurzen Reizserien können sich die Stimulationseffekte während der PET-Messung aufsummieren und so die Sensitivität kombinierter TMS-PET-Messungen erhöhen. Obwohl die PET gegenüber der funktionellen MRT eine schlechtere räumliche Auflösung aufweist, ist dies in der Praxis nicht relevant, da eine hochfokale kortikale Stimulation mit der TMS derzeit nicht möglich ist. Der Hauptnachteil der PET liegt in der Verwendung ionisierender Stahlung zur Bildgebung. Somit geht jede PET-Messung für den Probanden mit einer Strahlenbelastung einher, welche die Anzahl der möglichen Messwiederholungen limitiert.

36.2.2 Interaktion zwischen TMS und PET Ein wesentlicher Vorteil des kombinierten Einsatzes von TMS und PET-Messungen liegt in der fehlenden Interaktion zwischen PET und TMS. Im Gegensatz zur TMS während der funktionellen MRT (7 Kap. 37) oder der EEG (7 Kap. 35) stört die TMS die PETAufnahme nicht. Initial bestand die Sorge, dass das starke elektromagnetische Wechselfeld die Funktion der PET-Detektoren beeinträchtigen könnte. Deshalb wurde eine zylinderförmige elektromagnetische Abschirmung zum Schutz der PET-Detektoren empfohlen (Paus et al. 1997). Inzwischen konnte jedoch von verschiedenen Gruppen gezeigt werden, dass auch ohne eine Abschirmung die Qualität der PETAufnahmen durch die TMS nicht beeinträchtigt wird (Fox et al. 1997; Speer et al. 2003a,b; Ferrarelli et al. 2004). Im Gegensatz zur TMS während der funktionellen MRT (7 Kap. 37), kann die TMS daher zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der PET-Aufnahme gegeben werden. Aufgrund des relativ großen Durchmessers der PET-Röhre bestehen im Gegensatz zur funktionellen MRT kaum räumliche Einschränkungen, um den gewünschten Stimulationsort mit der TMS-Spule zu erreichen. Dies bedeutet, dass alle zur Zeit verfügbaren TMS-Protokolle während einer PETMessung verabreicht und alle Regionen, die bisher mit der TMS untersucht worden sind, auch während der PET stimuliert werden können.

357

36.3 PET-Messungen während der TMS

Wiederholte PET-Messungen des regionalen zerebralen Blutflusses (z. B. HO-PET) oder der regionalen Glukoseaufnahme (z. B. FDG-PET) ermöglichen es, die regionale neuronale Aktivität während einzelner Messungen direkt zu vergleichen. Möglich ist zudem eine Abschätzung der TMS-Effekte auf die neuronale Aktivität in Ruhe. Dies macht die PET zu einem geeigneten Werkzeug, Änderungen in der neuronalen Ruheaktivität in Abhängigkeit vom TMS-Protokoll (z. B. der Stimulationsintensität oder -frequenz) oder vom Stimulationsort darzustellen. Serielle PETMessungen des regionalen zerebralen Blutflusses können auch dazu genutzt werden, den Zeitverlauf der konditionierenden Effekte auf die regionale neuronale Aktivität für mindestens eine Stunde nach Ende der rTMS zu erfassen. Wird die TMS innerhalb des PET-Scanners verabreicht, verursacht die aus Kupferlegierungen bestehenden Windungen der Stimulationsspule eine lokale Abschwächung der beim Positronenzerfall entehenden Strahlung. Bei der Vorverarbeitung der PETAufnahmen muss daher für die spuleninduzierte Abschwächung des Signals korrigiert werden. Für die Schwächungskorrektur ist es nötig, eine Transmissionsaufnahme mit der Spule in situ durchzuführen (Paus et al. 1997; Paus et al. 1998). Sollten abwechselnd zwei kortikale Areale stimuliert werden, muss für jede Spulenposition ein seperater Transmissionsscan für die Schwächungskorrektur erstellt werden.

36.2.3 Methoden zur Spulenpositionierung

über dem kortikalen Zielareal In kombinierten TMS-PET-Studien ist die korrekte Positionierung der Stimulationsspule über dem korikalen Zielgebiet sehr wichtig. Für den primären motorischen Kortex liefert die durch die TMS induzierte Muskelzuckung eine physiologische Reizantwort mit der die optimale Positionierung der Stimulationsspule über dem primären motorischen Kortex (engl. motor hot spot) überprüft werden kann. Die funktionelle Lokalisierung des primären motorischen Kortex über die induzierte Muskelantwort kann auch als Ankerpunkt dienen, um eng benachbarte Areale wie den prämotorischen Kortex oder den primären sensorischen Kortex aufzufinden. Für die meisten Kortexregionen ist jedoch eine Lokalisierung des Zielgebietes mit Hilfe der stereotaktischen Neuronavigation erforderlich (Paus et al. 1997; Paus u. Wolforth 1998). Die räumliche Genauigkeit der rahmenlosen Stereotaxie liegt im Bereich von Millimetern und ist damit für die aktuellen Anwendungen von TMS ausreichend

36

(7 Kap. 32). Ein zusätzlicher Vorteil der rahmenlosen Stereotaxie ist, dass die korrekte Position der Spule während des Experimentes überprüft werden kann. Während die rahmenlose Stereotaxie der TMS problemlos außerhalb des PET-Scanners durchgeführt werden kann, ist der Einsatz der rahmenlosen Stereotaxie durch die eingeengten räumlichen Möglichkeiten innerhalb der PET-Röhre schwierig zu realisieren. Ein akzeptabler Kompromiss besteht darin, die korrekte Spulenposition mittels der rahmenlosen Stereotaxie ausserhalb des PET-Scanners vor dem Experiment zu bestimmen und die optimale Spulenlage auf der Kopfhaut des Probanden zu markieren. Die richtige Spulenposition kann dann durch die Transmissionsaufnahme, die vor den eigentlichen PET-Messungen durchgeführt wird, gesichert werden. Auf der Transmissionsaufnahme ist die Spule deutlich sichtbar und die korrekte Spulenposition kann dann durch Koregistrierung auf das individuelle strukturelle MRT des Probanden überprüft werden (Paus u. Wolforth 1998). Alternativ kann das Zentrum der Stimulationsspule mit einer auf die Kopfhaut aufgeklebten VitaminE-Kapsel direkt nach der TMS-PET-Sitzung markiert werden und die Spulenposition in einer anschließend durchgeführten T1-gewichteten strukturellen MRTAufnahme bestätigt werden. Die Position der TMS-Spule muss während der aufeinander folgenden PET-Messungen konstant beibehalten werden. Ein neuronavigiertes Halterungssystem wäre für diese Zwecke optimal, ist aber aufgrund der beengten Verhältnisse im PET-Scanner nur mit großem Aufwand zu realisieren. Für die meisten Anwendungen ist ein mechanisches Fixationssystem ausreichend, um die Spule über der gewünschten Position zu fixieren und eine konstante Spulenposition während des Experimentes zu garantieren.

36.3

PET-Messungen während der TMS

36.3.1 Allgemeine Aspekte PET-Messungen des regionalen zerebralen Blutflusses oder des regionalen Glukoseverbrauchs können die akuten Veränderungen eines TMS-Protokolls am Ort der Stimulation und in mit dem Stimulationsort verbundenen Hirnregionen darstellen (Paus et al. 1997; Siebner et al. 2001a). Im Gegensatz zu konventionellen Aktivierungsstudien, in denen die Probanden spezifische Aufgaben durchführen müssen, ist hier keine spezifische Mitarbeit der Probanden erforderlich. Die Anregung bzw. Aktivierung des Gehirns geschieht gewissermaßen von aussen über die applizierten TMS-

358

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 36 · Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe

Pulse. Somit kann die simultane TMS-PET-Untersuchung verhaltensunabhängige Änderungen in der regionalen synaptischen Aktivität und Konnektivität des Gehirns erfassen. Hierbei ist zu beachten, dass die Messung des regionalen zerebralen Blutflusses oder der regionalen Glukoseaufnahme die regionale Nettoaktivität exzitatorischer und inhibitorischer Neurone widerspiegelt. Somit zeigt eine TMS-induzierte Zunahme des regionalen zerebralen Blutflusses oder der regionalen Glukoseaufnahme eine Zunahme der synaptischen Aktivität innerhalb einer Hirnregion an. Diese »Aktivierung« kann nicht mit einer Zunahme der regionalen Erregbarkeit oder einer Schwächung inhibitorischer Interneurone gleichgesetzt werden. Die Effekte der TMS auf die regionale neuronale Aktivität sind nicht nur vom verwendeten Stimulationsprotokoll sondern auch vom Funktionszustand des stimulierten Kortex (und der verbundenen Hirnregionen) zum Zeitpunkt der Stimulation abhängig. In den meisten simultanen TMS-PET-Studien wurde die TMS in einem entspannten Ruhezustand verabreicht. Während das motorische System in der Zeit des entspannten Ruhezustandes in der Tat »deaktiviert« ist, trifft dies nicht für alle Hirnregionen zu. So wurde in den letzten Jahren ein Netzwerk von Hirnarealen identifiziert, das während dieses vermeintlichen Ruhezustandes besonders aktiv ist (engl. default network). Unterschiede in der intrinsischen regionalen Aktivität während der TMS erklären zumindest teilweise das unterschiedliche Antwortprofil verschiedener Hirnregionen auf ein identisches TMS-Protokoll (Paus et al. 1997, 1998; Speer et al. 2003a,b). Obwohl bisherige Online-TMS-PET-Untersuchungen die TMS ausschließlich in einem Ruhezustand (also ohne aktive Beteiligung des Probanden) durchgeführt haben, ist es durchaus sinnvoll die TMS während der Ausführung einer Aufgabe zu verabreichen. So kann ein einzelner TMS-Puls oder eine kurze Reizserie zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Durchführung einer Aufgabe über einem aufgabenrelevanten Kortexareal appliziert werden, um eine kurzzeitige Funktionsunterbrechung hervorzurufen (7 Kap. 31). Hier kann die Online-PET-Bildgebung zeigen, wie stark das zerebrale Aktivierungsmuster durch die TMS verändert werden muss, um eine funktionelle Läsion entstehen zu lassen. Diese Herangehensweise kann aufdecken, wie neuronale Systeme auf eine räumlich umschriebene, passagere TMS-Läsion kontextspezifisch reagieren.

Eine fokale TMS produziert immer zusätzlich zu der direkten transkraniellen Stimulation eine signifikante auditorische und somatosensorische Stimulation. Das laute Klick-Geräusch bei der Entladung der Magnetspule führt zu einer Aktivierung des auditorischen Systems (Siebner et al. 1999). Das sich sehr schnell verändernde magnetische Feld führt auch zu einer Stimulation von peripheren sensomotorischen Nervenfasern im Kopfbereich, die zu einer afferenten Stimulation des sensomotorischen Systems führen. Die TMS wird mitunter als unangenehm empfunden, was zu regionalen Veränderungen der neuronalen Aktivität in den limbischen Hirnarealen führen kann. Wird die TMS nicht mittelliniennah verabreicht, kann die durch TMS induzierte sensorische Stimulation auch zu einer Lateralisierung der Aufmerksamkeit führen und so die neuronale Aktivierung für räumliche Aufmerksamkeit modifizieren. Wenn eine überschwellige TMS über dem primären motorischen Kortex gegeben wird, löst die TMS Muskelzuckungen aus. Das afferente Feedback der Muskelzuckungen kann substanziell zu dem Aktivierungsmuster des somatosensorischen Systems während der PET-Messung beitragen (Siebner et al. 1998; Speer et al. 2003b). Diese unspezifischen Effekte müssen bei der Planung kombinierter TMS-PET-Studien und bei der Interpretation von TMS-induzierten Änderungen der neuronalen Aktivität berücksichtigt werden. Da eine Maskierung der auditorischen Stimulation durch »weißes Rauschen« nur bedingt möglich ist, empfiehlt es sich im experimentellen Design eine Kontrollbedingung einzuführen, welche für die unspezifischen Effekte der TMS kontrolliert, z. B. eine ineffektive Stimulation über eine zweite TMS-Spule, einige Zentimeter entfernt von der Schädeldecke, oder eine effektive Kontrollstimulation über einem zweiten Kortexareal. Eine parametrische Modulation einer Variable der TMS, z. B. die Stimulationsfrequenz oder –intensität, kann helfen zwischen spezifischen und unspezifischen Effekten der TMS zu unterscheiden, da ein parametrisches Studiendesign Rückschlüsse auf die dosisabhängigen neurophysiologischen Effekte der TMS zulässt (Paus et al. 1997, 1998, Siebner et al. 2001b). Allerdings ist zu bedenken, dass auch die neuronale Aktivierung durch unspezifische TMS-Effekte mit der Stimulationsfrequenz oder -intensität zunehmen und somit auch zu einer dosisabhängigen parametrischen Modulation des regionalen zerebralen Blutflusses führen können (Siebner et al. 2001b).

36.3 PET-Messungen während der TMS

36.3.2 Fallbeispiele Parametrisch modulierte Studiendesigns, welche die Häuﬁgkeit oder Intensität der rTMS während der PETMessungen modelieren, können helfen ein Aktivierungsproﬁl des stimulierten Kortex und verbundener Hirnregionen zu erstellen. In mehreren Studien wurde die Online-TMS-PET erfolgreich eingesetzt, um bei gesunden Probanden dosisabhängige Änderungen des regionalen zerebralen Blutﬂusses während einer fokalen TMS darzustellen. Paus et al. (1997) verabreichten kurze hochfrequente (10 Hz) Reizserien über dem linken frontalen Augenfeld. Die Anzahl der verabreichten Reizserien wurden während der HO-PET-Messungen variiert (5–30 Reizserien pro PET-Messung). Es fand sich eine graduelle Zunahme des regionalen zerebralen Blutﬂusses im stimulierten frontalen Augenfeld sowie im superioren parietalen und medialen parietooccipitalen Kortex mit der Anzahl an Reizserien pro PET-Messung (Paus et al. 1997). Das Muster der Änderungen in entfernten Hirnarealen zeigte eine gute

a

b

359

36

Übereinstimmung mit den bekannten anatomischen Verbindungen des stimulierten frontalen Augenfeldes. In einem zweiten Experiment wurde den gleichen Probanden das TMS-Protokoll über dem linken primären motorischen Handareal im Ruhezustand verabreicht (Paus et al. 1998). Auch hier führte die TMS zu graduellen Veränderungen des regionalen zerebralen Blutﬂusses im stimulierten Handareal und in verbundenen Arealen. Allerdings zeigten diese Areale eine negative Korrelation des regionalen zerebralen Blutﬂusses mit der Zahl der applizierten Reizserien pro PET-Aufnahme. Ein identisches TMS-Protokoll (intermittierende Reizserien einer 10-Hz-rTMS) führte somit über zwei verschiedenen Arealen, dem frontalen Augenfeld oder dem motorischen Handareal, entweder zu einer relativen Zunahme oder Abnahme des regionalen zerebralen Blutﬂusses am Ort der Stimulation und in verbundenen Hirnarealen. Diese Diskrepanz belegt relevante Unterschiede in der Reizantwort des Gehirns auf die TMS, je nachdem welches Kortexareal gerade stimuliert wird. 6 . Abb. .a,b. Parametrische PET-Aktivierungsstudie während einer unterschwelligen rTMS des primären motorischen Kortex. a Schematische Darstellung des Studiendesigns. Die PET-Messung des regionalen zerebralen Blutﬂusses (rCBF) erfolgte während einer kontinuierlichen rTMS des linken primären motorischen Handareals (M1HAND) in einem Ruhezustand. Stimuliert wurde mit 90% der individuellen, aktiven motorischen Reizschwelle (engl. active motor thereshold, AMT). Zwischen den einzelnen PET-Aufnahmen wurde die Stimulationsfrequenz parametrisch moduliert. b Frequenzabhängige Modulation des regionalen zerebralen Blutﬂusses im stimulierten Handareal (entspricht dem Schnittpunkt des Fadenkreuzes): Die Analyse der Blutﬂussveränderungen während einer kontinuierlichen rTMS zeigte eine umschriebene lineare Zunahme des regionalen zerebralen Blutﬂusses mit zunehmender Stimulationsfrequenz der rTMS. Die lineare Zunahme der regionalen neuronalen Aktivität zeigte sich nur im direkt von der rTMS stimulierten Kortexareal. (Aus Siebner et al. 2001b)

360

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Kapitel 36 · Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe

Neben der von Paus et al. (1997, 1998) verwendeten, intermittierenden Gabe kurzer Reizserien, wurden auch eine kontinuierliche rTMS mit regelmäßigem Abstand zwischen den Einzelreizen während der PET verabreicht. In einer parametrischen TMS-PET Studie (Siebner et al. 2001b) erhielten gesunde Probanden im entspannten Zustand eine rTMS des linken primären motorischen Handareals. Die Stimulusintensität lag bei 90 der aktiven motorischen Reizschwelle. Während der einzelnen PET-Messungen wurde die Frequenz der unterschwelligen rTMS zwischen 1 und 5 Hz variiert. Die rTMS beeinﬂusste den regionalen zerebralen Blutﬂuss im stimulierten Kortexareal, nicht jedoch in verbundenen Hirnregionen (. Abb. 36.1). Im stimulierten primären motorischen Handareal kam es zu einer linearen Zunahme des regionalen zerebralen Blutﬂusses mit steigender Frequenz der rTMS. Diese Untersuchung zeigt, dass eine fokale rTMS durchaus sehr umschriebene Eﬀekte auf die regionale neuronale Aktivität haben kann. Wahrscheinlich verhinderte die niedrige Stimulusintensität der rTMS eine Ausbreitung der akuten Stimulationseﬀekte vom stimulierten Handareal in verbundene Hirnregionen. Dieser Befund ist besonders interessant in Hinblick auf rezente Studien, welche mit der funktionellen MRT keine regionale Aktivitätsveränderungen im stimulierten motorischen Handareal während einer unterschwelligen TMS nachweisen konnten (7 Kap. 37).

In einer HO-PET Studie konnten Peller et al. (2004) zeigen, dass eine kontinuierliche niederfrequente rTMS über dem linken dorsalen prämotorischen Kortex den regionalen zerebralen Blutﬂuss im stimulierten Kortex und in verbundenen frontalen und zingulären Kortexarealen erniedrigt. Diese weitreichende Suppression neuronaler Aktivität war bereits bei einer Stimulusintensität von 80 der motorischen Ruheschwelle maximal ausgeprägt. Die Suppression neuronaler Aktivität nahm bei höheren Stimulusintensitäten nicht weiter zu. Diese Untersuchung legt nahe, dass die TMS prämotorischer und präfrontaler Kortexareale bereits bei deutlich niedrigeren Stimulusintensitäten zu einer eﬀektiven Neurostimulation führt als die TMS des primären motorischen Handareals. Die simultane TMS-PET kann auch wichtige Beiträge in Hinblick auf die Anwendungssicherheit der rTMS leisten. So zeigte eine FDG-PET-Studie, dass eine irreguläre, überschwellige 2-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals zu einer geringeren Zunahme des regionalen Glukoseverbrauchs im motorischen System führt als die willkürliche Imitation der durch die rTMS induzierten Armbewegungen (Siebner et al. 1998). Somit lag die durch die rTMS erzeugte regionale neuronale Aktivierung innerhalb des physiologischen Bereichs.

32 33 34 35 36 37 38 39 40

36.4

PET-Messungen im Anschluss an die TMS

36.4.1 Allgemeine Aspekte Offline-PET-Messungen des regionalen zerebralen Blutflusses können das räumlich-zeitliche Muster von Änderungen der regionalen neuronalen Aktivität nach rTMS darstellen (Siebner et al. 2000) Beim OfflineAnsatz sind TMS und PET zeitlich getrennt. Die TMS erfolgt vor oder zwischen den eigentlichen PET-Messungen und kann entweder innerhalb oder außerhalb des PET-Gerätes verabreicht werden. In der Regel wird ein konditionierendes rTMS-Protokoll über einem Kortexareal appliziert, um die neuronale Aktivität in einem funktionellen System über den Zeitraum der Stimulation hinaus zu beeinflussen (7 Kap. 50). Die durch die rTMS induzierte, funktionelle Reorganisation zerebraler Systeme wird dann mit der PET charakterisiert. Der Vergleich der zerebralen Aktivierungsmuster vor und nach der effektiven rTMS zeigt an, wie die rTMS die regionalen Aktivierungsmuster beeinflusst hat.

Allerdings könnte eine Veränderung des regionalen Aktivierungsmusters nach rTMS auch durch einen unspezifischen Effekt bedingt sein. So könnte eine zunehmende Routine in der Aufgabendurchführung zu einer Abnahme der aufgabenspezifischen kortikalen Aktivierung nach rTMS führen, die dann fälschlicherweise der rTMS zugeschrieben würde. Um die spezifischen Effekte der rTMS von unspezifischen Zeiteffekten abgrenzen zu können, sollte das experimentelle Design so gestaltet werden, dass für unspezifische Effekte kontrolliert werden kann. Unspezifische Effekte können in einer zweiten PET-Sitzung erfasst werden, in der eine ineffektive Kontrollstimulation (engl. sham stimulation) über dem gleichen Zielareal durchgeführt wird (Siebner et al. 2003). Tritt eine Aktivierungsänderung sowohl nach der eigentlichen rTMS und der ineffektiven Kontrollstimulation auf, handelt es sich um einen unspezifischen Zeiteffekt. Eine Aktivierungsänderung, die nur nach der eigentlichen rTMS nicht aber nach der Kontrollstimulation nachweisbar ist, belegt dagegen einen echten Konditionierungseffekt der rTMS. Alternativ zur Pla-

36.4 PET-Messungen im Anschluss an die TMS

361

36

cebostimulation kann in der Kontrollbedingung auch eine effektive rTMS über einem anderen Kortexareal gegeben werden, das keine direkte Relevanz für den untersuchten Prozess hat. Denkbar ist auch die Gabe eines andersartigen rTMS-Protokolls (z. B. mit unterschiedlicher Frequenz oder Intensität) über dem gleichen Kortexareal. Die Wahl der Kontrollbedingung sollte sich hierbei an der experimentellen Fragestellung orientieren. Werden nach der rTMS sowohl PET-Messungen im Ruhezustand als auch während einer Aufgabe durchgeführt, können generelle Änderungen der neuronalen Aktivität von aufgabenspezifischen Aktivierungsänderungen abgegrenzt werden (Lee et al. 2003). Generelle Änderungen der neuronalen Aktivität treten sowohl in Ruhe als auch bei Durchführung einer Aufgabe auf, während aufgabenspezifische Aktivierungsänderungen nur während der Aufgabe, nicht aber im Ruhezustand nachweisbar sind. Zudem kann die funktionelle Spezifität der rTMS auf die neuronale Aktivierung durch den Vergleich der Aktivierungsmuster während der Durchführung zweier unterschiedlicher Aufgaben demonstriert werden. Wird eine TMS-PET-Studie zum Nachweis von Änderungen in der aufgabenspezifischen Aktivierung

durchgeführt, ist die Wahl der experimentellen Aufgabe während der PET kritisch für die Erfolgsaussichten, mit der PET anhaltende Effekte der rTMS auf das Aktivierungsmuster nachweisen zu können. Auf der einen Seite ist es wenig wahrscheinlich aufgabenspezifische Änderungen im Aktivierungsmuster nach der rTMS zu finden, wenn die stimulierte Hirnregion nicht substanziell an der experimentellen Aufgabe beteiligt ist. Andererseits kann es passieren, dass die Durchführung der Aufgabe nach rTMS beeinträchtigt ist, wenn die stimulierte Hirnregion wesentlich an der Aufgabe beteiligt ist. In diesem Fall ist es problematisch, eine Änderung in der aufgabenspezifischen Aktivierung direkt der rTMS zuzuschreiben, da das veränderte Aktivierungsmuster genauso gut ein Epiphänomen der veränderten Ausführung der Aufgabe sein könnte. Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass es keine einfache Beziehung zwischen den Effekten der rTMS auf die synaptischen Nettoaktivität in Ruhe und der aufgabenabhängigen Aktivität gibt. So führen starke (aufgabenunabhängige) Änderungen der synaptischen Aktivität nach rTMS nicht notwendigerweise zu einer Änderung im aufgabenspezifischen Aktivierungsmuster (Siebner et al. 2003).

36.4.2 Fallbeispiele

in der synaptischen Aktivität belegt werden (Hayashi et al. 2004). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die HO-Studie von Lee et al. (2003), welche die überdauernden Eﬀekte einer 30 min unterschwelligen 1-HzrTMS des linken primären motorischen Handareals auf die neuronale Aktivität im motorischen System untersuchte (. Abb. 36.2). PET-Messungen des regionalen zerebralen Blutﬂusses nach der 1-Hz-rTMS des motorischen Handareals zeigten eine Zunahme der neuronalen Ruheaktivität im oberﬂächlichen Anteil des stimulierten Handareals nach rTMS. Dagegen wurde der tiefer im Sulcus centralis gelegene Anteil des primären motorischen Kortex, der nicht direkt von der rTMS erreicht wurde, während der Ausführung sequenzieller Fingerbewegungen, aber nicht in Ruhe, stärker aktiviert. Dieses Areal zeigte auch eine stärkere funktionelle Kopplung mit prämotorischen Kortexarealen. Interessanterweise ging diese akute neuronale Reorganisation ohne eine fassbare Änderung der motorischen Leistungsfähigkeit einher. Diese Reorganisaton

PET-Messungen des regionalen zerebralen Blutﬂusses nach rTMS konnten übereinstimmend zeigen, dass eine prolongierte rTMS (>1.000 Stimuli pro Sitzung) eine komplexe Reorganisation neuronaler Aktivität auf Netzwerkebene induzieren kann. So führte eine 30minütige 1-Hz-rTMS des primären motorischen Kortex oder des prämotorischen Kortex zu deutlichen Veränderungen in der neuronalen Aktivität und Kopplung im motorischen System, die für mindestens 1 h nach Ende der rTMS anhielten (Lee et al. 2003; Siebner et al. 2003; Rounis et al. 2005). Diese Untersuchungen unterstreichen das Potenzial der Oﬄine-PET, die neuromodulatorischen Eﬀekte unterschiedlicher rTMS-Protokolle auf Netzwerkebene im menschlichen Gehirn zu erfassen. Aber auch die tierexperimentelle Anwendung der Oﬄine-PET kann wichtige Informationen über die neuromodulatorischen Eﬀekte der rTMS bringen. In einer PET-Studie an anästhesierten Aﬀen wurden 2000 Stimuli einer 5-Hz-rTMS über dem rechten Gyrus präcentralis verabreicht und es konnte mit der PET noch 8 Tage nach der Stimulation eine Änderung

6

362

Kapitel 36 · Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

a

b

c

. Abb. .a–c. Eine unterschwellige 30-minütige 1-HzrTMS des linken primären motorischen Handareals (M1) führt bei gesunden Probanden zu einer akuten funktionellen Reorganisation innerhalb des motorischen Systems. Diese Reorganisation wurde mit einer HO-PET des regionalen zerebralen Blutﬂusses nach dem Ende der rTMS untersucht. Während der PET-Messung befanden sich die Probanden entweder in einem Ruhezustand oder führten frei gewählte Fingerbewegungen mit der rechten Hand aus. Dargestellt sins axiale und sagittale Schnitte durch das Gehirn. Die angegebenen z- und x-Werte entsprechen den axialen und sagittalen Talairach-Koordinaten der jeweiligen Schicht. a Unabhängig vom Funktionszustand (Ruhe oder Bewegung) kam es im oberﬂächennahen Anteil des M1 und im ipsi- und kontralateralen dorsalen prämotorischen Kortex (PMd) zu einer anhaltenden Zunahme der neuronalen Aktivität, die mindestens 45 min nach Stimulationsende anhält (axiale Schnittebene des Gehirns).

b Der kontralaterale PMd (und der inferomediale Anteil des ipsilateralen M1 – nicht abgebildet) zeigten eine Zunahme der bewegungsbedingten funktionellen Aktivierung nach Ende der 1-Hz-rTMS (sagittale Schnittebene des Gehirns). c Eine Konnektivitätsanalyse belegte eine veränderte funktionelle Kopplung zwischen prämotorischen Arealen und dem linken M1 ipsilateral zur rTMS (dargestellt als Durchsichtsprojektion auf ein durchsichtiges Gehirn). Der Umriss des Gehirns wird hier lediglich durch eine Linienzeichnung markiert und Voxel, die eine Veränderung in der funktionellen Kopplung aufweisen, sind in einem stereotaktischen Koordinatensystem als zusammenhängende Punktwolke abgebildet. Die Abbildung zeigt eine durch die 1-Hz-rTMS bedingte Zunahme der funktionellen Kopplung zwischen dem supplementären motorischen Areal (SMA, markiert durch ein weißes Dreieck) und dem inferomedialen Anteil des linken M1 während der Bewegungsausführung im Vergleich zur Ruhe. (Aus Lee et al. 2003)

wurde als eine dynamische Antwort der nicht durch die rTMS direkt stimulierten Anteile des motorischen Netzwerkes gedeutet, welche die funktionshemmenden Eﬀekte der rTMS im oberﬂächlichen Teil des primären motorischen Kortex kompensieren (Lee et al. 2003). Auch die kurzzeitige Beeinﬂussung des stimulierten Kortex durch eine kurze Reizserie kann mit der PET dargestellt werden. Takano et al. (2004) applizierten für 30 s eine 5-Hz-rTMS über dem linken primären motorischen Handareal . Die Intensität der rTMS lag bei 90 der aktiven motorischen Reizschwelle. Zum einen wurden mit der Einzelreiz- und Doppelreiz-TMS die konditionierenden Eﬀekte der rTMS auf die kortikomotorische Erregbarkeit in Ruhe erfasst. Zum anderen wurden mit der HO-PET Änderungen in der regionalen synaptischen Aktivität nach rTMS gemessen. Die unterschwellige 5-Hz-rTMS führte zu einer selektiven Zunahme des regionalen zerebralen Blutﬂusses im stimulierten motorischen Handareal und zu einer selektiven Abnahme der intrakortikalen Doppelpulshemmung kurzer Latenz (engl. short-latency intracortical inhibition; SICI). Die regionale Zunahme des regionalen zerebralen Blutﬂusses und die Abnahme der Doppelpuls-

hemmung hielten für ca. 8 min an. Daraus wurde gefolgert, dass die 5-Hz-rTMS über eine vorübergehende Schwächung intrakortikaler hemmender Interneurone zu einer Zunahme der synaptischen Nettoaktivität im stimulierten motorischen Kortex führte. In Ergänzung zu den metabolischen PET- und SPECTMessungen erlaubt die Kombination von TMS und Liganden-PET den Nachweis regionaler Änderungen in der Neurotransmitterbindung nach fokaler rTMS. So wurde die C-Racloprid-PET herangezogen, um Änderungen in der extrazellulären Dopaminkonzentration nach einer hochfrequenten rTMS über dem linken präfrontalen Kortex in gesunden Probanden zu messen (Strafella et al. 2001). Die fokale rTMS über dem dorsolateralen präfrontalen Kortex induzierte eine umschriebene Abnahme der C-Racloprid-Bindung an die postsynaptischen D2-Rezeptoren im ipsilateralen Nucleus caudatus. Entsprechend kam es nach fokaler hochfrequenter rTMS des primären motorischen Handareals zu einer Abnahme der C-Racloprid-Bindung an die postsynaptischen D2-Rezeptoren im ipsilateralen Putamen 6

36.5 TMS und PET bei neuropsychiatrischen Erkrankungen

(Strafella et al. 2003). Die Areale in denen eine Abnahme der C-Racloprid-Bindung auftrat korrespondierten mit den bekannten kortikostriatalen Projektionen der stimulierten Hirnareale. Diese Studien zeigen, dass die fokale rTMS über dem frontalen Kortex die endogene Dopaminfreisetzung in der Basalganglienschleife anhaltend steigern kann, die mit dem stimulierten Kortexareal funktionell verbunden ist (. Abb. 36.3). Eine PET-Studie zeigte, dass eine linksseitige rTMS des dorsolateralen präfrontalen Kortex den Tryptophan-Metabolismus in limbischen Arealen moduliert (Sibon et al. 2007). Mithilfe des Liganden C-alphamethyl-Tryptophan (C-αMtrp) wurden die akuten Auswirkungen einer hochfrequenten rTMS des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex (15 Serien einer 10-HzrTMS alle 10 min) auf die regionale Tryptophanaufnahme und Verstoﬀwechselung zu Serotonin untersucht. Verglichen mit einer rTMS des linken occipitalen Kortex verminderte die präfrontale rTMS die regionale Verstoﬀwechselung von C-αMtrp im linken parahippocampalen Kortex und der rechten Inselregion; dagegen bewirkte die präfrontale rTMS im rechten zingulären Gyrus und im Cuneus einen gegenteiligen Eﬀekt. Die Autoren leiteten aus diesen Ergebnissen einen möglichen antidepressiven Mechanismus der präfrontalen rTMS ab.

36.5

TMS und PET bei neuropsychiatrischen Erkrankungen

Die Kombination von PET und TMS kann eingesetzt werden, um die therapeutischen Mechanismen der TMS besser zu verstehen. Dennoch wurden bisher nur relativ wenig kombinierte TMS-PET-Studien bei Patienten mit neuropsychiatrischen Erkrankungen durchgeführt. Einige PET und SPECT-Studien untersuchten die Effekte von wiederholten Sitzungen einer präfrontalen rTMS auf den regionalen zerebralen Blutfluss und die regionale Glukoseaufnahme bei Patienten mit Depression (z. B. Speer et al. 2000; Mottaghy et al. 2002). Diese Studien zeigten, dass therapiebegleitende PET oder SPECT-Messungen des Metabolismus und der Neurotransmission wichtige Informationen über die funktionellen Auswirkungen der rTMS und deren antidepressive Wirkung liefern können. Da die therapeutische Anwendung der rTMS mit einem Placeboeffekt einhergeht, ist es wichtig den genuinen Effekt der rTMS vom Placeboef-

363

36

. Abb. .a,b. C-Racloprid-PET bei gesunden Probanden nach fokaler hochfrequenter rTMS des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex (dl-PFC) oder des primären motorischen Handareals (M1HAND). Verglichen mit einer Kontrollstimulation führte die fokale rTMS zu einer somatotopisch speziﬁschen Abnahme der C-Racloprid-Bindung im ipsilateralen Striatum. Dies belegt eine verstärkte endogene dopaminerge Neurotransmitterfreisetzung nach dem Ende der rTMS. a Die hochfrequente rTMS des dl-PFC bewirkte eine Abnahme der  C-Racloprid-Bindung im ipsilateralen Kopf des Nucleus caudatus (schwarzer Pfeil). b Die hochfrequente rTMS des M1HAND reduzierte die C-Racloprid-Bindung im ipsilateralen Putamen (weißer Pfeil). (Mod. nach Strafella et al. 2001)

fekt abzugrenzen. Kürzlich konnte eine C-Racloprid-PET-Studie an Patienten mit Morbus Parkinson zeigen, dass die C-Racloprid-Bindung im dorsalen und ventralen Striatum nach einer Placebostimulation abnahm (Strafella et al. 2006). Die Abnahme der  C-Racloprid-Bindung belegt, dass die Placebostimulation zu einer endogenen Dopaminfreisetzung führt. Interessanterweise war der Placeboeffekt auf die striatale Dopaminfreisetzung in der stärker betroffenen Hemisphäre deutlicher vorhanden. Dies legt nahe, dass die Neigung in Richtung Placeboantwort zunahm je stärker der Parkinsonsimus ausgeprägt war. Die gleiche Gruppe verabreichte auch eine effektive hochfrequente rTMS über dem linken und rechten primären motorischen Handareal in einer Patientengruppe mit frühem Morbus Parkinson (Strafella et al. 2005). Die Verum-rTMS führte zwar zu einer geringeren Dopaminfreisetzung in den Basalganglien der symptomatischen Hemisphäre, gleichzeitig war die rTMS-induzierte Dopaminfreisetzung jedoch weniger umschrieben. Diese räumliche Zunahme der striatalen Dopa-

364

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 36 · Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe

minfreisetzung in der stärker betroffenen Hemisphäre ist gut vereinbar mit einer beeinträchtigten funktionellen Trennung der kortikostriatalen Eingänge im frühen Stadium des Morbus Parkinson. Die kombinierte TMS-PET ist ebenfalls eine viel versprechende Methode, um dynamische Aspekte der Pathophysiologie neuropsychiatrischer Erkrankungen zu untersuchen. So zeigten Patienten mit fokaler Handdystonie eine deutlich stärkere Abnahme des regionalen zerebralen Blutflusses im motorischen System nach einer niederfrequenten rTMS des dorsalen prämotorischen Kortex als gesunde Probanden (Siebner et al. 2003). Dies belegt eine erhöhte Modifizierbarkeit des motorischen Systems bei fokaler Dystonie. Ähnliche Studien bieten sich bei Patienten mit Epilepsie, Schizophrenie oder Schlaganfall an, um krankheitsspezifische Änderungen der regionalen neuronalen Aktivität und Konnektivität nachzuweisen. Eine weitere Anwendung besteht darin mit der kombinierten TMS-PET die Auswirkung therapeutischer Interventionen (z. B. von neurorehabilitativen Therapien oder Pharmakotherapien) auf bestimmte funktionelle Systeme des Gehirns zu untersuchen.

36.6

Ausblick

Die Kombination aus TMS und PET ermöglicht es die akuten und anhaltenden Effekte der TMS auf neuronale Systeme im intakten menschlichen Gehirn darzustellen. Die methodischen Anforderungen an kombinierte TMS-PET-Studien sind im Gegensatz zur Kombination von TMS mit der fMRT oder EEG vergleichsweise leicht zu realisieren. Ein wesentlicher Nachteil ist jedoch die mit der PET (und SPECT) einhergehende ionisierende Strahlung, was die allgemeine Akzeptanz und die Wiederholbarkeit der PET-Messungen limitiert. Über die Darstellung des regionalen zerebralen Blutflusses und des regionalen Glukoseverbrauchs können die Auswirkungen der TMS auf die regionale neuronale Aktivität in Ruhe und während der Durchführung einer Aufgabe erfasst werden. Während die Effekte der fokalen TMS auf die neuronale Aktivität in Ruhe relativ gut untersucht sind, besteht noch ein lückenhaftes Wissen darüber, wie die TMS während einer Aufgabe mit der aufgabenabhängigen Aktivierung funktioneller Netzwerke interferiert. Besonders interessant für die künftige Anwendung von TMS und PET ist die Möglichkeit spezifische Neurotransmittersysteme bildgebend darzustellen und deren Beeinflussung durch die TMS zu untersuchen.

Exkurs

Positronenemissionstomograﬁe (PET) Die PET-Bildgebung basiert auf einer intravenösen Applikation von Radioisotopen. Die PET erfasst die In-vivo-Bindung und -Metabolisierung von Stoﬀen, die mit kurzlebigen positronenemittierenden Isotopen, wie Kohlenstoﬀ 11 (C), Stickstoﬀ 13 (N) oder Sauerstoﬀ 15 (O) markiert worden sind. Diese radioaktiv markierten biologischen Komponenten emittieren Positronen. Sobald jedoch das emittierte Positron auf ein Elektron triﬀt, erfolgt die Vernichtung des Positrons. Beim Positronenzerfall werden 2 Photonen frei, die mit einer Energie von jeweils 511 keV und einem Winkel von jeweils 180° zueinander emittieren. Die beiden Photonen werden von den ringförmig angeordneten Strahlendetektoren des Positronentomografen in zeitlicher Koinzidenz registriert. Basierend auf der Menge und dem Ursprung der emittierten Strahlen kann ein quantitatives dreidimensionales Bild der Isotopenverteilung im Gehirn generiert werden. Wichtig hierbei ist zu erwähnen, dass der Grad der Gewebsverteilung oder der Metabolisierung der biologisch aktiven Komponenten, abhängig ist von dem aktuellen Funktionszustand der dargestellten Hirnregionen. Dies erklärt, warum mit der PET die regionale neuronale Aktivität im Ruhezustand oder während der Ausführung einer speziﬁschen Aufgabe kartiert werden kann. Die PET bietet eine große Bandbreite von etablierten Untersuchungstechniken an, um die Funktion des Gehirns zu erforschen. Aufgrund der engen Kopplung von regionalem Blutﬂuss und Glukoseverbrauch mit der regionalen neuronalen Nettoaktivität liefert die PET des regionalen zerebralen Blutﬂusses oder des regionalen zerebralen Glukoseverbrauchs Informationen über das Ausmaß der regionalen Gehirnaktivierung in Ruhe und während einer speziﬁschen Aufgabe. Andere wichtige Einsatzbereiche der PET sind die Untersuchung speziﬁscher Neurotransmitter- oder Rezeptorsysteme, der regionalen Aminosäureaufnahme oder der Mikrogliaaktivierung in vivo. Die radioisotopen basierte Bildgebungstechnik mit der höchsten Auﬂösung und der größten Sensitivität das dreidimensionale PET. Die am meisten verfügbare Technik ist jedoch die Single-Photon-Emission-Computed-Tomography

6

Literatur

(SPECT), da hier Radioisotope mit einer langen Halbwertszeit genutzt werden und eine vor Ort bestehende Cyclotron-Einheit nicht benötigt wird. Die methodologischen Aspekte, die bei der Kombination mit der TMS zu beachten sind, sind für den kombinierten Einsatz von SPECT-TMS und PET-TMS vergleichbar.

Literatur Ferrarelli F, Haraldsson HM, Barnhart TE et al. (2004) A [17F]ﬂuoromethane PET/TMS study of eﬀective connectivity. Brain Res Bull 64: 103–113 Fox P, Ingham R, George MS et al. (1997) Imaging human intra-cerebral connectivity by PET during TMS. Neuroreport. 8: 2787–2791 1Hayashi T, Ohnishi T, Okabe S et al. (2004) Long-term effect of motor cortical repetitive transcranial magnetic stimulation. Ann Neurol 56: 77–85 (Erratum in: Ann Neurol 56: 311) Wichtige tierexperimentelle Studie zu den neuronalen Langzeiteﬀekten der rTMS an Aﬀen. 2000 Pulse einer 5 Hz-rTMS des primären motorischen Kortex führten zu einer Abnahme des Glukosemetabolismus in primären und prämotorischen Kortexarealen sowie zu einer Zunahme des Glukosemetabolismus in limbischen Hirnregionen. Dieser Eﬀekt auf die regionale synaptische Aktivität hielt für mindestens acht Tage an. 2Lee L, Siebner HR, Rowe JB et al. (2003) Acute remapping within the motor system induced by low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 23: 5308–5318 Diese PET-Studie konnte erstmals zeigen, dass eine fokale 1Hz rTMS des primären motorischen Kortex zu einer akuten Reorganisation der neuronalen Aktivität und funktionellen Kopplung im motorischen System führt. Die Untersuchung unterstreicht die Komplexität der neuromodulatorischen Effekte der rTMS. Mottaghy FM, Keller CE, Gangitano M et al. (2002) Correlation of cerebral blood ﬂow and treatment eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation in depressed patients. Psychiatry Res 115: 1–14 Paus T, Wolforth M (1998) Transcranial magnetic stimulation during PET: reaching and verifying the target site. Hum Brain Mapp 6: 399–402 2Paus T, Jech R, Thompson CJ et al. (1997) Transcranial magnetic stimulation during positron emission tomography: a new method for studying connectivity of the human cerebral cortex. J Neurosci 17: 3178–3184 Methodisch und neurowissenschaftlich wegweisende Arbeit. Paus et al. gelang erstmals eine PET-Messung des regionalen zerebralen Blutﬂusses während der gleichzeitigen Applikation einer TMS. Die Arbeit konnte zeigen, dass der On-

365

36

line- TMS-PET-Ansatz gut geeignet ist, die funktionelle Konnektivität des stimulierten Kortexalreals in vivo darzustellen. Paus T, Jech R, Thompson CJ et al. (1998) Dose-dependent reduction of cerebral blood ﬂow during rapid-rate transcranial magnetic stimulation of the human sensorimotor cortex. J Neurophysiol 79: 1102–1107 Peller M, Boehringer M, Drzezga A et al. (2004) Widespread suppression of regional synaptic activity in frontal areas during low-frequency rTMS of the left rostral dorsal premotor cortex. Neuroimage 22 (Suppl.1): WE49 (online). Rounis E, Lee L, Siebner HR et al. (2005) Frequency speciﬁc changes in regional cerebral blood ﬂow and motor system connectivity following rTMS to the primary motor cortex. Neuroimage 26: 164–176 1Sibon I, Strafella AP, Gravel P (2007) Acute prefrontal cortex TMS in healthy volunteers: Eﬀects on brain (11)C-alphaMtrp trapping. Neuroimage 34: 1658–1664 Erste PET-Studie zu den Auswirkungen der fokalen rTMS auf den regionalen Serotoninstoﬀwechsel. 1Siebner HR, Willoch F, Peller M et al. (1998) Imaging brain activation by long trains of repetitive transcranial magnetic stimulation. Neuroreport 9: 943–948 Erstmaliger Nachweis akuter Eﬀekte einer fokalen rTMS auf den kortikalen Glukosemetabolismus. 1Siebner HR, Peller M, Willoch F et al. (1999) Imaging functional activation of the auditory cortex during focal repetitive transcranial magnetic stimulation of the primary motor cortex in normal subjects. Neurosci Lett 270: 37–40 Methodisch wichtige Studie, die zeigt, dass der mit der TMS assoziierte Klick zu einer deutlichen Aktivierung auditorischer Kortexareale führt. Siebner HR, Peller M, Willoch F et al. (2000) Outlasting cortex activation after focal repetitive transcranial magnetic stimulation. Neurology 54: 956–963 Siebner HR, Peller M, Bartenstein P et al. (2001a) Suprathreshold electromagnetic stimulation of the left primary motor hand area activates remote frontal motor output areas: a 18-FDG-PET study. Human Brain Mapp 12: 157– 167 Siebner HR, Takano B, Peinemann A et al. (2001b) Continuous transcranial magnetic stimulation during positron emission tomography: a suitable tool for imaging regional excitability of the human cortex. Neuroimage 14: 899–911 1Siebner HR, Filipovic SR, Rowe JB et al. (2003) Patients with focal arm dystonia have increased sensitivity to slowfrequency repetitive TMS of the dorsal premotor cortex. Brain 126: 2710–2725 Diese PET Studie zeigt überzeugend, dass die Reagibilität eines dysfunktionellen neuronalen Systems auf eine fokale rTMS deutlich vom normalen Reaktionsmuster abweichen kann. Speer AM, Kimbrell TA, Wassermann EM et al. (2000) Opposite eﬀects of high and low frequency rTMS on regional brain activity in depressed patients. Biol Psychiatry 48: 1133– 1141 Speer AM, Willis MW, Herscovitch P et al. (2003a) Intensity-dependent regional cerebral blood ﬂow during 1-Hz repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in healthy

366

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 36 · Kombination von transkranieller Magnetstimulation und Positronenemissionstomograﬁe

volunteers studied with HO positron emission tomography: II. Eﬀects of prefrontal cortex rTMS. Biol Psychiatry 54: 826–832 Speer AM, Willis MW, Herscovitch P et al. (2003b) Intensity-dependent regional cerebral blood ﬂow during 1-Hz repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in healthy volunteers studied with HO positron emission tomography: I. Eﬀects of primary motor cortex rTMS. Biol Psychiatry 54: 818–825 2Strafella AP, Paus T, Barrett J, Dagher A (2001) Repetitive transcranial magnetic stimulation of the human prefrontal cortex induces dopamine release in the caudate nucleus. J Neurosci. 21: RC157 Erstmaliger Nachweis, einer somatotopisch speziﬁschen, endogenen Freisetzung von Dopamin im Striatum nach fokaler hochfrequenter rTMS. Strafella AP, Paus T, Fraraccio M, Dagher A (2003) Striatal dopamine release induced by repetitive transcranial magnetic stimulation of the human motor cortex. Brain 126: 2609– 2615 Strafella AP, Ko JH, Grant J et al. (2005) Corticostriatal functional interactions in Parkinson’s disease: a rTMS/[11C]raclopride PET study. Eur J Neurosci 22: 2946–2952 2Strafella AP, Ko JH, Monchi O (2006) Therapeutic application of transcranial magnetic stimulation in Parkinson’s disease: the contribution of expectation. Neuroimage 31: 1666–1672 Wichtige PET-Studie zum Mechanismus des mit der rTMS assoziierten Placeboeﬀekts. Takano B, Drzezga A, Peller M et al. (2004) Short-term modulation of regional excitability and blood ﬂow in human motor cortex following rapid-rate transcranial magnetic stimulation. Neuroimage 23: 849–859

367

37

Transkranielle Magnetstimulation und funktionelle Magnetresonanztomograﬁe Jürgen Baudewig, Sven Bestmann 37.1

Einführung – 368

37.5

Vergleich mit anderen bildgebenden Verfahren – 373

37.2

Funktionelle MRT im Anschluss an die rTMS – 368

37.6

Ausblick – 373

Literatur

– 374

37.3

Funktionelle MRT während der TMS – 369

37.3.1

Methodische Aspekte

37.4

Anwendungsbeispiele für die TMS während der funktionellen MRT – 371

37.4.1

Physiologische Auswirkungen von transkraniellen Einzelreizen oder kurzen Reizserien – 371 Darstellung intrakortikaler Konnektivität – 371 Klinische und neuropharmakologische Anwendungen – 372

37.4.2 37.4.3

– 369

ZUM THEMA Die funktionelle Magnetresonanztomograﬁe (fMRT) wird seit gut 10 Jahren erfolgreich eingesetzt, um die funktionelle Neuroanatomie kognitiver Systeme nichtinvasiv zu erforschen. Die Kombination von TMS und funktioneller MRT ermöglicht die nichtinvasive Darstellung von Stimulationseﬀekten im gesamten Gehirn mit hoher räumlicher und zeitlicher Auﬂösung. Die funktionelle MRT vor und nach der rTMS gestattet wichtige Einblicke in die neuroplastischen Eﬀekte der rTMS. Dagegen erfasst die funktionelle MRT während der TMS die direkten Auswirkungen einzelner Reize oder kurzer Reizserien auf die zerebrale neuronale Aktivität zum Zeitpunkt der Stimulation. Während mit der zeitlich getrennten (oﬄine) MRT vor oder nach TMS zweizeitige Messungen einfach zu realisieren sind, erfordert die simultane Durchführung von TMS und funktioneller MRT einen nicht unerheblichen

methodischen Aufwand. Mittlerweile können während der funktionellen MRT Stimulationsprotokolle verabreicht werden, wie sie in den kognitiven Neurowissenschaften zur vorübergehenden Funktionsunterbrechung angewendet werden. Die bislang vorliegenden Studien im motorischen System belegen, dass bereits einzelne TMS-Pulse oder kurze Reizserien speziﬁsche neuromodulatorische Eﬀekte auf die regionale neuronale Aktivität und die interregionale Kopplung im stimulierten Netzwerk entfalten. Neue Studien zeigen zudem den Top-down-Einﬂuss frontaler Hirnareale auf die neuronale Aktivität in primär visuellen Kortexarealen. Diese Untersuchungen veranschaulichen das beträchtliche Potenzial der simultanen TMS-fMRT zur Untersuchung funktioneller Interaktionen zwischen verschiedenen Hirnarealen.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

368

Kapitel 37 · Transkranielle Magnetstimulation und funktionelle Magnetresonanztomograﬁe

37.1

Einführung

Der breiten Anwendung der TMS in den Neurowissenschaften steht ein unvollständiges Bild über die genauen Wirkungsmechanismen der TMS gegenüber. Vor allem für die TMS außerhalb des primär motorischen Kortex ist das Wissen um die Wirkweise bruchstückhaft, da hier die neurophysiologischen Auswirkungen der TMS nicht direkt über die Aufzeichnung der MEP gemessen, sondern nur indirekt über TMS-induzierte Veränderungen von Reaktionszeiten und Fehlerraten während kognitiver Aufgaben erschlossen werden können. Ein direkteres Maß der neurophysiologischen Effekte der TMS bietet hier die Kombination der TMS mit funktioneller Bildgebung, da hier die Auswirkungen der TMS am Ort der Entstehung ‒ also im Gehirn selbst ‒ dargestellt werden können. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die Kombination von TMS und funktioneller MRT, welche die Auswirkungen der TMS auf die regionale neuronale Aktivität des Gehirns über Veränderungen der regionalen Blutoxygenierung darstellt (7 Abschn. 37.6, Exkursbox). Die TMS kann nicht nur im direkt stimulierten Kortex, sondern auch in verbundenen Hirnregionen die »intrinsische« neuronale Aktivität modulieren. Ist die Intensität der TMS ausreichend, um in kortikokortikalen oder kortikosubkortikalen Axonen Aktionspotenziale auszulösen, so kann sich der fokale Stimulationseffekt der TMS in entfernte Hirnregionen ausbreiten und dort die regionale neuronale Aktivität beeinflussen. Die kontralaterale TMS motorischer Kortexareale kann über die Aktivierung transkallosaler Faserbahnen zu Erregbarkeitsveränderungen im kontralateralen motorischen Kortex führen (7 Kap. 18). Diese Netzwerkeffekte der TMS können mit der funktionellen MRT untersucht werden. Mit einem TMS-Einzelreiz oder einer kurzen Reizserie kann das kortikale Zielareal dosiert und gezielt erregt werden und die Weiterleitung der neuronalen Erregung in entfernte Hirnareale mit der funktionellen MRT dargestellt werden. Bei der Kombination von TMS und funktioneller MRT ist zwischen der gleichzeitigen (online) und der nachgeschalteten (offline) Anwendung zu unterscheiden. Die fMRT erfolgt hier nach Beendigung der rTMS, um Veränderungen kortikaler Aktivierungsmuster darzustellen. Natürlich kann die fMRT auch vor einem TMS-Experiment offline eingesetzt werden, um die individuelle Lokalisation einer aufgabenabhängigen funktionellen Aktivierung zu bestimmen und dann dieses Areal mithilfe der neuronavigierten TMS gezielt zu stimulieren (7 Kap. 41). Die simul-

tane Online-TMS-fMRT stellt dagegen die unmittelbaren Aktivierungsveränderungen während der TMS sowohl in stimulierten als auch verbundenen Arealen dar. Im Vergleich zur Offline-Anwendung ist die TMS während der funktionellen MRT jedoch methodisch schwieriger umzusetzen.

37.2

Funktionelle MRT im Anschluss an die rTMS

Beim Offline-Ansatz sind TMS und funktionelle MRT räumlich und zeitlich voneinander getrennt. Es wird typischerweise vor der funktionellen MRT ein rTMS-Protokoll über einem Kortexareal verabreicht, um die neuronale Aktivität in einem funktionellen System über den Zeitraum der Stimulation hinaus zu beeinflussen (7 Kap. 50). Mit diesem Ansatz wird also vor allem die Reorganisation funktioneller Netzwerke nach rTMS untersucht. Dieser Offline-Ansatz ist methodisch einfach zu realisieren. In der Regel wird vor der rTMS eine funktionelle MRT-Messung zur Erfassung der Aktivierungsmuster während einer bestimmten Aufgabe durchgeführt. Es folgt dann die rTMS außerhalb des Magnetresonanztomografen. Nach Ende der Stimulation wird eine erneute funktionelle MRT-Messung durchgeführt. Der Proband sollte nach erfolgter Stimulation möglichst schnell im Tomographen platziert werden, um transiente rTMS-Effekte zu erfassen, die manchmal nur innerhalb der ersten Minuten nach der rTMS nachweisbar sind und dann abklingen. Dies ist ohne größere Probleme innerhalb von wenigen Minuten möglich. Der Vergleich der Aktivierungsmuster vor und nach der rTMS zeigt an, ob und wie die rTMS die regionalen Aktivierungsmuster beeinflusst hat. Findet sich nach der rTMS eine Veränderung in der regionalen Aktivierung im Vergleich zum Aktivierungsmuster vor der rTMS, könnte dies auch durch einen unspezifischen Zeiteffekt bedingt sein z. B. eine Abnahme der kortikalen Aktivierung durch eine zunehmende Routine in der Aufgabendurchführung während der funktionellen MRT. Um die spezifischen Effekte der rTMS von unspezifischen Zeiteffekten abgrenzen zu können, erfolgt in einer getrennten Sitzung eine Kontrollstimulation. In der Regel wird eine ineffektive Placebostimulation (engl. sham stimulation) über dem gleichen Zielareal als Kontrollstimulation durchgeführt (Pleger et al. 2006). Eine alternative Möglichkeit ist die effektive Stimulation eines Kontrollareals, welches keine Relevanz für den untersuchten Prozess hat. Tritt eine Aktivierungsänderung nach der eigentlichen rTMS und der Kontrollstimula-

37.3 Funktionelle MRT während der TMS

tion auf, handelt es sich um einen unspezifischen Zeiteffekt. Eine Aktivierungsänderung, die nur nach der eigentlichen rTMS, nicht aber nach der Kontrollstimulation nachweisbar ist, spiegelt einen anhaltenden Konditionierungseffekt der rTMS wider. Zudem kann die funktionelle Spezifität der rTMS durch den Vergleich zweier oder mehrerer Aufgaben innerhalb derselben funktionellen MRT-Sitzung verglichen werden. Die Annahme ist hierbei, dass die Stimulation eines kortikalen Areals spezifisch die mit diesem Areal assoziierte Funktion beeinträchtigt, während andere Funktionen unbeeinträchtigt bleiben sollten. Derzeit gibt es nur wenige Arbeiten, welche gezielt die überdauernden Effekte einer rTMS auf die neuronalen Aktivierungsmuster mit der funktionellen MRT untersucht haben. Untersuchungen zur Beeinflussung der sensorischen Verarbeitung (7 Kap. 44) konnten zeigen, dass sich die taktile Diskriminationsfähigkeit durch die Verabreichung von mehreren hundert Stimuli einer 5-Hz-rTMS über dem primären sensorischen Kortex passager verbessern lässt (Tegenthoff et al. 2005). Mit der funktionellen MRT konnte ein kortikales Korrelat dieses Verhaltenseffektes nachgewiesen werden. Die Verbesserung der taktilen Diskriminationsfähigkeit ging mit einer Vergrößerung der kortikalen Repräsentation entsprechender Finger im primären sensorischen Kortex einher.

37.3

Funktionelle MRT während der TMS

37.3.1 Methodische Aspekte Soll die TMS während der funktionellen MRT im Scanner appliziert werden, so ergeben sich einige technische Anforderungen, die auf den ersten Blick unüberwindbar erscheinen. Die hierbei auftretenden Probleme betreffen die MRT-Tauglichkeit der TMS Spule, die Auswirkungen der MRT auf die TMS und die Auswirkungen der TMS auf die MRT. Neuere technische Entwicklungen ermöglichen jedoch die Kombination beider Methoden.

MRT-Tauglichkeit der TMS Spule Während der funktionellen MRT-Untersuchung befindet sich der Patient im starken Magnetfeld des Magnetresonanztomografen, so dass schon kleine ferromagnetische Objekte wie z. B. Kleingeld zu gefährlichen Geschossen werden können. Die für die TMS verwendeten Stimulationsspulen werden üblicherweise aus Kupferlegierungen gefertigt und sind somit nicht ferromagnetisch. Dennoch können kommerzi-

369

37

ell erhältliche Standardspulen nicht für die TMS im Magnetresonanztomografen verwendet werden, da die TMS im Magnetresonanztomografen besondere Anforderungen an die Konstruktion der Stimulationsspule stellt. MRT-taugliche TMS-Spulen müssen eine ausreichende mechanische Stabilität aufweisen, da die Stimulationspulen im Magnetresonanztomografen einer besonderen Biegebeanspruchung ausgesetzt sind. Die stärkere mechanische Beanspruchung resultiert aus der Wechselwirkung zwischen dem statischen Magnetfeld des Tomografen und dem während der TMS generierten elektromagnetischen Wechselfeld. Die Verwendung im Magnetresonanztomografen stellt auch besonders hohe Ansprüche an die Spulenfertigung. Bei der Fertigung von MRT-tauglichen TMS-Spulen muss darauf geachtet werden, dass keine ferromagnetischen Partikel in die Spule gelangen, da bereits kleine Mengen ferromagnetischer Materialien in der Spule die Bildqualität der MRT erheblich beeinträchtigen können (Baudewig et al. 2000). Da die Stimulationsquelle außerhalb des MRT-Raumes bleiben muss, müssen die TMS-Spulen mit einem langen Anschlusskabel (bis zu 8 Meter) versehen werden, um die Verbindung zwischen der Stimulationsspule und der Pulsquelle herzustellen.

Auswirkungen des Magnetresonanztomografen auf die TMS Das statische Magnetfeld des Tomografen interagiert mit dem durch den TMS-Puls generierten elektromagnetischen Wechselfeld. Dies induziert mechanische Vibrationen in der Stimulationsspule nach Pulsentladung und führt zu einer akuten Biegebeanspruchung des Spulengehäuses. Die mechanische Belastung der Spule ist besonders stark, wenn das durch die Spule induzierte Magnetfeld senkrecht zum statischen Magnetfeld des Magnetresonanztomografen ausgerichtet ist und nimmt mit der Intensität der TMS und der Feldstärke des Magnetresonanztomografen zu. Diese Spulenvibrationen können, je nach TMS-Spule, Spulenhalter, Spulenorientierung und Feldstärke, bis zu 100 ms anhalten. Die mechanischen Wechselwirkungen äußern sich in einem wesentlich lauteren Entladungsgeräusch, wenn die Spule innerhalb des Magnetresonanztomografen entladen wird. Vorteilhaft für die TMS im Magnetresonanztomografen ist die Verwendung einer biphasischen Pulskonfiguration, da hier das durch den TMS-Puls induzierte elektromagnetische Wechselfeld in sehr kurzer Zeit (~250 µs) invertiert wird. Dadurch treten die auf die Spule einwirkenden Biegekräfte im Bruchteil einer Millisekunde in entgegengesetzten Richtungen auf.

370

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 37 · Transkranielle Magnetstimulation und funktionelle Magnetresonanztomograﬁe

Auswirkungen der TMS auf die funktionelle MRT Bei herkömmlichen Sequenzen kann etwa alle 100 ms ein funktionelles MRT-Bild aufgenommen werden. Während dieser Zeit wird eine komplizierte Sequenz von Vorbereitungsschritten, elektromagnetischer Anregung, elektromagnetischen Manipulationen zur Kontrastbildung und Aufnahme der elektromagnetischen Resonanzen zur Bilderzeugung durchlaufen. Obgleich TMS-Pulse nur eine Dauer von ca. 0,3 ms haben, kann ein einzelner TMS-Puls dramatische Artefakte in den Bildern verursachen. Abhängig davon, in welcher Phase der Bilderzeugung der TMS-Puls gerade verabreicht wird, können die negativen Auswirkungen des TMS-Pulses auf die Bildqualität bis zu mehrere Sekunden andauern. Die Pause zwischen zwei aufeinanderfolgende MRT-Bildaufnahmen bietet ein Zeitfenster, in dem TMS-Pulse verabreicht werden können ohne die nachfolgende Bildakquisition zu beeinflussen. Diese Pausen müssen allerdings deutlich länger als der eigentliche TMS-Puls sein, da detaillierte Analysen des Signal-Rausch-Verhältnisses von MRT-Bildern noch 100 ms nach TMS-Pulsen eine deutliche Beeinflussung der MRT-Bildqualität gezeigt haben. Dieser Effekt entsteht u. a. durch Vibration der TMS-Spule (s. oben), da eine sich im Magnetfeld bewegende Kupferspule Magnetfeldstörungen verursacht (Shastri et al. 1999). Artefaktfreie MRT-Bilder erfordern also in der Regel einen zeitlichen Abstand zwischen dem TMS-Puls und der nachfolgenden Bildgebung von ca. 50‒100 ms (Bestmann et al. 2003a, 2004, 2005).

Rauschen im Hochfrequenzbereich Für die MRT werden Radiosignale genutzt, deren Frequenzbereiche im Bereich von konventionellen Radiosendern (UKW-Frequenzbereich) liegen. Die zentrale Frequenz bei Magnetresonanztomografen mit 1,5 T Feldstärke ist ca. 64 Mhz, bei 3 T Feldstärke 128 Mhz usw. (Feldstärke × 42,58 Mhz). Magnetresonanztomografen werden deshalb in speziell abgeschirmten Räumen betrieben, in denen keine externen Radiowellen eindringen können. Bei der Platzierung der TMS-Spule im MRT über dem Kopf des Probanden können störende Frequenzen vom Spulenkabel oder dem Stimulator aufgenommen werden oder sogar von dem Stimulator produziert werden. Diese werden ggf. über das Spulenkabel bis zur TMS-Spule geleitet und dort wie von einer Sendeantenne abgestrahlt, wodurch es zu Störungen der MRT-Aufnahme kommen kann. Um das Rauschen im Hochfrequenzbereich durch den TMSStimulator zu unterdrücken, kann z. B. die TMS-Spu-

le über eine hochfrequenzdichte Durchführung in die MRT-Kabine eingebracht und an den Stimulator angeschlossen werden. Das Ausmaß dieser Störungen hängt stark von der Feldstärke des Magnetresonanztomografen, den benutzten TMS-Stimulatoren und dem Umfeld des jeweiligen Untersuchungsraumes ab. Bei höheren Feldstärken ist das Hochfrequenzrauschen in dem entsprechenden Frequenzband des Tomografen u. U. nicht so stark ausgeprägt. Generell empfiehlt es sich jedoch, Hochfrequenzfilter zu benutzen (Shastri et al 1999; Ruff et al 2006), um hochfrequente Rauschanteile zu unterdrücken.

Strategien zur Synchronisation von TMS und funktioneller MRT Die Magnetresonanztomografen generieren ein Triggersignal. Dieses kann genutzt werden, um die TMS zu genau kontrollierten Zeitpunkten relativ zur Magnetresonanzsequenz auszulösen. Für einzelne TMS-Pulse oder kurze Reizserien bietet es sich an, die Pulse in entsprechende Pausen zwischen zwei Bildaufnahmen zu verabreichen, um die Bildakquisition nicht zu stören. Theoretisch kann man auch auf ein Pausieren der Bildgebung verzichten, da die mit der funktionellen MRT gemessenen Signaländerungen eine hämodynamische Verzögerung aufweist, die im Sekundenbereich liegt (7 Abschn. 37.6, Exkursbox). Die physiologischen Effekte der Stimulation treten also in den Bildern auf, die mehrere Sekunden nach dem eigentlichen TMS-Puls aufgenommen werden. Die MRTAufnahmen, die durch den TMS-Puls beeinträchtigt werden, können nachträglich identifiziert und von der Bilddatenanalyse ausgeschlossen werden, ohne die durch die TMS induzierten, physiologischen Signalveränderungen zu verlieren. ! Da TMS-Pulse in speziellen Situationen aber auch Bildartefakte in den MRT-Aufnahmen verursachen, die noch nach mehreren Sekunden nachgewiesen werden können, ist es ratsam, TMS-Pulse während solcher Zeitpunkte zu verabreichen, in denen keine Bildgebung stattﬁndet. In dem folgenden Beispiel wurde von dieser Regel abgewichen. TMS-Pulse wurden während der schichtselektiven elektromagnetischen Anregung der dargestellten Schicht ausgelöst. Obwohl das eigentlich betroﬀene Bild leicht zu identiﬁzieren ist (. Abb. 37.1) und deshalb bei der Auswertung der funktionellen MRT-Serie weggelassen wurde, zeigen sich artiﬁzielle, fehlerhafte Aktivierungen. Diese sind auf den sog. T1Eﬀekt zurückzuführen, der auch noch mehrere Sekunden nach der Störung der schichtselektiven An-

371

37.4 Anwendungsbeispiele für die TMS während der funktionellen MRT

a

37

b

. Abb. .. a TMS-Pulse während der MR-Bildgebung können zur vollständigen Auslöschung einzelner Bilder führen. b Fehlerhafte Aktivierungskarte mit artiﬁziellen Aktivie-

regung durch den TMS-Puls im Gehirnwasser zu einem erhöhten Signal führt.

Mit der oben beschriebenen Strategie können im Wesentlichen einzelne TMS-Pulse oder kurze Folgen von TMS-Pulsen im Magnetresonanztomografen appliziert werden. Für die Verwendung längerer Reizserien muss zwischen den einzelnen TMS-Pulsen und den nachfolgenden Bildaufnahmen eine ausreichende Pause eingehalten werden. Die Wahl des Stimulationsprotokolls ist somit eingeschränkt. Hohe Stimulationsfrequenzen können also nur für kurze Perioden (ca. 500‒1000 ms) verabreicht werden, ohne die MRT-Bilder, in denen das entscheidende Signal auftritt, zu beeinträchtigen. Bei einer 5-Hz-rTMS beträgt das Interstimulusintervall 200 ms, d. h. es kann mindestens ein MRT-Bild zwischen zwei Pulsen aufgenommen werden. Da bei diesem Ansatz die Bildgebung zeitlich suboptimal abläuft, muss man sich in der Regel entweder mit einer geringeren Volumenabdeckung oder einer geringeren zeitlichen Auflösung der funktionellen MRT abfinden.

37.4

Anwendungsbeispiele für die TMS während der funktionellen MRT

rungen im gesamten Hirnwasser durch TMS-Pulse während der schichtselektiven elektromagnetischen Anregung

nalen neuronalen Antwort von der Stimulationsintensität abhängt. Schon einzelne TMS-Pulse können eine regionale BOLD-Antwort auslösen, wobei die durch die TMS induzierten BOLD-Antworten in Amplitude und Dauer denen während willkürlicher Bewegungen entsprechen (Bohning et al. 2000a; Bohning et al. 2000b). Allerdings wurden lokale Aktivierungen des primären motorischen Kortex nur für die überschwellige TMS berichtet. Da die TMS hierbei kontralaterale Fingerbewegungen auslöste, erklärt der bewegungsbedingte, afferente Feedback zumindest einen Teil der lokalen Aktivierung. Demgegenüber wurden während unterschwelliger TMS bislang keine lokalen BOLD-Antworten im stimulierten motorischen Kortex berichtet, obgleich elektrophysiologische Untersuchen klar belegen, dass unterschwellige Reize mit kortikaler Aktivität interagieren (7 Kap. 16). Zudem wurden auch bei TMS über nichtmotorischen Arealen bislang häufig keine lokalen BOLD-Antworten gefunden (Baudewig et al. 2001). Eine fokale rTMS des dorsalen prämotorischen Kortex induzierte, unter Verwendung längerer Reizserien (~10 s), eine lokale BOLD-Antwort im stimulierten Kortex (Bestmann et al. 2005). Diese Befunde deuten darauf hin, dass es bez. lokaler BOLD-Antworten eine klare Dosisabhängigkeit gibt. Dies bedeutet, dass es erst ab einer gewissen Schwelle zu einer regionalen BOLD-Antwort kommt.

37.4.1 Physiologische Auswirkungen von

transkraniellen Einzelreizen oder kurzen Reizserien

37.4.2 Darstellung intrakortikaler

Konnektivität Bohning et al. (1998) gelang es 1998 erstmals, die TMS während der funktionellen MRT erfolgreich durchzuführen. Mit der funktionellen MRT konnte für die TMS über dem primären motorischen Kortex gezeigt werden, dass die Stärke der TMS-induzierten regio-

In einer ersten Studie konnten Bestmann et al. (2003a) zeigen, dass eine kurz dauernde (~10 s), hochfrequente rTMS des primären motorischen Kortex die regionale neuronale Aktivität in verbundenen motorischen Are-

372

21

a

Kapitel 37 · Transkranielle Magnetstimulation und funktionelle Magnetresonanztomograﬁe

b

22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

alen des frontalen Kortex, wie z. B. im supplementärmotorischen Areal und im dorsalen prämotorischen Kortex, beeinflussen kann. In einer Folgestudie (Bestmann et al. 2004) führte selbst unterschwellige TMS zu Aktivierungsveränderungen in kortikalen und subkortikalen Arealen (. Abb. 37.2). Da die TMS hier keine Muskelzuckung auslöste, können diese Aktivierungen nicht durch afferentes Feedback erklärt werden, sondern spiegeln die Signalweiterleitung lokaler Aktivitätsveränderungen über kortikokortikaler und kortikosubkortikaler Projektionen wider (Bestmann et al. 2003b). Die TMS kann hierbei als unabhängiger Stimulus angesehen werden, der gezielt die Aktivität in einem kortikalen Areal beeinflusst, und dessen unmittelbare Effekte mit der funktionellen MRT im gesamten Gehirn gemessen werden können. In einer neueren Studie wurde die simultane TMS-MRT genutzt, um den Einfluss der frontalen Augenfelder auf die neuronale Aktivität in visuellen Kortexarealen zu untersuchen (Ruff et al. 2006). Die frontale TMS führte zu bilateralen Aktivitätsanstiegen in peripheren Augenfeldrepräsentationen, wohingegen die Aktivität in fovealen Repräsentationen des visuellen Feldes entlang des Sulcus calcarinus durch die TMS reduziert wurde. Diese Modulation der neuronalen Aktivität im occipitalen Kortex war unbeeinflusst von der Hintergrundaktivität des visuellen Kortex. Die durch die TMS bewirkte Neuromodulation im visuellen System stützt die Hypothese, dass die frontalen Augenfelder direkt über Top-down-Einflüsse die Aktivität im visuellen Kortex beeinflussen. Diese Ergebnisse illustrieren, dass die durch TMS induzierte neuronale Erregung sich innerhalb eines funktionellen Netzwerkes ausbreitet. Es ist denkbar, dass diese weitreichende Beeinflussung funktioneller

. Abb. .. a Stimulation über ~10 s mit 3 Hz über dem linken Handareal des primären motorischen Kortex führt sowohl zu lokalen Aktivitätsanstiegen als auch zu Aktivierungen in prämotorischen Arealen und dem SMA sowie Deaktivierungen im kontralateralen motorischen Kortex. Aktivierungen des auditorischen Kortex entstehen durch das Geräusch der Spulenentladung. b Die simultane fMRT während TMS zeigt zudem, dass Aktivierungen selbst in subkortikalen Bereichen, wie z. B. den motorischen Thalamuskernen, ipsilateral zur Stimulation selbst bei unterschwelligen Stimulationsintensitäten auftreten können. (Aus Bestmann et al. 2004; mit freundlicher Genehmigung der Fed. of Europ. Neuroscience)

Aktivität innerhalb eines neuronalen Netzwerkes zu den Verhaltenseffekten der TMS beiträgt und somit Aussagen über die kausale Bedeutung des stimulierten Kortexareals für eine bestimmte kognitive Funktion erschwert (7 Kap. 41).

37.4.3 Klinische und

neuropharmakologische Anwendungen Die Möglichkeit, Aktivitätsveränderungen während der TMS im gesamten Gehirn darzustellen, erlaubt entscheidende Rückschlüsse über den Wirkungsmechanismus der rTMS für potenzielle klinische Anwendungen. Dies ist von elementarer Bedeutung, da der Großteil des bisher vorliegenden Wissens über die therapeutische Wirkweise der rTMS auf Post-hocAnalysen klinischer Effekte oder veränderter Aktivierungsmuster in der funktionellen Bildgebung beruht. Eine der vielversprechendsten klinischen Anwendungen der TMS ist die Behandlung der Depression. Die Wahl der Stimulationsorte basierte zumeist auf bildgebenden Studien an depressiven Patienten. Es ist jedoch weitestgehend unklar, ob das stimulierte Areal direkt zu einer Symptomverbesserung beiträgt oder aber über Interaktionen mit verbundenen Arealen zu einer Normalisierung von Hirnaktivität bei Depression führt. Li et al. (2004a) konnten mittels der simultanen TMS und funktionellen MRT zeigen, dass eine 1-Hz-rTMS des linken präfrontalen Kortex , wie sie in zahlreichen klinischen TMS-Studien depressiver Patienten verwendet wurde, die regionale neuronale Aktivität nicht nur im stimulierten Areal, sondern auch in entfernten kortikalen und subkortikalen Arealen des

373

37.6 Ausblick

limbischen Systems akut ändert (Li et al. 2004a). Die vermutete klinische Wirksamkeit präfrontaler rTMS bei Depression wird somit ggf. durch systemspezifische Interaktionen mehrerer depressionsrelevanter Hirnareale vermittelt. Die simultane TMS und funktionelle MRT bietet zudem die Möglichkeit, die Netzwerkeffekte der TMS vor und nach Gabe zentralnervös wirksamer Medikamente darzustellen. Neuropharmaka führen zu kortikalen Erregbarkeitsveränderungen in motorischen Arealen (7 Kap. 34), die Auswirkungen in anderen Kortexarealen sind jedoch weitestgehend unerforscht. In einer randomisierten Doppelblindstudie beeinflussten Li et al. (2004b) mit der TMS die präfrontale neuronale Aktivität nach Gabe einer einzelnen Dosis des Natrium-Kanalblockers Lamotrigin. Die einmalige Gabe von Lamotrigin erhöhte die durch die TMS ausgelösten Aktivitätsanstiege u. a. im Bereich des orbitofrontalen Kortex und Hippocampus, dagegen wurden die Effekte der TMS im primär motorischen Kortex weitestgehend inhibiert. Einzelne Medikamente haben somit ggf unterschiedliche funktionelle Auswirkungen auf die Erregbarkeit und Konnektivität verschiedener Hirnregionen. Die simultane Durchführung von TMS und funktioneller MRT kann solche systemspezifischen Veränderungen durch gezielte transkranielle Anregung der Aktivität eines bestimmten Areals und dessen neuronaler Verbindungen zu anderen Hirnregionen darstellen.

37.5

Vergleich mit anderen bildgebenden Verfahren

Der kombinierte Einsatz von TMS und funktioneller MRT ist vollkommen nichtinvasiv. Im Gegensatz zur PET kommt die funktionelle MRT ohne ionisierende Strahlung aus und kann aufgrund der fehlenden Strahlenbelastung fast beliebig oft wiederholt werden. Zudem bietet die funktionelle MRT gegenüber der PET eine deutlich höhere räumliche und zeitliche Auflösung. Im Gegensatz zur PET erlaubt die BOLDbasierte, funktionelle MRT jedoch keine Messung der Ruheaktivität. Die spezifischen Eigenschaften des gemessenen BOLD-Signals verlangen differenzielle Vergleiche verschiedener Experimentalbedingungen. Zudem bietet das BOLD-Signal nur ein indirektes Maß für die regionale neuronale Nettoaktivität, wohingegen mit der PET spezifische Neurotransmittersysteme untersucht werden können (7 Kap. 36). Im Vergleich zur Elektroenzephalografie (EEG) bietet die funktionelle MRT eine ungleich höhere räumliche Auflösung und eindeutige räumliche Zuord-

37

nung des gemessenen Signals und erlaubt zudem die Untersuchung subkortikaler Strukturen, welche mittels EEG nur bedingt zugänglich sind. Die EEG hingegen bietet eine wesentlich höhere zeitliche Auflösung, welche dynamische Prozesse deutlich besser abbildet als die funktionelle MRT. Die funktionelle MRT misst neuronale Aktivität indirekt über die neurovaskuläre Kopplung. Die EEG hingegen basiert auf kortikal generierten elektrischen Signalen, und liefert somit ein direktes Maß neuronaler Aktivität (7 Kap. 35). Allen drei Methoden ist zu eigen, dass spezifische methodische Anforderungen erfüllt sein müssen, um eine störungsfreie Datenaufnahme zu garantieren. PET, EEG und funktionelle MRT sind nicht als konkurrierende, sondern als komplementäre Untersuchungsverfahren anzusehen. Die Wahl der entsprechenden Methode hat sich somit an der Fragestellung zu orientieren. Anhaltende plastische Veränderungen nach rTMS können mit dem Offline-Ansatz mittels PET, EEG oder funktioneller MRT ohne methodischen Aufwand untersucht werden. Die simultane funktionelle MRT und TMS wiederum stellt die Stimulationseffekte im gesamten Gehirn inklusive subkortikaler Strukturen optimal dar.

37.6

Ausblick

Die kombinierte TMS und funktionelle MRT bietet die Möglichkeit zur hochaufgelösten Darstellung der durch die TMS verursachten Netzwerkeffekte im Gehirn. Allerdings ist der methodische Aufwand für die simultane Kombination nicht unerheblich und die verbreitete Anwendung erfordert eine Optimierung der MRT-Bildgebungssequenzen und des TMSSpulendesigns. Die Kombination beider Methoden hat jedoch bereits unser Wissen über die funktionellen Wechselwirkungen kortikaler Areale, sog. Topdown- und Bottom-up-Prozesse, und der spezifischen Zielareale der »fokalen« TMS entscheidend beeinflusst. Neben der BOLD-basierten MRT sind auch andere Techniken wie die Perfusionsbildgebung über das »spin labelling« oder die Diffusionsbildgebung interessant. Für ein umfangreiches Bild des Wirkungsmechanismus der TMS sind Messungen über morphologische Hirnveränderungen und Veränderungen der Faserbahnen der weißen Substanz durch die diffusionsbasierte MRT vor und nach Stimulation erforderlich. Diese Techniken sind bis auf die voxel-basierte Morphometrie hochauflösender struktureller T1gewichteter MRT-Tomogramme (May et al. 2006) noch nicht direkt mit der TMS kombiniert worden,

374

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 37 · Transkranielle Magnetstimulation und funktionelle Magnetresonanztomograﬁe

und es bleibt abzuwarten, ob die entsprechenden MRT-Sequenzen erfolgreich mit der TMS kombinierbar sind. Dies ist vor allem für therapeutische Anwendungen der TMS von Bedeutung: Hier wird davon ausgegangen, dass die TMS durch lang anhaltende Veränderungen kortikaler Aktivität oder sogar struktureller Integrität klinische Wirksamkeit entfalten kann. Ein umfangreiches Wissen über solche Veränderungen ist ohne Zweifel für die Einschätzung der Sicherheit der therapeutischen Anwendung der TMS eine elementare Voraussetzung. Exkurs

Funktionelle Magnetresonanztomograﬁe (fMRT) Die funktionelle Magnetresonanztomograﬁe (fMRT) ist ein Schnittbildverfahren, das mit hoher räumlicher Auﬂösung regionale Aktivierungsänderungen im Gehirn kartieren kann. Die Grundidee beruht darauf, dass Nervenzellen mehr Energie verbrauchen, wenn sie aktiv sind. Dieser Mehrverbrauch an Energie führt zu einem erhöhten Bedarf an Sauerstoﬀ in dieser Hirnregion. Die Sauerstoﬀversorgung im menschlichen Körper wird im Wesentlichen über die Blutversorgung – oder genauer über den Sauerstoﬀtransporter des Blutes, das Hämoglobin – geregelt. Da das Hämoglobinmolekül Eisen enthält, können aktivitätsbedingte Änderungen in der regionalen Sauerstoﬀversorgung des Gehirns mit der MRT nachgewiesen werden. Das MRT-Signal, das bei einer aktivitätsbedingten Änderung des Sauerstoﬀgehalts im Blut entsteht, wird als BOLD-Signal (engl. Blood Oxygenation Level Dependent) bezeichnet. Über die Erfassung von aufgabenspezifschen Änderungen des regionalen BOLD-Signals ermöglicht die funktionelle MRT die nichtinvasive Untersuchung neuronaler und kognitiver Prozesse im menschlichen Gehirn. Da Untersuchungen im Magnetresonanztomografen ohne ionisierende Strahlung auskommen, gilt die MRT als unbedenklich. Die funktionelle MRT, die ohne exogene Kontrastmittel Hirnfunktionen darstellen kann, eignet sich hervorragend sowohl für die Grundlagenforschung menschlicher Hirnfunktionen als auch für Untersuchungen zur Pathophysiologie neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen.

Literatur Baudewig J, Paulus W, Frahm J (2000) Artifacts caused by transcranial magnetic stimulation coils and EEG electrodes in T(2)*-weighted echo-planar imaging. Magn Reson Imaging 18: 479–484 Baudewig J, Siebner HR, Bestmann S et al. (2001) Functional MRI of cortical activations induced by transcranial magnetic stimulation (TMS). Neuroreport 12: 3543–3548 1Bestmann S, Baudewig J, Frahm J (2003a) On the synchronization of transcranial magnetic stimulation and functional echo-planar imaging. J Magn Reson Imaging 17: 309– 316 Wichtige methodische Arbeit zur Synchronsiation von TMS und funktioneller MRT. Bestmann S, Baudewig J, Siebner HR et al. (2003b) Subthreshold high-frequency TMS of human primary motor cortex modulates interconnected frontal motor areas as detected by interleaved fMRI-TMS. Neuroimage 20: 1685– 1696 Bestmann S, Baudewig J, Siebner HR et al. (2004) Functional MRI of the immediate impact of transcranial magnetic stimulation on cortical and subcortical motor circuits. Eur J Neurosci 19: 1950–1962 2Bestmann S, Baudewig J, Siebner HR et al. (2005) BOLD MRI responses to repetitive TMS over human dorsal premotor cortex. Neuroimage 28: 22–29 Diese Arbeit liefert wichtige Information über die Beeinﬂussung neuronaler Aktivität auf Netzwerkebene während einer fokalen TMS. Die fokale TMS des dorsalen prämotorischen Kortex führt zu konsistenten Aktivierungen in kortikalen und subkortikalen Strukturen, die mit dem stimulierten prämotorischen Kortex funktionell verbunden sind. 2Bohning DE, Shastri A, Nahas Z et al. (1998) Echoplanar BOLD fMRI of brain activation induced by concurrent transcranial magnetic stimulation. Invest Radiol 33: 336–340 Erste Arbeit, die erfolgreich die TMS während der funktionellen MRT durchführte. Bohning DE, Shastri A, McGavin L et al. (2000a) Motor cortex brain activity induced by 1-Hz transcranial magnetic stimulation is similar in location and level to that for volitional movement. Invest Radiol 35: 676–683 Bohning DE, Shastri A, Wassermann EM et al. (2000b) BOLD-f MRI response to single-pulse transcranial magnetic stimulation (TMS). J Magn Reson Imaging 11: 569–574 Li X, Nahas Z, Kozel FA et al. (2004a) Acute left prefrontal transcranial magnetic stimulation in depressed patients is associated with immediately increased activity in prefrontal cortical as well as subcortical regions. Biol Psychiatry 55: 882–890 Li X, Teneback CC, Nahas Z et al. (2004b) Interleaved transcranial magnetic stimulation/functional MRI conﬁrms that lamotrigine inhibits cortical excitability in healthy young men. Neuropsychopharmacology 29: 1395–407 1May A, Hajak G, Ganssbauer S et al. (2006) Structural Brain Alterations following 5 Days of Intervention: Dynamic Aspects of Neuroplasticity. Cereb Cortex 17: 205–210

Literatur

Erste Arbeit, die morphologische Veränderung nach rTMS in der konventionellen MRT mithilfe der voxelbasierten Morphometrie gezeigt hat. 1Pleger B, Blankenburg F, Bestmann S et al. (2006) Repetitive transcranial magnetic stimulation-induced changes in sensorimotor coupling parallel improvements of somatosensation in humans. J Neurosci 26: 1945–1952 In dieser Arbeit führte eine fokale rTMS über dem primären sensorischen Kortex zu einer veränderten kontextabhängigen Kopplung zwischen dem sensorischen und motorischen Kortex. Diese durch die rTMS bewirkte Modulation der eﬀektiven Konnektivität ging mit einer Verbesserung der taktilen Diskriminationsfähigkeit einher. 1Ruﬀ CC, Blankenburg F, Bjoertomt O et al. (2006) Concurrent TMS-fMRI and psychophysics reveal frontal inﬂuences on human retinotopic visual cortex. Curr Biol 16: 1479–1488 Diese Arbeit konnte durch TMS während der funktionellen MRT den Einﬂuss der stimulierten frontalen Augenfelder auf verbundene Areale im visuellen Kortex charakterisieren und somit beim Menschen direkt sogenannte »top-down« Einﬂüsse im visuellen System zeigen. Shastri A, George MS, Bohning DE (1999) Performance of a system for interleaving transcranial magnetic stimulation with steady-state magnetic resonance imaging. Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 51: 55–64 Tegenthoﬀ M, Ragert P, Pleger B et al. (2005) Improvement of tactile discrimination performance and enlargement of cortical somatosensory maps after 5 Hz rTMS. PLoS Biol 3(11): 362

375

37

377

38

Transkranielle Magnetstimulation und tiefe Hirnstimulation Andrea A. Kühn 38.1

Einleitung – 378

38.3.2

38.2

Sicherheitsaspekte zur TMS bei Patienten mit Hirnschrittmacher – 378

38.3.3

38.3

Studien zur Kortex-BasalganglienInteraktion – 379

38.3.1

Einﬂuss der kontinuierlichen Hochfrequenzstimulation auf die motorkortikale Erregbarkeit – 379

Literatur

Kortikal und peripher induzierte Effekte der Einzelreizstimulation über die implantierten Stimulationselektroden – 381 Effekte der transkraniellen Kortexstimulation auf die neuronale Aktivität in den Basalganglien – 382

– 383

ZUM THEMA Die tiefe Hirnstimulation (engl. deep brain stimulation, DBS) ist ein neues Therapieverfahren bei Patienten mit Bewegungsstörungen. Hierbei führt die hochfrequente elektrische Stimulation über implantierte Makroelektroden zu einer überwiegenden Hemmung pathologischer neuronaler Aktivität in den Basalganglien und im Thalamus und damit zu einer Verbesserung der motorischen Dysfunktion. Bei Beachtung der Sicherheitsaspekte kann die TMS bei Patienten mit tiefer Hirnstimulation angewendet werden. Die Kombination von Stimulation und paralleler Ableitung neuronaler Aktivität auf Ebene der Basalganglien und des Kortex gewährt einen neuen Zugang zur Erforschung der (Patho-)physiologie des motorischen

Systems. So kann einerseits durch Messung der kortikospinalen Erregbarkeit mittels TMS bei an- und ausgeschaltetem Stimulationsgerät der Einﬂuss der Basalganglienaktivität auf kortikale Prozesse erforscht werden. Andererseits kann über die implantierten Makroelektroden die durch TMS induzierte neuronale Aktivität direkt aus den Basalganglien abgeleitet werden. Zudem können die transkraniell im Kortex ausgelösten motorischen Antworten mit den motorischen Antworten verglichen werden, die subkortikal durch Stimulation von Nervenfasern nahe der im Zielareal liegenden Makroelektroden ausgelöst werden. Dies ermöglicht Rückschlüsse über die Reizverarbeitung im kortikospinalen System.

378

Kapitel 38 · Transkranielle Magnetstimulation und tiefe Hirnstimulation

Einleitung

21

Exkurs

38.1

Tiefe Hirnstimulation

22

Als tiefe Hirnstimulation wird die kontinuierliche elektrische Stimulation subkortikaler Hirnstrukturen über ein implantiertes Schrittmachersystem bezeichnet. Seit einigen Jahren wird dieses Therapieverfahren bei der Behandlung von Patienten mit Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson, Dystonie und Tremor erfolgreich angewendet (Benabid et al. 2003). Bei der tiefen Hirnstimulation werden Makroelektroden unter stereotaktischer Führung in speziﬁsche Kerngebiete der Basalganglien (Nucleus subthalamicus, STN und Globus pallidus internus, GPi) und des Thalamus (Nucleus ventralis intermedius thalami, VIM) implantiert. Zur therapeutischen Stimulation werden die im Zielareal eingebrachten Makroelektroden über ein Kabel mit dem Impulsgeber verbunden, der subkutan im Bereich der Schlüsselbeinregion oder der Leistenregion implantiert wird. Das Stimulationskabel wird von intrakraniell über ein Bohrloch nach subkutan ausgeleitet und verläuft subkutan an Kopf und Hals zum Impulsgeber. Über das implantierte Stimulatorsystem wird die neuronale Aktivität im Zielareal durch eine kontinuierliche hochfrequente elektrische Stimulation (>100 Hz) moduliert. Die physiologischen Grundlagen des therapeutischen Eﬀektes sind bisher nicht vollständig geklärt. Derzeit wird der Therapieeﬀekt der tiefen Hirnstimulation im wesentlichen auf die Hemmung krankheitsspeziﬁscher pathologischer Entladungsmuster im Zielgebiet zurückgeführt, die wahrscheinlich durch die direkte Hemmung der Nervenzellen und die Aktivierung aﬀerenter sowie eﬀerenter neuronaler Projektionen in unmittelbarer Nähe der Elektrode ausgelöst werden. Es gibt zudem Hinweise, dass die tiefe Hirnstimulation die Etablierung eﬀektiver Kompensationsmechanismen im motorischen System ermöglicht. Die tiefe Hirnstimulation wird zunehmend auch zur Neuromodulation anderer neuropsychiatrischer Erkrankungen eingesetzt. Neueste Studien zeigen erste Behandlungserfolge mit der tiefen Hirnstimulation bei Patienten mit ClusterKopfschmerz, Gilles-de-la-Tourette Syndrom und psychiatrischen Erkrankungen wie Depression und Zwangsstörungen.

Die Einführung der tiefen Hirnstimulation (7 Exkursbox »Tiefe Hirnstimulation«) durch die Arbeitsgruppe um Benabid am Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts, hat neben den Erfolgen in der Behandlung von Patienten mit Bewegungsstörungen eine Vielzahl neuer Forschungsansätze ermöglicht, um die Bedeutung der Basalganglien im motorischen System zu untersuchen. Die Kombination von tiefer Hirnstimulation und TMS kann in zweierlei Hinsicht angewendet werden. Bei Patienten, die mit der tiefen Hirnstimulation behandelt werden, kann die TMS eingesetzt werden, um pathophysiologische Aspekte von Basalganglienerkrankungen und den Wirkmechanismus der tiefen Hirnstimulation zu untersuchen. Durch die Möglichkeit der subkortikalen Neurostimulation und der Ableitung neuronaler Aktivität über die implantierten Elektroden kann die tiefe Hirnstimulation in der Verbindung mit der TMS genutzt werden, um physiologischen Fragestellungen im motorischen System nachzugehen.

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

38.2

Sicherheitsaspekte zur TMS bei Patienten mit Hirnschrittmacher

Grundsätzlich kann bei Patienten mit implantierten Elektroden und Stimulator zur tiefen Hirnstimulation eine TMS durchgeführt werden (Wassermann 1998). Allerdings müssen zwei Bedenken zur Anwendungssicherheit ausgeräumt werden: 5 Zum einen ist zu klären, ob die während der TMS in den Elektrodenkabeln induzierten Ströme das Hirngewebe im Bereich der Elektrodenkontakte schädigen können. 5 Zum anderen darf es zu keiner Funktionsbeinträchtigung des programmierbaren Impulsgebers durch die TMS kommen. Phantomuntersuchungen haben gezeigt, dass die durch TMS über den Elektrodenkabeln mit maximaler Stimulatorintensität (Magstim-200-Stimulator, Fa. MagStim, Großbritannien) an den Kontakten der Makroelektrode induzierten Ströme deutlich geringer sind als während therapeutischer tiefer Hirnstimulation (Kumar et al. 1999; Kühn et al. 2003). Somit geht von den während der TMS in den Elektrodenkabeln induzierten Strömen keine Gefahr für das Hirngewebe aus. Allerdings kann die TMS den Impulsgeber potentiell schädigen. Die Funktionsweise des programmierbaren Impulsgebers (Itrel, Medtronic, Minneapolis, MN, U.S.A.) wird bei einem Mindestabstand

38.3 Studien zur Kortex-Basalganglien-Interaktion

379

38

von 10 cm zwischen TMS-Spule und Hirnschrittmacher nicht beeinflusst. Bei geringeren Abständen zwischen Stimulationsspule und Impulsgeber kommt es zu Funktionsstörungen des Hirnstimulators bis hin zum kompletten Funktionsverlust bei einem Abstand unter 2 cm. ! Akzidentelle Entladungen der TMS-Spule in Stimulatornähe sind auf jeden Fall zu verhindern (Kumar et al. 1999; Kühn et al. 2003)! Es wird daher dringend empfohlen, während jeder TMS-Untersuchung einen Sicherheitsabstand von >10 cm zwischen TMS-Spule und implantierten Hirnschrittmacher durch Abschirmung (z. B. indem der Patient eine Schwimmweste trägt) zu gewährleisten. Ebenso sollte die transkutane magnetische Stimulation der spinalen Nervenwurzeln zur Bestimmung der peripheren motorischen Leitungzeit vermieden werden.

Weiterhin ist zu beachten, dass der über die Elektrodenkabel mittels TMS induzierte Strom Nervenfasern in der Nähe der im Zielareal positionierten Makroelektrode aktivieren kann. Dies hat einerseits für die tiefe Hirnstimulation typische, unerwünschte Nebenwirkungen wie die Auslösung von Phosphenen, Kribbelparästhesien oder kurzen Muskelkontraktionen zur Folge. Andererseits können die physiologischen Antwortparameter nach TMS durch zusätzliche orthodrome und antidrome subkortikale Aktivierung von Nervenfasern beeinflusst werden (Kühn et al. 2002; Kühn et al. 2003; Hidding et al. 2006; . Abb. 38.1).

38.3

Studien zur Kortex-BasalganglienInteraktion

38.3.1 Einﬂuss der kontinuierlichen

Hochfrequenzstimulation auf die motorkortikale Erregbarkeit Eine Vielzahl von TMS-Untersuchungen hat pathologische Veränderungen insbesondere intrakortikaler Hemmmechanismen bei Patienten mit Bewegungsstörungen gezeigt. Bei Patienten mit Morbus Parkinson wurde parallel zur klinischen Verbesserung der motorischen Symptome eine partielle Normalisierung der abgeschwächten intrakortikalen Hemmung unter dopaminerger Medikation beobachtet. Dies ist zumindest teilweise auf eine Änderung der neuronalen Aktivität innerhalb der Kortex-BasalganglienSchleife zurückzuführen mit konsekutiver Modulati-

. Abb. .. Röntgenaufnahme (Frontalansicht) des Schädels mit bilateral im Globus pallidus internus implantierten Elektroden bei einem Patienten mit Dystonie. In den unter der Kopfhaut in Schlingen verlegten Elektrodenkabeln wird bei TMS über dem motorischen Kortex Strom induziert. Bei diesem Patienten wurden mit TMS über dem linken primären motorischen Kortex bilateral motorisch evozierte Potenziale (MEP) in Handmuskeln ausgelöst, bedingt durch eine zusätzliche subkortikale Stimulation der Pyramidenbahn rechts über die im Globus pallidus implantierte Elektrode. (Aus Kühn et al. 2002; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

on der Erregbarkeit des motorischen Kortex über thalamokortikale Afferenzen (7 Kap. 27). Über die tiefe Hirnstimulation kann direkt die neuronale Aktivität der Basalganglien manipuliert und deren Einfluss auf die Erregbarkeit des motorischen Kortex getestet werden. Da der Effekt der tiefen Hirnstimulation im STN auf die motorischen Symptome bei Patienten mit Morbus Parkinson dem Effekt der dopaminergen Medikation ähnlich ist, wurde untersucht, ob die tiefe Hinrstimulation des STN ebenfalls eine normalisierende Wirkung auf die intrakortikale Exzitabilität hat. Verschiedene Studien an Patienten mit Morbus Parkinson zeigten übereinstimmend eine signifikante Zunahme der intrakortikalen Doppelpulshemmung kurzer Latenz (engl. short-latency intracortical inhibition, SICI; . Abb. 38.2) unter einer Hochfrequenzstimulation des STN (Pierantozzi et al. 2002; Cunic et al. 2002). Eine Verlängerung der kontralateralen kortikalen Innervationsstille (engl. con-

380

Kapitel 38 · Transkranielle Magnetstimulation und tiefe Hirnstimulation

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .. Zeitverlauf der intrakortikalen Doppelpulshemmung kurzer Latenz und der intrakortikalen Doppelpulsbahnung bei 4 Patienten während einer hochfrequenten Stimulation des STN (ausgefüllte Dreiecke) oder GPi (leere Dreiecke) im Vergleich zur Doppelpulserregbarkeit nach subkutaner Apomorphingabe (leere Kreise) und im medikamentösen und Stimulations-Oﬀ-Zustand (ausgefüllte Kreise). Gegenüber dem Oﬀ-Zustand (keine dopaminerge Medikation oder tie-

fe Hirnstimulation) kommt es zu einer signiﬁkanten Zunahme der intrakortikalen Doppelpulshemmung kurzer Latenz für die Interstimulusintervalle 3 und 4 ms sowohl unter STN- und GPi-Stimulation als auch während dopaminerger Stimulation unter Apomorphingabe. STN Nucleus subthalamicus; GPi Globus pallidus internus; DBS deep brain stimulation. (Aus Pierantozzi et al. 2002; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

tralateral cortical silent period, CSP) wurde nur bei gleichzeitiger Medikamentengabe und tiefer Hirnstimulation des STN gegenüber dem Stimulation-OffZustand und gleichzeitigem Absetzen der dopaminergen Medikamente beobachtet (Däuper et al. 2002). Die Stimulation des STN hatte keinen Einfluss auf die kortikale Innervationsstille im medikamentösen OnZustand (Cunic et al. 2002). Diese Studienergebnisse legen somit einen, zumindest in Teilen, ähnlichen Wirkmechanismus der tiefen Hirnstimulation im STN und der dopaminergen Medikation mit möglicher Beeinflussung der gleichen Hirnstrukturen nahe. Es ist anzunehmen, dass die Hochfrequenzstimulation des STN einerseits zu einer Normalisierung der Ausgangsaktivität der Basalganglien zum motorischen Kortex beiträgt und somit direkt über thalamokortikale Afferenzen die defizienten kortikalen Hemmmechanismen beeinflusst. Anderseits könnte die Verbesserung der motorischen Defizite die Effizienz vorbestehender Kompensationsmechanismen steigern und so indirekt die kortikale Exzitabilität verändern. Letztlich ist auch eine direkte Beeinflussung des motorischen Kortex über eine antidrome Stimulation direkter efferenter kortikaler Projektionen zum STN (Ashby et al. 1999) nicht sicher auszuschliessen, erscheint aber bei therapeutischer tiefer Hirnstimulation als wesentlicher Mechanismus eher unwahrscheinlich.

Weiterhin ist der genaue Stimulationsort in der Zielregion entscheidend für die induzierten kortikalen Erregbarkeitsveränderungen. So führte die Hochfrequenzstimulation des GPi bei Patienten mit Morbus Parkinson unter kontinuierlicher dopaminerger Medikation zu einer signifikanten Verkürzung der kontralateralen kortikalen Innervationsstille, ohne sonstige Effekte auf andere Kennwerte intrakortikaler Erregbarkeit zu entfalten (Chen et al. 2001). Dagegen beschrieb Pierantozzi et al. (2002) eine Verstärkung und damit eine Normalisierung der zuvor beeinträchtigten intrakortikalen Doppelpulshemmung kurzer Latenz während der tiefen Hirnstimulation des GPi bei 4 Patienten ohne Medikation (. Abb. 38.2). Interessanter Weise ist auch unter klinischen Aspekten bei der GPi-Stimulation die spezifische Elektrodenposition in Subarealen des Kerngebietes entscheidend. Für die Stimulation im ventralen GPi wird hierbei ein antidyskinetischer und antidopaminerger Stimulationseffekt vermutet, der eventuell über eine Blockade der Ansa lenticularis vermittelt wird (Krack et al. 1998; Chen et al. 2001). Dies könnte die Abnahme der kortikalen Innervationsstille während der Stimulation des GPI bei Parkinsonpatienten unter hohen Dosen dopaminerger Medikation erklären. Die selektive Beeinflussung der kontralateralen kortikalen Innervationsstille führte zu der Annahme, dass es sich hierbei um ein physiologisches Korrelat für das Ausmass der Bra-

38.3 Studien zur Kortex-Basalganglien-Interaktion

dykinese handeln könnte, die unter Stimulation des ventralen GPi signifikant zunahm (Chen et al. 2001). Zu vermuten ist, dass sowohl verschiedene Elektrodenpositionen in spezifischen Subarealen des GPi als auch der begleitende Effekt der dopaminergen Medikation zu einer unterschiedlichen Beeinflussung der intrakortikalen Hemmmechanismen während der tiefen Hirnstimulation geführt haben. In der bisher einzigen TMS-Studie zur tiefen Hirnstimulation bei Dystoniepatienten, konnte eine Zunahme der kortikospinalen Erregbarkeit unter GPi-Stimulation nachgewiesen werden (Kühn et al. 2003). Dieser Effekt war bei Ausschalten des Stimulators kurzfristig reversibel und nicht an eine ausgeprägte Veränderung der klinischen Symptome bei den Patienten gebunden. Wahrscheinlich handelt es sich um einen direkten Effekt der GPi-Stimulation auf die kortikale Erregbarkeit, möglicherweise durch eine Disinhibition thalamokortikaler Afferenzen zum motorischen Kortex oder einer Hemmung abnormer pallidaler Aktivitätsmuster. Interessant wären ergänzende Langzeitstudien, die die Effekte der kontinuierlichen GPi-Stimulation auf die kortikale Erregbarkeit und auf mögliche kortikale Umorganisationsprozesse parallel zu dem verzögerten Einsetzen der klinischen Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation bei diesen Patienten untersuchen.

38.3.2 Kortikal und peripher induzierte

Eﬀekte der Einzelreizstimulation über die implantierten Stimulationselektroden Übereinstimmend wird in verschiedenen Studien die Auslösbarkeit einer motorischen Antwort in kontralateralen Handmuskeln mit kurzer Latenz nach STN-, GPi- und VIM-Stimulation beschrieben, die aufgrund ihrer neurophysiologischen Merkmale auf die subkortikale Aktivierung der Pyramidenbahn zurückgeführt wird. Charakteristischer Weise kann ein MEP ausschließlich in kontralateralen und bevorzugt in distalen Handmuskeln ausgelöst werden und weist eine um 2‒3 ms kürzere Latenzzeit auf als das motorisch evozierte Potenzial (MEP) zum gleichen Muskel nach TMS über dem motorischen Kortex (Ashby et al. 1999; Kühn et al. 2004). Berechnungen der Chronaxie und motorischen Leitgeschwindigkeit legen eine Aktivierung von stark myelinisierten, schnell leitenden Fasern nahe und die Untersuchungen einzelner motorischer Einheiten weisen auf eine monosynaptische Verbindung zum spinalen Alpha-Motoneuron hin. Die exzitatorischen Reizeffekte sind mit nied-

381

38

rigster Schwelle bei kathodaler Stimulation an den kaudalen Kontakten der Stimulationselektroden auszulösen, was mit der anatomischen Nähe der Pyramidenbahn (in Höhe der Hirnschenkel bzw. der Capsula interna) übereinstimmt. Die aktivierten kortikospinalen Fasern können Stimulationsimpulse über 100 Hz weiterleiten, was sich bei überschwelligen Reizen klinisch in einer tonischen Muskelaktivierung widerspiegelt. Zusammenfassend sprechen diese Charakteristika für eine subkortikale orthodrome Aktivierung schnell leitender monosynaptischer kortikospinaler Neurone der Pyramidenbahn. Der Zugang zur subkortikalen Stimulation der Pyramidenbahn kann bei neurophysiologischen Untersuchungen genutzt werden, um kortikale von subkortikalen Reizeffekten zu unterscheiden. So zeigten Kühn et al. (2004) bei einer Vergleichsuntersuchung zwischen Reizeffekten nach TMS über dem motorischen Kortex und elektrischer Stimulation über im GPi implantierte Elektroden (d. h. bei weitestgehendem Ausschluss einer Aktivierung des motorischen Kortex und transkallosaler Verbindungen), dass bei subkortikaler Stimulation keine ipsilateralen Stimulationseffekte in den Handmuskeln gefunden und unter tonischer Vorinnervation nur eine kurze kontralaterale Innervationsstille mit einer maximalen Dauer von 50 ms ausgelöst werden konnte (. Abb. 38.3). Diese Beobachtung bestätigt die Annahme, dass die mittels TMS ausgelösten, länger anhaltenden, kontralateralen sowie die ipsilateralen Inhibitionsphänomene weitestgehend auf eine kortikal bzw. transkallosal vermittelte kortikale Hemmung zurückzuführen sind. Ein therapeutischer Effekt der Aktivierung kortikospinaler Bahnen ist nicht anzunehmen und die benötigte Stimulationsintensität lag in verschiedenen Studien im Mittel 1‒2 V über den für die Therapie verwendeten Stimulationsparametern (Ashby et al. 1999; Kühn et al. 2003). Gegenüber der GPi-Stimulation wurde bei Stimulation über im STN oder VIM implantierten Elektroden eine Inhibition in kontralateralen Handmuskeln beschrieben, die unabhängig von der exzitatorischen Muskelantwort mit einer Latenzzeit von etwa 42 ms auftrat und vorwiegend von medial liegenden Elektrodenkontakten ausgelöst wurde (Ashby et al. 1999). Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um eine Aktivierung von parallel zum Elektrodenverlauf ausgerichteten Neuronen, wie z. B. Verbindungen zwischen den Basalganglienkernen oder zerebellothalamische Verbindungen, mit dem Resultat einer transienten Hemmung thalamokortikaler Neurone und einer konsekutiven Hemmung des primären motorischen Kortex (Ashby et al. 1999).

382

Kapitel 38 · Transkranielle Magnetstimulation und tiefe Hirnstimulation

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .. Kontralaterale Muskelantworten abgeleitet vom M. dorsalis interosseus manus I nach subkortikaler elektrischer Stimulation (SES) über die implantierten GPi-Elektroden (linke Spalte) und nach TMS über dem motorischen Kortex (rechte Spalte) mit zunehmender Reizstärke. Im kontralateralen Muskel lässt sich ein MEP, gefolgt von einer kontralateralen kortikalen Innervationsstille (engl. contralateral cortical silent period), ableiten. Wird die Innervationsstille durch die transkranielle Stimulation des motorischen Kortex ausgelöst, so nimmt die Dauer der Innervationsstille mit zunehmender

Reizstärke zu. Dagegen ist die durch subkortikale elektrische Stimulation der Pyramidenbahn auf Höhe des GPi ausgelöste Innervationsstille konstant kurz und lässt sich durch Zunahme der Stimulusintensität nicht verlängern. Dies zeigt, dass die durch GPi-Stimulation ausgelöste orthodrome Pyramidenbahnstimulation eine Innervationsstille produziert, die im Wesentlichen auf spinale Hemmmechanismen zurückzuführen ist. Dagegen wird der späte Teil der kortikal ausgelösten Innervationsstille durch hemmende Interneurone im motorischen Kortex verursacht (Mod. nach Kühn et al. 2004)

Möglicherweise relevanter für die therapeutischen Effekte der tiefen Hirnstimulation sind die mit kurzer Latenz auftretenden Veränderungen der kortikalen Exzitabilität. Hier zeigte sich, dass STN und GPi-Stimulation zu einer Bahnung der TMS-induzierten motorischen Antworten bei kurzen Interstimulusintervallen von 3‒4 ms führen (Hanajima et al. 2004). Eine Aktivierung von Neuronen im Zielgebiet der tiefen Hirnstimulation liegt somit nahe und könnte über antidrome Erregungsleitung direkt zum Kortex oder indirekt über eine Aktivierung der polysynaptischen Basalganglien-Thalamus-Kortex-Schleife oder durch eine »Rücksetzung« (engl. resetting) pathologischer oszillatorischer Aktivität in den Basalganglien zu der erhöhten kortikalen Erregbarkeit führen.

38.3.3 Eﬀekte der transkraniellen

Kortexstimulation auf die neuronale Aktivität in den Basalganglien Es ist aus tierexperimentellen Untersuchungen bekannt, dass der primäre motorische Kortex über die »hyperdirekte« Verbindung zum STN zusätzlich direkten Einfluss auf die Basalganglienaktivität nimmt. So konnte bei der Ratte nach elektrischer Stimulation des motorischen Kortex ein die Einzelzellaktivität widerspiegelndes, multiphasisches evoziertes Potenzial mit kurzer Latenz (5‒8 ms) spezifisch im dorsolateralen STN nachgewiesen werden, was eine Synchronisation der STN-Neurone durch kortikale Stimulation nahelegt (Magill et al. 2004). Bei Untersuchungen am Menschen führt die TMS zu einem bis zu 10 ms anhaltendem Artefakt, welches die Ableitung früher Potenziale aus den Basalganglien bisher limitiert. Aus diesem Grund ist ein Nachweis der direkten motorischen Verbindung zwischen primärem motorischen Kortex und STN bisher beim

Literatur

Menschen nicht gelungen. Strafella et al. (2004) konnten aber eine mittels TMS ausgelöste späte Synchronisation der STN-Aktivität nachweisen, die wahrscheinlich auf eine über die indirekte Kortex-Basalganglien-Schleife vermittelte Modulation der Basalganglienaktivität zurückzuführen ist. Bei Verbesserung der Ableitetechnik könnten Untersuchungen zur Auslösbarkeit kortikal evozierter Potenziale in den Basalganglien weitere Erkenntnisse zur Kortex-Basalganglien-Interaktion vermitteln und möglicherweise bei den stereotaktischen Operationen zur intraoperativen Lokalisation des motorischen Subareals des STN bei Patienten mit Morbus Parkinson genutzt werden.

Literatur Ashby P, Kim YJ, Kumar R et al. (1999) Neurophysiological effects of stimulation through electrodes in the human subthalamic nucleus. Brain 122: 1919–1931 Benabid AL, Vercucil L, Benazzouz A et al. (2003) Deep brain stimulation: what does it oﬀer? Adv Neurol 91: 293–302 Chen R, Garg RR, Lozano AM, Lang AE (2001) Eﬀects of internal globus pallidus stimulation on motor cortex excitability. Neurology 56: 716–723 Cunic D, Roshan L, Khan FI et al. (2002) Eﬀects of subthalamic nucleus stimulation on motor cortex excitability in Parkinson’s disease. Neurology 58: 1665–1672 Däuper J, Peschel T, Schrader C et al. (2002) Eﬀects of subthalamic nucleus (STN) stimulation on motor cortex excitability. Neurology 59: 700–706 Hanajima R, Ashby P, Lozano AM et al. (2004) Single pulse stimulation of the human subthalamic nucleus facilitates the motor cortex at short intervals. J Neurophysiol 92: 1937–1943 Hidding U, Baumer T, Siebner HR et al. (2006) MEP latency shift after implantation of deep brain stimulation systems in the subthalamic nucleus in patients with advanced Parkinson’s disease. Mov Disord 21: 1471–1476 Krack P, Pollak P, Limousin P et al. (1998) Opposite motor effects of pallidal stimulation in Parkinson’s disease. Ann Neurol 43: 180–192 Kühn AA, Trottenberg T, Kupsch A, Meyer BU (2002) Pseudo-bilateral hand motor responses evoked by transcranial magnetic stimulation in patients with deep brain stimulators. Clin Neurophysiol 113: 341–345 Kühn AA, Meyer BU, Trottenberg T et al. (2003) Modulation of motor cortex excitability by pallidal stimulation in patients with severe dystonia. Neurology 60: 768–774 Kühn AA, Brandt SA, Kupsch A et al. (2004) Comparison of motor eﬀects following subcortical electrical stimulation through electrodes in the globus pallidus internus and cortical transcranial magnetic stimulation. Exp Brain Res 155: 48–55 Kumar R, Chen R, Ashby P (1999) Safety of transcranial magnetic stimulation in patients with implanted deep brain stimulators. Mov Disord 14: 157–158

383

38

Magill PJ, Sharott A, Bevan MD et al. (2004) Synchronous unit activity and local ﬁeld potentials evoked in the subthalamic nucleus by cortical stimulation. J Neurophysiol 92: 700–714 Pierantozzi M, Palmieri MG, Mazzone P et al. (2002) Deep brain stimulation of both subthalamic nucleus and internal globus pallidus restores intracortical inhibition in Parkinson’s disease paralleling apomorphine eﬀects: a paired magnetic stimulation study. Clin Neurophysiol 113: 108–113 Strafella AP, Vanderwerf Y, Sadikot AF (2004) Transcranial magnetic stimulation of the human motor cortex inﬂuences the neuronal activity of subthalamic nucleus. Eur J Neurosci 20: 2245–2249 Wassermann EM (1998) Risk and safety of repetitive transcranial magnetic stimulation: report and suggested guidelines from the International Workshop on the Safety of Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation, June 5–7, 1996. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 108: 1–16

385

39

Tierexperimentelle Untersuchungen Klaus Funke

39.1

Einleitung – 386

39.5

39.2

Einzelzellableitungen im visuellen Kortex der Katze – 386

Neurotransmitterfreisetzung, Rezeptordynamik und Genexpression – 390

39.5.1

Fallbeispiel – 391

39.6

Sicherheitsaspekte der rTMS – Neurodegeneration und Neuroprotektion – 392

Literatur

– 392

39.3

Verhaltensexperimente zur antidepressiven Wirkung der rTMS – 388

39.3.1

Fallbeispiel – 389

39.4

Einﬂuss der rTMS auf Lernen und Gedächtnis – 390

ZUM THEMA Tierexperimentelle Studien erlauben es, die Wirkung der transkraniellen Magnetstimulation auch auf zellulärer Ebene zu untersuchen und sind daher essenziell, um mögliche therapeutische Ansätze der TMS zu verbessern, und um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Durch die Präsentation einiger richtungsweisender Studien soll dieses Kapitel einen Eindruck vermitteln, welchen Fragestellungen anhand von tierexperimentellen Studien angegangen werden können. So wurden TMS-bedingte kortikale Aktivitätsänderungen elektrophysiologisch durch Einzelzellund Feldpotenzialableitungen studiert und mit speziﬁschen Aktivitätsmarkern auch immunhistochemisch

nachgewiesen. Es wurden Tier-Modelle entwickelt, die es erlauben, die antidepressive Wirkung der TMS im Verhaltensexperiment zu untersuchen. In Kombination mit invasiven Methoden, wie z. B. der Mikrodialyse und ﬁnalen histologischen und molekularbiologischen Methoden, lassen sich ebenfalls die damit einhergehenden zellulären Mechanismen ermitteln, wie z. B. eine Veränderung der Neurotransmitter-Freisetzung oder der Expression von Rezeptoren und TransporterProteinen. Da »Plastizität« der synaptischen Übertragung auch als ein möglicher Mechanismus des Lernens angenommen wird, wurde zudem getestet, ob die TMS das Kurz- oder Langzeitgedächtniss beeinﬂussen kann.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

386

Kapitel 39 · Tierexperimentelle Untersuchungen

39.1

Einleitung

Die zahlreichen Anwendungen der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) beim Menschen haben gezeigt, dass diese Möglichkeit der Aktivierung von Nervenzellen ein großes Potenzial für funktionelle Studien und therapeutische Ansätze besitzt. Zwar gibt es konkrete Vorstellungen und Modelle darüber, wie ein einzelner Magnetpuls akut oder eine repetitive TMS (rTMS; 7 Kap. 50) nachhaltig, die Erregbarkeit von Nervenzellen beeinflussen kann, jedoch sind die zellulären Mechanismen nicht völlig geklärt. Um diese Lücken zu schließen, sind daher tierexperimentelle Untersuchungen notwendig. Sie haben gegenüber den Untersuchungen am Menschen den großen Vorteil, auch invasive Messungen der neuronalen Aktivität (elektrische Ableitung, Mikrodialyse) während der TMS durchführen zu können. Auch kann je nach Versuchsbedingungen unter dem Einfluss von Narkotika, und das final, eine histologische und molekularbiologische Aufarbeitung des Hirngewebes erfolgen. Ferner erleichtern sie Erhebungen an einer homogenen Population (Tiere gleichen Alters und Geschlechts sowie gleicher genetischer Abstammung) bis hin zu Untersuchungen an genetisch veränderten Zuchtlinien, bei denen bestimmte Gene, und damit auch die entsprechenden Gen-Produkte (Proteine), blockiert oder neue hinzugefügt sind. Tierexperimentelle Untersuchungen werfen allerdings bezüglich der magnetischen Stimulation auch einige Probleme auf. Zum einen weisen die Gehirne von Mensch und Versuchstier (z. B. Ratte oder Maus) erhebliche Größenunterschiede auf, weshalb es fast nicht möglich ist, im Tierexperiment die gleichen Reizbedingungen zu schaffen. Bereits die Beschränkung der Reizung auf ein einzelnes Kortexareal ist selbst mit kleinen Spulen bei Katze, Hund und Affe schwierig und bei den noch viel kleineren Gehirnen der Nager so gut wie unmöglich. Zudem ist die magnetische Induktion eines lokalen elektrischen Feldes in kleinen Gehirnen offensichtlich weniger effizient, denn wie von Weissman et al. (1992) berechnet, nimmt die induzierte elektrische Feldstärke monoton mit dem Radius eines sphärischen, elektrischen Leiters ab. Keck et al. (2001) haben durch Modellrechnungen, die auf Dichtemessungen des Gehirngewebes mittels Magnetresonanz beruhen, demonstrieren können, dass die Stimulation des frontalen Kortex bei Ratte und Mensch trotzdem zu sehr ähnlichen Verteilungen des induzierten elektrischen Feldes führen kann (7 Abschn. 39.3.1, Fallbeispiel). Ein weiteres, bei den tierexperimentellen Untersuchungen zur Wirkung der rTMS nicht immer beach-

tetes Problem, ist die »experimentelle Situation« an sich. Die mechanische Immobilisierung der Tiere (Festhalten, Einengen), die Geräusche der Spule und die zusätzliche Stimulation von Haut und Muskeln bewirken beim Versuchstier eine Stressantwort, welche die spezifische Wirkung der TMS erheblich verfälschen kann. Um diese unspezifischen Effekte zu vermeiden, müssen die Tiere entweder zuvor an die experimentelle Situation gewöhnt werden oder während der TMS-Applikation narkotisiert werden (Erhardt et al. 2004). Im Fall der Narkose müssen mögliche Wechselwirkungen des Narkotikums mit den neuronalen Mechanismen der TMS berücksichtigt werden. Wie noch im Folgenden besprochen, entfaltet die TMS ihre Wirkung über eine erhöhte Ausschüttung von Neurotransmittern und Hormonen, Veränderungen der Rezeptoren für diese Botenstoffe und Veränderungen der synaptischen Effizienz (synaptische Plastizität). Da Narkotika, Anästhetika und Analgetika meist über die Bahnung von hemmenden oder die Abschwächung von erregenden synaptischen Prozessen wirken, ist daher eine Wechselwirkung nicht ausgeschlossen. Bei der Analyse von synaptischer Plastizität sollte z. B. kein Wirkstoff, wie etwa Ketamin, verwendet werden, der die NMDA-Rezeptoren blockiert. Einen umfassenden Überblick über alle tierexperimentellen Anwendungen der transkraniellen Magnetstimulation zu geben, ist bei der Kürze dieses Kapitels nicht möglich. Daher werden einzelne richtungsweisende Arbeiten zu Themenkomplexen vorgestellt, die sich vor allem mit Veränderungen der kortikalen Erregbarkeit durch die rTMS beschäftigt haben. . Tab. 39.1 gibt Beispiele für weitere Publikationen, wobei die Wahl hier in erster Linie auf solche Studien fiel, die tierexperimentelle Messverfahren anwenden, die nicht ohne Weiteres beim Menschen durchgeführt werden können oder wichtige Erkenntnisse über die zellulären Wirkungsweisen der TMS liefern. Deshalb finden z. B. solche Studien keine Erwähnung, bei denen die TMS hauptsächlich als Ersatz für eine direkte elektrische Reizung verwendet wird.

39.2

Einzelzellableitungen im visuellen Kortex der Katze

Moliadze et al. (2003) führten zum ersten Mal Einzelzellregistrierungen im von der TMS direkt stimulierten, primären visuellen Kortex der Katze durch und testeten die Wirkung einzelner und doppelter magnetischer Reize auf visuell evozierte Zellantworten. Die Experimente wurden mit anästhesierten (Lachgas-Sauerstoff-Gemisch 70:30 + 0,6 Halo-

387

39.2 Einzelzellableitungen im visuellen Kortex der Katze

39

. Tab. .. Übersicht über weitere, im Text nicht erwähnte, tierexperimentelle TMS-Studien Themengruppe

Methoden

Tierart

Literatur

TMS im Einzel- und Doppelreizmodus Kortikospinale Aktivierung

MEP-Ableitung, spinale elektrische Stimulation, Anästhesie-Eﬀekte

Ratte

Luft et al. 2001

Induzierte elektrische Felder

Intrakranielle Potenzial-Messung, Sham-Stimulation

Aﬀe

Lisanby et al. 2001

Abschirmung, Blende

Intrakranielle Potenzial-Messung, variierte Blendengröße

Katze

Nakatoh et al. 1998

Neurotransmitter-Freisetzung

Mikrodialyse, Dopamin + Metaboliten

Morphinsensitisierte Ratte

Erhardt et al. 2004

Rezeptoren, Transporter

NA, DA, 5-HT Transporter mRNA Analyse mit RT-PCR

Maus

Ikeda et al. 2005

Genexpression (IEG)

RT-PCR, Northern Blot, Vergleich Antidepressiva und ECT

Ratte

Kudo et al. 2005

Neuroprotektion

Kognitions-Tests, Toxin-Resistenz von Zellkulturen

Ratte

Post et al. 1999

Krampfanfälligkeit

EEG-Messung, chemische Epilepsie-Induktion

Ratte

Akamatsu et al. 2001

Kortikale Erregbarkeit (VEP)

Eﬀekt von rTMS Frequenz und Train-Dauer auf VEP; Eﬀekt auf kortikothalamische Bahnung (LGN)

Katze

Aydin-Abidin et al. 2006 De Labra et al. 2006

Aktivität, Metabolismus

2-desoxy-Glukose-Messung, kortikale Verbindungen

Katze

Valero-Cabre et al. 2005

Lernen, synapt. Plastizität

NOR-Verhaltenstest, exvivo-invitro LTP-Test

Ratte

Ahmed u. Wieraszko 2006

Sicherheit, Läsionen

Histologie, spezielle Glia-Marker, spezielle kleine Spule

Ratte

Liebetanz et al. 2003

Repetitive TMS (rTMS)

Es werden möglichst neuere Studien gelistet, die Verweise auf weitere Studien ähnlicher Art enthalten.

than) und für die künstliche Beatmung relaxierten (Alcuroniumchlorid 0,15 mg/kg/h, Alloferin; Fa. Hoffmann-LaRoche) Tieren durchgeführt. Die Aktionspotenziale einzelner Kortexzellen wurden mittels lackisolierter Wolframdraht-Elektroden extrazellulär registriert. Bei Ableitung im Zentrum des Magnetfeldes ist das erzeugte elektrische Artefakt besonders stark und kann durch Übersteuern des Verstärkers eine TMS-nahe Messung unmöglich machen. Durch verschiedene Maßnahmen wurde versucht, dies zu verhindern: 5 Führung der Elektrode und der Kabel möglichst im rechten Winkel zum induzierten elektrischen Feld,

5 die Elektrode wurde senkrecht durch eine Führungshülse im Zentrum einer 8-förmigen Magnetspule geführt (70 mm Doppelspule, Sonderanfertigung der Fa. Magstim, Skovlunde, Schweden), 5 schrittweise Verstärkung der Signale (jeweils Faktor 5‒20) bei Band-pass-Filterung (300‒3000 Hz). Als optimaler Reiz für die Neurone des visuellen Kortex wurde ein Lichtbalken auf einem Computer-Monitor erzeugt und auf einer linearen Trajektorie über das rezeptive Feld des abgeleiteten Neurons bewegt. Zuvor wurde ermittelt, welche Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit die stärkste Aktivität

388

21

Kapitel 39 · Tierexperimentelle Untersuchungen

a

b

22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

. Abb. .a,b. Wirkung eines einzelnen TMS-Pulses auf die visuell evozierte Aktivität einer Kortexzelle in Abhängigkeit vom Zeitintervall zwischen TMS-Puls und visueller Aktivität. a gemittelte visuell evozierte Aktivitäten, unten ohne, oben mit TMS an 3 von 14 verschiedenen Zeitpunkten (Pfeilspitze). Pfeile nach oben Zunahme; Pfeile nach unten Abnahme der Aktivität; kleines Diagramm oben links TMS erzeugt für sich alleine keine neuronale Aktivität. Schema unten rechts ein Lichtbal-

ken wurde vor und zurück über das rezeptive Feld (RechteckSymbol) bewegt. b Zunahme (hellgrau) und Abnahme (dunkelgrau) der neuronalen Aktivität für 14 verschiedene Zeitpunkte der TMS (Artefakt in schwarz). Graue Balken am unteren Rand geben die Verweildauer des Lichtbalkens im rezeptiven Feld an. (Aus Moliadze et al. 2003; mit freundlicher Genehmigung von Blackwell Publishing)

erzeugt. Um zu testen, ob zu bestimmten Zeiten nach einem TMS-Puls erregende oder hemmende Aktivitäten auftreten, wurde das zeitliche Intervall zwischen TMS und der visuellen Reizung systematisch variiert. Ohne die visuell evozierte Aktivität ist es mit extrazellulärer Ableitung von Aktionspotenzialen nicht möglich, einen hemmenden Einfluss zu charakterisieren, da die spontane Aktivität kortikaler Zellen in der Regel sehr niedrig ist. Während ein einzelner magnetischer Puls ohne visuelle Reizung oft nur eine geringe Aktivitätssteigerung zur Folge hatte, wurden die visuellen Antworten kurz nach dem Puls deutlich verstärkt (. Abb. 39.1a). Dieser Befund deutet an, dass die Zelle durch die TMS unterschwellig vordepolarisiert wurde und dadurch auch unterschwellige visuelle synaptische Antworten Aktionspotenzial auslösen konnten. Das bedeutet auch, dass die Schwelle zur Generierung von Aktionspotenzialen durch die TMS höher ist als die für die Erzeugung von postsynaptischen Aktivitäten als Folge einer möglicherweise erhöhten Transmitterfreisetzung. Bei den meisten untersuchten Zellen wurde die visuelle Aktivität innerhalb der ersten 300‒500 ms nach dem TMS Puls verstärkt, während sie im Bereich von 500‒1500 ms abgeschwächt wurde (. Abb. 39.1b). In einer zweiten Studie (Moliadze et al. 2005) wurde das Doppelpulsprotokoll gestestet, wie es beim Menschen zur Beurteilung von intrakortikaler Hemmung und Bahnung dient (7 Kap. 16). Anders als im

primären motorischen Kortex des Menschen konnte kein Umschlag zwischen Hemmung der motorischen Antwort (MEP) bei kurzen Intervallen (1‒5 ms) und Bahnung bei längeren (>6 ms) beobachtet werden. Der Doppelreiz hatte bei Reizstärken des konditionierenden Reizes (CS) zwischen 60 und 130 des Testreizes bei allen getesteten Intervallen (2‒30 ms) eine Verstärkung der visuellen Aktivität zur Folge, wenn der Testreiz selbst bereits potenzierend wirkte. Nur bei niedrigen CS-Stärken von 15‒30 war eine vom Interstimulusintervall unabhängige Suppression vorhanden. Dieses Experiment zeigt, dass es bezüglich der Doppelreizeffekte auf kortikale Aktivität deutliche regionale Unterschiede geben kann, je nachdem, ob es sich um ein motorisches oder sensorisches Areal handelt, und ob im stimulierten Kortex bereits andere intrinsische Aktivitäten (hier sensorische) ablaufen.

39.3

Verhaltensexperimente zur antidepressiven Wirkung der rTMS

Als tierexperimentelles Modell zur Beurteilung depressiver Verhaltenstendenzen und der Wirkung antidepressiver Maßnahmen (7 Kap. 61) haben sich vor allem motorische Verhaltenstest bei Nagern etabliert, die als Maß für Stress- und Angstbewältigung (Coping) und Motivation (Exploration) gelten. Ein klassisches Beispiel für die Beurteilung von aktiver

39.3 Verhaltensexperimente zur antidepressiven Wirkung der rTMS

39

389

gegenüber passiver Stressbewältigung ist der forcierte Schwimmtest (FS, nach Porsolt et al. 1977). Als Maß für die aktive Stressbewältigung dient hier das Verhältnis der Zeiten, die das Versuchstier aktiv schwimmt und versucht die Wand des Glaszylinders zu erklimmen oder aber sich nur treiben lässt (Immobilität). Zur Abgrenzung Stress-spezifischer Effekte von Auswirkungen auf andere motorische Verhaltensweisen wird ausserdem die basale Lokomotion, die Häufigkeit von (Apomorphin-induzierten) stereotypen Verhaltensmustern und das Explorationsverhaltens analysiert. Apomorphin-induzierte Stereotypen sind ein Maß für die Stimulierbarkeit dopaminerger Mechanismen über Dopamin-Rezeptoren vom D2-Typ. Ein ande-

rer Test, der »elevated plus-maze« (EPM), dient eher als Test für Angst. Gemessen wird, wie oft die Ratte oder Maus ungeschützt in der Luft hängende (wenn weniger ängstlich) oder durch Seitenwände geschützte Laufstege aufsucht. Die meisten Studien zeigen eine antidepressive Wirkung der rTMS im FS-Test und seltener eine die Angst reduzierende Wirkung. Generell scheinen hohe Frequenzen (15‒50 Hz) einen stärkeren Effekt zu haben als niedrige (1‒5 Hz) und dies auch nur bei chronischer Anwendung. Dieser Verhaltenseffekt geht mit einer entsprechend reduzierten hormonellen Stressantwort (7 Abschn. 39.4.1, Fallbeispiel) des Hypothalamus-Hypophysen-Adrenokortex-Systems einher (Keck et al. 2001).

39.3.1 Fallbeispiel

den die oﬀenen Gänge im EPM-Test und sind im FSTest weniger aktiv als LAB-Tiere. Beide Linien erhielten an 2×3 Tagen jeweils 20 Folgen von 20-Hz-rTMS für 2,5 s (1000 Reize pro Tag, 130 der kortikalen motorischen Reizschwelle, MT; 7 Kap. 14) im Bereich des linken präfrontalen Kortex, aber nur bei HAB-Ratten hatte die rTMS eine antidepressive Wirkung im FS-Test (. Abb. 39.2a). Eine Angst reduzierende Wirkung im EPM-Test war nicht festzustellen, aber die Stresshormonausschüttung während beider Tests (FS und EPM) wurde durch die rTMS auch nur in den HAB-Ratten deutlich reduziert (. Abb. 39.2b). Zwecks Vermeidung von unspeziﬁschen Stressreaktionen wurden die Tiere während der rTMS-Applikation mit Halothan über eine Atemmaske kurzfristig narkotisiert.

Antidepressives Verhalten und Stresshormone Keck et al. (2001) untersuchten, ob die repetitive TMS eine spezielle Wirkung auf depressive Zustände hat. Sie verwendeten den Test »forciertes Schwimmen« (FS) und »elevated plus-maze« (EPM) um depressives bzw. ängstliches Verhalten zu beurteilen. Während dieser beiden Tests wurden regelmäßig Blutproben über einen in der Vena jugularis implantierten Katheder entnommen und der Gehalt an ACTH und Kortikotropin bestimmt. Ausserdem untersuchten sie zwei verschiedene Rattenstämme, solche mit ausgeprägtem Angstverhalten und weniger ängstliche Tiere (high and low anxiety-related behavior, HAB, LAB). HAB-Tiere mei-

a

b

. Abb. .. a Dauer des aktiven Verhaltens (Paddeln) im forcierten Schwimmtest (FS) bei Ratten mit hohem (HAB) und niedrigem (LAB) Angstverhalten, sham schein-behandelte Tiere, ** signiﬁkante Unterschiede zwischen HAB und LABTieren. b Adenocorticotropin (ACTH)-Konzentrationen im Blut bei rTMS (schwarz ausgefüllt) und schein-behandelten (nicht

c

ausgefüllt) HAB-Ratten im »elevated plus-maze«-Test (EPM) und FS-Test, *, ** signiﬁkante Unterschiede. c Modell-Berechnungen zur Verteilung des TMS-induzierten elektrischen Feldes bei Mensch (oben) und Ratte (unten), die auf Gewebedichte-Messungen (MRT) basieren. (Aus Keck et al. 2001; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

390

Kapitel 39 · Tierexperimentelle Untersuchungen

39.4

Einﬂuss der rTMS auf Lernen und Gedächtnis

In einer Studie an mongolischen Rennmäusen haben Wang et al. (2006) getestet, ob rTMS in der Lage ist, Lern- und Gedächtnisprozesse zu beeinflussen. Den Mäusen wurde beigebracht, dass ein in der Frequenz ansteigender Ton nach wenigen Sekunden eine leichte, aber unangenehme elektrische Reizung der Füße über den Boden der Versuchsbox zu Folge hat, ein in der Frequenz abnehmender Ton dagegen nicht. Die Mäuse konnten den elektrischen Schlag durch Springen vermeiden. In verschiedenen Versuchsserien von jeweils 5 Tagen wurde die rTMS mit 4 Lernblöcken (Training) pro Tag zeitlich so kombiniert, dass sie sowohl vor als auch nach einem Training lag (. Abb. 39.3a, Serie A), nur vor und nach dem ersten Training (. Abb. 39.3a, Serie B) oder aufgrund längerer Pausen nur vor den Trainingsblöcken lag (. Abb. 39.3a, Serie C). So sollte unterschieden werden, ob die rTMS die Aufnahme von Reizen, den Abruf von Gedächtnisinhalten oder die Etablierung des Gedächtnisses beeinträchtigt. Es zeigte sich, dass nur Serie A zu einer Beeinträchtigung des Lernens führte (. Abb. 39.3b, Serie A). Eine Verschlechterung des konditionierten Verhaltens zeigte sich allerdings nur innerhalb einer Serie von dicht aufeinander folgenden Trainingsblöcken, die Tiere wur-

a

den trotzdem von Tag zu Tag besser (s. Training 1 pro Tag). Wurde die rTMS nur vor und nach dem 1. Training gegeben (. Abb. 39.3c, Serie B), so war nur eine kurzzeitige Verschlechterung bei 2‒3 zu finden. Der rTMS-Effekt hält offenbar nur etwa 30 min an. Serie C mit den längeren Pausen vor der nächsten rTMS hatte keinen Effekt. Diese Beobachtungen lassen den Schluß zu, dass die rTMS vor allem nach den Trainingsblöcken wirksam war, und somit eher die Etablierung eines Gedächnisses und weniger die Reizaufnahme und den Gedächtnisabruf störte. Da die Tiere von Tag zu Tag dazu lernten, aber während einer Serie schlechter wurden, kann man zudem folgern, dass nicht die Langzeitkonsolidierung, sondern nur das Kurzzeitgedächtnis gestört wurde.

39.5

Neurotransmitterfreisetzung, Rezeptordynamik und Genexpression

Die Wirkung der rTMS zeigt viele Parallelen zur Wirkung antidepressiver Substanzen, die ihre Wirkung vor allem durch die Verstärkung dopaminerger (DA), noradrenerger (NA) und serotonerger (-HT) Mechanismen entfalten. Daher haben sich zahlreiche Studien mit der Wirkung der rTMS auf diese Systeme

b

33 34 35 c

36 37 38 39 40

. Abb. .a–c. Untersuchung zum Einﬂuss einer rTMS auf das Erlernen eines Vermeidungsverhaltens (aversive Konditionierung) bei Mongolischen Springmäusen. a Zeitlicher Ablauf der rTMS und Trainingsblöcke, b,c Lernrate (CAR-Rate, »condi-

tioned avoidance response rate«) über 5 Tage mit jeweils 4 Trainingsblöcken für Serie A (b) und Serie B (c). Weitere Erläuterungen ﬁnden sich im Text. (Aus Wang et al. 2006; mit freundlicher Genehmigung von Blackwell Publishing)

39.5 Neurotransmitterfreisetzung, Rezeptordynamik und Genexpression

391

39

befasst. Akute Stimulation des primären motorischen oder präfrontalen Kortex (5‒25 Hz) aktiviert offenbar das mesolimbische dopaminerge System und erhöht die Dopamin-Freisetzung in den Basalganglien (Striatum und N. accumbens) und im Hippokampus. Weniger aktiviert wird dagegen im frontalen Kortex, wo ‒ im Gegensatz zu einer fokalen elektrischen Stimulation ‒ eher über eine Abnahme der 5-HT-Freisetzung berichtet wurde. Nach chronischer rTMS (meist 10 Tage) ist keine erhöhte Transmitter-Ausschüttung zu finden. Stattdessen scheinen eher Veränderungen auf Seiten der Transmitterrezeptoren und -transporter zu erfolgen (Abnahme oder Sensitivitätsverminderung von ß-NA-Rezeptoren, 5-HT1A-, 1B- und 2Rezeptoren, Abnahme des 5-HT-Transporters, aber Zunahme derer für DA und NA). Solche, wie andere, sekundäre Prozesse einer synaptischen Plastiziät basieren auf einer geregelten Veränderung der Protein-Synthese (und des -Abbaus), der wiederum eine

Veränderung der Genexpression voraus geht. Frühe Anzeichen solcher Prozesse sind die Aktivierung sog. unmittelbarer früher Gene (engl. immediate early genes) und Transkriptionsfaktoren, wie c-Fos, zif268, FosB, NGF1A und CREB. Elektrokrampftherapie und rTMS, wie auch pharmakologische Interventionen, steigern die c-Fos-Expression in verschiedenen Hirnarealen. Die Elektrokrampftherapie bewirkt ‒ offensichtlich konvulsiv bedingt ‒ bereits nach einmaliger Anwendung eine stärkere c-Fos-Expression im Kortex und Hippokampus, während die rTMS eine schwächere, nichtkonvulsive c-Fos-Aktvierung hauptsächlich im Striatum und Thalamus bewirkt. Auch eine Aktivierung des paraventrikulären Thalamuskerns wurde beobachtet, was auf eine Wirkung der rTMS auf das zirkadiane System (suprachiasmatischer Kern, Zirbeldrüse, biologische Uhr) hindeutet und Parallelen zur antidepressiven Wirkung von Fototherapie und Schlafentzug andeutet.

39.5.1 Fallbeispiel

»Chandelier«-Typs, Calbindin (CB) und Calretinin (CR) eher in den unregelmäßig aktiven und salvenartig feuernden (»burstenden«) Neuronen. Änderungen in der Expression der CaBP deuten auf adaptive oder pathologische Veränderungen der elektrischen und metabolischen Aktivität hin; so ist z. B. in schizophrenen Gehirnen die PV-Expression erniedrigt. Funke et al. (2006) testeten an Urethan-anästhesierten Ratten, ob sich die Aktivität bestimmter Interneurone, gemessen an ihrer CaBP-Expression, durch verschiedene rTMS6

Kortikale Interneurone und Kalziumbindende Proteine (CaBP) Das Erregungsniveau der kortikalen Aktivität, wie auch die zeitliche Struktur (z. B. Gamma-Oszillationen von 30–80 Hz), werden durch verschiedene, hemmende Interneurone im Kortex kontrolliert. Funktionell und morphologisch unterschiedliche Interneurone exprimieren auch verschiedene CaBP, wie z. B. Parvalbumin (PV) in den »fast-spiking« Neuronen des »Basket«- und

a

b

. Abb. .a,b. Einﬂuss der rTMS auf die Expression von Kalzium-bindenden Proteinen. Nähere Erläuterungen des Experiments ﬁnden sich im Text. Zahl der pro gleicher Fächeneinheit markierten Zellen (n) für PV (a) und zif268 (b) in verschiedenen Kortex-Arealen bei Kontrollen und Tieren, die mit Theta-Burst-Stimulation (TBS) oder 1-Hz-rTMS behandelt wur-

den. Fr frontaler Kortex; MI motorischer Kortex; SI somatosensorischer Kortex; VI visueller Kortex; Cg cingulärer Kortex; Pf piriformer Kortex; Pt parietaler Kortex; Rp retrospinaler Kortex; Tp temporaler Kortex; * Signiﬁkanzwert p<0,05. (Weitere Informationen hierzu s. auch Funke et al. 2006)

392

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 39 · Tierexperimentelle Untersuchungen

Protokolle verändern lässt. Eine Theta-Burst-Stimulation (TBS), bestehend aus Dreierreizen (»burst«) mit einem Interstimulusintervall von 20 ms (50 Hz), die 10-mal alle 200 ms (5 Hz) wiederholt wurden (davon 5 Blöcke alle 15 Minuten mit je 20 Reizfolgen alle 2 s = 3000 Reize), erniedrigte im Vergleich zu einer ineﬀektiven Kontrollstimulation selektiv die PV-Expression (. Abb. 39.4a). Eine 1-Hz-rTMS (3600 Reize) hingegen schwächte nur die CB- und CR-Expression. Ausserdem war zif-268Expression in nahezu allen kortikalen Arealen nur nach der TBS signiﬁkant erhöht, ein Hinweis darauf, dass die

Aktivität in erregenden Neuronen des Kortex deutlich erhöht gewesen sein muss (Abb. 39.4b). Um diesen Eﬀekt zu erzielen, reichte eine Intensität von 30 der maximalen TMS-Stärke aus. Die achterförmige Spule wurde allerdings so plaziert, dass das induzierte elektrische Feld quer zu den Hemispheren ausgerichtet war und die Axone des Corpus Callosums optimal stimuliert wurden. Eine zur Kontrolle durchgeführte NeuNFärbung (Kern-Färbung für Neurone) ergab keine Hinweise auf unspeziﬁsche Zellverluste.

Sicherheitsaspekte der rTMS – Neurodegeneration und Neuroprotektion

1Aydin-Abidin S, Moliadze V, Eysel U, Funke K (2006) Eﬀects of repetitive TMS on visually evoked potentials and EEG in the anesthetized cat: dependence on stimulus frequency and train duration. J Physiol 574: 443–455 Die Studie zeigt, dass eine erregungssteigernde, hochfrequente rTMS (10 Hz) eher bei kurzen Applikationen wirkt (15 Minuten), während eine nieder-frequente rTMS (1-3 Hz) längerer Applikationen bedarf (>5 Minuten). DeLabra C, Rivadulla C, Grieve K et al. (2006) Changes in visual responses in the feline dLGN: Selective thalamic suppression induced by trancranial magnetic stimulation of V1. Cerebr Ctx. DOI 10. 1093/cercor/bh1048 2Erhardt A, Sillaber I, Welt T et al. (2004) Repetitive transcranial magnetic stimulation increases the release of dopamine in the nucleus accumbens shell of morphine-sensitized rats during abstinence. Neuropsychopharmacol 29: 2074–2080 Zur Stressvermeidung: Gewöhnung der Tiere an die experimentelle Situation oder rTMS-Anwendungen in Narkose. Ikeda T, Kurosawa M, Uchikawa C et al. (2005) Modulation of monoamine transporter expression and function by repetitive transcranial magnetic stimulation. Biochem Biophys Res Commun 327: 218–224 Funke K, Trippe J, Benali A (2006) High-frequency (theta) repetitive transcranial magnetic stimulation induces an increase of the metabolic activity but a decrease in Parvalbumin cells in rat visual cortex. FENS 3 (Abstr): A179.7. http:// fens2006.neurosciences.asso.fr/abstracts/Sess/Sess179. html Keck M, Welt T, Post A et al. (2001) Neuroendocrine and behavioral eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation in a psychopathological animal model are suggestive of antidepressant-like eﬀects. Neuropsychopharmacol 24: 337–349 1Kudo K, Yamada M, Takahashi K et al. (2005) Repetitive transcranial magnetic stimulation induces kf-1 expression in the rat brain. Life Sci 76: 2421–2429 Beschreibung eines relativ neuen IEG Prozesses, aber Arbeiten zu c-Fos werden auch diskutiert. 2Liebetanz D, Fauser S, Michaelis T et al. (2003) Safety aspects of chronic low-frequency transcranial magnetic stimulation based on localized proton magnetic resonance

39.6

Histologische Untersuchungen an mit der rTMS behandelten Tieren können auch mögliche gewebeschädigende Wirkungen der TMS aufzeigen. Degenerierende Neurone erscheinen in der Nissl-Färbung entweder aufgedunsen, fragmentiert und aufgehellt oder geschrumpft und dabei dunkler (»dark neurons«). Desweiteren reagieren Glia-Zellen in der Umgebung, was sich mit Antikörpern gegen bestimmte Zellproteine nachweisen läßt, wie z. B. das GFAP (engl. glial fibrillary acidic protein) bei Astrozyten, sowie OX-42 als Marker für Mikroglia an sich und OX-6 für aktivierte Mikroglia (Liebetanz et al. 2003). Bisher wurden, bis auf akut ehöhte GFAP Werte (nicht bei chronischer rTMS), keine gewebsschädigenden Effekte gefunden. Es scheint sogar eher so zu sein, dass die rTMS die Widerstandskraft und Regenerationsfähigkeit von Nervenzellen erhöhen kann (Post et al. 1999).

Literatur 2Ahmed Z, Wieraszko A (2006) Modulation of learning and hippocampal, neuronal plasticity by repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS). Bioelectromagnetics 27: 288–294 Wichtige Studie, in der nach rTMS entweder ein kognitiver Test mit Mäusen durchgeführt wird (NOR - novel object recognition) oder in Hirnschnitten des Hippokampus die Induzierbarkeit von LTP untersucht wird (ex vivo – in vitro). 15-HzrTMS verbesserte die Kognition und induzierte LTP, 1 und 8Hz-rTMS dagegen nicht. Akamatsu N, Fueta Y, Endo Y et al. (2001) Decreased susceptibility to pentylenetetrazol-induced seizures after low-frequency transcranial magnetic stimulation in rats. Neurosci Lett 310: 153–156

Literatur

spectroscopy and histology of the rat brain. J Psychiatr Res 37: 277–286 Ausführliche Diskussion, spezielle Spulenentwicklung für Kleintiere, allerdings wurden nur die Auswirkungen einer niederfrequenten rTMS getestet. Lisanby SH, Gutman D, Luber B et al. (2001) Sham TMS: intracerebral measurement of the induced electrical ﬁeld and the induction of motor-evoked potentials. Biol Psychiatry 49: 460–463 1Luft AR, Kaelin-Lang A, Hauser TK et al. (2001) Transcranial magnetic stimulation in the rat. Exp Brain Res 140: 112– 121 Etablierung eines Ratten-Modells für kortikospinale Aktivierung. Diskussion wichtiger methodischer Aspekte, wie geeignete Anästhesie, und mögliche Ursprünge für elektrisch oder elektromagnetisch evozierte MEP. Moliadze V, Giannikopoulos D, Eysel U, Funke K (2005) Pairedpulse TMS protocol applied to visual cortex of anaesthetised cat: eﬀects on visually evoked single unit activity. J Physiol 566: 955–965 Moliadze V, Zhao Y, Eysel U, Funke K (2003) Eﬀect of transcranial magnetic stimulation on single-unit activity in the cat primary visual cortex. J Physiol 553: 665–679 Nakatoh S, Kitagawa H, Kawaguchi Y et al. (1998) Eﬀects of coil orientation and magnetic ﬁeld shield on transcranial magnetic stimulation in cats. Muscle Nerve 21: 1172–1180 Porsolt RD, LePichon M, Jalfre M (1977) Depression: a new animal model sensitive to antidepressant treament. Nature 266: 730–732 2Post A, Müller MB, Engelmann M, Keck ME (1999) Repetitive transcranial magnetic stimulation in rats: evidence for a neuroprotective eﬀect in vitro and in vivo. Eur J Neurosci 11: 3247–3254 Interessante Arbeit, die rTMS-Eﬀekte sowohl für kognitive Leistungen (soziale Diskrimination/Duftgedächtnis, WaterMaze) untersucht als auch die Resistenz gegen Toxine für Neuronen in Kultur. 1Valero-Cabre A, Payne BR, Rushmore J et al. (2005) Impact of repetitive transcranial magnetic stimulation of the parietal cortex on metabolic brain activity: a 14C-2DG tracing study in the cat. Exp Brain Res 163: 1–12 Durch die C-2DG-Methode wird räumlich dargestellt, wo die elektrische Aktivität und der Metabolismus von Zellen durch die TMS direkt oder durch intrazerebrale Verbindungen erhöht oder erniedrigt wurde. Wang H, Wang X, Wetzel W, Scheich H (2006) Rapid-rate transcranial magnetic stimulation of animal auditory cortex impairs short-term but not long-term memory formation. Eur J Neurosci 23: 2176–2184 Weissman JD, Epstein CM, Davey KR (1992) Magnetic brain stimulation and brain size: relevance to animal studies. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 85: 215–219

393

39

395

40 VI

Charakterisierung von Hirnfunktionen – Funktionelle Systeme

40

Handmotorik

– 397

Michael Martin Weiss, Hartwig Roman Siebner

41

Okulomotorik

– 411

Thomas Nyffeler, René M. Müri

42

Motorisches Lernen

– 421

Susan Koeneke, Lutz Jäncke

43

Sprache

– 429

Caterina Breitenstein, Stefan Knecht

44

Somatosensorik

– 439

Hubert R. Dinse, Patrick Ragert, Martin Tegenthoff

45

Visuelle Verarbeitung

– 449

Til Ole Bergmann, Hartwig Roman Siebner

46

Aufmerksamkeit

– 459

Claus C. Hilgetag

47

Gedächtnis

– 469

Felix M. Mottaghy, Roland Sparing

48

Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf – 477 Farid Salih, Pascal Grosse

49

Emotionen

– 487

Nicola Großheinrich, Kristina Fast, Frank Padberg

397

40

Handmotorik Michael Martin Weiss, Hartwig Roman Siebner

40.1

Aufgabenabhängige Modulation der kortikomotorischen Exzitabilität – 398

40.3

Kontextabhängige Konnektivität – 403

40.1.1 40.1.2 40.1.3

Bewegungsbeobachtung – 398 Bewegungsvorstellung – 399 Bewegungsauswahl und Bewegungsinitiierung – 400 Bewegungsausführung – 400

40.4

Passagere Funktionsunterbrechung – 404

40.4.1

40.2

Kartierung kortikomotorischer Repräsentationen – 400

40.4.3

Bewegungsauswahl im dorsalen prämotorischen Kortex – 404 Greiffunktion und visuomotorische Integration im Parietallappen – 406 Funktionsunterbrechung im supplementären motorischen Areal – 406

40.2.1 40.2.2

Praktische Durchführung Fallbeispiele – 402

40.1.4

40.4.2

– 401

40.5

Konditionierung mit der rTMS

Literatur

– 409

– 407

ZUM THEMA Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) wurde seit ihrer Einführung intensiv genutzt, um die kortikale Kontrolle von Handbewegungen zu untersuchen. Die Voraussetzungen für die Untersuchung der Handmotorik mit der TMS sind besonders günstig. Die meisten frontoparietalen Kortexareale, welche die Handbewegungen steuern, liegen an der Hemisphärenoberﬂäche und sind somit der TMS gut zugänglich. Selbst das supplementäre motorische Areal im Interhemisphärenspalt kann mit der TMS eﬀektiv stimuliert werden. Durch die Aufzeichnung der motorisch evozierten Potenziale (MEP) ist es einfach möglich, das primäre motorische Handareal funktionell zu lokalisieren und die Stimulusintensität individuell anhand der motorischen Reizschwelle zu adjustieren. Verschiedene TMS-Untersuchungstechniken stehen zur Verfügung, um die Handmotorik zu untersuchen. Über die Messung der MEP kann die TMS kontextabhängige Änderungen der kortikomotorischen Erregbarkeit während einer

motorischen Aufgabe mit hoher zeitlicher Auﬂösung nachweisen. Die räumliche Repräsentation kortikospinaler Projektionen kann durch systematische Verschiebung der Stimulationsspule an der Schädeloberﬂäche und Ableitung der MEP im entspannten oder voraktivierten Zielmuskel kartiert werden (engl. MEP mapping). Die bifokale TMS zweier motorischer Hirnregionen ermöglicht es unter Verwendung etablierter Konditionierungstest-Paradigmen, kontextabhängige Änderungen der Konnektivität zu charakterisieren. Die TMS kann zudem eine passagere Funktionsunterbrechung im stimulierten Kortexareal hervorrufen. Der kurzzeitige »Läsionseﬀekt« erlaubt Rückschlüsse über die funktionelle Relevanz des stimulierten Kortexareals. Mit der rTMS kann eine anhaltende Neuromodulation im motorischen System induziert werden und hierdurch die Mechanismen motorischer Reorganisation untersucht werden.

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

398

Kapitel 40 · Handmotorik

40.1

Aufgabenabhängige Modulation der kortikomotorischen Exzitabilität

Über die Aufzeichnung der MEP von den Handmuskeln kann der aktuelle Erregungszustand der Projektionen vom primären motorischen Kortex zum Zielmuskel zuverlässig erfasst werden (7 Kap. 7). Auch kann das kortikale Erregbarkeitsprofil des primären motorischen Kortex mittels Einzel- und Doppelreiztechnik untersucht werden. Die Einzelreizstimulation ermöglicht die Bestimmung der kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe und bei Voraktivierung (7 Kap. 14), der Reiz-Antwort-Kurve (7 Kap. 5 und 14) und der kontralateralen kortikalen Innervationsstille (7 Kap. 15). Durch Gabe von Doppelreizen (7 Kap. 16) oder durch afferente Konditionierung (7 Kap. 17) kann die intrakortikale Erregbarkeit bestimmter inhibitorischer und fazilitatorischer Regelkreise erfasst werden, die mittlerweile neuropharmakologisch gut charakterisiert sind (7 Kap. 34). Diese elektrophysiologischen Kennwerte können herangezogen werden, um intrinsische Änderungen im Erregungszustand bestimmter kortikomotorischer Projektionen oder intrakortikaler Neuronenpopulationen während einer handmotorischen Aufgabe zu verfolgen. So führt bereits eine leichte tonische Vorinnervation des Zielmuskels zu einer deutlichen Bahnung der durch die TMS induzierten motorischen Antwort im Vergleich zur evozierten motorischen Antwort im entspannten Zielmuskel (7 Kap. 5). Verabreicht man nun die TMS zu verschiedenen Zeitpunkten während einer motorischen Aufgabe, kann man über dynamische Änderungen im kortikomotorischen Erregbarkeitsprofil wichtige Informationen über die funktionelle Organisation der Handmotorik erhalten. Durch die Aufzeichnung des MEP erhält man sozusagen eine Momentaufnahme des Aktivierungszustandes der Projektionen vom primären motorischen Kortex zu den einzelnen Hand- und Armmuskeln. Dieser Ansatz wurde in der Vergangenheit benutzt, um vielfältige Fragestellungen zur zentralen motorischen Kontrolle von Handbewegungen zu bearbeiten.

38

40.1.1 Bewegungsbeobachtung

39

Die kortikomotorische Erregbarkeitsmessung wurde erfolgreich eingesetzt, um die funktionelle Aktivierung während der Beobachtung von Handlungsabläufen (engl. action observation) zu erfassen. Eine wegweisende TMS-Studie zur Modulation der MEPAmplitude während der Handlungsbeobachtung führten Fadiga et al. (1995) durch (. Abb. 40.1). In

40

dieser Untersuchung wurden überschwellige transkranielle Einzelreize über dem primären motorischen Handareal verabreicht, während die Probanden einem Untersucher beim Ergreifen eines dreidimensionalen Gegenstandes zuschauten. Im Vergleich zu drei Kontrollbedingungen nahmen die MEP-Amplituden während der Beobachtung einer objektbezogenen Greifbewegung in den untersuchten Hand- und Unterarmmuskeln zu. Interessanterweise war die Bahnung der MEP in den Handmuskeln besonders ausgeprägt, die auch an den beobachteten Bewegungen beteiligt waren. Dieser Befund belegt, dass während der Beobachtung manipulativer Handlungen automatisch die internen Repräsentationen der beobachteten Handlung aktiviert werden (eng. action observation-execution matching). Da die MEP-Ampiltude von kortikalen und spinalen Mechanismen beeinflusst werden kann (7 Kap. 3 und 5), konnte die Studie von Fadiga et al. (1995) nicht klären, ob die Bahnung der kortikomotorischen Erregbarkeit während der Beobachtung von Greifbewegungen auf der Ebene des motorischen Kortex oder auf spinaler Ebene generiert wurde. Strafella u. Paus (2000) nutzten die transkranielle Doppelreiztechnik (7 Kap. 16), um zu zeigen, dass die Handlungsbeobachtung zu somatotopisch spezifischen Änderungen der intrakortikalen Erregbarkeit im primären motorischen Kortex führt. In Übereinstimmung mit Fadiga et al. (1995) führte die Handlungsbeobachtung von Schreib- oder Armbewegungen zu einer Bahnung der durch transkranielle Einzelreize ausgelösten motorischen Antwort. Gleichzeitig zeigte die transkranielle Doppelpulsstimulation, dass die Handlungsbeobachtung zu einer Abnahme der intrakortikalen Hemmung bei einem kurzen Interstimulusintervall (ISI) von 3 ms (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) und der intrakortikalen Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF) bei einem ISI von 12 ms führte. Die Erregbarkeitsveränderungen waren spezifisch für die kortikomotorischen Repräsentationen, die sonst an der Ausführung der beobachteten Handlung beteiligt sind. Mithilfe der TMS konnten weitere Aspekte der Aktivierung interner motorischer Repräsentationen durch Handlungsbeobachtung aufgedeckt werden. So konnte in einer rezenten TMS-Studie gezeigt werden, dass die aktuelle Handposition des Beobachters einen Einfluss auf die beobachtungsassoziierte Aktivierung von internen motorischen Handlungsrepräsentation hat (Urgesi et al. 2006).

40.1 Aufgabenabhängige Modulation der kortikomotorischen Exzitabilität

399

40

a

b

c

d

. Abb. .a–d. Einﬂuss der Handlungsbeobachtung von Greifbewegungen auf die durch TMS ausgelösten MEP-Amplituden in 4 kontralateralen Hand-Armmuskeln. Es wurden 4 experimentelle Bedingungen untersucht. a Beobachtung einer vom Untersucher ausgeführten Greifbewegung eines dreidimensionalen Objektes, b Beobachtung eines statischen dreidimensionalen Objektes (das gleiche Objekt wurde auch in Bedingung a und b präsentiert), c Beobachtung ei-

ner vom Untersucher ausgeführten, objektbezogenen Zeigebewegung (Nachfahren der Konturen des dreidimensionalen Objektes mit dem Zeigeﬁnger), d Wahrnehmung einer Helligkeitsveränderung. In jeder experimentellen Bedingung wurden jeweils 8 motorische Antworten überlagert. (Aus Fadiga et al. 1995; mit freundlicher Genehmigung der American Physiological Society)

40.1.2 Bewegungsvorstellung

vis. Die begleitende periphere Nervenstimulation zeigte keine Modulation der F-Wellen, dies als Hinweis für einen primär supraspinalen Mechanismus, der zur MEP-Bahnung während der kinästhetischen Bewegungsvorstellung führte. 5 Die zweite Studie von Quartarone et al. (2005) liefert ein elegantes Beispiel, wie die Untersuchung der Bewegungsvorstellung zur Erforschung von Bewegungsstörungen genutzt werden kann. In dieser Studie stellten sich gesunde Personen und Patienten mit Schreibkrampf, einer fokalen aufgabenspezifischen Handdystonie, eine tonische Abduktion des Zeigefingers vor, während über dem kontralateralen primärmotorischen Handareal überschwellige Einzelpulse verabreicht wurden. Während der Bewegungsvorstellung zeigten gesunde Probanden eine muskelspezifische Bahnung von Projektionen zum kontralateralen M. interosseus dorsalis manus I, einem Abduktor des Zeigefingers. In der Patientengruppe war diese muskelspezifische

Auch die Aktivierung des kortikomotorischen Systems während der Vorstellung bestimmter Bewegungsabläufe (engl. motor imagery) kann über die Aufzeichnung der MEP charakterisiert werden. So konnten viele TMS-Untersuchungen eine enge Überlappung kortikaler Repräsentationen einzelner Muskeln während der Ausführung und Vorstellung korrespondierender Handbewegungen zeigen. Den Stellenwert der TMS für die Erforschung neuronaler Korrelate der Bewegungsvorstellung unterstreichen zwei rezente Untersuchungen. 5 In der ersten Studie belegten Stinear et al. (2006) mit der TMS, dass die verwendete Strategie einen wesentlichen Einfluss auf die Bahnung der kortikospinalen Erregbarkeit während der Vorstellung einer phasischen Daumenbewegung hat. Nur eine »kinästhetische«, nicht jedoch eine »visuomotorische« Strategie führte zu einer selektiven Bahnung der MEP des M. abductor pollicis bre-

400

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 40 · Handmotorik

Erregbarkeitszunahme weniger ausgeprägt und es wurden während der Bewegungsvorstellung auch kortikospinale Projektionen zu anderen Muskeln gebahnt, die nicht an der vorgestellten Bewegung beteiligt waren. Diese abnorme Ausweitung der Erregbarkeitszunahme war auch bei Vorstellung einer tonischen Kontraktion in der nicht betroffenen Hand nachweisbar. Diese Befunde belegen eine beeinträchtigte Fokussierung von Bewegungsprogrammen bei dieser Form einer fokalen Handdystonie.

Kortex während einer einfachen Reaktionszeitaufgabe. Bei den Patienten begann der Anstieg der kortikomotorischen Erregbarkeit früher (ca. 200 ms vor Bewegungsbeginn) im Vergleich zu gesunden Kontrollen (150 ms vor Bewegungsbeginn). Jedoch zeigten die Patienten einen abgeflachten Erregbarkeitsanstieg. Gleichzeitig hielt der Erregbarkeitsanstieg nach Bewegungsende bei den Patienten länger an. Diese Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass die nigrostriatale dopaminerge Dysfunktion bei Morbus Parkinson sowohl die Aktivierung des kortikomotorischen Systems vor Bewegungsbeginn als auch die Deaktivierung nach erfolgter Bewegung beeinträchtigt.

40.1.3 Bewegungsauswahl und

Bewegungsinitiierung 40.1.4 Bewegungsausführung Neben Untersuchungen zur Beobachtung oder Vorstellung von Bewegungsabläufen kann die Messung der MEP auch dynamische Änderungen im Erregungszustand des kortikomotorischen Systems während der Selektion, Initiierung und Ausführung von Bewegungen erfassen. Als Beispiel sei die Studie von Leocani et al. (2000) erwähnt. Während verschiedener Reaktionszeitaufgaben, die eine Extension des Daumens erforderten, wurde eine transkranielle Einzelreizstimulation verabreicht, um Änderungen der kortikomotorischen Erregbarkeit im primären motorischen Kortex kontra- und ipsilateral zur Daumenbewegung zu messen. Im primären motorischen Kortex kam es während der Reaktionszeit zu einer Bahnung der kortikomotorischen Erregbarkeit kontralateral zur Daumenbewegung. Unabhängig von dem Typ und der Schwierigkeit der Reaktionszeitaufgabe setzte die Bahnung ca. 100–120 ms vor dem Beginn der motorischen Antwort ein. Die Befunde wurden im Kontext einer seriellen Prozessierung mit initialer Reizverarbeitung, nachfolgender Bewegungsauswahl und abschließender Bewegungsinitiierung interpretiert. Die Autoren fanden zudem eine Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit im motorischen Kortex ipsilateral zur Daumenbewegung als Beleg für eine Hemmung derjenigen Hemisphäre, die keine Antwort generieren musste. Als Korrelat der Handpräferenz zeigten rechtshändige Probanden eine effizientere Hemmung der ipsilateralen Erregbarkeit, wenn eine motorische Antwort mit der rechten dominanten Hand erforderlich war. Auch dieser experimentelle Ansatz wurde erfolgreich zur Erforschung der Pathophysiologie des Morbus Parkinson eingesetzt. Chen et al. (2001) fanden bei Patienten mit leicht ausgeprägtem Parkinson-Syndrom eine abnorme Modulation der kortikospinalen Erregbarkeit des kontralateralen primären motorischen

Natürlich kann die Modulation der kortikalen Erregbarkeit auch während der Bewegungsausführung mit der TMS nachgewiesen werden. Stinear et al. (2004) nutzten die transkranielle Doppelstimulationstechnik, um die Modulation der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulus-Intervallen (7 Kap. 16) während repetitiver, extern getriggerter (1 Hz) Fingerbewegungen zu untersuchen. Im Vergleich zum Ruhezustand zeigten gesunde Probanden während der Fingerbewegung einen Anstieg der mittleren MEP-Amplitude und eine Abnahme der intrakortikalen Hemmung der kortikospinalen Projektionen zum bewegten Handmuskel. Ein an der Bewegung nicht beteiligter Handmuskel zeigte hingegen keine bewegungsabhängige Modulation der MEP-Amplitude, jedoch eine Zunahme der intrakortikalen Hemmung. Patienten mit einem Schreibkrampf, einer fokalen Handdystonie, zeigten während der Bewegungsausführung eine normale Bahnung der MEP-Amplituden des an der Bewegung beteiligten Muskels. Im Gegensatz zu den gesunden Probanden blieb jedoch eine bewegungsabhängige Modulation der intrakortikalen Hemmung aus. Es ist denkbar, dass diese mangelhafte Modulation intrakortikaler hemmender Neuronenverbände während der Bewegungsausführung wesentlich zum Auftreten dystoner Symptome bei fokaler Dystonie beiträgt.

40.2

Kartierung kortikomotorischer Repräsentationen

Die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Messungen kontextabhängiger Änderungen in der MEPAmplitude erfordern, dass die TMS am optimalen Reizort über dem primären motorischen Kortex ver-

40.2 Kartierung kortikomotorischer Repräsentationen

abreicht wird. In diesem Abschnitt wird ein anderer experimenteller Ansatz vorgestellt, der die MEP verwendet, um die räumliche Verteilung muskelspezifischer kortikospinaler Projektionen an der Schädeloberfläche zu untersuchen.

40.2.1 Praktische Durchführung Zur Kartierung (engl. mapping) kortikomotorischer Repräsentationen mit der TMS wird aufgrund der hohen Fokalität meist eine achtförmige Doppelspule verwendet, die dem Schädel tangential aufliegt (7 Kap. 3). Alternativ kann auch eine Rundspule, die nur mit einem kleinen Teil der Rundung der Schädeloberfläche tangential aufliegt, verwendet werden (Mortifee et al. 1994). Die Kartierung der MEP kann in Muskelruhe oder bei tonischer Voraktivierung erfolgen. Die Probanden tragen eine Kappe, auf der ein Koordinatensystem mit konstanten Abständen (z. B. 0,5 oder 1 cm) aufgezeichnet ist. Als Ankerpunkt des Koordinatensystems wird häufig Cz nach dem internationalen 10–20-System verwendet. Zunächst wird die Spulenposition auf der Gummikappe markiert, an der im Zielmuskel maximale MEP ausgelöst werden können (engl. motor hot spot). Über jedem Punkt des Koordinatensystems werden dann mit der Doppelspule 5–10 überschwellige Einzelreize (z. B. mit 110

401

40

der über dem »hot spot« ermittelten, kortikalen Reizschwelle) verabreicht und die MEP im Zielmuskel aufgezeichnet. Die Doppelspule wird solange zum Rand des Koordinatensystems verschoben, bis keine MEP mehr ausgelöst werden können. Wird die mittlere MEP-Amplitude für jeden Reizort grafisch in einem Koordinatensystem aufgetragen, erhält man eine funktionelle »Erregbarkeitskarte« (engl. corticomotor map) des Zielmuskels (. Abb. 40.2). Manchmal wird auch nur die lokale Häufigkeit der Auslösbarkeit (Persistenz der MEP) grafisch kodiert. Verschiedene elektrophysiologische Kennwerte können zur Charakterisierung der kortikomotorischen Repräsentation des Zielmuskels herangezogen werden. Aus der Zahl der Kordinatenpunkte, über denen ein MEP auslösbar ist, kann die Fläche der Erregbarkeitskarte ermittelt werden. Multipliziert man die Fläche mit der mittleren MEP-Amplitude aller Koordinatenpunkte, kann man das »Volumen« (mV × cm) der Erregbarkeitskarte berechnen. Häufig wird auch der optimale Stimulationsort angegeben, an dem die mittlere MEPAmplitude maximal ist. Der Nachteil dieser Kennwerte ist, dass die in der Karte enthaltene Information über die räumliche Verteilung der MEP-Amplituden weitgehend verloren geht. Daher wird in den meisten Kartierungsstudien der amplitudengewichtete »Schwerpunkt« (engl. center of gravity) der Erregbarkeitskarte als Kennwert bevorzugt, um die MEP-Karten zu

. Abb. .. Simultan ermittelte MEP-Karten des rechten M. abductor pollicis brevis, M. interosseus dorsalis manus I und M. abductor digiti minimi eines gesunden männlichen Probanden. Die kortikale Einzelreiz-TMS wurde mit einer Stimulusintensität durchgeführt, die im rechten M. interosseus dorsalis manus I eine mittlere MEP-Amplitude von 1 mV auslöste. Für die TMS wurde eine monophasische Stimuluskonﬁguration und eine hochfokale Achterspule (Mag & More, München) verwendet. An jedem Stimulationsort wurden 10 Einzelreize im Abstand von 6 (5–7) s verabreicht. Die mittlere MEP-Amplitude eines Stimulationsortes wurde in Prozent der mittleren MEPAmplitude des »motor hot spot« ausgedrückt. Die kortikomotorischen Karten der Handmuskeln zeigen neben einer beträchtlichen Überlappung auch eine gewisse Somatotopie. Die Repräsentation des M. abductor pollicis brevis liegt weiter ventrolateral als die Repräsentation des M. abductor digiti minimi (Abbildung in Farbe 7 S. 635)

402

21 22 23 24 25 26 27 28

Kapitel 40 · Handmotorik

beschreiben. Die räumliche Übereinstimmung zwischen dem Schwerpunkt der MEP-Karte und dem mittels funktioneller Bildgebung nachgewiesenen Aktivierungsmaximum ist hoch (Classen et al. 1998; Lotze et al. 2003). Ein weiterer Vorteil des Schwerpunkts der MEP-Karte ist, dass dieses Maß nicht durch eine allgemeine Schwankung der kortikospinalen Erregbarkeit beeinflusst wird. Deshalb reflektiert eine nachweisbare Verschiebung des Schwerpunkts der MEP-Karte eine funktionelle Reorganisation der kortikomotorischen Repräsentation. Alternativ zu den ausgelösten MEP können auch die durch die TMS ausgelösten Bewegungsmuster kartiert werden. Eine Abgrenzung der TMS-induzierten Bewegungsmuster voneinander ist mittels statistischer Verfahren zur Komponentenanalyse (z. B. principal component analysis) möglich (Gentner u. Classen 2006). Bei gesunden Probanden sind Fläche, Volumen und Schwerpunkt der Erregbarkeitskarte über wieder-

holte Messungen hinweg auch ohne Neuronavigation stabil (Uy et al. 2002; Malcolm et al. 2006). Allerdings ist anzunehmen, dass sich eine optimale Spulenausrichtung und -kippung an jedem Stimulationspunkt mithilfe der stereotaktischen Neuronavigation besser gewährleisten lässt. Auch wenn systematische Untersuchungen hierzu bislang ausstehen, ist davon auszugehen, dass die neuronavigierte MEP-Kartierung die Standardisierung und Reproduzierbarkeit des TMSKartierungsverfahrens gegenüber der konventionellen Kartierung verbessern wird (7 Kap. 32).

40.2.2 Fallbeispiele Dank der einfachen Durchführbarkeit, guten Reproduzierbarkeit und beliebigen Wiederholbarkeit ist die transkranielle Kartierung der kortikomotorischen Erregbarkeit gut geeignet, um Plastizität im Rahmen motorischer Lernprozesse zu untersuchen.

29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Eine viel beachtete Studie zum motorischen Lernen wurde von Pascual-Leone et al. (1994) durchgeführt. In dieser Studie führten gesunde Probanden eine serielle Reaktionszeitaufgabe durch, in der sie zunächst unbewusst eine Sequenz von Fingerbewegungen erlernten. Während der unbewussten Lernphase nahmen die kortikalen Repräsentationen der an der Bewegungssequenz beteiligten Muskeln progressiv zu. Erlangten die Probanden jedoch bewusste Einsicht in die zu lernende Bewegungssequenz, schrumpften die kortikomotorischen Repräsentationen auf die Ausgangsgröße zusammen. In einer anderen Kartierungsstudie zeigten blinde Personen, die mit ihrem Zeigeﬁnger Blindenschrift (Braille) lesen konnten, eine größere kortikale Repräsentation ihres rechten Zeigeﬁngers als blinde Personen, die es nicht gelernt hatten, Blindenschrift taktil zu lesen (Pascual-Leone et al. 1993). Auch bei Patienten wurde die Kartierung kortikomotorischer Repräsentationen erfolgreich angewendet, um die krankheitsbedingte motorische Reorganisation, z. B. nach Schlaganfall (Delvaux et al. 2003) oder bei Phantomschmerzen nach Amputation der oberen Extremität (Karl et al. 2001) nachzuweisen. Neben der Erfassung der dem Krankheitsprozess eigenen Plastizität erbrachte die TMS-Kartierung auch wichtige Einblicke in die Reorgansiation kortikomotorischer Projektionen nach einer therapeutischen Intervention. Eine

TMS-Kartierungsstudie untersuchte bei Patienten in der chronischen Phase nach Schlaganfall die Auswirkungen einer sog. Constraint-induced movement therapy, bei der der nicht betroﬀene Arm immobilisiert wird, um den Gebrauch des paretischen Arms zu fördern (Liepert et al. 1998). Eine 2-wöchige Therapie verbesserte die motorische Funktion des paretischen Arms. Die klinische Verbesserung war begleitet von einer Expansion und einer Verschiebung des Schwerpunktes der kortikomotorischen Repräsentation in der betroffenen Hemisphäre. Eine andere TMS-Kartierungsstudie untersuchte bei Patienten mit Schreibkrampf die Auswirkungen einer Botulinumtoxinbehandlung auf die kortikomotorischen Repräsentationen (Byrnes et al. 1998). Vor der therapeutischen Injektion waren die kortikomotorischen Repräsentationen der Hand- und Vorderarmmuskeln disloziert und z. T. deformiert, insbesondere bei Patienten mit lang bestehender Handdystonie (. Abb. 40.3). Die intramuskuläre Injektion von Botulinumtoxin in die von der Dystonie betroffenen Muskeln führte zu einer Verschiebung der motorischen Repräsentationen im Sinne einer kurzzeitigen Normalisierung. Diese Untersuchungen zeigen, dass abnorme funktionelle kortikomotorische Repräsentationen nicht ﬁxiert sind, sondern sich therapeutisch beeinﬂussen lassen.

403

40.3 Kontextabhängige Konnektivität

a

b

c

. Abb. .a–c. Sequenzielle Kartierung der MEP des linken und rechten M. ﬂexor carpi ulnaris bei einem Patienten mit linksseitigem Schreibkrampf (a) vor, (b) einen Monat und (c) 3 Monate nach der Injektion von Botulinumtoxin (100 Mauseinheiten) in den linken M. ﬂexor carpi ulnaris. – Die Kreuze markieren die Schwerpunkte der MEP-Karten. Die linkshemisphärische Karte des rechtsseitigen unbehandelten M. ﬂexor carpi ulnaris lässt sich im Verlauf stabil reproduzieren. Das schwarze Kreuz markiert den Schwerpunkt der MEP-Karte des rechten M. ﬂexor carpi ulnaris, welches sich während der 3 Untersuchungszeitpunkte nicht verschiebt. Dagegen belegt die Kartierung des linken M. ﬂexor carpi ulnaris eine Reorganisation der kortikomotorischen Projektionen zu dem mit Botulinumtoxin behandelten Muskel. Einen Monat nach der Behandlung lässt sich eine Verlagerung der MEP-Karte des linken M. ﬂexor carpi ulnaris nach hinten und seitlich nachweisen. Dies zeigt sich auch in einer Verschiebung des Schwerpunktes der MEP-Karte (weißes Kreuz) nach posterolateral. Drei Monate nach der Toxininjektion hat sich mit dem Abklingen der Toxinwirkung die Karte wieder zurück zur Ausgangsposition verschoben. Blick von oben auf den Kopf; zentriert auf den Vertex. L links; R rechts; A anterior; P posterior. (Mod. aus Byrnes et al. 1998; mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press)

40.3

40

Kontextabhängige Konnektivität

Mithilfe der bifokalen TMS ist es möglich, die Konnektivität zwischen verschiedenen Strukturen des motorischen Systems zu untersuchen (7 Kap. 18). Typischerweise wird eine kleine achtförmige Doppelspule über dem primären motorischen Handareal platziert und ein überschwelliger Teststimulus verabreicht. Dieser Stimulus löst in den kontralateralen Handmuskeln ein MEP aus. Mit einer zweiten Doppelspule wird ein konditionierender Reiz entweder über dem kontralateralen primären motorischen Kortex, dem ipsi- oder kontralateralen prämotorischen oder parietalen Kortex oder dem Kleinhirn verabreicht (7 Kap. 33). Dieser konditionierende Puls aktiviert neuronale Verbindungen zum primären motorischen Kortex, welche in Abhängigkeit vom Interstimulusintervall zwischen konditionierendem und Testpuls die kortikale Erregbarkeit im primären motorischen Kortex modulieren. Dies äußert sich in einer Veränderung des mit dem Teststimulus ausgelösten MEP. Üblicherweise besteht der konditionierende wie der Teststimulus aus einem Einzelreiz, aber es kann u. U. angebracht sein, einen der Einzelreize durch einen Doppelreiz zu ersetzen, um spezifische intrakortikale Neuronenpopulationen präferenziell zu erregen. Diese Konditionierungstestparadigmen ermöglichen es, die funktionelle Konnektivität zwischen dem rechten und linken homologen motorischen Handareal (interhemisphärische Hemmung; engl. interhemispheric inhibition), zwischen dem prämotorischen Kortex und dem primären motorischen Handareal sowie zwischen dem Kleinhirn und dem primären motorischen Handareal bei gesunden Probanden und Patienten mit motorischen Störungen zu charakterisieren (7 Kap. 18 und 33). In den letzten Jahren haben einige Arbeitsgruppen diese Konditionierungstestparadigmen eingesetzt, um die kontextabhängige Modulation der Konnektivität zwischen motorischen Kortexarealen zu untersuchen. Murase et al. (2004) untersuchten die interhemisphärische Konnektivität (7 Kap. 33) zwischen dem rechten und linken primären motorischen Handareal bei gesunden Probanden und Patienten mit chronischem Schlaganfall. Der innovative Aspekt dieser Arbeit bestand darin, dass die interhemisphärische Hemmung zu verschiedenen Zeitpunkten während einer einfachen visuellen Reaktionszeitaufgabe gemessen wurde. Bei gesunden Probanden schlug die interhemisphärische Hemmung kurz vor Bewegungsbeginn in eine interhemisphärische Bahnung um. Bei Patienten mit chronischem subkortikalem motorischem Schlaganfall blieb die interhemisphärische Hemmung

404

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 40 · Handmotorik

der kortikomotorischen Projektion zur antwortenden Hand während der Reaktionszeit erhalten (7 Kap. 33). Die persistierende interhemisphärische Hemmung korrelierte mit der motorischen Dysfunktion: Offensichtlich wirkt sich der Verlust der physiologischen Modulation der interhemisphärischen Interaktion negativ auf die motorische Erholung nach Schlaganfall aus. Koch et al. (2006) verwendeten einen ähnlichen Ansatz, um bei gesunden Probanden die Modulation der funktionellen Konnektivität zwischen dem linken dorsalen prämotorischen Kortex und dem rechten primären motorischen Kortex während einer akustischen Wahlreaktionszeitaufgabe zu untersuchen. Die hemmenden und bahnenden Interaktionen, die normalerweise im Ruhezustand zwischen dem prämotorischen und dem primären motorischen Kortex nachweisbar sind (7 Kap. 18), waren während der Reaktionszeitperiode zumeist unterdrückt. Allerdings gab es ein Zeitfenster, währenddessen die Interaktion zwischen prämotorischem und primärem motorischem Kortex kurzzeitig moduliert wurde, je nachdem, ob der akustische Stimulus eine Antwort mit der rechten oder linken Hand erforderte. Eine fazilitatorische Interaktion geschah 75 ms nach Stimulusbeginn, wenn die Probanden mit der linken Hand antworten sollten. Dagegen wurde der hemmende prämotorische Einfluss 100 ms nach Stimulusbeginn aktiviert, wenn die Probanden mit der rechten Hand antworten mussten. Sowohl die Studie von Murase et al. (2004) als auch von Koch et al. (2006) belegt eindrucksvoll, dass die bifokale TMS kontextabhängige Änderungen der kortikospinalen Erregbarkeit über bestimmte kortikokortikale Eingänge mit hoher zeitlicher Auflösung erfassen kann (7 Kap. 33). Diese TMS-Konnektivitätsstudien liefern wichtige Informationen über die neuronalen Mechanismen, die an der Auswahl und Initiierung von Handbewegungen beteiligt sind. Bei Patienten mit Schlaganfall, Handdystonie oder anderen Störungen der Handmotorik können diese Untersuchungsverfahren eine dysfunktionelle Konnektivität im motorischen System aufdecken und helfen zu klären, wie therapeutische Interventionen die defiziente Modulation der funktionellen Konnektivität im motorischen System beeinflussen.

40.4

Passagere Funktionsunterbrechung

Während die bislang beschriebenen TMS-Untersuchungsverfahren auf der Messung der MEP-Amplitude basieren und Änderungen in der kortikalen Erreg-

barkeit und Konnektivität erfassen, kann die TMS auch verwendet werden, um eine passagere Läsion im stimulierten Kortex auszulösen (7 Kap. 31). Über die Aufzeichnung von Verhaltensmaßen wie der Reaktionszeit oder der Fehlerrate lässt sich erfassen, ob und wie die passagere Funktionsunterbrechung in einem umschriebenen motorischen Kortexareal bestimmte motorische Funktionen stört. Die psychophysischen Messungen erlauben somit Rückschlüsse darüber, welchen Beitrag das »läsionierte« Kortexareal zur Kontrolle von Handbewegungen leistet. Ein klassisches Beispiel für einen Läsionseffekt ist die Verzögerung einer einfachen ballistischen Bewegung durch einen transkraniellen Einzelreiz, der kurz vor dem eigentlichen Bewegungsbeginn über dem kontralateralen primären motorischen Handareal verabreicht wird (Ziemann et al. 1997). Eine viel versprechende Erweiterung der Läsionsmethode bietet die multifokale TMS, mit der eine Funktionsunterbrechung in zwei oder mehreren Kortexarealen gleichzeitig möglich ist. Dies erlaubt, Kombinationen regionaler TMSLäsionen zu untersuchen und Kompensationsmechanismen innerhalb des motorischen Systems aufzudecken (Strens et al. 2003).

40.4.1 Bewegungsauswahl im dorsalen

prämotorischen Kortex Schluter et al. (1998) untersuchten bei gesunden rechtshändigen Probanden die Rolle des dorsalen prämotorischen Kortex und des primären motorischen Handareals bei der Bewegungsauswahl. Als Aufgabe verwendeten die Autoren eine visuelle Wahlreaktionszeitaufgabe (. Abb. 40.4). Das primäre motorische Handareal wurde an dem Stimulationsort gereizt, an dem in der kontralateralen Hand maximale MEP ausgelöst werden konnten (engl. motor hot spot). Zur Stimulation des dorsalen prämotorischen Kortex wurde die fokale Doppelspule vom »motor hot spot« 2 cm nach rostral und 1 cm nach medial verschoben. Schluter et al. (1998) nutzten einen chronometrischen Ansatz, indem sie einen Einzelreiz mit 70– 80 der maximalen Leistung des verwendeten Stimulators 140–340 ms nach Erscheinen des visuellen Stimulus verabreichten. Die Einzelreizstimulation des prämotorischen und des primären motorischen Kortex beeinflusste die Reaktionszeiten in einer unterschiedlichen Weise. Die TMS des primären motorischen Kortex führte 300 und 340 ms nach Erscheinen des visuellen Stimulus zu einer signifikanten Verlängerung der Reaktionszeit, während die TMS des prämotorischen Kor-

405

40.4 Passagere Funktionsunterbrechung

a

40

c

b

. Abb. .a–c. Eﬀekte eines transkraniellen Einzelreizes auf eine visuelle Wahlreaktionszeitaufgabe. Gesunde rechtshändige Probanden führten mit ihrem rechten Zeige- oder Mittelﬁnger eine visuelle Reaktionszeitaufgabe aus. In dieser Aufgabe (a) bestimmte die speziﬁsche Kombination aus Größe und Form des Objekts, mit welchem Finger die Probanden zu antworten hatten (z. B. Zeigeﬁngerbewegung bei Erscheinen eines großen Quaders oder eines kleinen Kreises und Mittelﬁngerbewegung bei Erscheinen eines kleinen Quaders oder eines großen Kreises). Die Größe oder die Form des Stimulus allein reichten nicht aus, um die richtige motorische Antwort auszuwählen. Während der Aufgabendurchführung wurde entweder über dem primären motorischen Kortex oder dem dorsalen prämotorischen Kortex (b) ein über-

schwelliger TMS-Reiz verabreicht. Die TMS hatte einen ortsund zeitspeziﬁschen Eﬀekt auf die mittleren Reaktionszeiten (c). Die Stimulation des prämotorischen Kortex verlängerte die Reaktionszeiten, wenn die TMS 140 ms nach Präsentation des Zielreizes verabreicht wurde (*p<0,05). Während die TMS des linken prämotorischen Kortex die Reaktionszeiten mit der rechten und linken Hand verlängerte, beeinﬂusste eine prämotorische TMS des rechten prämotorischen Kortex nur die Antwortgeschwindigkeit mit der kontralateralen linken Hand. Die mittleren Reaktionszeiten wurden normalisiert auf den Ausgangswert ohne Stimulation (gepunktete Linie). Die Fehlerbalken entsprechen dem einfachen Standardfehler. (Modiﬁziert aus Schluter et al. 1998; mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press)

tex nur 140 ms nach Erscheinen des visuellen Stimulus die Reaktionszeit verlängerte (. Abb. 40.4). Diese ortsund zeitspezifischen Unterschiede des TMS-Läsionseffektes stützen das Konzept einer seriellen Stimulusverarbeitung während einer visuomotorischen Reaktionszeitaufgabe. Demnach stört die frühe TMS des dorsalen prämotorischen Kortex die Auswahl einer zum Zielreiz passenden Bewegung; die späte Stimulation des primären motorischen Kortex interferiert dagegen mit der Bewegungsinitiierung kurz vor der eigentlichen Ausführung. Die Untersuchung erbrachte auch interessante Einblicke in die Hemisphärendominanz des prämotorischen Kortex bei Rechtshändern. Die TMS des linken prämotorischen Kortex 140 ms nach Erscheinen des visuellen Stimulus verzögerte den Bewegungsbeginn, egal ob die Aufgabe mit der rechten oder linken Hand ausgeführt wurde (. Abb. 40.4). Dagegen hatte die TMS des rechten prämotorischen Kortex 140 ms

nach Erscheinen des visuellen Stimulus nur einen Effekt auf den Bewegungsbeginn der linken kontralateralen Hand (. Abb. 40.4). Dieser effektorspezifische Unterschied des TMS-Läsionseffektes belegt eine Dominanz der linken Hemisphäre für die Bewegungsauswahl bei Rechtshändigkeit. Dieser Befund wurde in einer zweiten Studie, die eine leicht modifizierte Wahlreaktionszeitaufgabe verwendete, in einer anderen Gruppe von konsistenten Rechtshändern repliziert (Johansen-Berg et al. 2002) Der TMS-Läsionsansatz wurde auch bei rechtshändigen Patienten mit einem chronischen Schlaganfall im linken Mediastromgebiet eingesetzt, um die Bedeutung des kontraläsionellen dorsalen prämotorischen Kortex für die Funktionserholung nach Schlaganfall zu untersuchen (Johansen-Berg et al. 2002). Wenn gesunde rechtshändige Probanden eine einfache Reaktionszeitaufgabe durchführten, hatte eine transkranielle Einzelreizung des prämotorischen

406

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 40 · Handmotorik

Kortex 100 ms nach Erscheinen des visuellen Startsignals keinen Einfluss auf die Reaktionszeit mit der ipsilateralen rechten Hand. Dagegen verzögerte die transkranielle Einzelreizung über dem rechten prämotorischen Kortex bei Patienten mit linkshemisphärischem Schlaganfall die Reaktionszeit mit der ipsilateralen rechten Hand. Die Verlangsamung der Reaktionszeit korrelierte mit dem Ausmaß der residuellen motorischen Beeinträchtigung. Zudem war die TMSinduzierte Verzögerung der Reaktionszeit bei den Patienten besonders ausgeprägt, die eine geringe linkshemisphärische Lateralisierung der aufgabenassoziierten Aktivierung im dorsalen prämotorischen Kortex in der funktionellen MRT zeigten. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die Aktivierung des rechten kontraläsionellen prämotorischen Kortex zur funktionellen Kompensation nach linkshemisphärischem Schlaganfall beiträgt.

40.4.2 Greiﬀunktion und visuomotorische

Integration im Parietallappen Die TMS-Läsionsmethode wurde auch genutzt, um die kortikale Kontrolle von Greifbewegungen zu untersuchen. Exemplarisch wird hier eine Studie näher ausgeführt. Tunik et al. (2005) untersuchten die Rolle des anterioren intraparietalen Sulcus bei der Online-Anpassung von Greifbewegungen an die aktuellen Erfordernisse des zu greifenden Objektes. Im Experiment galt es, einen drehbaren Quader nach Erscheinen eines Startsignals mit dem rechten Daumen und Zeigefinger im Präzisionsgriff zu greifen. In der »Standardbedingung« (2/3 der Durchgänge) wurde der Quader zu Beginn eines Durchgangs um 180° gedreht. Dies erforderte keine Online-Korrektur der geplanten Greifbewegung. In der »Perturbationsbedingung« (1/3 der Durchgänge) wurde der Quader nur um 90° gedreht. In dieser Bedingung mussten die Probanden unmittelbar die erforderliche Griffapertur (Experiment 1) oder die erforderliche Rotation des Vorarms (Experiment 2) an die neuen Erfordernisse anpassen. Diese akute sensomotorische Adaptation an die Perturbation ließ sich durch eine Einzelpuls-TMS mit 110 der motorischen Schwelle über dem anterioren Anteil des linken intraparietalen Sulcus effektiv stören, wenn die TMS innerhalb von 65 ms nach der Perturbation verabreicht wurde. Der Läsionseffekt störte in Experiment 1 und 2 den gerade erforderlichen sensomotorischen Adaptationsprozess. Die Stimulation des posterioren Anteils des intraparietalen Sulcus oder des primären motorischen Handareals erzielte keinen Läsionseffekt. Der orts-, zeit- und

aufgabenspezifische Läsionseffekt belegt eine kritische Rolle des anterioren intraparietalen Sulcus bei der Online-Anpassung der Greifbewegungen an akute unerwartete Perturbationen.

40.4.3 Funktionsunterbrechung im

supplementären motorischen Areal Auch mesial im Interhemisphärenspalt gelegene motorische Hirnareale wie das supplementäre motorische Areal können mit der TMS stimuliert werden, wobei aufgrund des größeren Abstandes zwischen Stimulationsspule und dem supplementären motorischen Areal höhere Stimulusintensitäten erforderlich sind als bei der Stimulation des primären motorischen Handareals. Da das primäre motorische Beinareal etwa gleich weit von der Schädeloberfläche entfernt ist, empfiehlt es sich daher, die Stimulusintensität an der kortikalen Reizschwelle der Beinmuskeln zu adjustieren. Auch können der optimale Stimulationsort und die Stromrichtung zur Auslösung von MEP in den Beinen als Referenz für die TMS des supplementären motorischen Areals verwendet werden. Dem supplementären motorischen Areal wird eine zentrale Rolle in der interhemisphärischen Synchronisation der beiden primären motorischen Handareale und somit eine wichtige Rolle für die bimanuelle Koordination von Handbewegungen zugeschrieben. Steyvers et al. (2003) verabreichten eine hochfrequente Reizserie (10 Stimuli einer 20-Hz-rTMS mit 120 der motorischen Ruheschwelle für Handmuskeln), um die bimanuelle Koordination von repetitiven Fingerbewegungen, die entweder »in Phase« oder antiphasisch durchgeführt wurden, zu stören. Während die Phasenkopplung der phasensynchronen Bewegungen von der kurzen rTMS unbeeinflusst blieb, verschlechterte sich die Phasenkopplung der antiphasischen Bewegungen unmittelbar nach Ende der rTMS-Reizserie. Die Induzierbarkeit des Phasenfehlers durch die rTMS während antiphasischer Bewegungen zeigte einen rostrokaudalen Gradienten und war maximal 6 cm rostral des optimalen Stimulationsortes für das primäre motorische Beinareal. Dieser orts- und aufgabenspezifische Läsionseffekt unterstreicht die Bedeutung des supplementären motorischen Areals für die bimanuelle motorische Kontrolle. Auch die Beteiligung mesialer motorischer Kortexareale an höheren kognitiven Aspekten motorischer Kontrolle kann mit der TMS-Läsionsmethode untersucht werden. Rushworth et al. (2002) untersuchten die Beteiligung des rostralen Anteils des supplementären motorischen Areals an einem Wechsel in der

407

40.5 Konditionierung mit der rTMS

anzuwendenden motorischen Regel. Die Probanden mussten auf eine Instruktion hin zwischen zwei motorischen Antwortregeln wechseln und die Zuordnung von zwei Formen (rotes Rechteck oder rotes Dreieck) und der erforderlichen Antwort mit der linken oder rechten Hand (motorische Antwortregel) vertauschen. Die funktionelle MRT (fMRT) zeigte eine transiente Aktivierung des rostralen und kaudalen anterioren zingulären Kortex sowie des rostralen supplementären motorischen Areals bei einem Wechsel der motorischen Regel. Die stereotaktisch geführte rTMS des rostralen supplementären motorischen Areals (4 Pulse einer 5-Hz-rTMS mit 95 der aktiven motorischen Reizschwelle für Fußmuskeln) verlängerte die Reaktionszeiten nur im Kontext eines Regelwechsels. Dieser rTMS-Läsionseffekt war aufgaben- und ortsspezifisch. Somit konnte die TMS bestätigen, dass die transiente Aktivierung des rostralen supplementären motorischen Areals in der funktionellen MRT auch tatsächlich für die Umstellung der Zuordnung zwischen der Form des Stimulus und der motorischen Antwort relevant ist. Die Empfindlichkeit des supplementären motorischen Areals gegenüber einer TMS-induzierten Funktionsunterbrechung scheint bei Patienten mit Morbus Parkinson erhöht zu sein. In einer Untersuchung von Cunnington et al. (1996) wurde eine transkranielle Einzelreizstimulation mit hoher Intensität über dem supplementären motorischen Areal verabreicht, während die Probanden sequenzielle Fingerbewegungen durchführten. Der transkranielle Einzelreiz verlängerte die Bewegungszeiten der sequenziellen Fingerbewegungen in einer Gruppe von Patienten mit Morbus Parkinson, nicht jedoch in der gesunden Kontrollgruppe (Cunnington et al. 1996). Dieser »Läsionseffekt« in der Patientengruppe war nur nachweisbar, wenn die TMS am Anfang der Fingersequenz erfolgte.

40.5

40

Konditionierung mit der rTMS

Neben der akuten Funktionsunterbrechung können längere Reizserien einer rTMS über einem motorischen Kortexareal verabreicht werden, um die Funktion im stimulierten Kortex und in den mit dem stimulierten Kortex verbundenen Hirnregionen über den Zeitpunkt der Stimulation anhaltend zu modulieren. Oft wird eine »hemmende« niederfrequente (1 Hz) rTMS über einem Zielareal verabreicht, um über eine Suppression der kortikalen Erregbarkeit eine anhaltende Funktionsstörung zu induzieren (7 Kap. 31). Allerdings führt die 1-Hz-rTMS neben Veränderungen der regionalen kortikalen Erregbarkeit zu komplexen Änderungen der regionalen neuronalen Aktivität und Konnektivität im motorischen System (7 Kap. 37 und 58). Daher muss die 1-Hz-rTMS nicht notwendigerweise in einem Läsionseffekt resultieren, obwohl ein funktionell relevantes Areal konditioniert wurde (7 Kap. 31). Am besten sind die Konditionierungseffekte der rTMS für das primäre motorische Handareal untersucht (7 Kap. 50 und 58), aber auch andere motorische Areale wie der dorsale prämotorische Kortex und das Kleinhirn wurden mit der rTMS konditioniert. Chouinard et al. (2005) konditionierten das primäre motorische Handareal und den dorsalen prämotorischen Kortex mit einer hemmenden 1-Hz-rTMS. Die Intervention über dem primären motorischen Kortex konnte die Abstufung der benötigten Griffkraft für das Halten eines Objektes stören, wenn die Probanden zuvor Erfahrungswerte für die Griffkraftskalierung in vorhergehenden Hubaktionen lernen konnten, wohingegen eine künstliche Läsion des dorsalen prämotorischen Kortex die Kraftskalierung störte, wenn diese auf der Basis von farblichen Hinweissignalen erfolgte. Offen bleibt jedoch, ob das motorische System wirklich die feedback-basierten antizipatorischen Kontrollmechanismen gänzlich »ausschaltet«, wenn farbliche Hinweissignale zur Verfügung stehen.

Exkurs

Kortikale Kontrolle von Handbewegungen Neben dem primären motorischen Handareal beteiligen sich eine Reihe von lateralen und mesialen frontoparietalen Kortexarealen an der kortikalen Kontrolle von Handbewegungen. Das primäre motorische Handareal (M1) ist im sog. »Handwulst« etwa 4–5 cm lateral des Vertex lokalisiert. Das primäre motorische

Handareal besitzt die stärksten monosynaptischen Verbindungen zu den zervikalen Motoneuronen der Handmuskeln. Der primäre motorische Kortex ist vorwiegend mit anderen »exekutiven« motorischen Arealen wie dem kaudalen supplementären motorischen

6

408

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 40 · Handmotorik

Areal, dem kaudalen motorischen Areal des zingulären Kortex, dem kaudalen Anteil des dorsalen ventralen prämotorischen Kortex und vorwiegend somatosensorischen Arealen des anterioren Parietallappens verbunden und spielt insbesondere für die Kontrolle unabhängiger Fingerbewegungen und die Kodierung der Bewegungsrichtung eine bedeutende Rolle. Daneben ﬁnden sich im frontalen Kortex weitere motorische Kortexareale, die zusammen den prämotorischen Kortex bilden. Hierzu zählen der ventrale und dorsale prämotorische Kortex an der Hemisphärenoberﬂäche und das supplementäre motorische Areal (SMA) im Interhemisphärenspalt. Weiterhin beteilen sich Regionen des anterioren zingulären Kortex (ACC) an der neuronalen Kontrolle von Handbewegungen. In den prämotorischen Arealen lässt sich eine rostrokaudale Diﬀerenzierung nachweisen. Während die kaudalen Anteile mehr an Aspekten der Bewegungsausführung beteiligt sind, sind die weiter rostral gelegenen prämotorischen Areale eher für kognitive Aspekte motorischer Kontrolle relevant. Dies spiegelt sich auch im Konnektivitätsmuster dieser Areale, da die rostralen prämotorischen Areale enge neuronale Verbindungen mit präfrontalen und anterioren (nichtmotorischen) zingulären Arealen aufweisen. 'HU dorsale Anteil des prämotorischen Kortex vermittelt dabei die Auswahl einer Bewegung als Antwort auf externe, entsprechend gelernte Signalreize. Sein rostraler Abschnitt steht in Verbindung mit präfrontalen Kortexarealen und hat so Zugang zu kognitiv bewerteten Sinneseindrücken und Kenntnissen über die Außenwelt. Der kaudale Anteil des dorsalen prämotorischen Kortex nimmt eine bedeutende Rolle bei der Vorbereitung und Initiierung von Bewegungen ein. 'HP ventralen prämotorischen Kortex fallen Funktionen in der Ausführung von Handlungen zu, die sich auf ein speziﬁsches zu manipulierendes Objekt beziehen, wie z. B. die Auswahl einer zum Objekt passenden Griﬀkonﬁguration und -kraft. Daneben enthält der ventrale prämotorische Kortex sog. Spiegelneurone, die sowohl bei der Beobachtung einer objektbezogenen Handlung als auch bei deren tatsächlicher Ausführung aktiv sind. Die Spiegelneurone sind dabei speziﬁsch für bestimmte Handlungen und Sinnesmodalitäten, so dass dem ventralen prä-

motorischen Kortex eine wichtige Rolle bei der Handlungsimitation und dem Verständnis manipulativer Handlungen zugeschrieben wird. 'DVsupplementär-motorische Areal bildet den mesialen Anteil des prämotorischen Kortex. Das rostrale SMA ist wesentlich an der kognitiven Kontrolle von Bewegungen beteiligt, während das kaudale SMA vorwiegend exekutive Funktionen wahrnimmt. Dem supplementären motorischen Areal wird eine wichtige Rolle bei der Planung und Ausführung von sequenziellen und bilateralen Bewegungen zugeschrieben. Neuroanatomische Untersuchungen am Aﬀen und bildgebende Studien am Menschen konnten zeigen, dass das kortikale motorische System aus funktionellen Schleifen besteht, die jeweils ein frontales und parietales motorisches Rindenfeld miteinander verbinden. Diese Schleifen sind weitgehend parallel zueinander organisiert. Jede Schleife übernimmt speziﬁsche Aspekte der sensomotorischen Kontrolle von Hand- und Augenbewegungen. Hier werden Sinneseindrücke verschiedener Qualitäten integriert und Bewegungstrajektorien geplant. So bildet z. B. der anteriore intraparietale Sulcus mit dem ventralen prämotorischen Kortex eine funktionelle Schleife, die für die sensomotorische Kontolle von Greifbewegungen von großer Relevanz ist. Kleinhirn XQG Basalganglien bilden mit den motorischen Kortexarealen und speziﬁschen Thalamuskernen separate subkortikokortikale Schleifen und sind u. a. am schnellen Feinabgleich motorischer »Programme« und an sensomotorischen Lernprozessen beteiligt. Basalganglien und Kortex stehen in einer Schleife über den Thalamus in wechselseitiger Verbindung, ihr Funktionsverlust äußert sich in Störungen der Bewegung und des Muskeltonus, wie z. B. bei Morbus Parkinson. Das Kleinhirn erhält über die Ponskerne motokortikale Aﬀerenzen und kann diese mit propriozeptiven Aﬀerenzen aus dem Rückenmark abgleichen, um rasche Wechsel- und Zielbewegungen oder eine fortlaufende Stabilität der Körperhaltung zu ermöglichen. Kleinhirn und Basalganglien spielen auch eine Rolle für die Automatisierung von überlernten Bewegungsabläufen. Einen Überblick über die Kortexareale des motorischen Systems gibt . Abb. 40.5.

Literatur

409

40

. Abb. .. Kortexareale mit funktioneller Bedeutung für das motorische System. M1 primärmotorischer Kortex; S1 primär-sensorischer Kortex; PMd dorsaler Teil des lateralen prämotorischen Kortex; PMv ventraler Teil des lateralen prämotorischen Kortex; SMA supplementär-motorisches Areal; ACC anteriorer zingulärer Kortex; SPL superiorer Teil des Parietallappens; IPL inferiorer Teil des Parietallappens (Abbildung in Farbe 7 S. 635)

Literatur 1Byrnes ML, Thickbroom GW, Wilson SA et al. (1998) The corticomotor representation of upper limb muscles in writer’s cramp and changes following botulinum toxin injection. Brain 121: 977–988 Elegante TMS-Kartierungsstudie, die bei Patienten mit Schreibkrampf eine passagere Normalisierung der räumlichen Verteilung der kortikomotorischen Erregbarkeit nach intramuskulärer Botulinumtoxin-Injektion nachweisen konnte. 1Chen R, Kumar S, Garg RR, Lang AE (2001) Impairment of motor cortex activation and deactivation in Parkinson‘s disease. Clin Neurophysiol 112: 600–607 Wichtige Studie, die anhand von Messungen der MEP-Amplituden zeigen konnte, dass bei Patienten mit Morbus Parkinson die bewegungsassoziierte Aktivierung und Deaktivierung des primären motorischen Kortex gestört ist. Chouinard PA, Leonard G, Paus T (2005) Role of the primary motor and dorsal premotor cortices in the anticipation of forces during object lifting. J Neurosci 25: 2277–2284 Classen J, Knorr U, Werhahn KJ et al. (1998) Multimodal output mapping of human central motor representation on diﬀerent spatial scales. J Physiol 512: 163–179 Cunnington R, Iansek R, Thickbroom GW et al. (1996) Eﬀects of magnetic stimulation over supplementary motor area on movement in Parkinson‘s disease. Brain 119: 815–822 Delvaux V, Alagona G, Gerard P et al. (2003) Post-stroke reorganization of hand motor area: a 1-year prospective followup with focal transcranial magnetic stimulation. Clin Neurophysiol 114: 1217–1225 2Fadiga L, Fogassi L, Pavesi G, Rizzolatti G (1995) Motor facilitation during action observation: a magnetic stimulation study. J Neurophysiol 73: 2608–2611 Richtungsweisende Untersuchung zur Aktivierung des motorischen Systems durch die Beobachtung von objektbezogenen Handlungen. 2Gentner R, Classen J (2006) Modular organization of ﬁnger movements by the human central nervous system. Neuron 52: 731–742

Innovative Studie, die erstmals die durch die TMS ausgelösten Bewegungen in der kontralateralen Hand systematisch untersucht. Die limitierte Anzahl sowie die abgrenzbaren Bewegungsmuster sprechen für eine modulare kortikospinale Organisation von Handbewegungen. 2Johansen-Berg H, Rushworth MF, Bogdanovic MD et al. (2002) The role of ipsilateral premotor cortex in hand movement after stroke. Proc Natl Acad Sci U S A 99: 14518– 14523 Sehr wichtige Studie zur Bedeutung des kontraläsionellen dorsalen prämotorischen Kortex für die Erholung der Handfunktion nach Schlaganfall. 1Karl A, Birbaumer N, Lutzenberger W et al. (2001) Reorganization of motor and somatosensory cortex in upper extremity amputees with phantom limb pain. J Neruosci 21: 3609–3618 Relevante Studie zur kortikospinalen motorischen Reorganisation bei Patienten mit Phantomschmerzen nach Amputation. Eine gleichzeitige Kartierung der Reorganisation im somatosensorischen Kortex zeigte eine enge Korrelation der sensorischen und motorischen Reorganisationsmuster bei Patienten mit Phantomschmerzen. 1Koch G, Franca M, Del Olmo MF et al. (2006) Time course of functional connectivity between dorsal premotor and contralateral motor cortex during movement selection. J Neurosci 26: 7452–7459 Diese Studie weist in überzeugender Weise nach, dass die Konnektivitäten zwischen prämotorischem und primärem motorischen Kortex kontextabhängig moduliert werden. Leocani L, Cohen LG, Wassermann EM et al. (2000) Human corticospinal excitability evaluated with transcranial magnetic stimulation during diﬀerent reaction time paradigms. Brain 123: 1161–1173 Liepert J, Miltner WH, Bauder H et al. (1998) Motor cortex plasticity during constraint-induced movement therapy in stroke patients. Neurosci Lett 250: 5–8 Lotze M, Kaethner RJ, Erb M et al. (2003) Comparison of representational maps using functional magnetic resonance imaging and transcranial magnetic stimulation. Clin Neurophysiol 114: 306–312

410

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Kapitel 40 · Handmotorik

1Malcolm MP, Triggs WJ, Light KE et al. (2006) Reliability of motor cortex transcranial magnetic stimulation in four muscle representations. Clin Neurophysiol 117: 1037– 1046 Methodische Studie zur Zuverlässigkeit (engl. test-retest reliability) kortikospinaler Erregbarkeitsmaße, die mit der Einzelreiz-TMS erhoben werden können. 1Mortifee P, Stewart H, Schulzer M, Eisen A (1994) Reliability of transcranial magnetic stimulation for mapping the human motor cortex. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 93:1 31–137 Wichtige methodische Studie zur topograﬁschen Kartierung (mapping) der Erregbarkeit kortikospinaler Projektionen mit der Einzelreiz-TMS. 2Murase N, Duque J, Mazzocchio R, Cohen LG (2004) Inﬂuence of interhemispheric interactions on motor function in chronic stroke. Ann Neurol 55: 400–409 Diese Studie etabliert ein neues Paradigma zur Untersuchung interhemisphärischer Interaktionen zwischen den beiden primären motorischen Handarealen während einer Reaktionszeitaufgabe und zeigt erstmals eine gestörte interhemisphärische Interaktion bei Patienten mit motorischem subkortikalen Schlaganfall. 1Pascual-Leone A, Cammarota A, Wassermann EM et al. (1993) Modulation of motor cortical outputs to the reading hand of braille readers. Ann Neurol 34: 33–37 Diese Studie belegt eindrucksvoll, wie übungsbedingte Plastizität zu einer tief greifenden Reorganisation kortikomotorischer Repräsentationen führen kann. 1Pascual-Leone A, Grafman J, Hallett M (1994) Modulation of cortical motor output maps during development of implicit and explicit knowledge. Science 263: 1287–1289 Aufsehenerregende Studie zur dynamischen Veränderung kortikomotorischer Repräsentationen während des Erlernens einer Fingersequenz. Quartarone A, Bagnato S, Rizzo V et al. (2005) Corticospinal excitability during motor imagery of a simple tonic ﬁnger movement in patients with writer‘s cramp. Mov Disord 20: 1488–1495 1Rushworth MF, Hadland KA, Paus T, Sipila PK (2002) Role of the human medial frontal cortex in task switching: a combined fMRI and TMS study. J Neurophysiol 87: 2577–2592 Überzeugendes Beispiel für den kombinierten Einsatz von funktioneller MRT und der Unterbrechung kortikaler Funktionen. 1Schluter ND, Rushworth MF, Passingham RE, Mills KR (1998) Temporary interference in human lateral premotor cortex suggests dominance for the selection of movements. A study using transcranial magnetic stimulation. Brain 121.5: 785–799 Elegante Studie, die einen chronometrischen TMS-Läsionsansatz verwendet, um die Beteiligung des dorsalen prämotorischen Kortex an der Bewegungsselektion zu charakterisieren. Steyvers M, Etoh S, Sauner D et al. (2003) High-frequency transcranial magnetic stimulation of the supplementary motor area reduces bimanual coupling during anti-phase but not in-phase movements. Exp Brain Res 151: 309–317

Stinear CM, Byblow WD (2004) Impaired modulation of intracortical inhibition in focal hand dystonia. Cereb Cortex 14: 555–561 Stinear CM, Byblow WD, Steyvers M et al. (2006) Kinesthetic, but not visual, motor imagery modulates corticomotor excitability. Exp Brain Res 168: 157–164 Strafella AP, Paus T (2000) Modulation of cortical excitability during action observation: a transcranial magnetic stimulation study. Neuroreport 11: 2289–2292 2Strens LH, Fogelson N, Shanahan P et al. (2003) The ipsilateral human motor cortex can functionally compensate for acute contralateral motor cortex dysfunction. Curr Biol 13: 1201–1205 Erste Studie, die den neurowissenschaftlichen Nutzen einer gleichzeitigen Funktionsunterbrechung in zwei motorischen Arealen zeigt. Nur eine gleichzeitige bifokale TMS beider primärer motorischer Handareale führte zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Kraftkontrolle während einer Tappingaufgabe. 2Tunik E, Frey SH, Grafton ST (2005) Virtual lesions of the anterior intraparietal area disrupt goal-dependent on-line adjustments of grasp. Nat Neurosci 8: 505–511 Diese Studie erbringt den überzeugenden Nachweis, dass der anteriore intraparietale Sulcus an der raschen sensomotorischen Adaptation von Greifbewegungen teilnimmt. Urgesi C, Candidi M, Fabbro F et al. (2006) Motor facilitation during action observation: topographic mapping of the target muscle and inﬂuence of the onlooker’s posture. Eur J Neurosci 23: 2522–2530 Uy J, Ridding MC, Miles TS (2002) Stability of maps of human motor cortex made with transcranial magnetic stimulation. Brain Topogr 17: 293–297 Ziemann U, Tergau F, Netz J, Homberg V (1997) Delay in simple reaction time after focal transcranial magnetic stimulation of the human brain occurs at the ﬁnal motor output stage. Brain Res 744: 32–40

411

41

Okulomotorik Thomas Nyffeler, René M. Müri

41.1

Einleitung – 412

41.3

Konditionierende rTMS bei gesunden Probanden – 415

41.2

Funktionsunterbrechung während einer Augenbewegungsaufgabe bei gesunden Probanden – 413

41.4

Interferenz während einer Augenbewegungsaufgabe bei Patienten – 415

41.5

Ausblick – 417

Literatur

– 418

41.2.1 41.2.2 41.2.3

Kartierungsexperimente zur Lokalisation okulomotorischer Funktionen – 413 Chronometrie von relevanten Funktionen einer okulomotorischen Region – 414 Funktionsunterbrechung mit Doppelpulsen und kurzen Reizserien – 415

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt eine Einführung in die Anwendung der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) zur Erforschung der Okulomotorik. Verschiedene für die Kontrolle von Augenbewegungen wichtige kortikale Regionen sind einer Untersuchung mittels TMS zugänglich. TMS ist nicht in der Lage, durch Stimulation des okulomotorischen Kortex, Augenbewegungen direkt auszulösen. Hingegen kann TMS die Planung und Ausführung von Augenbewegungen speziﬁsch beeinﬂussen. Aufgrund der guten zeitlichen Auﬂösung von TMS lassen sich Aussagen machen, zu welchem Zeitpunkt eine kortikale Region für die Ausführung einer okulomotorischen Aufgabe wichtig ist. Je nach Paradigma kann die Applikation von Einzelpulsen, Doppelpulsen oder kurzen repetitiven Pulsen während der Ausführung einer Augenbewegungsaufgabe (Online-TMS) über einer okulomotorischen Region eine kurzzeitige Störung oder Bahnung von Augenbewegungen bewirken. TMS

erlaubt somit eine Präzisierung der funktionellen Bedeutung einer bestimmten Hirnregion in der Kontrolle von Augenbewegungen. Eine die Stimulation überdauernde Beeinﬂussung einer okulomotorischen Funktion durch länger andauernde, repetitive Pulse (Oﬄine-TMS) gelang erst kürzlich. Eine Stimulation mit 1-Hz- oder kontinuierlicher Theta-Burst-Stimulation (drei 30-Hz-Pulse mit einem Repetitions-Intervall von 100 ms) hat eine funktionshemmende Wirkung auf den okulomotorischen Kortex. Nach wiederholter Theta-Burst-Stimulation können die Eﬀekte sogar über Stunden anhalten. Solche Stimulationsprotokolle könnten in Zukunft hilfreich sein, um die Funktion einer kortikalen Region über einen längeren Zeitraum experimentell zu inhibieren, was als Ergänzung zu Befunden von Patienten mit seltenen fokalen Läsionen einer okulomotorischen Region sehr interessant wäre.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

412

Kapitel 41 ·Okulomotorik

41.1

Einleitung

Der Einsatz der TMS zur Erforschung der Okulomotorik hat nur zögerlich begonnen. Im Gegensatz zur Stimulation des motorischen Kortex vermag die Einzelpuls-TMS okulomotorischer Kortexareale keine Augenbewegungen auszulösen (Wessel u. Kompf 1991; Müri et al. 1991). Erst mit der Zeit konnte zuverlässig gezeigt werden, dass die TMS kortikale okulomotorische Prozesse spezifisch beeinflussen kann. Eine Besonderheit des okulomotorischen Netzwerks ist, dass zahlreiche kortikale und subkortikale Regionen an der Kontrolle von Augenbewegungen beteiligt sind. Von Studien mit Patienten mit fokalen Läsionen okulomotorischer Regionen weiß man, dass diese zwar unterschiedliche Aspekte der Augenbewegungen kontrollieren, dass aber auch eine große Überlappung bez. der Kontrollfunktionen besteht. So sind 3 Regionen für die Auslösung von Sakkaden (Sakkaden-Triggerung) verantwortlich: 5 Das frontale Augenfeld (engl. frontal eye field, FEF) liegt an der Vorderseite des präzentralen Sulcus, auf Höhe des Übergangs in den superioren Sulcus. 5 Das supplementäre Augenfeld (engl. supplementary eye field, SEF) liegt auf der medialen Seite der Hemisphäre, im oberen Anteil des parazentralen Sulcus. 5 Das parietale Augenfeld (engl. parietal eye field, PEF) liegt im hinteren Teil des intraparietalen Sulcus. Unter den zahlreichen weiteren Regionen, die an der Kontrolle von Augenbewegungen beteiligt sind, ist der dorsolaterale präfrontale Kortex hervorzuheben, welcher für das räumliche Arbeitsgedächtnis, die Prä-

diktion und die Inhibition von Sakkaden wichtig ist (7 Exkursbox »Okulomotorisches Netzwerk und Sakkaden«; Übersicht auch in Pierrot-Deseilligny et al. 2004). Verschiedene Forschungsansätze können mit der Magnetstimulation verfolgt werden. Aufgrund ihrer kurzen Wirkungsdauer erlaubt die Anwendung von TMS mit Einzelreizung, Doppelreizung oder kurzen repetitiven Pulsen eine spezifische zeitliche Analyse okulomotorischer Prozesse. So kann z. B. eruiert werden, zu welchem Zeitpunkt eine kortikale Region für die Durchführung einer okulomotorischen Aufgabe wichtig ist (mentale Chronometrie; 7 Kap. 40). Inwieweit mittels TMS eine Hemmung oder Bahnung von Augenbewegungen auf der Verhaltensebene erreicht werden kann, hängt von der Art der TMS-Applikation (Einzelpuls, Doppelpuls oder repetitive TMS), der zeitlichen Abfolge der Stimulation (Interstimulusintervall bei der Doppelpuls- und repetitiven Anwendung), der Reizstärke (unter- oder oberhalb der motorischen Schwelle) und nicht zuletzt von der stimulierten Region ab. Eine länger anhaltende, die Stimulation überdauernde Beeinflussung der Funktion einer okulomotorischen Region ist mittels Applikation längerer repetitiver Reizserien möglich (7 Kap. 50). In den bisherigen Studien wurde meistens die Kontrolle von Sakkaden untersucht. Sakkaden sind schnelle Augenbewegungen, welche die Fovea von einem Objekt des Interesses auf ein anderes ausrichten. Sie können eine Geschwindigkeit von bis zu 800° pro Sekunde erreichen. Sakkaden können auch als Modell für eine Vielzahl anderer kortikaler Funktionen dienen (. Tab. 41.1 und . Abb. 41.1) Viel seltener wurde TMS bei der Erforschung von langsamen Augenfolgebewegungen (engl. smooth pursuit) oder Vergenzbewegungen eingesetzt.

55 56 57 58 59 60

. Tab. .. Einteilung wichtiger Sakkadenparadigmen Klassiﬁkation

Beschreibung

Reﬂexive Sakkaden visuell/akustisch

Sakkaden werden durch einen plötzlich sichtbaren visuellen Stimulus oder durch ein Geräusch ausgelöst

Willentliche Sakkaden Visuell

Sakkaden, die zielgerichtet auf ein visuelles Objekt gerichtet sind

Memorisiert

Sakkaden, bei denen die Lokalisation des Ziels memorisiert werden muss, da die Sakkade auf ein nicht mehr sichtbares Ziel geplant wird

Prädiktiv

Sakkaden werden auf ein antizipiertes Ziel ausgeführt, das noch nicht sichtbar ist

Gegen- bzw. Antisakkaden

Sakkaden werden in Gegenrichtung des visuellen Zielreizes ausgeführt

41.2 Funktionsunterbrechung während einer Augenbewegungsaufgabe . . .

. Abb. .. Einige wichtige Sakkadenparadigmen, die in TMS-Studien verwendet werden

41.2

Funktionsunterbrechung während einer Augenbewegungsaufgabe bei gesunden Probanden

41.2.1 Kartierungsexperimente zur

Lokalisation okulomotorischer Funktionen Analog zum Einsatz der TMS am motorischen Kortex (7 Kap. 40) kann auch die kortikale Repräsentation okulomotorischer Funktionen kartografiert werden (engl. cortical motor mapping). Thickbroom et al. (1996) untersuchten die Lokalisation des frontalen Augenfeldes in Relation zur kortikalen Repräsentation des M. abductor pollicis und M. orbicularis oculi. Die Zentren dieser 3 kortikalen Karten waren 5– 10 mm voneinander getrennt. Die Lokalisation des frontalen Augenfeldes kann man somit mittels der Ko-Lokalisation des M. abductor pollicis brevis recht genau definieren. Eine andere Studie (Ro et al. 1999) lokalisierte das frontale Augenfeld ebenfalls in Rela-

413

41

tion zur motorischen Repräsentation der Hand und kombinierte die Resultate mit anatomischen Strukturen der Magnetresonanztomografie (MRT) der Probanden. Die kritische Region, deren Stimulation eine Verlängerung der Sakkadenlatenzen bewirkte (d. h. das frontale Augenfeld), war 2 cm anterior zum primären motorischen Handareal auf dem Gyrus frontalis medialis lokalisiert. Eine weitere Möglichkeit, TMS zur Erforschung der kortikalen Kontrolle von Augenbewegungen einzusetzen, ist die Untersuchung des Stimulationseffektes einer bestimmten Region auf unterschiedliche Sakkadenparadigmen (7 Exkursbox »Okulomotorisches Netzwerk und Sakkaden«). Müri et al. (1991) stimulierten das frontale Augenfeld während der Ausführung von reflexiven Prosakkaden und Gegen- bzw. Antisakkaden. Mittels Einzelpulsen wurde das rechte frontale Augenfeld 50–90 ms nach dem Erscheinen eines visuellen Ziels stimuliert. Dabei beeinflusste die Stimulation weder die Latenz, die Genauigkeit der Amplituden noch die Geschwindigkeit von reflexiven Sakkaden. Bei den Antisakkaden hingegen führte die Stimulation des frontalen Augenfeldes zu einer signifikanten Zunahme der Latenzen von korrekten Antisakkaden, während die Genauigkeit der Amplituden, die Geschwindigkeit und die Anzahl der Fehler nicht beeinflusst wurden. Diese Resultate bestätigen, dass das frontale Augenfeld bei der Initialisierung willentlicher, nicht aber reflexiver Sakkaden wichtig ist. Zusätzlich scheint die Fehlerkontrolle, d. h. die Unterdrückung von reflexiv ausgelösten Sakkaden auf das visuelle Ziel, nicht unter der Kontrolle des frontalen Augenfeldes zu stehen. In einer weiteren Studie haben Ro et al. (1997) die unterschiedliche Rolle des frontalen Augenfeldes bei der Kontrolle von willentlichen und reflexiven Sakkaden untersucht. Sie stimulierten das frontale Augenfeld der linken und rechten Hemisphäre und fanden, dass die Latenzen im willentlichen Sakkadenparadigma nach kontralateral verlängert waren. Dies war nicht der Fall, wenn die TMS während des reflexiven Sakkadenparadigmas appliziert wurde. Die Rolle des frontalen Augenfeldes bei der Initialisierung willkürlicher Sakkaden wurde auch für prädiktive Sakkaden gezeigt, da die TMS zu einer Verlängerung der Sakkadenlatenz führte (Zangemeister et al. 1995). Für reflexive Sakkaden scheint das parietale Augenfeld wichtiger zu sein. So führte eine Einzelpulsstimulation des rechten posterioren parietalen Kortex 80 ms nach dem Auftreten eines visuellen Zieles zu erhöhten Latenzen und verminderten Amplituden von reflexiv ausgelösten Sakkaden (Elkington et al. 1992).

414

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 41 ·Okulomotorik

Transkranielle Einzelpulse bewirken eine passagere Funktionsstörung der stimulierten okulomotorischen Region. Daher sollte theoretisch eine Bahnung der Sakkadeninitialisierung möglich sein, wenn TMS über einer Region appliziert wird, welche die Sakkadeninitialisierung hemmt. Dies ist in der Tat möglich. Der dorsolaterale präfrontale Kortex hat unter anderem eine inhibitorische Funktion: Patienten mit einer Läsion des dorsolateralen präfrontalen Kortex weisen vermehrt Sakkaden mit sehr kurzen Latenzen, sog. Expresssakkaden, auf. Müri et al. (1999) konnten zeigen, dass die Stimulation des dorsolateralen präfrontalen Kortex während eines »Gap«-Paradigmas (gap Lücke; . Abb. 41.1) zu einer signifikanten Zunahme von Expresssakkaden nach kontralateral führte.

41.2.2 Chronometrie von relevanten

Funktionen einer okulomotorischen Region Die TMS eignet sich aufgrund der präzisen zeitlichen Applikationsmöglichkeit besonders, um die zeitlichen Abläufe während der Planung, Memorisierung und Ausführung von Augenbewegungen zu untersuchen (7 Kap. 40). Wenn eine okulomotorische Region in dem Moment stimuliert wird, in dem sie einen relevanten Prozess kontrolliert, dann sollte man erwarten, dass die Stimulation entweder die Latenz oder die Genauigkeit der Augenbewegung beeinflusst. Eine frühere oder spätere Stimulation – d. h. zu einem Zeitpunkt, in dem von dieser Region keine Kontrollfunktion mehr ausgeführt wird – sollte die Augenbewegungsparameter nicht beeinflussen. Diese Anwendung der TMS soll im Folgenden anhand einiger Studien illustriert werden. Eine für die Kontrolle der Okulomotorik wichtige Frage ist, wie das Gehirn räumliche Informationen verarbeitet. Erscheint ein peripheres Objekt während einer Fixation, so kann die Berechnung der Sakkadenamplitude anhand des retinalen Abbildes durchgeführt werden (retinotopes Koordinatensystem). Wird nach dem Erscheinen des Objekts und der geplanten Sakkade aber eine weitere Sakkade ausgeführt, so muss die entstandene retinale Verschiebung in die Berechnung der Amplitude der zweiten, geplanten Sakkade miteinbezogen werden. Um dies zu untersuchen, wurde das rechte parietale Augenfeld während eines »double step« Paradigmas (double step doppelte Stufe) nach der ersten Sakkade stimuliert (van Donkelaar et al. 2002). Die Einzelpuls TMS interferierte mit der Berechnung der zweiten Sakkadenamplitude, wenn die Stimulation 150 ms nach einer nach links gerichte-

ten ersten Sakkade appliziert wurde. Die Berechnung von Sakkadenamplituden in einem auf die Kopfposition bezogenen (kraniotopen) Koordinatensystem scheint also eine Leistung des parietalen Augenfeldes zu sein. Müssen mehrere sequenziell präsentierte visuelle Ziele memorisiert und dann die Sakkaden in einer entsprechenden Reihenfolge durchgeführt werden, scheinen frontomesiale Regionen wie das SEF wichtig zu sein. Zu welchem Zeitpunkt diese Region relevant ist, wurde mit transkraniellen Einzelreizen untersucht. Die Stimulation führte nur dann zu einer Zunahme der Fehler in der Reihenfolge der Sakkaden, wenn sie während der sequentiellen Präsentation der Objekte appliziert wurde. Eine Stimulation während der Memorisierung oder Ausführung der Sakkaden hatte dagegen keinen Einfluss (Müri et al. 1995). Die Online-TMS wurde auch eingesetzt, um die zeitliche Organisation des räumlichen Arbeitsgedächtnisses zu untersuchen. Im Alltag müssen oft Augenbewegungen zu nur kurz sichtbaren Objekten ausgeführt werden. Besteht nun zwischen dem Verschwinden eines Objekts und der Ausführung der Augenbewegung ein zeitliches Intervall, so muss das Gehirn die Lokalisation eines Objekts im Gedächtnis speichern, um später eine korrekte Sakkade dorthin auszuführen. Diese Gedächtnisleistung kann mittels des Paradigmas der memorisierten Sakkaden untersucht werden (. Abb. 41.1). Für die unmittelbare visuomotorische Umsetzung scheint der posteriore parietale Kortex relevant zu sein. Wird dieser mittels Einzelpulsen 260 ms nach Auftreten des visuellen Ziels stimuliert, so hat dies zur Folge, dass die Genauigkeit der Sakkadenamplituden abnimmt (Müri et al.1996). Dies ist nicht der Fall, wenn der posteriore parietale Kortex zu einem späteren oder früheren Zeitpunkt stimuliert wird. Für eine länger dauernde Memorisierung eines visuellen Zieles wird der dorsolaterale präfrontale Kortex wichtig. Eine Stimulation 700 ms oder 1500 ms nach Erscheinen des visuellen Ziels führte zu einer Abnahme der Genauigkeit der Sakkadenamplituden (Müri et al. 1996). Hingegen konnte bei einer früheren Stimulation kein Effekt beobachtet werden. Dass die zeitliche Kapazität der Speicherung im dorsolateralen präfrontalen Kortex jedoch limitiert ist, konnte in einer Studie mit memorisierten Sakkaden mit einem langen Intervall von 30 s gezeigt werden: Nur wenn TMS nach 1 s, nicht aber nach 28 s über dem dorsolateralen präfrontalen Kortex appliziert wurde, konnte eine Zunahme der Ungenauigkeit der Amplitude der memorisierten Sakkaden beobachtet werden (Nyffeler et al. 2002). Für lange Memorisierungsintervalle scheint die Information über die Sakkadenam-

41.4 Interferenz während einer Augenbewegungsaufgabe bei Patienten

plitude also nicht mehr im dorsolateralen präfrontalen Kortex gespeichert zu sein.

41.2.3 Funktionsunterbrechung mit

Doppelpulsen und kurzen Reizserien Eine weitere Möglichkeit, die TMS online während einer okulomotorischen Aufgabe einzusetzen, ist die Applikation von mehreren Pulsen. Auf diesem Gebiet sind allerdings wenige Studien publiziert worden. Doppelpulse können in Abhängigkeit von dem verwendeten Stimulusintervall zwischen den beiden Stimuli den Läsionseffekt verstärken, ohne viel von der zeitlichen Auflösung zu verlieren. Wipfli et al. (2001) benutzten die Doppelreizung, um die Rolle des frontalen Augenfeldes bei der Initialisierung memorisierter Sakkaden näher zu untersuchen. Sie testeten verschiedene Interstimulusintervalle (ISI) zwischen 35 und 80 ms und fanden, dass die Latenzen von nach kontralateral gerichteten Sakkaden bei einem Intervall von 50 ms verkürzt waren. Diese Studie zeigt, dass es mit einer Doppelpulsreizung in Abhängigkeit vom ISI gelingt, die Initialisierung memorisierter Sakkaden zu beschleunigen. Dies konnte auch mit kurzen Serien einer hochfrequenten rTMS in einem Doppelschrittparadigma erreicht werden (Li et al. 1997).

41.3

Konditionierende rTMS bei gesunden Probanden

Eine die Stimulation überdauernde Beeinflussung einer okulomotorischen Region kann mittels Verabreichung länger andauernder niedrigfrequenter rTMS erreicht werden (7 Kap. 40). Eine kürzlich publizierte Studie zur Stimulation des rechten frontalen Augenfeldes mit 600 Pulsen einer 1-Hz-rTMS zeigte eine die Stimulation überdauernde Latenzverlängerung von ungefähr 10 min (Nyffeler et al. 2006d). Die von Huang et al. (2005) eingeführte kontinuierliche ThetaBurst-Stimulation (engl. theta burst stimulation, TBS) des primären motorischen Kortex kann in kurzer Zeit (<1 min) und mit sehr niedriger Stimulusintensität eine lang anhaltende Hemmung der kortikalen Erregbarkeit induzieren. Dagegen muss bei der konventionellen 1-Hz-rTMS über 20–30 min und mit höherer Stimulusintensität stimuliert werden, um eine lang anhaltende Reduktion der kortikalen Erregbarkeit zu erzielen (7 Kap. 40). Eine aktuelle Studie kontrastierte deshalb den konditionierenden Effekt einer 1-HzrTMS des frontalen Augenfeldes mit dem Nacheffekt einer im Vergleich zur Studie von Huang et al. (2005)

415

41

leicht modifizierten TBS des frontalen Augenfeldes (Nyffeler et al. 2006b). In verschiedenen Sitzungen erhielten die gleichen Probanden entweder eine konventionelle, regelmäßige 1-Hz-rTMS (600 Pulse, Dauer der Stimulation 10 min) oder eine kontinuierliche TBS (600 Pulse verabreicht in 200 »bursts« – ein »burst« bestand aus 3 30-Hz-Pulsen gefolgt von einem Intervall von 100 ms –, Dauer der Stimulation 33 s) des frontalen Augenfeldes. Die Impulsstärke (80 der kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe) war in beiden Sitzungen identisch. Sowohl die 1 Hz-rTMS als auch die kontinuierliche TBS hatte einen hemmenden Effekt auf die Sakkadentriggerung; die Sakkadenlatenzen wurden entsprechend verlängert (. Abb. 41.2). Die Dauer der funktionshemmenden Wirkung war allerdings unterschiedlich: Während die 1-Hz-Stimulation die Sakkadenlatenzen nur für etwa 10 min verlängerte, konnte mit der TBS ein im Verhalten messbarer Läsionseffekt von 30 min erzielt werden. Die zeitliche Rückentwicklung des funktionshemmenden Effektes war nach der TBS abgeflacht, was auf eine Induktion verschiedener physiologischer Vorgänge schließen lässt. Vergleicht man den zeitlichen Verlauf des Effektes beider Protokolle mit den in Tierexperimenten gewonnen Resultaten, so könnte spekuliert werden, dass der länger anhaltende Effekt von TBS durch eine gesteigerte Effizienz der synaptischen Übertragung an kortikalen Synapsen im Sinne einer Langzeitpotenzierung (engl. long-term potentiation; LTP) zustande kommt. Die Dauer der funktionshemmenden Wirkung von TBS kann beträchtlich verlängert werden, wenn man mehrere Züge einer Theta-Burst-Stimulation in einem Abstand von jeweils 15 min appliziert (Nyffeler et al. 2006c). So führte eine 4-malige Wiederholung der TBS zu einer Verzögerung der Sakkadeninitiierung über einen Zeitraum von über 10 h.

41.4

Interferenz während einer Augenbewegungsaufgabe bei Patienten

Die TMS ist ebenfalls eine geeignete Methode zur Untersuchung von Reorganisationsprozessen nach einer Hirnschädigung. Nach einer isolierten Läsion einer okulomotorischen Region bilden sich die Defizite in der Regel rasch zurück. Mittels TMS kann untersucht werden, wie die wiedergewonnenen Funktionen durch andere Regionen innerhalb des okulomotorischen Netzwerkes übernommen wurden. Nyffeler et al. (2006a) untersuchten bei 2 Patienten mit einer isolierten ischämischen Läsion des frontalen Augen-

416

Kapitel 41 ·Okulomotorik

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50

. Abb. .. Eﬀekte zweier hemmender rTMS-Protokolle über dem frontalen Augenfeld auf die Sakkadenlatenzen. Die kontinuierliche Theta-Burst-Stimulation (TBS) hat eine signiﬁkante Verlängerung der Sakkadenlatenz über mehr als 30 min

zur Folge, während eine 1-Hz-Stimulation mit der gleichen Stimulationsstärke und Anzahl von Pulsen einen Eﬀekt von ungefähr 10 min bewirkt

. Abb. .. Fokale Funktionsunterbrechung mit der TMS bei 2 Patienten mit einer Läsion des frontalen Augenfeldes (weißes Kreuz). Dargestellt sind die Eﬀekte der Stimulationen des kontraläsionellen frontalen Augenfeldes (1), kontraläsio-

nellen parietalen Augenfeldes (2) und ipsiläsionellen parietalen Augenfeldes (3) auf ein Lückenparadigma (engl. gap paradigm) und Überlappungsparadigma (engl. overlap paradigm); *p<0,01; **p<0,001

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

417

41.5 Ausblick

feldes, inwieweit okulomotorische Regionen der ipsi- und kontraläsionellen Hemisphäre zur Rückbildung der Defizite beitragen. Das Experiment wurde 2 Monate nach dem Schlaganfall und nach vollständiger Erholung der okulomotorischen Defizite durchgeführt. Während die Patienten ein modifiziertes Überlappungsparadigma (engl. overlap paradigm) oder ein Lückenparadigmen (engl. gap paradigm) ausführten, wurden 3 Regionen 100 ms nach Präsentation des visuellen Ziels mittels Einzelpulsen stimuliert: 5 Entweder das kontraläsionelle frontale Augenfeld, 5 das kontraläsionelle parietale Augenfeld oder 5 das ipsiläsionelle parietale Augenfeld. Eine Stimulation des kontraläsionellen frontalen Augenfeldes oder des kontraläsionellen parietalen Augenfeldes verlängerte die Sakkadenlatenzen in kontraläsioneller Richtung (also in die Richtung ipsilateral zum Ort der TMS). Dieser Effekt war aufgabenspezifisch, da er nur im Überlappungs- , nicht aber im Lückenparadigma auftrat (. Abb. 41.3). Dies ist ein »paradoxer« TMS-Effekt, da die Stimulation einer okulomotorischen Region bei gesunden Probanden zu kontralateral verlängerten Sakkadenlatenzen führte, nicht ipsilateral (kontraläsionell) wie bei den Patienten. Daraus kann man schließen, dass okulomotorische Defizite von Regionen der kontraläsionellen, intakten Hemisphäre kompensiert werden können. Dieses Beispiel zeigt, dass die TMS Erholungsprozesse des okulomotorischen Netzwerks erfassen kann.

41.5

41

Ausblick

Die Online-TMS wird sicher weiterhin ein fester Bestandteil zur Erforschung der kortikalen Kontrolle von Augenbewegungen bleiben. Neben einem bisherigen Einsatz bei verschiedenen Sakkadenparadigmen ist es denkbar, dass diese Methode auch vermehrt bei Vergenz- und Folgebewegungsparadigmen zum Einsatz kommt. Zudem ist es vorstellbar, dass TMS öfter multifokal (z. B. bi-hemisphärisch) eingesetzt wird. Dieser Zugang erlaubt Aussagen bezüglich der zeitlichen Interaktion zweier kortikaler Areale während der Durchführung einer okulomotorischen Aufgabe. Eine vermehrte Anwendung von Online-TMS ist auch bei Patienten zu erwarten. So können in Verlaufsuntersuchungen mittels Online-TMS plastische Veränderungen, welche im Anschluss an eine akute Läsion oder progredient bei degenerativen Erkrankungen auftreten, dokumentiert werden. Neue Perspektiven ergeben sich auch mit dem Einsatz von Offline-TMS. Die Möglichkeit, dass mittels Wiederholung von Stimulationsserien der Effekt einer kontinuierlichen TBS konsolidiert werden kann, erlaubt eine deutliche Verlängerung der funktionshemmenden Wirkung. Okulomotorische Analysen, allenfalls kombiniert mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), können so zu verschiedenen Zeitpunkten nach einer solchen Stimulation durchgeführt werden und so die Funktionserholung und die zugrunde liegenden Veränderungen im Netzwerk darstellen. Solche Analysen könnten als Modell für die Untersuchung plastischer Veränderungen nach einem Hirnschlag dienen.

Exkurs

Okulomotorisches Netzwerk und Sakkaden Okulomotorisches Netzwerk Augenbewegungen werden von einem komplexen kortikalen und subkortikalen Netzwerk kontrolliert (. Abb. 41.4). Die in TMS-Studien untersuchten kortikalen Areale sind schematisch abgebildet: Im Frontallappen sind auf der Konvexitätsseite das frontale Augenfeld und der dorsolaterale präfrontale Kortex, auf der Medialseite das supplementäre Augenfeld untersuchbar. Im posterioren parietalen Kortex ist das im hinteren intraparietalen Sulkus liegende parietale Augenfeld einer Stimulation zugänglich. Sakkaden Die meisten Sakkadenparadigmen können in 2 Gruppen eingeteilt werden:

1. 2.

Reﬂexiv ausgelöste Sakkaden und willentlich ausgelöste Sakkaden (. Tab. 41.1).

Diese Einteilung macht Sinn, da an der Kontrolle der Sakkaden teilweise unterschiedliche kortikale Regionen beteiligt sind. Einige Paradigmen, die in verschiedenen Studien verwendet wurden, sind in . Abb. 41.1 schematisch dargestellt. Overlap-Sakkaden (engl. overlap Überlappung) und Gap-Sakkaden (engl. gap Lücke) sind visuell geführte Sakkaden d. h. während der Sakkadenausführung ist ein Zielpunkt sichtbar, der die Sakkade »führt«. Im Overlap-Paradigma erscheint während der Fixation eines zentralen Fixationspunktes (F) plötzlich ein peripheres visuelles

6

418

41 42 43 44 45 46 47 48 49

Kapitel 41 ·Okulomotorik

Ziel (engl. target, T), das eine Sakkade hin zum Zielpunkt auslöst. Das Gap-Paradigma unterscheidet sich vom Overlap-Paradigma dadurch, dass der Fixationspunkt 200 ms vor Erscheinen des Zielpunktes erlöscht. Diese zeitliche »Lücke« in der zentralen Fixation führt dazu, dass Lückensakkaden eine kürzere Latenz (d. h. das Zeitintervall zwischen dem Erscheinen des Zielreizes und dem Start der Sakkade) haben, da der aktive Prozess der zentralen Fixationsaufhebung (engl. disengagement) wegfällt. Bei modiﬁzierten Überlappungssakkaden wird das visuelle Ziel nur ganz kurz präsentiert, so dass die Prosakkade hin zum Zielpunkt nicht mehr reﬂexiv-visuell, sondern willentlich geführt ist. Je nach Instruktion kann im konventionellen Gapoder Overlap-Paradigma mit relativ langer Präsentation des Zielpunktes die Sakkade auf den Zielpunkt gehen; dann werden reﬂexiv-visuelle Prosakkaden untersucht. Die Probanden können aber auch so instruiert werden, dass die Sakkaden in die entgegengesetzte Richtung – also weg vom Zielpunkt – gehen. In diesem Fall führen die Probanden willentliche An-

tisakkaden aus. Bei den Antisakkaden werden 2 Prozesse untersucht: 1. Suppression einer reﬂexiven Sakkade hin zum Target und 2. Initialisierung einer willentlichen Sakkade zur Gegenseite hin. Die memorisierten Sakkaden testen das visuelle Arbeitsgedächtnis, indem eine Sakkade zum memorisierten Ort der Präsentation des Zielstimulus ausgeführt wird. Im Doppelstufenparadigma (engl. double step paradigm) werden 2 Sakkaden unmittelbar nacheinander ausgeführt: Die Präsentationsdauer der beiden visuellen Ziele ist so kurz, dass die Sakkaden nicht visuell geführt sind. Die Amplitude der ersten Sakkade wird in einem retinotopen Koordinatensystem (d. h. der Abbildung des Ziels auf der Retina) berechnet, während die Amplitude der zwischenzeitlich durchgeführten ersten Sakkade in die Berechnung der korrekten Amplitude der zweiten Sakkade miteinbezogen werden muss (extraretinales oder kraniotopes Referenzsystem).

50 . Abb. .. Schematische Repräsentation der für die Okulomotorik wichtigsten kortikalen Regionen

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Literatur Elkington PT, Kerr GK, Stein JS (1992) The eﬀect of electromagnetic stimulation of the posterior parietal cortex on eye movements. Eye 6: 510–514 Huang YZ, Edwards MJ, Rounis E et al. (2005) Theta burst stimulation of the human motor cortex. Neuron 45: 201–206

Li J, Olson J, Anand S, Hotson J (1997) Rapid-rate transcranial magnetic stimulation of human frontal cortex can evoke saccades under facilitating conditions. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 105: 246–254 Müri RM, Hess CW, Meienberg O. (1991) Transcranial stimulation of the human frontal eye ﬁeld by magnetic pulses. Exp Brain Res 86: 219–223 Müri RM, Rivaud S, Vermersch AI et al. (1995) Eﬀects of transcranial magnetic stimulation over the region of the sup-

Literatur

plementary motor area during sequences of memory-guided saccades. Exp Brain Res 104: 163–166 Müri RM, Vermersch AI, Rivaud S et al. (1996) Eﬀects of singlepulse transcranial magnetic stimulation over the prefrontal and posterior parietal cortices during memory-guided saccades in humans. J Neurophysiol 76: 2102–2106 Müri RM, Rivaud S, Gaymard B et al. (1999) Role of the prefrontal cortex in the control of express saccades. A transcranial magnetic stimulation study. Neuropsychologia 37: 199– 206 Nyﬀeler T, Pierrot-Deseilligny C, Felblinger J et al. (2002) Timedependent hierarchical organization of spatial working memory: a transcranial magnetic stimulation study. Eur J Neurosci 16: 1823–1827 2Nyﬀeler T, Muri R, Pﬂugshaupt T et al. (2006a) Cortical reorganization after brain damage: the oculomotor model. Eur J Neurosci 23: 1397–1402 Diese Studie zeigt eindrucksvoll, dass die fokale Funktionsunterbrechung mit der TMS bei Patienten nach fokaler Hirnläsion die funktionelle Reorganisation im okulomotorischen System aufdecken kann. Nyﬀeler T, Wurtz P, Lüscher HR et al. (2006b) Repetitive TMS over the human oculomotor cortex: comparison of 1-Hz and theta burst stimulation. Neurosci Lett 409: 57–60 2Nyﬀeler T, Wurtz P, Lüscher HR et al. (2006c) Extending lifetime of plastic changes in the human brain. Eur J Neurosci, 24: 2961–2966 Die Studie zeigt auf, dass der Eﬀekt einer Theta-Burst-Stimulation (TBS) konsolidiert werden kann, wenn mehrere Serien von Stimulationen appliziert werden. Nyﬀeler T, Wurtz P, Pﬂugshaupt T et al. (2006d) One-Hertz transcranial magnetic stimulation over the frontal eye ﬁeld induces lasting inhibition of saccade triggering. Neuroreport 17: 273–275 2Pierrot-Deseilligny C, Milea D, Müri RM (2004) Eye movement control by the cerebral cortex. Curr Opin of Neurol 17: 17–25 Diese Übersichtsarbeit gibt einen umfassenden Einblick in die kortikale Kontrolle von Augenbewegungen. Ro T, Henik A, Machado L, Rafal RD (1997) Transcranial magnetic stimulation of the prefrontal cortex delays contralateral endogenous saccades. J Cogn Neurosci 9: 433–440 1Ro T, Cheifet S, Ingle H et al. (1999) Localization of the human frontal eye ﬁelds and motor hand area with transcranial magnetic stimulation and magnetic resonance imaging. Neuropsychologia 37: 225–231 Diese Studie hat deutlich gemacht, dass die Lokalisation des frontalen Augenfeldes mittels einer Kolokalisation des Handareals zuverlässig gelingt. Thickbroom GW, Stell R, Mastaglia FL (1996) Transcranial magnetic stimulation of the human frontal eye ﬁeld. J Neurol Sci 144: 114–118 van Donkelaar P, Müri RM (2002) Craniotopic updating of visual space across saccades in the human posterior parietal cortex. Proc Biol Sci 269: 735–739 Wessel K, Kompf D (1991) Transcranial magnetic brain stimulation: lack of oculomotor response. Exp Brain Res 86:216218

419

41

Wipﬂi M, Felblinger J, Mosimann UP et al. (2001) Double-pulse transcranial magnetic stimulation over the frontal eye ﬁeld facilitates triggering of memory-guided saccades. Eur J Neurosci 14: 571–575 Zangemeister WH, Canavan AG, Hoemberg V (1995) Frontal and parietal transcranial magnetic stimulation (TMS) disturbs programming of saccadic eye movements. J Neurol Sci 133: 42–45

421

42

Motorisches Lernen Susan Koeneke, Lutz Jäncke

42.4

Charakterisierung trainingsinduzierter Veränderungen – 425

42.4.1

Einzelpuls-TMS: Lernbedingte Änderungen der kortikospinalen Erregbarkeit – 425 Doppelpuls-TMS: Lernbedingte Änderungen der intrakortikalen Erregbarkeit – 426

42.1

Motorisches Lernen und TMS – eine Einführung – 422

42.2

Konditionierende Effekte einer rTMS auf motorische Lernprozesse – 422

42.2.1 42.2.2

Niederfrequente rTMS – 423 Hochfrequente rTMS – 424

42.4.2

42.3

Akute Funktionsunterbrechung während motorischer Lernaufgaben – 424

42.5

Motorische Rehabilitation nach Schlaganfall – 426

42.6

Ausblick – 427

Literatur

– 427

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen Überblick über Studien, die mithilfe der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) neurophysiologische Veränderungen untersucht haben, welche mit motorischen Lernprozessen einhergehen bzw. diesen zugrunde liegen. Die TMS wurde zum einen angewendet, um trainingsinduzierte plastische Eﬀekte auf die Erregbarkeit im primären motorischen Kortex zu charakterisieren. Die hierzu durchgeführten Arbeiten zeigen, dass kurz- bis mittelfristiges motorisches Lernen mit einer Erhöhung der

kortikospinalen Erregbarkeit sowie einer Abnahme intrakortikaler Hemmung einhergeht. Zum anderen wurde die TMS eingesetzt, um die Erregbarkeit motorischer kortikaler Areale für eine längere Zeit zu hemmen bzw. zu erhöhen und so den Lernprozess direkt zu beeinﬂussen. Im klinischen Kontext ist dieser Konditionierungsansatz für die motorische Rehabilitation von besonderem Interesse. Erste Studien belegen, dass diese transkranielle Form der Neuromodulation eine eﬃzientere motorische Rehabilitation ermöglicht. .

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

422

Kapitel 42 · Motorisches Lernen

42.1

Motorisches Lernen und TMS – eine Einführung

Motorisches Lernen bezeichnet einen auf Erfahrung beruhenden Veränderungsprozess motorischer Abläufe. In der Regel resultieren diese Veränderungen aus wiederholtem und planvollem Üben der jeweiligen Handlungen. Im Zusammenhang mit dem Erlernen motorischer Fertigkeiten ergeben sich 4 übergeordnete Fragestellungen, die mithilfe verschiedener TMS-Anwendungen bearbeitet werden können: 1. Welche neuronalen Strukturen sind am Erlernen einer spezifischen Fähigkeit kausal beteiligt? 2. Wie lassen sich die übungsinduzierten Veränderungen (im Sinn von Plastizität) in bestimmten Hirnarealen näher beschreiben? 3. In welchem Zeitrahmen ereignen sich diese übungsinduzierten Veränderungen? 4. Welche fördernden und hemmenden Begleitumstände lassen sich für motorische Lernvorgänge identifizieren? Wie bereits an früherer Stelle in diesem Buch erwähnt, hat die TMS im Vergleich mit anderen neurowissenschaftlichen Untersuchungsmethoden einen besonderen Stellenwert (7 Kap. 31). Durch eine transiente Funktionsunterbrechung lassen sich mit der TMS Struktur-Funktionsbeziehungen aufdecken. So können durch die Stimulation relevanter Hirnregionen motorische Lernprozesse gestört oder gebahnt werden, was wiederum Rückschlüsse auf die kausale Beteiligung dieser spezifischen Hirnregionen zulässt (7 Fragestellung 1). Des Weiteren können auch Aussagen über zeitliche Aspekte und über neurophysiologische Randbedingungen des motorischen Lernens getroffen werden (7 Fragestellungen 3 und 4). Die Idee der Effizienzsteigerung motorischer Lernprozesses durch TMS hat wegen der klinischen Relevanz für die Rehabilitation motorischer Störungen besondere Beachtung erhalten. Neben diesem neuromodulatorischen Ansatz hat sich die TMS auch als Methode zur Kartierung der kortikospinalen Projektionen zu spezifischen Muskeln (engl. corticomotor mapping) sowie zur Quantifizierung intrakortikaler Hemmung und Bahnung etabliert (7 Kap. 33). Letztere TMS-Applikationen eignen sich insbesondere zur genaueren Charakterisierung trainingsinduzierter neuronaler Veränderungen (7 Fragestellung 2). Im Gegensatz zum Konzept der Neuromodulation beruhen sie jedoch auf der Ableitung motorischer evozierter Potenziale (MEP), so dass der Informationsgewinn größtenteils auf den primären motorischen Kortex beschränkt ist. In den folgenden Abschnitten soll ein Überblick über

diejenigen Forschungsarbeiten gegeben werden, die bislang mit ihren Resultaten zur Beantwortung der Kernfragestellungen beigetragen haben (. Abb. 42.1). Exkurs

Motorisches Lernen Motorisches Lernen ist eine spezielle Form des Lernens, die in klassischen Lerntheorien vernachlässigt wurde. Traditionell wird motorisches Lernen dem prozeduralen (unbewussten) Lernen konzeptuell zugeordnet. Beim motorischen Lernen werden Bewegungsmuster aufgebaut, optimiert und mit sensorischen Aspekten assoziiert. Neben den motorischen Programmen werden im Rahmen motorischer Lernvorgänge auch Bewegungsvariablen (z. B. Geschwindigkeit und Bewegungsamplitude) gelernt und optimiert. Ein wesentliches Substrat motorischer Lernprozesse ist der primäre motorische Kortex. Kortikale motorische Repräsentationen verändern sich sehr schnell in Reaktion auf verschiedenste Stimuli bzw. Bedingungen. Wichtige Mechanismen, die diese Reorganisationsprozesse vermitteln, umfassen die Demaskierung existierender latenter neuronaler Verbindungen sowie die anhaltende Modulation synaptischer Eﬃzienz, z. B. durch Langzeitpotenzierung (engl. long-term potentiation, LTP) bzw. Langzeitdepression (engl. long-term depression, LTD). Zwei Neurotransmittersysteme sind hauptsächlich an dieser Form der Reorganisation im motorischen Kortex beteiligt: Das exzitatorische glutamaterge System sowie das inhibitorische GABAerge System. Fokale TMS über dem motorischen Kortex wurde in einer Reihe von Studien angewendet, um die zugrunde liegenden Mechanismen auf neurophysiologischer Ebene genauer zu untersuchen. Elektrophysiologische Untersuchungen an Schichtpräparaten des motorischen Kortex der Ratte haben gezeigt, dass die Induktion von LTP im motorischen Kortex auf der Aktivierung von NMDARezeptoren sowie auf einer Verminderung der GABA-Inhibition basiert.

42.2

Konditionierende Eﬀekte einer rTMS auf motorische Lernprozesse

Man unterscheidet gewöhnlich zwischen der TMS zur akuten Funktionsunterbrechung (Online-Anwendung) oder der TMS zur anhaltenden Modulation

42.2 Konditionierende Effekte einer rTMS auf motorische Lernprozesse

42

423

a

b

c

. Abb. .a–c. Spektrum der TMS-Anwendungen im Kontext des motorischen Lernens. a Eﬀekte des motorischen Trainings auf physiologische, durch TMS gemessene Parameter, b Eﬀekte des motorischen Trainings auf das Ausmaß einer

durch Paired Associate Stimulation (PAS) induzierten Langzeitpotenzierung (LTP), c Beeinﬂussung des motorischen Trainings bzw. der trainingsinduzierten Eﬀekte auf Verhaltensebene durch TMS

neuronaler Systeme (Offline-Anwendung) (Robertson et al. 2003; 7 Kap. 31). Im Folgenden werden diese komplementären Einsatzgebiete im Zusammenhang mit motorischem Lernen besprochen.

42.2.1 Niederfrequente rTMS Niederfrequente rTMS-Protokolle, die eine anhaltende Hemmung kortikaler Erregbarkeit bewirken, stellen eine bewährte Methode dar, um eine reversible Läsion in sensomotorischen Arealen über den Zeitpunkt der rTMS hinaus zu induzieren. Dieser Offline-Läsionseffekt erlaubt es, kausale Aussagen über

424

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 42 · Motorisches Lernen

die Beteiligung dieser Areale an motorischen Lernprozessen abzuleiten (7 Kap. 31). Viel Aufmerksamkeit wurde in den letzten Jahren der Untersuchung von Konsolidierungsmechanismen im Rahmen des motorischen Lernens gewidmet. Im Falle des prozeduralen Gedächtnisses resultiert der Prozess der Konsolidierung in einem im Vergleich zum Ausgangsaktivierungsmuster vor dem Training veränderten, neuronalen Aktivierungsmuster (Krakauer et al. 2006). Die Gedächtniskonsolidierung umfasst hier sowohl eine Verringerung der Interferenzsensibilität gegenüber einer passageren Funktionsunterbrechung mittels TMS als auch eine Besserung des Verhaltens, die nach Beendigung des Trainings bzw. zwischen zwei Trainingssitzungen auftritt. Bisherige TMS-Studien belegen eine wichtige Rolle des primären motorischen Kortex in der frühen Phase des Konsolidierungsprozesses. So führte eine 15 min 1-Hz-rTMS, die in direktem Anschluss an das Training über dem kontralateralen primären motorischen Handareal appliziert wurde, zu einer Auslöschung der trainingsinduzierten Verbesserungen einer einfachen ballistischen Fingerabduktionsbewegung (Muellbacher et al. 2002). Die Blockierung früher motorischer Konsolidierung war jedoch aufgabenspezifisch, da das gleiche rTMS-Protokoll keine nachteiligen Auswirkungen auf die frühe Retention des Lerneffektes nach Adaption an ein dynamisches Kraftfeld hatte (Baraduc et al. 2004). Befunde aus neueren Studien deuten auf die Existenz verschiedener motorischer Konsolidierungsprozesse hin, die z. T. auf unterschiedlichen physiologischen Prozessen und anatomischen Substraten beruhen. So wurde eine motorische Konsolidierung, die während des Tages nach Trainingsende (offline) einsetzte, durch eine hemmende 1-Hz-rTMS über dem primären motorischen Kortex unterbrochen. Im Gegensatz dazu hatte dieselbe Stimulation keinen negativen Effekt auf die Offline-Konsolidierung während des Nachtschlafs (Robertson et al. 2005).

42.2.2 Hochfrequente rTMS Elektrophysiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass eine hochfrequente rTMS zu einer anhaltenden Erhöhung zerebraler Erregung führen kann (7 Kap. 50). Der erregbarkeitssteigernde Effekt der rTMS wurde zur Bahnung motorischer Lernprozesse angewendet (. Abb. 42.1c), obwohl die Gleichsetzung von Erregbarkeitssteigerung und Funktionsförderung sicherlich eine Vereinfachung der tatsächlichen Verhältnisse darstellt (7 Kap. 31). Bereits 1998 wurde diese Idee erstmals im Rahmen einer seriellen Reaktions-

zeitaufgabe experimentell umgesetzt (Tarazona et al. 1997). Die Applikation einer hochfrequenten 10-HzrTMS über dem primären motorischen Kortex unmittelbar nach der impliziten Lernphase, resultierte im Vergleich zu einer Kontrollstimulation in einer stärkeren Verringerung der Reaktionszeiten. Der leistungssteigernde Effekt einer hochfrequenten rTMS konnte auch in Bezug auf das explizite Lernen von Fingerbewegungssequenzen nachgewiesen werden (Kim et al. 2004). Die Idee, den motorischen Kortex auf ein Erregungsniveau einzujustieren, welches den motorischen Lernprozess günstig beeinflusst und somit ein effizientes, schnelleres, besseres Lernen ermöglicht, ist insbesondere für den klinischen Rehabilitationskontext von großer Relevanz (7 Kap. 52 und 56).

42.3

Akute Funktionsunterbrechung während motorischer Lernaufgaben

Die Applikation von Einzel- und Doppelpulsen über einer spezifischen Hirnregion während der Ausführung einer Aufgabe verursacht eine vorübergehende Störung der Funktionalität in der stimulierten Region (7 Kap. 31). Diese Läsionsmethode wurde bislang vorwiegend im Zusammenhang mit dem Lernen komplexer Bewegungen eingesetzt. Hierbei konnten funktionelle Charakteristika insbesondere prämotorischer Areale herausgearbeitet werden. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde auf diese Weise die zeitliche Einbindung des dorsolateralen präfrontalen Kortex in das Erlernen visuell-motorischer Assoziationen aufgedeckt (Praeg et al. 2005). In weiteren motorischen Lernparadigmen, wie z. B. der Adaptation von Arm-Zielbewegungen an ein externes Kraftfeld oder an eine verzerrte visuelle Rückmeldung (z. B. mittels Prismenbrille), konnte die Bedeutung des dorsalen prämotorischen Kortex sowie des posterioren Parietalkortex für die sensomotorische Kontrolle von Bewegungen belegt werden (Übersicht in Ljubisavljevic 2006). Die Funktionsunterbrechung durch kurze hochfrequente Reizserien fand in der bisherigen Forschung zum motorischen Lernen nur wenig Anwendung. In einer Studie, die ebenfalls eine serielle Reaktionszeitaufgabe verwendete, konnte nachgewiesen werden, dass eine 5-Hz-rTMS des dorsolateralen präfrontalen Kortex kontralateral zur trainierten Hand zu Beginn jedes Aufgabenblocks die implizite prozedurale Lernleistung deutlich beeinträchtigte (Pascual-Leone et al. 1996).

42.4 Charakterisierung trainingsinduzierter Veränderungen

42.4

Charakterisierung trainingsinduzierter Veränderungen

42.4.1 Einzelpuls-TMS: Lernbedingte

Änderungen der kortikospinalen Erregbarkeit Eine der ersten TMS-Studien zum motorischen Lernen von Pascual-Leone et al. (1994) untersuchte mithilfe der MEP-Kartierung Veränderungen der kortikospinalen motorischen Repräsentationen während des Erlernens einer Fingerbewegungssequenz im Rahmen eines seriellen Reaktionszeit-Paradigmas. Während der impliziten Lernphase kam es zu einer Vergrößerung der kortikomotorischen Repräsentationen der in die Aufgabe involvierten Fingermuskeln. Sobald die Versuchspersonen begannen, sich der Sequenz der Tastendrücke bewusst zu werden, erreichte die Größe der kortikalen Fingerrepräsentation ein Plateau, gefolgt von einer Reduktion der Größe der Fingerrepräsentation in der späteren Lernphase (Pascual-Leone et al. 2005). Auch das explizite Erlernen einer spezifischen Fingerbewegungssequenz führt zu Beginn zu einer Vergrößerung kortikospinaler Output-Karten derjenigen Muskeln, die in die Aufgabe involviert sind. Der Befund erhöhter kortikaler Erregbarkeit infolge des Erlernens motorischer Fertigkeiten wurde durch eine Serie von weiteren Experimenten untermauert, in denen unterschiedliche motorische Paradigmen verwendet wurden (. Abb. 42.1a) (Ljubisavljevic 2006). Aus den bisherigen Studien kann man ableiten, dass die induzierten funktionellen Veränderungen sowohl von der Schwierigkeit und Komplexität der Lernaufgabe als auch von Aufmerksamkeitsprozessen abhängen. Zudem muss die trainierte Bewegung aktiv durchgeführt werden, um messbare Veränderungen zu bewirken. Auch die mentale Imagination des auszuführenden »aktiven« motorischen Trainings kann vergleichbare plastische Veränderungen in primären motorischen Kortex hervorrufen. In der Grundlagenforschung zum motorischen Lernen wird konzeptuell zwischen dem Erlernen von Bewegungssequenzen und dem Adaptationslernen unterschieden (Ungerleider et al. 2002), wobei beide Lernparadigmen meist komplexe Bewegungsmuster beinhalten. Interessanterweise fand das Erlernen elementarer, nichtsequenzieller Bewegungen im Kontext von Trainingsparadigmen (z. B. repetitives Fingertapping) in der Literatur weniger Beachtung. Ein elementares Paradigma wurde von Classen et al. (1998) entwickelt. Zunächst werden überschwellige transkranielle Einzelreize über dem kontralateralen motorischen Handareal verabreicht und die hauptsächliche

425

42

Orientierung der durch die TMS-Einzelreize induzierten Daumenbewegungen erfasst. In der anschließenden Übungsphase führen die Probanden wiederholt aktive Daumenbewegungen in die entgegengesetzte Richtung aus. Unmittelbar im Anschluss an das Training lösen die gleichen TMS-Einzelreize nun die trainierten Daumenbewegungen aus, d. h. die Orientierung der durch die TMS ausgelösten Daumenbewegungen hat sich zugunsten der trainierten Bewegungsrichtung geändert. Nachfolgende Studien haben maßgeblich dazu beigetragen, die diesem Übungseffekt zugrunde liegenden physiologischen Mechanismen aufzudecken (7 Kap. 52). Spezifisch konnte gezeigt werden, dass die Gabe von GABA-RezeptorAgonisten sowie von NMDA-Rezeptor-Antagonisten in einer substanziellen Reduktion trainingsinduzierter Effekte resultiert (Bütefisch 2006). Im Zusammenhang mit dem Training elementarer Bewegungen hat unsere Gruppe in einer aktuellen Studie untersucht, welche funktionellen Veränderungen der trainingsinduzierten Erhöhung der maximalen Geschwindigkeit während repetitiver Fingerbewegungen (engl., finger tapping) zugrunde liegen (Koeneke et al. 2006). Hierzu wurde die kortikospinale Erregbarkeit für den M. abductor pollicis brevis vor, während und nach der Durchführung eines 2-wöchigen Trainings (repetitives schnelles Klopfen) mit dem Daumen der subdominanten, linken Hand gemessen. Die gemittelten MEP-Amplituden für beide Hemisphären und die 4 Messzeitpunkte sind in . Abb. 42.2 dargestellt. Wir konnten auch im Falle dieser elementaren repetitiven Fingerklopfbewegung eine über die Trainingsperiode lineare Zunahme der kortikospinalen Erregbarkeit nachweisen, die mit der Erhöhung der maximalen Klopfgeschwindigkeit einherging. Interessanterweise zeigte die Stimulation des dominanten (nichttrainierten) linken Handareals insbesondere zu Beginn der Trainingsperiode eine Steigerung der MEP-Amplituden des rechten, nichttrainierten M. abductor pollicis brevis. Im Hinblick auf die Effekte intensiven langfristigen Trainings, wie z. B. bei professionellen Musikern oder Sportlern, demonstrierten bisherige Arbeiten übereinstimmend, dass kontinuierliches Training über eine längere Zeitspanne (Monate bis Jahre) mit einer Langzeitreorganisation im primären motorischen Kortex einhergeht. So konnten mittlerweile in mehreren Kollektiven von Hochleistungssportlern im Vergleich zu Kontrollpersonen erhöhte MEP-Amplituden und verringerte kortikale motorische Reizschwellen für die spezifisch trainierten Muskelgruppen nachgewiesen werden. Diese Veränderung kor-

426

Kapitel 42 · Motorisches Lernen

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .. Mittlere MEP-Amplitude in µV. Fehlerbalken entsprechen dem Standardfehler des Mittelwertes. T1 Ausgangsmessung vor Trainingsbeginn; T2 Messung nach der ersten Trainingssitzung; T3 Messung nach der sechsten Trai-

ningssitzung; T4 Messung nach Abschluss des Trainings (t p<0,1 Trend; *p<0,05; ** p<0,01). Der direkt an der trainierten Bewegung beteiligte Muskel ist unterstrichen; APB M. abductor pollicis brevis. (Mod. nach Koeneke et al. 2006)

tikospinaler Erregbarkeit reflektiert möglicherweise strukturelle Plastizität im Sinne von langanhaltender Stärkung der synaptischen Effizienz oder der Ausbildung neuer Synapsen (Ziemann et al. 2004). Ein regelhafter Zusammenhang zwischen der trainingsinduzierten Veränderung kortikospinaler Erregbarkeit und dem Ausmaß der Verhaltensänderung konnte bisher nur in wenigen Studien aufgezeigt werden (Ljubisavljevic 2006).

fluss auf das Gleichgewicht intrakortikaler Hemmung und Erregung (. Abb. 42.1a). So konnte bei professionellen Klavierspielern im Vergleich zu Nichtmusikern eine verringerte interhemisphärische Inhibition zwischen den motorischen Handarealen der beiden Hemisphären nachgewiesen werden (Ridding et al. 2000).

42.5

Motorische Rehabilitation nach Schlaganfall

42.4.2 Doppelpuls-TMS: Lernbedingte

Änderungen der intrakortikalen Erregbarkeit Die Doppelpuls-TMS ermöglicht Aussagen über dynamische Veränderungen intrakortikaler Hemmungsund Erregungsmechanismen im Rahmen motorischer Lernprozesse (7 Kap. 16). Bisherige Studien deuten darauf hin, dass kurzfristiges motorisches Lernen mit einer Verminderung intrakortikaler Hemmung einhergeht (Ljubisavljevic 2006). Komplementär dazu zeigte sich in anderen Studien eine mit dem motorischen Training assoziierte Steigerung der intrakortikalen Erregung. Auch längeres Training hat einen Ein-

Basierend auf der Annahme, dass der primäre motorische Kortex der geschädigten Hemisphäre durch die gesunde Hemisphäre transkallosal gehemmt wird, können zwei unterschiedliche Therapieansätze verfolgt werden, um motorische Funktionen nach einem Schlaganfall zu verbessern. Zum einen kann durch die funktionelle Hemmung des gesunden, kontraläsionellen motorischen Kortex eine indirekte Enthemmung der motorischen Areale in der betroffenen Hemisphäre bewirkt werden. Die zweite Möglichkeit besteht in der direkten Bahnung der Funktion motorischer Kortexareale ipsilateral zur Läsion (7 Kap. 55 und 56).

427

Literatur

Zu den neurophysiologischen Grundlagen der motorischen Rehabilitation nach Schlaganfall wurden in den letzten Jahren eine Vielzahl relevanter Fragestellungen bearbeitet (Übersicht in Liepert et al. 2005). So wurde z. B. mit der TMS die motorische Reorganisation im Rahmen einer sog. Therapie des forcierten Gebrauchs (engl. constraint induced therapy) untersucht. Die Therapie besteht aus einer 2wöchigen Immobilisierung der gesunden Extremität (»constraint«) und einem hierdurch erzwungenen Training der betroffenen Gliedmaße. Die TMS konnte bei Patienten mit chronischem Schlaganfall belegen, dass die Constraint-induced-Therapie die kortikospinale Erregbarkeit im motorischen Handareal der betroffenen Hemisphäre steigerte und die funktionellen Repräsentationen kortikomotorischer Projektionen zu den betroffenen Handmuskeln vergrößerte (Liepert et al. 2000). Diese funktionelle Reorganisation ging mit einer Leistungsverbesserung der betroffenen Extremität einher. Folgeuntersuchungen zeigten im weiteren Verlauf eine Verringerung der kortikalen Übererregbarkeit und mittels TMS-Mapping eine Verkleinerung der kortikomuskulären Repräsentationen. Dies kann als eine Annäherung an die funktionellen Gegebenheiten der gesunden Hemisphäre interpretiert werden. In einer weiteren Studie konnten ähnliche funktionelle Veränderungen einhergehend mit einer Funktionsverbesserung auch nach herkömmlicher Physiotherapie festgestellt werden. Insofern scheint der Erfolg motorischer Rehabilitation auf der direkten Erhöhung der Erregbarkeit des betroffenen Motorkortex zu beruhen. Im Rahmen neuester Studien werden klassische motorische Rehabilitationsmaßnahmen wie die Constraint-induced-Therapie mit einer neuromodulatorischen Kortexstimulation gekoppelt (7 Kap. 55 und 56). Dieser Strategie liegt die Annahme zugrunde, dass eine Erregbarkeitssteigerung in der betroffenen Hemisphäre (z. B. durch hochfrequente rTMS) über der betroffenen Hemisphäre bzw. durch eine Hemmung der kortikalen Erregbarkeit in der gesunden Hemisphäre (z. B. durch niederfrequente rTMS) für ein nachfolgendes motorisches Training optimal »vorbereitet« wird, was sich in einer erhöhten Trainingseffizienz zeigen sollte. Erfolgversprechende Befunde erster Studien mit Patienten nach Schlaganfall deuten darauf hin, dass die hochfrequente rTMS-Stimulation über dem primären motorischen Kortex im Vergleich zur ineffektiven Kontrollstimulation die trainingsinduzierte kortikale Erregbarkeit erhöht und die Lernleistung steigert (Kim et al. 2006; Liepert et al. 2005).

42.6

42

Ausblick

Die TMS bietet als nichtinvasives neurowissenschaftliches Verfahren einen völlig neuen Ansatz zur Untersuchung des motorischen Lernens. Im Gegensatz zu den derzeit gängigen bildgebenden Verfahren, mit denen nur korrelative Aussagen getroffen werden können, erlaubt die TMS-Methode eine systemanalytische Betrachtung der Hirnfunktionen während des motorischen Lernens. Insofern deutet sich hier ein Wandel von der korrelativen zur prädiktiven Neurowissenschaft des motorischen Lernens an. Infolge der zeitlich präzisen Auflösung dieser Technik werden die neurophysiologischen Grundlagen des motorischen Lernens in Zukunft besser verstanden werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt der TMS besteht in der Möglichkeit, motorisches Lernen zu fördern und ggf. zu hemmen. Dies eröffnet viele Möglichkeiten im Hinblick auf die Effizienzsteigerung motorischer Rehabilitationsmaßnahmen. Neben den klassischen klinischen Anwendungsfeldern ergeben sich auch Möglichkeiten im Bereich des motorischen Lernens bei gesunden Menschen, die mittels dieser Technik in die Lage versetzt werden können, kompliziertere Bewegungen effizienter als bislang zu erwerben.

Literatur Baraduc P, Lang N, Rothwell JC, Wolpert DM (2004) Consolidation of dynamic motor learning is not disrupted by rTMS of primary motor cortex. Curr Biol 14: 252–256 Büteﬁsch CM (2006) Neurobiological bases of rehabilitation. Neurol Sci 27: 18–23 Classen J, Liepert J, Wise SP et al. (1998) Rapid plasticity of human cortical movement representation induced by practice. J Neurophysiol 79: 1117–1123 2Wichtige Arbeit, welche ein Paradigma zur Untersuchung der Plastizität im primären motorischen Kortex nach einem kurzfristigen Training elementarer Daumenbewegungen einführte. Dieses Experimentalparadigma wurde in vielen nachfolgenden Studien genutzt, um die zugrunde liegenden neurophysiologischen Mechanismen trainingsinduzierter Plastizität zu untersuchen (7 Kap. 52). Kim YH, Park JW, Ko MH et al. (2004) Facilitative eﬀect of high frequency subthreshold repetitive transcranial magnetic stimulation on complex sequential motor learning in humans. Neurosci Lett 367: 181–185 Kim YH, You SH, Ko MH et al. (2006) Repetitive transcranial magnetic stimulation-induced corticomotor excitability and associated motor skill acquisition in chronic stroke. Stroke 37: 1471–1476 1Hier wird erstmals eine Erhöhung der Trainingseﬃzienz nach der Applikation hochfrequenter rTMS bei Schlaganfallpatienten zeigt.

428

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 42 · Motorisches Lernen

Koeneke S, Lutz K, Herwig U et al. (2006) Extensive training of elementary ﬁnger tapping movements changes the pattern of motor cortex excitability. Exp Brain Res 174: 199– 209 Krakauer JW, Shadmehr R (2006) Consolidation of motor memory. Trends Neurosci 29: 58–64 Liepert J (2005) Transcranial magnetic stimulation in neurorehabilitation. Acta Neurochir Suppl 93: 71–74 Liepert J, Bauder H, Wolfgang HR et al. (2000) Treatment-induced cortical reorganization after stroke in humans. Stroke 31: 1210–1216 Ljubisavljevic M (2006) Transcranial magnetic stimulation and the motor learning-associated cortical plasticity. Exp Brain Res 173: 215–222 1Überblicksartikel über die Anwendung der verschiedenen TMS-Techniken im Kontext motorischen Lernens. Muellbacher W, Ziemann U, Wissel J et al. (2002) Early consolidation in human primary motor cortex. Nature 415: 640– 644 2Wichtige Arbeit, die erstmals die Einbindung des primären motorischen Kortex in frühe motorische Konsolidierungsprozesse demonstriert. Pascual-Leone A, Wassermann EM, Grafman J, Hallett M (1996) The role of the dorsolateral prefrontal cortex in implicit procedural learning. Exp Brain Res 107: 479–485 Pascal-Leone A, Grafman J, Hallett M, (1994) Modulation of cortical motor output maps during development of implicit and explicit knowledge. Science 263: 1287–1289 Pascual-Leone A, Amedi A, Fregni F, Merabet LB (2005) The Plastic Human Brain Cortex. Annu Rev Neurosci 28: 377–401 2Überblicksartikel zum Thema »Neuronale Plastizität«, mit ausführlicher Diskussion neuronaler Plastizität als Grundlage und Resultat motorischer Lernprozesse. Praeg E, Herwig U, Lutz K, Jancke L (2005) The role of the right dorsal premotor cortex in visuomotor learning: a transcranial magnetic stimulation study. Neuroreport 16: 1715– 1718 Ridding MC, Brouwer B, Nordstrom MA (2000) Reduced interhemispheric inhibition in musicians. Exp Brain Res 133: 249–253 Robertson EM, Theoret H, Pascual-Leone A (2003) Studies in cognition: the problems solved and created by transcranial magnetic stimulation. J Cogn Neurosci 15: 948–960 Robertson EM, Press DZ, Pascual-Leone A (2005) Oﬀ-line learning and the primary motor cortex. J Neurosci 25: 6372– 6378 Tarazona F, Tormos JM, Cañete C (1997) Modulation of motor cortical excitability by repetitive transcranial magnetic stimulation inﬂuences implicit learning. Soc Neurosci Abstr 23: 1964 Ungerleider LG, Doyon J, Karni A (2002) Imaging brain plasticity during motor skill learning. Neurobiol Learn Mem 78: 553–564 Ziemann U, Ilic TV, Pauli C et al. (2004) Learning modiﬁes subsequent induction of long-term potentiation-like and long-term depression-like plasticity in human motor cortex. J Neurosci 24: 1666–1672

429

43

Sprache Caterina Breitenstein, Stefan Knecht

43.1

Neurowissenschaftliche Fragestellungen – 430

43.2

Funktionsfördernde Effekte der TMS – 432

43.2.1

Stimulation während oder kurz vor der Durchführung einer Sprachaufgabe – 432 Längeranhaltende Förderung von Spachfunktionen mit der rTMS – 433

43.2.2

43.3

Funktionshemmende TMS-Effekte – 433

43.3.1

Stimulation während oder kurz vor der Durchführung einer Sprachaufgabe – 433 Längeranhaltende Störung von Spachfunktionen mit der rTMS – 435

43.3.2

43.4

TMS zur Bestimmung der funktionellen Interaktion von Gehirnregionen – 435

43.5

Zusammenfassung und Ausblick – 436

Literatur

– 437

ZUM THEMA Studien, welche die transkranielle Magnetstimulation (TMS) zur Untersuchung der Sprache einsetzen, lassen sich grob in 3 Bereiche gliedern: 1. Die TMS kann während einer Sprachaufgabe dazu herangezogen werden, die für einzelne Sprachfunktionen kritischen Gehirnareale zu identiﬁzieren (Lokalisierungsstudien). Hochfrequente Reizserien können über bestimmten Kortexarealen eine kurzzeitige Unterbrechung des Sprechﬂusses (engl. speech arrest) auslösen. Diese Studien zeigen, dass der anteriore Anteil des linken inferioren Frontallappen für die Sprechplanung notwendig ist. Für das Wernicke-Areal im linken temporalen Kortex oder dessen rechtshemisphärisches Homologon – in Abhängigkeit von der sprachdominanten Hemisphäre – konnte eine wichtige Rolle

2.

3.

bei semantischen/lexikalischen Sprachfunktionen bestätigt werden. Die TMS wurde in einigen Studien zur Förderung sprachlicher Funktionen eingesetzt, bislang allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Dieses Forschungsgebiet widmet sich der evolutionär engen Verbindung des Sprachverständnissystems mit dem motorischen Gestensystem. Diese Studien zur funktionellen Interaktion zwischen dem Sprach- und Gestensystem zeigten, dass das Hören sprachlicher Informationen konsistent zu einer Aktivierung motorischer Repräsentationen der Hand oder der Artikulatoren führte. Ob umgekehrt eine Aktivierung des motorischen Systems zu einer Förderung sprachlicher Fähigkeiten beiträgt, konnte noch nicht hinreichend belegt werden.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

430

Kapitel 43 · Sprache

43.1

Neurowissenschaftliche Fragestellungen

Moderne funktionelle Bildgebungsverfahren wie die Magnetoenzephalografie (MEG), funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) oder Positronenemissionstomografie (PET) liefern Informationen darüber, welche Gehirnregionen bei sprachlichen Vorgängen beteiligt sind. Mittels dieser modernen Bildgebungsmethoden kann jedoch keine Aussage darüber getroffen werden, ob eine bestimmte Gehirnregion für eine bestimmte Funktion tatsächlich notwendig (»kritisch«) ist. Studien, welche die TMS zur passageren Funktionsunterbrechung verwenden, erlauben solche kausalen Schlussfolgerungen, da sich die induzierte Perturbation der intrinsischen neuronalen Aktivität wie eine »virtuelle Läsion« dieses Gehirnareals auswirkt (7 Kap. 31). Aus den beobachteten Verhaltensänderungen bei TMS-Intervention können somit Rückschlüsse auf die Beteiligung eines Gehirnareals an einer bestimmten sprachlichen Funktion gezogen werden. Der Einsatz des »virtuellen Läsionsmodells« ist hilfreich für die Untersuchung der regionalen Physiologie von Sprachmodulen. Wenn die TMS als Einzelpuls oder sehr kurze Reizserie während der Durchführung einer Aufgabe verabreicht wird, können zudem die Zeitverläufe sprachlicher Verarbeitungsschritte beleuchtet werden (7 Kap. 31). Eine unilaterale Hemmung von Sprachfunktionen kann auch als diagnostisches Instrument dienen, z. B. bei der prächirurgischen Epilepsiediagnostik. Die repetitive TMS (rTMS) kann die kortikale Erregbarkeit im stimulierten Kortex in Abhängigkeit vom gewählten Stimulationsprotokoll anhaltend hemmen oder bahnen (7 Kap. 50 und 51). Dies kann Hirnfunktionen über die Dauer der rTMS hinaus verbessern oder verschlechtern (7 Kap. 31). Neben einer anhaltenden Hemmung von Sprachfunktionen kann die rTMS somit auch zur Förderung sprachlicher Funktionen eingesetzt werden. Eine Faszilitierung von Sprachfunktionen ist z. B. wünschenswert zur direkten Förderung der Spracherholung bei Patienten mit Sprachstörungen (Aphasie) nach Schlaganfall. Die Bahnung neuronaler Aktivität und die resultierende Förderung von Sprachfunktionen kann durch die Wahl geeigneter Stimulationsparameter (z. B. hochfrequente rTMS mit niedriger Intensität) direkt lokal erzeugt werden. Die rTMS kann aber auch herangezogen werden, um die interhemisphärische Interaktion zwischen homologen Sprachregionen zu modulieren (7 Kap. 31 und 56). Die Annahme ist hier, dass nach einem linkshemisphärischen Schlaganfall die Sprachregionen der intakten rechten Hemisphäre

einen exzessiven hemmenden Einfluss auf die geschädigte Gehirnhälfte ausüben, welcher die Spracherholung behindert. Die funktionelle Spracherholung sollte dementsprechend besser sein, wenn die Aktivität der sprachhomologen rechtshemisphärischen Areale gehemmt wird. Eine der größten Hürden bei Sprachuntersuchungen mittels TMS ist die Wahl eines geeigneten Stimulationspunktes und die zuverlässige Spulenplatzierung über diesem Zielareal (7 Kap. 32). Im Gegensatz zum motorischen System kann zur Validierung keine direkt messbare Zielreaktion der Probanden hervorgerufen werden. Ein etabliertes Vorgehen ist, verschiedene Kortexpunkte innerhalb einer theoretisch definierten Region zu stimulieren, um den Ort der maximalen Effektstärke zu finden. Die Positionierung kann auch unter stereotaktischer Führung erfolgen (7 Kap. 32). Bei der stereotaktisch neuronavigierten TMS wird die Stimulationsspule über einer bestimmten Kortexregion unter Zugrundelegung einer strukturellen und funktionellen Kernspinaufnahme des Probanden positioniert. Alternativ kann die Spulenpositionierung auf der Grundlage des 10– 20-Systems zur Elektrodenpositionierung erfolgen (. Abb. 43.1). Hier entspricht die Elektrodenposition F3/F7 ungefähr dem Broca-Areal, während die Elektrodenposition Cp5 etwa dem temporalen WernickeAreal entspricht (Steinsträter et al. 2007). Die Intensität der TMS-Pulse kann bei Untersuchungen im Sprachbereich mangels objektivierbarer Kriterien nur willkürlich festgelegt werden. Häufig orientiert man sich hier an der individuellen Erregbarkeitsschwelle des primären motorischen Handareals (7 Kap. 31 und 40). Allerdings ist bislang ungeklärt, inwieweit die kortikale motorische Reizschwelle des primären motorischen Handareals für die kortikale Erregbarkeit der Sprachareale repräsentativ ist. Im Gegensatz zu den Auswirkungen einer tatsächlichen Gehirnschädigung zeigen sich TMS-Läsionseffekte in Sprachstudien mit Gesunden meist nur in Form verlängerter Reaktionszeiten, aber nicht erhöhter Fehlerraten. Dies könnte daran liegen, dass die induzierte fokale Erregbarkeitsänderung nur einen Teil des stimulierten kortikalen »Sprachnetzwerkes« moduliert hat und verbliebene Anteile des Netzwerkes die Funktionsausübung – unter Einbusse der Verarbeitungsgeschwindigkeit – aufrechterhalten können (7 Exkursbox »Sprachorganisation«). Dieses Phänomen erschwert in vielen Fällen die Interpretation der Ergebnisse. Im Folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten Arbeiten zur Funktion des Sprachsystems gegeben. Im ersten Teil werden Ergebnisse zum Ein-

43.1 Neurowissenschaftliche Fragestellungen

431

43

. Abb. .. Dargestellt sind die optimalen Positionen der Stimulationsspule für die Stimulation des inferior-frontalen Broca-Areals (oben) und des superior-temporalen WernickeAreals (unten) oder deren rechtshemisphärischen homologen Areale mithilfe des internationalen 10–20-Systems. Die Projektion der anatomischen Strukturen auf die Schädeloberﬂäche erfolgte mittels des webbasierten »Talairach Daemon«

(http://wwwneuro03.uni-muenster.de/ger/t2tconv/conv3d. html). Die Farbkodierung gibt die Tiefe der kortikalen Struktur in mm an. Im Falle von Broca- und Wernicke-Areal beträgt die Tiefe jeweils ca. 15 mm. Rechts dargestellt ist jeweils ein axialer Hirnschnitt (auf der Ebene z=0), auf dem das TMS-Zielgebiet weiß umrahmt ist

satz der TMS als virtuelles Läsionsmodell vorgestellt. Der Fokus liegt dabei auf der Lokalisation der Sprachproduktionsareale und dem Einsatz der TMS zur prächirurgischen Diagnostik bei Epilepsie. Im zweiten Teil werden Ergebnisse funktionsfördernder TMSStudien zusammengefasst. Im letzten Abschnitt wer-

den Arbeiten zur funktionellen Konnektivität des handmotorischen Systems und des Sprachsystems diskutiert. Untersuchungen zur Schriftsprache werden wegen der starken Beteiligung nicht sprachlicher Verarbeitungsprozesse, wie z. B. der visuellen Verarbeitung, in diesem Kapitel nicht behandelt.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

432

Kapitel 43 · Sprache

43.2

Funktionsfördernde Eﬀekte der TMS

TMS von »tatsächlichen« sprachlichen Effekten bei kleinen Patientenstichproben kaum realisierbar.

43.2.1 Stimulation während oder kurz

vor der Durchführung einer Sprachaufgabe Bei diesem Ansatz wird die TMS als Einzelreiz, Doppelreiz oder rTMS in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Ausführung einer Sprachaufgabe gegeben. Hierbei kann die TMS entweder während oder unmittelbar vor Aufgabenbeginn verabreicht werden. Erfolgt die TMS für mehrere Sekunden vor der Aufgabendurchführung, halten die TMSEffekte in etwa so lange an, wie die Stimulationsdauer betrug. Dieses Vorgehen eignet sich besonders zur Untersuchung des Zeitverlaufs sprachlicher Verarbeitungsschritte einer Aufgabe oder als therapeutische Option zur Förderung sprachlicher Leistungen. Bislang ist es nur wenigen Arbeitsgruppen gelungen, eine direkte Funktionsverbesserung sprachlicher Leistungen mit diesem Online-Ansatz bei gesunden Probanden aufzuzeigen. Gründe sind vermutlich die Schwierigkeit der homogenen Spulenplatzierung, die hohe interindividuelle Variabilität der Antwortmuster bei zudem kleinen Stichproben sowie eine in der Regel nicht hinreichende Abgrenzungsmöglichkeit »reiner« TMS-Effekte von unspezifischen Stimulationseffekten durch die TMS-Stimulation. Zudem unterliegt die Leistungsfähigkeit des Sprachsystems bei gesunden Erwachsenen vermutlich einem Deckeneffekt, so dass es mit der Online-TMS einfacher ist, eine Funktionsverschlechterung hervorzurufen (7 Kap. 31 und 55). Vorwegnehmend kann die Studienlage dahingehend zusammengefasst werden, dass die TMS-Parameter, mit denen eine zuverlässige Förderung sprachlicher Funktionen erzielt werden kann, derzeit nicht bekannt sind. Wegen einer insgesamt unzureichenden Effektivität verhaltenstherapeutischer Interventionen bei chronischer Aphasie wäre es aus klinischer Sicht wünschenswert, sprachliche Leistungen bei Patienten mit Aphasie messbar zu verbessern. Ein Ansatzpunkt wäre, sprachliche Leistungen durch eine Voraktivierung neuronaler Netzwerke mittels Einzelreizung, Doppelreizung oder kurzer hochfrequenter Reizserien zu fördern. Zu dieser Vorgehensweise liegen derzeit noch keine publizierten Ergebnisse bei Aphasie vor. Mögliche Gründe sind, dass keine zuverlässigen TMS-Parameter einer direkten Faszilitierung sprachlicher Funktionen bekannt sind und Patientenstudien wegen der Symptom- und Läsionsheterogenität methodisch schwer planbar sind. Zudem ist eine Abgrenzung unspezifischer faszilitierender Effekte der

Sprachverständnis Für den semantischen Aspekt der Sprachverarbeitung wurde eine Beschleunigung der Reaktionszeiten (in einer Größenordnung von im Mittel um 60 ms und Standardfehlern gleicher Größenordnung) in einer Bild-Wort-Verifikationsaufgabe berichtet, wenn die TMS-Pulse (Intensität: 35–55 der Leistung eines 1,5T(Tesla)-TMS-Stimulators) im Zeitfenster von 500– 1000 ms vor der Bildpräsentation über dem Wernicke-Areal verabreicht wurden (Töpper et al. 1998). Der bahnende Effekt verschwand bei höheren Stimulusintensitäten und war nicht nachweisbar, wenn die TMS über dem kontralateralen Homologon oder dem motorischen Kortex verabreicht wurde. Als möglicher Mechanismus wurde eine »generelle« Voraktivierung des Wernicke-Areals diskutiert. Neben der TMS unmittelbar vor Präsentation des relevanten Sprachstimulus kann die TMS auch unmittelbar im Anschluss an die Stimuluspräsentation gegeben werden. In einer Studie von Sakai et al. (2002) mussten 6 Probanden Sätze auf ihre grammatikalische oder semantische Richtigkeit beurteilen. Je 2 TMSPulse (Intensität: 33–55 der Leistung eines 2-T-TMSStimulators) wurden im Abstand von 2 ms über dem Broca-Areal (Elektrodenposition F3) appliziert. Relativ zur Placebobedingung waren die Reaktionszeiten bei syntaktischen, aber nicht bei semantischen Entscheidungen verkürzt (im Mittel um 25 ms), wenn die TMS-Pulse 150 ms nach Verbdarbietung verabreicht wurden. Wegen des Fehlens einer nichtsprachlichen Kontrollaufgabe kann allerdings keine Aussage über die Spezifität des Effektes für syntaktische Verarbeitung getroffen werden.

Sprachproduktion Eine ähnliche Konditionierungsstrategie wie in der von Töpper et al. (1998) durchgeführten Studie verfolgte eine rTMS-Untersuchung, in der eine hochfrequente (20 Hz) oder niedrigfrequente (1 Hz) rTMSSalve unmittelbar vor einer Benennungsaufgabe über einem Kortexareal verabreicht wurde. Nur 20-HzrTMS über dem Wernicke-Areal (Elektrodenposition Cp5) beschleunigte das Benennen von Objekten (Sparing et al. 2001). Stimulation über dem BrocaAreal (Elektrodenpositionen F5/F7) oder dem occipitalen visuellen Kortex (Elektrodenposition Oz) hatte dagegen keinen Effekt auf das Objektbenennen. Die Beschleunigung nach Stimulation des Wernicke-Areals war auch abhängig von der Stimulusintensität und fand sich bei einer Intensität mit 55 der maxima-

433

43.3 Funktionshemmende TMS-Effekte

len Stimulatorleistung eines 1,6-T-TMS-Stimulators. Da der Verhaltenseffekt bereits 2 min nach der rTMS nicht mehr nachweisbar war, fehlt bislang die Grundlage für den Transfer dieses Ansatzes auf die klinische Anwendung. In einer anderen Studie zum Benennen überprüften Cappa et al. (2002) die Funktion des linken frontalen Kortex (mit einer Stimulation über den Elektrodenpositionen F3/F5 nach dem 10–20-System) beim Benennen eines Objektes oder einer damit verbundenen Handlung. Zeitgleich mit der Objektdarbietung wurden hochfrequente rTMS-Salven verabreicht (20 Hz für 500 ms, 90 der kortikalen motorischen Schwelle). Bei Stimulation des linken dorsolateralen Kortex waren die Antwortlatenzen bei der Verbengenerierung im Vergleich zur Placebostimulation oder zur Stimulation des rechten dorsolateralen frontalen Kortex verkürzt (im Mittel um 60 bzw. 120 ms). Für das Objektbenennen zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Stimulationsbedingungen. In einer Anschlussstudie derselben Arbeitsgruppe zu verbalen Gedächtniseffekten führte ein identisches TMS-Protokoll allerdings zu einer Verhaltenshemmung (Rossi et al. 2001).

Naeser et al. (2005) gingen dieser Frage in einer unkontrollierten Pilotstudie an 4 Patienten nach, die im chronischen Stadium nach Schlaganfall eine nichtflüssige Aphasie aufwiesen. Die Patienten erhielten über 10 Tage hinweg einmal täglich eine 20-min, hemmende 1-Hz-rTMS (Stimulusintensität: 90 der kortikalen motorischen Reizschwelle des Handareals) des vorderen Anteils des rechtshemisphärischen BrocaHomologons (Pars triangularis). Die Patienten bekamen in dieser Zeit keine Sprachtherapie. Alle Patienten konnten unmittelbar nach der rTMS im Vergleich zur Ausgangsleistung vor rTMS besser Alltagsobjekte benennen, und die Sprachverbesserung fiel 2 und 8 Monate nach Ende der TMS-Intervention sogar noch höher aus (Naeser et al. 2005). Wegen Fehlens einer Kontrollgruppe kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Sprachverbesserung um einen Übungseffekt durch die wiederholten Testungen handelte. Trotzdem rechtfertigt diese vorläufige Beobachtung weitere Untersuchungen zum Potenzial der rTMS, die funktionelle Erholung von Sprachfunktionen nach einer Hirnschädigung zu fördern.

43.3 43.2.2 Längeranhaltende Förderung von

Spachfunktionen mit der rTMS Neben der direkten Modulation von Sprachfunktionen in engem zeitlichem Zusammenhang mit der TMS kann mit der rTMS eine länger anhaltende Konditionierung von Sprachfunktionen erfolgen. Außer einer direkten Bahnung der sprachrelevanten Netzwerke besteht eine weitere Vorgehensweise zur Förderung sprachlicher Funktionen in einer Verringerung der interhemisphärischen Hemmung (7 Kap. 55). Analog zur rTMS bei Patienten mit motorischem Schlaganfall (7 Kap. 56) könnte die gesunde rechte Hemisphäre nach einem linkshemisphärischen Schlaganfall durch den verbliebenen hemmenden Einfluss der linken Hemisphäre an der vollen Entfaltung ihrer sprachlichen Kompetenzen gehindert werden. Andererseits könnten periläsionelle linksseitige Sprachareale durch den nun zu starken Einfluss der rechten Hemisphäre gehemmt werden. Eine Reduktion rechtshemisphärischer Aktivität ist auch deshalb viel versprechend, weil bei Aphasiepatienten – insbesondere denjenigen mit schlechter Spracherholung – in bildgebenden Untersuchungen häufig eine im Vergleich zur Normalbevölkerung verstärkte rechtshemisphärische Aktivierung in homologen Spracharealen beobachtet wurde.

43

Funktionshemmende TMS-Eﬀekte

43.3.1 Stimulation während oder kurz

vor der Durchführung einer Sprachaufgabe Sprachverständnis Bislang liegen nur wenige TMS-Arbeiten zur direkten Funktionsunterbrechung sprachlicher Perzeption bei gesunden Probanden vor. In einer dieser Arbeiten (Flitman et al. 1998) wurden insgesamt 150 hochfrequente Salven (jeweils 15 Hz für 750 ms mit 120 der kortikalen motorischen Reizschwelle) über jedem der 4 stimulierten Gehirnareale (Position des »Sprecharrests« der linken Hemisphäre und deren rechtshemisphärisches Homologon; linkes und rechtes temporoparietales Sprachareal) verabreicht. Bei beiden linkshemisphärischen Stimulationsorten erhöhten sich die Fehlerraten für Durchgänge mit rTMS um 6–8 im Vergleich zu Durchgängen ohne rTMS, die Reaktionszeiten blieben von der rTMS-Salve unberührt. Die Ergebnisse wurden dahingehend interpretiert, dass sowohl das Broca-Areal als auch das Wernicke-Areal an Bild-Wort-Zuordnungen beteiligt sind. Vermutlich übernehmen die beiden Gehirnstrukturen aber unterschiedliche Komponenten des sprachlichen Verarbeitungsprozesses, welche in dieser Untersuchung nicht näher beleuchtet werden konnten.

434

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 43 · Sprache

> In dieser Untersuchung wurde bei einem der 7 Probanden während des Experiments ein epileptischer Anfall ausgelöst, so dass von der Wahl vergleichbarer TMS-Protokolle in weitergehenden Untersuchungen abgeraten wurde.

Mit der neuronavigierten TMS kann über den induzierten Läsionseffekt auch eine funktionelle Subspezialisierung innerhalb einer Sprachregion nachgewiesen werden (Devlin et al. 2003; Gough et al. 2005). So verzögerte die fokale TMS des vorderen Anteils des Broca-Areals die Antwortzeiten, wenn die Probanden die Wortbedeutung zweier simultan präsentierter Wörter (Synonym?) beurteilen mussten (Gough et al. 2005). Dahingegen wurden die Antwortzeiten mit der TMS des hinteren Anteils des Broca-Areals verzögert, wenn das phonologische Muster (Homophon?) verglichen werden musste. Diese Doppeldissoziation weist auf die regionale Spezialisierung des Broca-Areals für die semantische (anterior) und phonologische (posterior) Sprachverarbeitung hin.

Sprachproduktion Der Schwerpunkt der TMS-Forschung lag im vergangenen Jahrzehnt auf einer zuverlässigen Auslösung einer Unterbrechung des Sprechens (passagere Anarthrie) während einer Sprechaufgabe (engl. speech arrest), um die für die Sprachproduktion kritischen Gehirnareale zu identifizieren. Eine Reihe von widersprüchlichen Befunden konnte dadurch aufgelöst werden, dass bei gesunden Probanden eine Sprechunterbrechung offensichtlich an 2 unterschiedlichen Positionen des linken inferioren frontalen Kortex ausgelöst werden kann (Stewart et al. 2001). Stimulation des eher posterior gelegenen Areals führte zu einer messbaren Reaktion der Gesichtsmuskulatur und führte über jeder Hemisphäre zu einer Sprechhemmung. Dies wurde dahingehend interpretiert, dass es sich um eine Hemmung der motorischen Komponenten der Sprachproduktion handelte. Dahingegen führte Stimulation des mehr anterior gelegenen Areals nur bei Stimulation der linken sprachdominanten Hemisphäre zur Sprechhemmung, noch dazu ohne messbare Reaktion der Gesichtsmuskulatur. Hier scheint es sich somit um eine direkte Hemmung des Sprachproduktionsareals (Broca-Areal) zu handeln. Pascual-Leone et al. (1991) waren die Ersten, die TMS als mögliche nichtinvasive Alternative zur prächirurgischen Bestimmung der Sprachdominanz bei Patienten mit Epilepsie einsetzten. Den Patienten wurden hochfrequente Salven (8, 16 oder 25-Hz-rTMS für je 10 s) mit hoher Intensität an 15 verschiedenen perisylvischen Positionen jeder Hemisphäre verabrei-

cht. Während der Stimulation sollten die Patienten laut zählen. Nach 4–6 s Stimulation des linken inferioren Frontalkortex (D5/D7) mit 8 oder 16-Hz konnte bei allen 6 Patienten zuverlässig eine Sprechunterbrechung erzielt werden. Der Befund wurde dadurch validiert, dass alle Patienten im invasiven WADA-Test, dem »Goldstandard« bei der Bestimmung der Sprachdominanz, eine linkshemisphärische Sprachlateralisierung zeigten. Nachfolgende Studien ließen jedoch Zweifel an der Sensitivität und Spezifität der rTMS als prä-chirurgisches Diagnostikum aufkommen. Durch eine Serie von Untersuchungen zur Sprechunterbrechung bei gesunden Probanden konnte zwar die optimale Stimulationsfrequenz (4 Hz) ermittelt werden, aber die Korrelation zwischen dem WADA-Test und der rTMS bei der Bestimmung der Sprachdominanz von Patienten mit Epilepsie fiel nur moderat (r=0,57) aus (Epstein et al. 2000). > Die rTMS kann den WADA-Test bei der prächirurgischen Epilepsiediagnostik derzeit nicht ersetzen, zumal der WADA-Test bislang ein deutlich besserer Prädiktor postoperativer Sprachdeﬁzite ist.

In zukünftigen Untersuchungen gilt es zu klären, ob eine verbesserte neuronavigierte Ansteuerung des kritischen Areals im anterioren inferioren Frontallappens (Stewart et al. 2001) die inter- und intraindividuelle Varianz der Effekte reduzieren kann und so eine bessere Vorhersage postoperativer Sprachdefizite bei Epilepsie erlaubt. Die direkte TMS-induzierte Funktionsunterbrechung in kortikalen Spracharealen kann auch dazu eingesetzt werden, die für eine erfolgreiche Spracherholung relevanten Gehirnareale zu identifizieren. In diesem Ansatz wurde die funktionelle Relevanz der in Bildgebungsstudien beobachteten periläsionellen und rechtshemisphärisch homologen Gehirnaktivierungen bei Patienten mit Hirnschädigungen bestimmt. In einer Serie von Kombinationsstudien mit PET und nachfolgender Funktionsunterbrechung mittels TMS konnte gezeigt werden, dass Patienten mit linkshemisphärischen Schlaganfällen während einer 10 s 4HzrTMS mit 20 der maximalen Leistung eines 2,1-TStimulators über dem linken inferioren Frontallappen in einer Verb-Bild-Zuordnungsaufgabe oder bei der Wortgenerierung verlängerte Antwortlatenzen aufwiesen oder mehr Fehler machten (Winhuisen et al. 2005). Bei Patienten mit rechtshemisphärischer Aktivierungsdominanz im PET waren die Effekte während rechtshemisphärischer TMS am ausgeprägtesten, jedoch waren die sprachlichen Leistungen dieser Pati-

43.4 TMS zur Bestimmung der funktionellen Interaktion von Gehirnregionen

435

43

Derzeit liegen unseres Wissens nur Arbeiten zur anhaltenden Störung von Sprachfunktionen bei gesunden Probanden vor. Der Offline-Ansatz wurde bislang nicht bei neurologisch geschädigten Patienten eingesetzt, um z. B. die für die Spracherholung kritischen Gehirnareale zu identifizieren.

In einer weiteren Studie der selben Arbeitsgruppe führte ein identisches rTMS-Protokoll nur zu einer »relativen« Verlangsamung der sprachlichen Verarbeitungsgeschwindigkeit nach rTMS über dem Wernicke-Areal bei links sprachdominanten gesunden Probanden (Drager et al. 2004). »Relative« Verlangsamung deshalb, weil die Reaktionszeiten in einer BildWort-Zuordnungsaufgabe nach der 1-Hz-rTMS über dem Wernicke-Areal im Vergleich zur Ausgangsmessung unverändert blieben, es aber nach allen anderen Stimulationsbedingungen (effektive 1-Hz-rTMS des Broca-Areals, des visuellen Kortex, der rechtshemisphärischen sprachhomologen Areale oder »Placebo«-TMS) zu einer vermutlich unspezifischen Verkürzung der Reaktionszeiten nach der rTMS kam. Diese Studie belegt somit eindrucksvoll, dass durch die repetitive transkranielle Kortexstimulation verursachte Konditionierungseffekte im sprachlichen Bereich durch unspezifische intersensorische Aktivierungseffekte der rTMS oder Sequenzeffekte überlagert werden können. Die Wahl geeigneter Kontrollbedingungen (z. B. eine nicht sprachliche Kontrollaufgabe, Kontrollstimulation über anderen Kortexarealen) ist somit eine unabdingbare Voraussetzung für die Ergebnisinterpretation.

Sprachverständnis

Sprachproduktion

Eine 10 min hemmende 1-Hz-rTMS mit 110 der kortikalen motorischen Reizschwelle über dem WernickeAreal und dessen rechtshemisphärischen Homologon konnte bei gesunden Personen die funktionelle Relevanz der zuvor mit funktioneller Dopplersonografie bestimmten Sprachlateralisation nachweisen (Knecht et al. 2002). Personen mit linksseitiger Sprachdominanz wiesen nur nach TMS über dem Wernicke-Areal (Elektrodenposition Cp5) eine verlangsamte Verarbeitung (im Mittel um 12 ms) in einer Bild-Wort-Zuordnungsaufgabe auf. Dahingegen zeigten Personen mit rechtsseitiger Sprachdominanz nur nach TMS über dem rechtshemisphärischen Homologon des Wernicke-Areals (Elektrodenposition Cp6) eine Verhaltenseinbusse (im Mittel um 20 ms). Zusätzlich korrelierte das Ausmaß der TMS-Interferenz mit dem Grad der Sprachlateralisation, d. h. Personen mit ausgeprägter Sprachdominanz waren stärker durch die TMS-Intervention beeinträchtigt als Personen mit eher bilateraler Sprachanlage. Bei letzterer Personengruppe ist eine rechtshemisphärische Sprachkompensation im Falle eines Schlaganfalls wahrscheinlicher als bei Personen mit ausgeprägter linkshemisphärischer Sprachdominanz. Eine Bestätigung dieser Hypothese durch prospektiv angelegte Untersuchungen steht allerdings noch aus.

Shapiro et al. (2001) gingen der Frage nach, ob das Gehirn für den Abruf von Verben und Nomen unterschiedliche Gehirnareale nutzt. Bei der Deklination von Nomen oder der Konjugation von Verben zeigte sich nur für die Verben eine Verlangsamung der Reaktionszeit nach 5 min inhibitorischer 1-Hz-rTMS mit 110 der kortikalen motorischen Reizschwelle über dem linken inferioren frontalen Gyrus (anterior und superior zum Broca-Areal) im Vergleich zur Ausgangsmessung. Die Ergebnisse legen nahe, dass unterschiedliche Sprachmodule an der Verarbeitung unterschiedlicher Wortklassen beteiligt sind. Noch fehlt allerdings der Nachweis aus Läsionsstudien, dass eine Schädigung dieser spezifischen Gehirnstruktur zu einer selektiven Beeinträchtigung der Verbkonjugation führt.

enten schlechter als die der Patienten mit ausschließlich linkshemisphärischen TMS-Läsionseffekten. Diese Arbeiten untermauern somit die wichtige funktionelle Beteiligung des linken inferioren frontalen Gyrus an der Wortgenerierung. Des weiteren werfen diese ersten Ergebnisse mit neurologischen Patienten Zweifel daran auf, dass die homologen Sprachareale nach einem linkshemisphärischen Schlaganfall kompensatorisch sprachliche Funktionen übernehmen können. Eine PET-TMS-Kombinationsstudie an Tumorpatienten legt nahe, dass eine rechtshemisphärische Kompensation sprachlicher Funktionen vermutlich nur bei langsam progredienten Hirnschädigungen und langer Erkrankungsdauer erfolgt (Thiel et al. 2006).

43.3.2 Längeranhaltende Störung von

Spachfunktionen mit der rTMS

43.4

TMS zur Bestimmung der funktionellen Interaktion von Gehirnregionen

Die TMS kann auch zur Bestimmung der funktionellen Konnektivität von Sprachregionen eingesetzt werden. Hier ist vor allem die evolutionäre Verbindung der Sprachzentren zum sog. »manuellen Gesten-

436

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 43 · Sprache

system« innerhalb des motorischen Systems von Interesse. In verschiedenen Arbeitsgruppen konnte zuverlässig eine Faszilitierung mittels TMS ausgelöster motorisch evozierter Potenziale (MEP) der Handmuskulatur (und teilweise auch der Fußmuskulatur) erzielt werden, wenn die gesunden Probanden laut oder leise sprechen oder lesen mussten (Sprachproduktion) oder Sprachverständnisaufgaben bearbeiteten (Flöel et al. 2003). Sprachverständnisaufgaben führten zu einer bihemispheralen Bahnung der kortikomotorischen Erregbarkeit, während die Sprachproduktion nur linkshemisphärische Effekte auf die MEP erzielte. Die Arbeitsgruppen von Pulvermüller und Buccino konnten zudem eindrucksvoll einen Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Wortbedeutung und spezifischen Komponenten des motorischen Systems aufzeigen. Wenn Probanden Wörter oder Sätze hörten, die eine motorische Handlung, z. B. der Hand beinhalteten, war die kortikomotorische Erregbarkeit selektiv im entsprechenden Effektorsystem erhöht (Buccino et al. 2005). Umgekehrt waren die Reaktionszeiten bei lexikalischen Entscheidungsaufgaben mit Handlungsverben beschleunigt, wenn die primärmotorischen kortikalen Repräsentationen des entsprechenden Effektorsystems 100 ms vor Wortdarbietung mittels unterschwelliger Einzelpuls-TMS (90 der kortikalen motorischen Reizschwelle) voraktiviert wurde (Pulvermüller et al. 2005). Eine interessante Frage für zukünftige Studien ist, ob sich die Präaktivierung des motorischen Effektorsystems bei Patienten mit nichtflüssiger Aphasie therapeutisch nutzen lässt. In weiteren Arbeiten wurde der Zusammenhang von Sprachwahrnehmung und Sprachproduktion untersucht. Insgesamt zeigen diese Arbeiten eine (linkshemisphärische) somatotopische Korrespondenz: Wenn gesunde Probanden sprachliche Reize wie Silben oder Konsonanten hörten oder stumme Videoaufnahmen der zugehörigen Lippenbewegungen sahen, konnten über den korrespondierenden sprechmotorischen Arealen (Zunge oder Lippe) erhöhte MEP abgeleitet werden (Watkins et al. 2003). Mittels TMS konnte somit eine funktionelle Konnektivität zwischen dem Sprachverständnissystem und dem motorischen Sprechsystem aufgezeigt werden. Welche Gehirnregionen diese funktionelle Verknüpfung vermitteln, kann nur mittels einer Kombination aus TMS und funktionellen Bildgebungsverfahren geklärt werden. Erste Kombinationsstudien legen nahe, dass das Broca-Areal im inferioren Frontallappen die Integration sensorischer und motorischer Sprachrepräsentationen steuert.

43.5

Zusammenfassung und Ausblick

Die TMS ist gut etabliert als virtuelles Läsionsmodell, um die funktionelle Relevanz einzelner Hirnareale bei Sprachfunktionen zu beleuchten. Des Weiteren konnte die Bedeutung der prämorbiden Sprachdominanz im Hinblick auf eine Anfälligkeit für sprachliche Defizite nach links- oder rechtshemisphärischer Gehirnschädigung aufgezeigt werden. Die Hoffnung, dass die TMS eine nichtinvasive Alternative zum WADA-Test bei der prächirurgischen Epilepsiediagnostik darstellen könnte, hat sich nach anfänglicher Euphorie nicht erfüllt. Eine direkte Förderung sprachlicher Funktionen mittels TMS ist derzeit nicht zuverlässig möglich. Es liegen aber erste Hinweise vor, dass sich die TMS zur Beeinflussung der interhemisphärischen Hemmmechanismen bei der indirekten Förderung von sprachlichen Leistungen bei Patienten mit Aphasie einsetzen lässt. Als Maß für funktionelle Konnektivität schließlich konnte mittels TMS ein enger funktioneller Zusammenhang zwischen dem manuellen (Hand-) Gestensystem und dem Sprachsystem belegt werden. Es konnte auch eine somatotopisch organisierte Korrespondenz zwischen dem Sprachverständnissystem für Handlungen und den für die Ausführung dieser Bewegungen zuständigen motorischen Gehirnarealen sowie eine funktionelle Verbindung zwischen der Sprachperzeption und der an der Sprachproduktion beteiligten motorischen Repräsentationen demonstriert werden. Eine therapeutische Nutzung dieser funktionellen Konnektivität bei Patienten mit Sprachstörungen wurde bislang nicht berichtet. Dennoch steht die TMS-Sprachforschung auch nach 15 Jahren noch weitestgehend in den Kinderschuhen. Bislang konnten sowohl für funktionsfördernde als auch für funktionshemmende TMS nur kurzlebige Effekte erzielt werden. Zudem fielen die Effektstärken im Mittel sehr gering aus, bei hoher interindividueller Variabilität der Effekte. Gerade in Bezug auf funktionsfördernde Effekte weichen die Ergebnisse sogar innerhalb von Arbeitsgruppen bei Verwendung identischer Stimulationsparameter erheblich voneinander ab. TMS als funktionshemmende Technik hat dahingegen in verschiedenen Arbeitsgruppen relativ zuverlässige Ergebnisse erbracht. Insgesamt besteht aber weiterhin noch große Unsicherheit bez. geeigneter Stimulationsprotokolle zur Beeinflussung sprachlicher Funktionen. Die wohl wichtigste zu klärende Frage ist, ob und inwieweit man transiente TMS-Effekte in anhaltende Effekte überführen kann. Nur dann lassen sich diese Effekte auch therapeutisch nutzen. Der Einsatz der TMS erscheint zukünftig vor allem in Kombination mit funktionellen bildgebenden Verfahren interes-

Literatur

sant, z. B. um die funktionelle Relevanz von in Bildgebungsstudien beobachteten Aktivierungen kortikaler Areale zu überprüfen (7 Kap. 35–37). Weitere Studien sind notwendig, ehe die TMS routinemäßig zur Förderung sprachlicher Erholung im klinischen Setting eingesetzt werden kann (7 Kap. 55–56). Exkurs

Sprachorganisation Historisch basiert das Wissen über die Sprachorganisation des Gehirns auf der minutiösen Analyse von Verhaltensdeﬁziten bei Patienten mit umschriebenen Läsionen. Relativ große Areale des Gehirns wurden dabei als Kernmodule für bestimmte Sprachunterfunktionen wie Semantik oder Grammatik angesehen. Dieser klassische modulare Ansatz ist am bekanntesten für die beiden Haupt-»Sprachzentren« des Gehirns, das Broca-Areal im linken inferioren Frontalkortex (Sprachproduktion; Grammatik) sowie das Wernicke-Areal im posterioren superioren Anteil des linken Temporallappens (Sprachperzeption; Semantik), die über den Fasciculus arcuatus miteinander verbunden sind. Gegen diesen historischen modularen Ansatz spricht, dass nicht alle Patienten mit einer chronischen Aphasie eine strukturelle Läsion im Broca- oder im Wernicke-Areal aufweisen. Umgekehrt sind Fälle bekannt, bei denen eine strukturelle Läsion der Broca- oder Wernicke-Region nicht zu einer Beeinträchtigung von Sprachfunktionen führte. Auch konzeptuell ist nicht nachvollziehbar, dass anatomisch eng umschriebene Regionen wie das Wernicke- und Broca-Areal die Vielzahl der an Sprache beteiligten Prozesse in einer Art Hegemonie steuern. Sprache scheint stärker als bisher angenommen in einem weitverzweigten neuronalen Netzwerk organisiert zu sein, welches zudem bilateraler angelegt ist, als bislang vermutet. Innerhalb dieses Netzwerkes gibt es jedoch »Kernmodule«, die für eine erfolgreiche Funktionsausführung notwendig sind. Mittels TMS als »virtuellem Läsionsmodell« wird versucht, diese Kernmodule zu identiﬁzieren.

Literatur Buccino G, Riggio L, Melli G et al. (2005) Listening to action-related sentences modulates the activity of the motor system: a combined TMS and behavioral study. Brain Res Cogn Brain Res 24: 355–363

437

43

Cappa SF, Sandrini M, Rossini PM et al. (2002) The role of the left frontal lobe in action naming: rTMS evidence. Neurology 59: 720–723 2Devlin JT, Matthews PM, Rushworth MF (2003) Semantic processing in the left inferior prefrontal cortex: a combined functional magnetic resonance imaging and transcranial magnetic stimulation study. J Cog Neurosci 15: 71–84 Elegante neuronavigierte TMS-Läsionsstudie, die zeigt, dass der anteriore und posteriore Anteil des linken inferioren frontalen Kortex unterschiedliche Bedeutung bei der semantischen und phonologischen Verarbeitung haben. 1Drager B, Breitenstein C, Helmke U et al. (2004) Speciﬁc and nonspeciﬁc eﬀects of transcranial magnetic stimulation on picture-word veriﬁcation. Eur J Neurosci 20: 1681– 1687 Hier konnte gezeigt werden, dass die speziﬁschen TMS-Läsionseﬀekte auf Sprachfunktionen durch unspeziﬁsche intersensorische Aktivierungseﬀekte der TMS-Stimulation überlagert werden können. 2Epstein, CM, Woodard JL, Stringer AY et al. (2000) Repetitive transcranial magnetic stimulation does not replicate the Wada test. Neurology 55: 1025–1027 Mit dieser Arbeit wurde gezeigt, dass die TMS derzeit als nichtinvasive Alternative den WADA-Test bei der prächirurgischen Epilepsiediagnostik nicht ersetzen kann. Flitman SS, Grafman J, Wassermann EM et al. (1998) Linguistic processing during repetitive transcranial magnetic stimulation. Neurology 50: 175–181 Flöel A, Ellger T, Breitenstein C, Knecht S (2003) Language perception activates the hand motor cortex: implications for motor theories of speech perception. Eur J Neurosci 18: 704–708 1Gough PM, Nobre AC, Devlin JT (2005) Dissociating linguistic processes in the left inferior frontal cortex with transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 25: 8010–8016 Neuronavigierte TMS-Läsionsstudie, die eine funktionelle Doppeldissoziation für den Läsionseﬀekt im anterioren und posterioren Anteil des linken inferioren frontalen Kortex hinsichtlich semantischer und phonologischer Verarbeitung von Wortstimuli zeigt. 2Knecht S, Flöel A, Dräger B et al. (2002) Degree of language lateralization determines susceptibility to unilateral brain lesions. Nat Neurosci 5: 695–699 Diese Studie belegt bei Bedeutung der prämorbiden Sprachdominanz im Hinblick auf eine Anfälligkeit für sprachliche Deﬁzite nach links- oder rechtshemisphärischer Gehirnschädigung. Naeser MA, Martin PI, Nicholas M et al. (2005) Improved picture naming in chronic aphasia after TMS to part of right Broca‘s area: an open-protocol study. Brain Lang 93: 95– 105 Pascual-Leone A, Gates JR, Dhuna A (1991) Induction of speech arrest and counting errors with rapid-rate transcranial magnetic stimulation. Neurology 41: 697–702 Pulvermuller F, Hauk O, Nikulin VV, Ilmoniemi RJ (2005) Functional links between motor and language systems. Eur J Neurosci 21: 793–797

438

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 43 · Sprache

Rossi S, Cappa SF, Babiloni C, Pasqualetti P et al. (2001). Prefontal cortex in long-term memory: an »interference« approach using magnetic stimulation. Nat Neurosci 4, 948– 952 Sakai KL, Noguchi Y, Takeuchi T, Watanabe E (2002) Selective priming of syntactic processing by event-related transcranial magnetic stimulation of Broca’s area. Neuron 35: 1177–1182 Shapiro KA, Pascual-Leone A, Mottaghy FM et al. (2001) Grammatical distinctions in the left frontal cortex. J Cogn Neurosci 13: 713–720 Sparing R, Mottaghy FM, Hungs M et al. (2001) Repetitive transcranial magnetic stimulation eﬀects on language function depend on the stimulation parameters. J Clin Neurophysiol 18: 326–330 Steinsträter O, Sommer J, Flöel A et al. (2007). Localization of cortical targets for TMS – The Muenster T2T-Converter. Neuroimage (im Druck) 2Stewart L, Walsh V, Frith U, Rothwell JC (2001) TMS produces two dissociable types of speech disruption. Neuroimage 13: 472-478 In dieser TMS-Läsionsstudie konnte zwischen Sprechunterbrechung durch Perturbation der kortikalen Repräsentationen der Sprechmuskeln oder der Sprechplanung diﬀerenziert werden. Thiel A, Habedank B, Herholz K et al. (2006). From the left to the right: How the brain compensates progressive loss of language function. Brain Lang 98, 57–65 TöpperR, Mottaghy FM, Brügmann M, Noth J (1998) Facilitation of picture naming by focal transcranial magnetic stimulation of Wernicke‘s area. Exp Brain Res 121: 371–378 Watkins KE, Strafella AP, Paus T (2003) Seeing and hearing speech excites the motor system involved in speech production. Neuropsychologia 41: 989–994 1Winhuisen L, Thiel A, Schumacher B et al. (2005) Role of the contralateral inferior frontal gyrus in recovery of language function in poststroke aphasia: a combined repetitive transcranial magnetic stimulation and positron emission tomography study. Stroke 36: 1759–1763 In dieser Arbeit wurde die funktionelle Relevanz periläsioneller Aktivierung im linken inferioren frontalen Kortex für die Wortgenerierung aufgezeigt.

439

44

Somatosensorik Hubert R. Dinse, Patrick Ragert, Martin Tegenthoff

44.1

Einführung – 440

44.4

Anhaltende Beeinﬂussung der somatosensorischen Wahrnehmung – 441

44.2

Spulenpositionierung – 440

44.4.1

44.3

Akute Störung der somatosensorischen Wahrnehmung

Frequenzabhängige Konditionierungseffekte der regelmäßigen rTMS – 441 Weitere transkranielle Konditionierungsprotokolle – 444

44.3.1 44.3.2

– 440

Intramodale Reizverarbeitung – 440 Transmodale Reizverarbeitung – 441

44.4.2

44.5

Transkranielle Modulation von sensorischen Lernprozessen – 444

44.6

Fazit und Ausblick

Literatur

– 446

– 445

ZUM THEMA Die fokale transkranielle Magnetstimulation (TMS) des somatosensorischen Kortex, gegeben als Einzelreiz oder kurze Reizserie, stört die sensorische OnlineVerarbeitung, was zu akuten Beeinträchtigungen der taktilen Wahrnehmung führt. Dieses Verfahren eignet sich daher zur Untersuchung der Rolle bestimmter Gehirnareale im Sinne einer »virtuellen Läsion«. Niederoder hochfrequente (repetitive) rTMS führt demgegenüber zu frequenzabhängigen Veränderungen der taktilen Wahrnehmung, die auch nach Beenden der rTMS für Minuten bis Stunden bestehen bleibt. Parallel zur Wahrnehmung verändert die TMS kortikale Aktivierungsmuster und die kortikale Erregbarkeit. Weitere transkranielle Konditionierungsprotokolle sind die kürzlich eingeführte Theta-Burst-Stimulation

(engl. theta burst stimulation, TBS) sowie die Kombination aus elektrischer Reizung eines peripheren Nervs (N. medianus) mit einer Einzelreiz-TMS über dem kontralateralen primären somatosensorischen Kortex im Sinne einer gepaarten assoziativen Stimulation (engl. paired associative stimulation, PAS). Persistierende Veränderungen durch TMS (rTMS, PAS, TBS) können als eine besondere Form von Lernprozessen aufgefasst werden. Die gezielte, externe Manipulation des Gehirns mit der TMS kann Verhalten und Wahrnehmung in gezielter Weise bidirektional verändern. Dieser Konditionierungsansatz eröﬀnet vielfältige Möglichkeiten im therapeutischen Bereich und für das Verständnis von somatosensorischen Lernprozessen.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

440

Kapitel 44 · Somatosensorik

44.1

Einführung

Die Verwendung der TMS im Bereich der Somatosensorik ist in den Grundzügen vergleichbar mit ihrem Einsatz in anderen Gebieten. Die TMS wird im Sinne einer »virtuellen Läsion« genutzt, um mit Einzelpulsen oder kurzen, hochfrequenten Reizserien die intrinsische Verarbeitung somatosensorischer Stimuli kurzzeitig zu stören. Dabei handelt es sich um eine sog. Online-Anwendung, d. h. die unmittelbaren funktionellen Auswirkungen der TMS sind Gegenstand der Untersuchung. Neben der psychophysischen Untersuchung der sensorischen Wahrnehmung können auch die akuten Auswirkungen der TMS auf die neuronale Aktivität während der sensorischen Reizverarbeitung mit EEG oder funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) erfasst werden (7 Kap. 31). Analog zur Motorik ist es auch im Bereich der Somatosensorik durch Doppelpulsreizung eines peripheren Nervs möglich, die Erregbarkeit im somatosensorischen System zu untersuchen. In Abhängigkeit vom Interstimulusintervall wird die Amplitude des zweiten somatosensorisch evozierten kortikalen Potenzials gegenüber der Amplitude des ersten Potenzials unterdrückt. Das Ausmaß der Suppression kann als Maß der Erregbarkeit hemmender neuronaler Mechanismen im somatosensorischen System bewertet werden. Die TMS-induzierten Effekte können über den eigentlichen Stimulationszeitpunkt hinaus unterschiedlich lange anhalten, was vom verwendeten Stimulationsprotokoll abhängt (z. B. Benutzung einer regelmäßigen oder intermittierenden Reizserie; 7 Kap. 50–51). Damit eröffnet sich die Möglichkeit, im Sinne einer Offline-Anwendung der TMS, mit verschiedenen TMS-Konditionierungsprotokollen eine länger anhaltende Neuromodulation somatosensorischer Funktionen zu induzieren. Sowohl die Qualität als auch der Zeitverlauf der veränderten somatosensorischen Wahrnehmung und kortikalen Verarbeitung können mit psychophysischen Messungen und modernen funktionellen Kartierungsverfahren (z. B. EEG und fMRT) untersucht werden. Obwohl über die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Langzeiteffekte der TMS, die im somatosensorischen System für Minuten bis Stunden anhalten können, noch wenig bekannt ist, können diese Konditionierungseffekte konzeptionell als eine Art von Lernprozess aufgefasst werden. Dies macht es möglich, intrinsische Lernprozesse mittels TMS von außerhalb anzuregen oder zu modulieren und die zugrunde liegenden Mechanismen im Detail zu studieren.

44.2

Spulenpositionierung

Für Untersuchungen des somatosensorischen Systems ist eine korrekte Positionierung der TMS-Spule unabdingbar. Bei Untersuchungen des primären motorischen Kortex kann die optimale Position der Spule durch Registrierung der evozierten Muskelantwort kontrolliert werden. Für die TMS des primären somatosensorischen Kortex werden unterschiedliche Verfahren zur Spulenpositionierung eingesetzt. Ist beispielsweise die kortikale sensorische Präsentation des Zeigefingers Ziel der TMS-Untersuchung, kann die Spulenposition dadurch bestimmt werden, dass die Spule solange auf der Schädeloberfläche verschoben wird, bis eine Einzelpuls-TMS die Wahrnehmung von am Zeigefinger applizierten, taktilen Stimuli maximal unterdrückt. Alternativ kann zunächst mit der Einzelpuls-TMS der optimale Stimulationsort der motorischen Repräsentation eines zugeordneten Handmuskels im primären motorischen Kortex bestimmt werden. Dieser optimale motorische Stimulationsort (engl. motor hot spot) kann als Referenzpunkt für die Stimulation des primären somatosensorischen Kortex verwendet werden, indem die Spule vom »motor hot spot« um ca. 2 cm in posteriore Richtung verschoben wird. Ein Teil der Versuchspersonen berichten über unspezifische Wahrnehmungen wie leichtes Kitzeln oder Kribbeln in den Fingern. Als dritte Positionierungsmethode steht die neuronavigierte TMS zur Verfügung (7 Kap. 32). Hier erfolgt die Spulenplazierung mittels rahmenloser Stereotaxie, basierend auf der vorherigen Bestimmung der individuellen Koordinaten der Fingerrepräsentation mittels funktioneller MRT.

44.3

Akute Störung der somatosensorischen Wahrnehmung

44.3.1 Intramodale Reizverarbeitung Die TMS des primären somatosensorischen Handareals wurde erfolgreich eingesetzt, um mit der Wahrnehmung nichtschmerzhafter, somatosensorischer Stimuli zu interferieren. Wird ein transkranieller Einzelreiz über der kontralateralen Fingerrepräsentation des somatosensorischen Kortex gleichzeitig oder bis zu 20 ms nach einer elektrischer Stimulation des Zeigefingers verabreicht, unterdrückt der transkranielle Reiz die Wahrnehmung des elektrischen Stimulus (Cohen et al. 1991). Erfolgte die transkranielle Stimulation 200 ms vor der Fingerreizung wurde die Wahrnehmung abgeschwächt, während eine Einzelreiz-TMS 200 ms nach der Fingerreizung die Wahr-

44.4 Anhaltende Beeinﬂussung der somatosensorischen Wahrnehmung

nehmung nicht beeinflusste (Cohen et al. 1991). Der suppressive Effekt der TMS auf die Perzeption war somatotopisch spezifisch und wurde von der Stimulusintensität der peripheren und transkraniellen Stimulation beeinflusst. Diese Befunde zeigen, dass die Einzelreiz-TMS im somatosensorischen Kortex innerhalb eines Zeitfensters von mehreren Hundert Millisekunden zu einer Unterdrückung der Reizwahrnehmung führt. Weitere Arbeiten bestätigten und erweiterten diese Ergebnisse. So fanden Seyal et al. (1997), dass durch die TMS neben der Stimulusdetektion auch die Lokalisation kutaner Reize über einen Zeitraum von bis zu 400 ms beeinträchtigt wird. Eine weitere TMSStudie belegte, dass der primäre somatosensorische Kortex nicht nur an der unmittelbaren Verarbeitung einzelner sensorischer Stimuli, sondern auch an der Aufrechterhaltung der sensorischen Information im Arbeitsgedächtnis beteiligt ist (Harris et al. 2002). Die Autoren untersuchten den Einfluss der TMS über der Fingerrepräsentation des primären somatosensorischen Kortex auf eine taktile Diskriminationsaufgabe, in der die Versuchspersonen zwei nacheinander applizierte taktile Stimuli auf Unterschiede in der Stimulusfrequenz hin beurteilen mussten. Diese Aufgabe erforderte, die erste als Referenz dienende Frequenz während des Intervalls (1500 ms) zwischen den beiden Stimuli im Arbeitsgedächtnis zu behalten und anschließend mit der zweiten Testfrequenz zu vergleichen. Wurde nun ein transkranieller Einzelreiz während der frühen Phase (300–600 ms nach dem ersten Stimulus) appliziert, wurde die Unterscheidungsfähigkeit signifikant gestört. Eine TMS in der späteren Phase (900–1200 ms nach dem ersten Stimulus) hatte dagegen keinen Effekt.

44.3.2 Transmodale Reizverarbeitung Untersuchungen mithilfe der funktionellen Bildgebung zeigten, dass blinde Personen während des Lesens von Blindenschrift (Braille) den primären visuellen Kortex aktivieren. Cohen et al. (1997) setzte die TMS als Läsionsinstrument ein um zu klären, ob die Aktivierung des visuellen Kortex für die taktile Verarbeitung der Blindenschrift auch tatsächlich relevant ist. Bei Blinden, nicht jedoch bei den gesunden Kontrollpersonen, führte eine kurze, hochfrequente Reizserie über dem visuellen Kortex während des Braille-Lesens zu Lesefehlern und beeinträchtigte die taktile Wahrnehmung, was darauf hindeutet, dass diese Aktivierung für Braille-Lesen notwendig ist. Mit einem vergleichbaren Ansatz konnten Zangaladze et al. (1999)

441

44

für sehende Probanden zeigen, dass die Diskriminationsleistung von taktilen Gitterreizen mit der Fingerkuppe durch die TMS über dem occipitalen visuellen Kortex gestört wird, während die taktile Wahrnehmung einer Oberflächentextur nicht beeinflusst wurde. Offensichtlich sind für die Wahrnehmung von räumlich-taktilen Objekteigenschaften, wie z. B. die Orientierung auch solche kortikalen Areale beteiligt, die für die Verarbeitung von visuellen Orientierungsreizen zuständig sind (7 Kap. 45).

44.4

Anhaltende Beeinﬂussung der somatosensorischen Wahrnehmung

Die Wirkung der TMS bleibt nicht auf die unmittelbare Zeit der eigentlichen Applikation beschränkt, sondern kann in Abhängigkeit vom verwendeten Stimulationsprotokoll über den Stimulationszeitpunkt hinaus die perzeptiven Leistungen beeinflussen. Die meisten Informationen liegen zu den konditionierenden Effekten einer rTMS des primären somatosensorischen Kortex vor, die in charakteristischer Weise von der Frequenz der rTMS abhängen.

44.4.1 Frequenzabhängige

Konditionierungseﬀekte der regelmäßigen rTMS Eine prolongierte (>10 min) niederfrequente (~1 Hz) rTMS des primären motorischen Handareals induziert eine Abnahme der kortikomotorischen Erregbarkeit, was sich in einer Suppression der MEP-Amplitude widerspiegelt (7 Kap. 50). Dagegen führt die hochfrequente rTMS mit einer Wiederholungsrate von 5 Hz zu einer anhaltenden Bahnung der MEP-Amplitude im Sinne einer Anhebung der kortikalen Erregbarkeit (7 Kap. 50). Über die Ableitung der somatosensorisch evozierten Potenziale (SEP) und der Verwendung eines Doppelpulsparadigmas ist es möglich die Erregbarkeitsänderungen des somatosensorischen Systems nach einer rTMS zu untersuchen (. Abb. 44.1). Hierbei werden zwei identische elektrische Stimuli im Abstand von 30 ms mit dem zweieinhalbfachen der sensorischen Reizschwelle über einem peripheren Nerv, z. B. dem N. medianus, an der Handwurzel verabreicht. In Abhängigkeit vom Interstimulusintervall wird die Amplitude des zweiten somatosensorisch evozierten kortikalen Potenzials gegenüber der Amplitude des ersten Potenzials unterdrückt. Das Ausmaß der Suppression kann als Maß der Erregbarkeit hemmender neuronaler Mechanismen im somatosenso-

442

41

Kapitel 44 · Somatosensorik

a

c

42 43 44

b

d

45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a–d. Beeinﬂussung des zweiten somatosensorischen evozierten Potenzials (SEP) in einem Doppelpulsparadigma: Doppelpuls-Verhalten der SEP-Amplitude (N20-P25Komponente) vor/nach einer konditionierenden 5-Hz-rTMS über dem linken primären somatosensorischen Kortex. Das SEP wurde durch elektrische Doppelreizung des N. medianus unter Verwendung eines Interstimulusintervalles von 30 ms ausgelöst. Nach der rTMS ist die SEP-Amplitude des zweiten Reizes im stimulierten Kortex (ipsilateraler SI) weniger stark unterdrückt (a). Eine vergleichbare Erregbarkeitserhöhung

(Abnahme der Doppelpulshemmung) fehlt auf der Gegenseite (nichtstimulierter kontralateraler SI) (b). Quantiﬁzierung der Erregbarkeitserhöhung durch Darstellung des mittleren Amplitudenquotienten (A2/A1) vor und nach der 5-Hz-rTMS (n=13). Während für die linke stimulierte Hemisphäre (c) die Doppelpulshemmung des SEP signiﬁkant abnimmt, bleibt sie auf der rechten, nicht mit der rTMS konditionierten Seite unverändert (d)SI primärer somatosensorischer Kortex. (Mod. nach Ragert et al. 2004; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

rischen System bewertet werden. Die typische Doppelpulshemmung der N20-P25-Komponente des SEP nahm nach hochfrequenter (5 Hz) rTMS als Beleg für eine anhaltende Erhöhung der Exzitabilität signifikant ab (Ragert et al. 2004). Dagegen verstärkte die niederfrequente (1 Hz) TMS die Doppelpulshemmung der SEP-Amplitude (Tegenthoff et al. 2006). Diese SEPDoppelreiz-Messungen legen nahe, dass die kontinuierliche rTMS auch im somatosensorischen Kortex eine bidirektionale Modulation der kortikalen Erregbarkeit mit einer Abnahme der Erregbarkeit nach niederfrequenter rTMS und Zunahme der Erregbarkeit nach hochfrequenter rTMS induzieren kann. Eine »hemmende« niederfrequente 1-Hz-rTMS führt auf der Verhaltensebene zu einer Beeinträchtigung der taktilen Frequenzdiskriminationsleistung (Knecht et al. 2003). Eine 2 min 1-Hz-rTMS beeinträchtigte die taktile Frequenzdiskrimination für ca. 5 min. Die Dauer des Nacheffekts ließ sich durch eine 8 min 1-Hz-rTMS auf 20 min verlängern (Knecht et al. 2003). Vergleichbare Befunde berichten Satow et al. (2003), die nach 900 Pulsen einer kontinuierlichen 0,9-Hz-rTMS eine Erhöhung der Tastschwelle für einige Minuten feststellen konnten.

Dagegen kann die »bahnende« hochfrequente (5 Hz) rTMS des primären somatosensorischen Handareals neben Erregbarkeitsveränderungen die taktile Leistungsfähigkeit verbessern. Tegenthoff et al. (2005) untersuchten die taktile räumliche ZweipunktDiskriminationsleistung der Finger vor und nach einer kontralateralen 5-Hz-rTMS (2500 Pulse über 20 min) der primären somatosensorischen Zeigefingerrepräsentation. Die 5-Hz-rTMS verbesserte die Diskriminationsleistung des Zeigefingers. Dieser Effekt bildete sich erst 90 Min nach Stimulationsende zurück. Die Diskriminationsleistung des Ringfingers verbesserte sich ebenfalls, allerdings war der Effekt weniger stark und kürzer ausgeprägt. Die verbesserte Diskriminationsleistung ging mit einer Zunahme der kortikalen Aktivierung des primären somatosensorischen Kortex einher. (. Abb. 44.2). Dabei fand sich ein linearer Zusammenhang zwischen der individuellen Leistungsverbesserung und dem regionalen Zuwachs an aufgabenbedingter Aktivierung, was auf einen Zusammenhang zwischen kortikaler Reorganisation und Leistungsverbesserung hindeutet. Im Gegensatz zum primären somatosensorischen Kortex hatte die 5-Hz-rTMS keine anhaltende Auswirkungen auf

44.4 Anhaltende Beeinﬂussung der somatosensorischen Wahrnehmung

a

443

44

b

c

. Abb. .a–c. Konditionierende Eﬀekte einer 5-Hz-rTMS der Zeigeﬁngerrepräsentation im primären somatosensorischen Kortex. a Zeitverlauf der verbesserten Zweipunktdiskriminationsleistung in Prozent bezogen auf die Ausgangsleistung für den Zeigeﬁnger (d2 schwarze Farbe) und den Ringﬁnger (d4 blaue Farbe) nach einer 5-Hz-rTMS über der kontralateralen kortikalen Fingerrepräsentation des primären somatosensorischen Kortex. b Psychometrische Funktionen (logistische Regression) der Diskriminationsleistung einer Versuchsperson vor rTMS (oben), unmittelbar danach (Mitte) und 3 h nach TMS (unten). Nach 5-Hz-rTMS verschiebt sich die

Funktion zu niedrigen Werten und die Schwelle sinkt (50 korrekte Antworten) um 0,20 mm. Nach 3 h erreicht sie wieder die Ausgangswerte (vor rTMS: 1,75 mm; 45 min. nach rTMS: 1,55 mm; 3 h nach rTMS: 1,72 mm). c Gruppenergebnisse funktioneller Bildgebung: Im Vergleich zur Ausgangsmessung kommt es nach der 5-Hz-rTMS zu einer signiﬁkanten Zunahme der regionalen Aktivierung (hellblaue Fläche) während der taktilen Diskrimination im primären sensomotorischen Kortex ipsilateral zur rTMS (p=0,001 unkorrigiert für multiple Vergleiche; Spitzenaktivierung: T-score=4,15; x,y,z (mm): –54, –14, 50). (Mod. nach Tegenthoﬀ et al. 2005)

die funktionelle Aktivierung des sekundären somatosensorischen Kortex. Umfangreiche Kontrolluntersuchungen zeigten, dass sowohl die taktile Wahrnehmung als auch kortikale Reorganisation somatotopisch spezifisch waren, da z. B. nach der 5-Hz-rTMS über dem kortikalen Repräsentationsareal des Beines keinerlei Veränderungen der Diskriminationsleistung der Finger oder der Aktivierung der Handrepräsentation nachweisbar waren. Eine 5-Hz-rTMS über der Fingerrepräsentation im primären somatosensorischen Kortex führt auch zu einer Verbesserung der taktilen Frequenzdiskrimination, die bis zu 2 h nach Stimulationsende anhält. Hier zeigte die begleitende Bildgebung der funktionellen Aktivierung während der Frequenzdiskriminationsaufgabe, dass die 5-Hz-rTMS zu einer funk-

tionellen Reorganisation sowohl im primären somatosensorischen als auch im primären motorischen Handareal führte (Pleger et al. 2006). Die kortikalen Aktivitätsveränderungen können durch die erhöhte Erregbarkeit im primären somatosensorischen Kortex sowie durch eine intensivere effektive Konnektivität zwischen den primären somatosensorischen und motorischen Fingerrepräsentationen erklärt werden (Pleger et al. 2006). Die bisherigen Befunde deuten darauf hin, dass nieder- und hochfrequente TMS eine gegenläufige Auswirkung auf das Verhalten, die kortikale Erregbarkeit und die regionale Aktivität hat. Dass die niederfrequente rTMS allerdings nicht unbedingt zu einer Verschlechterung taktiler Leistungsfähigkeit führen muss, zeigen Untersuchungen, bei denen meh-

444

Kapitel 44 · Somatosensorik

55

rere taktile Verhaltenstests für den Zeigefinger nach einer niederfrequenten (1 Hz) und hochfrequenten (5 Hz) rTMS des kontralateralen primären somatosensorischen Kortex durchgeführt wurden. Dabei zeigte sich, dass die Tastschwelle durch keines der beiden Protokolle beeinflusst wurde. Dagegen zeigten die Leistungsprofile während der Zweipunktdiskrimination und Zweipunktlokalisation, bei der die absolute Position eines Reizes auf der Fingerkuppe erkannt werden musste, ein jeweils entgegen gesetztes Verhalten (Tegenthoff et al. 2006): Nach der »bahnenden« 5Hz-rTMS war die Diskriminationsleistung verbessert, die Lokalisationsleistung aber deutlich verschlechtert. Dagegen war nach der »hemmenden« 1-Hz-rTMS ein umgekehrtes Verhaltensmuster zu beobachten. Die psychophysischen Messungen belegen einen »Tradeoff« zwischen der Stimuluslokalisation und Diskrimination. Weiterhin zeigen diese Befunde, dass die rTMS frequenzabhängig die kortikale taktile Verarbeitung umstrukturieren kann und die funktionellen Auswirkungen auf perzeptive Leistungen stark aufgabenabhängig sind. In den letzten Jahren verdichten sich die Hinweise, dass die transkranielle Kortexstimulation im menschlichen Gehirn Lernprozesse induzieren kann, die Ähnlichkeit zu physiologischen Lernprozessen haben (7 Kap. 50–55). Im weitesten Sinn kann Lernen als eine Leistungsverbesserung aufgefasst werden, die nach Beenden des Lernvorgangs für eine gewisse Zeit persistiert. Vor diesem Hintergrund wird die Frage diskutiert, ob es sich bei den beobachteten Veränderungen der taktilen Wahrnehmungsleistungen um eine Folge veränderter kortikaler Erregbarkeit handelt. Es könnten aber auch spezielle, der synaptischen Plastizität ähnelnde Formen von Lernen vorliegen, wie z. B. Langzeitpotentierung (engl. long-term potentiation, LTP) oder Langzeitdepression (engl. long-term depression, LTD) (Seitz u. Dinse 2007).

56

44.4.2 Weitere transkranielle

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

57 58 59 60

Konditionierungsprotokolle Eine ebenfalls wirksame, aber noch schnellere Methode, andauernde Veränderungen der taktilen Verarbeitung und Wahrnehmung auszulösen, ist die kürzlich eingeführte Theta-Burst-Stimulation (engl. theta burst stimulation, TBS). Die Gabe hochfrequenter Reizserien (engl. bursts) mit einer Wiederholungsfrequenz der Serien im Theta-Bereich (»theta-burst«) orientiert sich an häufig benutzten Stimulationsprotokollen für die Untersuchung von Gehirnschnitten (7 Kap. 50). Hier hat eine intermittierende TBS einen bahnenden

Effekt auf die kortikale Erregbarkeit. Eine intermittierende TBS des primären somatosensorischen Kortex verbesserte die Zweipunktdiskriminationsleistung des Zeigefingers im gleichen Maße wie eine 5-Hz-rTMS und erhöhte die kortikale Erregbarkeit gemessen mit dem SEP-Doppelpulsparadigma (Ragert et al. 2007). Sowohl die Verhaltens- als auch die Erregbarkeitsänderung hielten für mindestens 30 min nach Stimulationsende an. Andere motorische Kontrollaufgaben wurden durch die intermittierende TBS über dem somatosensorischen Kortex nicht verändert. Ein weiteres Konditionierungsprotokoll kombiniert die elektrische Reizung eines peripheren Nervs (N. medianus) mit einer Einzelreiz-TMS über dem kontralateralen primären somatosensorischen Kortex (Wolters et al. 2005). Hierbei wird ein konstantes Intervall zwischen dem peripheren und transkraniellen Stimulus im Sinne einer gepaarten assoziativen Stimulation (engl. paired associative stimulation, PAS) verwendet, wobei es sich empfiehlt das Interstimulusintervall an die individuelle N-20-Latenz des SEP zu adjustieren (7 Kap. 51). Das Intervall zwischen dem vorausgehenden peripheren und nachfolgenden transkraniellen Stimulus entscheidet über die Effektivität und Richtung der durch das sensorische PASProtokoll induzierten Erregbarkeitsänderung gemessen durch das SEP. Damit ermöglicht die sensorischkortikale PAS die nichtinvasive Untersuchung der »spike-timing-dependent plasticity, STDP« auf systemischer Ebene im intakten menschlichen Gehirn.

44.5

Transkranielle Modulation von sensorischen Lernprozessen

Eine Reihe von Arbeiten deutet darauf hin, dass sich eine TMS-Gabe unmittelbar vor oder während einer Lern- oder Trainingsphase verstärkend auf den Lernausgang auswirkt. Taktile Koaktivierung auf dem Zeigefinger, ein passives, an Hebb’schen Lernregeln (7 Kap. 51) orientiertes Stimulationsprotokoll, induziert parallel zur Reorganisation der Zeigefingerrepräsentation eine Verbesserung des Tastsinns (Dinse et al. 2005). Wird eine 5-Hzr-TMS über der Fingerrepräsentation des primären somatosensorischen Kortex während der 3 h Koaktivierungsphase für 20 min appliziert, verdoppelt sich die Leistungsverbesserung des Zeigefingers. Dabei zeigte sich, dass die verstärkende Wirkung der rTMS auf solche Versuchspersonen beschränkt war, die durch Koaktivierung alleine nur geringe Verbesserungen zeigten, während Personen, die bereits von der Koaktivierung alleine stark profitierten, durch die Kombination von rTMS und

445

44.6 Fazit und Ausblick

Koaktivierung nur eine geringe zusätzliche Verbesserung aufwiesen (Ragert et al. 2003). Bei gesunden Probanden führte die Kombination einer 15-Hz-rTMS des primären somatosensorischen Kortex mit einem taktilen Diskriminationstraining im Gegensatz zu einem alleinigen Diskriminationstraining (kombiniert mit einer ineffektiven rTMS) oder einer alleinigen rTMS zu einer anhaltenden, aufgabenspezifischen Leistungsverbesserung (Karim et al. 2006). Die Kombination aus rTMS und Training bestand aus einer zeitlich kontingenten taktilen Stimulation des Testfingers und einer »externen« Voraktivieung des kontralateralen primären somatosensorischen Kortex mittels hochfrequenter rTMS. Dieser trainingsfördernde Effekt war spezifisch für das Lernen während der räumlichen Diskriminationsaufgabe; das Lernen der Frequenzdiskriminierung wurde durch die TMS-Voraktivierung nicht beeinflusst.

44.6

44

Fazit und Ausblick

Mithilfe von TMS können gezielt somatosensorische Funktionen frequenzabhängig verändert werden. Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der weiteren Optimierung von Stimulationsprotokollen (höhere Frequenzen, größere räumliche Fokussierung) sowie des Erreichens größerer Persistenz TMS-induzierter Veränderungen. Weitere offene Fragen betreffen die Auswirkungen von TMS über nichtprimären, sondern höheren, sog. Assoziationsarealen, z. B. dem sekundären somatosensorischen Kortex. Unklar ist hier, welche höheren kognitiven Funktionen dadurch modulierbar sind. Sinnvoll erscheint auch die Anwendung von TMS im Bereich Somatosensorik als Therapie und Intervention bei somatosensorischer Beeinträchtigungen (Dystonie, Neuropathien, Diabetes, Schlaganfall).

Exkurs

Somatosensorik Unter Somatosensorik versteht man die Gesamtheit der Empﬁndungen, die durch Reizung der verschiedenen Sensoren (Rezeptoren) des Körpers (mit Ausnahme des Sehens, Hörens, Schmeckens, Riechens und des Gleichgewichtsinns) hervorgerufen werden. Der Tastsinn liefert dabei wesentliche Informationen über die Beschaﬀenheit von Gegenständen, insbesondere über deren Oberﬂächen. Die wichtigsten Mechanorezeptoren, die den Tastsinn ermöglichen, liegen in unterschiedlichen Schichten der Haut und vermitteln speziﬁsche Informationen über Stärke, Geschwindigkeit und Beschleunigung taktiler Reize. Die Zellkörper der primären Aﬀerenzen liegen in den Spinalganglien. Die dickeren markhaltigen Aﬀerenzen der Mechanorezeptoren verzweigen sich im Rückenmark: Ein Ast zieht in den Hintersträngen auf der gleichen Seite zu den Hinterstrangkernen der Medulla oblongata (Hinterstrang-Lemniskales-System). Die Neurone, die von hier ausgehen, kreuzen im Lemniscus medialis auf die gegenüberliegende Seite und enden im Projektionskern des Thalamus, dem ventroposterolateralen Kern (VPL). Von hier gehen Bahnen zu den Neuronen des somatosensorischen Projektionsfeldes im Gyrus postcentralis des Kortex. Ein anderer Ast zieht zu Neuronen des Hinterhorns des Rückenmarks und bildet die anterolaterale/spinothalamische Bahn, die bereits auf der Ebene des Rückenmarks kreuzt. Das Hinterstrangsystem dient der

Übermittlung mecha nosensorischer und propriozeptiver Informationen. Das anterolaterale/spinothalamische System übermittelt dagegen Informationen für den Temperatursinn und den Schmerz. Der primäre somatosensorische Kortex (SI) enthält eine komplette Abbildung der Körperoberﬂäche (Somatotopie), die als »Homunculus« bezeichnet wird. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass Körperteile mit hoher Rezeptorendichte viel Raum im Kortex beanspruchen (Überrepräsentation), während solche mit geringer Rezeptorendichte unproportional wenig Raum benötigen. Überrepräsentierte Körperteile sind Hände und Gesicht; Torso, Arme und Beine sind unterrepräsentiert. Die Form des Homunculus ist nicht fest verdrahtet, sondern kann sich durch Verletzung (z. B. nach Amputation) oder nach Training und Lernen umgestalten. So haben z. B. Blinde, die Blindenschrift lernen, vergrößerte Repräsentationen der Finger im SI. Reize, die Lernprozesse induzieren, die ihrerseits zu Veränderungen der Fingerrepräsentation führen, nehmen ihren Ursprung in den Mechanorezeptoren des Fingers und werden von dort über den oben beschrieben »taktilen Pfad« bis zum SI geleitet. Auch rTMS verändert den Homunculus. In diesem Fall wird aber der taktile Pfad umgangen, und neuronale Aktivität, die Lernprozesse auslöst, direkt im SI durch TMS erzeugt.

446

Kapitel 44 · Somatosensorik

. Abb. .. Die transkranielle Kortexstimulation des primären somatosensorischen Kortex löst eine Kaskade von funktionellen Änderungen im somatosensorischen System aus. Die durch TMS (rTMS repetitive transkranielle Magnetstimulation; PAS »paired associative«-Stimulation; TBS Theta-Burst-Stimulation) ausgelösten Veränderungen im somatosensorischen System betreﬀen: 1 Somatosensorischer Kortex (SI); 2 Fingerrepräsentation in SI; 3 Thalamus; 4 Hirnstamm; 5 Rückenmark; 6 Mechanorezeptoren in der Fingerspitze

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Literatur Cohen LG, Bandinelli S, Sato S et al. (1991) Attenuation in detection of somatosensory stimuli by transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 81: 366–376 2Cohen LG, Celnik P, Pascual-Leone A et al. (1997) Functional relevance of cross-modal plasticity in blind humans. Nature 389: 180–183 Die Autoren zeigen mittels «virtueller Läsion« (EinzelpulsTMS), welche Rolle die Aktivierung des visuellen Kortex für die Fähigkeit des Braille-Lesens spielt. 1Dinse HR, Kalisch T, Ragert P et al. (2005) Improving human haptic performance in normal and impaired human populations through unattended activation-based learning. Transaction Appl Perc 2: 71–88 Übersichtsartige Darstellung des Potenzials passiver Stimulationsprotokolle wie beispielsweise TMS für die Auslösung von Lernprozessen. Harris JA, Miniussi C, Harris IM, Diamond ME (2002) Transient storage of a tactile memory trace in primary somatosensory cortex. J Neurosci 22: 8720–8725 1Karim AA, Schuler A, Hegner YL et al. (2006) Facilitating effect of 15-Hz repetitive transcranial magnetic stimulation on tactile perceptual learning. J Cogn Neurosci 18: 1577– 1585 Die Autoren zeigen, dass hochfrequente TMS während einer taktilen Trainingsaufgabe das Trainingsergebnis aufgabenspeziﬁsch verstärkt. Knecht S, Ellger T, Breitenstein C et al. (2003) Changing cortical excitability with low-frequency transcranial magnetic sti-

mulation can induce sustained disruption of tactile perception. Biol Psychiatry 53: 175–179 Pleger B, Blankenburg F, Bestmann S et al. (2006) Repetitive transcranial magnetic stimulation-induced changes in sensorimotor coupling parallel improvements of somatosensation in humans. J Neurosci 26: 1945–1952 1Ragert P, Dinse HR, Pleger B et al. (2003) Combination of 5 Hz repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) and tactile coactivation boosts tactile discrimination in humans. Neurosci Letters 348: 105–108 Die Autoren zeigen, dass hochfrequente TMS während einer taktilen peripheren Stimulation die dadurch ausgelösten Lernprozesse speziﬁsch für schwache Lerner verstärkt. Ragert P, Becker M, Tegenthoﬀ M et al. (2004) Sustained increase of somatosensory cortex (SI) excitability by 5Hz repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) studied by paired median nerve stimulation. Neurosci Letters 356: 91–94 Ragert P, Franzkowiak S, Schwenkreis P et al. (2007) Improvement of tactile perception and enhancement of cortical excitability through intermitted theta burst rTMS over primary somatosensory cortex in humans. (eingereicht) Satow T, Mima T, Yamamoto J et al. (2003) Lasting impairment of tactile perception by 0.9Hz-rTMS of the sensorimotor cortex. Neurology 60: 1045–1047 Seitz A, Dinse HR (2007) A common framework for perceptual learning. Curr Op Neurobiol 17: 1–6 Seyal M, Siddiqui I, Hundal NS (1997) Suppression of spatial localization of a cutaneous stimulus following transcranial magnetic pulse stimulation of the sensorimotor cortex. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 105: 24–28

Literatur

2Tegenthoﬀ M, Ragert P, Pleger B et al. (2005) Persistent improvement of tactile discrimination performance and enlargement of cortical somatosensory maps after 5 Hz rTMS. PloS Biol 3:e362 Die Autoren zeigen durch Kombination von rTMS, Verhaltensunterschungen und fMRI, dass die alleinige Applikation von hochfrequenter TMS ohne Einbeziehung des taktilen Pfades zu nachhaltigen Verbesserungen der taktilen Wahrnehmungsleistungen führt. Tegenthoﬀ M, Franzkowiak S, Ragert P et al. (2006) Diﬀerential eﬀects of high- and low-frequency rTMS on diﬀerent tactile perceptual tasks and on cortical excitability of human somatosensory cortex (SI). Society for Neuroscience Abstracts 53.28 2Wolters A, Schmidt A, Schramm A et al. (2005) Timing-dependent plasticity in human primary somatosensory cortex. J Physiol 565: 1039–1052 Die Autoren nutzen eine TMS-basierte gepaarte assoziative Stimulation, um beim Menschen Eigenschaften und Auswirkungen der sog. »spike-timing dependent plasticity« zu untersuchen. Zangaladze A, Epstein CM, Grafton ST, Sathian K (1999) Involvement of visual cortex in tactile discrimination of orientation. Nature 401: 587–590

447

44

45

449

Visuelle Verarbeitung Til Ole Bergmann, Hartwig Roman Siebner

45.1

Einführung – 450

45.4

Funktionelle Interaktionen zwischen visuellen Arealen – 452

45.2

Mentale Chronometrie des primären visuellen Kortex – 450

45.4.1

45.3

Visuelle Verarbeitung in höheren visuellen Arealen – 450

Wechselwirkungen zwischen Areal V1 und V5 – 452 Einﬂuss des frontalen Augenfelds auf okzipitale visuelle Areale – 453

45.3.1 45.3.2

Bewegungswahrnehmung – 450 Objekterkennung – 451

45.4.2

45.5

Multimodale Wahrnehmung – 454

45.6

Visuelle Vorstellung

45.7

Ausblick – 455

Literatur

– 457

– 454

ZUM THEMA Dieses Kapitel beschreibt, wie die kortikale visuelle Reizverarbeitung mithilfe der TMS untersucht werden kann. Verschiedene experimentelle Ansätze erlauben es, den zeitlichen Ablauf visueller Verarbeitung, den funktionellen Beitrag einzelner Kortexareale sowie die funktionellen Interaktionen zwischen visuellen Kortexarealen zu charakterisieren. Zunächst werden TMSUntersuchungen zur »mentalen Chronometrie« der visuellen Reizverarbeitung im primären visuellen Kortex (Areal V1) behandelt. Im Weiteren werden Studien vorgestellt, welche die Beteiligung des Areals V5 an der Bewegungswahrnehmung und bewegungs-

speziﬁschen Aufmerksamkeit, des hinteren Sulcus temporalis superior an der Wahrnehmung biologischer Bewegung und des lateralen okzipitalen Komplexes an der Objektwahrnehmung untersuchten. Außerdem wird diskutiert, wie die TMS die funktionellen Interaktionen zwischen den Arealen V5 und V1 sowie zwischen dem frontalen Augenfeld und okzipitalen visuellen Arealen aufdecken kann. Abschließend wird die Rolle des Areals V1 im Rahmen multimodaler Wahrnehmung dargestellt und die Bedeutsamkeit okzipitaler und parietaler Kortexareale für die visuelle Vorstellung aufgezeigt.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

450

Kapitel 45 · Visuelle Verarbeitung

45.1

Einführung

Die TMS bietet die Möglichkeit, die Funktionen einzelner visueller Areale zu charakterisieren, ihre exakte zeitliche Beteiligung an bestimmten Verarbeitungsprozessen zu analysieren (Chronometrie) und die funktionellen Wechselwirkungen zwischen visuellen Kortexarealen zu untersuchen. Im Folgenden werden exemplarisch Studien vorgestellt, welche diese Fragestellungen mithilfe geeigneter experimenteller Designs untersucht haben. Grundlegendes zur Stimulation des visuellen Kortex wie die Induktion von Phosphenen und Skotomen werden in 7 Kap. 19 beschrieben. Informationen zur funktionellen Neuroanatomie des visuellen Systems sowie zu den wichtigsten theoretischen Konzepten sind in der Exkursbox zusammengestellt.

45.2

Mentale Chronometrie des primären visuellen Kortex

Um das kritische Zeitfenster der notwendigen Beteiligung des primären visuellen Kortex (Areal V1) an der Verarbeitung einfacher visueller Reize zu ermitteln, wurden zwei eng verwandte Paradigmen eingesetzt: Maskierung und Demaskierung. Maskierung. Bei der Maskierung wird die bewusste

Wahrnehmung eines visuellen Stimulus durch einen nachfolgenden TMS-Einzelreiz unterdrückt. In den klassischen Experimenten von Amassian et al. (1998) mussten gesunde Probanden 16 ms lang dargebotene Buchstaben-Trigramme geringer Luminanz erkennen, wobei in variablen Zeitabständen nach Stimuluspräsentation TMS-Einzelreize mittels einer Rundspule über dem Areal V1 appliziert wurden (7 Kap. 19). Zwischen 60 und 120 ms nach dem Stimulus störte die TMS die bewusste Wahrnehmung der Buchstaben, zwischen 80 und 100 ms unterdrückte sie diese sogar vollständig. Seitliches Verschieben der Spule um wenige Zentimeter hatte zudem eine stärkere Maskierung der kontralateralen Ziffer des Triplets zur Folge, was die räumliche Spezifität des Effekts unterstreicht und einen TMS-induzierten Lidschlussreflex als Alternativerklärung unwahrscheinlich macht. Amassian et al. folgerten, dass das visuelle neuronale Eingangssignal erst nach ca. 60 ms das Areal V1 erreicht und eine zur Buchstabenbenennung ausreichende neuronale Repräsentation das Areal V1 bereits nach ca. 120 ms wieder in Richtung höherer visueller Areale verlassen hat, da die TMS vor und nach diesem Zeitfenster keinen störenden Einfluss hatte.

Demaskierung. Bei der Demaskierung hingegen wird

die bewusste Wahrnehmung eines visuellen Stimulus zunächst durch einen zweiten maskiert und anschließend durch einen TMS-Einzelreiz über dem Areal V1 wieder demaskiert. Amassian et al. (1998) zeigten ihren Probanden zwei Buchstaben-Trigramme im Abstand von 100 ms, so dass das zweite Trigramm (die Maske) die bewusste Wahrnehmung des ersten vollständig unterdrückte. TMS-Einzelreize zwischen 60 und 160 ms nach der Präsentation des maskierenden Stimulus unterdrückten dann ihrerseits die bewusste Wahrnehmung des zweiten maskierenden Stimulus. Dies führte dazu, dass der erste Stimulus wieder wahrgenommen wurde. Analog zur Logik des Maskierungs-Paradigmas bedeutet dies, dass die Repräsentation der »Maske« das Areal V1 nicht vor 60 ms nach Präsentation der Maske erreicht und es bereits nach 160 ms wieder verlassen hat. Die Maskierung selbst scheint zudem in höheren visuellen Arealen stattzufinden, da der erste (maskierte) Stimulus sich nach 160 ms bereits nicht mehr in Areal V1 befindet, wenn die Maske dieses hingegen erst erreicht.

45.3

Visuelle Verarbeitung in höheren visuellen Arealen

Auch die Funktionen höherer visueller Areale werden mittels TMS erforscht. So liegen z. B. zahlreiche Arbeiten zur Rolle des Areals V5 in der Bewegungswahrnehmung vor und einzelne Studien haben auch die Bedeutung des posterioren Sulcus temporalis superior für die spezifische Wahrnehmung biologischer Bewegung oder die des lateralen okzipitalen Kortex (Brodmann-Areal 37) für die Objekterkennung untersucht.

45.3.1 Bewegungswahrnehmung Bewegungsrichtung. Die Bedeutung des Areals V5 für die Wahrnehmung von Bewegung untersuchten sowohl Beckers u. Zeki (1995) als auch Hotson u. Anand (1999), indem sie ihren Probanden für 28 respektive 50 ms Zufallspunktmuster (engl. random-dot diagrams) im rechten Gesichtsfeld präsentierten, deren Hauptbewegungsrichtung erkannt werden sollte. Die Einzelreiz-TMS des linken Areal V5 verursachte laut Beckers u. Zeki (1995) bei Applikation zwischen 20 ms vor und 10 ms nach Stimulusbeginn einen vollständigen Verlust der Bewegungswahrnehmung (Akinetopsie). Dagegen fanden Hotson u. Anand (1999) erst nach 50–150 ms eine Zunahme der Fehler um max. 40. Beide Studien schlossen eine TMS-induzierte

451

45.3 Visuelle Verarbeitung in höheren visuellen Arealen

Beeinträchtigung der Sehgenauigkeit aus, da bei gleicher Versuchsanordnung das Erkennen einer kleinen Lücke in einem Kreis (Landolt C) weitestgehend unbeeinträchtigt blieb. Der TMS-Effekt war in beiden Studien räumlich eng begrenzt, da eine TMS des V5 umgebenden extrastriären Kortex unwirksam blieb. Da beide Studien die als kritisch befundenen Zeitfenster der jeweils anderen Studie nicht getestet haben, bleibt unklar, ob diese Ergebnisse im Widerspruch zueinander stehen. Vermutlich erhält Areal V5 seine neuronalen Eingangsignale sowohl direkt aus frühen visuellen Arealen (z. B. dem Corpus geniculatum laterale oder den Colliculi superiores) als auch indirekt über Areal V1, was seine funktionelle Bedeutsamkeit innerhalb früher und späterer Zeitfenster erklären könnte. Visuelle Suche. Walsh et al. (1998) konnten zeigen, dass das Areal V5 nicht nur an basaler Bewegungswahrnehmung beteiligt ist, sondern auch eine Rolle bei bewegungsspezifischer visueller Aufmerksamkeit spielt. Sie ließen Probanden verschiedene visuelle Suchaufgaben ausführen, in denen jeweils ein bestimmtes Zeichen in einem für 750 ms präsentierten Suchfeld entdeckt werden musste. Eine EinzelreizTMS des linken Areals V5 in einem Zeitfernster von 0–250 ms nach Stimulusbeginn erhöhte die Reaktionszeit, wenn die visuelle Bewegung einen relevanten Entscheidungsaspekt darstellte, verringerte sie aber, wenn Bewegung (obgleich z.T. vorhanden) nicht entscheidungsrelevant war. Die Störung des Areals V5 beeinträchtigte also zum einen die bewegungsspezifische Aufmerksamkeit, verbesserte aber zum anderen die Aufmerksamkeit für andere Attribute wie Farbe und Form. Walsh et al. postulierten daher, dass mehrere höhere visuelle Areale (z. B. Areal V5 und V4) um kognitive Ressourcen konkurrieren und so die transiente Funktionsunterbrechung eines Areals (z. B. Areal V5) eine Bahnung der neuronalen Verarbeitung im nicht stimulierten Areal (z. B. Areal V4) bewirken kann. Da sie jedoch nur einen Suchaufgaben-Typ pro Sitzung präsentierten, wussten die Probanden stets, ob Bewegung ein relevantes Kriterium darstellte oder nicht. Um den Einfluss der Vorhersagbarkeit zu isolieren, verwendeten Ellison et al. (2003) in einer Folgestudie zwei Suchaufgaben, die entweder durch TMS gestört (Bewegungs-Form-Konjunktion) oder gebahnt (Farbe-Form-Konjunktion) wurden und boten die Suchfelder bei ansonsten gleichen Versuchsbedingungen entweder als Block (Vorhersagbarkeit des entscheidungsrelevanten visuellen Suchkriteriums) oder in randomisierter Abfolge (keine Vorhersagbarkeit) dar. Es zeigte sich, dass TMS des linken Areals V5 bei bewegungsabhängigen Suchaufgaben unabhängig von

45

der Abfolge der Suchaufgaben einen störenden Effekt auf die Reaktionszeit hatte. Bei bewegungsunabhängigen Suchaufgaben trat der bahnende Effekt jedoch nur bei geblockter Abfolge der Suchbedingungen auf, was darauf hin deutet, dass eine Störung des Areals V5 sich auf die visuelle Farb- und Formanalyse nur dann günstig auswirkt, wenn absehbar ist, dass eine visuelle Bewegungsanalyse nicht erforderlich ist. biologischer Bewegungen. Das menschliche Wahrnehmungssystem hat eine besondere Fähigkeit für das Erkennen biologischer Bewegungen entwickelt, also solcher Bewegungen, die von Menschen und Tieren erzeugt werden. Bildgebungsund Läsionsstudien legen nahe, dass insbesondere der rechte posteriore Sulcus temporalis superior (pSTS) diese Leistung vermittelt. So konnten Grossman et al. (2005) mittels Offline-rTMS erstmals experimentell zeigen, dass der rechte hintere Sulcus temporalis superior tatsächlich für die Wahrnehmung biologischer Bewegungen notwendig ist. Die Probanden mussten erkennen, ob sich in bewegten Zufallspunktmustern biologische Bewegungen verbargen, d. h. ob manche der Punkte die Gelenke eines Menschen beim Ausführen alltäglicher Bewegungen wie Laufen, Treten oder Werfen darstellten. Direkt vor dem Experiment applizierten Grossman et al. für 10 min eine »hemmende« 1-Hz-rTMS über dem rechten Sulcus temporalis superior (lokalisiert als T6 nach dem 10–20-System) oder dem linken Areal V5 (lokalisiert durch die Induktion bewegter Phosphene mittels TMS). Das anschließende Experiment zeigte eine Abnahme der Detektionswahrscheinlichkeit biologischer Bewegungen nach einer 1-Hz-rTMS des rechten hinteren Sulcus temporalis superior, obwohl das Areal V5 im Allgemeinen als notwendig für die raum-zeitliche Integration bewegter Zufallspunktmuster gilt. Eine mögliche Lesart dieser Ergebnisse ist, dass der rechte hintere Sulcus temporalis superior nicht auf die Vorverarbeitung durch das linke Areal V5 angewiesen ist. Dieser negative Befund ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da nicht gezeigt wurde, dass die funktionelle Hemmung von Areal V5 tatsächlich erfolgreich war. Hierfür hätte z. B. eine Beeinträchtigung des Erkennens der Bewegungsrichtung von Zufallspunktmustern nach einer rTMS des Areals V5 gezeigt werden müssen.

Wahrnehmung

45.3.2 Objekterkennung Der posteriore Anteil des lateralen okzipitalen Kortex (entspricht weitgehend dem Brodmann-Areal 37) wurde in bildgebenden und Läsionsstudien unter

452

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Kapitel 45 · Visuelle Verarbeitung

anderem mit dem Erkennen von Objekten in Verbindung gebracht. Um dessen funktionelle Relevanz für die Objekterkennung zu testen, ließen Steward et al. (2001) ihre Probanden visuell präsentierte 1) Worte, 2) Nicht-Worte, 3) Farben oder 4) Objektabbildungen benennen. Während der ersten 600 ms der für eine Sekunde präsentierten Stimuli applizierten sie eine hochfrequente (10 Hz) rTMS-Reizserie über dem linken lateralen okzipitalen Kortex und zur Kontrolle über dem rechten lateralen okzipitalen Kortex oder dem Vertex. Die passagere Funktionsunterbrechung des linken lateralen okzipitalen Kortex erhöhte, verglichen mit der online-10-Hz-rTMS der Kontrollareale, ausschließlich die Antwortlatenz beim Benennen der Objektabbildungen, was dessen Bedeutsamkeit in der Objekterkennung aufzeigt. Alternativerklärungen, wie TMS-bedingte Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung, Sprachproduktion oder semantischen Verarbeitung konnten ausgeschlossen werden, da die entsprechenden Kontrollaufgaben durch die TMS-Läsion des rechten lateralen okzipitalen unbeeinträchtigt blieben.

45.4

Funktionelle Interaktionen zwischen visuellen Arealen

Neben der Charakterisierung des funktionellen Beitrags einzelner visueller Areale zur visuellen Wahrnehmung kann die TMS auch die Interaktion verschiedener Komponenten des visuellen Systems offen legen und so neue Einblicke in dessen hierarchische

a

Organisation liefern (7 Kap. Exkurs »Funktionelle Neuroanatomie des visuellen Systems«).

45.4.1 Wechselwirkungen zwischen Areal

V1 und V5 Ausgehend von der Annahme, dass die neuronale Repräsentation in Areal V1 entscheidend für die bewusste visuelle Wahrnehmung eines Reizes ist, haben Pascual-Leone u. Walsh (2001) untersucht, welche Bedeutung Rückprojektionen von Areal V5 nach Areal V1 für die bewusste Wahrnehmung der in Areal V5 verarbeiteten Bewegungsinformationen haben. Sowohl Einzelreiz-TMS über dem Areal V1 als auch über dem Areal V5 löst oberhalb einer bestimmten Schwelle Phosphene aus (7 Kap. 19). Während V1artige Phosphene unbewegt, klein und eng umgrenzt erscheinen, werden V5-artige als bewegt, größer und anders geformt wahrgenommen. Pascual-Leone u. Walsh (2001) applizierten nun in variablen Abständen überschwellige TMS-Einzelreize (oberhalb der Phosphenschwelle) über dem linken Areal V5 und unterschwellige TMS-Einzelreize über dem Areal V1 (unterhalb der Phosphenschwelle), während die Probanden mittels einer Ratingskala die Art der durch die TMS ausgelösten Phosphene beschrieben (. Abb. 45.1). Wurde das Areal V1 vor dem Areal V5 stimuliert, so gaben die Probanden an, V5-typische, bewegte Phosphene zu sehen. Wurde dagegen das Areal V1 5–45 ms nach dem Areal V5 stimuliert, so wurden die Phosphene eher als unbewegt (V1-artig) beschrieben,

b

55 56 57 58 59 60

. Abb. .a,b. Versuchsaufbau und Ergebnisse der Experimente von Pascual-Leone u. Walsh (2001) und Silvanto et al. (2005). a Positionierung der beiden Achterspulen über den Arealen V5 und V1 der linken Hemisphäre. Die Spulengriﬀe sind um 45° verdreht, damit die beiden Spulen nebeneinan-

der Platz ﬁnden. b Subjektive Angaben der Probanden über die Art der ausgelösten Phosphene bei verschiedenen Abständen und Intensitätskombinationen der TMS-Einzelreize über V5 und V1 (Details s. Text)

45.4 Funktionelle Interaktionen zwischen visuellen Arealen

obwohl die TMS über dem Areal V1 ohne begleitende V5-Stimulation keine Phosphene auslöste. PascualLeone u. Walsh (2001) schlossen, dass die V1-Stimulation die Rückprojektionen aus dem Areal V5 störte und so die bewusste Wahrnehmung von Bewegung verhinderte. In einer Folgestudie applizierten Silvanto et al. (2005) bei gleichem Versuchsaufbau wie zuvor unterschwellige Einzelreiz-TMS über dem Areal V5 und eine überschwellige Einzelreiz-TMS über dem Areal V1. Folgte die V5- auf die V1-Stimulation, so wurden unbewegte (V1-artige) Phosphene berichtet, wurde das Areal V5 jedoch 10–50 ms vor dem Areal V1 stimuliert, so nahmen die Probanden bewegte (V5artige) Phosphene wahr. Die unterschwellige Stimulation beider Areale induzierte keinerlei Phosphene. Hieraus schlossen sie, dass auch unterschwellige neuronale Aktivität in Areal V5 bewegte Phosphene verursachen kann, wenn die nachfolgende Aktivität in Areal V1 hoch genug ist. Sie mutmaßen, dass im Allgemeinen das Areal V5 über Projektionen nach V1 bestimmt, ob Bewegung wahrgenommen wird. Dagegen ermögliche das Areal V1 jedoch erst die bewusste Wahrnehmung an sich. Diverse bifokale TMS-Kontrollexperimente, in denen analog das linke und rechte Areal V5 bzw. das Areal V5 und das frontale Augenfeld stimuliert wurden, belegten die räumliche und zeitliche Spezifität der Ergebnisse. Grundsätzlich problematisch ist bei kombinierter TMS über den Arealen V1 und V5 die korrekte Positionierung der beiden Achterspulen, da bei üblicher Ausrichtung der Spulengriffe (nach ventral für Areal V1 und nach caudal für Areal V5) die Spulen meist zu groß sind, um noch nebeneinander Platz zu finden. Dies erklärt auch, warum in der Studie von Pascual-Leone u. Walsh (2001) 18 von 26 Probanden aufgrund inkonsistenter Phospheninduktion ausgeschlossen werden mussten.

45.4.2 Einﬂuss des frontalen Augenfelds

auf okzipitale visuelle Areale Grundsätzlich ist bei TMS des frontalen Augenfelds (engl. frontal eye field, FEF) aufgrund dessen eingebetteter Lage in den prämotorischen Kortex eine exakte Positionierung der Spule besonders wichtig. Grosbras u. Paus (2003) erreichten dies durch eine Kombination aus »rahmenloser Stereotaxie« (7 Kap. 32) und funktioneller Überprüfung des bekannten TMS-Effekts auf die Erhöhung der Sakkadenlatenz (7 Kap. 41). TMS des FEF hat hingegen keine direkten motorischen Auswirkungen wie etwa unwillkürliche Augenbewegungen. Sie scheint jedoch die Aktivität in visuellen Arealen wie V1 und V5 modu-

453

45

lieren zu können. So konnten Grosbras u. Paus (2003) zeigen, dass Einzelreiz-TMS des FEF 100–40 ms vor einem anschließend maskierten Stimulus die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dieser dennoch erkannt wird, also die Wahrnehmung ansonsten subliminaler Reize ermöglicht. Das auch in Handlungssteuerung involvierte FEF spielt vermutlich eine wichtige Rolle bei der Kontrolle visueller Aufmerksamkeit. Passend zur allgemeinen Dominanz der rechten Hemisphäre bei visuellen Aufmerksamkeitsfunktionen (7 Kap. 46) beeinflusste die Stimulation der rechten Hemisphäre im Gegensatz zur linken nicht nur die Wahrnehmung der Stimuli im kontra-, sondern auch im ipsilateralen Gesichtsfeld. Die TMS-bedingte Aktivierung könnte folglich die Funktion des Aufmerksamkeitssystems simuliert haben, über Vorwärtsprojektionen die Überschreitung der Wahrnehmungsschwelle für ausgewählte Stimuli in visuellen Arealen zu fazilitieren. Laut Silvanto et al. (2006) bleibt jedoch unklar, auf welches dieser Areale das FEF seinen modulierenden Einfluss ausübt. Sie applizierten daher in variierenden zeitlichen Abständen TMS-Einzelreize konstanter Intensität über dem FEF und variierter Intensität über V5, um die Phosphenschwelle (7 Kap. 19) bestimmen zu können. Wurde das FEF 20–40 ms zuvor stimuliert, hatte dies eine Senkung der Phosphenschwelle in V5 zur Folge: bei Stimulation des rechten FEF in beiden, bei Stimulation des linken FEF nur im linken V5. Diese erneute Dominanz der rechten Hemisphäre deckt sich mit den Befunden von Grosbras u. Paus (2003). Silvanto et al. postulieren daher, dass die Aktivität des FEF die Sensitivität in V5 moduliert. Es ist allerdings zu bedenken, dass Silvanto et al. (2006) zuvor selbst gezeigt hatten, dass Aktivität in V1 erst die bewusste Wahrnehmung der über V5 evozierten Phosphene ermöglicht (7 Abschn. 45.4.1). Demnach könnte die Stimulation des FEF auch über Projektionen nach V1 dessen Aktivität erhöht und so die V5Phosphenschwelle gesenkt haben. Passend hierzu fanden bereits Amassian et al. (1998), dass TMS des frontalen Kortex 0–75 ms vor unterschwelliger TMS von V1 Phosphene auslöst. Eine aktuelle Arbeit von Ruff et al. (2006) konnte zudem durch simultane Anwendung von TMS und funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigen, dass TMS des rechten FEF, nicht aber des Vertex, die neuronale Aktivität in den retinotop organisierten visuellen Arealen V1–V4 so moduliert, dass Repräsentationen des peripheren Gesichtsfelds aktiviert, des zentralen hingegen gehemmt werden.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

454

Kapitel 45 · Visuelle Verarbeitung

45.5

Multimodale Wahrnehmung

Cohen et al. (1997) konnten zeigen, dass der okzipitale visuelle Kortex bei früh erblindeten oder blind geborenen Menschen im Gegensatz zu Sehenden maßgeblich an der Verarbeitung taktiler Reize beteiligt ist. Hierzu wurde eine kurze hochfrequente Reizserie bei Blinden (Erblindung/Blindheit) und Sehenden während des Lesens von Brailleschrift und Reliefschrift mit dem rechten Zeigefinger verabreicht. Gekoppelt mit dem Beginn des Lesevorgangs wurde für 3 s 10-Hz-rTMS über einem von 7 verschiedenen okzipitalen, parietalen und frontalen Arealen sowie zur Kontrolle als wirkungslose Placebo-rTMS appliziert. Die Online-rTMS des medialen (und teilweise auch des zum Lesefinger kontralateralen) okzipitalen Kortex bewirkte bei Blinden, nicht aber bei verblindeten Sehenden, einen deutlichen Anstieg der Fehlerrate. Die blinden Probanden berichteten dabei von Wahrnehmungen zusätzlicher oder verformter Punkte der Braille-Schrift. Diese Ergebnisse legen nahe, dass der früh von visueller Stimulation abgeschnittene okzipitale Kortex wichtige Funktionen der taktilen Wahrnehmung im Laufe transmodaler Plastizität (engl. cross-modal plasticity) übernimmt, was möglicherweise die überdurchschnittlichen taktilen Fähigkeiten mancher blinder Menschen erklärt. Die fokale Funktionsunterbrechung des kontralateralen somatosensorischen Kortex hingegen verursachte nur bei Sehenden eine erhöhte Fehlerrate im Sinne einer intramodalen Störung der kortikalen taktilen Verarbeitung. Cohen et al. (1997) argumentierten, dass die in dieser Aufgabe gut trainierten Blinden die TMS-induzierte Funktionsstörung des somatossensorischen Kortex und die damit teilweise verbundenen unwillkürlichen Fingerbewegungen besser kompensieren konnten als die untrainierten Sehenden. Später fanden allerdings Zangaladze et al. (1999) Belege dafür, dass der okzipitale Kortex auch bei Sehenden an der taktilen Verarbeitung beteiligt ist. Sie applizierten TMS-Einzelreize über verschiedenen okzipitalen und parietalen Regionen sowie eine Placebo-TMS während verblindete Probanden entweder die Orientierung oder die Textur von auf der Zeigefingerkuppe aufgedrückten Gitterstempeln unterscheiden mussten. Die TMS des somatosensorischen Kortex verschlechterte allgemein die taktile Wahrnehmung, so dass die Probanden berichteten, zwar noch den Druck des Stempels, nicht aber die Gittertextur zu spüren. Die TMS okzipitaler Regionen hingegen hatte einen selektiven Effekt auf die Wahrnehmung der Gitterorientierung. Die Probanden berichteten in diesem Fall zwar, die Textur des Gitters zu spüren, waren sich jedoch unsicher über dessen Orientierung. Wäh-

rend der Gitterorientierungsaufgabe wurde außerdem über posterioren Hirnregionen ein evoziertes Potenzial aufgezeichnet, dessen Latenz mit dem Zeitpunkt des maximalen TMS-Effekts (180 ms nach Stimulusbeginn) korrespondierte. Zangaladze et al. (1999) postulierten, dass Prozesse visueller Vorstellung an der taktilen Verarbeitung makrogeometrischer Attribute (wie Orientierung oder Form), nicht jedoch mikrogeometrischer Attribute (wie Textur), beteiligt sind. Diese Annahme erklärt auch, warum in der Studie von Cohen et al. (1997) die okzipitale rTMS bei Sehenden zu keiner Störung der taktilen Wahrnehmung während des Lesens von Brailleschrift führte, da für diese Aufgabe eher eine mikrogeometrische Analyse erforderlich ist.

45.6

Visuelle Vorstellung

Eine relevante Beteiligung okzipitaler und parietaler Kortexareale an der visuellen Vorstellung konnte ebenfalls mit der TMS belegt werden. Kosslyn et al. (1999) konnten erstmalig zeigen, dass die in zahlreichen Bildgebungsstudien gefundene Aktivierung von Areal V1 während visueller Vorstellung kein Epiphänomen darstellt, sondern die kritische Beteiligung dieses Hirnareals an zumindest einigen Aspekten visueller Vorstellung widerspiegelt. Vor der eigentlichen Aufgabe lernten die Probanden ein Bild mit 4 verschiedenen Streifenmustern auswendig, welche sich hinsichtlich Länge, Breite, Orientierung und Abstand der Streifen unterschieden. Während der Aufgabe wurden den Probanden die Nummern zweier Streifenmuster sowie ein Attribut genannt, woraufhin sie angeben mussten, ob das erste Muster das zweite hinsichtlich dieses Attributs übertraf. Für eine erfolgreiche Aufgabenbewältigung mussten sich die Probanden also die Streifenmuster bildhaft vorstellen, was in einem separaten Positronen-EmissionsTomografie (PET)-Experiment zu verstärkter Aktivierung visueller Kortexareale, inklusive des Areals V1, führte. Über diesem Areal wurde nun für 10 Minuten eine »hemmende« 1-Hz-rTMS oder eine wirkungslose Placebo-rTMS verabreicht bevor die Probanden die Aufgabe bearbeiteten. Die anhaltende Hemmung des Areals V1 durch die rTMS führte verglichen mit Placebo-TMS zu deutlich verlängerten Antwortlatenzen, sowohl wenn die Probanden sich die Muster vorstellen mussten, als auch wenn sie diese tatsächlich sehen konnten. Kosslyn et al. (1999) schlossen hieraus, dass das Areal V1 nicht nur für die visuelle Wahrnehmung, sondern auch für zumindest einige Formen visueller Vorstellung notwendig ist.

455

45.7 Ausblick

a

45

b

. Abb. .a,b. Versuchsaufbau und stilisierte Ergebnisse des Experiments von Sack et al. (2005). a Positionierung der beiden fokalen Achterspulen über den posterioren parietalen Kortizes (PPC) beider Hemisphären. b Verlängerung der Reaktionszeit in der mentalen Uhrenaufgabe bei Online-TMS des rechten PPC (Gabe von Dreiersalven während verschiedener

hypothetischer mentaler Verarbeitungsschritte). Die Chronometrie des rechtsparietalen Läsionseﬀekts, erkennbar am relativen Reaktionszeitzuwachs, unterscheidet sich in Abhängigkeit davon, ob zuvor eine hemmende 1 Hz oder lediglich eine Placebo-rTMS oﬄine über dem linken PCC verabreicht wurde (Details s. Text)

Sack et al. (2005) wiederum untersuchten die unterschiedlichen Funktionen des linken und rechten lateralen posterioren parietalen Kortex in der visuellen Vorstellung. Sie verwendeten hierfür eine als »mentale Uhraufgabe« (engl. mental clock task) bekanntes Paradigma. In dieser Aufgabe wurden den Probanden zwei Uhrzeiten genannt. Die Probanden sollten diese Uhrzeiten in Zeigerpositionen analoger Uhren transformieren und entscheiden, welche Zeigerstellung den größeren Winkel bildete. Die funktionelle MRT während dieser Aufgabe konnte zeigen, dass während dieser Aufgabe hauptsächlich der linke posteriore parietale Kortex an der Generierung mentaler Bilder beteiligt war (ca. zwischen 1500 und 3000 ms), während der anschließende Vergleich zweier mentaler Bilder nur den rechten posterioren parietalen Kortex aktivierte (ca. zwischen 3000 und 4500 ms). Zu Beginn des Experiments applizierten Sack et al. (2005) eine 10 min »hemmende« 1-Hz-rTMS oder eine wirkungslose Placebo-TMS über dem linken posterioren parietalen Kortex. Anschließend verabreichten sie, während die durch die Offline-rTMS induzierte linkshemisphärische Hemmung noch anhielt, eine OnlineTMS über dem rechten posterioren parietalen Kortex während der mentalen Uhraufgabe. Die Online-TMS bestand aus einer hochfrequenten (10 Hz) Dreiersalve und wurde zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Aufgabenbearbeitung verabreicht (. Abb. 45.2). War der linke posteriore parietale Kortex noch voll funktionstüchtig (nach Placebo-rTMS), so verlängerten nur Dreiersalven bei 4200 ms die Reaktionszeit,

also erst während des räumlichen Vergleichs, nicht jedoch schon während der Generierung der mentalen Bilder. Bei vorheriger Hemmung des linken posterioren parietalen Kortex durch die vorausgehende 1-HzrTMS verlängerten die TMS-Salven über dem rechten posterioren parietalen Kortex schon zu früheren Zeitpunkten die Reaktionszeiten. Dagegen führte die alleinige 1-Hz-rTMS über dem linken posterioren parietalen Kortex zu keinen messbaren Verlängerungen der Reaktionszeit. Sack et al. (2005) argumentierten, dass der rechte posteriore parietale Kortex zwar eine Störung des linken parietalen Kortex in der Phase der Bildgenerierung kompensieren kann, der linke jedoch nicht eine Läsion des rechten parietalen Kortex während des Vergleichs der Bilder.

45.7

Ausblick

Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass die TMS in der Erforschung der visuellen Verarbeitung für das Forschungsfeld neue und äußerst relevante Erkenntnisse liefern konnte. Die geschickte Kombination von Offline- und Online-TMS und der Einsatz der bifokalen TMS kann funktionelle Interaktionen zwischen neuronalen Systemen aufdecken, die an der visuellen Verarbeitung beteiligt sind. Der Erforschung des visuellen Systems mittels TMS sind jedoch auch Grenzen gesetzt, da z. B. einige Teile des ventralen Stroms im medialen inferioren Temporalkortex sowie große Teile der primären und sekundären visueller Areale

456

41 42 43 44 45

Kapitel 45 · Visuelle Verarbeitung

im medialen Okzipitallappen liegen und daher der TMS schwer zugänglich sind. Auch die eng benachbarte Lage der oberflächennahen okzipitalen visuellen Areale erschwert derzeit noch deren selektive Stimulation aufgrund der Größe und mangelnden Fokalität herkömmlicher TMS-Spulen. Neben technischen

Fortschritten in der TMS-Technik wird insbesondere der kombinierte Einsatz der TMS mit Schnittbildverfahren (fMRT, PET; Ruff et al. 2006) oder der Elektroenzephalografie (EEG; Siniatchkin et al. 2007) das Potenzial der TMS zur Charakterisierung des visuellen Systems weiter voranbringen.

Exkurs a

b

46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a,b. Visuelles System. a Schematische Darstellung der hierarchischen Organisation des visuellen Systems (stark vereinfacht). b Skizze der funktionellen Neuroanatomie des (erweiterten) visuellen Systems aus lateraler und medialer Ansicht der linken bzw. rechten Hemisphäre. PFC Präfrontaler Kortex; FEF

Frontales Augenfeld; PPC Posteriorer Parietaler Kortex; pSTS Posteriorer Sulcus Temporalis Superior; IT Inferiorer Temporalkortex; LOC Lateraler Okzipitaler Komplex; V1 Primärer Visueller Kortex; V2 Sekundärer Visueller Kortex; VP, V3, V3a, V4, V5 verschiedene höhere visuelle Areale

Funktionelle Neuroanatomie des visuellen Systems Dieser Exkurs skizziert die funktionelle Neuroanatomie (. Abb. 45.3) und hierarchische Organisation des visuellen Systems in stark vereinfachter Form, um die hier besprochenen Fragestellungen und Experimente nachvollziehen zu können. Die visuellen neuronalen Eingangssignale der beiden Gesichtsfeldhälften erreichen von den Retinae ausgehend über den Sehnerv zunächst den Corpus geniculatum laterale (CGL) im Thalamus der jeweils kontralateralen Hemisphäre. Von hier aus werden die Informationen über die Sehstrahlung (Radiatio optica) in den primären visuellen Kortex (Area striata oder Areal V1) projiziert, welcher den Sulcus calcarinus des okzipitalen Kortex umgibt und retinotop organisiert ist. Im Areal V1 werden die visuellen Eingangssignale bez. basaler Aspekte aufbereitet und anschließend an höhere extrastriäre Areale weitergeleitet. Klassischerweise werden von hier an zwei parallele Verarbeitungswege unterschieden: der ventrale Pfad (der »Was?«-Pfad) und der dorsale Pfad (der »Wie?/Wo?«-Pfad) (Goodale u. Milner 1992). Beide Pfade verlaufen zu einem Teil indirekt über den

sekundären visuellen Kortex (V2), zum anderen Teil jedoch direkt zu höheren visuellen Arealen. Der ventrale Pfad führt dann in das weiter anterior gelegene Areal V4, welches präferenziell auf die Farbe des visuellen Inputs reagiert. Dieses wiederum projiziert in den lateralen okzipitalen Komplex (LOC) sowie inferiore temporale Areale, in denen Formen und auch bereits abstraktere Objektkategorien repräsentiert sind. Der dorsale Pfad hingegen führt über die Areale V3 und V3a zu Areal V5, welches die Bewegung im visuellen Input verarbeitet. Aus diesen Arealen erhält anschließend der posteriore parietale Kortex (PPC) seine Eingänge, welcher an visueller Aufmerksamkeit, räumlicher Repräsentation sowie der Integration visueller und somatosensorischer Informationen beteiligt ist. Beide Pfade, welche überdies auf allen Verarbeitungsstufen über laterale Projektionen Informationen austauschen, konvergieren schließlich in präfrontalen und prämotorischen Kortexarealen. Als weitere wichtige Hirnregionen eines eher erweiterten visuellen

6

Literatur

Systems müssen an dieser Stelle der posteriore Sulcus temporalis superior (pSTS), und das frontale Augenfeld (FEF) erwähnt werden. Der posteriore Sulcus temporalis superior ist maßgeblich für die Analyse biologischer (z. B. menschlicher) Bewegungen, während das frontale Augenfeld eine wichtige Rolle bei der kortikalen Steuerung von schnellen Blickbewegungen (Sakkaden) und bei der aufmerksamkeitsgesteuerten Selektion von Reizen spielt. Traditionell wurde der Informationsﬂuss der visuellen Verarbeitung, wie zuvor beschrieben, als strikter »Bottomup«-Prozess verstanden, in welchem jede Verarbeitungsstufe ihren Input von einer hierarchisch nied-

Literatur 1Amassian VE, Cracco RQ, Maccabee PJ et al. (1998) Transcranial magnetic stimulation in study of the visual pathway. J Clin Neurophysiol 15: 288–304 Übersichtsartikel, der wichtige Paradigmen zur Untersuchung des primären und höheren visuellen Systems darstellt: Phospheninduktion, Maskierung, Demaskierung. Beckers G, Zeki S (1995) The consequences of inactivating areas V1 and V5 on visual motion perception. Brain 118: 49–60 2Cohen LG, Celnik P, Pascual-Leone A et al. (1997) Functional relevance of cross-modal plasticity in blind humans. Nature 389: 180–183 Wichtige Arbeit zur transmodalen Plastizität, die erstmals zeigen konnte, dass das Areal V1 bei Blinden an der taktilen Verarbeitung während des Lesens von Blindenschrift essenziell beteiligt ist. Ellison A, Battelli L, Cowey A, Walsh V (2003) The eﬀect of expectation on facilitation of colour/form conjunction tasks by TMS over area V5. Neuropsychologia 41: 1794–1801 Goodale MA, Milner AD (1992) Separate visual pathways for perception and action. Trends Neurosci 15: 20–25 Grosbras MH, Paus T (2003) Transcranial magnetic stimulation of the human frontal eye ﬁeld facilitates visual awareness. Eur J Neurosci 18: 3121–3126 Grossman ED, Battelli L, Pascual-Leone A (2005) Repetitive TMS over posterior STS disrupts perception of biological motion. Vision Res 45: 2847–2853 Hochstein S, Ahissar M (2002) View from the top: hierarchies and reverse hierarchies in the visual system. Neuron 36: 791–804 Hotson JR, Anand S (1999) The selectivity and timing of motion processing in human temporo-parieto-occipital and occipital cortex: a transcranial magnetic stimulation study. Neuropsychologia 37: 169–179 Kosslyn SM, Pascual-Leone A, Felician O et al. (1999) The role of area 17 in visual imagery: convergent evidence from PET and rTMS. Science 284: 167–170 2Pascual-Leone A, Walsh V (2001) Fast backprojections from the motion to the primary visual area necessary for visual awareness. Science 292: 510-512

457

45

rigeren erhält und an eine höhere weitergibt, so dass sukzessive Repräsentationen zunehmender Komplexität entstehen. Diese Sichtweise gilt jedoch längst als überholt, da schon auf anatomischer Ebene ebenso viele Projektionen in »Top-down«-Richtung bestehen und manche der höheren visuellen Areale, wie z. B. Areal V5, auch direkte Eingänge vom CGL oder den Colliculi superiores erhalten. Hochstein u. Ahissar (2002) postulieren sogar eine umgekehrte Hierarchie der bewussten visuellen Wahrnehmung, die in höheren Arealen beginnt, welche eine grobe Analyse des visuellen Inputs liefern und bei Bedarf niedrigere Areale für detailliertere Analysen rekrutieren.

Der Artikel zeigt am Beispiel von Areal V1 und Areal V5 wie Interaktionen zwischen Hirnarealen mittels zeitlich kombinierten TMS-Einzelreizen untersucht werden können. 1Ruﬀ CC, Blankenburg F, Bjoertomt O et al. (2006) Concurrent TMS-fMRI and psychophysics reveal frontal inﬂuences on human retinotopic visual cortex. Curr Biol 16: 1479–1488 Diese Arbeit zeigt die Möglichkeit auf, durch simultane Anwendung von TMS und funktioneller MRT den kausalen Zusammenhang zwischen den neuronalen Aktivierungen verschiedener Hirnareale aufzudecken. 1Sack AT, Camprodon JA, Pascual-Leone A, Goebel R (2005) The dynamics of interhemispheric compensatory processes in mental imagery. Science 308: 702–704 Sehr elegantes Design, zur Untersuchung der unterschiedlichen Beteiligung des linken und rechten lateralen posterioren Parietallappens an der visuellen Vorstellung mittels kombinierter Oﬄine- und Online-TMS. 1Silvanto J, Cowey A, Lavie N, Walsh V (2005) Striate cortex (V1) activity gates awareness of motion. Nat Neurosci 8: 143–144 Wichtige Ergänzung der von Pascuel-Leone u. Walsh (2001) durchgeführten Experimente. Silvanto J, Lavie N, Walsh V (2006) Stimulation of the human frontal eye ﬁelds modulates sensitivity of extrastriate visual cortex. J Neurophysiol 96: 941–945 Siniatchkin M, Groppa S, Jerosch B et al. (2007) Spreading photoparoxysmal EEG response is associated with an abnormal cortical excitability pattern. Brain 130: 78–87 Stewart L, Meyer B, Frith U, Rothwell J (2001) Left posterior BA37 is involved in object recognition: a TMS study. Neuropsychologia 39: 1–6 Walsh V, Ellison A, Battelli L, Cowey A (1998) Task-speciﬁc impairments and enhancements induced by magnetic stimulation of human visual area V5. Proc Biol Sci 265: 537– 543 Zangaladze A, Epstein CM, Grafton ST, Sathian K (1999) Involvement of visual cortex in tactile discrimination of orientation. Nature 401: 587–590

459

46

Aufmerksamkeit Claus C. Hilgetag

46.1

Einführung – 460

46.3

46.2

Einsatzmöglichkeiten der TMS zur Aufklärung von Aufmerksamkeitsprozessen – 460

Untersuchung von Aufmerksamkeitsprozessen an gesunden Probanden – 464

46.3.1

Akute Funktionsunterbrechung während einer Aufmerksamkeitsaufgabe – 464 Länger anhaltende Modulation von Aufmerksamkeitsprozessen – 465

46.2.1 46.2.2 46.2.3 46.2.4 46.2.5

Lokalisierung involvierter Hirnregionen – 460 Funktionelle Spezialisierung einzelner Hirnregionen – 462 Funktionelle Lateralisierung von Aufmerksamkeit – 462 Chronometrie von Aufmerksamkeitsprozessen – 463 Interaktionen zwischen Regionen des Aufmerksamkeitsnetzwerks – 464

46.3.2

46.4

Untersuchung von Aufmerksamkeitsleistungen an Patienten – 465

46.5

Ausblick – 466

Literatur

– 466

ZUM THEMA Aufmerksamkeit ist eine essenzielle Hirnfunktion, welche perzeptuellen, kognitiven und Verhaltensleistungen in verschiedenen sensorischen Modalitäten zugrunde liegt. Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) kann herangezogen werden, um Aufmerksamkeitsleistungen im menschlichen Gehirn nichtinvasiv zu untersuchen. TMS-basierte Untersuchungsansätze haben klinische Deﬁzite in fokussierter Aufmerksamkeit, wie Extinktion und Neglect, experimentell reproduziert und speziﬁsche funktionelle Beiträge vor allem von parietalen und frontalen kortikalen Regionen zu

diversen Aufmerksamkeitsleistungen demonstriert. Die Ergebnisse von TMS-Studien unterstützen außerdem das Konzept eines interhemisphärischen Wettbewerbs zwischen bilateralen Regionen des Aufmerksamkeitsnetzwerks. In der Therapie von hirngeschädigten Patienten mit Aufmerksamkeitsdeﬁziten kann die rTMS dazu benutzt werden, das funktionelle interhemisphärische Ungleichgewicht im Aufmerksamkeitsnetzwerk zu adjustieren und hierdurch Aufmerksamkeitsleistungen wiederherzustellen.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

460

Kapitel 46 · Aufmerksamkeit

46.1

Einführung

Aufmerksamkeit ist eine grundlegende Hirnfunktion, die in der selektiven Wahrnehmung von Stimuli und der Verstärkung von perzeptuellen oder Verhaltensleistungen (z. B. Raumbeurteilung, Orientierung, Selektion) resultiert. TMS-Studien wurden vor allem zu Aspekten fokussierter räumlicher oder objektbezogener Aufmerksamkeit durchgeführt, weniger zu unspezifischen Aufmerksamkeitsleistungen im umgangssprachlichen Sinn einer allgemeinen Konzentrationsfähigkeit oder Wachheit. Für die Untersuchung dieser allgemeinen Aufmerksamkeitsleistungen sei nur ein Beispiel einer elektrophysiologischen TMSStudie gegeben. Moll et al. (2000) demonstrierten bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (engl. attention deficit hyperactivity disorder, ADHD) eine signifikant verringerte intrakortikale Doppelpulshemmung kurzer Latenz (7 Kap. 3) gegenüber gleichaltrigen Normalprobanden, welche sich nach Gabe von Methylphenidat besserte. Der Mehrzahl der vorliegenden TMS-Studien folgend, konzentriert sich dieses Kapitel auf Aspekte fokussierter Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit kann auf verschiedene sensorische Modalitäten bezogen sein, z. B. visuell, auditorisch, taktil, aber auch auf motorisches Verhalten, wie die Kontrolle von Augenbewegungen (7 Kap. 41). Offene Aufmerksamkeit (engl. overt attention) geht mit Augenbewegungen oder anderem Orientierungsverhalten einher, während verdeckte Aufmerksamkeit (engl. covert attention) nicht durch orientierende Körperbewegungen begleitet wird. In einer weiteren Dimension kann unterschieden werden zwischen evozierter (durch auffällige externe Stimuli, d. h. durch Bottom-up-Prozesse hervorgebrachte) und endogener (durch Top-down-Modulation erzeugte) Aufmerksamkeit, welche z. B. bei Suchaufgaben eingesetzt wird. Diese Aspekte von Aufmerksamkeit können sich überlagern. Auf Örtlichkeiten bezogene (räumliche) Aufmerksamkeitsprozesse (im Allgemeinen innerhalb eines egozentrischen Koordinatensystems) sind von einer auf Objekte bezogenen Aufmerksamkeit (innerhalb eines relativen, allozentrischen Koordinatensystems) abzugrenzen. Aufmerksamkeitsprozesse sind in spezialisierte funktionelle Kontexte eingebunden, wie Stimuluserkennung, Raumorientierung oder Suche. Diese Aufmerksamkeitsleistungen sind zum Teil miteinander korreliert und die Abgrenzung der zu Grunde liegenden neuronalen Prozesse ist schwierig. Entsprechend der unterschiedlichen Facetten von Aufmerksamkeit existieren diverse Verhaltenstests,

vor allem für visuelle Aufmerksamkeit, welche mit der TMS kombiniert werden können. Die Aufgaben wurden teilweise aus klinischen Tests abgeleitet und lassen sich grob in Such- und Orientierungsaufgaben unterscheiden. Wichtige Tests sind: Detektion uni- und bilateral präsentierter Stimuli, insbesondere Variationen des Posner-Paradigmas zur Stimulus-Detektion mit oder ohne Warnung bzw. Vorinformation (engl. cueing); Orientierungsreaktionen; Suche nach Stimuli mit einfachen oder kombinierten Attributen; Raumbeurteilung (z. B. durch Linienteilung oder für die relative Lage von Raumpunkten).

46.2

Einsatzmöglichkeiten der TMS zur Aufklärung von Aufmerksamkeitsprozessen

Die TMS kann eingesetzt werden, um unterschiedliche Aspekte von Aufmerksamkeitsleistungen zu untersuchen.

46.2.1 Lokalisierung involvierter

Hirnregionen Eine Beeinflussung von Aufmerksamkeitsleistungen wurde vor allem mit einer TMS posteriorer und inferiorer parietaler sowie präfrontaler kortikaler Regionen erzielt (. Abb. 46.1). Aber auch Beiträge occipitaler Regionen und des rechten Gyrus temporalis superior zu spezifischen Aspekten visueller Aufmerksamkeit ließen sich mit der fokalen TMS nachweisen. Dabei wurden die Stimulationsorte auf verschiedene Arten definiert. Eine Möglichkeit bestand in der Definition von Referenzpunkten auf der Schädeloberfläche unter Verwendung des internationalen 10-20–Systems. Eine weitere Herangehensweise nutzte die stereotaktische Neuronavigation (7 Kap. 32) unter Berücksichtigung der individuellen Neuroanatomie. Des Weiteren wurden funktionelle Kriterien verwendet, die z. B. auf funktionellen bildgebenden Voruntersuchungen basierten. Innerhalb des Parietallappens konnten Aufmerksamkeitsleistungen durch fokale TMS nahe den Elektrodenpositionen P3 und P4 (Pascual-Leone et al. 1994; Hilgetag et al. 2001) beeinflusst werden. Aufmerksamkeitsmodulationen ergaben sich auch durch Stimulation über der weiter inferior gelegenen Elektrodenposition P6 (Fierro et al. 2000) oder durch eine neuronavigierte fokale TMS des rechten Gyrus angularis (Chambers et al. 2004a). Auch der linke (Rushworth et al. 2001) und rechte (Chambers et al. 2004b) Gyrus supramarginalis sowie der rechte temporopa-

46.2 Einsatzmöglichkeiten der TMS zur Aufklärung von Aufmerksamkeitsprozessen

rietale Kortex (Meister et al. 2006) konnten so beeinflusst werden. Eine funktionelle Beteiligung rechter temporaler Regionen an speziellen Aufmerksamkeitsaufgaben, wie komplexer visueller Suche (Ellison et al. 2004), wurde ebenfalls demonstriert. Im Frontallappen wurde eine funktionelle Beteiligung an Aufmerksamkeitsprozessen für die kortikale Region unter

461

46

der Elektrodenposition F3 (Oliveri et al. 1999) sowie für das frontale Augenfeld beidseits (definiert anhand standardisierter anatomischer Koordinaten; Grosbras u. Paus 2002) gezeigt. Darüber hinaus tragen Areal V1 und Areal V5 innerhalb des occipitalen Kortex zu Aspekten visueller Aufmerksamkeit bei (Walsh et al. 1998; Juan u. Walsh 2003).

Exkurs

Neuronales Aufmerksamkeitsnetzwerk Aufmerksamkeit spielt eine zentrale Rolle bei der Initiierung oder Verstärkung einer Vielzahl von perzeptuellen, kognitiven und motorischen Leistungen. Dabei ist eine Abgrenzung von Aufmerksamkeitsprozessen gegen die eigentlichen Prozesse sensorischer Wahrnehmung nicht einfach. Aus Verhaltensstudien, bildgebenden Untersuchungen und Läsionsstudien ist bekannt, dass Aufmerksamkeit durch ein weitverteiltes, bilaterales Gehirnnetzwerk vermittelt wird, welches kortikale und subkortikale Anteile besitzt. Mittels TMS wurden in diesem Netzwerk speziﬁsche Beiträge parietaler, frontaler, occipitaler und temporaler kortikaler Regionen zu Aufmerksamkeitsprozessen nachgewiesen. Die funktionellen Interaktionen zwischen Arealen innerhalb einer Hemisphäre sind vorwiegend kooperativer Natur, zwischen bilateralen Arealen in der linken und rechten Hemisphäre vor allem kompetitiver Art (. Abb. 46.1). Aufmerksamkeit ist keine statische, sondern eine dynamische Funktion, die auf den rekurrenten funktionellen Interaktionen spezialisierter Regionen beruht. Dement-

sprechend kann TMS der verschiedenen Regionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit Aufmerksamkeitsprozessen interferieren (. Abb. 46.2). Der interhemisphärische Wettbewerb innerhalb des Aufmerksamkeitsnetzwerks wird vermutlich durch gegenseitige funktionelle Hemmung homotoper Kortexareale vermittelt (Hilgetag et al. 2001; Dambeck et al. 2006). Die Schwächung einer Hemisphäre durch Hirnschädigung oder TMS-induzierte Neuromodulation führt dabei zu Disinhibition und erhöhter Aktivität kontralateraler Regionen. Diese Hyperaktivität der intakten Hemisphäre kann zu einer zusätzlichen Hemmung der durch die Läsion geschwächten Hemisphäre sowie zu einer paradoxen Verstärkung von Aufmerksamkeitsleistungen für das ipsiläsionale Halbfeld führen (. Abb. 46.3). Durch funktionelle Hemmung der intakten oder Bahnung der geschädigten Hemisphäre kann die TMS therapeutisch eingesetzt werden, um die interhemisphärische Balance innerhalb des Aufmerksamkeitsnetzwerks bei hirngeschädigten Patienten wieder herzustellen (Brighina et al. 2003).

. Abb. .. Kortikale Regionen, in denen eine Neuromodulation mittels TMS Aufmerksamkeitsleistungen beeinﬂussen kann (LH, RH Linke und rechte kortikale Hemisphäre; FEF Frontales Augenfeld; Ga Gyrus angularis; Gsm Gyrus supramarginalis; Gts Gyrus temporalis superior; Lps Lobulus parietalis superior/posteriorer parietaler Kortex; Sc Sulcus centralis; V1, V5 Visuelle Areale V1, V5). Während ipsilaterale Regionen zumeist kooperativ interagieren (durchgezogener Pfeil), stehen bilaterale Regionen in einem interhemisphärischen Aufmerksamkeitswettbewerb (gestrichelter Pfeil). (Mod. nach Chambers u. Mattingley 2005; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

462

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53

Kapitel 46 · Aufmerksamkeit

46.2.2 Funktionelle Spezialisierung

einzelner Hirnregionen Während bildgebende Untersuchungen nahe legen, dass parietale Regionen eine supramodale Rolle für Aufmerksamkeit in multiplen sensorischen Modalitäten spielen, störte eine fokale TMS des rechten Gyrus supramarginalis lediglich visuelle, nicht aber somatosensorische Aufmerksamkeit (Chambers et al. 2004b). In ähnlicher Weise demonstrierte die fokale TMS des inferioren parietalen Kortex eine Dissoziation von motorischer (weiter vorne im linken Gyrus supramarginalis repräsentierter) und visuell-sensorischer (weiter hinten im rechten Gyrus angularis repräsentierter) Aufmerksamkeit (Rushworth et al. 2001). Weiterhin konnte eine funktionelle Doppeldissoziation für spezifische Aufmerksamkeitsprozesse zwischen dem rechten posterioren Parietalkortex und dem rechten Gyrus temporalis superior nachgewiesen werden. So führte die TMS des rechten posterioren Parietalkortex zu einer Interferenz mit der räumlichen Beurteilung vorgeteilter Linien und der visuellen Konjunktionssuche für Stimuli mit kombinierten Farb- und Orientierungsattributen. Dagegen störte die TMS des rechten Gyrus temporalis superior spezifisch die Suche nach Stimuli mit bestimmten Charakteristika (visuelle Exploration) (Ellison et al. 2004). Außerdem zeigte sich eine Spezialisierung des rechten posterioren Parietalkortex für Aufmerksamkeit im Nahraum (50 cm Entfernung) und des rechten ventralen Occipitallappens (nahe des unteren Anteils des Areals V3) für Aufmerksamkeit im Fernraum (150 cm) während einer Linienteilungsaufgabe (Bjoertomt et al. 2002).

Die fokale TMS des visuellen Areals V5 bewirkte eine selektive Modulation von visuellen Suchaufgaben, im Sinne einer Beeinträchtigung der Suche für bewegte Stimuli und einer verbesserten Suchleistung für farbige Stimuli (Walsh et al. 1998; 7 Kap. 45).

46.2.3 Funktionelle Lateralisierung von

Aufmerksamkeit Mittels TMS lassen sich für Aufmerksamkeit relevante Regionen generell gepaart in beiden Hemisphären finden, wobei typischerweise spiegelsymmetrische Effekte in Bezug auf die kontralaterale Raumorientierung auftreten (Pascual-Leone et al. 1994). Allerdings wurden nicht in allen Studien beide Hemisphären getestet. Homotope rechte und linke Regionen zeigen zumeist eine unterschiedliche Stärke und Spezialisierung für die nachgewiesenen TMS-Effekte. Allgemein produziert die Stimulation rechtshemisphärischer kortikaler Regionen stärkere Modulationen von Aufmerksamkeitsprozessen (. Abb. 46.3). Mevorach et al. (2005) zeigten mittels Offline-1HzrTMS, dass die lateralisierte Spezialisierung von Aufmerksamkeit für globale und lokale Stimulusaspekte von der Händigkeit abhängt. Hierbei hatte bei Rechtshändern eine rechtsparietale TMS (Elektrodenposition P4) vor allem Einfluss auf globale Aspekte und eine linksparietale TMS (Elektrodenposition P3) auf lokale Aspekte. Linkshänder zeigten ein umgekehrtes Muster mit schwächer ausgeprägten Effekten. Weiterhin existiert eine Lateralisierung zugunsten des rechten posterioren parietalen Kortex für die Orientierung

54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .. Zeitintervalle zwischen dem Beginn der visuellen Stimuluspräsentation und dem Zeitpunkt der TMS (engl. stimulus onset asynchrony, SOA), für welche die TMS mit Orientierungsaufgaben und visueller Suche interferierte. Schraf-

ﬁerte Balken symbolisieren rTMS-Studien mit drei oder mehr Pulsen, gefüllte Balken Studien mit Einzel- oder DoppelpulsTMS. (Mod. nach Chambers u. Mattingley 2005; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

*

10 5

15

b

TMS PPK rechts

10

-5

-10 -15

KONTRA

* BILAT

IPSI

*

5 0 -5 -10 -15 LINKS

0 Veränderung korrekt %

Veränderung korrekt %

15

Veränderung korrekt %

TMS PPK beide

a

46

463

46.2 Einsatzmöglichkeiten der TMS zur Aufklärung von Aufmerksamkeitsprozessen

15

c

*

BILAT

RECHTS

TMS PPK links

10 5 0 -5 -10 -15 LINKS

*

BILAT

RECHTS

. Abb. .a–c. Veränderungen in der korrekten Detektion von linken, rechten oder bilateralen visuellen Stimuli nach 10 min niederfrequenter (1 Hz) rTMS von posterior-parietalen kortikalen (PPK) Regionen (Elektrodenpositionen P3 oder P4) (a). Die rTMS bewirkte einen Trend zu verminderter Detektion einzelner kontralateraler Stimuli sowie eine signiﬁkante Verschlechterung der Detektion bilateraler Stimuli. Hingegen

war die Detektion von Stimuli ipsilateral zur stimulierten Region signiﬁkant erhöht. Die Eﬀekte, welche spiegelbildlich auch nach der Separation der Daten für (b) rechte und (c) linke Stimulationsorte nachweisbar waren, können mit dem Konzept des interhemisphärischen Aufmerksamkeitswettbewerbs zwischen bilateralen Regionen erklärt werden. (Mod. nach Hilgetag et al. 2001)

hin zu auffälligen Stimuli. Der linke posteriore parietale Kortex ist hingegen stärker an einer Lenkung der Aufmerksamkeit weg von auffälligen Stimuli beteiligt (Mevorach et al. 2006).

eine unilaterale präfrontale TMS bereits 40 ms nach der Stimuluspräsentation sensorische Aufmerksamkeitsprozesse bei Patienten mit unilateraler Schädigung der Großhirnhemisphäre (Oliveri et al. 1999). Des Weiteren zeigten Grosbras u. Paus (2002) eine Bahnung von Aufmerksamkeitsprozessen nach Einzelreizstimulation des frontalen Augenfeldes bereits 53 ms vor der Präsentation visueller Stimuli. Obwohl in den verschiedenen Studien unterschiedliche Stimulus-Präsentationszeiten verwendet wurden, waren die kritischen Zeitintervalle zwischen Stimuluspräsentation und TMS-Beginn vergleichbar. Dies legt nahe, dass nicht die Zeitdauer der eigentlichen Präsentation, sondern Stimulusbeginn und -ende relativ zur TMS für die Beeinflussung von Aufmerksamkeitsprozessen relevant sind. Störungen von Aufmerksamkeit während einer Aufgabe sind zu verschiedenen diskreten Zeitpunkten provozierbar (Juan u. Walsh 2003; Chambers et al. 2004a), vermutlich durch spezifische Perturbation unterschiedlicher Signalverarbeitungswege.

46.2.4 Chronometrie von

Aufmerksamkeitsprozessen Die Online-TMS während der Durchführung einer Aufmerksamkeitsaufgabe kann auch aufzeigen, wann ein kortikales Areal an Aufmerksamkeitsprozessen teilnimmt (Übersicht in . Abb. 46.2). Für die TMSinduzierte Funktionsunterbrechung von Aufmerksamkeitsleistungen im Parietallappen wurde für die visuelle Suche ein kritisches Stimulationsintervall von 100 ms (Ashbridge et al. 1997) bis 270 ms (Muri et al. 2002) nach Beginn der Stimuluspräsentation identifiziert. In ähnlicher Weise wurden für Orientierungsaufgaben im Posner-Paradigma kritische Stimulationszeitpunkte von 90–120 ms und 210–240 ms nach Beginn der Stimuluspräsentation gefunden (Chambers et al. 2004a). Interessanterweise modifizierte

464

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 46 · Aufmerksamkeit

46.2.5 Interaktionen zwischen Regionen

des Aufmerksamkeitsnetzwerks Aufmerksamkeit beruht auf dynamischen Interaktionen zwischen ipsilateralen Regionen, z. B. Interaktionen von parietalen mit frontalen und occipitalen kortikalen Arealen innerhalb einer Hemisphäre, sowie interhemisphärischen kortikalen Interaktionen, z. B. zwischen homotopen parietalen und frontalen Arealen. Tierexperimentelle rTMS-Untersuchungen an anästhesierten Katzen zeigten, dass die lokale TMS von Regionen des Aufmerksamkeitsnetzwerks auch einen funktionellen neuromodulatorischen Einfluss auf anatomisch verbundene kortikale und subkortikale Regionen (z. B. Colliculus superior) ausübt. Dabei richten sich Art und Stärke der Beeinflussung ipsilateraler Regionen nach dem Charakter der lokalen Neuromodulation (fazilitierende oder hemmende Effekte auf die regionale neuronale Aktivität) und der Dichte der anatomischen Verbindung (Valero-Cabre et al. 2007). Spezifische TMS-Modulationen ipsilateraler Interaktionen zwischen frontalen und parietalen Regionen wurden auch im menschlichen Gehirn demonstriert. Eine 10-Hz-rTMS des rechten frontalen Augenfeldes (aber nicht einer nahe gelegenen Kontrollregion) während der »Cueing«-Phase einer verdeckten Orientierungsaufgabe interferierte mit den evozierten kortikalen Potenzialen in lateralen posterioren Aufmerksamkeitsregionen (Taylor et al. 2007). Möglich ist auch ein funktioneller Wettbewerb zwischen ipsilateralen Regionen bez. der Verarbeitung bestimmter Objektaspekte, z. B. der Stimulusfarbe oder -bewegung die sich im Fokus der Aufmerksamkeit befinden (Walsh et al. 1998). Die Hypothese eines interhemisphärischen Wettbewerbs zwischen bilateralen homotopen Aufmerksamkeitsregionen (Hilgetag et al. 2001) wurde durch bifokale TMS des linken und rechten posterioren parietalen Kortex (Elektrodenpositionen P3 und P4) erhärtet. Während eine unilaterale TMS (Einzelpuls gegeben 150 ms nach visueller Stimuluspräsentation) die Detektion kontralateraler Stimuli störte, hatte eine simultane Einzelreiz-TMS beider posteriorer parietaler Kortizes keinen Einfluss auf die korrekte Stimulusdetektion (Dambeck et al. 2006). Allerdings sind bei dieser Art von multifokaler TMS mögliche Interaktionen zwischen den einzelnen Spulenfeldern zu beachten, welche zu Feldabschwächungen führen können (Cincotta et al. 2005). Generell treten TMS-induzierte Effekte am deutlichsten bei schwierigen Aufgabenstellungen auf, welche eine hohe mentale Leistung abverlangen, z. B. inkorrekt-vorgewarnte Stimuli in Posner-Paradigmen (Chambers et al. 2004a), Konjunktionssuche mit einer

größeren Anzahl von Distraktoren, simultane bilaterale Detektion von peripheren, größentitrierten Stimuli (Hilgetag et al. 2001) oder Stimuli mit inkongruenten lokalen und globalen Stimulusaspekten (Mevorach et al. 2005).

46.3

Untersuchung von Aufmerksamkeitsprozessen an gesunden Probanden

In diesem Abschnitt stellen wir beispielhaft einige Untersuchungen ausführlicher dar, um das Potenzial der TMS für die Erforschung von Aufmerksamkeitsprozessen im menschlichen Gehirn zu illustrieren.

46.3.1 Akute Funktionsunterbrechung

während einer Aufmerksamkeitsaufgabe Begründet durch die Entwicklung der TMS-Methodik kamen zunächst Online-Ansätze zur Anwendung. In diesen Studien wurde in der Regel eine kurze hochfrequente Reizserie während einer Aufmerksamkeitsaufgabe verabreicht, um Aufmerksamkeitsprozesse vorübergehend zu stören. In einer wegweisenden Studie stimulierten Pascual-Leone et al. (1994) occipitale, parietale oder temporale Regionen (Elektrodenpositionen O1, O2, P3, P4, T5 und T6) mittels kurzer, hochfrequenter rTMS (5 Pulse, 25 Hz, 115 der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle) während der Detektion von unilateralen linken oder rechten sowie bilateralen visuellen Stimuli. Eine parietale Stimulation führte spezifisch zu einer verringerten Detektion des kontralateralen Stimulus in einem Stimuluspaar im Sinne eines Extinktionseffekts. Eine occipitale Stimulation hingegen bewirkte generell eine verringerte Detektion kontralateraler Stimuli, sowohl unilateral als auch als Teil eines bilateralen Stimuluspaares. Dieses »Läsionsmuster« wurde interpretiert als visueller Ausfall im Gesichtsfeld kontralateral zur Seite der rTMS; die Abgrenzung zu einem neglectähnlichen Defizit ist hier jedoch schwierig. Die Studie zeigte weitgehend spiegelsymmetrische Effekte nach links- und rechtshemisphärischer TMS. Mittels eines ähnlichen Ansatzes (5 Pulse mit 10-Hz über dem rechtem oder linken Gyrus angularis, 60 maximale Stimulatorintensität) konnten modulatorische Topdown-Einflüsse auf selektive Aufmerksamkeit auch in ein existierendes theoretisches Aufmerksamkeitsmodell eingebettet und quantifiziert werden (Hung et al. 2005).

46.4 Untersuchung von Aufmerksamkeitsleistungen an Patienten

In späteren Arbeiten wurde die TMS-induzierte vorübergehende Funktionsunterbrechung vor allem zur Chronometrie von Aufmerksamkeitsleistungen eingesetzt. Einzelpulse hatten z. B. über dem parietalen Kortex (nahe der Elektrodenposition P4, 80 der maximalen Stimulatorintensität) einen spezifischen Einfluss auf visuelle Suche, aber nicht auf eine einfachere »Pop out«-Suchaufgabe (Ashbridge et al. 1997). Wurde der TMS-Puls 100 ms nach Präsentationsbeginn der visuellen Stimuli gegeben, erhöhte sich die Reaktionszeit für die Detektion anwesender Targetstimuli. Eine TMS 160 ms nach Erscheinen der visuellen Stimuli verlängerte die Reaktionszeit für abwesende Targetstimuli. Chambers et al. (2004a) kombinierten Einzelpuls-TMS des Gyrus angularis oder Gyrus supramarginalis in beiden Hemisphären mit einem Posner-Paradigma und fanden für die TMS des rechten Gyrus angularis eine signifikante Beeinflussung von Antworten auf inkorrekt vorgewarnte Stimuli im linken Gesichtsfeld während zweier umschriebener Zeitfenster 90–120 ms und 210–240 ms nach Präsentation des Zielstimulus. Das Ergebnis unterstützte die Hypothese zweier unterschiedlich schneller Verarbeitungswege im parietalen Kortex, ein schneller über den Colliculus superior und das Pulvinar führender, sowie ein langsamerer, thalamokortikaler Pfad. Der dynamische Charakter von Aufmerksamkeitsprozessen wird auch dadurch belegt, dass TMS des primären visuellen Areals V1 visuelle Suchaufgaben (speziell Konjunktionssuche) zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sowohl 100 ms als auch 200 und 240 ms nach Präsentation der visuellen Stimuli, stören kann, was auf respektive Beiträge von »Feedforward«- (100 ms) und »Feedback«-Prozessen (200–240 ms) zurückgeführt wurde (Juan u. Walsh 2003).

465

46

trodenpositionen P3 oder P4) bewirkte neglect- und extinktions-ähnliche Phänomene in der Detektion einfacher unilateraler (linker oder rechter) oder bilateraler Stimuli (Hilgetag et al. 2001; . Abb. 46.3). Die ebenfalls beobachtete Verstärkung unilateraler ipsilateraler Stimuli stützte die Hypothese eines interhemisphärischen kortikalen Wettbewerbs für Aufmerksamkeit. (7 Exkursbox »Neuronales Aufmerksamkeitsnetzwerk«). Effekte in Fehlerraten und Reaktionszeiten nach links- bzw. rechtsseitiger rTMS waren spiegelbildlich, jedoch stärker ausgeprägt nach rechtsparietaler Stimulation. Reaktionszeiten für bilaterale Stimuli, welche fehlerhaft als unilaterale Stimuli detektiert wurden, lagen zwischen denen für korrekt detektierte unilaterale und bilaterale Stimuli und wiesen somit einen frühen Einfluss von TMS auf die Aufmerksamkeitsverarbeitung nach. Eine ähnliche Studie mit niedrigfrequenter 1-Hz-rTMS über 25 min mit 80 der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle zeigte für Elektrodenposition P4 auch einen TMS-Einfluss auf gesteuerte »top down«-generierte Aufmerksamkeitsprozesse (Thut et al. 2005). Hingegen führte eine Neuromodulation mit einer hochfrequenten 10-Hz-rTMS über 20 min (1000 Stimuli) mit 80 der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle der gleichen Regionen (Elektrodenpositionen P3 oder P4) in einer Linienteilungsaufgabe zu verbesserter Erkennung der kontralateralen Segmentvergrößerung (Kim et al. 2005). Diese Befunde sind potenziell relevant für die Behandlung von hirngeschädigten Patienten mit Aufmerksamkeitsdefiziten wie Neglect oder Extinktion mit einer Offline-rTMS. Dabei ist sowohl die niedrigfrequente Stimulation der intakten Hemisphäre denkbar, als auch eine hochfrequente Stimulation der geschädigten Hemisphäre (7 Kap. 55).

46.3.2 Länger anhaltende Modulation von

Aufmerksamkeitsprozessen Offline-Paradigmen verwenden neuromodulatorische Effekte der rTMS, welche den Zeitpunkt der Magnetstimulation überdauern (7 Kap. 31). Obwohl die neuronalen Mechanismen sowie die Stärke und Zeitdauer der induzierten Aufmerksamkeitsmodulationen noch immer unzureichend verstanden sind, bieten Offline-Paradigmen wegen ihrer einfachen Handhabung und Vergleichbarkeit mit klinischen Beobachtungen einen guten Ansatz zur Untersuchung der funktionellen Neuroanatomie von Aufmerksamkeitsprozessen. Eine 10 min niedrigfrequente (1 Hz) rTMS mit 90 der kortikalen motorischen Reizschwelle von rechts- oder linksparietalen Kortexregionen (Elek-

46.4

Untersuchung von Aufmerksamkeitsleistungen an Patienten

TMS wurde bislang bei relativ wenigen Patienten mit Aufmerksamkeitsdefiziten eingesetzt. Sowohl kurze hochfrequente (25 Hz) rTMS im Online-Modus (Oliveri et al. 2001) als auch länger andauernde (1 Hz) Offline-rTMS (Brighina et al. 2003; Shindo et al. 2006) des inferioren Parietalkortex (Elektrodenpositionen P5 oder P6) in der intakten Hemisphäre führten zur Verminderung des kontraläsionalen (d. h. ipsilateral zur Seite der TMS) Hemineglects, getestet mit einer Linienteilungsaufgabe. Außerdem reduzierte eine Einzelpuls-TMS des linken präfrontalen Kor-

466

Kapitel 46 · Aufmerksamkeit

48

tex (Elektrodenposition F3) mit 110 der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle in rechtshemisphärisch geschädigten Patienten eine kontraläsionale taktile Extinktion, getestet mit einer uniund bimanualen elektrischen Stimulation (Oliveri et al. 1999). Dieser Effekt trat auf, wenn der transkranielle Stimulus 40 ms nach der elektrischen Stimulation gegeben wurde und war nicht nachweisbar, wenn die TMS über dem linken Parietalkortex verabreicht wurde. In zwei Pilotstudien an Patienten mit rechtshemisphärischen parietalen Läsionen und Aufmerksamkeitsstörung führte die wiederholte Anwendung (6- bzw. 7-mal über 2 Wochen) einer 1-Hz rTMS des intakten posterioren parietalen Kortex (Elektrodenposition P5) mit 90 oder 95 der individuellen kortikalen motorischen Schwelle in einer Reihe von klinischen Aufmerksamkeitstests zu signifikanten Verbesserungen, die noch 15 Tage (Brighina et al. 2003) bis 6 Wochen (Shindo et al. 2006) nach Ende der Behandlung anhielten.

49

46.5

41 42 43 44 45 46 47

50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Ausblick

Nachdem die vorliegenden TMS-Untersuchungen eine relevante Beteiligung parietaler und präfrontaler Regionen an Aufmerksamkeitsleistungen belegen konnten, gilt es nun, die spezifischen Beiträge dieser Regionen näher zu charakterisieren. Des Weiteren müssen die dynamischen Interaktionen zwischen den Regionen des Aufmerksamkeitsnetzwerks aufgeklärt werden, insbesondere zwischen homotopen Regionen in den beiden Hemisphären, welche teilweise unterschiedlich spezialisierte Aufmerksamkeitsleistungen unterstützen. Das Verständnis von Aufmerksamkeit als einer Netzwerkfunktion, die auf den verteilten, bilateralen Interaktionen von spezialisierten kortikalen und subkortikalen Regionen beruht, wird durch die Kombination von TMS mit bildgebenden Techniken unterstützt werden. Auf der Grundlage dieser Befunde wird das klinische Potenzial von TMS-Interventionen nach Hirnschädigungen besser einzuschätzen sein. Besondere Bedeutung kommt dabei Erkenntnissen zu, die durch den Einsatz von TMS im Tierexperiment gewonnen werden, z. B. der Aufklärung der neuronalen Mechanismen der Offline-TMS und der Beziehung von funktionellen Interaktionen zu anatomischer Konnektivität.

Literatur Ashbridge E, Walsh V, Cowey A (1997) Temporal aspects of visual search studied by transcranial magnetic stimulation. Neuropsychologia 35: 1121–1131 Bjoertomt O, Cowey A, Walsh V (2002) Spatial neglect in near and far space investigated by repetitive transcranial magnetic stimulation. Brain 125: 2012–2022 1Brighina F, Bisiach E, Oliveri M et al. (2003) 1 Hz repetitive transcranial magnetic stimulation of the unaﬀected hemisphere ameliorates contralesional visuospatial neglect in humans. Neurosci Lett 336: 131–133 Diese Studie lieferte einen ersten Nachweis dafür, dass Oﬀline-rTMS zur längerfristigen Wiederherstellung von Aufmerksamkeitsleistungen in hirngeschädigten Patienten beitragen kann. Chambers CD, Mattingley JB (2005) Neurodisruption of selective attention: insights and implications. Trends Cogn Sci 9: 542–550 Chambers CD, Payne JM, Stokes MG, Mattingley JB (2004a) Fast and slow parietal pathways mediate spatial attention. Nature Neuroscience 7: 217–218 Chambers CD, Stokes MG, Mattingley JB (2004b) Modality-speciﬁc control of strategic spatial attention in parietal cortex. Neuron 44: 925–930 Cincotta M, Borgheresi A, Jung P, Balestrieri F et al. (2005) Physical interactions between induced electrical ﬁelds can have substantial eﬀects on neuronal excitation during simultaneous TMS of two brain areas. Clin Neurophysiol 116: 1733–1742 Dambeck N, Sparing R, Meister IG et al. (2006) Interhemispheric imbalance during visuospatial attention investigated by unilateral and bilateral TMS over human parietal cortices. Brain Res 1072: 194–199 Ellison A, Schindler I, Pattison LL, Milner AD (2004) An exploration of the role of the superior temporal gyrus in visual search and spatial perception using TMS. Brain 127: 2307– 2315 Fierro B, Brighina F, Oliveri M et al. (2000) Contralateral neglect induced by right posterior parietal rTMS in healthy subjects. Neuroreport 11: 1519–1521 Grosbras MH, Paus T (2002) Transcranial magnetic stimulation of the human frontal eye ﬁeld: eﬀects on visual perception and attention. J Cogn Neurosci 14: 1109–1120 1Hilgetag CC, Theoret H, Pascual-Leone A (2001) Enhanced visual spatial attention ipsilateral to rTMS-induced ‘virtual lesions’ of human parietal cortex. Nat Neurosci 4: 953– 957 Die Arbeit demonstrierte »paradoxe Läsionseﬀekte« im menschlichen Gehirn nach Oﬄine-rTMS-Modulation und belegte indirekt einen interhemisphärischen Wettbewerb von räumlicher Aufmerksamkeit. Hung J, Driver J, Walsh, V (2005) Visual selection and posterior parietal cortex: Eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation on partial report analyzed by Bundesen’s theory of visual attention. J Neurosci 25: 9602–9612 1Juan CH, Walsh V (2003) Feedback to V1: a reverse hierarchy in vision. Exp Brain Res 150: 259–263

Literatur

Diese Online-Studie stützte die Hypothese, dass Aufmerksamkeitsleistungen auf den rekurrenten funktionellen Interaktionen zwischen unterschiedlichen kortikalen Arealen beruhen und diese Interaktionen zu verschiedenen Zeitpunkten mittels TMS gestört werden können. Kim YH, Min SJ, Ko MH et al. (2005) Facilitating visuospatial attention for the contralateral hemiﬁeld by repetitive TMS on the posterior parietal cortex. Neurosci Lett 382: 280– 285 Meister IG, Wienemann M, Buelte D et al. (2006) Hemiextinction induced by transcranial magnetic stimulation over the right temporo-parietal junction. Neuroscience 142: 119–123 1Mevorach C, Humphreys GW, Shalev L (2005) Attending to local form while ignoring global aspects depends on handedness: evidence from TMS. Nat Neurosci 8: 276–277 Eine elegante Studie, die mittels der TMS den Zusammenhang von Händigkeit und Lateralisierung von Aufmerksamkeit für globale oder lokale Stimulusattribute belegte, wobei Rechts- und Linkshänder spiegelsymmetrische Eﬀekte zeigten. Mevorach C, Humphreys GW, Shalev L (2006) Opposite biases in salience-based selection for the left and right posterior parietal cortex. Nat Neurosci 9: 740–742 Moll GH, Heinrich H, Trott G et al. (2000) Deﬁcient intracortical inhibition in drug-naive children with attention-deﬁcit hyperactivity disorder is enhanced by methylphenidate. Neurosci Lett 284: 121–125 Muri RM, Buhler R, Heinemann D et al. (2002) Hemispheric asymmetry in visuospatial attention assessed with transcranial magnetic stimulation. Exp Brain Res 143: 426– 430 Oliveri M, Rossini PM, Traversa R et al. (1999) Left frontal transcranial magnetic stimulation reduces contralesional extinction in patients with unilateral right brain damage. Brain 122: 1731–1739 Oliveri M, Bisiach E, Brighina F et al. (2001) rTMS of the unaffected hemisphere transiently reduces contralesional visuospatial hemineglect. Neurology 57: 1338–1340 2Pascual-Leone A, Gomez-Tortosa E, Grafman J et al. (1994) Induction of visual extinction by rapid-rate transcranial magnetic stimulation of parietal lobe. Neurology 44: 494498 Wegweisende Studie, welche den grundlegenden Ausgangspunkt für heutige TMS-Untersuchungen visueller räumlicher Aufmerksamkeit bildete. Rushworth MF, Ellison A, Walsh V (2001) Complementary localization and lateralization of orienting and motor attention. Nat Neurosci 4: 656–661 Shindo K, Sugiyama K, Huabao L et al. (2006) Long-term eﬀect of low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation over the unaﬀected posterior parietal cortex in patients with unilateral spatial neglect. J Rehabil Med 38: 65– 67 1Taylor PC, Nobre AC, Rushworth MF (2007) FEF TMS affects visual cortical activity. Cereb Cortex 17: 391–399 Wegweisende Studie für die Kombination von TMS und elektrophysiologischen Ansätzen zur Untersuchung des verteilten Aufmerksamkeitsnetzwerkes.

467

46

Thut G, Nietzel A, Pascual-Leone A (2005) Dorsal posterior parietal rTMS aﬀects voluntary orienting of visuospatial attention. Cereb Cortex 15: 628–638 2Valero-Cabre A, Payne BR, Pascual-Leone A (2007) Opposite impact on (14)C-2-deoxyglucose brain metabolism following patterns of high and low frequency repetitive transcranial magnetic stimulation in the posterior parietal cortex. Exp Brain Res 176: 603–615 Essenzielle Grundlagenstudie, welche im Tiermodell die lokalen und globalen metabolischen Konsequenzen hoch- und niedrig-frequenter Online- und Oﬄine-rTMS identiﬁzierte. 1Walsh V, Ellison A, Battelli L, Cowey A (1998) Task-speciﬁc impairments and enhancements induced by magnetic stimulation of human visual area V5. Proc R Soc Lond B Biol Sci 265: 537–543 Diese Studie belegte einen möglichen funktionellen Wettbewerb zwischen verschiedenen Stimulus-Attributen (speziell Bewegung und Farbe) in Aufmerksamkeitsaufgaben.

47

469

Gedächtnis Felix M. Mottaghy, Roland Sparing

47.1

Einführung – 470

47.4

Langzeitgedächtnis

47.2

Sensorisches Ultrakurzzeitgedächtnis – 470

47.5

Untersuchung von Gedächtnisfunktionen bei Patienten – 474

47.3

Arbeitsgedächtnis

47.6

47.3.1 47.3.2

Verbales Arbeitsgedächtnis Visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis – 472

Zusammenfassung und Ausblick – 475

Literatur

– 475

– 471 – 471

– 474

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Einsatzmöglichkeiten der TMS zur Untersuchung von Gedächtnisprozessen im menschlichen Gehirn mit einem Schwerpunkt auf der Organisation des Arbeitsgedächtnisses. Durch die für TMS hervorragende Zugänglichkeit der frontoparietalen Netzwerke konnte insbesondere die Organisation des Arbeitsgedächtnisses besser entschlüsselt werden. Langzeitgedächtnisprozesse sind hingegen vergleichsweise wenig untersucht worden. In den letzten Jahren haben sich einige Forschergruppen vermehrt der Erforschung pathologischer Gedächtnisdeﬁzite und Alterungsprozessen zugewandt. In Ergänzung zu anderen neurowissenschaftlichen

Methoden hat die TMS wichtige Informationen über die zeitliche und räumliche Beteiligung einzelner Hirnregionen und über die Modalitätsspeziﬁzierung einzelner Gedächtnisprozesse erbracht. Hierbei sind multimodale Ansätze, welche die TMS mit funktionellen bildgebenden Verfahren kombinieren, besonders aussagekräftig. Es bleibt für die Zukunft zu hoﬀen, dass die TMS in Kombination mit anderen neuromodulatorischen Methoden einen Beitrag nicht nur zu einem besseren Verständnis, sondern auch zu der Entwicklung alternativer rehabilitativer bzw. supportiver Therapien leisten kann.

41

470

Kapitel 47 · Gedächtnis

47.1

Einführung

52

Das menschliche Gedächtnis ist in hochkomplexen funktionellen Systemen repräsentiert, welche Informationen unterschiedlichster Modalitäten verarbeiten (7 Exkursbox »Neuroanatomie verschiedener Gedächtnisformen«). In Abhängigkeit von den Gedächtnisinhalten beziehen Gedächtniserwerb, speicherung und -abruf eine Vielfalt kortikaler und subkortikaler Hirnregionen in verteilten Netzwerken ein. Die eher diffuse, dezentralisierte Repräsentation von Gedächtnisfunktionen in ausgedehnten kortikosubkortikalen Netzwerken stellt in Hinblick auf den Einsatz der TMS in der Gedächtnisforschung eine Herausforderung dar. Insbesondere die oberflächenferne Lage einzelner, für das Gedächtnis relevanter Areale, limitiert prinzipiell die Anwendbarkeit der TMS, z. B. zur Erforschung der Beteiligung des Hippocampus an Gedächtnisfunktionen. Dennoch lassen sich bei entsprechender Versuchsplanung mit der TMS temporäre Verhaltensänderungen induzieren und so interessante Einsichten in die Organisation der menschlichen Gedächtnisfunktionen gewinnen. Hier bieten sich vor allem multimodale Untersuchungsansätze an, welche die TMS mit bildgebenden funktionellen Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (MRT) oder der Positronenemissionstomografie (PET) des regionalen zerebralen Blutflusses bzw. des zerebralen Glukosestoffwechsels kombinieren (7 Kap. 35–37).

53

47.2

42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

54 55 56 57 58 59 60

Sensorisches Ultrakurzzeitgedächtnis

Die erste, wenn auch nur sehr kurzfristige, Speicherung der Informationen von den Sinnesorganen erfolgt in den primär sensorischen Hirnarealen. Dieses modalitätsspezifische Ultrakurzzeitgedächtnis reguliert durch eine Zwischenspeicherung im Millisekunden- bis Sekundenbereich den Informationsfluss zum nachgeschalteten (Kurzzeit-) Arbeitsgedächtnis. Da diese Gedächtniskomponente nahezu untrennbar mit der jeweiligen sensorischen Modalität verknüpft ist, werden Studien, die z. B. den Einfluss der TMS auf die sehr frühe, kurzfristige Speicherung sensorischer Information untersuchen, in der Regel dem entsprechenden funktionellen System zugeordnet und nicht dem funktionellen System »Gedächtnis«. Exemplarisch sei auf zwei Studien verwiesen, deren Ergebnisse aufgrund der Tatsache, dass die TMS mit dem primären sensorischen Hirnareal, z. B. dem Areal V1 oder dem primären somatosensorischen Kortex inter-

Exkurs

Neuroanatomie verschiedener Gedächtnisformen Der Erwerb, die Speicherung und der Abruf von Gedächtnisinhalten ist eine der wichtigsten kognitiven Eigenschaften des menschlichen Gehirns. Die Gedächtnisbildung basiert vor allem auf der Plastizität neuronaler Systeme. Es wurden verschiedene Kernkonzepte zu seiner Organisation und Arbeitsweise entwickelt (Tulving u. Craik 2000). Im Allgemeinen werden anhand der Dauer der Informationsspeicherung drei verschiedene Gedächtnisformen modellhaft unterschieden: 5 Das sensorische Ultrakurzzeitgedächtnis als initialer und für jede Sinnesmodalität speziﬁscher Prozess im Millisekunden bis Sekundenbereich, 5 das Arbeitsgedächtnis als Zentrum der bewussten Informationsverarbeitung 5 und das Langzeitgedächtnis zur dauerhaften Speicherung (. Abb. 47.1). Im Gegensatz zu anderen Hirnfunktionen wie z. B. der Sensorik oder Motorik ist die regionale funktionelle Spezialisierung einzelner Rindenareale geringer ausgeprägt. So gibt es kein umschriebenes Gedächtniszentrum; vielmehr ist das Gedächtnis eine Leistung vieler heterogener anatomischer Strukturen, die von der molekularen Ebene über das einzelne Neuron bis zur Interaktion in komplexen neuronalen Netzwerken reichen. Anatomisch ließ sich auf kortikaler Ebene ein ausgedehntes frontoparietales Netzwerk identiﬁzieren, das Verbindungen mit anderen gedächtnisrelevanten kortikalen und subkortikalen Arealen, insbesondere dem medialen temporalen Kortex, der Hippocampusformation und der Amygdala, aufweist. Auch dem Kleinhirn wird eine wichtige Rolle sowohl für Arbeits- als auch Langzeitgedächtnisprozesse zugewiesen.

ferierte, nicht nur die Funktion des Arbeitsgedächtnisses, sondern auch vor allem die des sensorischen Ultrakurzzeitgedächtnisses widerspiegeln: Beckers u. Hömberg (1991) zeigten für das visuelle System, dass ein occipitaler transkranieller Einzelreiz 40–120 ms nach Präsentationsbeginn die visuelle Verarbeitung in einer visuoräumlichen Arbeitszeitsgedächtnisaufgabe nach Sternberg stört. Die Relevanz des primären somatosensorischen Kortex für die kurzfristige Speicherung taktiler Informationen wurde von Harris et

47.3 Arbeitsgedächtnis

471

47

. Abb. .. Vereinfachte Übersicht zur Organisation des menschlichen Arbeitsgedächtnisses entsprechend gegenwärtiger Modelltheorien. Abhängig von der Dauer der Informationsspeicherung wird zwischen dem sensorischen (Ultrakurzzeit-) Gedächtnis, dem Arbeits- (früher Kurzzeit-) und Langzeitgedächtnis unterschieden. Das Arbeits- und Langzeitge-

dächtnis lassen sich in weitere Komponenten unterteilen, wobei der zentralen Exekutive, lokalisiert im dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC), eine zentrale Schaltstellenfunktion zukommt. Zusätzlich angegeben sind die wichtigsten anatomischen Korrelate der einzelnen Gedächtniskomponenten

al. (2002) nachgewiesen. Ein einzelner TMS-Impuls erschwerte im Zeitfenster von 300–600 ms die Unterscheidung von Vibrationsfrequenzen, die durch ein Latenzintervall von 1500 ms getrennt waren.

Korrelat wird der präfrontale Kortex angenommen. Ein alternatives Konzept besagt, dass das theoretische Konstrukt einer zentralen Exekutive auch die vielfältige Interaktion eines großen präfrontalen und parietalen Netzwerkes darstellen könnte. Bis zu der Einführung der bildgebenden Verfahren leisteten traditionell neuropsychologische und Läsionsstudien den größten Erkenntnisgewinn. Die TMS erweiterte schließlich das methodische Untersuchungsspektrum, wobei ihre Stärke in der Untersuchung der kausalen, lokalisatorischen und zeitlichen Zusammenhänge lag.

47.3

Arbeitsgedächtnis

Verschiedene theoretische Modelle zur Organisation des Arbeitsgedächtnisses sind in den letzten Jahrzehnten ausgearbeitet worden. Das Arbeitsgedächtnis stellt einen in der Kapazität begrenzten Speicher dar, der Informationen für kurze Zeit speichern kann, um mentale Operationen durchzuführen. Gängige Modelle gliedern das Arbeitsgedächtnis in zwei untergeordnete stimulus-spezifische Systeme: das räumlich-visuelle (»visuo-spatial scratch pad«) und verbalphonologische Zwischenregister. Die zentrale Exekutive interagiert mit diesen Systemen als Schaltstelle und koordiniert bidirektional den Übergang von Informationen aus diesen Systemen in das Langzeitgedächtnis (. Abb. 47.1). Als wichtigstes anatomisches

47.3.1 Verbales Arbeitsgedächtnis Die zentrale Komponente des theoretischen Modells des verbalen Arbeitsgedächtnisses stellt die phonologische Schleife dar, die der Speicherung sprachrelevanter Information dient. Sie setzt sich aus zwei Subkomponenten zusammen, einem phonologischen Speicher, welcher sprachbezogene Informationen für einige Sekunden behalten kann und einem artikula-

472

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 47 · Gedächtnis

torischen Kontrollprozess, welcher in der Lage ist, diese Informationen aufzufrischen. Die involvierten Hirnareale bilden ein ausgedehntes bilaterales, linkslateralisiertes frontoparietales Netzwerk, das zum Teil mit sprach-relevanten Regionen (Brodmann-Areale 40 und 44) überlappt. Von Düzel et al. (1996) zeigte in einer Studie bei Patienten mit Temporallappenepilepsie, dass ein TMS-Stimulus über dem linken temporalen Kortex 200 ms nach Stimulusbeginn diese phonologische Schleife qualitativ und material-spezifisch beeinflussen kann. Die Rolle des inferioren frontalen Gyrus (BA 44) wurde von Nixon et al. (2004) mit einer hochfrequenten rTMS (5 Stimuli mit einer Frequenz von 13,3 bzw. 10 Hz) während einer phonologischen Arbeitsgedächtnisaufgabe untersucht. Während die rTMS keinen Effekt auf die nichtverbale, visuelle Kontrollaufgabe hatte, stieg die Fehlerrate signifikant an, wenn die inferior-frontale rTMS während der Erinnerungsphase gegeben wurde. Die Verabreichung der rTMS während der Entscheidungsphase hatte hingegen keinen Effekt auf die Fehlerrate. In einer weiteren Online-rTMS-Studie zeigte eine hochfrequente rTMS (8 Stimuli bei 5 Hz), dass neben dem hinteren inferioren frontalen Kortex auch der supramarginale Gyrus des inferioren parietalen Kortex eine wichtige Rolle für das phonologische Arbeitsgedächtnis zu spielen scheint (Romero et al. 2006). Die Hypothese, dass manche Arbeitsgedächtnisprozesse modalitätsabhängig lateralisiert sind, wird durch eine Online-rTMS-Studie von Flöel et al. (2004) gestützt. Zehn Stimuli einer hochfrequenten rTMS des linken präfrontalen Kortex störten die Enkodierung von Wörtern, während die rTMS des rechten präfrontalen Kortex mit der Enkodierung von abstrakten Formen (nichtverbalen Objekten) interferierte. Andererseits ergab eine Reihe von Experimenten, welche die Online-rTMS (120 Stimuli bei 4 Hz) während einer »2-back«-Arbeitsgedächtnisaufgabe anwandten, Hinweise auf ein bilaterales frontoparietales Netzwerk mit dem posterioren parietalen Kortex und dem dorsolateralen präfrontalen Kortex als Schlüsselkomponenten (Mottaghy et al. 2000, 2003). Die bihemisphärische aber seitenbetonte Anlage der Netzwerke kann auf verschiedene Weise erklärt werden. Zunächst ist eine simultane bilaterale Verarbeitung der visuellen Information von posterior nach anterior prinzipiell denkbar. Visuelle Stimuli, wie sie Buchstaben darstellen, könnten aber auch einerseits als Objekte rechts-dominant, anderseits als semantische Information links-dominant verarbeitet werden. Letztlich würde die Information im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex konvergieren, der

ausgeprägte afferente und efferente Verbindungen mit posterioren Hirnarealen und seinem kontralateralen Homologon aufweist. Mit der TMS gelang es somit, die anatomischen Korrelate des verbalen Arbeitsgedächtnisses genauer zu charakterisieren. Interessanterweise fanden sich darüber hinaus auch Hinweise für eine Beteiligung des Kleinhirns an verbalen Arbeitsgedächtnisprozessen. Desmond et al. (2005) konnten z. B. zeigen, dass Einzelreiz-TMS über dem oberen Anteil der rechten Kleinhirnhemisphäre während der Enkodierungsphase zu einer signifikanten Verlängerung der Reaktionszeit bei einer verbalen Arbeitsgedächtnisaufgabe (Sternberg-Aufgabe) führte.

47.3.2 Visuell-räumliches

Arbeitsgedächtnis Die Aufgabe des visuell-räumlichen Zwischenregisters stellt die kurzfristige Speicherung visueller Eindrücke dar, entweder in einer rein visuellen oder visuell-räumlichen Kodierung. Als neuronales Korrelat wird ein weitdistribuiertes frontoparietales Netzwerk postuliert. Die weitere Differenzierung der Organisation des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses mittels neuropsychologischer und bildgebender Verfahren ergab unterschiedliche Konzepte: Das Konzept der modalitätsspezifischen Aufgliederung des präfrontalen Kortex geht von einer dorsal-räumlichen und ventral-objektbezogenen Unterteilung aus, wobei jedes Modul alle Funktionen übernehmen kann. Das Konzept der funktionsspezifischen Aufgliederung definiert zwei Exekutivsysteme im Bereich des lateralen präfrontalen Kortex. Der mittlere Anteil des ventrolateralen präfrontalen Kortex moderiert exekutive Verarbeitung sowie Arbeits- und Langzeitgedächtnis. Der mittlere dorsolaterale frontale Kortex interagiert auf einer weiteren Ebene und wird rekrutiert, wenn aktive Verarbeitung und Manipulation von Informationen im Arbeitsgedächtnis stattfindet. Letzteres Modell impliziert eine Unabhängigkeit vom Stimulustyp. Eine Vielzahl von TMS-Studien beschäftigte sich mit der genaueren lokalisatorischen Differenzierung von Arbeitsgedächtnisfunktionen. Als ein besonders gutes motorisches Modell zur Untersuchung visuell-räumlicher Arbeitsgedächtnisfunktionen, auch in Kombination mit der TMS, erwiesen sich gedächtnisgesteuerte Sakkaden (engl. memory-guided saccades). Mit ihrer Hilfe gelang die Identifikation eines frontoparietalen Netzwerkes, das u. a. das frontale Augenfeld und den dorsolateralen präfrontalen Kortex einschließt (7 Kap. 41).

47.3 Arbeitsgedächtnis

473

47

In einer Serie von Experimenten verabreichte Olivieri et al. (2001) eine Einzelreiz-TMS bilateral zu zwei verschiedenen Zeitpunkten (300 oder 600 ms nach Präsentationsbeginn des visuellen Stimulus) während der Durchführung zweier »N-back«-Arbeitsgedächtnisaufgaben, welche entweder die Erinnerung von räumlichen Positionen oder abstrakten Formen erforderte. Neben dem posterioren parietalen Kortex wurden die mittlere Temporalregion, der superiore frontale Gyrus und der dorsolaterale präfrontale Kortex stimuliert. Zum frühen Stimulationszeitpunkt (300 ms) verzögerte eine bilaterale parietale TMS selektiv die Reaktionszeit während einer räumlichen Arbeitsgedächtnisaufgabe, während eine bilaterale temporale TMS selektiv die Reaktionszeit während der objektbezogenen Arbeitsgedächtnisaufgabe beeinflusste. Zum späten Stimulationszeitpunkt (600 ms) wurde durch eine bilaterale TMS über dem superioren frontalen Gyrus nur während der räumlichen Arbeitsgedächtnisaufgabe verzögert, während eine bilaterale TMS über dem dorsolateralen präfrontalen Kortex die Leistung des Arbeitsgedächtnisses unabhängig von der Stimulusmodalität modulierte. Die Autoren diskutierten die Ergebnisse im Hinblick auf das Konzept des ventralen und dorsalen Informationsflusses für räumliche bzw. objekt-bezogene Stimuli und vermuteten, dass die »Speicher« für die unterschiedlichen Arbeits-

zeitgedächtnisinhalte im posterioren parietalen Kortex divergieren, während der dorsolaterale präfrontale Kortex eine übergeordnete, modalitätsunabhängige Schlüsselrolle bei diesen Prozessen einnimmt. In einer weiteren Studie der gleichen Arbeitsgruppe (Koch et al. 2005) wurden diese Ergebnisse mithilfe einer hochfrequenten (8 Hz) Online-rTMS bestätigt und chronometrisch weiter differenziert. Als Hauptergebnis zeigte sich, dass der dorsolaterale präfrontale Kortex insbesondere während der Entscheidungsphase eine kritische Rolle spielt. Aufgrund der bilateralen Applikation der TMS ließen diese Studien keine Aussage zur Lateralisation von Arbeitsgedächtnisprozessen zu. Dieser Aspekt wurde jedoch von einer Vielzahl anderer Studien untersucht (z. B. Flöel et al. 2004). Eine weitere Untergliederung der Arbeitsgedächtnisfunktionen im Bereich des ventralen und dorsalen präfrontalen Kortex im Hinblick auf den Stimulustyp konnte mittels der Offline-rTMS gezeigt werden (Mottaghy et al. 2002). Vor und nach einer hemmenden 1-Hz-rTMS (600 Stimuli) wurde die Leistung in einer verzögerten Arbeitsgedächtnisaufgabe gemessen, welche das Erinnern von räumlichen Positionen oder Gesichtern erforderte. Das experimentelle Design bestand aus drei Sitzungen, in denen drei verschiedene Areale im Bereich des linken präfrontalen Kortex stimuliert wurden (. Abb. 47.2). In guter

. Abb. .. Konditionierende Eﬀekte einer hemmenden, niederfrequenten 1-Hz-rTMS (600 Stimuli) über 3 Stimulationsarealen im Bereich des linken präfrontalen Kortex (PFC). Dm dorsomedialer PFC; DL dorsolateraler PFC; V ventrolateraler PFC N Nasion; M motorischer Kortex; T Tragus. Die Probanden führten 2 verzögerte Arbeitsgedächtnisaufgaben aus: 1. Erinnern von Positionen eines Kreis auf dem Bildschirm

(räumliche Aufgabe spatial, linke Spalte). 2. Erinnern von Gesichtern (objekt-bezogene Aufgabe facial, rechte Spalte). base Baseline- bzw. Ausgangsmessung vor rTMS; post1 direkt nach rTMS; post2 und post3 nach 5 bzw. 10 min nach rTMS). ** signiﬁkante Leistungsverschlechterung (p<0,5). (Aus Mottaghy et al. 2002; mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press)

474

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 47 · Gedächtnis

Übereinstimmung mit tierexperimentellen Studien sprechen die inhibitorisch konditionierenden Effekte der rTMS auf die Gedächtnisleistungen für eine dorsal-räumliche bzw. ventral-objektbezogene Organisation des Arbeitsgedächtnisses im präfrontalen Kortex. In Zusammenschau mit der oben erwähnten Studie von Nixon et al. (2004) belegen die TMS-Untersuchungen eine modalitätsabhängige funktionelle Spezialisation außerhalb und innerhalb des präfrontalen Kortex. Gleichzeitig sind auch modalitätsunabhängige Aspekte des Arbeitszeitgedächtnisses im dorsolateralen präfrontalen Kortex repräsentiert als mögliches Korrelat zentral-exekutiver Funktionen (Mottaghy et al. 2002).

47.4

Langzeitgedächtnis

Das Langzeitgedächtnis des Menschen ist in keinem klar definierten Netzwerk repräsentiert. Die Kombination involvierter Hirnregionen ist äußerst vielfältig und hängt wesentlich von den gespeicherten Informationsarten ab. Schlüsselregionen sind der dorsolateral präfrontale Kortex und der Präkuneus. Das Langzeitgedächtnis vereint komplexe Prozesse des Lernens (Enkodierung), der Konsolidierung und des Erinnerns der Gedächtnisinhalte (Gedächtnisabruf). Im Allgemeinen wird zwischen dem deklarativen (auch Wissensgedächtnis) und dem nichtdeklarativen Gedächtnis (auch Verhaltensgedächtnis) unterschieden (. Abb. 47.1). Das nichtdeklarative Gedächtnis besteht wiederum aus verschiedenen Subkomponenten, wie z. B. dem prozeduralen Gedächtnis, das vor allem im Zusammenhang mit motorischen Lernprozessen steht oder den »Priming«-Mechanismen im Bereich der perzeptiven Verarbeitung. Diese nichtdeklarativen Gedächtnisprozesse werden an anderer Stelle besprochen (7 Kap. 42–45, 52). Im Vergleich zum Arbeitsgedächtnis wurden nur relativ wenige TMS-Studien zum deklarativen Gedächtnis mit seinen Subkomponenten, dem episodischen und dem semantischen Gedächtnis, publiziert. Das deklarative Gedächtnis ist möglicherweise weniger anfällig gegenüber einer Funktionsunterbrechung mittels TMS, da hier tiefergelegene Hirnregionen eine relevante Rolle spielen, die mit der TMS schlecht erreichbar sind. Dennoch gelang es in einer Reihe von Studien, die Rolle des dorsolateralen präfrontalen Kortex für die Enkodierung und für den Abruf von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis zu entschlüsseln. Rossi et al. (2001) präsentierte seinen Probanden Bilder von komplexen Szenen. In einem Online-rTMS-Design wurden 10 Stimuli einer

20-Hz-rTMS entweder zum Zeitpunkt der Enkodierung oder des Abrufs appliziert. Die Modulation der Abrufleistung durch die rTMS spricht dafür, dass dem rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex eine Schlüsselrolle beim Informationsabruf zukommt; der linke dorsolaterale präfrontale Kortex hingegen für den Enkodierungsprozess relevant ist. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gedächtnisses ist bekanntermaßen altersabhängig. In einer Studie an einer jungen (Alter: <45 Jahre) und älteren (Alter: >50 Jahre) Gruppe gesunder Probanden zeigte die Online-20HzrTMS über dem rechten oder linken dorsalen lateralen präfrontalen Kortex, dass das Ausmaß der funktionellen Lateralisation als möglicher Ausdruck einer Kompensation von Alterungsprozessen abnimmt (Rossi et al. 2004). Darüber hinaus konnte kürzlich in einer methodisch ähnlichen Studie der gleichen Arbeitsgruppe ergänzend gezeigt werden, dass die Applikation von rTMS über dem intraparietalen Sulcus zu keiner fassbaren Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung führte, obwohl dieses Areal in verschiedenen funktionellen MRT-Studien zur Gedächtnisfunktion eine funktionelle Aktivierung gezeigt hatte. Die Autoren folgerten, dass die parietale Aktivierung im Rahmen von Gedächtnisaufgaben eher Ausdruck einer begleitenden Aktivierung des weitreichenden Aufmerksamkeitsnetzwerkes ist. Dieser Befund unterstreicht daher den Nutzen der Kombination von rTMS als »kausale Technik« und den auf Korrelationen basierenden bildgebenden Verfahren (7 Kap. 31, 35–37). Allerdings ist das Fehlen einer messbaren Veränderung des Verhaltens nach rTMS mit Vorsicht zu interpretieren. Auch bei fehlender Beeinflussung der Gedächtnisleistung könnte die stimulierte Region trotzdem in einer relevanten Weise zur Gedächtnisbildung beitragen. Vielleicht war der durch die rTMS induzierte »Läsionseffekt« nur nicht ausreichend stark, um einen entsprechenden Verhaltenseffekt zu provozieren.

47.5

Untersuchung von Gedächtnisfunktionen bei Patienten

Bislang wurden nur wenige Untersuchungen zur therapeutischen Wirkung der rTMS bei Gedächtnisstörungen durchgeführt, obwohl eine ganze Reihe von Therapiestudien von Patienten mit schwerer Depression neben einer Verbesserung der depressiven Symptomatik auch häufig eine Verbesserung verschiedener Gedächtnisfunktionen nach präfrontaler rTMS berichtet haben (7 Kap. 61). Eine rezente Pilotstudie berichtete eine vorübergehende Besserung der

475

Literatur

Gedächtnisfunktion nach 500 Reizen einer intermittierenden, hochfrequenten 5-Hz-rTMS über 5 min bei älteren Menschen (>50 Jahre) mit Gedächtnisdefiziten (Sole-Padulles et al. 2006). Zudem führte eine frontale transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS, 7 Kap. 53) zu einer vorübergehenden Verbesserung der Arbeitsgedächtnisfunktion bei Patienten mit Morbus Parkinson (Boggio et al. 2006). Somit bleibt abzuwarten, inwieweit die neuromodulatorischen Effekte der rTMS/tDCS künftig eine Rolle in der Therapie von Gedächtnisstörungen spielen könnten.

47.6

Zusammenfassung und Ausblick

Die TMS ermöglicht den kognitiven Neurowissenschaftlern nicht nur die Validierung ihrer Ergebnisse aus bildgebenden Verfahren, sondern liefert auch wichtige eigene Beiträge zur funktionellen Neuroanatomie von Gedächtnisfunktionen. Die Tatsache, dass zunehmend begonnen wird, die pathophysiologischen Grundlagen von Gedächtnisdefiziten mittels TMS zu erforschen, lässt hoffen, dass die TMS in den nächsten Jahren zur Entwicklung alternativer therapeutischer Strategien beitragen wird. Eine technische Begrenzung, für die derzeit noch keine Lösung vorliegt, besteht darin, dass wichtige am Gedächtnis beteiligte Strukturen wie mesiale temporale Kortexareale einer direkten transkraniellen Stimulation nicht zugänglich sind. Weiterhin besteht durch die simultane Anwendung von TMS und bildgebenden Verfahren ein großes Potenzial, bessere Einblicke in die funktionelle Interaktion gedächtnisrelevanter neuronaler Netzwerke zu erhalten. PET-Studien, bei denen rTMS während der Durchführung einer verbalen Arbeitsgedächtnisaufgabe appliziert wurde, sprechen dafür, dass das menschliche Gehirn die durch die rTMS induzierte Störung über eine verstärkte Rekrutierung nicht stimulierter Hirnareale zu kompensieren versucht (Mottaghy et al. 2000, 2003). Bislang wurde diesem Kompensationspotenzial, das wahrscheinlich auf einer kurzfristigen Plastizität beruht, nur wenig Beachtung geschenkt. Das Verständnis dieser Mechanismen könnte jedoch auch zu einem besseren Verständnis der kognitiven Kompensationsmechanismen in der akuten und subakuten Phase des Schlaganfalls führen und hierüber zur Entwicklung optimierter rehabilitativer Therapiestrategien beitragen. Möglicherweise beflügelt die sich in den letzten Jahren rasch weiterentwickelnde direkte Kombination von TMS und funktioneller MRT weitergehende Untersuchungen dieser neurophysiologischen Zusammenhänge (7 Kap. 37).

47

Literatur Beckers G, Hömberg V (1991) Impairment of visual perception and visual short term memory scanning by transcranial magnetic stimulation of occipital Kortex. Exp Brain Res 87: 421–432 1Desmond JE, Chen SH, Shieh PB (2005) Cerebellar transcranial magnetic stimulation impairs verbal working memory. Ann Neurol 58: 553–560 Der Artikel beschreibt die Rolle des Kleinhirns an Arbeitsgedächtnisprozessen und unterstreicht die Bedeutung des Kleinhirns für kognitive Prozesse. Boggio PS, Ferrucci R, Rigonatti SP et al. (2006) Eﬀects of transcranial direct current stimulation on working memory in patients with Parkinson’s disease. J Neurol Sci 249: 31–38 Düzel E, Hufnagel A, Helmstaedter C, Elger C (1996) Verbal working memory components can be selectively inﬂuenced by transcranial magnetic stimulation in patients with left temporal lobe epilepsy. Neuropsychologia 34: 775–783 Flöel A, Poeppel D, Buﬀalo EA et al. (2004) Prefrontal Kortex asymmetry for memory encoding of words and abstract shapes. Cereb Kortex 14: 404–409 Harris JA, Miniussi C, Harris IM, Diamond ME (2002) Transient storage of a tactile memory trace in primary somatosensory Kortex. J Neurosci 22: 8720–8725 Koch G, Oliveri M, Torriero S et al. (2005) rTMS evidence of diﬀerent delay and decision processes in a fronto-parietal neuronal network activated during spatial working memory. Neuroimage 24: 34–39 Mottaghy FM, Krause BJ, Kemna LJ et al. (2000) Modulation of the neuronal circuitry subserving working memory in healthy human subjects by repetitive transcranial magnetic stimulation. Neurosci Lett 280: 167–170 Mottaghy FM, Gangitano M, Sparing R et al. (2002) Segregation of areas related to visual working memory in the prefrontal Kortex revealed by rTMS. Cereb Kortex 12: 369–375 1Mottaghy FM, Pascual-Leone A, Kemna LJ et al. (2003) Modulation of a brain-behavior relationship in verbal working memory by rTMS. Brain Res Cogn Brain Res 15: 241–249 Wichtige Untersuchung, welche die PET mit der TMS während der Durchführung einer Arbeitsgedächtnisaufgabe kombiniert und so das Kompensationspotenzial neuronaler Netzwerke untersucht. Nixon P, Lazarova J, Hodinott-Hill I et al. (2004) The inferior frontal gyrus and phonological processing: an investigation using rTMS. J Cogn Neurosci 16: 289–300 1Oliveri M, Turriziani P, Carlesimo GA et al. (2001) Parietofrontal interactions in visual-object and visual-spatial working memory: evidence from transcranial magnetic stimulation. Cereb Kortex 11: 606–618 Aufwendige Untersuchung (u. a. bilaterale TMS), welche das ausgedehnte bilaterale parietofrontale Netzwerk des Arbeitsgedächtnisses untersucht. Romero L, Walsh V, Papagno C (2006) The neural correlates of phonological short-term memory: a repetitive transcranial magnetic stimulation study. J Cogn Neurosci 18: 1147– 1155

476

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 47 · Gedächtnis

2Rossi S, Cappa SF, Babiloni C et al. (2001) Prefrontal Kortex in long-term memory: an »interference« approach using magnetic stimulation. Nat Neurosci 4: 948–952 Gut geplante Online-rTMS-Untersuchungen zum menschlichen Langzeitgedächtnis. Rossi S, Miniussi C, Pasqualetti P et al. (2004) Age-related functional changes of prefrontal Kortex in long-term memory: a repetitive transcranial magnetic stimulation study. J Neurosci 24: 7939–7944 2Sole-Padulles C, Bartres-Faz D, Junque C et al. (2006) Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation Eﬀects on Brain Function and Cognition among Elders with Memory Dysfunction. A Randomized Sham-Controlled Study. Cereb Kortex (Epub ahead of print) Wichtiger Artikel, der erstmals mögliche therapeutische Effekte der rTMS bei Gedächtnisdeﬁziten beschreibt und die neurophysiologischen Korrelate mit der fMRT erfasst. Tulving E, Craik FIM (2000) The Oxford Handbook of Memory. Oxford University Press, Oxford, New York

477

48

Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf Farid Salih, Pascal Grosse 48.1

Einleitung – 478

48.2

Methodische Aspekte – 480

48.3

Änderungen der kortikomotorischen Erregbarkeit im Schlaf bei Gesunden – 481

48.4

48.5

Andere experimentelle Anwendungen – 485

48.6

Ausblick – 485

Literatur

– 486

TMS bei schlafbezogenen zerebralen Erkrankungen – 483

ZUM THEMA Dieses Kapitel fasst die Beiträge zusammen, welche die TMS zur Erforschung der zerebralen Physiologie des menschlichen Schlafs im Verlauf der letzten 20 Jahre geleistet hat. Daneben werden diejenigen Studien vorgestellt, die Patienten mit schlafbezogenen Erkrankungen untersucht haben. Die TMS im Schlaf zeichnet sich im Vergleich zum Wachen durch einige methodische Besonderheiten aus. Im Schlaf besteht z. B. ein stetiger Wechsel zwischen den verschiedenen Schlafstadien, ferner können die Probanden ihre Muskeln nicht willkürlich kontrahieren. Diese und andere Gesichtspunkte gilt es hinsichtlich Studiendesign und Dateninterpretation zu berücksichtigen.

Neuere Studien mit Einzel- und Doppelreiztechnik bei Gesunden haben gezeigt, dass die TMS die unterschiedlichen Schlafstadien (Non-REM-Schlafstadien 2 bis 4 und REM-Schlaf ) zuverlässig charakterisiert und die Befundkonstellationen sowohl vom Wachzustand als auch zwischen den Schlafstadien verschiedenen sind. Allen Schlafstadien gemeinsam ist, dass inhibitorische Mechanismen wirksam werden, allerdings sind hieran für jedes Schlafstadium speziﬁsche neuronale Netzwerke beteiligt. Daher ist für die Zukunft zu erwarten, dass die TMS im Schlaf zu einem verbesserten pathophysiologischen Verständnis schlafbezogener Erkrankungen beitragen wird.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

478

Kapitel 48 · Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf

48.1

Einleitung

Wie für andere neurowissenschaftliche Gebiete stellt die TMS auch für die Erforschung der zerebralen Physiologie und Pathophysiologie des Schlafs einen innovativen experimentellen Zugang dar. Dieses Stimulationsverfahren ermöglicht, schlafbedingte Änderungen der kortikomotorischen Erregbarkeit im Humanexperiment zu untersuchen und damit Befunde zu überprüfen, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ausschließlich an Tieren erhoben wurden. Bereits 2 Jahre nach Einführung der TMS berichteten Hess et al. (1987) der primäre motorische Kortex weise im NonREM-Schlaf eine geringere Erregbarkeit als im Wachzustand auf. Im REM-Schlaf sei die Erregbarkeit dagegen mit dem Erregbarkeitsniveau des Wachzustandes vergleichbar oder sogar gegenüber dem Wachzustand gesteigert. Gleichwohl hat sich die Hoffnung, durch die TMS grundsätzlich neue Erkenntnisse über den menschlichen Schlaf zu gewinnen, bislang nur begrenzt erfüllt. Denn rund 20 Jahre nach der ersten Veröffentlichung zur TMS im Schlaf gibt es zu diesem Thema nach wie vor eine sehr überschaubare Anzahl von

Publikationen unterschiedlicher Qualität und methodischer Reife. Die wesentliche Ursache für diese wenigen Ergebnisse liegt möglicherweise in dem Umstand begründet, dass die Aussichten zu plausiblen Ergebnissen zu gelangen schwer zu kalkulieren sind. Einerseits kann die Stimulation einen zusätzlichen Weckreiz darstellen. Andererseits unterliegt der menschliche Schlaf einer großen Variabilität. Diese Variabilität drückt sich in erster Linie in dem häufigen Wechsel zwischen den verschiedenen Schlafstadien aus (7 Exkurs »Neuronale Aktivitätsänderungen in den verschiedenen Schlafstadien«). Ein weiteres Hindernis stellt die im Schlaf einsetzende und nicht quantifizierbare Herabminderung des Muskeltonus dar. Diese schlafstadienabhängige Abnahme des Muskeltonus hat einen maßgeblichen Einfluss auf die mit der TMS ermittelten Kennwerte kortikospinaler Erregbarkeit. Im Folgenden werden wir also nicht allein auf die bisherigen Ergebnisse eingehen, sondern auch die methodologischen Besonderheiten der TMS im Schlaf mit ihren Implikationen darstellen sowie die verschiedenen Forschungsperspektiven der TMS im Schlaf und bei schlafbezogenen Erkrankungen aufzeigen.

Exkurs

Neuronale Aktivitätsänderungen in den verschiedenen Schlafstadien Allgemeines zum menschlichen Schlaf Der Schlaf wird in Schlafstadien eingeteilt, die bei Schlafgesunden zyklisch auftreten und sich regelhaft abwechseln. Ein Schlafzyklus (Dauer: ca. 90–110 min; ca. 4–6 Zyklen/Nacht) setzt sich aus Non-REM- und REM-Schlafanteilen zusammen. Im REM-Schlaf treten rasche Augenbewegungen auf, die diesem Schlafstadium seinen Namen gegeben haben (engl. rapid eye movements, REM). Zudem kommt es im Vergleich zum Non-REMSchlaf zu einer Erhöhung der Herzfrequenz, des Blutdrucks sowie der Atmung und der Muskeltonus nimmt drastisch ab. Im Non-REM-Schlaf treten lediglich langsame, aber keine raschen Augenbewegungen auf. Nach elektroenzephalographischen Kriterien wird der Non-REM-Schlaf in 4 Stadien unterteilt (Non-REM 1-4). Während der Anteil von Non-REM 3 und 4 in der ersten Hälfte der Nacht besonders hoch und der REM-Anteil sehr niedrig ist, kehren sich diese Verhältnisse in der zweiten Hälfte der Nacht um. Der Anteil an Non-REM 2 bleibt hingegen nahezu konstant.

Non-REM-Schlaf (Schlafphasen ohne schnelle Augenbewegungen) Die für die TMS relevanten neuronalen Aktivitätsänderungen entstehen durch verschiedene Oszillationen in thalamokortikalen Netzwerken, die mit Schlafbeginn weitgehend von aﬀerenten sensorischen Einﬂüssen funktionell entkoppelt werden (. Abb. 48.1). a) Schlafspindel-Oszillationen: Mit Schlafbeginn schalten GABAerge Neurone des Nucleus reticularis thalami ihr Entladungsmuster in einen »Burst«-Modus mit einer Entladungsfrequenz von 10–16 Hz um. Diese intermittierenden Salven von Aktionspotenzialen induzieren inhibitorische postsynaptische Potenziale in glutamatergen thalamokortikalen Neuronen. Diese thalamokortikalen Neurone reagieren auf die Serie aus inhibitorischen postsynaptischen Potenzialen mit einer »rebound excitation«, die zu exzitatorischen postsynaptischen Potenzialen mit gleicher Entladungsfrequenz von 12–15 Hz in den kortikalen Zielzellen führt.

6

48.1 Einleitung

b) Deltaoszillationen (Deltawellen, K-Komplexe u. a.): Diese langsamen Wellen entstehen mit Progression zu den Non-REM-Schlafstadien 3 und 4 durch intrinsisch ausgelöste Depolarisationen (1–4 Hz) in thalamokortikalen Relay-Neuronen, nachdem diese durch Neurone des Nucleus reticularis thalami hyperpolarisiert wurden. Die retikulären Thalamusneurone werden dabei durch kortikothalamische Neurone aktiviert. Deren Depolarisation ist somit eine Voraussetzung für die Entstehung von Deltaoszillationen. c) Langsame Subdeltaoszillationen (engl. slow waves oder slow oscillations, <1 Hz): Sie beruhen auf der Fähigkeit kortikaler Neurone, alternierende Phasen von Hyperpolarisation und Depolarisation zu generieren. Ihnen kommt die übergeordnete Rolle zu, Schlafspindeln und Deltaoszillationen über den gesamten Kortex hinweg zu synchronisieren.

. Abb. .. Schematische Darstellung der Neuronensysteme, welche die für den Non-REM-Schlaf typischen Oszillationen generieren. Voraussetzung ist die Hemmung des aufsteigenden (aszendierenden) retikulären aktivierenden Sys-

479

48

Während des Non-REM-Schlafs nimmt die Dichte der Deltaoszillationen im Verlauf einer Nacht sukzessive ab. Mit zunehmender Non-REM-Schlaftiefe kommt es zu einer zunehmenden GABAergen Inhibition spinaler Motoneurone, die über absteigende Projektionen aus dem Hirnstamm vermittelt werden. REM-Schlaf (engl. Rapid Eye Movement sleep) Während des REM-Schlafes besteht eine Muskelatonie, die über eine ausgeprägte Inhibition spinaler Motoneurone durch glycinerge Neurone der ventromedialen Medulla vermittelt wird. Die neuronale Aktivität im REM-Schlaf wird geprägt von hochfrequenten Oszillationen (20–50 Hz) sowie den pontogeniculooccipitalen Wellen (PGO-waves) um 6 Hz aus, die den phasischen REM-Elementen (Augensakkaden u. a.) zugrunde liegen.

tems (ARAS) zu Beginn des Non-REM-Schlafs und die damit verbundene funktionelle Deaﬀerenzierung der thalamokortikalen Neuronenpopulationen von sensorischen Einﬂüssen

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

480

Kapitel 48 · Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf

48.2

Methodische Aspekte

Die TMS während des Schlafes ist im Vergleich zur TMS im Wachzustand mit zusätzlichen Problemen behaftet. Das laute Klickgeräusch während der TMS und die Manipulation am Kopf während der Spulenpositionierung wirken als Weckreiz. Somit ist die TMS nur bei »guten« Schläfern durchführbar, welche durch die TMS-Prozedur in ihrem Schlaf nicht gestört werden. Hier empfiehlt es sich, dass die Probanden in der Nacht vor der Untersuchung nur wenige Stunden schlafen, um einen ausreichenden »Schlafdruck« aufzubauen. Die Probanden müssen zudem so im Bett gelagert bzw. fixiert werden, dass sie den Körper (insbesondere den Kopf) im Schlaf nur minimal bewegen. Es muss gewährleistet sein, dass die Stimulationsspule immer über dem optimalen Stimulationsort positioniert werden kann. Die korrekte Spulenposition muss ständig kontrolliert werden können. Da im Dunkeln stimuliert wird, empfehlen sich Hilfsmittel wie fluoreszierende Marker, die an der Kopfhaut angebracht werden oder das Tragen eines Nachtsichtgerätes. Auch die Verwendung eines Neuronavigationssystems bietet sich an. Die ersten Publikationen zur TMS im Schlaf betonten, dass die Magnetstimulation zum vorzeitigen Erwachen von Probanden führen kann. Hierdurch geriet der Umstand in den Hintergrund, dass sich mit der TMS im Schlaf weitere methodische Besonderheiten verbinden, die von Untersuchungen im Wachen nicht bekannt sind und die sich aus der Biologie des Schlafes ableiten. Die für die TMS bedeutsamsten Abweichungen vom Wachzustand sind: 5 Die Organisation des menschlichen Schlafes in Schlafzyklen von 90–110 Minuten mit wechselnden Schlafstadien innerhalb eines Zyklus und variierenden Anteilen der Schlafstadien in den aufeinander folgenden Schlafzyklen, 5 die rasch wechselnden Aktivitätsveränderungen innerhalb eines Schlafstadiums sowie 5 der Umstand, dass Muskeln im Schlaf nicht willkürlich kontrahiert werden können. Ein Untersuchungsdesign für die TMS im Schlaf, das sich allein an der formalen Schlafstadieneinteilung orientiert, entspricht allenfalls einer Annäherung an das dominierende Erregbarkeitsniveau innerhalb eines Schlafstadiums. Im Grundsatz genügt diese konventionelle Einteilung der Schlafstadien klinischdiagnostischen, nicht aber experimentellen Anforderungen. Wie zahlreiche Einzelzellableitungen gezeigt haben (Übersicht in Steriade 2005) liegen den verschiedenen Graphoelementen, die die Schlafstadie-

neinteilung vorgeben, komplexe Interaktionen zwischen verschiedenen thalamischen und kortikalen Neuronenpopulationen mit hoher zeitlicher Dynamik und wechselnden Erregbarkeitszuständen zugrunde (7 Exkurs »Neuronale Aktivitätsänderungen in den verschiedenen Schlafstadien«). Dies gilt im Besonderen für das Non-REM-Schlafstadium 2, das zudem auch in der Abfolge aufeinander folgender Schlafzyklen die größte Variabilität aufweist (z. B. Anteil der eingestreuten Theta- und Deltawellen, Dichte der Schlafspindeln und K-Komplexe). Es liegen also innerhalb eines Schlafstadiums keine stationären Verhältnisse vor. Dieser Umstand erklärt möglicherweise die größere Variabilität der Reizantworten im Vergleich zum Wachzustand. Prinzipiell wünschenswert wäre daher eine durch die spezifischen, im Schlaf auftretenden Graphoelemente gesteuerte TMS, etwa durch K-Komplexe oder Schlafspindeln. Ein solcher Untersuchungsansatz wurde aber bislang nicht realisiert. Die zeitliche Dynamik innerhalb des Schlafs verbindet sich zudem mit dem Wechsel zwischen den Schlafstadien. Dieser Wechsel erfolgt typischerweise in zyklischer Form mit hohen Anteilen an NonREM-Schlafstadien 3 und 4 in den ersten Schlafzyklen und zunehmender Dichte an REM-Schlaf in den letzten Schlafzyklen. Da davon auszugehen ist, dass die Schlafstadien unabhängig von ihrem Auftreten innerhalb der Nacht ein identisches physiologisches Substrat haben, ergibt sich hieraus keine Konsequenz für die TMS selbst, wohl aber für den Ablauf der Untersuchung. Faktisch können die Non-REM-Schlafstadien 3 und 4 daher nur in der ersten Nachthälfte und REM-Schlaf nur in der zweiten Nachthälfte untersucht werden. Zahlreiche aus der TMS im Wachen bekannte Kennwerte kortikomotorischer Erregbarkeit sind im Schlaf nicht zu erheben. Hierzu zählen etwa die aktive motorische Reizschwelle, die kontralaterale kortikale Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) und die interhemisphärische Hemmung (engl. interhemispheric inhibition, IHI; 7 Kap. 18), weil die schlafenden Probanden nicht zu einer willkürlichen Kontraktion der Muskulatur imstande sind. Solche Einschränkungen gelten natürlich auch für TMS-induzierte Sinneseindrücke, wie z. B. Phosphene bei Stimulation des visuellen Kortex (7 Kap. 19). Nicht zuletzt wegen dieser schlafspezifischen methodischen Schwierigkeiten untersuchte eine Arbeitsgruppe (Bertini et al. 2004) die ersten Minuten nach dem Erwachen aus dem Non-REM- und REMSchlaf unter der Annahme, dass die kortikomotorische Erregbarkeit kurz nach dem Aufwachen noch die Erregbarkeitsverhältnisse im vorangehenden Schlaf-

48.3 Änderungen der kortikomotorischen Erregbarkeit im Schlaf bei Gesunden

stadium widerspiegelt. Diese Annahme ist problematisch. Daher verwundert es auch nicht, dass einige der Ergebnisse dieser Gruppe in eine andere Richtung weisen, als die Studien, in denen die TMS konsequent im Schlaf angewandt wurde. Eine Untersuchung der ersten Phase nach dem Erwachen löst sicherlich nicht die methodischen Probleme der TMS im Schlaf.

48.3

481

48

a

Änderungen der kortikomotorischen Erregbarkeit im Schlaf bei Gesunden

Die elektrophysiologischen Kennwerte kortikospinaler Erregbarkeit, die bislang in verschiedenen Untersuchungen systematisch und nach Schlafstadien getrennt erhoben wurden, sind: 5 Die Amplituden der motorischen Reizantwort (Hess et al. 1987; Stalder et al. 1995; Fish et al. 1991; Grosse et al. 2002; Manganotti et al. 2004; Mehiri et al. 2006), 5 die kortikale Reizschwelle (Grosse et al. 2002), 5 das Rekrutierungsverhalten, d. h. die Zunahme der motorischen Antworten bei zunehmender Reitstärke (Grosse et al. 2002), 5 die kortikomotorische Latenz (Manganotti et al. 2004; Mehiri et al. 2006) sowie 5 die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-latency intracortical inhibition, SICI; 7 Kap. 16) und intrakortikale Bahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; 7 Kap. 16) (Salih et al. 2005). Während die Studien für den Non-REM-Schlaf weitgehend übereinstimmen, sind die Resultate für den REM-Schlaf teilweise diskrepant. Als gemeinsamer Befund für Non-REM- und REM-Schlaf ist inzwischen etabliert, dass sich die Reizschwelle in Muskelruhe im Vergleich zum Wachen, teilweise in erheblichem Maße erhöht (. Abb. 48.2). Interessanterweise ist jedoch die Reizschwelle in den Non-REM-Schlafstadien 3 und 4 deutlich niedriger als im Non-REM-Schlafstadium 2 und dem REM-Schlaf, was als Ausdruck der erhöhten Synchronizität der zerebralen Aktivität in diesem Schlafstadium gedeutet wurde (Grosse et al. 2002). Derselbe Mechanismus ist wahrscheinlich auch für die Amplitudenzunahme bei steigenden Reizstärken verantwortlich, denn in den Non-REM-Schlafstadien 3 und 4 besteht ein steilerer Anstieg der Amplituden als im Non-REM-Schlafstadium 2 und dem REM-Schlaf (. Abb. 48.3). Manganotti et al. (2004) zeigten zudem, dass die Latenzen der motorischen Antworten mit der Progression von Non-REM-Schlafstadium 2 bis 4 zunehmen. Jedoch

b

c

. Abb. .a–c. Motorische Reizschwellen in den verschiedenen Schlafstadien Non-REM 2 (a), Non-REM 4 (b) und REM (c) im Vergleich zum Wachen, ausgedrückt als % der Probanden, die bei einer deﬁnierten Reizstärke die Reizschwelle erreicht haben. Sowohl im Non-REM- als auch im REM-Schlaf liegt die Reizschwelle über der im Wachen, auﬀällig ist jedoch, dass in Non-REM 3/4 geringere Reizstärken benötigt werden als in Non-REM 2 und REM, n Zahl der untersuchten Probanden. (Aus Grosse et al. 2002, Excitability of the corticospinal system in natural human sleep as assessed by transcranial magnetic stimulation. Neurology 59: 1988–1991; mit freundlicher Genehmigung von Lippincott Williams & Wilkins)

482

Kapitel 48 · Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .. Abhängigkeit der Amplitudenhöhe von der Reizstärke nach Erreichen der jeweiligen motorischen Reizschwelle in den verschiedenen Vigilanzstadien; MT kortikale motorische Reizschwelle; n Zahl der untersuchten Probanden.

(Aus Grosse et al. 2002, Excitability of the corticospinal system in natural human sleep as assessed by transcranial magnetic stimulation. Neurology 59: 1988–1991; mit freundlicher Genehmigung von Lippincott Williams & Wilkins)

lässt das geringe Ausmaß der Verlängerung den Rückschluss zu, dass durch die TMS im Schlaf prinzipiell dieselben kortikospinalen Fasern aktiviert werden wie im Wachzustand. Unklar bleibt aber, ob und in welchem Ausmaß die Amplitudenminderung und Latenzzeitverlägerung im Non-REM-Schlaf auf kortikale oder spinale Veränderungen zurückzuführen ist. Bezüglich der Amplitudenhöhe der motorisch evozierten Potenziale (MEP) im REM-Schlaf bestehen zwischen den Studien einige Widersprüche. Während Hess et al. (1987) sowie Stalder et al. (1995) in verschiedenen Muskeln gleich hohe oder höhere Amplituden im Vergleich zum Wachen fanden und diesen Befund als Ausdruck einer gesteigerten kortikalen Erregbarkeit im Sinne einer Kompensation zur REMassoziierten Muskelatonie deuteten, wiesen Fish et al. (1991) und Grosse et al. (2002) in diesem Schlafstadium geringere Amplituden verglichen mit Wachzustand und Non-REM-Schlaf nach. Wegen der weitaus größeren Anzahl applizierter Stimuli pro Proband erscheinen die Ergebnisse der beiden letztgenannten Gruppen verlässlicher und fügen sich in ein physiologisches Konzept ein, demzufolge die REM-assoziierte Inhibition der spinalen Motoneurone maßgeblich zur Amplitudenminderung beiträgt. Unterstützt wird diese Überlegung ebenfalls durch die Ergebnisse von Mehiri et al. (2006), die den prozentualen Anteil aus-

lösbarer Antwortpotenziale bezogen auf die Gesamtzahl applizierter TMS-Reize ermittelten. Dabei fanden sie die deutlichste Minderung im REM-Schlaf (40), während der prozentuale Anteil in den NonREM-Schlafstadien 3 und 4 bei 70 lag. Aufgrund der geringen Anzahl im REM-Schlaf auslösbarer Antwortspotenziale wurden die MEP-Latenzen und Amplituden in dieser Studie nicht statistisch ausgewertet. Kürzlich zeigten Salih et al. (2005) mit der transkraniellen Doppelreiztechnik eine erhebliche Zunahme der intrakortikalen Hemmung kurzer Latenz (7 Kap. 16) mit zunehmender Schlaftiefe während des Non-REM-Schlafs (. Abb. 48.4a). Dieser Befund passt gut zu der aus Tierexperimenten bekannten zunehmenden Aktivität intrakortikaler GABAerger Neurone in den Schlafstadien Non-REM 3 und 4. Des Weiteren zeigte sich eine vollständige Aufhebung der intrakortikalen Bahnung im REM-Schlaf (. Abb. 48.4b). Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass die Hemmung spinaler Motoneurone im REM Schlaf möglicherweise nicht, wie bislang angenommen, allein über den Hirnstamm, sondern auch über monosynaptische kortikospinale Projektionen vermittelt wird. Mehiri et al. (2006) untersuchten ferner das Zusammenspiel kortiko- und bulbospinaler Einflüsse bei der Atmung. Im Wachen fanden sie, dass die Ein-

483

48.4 TMS bei schlafbezogenen zerebralen Erkrankungen

48

. Abb. .a,b. Intrakortikale Inhibition (a) und Fazilitierung (b) im Non-REM- und REMSchlaf. In Non-REM 3/4 nimmt die intrakortikale Inhibition drastisch zu, in REM bleibt die intrakortikale Fazilitierung aus. n Zahl der Untersuchten Probanden. (Aus Salih et al. 2005, Inhibitory and excitatory intracortical circuits across the human sleepwake cycle using paired-pulse TMS. J Physiol 565: 695–701; mit freundlicher Genehmigung von Blackwell Publishing Ltd)

a

b

atmung verglichen mit der Ausatmung zu einer Verkürzung der kortikomotorischen Latenzen und einer Zunahme der MEP-Amplituden am Zwerchfell führt (7 Kap. 10). Im Schlaf war dieser fazilitierende Effekt der Inspiration stärker ausgeprägt als im Wachzustand. Die kortikospinale Erregbarkeit war, wie auch schon für andere Skelettmuskel gezeigt, reduziert und zeigte die ausgeprägtesten Veränderungen im REMSchlaf. Die Autoren folgerten, dass der bulbospinale Einfluss bei der Atemregulation die Erregung durch kortikospinale Fasern fazilitieren kann und diese Bahnung ihre größte Ausprägung hat, wenn – wie im Schlaf – eine willkürliche Modulation der Atmung

durch das kortikospinale System ausbleibt. Perspektivisch werden diese Befunde sicherlich von Bedeutung für ein besseres Verständnis der zerebralen Veränderungen bei schlafbezogenen Atmungstörungen sein.

48.4

TMS bei schlafbezogenen zerebralen Erkrankungen

Bislang wurden systematische TMS-Studien bei Patienten mit schlafbezogenen Erkrankungen überwiegend im Wachzustand durchgeführt. Es handelte sich um Patienten mit obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syn-

484

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 48 · Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf

drom, das Syndrom der unruhigen Beine (»Restlesslegs«-Syndrom), Bruxismus und Narkolepsie. Bei schlafbezogenen Erkrankungen stellt sich jedoch die Frage, ob die erhobenen Befunde am wachen Patienten – also im symptomfreien Intervall – tatsächlich mit der Pathophysiologie der schlafbezogenen Erkrankung in Verbindung gebracht werden können oder lediglich Epiphänomene darstellen. Um diesen Vorbehalt auszuräumen, sollten diese Patienten daher prinzipiell im Schlaf untersucht werden. Einem solchen Anforderungsprofil entsprachen bislang nur eine Studie von Civardi et al. (2004) zum obstruktivem SchlafApnoe-Syndrom, Salih et al. (im Druck) zur schlafgebundenen fokalen Epilepsien und eine Einzelfallstudie von Rösler et al. (1994) an einem Patienten mit Narkolepsie während eines kataplektischen Anfalls. Die Studien, in denen Patienten mit obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom im Wachen mit der transkraniellen Einzelreiztechnik untersucht wurden (Civardi et al. 2004), fanden als einzige Abweichung eine signifikante Verlängerung der kontralateralen kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP). Während Hypopnoe- und Apnoe-Phasen im NonREM-Schlafstadium 2 kam es ferner zu einer Amplitudenminderung und Latenzverlängerung der motorischen Antworten, die über die physiologischen Verhältnisse in diesem Schlafstadium (7 Abschn. 48.3) hinausgehen. Bei wachen Patienten mit Narkolepsie sind die Schwellenwerte in Muskelruhe und während tonsicher Voraktivierung erhöht sowie die intrakortikale Doppelpulshemmung kurzer Latenz verstärkt (Oliviero et al. 2005). Diese Ergebnisse entsprechen also prinzipiell den Verhältnissen im Non-REM und REMSchlaf, weswegen die Autoren diesen Befund als Korrelat für die erhöhte Tagesmüdigkeit dieser Patientengruppe gewertet haben, ohne allerdings das subjektive Empfinden von Müdigkeit mit den Kennwerten der kortikomotorischen Erregbarkeit zu korrelieren. Bei einem Patienten, bei dem die TMS während eines kataplektischen Anfalls durchgeführt wurde (Rösler et al. 1994), entsprachen die kortikalen Reizschwellen und MEP-Amplituden den im symptomfreien Intervall erhobenen Werten. Die Autoren deuteten diesen Befund wiederum als Ausdruck der gesteigerten kortikalen Erregbarkeit im REM-Schlaf und gleichsam als Kompensation der REM-assoziierten Muskelatonie während des kataplektischen Anfalls. In einer Studie mit intrakortikaler Doppelpulshemmung und -bahnung kurzer Latenz bei unbehandelten Patienten mit fokaler Epilepsie, und ausschließlich schlafgebundenen Anfällen, wiesen Salih et al. (2007) einen möglichen grundlegenden Mecha-

nismus der Pathophysiologie schlafinduzierter kortikaler Erregbarkeitssteigerung nach. Bei diesen Patienten blieb mit progressivem Non-REM-Schlaf nicht nur die physiologische Verstärkung (. Abb. 48.4a) der intrakortikalen Hemmung kurzer Latenz aus, sondern sie nahm sogar deutlich ab im Vergleich zum Wachzustand. Damit konnten die Autoren zeigen, dass es bei diesen Patienten im Non-REM-Schlaf zu einer intrakortikalen Disinhibition mit einer Steigerung der kortikalen Erregbarkeit kam. Inwieweit dieser Mechanismus auch bei anderen schlafassoziierten neurologischen Erkrankungen von Relevanz ist, sollte Gegenstand künftiger Untersuchungen sein. Bis auf die Untersuchung von Tergau et al. (1999) fanden die bisherigen TMS-Studien zur kortikomotorischen Erregbarkeit im Wachzustand beim primären Restless-legs-Syndrom eine Verkürzung der kontralateralen kortikalen Innervationsstille, die sich durch dopaminerge Therapie normalisieren ließ (Kutukcu et al. 2006). Die Dauer der der kortikalen Innervationsstille korreliert allerdings nicht mit dem Index periodischer Beinbewegungen im Schlaf. Ferner ist die intrakortikale Hemmung kurzer Latenz vermindert, vor allem bei Ableitung der MEP vom Musculus tibialis anterior (Tergau et al. 1999). In der Zusammenschau mit Befunden der funktionellen Bildgebung, die subkortikale Generatoren für das Restless-legs-Syndrom nahe legen, entsprechen die Befunde der TMS mit hoher Wahrscheinlichkeit pathophysiologischen Korrelaten auf kortikaler Ebene. Angesichts der komplexen und bislang nur teilweise verstandenen Pathophysiologie des Restless-legs-Syndroms ist zu bedenken, dass neben den gestörten subkortikalen Generatorstrukturen auch funktionelle Veränderungen im sensorischen System zu dem abnormen Erregbarkeitsprofil des motorischen Kortex beitragen könnten. Befunde bei periodischen Extremitätenbewegungen im Schlaf stehen noch aus. Die Vielfalt der klinischen Symptome (z. B. mit oder ohne periodische Beinbewegungen im Schlaf, Variabilität der tageszeitlichen Abhängigkeit der Symptome u. a.), die unterschiedliche Pathogenese sowie die Assoziation mit anderen Syndromen (obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom, Narkolepsie, rhythmische Bewegungsstörung im Schlaf) legen allerdings nahe, dass unter dem Etikett »Restless-legsSyndrom« eine Vielzahl von Erkrankungen mit unterschiedlicher Pathophysiologie mit gemeinsamer klinischer Endstrecke zusammengefasst sind. Deshalb sollten mit der TMS nur homogene, klinisch gut charakterisierte Patientengruppen untersucht werden, um die Vergleichbarkeit der Untersuchungsergebnisse und die wissenschaftliche Aussagekraft zu erhöhen.

485

48.6 Ausblick

Eine Studie bei wachen Patienten mit Bruxismus testete die Hypothese der subkortikalen Pathogenese (Gastaldo et al. 2006). Im Vergleich zu Gesunden waren die Antwortpotenziale des M. masseter nicht verändert. Jedoch war bei Auslösung des sog. Masseter-Hemmreflexes (elektrische und magnetische Doppelreizung des N. mentalis) die späte Innervationsstille während tonischer Vorinnervation verkürzt. Dieser Befund stützt die Vorstellung, nach der vom Hirnstamm ausgehende inhibitorische Fasern in die Pathophysiologie des Bruxismus eingebunden sind.

48.5

Andere experimentelle Anwendungen

Eine ganz andere Fragestellung verfolgten Massimini et al. (2005) mit der TMS im Schlaf. Anstatt schlafstadienabhängige Schwankungen der regionalen kotikomotorischen Erregbarkeit zu messen, stand hier die Frage im Mittelpunkt, wie der Schlaf die »effektive Konnektivität« zwischen unterschiedlichen Kortexarealen moduliert. Hierzu wurden kortikokortikale Interneuronenpopulationen im prämotorischen Kortex mit transkraniellen Einzelreizen im Wachzustand und im Schlaf stimuliert. Das durch die fokale prämotorische TMS ausgelöste neuronale Aktivierungsmuster wurde in seiner zeitlichen und räumlichen Ausbreitung mittels räumlich hochauflösendem (engl. high-density) EEG aufgezeichnet und analysiert. Als effektive Konnektivität wurde die Fähigkeit der durch die TMS stimulierten Neurone des prämotorischen Kortex bezeichnet, das Aktivitätsmuster benachbarter ipsi- sowie kontralateraler Kortexareale zu modulieren. Die durch die TMS evozierten Potenziale wurden in zweifacher Hinsicht durch den Schlaf im Vergleich zum Wachzustand moduliert. Erstens war die frühe Reizantwort im Bereich des stimulierten Kortexareals während des Non-REM-Schlafs stärker ausgeprägt als im Wachzustand. Dagegen war die Ausbreitung dieser initialen Reizantwort im stimulierten Kortex zu funktionell verbundenen Kortexarealen trotz der stärker ausgeprägten lokalen Aktivierung im Non-REMSchlaf deutlich abgeschwächt. Diesen Verlust an effektiver kortikale Konnektivität deuteten die Autoren als funktionelles Substrat den schlafassoziierten Bewusstseinsverlust, berücksichtigten allerdings nicht, dass sich die motorische Reizschwelle im Schlaf verändert und passten die Reizstärken nicht entsprechend an. Kürzlich nutzten Marshall et al. (2006) die transkranielle Gleichstromstimulation (engl. transcranial direct current stimulation; tDCS), ein der TMS

48

verwandtes Verfahren zur Stimulation der Hirnrinde (7 Kap. 53), um die Frage zu verfolgen, ob langsame Wellen (<1 Hz) während des Non-REM-Schlafs in einen Zusammenhang mit der schlafbedingten Gedächtniskonsolidierung gebracht werden können. Sie stimulierten ihre Probanden in der Einschlafphase bilateral präfrontal mit einer rampenförmig amplitudenmodulierten tDCS unter Verwendung einer Stimulationsfrequenz von 0,75 Hz oder 5 Hz. Die Gedächtnisleistung wurde nur durch die niederfrequente 0,75-Hz-tDCS signifikant erhöht. Gleichzeitig trug die amplitudenmodulierte tDCS bei dieser Stimulationsfrequenz ebenfalls dazu bei, den Anteil der intrinsisch generierten 0,5 bis 1-Hz-Oszillationen im Schlaf zu erhöhen.

48.6

Ausblick

Trotz der engen methodischen Grenzen, die der Anwendung der TMS im Schlaf gesetzt sind, wird aus den vorliegenden TMS-Untersuchungen deutlich, dass sich die schlafbedingten Änderungen im intrakortikalen, kortikospinalen und kortikokortikalen Erregbarkeitsmuster mit der TMS zuverlässig erfassen lassen. Es zeigt sich, dass sich die regionalen Erregbarkeitsprofile zwischen dem Wachzustand und den einzelnen Schlafstadien grundlegend unterscheiden und für jeden Vigilanzzustand spezifisch sind. Zudem deuten alle bisherigen Befunde darauf hin, dass in allen Schlafstadien dieselben kortikospinalen Fasern aktiviert werden wie im Wachzustand, so dass die Vergleichbarkeit der Erregbarkeitsmessungen zwischen den Vigilanzstadien gewährleistet ist. Diese Ergebnisse bedeuten nicht nur, dass die TMS für die Schlafphysiologie bereits einige interessante Befunde erbracht hat. Sie implizieren vielmehr auch für Untersuchungen im Wachzustand, besonders beim Vorliegen einer Schlafstörung, strengstens darauf zu achten, Vigilanzfluktuationen zu vermeiden. Ferner ist auch die Untersuchung schlafentzogener Probanden im Wachen als problematisch einzustufen, denn Manganotti et al. (2001) zeigten, dass verlängerter Schlafentzug eine Abnahme der kortikalen Exzitabilität bewirken kann. Die Ergebnisse dieser Untersuchung verweisen zugleich auf weitere Fragestellungen, wie die der möglichen Abhängigkeit des kortikalen Erregbarkeitsprofils von chronobiologischen Einflüssen wie der Tageszeit, die auch für Anwendungen der TMS im Wachen von Bedeutung werden könnten. Grundlegende neurophysiologische Fragen, etwa wie kortikale Neurone im Schlaf durch die TMS aktiviert werden, ob z. B. eine D-Welle im Schlaf über-

486

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 48 · Transkranielle Magnetstimulation und Schlaf

haupt auslösbar ist oder wie sich das I-Wellen-Muster zum Wachen verhält (7 Kap. 3), sind bislang jedoch noch nicht verfolgt worden, könnten aber mittels transkranieller magnetischer und elektrischer Stimulation zuverlässig beantwortet werden. Die Arbeiten von Massimini et al. (2005) und Marshall et al. (2006) verweisen ferner darauf, dass die transkranielle Stimulation in der Kombination mit anderen Verfahren, wie etwa funktionell bildgebenden Verfahren oder der Frequenzanalyse, viel versprechend angewendet werden kann um die physiologische Bedeutung des Schlafes näher zu charakterisieren. So könnte eine bessere Kenntnis der grundlegenden Mechanismen exzitatorischer und inhibitorischer Mechanismen im Schlaf auch zu einer fundierten Pathophysiologie schlafbezogener zerebraler Erkrankungen beitragen.

Literatur Bertini M, Ferrara M, De Gennaro L et al. (2004) Corticospinal excitability and sleep: a motor threshold assessment by transcranial magnetic stimulation after awakenings from REM and NREM sleep. J Sleep Res 13: 31–36 Civardi C, Naldi P, Cantello R (2004) Cortico-motoneurone excitability in patients with obstructive sleep apnoea. J Sleep Res 13: 159–163 Fish DR, Sawyers D, Smith SJ et al. (1991) Motor inhibition from the brainstem is normal in torsion dystonia during REM sleep. JNNP 54: 140–144 Gastaldo E, Quatrale R, Graziani A et al. (2006) The excitability of the trigeminal motor system in sleep bruxism: a transcranial magnetic stimulation and brainstem reﬂex study. J Orofac Pain 20: 145–155 2Grosse P, Khatami R, Salih F et al. (2002) Excitability of the corticospinal system in natural human sleep as assessed by transcranial magnetic stimulation. Neurology 59: 1988–1991 Erste systematische Untersuchung mit Einzelreiztechnik. 2Hess CW, Mills KR, Murrey NMF, Schriefer T (1987) Excitability of the human motor cortex is enhanced during REM sleep. Neurosci Lett 82: 47–52 Erstmalige Anwendung der TMS im Schlaf. Kutukcu Y, Dogruer E, Yetkin S et al. (2006) Evaluation of periodic leg movements and associated transcranial magnetic stimulation parameters in restless legs syndrome. Muscle Nerve 33: 133–137 Manganotti P, Palermo A, Patuzzo S et al. (2001) Decrease in motor cortical excitability in human subjects after sleep deprivation. Neurosci Lett 304: 153–156 Manganotti P, Fuggetta G, Fiaschi A (2004) Changes of motor cortical excitability in human subjects from wakefulness to early stages of sleep: a combined transcranial magnetic stimulation and electroencephalographic study. Neurosci Lett 362: 31–34

1Marshall L, Helgadóttir H, Molle M, Born J (2006) Boosting slow oscillations during sleep potentiates memory. Nature 444: 610–613 Die Autoren zeigen erstmalig, dass eine amplitudenmodulierte tDCS im Non-REM Schlaf die lvom Gehirn generierten, langsamen Wellen verstärken und die schlafassoziierte Gedächtnisbidldung fördern kann. 1Massimini M, Ferrarelli F, Huber R et al. (2005) Breakdown of cortical eﬀective connectivity during sleep. Science 309: 2228–2232 Die Autoren setzten erstmalig das EEG ein, um die durch einen fokalen transkraniellen Einzelreiz ausgelöste kortikale Aktivierungsmuster im Wachzustand und im Non-REMSchaf zu untersuchen. 2Mehiri S, Straus C, Arnulf I et al. (2006) Responses of the diaphragm to transcranial magnetic stimulation during wake and sleep in humans. Respir Physiol Neurobiol.154: 406–418 Innovative Untersuchung über kortikale und subkortikale Einﬂüsse auf das Zwerchfell im Wachen und Schlaf mit Relevanz für schlafbezogene Atmungsstörung. Oliviero A, Della Marc G, Tonali PA, Pilato F, Saturno E, Di Leone M, Versace V, Mennuni G, Di Lazzaro V (2005) Functional involvement of cerebral cortex in human narcolepsy. J Neurol 252: 56–61 Rösler KM, Nirkko AC, Rihs F, Hess CW (1994) Motor-evoked responses to transcranial brain stimulation persist during cataplexy: a case report. Sleep 17: 168–171 2Salih F, Khatami R, Steinheimer S et al. (2005) Inhibitory and excitatory intracortical circuits across the human sleep-wake cycle using paired-pulse TMS. J Physiol 565: 695–701 Erste systematische Anwendung der konventionellen Doppelreiztechnik im Schlaf. Salih F, Khatami R, Steinheimer S et al. (2007) A hypothesis how Non-REM sleep might promote seizures in partial epilepsies: a transcranial magnetic stimulation study. Epilepsia (Epub im Druck) Stalder S, Rösler KM, Nirkko AC, Hess CW (1995) Magnetic stimulation of the human brain during phasic and tonic REM sleep: recordings from distal and proximal muscles. J Sleep Res 4: 65–70 Steriade M (2005) Brain electrical activity and sensory processing during waking and sleep states. In: Kryger MH, Roth T. Dement WC (eds.) Principles and practice of sleep medicine (4th ed.). Elsevier Saunders Philadelphia, pp. 101–119 Tergau F, Wischer S, Paulus W (1999) Motor system excitability in patients with restless legs syndrome. Neurology 52: 1060–1063.

49

487

Emotionen Nicola Großheinrich, Kristina Fast, Frank Padberg

49.1

Einführung – 488

49.2

Wirkung der rTMS auf die normale Affektlage bei Gesunden – 489

49.2.1

Untersuchungen mit Selbstbeurteilungsskalen – 489 Untersuchungen mit neurophysiologischen Variablen – 492 Neuropsychologische Untersuchungen mit emotional-kognitiven Paradigmen – 493

49.2.2 49.2.3

49.3

Wirkung der rTMS auf induzierte Emotionen bei gesunden Probanden – 494

49.4

Methodische Beschränkungen – 494

49.5

Diskussion und Ausblick

Literatur

– 495

– 494

ZUM THEMA Die repetitive transkranielle Magnetsimulation (rTMS) wurde in zahlreichen Untersuchungen eingesetzt, um Stimmung und emotionsabhängiges Verhalten bei gesunden Probanden experimentell zu beeinﬂussen. Die einfache Valenztheorie der Emotionen stellt die Grundlage der meisten TMS-Studien zur emotionalen Verarbeitung dar. In einer Gesamtbetrachtung aller Studien lässt sich allerdings kein stabiler Eﬀekt der rTMS auf verschiedene Emotionen identiﬁzieren. Gründe könnten die unterschiedlichen Messmethoden der Emotionen (Selbstbeurteilungsskalen,

neurophysiologische Verfahren und emotional-kognitive Paradigmen), kleine Stichprobenzahlen und technische Beschränkungen der rTMS sein. Die geringe Differenziertheit der Valenztheorie ist ein weiterer Punkt, der die nicht einheitlichen Studienergebnisse der rTMS erklären könnte. Durch neue Techniken der rTMS, welche es erlauben präziser, anhaltender und tiefer zu stimulieren, wird die Untersuchung diﬀerenzierterer Hypothesen zur Bedeutung bestimmter kortikaler Regionen für die Generierung und Regulation emotionalen Verhaltens zunehmend möglich.

41 42 43 44 45 46 47 48 49

488

Kapitel 49 · Emotionen

49.1

Einführung

Emotionen sind mit persönlich bedeutsamen Ereignissen verbunden und haben einen großen Einfluss auf unser Handeln. Spezifisch bezeichnet der Begriff »Emotion« kurzfristige Ereignisse des Fühlens und des damit assoziierten Verhaltens. Emotionen werden mithilfe der Dimensionen Valenz (Wertigkeit) und Erregung (engl. arousal) charakterisiert. Im weiteren Sinne werden auch Affekte und Stimmungen unter dem Begriff »Emotion« subsummiert. Der Begriff »Affekt« bezeichnet die Aspekte von Emotionen, die nach außen, z. B. in einem Gesichtsausdruck oder der Stimme erkennbar sind. Stimmung bezeichnet einen selbst erlebten, länger anhaltenden emotionalen Zustand. Im Folgenden werden die Begriffe »Emotion«, »Affekt« und »Stimmung« nicht weiter klar abgegrenzt, da diese Begrifflichkeiten in den beschriebenen Studien uneinheitlich verstanden wurden. Die Entstehung und Modulation von Emotionen ist Gegenstand intensiver neurowissenschaftlicher Forschungsbemühungen. Schwierigkeiten in der

50

Exkurs

51

Basierend auf Studien zum Erkennen von Emotionen wurde die Hypothese formuliert, dass Emotionen im Gehirn rechtshemisphärisch verarbeitet werden. Eine diﬀerenzierte Hypothese betont die Relevanz der Valenz (Wertigkeit) einer Emotion für die zerebrale Lateralisierung (Valenzhypothese). Sie besagt, dass negative Emotionen rechts- und positive Emotionen linkshemisphärisch verarbeitet werden. Die Vermutung, dass linke und rechte präfrontale Kortexareale einen unterschiedlichen Einﬂuss auf die emotionale Verarbeitung haben, wurde erstmals auf Grund von Läsionsstudien geäußert. Untersuchungen an Patienten mit unilateraler (rechts- oder linkshemisphärischer) Läsion fanden eine größere Häuﬁgkeit depressiver Symptome bei Patienten mit linksseitiger präfrontaler Hirnverletzung. Hieraus wurde geschlossen, dass linke präfrontale Hirnregionen am Erleben positiver Stimmung beteiligt sind. Diese Schlussfolgerungen stehen im Kontrast zu funktionellen Aktivierungsstudien, in denen andere Befundmuster beobachtet wurden. So war die vorübergehende Induktion einer traurigen Stimmung in einer gemischten Stichprobe mit einer Zunahme des regionalen zerebralen Blutﬂusses (rCBF) links präfrontal bei den männlichen Teilnehmern assoziiert (Pardo et al. 1993). Dagegen führte die Induktion trauriger

52 53 54 55 56 57 58 59 60

Emotionsforschung sind u. a. die ethische Beschränkung experimenteller Verfahren zur Emotionsinduktion und die nur eingeschränkte Möglichkeit Emotionen, z. B. im Gegensatz zu Bewegungen, direkt zu beobachten. Der Emotionsbegriff ist ein Konstrukt, das unterschiedlich definiert und operationalisiert werden kann. Zusätzlich sind die Teilverarbeitungsprozesse der emotionalen Verarbeitung stark mit anderen kognitiven Vorgängen verknüpft. Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) wurde in diesem Kontext in verschiedenen Paradigmen eingesetzt, um Stimmung, emotionales Verhalten und emotionsabhängige kognitive Leistungen experimentell zu beeinflussen und verschiedene Hypothesen zur Bedeutung kortikaler Regionen für die Generierung und Regulation emotionalen Verhaltens zu testen. Die Exkursbox stellt einige Modellannahmen zur funktionellen Neuroanatomie emotionaler Prozesse dar, die dem besseren Verständnis der rTMS-Studien in diesem Bereich dienen (7 Exkursbox »Funktionelle Neuroanatomie von Emotionen«).

Funktionelle Neuroanatomie von Emotionen und fröhlicher Stimmungslagen in einer gesunden weiblichen Stichprobe nicht – wie nach der Valenzhypothese zu erwarten – zu einem spiegelbildlichen Aktivierungsmuster in homologen Arealen der linken und rechten Hemisphäre, sondern traurige und fröhliche Stimmungen aktivierten unterschiedliche Hirnregionen (George et al. 1995). Bezüglich der Lateralisierung der aﬀektiven Verarbeitung kommt auch dem jeweiligen Stimulusmaterial und der Informationsverarbeitungsstrategie eine große Rolle zu: 5 »Top-down«-Strategie: Die Verarbeitung wird durch übergeordnete Strukturen/Erwartungen beeinﬂusst; vs. 5 »Bottom-up«-Strategie: Kognitive Verarbeitung aufgrund der Analyse der Reizmerkmale. Die einfache Valenzhypothese kann somit die zerebralen Aktivierungsmuster nicht hinreichend erklären. Dennoch bildete die einfache Valenzhypothese bislang die konzeptionelle Grundlage für die meisten rTMS-Studien. Seit einigen Jahren ist es möglich, mittels bildgebender Verfahren wie der Positronenemissionstomograﬁe (PET) und der funktionellen Magnetresonanztomograﬁe (fMRT), Hirnareale zu identiﬁzieren, die an

6

49.2 Wirkung der rTMS auf die normale Affektlage bei Gesunden

der emotionalen Verarbeitung beteiligt sind. Neben der Amygdala und dem ventralen Striatum (Nucleus accumbenss) wurden in bildgebenden Studien der ventrale Anteil des anterioren zingulären Kortex (ACC) sowie mesiale und laterale Anteile des präfrontalen Kortex als wichtige an der emotionalen Verarbeitung beteiligte Hirnstrukturen identiﬁziert (Ochsner u. Gross 2005). Trotz der verbesserten Lokalisation erlaubt die korrelative Natur der bildgebenden Ver-

49.2

Wirkung der rTMS auf die normale Aﬀektlage bei Gesunden

In der Emotionsforschung wurde die rTMS bislang vorwiegend eingesetzt, um die neuronale Aktivität in dem an der emotionalen Reizverarbeitung beteiligten System über den Zeitpunkt der Stimulation hinaus zu modulieren (7 Kap. 50). Dieser Konditionierungsansatz (Offline-rTMS) besteht darin, durch die Neuromodulation bestimmter Hirnareale eine Verschiebung in der Stimmungslage hervorzurufen und diese dann zu messen. Primäre Zielregion zur Auslösung von Emotionen war bedingt durch die geringe Eindringtiefe des magnetischen Feldes bei rTMS der dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC), obgleich auch andere Regionen untersucht wurden (. Tab. 49.1 und 49.2).

49.2.1 Untersuchungen mit

Selbstbeurteilungsskalen Ein grundsätzliches Problem der Stimmungsmessung mittels Selbstbeurteilungsskalen ist, dass die Selbsteinschätzungen nicht objektivierbar und oft nicht ausreichend sensitiv sind. Zumeist werden kontinuierliche visuelle Analogskalen (VAS) ohne Skalierung gewählt. Gemessen wird dann die Differenz in Millimetern zwischen einer Placebo- und einer Interventionsbedingung bzw. zwischen einer Experimentalbedingung und einer Ausgangsmessung. Es stellt sich die Frage, ob dieses Vorgehen reliabel ist, d. h., ob ein Proband ohne Intervention das Kreuz immer an derselben Stelle setzen würde. Reliabler ist die Verwendung gut validierter Fragebogen mit Skalierung, wie z. B. der »positive and negative affect schedule« (PANAS), der »profile of mood states« (POMS) oder der »Eigenschaftswörterliste« (EWL). Durch die Skalierung nimmt die Reliabilität der Messinstrumente zu. Im Gegenzug wird die Sensitivität dieser Skalen für Stimmungsveränderungen verringert. Die wichtigsten rTMS-Studi-

489

49

fahren oft keine sichere Aussage über die funktionelle Relevanz der an der emotionalen Reizverarbeitung beteiligten Hirnregionen. Der direkte Vergleich der bildgebenden Untersuchungen wird zudem durch Unterschiede in den verwendeten Paradigmen zur Stimmungsinduktion, in der Bilddatenakquisition und -analyse sowie durch die meist kleinen Stichproben (geringe statistische Power) erschwert.

en zur experimentellen Modulation von Emotionen sind tabellarisch zusammengefasst (. Tab. 49.1). In 3 Pilotstudien wurde die Wirkung der rTMS bei gesunden Probanden erforscht (Dearing et al. 1997; George et al. 1996; Pascual-Leone et al. 1996). Pascual-Leone et al. (1996) applizierten bei 10 gesunden Probanden eine 10-Hz-rTMS über dem Vertex sowie dem linken und rechten DLPFC und erfassten Stimmungsveränderungen mit 5 visuellen Analogskalen (VAS) zu Traurigkeit, Freude, Müdigkeit, Angst und Unbehagen. Die linksseitige präfrontale Stimulation führte im Vergleich zu den anderen Bedingungen zu einer Zunahme im Traurigkeits- und einer Abnahme im Freudescore. Kurze Zeit später veröffentlichten George et al. (1996) eine Studie, in der ebenfalls eine gemischte Stichprobe von 10 Personen untersucht wurde. An verschiedenen Untersuchungstagen wurde eine 5-Hz-rTMS über einer von 5 Hirnregionen (linker sowie rechter DLPFC, Vertex, Kleinhirn, visueller Kortex) appliziert. Auch hier fand sich eine Abnahme subjektiv empfundener Freude nach linksseitiger im Vergleich zur rechtsseitigen präfrontalen Stimulation sowie eine Abnahme der subjektiven Traurigkeit nach rechtsseitiger im Vergleich zur linksseitigen präfrontalen rTMS mit einer maximalen Veränderung 8 Stunden nach Ende der rTMS. Diese Ergebnisse konnten allerdings nur in einer von drei Stimmungsskalen beobachtet werden. Eine spätere placebokontrollierte Studie (Dearing et al. 1997) replizierte die zuvor beschriebenen Ergebnisse. In dieser Untersuchung wurde eine hochfrequente (10 Hz) unterschwellige rTMS mit zwei unterschiedlichen Spulentypen appliziert. Stimmungsveränderungen fanden sich nur bei Gebrauch einer achtförmigen Schmetterlingsspule. Bei hochfrequenter rechtsseitiger präfrontaler Stimulation wurde zusätzlich eine Zunahme des Angstwertes beobachtet. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Befund von Schutter et al. (2001), die in ihrer placebokontrollierten Studie eine Angstabnahme nach niederfrequenter rTMS über dem rechten DLPFC feststellten.

490

Kapitel 49 · Emotionen

41

. Tab. .. Übersicht über Studien zur rTMS-induzierten Stimmungsmodulation, die vorwiegend Selbstbeurteilungsskalen verwendeten

42

Studie

rTMS-Protokoll

Zielgröße

Eﬀekte der rTMS

Pascual-Leone (1996) n=10, M, R, A

re, li, m DLPFC (110% RMT), 10 Hz, 1000 Reize

VAS

Links Zunahme in Skala »traurig« und Abnahme in Skala »fröhlich«

George (1996) n=10, M, R

re, li, m DLPFC,OC, Kleinhirn (120% RMT), 5 Hz, 500 Reize

NIMH, VAS, PANAS

NIMH: links Abnahme Traurigkeit, rechts Abnahme posit. Emotionen

Dearing (1997) n=9, M, R, P

re, li DLPFC (80% RMT), re DLPFC (abgew. Spule), 20 Hz, 800 Reize

VAS

Rechts Anstieg in Skala »Angst«, links Abnahme in Skala »fröhlich«

47

Cohrs (1998) n=13, M, R, P

re, li DLPFC/re, li PC/re, li, OC (120% RMT)/Vertex (abgew. Spule), 20 Hz, 800 Reize

VAS, REM

Keine Stimmungseﬀekte, REM-Schlaf verzögert, Zyklus nonREM-REM verlängert

48

Mosimann (2000) n=25, M, P

li DLPFC (100% RMT und abgew. Spule ), 20 Hz, 1600 Reize

VAS

Keine Stimmungsunterschiede

Schutter (2001) n=12, M, R, A, P

re DLPFC (130% RMT und abgew. Spule), 1 Hz, 1200 Reize

STAS, STAI (State Skalen), EEG

Abnahme Ängstlichkeit; Zunahme linksseitiger ThetaAktivität

Grisaru (2001) n=18, M, R, P

re, li DLPFC (110% RMT und abgew. Spule), 1 Hz, 500 Reize

VAS, SQ

Keine Eﬀekte

Jenkins (2002) n=19, M, A

re, li DLPFC (100% RMT), 1 Hz, 1000 Reize

PANAS, POMS, UWIST, SAI, BFS Blutdruck

Stimmungsabfall (PANAS, POMS), links Blutdrucksenkung

Baeken (2006) n=28, M, R, P, N

li DLPFC (110% RMT und abgew. Spule), 10 Hz, 1560 Reize

VAS, POMS

Keine Eﬀekte

43 44 45 46

49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Selbstbeurteilungsskalen

Studie: angegeben sind Erstautor, Jahr der Publikation, Zahl der untersuchten Patienten und das Untersuchungsdesign (M Messwiederholung; R randomisiert; A ausbalanciert; P Placebokontrolle; N Neuronavigation; n Zahl der Studienteilnehmer). rTMS Protokoll: In dieser Spalte sind die Details des verwendeten Stimulationsprotokolls [Stimulationsort (Intensität), Kontrollbedingung (abgew. Spule abgewinkelte Spule), Stimulationsfrequenz, Gesamtzahl der applizierten Reize] zusammengefasst. Stimulationsorte: DLPFC dorsolateraler präfrontaler Kortex; mPFC medialer präfrontaler Kortex; PF präfrontaler Kortex; PC parietaler Kortex; OC okzipitaler Kortex (li links, re rechts). Die verwendete Stimulusintensität ist angegeben in % der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe (RMT). Zielgröße: Angabe zu den erhobenen Messwerten nach der rTMS. VAS visuelle Analogskala; NIMH »National Institue of Health (NIMH) Mood Scale«; PANAS »Positiv and Negativ Aﬀect Scale«; REM »Rapid Eye Movement«; STAS »State-Trait Anger Scale«; STAI »State-Trait Anxiety Inventory«; SQ »Sleep Questionnaire«; POMS »Proﬁle of Mood States«; UWIST »UWIST Mood Adjective Checklist«; SAI »inventory for measurement of selfreported stress and arousal«; BFS Beﬁndlichkeitsskala. Eﬀekte der rTMS: Qualitative Angabe zu den Auswirkungen der rTMS.

Auch in der Studie von Barrett et al. (2004) fand sich ein negativer Effekt in zwei von drei Stimmungsskalen nach hochfrequenter 10-Hz-rTMS über dem linken im Vergleich zum rechten DLPFC. Allerdings war die Stichprobe (n=5) pro Stimulationsfrequenz (1 Hz vs. 10 Hz) sehr klein und das Studiendesign hatte keine Placebobedingung. Als Stärke dieser Studie ist allerdings hervorzuheben, dass die Erfassung der Stimmungsscores mit objektiven Messmethoden wie einer Sprachanalyse und der PET kombiniert wurden,

die beide das Ergebnis der Stimmungsskalen unterstützen (7 Abschn. 49.2.2). Eine mögliche neurophysiologische Erklärung für die oben beschriebenen Resultate ist, dass eine hochfrequente rTMS eine vorübergehende Funktionsstörung erzeugt, die bei linksseitiger Stimulation zu einer Verschlechterung und bei rechtsseitiger Stimulation zu einer Verbesserung der Stimmung führt (7 Kap. 31 und 55). Die in den frühen Studien beschriebenen, modulatorischen Effekte einer unilateralen rTMS des

491

49.2 Wirkung der rTMS auf die normale Affektlage bei Gesunden

49

. Tab. .. Übersicht über rTMS-Studien zur Emotionsverarbeitung, die objektive Stimmungsindikatoren verwendeten, sowie rTMS-Studien, in denen bei gesunden Probanden die rTMS nach bzw. vor Emotionsinduktion verabreicht wurde Studie

rTMS-Protokoll

Zielgröße

Eﬀekte der rTMS

Objektive Stimmungsindikatoren d’Alfonso (2000) n=10

re, li DLPFC (130% RMT), 6 Hz, 9 Reize

POMS, Stroop-Aufgabe

Spannungsabbfall, rechts SA zu ärgerlichen Gesichtern, links Vermeidung

Padberg (2001) n=9, M, R

re, li DLPFC (110% RMT), 10 Hz, 500 Reize

VAS, Mimikanalyse

Stimmungsverschlechterung bds., links erhöhte Lachfrequenz, verkürzte Latenz, rechts gegenteiliges Befundmuster

van Honk (2002) n=10, M, R, A

re, li DLPFC (130% RMT), 0,6 Hz, 9 Reize

Stroop-Aufgabe

Rechts SA zu ärgerlichen Gesichtern

van Honk (2002) n=8, M, A, P

re DLPFC (130% RMT und abgew. Spule), 1 Hz, 1200 Impulse

Emotionale Stroop-Aufgabe

Rechts reduzierte SA für unmaskierte Gesichter

van Honk (2003) n=8, M, A, R, P

re PC (90% RMT und abgew. Spule), 2 Hz, 2400 Reize

POMS, VAS, Herzrate, Hautleitwiders., Priming-Aufgabe

Reduktion der depressiven Stimmung, Vermeidung ärgerlicher Gesichter

Schutter (2003) n=5

mediales, li Kleinhirn/OC (80% RMT)/mediales Kleinhirn (Placebospule), 25 Hz, 20.000 Reize

EEG

medial: EEG-Verlagerung von links nach rechts, Probanden berichteten »freudige Erregung« u. gr. Wachheit

Barrett (2004, Exp.1) n=10, M (innerhalb einer Frequenz), A, N

re, li DLPFC (100% RMT), 1 Hz (n=5) und 10 Hz (n=5), 450 Reize

AQ, PANAS, Vitality Scale, Sprachaufgabe

10 Hz, links: negativer Affekt, geringere Vitalität und monotonere Sprache im Vergleich zur Baseline

Barrett (2004, Exp.2) n=8, M, N

a) li DLPFC (100% RMT) erst 10 Hz, dann 1 Hz, 750 Reize b) li DLPFC (100% RMT), erst 1 Hz, dann 10 Hz, 750 Reize

AQ, PET

keine Stimmungseﬀekte, bei b) 10 Hz: Anstieg der Kovariation zwischen links DLPFC und ACC im rCBF

Bermpohl (2005) n=11, M, P

re, li DLPFC/OC (aktive Kontrolle), (60% Geräteleistung), 1 Hz, 600 Impulse

Aﬀektive Go/Nogo-Aufgabe

Links: Verschlechterung unabhängig von der Valenz der Bilder

Schutter u. van Honk (2006) n=12, M, P

li DLPFC (80% RMT)/Orbitofrontaler Kortex (80% RMT und Placebospule), 1 Hz, 1200 Reize

POMS, VAS, emot. Gedächtnis-aufgabe

Keine Eﬀekte in Stimmungsskalen, Orbitofrontal: Gedächtnisleistung für fröhliche Gesichter verbessert

Emotionsinduktion und rTMS-Konditionierung Habel (2001) n=18

li, re PF (130% RMT)/Kontrolle zw.T1 & T2 (abgew.Spule), 0,5 Hz, 60 Reize

STAI, PANAS, SSS

Keine rTMS-Eﬀekte auf induzierte depressive Stimmung

Zwanzger (2006) n=11, M, P

re DLPFC (120% RMT und Mu-Metall als Kontrolle) 1 Hz, 1800 Reize

API, PSS

Keine rTMS-Eﬀekte auf induzierte Paniksymptome

492

41 42 43 44 45

Kapitel 49 · Emotionen

. Tab. .. Fortsetzung Studie: angegeben sind Erstautor, Jahr der Publikation, Zahl der untersuchten Patienten und das Untersuchungsdesign (M Messwiederholung; R randomisiert; A ausbalanciert; P Placebokontrolle; N Neuronavigation; n Zahl der Studienteilnehmer). rTMS Protokoll: In dieser Spalte sind die Details des verwendeten Stimulationsprotokolls (Stimulationsort, Stimulationsfrequenz, Kontrollbedingung (abgew. Spule abgewinkelte Spule, Gesamtzahl der applizierten Reize) zusammengefasst. Stimulationsorte: DLPFC dorsolateraler präfrontaler Kortex; mPFC medialer präfrontaler Kortex; PF präfrontaler Kortex; PC parietaler Kortex; OC okzipitaler Kortex; ACC anteriorer zingulärer Kortex (li links, re rechts). Die verwendete Stimulusintensität ist angegeben in % der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe (RMT). Zielgröße: Angabe zu den erhobenen Messwerten nach der rTMS. VAS visuelle Analogskala; NIMH »National Institue of Health (NIMH) Mood Scale«; PANAS »Positiv and Negativ Aﬀect Scale«; STAS »State-Trait Anger Scale«; STAI »State-Trait Anxiety Inventory«; SQ »Sleep Questionnaire«; POMS »Proﬁle of Mood States«; UWIST UWIST »Mood Adjective Checklist«; SAI »inventory for measurement of selfreported stress and arousal«; BFS Beﬁndlichkeitsskala; AQ »Aﬀect Questionnaire«; SSS »Sensation Seeking Scale«; API »Acute panic inventory«; PSS deutsche Übersetzung des PTSD-Symptom Scale Self Report. Eﬀekte der rTMS: Qualitative Angabe zu den Auswirkungen der rTMS. SA selektive Aufmerksamkeit; rCBF regionaler zerebraler Blutﬂuss.

46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

präfrontalen Kortex auf die Stimmungslage wurden allerdings in einer Serie von nachfolgenden Untersuchungen nicht bestätigt. So fanden sich keine lateralisierten Veränderungen in den Stimmungsskalen nach unilateraler hochfrequenter rTMS (Cohrs et al. 1998; Jenkins et al. 2002; Mosimann et al. 2000; Padberg et al. 2001; Baeken et al. 2006) oder niederfrequenter rTMS (d’Alfonso et al. 2000; Grisaru et al. 2001; Schutter u. van Honk 2006) des lateralen präfrontalen Kortex. Zwei Studien, deren Studiendesign keine Placebobedingung enthielten, fanden eine Stimmungsverschlechterung nach präfrontaler rTMS unabhängig von der Stimulationsseite (Jenkins et al. 2002; Padberg et al. 2001). Diese Stimmungsverschlechterung könnte auf aversive sensorische Sinneseindrücke während der Stimulation zurückzuführen sein (Padberg et al. 2001). D’Alfonso et al. (2000) stellten einen Abfall der Anspannung nach rTMS im Vergleich zur Ausgangsmessung unabhängig von der Stimulationsseite fest. Grisaru et al. (2001) verwendeten jeweils eine eigene Placebobedingung für die effektive rTMS des linken oder rechten präfrontalen Kortex und fanden keine lateralisierten Stimmungsveränderungen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie vermied einige der wesentlichen methodischen Probleme früherer Studien (zu kleine Stichprobe, keine Placebokontrolle, Verwendung ungeeigneter Skalen etc.) und zeigte ebenfalls keine Effekte der rTMS auf die Stimmung gesunder Probandinnen (Baeken et al. 2006). In dieser Studie wurde eine relativ große Stichprobe (n=28) placebokontrolliert und neuronavigiert über dem linken dorsalen präfrontalen Kortex mit einer hochfrequenten (20 Hz) rTMS (1560 Reize pro Sitzung) überschwellig stimuliert. Neben der VAS wurde zur Stimmungsmessung eine etablierte Stimmungsskala (POMS) verwendet.

49.2.2 Untersuchungen mit

neurophysiologischen Variablen Als wertvolle Ergänzung zur Selbsteinschätzung nutzt die Emotionsforschung die Messung indirekter Stimmungsindikatoren. Hierbei wird nicht die vom Proband subjektiv erlebte Emotion erfasst, sondern eine objektive physiologische Reaktion gemessen, die mit der Emotion assoziiert ist (. Tab. 49.2). Ein Beispiel hierfür ist die Analyse mimischer Aktivität der Gesichtsmuskeln. Mit einem dreidimensionalen Bewegungsmesssystem registrierten Padberg et al. (2001) die mimischen Lachreaktionen nach links- und rechtsseitiger hochfrequenter (10 Hz) rTMS über dem DLPFC. Zur Kontrolle wurde willkürliches Lachen analysiert, um auszuschließen, dass mögliche Veränderungen auf motorische Beeinträchtigungen zurückzuführen waren. Es wurden eine erhöhte Frequenz und eine verkürzte Reaktionszeit der Lachreaktionen nach linksseitiger und ein Trend in Richtung einer erniedrigten Frequenz und verlängerten Reaktionszeit nach rechtsseitiger Stimulation gefunden. Weder die rechts- noch die linksseitige präfrontale rTMS hatte nachhaltige Effekte auf willkürliche Lachbewegungen. Eine weitere auch für zukünftige Studien relevante Methode ist die Stimmanalyse. So nutzten Barret et al. (2004) eine Stimmanalyse als Stimmungsindikator. Die Probanden mussten zwanzig emotional neutrale Sätze laut vorlesen. Analysiert wurde die Lautstärkenamplitude, die mittlere Frequenz der Stimmbänder, sowie deren Spannbreite und Standardabweichung. Dabei zeigte sich eine monotonere Sprache (Spannbreite der Frequenz) nach linksseitiger hochfrequenter (10 Hz), nicht jedoch nach niederfrequenter (1 Hz) rTMS des dorsomedialen präfrontalen Kortex. Ein viel versprechender Ansatz, die neurophysiologische Basis einer veränderten Selbsteinschät-

49.2 Wirkung der rTMS auf die normale Affektlage bei Gesunden

zung von Emotionen nach rTMS besser zu verstehen, besteht in der Kombination von Selbstrating und funktioneller Bildgebung. So konnten Barret et al. (2004) mithilfe der PET des rCBF zeigen, dass die rTMS die funktionelle Kopplung des stimulierten dorsomedialen präfrontalen Kortex mit anderen Kortexarealen wie dem DLPFC oder dem ACC beeinflusste, die spezifisch an der Emotionsverarbeitung beteiligt sind. Die Auswirkungen der linksseitigen hochfrequenten TMS des dorsomedialen präfrontalen Kortex zeigten sich in den Stimmungsskalen, der Stimmanalyse beim Lesen und in der PET-Messung des regionalen zerebralen Blutflusses. Obwohl in dieser Studie nur sehr wenige Versuchspersonen (n=5) untersucht wurden, spricht die Gesamtheit der Ergebnisse für einen lateralisierten Effekt der rTMS auf die emotionale Verarbeitung. In einer Studie zur Funktion des Kleinhirns in der emotionalen Verarbeitung wurden mediale und laterale Teile des Kleinhirns hochfrequent (25 Hz) und unterschwellig (80 MT) mit 20.000 Impulsen stimuliert (Schutter et al. 2003). Aktiver Kontrollort war der okzipitale Kortex. In dieser Untersuchung führte nur die rTMS des medialen Kleinhirns zu einer Verlagerung der EEG-Dominanz von der linken zur rechten Seite. Stimmungsskalen wurden in dieser Studie nicht eingesetzt. Die Probanden berichteten aber spontan von einer subjektiv empfundenen freudigen Erregung und Wachheit ausschließlich bei medialer zerebellärer Stimulation. Die Erfassung vegetativer Korrelate (mit der Emotion assoziierten Erregungsstärke) wie Änderungen des elektrodermalen Hautwiderstands und der Herzfrequenz bietet eine weitere Möglichkeit, die Ergebnisse der Stimmungsskalen zu objektivieren. So führte eine niederfrequente (2 Hz) rTMS über dem rechten parietalen Kortex während der Verarbeitung ärgerlicher Gesichtsausdrücke im Vergleich zu einer Placebobedingung zu einer Veränderung der Herzfrequenz, nicht aber des Hautwiderstands (van Honk et al. 2003).

49.2.3 Neuropsychologische

Untersuchungen mit emotionalkognitiven Paradigmen In mehreren Studien wurde die Wirkung einer rTMS auf die Durchführung emotional-kognitiver Aufgaben untersucht. Diese Aufgaben verwenden emotionsabhängige Messgrößen oder setzen emotionale Stimuli ein, die in der Erforschung von Wahrnehmung und Verarbeitung von Emotionen etabliert

493

49

wurden. So wurden in einer Studie von Harmer (2001) ärgerliche und fröhliche Gesichter präsentiert, die von Gesichtern mit emotional neutralem Gesichtsausdruck unterschieden werden sollten. Die Emotionsstärke der Gesichter wurde so bearbeitet, dass sie sich in der Expression der Emotion von den neutralen um 10–100 unterschied. Bei Präsentation der Gesichter musste sich der Proband per Tastendruck entscheiden, ob es sich um ein neutrales oder ärgerliches bzw. glückliches Gesicht handelte. Es zeigte sich, dass bei TMS über dem medialen präfrontalen Kortex das Erkennen der ärgerlichen, nicht aber der glücklichen Gesichter im Vergleich zu mehreren Kontrollbedingungen und zu einer individuellen Ausgangsmessung gestört war. Eine weitere Möglichkeit Stimmung indirekt zu erfassen, besteht in der Messung der Aufmerksamkeitsverlagerung in Richtung positiver oder negativer Stimuli (. Tab. 49.2). So nutzten z. B. van Honk et al. (2003) eine Aufgabe, in der gleichzeitig ein neutrales und ein ärgerliches bzw. glückliches Gesicht im rechten bzw. linken Gesichtsfeld präsentiert wurden. Danach folgte an einer Stelle ein Buchstabe, den der Proband möglichst schnell aussprechen musste. Erschien dieser Buchstabe auf der Seite, die der Proband schon vorher beachtet hatte, dann konnte er diesen schneller aussprechen als wenn er seinen Aufmerksamkeitsfokus zur anderen Seite verlagern musste. Mit dieser Aufgabe konnte die Forschungsgruppe zeigen, dass nach rechtsseitiger 2-Hz-rTMS des parietalen Kortex mit 90 der kortikalen motorischen Reizschwelle die Vermeidung ärgerlicher Gesichter geringer ausfiel als nach einer Placebostimulation. D’Alfonso et al. (2000) konnten bei Verwendung einer emotionalen Stroop-Aufgabe (emotionaler Interferenztest) eine Aufmerksamkeitsverlagerung in Richtung ärgerlicher Gesichter bei niederfrequenter rTMS des rechten, nicht aber des linken DLPFC finden. Die Aufmerksamkeitsverschiebung konnte nur bei unmaskierten, nicht aber bei maskierten Stimuli gezeigt werden. Die Autoren verwendeten in ihren Studien soziale Stimuli (ärgerliche Gesichter), welche die Reaktionen Angriff oder Vermeidung provozieren. Die geringere Vermeidung bedrohlicher (ärgerlicher) Stimuli spricht somit für eine Reduktion der Angst nach rechtshemisphärischer 2-Hz-rTMS und unterstützt den Befund von Schutter et al. (2001). In der bereits erwähnten Studie von Schutter u. van Honk (2006) wurden 12 Probanden niederfrequent (1 Hz), unterschwellig und placebokontrolliert über dem orbitofrontalen und dem DLPFC stimuliert. Als Messinstrumente wurde neben Stimmungsskalen eine emotionale Gedächtnisaufgabe verwendet. In

494

41 42 43 44 45

dieser Studie verbesserte sich die Gedächtnisleistung ausschließlich für fröhliche Gesichter bei Stimulation über dem orbitofrontalen Kortex. In einer affektiven Go/Nogo-Aufgabe (Aufgabe zur Unterdrückung automatisierten Verhaltens) zeigte sich eine Verschlechterung der Aufgabenbearbeitung unabhängig von der Emotionsvalenz (positiv vs. negativ) nach niederfrequenter (1 Hz) rTMS über dem linken im Vergleich zum rechten DLPFC und zu einer Kontrollbedingung (Bermpohl et al. 2005).

49.3

46 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Kapitel 49 · Emotionen

Wirkung der rTMS auf induzierte Emotionen bei gesunden Probanden

Habel et al. (2001) versuchten eine experimentell induzierte negative Stimmung bei gesunden Probanden mit rTMS zu behandeln. Die Stimmungsinduktion erfolgte mittels unlösbarer Anagramme, die klassischerweise bei der Erzeugung erlernter Hilflosigkeit verwendet werden. Danach wurden die Probanden niederfrequent (0,5 Hz) placebokontrolliert über den Elektrodenpositionen F7 (links präfrontal) oder F8 (rechts präfrontal) stimuliert (60 Impulse). Es fand sich in keiner Versuchsgruppe eine Verbesserung der induzierten negativen Stimmung. Einschränkend ist zu bemerken, dass es sich bei Stimulationsfrequenz, -dauer und -ort um unübliche Stimulationsparameter handelte, die in dieser Form nicht im klinischen Rahmen zum Einsatz kommen und von denen keine anhaltende neuromodulatorische Wirkung zu erwarten ist. In einer Studie zur Angstinduktion von Zwanzger et al. (2006) hatte eine niederfrequente rTMS über dem rechten DLPFC keinen Einfluss auf die Ausprägung einer nachträglich durch die Substanz Cholezystokinin-Tetrapeptid (CKK-4) experimentell induzierten Panikattake.

56

49.4

57

Obwohl die TMS in der Literatur oft als schmerzfrei beschrieben wird, empfinden viele Probanden insbesondere die rTMS als unangenehm. Für diesen Effekt ist die direkte Stimulation von sensiblen Hautnerven und der Kopfmuskulatur verantwortlich. Die Empfindungen sind abhängig von der Intensität, der Frequenz und dem Ort der Stimulation. So werden z. B. niederfrequente mediale Stimulationen des präfrontalen Kortex als weniger unangenehm empfunden als dorsolaterale präfrontale. Eine weiteres methodisches Problem ist die Tatsache, dass der Unterschied zwischen den meisten Interventions- und Placebobedin-

58 59 60

Methodische Beschränkungen

gungen (z. B. gekippte Spule, Abschirmung der Spule) für die Probanden häufig erkennbar ist, vor allem in einem Messwiederholungsdesign bei gleichem Stimulationsort. Zudem weisen viele rTMS-Studien zu Stimmungseffekten bei gesunden Personen geringe Stichprobengrößen auf (häufig weniger als 10 Probanden) und haben eine entsprechend geringe statistische Power. Neben diesen stimulationstechnischen Beschränkungen können auch psychophysische Faktoren limitierend sein und müssen bei der Versuchsplanung und Wertung der Ergebnisse berücksichtigt werden. So kann die Valenz einer Emotion mit dem Ausmaß an Erregung konfundiert sein (z. B. starke Erregung bei Wut und vergleichsweise geringe bei Freude), deren Einfluss in zukünftigen Projekten kontrolliert werden sollte (Dolcos et al. 2004). Außerdem kann die Ausgangsstimmung der Versuchsperson einen Einfluss auf die rTMS-Wirkung haben. So konnten Lang et al. (1990) zeigen, dass Probanden mit negativer Stimmung einen stärkeren Schreckreflex mit kurzer Latenz zeigten, während bei Personen mit positiver Stimmung das gegenteilige Befundmuster zu beobachten war. Diese Befunde könnten auch die unterschiedlichen Wirkweisen der rTMS bei gesunden Probanden im Vergleich zu depressiven Patienten erklären.

49.5

Diskussion und Ausblick

In der Zusammenschau konnten bislang keine über die Studien konsistenten Effekte der rTMS auf die Stimmung nachgewiesen werden. Indirekte Stimmungsindikatoren scheinen sensitiver als Stimmungsskalen für die Erfassung von Emotionseffekten zu sein (Padberg et al. 2001; Schutter u. van Honk 2006). Die Kombination von verschiedenen Stimmungsskalen, alternativen indirekten Stimmungsindikatoren wie der Sprachanalyse oder emotionalen Primingaufgaben und der Einsatz bildgebender Verfahren sollte zur Anwendung kommen, um die durch die rTMS induzierten Stimmungseffekte valide zu belegen und ihre neurophysiologischen Grundlagen zu erforschen (Barrett et al. 2004). Verbesserte technische Möglichkeiten wie die Neuronavigation, neue Stimulationsformen (7 Kap. 50) und Spulenformen (7 Kap. 2) mit der Möglichkeit anatomisch präziser, anhaltender bzw. tiefer zu stimulieren, können künftige Forschungsvorhaben erleichtern. Das Verständnis emotionaler Regulation ist für die Behandlung von affektiven Erkrankungen von großer Bedeutung. Es gibt z. B. Hinweise auf eine krankheitsassoziierte Beeinträchtigung in der Nutzung kogni-

Literatur

tiver Strategien bei der Top-down-Regulation negativer Emotionen, die einen prognostischen Wert bei der Behandlung von Depressionen hat. Auch wenn in der Vergangenheit keine Stimmungseffekte bei Stimulation dieser Regionen gefunden werden konnten (George et al. 1996; Pascual-Leone et al. 1996), ist die nähere Untersuchung der stimmungsmodulierenden Effekte einer rTMS des medialen frontalen Kortex viel versprechend. Dafür spricht, dass in einer neueren Studie die mediale präfrontale TMS mit einer konusartig angewinkelten Achterspule, die eine größere Tiefenwirkung hat, das Erkennen ärgerlicher Gesichter, nicht aber fröhlicher Gesichter gestört wurde (Harmer et al. 2001).

Literatur 2Baeken C, Leyman L, De Raedt R et al. (2006) Lack of impact of repetitive High Frequency Transcranial Magnetic Stimulation on mood in healthy female subjects. J Aﬀect Disord 90: 63–66 Wichtige Studie, die methodische Mängel vorheriger Studien zur rTMS-Stimmungsinduktion berücksichtigt und keine Stimmungseﬀekte ﬁndet. 1Barrett J, Della-Maggiore V, Chouinard PA, Paus T (2004) Mechanisms of action underlying the eﬀect of repetitive transcranial magnetic stimulation on mood: behavioral and brain imaging studies. Neuropsychopharmacology 29: 1172–1189 In dieser Studie werden Sprachanalyse, Stimmungsskalen sowie bildgebende Verfahren kombiniert. Bermpohl F, Fregni F, Boggio PS et al. (2005) Left prefrontal repetitive transcranial magnetic stimulation impairs performance in aﬀective go/no-go task. Neuroreport 16: 615– 619 Cohrs S, Tergau F, Riech S et al. (1998) High-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation delays rapid eye movement sleep. Neuroreport 9: 3439–3443 d’Alfonso A, van Honk J, Hermans E, Postma A, de Haan E (2000) Laterality eﬀects in selective attention to threat after repetitive transcranial magnetic stimulation at the prefrontal cortex in female subjects. Neurosci Lett 280: 195–198 Dearing, J., George, M.S., Greenberg et al. (1997) Mood eﬀects of prefrontal repetitive high frequency transcranial magnetic stimulation (rTMS) in healthy volunteers. CNS Spectrums 2: 53–68. 2Dolcos F, LaBar KS, Cabeza R (2004) Dissociable eﬀects of arousal and valence on prefrontal activity indexing emotional evaluation and subsequent memory: an event-related fMRI study. Neuroimage 23: 64–74 Erste Hinweise auf die Trennbarkeit von Erregungsstärke und Valenz und den zugrunde liegenden PFC-Regionen bei emotionaler Bewertung und aﬀektivem Gedächtnis: Es zeigte sich, dass Emotionen die Gedächtnisformierung modulieren und auf PFC-assoziierten strategischen, semantischen und arbeitsgedächtnisbezogenen Operationen beruhen.

495

49

George MS, Ketter TA, Parekh PI et al. (1995) Brain activity during transient sadness and happiness in healthy women. Am J Psychiatry 152: 341–351 George MS, Wassermann EM, Williams WA et al. (1996) Changes in mood and hormone levels after rapid-rate transcranial magnetic stimulation (rTMS) of the prefrontal cortex. J Neuropsychiatry Clin Neurosci 8: 172–180 Grisaru N, Bruno R, Pridmore S (2001) Eﬀect on the emotions of healthy individuals of slow repetitive transcranial magnetic stimulation applied to the prefrontal cortex. J ECT 17: 184-189 1Habel U, Wild B, Topka H et al. (2001) Transcranial magnetic stimulation: no eﬀect on mood with single pulse during learned helplessness. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 25: 497–506 Untersuchung zur Wirkung der rTMS auf erlernte Hilﬂosigkeit bei gesunden Probanden. 2Harmer CJ, Thilo KV, Rothwell JC, Goodwin GM (2001) Transcranial magnetic stimulation of medial-frontal cortex impairs the processing of angry facial expressions. Nat Neurosci 4: 17–18 Wichtige Studie zur eﬀektiven Stimulation des medialen Kortex. Jenkins J, Shajahan PM, Lappin JM, Ebmeier KP (2002) Right and left prefrontal transcranial magnetic stimulation at 1 Hz does not aﬀect mood in healthy volunteers. BMC Psychiatry 2: 1 1Lang PJ, Bradley MM, Cuthbert BN (1990) Emotion, attention, and the startle reﬂex. Psychol Rev 97: 377–395 Theoretisches Emotionsmodell basierend auf der StartleProbe Methode: Die Startle Response (Motorische Aktivierung fazialer und axialer Muskeln als Schreckreaktion) erhöht sich in aversiven Zuständen und verringert sich in angenehmen Zuständen. Dieser Startleunterschied wird nicht vom Arousal, einfacher Aufmerksamkeit oder der Test-Modalität beeinﬂusst, sondern scheint von der rechtshemisphärischen Verarbeitung determiniert zu sein. Mosimann UP, Rihs TA, Engeler J, Fisch H, Schlaepfer TE (2000) Mood eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation of left prefrontal cortex in healthy volunteers. Psychiatry Res 94: 251–256 1Ochsner KN, Gross JJ (2005) The cognitive control of emotion. Trends Cogn Sci 9: 242–249 Dieser Übersichtsartikel ist eine sorgfältige Analyse von höheren kognitiven Kontrollprozessen, die der Emotionskontrolle dienen. Diese beruhen auf neuronalen Netzwerken inklusive präfrontaler und zingulärer Kontrollsysteme sowie kortikaler und subkortikaler emotionsgenerierender Systeme. 1Padberg F, Juckel G, Prassl A et al. (2001) Facial expressions and mood after transcranial magnetic stimulation of the prefrontal cortex. J Neuropsychiatry Clin Neurosci 13: 206–212 In dieser Arbeit wird erstmals die Mimikanalyse zur Untersuchung von rTMS vermittelten Eﬀekten auf Emotionen eingesetzt. Pardo JV, Pardo PJ, Raichle ME (1993) Neural correlates of selfinduced dysphoria. Am J Psychiatry 150: 713–719

496

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 49 · Emotionen

Pascual-Leone A, Catala MD, Pascual-Leone PA (1996) Lateralized eﬀect of rapid-rate transcranial magnetic stimulation of the prefrontal cortex on mood. Neurology 46: 499–502 Phan KL, Wager T, Taylor SF, Liberzon I (2002) Functional neuroanatomy of emotion: a meta-analysis of emotion activation studies in PET and fMRI. Neuroimage 16(2):331–48 1Schutter DJ, van Honk J (2006) Increased positive emotional memory after repetitive transcranial magnetic stimulation over the orbitofrontal cortex. J Psychiatry Neurosci 31: 101–104 In dieser Studie wird erstmals die eﬀektive Stimulation des orbitofrontalen Kortex mittels rTMS nachgewiesen. 1Schutter DJ, van Honk J, d’Alfonso AA et al. (2003) High frequency repetitive transcranial magnetic over the medial cerebellum induces a shift in the prefrontal electroencephalography gamma spectrum: a pilot study in humans. Neurosci Lett 336: 73–76 Veröﬀentlichung zur Beteiligung des Kleinhirns an der emotionalen Verarbeitung. Schutter DJ, van Honk J, d’Alfonso AA et al. (2001) Eﬀects of slow rTMS at the right dorsolateral prefrontal cortex on EEG asymmetry and mood. Neuroreport 12: 445–447 van Honk J, Schutter DJ, Putman P et al. (2003) Reductions in phenomenological, physiological and attentional indices of depressive mood after 2 Hz rTMS over the right parietal cortex in healthy human subjects. Psychiatry Res 120: 95–101 1Zwanzger P, Eser D, Volkel N, Baghai TC, Moller HJ, Rupprecht R, Padberg F (2006) Eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) on panic attacks induced by cholecystokinin-tetrapeptide (CCK-4). Int J Neuropsychopharmacol 3: 1–5 Untersuchung zur Wirkung der rTMS auf eine unmittelbar nach Stimulation experimentell induzierte Panikattacke.

497

Induktion von Plastizität – Methoden

50

Repetitive transkranielle Magnetstimulation

– 499

Nicolas Lang, Hartwig Roman Siebner

51

Gepaarte assoziative Stimulation

– 513

Ulf Ziemann

52

Übungsabhängiges motorisches Lernen

– 523

Cathrin Bütefisch

53

Transkranielle Gleichstromstimulation Michael A. Nitsche, Walter Paulus

54

Metaplastizität

– 543

Ulf Ziemann, Hartwig Roman Siebner

– 533

VII 50

499

50

Repetitive transkranielle Magnetstimulation Nicolas Lang, Hartwig Roman Siebner

50.1

Einführung – 500

50.3

Konditionierende Effekte der rTMS auf Systemebene – 503

50.2

Effekte der rTMS auf die kortikale Erregbarkeit im motorischen System – 501

50.4

Neue Stimulationsprotokolle

Bahnung und Hemmung der kortikalen Erregbarkeit – 501 Einﬂuss von Pulskonﬁguration und Gerätetechnik – 503 Effekte auf die kortikale Erregbarkeit in entfernten Hirnregionen – 503

50.4.1 50.4.2 50.4.3

Repetitive Doppelpulsstimulation Salvenartige rTMS – 505 Paarig-assoziative rTMS – 507

50.5

Einﬂuss neurobiologischer Faktoren – 508

50.6

Ausblick – 509

Literatur

– 509

50.2.1 50.2.2 50.2.3

– 504 – 504

ZUM THEMA Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) ist ein nichtinvasives und weitgehend schmerzfreies Verfahren zur kortikalen Neuromodulation. Konventionelle rTMS-Protokolle bestehen aus einer kontinuierlichen Reizfolge mit konstanter Wiederholungsrate, wobei zwischen einer rTMS mit sehr langsamer (<0,5 Hz), langsamer (~1 Hz) oder schneller Wiederholungsrate (≥5 Hz) unterschieden wird. Neuere rTMSProtokolle verwenden dagegen komplexere zeitliche Stimulationsmuster, z. B. die regelmäßige Verabreichung von Doppelpulsen (repetitive Doppelpulsstimulation) oder von kurzen, hochfrequenten (≥30 Hz) Reizserien (engl. bursts). Eine weitere Variante ist die repetitive paarig-assoziative Stimulation (engl. paired associative stimulation, PAS), bei der die rTMS mit einem anderen Neurostimulationsverfahren, z. B. einer peripheren elektrischen Nervenstimulation in einem konstanten Zeitintervall gepaart wird. Die funktionellen Auswirkungen der rTMS auf das menschliche Gehirn sind komplex und betreﬀen nicht

nur das direkt stimulierte Kortexareal. Die neuromodulatorischen Eﬀekte werden sowohl von den Charakteristika des Stimulationsprotokolls (z. B. dem zeitlichen Muster der rTMS) als auch von physiologischen Faktoren (z. B. dem Zustand des stimulierten Kortex vor und während der Konditionierung) bestimmt. Elektrophysiologische Untersuchungen konnten zeigen, dass die rTMS des primären motorischen Kortex in Abhängigkeit vom verwendeten Protokoll einen hemmenden oder bahnenden Einﬂuss auf die kortikospinale Erregbarkeit ausüben kann, der zum Teil über Stunden anhält. Die funktionelle zerebrale Bildgebung belegt, dass die rTMS zudem die regionale neuronale Aktivität sowie die Konnektivität zwischen dem stimulierten Kortex und verbundenen Hirnarealen anhaltend beeinﬂussen kann. Diese neuromodulatorischen Eﬀekte begründen den Einsatz der rTMS in der Kognitionsforschung und der Therapie neuropsychiatrischer Erkrankungen.

41 42 43 44 45 46 47 48

500

Kapitel 50 · Repetitive transkranielle Magnetstimulation

50.1

Einführung

Bei der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) wird die TMS in einem bestimmten zeitlichen Muster wiederkehrend (repetitiv) verabreicht. Die konventionelle Form der rTMS besteht aus einer kontinuierlichen Reizserie bestehend aus mehr als zwei Einzelreizen mit konstanter Wiederholungsrate. Bei diesem kontinuierlichen Modus wird zwischen einer rTMS mit langsamer Wiederholungsrate um ~1 Hz (niederfrequente rTMS, engl. low-frequency rTMS) oder mit schneller Wiederholungsrate zwischen 5–50 Hz (hochfrequente rTMS, engl. highfrequency rTMS) unterschieden (. Abb. 50.1). Eine rTMS mit einer Wiederholungsrate von (<0,5 Hz) wird als sehr langsame rTMS bezeichnet. Die rTMS kann in Abhängigkeit vom gewählten Stimulationsprotokoll zahlreiche Aspekte der Hirnfunktion beeinflussen. Hierbei muss zwischen den akuten Stimulationseffekten, die unmittelbar während

der Verabreichung der rTMS auftreten, und Konditionierungseffekten , welche den Zeitpunkt der Stimulation überdauern, unterschieden werden. Desweiteren sind lokale Effekte im stimulierten Kortex von systemischen Effekten, die in mit dem stimulierten Kortex verbundenen Hirnregionen hervorgerufen werden, abzugrenzen. Aufgrund ihrer limitierten räumlichen Auflösung entfaltet die rTMS neuromodulatorische Effekte im gesamten stimulierten Hirnareal. Da die TMS das stimulierte Hirnareal jedoch nicht »homogen« erregt (7 Kap. 3), werden bestimmte Neuronenpopulationen im stimulierten Kortex präferenziell stimuliert. Durch transsynaptische Fortleitung der regionalen neuronalen Exzitation über kortikokortikale oder kortikosubkortikale Axone kann eine »fokale« rTMS auch verbundene Hirnregionen in ihrer Funktion anhaltend beeinflussen. Aufgrund der begrenzten Fokalität moduliert die rTMS auf der Systemebene immer die neuronale Aktivität multipler neuronaler Repräsentationen. Aller-

49 50

a

51 52 53 54

b

c

d

55 56 57 58 59 60

. Abb. .a–d. Synopsis unterschiedlicher rTMS-Protokolle mittels repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS) können bidirektionale Veränderungen (Hemmung oder Bahnung) der kortikalen Erregbarkeit erzielt werden. (a) Bei der konventionellen rTMS werden regelmäßigen Serien von Einzelreizen verabreicht und die Richtung der Erregbarkeitsänderung vor allem durch die Stimulusfrequenz bestimmt. Daneben werden auch Protokolle mit komplexen zeitlichen Stimulationsmustern verwendet. (b) Bei der Doppelpuls-rTMS werden nicht einzelne Stimuli, sondern feste Stimuluspaare repetitiv verabreicht. Hier bestimmt das Interval zwischen dem ersten und zweiten Stimulus eines Stimuluspaares den hemmenden oder bahnenden Einﬂuss der Doppelpuls-rTMS. (c) Die rTMS kann auch in Form wiederkehrender Reizsalven gegeben werden. Das bekannteste Protokoll ist die The-

ta-Burst-Stimulation (TBS), bei der alle 200 ms je eine Dreiersalve mit einem Interstimulusintervall von 20 ms verabreicht wird. Der bahnende oder hemmende Charakter wird davon bestimmt, ob die TBS als kontinuierliche Serie gegeben wird (kontinuierliche TBS) oder diese Serie für einige Sekunden wiederholt unterbrochen wird (intermittierende TBS). (d) Bei der paarig-assoziativen Stimulation (PAS) werden zwei neuronale Strukturen, z. B. ein Nerv und ein Koretxareal in ﬁxem zeitlichen Abstand »gepaart« stimuliert. Die Richtung der kortikalen Erregbarkeitsänderung wird durch die Wahl des zeitlichen Abstands zwischen der konditionierenden Stimulation (z. B. elektrische Reizung somatosensorischer Aﬀerenzen des N. medianus) und der Zielregion (z. B. kortikale Einzelreiz-TMS des kontralateralen motorischen Kortex) bestimmt

50.2 Effekte der rTMS auf die kortikale Erregbarkeit im motorischen System

dings haben diese »Systemeffekte« immer ein Korrelat auf der neuronalen Ebene. Es verdichten sich die Hinweise, dass die rTMS auf neuronaler Ebene die Effizienz synaptischer Übertragung anhaltend beeinflussen kann. So werden die Veränderungen in der kortikospinalen Erregbarkeit nach rTMS motorischer Kortexareale zumindest teilweise durch eine anhaltende Bahnung (engl. long-term potentiation, LTP) oder Hemmung (engl. long-term depression, LTD) der Effizienz synaptischer Übertragung in intrakortikalen Zellpopulationen erklärt (7 Exkurs »Zellbiolog ische Grundlagen stimulationsinduzierter neuronaler Plastizität«). Diese zellulären Effekte der rTMS lassen sich im menschlichen Gehirn nur indirekt charakterisieren. Eine direkte Untersuchung auf der neuronalen Ebene ist nur mit invasiven Methoden der zellulären Elektrophysiologie oder Molekularbiologie im Tierexperiment möglich (7 Kap. 39). Exkurs

Zellbiologische Grundlagen stimulationsinduzierter neuronaler Plastizität Aktivitätsabhängige Veränderungen neuronaler Funktionen können unterteilt werden in anhaltende Veränderungen membrangebundener neuronaler Erregbarkeit (intrinsische Plastizität) und Veränderungen der synaptischen Interaktion zwischen Neuronen (synaptische Plastizität) . Die Fähigkeit zu dynamischen Anpassungen von Netzwerkeigenschaften hängt von beiden Formen der zellulären Plastizität ab, die in komplexer Weise interagieren. Intrinsische Plastizität wird im Wesentlichen durch die Art, Anzahl und Funktion spannungsabhängiger Ionenkanäle in der neuronalen Zellmembran bestimmt. Synaptische Plastizität ﬁndet in funktioneller (Rekrutierung inaktiver Synapsen, Potenzierung oder Unterdrückung synaptischer Eﬃzienz) und struktureller Form (Axonaussprossung, Formierung neuer Synapsen) statt. Anhaltende Bahnung (Langzeitpotenzierung, engl. long-term potentiation, LTP) oder Hemmung (Langzeitdepression, engl. long-term depression, LTD) synaptischer Eﬃzienz wird dabei als Grundlage von Lernen und Gedächtnis angesehen und kann tierexperimentell in Präparationen aus praktisch allen kortikalen Arealen mit unterschiedlichen Stimulationsprotokollen erzielt werden. Hierbei kommen die regelmäßige repetitive Einzelreizstimulation, die paarig-assoziative Stimulation und die intermittierende Verabreichung hochfrequenter Salven zur Anwendung.

50.2

501

50

Eﬀekte der rTMS auf die kortikale Erregbarkeit im motorischen System

Humanphysiologische Untersuchungen zu den neuromodulatorischen Wirkungen der rTMS auf die regionale Erregbarkeit wurden ganz überwiegend am primären motorischen Kortex durchgeführt. Hierbei wurde vor und nach der rTMS mit Einzelreiz-TMS das primär motorische Handareal stimuliert und die motorisch evozierten Potenziale (MEP) im kontralateralen Handmuskel abgeleitet. Dies ermöglicht eine einfache Objektivierung der relativen Änderung in der kortikospinalen Erregbarkeit im stimulierten motorischen Kortex (7 Kap. 5). Darüber hinaus erlauben spezielle Doppelpulsstimulationstechniken eine differenzierte Beurteilung der rTMS-Effekte auf intrakortikale inhibitorische und fazilitatorische Neuronenpopulationen (7 Kap. 16). Bei der Konditionierung anderer Kortexareale mit der rTMS bedarf es hingegen entweder einer subjektiven Quantifizierung, wie z. B. der Beschreibung von Phosphenen oder Skotomen durch den Probanden bei rTMS des visuellen Kortex (7 Kap. 19), der Erfassung von Verhaltenseffekten (7 Kap. 31) oder des Einsatzes bildgebender Verfahren (7 Kap. 35–37). Inwiefern sich die im primären motorischen Kortex erworbenen Erkenntnisse über die neuromodulatorischen Wirkungen der rTMS auf andere Kortexareale übertragen lassen, ist unklar und Gegenstand aktueller Forschung. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über die neuromodulatorischen Effekte einer lokalen rTMS des primären motorischen Kortex auf die kortikale Erregbarkeit. Hierbei sind bahnende, erregbarkeitssteigernde Effekte von hemmenden, erregbarkeitsreduzierenden Effekten abzugrenzen.

50.2.1 Bahnung und Hemmung der

kortikalen Erregbarkeit Bereits während der Verabreichung einer rTMS kann es zu einer akuten Verschiebung der kortikospinalen Erregbarkeit kommen. Appliziert man eine überschwellige Reizserie (≥100 der kortikalen Reizschwelle in Ruhe) über dem primären motorischen Handareal und zeichnet gleichzeitig die durch die rTMS ausgelösten MEP im entspannten, kontralateralen Zielmuskel auf, kann eine Modulation der MEPAmplituden beobachtet werden. Während einer mehrminütigen, niederfrequenten (~1 Hz) rTMS nimmt die Amplitude der MEP allmählich ab, während kurze hochfrequente (≥5 Hz) Reizserien eine Zunahme der MEP-Amplituden bewirken (. Abb. 50.1).

502

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 50 · Repetitive transkranielle Magnetstimulation

In einer Vielzahl von Untersuchungen an gesunden wachen Probanden wurde gezeigt, dass diese akuten bidirektionalen Effekte auf die kortikospinale Erregbarkeit über die Dauer der Stimulation anhalten können (Übersicht in Fitzgerald et al. 2006). Die Nacheffekte der rTMS des primären motorischen Kortex auf die kortikale Erregbarkeit sind komplex und hängen von der Frequenz, Intensität und Dauer der rTMS ab. In der Regel supprimiert eine niederfrequente (~1 Hz) rTMS die kortikospinale Erregbarkeit, während die hochfrequente rTMS die kortikospinale Erregbarkeit erhöht. Des Weiteren halten die Nacheffekte auf die kortikale Erregbarkeit umso länger nach Ende der rTMS an, je mehr Pulse während der rTMS gegeben wurden. Im Folgenden werden die Auswirkungen der fokalen rTMS des primären motorischen Handareals auf die kortikale Erregbarkeit zusammengefasst. Eine niederfrequente (0,9 Hz) rTMS (>600 Stimuli) mit Stimuli oberhalb der motorischen Ruheschwelle (»überschwellige« rTMS) induziert eine anhaltende Suppression der MEP-Amplitude (Chen et al. 1997). Im Vergleich hierzu führt die 1-Hz-rTMS mit Intensitäten unterhalb der motorischen Ruheschwelle (»unterschwellige« rTMS) zu schwächeren und kürzer anhaltenden Nacheffekten (Fitzgerald et al. 2002; Lang et al. 2006). Darüber hinaus induzierte nur die überschwellige 1-Hz-rTMS messbare Veränderungen der intrakortikalen Exzitabilität mit einer Zunahme der kontralateralen kortikalen Innervationsstille und einer abgeschwächten intrakortikalen Doppelpulsbahnung (engl. intracortical facilitation, ICF; Lang et al. 2006). Wichtig ist festzuhalten, dass eine niederfrequente periphere repetitive Nervenstimulation eines kontralateralen Armnerven ausreicht, um eine Abnahme der MEP-Amplitude zu induzieren (Lang et al. 2006). Somit ist es möglich, dass die regelmäßigen Muskelzuckungen zu den Erregbarkeitsveränderung nach »überschwelliger« rTMS des primären motorischen Kortex beitragen. Die Dauer der durch eine niederfrequente rTMS induzierte Erregbarkeitsminderung nimmt mit der Zahl der verabreichten Stimuli zu. So führten 150 Stimuli einer 1-Hz-rTMS mit 95 der motorischen Ruheschwelle nur zu einer kurz anhaltenden Abnahme der durch Einzelreiz-TMS ausgelösten MEP-Amplituden. Diese kortikospinale Hemmung war nach Gabe von 1500 Stimuli jedoch stärker ausgeprägt und blieb länger bestehen (Touge et al. 2001). Eine hochfrequente (≥5 Hz) rTMS des primären motorischen Kortex mit einer Intensität nahe der motorischen Ruheschwelle kann die kortikospinale Erregbarkeit anhaltend steigern. Eine über 30 min

anhaltende Bahnung der MEP-Amplituden konnte mittels 5-Hz-rTMS bei einer Intensität von 90 der motorischen Ruheschwelle (1800 Stimuli) erzielt werden (Peinemann et al. 2004). Kürzere und schwächere 5-Hz-rTMS (50 bzw. 100 Stimuli unter Verwendung einer Stimulusintensität von 100 der aktiven motorischen Schwelle) zeigte keinen Effekt auf die kortikospinale Erregbarkeit (gemessen mit der Einzelreiz-TMS) (Lang et al. 2004), jedoch führte ein solches Protokoll zu einer kurzzeitigen Abschwächung der intrakortikalen Doppelpulshemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI; Di Lazzaro et al. 2002). Diese Ergebnisse legen nahe, dass intrakortikale Interneurone eine niedrigere Modulationsschwelle als kortikospinale Neurone besitzen. Die Annahme wird durch eine weitere Studie gestützt, bei der 600 Stimuli einer 5-Hz-rTMS mit 90 der motorischen Ruheschwelle zu einer selektiven Veränderung der intrakortikalen Doppelpulserregbarkeit führten, während die Gabe von ≥900 Stimuli erforderlich waren, um eine Erregbarkeitssteigerung der kortikospinalen Neurone hervorzurufen (Quartarone et al. 2005). Diese Untersuchung belegte auch einen Einfluss der Stimulusintensität auf die Nacheffekte einer hochfrequenten rTMS. So war der fazilitierende Effekt von 1500 Stimuli einer 5-Hz-rTMS auf die MEP-Amplitude nicht mehr nachweisbar, wenn die Stimulusintensität der rTMS von 90 der motorischen Ruheschwelle auf 90 der aktiven motorischen Schwelle reduziert wurde (Quartarone et al. 2005). Die Messungen des MEP vor und nach der rTMS belegen eine nachhaltige Beeinflussung der Erregbarkeit intrakortikaler und kortikospinaler Neuronenverbände im stimulierten motorischen Kortex. Diese Befunde wurden durch Untersuchungen ergänzt, welche die somatosensorischen evozierten Potenziale (SEP) und des elektrisch ausgelösten, transkortikalen Reflexes langer Latenz (engl. transcortical long latency response) vor und nach rTMS des primären motorischen Handareals untersuchten. Eine hemmenden 1-Hz-rTMS des motorischen Kortex supprimierte die N20-P25- und die P25-N33-Amplituden des SEP vom N. medianus (Enomoto et al. 2001) und führte zu einer Abnahme des transkortikalen Reflexes langer Latenz (Tsuji u. Rothwell 2002). Diese Studien zeigten, dass die rTMS auch die kortikopetale Erregbarkeit des stimulierten somatomotorischen Kortex über afferente neuronale Eingänge modulieren kann.

503

50.3 Konditionierende Effekte der rTMS auf Systemebene

50.2.2 Einﬂuss von Pulskonﬁguration und

Gerätetechnik Für die Messung der kortikospinalen Erregbarkeitsveränderungen vor und nach der rTMS wurden meist Stimuli mit einer monophasischen Stimuluskonfiguration und einem im Kortex posteroanterior ausgerichteten Stromfluß verwendet. Dagegen wurde bislang aus technischen Erwägungen heraus für die rTMS eine biphasische Stimuluskonfiguration eingesetzt (7 Kap. 3). Allerdings ist es auch möglich eine monophasische Stimuluskonfiguration für die rTMS zu anzuwenden. Sowohl die Konfiguration als auch die Ausrichtung des ersten Abschnitts des Magnetpulses beeinflussen die durch die rTMS evozierten Erregbarkeitsveränderungen (Sommer et al. 2002b). Eine »monophasische« 1-Hz-rTMS mit 90 der motorischen Ruheschwelle führte zu einer länger anhaltenden kortikospinalen Inhibition als eine »biphasische« 1-Hz-rTMS (Sommer et al. 2002b). Während einer kurzzeitigen 5-Hz-rTMS (80 Stimuli) mit einer Intensität oberhalb der motorischen Ruheschwelle belegte die simultane Aufzeichnung der MEP akute hemmende und bahnende Effekte auf die MEP-Amplituden in Abhängigkeit von der verwendeten Pulskonfiguration (mono-/biphasisch) (Tings et al. 2005). Somit kann die rTMS in Abhängigkeit von Pulskonfiguration und Stromflussrichtung unterschiedliche exzitatorische und inhibitorische neuronale Populationen im primären motorischen Kortex konditionieren und so zu differenziellen anhaltenden Effekten im motorischen System führen. Aber auch unterschiedliche Stimulationsgeräte können bei identischen rTMS-Protokollen unterschiedliche Nacheffekte entfalten. So zeigte der Vergleich zweier TMS-Spulen unterschiedlicher Hersteller (angeschlossen an das gleiche Stimulationsgerät), dass die durch eine 1-Hz-rTMS induzierten, inhibitorischen Effekte stärker ausgeprägt waren und länger anhielten, wenn eine leicht gewinkelte Spule größeren Umfangs im Vergleich zu einer flachen, kleineren Spule verwendet wurde (Lang et al. 2006).

50.2.3 Eﬀekte auf die kortikale Erregbarkeit

in entfernten Hirnregionen Neben den umschriebenen Effekten im direkt von der fokalen rTMS stimulierten Kortex kann die rTMS auch die Hirnfunktion in den mit dem stimulierten Kortex verbundenen Hirnregionen beeinflussen (Gilio et al. 2003; Daskalakis et al. 2004; Rizzo et al. 2004). So führte eine rTMS über dem dorsolateralen prämoto-

50

rischen Kortex bereits bei niedriger Intensität (unterhalb der aktiven motorischen Schwelle) frequenzabhängig zu einer Bahnung oder Hemmung der kortikospinalen und intrakortikalen Exzitabilität im ipsilateralen primären motorischen Handareal (Rizzo et al. 2004). Zudem führte eine 15 min 1-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals mit 115–120 der motorischen Ruheschwelle zu einer Zunahme der kortikospinalen Erregbarkeit im kontralateralen, homologen motorischen Handareal (Gilio et al. 2003). Die relativ hohe Stimulationsintensität der rTMS in der Studie von Gilio et al. (2003) erklärt sich dadurch, dass die transkallosal projizierenden Neurone gegenüber den kortikospinalen Neuronen eine etwa 15–20 höhere Erregbarkeitsschwelle besitzen. Die »Disinhibition« des kontralateralen Kortex war begleitet von einer Abnahme der frühen interhemisphärischen Hemmung (engl. interhemispheric inhibition, IHI) vom linken zum rechten motorischen Kortex (Gilio et al. 2003). Diese Untersuchungen zeigen, dass eine »fokale« rTMS wahrscheinlich über eine Konditionierung der Erregbarkeit in kortikokortikalen oder kortikosubkortikokortikalen Projektionen die Erregbarkeit in entfernten Kortexarealen modulieren kann.

50.3

Konditionierende Eﬀekte der rTMS auf Systemebene

Die rTMS kann die neuronale Erregbarkeit und Aktivität in entfernten, mit dem stimulierten Areal konnektierten Regionen modulieren und die neuronale Konnektivität zwischen Hirnarealen verändern. Verschiedene bildgebende Verfahren konnten übereinstimmend zeigen, dass eine rTMS die regionale neuronale Aktivität im stimulierten Kortexareal sowie in den mit dem stimulierten Kortex verbundenen Gehirnregionen modulieren kann (7 Kap. 35–37). Hierbei ist der Einfluss der fokalen rTMS auf die sytemische neuronale Aktivität nicht nur auf die Zeit während der rTMS begrenzt, sondern kann das Ende der rTMS für mindestens 1 h überdauern (7 Kap. 35–37). Der anhaltende Einfluss der rTMS auf die neuronale Aktivität im stimulierten System ist komplex. Mithilfe der Positronenemissionstomografie (PET) des regionalen Blutflusses konnte gezeigt werden, dass eine 1-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals (90 der motorischen Ruheschwelle, 1800 Stimuli) die Ruheaktivität im motorischen System anhaltend beeinflusst (Lee et al. 2003). Darüber hinaus führte die 1-Hz-rTMS in motorischen und prämotorischen Kortexarealen zu einem Anstieg der neuronalen Aktivierung und einer veränderten funk-

504

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 50 · Repetitive transkranielle Magnetstimulation

tionellen Kopplung während der Ausführung von Fingerbewegungen (Lee et al. 2003). Dies wurde als Reorganisation zur Aufrechterhaltung der motorischen Funktion (Fingerbewegungen) gedeutet, also im Sinne einer kompensatorischen Reaktion des motorischen Systems auf die erregbarkeitshemmende Wirkung der 1-Hz-rTMS. Eine niederfrequente (1 Hz) und hochfrequente (5 Hz) rTMS des motorischen Handareals haben unterschiedliche Effekte auf die aufgabenabhängige Aktivierung und Konnektivität im inferomedialen Anteil des linken primären motorischen Kortex und im linken dorsalen prämotorischen Kortex (Rounis et al. 2005). In der Zusammenschau zeigen die funktionellen bildgebenden Studien meist prominente neuromodulatorische Effekte der »fokalen« rTMS auf die neuronale Aktivität in entfernten, funktionell verbundenen Regionen. Demgegenüber sind die funktionellen Änderungen im direkt stimulierten Kortexareal meist moderat ausgeprägt oder können sogar ganz fehlen (Rounis et al. 2006). Diese Befunde unterstreichen die systemphysiologischen Auswirkungen einer »fokalen« rTMS. Die lokalen und systemischen Auswirkungen der rTMS wurden in zahlreichen Studien genutzt, um bei gesunden Probanden eine bestimmte Hirnfunktion und das hierdurch vermittelte Verhalten zu modulieren (7 Kap. 31) oder um Patienten mit neuropsychiatrischen Erkrankungen zu therapieren (7 Kap. 55). In der kognitionswissenschaftlichen Anwendung wird häufig eine hemmende niederfrequente (1 Hz) rTMS über einem bestimmten Zielareal verabreicht und dann offline die Auswirkung der rTMS auf die Durchführung eines standardisierten psychophysischen Test untersucht. Das Konzept hinter diesem Ansatz basiert auf der Annahme, dass die Erregbarkeitshemmung einen überdauernden »Läsionseffekt« erzielt, der sich in einer verschlechterten Aufgabendurchführung niederschlägt, falls das stimulierte Kortexareal kritisch an der gewählten Aufgabe teilnimmt. Untersuchungen zum anhaltenden Einfluss einer fokalen rTMS des primären motorischen Kortex auf einfache motorische Aufgaben zeigten häufig keine Effekte in Bezug auf die Kraft oder die Geschwindigkeit, z. B. während der Ausführung repetitiver Fingerbewegungen (Chen et al. 1997). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der primäre motorische Kortex an der Ausführung dieser repetitiven Fingerbewegungen nicht in relevanter Weise beteiligt wäre. Viel eher ist anzunehmen, dass der »Läsionseffekt« der rTMS durch eine andere Gewichtung effektiver Konnektivität im motorischen System aussreichend kompensiert werden kann (Lee et al. 2003).

50.4

Neue Stimulationsprotokolle

In den letzten Jahren wurden rTMS-Protokolle eingeführt, welche im Vergleich zur konventionellen regelmäßigen Einzelreiz-rTMS ein komplexeres zeitliches Stimulationsmuster haben.

50.4.1 Repetitive Doppelpulsstimulation Die regelmäßigen Verabreichung von Doppelpulsen wird als repetitive Doppelpulsstimulation (Doppelpuls-rTMS) bezeichnet, wobei die Doppelpulse nur wenige Millisekunden voneinander getrennt sind (. Abb. 50.1). Die Doppelpuls-rTMS wird durch das Intervall zwischen dem ersten und zweiten Stimulus des Pulspaares (meist im Millisekundenbereich) und dem Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Pulspaaren (Wiederholungsfrequenz) charakterisiert (Sommer et al. 2002a; Khedr et al. 2004; Thickbroom et al. 2006). Die konditionierenden Effekte einer Doppelpuls-rTMS des primären motorischen Kortex auf die kortikale Erregbarkeit sind elektrophysiologisch bislang nur ansatzweise untersucht worden. Das Interstimulusintervall zwischen dem ersten und zweiten Stimulus des Pulspaares ist eine wesentliche Determinante für die Ausbildung hemmender oder bahnender Nacheffekte (. Abb. 50.1). Ein Einfluss der Wiederholungsfrequenz ist ebenfalls anzunehmen (Sommer et al. 2002a). Anhaltende Nacheffekte konnten mit einer Doppelpuls-rTMS erzielt werden, bei der ein monophasischer erster Stimulus mit einem zweiten biphasischen Puls kombiniert wurde (Khedr et al. 2004). Der monophasische Stimulus induzierte im motorischen Kortex einen Strom mit posterior-anteriorer Ausrichtung, während die initiale Komponente des biphasische Stimulus im motorischen Kortex eine anterior-posteriore Stromrichtung induzierte. Die Intensität beider Pulse wurde auf 80 der aktiven kortikalen Reizschwelle eingestellt. Das Intervall zwischen den beiden Stimuli lag bei 3 ms. Insgesamt wurden über 25 min 500 Stimuluspaare mit einer Wiederholungsrate von 0,6 Hz gegeben. Diese niederfrequente Doppelpulsstimulation hatte eine hemmende Wirkung auf die kortikale Erregbarkeit. Nach Ende der Doppelpuls-rTMS zeigten die mittels Einzelpuls-TMS evozierten MEP eine Amplitudenabnahme. Die motorische Ruheschwelle stieg nach Doppelpuls-rTMS an. Diese Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit wurde begleitet von einer Verstärkung der intrakortikalen Hemmung, da sowohl die intrakortikale Doppelpulshemmung kurzer Latenz

505

50.4 Neue Stimulationsprotokolle

(7 Kap. 16) als auch die kontralaterale kortikale Innervationsstille (engl. contralateral cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) nach Doppelpuls-rTMS zunahmen. Als mögliche Erklärung für die ausgeprägten inhibitorischen Effekte wurde eine selektive Aktivierung inhibitorischer kortikaler Netzwerke durch die Doppelpuls-rTMS diskutiert. Anhaltende fazilitatorische Nacheffekte konnten durch eine 30 min Doppelpuls-rTMS erzielt werden, bei der zwei monophasische Stimuli mit einer Intensität über der kortikalen Reizschwelle in Ruhe und ein Interstimulusintervall von 1,5 ms wiederholt verabreicht wurden (Thickbroom et al. 2006). Die Wiederholungsfrequenz der Pulspaare betrug 0,2 Hz (360 Pulspaare pro Sitzung). Da die Doppelpulse hierbei entsprechend der Periodizität der ersten »indirekten« Welle« (engl. I1-wave) der durch die TMS über dem motorischen Kortex im kortikospinalen Trakt ausgelösten deszendierenden Erregungssalven (7 Kap. 3) verabreicht wurde, wird angenommen, dass die Doppelpuls-rTMS die synaptischen Effizienz der an der Generierung von I-Wellen beteiligten Neuronenpopulationen verstärkt. Die repetitiven Doppelpulsprotokolle von Khedr et al. (2004) und Thickbroom et al. (2006) werden in . Abb. 50.1 aus illustrativen Zwecken direkt gegenübergestellt. Sie sind jedoch nicht direkt vergleichbar, da sie sich nicht nur bez. des Interstimulusintervalls zwischen den Stimulspaaren, sondern auch hinsichtlich der Wiederholungsrate, der Stimulusintensität, der Pulskonfigurationen und der Gesamtzahl der verabreichten Stimuluspaare unterscheiden. Systematische Untersuchungen zum Einfluss der Intensität des ersten und zweiten Pulses des Stimuluspaares auf die konditionierenden Effekte der Doppelpuls-rTMS liegen derzeit nicht vor. In den Studien von Khedr et al. (2004) und Thickbroom et al. (2006) war die Intensität des ersten und zweiten Stimulus des Stimuluspaares identisch. Es mag jedoch durchaus sinnvoll sein, für den ersten und zweiten Stimulus unterschiedliche Stimulusintensitäten zu wählen. In Anlehnung an das Paradigma zur Untersuchung der intrakortikalen Doppelpulshemmung kurzer Latenz (7 Kap. 16) verwendeten Sommer et al. (2002a) ein repetitives Doppelpuls-Stimulationsprotokoll, bei dem der erste Puls des Paares eine deutlich niedrigere, unterschwellige Stimulusintensität hatte, während der zweite Stimulus überschwellig war.

50

50.4.2 Salvenartige rTMS Huang et al. (2005) entwickelten ein salvenartiges repetitives Stimulationsprotokoll, das sich an einem tierexperimentell häufig eingesetzten Protokoll zur Induktion von LTP und LTD anlehnt (Larson u. Lynch 1986). Das von Huang et al. (2005) eingeführte Protokoll besteht aus hochfrequenten Dreiersalven (engl. bursts), die mit einer Frequenz von 50 Hz alle 200 ms verabreicht werden (. Abb. 50.1 und 50.2). In Analogie zu den tierexperimentellen Arbeiten wird dieses Konditionierungsprotokoll als Theta-Burst-Stimulation (TBS) bezeichnet. Diese Bezeichnung leitet sich daraus ab, dass die Wiederholungsfrequenz der Salven bei 5 Hz und somit im »Theta«-Bereich (4–7 Hz) liegt. Huang et al. (2005) zeigten, dass die TBS des primären motorischen Handareals in Abhängigkeit von einem kontinuierlichen oder intermittiernden Stimulationsmodus zu hemmenden oder bahnenden Nacheffekten auf die kortikospinale Erregbarkeit führt, ohne dass die Gesamtzahl der Stimuli pro Sitzung variiert wurde. Eine kontinuierliche TBS über 20 s führte zu einer Abnahme der mittels Einzelpuls-TMS evozierten MEP-Amplituden. Dieser Effekt konnte in der Dauer durch eine kontinuierliche TBS über 40 s deutlich verlängert werden. Bei der intermittierenden TBS folgte auf eine 2 s lange Stimulationsphase eine Pause von 8 s. Die kurzen Stimulationsperioden wurden alle 10 s 19-mal wiederholt. Dieses intermittiernde Stimulationsprotokoll resultierte in einer Bahnung der MEP-Amplituden für ca. 15 min. Interessanterweise führte eine TBS über 5 s, die alle 15 s wiederholt wurde, zu keiner Modulation der kortikospinalen Erregbarkeit. Auch eine regelmäßige 15-Hz-rTMS hatte keinen nachhaltigen Effekt auf die MEP-Amplituden. Die kontinuierliche und intermittierende TBS hatte auch einen gegenläufigen Effekt auf die intrakortikale Doppelpulserregbarkeit, insbesondere auf die intrakortikale Doppelpulshemmung kurzer Latenz (7 Kap. 16). In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass auch bei der konventionellen hochfrequenten EinzelreizrTMS die kontinuierliche Gabe mitunter kurzzeitig unterbrochen wird. Hier dienen die Pausen zwischen den rTMS-Serien jedoch nicht wie bei der salvenartigen rTMS dazu die Effizienz der rTMS zu beeinflussen, sondern lediglich dazu die publizierten Sicherheitskriterien einzuhalten (7 Kap. 4). Im Vergleich zur konventionellen rTMS mit regelmäßigen Stimulusabfolgen erfordert die TBS eine niedrige Stimulusintensität (80 der aktiven motorischen Reizschwelle) und eine kurze Stimulationsdauer (20–190 s). Dies deutet darauf hin, dass die Effi-

506

41

Kapitel 50 · Repetitive transkranielle Magnetstimulation

a

42 43 44 45

b

46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a,b. Theta-Burst-Stimulation(TBS) nach Huang et al. (2005). Bei der TBS handelt es sich um eine salvenartige rTMS mit komplexem zeitlichem Muster. Hier werden hochfrequente Dreiersalven (»bursts«) verabreicht (a). Die Dreiersalve besteht aus 3 biphasischen Einzelreizen gleicher Intensität, die mit einer Frequenz von 50 Hz (Interstimulusintervall: 20 ms) verabreicht werden. Die Dreiersalven werden in Abständen von 200 ms (5 Hz) wiederholt. Je nachdem, ob diese »theta-bursts« kontinuierlich oder intermittierend (unterbrochen durch Pausen) gegeben werden, lassen sich hemmende oder bahnende Nacheﬀekte auf die kortikale Erregbarkeit erzielen (b). Eine kontinuierliche TBS (kTBS) des primären moto-

rischen Kortex über 20 s führt zu einer über ca. 30 min anhaltenden Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit. Bei der intermittierenden TBS (iTBS) werden alle 10 s TBS-Serien von 2 s Dauer gegeben. Somit sind zwei aufeinander folgende »theta-bursts« durch eine Pause von 8 s getrennt. Wird die iTBS bis zu einer Gesamtdauer von 190 s wiederholt, führt die iTBS zu einer über ca. 15 min anhaltenden Bahnung der kortikospinalen Erregbarkeit. Werden TBS-Perioden von 5 s Dauer alle 10 s wiederholt (intermediate TBS, imTBS) kommt es zu keiner Veränderung der kortikospinalen Erregbarkeit. (Mod. nach Huang et al. 2005)

zienz der TBS gegenüber der konventionellen rTMS erhöht ist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die hemmende kontinuierliche TBS des primären motorischen Kortex die Reaktionszeit der kontralateralen Hand in einer einfachen Reaktionszeitaufgabe verlängerte. Somit scheint die salvenartige rTMS einen deutlichen »Läsionseffekt« im motorischen System zu induzieren. Die TBS wurde mittlerweile auch außerhalb des primären motorischen Handareals eingesetzt. Eine kontinuierliche TBS des dorsalen prämotorischen Kortex führte zu einer anhaltenden Suppression der kortikospinalen Erregbarkeit im ipsilateralen primären motorischen Handareal, während eine intermittiernde TBS einen bahnenden Effekt auf die ipsi-

laterale kortikospinale Erregbarkeit entfaltete (Huang 2006). Dagegen konnte eine kontinuierliche TBS des primären motorischen Areals der proximalen Armmuskeln keine konsistente Unterdrückung der kortikospinalen Erregbarkeit der primären motorischen Repräsentationen des kontralateralen M. bizeps brachii induzieren (Martin et al. 2006). Während eine kontinuierliche TBS des occipitalen Kortex im Sinne einer Hemmung der kortikalen Erregbarkeit die Schwelle für die mit der TMS induzierbaren Phoshene um 10 erhöhte, beeinflusste die bahnende intermittierende TBS die Phosphenschwelle nicht (Franca et al. 2006). Eine andere Studie verglich den anhaltenden Einfluss einer konventionellen 1-Hz-rTMS (600 Pulse,

50.4 Neue Stimulationsprotokolle

Dauer der Stimulation 10 min) und einer leicht modifizierten TBS (600 Pulse verabreicht in 200 Salven, Dauer der Stimulation 33 s) des frontalen Augenfeldes auf die Sakkadentriggerung (Nyffeler et al. 2006a). In dieser Studie bestand eine Salve aus drei hochfrequenten (30 Hz) Pulsen. Der Abstand zwischen zwei Salven betrug 100 ms. Während die 1-Hz-rTMS die Sakkadenlatenzen nur für etwa 10 min verlängerte, konnte mit der Theta–Burst-Stimulation ein im Verhalten messbarer Läsionseffekt von 30 min erzielt werden. Die Nacheffekte der TBS können beträchtlich verlängert werden, wenn man mehrere Züge einer TBS in einem Abstand von jeweils 15 min appliziert (Nyffeler et al. 2006b). So führte eine viermalige Wiederholung der TBS zu einer Verzögerung der Sakkadeninitierung über einen Zeitraum von ungefähr 10 h.

50.4.3 Paarig-assoziative rTMS Die bislang beschriebenen Protokolle verwenden die fokale rTMS und stimulieren somit lediglich eine anatomische Struktur. Alternativ können auch zwei neuronale Strukturen »gepaart« stimuliert werden. Dieses Stimulationsprinzip wird als paarig-assoziative Stimulation (PAS) bezeichnet. Das Prinzip der PAS besteht darin, dass zwei neuronale Substrate wiederholt in einem fixen zeitlichen Zusammenhang stimuliert werden. Die PAS führt in Abhängigkeit vom Stimulusintervall zwischen den gepaarten Stimuli zu einer anhaltenden Hemmung oder Bahnung der Erregbarkeit in der Zielregion. Diese Form der stimulationsinduzierten Plastizität orientiert sich an einer im Tiermodell als spike timing-dependent plasticity beschriebenen Form von Neuroplastizität (7 Kap. 51). Bisher kombinierte die PAS eine Nervenstimulation peripherer Afferenzen mit einer transkraniellen Kortexstimulation (7 Kap. 51). Die Arbeitsgruppe um J. Classen etablierte ein PAS-Protokoll, welche die elektrische Stimulation des N. medianus mit einer kontralateralen überschwelligen Einzelreizstimulation des primären motorischen (Stefan et al. 2000) oder primären somatosensorischen Kortex (Wolters et al. 2005) assoziiert. Erfolgt die Stimulation des N. medianus 10 ms vor der transkraniellen Stimulation des motorischen Handareals, führt die repetitive PAS (90 gepaarte Stimuli mit einer Wiederholungsfrequenz von 0,05 Hz) zu einer somatotopisch spezifischen Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit. Geht dagegen der periphere Nervenstimulus dem transkraniellen Stimulus um 25 ms voraus, führt das ansonsten identische PAS-Protokoll zu einer anhal-

507

50

tenden Bahnung der kortikospinalen Erregbarkeit (Wolters et al. 2003). Quartarone et al. (2006) modifizierten das fazilitatorische PAS-Protokoll, indem sie die PAS mit einer hochfrequenten (5 Hz) Wiederholungsrate verabreichten. Eine 2 min 5-Hz-PAS des N. medianus und des kontralateralen primären motorischen Handareals mit einem Interstimulusintervall von 25 ms induziert eine mehrstündige Anhebung der kortikospinalen Erregbarkeit. Gleichzeitig reduzierte das 5-HzPAS-Protokoll die afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (7 Kap. 17). Erwähnenswert ist, dass dieses hochfrequente PAS-Protokoll im Vergleich zur konventionellen langsamen PAS (Stefan et al. 2000) deutlich niedrigere Stimulusintensitäten unterhalb der aktiven kortikalen Reizschwelle verwendet. Somit könnte die 5-Hz-PAS die Anwendungszeit der PAS deutlich reduzieren und gleichzeitig die Effizienz steigern. Ein anderes 5-Hz-PAS-Protokoll wurde von Ragert et al. (2003) angewendet. Hier wurde eine 5Hz-rTMS des somatosensorischen Kortex mit einer kontralateralen Fingerstimulation (taktile Koaktivierung) gepaart. Neben der Paarung einer peripheren sensorischen Stimulation mit einer transkaniellen Kortexstimulation kann das Prinzip der PAS auch auf die paarig-assozierte Stimulation zweier miteinander verbundener Korexareale ausgeweitet werden. In einer aktuellen Studie führten Rizzo et al. (2006) eine kortikokortikale PAS der homologen Areale des primären motorischen Handareals der rechten und linken Großhirnhemisphäre durch. Der konditionierende transkranielle Stimulus des linken primären motorischen Handareals wurde so gewählt, dass er die interhemisphärischen hemmenden Projektionen zum rechten primären motorischen Handareal aktivierte (7 Kap. 18). Der zweite transkranielle Stimulus wurde über dem rechten primären motorischen Handareal verabreicht und das Interstimulusintervall an die Latenz der interhemisphärischen Inhibition angepasst (7 Kap. 18). Die repetitive PAS mit einer langsamen Wiederholungsrate von 0,05 Hz (90 gepaarte Stimuli über 30 min) führte im rechten primären motorischen Handareal zu einer Steigerung der kortikospinalen Erregbarkeit, welche für mindestens 1 h anhielt. Diese war begleitet von einer Abnahme der interhemisphärischen Hemmung vom linken zum rechten primären motorischen Handareal (7 Kap. 18).

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

508

Kapitel 50 · Repetitive transkranielle Magnetstimulation

50.5

Einﬂuss neurobiologischer Faktoren

Neben den genannten methodisch-technischen Faktoren beeinflussen auch »intrinsische« neurobiologische Faktoren die durch die rTMS induzierten Neuromodulation. Ein wichtiger Faktor ist hierbei der Zustand des stimulierten Netzwerkes vor, während und nach der rTMS. So konnte gezeigt werden, dass die inhibitorischen Effekte einer 1-Hz-rTMS des primären motorischen Handareals (115 RMT, 600 Stimuli) auf die kortikospinale Exzitabilität mittels vorausgehender 6-Hz-rTMS verstärkt werden können (Iyer et al. 2003). Eine der rTMS vorausgehende Behandlung des primären motorischen Handareals mit transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) (7 Kap. 53) kann dazu führen, dass ein für sich genommen ineffektives rTMS-Protokoll nach der Gleichstromvorbehandlung anhaltende Nacheffekte erzeugt, wobei die Richtung der rTMS-Nacheffekte primär nicht durch die rTMS-Frequenz, sondern durch die Art der tDCS bestimmt wird: Nach einer bahnenden (anodalen) tDCS bewirkte die rTMS eine Suppression der MEP-Amplituden, während nach einer hemmenden (kathodalen) tDCS die anschließende rTMSIntervention bahnend wirkte. Dies war unabhängig davon, ob es sich beim TMS-Protokoll um eine niederfrequente (1 Hz) oder hochfrequente (5 Hz) rTMS handelte (Lang et al. 2004; Siebner et al. 2004). Diese Ergebnisse erklären sich durch regulatorische Einflüsse einer homöostatischen Metaplastizität, welche die kortikospinale Exzitabilität in physiologisch sinnvollen Schranken hält. Somit kann die transkranielle Kortexstimulation herangezogen werden, die homöostatische Regulation kortikaler Exzitabilität im intakten menschlichen Kortex zu untersuchen. Den homöostatischen Aspekten kortikaler Plastizität ist ein eigenes Kapitel gewidmet (7 Kap. 54). Auch das zu Beginn der rTMS bestehende intrakortikale Erregbarkeitsprofil beeinflusst die durch die rTMS induzierten Nacheffekte. So hängt der Effekt einer 1-Hz-rTMS des primären motorischen Kortex (90 der motorischen Ruheschwelle, 900 Stimuli) auf die postinterventionelle intrakortikale Doppelpulshemmung kurzer Latenz (7 Kap. 16) vom Ausmaß der intrakortikalen Doppelpulshemmung unmittelbar vor der rTMS ab (Bagnato et al. 2005). Die 1-Hz-rTMS rief keine Veränderung der postinterventionellen Doppelpulshemmung hervor, wenn die präinterventionelle Doppelpulshemmung bereits ausgeprägt (>50) war. Hingegen zeigte sich eine Zunahme der postinterventionellen Doppelpulshemmung, wenn das Ausmaß der Doppelpulshemmung vor der rTMS nur gering (<25) war.

Der Erregungs- bzw. Aktivitätszustand des stimulierten Kortex (und der verbundenen Hirnregionen) während der rTMS hat einen wesentlichen Einfluss auf die Nacheffekte der rTMS (7 Kap. 54). Ziemann et al. (1998a) setzten eine distale ischämische Nervenblockade des Armes in gesunden Versuchpersonen. Danach verabreichten sie eine 30 min rTMS des kontralateralen primären motorischen Kortex mit 0,1 Hz und 120 der motorischen Ruheschwelle. Dieses rTMS-Protokoll ist normalerweise ineffektiv. Im Kontext der peripheren Deefferentierung und Deafferentierung führte das rTMS-Protokoll jedoch zu einer Bahnung der kortikospinalen Exzitabilität (gemessen an der Amplitude der mit Einzelpuls-TMS ausgelösten MEP) und zu einer Abnahme der intrakortikalen Doppelpulshemmung kurzer Latenz (7 Kap. 16). Dass auch die neuronale Aktivität kurz nach Ende der rTMS die Nachwirkungen der rTMS modulieren kann, zeigte eine Studie zur TBS (Huang et al. 2007). Hierbei führte eine tonische Willküraktivierung des Zielmuskels für 1 min unmittelbar nach einer inhibitorischen TBS zu einer Umkehr der Hemmung in eine anhaltende Bahnung der kortikospinalen Erregbarkeit. Wurde die tonische Kontraktion erst 10 min nach Ende der TBS durchgeführt, zeigte sich lediglich eine kurze Abschwächung der »normalen« inhibitorischen TBS-Effekte. Interessanterweise blockierte eine Willküraktivierung während der TBS die Induktion einer anhaltenden Erregbarkeitsänderung. Neben normalen physiologischen Einflussgrößen können hierbei auch pathophysiologische Veränderungen der kortikalen Erregbarkeit im Rahmen neuropsychiatrischer Erkrankungen zu einem veränderten Ansprechen auf rTMS führen. So konnten z. B. mittels PET bei Patienten mit einer fokalen Dystonie gezeigt werden, dass eine rTMS des prämotorischen Kortex zu ausgeprägteren Veränderungen des regionalen zerebralen Blutflusses führt als bei gesunden Kontrollpersonen (Siebner et al. 2003). Weiterhin ließen sich bei Untersuchungen an Patienten mit genetisch bedingter Dystonie (Mutation im DYT1-Gen) und asymptomatischen Mutationsträgern gegensätzliche TBS-Effekte erzielen: Während Mutationsträger mit manifester Dystonie im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen verlängerte Nacheffekte nach TBS zeigten, wiesen die asymptomatischen Mutationsträger eine verringertes Ansprechen auf die TBS auf (Edwards et al. 2006). Zentralwirksame Neuropharmaka können ebenfalls die neuromodulatorischen Effekte der rTMS beeinflussen (7 Kap. 54). So können die Auswirkungen einer peripheren Nervenblockade auf die rTMS-induzierte Neuroplastizität im motorischen Kortex durch

Literatur

Gabe eines GABAA-Rezeptoren-Agonisten oder eines NMDA-Rezeptor-Blockers beeinflusst werden (Ziemann et al. 1998b).

50.6

Ausblick

Die letzten 10 Jahre haben zu einem vertieften Verständnis der durch die rTMS hervorgerufenen neuromodulatorischen Effekte beigetragen. Neue Stimulationsprotokolle haben das methodische Spektrum wesentlich erweitert. Es ist anzunehmen, dass in den nächsten Jahren weitere innovative Stimulationsprotokolle zur Induktion plastischer Reorganisation im menschlichen Gehirn hinzukommen werden. Paarig-assoziative oder salvenartige Stimulationsprotokolle erscheinen hier besonders viel versprechend. Hierbei können erfolgreich im Tierexperiment getestete Protokolle als Orientierungshilfe dienen. Da tierexperimentelle TBS-Protokolle in der Regel aus Erregungssalven mit einer Wiederholungsrate von 100 Hz bestehen, ist z. B. denkbar, dass eine TBS mit 100-HzSalven effektiver ist als die derzeitige TBS mit 50-HzSalven. Allerdings sind Sicherheitsaspekte bei Einführung neuer transkranieller Konditionierungsprotokolle immer zu beachten. Ein weiteres wichtiges Thema für künftige Untersuchungen ist die Kontextabhängigkeit der rTMS. In den letzten Jahren konnten eine Reihe wichtiger »intrinsischer« neurobiologischer Faktoren identifiziert werden, welche die Wirkungsweise der rTMS erheblich beeinflussen. Hier besteht noch ein großer Forschungsbedarf, um künftig die Effizienz der rTMS als neuromodulatorisches Instrument zu steigern und gleichzeitig die Anwendungssicherheit zu garantieren. Auch die neurophysiologischen Aspekte wiederholter rTMS-Anwendungen sind nur ansatzweise untersucht. Neben kumulativen Effekten wiederholter rTMS-Sitzungen, sind auch gegenläufige homöostatische Effekte zu erwarten. Es wird daher wichtig sein besser zu verstehen, unter welchen Umständen sich konsekutive rTMS-Anwendungen maximal verstärken oder antagonisieren.

Literatur Bagnato S, Curra A, Modugno N et al. (2005) One-hertz subthreshold rTMS increases the threshold for evoking inhibition in the human motor cortex. Exp Brain Res 160: 368– 374 1Chen R, Classen J, Gerloﬀ C et al. (1997) Depression of motor cortex excitability by low-frequency transcranial magnetic stimulation. Neurology 48: 1398–1403

509

50

Erste systematische Untersuchung zu den konditionierenden Eﬀekten einer niederfrequenten 1-Hz-rTMS des primären motorischen Kortex. Daskalakis ZJ, Paradiso GO, Christensen BK et al. (2004) Exploring the connectivity between the cerebellum and motor cortex in humans. J Physiol 557: 689–700 Di Lazzaro V, Oliviero A, Mazzone P et al. (2002) Short-term reduction of intracortical inhibition in the human motor cortex induced by repetitive transcranial magnetic stimulation. Exp Brain Res 147: 108–113 1Edwards MJ, Huang YZ, Mir P et al. (2006) Abnormalities in motor cortical plasticity diﬀerentiate manifesting and nonmanifesting DYT1 carriers. Mov Disord 21: 2181–2186 Illustratives Beispiel dafür, dass ein bestimmter krankheitsassoziierter Genotyp die Ansprechbarkeit des Gehirns gegenüber einer rTMS deutlich verändern kann. Enomoto H, Ugawa Y, Hanajima R et al. (2001) Decreased sensory cortical excitability after 1 Hz rTMS over the ipsilateral primary motor cortex. Clin Neurophysiol 112: 2154-2158 Fitzgerald PB, Brown TL, Daskalakis ZJ et al. (2002) Intensitydependent eﬀects of 1 Hz rTMS on human corticospinal excitability. Clin Neurophysiol 113: 1136–1141 1Fitzgerald PB, Fountain S, Daskalakis ZJ (2006) A comprehensive review of the eﬀects of rTMS on motor cortical excitability and inhibition. Clin Neurophysiol 117: 25842596 Lesenswerte Übersicht über die bislang durchgeführten elektrophysiologischen Studien zu den Nacheﬀekten einer rTMS des motorischen Kortex. Franca M, Koch G, Mochizuki H et al. (2006) Eﬀects of theta burst stimulation protocols on phosphene threshold. Clin Neurophysiol 117: 1808–1813 1Gilio F, Rizzo V, Siebner HR, Rothwell JC (2003) Eﬀects on the right motor hand-area excitability produced by lowfrequency rTMS over human contralateral homologous cortex. J Physiol 551: 563–573 Illustratives Beispiel dafür, dass eine »fokale« rTMS auch die kortikale Erregbarkeit und die kortikokortikale Konnektivität in Hirnarealen beeinﬂussen kann, die nicht direkt stimuliert wurden, aber mit dem stimulierten Kortex funktionell verbunden sind. Huang YZ (2006) The eﬀect of theta burst stimulation over premotor cortex on excitability of circuits in primary motor cortex. Clin Neurophysiol 117: 153–154 (Abstract) Huang YZ, Rothwell JC , Edwards MJ, Chen RS (2007) Eﬀect of physiological activity on an NMDA-dependent form of cortical plasticity in human. Cereb Cortex (epub ahead) 2Huang YZ, Edwards MJ, Rounis E et al. (2005) Theta burst stimulation of the human motor cortex. Neuron 45: 201– 206 In dieser Studie wird erstmals gezeigt, dass eine salvenartige rTMS (TBS) die kortikale Erregbarkeit des menschlichen Kortex nachhaltig beeinﬂussen kann. 1Iyer MB, Schleper N, Wassermann EM (2003) Priming stimulation enhances the depressant eﬀect of low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 23: 10867–10872

510

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 50 · Repetitive transkranielle Magnetstimulation

Diese Studie zeigt, dass zwei kurz hintereinander gegebene rTMS-Anwendungen sich in ihrer Wirkweise gegenseitig beeinﬂussen. Khedr EM, Gilio F, Rothwell J (2004) Eﬀects of low frequency and low intensity repetitive paired pulse stimulation of the primary motor cortex. Clin Neurophysiol 115: 1259– 1263 Lang N, Siebner HR, Ernst D et al. (2004) Preconditioning with transcranial DC stimulation sensitizes the motor cortex to rapid-rate TMS and controls the direction of after-eﬀects. Biol Psychiatry 56: 634–639 2Lang N, Harms J, Weyh T et al. (2006) Stimulus intensity and coil characteristics inﬂuence the eﬃcacy of rTMS to suppress cortical excitability. Clin Neurophysiol 117: 2292–2301 Wichtige Studie, die einen Einﬂuss der Stimulusintensität sowie des Spulendesigns auf die hemmenden Eﬀekte einer motorischen 1-Hz-rTMS auf die kortikale Erregbarkeit nachweist. Larson J, Lynch G (1986) Induction of synaptic potentiation in hippocampus by patterned stimulation involves two events. Science 232:985-8 2Lee L, Siebner HR, Rowe JB et al. (2003) Acute remapping within the motor system induced by low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 23: 5308–5318 Bildgebende Studie, die erstmals ein komplexes Reorganisationsmuster des motorischen Systems nach einer fokalen 1Hz-rTMS des primären motorischen Handareals nachweist. Martin PG, Gandevia SC, Taylor JL (2006) Theta burst stimulation does not reliably depress all regions of the human motor cortex. Clin Neurophysiol 117: 2684-2690 Nyﬀeler T, Wurtz P, Lüscher HR et al. (2006a) Repetitive TMS over the human oculomotor cortex: comparison of 1-Hz and theta burst stimulation. Neurosci Lett 409: 57–60 Nyﬀeler T, Wurtz P, Lüscher HR et al. (2006b) Extending lifetime of plastic changes in the human brain. Eur J Neurosci, 24: 2961–2966 Peinemann A, Reimer B, Löer C et al. (2004) Long-lasting increase in corticospinal excitability after 1800 pulses of subthreshold 5 Hz repetitive TMS to the primary motor cortex. Clin Neurophysiol 115: 1519–1526 Quartarone A, Bagnato S, Rizzo V et al. (2005) Distinct changes in cortical and spinal excitability following high-frequency repetitive TMS to the human motor cortex. Exp Brain Res 161: 114–124 Quartarone A, Rizzo V, Bagnato S et al. (2006) Rapid-rate paired associative stimulation of the median nerve and motor cortex can produce long-lasting changes in motor cortical excitability in humans. J Physiol 575: 657–670 Raggert P, Dinse HR, Pleger B et al. (2003) Combination of 5 Hz repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) and tactile coactivation boosts tactile discrimination in humans. Neurosci Lett 348: 105–108 Rizzo V, Siebner HR, Modugno N et al. (2004) Shaping the excitability of human motor cortex with premotor rTMS. J Physiol 554: 483–495 Rizzo V, Bagnato S, Sant´Angelo A et al. (2006) Paired low-frequency transcranial magnetic stimulation (TMS) deli-

viered over homologous primary motor areas induces changes in cortical excitability. Clin Neurophysiol 117: S66 (Abstract) Rounis E, Lee L, Siebner HR et al. (2005) Frequency-speciﬁc changes in regional cerebral blood ﬂow and motor system connectivity following rTMS over the primary motor cortex. Neuroimage 26: 164–176 Rounis E, Stephan KE, Lee L et al. (2006) Acute changes in frontoparietal activity after repetitive transcranial magnetic stimulation over the dorsolateral prefrontal cortex in a cued reaction time task. J Neurosci 26: 9629–9638 1Siebner HR, Filipovic SR, Rowe JB et al. (2003) Patients with focal arm dystonia have increased sensitivity to slowfrequency repetitive TMS of the dorsal premotor cortex. Brain 126: 2710–2725 Illustratives Beispiel dafür, dass in eine krankheitsbedingte Funktionsstörung des Gehirns die Ansprechbarkeit des Gehirns gegenüber einer rTMS deutlich verändern kann. 2Siebner HR, Lang N, Rizzo V et al. (2004) Preconditioning of low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation with transcranial direct current stimulation: evidence for homeostatic plasticity in the human motor cortex. J Neurosci 24: 3379–3385 Die Untersuchung demonstriert erstmalig ein »homöostatisches« Regulationsprinzip kortikaler Plastizität als wichtige Einﬂussgröße auf die durch die rTMS induzierte Neuroplastizität. 2Stefan K, Kunesch E, Cohen LG et al. (2000) Induction of plasticity in the human motor cortex by paired associative stimulation. Brain 123: 572–584 Erstmalige Beschreibung PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität im menschlichen motorischen Kortex. Sommer M, Kamm T, Tergau F et al. (2002a) Repetitive pairedpulse transcranial magnetic stimulation aﬀects corticospinal excitability and ﬁnger tapping in Parkinson’s disease. Clin Neurophysiol 113: 944–950 1Sommer M, Lang N, Tergau F, Paulus W (2002b) Neuronal tissue polarization induced by repetitive transcranial magnetic stimulation? Neuroreport 13: 809–811 Wichtige Untersuchung zum Einﬂuss der Pulskonﬁguration auf die neuromodulatorischen Eﬀekte der rTMS. 2Thickbroom GW, Byrnes ML, Edwards DJ, Mastaglia FL (2006) Repetitive paired-pulse TMS at I-wave periodicity markedly increases corticospinal excitability: a new technique for modulating synaptic plasticity. Clin Neurophysiol 117: 61–66 Innovatives Doppelpuls-rTMS Protokoll, das die intrinsische Konnektivität von bestimmten Neuronenpopulationen im menschlichen motorischen Kortex zur Konditionierung ausnutzt. Tings T, Lang N, Tergau F et al. (2005) Orientation-speciﬁc fast rTMS maximizes corticospinal inhibition and facilitation. Exp Brain Res 164: 323–333 Touge T, Gerschlager W, Brown P, Rothwell JC (2001) Are the after-eﬀects of low-frequency rTMS on motor cortex excitability due to changes in the eﬃcacy of cortical synapses? Clin Neurophysiol 112: 2138–2145 Tsuji T, Rothwell JC (2002) Long lasting eﬀects of rTMS and associated peripheral sensory input on MEPs, SEPs and tran-

Literatur

scortical reﬂex excitability in humans. J Physiol 540: 367– 376 Wolters A, Sandbrink F, Schlottmann A et al. (2003) A temporally asymmetric Hebbian rule governing plasticity in the human motor cortex. J Neurophysiol 89: 2339–2345 Wolters A, Schmidt A, Schramm A et al. (2005) Timing-dependent plasticity in human primary somatosensory cortex. J Physiol 565:1039–1052 2Ziemann U, Corwell B, Cohen LG (1998a) Modulation of plasticity in human motor cortex after forearm ischemic nerve block. J Neurosci 18: 1115–1123 Wichtige Untersuchung zum Einﬂuss des sensomotorischen Kontexts (hier akute periphere Deaﬀerenzierung und Deeﬀerenzierung) auf die neuromodulatorischen Eﬀekte der rTMS. 2Ziemann U, Hallett M, Cohen LG (1998b) Mechanisms of deaﬀerentation-induced plasticity in human motor cortex. J Neurosci 18: 7000–7007 Diese Untersuchung unterstreicht den möglichen Einﬂuss von zentralnervös aktiven Pharmaka auf die durch die rTMS induzierbare Neuroplastizität.

511

50

497

Induktion von Plastizität – Methoden

50

Repetitive transkranielle Magnetstimulation

– 499

Nicolas Lang, Hartwig Roman Siebner

51

Gepaarte assoziative Stimulation

– 513

Ulf Ziemann

52

Übungsabhängiges motorisches Lernen

– 523

Cathrin Bütefisch

53

Transkranielle Gleichstromstimulation Michael A. Nitsche, Walter Paulus

54

Metaplastizität

– 543

Ulf Ziemann, Hartwig Roman Siebner

– 533

VII 50

513

51

Gepaarte assoziative Stimulation Ulf Ziemann

51.1

Einführung – 514

51.3

51.2

Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTP-ähnlicher Plastizität – 514

Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTD-ähnlicher Plastizität – 519

51.3.1 51.3.2

Reizprotokoll – 519 Physiologische Eigenschaften PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität – 519 Funktionelle Relevanz PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität – 520 Klinische Relevanz PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität – 520

51.2.1 51.2.2

51.2.3 51.2.4

Reizprotokoll – 514 Physiologische Eigenschaften von PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität – 515 Funktionelle Relevanz PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität – 517 Klinische Relevanz PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität – 518

51.3.3 51.3.4

51.4

Ausblick – 521

Literatur

– 521

ZUM THEMA Langzeitpotenzierung (LTP) und Langzeitdepression (LTD) sind Änderungen der Stärke synaptischer Verbindungen, die bisher vor allem in zellphysiologischen Experimenten am Gewebeschnitt untersucht wurden und vermutlich die Grundlage von wichtigen Prozessen wie Lernen und Gedächtnisbildung darstellen. Gepaarte assoziative Stimulation (PAS) erlaubt die Induktion LTP- und LTD-ähnlicher Plastizität in vivo am Menschen. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die

PAS-Protokolle (Kochrezepte), die systemphysiologischen Eigenschaften der PAS-induzierten LTP/LTDähnlichen Plastizität und beschreibt Einsatzmöglichkeiten von PAS zur Untersuchung von Lernprozessen und pathologisch veränderter assoziativer Plastizität bei neurologischen Erkrankungen, insbesondere Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson und dystonem Schreibkrampf.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

514

Kapitel 51 · Gepaarte assoziative Stimulation

51.1

Einführung

Änderungen der Stärke synaptischer Verbindungen im Sinne von Langzeitpotenzierung (LTP) und Langzeitdepression (LTD) werden als wichtige und grundlegende Mechanismen von Lernen und Gedächtnisbildung bewertet (Rioult-Pedotti u. Donoghue 2003). Die physiologischen Eigenschaften von LTP wurden überwiegend an Gewebeschnitten charakterisiert. Auch mit TMS-Protokollen ist es möglich, auf der systemphysiologischen Ebene lang anhaltende Änderungen der Erregbarkeit des stimulierten Hirnareals zu induzieren (7 Kap. 50–54). Bei Reizung des primären motorischen Kortex können diese, z. B. als Änderung der MEP-Amplitude, gemessen werden. Die gepaarte assoziative Stimulation (engl. paired associative stimulation, PAS) kombiniert die elektrische Reizung eines peripheren Nervs (z. B. N. medianus) mit einem transkraniellen Einzelreiz des Handareals des kontralateralen primären motorischen Kortex. PAS ist ein besonders interessantes Reizprotokoll, da Prinzipien assoziativer LTP-ähnlicher Plastizität (7 Exkurs »Langzeitpotenzierung: Physiologische Grundlagen) durch die Paarung von zwei Eingängen in den motorischen Kortex untersucht werden können. Fließt der im Gehirn induzierte Strom von lateral-posterior nach medial-anterior, führt die Einzelreiz-TMS im Wesentlichen zu transsynaptisch generierten Aktionspotenzialen in kortikospinalen Neuronen über Anregung horizontaler kortikokortikaler Axone (7 Kap. 3). Die durch elektrische Stimulation des peripheren Nervs ausgelösten somatosensiblen afferenten Signale erreichen den motorischen Kortex entweder über direkte thalamomotorkortikale Projektionen oder nach Verschaltung über den primären somatosensiblen Kortex. Diese afferenten Eingänge führen vermutlich nicht zur Auslösung von Aktionspotenzialen, aber zu erregenden postsynaptischen Potenzialen (EPSP) an den kortikospinalen Neuronen. Am Gewebeschnitt führt die wiederholte Induktion von EPSP vor einem Aktionspotenzial zu LTP, die Umkehrung dieser Reihenfolge jedoch zu LTD (Markram et al. 1997). Wegen dieser Zeitabhängigkeit wird diese Form der Plastizität als vom Zeitpunkt der Potenzialentstehung abhängige Plastizität (engl. spike-timing dependent plasticity, STDP) bezeichnet (7 Exkurs »SpikeTiming Dependent Plasticity, STDP«). Durch Manipulation des Interstimulusintervalls (ISI) zwischen dem peripheren elektrischen und dem transkraniellen Reiz können daher die Prinzipien von STDP auf der systemphysiologischen Ebene am Menschen nachvollzogen werden.

51.2

Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTP-ähnlicher Plastizität

51.2.1 Reizprotokoll Das erste PAS-Protokoll wurde von Classen et al. beschrieben (Stefan et al. 2000; . Abb. 51.1). Die elektrische Stimulation des (rechten) N. medianus erfolgt durch bipolare Oberflächenelektroden (Kathode proximal) am Handgelenk (Rechteckreiz, Dauer: 200 µs, Intensität: 3-fache sensible Reizschwelle). Die Einzelreiz-TMS des Handareals des kontralateralen (linken) motorischen Kortex erfolgt mit einer fokalen achtförmigen Reizspule, die so orientiert wird, dass der im Gehirn induzierte Strom von lateral-posterior nach medial-anterior fließt. Die Spule wird tangential zur Kopfhaut über dem optimalen Punkt zur Auslösung von MEP im Zielmuskel (rechter M. abductor pollicis brevis) platziert. Die Reizintensität wird so eingestellt, dass im Zielmuskel bei unkonditionierter Reizung MEP mit einer mittleren Amplitude von 1 mV ausgelöst werden. Das ISI wird für die Induktion LTPähnlicher Plastizität entweder auf 25 ms festgelegt (Stefan et al. 2000) oder entspricht der individuellen N20-Latenz des somatosensorisch evozierten Potenzials (SEP) nach distaler Stimulation des N. medianus (Ziemann et al. 2004). Die Anpassung des ISI an die individuelle N20-Latenz hat den Vorteil, dass interindividuelle Streuungen der Leitungszeit des afferenten Signals zum sensomotorischen Kortex berücksichtigt werden. Im ursprünglichen PAS-Protokoll (Stefan et al. 2000) wurden 90 Reizpaare mit einer Frequenz von 0,05 Hz (d. h. alle 20 s ein Reizpaar, Dauer der PAS-Intervention: 30 min) appliziert, in späteren Untersuchungen wurden die Zahl der Reizpaare z. B. auf 225 und die Frequenz auf 0,25 Hz (Dauer der PASIntervention: 15 min) erhöht und vergleichbare Effekte erzielt (Ziemann et al. 2004). Das PAS-Protokoll wird bei entspanntem Zielmuskel durchgeführt. Als Maß für den durch PAS induzierten Effekt dient die Amplitude des MEP im Zielmuskel (rechter M. abductor pollicis brevis), die in einer Basismessung vor PAS auf eine mittlere Amplitude von 1 mV eingestellt wird (. Abb. 51.1). Eine lang anhaltende (>30 min) Zunahme der MEP-Amplitude nach PAS zeigt LTP-ähnliche Plastizität des kortikospinalen Systems an, eine MEP Abnahme dagegen LTD-ähnliche Plastizität. Als weiteres Maß für den durch PAS induzierten Effekt kann die Dauer der kontralateralen kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period, CSP; 7 Kap. 15) dienen, die bei Gesunden nach einem bahnenden PAS-Protokoll zunimmt (Stefan et al. 2000).

51.2 Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTP-ähnlicher Plastizität

515

51

. Abb. .. Protokoll zur Durchführung der gepaarten assoziativen Stimulation (PAS). Zunächst werden mit fokaler TMS über dem Handareal des linken motorischen Kortex MEP im M. abductor pollicis brevis der rechten Hand mit einer mittleren Amplitude von 1 mV ausgelöst (Basismessung, pre). Anschließend erfolgt die PAS-Intervention mit gepaarter Applikation eines elektrischen Reizes über dem N. medianus am rechten Handgelenk, gefolgt von fokaler TMS des kontralateralen motorischen Kortex. Das Interstimulusintervall (ISI) beträgt 25 ms, und es werden 90 Reizpaare mit einer Frequenz von 0,05 Hz (d. h. ein Reizpaar alle 20 s) appliziert. Der PAS-Eﬀekt wird durch fokale TMS mit gleichen Reizparametern wie zur Basismessung dokumentiert (post). Typischerweise zeigt sich ein signiﬁkanter Anstieg der MEP-Amplitude. Die MEP-Kurven sind Mittelungen aus jeweils 20 Durchläufen (Aus Stefan et al., Induction of plasticity in the human motor cortex by paired associative stimulation, Brain 2000, 123: 572–584; mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press)

51.2.2 Physiologische Eigenschaften von

PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität Ort der Plastizität. Prinzipiell können Änderungen

der MEP-Amplitude durch Prozesse im motorischen Kortex oder auf subkortikaler oder spinaler Ebene bedingt sein. Die Amplituden von F-Wellen und durch transkutane elektrische Hirnstammstimulation ausgelösten MEP ändern sich durch PAS nicht (Stefan et al. 2000). Dies ist praktisch beweisend dafür, dass die PAS-induzierte Modulation der MEP-Amplitude primär im motorischen Kortex und nicht auf spinaler Ebene stattfindet. Weiterführende Experimente verwendeten unterschiedliche Richtungen des transkraniell induzierten Stromflusses (posterior-anterior vs. anterior-posterior) (Kujirai et al. 2006). Ein posterior-anterior gerichteter Stromfluss aktiviert kortikospinale Neurone überwiegend über so genannte I1-Wellen, ein anterior-posterior gerichteter Stromfluss dagegen über I3-Wellen (7 Kap. 3). Die PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität lässt sich leichter und effektiver auslösen, wenn der Stromfluss im Gehirn anterior-posterior gerichtet ist (Kujirai et al. 2006). Dies spricht dafür, dass für assoziative Plastizität im primären motorischen Kortex bevorzugt diejenigen neuronalen Elemente verantwortlich sind, die auch an der Entstehung der I3-Wellen beteiligt sind, vermutlich eine bestimmte Klasse intrakortikaler erregender Interneurone innerhalb des stimulierten motorischen Kortex (7 Kap. 3).

verschiedener aﬀerenter Fasersysteme. Bei Durchführung des obigen PAS-Protokolls mit Reizung des N. medianus am Handgelenk werden, da es sich um einen sensomotorischen Nerv handelt, schnellleitende Muskelspindelafferenzen und kutane Ia-Afferenzen angeregt. Durch elektrische Reizung der Nn. digitales am Indexfinger werden dagegen isoliert kutane Ia-Afferenzen angeregt. Diese Reizung führt zu vergleichbarer PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität wie die Reizung des gemischten N. medianus (Stefan et al. 2000). Dieses Ergebnis zeigt, dass kutane Ia-Afferenzen den PAS-Effekt vermitteln, schließt aber nicht aus, dass Muskelspindelafferenzen eine vergleichbare Rolle spielen können.

Rolle

Rolle kortikaler hemmender Mechanismen. LTP im Gewebeschnitt des motorischen Kortex kann durch lokale Reduktion GABAerger hemmender Mechanismen verstärkt werden. Daher wurde untersucht, ob sich mit TMS-Protokollen bestimmbare Formen kortikaler Hemmung parallel mit den Änderungen der MEP-Amplitude nach PAS verändern. Weder die intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, 7 Kap. 16) noch die afferente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz (engl. short-latency afferent inhibition, 7 Kap. 17) zeigen jedoch signifikante Änderungen (Ridding u. Taylor 2001; Stefan et al. 2002). Dies bedeutet nicht unbedingt, dass inhibitorische Prozesse nicht kontrollierend in PAS-Effekte eingreifen. Positiv am GABAA-Rezeptor modulierende Medika-

516

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 51 · Gepaarte assoziative Stimulation

mente (Benzodiazepine) führen zu einer Unterdrückung der PAS-induzierten LTP-ähnlichen Plastizität (Ziemann, unpublizierte Daten), so dass in Übereinstimmung mit den zellphysiologischen Daten am Gewebeschnitt auch LTP-ähnliche Plastizität im motorischen Kortex des Menschen durch GABAerge Hemmung kontrolliert wird. Dauer der Plastizität. Mit den o. g. PAS-Protokollen beträgt die Dauer der MEP-Amplitudenänderung typischerweise 30–120 min (Stefan et al. 2000; Ziemann et al. 2004). Nach 24 h findet sich immer eine Rückkehr zum Ausgangswert (Stefan et al. 2000). Es wurde bisher nicht untersucht, ob durch wiederholte Applikation des PAS-Protokolls (z. B. an aufeinander folgenden Tagen) eine Verlängerung oder Konsolidierung des PAS-Effektes erreicht werden kann. Topograﬁsche Speziﬁtät. LTP im Gewebeschnitt ist

durch eine Eingangsspezifität (engl. input specificity) gekennzeichnet, d. h. nur diejenigen afferenten Eingänge, die stimuliert wurden, zeigen LTP (7 Exkurs »Langzeitpotenzierung: Physiologische Grundlagen«). Eine topografische Spezifität wurde auch in PAS Experimenten gezeigt: Die PAS-induzierte LTPähnliche Plastizität findet sich, dokumentiert durch einen lang anhaltenden Anstieg der MEP Amplitude, in Zielmuskeln, die vom stimulierten Nerven versorgt werden (M. abductor pollicis brevis bei N. medianus Stimulation), aber nicht oder deutlich weniger in Muskeln, die von nichtstimulierten Nerven versorgt werden (M. abductor digiti minimi, vom N. ulnaris versorgt) oder dem homologen Muskel der kontralateralen, nichtstimulierten Hand (Stefan et al. 2000, Weise et al. 2006). Assoziative Stimulation. Assoziative LTP im Gewe-

beschnitt hängt kritisch von der Zeitfolge des EPSP und nachfolgenden Aktionspotenzials ab (7 Exkurs »Langzeitpotenzierung: Physiologische Grundlagen«). Nur wenn das Aktionspotenzial dem EPSP in kurzem zeitlichen Abstand von typischerweise wenigen Millisekunden folgt, entsteht LTP. Diese zeitliche Spezifität ist auch bei PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität nachweisbar. Bei anderen, von 25 ms abweichenden ISI (100, 525, 5000 ms) kommt es zu keiner signifikanten PAS-induzierten Änderung der MEPAmplitude (Stefan et al. 2000). Dieser Befund unterstützt die Annahme, dass die zeitliche Beziehung zwischen den im motorischen Kortex durch das periphere afferente Signal und die transkranielle Magnetstimulation ausgelösten Ereignissen für die Auslösung dieser Form von Plastizität entscheidend ist.

Rolle von NMDA-Rezeptoren. Viele Formen von LTP

im Gewebeschnitt hängen von der Aktivierung von NMDA-Rezeptoren ab (7 Exkurs«Langzeitpotenzie rung: Physiologische Grundlagen«) und lassen sich durch Blockade dieser Rezeptoren verhindern. In humanen PAS-Experimenten führt die Einmaleinnahme von 150 mg des NMDA-Rezeptorantagonisten Dextromethorphan zu einer Verhinderung der PAS-induzierten LTP-ähnlichen Plastizität (Stefan et al. 2002), was eine weitere Parallelität zwischen PAS-induzierter Plastizität und LTP im Gewebeschnitt herstellt. Rolle von Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit kann Ge-

dächtnisbildung und Lernprozesse modulierend beeinflussen. Richtet die Versuchsperson in PAS-Experimenten seine Aufmerksamkeit auf die nichtstimulierte Hand statt auf die stimulierte Hand, wird PASinduzierte LTP-ähnliche Plastizität verhindert (Stefan et al. 2004). In ähnlicher Weise führt eine nichtgerichtete Ablenkung durch Kopfrechnen zu einer Verhinderung von PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität wohingegen dieser PAS-Effekt verstärkt werden kann, wenn die gerichtete Aufmerksamkeit durch Sichtbarkeit der stimulierten Hand (vs. verdeckter Hand) erhöht wird (Stefan et al. 2004). Auch durchgehende leichtgradige willkürmotorische Aktivierung des Zielmuskels (vs. Muskelentspannung) kann PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität verstärken (Kujirai et al. 2006). Diese Befunde machen deutlich, dass das Aufmerksamkeitsniveau das Ausmaß stimulationsinduzierter Plastizität erheblich beeinflussen kann. Daher sollte gerichtete Aufmerksamkeit in humanen Plastizitätsuntersuchungen standardisiert überprüft und kontrolliert werden, z. B. durch Abfrage der Anzahl von schwellennahen elektrischen Reizen, die in randomisierter Zeitfolge an der Stimulationshand appliziert werden (Stefan et al. 2004). Die genauen physiologischen Mechanismen, die der aufmerksamkeitsabhängigen Modulation LTP-ähnlicher Plastizität zugrunde liegen, sind bisher allerdings nicht geklärt. Diskutiert werden eine aufmerksamkeitsabhängige Aktivierung des aszendierenden cholinergen Systems oder eine Modulation des Entladungsverhaltens der in den PAS-Effekt involvierten Neurone im primären motorischen Kortex (Stefan et al. 2004). PAS-induzierte Plastizität im somatosensorischen Kortex. Der überwiegende Teil der bisherigen PAS

Experimente wurde im primären motorischen Kortex durchgeführt. Eine rezente Studie zeigt, dass durch Paarung des elektrischen Stimulus über dem N. medianus mit fokaler TMS über dem kontralateralen primären somatosensorischen Kortex bei ISI,

51.2 Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTP-ähnlicher Plastizität

517

51

Exkurs

Langzeitpotenzierung: Physiologische Grundlagen Langzeitpotenzierung (LTP) wurde initial am Gewebeschnitt in der CA1-Region des Hippocampus untersucht, später auch in anderen Systemen einschließlich des Neokortex. LTP ist durch eine Reihe grundlegender Eigenschaften charakterisierbar (Bliss u. Collingridge 1993). Kooperativität bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit zur Induktion von LTP oder das Ausmaß von LTP mit der Zahl stimulierter aﬀerenter Fasern zunimmt (. Abb. 51.2b). Der Begriﬀ Kooperativität entstand unter der Annahme, dass nur starke Stimulation LTP induziert und in dieser Situation die rekrutierten aﬀerenten Fasern »kooperieren«, um LTP auszulösen. Assoziative Stimulation bedeutet, dass Stimulation eines schwachen aﬀerenten Eingangs allein nicht ausreicht, um LTP auszulösen, jedoch LTP in diesem Eingang durch dieselbe Stimulation induziert wird, wenn diese Stimulation mit einer hochfrequenten, längeranhaltenden Reizserie (tetanische Reizung) eines anderen starken aﬀerenten Eingangs gepaart (assoziiert) wird (. Abb. 51.2c). Eingangsoder Inputspeziﬁtät bedeutet, dass LTP auf die stimulierten aﬀerenten Fasern begrenzt ist. Ein übergeordneter Mechanismus für diese Grundeigenschaften von LTP wurde von Donald Hebb bereits Ende der 40er-Jahre hypothetisiert: Koinzidente Aktivität in zwei synaptisch verbundenen Neuronen führt zu einer Verstärkung der synaptischen Verbindung (Hebb 1949). LTP-artige Hebb-Plastizität entsteht, wenn ein schwacher aﬀerenter Eingang, dessen Stimulation allein nicht zu LTP führt, koinzident mit einer durch

die verglichen mit PAS über dem motorischen Kortex um ~7 ms kürzer sind, eine LTP-ähnliche Amplitudensteigerung der P25-Komponente des MedianusSEP induziert werden kann (Wolters et al. 2005). Diese zeigt ähnliche physiologische Eigenschaften hinsichtlich Dauer (~30 min) und topografischer Spezifität (kein Effekt auf kortikale Komponenten des N. tibialis-SEP; kein Effekt, wenn TMS während des PASProtokolls über dem motorischen Kortex appliziert wird) wie die PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität im motorischen Kortex (Wolters et al. 2005). Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass assoziative Plastizität ein grundlegendes Phänomen ist, das neben dem motorischen Kortex in anderen Systemen eine Rolle spielt und dort auch mit systemphysiologischen Methoden untersucht werden kann.

Strominjektion erfolgenden postsynaptischen Depolarisation stimuliert wird (. Abb. 51.2d). Zur Induktion von LTP ausreichende postsynaptische Depolarisation wird auch durch die kooperative oder assoziative Stimulation erreicht. Durch kooperative und assoziative Stimulation induzierte LTP sind somit als Spezialfälle der Hebb-Plastizität anzusehen. LTP wird in vielen Modellen durch Aktivierung von glutamatergen N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren vermittelt. Aktivierung von NMDA-Rezeptoren führt zu einem lokalen Inﬂux von Kalzium in dendritische Sporne der postsynaptischen Zelle, aber nur wenn der synaptische Eingang eine hinreichend starke postsynaptische Depolarisation erzeugt, die erforderlich ist, um einen spannungsabhängigen Magnesiumblock an den NMDA-Rezeptoren aufzuheben. Diese Eigenschaften des NMDA-Rezeptors begründen synaptophysiologisch Kooperativität und Eingangsspeziﬁtät. Am Menschen können TMS Protokolle zu einer lang anhaltenden Änderung der Erregbarkeit des stimulierten Kortex führen (7 Kap. 50–54). Die Grundeigenschaften von LTP, wie sie an Gewebeschnitten deﬁniert wurden (Kooperativität, Assoziation, Eingangsspeziﬁtät und Vermittlung über Aktivierung von NMDA-Rezeptoren), lassen sich systemphysiologisch in den Experimenten am Menschen z. T. nachvollziehen, so dass per Analogieschluss vermutet werden kann, dass es sich bei diesen lang anhaltenden Erregbarkeitsänderungen um LTP-ähnliche Plastizität handelt.

51.2.3 Funktionelle Relevanz PAS-

induzierter LTP-ähnlicher Plastizität Zahlreiche tierexperimentelle Daten sprechen dafür, dass LTP ein wichtiger Mechanismus für motorische Lernprozesse ist (Rioult-Pedotti u. Donoghue 2003). Falls dies auch für PAS-induzierte Plastizität beim Menschen gilt, sollten Interaktionen zwischen Lernprozessen und PAS-induzierter Plastizität beobachtet werden können. In der Tat führt dynamisches motorisches Lernen zur Verhinderung direkt nachfolgender PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität (Stefan et al. 2006, Ziemann et al. 2004). Diese negative Interaktion wird nicht beobachtet, wenn PAS mit einer Verzögerung von 6 h nach motorischem Training appliziert wird (Stefan et al. 2006), der motorische Kortex ipsilateral zur Lernhand mit PAS stimuliert wird (Ste-

518

41

a

Kapitel 51 · Gepaarte assoziative Stimulation

b

c

d

42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a–d. Verschiedene Prinzipien der Induktion von Langzeitpotenzierung (LTP). Ein postsynaptisches Neuron erhält nicht überlappende schwache (W wenige Axone) und starke (S viele Axone) aﬀerente Eingänge. Aktionspotenziale sind durch vertikale Striche auf den Axonen angezeigt und sind entweder mit weiten (niedrige Entladungsfrequenz) oder engen Zwischenräumen (hohe Entladungsfrequenz) dargestellt. Postsynaptische Potenziale vor induzierender Stimulation sind als durchgezogene Kurven dargestellt, nach induzierender Stimulation als gestrichelte Kurven. a Es ist keine Änderung der postsynaptischen Potenziale zu beobachten, wenn isoliert der schwache aﬀerente Eingang hochfrequent gereizt wird. b Homosynaptische LTP-artige Plastizität LTP ent-

steht, wenn der starke aﬀerente Eingang hochfrequent stimuliert wird. Die Potenzierung des postsynaptischen Potenzials ist speziﬁsch für den stimulierten Eingang und wird am nichtstimulierten schwachen aﬀerenten Eingang nicht beobachtet. c Assoziative LTP-artige Plastizität entsteht, wenn eine Stimulation am schwachen aﬀerenten Eingang, die für sich genommen kein LTP erzeugen würde, mit einer Reizung des starken aﬀerenten Eingangs kombiniert wird. Dies führt zur Potenzierung beider Eingänge. d LTP-artige Hebb-Plastizität entsteht, wenn eine Stimulation am schwachen Eingang, die für sich genommen kein LTP erzeugen würde, mit einer durch Strominjektion hervorgerufenen Depolarisation der postsynaptischen Zelle kombiniert wird

fan et al. 2006) oder, wenn zwar motorisch geübt, aber nicht gelernt wird (Ziemann et al. 2004). Diese zeitlich, topografisch und lernkontextspezifische Interaktion legt nahe, dass zumindest überlappende, wenn nicht identische, neuronale Elemente im motorischen Kortex die Prozesse motorischen Lernens und PASinduzierter LTP-ähnlicher Plastizität vermitteln und machen es sehr wahrscheinlich, dass LTP-ähnliche Plastizität ein Mechanismus ist, der zu motorischen Lernprozessen in relevanter Weise beiträgt.

Morbus Parkinson. PAS-induzierte LTP-ähnliche Pla-

51.2.4 Klinische Relevanz PAS-induzierter

Aufgabenspeziﬁsche Handdystonie. Bei Patienten mit

LTP-ähnlicher Plastizität Die spezifische Interaktion zwischen PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität und motorischem Lernen (7 Abschn. 51.2.3) macht die Untersuchung von PASEffekten bei neurologischen Krankheitsbildern interessant, bei denen motorische Lernprozesse gestört sind (z. B. Patienten mit Morbus Parkinson) oder bei denen wiederholtes Üben zu pathologischen Folgen führt (aufgabenspezifische Dystonien).

stizität ist bei Patienten mit Morbus Parkinson vermindert und kann durch Gabe von Dopaminagonisten partiell oder vollständig normalisiert werden (Morgante et al. 2006; Ueki et al. 2006), allerdings sind diese Befunde widersprüchlich mit den Ergebnissen einer anderen Studie, in der sich bei Patienten mit Morbus Parkinson eine gesteigerte PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität und der Verlust der topografischen Spezifität zeigen (Bagnato et al. 2006). Die Gründe für diese Diskrepanz sind derzeit unklar.

Schreibkrampf, einer aufgabenspezifischen Dystonie der Hand, zeigen die verfügbaren Studien einheitlich eine gesteigerte PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität, d. h. der LTP-ähnliche Effekt tritt schneller auf und hat eine höhere Amplitude und eine längere Dauer (Quartarone et al. 2003; Weise et al. 2006). Zudem geht die topografische Spezifität verloren, d. h. der LTP-Effekt zeigt sich auch in Zielmuskeln, die nicht von dem peripheren Nerv innerviert werden, der im Rahmen des PAS-Protokolls gereizt wurde (z. B.

51.3 Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTD-ähnlicher Plastizität

M. abductor digiti minimi bei Reizung des N. medianus) (Quartarone et al. 2003; Weise et al. 2006). Diese Befunde legen nahe, dass bei Patienten mit aufgabenspezifischen Dystonien eine pathologisch gesteigerte, möglicherweise maladaptive assoziative Plastizität vorliegt, die bei repetitiver Durchführung fingerfeinmotorischer Übungen Ursache der Entwicklung der dystonen Bewegungsstörung sein kann.

51.3

Gepaarte assoziative Stimulation – Induktion LTD-ähnlicher Plastizität

51.3.1 Reizprotokoll Das

PAS-Protokoll

entspricht

dem

unter

7 Abschn. 51.2.1 dargestellten Protokoll zur Induk-

tion von LTP-ähnlicher Plastizität. Die einzige aber wesentliche Modifikation des PAS-Protokolls zur Induktion von LTD-ähnlicher Plastizität besteht darin, dass ein kürzeres ISI zwischen elektrischem Reiz am N. medianus und dem transkraniellen Stimulus verwendet wird. Eine lang anhaltende Depression der MEP-Amplitude im Zielmuskel wird durch ein ISI von 10 ms (Wolters et al. 2003) induziert. Auch zur Induktion von LTD-ähnlicher Plastizität ist eine individuelle Anpassung an die N20-Latenz des somatonsensorischen evozierten Potenzials sinnvoll. Hier wird ein ISI gewählt, dass 5 ms kürzer als die N20Latenz ist (»N20 minus 5 ms«) (Ziemann et al. 2004). Diese kurzen Intervalle führen dazu, dass das afferente Signal ausgelöst durch N. medianus-Stimulation erst nach dem TMS-Puls den motorischen Kortex erreicht. Die zeitliche Abfolge kehrt sich somit gegen-

519

51

über den LTP-ähnliche Plastizität induzierenden PASProtokollen um. Die Möglichkeit über eine Variation des Intervalls zwischen dem afferenten und dem kortikalen Stimulus eine bidirektionale LTP- oder LTDähnliche Plastizität zu induzieren entspricht den Vorhersagen aus den STDP-Experimenten am Gewebeschnitt (7 Exkurs »Spike-Timing Dependent Plasticity, STDP«; . Abb. 51.3).

51.3.2 Physiologische Eigenschaften PAS-

induzierter LTD-ähnlicher Plastizität Die physiologischen Eigenschaften PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität entsprechen weitgehend denen PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität. Als Ort der Plastizität ist der motorische Kortex anzunehmen, da F-Wellen-Amplituden und MEP-Amplituden, ausgelöst durch transkutane elektrische Hirnstammstimulation, die LTD-ähnliche Depression nicht zeigen (Wolters et al. 2003). Die Dauer der MEP-Depression liegt bei bis zu 90 min (Wolters et al. 2003). Die topografische Spezifität unterscheidet sich etwas von der PAS-induzierten LTP-ähnlichen Plastizität (7 Abschn. 51.2.2). Die LTD-ähnliche Plastizität wird ebenfalls nur im homonymen (also vom stimulierten Nerv versorgten) Muskel ausgelöst, aber heteronyme Muskeln (z. B. M. abductor digiti minimi bei N. medianus Stimulation) zeigen statt keiner Änderung einen LTP-ähnlichen Anstieg der MEP-Amplitude (Weise et al. 2006). Die Relevanz der zeitlichen Assoziation ergibt sich aus der Beobachtung, dass das IntervalI zwischen peripherem und transkraniellem Stimulus zur Induk-

. Abb. .. Kritische Zeitfenster für die Induktion assoziativer synaptischer Plastizität. Langzeitpotenzierung (LTP) oder Langzeitdepression (LTD) werden durch zeitlich korrelierte prä- und postsynaptische Aktionspotenziale (engl. spikes) an Synapsen zwischen hippokampalen glutamatergen Neuronen in Zellkultur induziert. Die prozentualen Änderungen der Amplituden erregender postsynaptischer Ströme (EPSC) werden 20–30 min nach repetitiver korrelierter Reizung (Frequenz: 1 Hz) gegen das Intervall ∆t zwischen prä- und postsynaptischem Spike (ms) aufgetragen. ∆t ist deﬁniert als Zeitdiﬀerenz zwischen Beginn des EPSP (ausgelöst durch den präsynaptischen Spike) und der Spitze des postsynaptischen Aktionspotenzials. LTP entsteht, wenn ∆t>0 (postsynaptisches Aktionspotenzial folgt EPSP), LTD entsteht, wenn ∆t<0. Die kritischen Zeitfenster für LTP-/LTD-Induktion werden durch exponentielle Kurven dargestellt, die an die Messdaten angepasst sind. Kalibrierungen: 50 mV, 10 ms. (Aus Bi u. Poo 1998; mit freundlicher Genehmigung der Society for Neuroscience)

520

Kapitel 51 · Gepaarte assoziative Stimulation

48

tion einer hemmenden LTD-artigen Plastizität den Gesetzmäßigkeiten der STDP folgt (7 Exkurs «SpikeTiming Dependent Plasticity, STDP«). Die Induktion einer hemmenden LTD-artigen Plastizität ist nur innerhalb eines kritischen Zeitfensters möglich. Bei Verwendung zu kurzer ISI (–10 bis 5 ms) zwischen peripherem und transkraniellem Stimulus bildet sich gar kein PAS-Effekt aus. Wird die PAS mit längeren Intervallen (25 ms) verabreicht kommt es zu einem LTP-Effekt (Wolters et al. 2003). PAS-induzierte LTD-ähnliche Plastizität hängt ebenfalls von der Aktivierung von NMDA-Rezeptoren, aber auch von spannungsabhängigen Kalziumkanälen vom L-Typ ab, da der NMDA-Rezeptorantagonist Dextromethorphan und der Kalziumkanalblocker Nimodipin den LTD-Effekt verhindern (Wolters et al. 2003). Schließlich kann PAS-induzierte LTDähnliche Plastizität bei einem ISI von »N20 minus 20 ms« auch im primären somatosensorischen Kortex beobachtet werden (Wolters et al. 2005).

49

51.3.3 Funktionelle Relevanz PAS-

41 42 43 44 45 46 47

50 51 52 53 54

induzierter LTD-ähnlicher Plastizität Im 7 Abschn. 51.2.3 wurde dargestellt, dass dynamisches motorisches Lernen nachfolgende PASinduzierte LTP-ähnliche Plastizität verhindert (negative Interaktion). Im Gegensatz hierzu wird nachfolgende PAS-induzierte LTD-ähnliche Plastizität verstärkt (Ziemann et al. 2004). Diese positive Interaktion ist am besten durch die Bienenstock-CooperMunro-Theorie bidirektionaler synaptischer Plastizität erklärt (7 Kap. 54): Die Schwelle für LTP/LTDInduktion ist variabel und hängt insbesondere von der vorangehenden synaptischen Aktivität des neu-

ronalen Systems ab – hohe Aktivität erniedrigt die Wahrscheinlichkeit für LTP und erhöht die Wahrscheinlichkeit für LTD und umgekehrt bei niedriger Aktivität. Wenn dynamisches motorisches Lernen ein LTP-abhängiger Prozess ist, dann wird er entsprechend dieser Theorie die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß einer nachfolgenden LTD-Induktion erhöhen.

51.3.4 Klinische Relevanz PAS-induzierter

LTD-ähnlicher Plastizität Aufgabenspeziﬁsche Dystonien. Die klinische Bedeutung PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität wurde bisher erst in einer Studie untersucht. Patienten mit dystonem Schreibkrampf zeigen nicht nur eine schneller eintretende und höheramplitudige LTD-ähnliche Plastizität als Gesunde, sondern auch eine somatotope Entdifferenzierung: Während Gesunde einen LTPähnlichen Effekt in heteronymen Muskeln aufweisen, zeigen die Patienten in heteronymen Muskeln ebenfalls einen LTD-ähnlichen Effekt (Weise et al. 2006). Es wird vermutet, dass dieser Verlust an topografischer Spezifität assoziativer Plastizität eine wichtige pathophysiologische Grundlage für die Entwicklung dieser aufgabenspezifischen dystonen Bewegungsstörung bildet. Denkbar ist jedoch auch, dass die topografische Entdifferenzierung PAS-induzierter Plastizität nicht Ursache, sondern Folge der Dystonie ist. Zur weiteren Klärung sind Untersuchungen an präsymptomatischen Patienten oder an der (noch) nicht betroffenen Hand bei dystonen Schreibkrampfpatienten erforderlich.

55 56 57 58 59 60

Exkurs

Spike-Timing Dependent Plasticity (STDP) Traditionell wird LTP in Gewebeschnittexperimenten durch hochfrequente präsynaptische Stimulation (. Abb. 51.2b) oder durch gepaarte assoziative Stimulation (. Abb. 51.2c) induziert. Im Gegensatz hierzu führt prolongierte niedrigfrequente präsynaptische Reizung oft zu Langzeitdepression (LTD). Somit kann über die Frequenz der Stimulation des präsynaptischen Eingangs die Eﬃzienz der synaptischen Übertragung bidirektional modiﬁziert werden. Experimente am Gewebeschnitt des Hippocampus zeigten erstmals, dass die Richtung synaptischer

Plastizität von der zeitlichen Beziehung eines schwachen und starken Eingangs vom entorhinalen Kortex in den Gyrus dentatus abhängt: LTP des schwachen Eingangs entsteht, wenn der starke Eingang gleichzeitig oder immer kurz (bis zu 20 ms) nach dem schwachen Eingang aktiviert wird, LTD dagegen, wenn diese Reihenfolge umgekehrt wird (Levy u. Steward 1983). Jüngere Untersuchungen in verschieden Systemen einschließlich des motorischen Kortex (Markram et al. 1997) belegen die

6

Literatur

Bedeutung dieser zeitlichen Reihenfolge prä- und postsynaptischer Aktionspotenziale und haben »kritische Zeitfenster« für das Entstehen assoziativer LTP/LTD deﬁniert, die jeweils im Bereich von wenigen (10–20 ms) Millisekunden liegen und vom neuronalen Zelltyp abhängen (. Abb. 51.3). Aufgrund der

51.4

Ausblick

Die Untersuchung von assoziativer Plastizität mittels gepaarter assoziativer Stimulation (PAS) ist ein neues, sich rasch entwickelndes Forschungsfeld. Die bisherigen Studien haben vor allem die physiologischen Eigenschaften PAS-induzierter LTP/LTD-ähnlicher Plastizität bei Gesunden beschrieben. Erste Untersuchungen zeigen, dass PAS in der Zukunft eingesetzt werden kann, um die physiologischen Grundlagen von plastischen Funktionsänderungen auf Systemebene, z. B. von motorischem Lernen und pathologisch veränderter assoziativer Plastizität bei neurologischen Erkrankungen, zu untersuchen. Neue PAS-Protokolle, z. B. hochfrequente (5 Hz) PAS, werden zum Einsatz kommen, um den Zeitbedarf der Induktion von PASEffekten zu verringern und deren Dauer zu verlängern (Quartarone et al. 2006).

Literatur Bagnato S, Agostino R, Modugno N et al. (2006) Plasticity of the motor cortex in Parkinson’s disease patients on and oﬀ therapy. Mov Disord 21: 639–645 Bi GQ, Poo MM (1998) Synaptic modiﬁcations in cultured hippocampal neurons: dependence on spike timing, synaptic strength, and postsynaptic cell type. J Neurosci 18: 10464–10472 Bliss TV, Collingridge GL (1993) A synaptic model of memory: long-term potentiation in the hippocampus. Nature 361: 31–39 Hebb DO (1949). The organization of behavior. A neuropsychological theory. John Wiley & Sons Inc, New York Kujirai K, Kujirai T, Sinkjaer T, Rothwell JC (2006) Associative plasticity in human motor cortex during voluntary muscle contraction. J Neurophysiol 96: 1337–1346 Levy WB, Steward O (1983) Temporal contiguity requirements for long-term associative potentiation/depression in the hippocampus. Neuroscience 8: 791–797 Markram H, Lubke J, Frotscher M, Sakmann B (1997) Regulation of synaptic eﬃcacy by coincidence of postsynaptic APs and EPSPs. Science 275: 213–215 Morgante F, Espay AJ, Gunraj C et al. (2006) Motor cortex plasticity in Parkinson’s disease and levodopa-induced dyskinesias. Brain 129: 1059–1069

521

51

kritischen Bedeutung der zeitlichen Beziehung von prä- und postsynaptischen Aktionspotenzialen (engl. spikes) wird diese Form bidirektionaler assoziativer synaptischer Plastizität allgemein als vom Zeitpunkt der Potenzialenstehung abhängige Plastizität (engl. spike-timing dependent plasticity, STDP) bezeichnet.

1Quartarone A, Bagnato S, Rizzo V et al. (2003) Abnormal associative plasticity of the human motor cortex in writer’s cramp. Brain 126: 2586–2596 Erstmaliger Einsatz von PAS zur Aufdeckung pathologischer assoziativer Plastizität bei einer neurologischen Erkrankung. Quartarone A, Rizzo V, Bagnato S et al. (2006) Rapid-rate paired associative stimulation of the median nerve and motor cortex can produce long-lasting changes in motor cortical excitability in humans. J Physiol 575: 657–670 Ridding MC, Taylor JL (2001) Mechanisms of motor-evoked potential facilitation following prolonged dual peripheral and central stimulation in humans. J Physiol 537: 623– 631 Rioult-Pedotti M-S, Donoghue J (2003) The nature and mechanisms of plasticity. In: Boniface SJ and Ziemann U (eds). Plasticity in the human nervous system. Investigations with transcranial magnetic stimulation. Cambridge University, Cambridge, pp 1–25 2Stefan K, Kunesch E, Cohen LG et al. (2000) Induction of plasticity in the human motor cortex by paired associative stimulation. Brain 123: 572–584 Erstmalige Beschreibung PAS-induzierter LTP-ähnlicher Plastizität im menschlichen motorischen Kortex. Stefan K, Kunesch E, Benecke R et al. (2002) Mechanisms of enhancement of human motor cortex excitability induced by interventional paired associative stimulation. J Physiol 543: 699–708 Stefan K, Wycislo M, Classen J (2004) Modulation of associative human motor cortical plasticity by attention. J Neurophysiol 92: 66–72 Stefan K, Wycislo M, Gentner R et al. (2006) Temporary Occlusion of Associative Motor Cortical Plasticity by Prior Dynamic Motor Training. Cereb Cortex 16: 376–385 Ueki Y, Mima T, Ali Kotb M et al. (2006) Altered plasticity of the human motor cortex in Parkinson’s disease. Ann Neurol 59: 60–71 Weise D, Schramm A, Stefan K et al. (2006) The two sides of associative plasticity in writer‘s cramp. Brain 129: 2709– 2721 1Wolters A, Sandbrink F, Schlottmann A et al. (2003) A temporally asymmetric Hebbian rule governing plasticity in the human motor cortex. J Neurophysiol 89: 2339–2345 Erstmalige Beschreibung PAS-induzierter LTD-ähnlicher Plastizität im menschlichen motorirschen Kortex. Wolters A, Schmidt A, Schramm A et al. (2005) Timing-dependent plasticity in human primary somatosensory cortex. J Physiol 565: 1039–1052

522

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 51 · Gepaarte assoziative Stimulation

1Ziemann U, Ilic TV, Pauli C et al. (2004) Learning modiﬁes subsequent induction of LTP-like and LTD-like plasticity in human motor cortex. J Neurosci 24: 1666–1672 Erstmalige Anwendung PAS-induzierter LTP/LTD-ähnlicher Plastizität zur Untersuchung der physiologischen Grundlagen von motorischem Lernen.

523

52

Übungsabhängiges motorisches Lernen Cathrin Bütefisch

52.1

Einleitung – 524

52.2

Charakterisierung motorischer Lernvorgänge mit der TMS – 524

52.2.1

Einﬂuss motorischen Lernens auf die transkraniell ausgelöste Bewegung – 524 Einﬂuss motorischen Lernens auf die kortikomotorische Erregbarkeit – 526 Einﬂuss motorischen Lernens auf die intrakortikale Doppelpulserregbarkeit – 526

52.2.2 52.2.3

52.3

Neuropharmakologische Beeinﬂussung des motorischen Lernens – 527

52.4

Ausblick – 529

Literatur

– 530

ZUM THEMA Dieses Kapitel stellt experimentelle TMS-Paradigmen vor, mit denen die neurophysiologischen Mechanismen übungsabhängigen Lernens im motorischen Kortex erfasst werden könnnen. Verschiedene Paradigmen messen das durch die Einzelreiz-TMS ausgelöste motorisch evozierte Potenzial (MEP), um die Konsequenzen übungsabhängiger Plastizität auf das kortikomotorische System zu charakterisieren. In einem von der Arbeitsgruppe um L. Cohen eingeführten Paradigma (Classen et al. 1998) wird statt des MEP die Richtung der von der Einzelreiz-TMS ausgelösten Bewegung verwendet, um motorische Lernvorgänge zu untersuchen. In diesem Paradigma wird eine leicht überschwellige Einzelreiz-TMS über dem primären motorischen Handareal verabreicht, um in der kontralateralen Hand eine Daumenbewegung auszulösen. Zunächst wird in einer Ausgangsmessung die hauptsächliche Orientierung der TMS-induzierten Daumenbewegungen ermittelt. Danach führen die Probanden ein kurzfristiges Training aktiver Daumenbewegungen in die entgegengesetzte Richtung durch. Die Eﬀektivität

dieses übungsabhängigen Lernens wird nach dem Trainingsende mit der Einzelreiz-TMS objektiviert. Hierzu werden unter Beibehaltung der Stimulationsparameter erneut kontralaterale Daumenbewegungen ausgelöst. Im Normalfall zeigen die Probanden eine Veränderung der präferenziellen Bewegungsrichtung unmittelbar nach dem Training zugunsten der trainierten Bewegungsrichtung. Die präferenzielle Richtung der durch die TMS-hervorgerufenen Daumenbewegung dient somit als Indikator des übungsabhängigen Lernens. Vorteilhaft ist, dass der Lernerfolg quantiﬁziert werden kann, ohne dass eine aktive Mitarbeit des Probanden erforderlich ist. Dieses Paradigma wurde in einer Reihe von Studien angewendet, um die zugrunde liegenden Mechanismen auf neurophysiologischer Ebene genauer zu untersuchen. So konnten neuropharmakologische Studien zeigen, dass diese Form des übungsbedingten Lernens durch die Gabe von GABA-RezeptorAgonisten und NMDA-Rezeptor-Antagonisten supprimiert werden kann (Büteﬁsch 2000).

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

524

Kapitel 52 · Übungsabhängiges motorisches Lernen

52.1

Einleitung

Motorisches Lernen kann zu anhaltenden funktionalen und morphologischen neuronalen Veränderungen führen (7 Kap. 42). Während des Erlernens von Bewegungssequenzen bilden sich neue räumlichzeitliche Aktivitätsmuster in zusammenwirkenden Muskelgruppen aus. Der Lernerfolg spiegelt sich in einer bez. der Schnelligkeit und Genauigkeit verbesserten Ausführung der Bewegungssequenz wider. Für den primären motorischen Kortex wurden diese lernbedingten funktionellen Veränderungen erstmals tierexperimentell in Primaten nachgewiesen (Nudo et al. 1996). Hier führte das Erlernen einer spezifischen Bewegung zu einer Verbesserung des kinematischen Bewegungsprofils und zu einer Vergrößerung der kortikalen motorischen Repräsentation der an der Bewegung beteiligten Muskeln (7 Exkurs »Tierexperiment elle Untersuchungen zum übungsbedingten Lernen«). Für diese messbaren funktionellen Veränderungen spielen Veränderungen der synaptischen Effektivität eine wesentliche Rolle (Rioult-Pedotti et al. 2000). Die Effizienz synaptischer Übertragung kann durch Langzeitpotenzierung (engl. long-term potentiation, LTP) gesteigert oder Langzeitdepression (engl. long-term depression, LTD) supprimiert werden. Dies wird u. a. durch eine Aktivierung des N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptors erreicht und durch eine Verminderung von Gamma-Aminobuttersäure (GABA)erger Hemmung begünstigt (Hess et al. 1996; 7 Exkurs » Tierexperimentelle Untersuchungen zum übungsbedingten Lernen«). Für Studien zum Verständnis des motorischen Lernens im intakten menschlichen Gehirn steht mit der TMS ein schmerzloses und einfach anwendbares Instrument zur nichtinvasiven Messung der kortikomotorischen Erregbarkeit zur Verfügung. Ein monophasischer transkranieller Stimulus führt bei niedrigen Stimulationsintensitäten und einer induzierten Stromrichtung von posterior-lateral nach anteriormedial zu einer transsynaptischen Aktivierung der Pyramidenzellen des primären motorischen Handareals (7 Kap. 2). Verschiedene Einzelreiz- und Doppelreiztechniken können herangezogen werden, um die Erregbarkeit intrakortikaler neuronaler Netzwerke im primären motorischen Handareal zu charakterisieren und lernbedingte Änderungen der Erregbarkeitseigenschaften zu erfassen (7 Kap. 15–17 und 42). Die TMS des primären motorischen Kortex ermöglicht somit eine elektrophysiologische Charakterisierung des Lernerfolges, ohne dass eine aktive Mitarbeit des Probanden während der Messung des Lernerfolges erforderlich wäre. Allerdings muss dabei bedacht werden, dass

man mit der TMS immer auf der Systemebene untersucht und man daher nur indirekt Aussagen über Veränderungen auf synaptischer Ebene machen kann. Im Folgenden sollen beispielhaft die wichtigsten humanbiologischen TMS-Studien zur Elektrophysiologie des motorischen Lernens vorgestellt werden. Dabei wird nur auf Untersuchungen eingegangen, welche die TMS als Messinstrument zur Erfassung neuronaler Korrelate motorischer Lernprozesse einsetzen. Daneben kann die rTMS (oder tDCS) natürlich auch dazu eingesetzt werden mit motorischen Lernprozessen aktiv zu interferieren oder diese zu hemmen oder zu bahnen (Müllbacher et al. 2002). Da dieser Interferenz- bzw. Konditionierungsansatz in 7 Kap. 42 ausführlich abgehandelt wird, sei auf dieses Kapitel verwiesen.

52.2

Charakterisierung motorischer Lernvorgänge mit der TMS

52.2.1 Einﬂuss motorischen Lernens auf die

transkraniell ausgelöste Bewegung Wenn ein überschwelliger transkranieller Einzelreiz über dem primären motorischen Handareal verabreicht wird, führt dieser über eine Erregung der Handmuskeln zu einer Bewegung in der kontralateralen Hand. Hierbei werden nicht alle kortikospinalen Projektionen gleichförmig aktiviert, sondern es kommt in Abhängigkeit des Erregungszustandes zur Aktivierung einer bestimmten Untergruppe von kortikomotorischen Verbindungen. Dies erklärt, warum die TMS an einer bestimmten Position an der Schädeloberfläche eine präferenzielle Bewegung, z.B. eine Daumenabduktion auslöst. Auf dem durch die TMS ausgelösten präferenziellen Bewegungsmuster basiert ein in der Arbeitsgruppe um L. Cohen entwickeltes Paradigma (Classen et al. 1998) zur Untersuchung des motorischen Lernens beim Menschen (. Abb. 52.1). In diesem Paradigma wird eine leicht überschwellige Einzelreiz-TMS über dem primären motorischen Handareal verabreicht, um in der kontralateralen Hand eine isolierte und bez. der Richtung konstante Daumenbewegung auszulösen. Zunächst wird in einer Ausgangsmessung die hauptsächliche Orientierung der TMS-induzierten Daumenbewegungen ermittelt (Ausgangsrichtung der TMS evozierten Daumenbewegung, . Abb. 52.1a). Dann folgt eine halbstündige Übungsphase (Training), währenddessen die Probanden kontinuierlich einmal pro Sekunde eine willkürliche ballistische Daumenbewegung machen. Die Richtung der trainierten Daumenbewegung ist der

52.2 Charakterisierung motorischer Lernvorgänge mit der TMS

a

b

c

d

. Abb. .a–d. Eﬀekt motorischen Lernens auf Bewegungsrepräsentationen im primären motorischen Kortex: a Experimenteller Aufbau: Die Richtung der durch die TMS evozierten oder willkürlichen Daumenbewegungen wird über die Maximalbeschleunigung für die zwei Hauptbewegungsrichtungen (Extension/Flexion und Abduktion/Adduktion) mit einem 2DBeschleunigungsaufnehmer bestimmt. Der Accelerometer wird auf dem dorsalen Aspekt der proximalen Phalanx des Daumens befestigt. Das EMG wird vom M. extensor pollicis brevis und M. ﬂexor pollicis brevis abgeleitet. b Lernparadigma: Zu Beginn des Experimentes werden die Richtung der TMS-evozierten Daumenbewegung ermittelt. In dem dargestellten Beispiel haben die initial von der TMS evozierten Bewegungen eine Flexions/Adduktionsrichtung (b Kreishistogramm, links unten, schwarz). Dann wird die Versuchsperson aufgefordert für 30 min mit einer Wiederholungsrate von 1 Hz willkürliche Daumenbewegungen in die entgegengesetzte Richtung durchzuführen. In dem dargestellten Beispiel führte die Versuchsperson eine Extensions/Abduktions-Bewegung durch (b Kreishistogram, Pfeil zeigt die mittlere Trainingsrichung an). Während des Trainings kommt es zu einer progressiven Umkehr der durch

525

52

die TMS-induzierten Bewegungsrichtung hin zur trainierten Bewegungsrichtung (b Balkendiagramm oben rechts ). Nach dem Training haben die von der TMS evozierten Daumenbewegungen eine Extensions-Abduktions-Richtung (b, Kreishistogram, rechts unten). c MEP-Veränderungen nach motorischem Lernen: Einhergehend mit der veränderten Bewegungsrichtung kommt es auch zu einer relativen Zunahme der MEP im trainiertem Muskel (Kreis) und zu einer relativen MEP-Abnahme im nichttrainierten Muskel (Quadrat). Baseline MEP-Amplituden vor dem Training; p1–p3=10, 20, 30 min nach Beendigung des Trainings. d Lernerfolg auf Gruppenebene: Das Balkendiagramm mit den schwarzen Balken zeigt die trainingsassozzierte Umkehr der präferenziellen Bewegungsrichtung für 6 Versuchspersonen. Die trainingsbedingte Richtungsänderung ist als Zuwachs von TMS-evozierten Daumenbewegungen in den Zielbereich (engl. training target zone, TTZ). Der Zielbereich ist deﬁniert als ein Winkelbereich der ±20° um die mittlere Trainingsrichtung liegt. Das Diagramm zeigt den Anteil der TMS-evozierten Daumenbewegungen im Zielbereich vor dem Training (Ausgangsmessung) und 10, 20 und 30 min nach Beendigung des Trainings; *p<0,025. (Mod. nach Büteﬁsch et al. 2000)

526

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Kapitel 52 · Übungsabhängiges motorisches Lernen

initial durch die TMS evozierten Daumenbewegung um 180° entgegengesetzt (Trainingsrichtung). Die Effektivität dieses übungsabhängigen Lernens wird nach dem Trainingsende mit der Einzelreiz-TMS überprüft. Hierzu werden unter Beibehaltung der Stimulationsparameter erneut kontralaterale Daumenbewegungen ausgelöst. Bei gesunden Probanden löst eine erneute Einzelreiz-TMS nach Trainingsende nun Daumenbewegungen aus, die in ihrer Richtung der mittleren Trainingsbewegung gleichen (Post-Trainingsrichtung der TMS evozierten Daumenbewegung, . Abb. 52.1a und b). Somit führt ein kurzes Training zu einer veränderten Daumenrepräsentation im primären motorischen Kortex, welche die kinematische Information der Trainingsbewegung enthält. Parallel zu einer veränderten Bewegungsrichtung des Daumens ändert das Training auch die Erregbarkeit der kortikomotorischen Projektionen zu den trainierten Daumenmuskeln. Im Normalfall führt das Training zu einem selektiven Zuwachs der MEP-Amplituden in den Muskeln, die an der trainierten Bewegung teilnehmen (. Abb. 52.1c). Eine Besonderheit dieses Paradigmas ist, dass ein kinematischer Kennwert zur Charakterisierung des Lernerfolges herangezogen wird. Die trainingsinduzierte Änderung in der präferenziellen Bewegungsrichtung kennzeichnet den Erfolg und das Ausmaß des motorischen Lernens. Dieses einfache Paradigma erlaubt somit den Lernerfolg zu quantifizieren, ohne dass eine aktive Mitarbeit des Probanden während der Messung des Lernerfolges erforderlich ist.

53 54 55 56 57 58 59 60

52.2.2 Einﬂuss motorischen Lernens auf die

kortikomotorische Erregbarkeit Verschiedene elektrophysiologische TMS-Studien belegen eine Beteiligung des primären motorischen Kortex am Erlernen von Bewegungsmustern. Durch die Kartierung der Repräsentation kortikomuskulärer Projektionen an der Schädeloberfläche (engl. corticomotor mapping; 7 Kap. 40) konnte gezeigt werden, dass sich während des unbewussten Erlernens einer Fingersequenz die kortikomotorischen Repräsentationen (engl. corticomotor maps) der an der Bewegung beteiligten Muskeln vergrößern. Mit Erreichen eines bewussten Kenntnisstandes über die erlernte Fingersequenz kommt es dann wieder zu einer Verkleinerung dieser Repräsentationsareale auf ihre Ausgangsgröße (Pascual-Leone et al. 1994). Passend zum TMS-Mapping konnte die Einzelpuls-TMS zeigen, dass motorisches Lernen zu einem spezifischen Amplitudenzuwachs der MEP in den

Muskeln führt (. Abb. 52.1c). Nur die am Training aktiv beteiligten Muskeln zeigen eine Bahnung der MEP-Amplitude als Beleg für eine übungsbedingte Steigerung der kortikospinalen Erregbarkeit (Bütefisch et al. 2000; Müllbacher et al. 2001). Der Zuwachs der MEP-Amplituden geht oft mit einer verbesserten Kinematik der trainierten Bewegung einher (Bütefisch et al. 2000; Müllbacher et al. 2001). Zusammenfassend belegen diese Untersuchungen lernbedingte Änderungen der kortikalen motorischen Repräsentation. Eine derartige Interpretation der Ergebnisse deckt sich mit dem tierexperimentell fundierten Konzept, dass im primären motorischen Kortex multiple überlappende Bewegungsrepräsentationen vorhanden sind. Diese sind innig über ein Netzwerk aus horizontal verlaufenden kortikokortikalen Axonen verbunden und können durch motorische Lernprozesse dynamisch in ihrer Repräsentationsstärke und –ausdehnung moduliert werden (7 Exkurs »Tierexperimentelle Untersuchungen zum übungsbedingten Lernen«).

52.2.3 Einﬂuss motorischen Lernens

auf die intrakortikale Doppelpulserregbarkeit Das Herunterregulieren (engl. down-regulation) lokaler GABAerger intrakortikaler Hemmung ist ein wichtiger Mechanismus, der die schnelle Änderung von motorischer Repräsentation in primären motorischen Kortex erlaubt (Jacobs u. Donoghue 1991; Hess et al. 1996; 7 Exkurs »Tierexperimentelle Untersuchungen zum übungsbedingten Lernen«). Die TMSDoppelpulstechnik erlaubt über die Bestimmung der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen (engl. short-interval intracortical inhibition, SICI) die elektrophysiologische Charakterisierung von intrakortikaler GABAerger Hemmung im primären motorischen Kortex (7 Kap. 16). Bei dieser Technik werden durch eine Spule zwei Pulse von unterschiedlicher Intensität über dem primären motorischen Handareal gegeben. Dabei ist der erste, konditionierende Stimulus unterschwellig, d. h. er löst keine Muskelantwort (MEP) im kontralateralen Zielmuskel aus. Der darauf folgende Test-Stimulus ist dagegen überschwellig, d. h. er führt zu einem MEP. Bei Zeitintervallen zwischen 1–5 ms hemmt der konditionierende Stimulus das durch den Teststimulus ausgelöste MEP. Diese SICI wird über GABAA-intrakortikale Verbindungen im primären motorischen Kortex vermittelt (7 Kap. 16). Korrespondierend zu den tierexperimentellen Ergebnissen konnte mit der TMS-Doppelpuls-

52.3 Neuropharmakologische Beeinﬂussung des motorischen Lernens

52

. Abb. .a,b. Änderungen der intrakortikalen Hemmung kurzer Latenz (SICI) in Abhängigkeit von der Beteiligung des Muskels an der erlernten Bewegung. a Experimenteller Aufbau: Durchführung einer selektiven und nichtselektiven Abduktionsbewegung mit dem M. abductor pollicis brevis (APB). Die selektive Abduktionsbewegung erfolgt ohne Kokontraktion des M. interosseus dorsalis manus IV (IOD 4). Die SICI wurde vor (Ausgangsmessung) und nach dem Training (Post-Training) im M. dorsalis interosseus manus IV. gemessen. b Ergebnis: Die Selektivität des Bewegungsmusters während des Trainings hatte einen diﬀerenziellen Eﬀekt auf die SICI im M. dorsalis interosseus manus IV. Ein selektives Bewegungstraining führte zu einer relativen Zunahme der SICI der kortikospinalen Projektionen zum untersuchten Muskel, hier durch den negativen MEP-Quotienten angezeigt. Das nichtselektive Training hatte einen gegenteiligen Eﬀekt auf die SICI. Mittelwert und Standardfehler **p=0,01. (Mod. nach Büteﬁsch et al. 2005)

a

b

technik gezeigt werden, dass motorisches Lernen in Abhängigkeit der funktionellen Beteiligung eines Muskels an der motorischen Lernaufgabe zu spezifischen Änderungen der SICI führt (Bütefisch et al. 2005). Wird z. B. eine schnelle Abduktionsbewegung des Daumens in der Lernaufgabe trainiert, kommt es neben der Aktivierung des Agonisten, dem M. abductor pollicis brevis, gewöhnlich auch zu einer Koaktivierung des M. dorsalis interosseus manus IV, d. h. der letztere Muskel übernimmt eine synergistische Funktion im Kontext dieser nichtselektiven Bewegung (. Abb. 52.2a). Entsprechend kommt es nach einem wiederholten Durchführen dieser Bewegung zu einer Abnahme der intrakortikalen Hemmung (gemessen mit der SICI) im M. dorsalis interosseus manus IV (. Abb. 52.2b). Wird dagegen die Koaktivierung des M. dorsalis interosseus manus IV gezielt durch EMG-Feedback während des Trainings verhindert, ändert sich die Funktion dieses Muskels von der eines Synergisten zu der eines an der Bewegung nicht beteiligten Muskels. Diese »Rollenänderung« des M. dorsalis interosseus manus IV spiegelt sich in einer relativen Zunahme der SICI im M. dorsalis interosseus manus IV nach wiederholter Durchführung der durch EMG-Feedback kontrollierten, selektiven Bewegungen wider (. Abb. 52.2b).

527

52.3

Neuropharmakologische Beeinﬂussung des motorischen Lernens

Die der übungsbedingten Plastizität zugrunde liegenden Mechanismen können durch neuropharmakologische Manipulationen beeinflusst werden. Hierzu wurde das im 7 Abschn. 52.2.1 beschriebene Lernparadigma verwendet (Classen et al. 1998) und das übungsbedingte Lernen mit der gleichzeitigen Gabe von Pharmaka, die synaptische Plastizität blockieren können, kombiniert. Entsprechend konnte gezeigt werden, dass Dextromethorphan, ein NMDA-Rezeptor-Antagonist, und Lorazepam, ein GABAA-Rezeptor-Agonist, die Reorganisation der Daumenrepräsentation deutlich verminderten (. Abb. 52.3). Dagegen wurde die Reorganisation der Daumenrepräsentation durch Lamotrigen, eine Substanz, die das Gating von spannungsaktivierten Natrium- und Kalzium-Kanälen modifiziert ohne die Induktion von LTP zu beeinflussen, nicht vermindert (. Abb. 52.3). Damit konnte die Aktivierung von NMDA-Rezeptoren und die GABAerge Inhibition als Mechanismen identifiziert werden, die an der übungsbedingten Plastizität im intakten Menschen beteiligt sind. Darüber hinaus weisen die Ergeb-

528

41

Kapitel 52 · Übungsabhängiges motorisches Lernen

a

b

c

d

42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a–d. Einﬂuss der Pharmaka auf die transkraniell evozierten Daumenbewegungen im Zielbereich der Lernenaufgabe. Die Kreishistogramme zeigen den Eﬀekt der Pharmaka auf die Richtungsverteilung der TMS-evozierten Daumenbewegungen in einem repräsentativen Probanden vor dem Training (Ausgangsmessung, weiße Fläche) und nach dem Training (graue Fläche). Die Häuﬁgkeiten sind auf der gleichen Größenskalierung aufgetragen. Die Bewegungsrichtungen wurden in Winkelgradbereichen von 10° gruppiert. Die mittlere Trainingsrichtung (gestrichelter Pfeil) und der Trainingszielbereich ist für alle Bedingungen gleich und ist in dem Diagramm für die Kontrollbedingung aufgetragen. a Kontrollbedingung ohne pharmakologische Neuromodulation. Im Vergleich zur Ausgangsmessung kam es zu einem si-

gniﬁkanten Zuwachs von TMS-evozierten Bewegungen im Trainingszielbereich nach dem Training. b Lerneﬀekt unter Lamotrigen. Die Gabe von Lamotrigen (LTG) hatte keinen Einﬂuss auf die Eﬃzienz des Lernens und führte zu einem der Kontrollbedingung vergleichbaren Lerneﬀekt. c Lerneﬀekt unter Lorazepam. d Lerneﬀekt unter Dextromethorphan. Der in der Kontrollbedingung zu beobachtende Zuwachs von TMS-induzierten Bewegungen im Trainingszielbereich wurde durch Lorazepam (LZ) und Dextromethorphan (DM) blockiert. Das Blockdiagramm in der Bildmitte zeigt die Gruppenergebnisse von 5 Probanden. TTZ »training target zone« (Trainingszielbereich) deﬁniert als der Bereich von ±20° um die mittlere Trainingsrichtung (. Abb. 52.1); *p<0,025. (Mod. nach Büteﬁsch et al. 2000)

529

52.4 Ausblick

nisse eine Ähnlichkeit mit den im Tierexperiment nachgewiesenen Mechanismen auf, die der Induktion von LTP zugrunde liegen (Bütefisch et al. 2000).

52.4

Ausblick

Die mit der TMS gewonnenen Einblicke in motorische Lernprozesse zeigen eindrucksvoll, dass motorisches Lernen zu einer vermehrten Erregbarkeit in den kortikalen motorischen Repräsentationsarealen führt, die an der erlernten Bewegung beteiligt sind. Diese Veränderungen können mit einem Herunterregulieren der Erregbarkeit angrenzender, nicht an der erlernten Bewegung beteiligten Muskeln einhergehen. Die Mechanismen, die dieser Modulation von Erregbarkeit zu Grunde liegen, sind nur unvollständig bekannt. Die Abnahme von GABAerger Hemmung und die Verbesserung von synaptischer Effektivität scheinen hier eine wichtige Rolle zu spielen. Eine Verbindung zwischen derartigen funktionalen Veränderungen und morphologischen Veränderungen konnte

52

im Tierexperiment gezeigt werden (7 Exkurs »Tierex perimentelle Untersuchungen zum übungsbedingten Lernen«). Es ist absehbar, dass die derzeit etablierten Untersuchungsmethoden in den nächsten Jahren weiterentwickelt und verfeinert werden. Eine rezente Arbeit setzte als statistisches Verfahren eine Komponentenanalyse (engl. principal component analysis, PCA) ein, um die durch die TMS-induzierten Erregbarkeitsmuster kortikospinaler Projektionen zur Hand besser zu charakterisieren (Gentner u. Classen 2006). Diese Analyseverfahren werden in Kombination mit den bestehenden Lernparadigmen neue Einblicke in die Reorganisationsprozesse während des motorischen Lernens eröffnen. In den meisten Untersuchungen standen bislang gesunde Kontrollpersonen im Mittelpunkt. Vergleichende TMS-Untersuchungen des übungsbedingten motorischen Lernens an gesunden Personen und Patienten mit motorischer Dysfunktion werden klären helfen, abnorme motorische Lernprozesse und deren neurophysiologischen Grundlagen aufzudecken.

Exkurs

Tierexperimentelle Untersuchungen zum übungsbedingten Lernen Die wahrscheinlich wichtigsten neuralen Mechanismen, welche den Veränderungen kortikaler motorischer Repräsentationen zugrunde liegen, umfassen zum einen die Demaskierung latenter horizontaler Verbindungen und zum anderen die Modiﬁkation von synaptischer Eﬀektivität durch LTP oder LTD. Beide Mechanismen beruhen auf dem Konzept, dass im primären motorischen Kortex multiple, überlappende Bewegungsrepräsentationen vorhanden sind, die innig durch ein ausgedehntes, horizontal verlaufendes interneuronales Netzwerk verbunden sind. Dabei sind die Verbindungen innerhalb einer somatischen Repräsentation reichlich, während die Verbindung zu benachbarten somatischen Repräsentationen (z. B. zwischen der Hand-Arm-Repräsentation und der Hals-Kopf-Repräsentation) im primären motorischen Kortex nur spärlich ausgebildet sind (Huntley u. Jones 1991). Elektrophysiologische Studien haben gezeigt, dass diese horizontalen Verbindungen exzitatorische glutamaterge Eigenschaften besitzen. Neben Verbindungen zwischen Pyramidenzellen bestehen auch synaptische Verbindungen zu inhibitorischen GABAergen Interneuronen. Diese GABAergen

Neurone spielen eine wichtige regulierende Rolle. Wird die intrakortikale GABAerge Inhibition durch den GABA-Antagonisten Bicuculline blockiert, dehnen sich die funktionellen Repräsentationen im primären motorischen Kortex aus. So können nun Muskelantworten in der Vorderpfote der Ratte durch Stimulation eines Areals ausgelöst werden, das vor der Applikation von Bicuculline ausschließlich in den Tasthaarmuskeln Antworten ausgelöst hat (Jacobs u. Donoghue 1991). Das bedeutet, dass es durch Veränderungen der GABAergen intrakortiaklen Inhibition zu Veränderungen in der Stärke der funktionellen Kopplung zwischen Pyramidenzellen kommt, woraus eine veränderte kortikale motorische Repräsentation resultieren kann. Dies wird in diesem Zusammenhang als Plastizität durch Demaskierung von bestehenden horizontalen Verbindungen verstanden. Die plastischen Veränderungen konnten nur in somatotopen Arealen gezeigt werden, die reichhaltig über horizontale Verbindungen verknüpft waren (Huntley 1997). Zusammenfassend konnte mit diesen Experimenten gezeigt werden, dass der motorische Kortex über ein für plastische Veränderungen notwendige

6

530

41 42 43 44 45 46 47 48 49

Kapitel 52 · Übungsabhängiges motorisches Lernen

intrinsische neuronale Netzwerk verfügt und die resultierende kortikale Bewegungsrepräsentation wahrscheinlich vom Gleichgewicht exzitatorischer und inhibitorischer Einﬂüsse innerhalb dieses Netzwerkes abhängen. Länger anhaltene Änderungen in den horizontalen Verbindungen werden wahrscheinlich durch die Modiﬁkation von synaptischer Eﬀektivität erreicht und werden vor allem für motorische Lernprozesse im primären motorischen Kortex diskutiert (Übersicht in Sanes u. Donoghue 2000). Ein wichtiger Mechanismus stellt hier die aktivitätsabhängige plastische Veränderung von synaptischer Eﬀektivität wie LTP oder LTD dar (Übersicht in Donoghue et al. 1996). LTP wurde erstmals von Bliss und Lomo im Hippocampus beschrieben (Bliss u. Gardner-Medwin 1973). Intrazellulären Ableitungen aus dem motorischen Kortex der intakten Katze konnten die Existenz einer assoziativen synaptischen Plastizität (Hebb 1949) im motorischen Kortex belegen (Baranyi u. Feher 1981). Darüberhinaus konnte gezeigt werden, dass tatsächlich in den intrinsischen horizontalen glutamatergen Verbindungen des primären motorischen Kortex LTP

(Hess et al. 1996) und LTD (Hess u. Donoghue 1996) induziert werden konnte. Für beide Prozesse spielt der in den horizontalen Verbindungen vorkommende Neurotransmitter GABA eine überragende Rolle, der als wichtigster hemmender Neurotransmitter innerhalb des horizontalen Netzwerkes modulierend auf diese plastischen Prozesse wirkt. So kann die Induktion von LTP durch eine Verminderung der GABAergen Hemmung erleichtert werden, während eine Vermehrung von GABAerger Hemmung zu der Blockierung von LTP führt. Die Aktivierung des NMDA-Rezeptors ist für die Induktion von LTP im motorischen Kortex erforderlich. Der direkte tierexperimentelle Nachweis des Zusammenhangs zwischen der Induktion von LTP im motorischen Kortex und verändertem Verhalten im intakten sensomotorischen System gelang 1998 (Rema et al. 1998; Rioult-Pedotti et al. 1998). In der zuletzt genannten Arbeit konnte erstmals im intakten sensomotorischen System der Ratte nachgewiesen werden, dass die Aktivierung von NMDA-Rezeptoren für die übungsbedingte Änderung eines Verhaltens notwendig ist.

50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Literatur 1Baranyi A, Feher O (1981) Synaptic facilitation requires paired activation of convergent pathways in the neocortex. Nature 290: 413–415 Nachweis des Hebb-Prinzips synaptischer Plastizität im Neocortex. 1Bliss TV, Gardner-Medwin AR (1973) Long-lasting potentiation of synaptic transmission in the dentate area of the unanaestetized rabbit following stimulation of the perforant path. J Physiol 232: 357–574 Beschreibung von LTP. 1Büteﬁsch CM, Davis BC et al. (2000) Mechanisms of usedependent plasticity in the human motor cortex. Proc Nat Acad Sci USA 97: 3661–3665 Erstmaliger Nachweis der Beteiligung eines LTP-ähnlichem Mechanismus bei der übungsbedingten Plastizität im humanen motorischen Kortex. Büteﬁsch CM, Boroojerdi B et al. (2005) Task-dependent intracortical inhibition is impaired in focal hand dystonia. Mov Disord 20: 545–551 Classen J, Liepert J, Wise SP et al. (1998) Rapid plasticity of human cortical movement representation induced by practice. J Neurophysiol 79: 1117–1123 Gentner R, Classen J (2006) Modular organization of ﬁnger movements by the human central nervous system. Neuron 52: 731–742 1Donoghue JP, Hess G et al. (1996) Substrates and mechanisms for learning in motor cortex. In: JR Bloedel, TJ Ebner,

SP Wise (eds) Acquisition and mechanisms for learning in motor cortex. Cambridge, MA, MIT Press, pp 363–386 Exzellenter Aufsatz über die anatomischen und neurophysiologischen Beschaﬀenheiten des primären motorischen Kortex hinsichtlich seiner Rolle beim motorischen Lernen. 1Hebb DO (1949) The organization of behavior. A neuropsychological theory. John Wiley & Sons Inc, New York Erstmalige Beschreibung des Hebb-Prinzips synaptischer Plastizität basierend auf theoretischen Überlegungen. Hess G, Donoghue JP (1996) Long-term depression of horizontal connections in rat motor cortex. Eur J Neurosci 8: 658– 665 1Hess G, Aizenman CD et al. (1996) Conditions for the induction of long-term potentiation in layer II/III horizontal connections of the rat motor cortex. J Neurophysiol 75: 1765–1778 Erstmalige Beschreibung von LTP im motorischen Kortex. Huntley GW (1997) Correlation between patterns of horizontal connectivity and the extend of short-term representational plasticity in rat motor cortex. Cereb Cortex 7: 143–156 Huntley GW, Jones EG (1991) Relationship of intrinsic connections to forelimb movement representations in monkey motor cortex: a correlative anatomic and physiological study. J Neurophysiol 66: 390–413 Jacobs KM, Donoghue JP (1991) Reshaping the cortical motor map by unmasking latent intracortical connections. Science 251: 944–947 Müllbacher W, Ziemann U et al. (2001) Role of the human motor cortex in rapid motor learning. Exp Brain Res 136: 431– 438

Literatur

Müllbacher W, Ziemann U et al. (2002) Early consolidation in human primary motor cortex. Nature 415: 640–644 Nudo RJ, Milliken GW et al. (1996) Use-dependent alterations of movement representations in primary motor cortex of adult squirrel monkeys. J Neurosci 16: 785–807 Pascual-Leone A, Grafman J et al. (1994) Modulation of cortical motor output maps during development of implicit and explicit knowledge. Science 263: 1287–1289 Rema V, Armstrong-James M et al. (1998) Experience-dependent plasticity of adult rat S1 cortex requires local NMDA receptor activation. J Neurosci 18: 10196–10206 Rioult-Pedotti MS, Friedman D et al. (1998) Strengthening of horizontal cortical connections following skill learning. Nat Neurosci 1: 230–234 1Rioult-Pedotti MS, Friedman D et al. (2000) Learning-induced LTP in neocortex. Science 290: 533–536 Erstmaliger In-vivo-Nachweis von LTP im motorischen Kortex, die durch motorisches Lernen verursacht wurde. 1Sanes JN, Donoghue JP (2000) Plasticity and primary motor cortex. Annu Rev Neurosci 23: 393–415 Exzellente Übersichtsarbeit zur Plastizität im motorischen Kortex.

531

52

533

53

Transkranielle Gleichstromstimulation Michael A. Nitsche, Walter Paulus

53.1

Technische Grundlagen

– 534

53.2

Praktische Durchführung

53.3

Neurobiologischer Wirkungsmechanismus – 537

53.4

Auswirkungen auf motorische und visuelle Hirnfunktionen – 539

– 536

53.5

Klinische Effekte – 540

53.6

Ausblick – 540

Literatur

– 541

ZUM THEMA Die transkranielle Gleichstromstimulation (engl. transcranial direct current stimulation, tDCS) ist ein nichtinvasives Verfahren zur unterschwelligen, tonischen Elektrostimulation des menschlichen Gehirns. Mittels eines Gleichstroms, der kontinuierlich über einige Minuten appliziert wird, werden Veränderungen der regionalen kortikalen Erregbarkeit und neuronalen Aktivität erzeugt, die in Abhängigkeit von der Dauer und der Polarität der tDCS für Minuten bis Stunden nach Beendigung der Stimulation anhalten können. Während die neuronalen Eﬀekte während der Verabreichung der tDCS in einer Verschiebung des Membranpotenzials kortikaler Neuronenpopulationen bestehen und hierdurch zu einer Veränderung der regionalen

neuronalen Aktivität führen, scheinen die anhaltenden Eﬀekte über eine Veränderung der Eﬃzienz synaptischer Übertragung vermittelt zu werden. Die durch die tDCS hervorgerufenen Veränderungen des regionalen neuronalen Erregbarkeits- und Aktivitätsniveaus können bei gesunden Probanden genutzt werden, um bestimmte Hirnfunktionen wie die visuelle Reizverarbeitung oder Lernprozesse über den Zeitpunkt der tDCS hinaus zu beinﬂussen. Erste klinische Pilotstudien an Patienten lassen an einen klinischen Einsatz der tDCS denken. So führte die tDCS bei einer kleinen Gruppe von Patienten nach motorischem Schlaganfall zu einer kurzfristigen Besserung der motorischen Dysfunktion.

534

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 53 · Transkranielle Gleichstromstimulation

Exkurs

Tierexperimentelle Studien zur transkortikalen Gleichstromstimulation Die grundlegenden tierexperimentellen Arbeiten zur kortikalen Gleichstromstimulation wurden in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt (Bindman et al.1964; Purpura u. McMurtry 1965). Hierbei wurde am freipräparierten Kortex der anästesierten Ratte oder der Katze ein Gleichstrom zwischen einer an der Kortexoberﬂäche angebrachten Elektrode und einer »indiﬀerenten« Elektrode, z. B. an der Rindenmarkgrenze, im Bereich des Gesichtsschädels oder an einer anderen Stelle des Körpers des Tieres angelegt. Mit intrakortikalen Elektroden wurde die Auswirkungen des Gleichstroms auf das spontane Entladungsverhalten der kortikalen Neurone sowie auf die durch aﬀerente sensorische Stimulation induzierten kortikalen Feldpotenziale untersucht. In Abhängigkeit von der Stromrichtung führte der Gleichstrom zu einer Verschiebung des neuronalen Ruhemembranpotenzials (Purpura u. McMurtry 1965). Während der anodalen (oberﬂächenpositiven) Gleichstromstimulation führte die unterschwellige Depolarisierung neuronaler Membranen zu einer Aktivitäts- und Erregbarkeitssteigerung kortikaler Neurone. Die kathodale (oberﬂächennegative) Stimulation hingegen bewirkte über eine Hyperpolarisierung der Membranen entgegengesetzte Eﬀekte, also eine Abnahme der Spontanaktivität sowie der neuronalen Erregbarkeit (Bindman et al. 1964). Wurde der Gleichstrom für weniger als 5 min appliziert, bildeten sich die während der Gleichstromstimulation nachweis-

53.1

Technische Grundlagen

Bei der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) wird über an der Kopfhaut angebrachte Elektroden ein kontinuierlicher Gleichstrom verabreicht. Im Gegensatz zu den in der Exkursbox vorgestellten tierexperimentellen Arbeiten zur transkortikalen Gleichstromstimulation ist die transkranielle Gleichstromgabe nichtinvasiv. Da die Elektroden auf der Kopfhaut nicht direkt an der Hirnrinde anliegen, kommt es zu einer Abschwächung der intrakraniell erzielten Stromdichte. Hierbei beträgt die wirksame transkortikale Stromdichte etwa 50 der verabreichten transkraniellen Stromdichte (Rush u. Driscoll 1968). Eine Modellierung der durch die bipolare tDCS beim Menschen induzierten intrakortikalen Stromdichten zeigte, dass eine tDCS mit definierter Stromstärke (2 mA) und Verwendung von Schwammelek-

baren Eﬀekte rasch zurück. Bei längerer Polarisierung hielten die Eﬀekte der Gleichstromstimulation auf die neuronale Aktivität und Erregbarkeit dagegen bis zu einigen Stunden nach Beendigung der Stimulation an (. Abb. 53.1). Es wurde postuliert, dass diese anhaltenden Eﬀekte nicht direkt durch die Verschiebung des neuronalen Membranpotenzials, sondern indirekt durch die Steigerung oder Hemmung der neuronalen Aktivität während der Gleichstromgabe induziert werden (Gartside 1968). Die langfristige Erregbarkeitssteigerung nach anodaler Stimulation könnte also Ausdruck einer gesteigerten synaptischen Eﬃzienz der Langzeitpotenzierung (engl. long-term potentiation, LTP) sein. Hierfür spricht, dass eine länger andauernde anodale Gleichstromstimulation intrazelluläre biochemische Veränderungen bewirkt, die für die LTP charakteristisch sind, z. B. eine durch Noradrenalin ausgelöste intrazelluläre Anreicherung von cAMP und Kalzium (Hattori et al. 1990; Islam et al. 1995). Über den zellulären Mechanismus, mit dem durch andauernde kathodale Stimulation lang anhaltende Verminderungen der kortikalen Spontanaktivität und Erregbarkeit erzeugt werden (Bindman et al. 1964), liegen bisher keine tierexperimentellen Erkenntnisse vor. Es wird jedoch analog zur anodalen Stimulation eine durch die Polarisierung induzierte Langzeitdepression synaptischer Eﬃzienz (engl. long-term depression, LTD) angenommen.

troden (25 cm) kortikal eine Stromdichte in der Größenordnung von 0,1 µA/mm induziert (Miranda et al. 2006), was deutlich unter den induzierten Stromdichten am frei präparierten Kortex im Tierexperiment liegt. Das erzeugte elektrische Feld unter der Stimulationselektrode ist dieser Simulationsstudie nach homogen und die Feldstärke nimmt exponentiell mit der Distanz zur Elektrode ab. Dieses Modell berücksichtigte allerdings nicht die regionalen Inhomogenitäten in der Leitfähigkeit der Schädelkalotte und des Hirngewebes (Miranda et al. 2006; Rush u. Driscoll 1968). Im Bereich von Fissuren und Foramina kann es zu inhomogenen, fokal vergrößerten Feldstärken kommen. In diesen Bereichen ist deshalb tDCS zu vermeiden. Des Weiteren ist bisher unzureichend geprüft, wie sich die Feldstärke intrazerebral bei Gewebsübergängen, z. B. zwischen Liquor und Hirnrinde, verhält.

53.1 Technische Grundlagen

535

53

a

b

. Abb. .a,b. Anhaltende Eﬀekte der kortikalen Gleichstromstimulation im primären sensorischen Kortex der anästhesierten Ratte: a Die kontinuierliche Aufzeichnung von spontanen Aktionspotenzialen zeigt eine Zunahme der neuronalen Spontanaktivität nach zweimaliger anodaler (oberﬂächenpositiver) Gleichstromstimulation im Vergleich zur Spontanaktivität vor Stimulation. Nach Ende der Stimulation hal-

ten die Nacheﬀekte für mehrere Stunden an. b Eine kathodale (oberﬂächennegative) Gleichstromgabe über mehr als 10 min führt zu einer mehrstündigen Hemmung der neuronalen Spontanaktivität. Die Zeitabschnitte, in denen der transkortikale Gleichstrom verabreicht wurde, sind als Balken markiert. (Mod. nach Bindman et al. 1964)

Der transkortikale Gleichstrom, welcher durch an den Hautelektroden anliegenden Gleichspannung induziert wird, führt zu einer unterschwelligen »tonischen« Auslenkung des Ruhemembranpotenzials kortikaler Neurone, in dessen Folge indirekt die Häufigkeit spontaner Aktionspotenziale steigt. Der primäre Funktionsmechanismus der transkraniellen Gleichstromstimulation unterscheidet sich somit grundlegend von der transkraniellen magnetischen Kortexstimulation (TMS) (7 Kap. 3), welche eine überschwellige elektrische Stimulation kortikaler Neuronenverbände bewirkt und so direkt Aktionspotenziale auslöst. Die Stärke, Dauer und Richtung der durch die tDCS hervorgerufenen Erregbarkeitsveränderungen hängen von der Stromdichte, der Stromflussrichtung und der Stimulationsdauer ab. Die Stromdichte (Stromstärke/Elektrodenfläche) bestimmt, wie stark das Ruhemembranpotenzial durch die tDCS ausgelenkt wird (Nitsche u. Paulus 2000). Je stärker die erzielte De- oder Hyperpolarisierung ist, desto stärker sind wiederum die Effekte auf die kortikale Spontanaktivität und Erregbarkeit. Für die depolarisierende Stimulation gilt dies allerdings nicht unbegrenzt, da hier eine übermäßige Depolarisierung die Repolarisierung verhindert, welche sich an ein Aktionspoten-

zial anschließt und somit einen Depolarisationsblock auslösen würde. Darüber hinaus reagieren die einzelnen kortikalen Neuronenpopulationen unterschiedlich empfindlich auf identische Stromdichten: Stromdichten, die bei kortikalen Interneuronen schon eine Veränderung der Spontanentladungsrate bewirken, lösen keine Effekte bei Pyramidenzellen aus (Purpura u. McMurtry 1965). Schließlich determiniert die Stromdichte die Stärke des elektrischen Feldes in einer gegebenen Kortextiefe, so dass mit einer größeren Stromdichte tiefer gelegene Neuronenpopulationen erreicht werden. Die Stromﬂussrichtung relativ zur präferenziellen Ausrichtung des Neurons ist ebenfalls entscheidend für die Effektivität der tDCS. So führt ein Stromfluss quer zur Ausrichtung des Neurons nur in einem umschriebenen Bereich der Membranfläche des Neurons zu einer Polarisierung, wobei sich die Effekte der Polarisierung am benachbarten Ein- und Austrittsort des Stroms gegenseitig aufheben. Ein Stromfluss in Längsrichtung eines Neurons erzeugt hingegen jeweils eine Potenzialverschiebung entlang der Längsachse des Neurons. Da Eintritts- und Austrittsort des Stroms weit voneinander entfernt sind, kann so die neuronale Erregbarkeit effektiv moduliert wer-

536

41

Kapitel 53 · Transkranielle Gleichstromstimulation

a

42 43 44 45

b

46 47 48 49 50 51 52 53

. Abb. .a,b. Auswirkungen einer kontinuierlichen Gleichstromstimulation (1 mA) auf die mittels TMS erhobenen MEP-Amplituden. In dieser Untersuchung folgte auf eine Ausgangsmessung eine mehrminütige Gleichstromstimulation, wobei entweder die Anode (a) oder die Kathode (b) über dem primären motorischen Handareal platziert wurde. Im Anschluss an die Gleichstromstimulation wurden für eine Stunde alle 5 min die MEP-Amplituden gemessen, danach wurde die Messung halbstündlich fortgeführt. Aufgetragen sind die mittleren MEP-Amplituden gegen die Zeitpunkte der Messungen. Die mittleren MEP-Amplitduen sind als Quotient der

mittleren MEP-Amplitude vor Beginn der Gleichstromstimulation angegeben. Die gefüllten Symbole markieren Messzeitpunkte, welche signiﬁkant vom Ausgangswert abweichen (Fishers PLSD, p<0,05). Eine 5- oder 7 minütige Stimulation führte jeweils zu kurz anhaltenden Nacheﬀekten, wohingegen ein längere Stimulation zu stabilen Veränderungen der MEP-Amplituden führte, die für 1 h nach Ende der tDCS anhielten. (Aus Nitsche u. Paulus 2001; Nitsche et al. 2003a; mit freundlicher Genehmignung durch Neurology und Clin Neurophysiol)

den. Hierbei sind im Bereich des Somas und des Axons erheblich geringere Stimulationsintensitäten notwendig, um die neuronale Erregbarkeit zu verändern als im Dendritenbaum. In Analogie zu den transkortikalen Tierexperimenten (7 Exkurs «Tierexperimentelle Studien zur transkortikalen Gleichstromstimulation«) bestimmt die Dauer der tDCS, ob und für wie lange die tDCS anhaltende Veränderungen der kortikalen Erregbarkeit induziert (. Abb. 53.2). Eine tDCS für wenige Sekunden hat keine über das Ende der Stimulation hinausgehenden Effekte auf die kortikale Erregbarkeit. Dagegen kann eine tDCS-Sitzung über mehrere Minuten die kortikale Erregbarkeit über eine Stunde nach Stimulationsende modulieren (Nitsche u. Paulus 2000, 2001; Nitsche et al. 2003b).

53.2

54 55 56 57 58 59 60

Praktische Durchführung

Die Durchführung der tDCS ist einfach. Es werden zwei in der Regel großflächige Elektroden auf der Kopfhaut befestigt, über die der Gleichstrom verabreicht wird. Im Hinblick auf die verwendeten Elektroden ist es wichtig, dass diese nicht polarisierbar sind, um eine konstante Funktion zu gewährleisten und durch Elektrolyse bedingte Hautirritationen zu vermeiden. Bewährt haben sich plattenförmige Elektroden aus leitendem Gummi, aber auch metallische Plättchenelektroden können verwendet werden, die allerdings leichter polarisieren. Der Kontakt mit der Kopfhaut wird über mit Wasser befeuchtete synthetische Schwämme oder Elektrodencreme gewährleistet. Die Kopfhaut unter den Elektroden ist vor der Platzierung der Elektroden gründlich zu entfetten und leicht

537

53.3 Neurobiologischer Wirkungsmechanismus

aufzurauhen, um den Hautwiderstand so gering wie möglich zu halten. Die Elektroden werden dann mit dem Gleichstromstimulator verbunden, der im eingeschalteten Zustand eine konstante Stromstärke liefert. Die in gegenwärtigen Protokollen verwendete Elektrodengrößen betragen meist 25–35 cm, die verwendete Stromstärke 1–2 mA, resultierend in einer Stromdichte zwischen 0,03 und 0,08 mA/cm. Diese Stimulation kann nach dem derzeitigen Kenntnisstand als sicher gelten, wenn eine Stimulationsdauer von etwa 15–20 min nicht wesentlich überschritten wird (Iyer et al. 2005; Nitsche u. Paulus 2001; Nitsche et al. 2003b). Während der tDCS bemerken die Probanden allenfalls ein leichtes Jucken unter den Elektroden, insbesondere beim Ein- und Abschalten des Stimulators. Bei schlechtem Elektrodenkontakt können stärkere Missempfindungen aufgrund höheren lokalen Stromflusses resultieren, weshalb die Kontrolle des Hautwiderstandes während der Stimulation zu empfehlen ist. Um Missempfindungen zu vermeiden, die durch einen abrupten Beginn oder ein abruptes Ende der Stimulation entstehen können, wird die Stromstärke zu Beginn der tDCS über wenige Sekunden rampenförmig erhöht und am Ende der Stimulation rampenförmig herunterreguliert. Die eine Stimulationselektrode wird direkt über dem zu stimulierenden Areal, die andere Elektrode an einem anderen Ort ebenfalls über der Kopfhaut befestigt. Hierbei ist zu beachten, dass die tDCS sowohl am Ein- als auch am Austrittsort des Stroms effektiv ist und jeweils an einer Elektrode einen »anodalen« und an der anderen Elektrode einen »kathodalen« Effekt entfaltet. Weiterhin bestimmt die relative Position der Elektroden zueinander den Stromfuß im Gehirn (Miranda et al. 2006). Somit ist eine optimale Positionierung der beiden Elektroden wesentlich für die Effizienz der tDCS. Für die tDCS des motorischen und des visuellen Kortex liegen hierzu systematische Untersuchungen vor. Zur Stimulation des primärmotorischen Handareals hat sich eine Elektrodenanordnung bewährt, bei der eine Elektrode präzentral über dem primären motorischen Kortex und die andere Elektrode kontralateral über der Augenbraue befestigt wird. Die genaue Platzierung über dem primären motorischen Kortex, z. B. über dem Handareal, kann mit der TMS optimiert werden. Zunächst wird mit der TMS der opimale Stimulationsort für einen kontralateralen Handmuskel bestimmt (engl. »motor hot spot«), danach wird die Elektrode über dem »hot spot« zentriert. Zur tDCS des visuellen Kortex wird eine Elektrode okzipital über der Elektrodenposition Oz nach dem 10–

53

20-System) und die andere über dem Vertex (entsprechend der Elektrodenposition Cz nach dem 10– 20-System) platziert (. Abb. 53.3). Darüber hinaus werden in einer stetig wachsenden Anzahl von Untersuchungen Elektrodenmontagen zur effektiven tDCS weiterer Kortexareale beschrieben. Es bleibt festzuhalten, dass die optimale Elektrodenanordnung und Elektrodengröße aktuell noch kontrovers diskutiert werden. So wurden z. B. in früheren Studien Referenzelektroden außerhalb des Kopfbereiches plaziert (Lippold u. Redfearn 1964). Diese hätten zwar den Vorteil einer dann monopolaren Stimulation, könnten aber möglicherweise zu einer relevanten Hirnstammstimulation mit einer den Probanden gefährdenden Stimulation autonomer Zentren führen. In einer frühen Studie, in der aufgrund der spezifischen Elektrodenanordnung vermutlich eine Hirnstammstimulation durchgeführt wurde, wird eine durch tDCS ausgelöste Apnoe (Atemstillstand) beschrieben (Lippold u. Redfearn 1964; Nitsche et al. 2003a). Ebenfalls werden von einigen Gruppen kleinere Elektrodengrößen verbunden mit stärkerer Stromdichte der Stimulation verwendet, die sich als funktionell effektiv erwiesen haben (Marshall et al. 2004, 2006). Über die physiologischen Grundlagen der hier erzielten Effekte ist allerdings noch wenig bekannt. Ein wesentlicher Vorteil der tDCS ist die Möglichkeit einer effektiven Placebostimulation. Hierbei wird die Stromstärke zunächst über einige Sekunden rampenförmig bis zum Zielwert erhöht und kurz danach wieder abgeschaltet. Bei diesem Vorgehen sind Verum- und Placebostimulation von den Probanden nicht zu unterscheiden, aber nur die Verumstimulation entfaltet einen biologisch signifikanten Stimulationseffekt.

53.3

Neurobiologischer Wirkungsmechanismus

Während der tDCS wird in Neuronenpopulationen des stimulierten Kortexareal das Ruhemembranpotenzial verschoben, ohne dass direkt ein Aktionspotenzial ausgelöst wird. Diese tonische Verschiebung des Membranpotenzials moduliert jedoch die Erregbarkeit der kortikalen Neurone und beeinflusst hierdurch indirekt deren Spontanaktivität. Wird die tDCS lang genug verabreicht, so halten die während der tDCS bestehenden Verschiebungen im regionalen neuronalen Erregbarkeits- und Aktivitätsniveau über den Zeitpunkt der Stimulation hinaus an. Tierexperimentelle Untersuchungen zu den physiologischen Mechanismen, welche die anhaltenden Erregbarkeits-

538

41

Kapitel 53 · Transkranielle Gleichstromstimulation

a

c

b

d

42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a–d. Schema der Elektrodenpositionen für tDCS des primären motorischen (a), primären visuellen (b) und des dorsolateralen präfrontalen (c) Kortex sowie schematische Darstellung der wesentlichen Komponenten eines Gleichstromstimulators (d). In den Abbildungen a–c ist jeweils die anodale Stimulation des jeweiligen Kortex (kontinuierlich umrandete Elektrode) dargestellt. Beachte, dass die Referenzelektrode (Kathode, punktierte Umrandung) jeweils ebenfalls auf dem Kopf angebracht ist und funktionell eﬀektiv ist. Die Elektrodenpositionierung entspricht dem internationalen 10– 20-System für die Positionierung von EEG-Elektroden. Unter den jeweiligen Referenzpunkten liegen die entsprechenden Rindenareale. Als Stimulationselektroden werden gewöhnlich Gummielektroden, die in einen feuchten Schwamm eingebettet sind, verwendet. Diese werden über die entsprechenden Elektrodenbuchsen mit einem batteriebetriebenen,

konstante Stromstärke liefernden Gleichstromstimulator (d) verbunden. Bei diesem sollten sich die Stromstärke, die Stimulationsdauer und die Dauer der »Rampe« manuell einstellen lassen. Die Dauer der »Rampe« (engl. ramping) entspricht dem Zeitintervall, während dessen zu Beginn der Stimulation die Stromstärke linear ansteigend (rampenförmig) der Zielintensität angenähert wird und zum Ende der tDCS die Stromstärke linear abfallend herunterreguliert wird. Während der tDCS können die Konstanz der Stromstärke und die Spannung fortlaufend kontrolliert werden. Dies ermöglicht die Überwachung einer regulären tDCS. Leuchtdioden informieren darüber, ob gegenwärtig eine Stimulation stattﬁndet, ob eine zu hohe Spannung als Zeichen eines schlechten Elektrodenkontaktes vorliegt und signalisieren gegebenenfalls einen unzureichenden Ladungszustand der Batterien des Stimulators

und Aktivitätsveränderungen anstoßen, werden in der 7 Exkursbox »Tierexperimentelle Studien zur transkortikalen Gleichstromstimulation« behandelt. Humanphysiologische Studien zum Funktionsmechanismus der tDCS wurden im Wesentlichen am primären motorischen Kortex durchgeführt, da sich hier mit der Einzel- und Doppelreiz-TMS die durch die tDCS bewirkten Erregbarkeitsänderungen über eine Aufzeichnung der motorischen evozierten Potenziale (MEP) vor und nach einer tDCS einfach nachweisen lassen (7 Kap. 5). So konnte in den letzten Jahren gezeigt werden, dass die tDCS des primären motorischen Handareals in Abhängigkeit von der

gewählten Stromrichtung eine anhaltende, bidirektionale Veränderung der kortikomotorischen Erregbarkeit hervorrufen kann. Hierzu wurden vor und nach anodaler oder kathodaler tDCS mit einer überschwelligen transkraniellen Einzelreizstimulation in der kontralateralen Hand motorische Antworten ausgelöst und die MEP mittels Oberflächen-EMG abgeleitet. In Analogie zu den tierexperimentellen Befunden (7 Exkurs »Tierexperimentelle Studien zur transkortikalen Gleichstromstimulation«) zeigte sich, dass eine anodale tDCS die MEP-Amplituden erhöhte, während eine kathodale tDCS die MEP-Amplituden reduzierte (Nitsche u. Paulus 2000). Messungen der

53.4 Auswirkungen auf motorische und visuelle Hirnfunktionen

Phosphenschwellen mit der TMS (7 Kap. 19) konnten ähnliche bidirektionale Konditionierungseffekte einer okzipitalen tDCS im visuellen Kortex nachweisen (Antal et al. 2004a). Für den primären motorischen Kortex konnte gezeigt werden, dass zur Erzeugung von akuten Erregbarkeitsveränderungen, welche die Stimulation nicht überdauern, eine tDCS von 4 s gut geeignet ist. Kurzfristig anhaltende Nacheffekte von wenigen Minuten lassen sich mit einer kontinuierlichen 7 min tDCS erzeugen. Eine kontinuierliche anodale Stimulation über 13 min oder kathodale Stimulation für 9 min erzeugen Erregbarkeitsveränderungen, die etwa eine Stunde anhalten (bei einer im Kortex induzierten Stromdichte von schätzungsweise 0,03 mA/cm; Nitsche u. Paulus 2000, 2001, Nitsche et al. 2003b). Somit nimmt die Wirkungsdauer mit der Dauer der kontinuierlichen tDCS zu (. Abb. 53.2). Die Nacheffekte der tDCS auf die kortikale Erregbarkeit hängen auch vom Aktivierungszustand des motorischen Kortex während der Erregbarkeitsmessung mit der TMS ab (Quartarone et al. 2004). Interessanterweise war für die kathodale tDCS eine anhaltende Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit nach der tDCS nicht nur im Ruhezustand vorhanden, sondern auch dann nachweisbar, wenn sich die Probanden eine Bewegung des Zielmuskels vorstellten. Interessanterweise hielt der supprimierende Effekt der kathodalen tDCS auf die MEP-Amplitude während der motorischen Vorstellung (engl. motor imagery) länger an (30 min) als der supprimierende Effekt in Muskelruhe (10 min). Im Gegensatz zur kathodalen tDCS hatte die anodale tDCS keinen anhaltenden Effekt auf die kortikale Erregbarkeit während der motorischen Vorstellung (engl. motor imagery). Eigene neuropharmakologische Untersuchungen (Übersicht in Nitsche et al. 2005a) konnten zeigen, dass eine medikamentöse Blockade spannungsabhängiger Ionenkanäle die durch anodale tDCS erzeugten Erregbarkeitserhöhungen während der tDCS abschwächt oder blockiert. Dagegen beeinflussen die Ionenkanalblocker die durch eine kathodale tDCS erzeugte Erregbarkeitsabnahme nicht. Analog beeinflusst tDCS die Reizintensität-Reizantwort-Beziehung (Rekrutierungskurve) der MEP (7 Kap. 5) während der Stimulation, aber nur unwesentlich die intrakortikale Doppelpulshemmung kurzer Latenz und die intrakortikale Doppelpulsbahnung (7 Kap. 16) (Nitsche et al. 2005b). Dieses Ergebnismuster ist mit einer primären depolarisierenden Wirkung der anodalen tDCS und einer hyperpolarisierenden Wirkung der kathodalen tDCS vereinbar. Die anhaltenden Effekte auf die kortikale Erregbarkeit sind abhängig von einer Veränderung

539

53

der Effizienz von NMDA-Rezeptoren, da eine medikamentöse Blockade der NMDA-Rezeptoren eine anhaltende Verschiebung des Erregbarkeitsniveaus blockiert. Des Weiteren beeinflusst die Polarität der tDCS die Konditionierungseffekte der tDCS auf die intrakortikale Doppelpulsbahnung und -hemmung (7 Kap. 16), die zumindest zum Teil von der intakten Funktion des NMDA-Rezeptors abhängig sind. Da die tierexperimentell nachweisbaren Formen der synaptischen Plastizität, wie die Langzeitpotenzierung (LTP) und der Langzeitdepression (LTD), ebenfalls abhängig von einer intakten Funktion der NMDARezeptoren sind, wird vermutet, dass die Nacheffekte der tDCS zumindest teilweise auf der Induktion von LTP oder LTD basieren. Daneben scheinen Mechanismen nichtsynaptischer Plastizität (z. B. eine dauerhafte Verschiebung des neuronalen Ruhemembranpotenzials) ebenfalls eine Rolle für die Ausbildung nachhaltiger Effekte durch die tDCS zu spielen (Ardolino et al. 2005). Neben ihrer erregbarkeitsmodulierenden Wirkung verändert die tDCS auch die kortikale Spontanaktivität sowohl in tiefer liegenden Rindenarealen, die sich direkt unter dem stimulierten Kortex befinden, als auch in entfernten kortikalen und subkortikalen Hirnregionen. Hierbei bleibt zu klären, inwieweit diese »entfernten« Effekte direkt durch den im Gehirn fließenden Strom selbst oder indirekt über eine Modulation der Aktivität kortikokortikaler oder kortikosubkortikaler neuronaler Verbindungen entsteht (Lang et al. 2005).

53.4

Auswirkungen auf motorische und visuelle Hirnfunktionen

Bereits in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte gezeigt werden, dass die tDCS durch die Modulation des regionalen kortikalen Erregbarkeits- und Aktivitätsniveaus die Funktion des Gehirns messbar beeinflussen kann (Albert 1966; Rosen u. Stamm 1972). In diesem Abschnitt wird an Hand rezenter Arbeiten dargestellt, wie sich die mittels tDCS induzierten Erregbarkeitsveränderungen auf motorische und visuelle Funktionen des menschlichen Gehirns auswirken. Motorische Lernvorgänge gehen mit Erhöhungen der Aktivität beteiligter Areale einher, und die Blockade von NMDA-Rezeptoren beeinträchtigt motorisches Lernen. Eine Modulation der Funktion von NMDA-Rezeptoren und der kortikalen Erregbarkeit, wie sie durch tDCS erzeugt wird, sollte somit geeignet sein, motorisches Lernen beim Menschen zu modulie-

540

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 53 · Transkranielle Gleichstromstimulation

ren. Diese Hypothese wurde mit einer seriellen Reaktionszeitaufgabe an gesunden Probanden überprüft (Nitsche et al. 2003c). Bei dieser Aufgabe antworten die Probanden jeweils auf einen räumlichen visuellen Stimulus mit einer räumlich kompatiblen Fingerbewegung. Die visuellen Stimuli werden in regelmäßigen Abständen dargeboten und enthalten eine regelmäßige Sequenz. Der Proband wird über die Regelmäßigkeit der Bewegungssequenz nicht informiert, lernt die Bewegungsabfolge jedoch implizit durch die wiederkehrende Ausführung der Fingersequenz. Wurde eine anodale tDCS über dem primären motorischen Kortex kontralateral zur ausführenden Hand während der gesamten Aufgabe durchgeführt, verbesserte sich die Lernleistung (Nitsche et al. 2003c). Dieser Effekt war topographisch spezifisch für eine tDCS des primären motorischen Kortex, was eine funktionelle Beteiligung des primären motorischen Kortex an dieser Form des motorischen Lernens nahe legt. Möglicherweise erleichtert die durch anodale tDCS erzeugte unterschwellige Membrandepolarisierung die lernabhängige Veränderung der Effizienz von NMDA-Rezeptoren. Einer kathodale tDCS über dem Areal V5 störte die Wahrnehmung beweglicher visueller Reize (7 Kap. 45), wenn eine sich einheitlich bewegende Punktwolke ohne visuelle Distraktoren dargeboten wird (Antal et al. 2004b). Wurde dagegen die sich einheitlicher bewegende Punktwolke zusammen mit einer Menge sich in zufällige Richtungen bewegender Punkte dargeboten, verbesserte die kathodale tDCS des bewegungssensitiven Areals V5 die visuelle Diskriminationsleistung. Dieses lässt sich damit erklären, dass die kathodale tDCS die kortikale Aktivierung durch die sich zufällig bewegenden Punkte (»Rauschen«) stärker verminderte als die kortikale Aktivierung durch die sich einheitlich bewegenden Punkte (»Signal«) und somit insgesamt zu einer Verbesserung der visuellen Diskriminationsleistung führte. Diese Beispiele belegen, dass eine durch die tDCS bedingte Verschiebung des kortikalen Erregbarkeitsniveaus kognitive und perzeptuelle Leistungen bei gesunden Probanden modulieren kann. Ob es hierbei zu einer Funktionsverschlechterung oder -verbesserung kommt, wird neben der Polarität der tDCS auch durch die Charakteristika der Aufgabe bestimmt.

53.5

Klinische Eﬀekte

Die Idee, die tDCS als therapeutisches Instrument einzusetzen, ist nicht neu. Bereits im Jahr 1964 beschrieb eine englische placebokontrollierte Studie einen anti-

depressiven Effekt der tDCS (Costain et al. 1964). Hier erhielten 24 Patienten mit Depression eine mehrtägige, lang andauernde (8 h pro Tag!) bilaterale tDCS (Stromstärke: 0,25 A) mit Platzierung der Anode über beiden Augenbrauen und der Kathode am Bein. Dieser Ansatz wurde in den letzten Jahren wieder aufgegriffen, wobei die therapeutische Anwendung der tDCS noch in den »Kinderschuhen« steckt. Denkbar ist eine therapeutische Anwendung der tDCS bei allen neuropsychiatrischen Erkrankungen, die mit pathologisch veränderter kortikaler neuronaler Aktivität einhergehen. Bei Schlaganfällen mit Paresen (unvollständigen Lähmungen) kann eine funktionelle Wiederherstellung dadurch behindert werden, dass es durch einen erlernten Nichtgebrauch der funktionsgeminderten Extremität zu einer Mindererregbarkeit des korrespondierenden motorischen Kortex kommt, die im Verlauf auch durch verstärkte kontralaterale interhemisphärische Hemmung aufrecht erhalten wird (7 Kap. 55 und 56). Tatsächlich konnten Pilotstudien mit kleinen Fallzahlen zeigen, dass bei Patienten im chronischen Stadium nach motorischem Schlaganfall eine erregbarkeitssteigernde, anodale tDCS des motorischen Kortex der betroffenen Hemisphäre oder eine erregbarkeitshemmende, kathodale tDCS der intakten Hemisphäre zu einer Leistungsverbesserung motorischer Fertigkeiten bei diesen Patienten führt (Fregni et al. 2005; Hummel et al. 2005). Die gegenwärtig zu erzielenden Effekte sind allerdings gering ausgeprägt. Zukünftige Studien werden zeigen müssen, inwiefern eine stärkere, länger anhaltende oder wiederholte Stimulation hier zu ausgeprägteren Effekten führen kann.

53.6

Ausblick

Die tDCS ist ein nichtinvasives, transkranielles Stimulationsverfahren zur Erzeugung von Neuroplastizität im Humanexperiment, mit dem das kortikale Erregbarkeits- und Aktivitätsniveau des menschlichen Gehirns während der Stimulation, aber auch über den Zeitpunkt der Stimulation hinaus, schmerzlos moduliert werden kann. Die anodale tDCS bewirkt eine Zunahme der neuronalen Aktivität und Erregbarkeit, während die kathodale tDCS die neuronale Aktivität und Erregbarkeit vermindert. Bei mehrminütiger (≥10 min) Stimulation halten die Nacheffekte bis zu etwa einer Stunde nach Stimulation an, lassen sich aber, z. B. durch pharmakologische Interventionen, weiter verlängern. Um Interferenzen zwischen einzelnen tDCS-Anwendungen, die lang anhaltende Nacheffekte erzeugen können, auszuschließen, wird eine

541

Literatur

Pause von mindestens einer Woche zwischen zwei tDCS-Sitzungen empfohlen. Da die Effizienz des Verfahrens in Hinblick auf eine Beeinflussung kognitiver, motorischer und perzeptueller Hirnfunktionen nachgewiesen werden konnte, eröffnen sich für die tDCS viele neurowissenschaftliche, aber möglicherweise auch therapeutische Anwendungen. So konnte erst kürzlich gezeigt werden, dass eine bilaterale tDCS des präfrontalen Kortex während des Schlafs die Konsolidierung deklarativer Gedächtnisinhalte fördert (Marshall et al. 2006). Diese Studie verwendete erstmalig statt einer kontinuierlichen tDCS mit konstanter Stromstärke eine niedrigfrequent (0,75 Hz) »oszillierende« tDCS mit rampenförmiger Amplitudenmodulation. Schlaf-EEGAbleitungen unmittelbar nach Ende der tDCS zeigten, dass diese »wellenförmige« tDCS die vom Gehirn selbst generierte, oszillatorische Hirnaktivität, in diesem Fall die langsamen Wellen im Tiefschlaf, anregen kann. Diese Studie zeigt, dass die amplitudenmodulierte tDCS in Zukunft eine sinnvolle Ergänzung der konventionellen, kontinuierlichen tDCS darstellt. Die Effizienz der amplitudenmodulierten tDCS als Instrument zur zerebralen Neuromodulation wird Gegenstand künftiger Forschung sein. Da die tDCS im Gegensatz zur TMS die kortikale Erregbarkeit und Spontanaktivität moduliert, aber nicht unterbricht, kann die tDCS problemlos während der Aufgabendurchführung angewendet werden. Im Vergleich zur TMS handelt es sich bei der tDCS um ein technisch relativ einfach durchzuführendes Verfahren zur akuten und anhaltenden Modulation neuronaler Aktivität. Eine placebokontrollierte Stimulation ist mit tDCS unproblematisch durchzuführen, da die von den Probanden wahrgenommenen Stimulationseffekte gering sind. Dagegen ist eine Placebostimulation beim Einsatz der TMS aufgrund der gleichzeitigen akustischen und somatosensorischen Stimulation wesentlich schwieriger zu realisieren (7 Kap. 55). Die gegenwärtig verwendeten Protokolle gelten als sicher, allerdings fehlen bisher Studien zu den Grenzen einer sicheren Stimulation. Weniger noch als für die rTMS sind für die tDCS bisher Daten bezüglich der Grenzen einer sicheren Stimulation verfügbar, so dass derzeit Aussagen über maximal effektive, aber noch sichere Protokolle, nur begrenzt möglich sind. Die zeitliche und räumliche Auflösung der tDCS scheint der der rTMS unterlegen. Auch sind die direkten, neuromodulatorischen Effekte, welche möglicherweise durch den intrazerebralen Stromfluss in subkortikalen Hirnstrukturen hervorgerufen werden, derzeit noch unzureichend charakterisiert. Des Weiteren ist zu beachten, dass die tDCS in ihrer gegenwär-

53

tigen Form durch das Vorhandensein einer auch funktionell effektiven Referenzelektrode immer eine bipolare kortikale Stimulation bedingt.

Literatur Albert DJ. (1966) The eﬀect of cortical spreading depression on the consolidation of learning. Neuropsychologia 4: 49–64 1Antal A, Kinsces TZ, Nitsche MA et al. (2004a) Excitability changes induced in the human primary visual cortex by transcranial direct current stimulation: direct electrophysiological evidence. Invest Ophthalmol Vis Sci 45: 702– 707 Grundlegende Studie zur tDCS im visuellen Kortex im Hinblick auf Stimulationsparameter und elektrophysiologische Auswirkungen. Antal A, Nitsche MA, Kruse W et al. (2004b) Visuomotor coordination is improved by transcranial direct current stimulation of the human visual cortex. J Cog Neurosci 16: 521– 527 Ardolino G, Bossi B, Barbieri S, Priori A (2005) Non-synaptic mechanisms underlie the after-eﬀects of cathodal transcutaneous direct current stimulation of the human brain. J Physiol 586: 653–663 1Bindman LJ, Lippold OCJ, Redfearn JWT (1964) The action of brief polarizing currents on the cerebral cortex of the rat (1) during current ﬂow and (2) in the production of long-lasting after-eﬀects. J Physiol 172: 369–382 Wichtige tierexperimentelle Studie zur Auswirkung der Gleichstromstimulation auf kortikale Erregbarkeit und Aktivität während Stimulation und im Hinblick auf Nacheﬀekte. Constain R, Redfearn JWT, Lippold OJC (1964) A controlled trial of the therapeutic eﬀects of polarization of the brain in depressive illness. Brit J Psychiatry 110: 786–799 Fregni F, Boggio PS, Mansur CG et al. (2005) Transcranial direct current stimulation of the unaﬀected hemisphere in stroke patients. Neuroreport 16: 1551–1555 Gartside IB (1968) Mechanisms of sustained increases in ﬁring rate in the rat cerebral cortex after polarization: Reverberating circuits or modiﬁcation of synaptic conductance? Nature 220: 382–383 Hattori Y, Moriwaki A, Hori Y (1990) Biphasic eﬀects of polarizing current on adenosine-sensitive cyclic AMP in rat cerebral cortex. Neurosci Lett 116: 320–324 1Hummel F, Celnik P, Giraux P et al. (2005) Eﬀects of noninvasive cortical stimulation on skilled motor function in chronic stroke. Brain 128: 490–499 Erste Studie zur Anwendung der tDCS bei Patienten nach Schlaganfall mit Paresen. Islam N, Aftabuddin M, Moriwaki A et al. (1995) Increase in the calcium level following anodal polarization in the rat brain. Brain Res 684: 206–208 Iyer MB, Mattu U, Grafman J et al. (2005) Safety and cognitive eﬀect of frontal DC brain polarization in healthy individuals. Neurology 64: 872–875 Lang N, Siebner HR, Ward NS et al. (2005) How does transcranial DC stimulation of the primary motor cortex alter re-

542

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 53 · Transkranielle Gleichstromstimulation

gional neuronal activity in the human brain? Eur J Neurosci 22: 495–504 Lippold OJC, Redfearn JWT (1964) Mental changes resulting from the passage of small direct currents through the human brain. Brit J Psychiatry 110: 768–772 Marshall L, Molle M, Hallschmid M, Born J (2004) Transcranial direct current stimulation during sleep improves declarative memory. J Neurosci 24: 9985–9992 2Marshall L, Helgadottir H, Molle M, Born J (2006) Boosting slow oscillations during sleep potentiates memory. Nature 444: 610–613 Richtungsweisende Studie, welche einen positiven Einﬂuss einer niederfrequent (0,75 Hz) oszillierenden tDCS über dem präfrontalen Kortex während des Schlafs auf die Konsolidierung deklarativer Gedächtnisinhalte nachweisen konnte. Miranda PC, Lomarev M, Hallett M (2006) Modelling the current distribution during transcranial direct current stimulation. Clin Neurophysiol 117: 1223–1229 2Nitsche MA, Paulus W (2000) Excitability changes induced in the human motor cortex by weak transcranial direct current stimulation. J Physiol 527: 633–639 Grundlegende Studie zur Erzeugung von Erregbarkeitsveränderungen im menschlichen motorischen Kortex durch tDCS einschließlich systematischer Untersuchung optimal geeigneter Stimulationsprotokolle. Nitsche, MA, Paulus W (2001) Sustained excitability elevations induced by transcranial DC motor cortex stimulation in humans. Neurology57:1899-1901 2Nitsche MA, Liebetanz D, Antal A et al. (2003a) Modulation of cortical excitability by weak direct current stimulation – technical, safety and functional aspects. In: Paulus W, Tergau F, Nitsche MA, Rothwell JC, Ziemann U, Hallett M (Hrs). Transcranial magnetic and transcranial direct current stimulation. Elsevier Amsterdam, Clin Neurophysiol Suppl 56: 255–276 Überblicksarbeit zu Grundlagen und funktionellen Eﬀekten der Gleichstromstimulation im Tier- und Humanexperiment. Nitsche MA, Nitsche MS, Klein CC et al. (2003b) Level of action of cathodal DC polarisation induced inhibition of the human motor cortex. Clin Neurophysiol 114: 600–604 Nitsche MA, Schauenburg A, Lang N et al. (2003c) Facilitation of implicit motor learning by weak transcranial direct current stimulation of the primary motor cortex in the human. J Cog Neurosci 15: 619–626 1Nitsche MA, Liebetanz D, Paulus W, Tergau F (2005a) Pharmacological characterisation and modulation of neuroplasticity in humans. Current Neuropharmacology 3: 217– 230 Überblicksarbeit zur pharmakologischen Charakterisierung von im Humanexperiment erzeugter Neuroplastizität einschließlich tDCS, rTMS, PAS. Nitsche MA, Seeber A, Frommann K et al. (2005b) Modulating parameters of excitability during and after transcranial direct current stimulation of the human motor cortex. J Physiol 568: 291–303 Purpura DP, McMurtry JG (1965) Intracellular activities and evoked Potenzial changes during polarization of motor cortex. J Neurophysiol 28: 166–185

Quartarone A, Morgante F, Bagnato S et al. (2004) Long lasting eﬀects of transcranial direct current stimulation on motor imagery. Neuroreport 15: 1287–1291 Rosen SC, Stamm JS (1972) Transcortical polarization: facilitation of delayed response performance by monkeys. Exp Neurol 35: 282–289 Rush S, Driscoll DA (1968) Current distribution in the brain from surface electrodes. Anesth Analg 47: 717–723

543

54

Metaplastizität Ulf Ziemann, Hartwig Roman Siebner

54.1

Einführung – 544

54.4

Homöostatische Metaplastizität – 547

54.2

Modulation von Plastizität durch Disinhibition – 545

54.4.1

54.2.1

Modulation stimulationsinduzierter Plastizität durch Disinhibition – 545 Modulation übungsabhängiger Plastizität durch Disinhibition – 546

54.4.2

Homöostatische Metaplastizität stimulationsinduzierter Plastizität – 547 Homöostatische Metaplastizität zwischen stimulationsinduzierter Plastizität und nachfolgender übungsabhängiger Plastizität – 549 Homöostatische Plastizität zwischen übungsabhängiger Plastizität und nachfolgender stimulationsinduzierter Plastizität – 549

54.2.2

54.3

Modulation von Plastizität durch neuromodulierende Medikamente – 546

54.3.1

Modulation stimulationsinduzierter Plastizität durch neuromodulierende Medikamente – 546 Modulation übungsabhängiger Plastizität durch neuromodulierende Medikamente – 547

54.3.2

54.4.3

54.5

Ausblick – 549

Literatur

– 550

ZUM THEMA Metaplastizität bedeutet »Plastizität nach Plastizität« (von griech. μετα, nach oder hinter). Hiermit kommt zum Ausdruck, dass Plastizität, ausgelöst durch Stimulation oder Üben, in Ausmaß und Richtung vom aktuellen und vorangehenden Aktivitätszustand des Hirngewebes abhängt und daher durch vorherige Stimulation oder Training beeinﬂusst werden kann. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über tierexperimentelle Grundlagen von Metaplastizität und über Anwendungen am Menschen, bei denen transkranielle Hirnstimulation eingesetzt wird, um Metaplastizität zu

induzieren oder zu untersuchen. Metaplastizität konstituiert ein neues Forschungsfeld. Metaplastische Prozesse können in der Zukunft genutzt werden, um die interindividuelle Variabilität in der Ausbildung von stimulations- oder trainingsinduzierter Plastizität zu verringern und die Ausprägung beneﬁtärer Plastizität zu steigern. Die aktive Nutzung von Metaplastizität stellt daher einen viel versprechenden Ansatz zur neuromodulatorischen Therapie neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen dar.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

544

Kapitel 54 · Metaplastizität

54.1

Einführung

Eine wichtige Form von Plastizität im Sinne lang anhaltender Veränderung der Stärke synaptischer neuronaler Verbindungen ist Langzeitpotenzierung (LTP) und Langzeitdepression (LTD) (7 Kap. 50 und 51). Experimente am visuellen Kortex der Ratte zeigten, dass dieselbe hochfrequente anhaltende Reizserie (tetanische Reizung), abhängig vom Grad der Depolarisation des postsynaptischen Neurons, entweder LTP oder LTD auslösen kann (Artola et al. 1990). Der Grad der Depolarisation am postsynaptischen Neuron wurde durch Injektion von Strom oder pharmakologisch, z. B. durch den Gamma-Aminobuttersäure-A (GABAA) -Rezeptor-Antagonisten Bicucullin manipuliert. LTD wurde immer dann beobachtet, wenn die postsynaptische Depolarisation einen kritischen Wert überstieg, aber noch unter der Schwelle für die Aufhebung des Magnesiumblocks an N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren blieb. Postsynaptische Depolarisation über diese Schwelle führte zur Induktion von LTP (Artola et al. 1990). Im motorischen Kortex wurden in Gewebeschnittexperimenten ähnliche Beobachtungen gemacht: Hier konnte LTP nur dann ausgelöst werden, wenn die postsynaptischen Zellen durch lokale Injektion von Bicucullin disinhibiert waren (Hess et al. 1996). Der wesentliche Punkt dieser Ergebnisse ist, dass ein und dasselbe Induktionsprotokoll entgegengesetzt gerichtete Plastizität (LTD oder LTP) erzeugen kann, je nach Erregbarkeit des stimulierten neuronalen Gewebes. Die Schwellenabhängigkeit (engl. gating) impliziert, dass LTP besonders dann ausgelöst werden kann, wenn das neuronale Netzwerk zum Zeitpunkt der Anwendung des Induktionsprotokolls besonders erregbar ist. Über längere Zeiträume gesehen müssen jedoch Mechanismen existieren, die das Erregbarkeitsniveau eines neuronalen Netzwerkes stabilisieren, da es ansonsten zu einer Eskalation in eine Richtung kommen würde (z. B. führt nach den oben dargestellten Zusammenhängen LTP zu einer Steigerung der neuronalen Erregbarkeit, die wiederum die Induktion weiterer LTP begünstigt usw.). Diese Stabilisierungsprozesse werden unter dem Begriff der homöostatischen Metaplastizität (griech. ομοιος, gleich oder ähnlich und στασις, stehen oder stehen bleiben) zusammengefasst. Hierzu wurde zunächst eine Theorie entwickelt, die nach ihren Entwicklern als Bienenstock-Cooper-Munro-Theorie bidirektionaler Plastizität bezeichnet wird (Bienenstock et al. 1982). Hierbei wird angenommen, dass an einer bestimmten Synapse durch ein gegebenes Induktionsprotokoll LTD ausgelöst wird, wenn das postsynaptische Neuron über

einen Mindestwert depolarisiert ist, der Depolarisationsgrad aber unter der Schwelle für die Induktion von LTP bleibt, und LTP ausgelöst wird, wenn diese Schwelle überschritten wird (s. oben). Die entscheidende Annahme der Bienenstock-Cooper-Munro-Theorie ist, dass die LTP-Induktionsschwelle nicht konstant ist, sondern sich in Abhängigkeit von der zurückliegenden postsynaptischen Aktivität des Neurons im Sinne einer »gleitenden Schwelle« ändern kann (engl. sliding threshold) (Bienenstock et al. 1982). Bei hoher postsynaptischer neuronaler Aktivität kommt es zu einer Anhebung der Schwelle, d. h. die Induktion von LTP wird unwahrscheinlicher, die Induktion von LTD hingegen wahrscheinlicher. Umgekehrt führt ein niedriges postsynaptisches Aktivitätsniveau zu einer Absenkung der Schwelle, die Induktion von LTP wird hierdurch wahrscheinlicher, die Induktion von LTD hingegen unwahrscheinlicher. Mittlerweile sind tierexperimentell mehrere Situationen beschrieben worden, die homöostatische Metaplastizität entsprechend der Bienenstock-Cooper-Munro-Theorie aufgezeigt haben (Bienenstock et al. 1982; Überblick in Bear 2003). Eine binokuläre Lichtdeprivation führt z. B. zur Verminderung neuronaler Aktivität im visuellen Kortex und in der Folge zu einer Absenkung der Induktionsschwelle für LTP (Kirkwood et al. 1996). Eine auf neuronaler Ebene »globale« Form der homöostatischen Metaplastizität ist die synaptische Skalierung (engl. synaptic scaling). Synaptische Skalierung bedeutet, dass alle Synapsen auf ein postsynaptisches Neuron entsprechend seines Aktivitätsniveaus global adjustiert werden, entweder subtraktiv (d. h. die Stärke aller Synapsen wird um den gleichen absoluten Betrag geändert) oder multiplikativ (d. h. die Stärke aller Synapsen wird proportional zu ihrer Stärke geändert). Ein hohes postsynaptisches Aktivitätsniveau führt zu abwärts gerichteter synaptischer Skalierung, ein niedriges Aktivitätsniveau dagegen zu aufwärts gerichteter synaptischer Skalierung. Hierdurch kann ein postsynaptisches Neuron die Gesamtmenge synaptischer Erregung konstant halten. BienenstockCooper-Munro-Theorie und synaptische Skalierung sind komplementäre Facetten homöostatischer Plastizität, wobei sich Metaplastizität nach dem Bienenstock-Cooper-Munro-Modell auf die Homöostase einer einzelnen Synapse, synaptische Skalierung dagegen auf die Homöostase des gesamten postsynaptischen Neurons bezieht. Eine andere Spielart homöostatischer Metaplastizität wurde für die assoziative Plastizität nachgewiesen. Bei der assoziativen Plastizität (7 Kap. 53) wird die Richtung (LTD oder LTP) durch die zeitliche Abfolge von prä- und postsynaptischem Aktionspotenzial kontrolliert (engl. spike-

54.2 Modulation von Plastizität durch Disinhibition

timing dependent synaptic plasticity, STDP) (Abbott u. Nelson 2000). Hier bewirken homöostatische Regulationsmechanismen eine relative Verschiebung der Zeitfenster, in denen LTP oder LTD induziert werden kann.

54.2

Modulation von Plastizität durch Disinhibition

54.2.1 Modulation stimulationsinduzierter

Plastizität durch Disinhibition GABAA-Rezeptor-Antagonisten werden wegen ihres anfallsfördernden Potenzials derzeit in der humanen Pharmakotherapie nicht eingesetzt. Eine andere Möglichkeit, eine »Enthemmung« im sensorimotorischen Kortex hervorzurufen ist die kurzzeitige Deafferentierung und Deefferentierung einer Extremität durch einen druckinduzierten Nervenleitungsblock. Hier führt eine auf einen suprasystolischen Druck aufgepumpte Blutdruckmanschette am proximalen Oberarm zu einer kompressionsbedingten Ischämie des Nervs. Hierdurch kommt es nach 20–30 min zu einem reversiblen Leitungsblock aller Armnerven unter der Manschette, und der distale Unterarm und die Hand werden in der Folge gefühllos und gelähmt. Hier-

545

54

mit assoziiert ist eine sich rasch entwickelnde Steigerung der Erregbarkeit im kontralateralen sensorimotorischen Kortex, die durch einen Abfall der GABAKonzentration, also eine Disinhibition, bedingt wird. In diesem Kontext der kortikalen Disinhibition führt eine niedrigfrequente (0,1 Hz) repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS), die normalerweise keine erkennbaren Änderungen der Erregbarkeit des stimulierten motorischen Kortex hervorruft, zu einem lang anhaltenden LTP-ähnlichen Anstieg der Amplitude motorisch evozierter Potenziale (MEP) im M. bizeps brachii, einem proximal des ischämischen Leitungsblockes gelegenen Muskel (Ziemann et al. 1998a; . Abb. 54.1). Dies belegt die Schwellenabhängigkeit (engl. gating) LTP-ähnlicher Plastizität im menschlichen motorischen Kortex. Die Effizienz des Induktionsprotokolls wird begünstigt, wenn es zum Zeitpunkt erhöhter neuronaler Erregbarkeit (hier bewirkt durch Disinhibition) appliziert wird. Wenn die Probanden mit Lorazepam, einem Benzodiazepin und somit positiven allosterischen Modulator am GABAARezeptor, vorbehandelt werden, tritt keine Sensibilisierung durch den druckinduzierten Nervenleitungsblock auf und die niedrigfrequente (0,1 Hz) rTMS kann nun keine LTP-ähnlicher Plastizität im motorischen Kortex mehr induzieren (Ziemann et al. 1998b). Diese Befunde unterstreichen die Bedeutung

. Abb. .. Im oberen Teil der Abbildung sind die experimentellen Bedingungen gezeigt: ILB = ischämischer Leitungsblock allein, induziert durch eine Kompression mit einer Blutdruckmanschette am proximalen Unterarm; rTMS+ILB = 0,1-Hz-rTMS (30 min) des motorischen Kortex kontralateral zum ILB; rTMS = 0,1-Hz-rTMS (30 min) allein. Die Studie wurde an 7 Gesunden im randomisierten Crossover-Design durchgeführt. Der Abstand zwischen zwei Sitzungen betrug mindestens eine Woche. Im unteren Teil der Abbildung sind die Ergebnisse (Mittelwerte und Standardfehler) dargestellt. Die Amplitude des motorisch evozierten Potenzials (MEP) im Bizepsmuskel wurde auf die Ausgangsmessung vor experimenteller Manipulation normalisiert; die verschiedenen Symbole beziehen sich auf Messzeitpunkte am Ende der experimentellen Manipulation (Kreise), sowie 20 min (Quadrate), 40 min (Dreiecke) und 60 min (Rauten) später. Schwarz gefüllte Symbole zeigen eine signiﬁkante Abweichung von der Ausgangsmessung an. Werte >1 bezeichnen eine Steigerung der MEP-Amplitude. ILB alleine führt zu einer leichten Steigerung der MEP-Amplitude, rTMS alleine hat keinen signiﬁkanten Eﬀekt, rTMS+ILB führt dagegen zu einer signiﬁkanten, über den ILB-Eﬀekt hinausgehenden und lang anhaltenden Steigerung der MEP-Amplitude (Mod. aus Ziemann et al. 1998a; mit freundlicher Genehmigung der Society for Neuroscience)

546

41 42

Kapitel 54 · Metaplastizität

der über den GABAA-Rezeptor vermittelten intrakortikalen Inhibition für die Kontrolle von Richtung und Ausmaß synaptischer Plastizität.

43

54.2.2 Modulation übungsabhängiger

44

Übungsabhängige Plastizität im motorischen Kortex basiert höchstwahrscheinlich auf LTP-ähnlichen Mechanismen (7 Kap. 52 und 7 Abschn. 54.4). Insofern ist zu erwarten, dass übungsabhängige Plastizität ähnlichen Kontrollvorgängen (Schwellenabhängigkeit, Metaplastizität) unterworfen ist wie stimulationsinduzierte LTP-ähnliche Plastizität. Wenn z. B. eine Bewegung wiederholt schnellstmöglich durchgeführt wird (Training einer ballistischen Bewegung), kann als Lerneffekt eine Zunahme der maximalen Beschleunigung der trainierten Bewegung beobachtet werden. Das Ausmaß dieser Form motorischen Lernens lässt sich signifikant steigern, wenn das Training (in diesem Fall eine ballistische Ellenbogenflexion) zeitgleich mit einem ischämischen Leitungsblock am selben Unterarm durchgeführt wird (Ziemann et al. 2001). Umgekehrt führt eine durch Benzodiazepine hervorgerufene Zunahme der über GABAA-Rezeptoren vermittelten Inhibition zu einer Verminderung übungsabhängiger Plastizität und damit verbundener motorischer Lernprozesse (Ziemann et al. 2001; 7 Kap. 52). Diese Ergebnisse legen nahe, dass motorisches Lernen durch eine Disinhibition des in den Lernprozess involvierten motorischen Kortex verstärkt werden kann, während eine Hemmung des Kortex den Lernprozess abschwächt. Auch bei Patienten in der chronischen Phase nach Schlaganfall kann eine periphere Intervention, welche zu einer Disinhibition des in den Lernprozess involvierten motorischen Kortex führt, motorische Lernprozesse günstig beeinflussen (Muellbacher et al. 2002). Die Patienten trainierten eine Pinzettengriffbewegung zwischen Daumen und Zeigefinger der paretischen Hand. Der Lernerfolg (maximale Beschleunigung und isometrische Kraft zwischen Daumen und Zeigefinger) ließ sich nach einer längeren Übungsphase und Erreichen eines Plateaus durch selektive Anästhesie des oberen Plexus brachialis (Segmente C4– C5) relevant weiter steigern (Muellbacher et al. 2002). Hierbei wird angenommen, dass die Plexusanästhesie zu einer Disinhibition des kontralateralen sensorimotorischen Kortex führt und damit übungsabhängige Plastizität nicht deafferentierter und deefferentierter Repräsentationen (in diesem Fall die Hand) begünstigt. Die klinische Anwendbarkeit des Konzeptes der

45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Plastizität durch Disinhibition

Schwellenabhängigkeit von übungsabhängiger Plastizität und damit assoziierter motorischer Lernprozesse wird derzeit in zahlreichen weiteren klinischen Studien an Patienten mit einem motorischen Defizit nach Schlaganfall intensiv untersucht. Hierbei wird, während die Patienten die paretische Hand aktiv trainieren, die Erregbarkeit des motorischen Kortex der geschädigten Hemisphäre durch transkranielle Hirnstimulation gesteigert. Die ermutigenden Ergebnisse dieser Untersuchungen sind im 7 Kap. 56 ausführlich zusammengefasst.

54.3

Modulation von Plastizität durch neuromodulierende Medikamente

Modulierende Neurotransmitter (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Acetylcholin) können kortikale LTP in tierexperimentellen Modellen erheblich beeinflussen (Überblick bei (Gu 2002)). Die Kenntnisse zur pharmakologischen Neuromodulation von LTP im motorischen Kortex sind allerdings noch begrenzt. Atropin, ein Antagonist an muskarinergen Acetylcholin-Rezeptoren, verhindert die Induktion von LTP im motorischen Kortex von Ratten und führt im Gegenteil zur Auslösung von LTD durch dasselbe, normalerweise LTP-induzierende Reizprotokoll. Experimentelle Läsionen des Nucleus basalis Meynert im Hirnstamm, aus dem die aszendierenden zum Kortex projizierenden cholinergen Fasern entspringen, verhindert bei Ratten repräsentationale übungsabhängige Plastizität und das damit assoziierte motorische Lernen.

54.3.1 Modulation stimulationsinduzierter

Plastizität durch neuromodulierende Medikamente Assoziative LTP-ähnliche Plastizität, ausgelöst durch gepaarte assoziative Stimulation (PAS, 7 Kap. 51), wird im motorischen Kortex des Menschen durch neuromodulierende Medikamente signifikant beeinflusst (Ziemann et al. 2006b). Als Regel gilt, dass Agonisten neuromodulierender Neurotransmitter (Dopamin, Noradrenalin) assoziative LTP-ähnliche Plastizität steigern, während Antagonisten (Dopamin, Noradrenalin, Acetylcholin) die LTP-ähnliche Plastizität abschwächen (Ziemann et al. 2006b).

54.4 Homöostatische Metaplastizität

54.3.2 Modulation übungsabhängiger

Plastizität durch neuromodulierende Medikamente Effekte neuromodulierender Medikamente auf übungsabhängige Plastizität wurden insbesondere in einem experimentellen Paradigma untersucht bei dem Probanden eine ballistische Daumenbewegung trainieren, die einer durch fokale TMS des kontralateralen motorischen Kortex ausgelösten Daumenbewegung entgegengesetzt ist. Die übungsabhängige Plastizität wird hierbei durch ein elektrophysiologisches Maß quantifiziert, nämlich die übungsbedingte Änderung TMS-induzierter Daumenbewegungen in die Richtung der trainierten Daumenbewegung (7 Kap. 52). Die bisher publizierten Studien zeigen übereinstimmend, dass Agonisten im dopaminergen, noradrenergen und cholinergen System diese Form übungsabhängiger Plastizität steigern, wohingegen Antagonisten in diesen drei Neurotransmittersystemen übungsabhängige Plastizität vermindern (Übersicht bei Ziemann et al. 2006b). Zumindest für das noradrenerge und cholinerge System gilt hierbei, dass die modulierenden Effekte über die Schwellenabhängigkeit LTP-abhängiger Prozesse erklärt werden können, da Agonisten in beiden Systemen die Erregbarkeit im motorischen Kortex erhöhen und Antagonisten diese absenken (7 Kap. 34). Für das dopaminerge System wird dagegen angenommen, dass die Verstärkung von LTP-abhängigen Prozessen durch eine Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses zustande kommt, da Dopamin-Agonisten zu einer Reduktion der Erregbarkeit des motorischen Kortex führen (7 Kap. 34). Diese Daten stimmen gut mit in der Regel retrospektiv oder in kleinen Studien prospektiv kontrolliert erhobenen klinischen Daten überein, die eine positive Beeinflussung der Erholung nach Schlaganfall durch Agonisten im dopaminergen, noradrenergen und cholinergen System nahelegen, aber negative Effekte durch Antagonisten. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten in der chronischen Phase nach Schlaganfall mit der paretischen Hand im o. g. Daumentrainingsprotokoll signifikant stärkere übungsabhängige Plastizität zeigen, wenn sie statt mit Placebo mit Levodopa vorbehandelt sind (Flöel et al. 2005).

54.4

Homöostatische Metaplastizität

Im Gegensatz zu der Beeinflussung von Ausmaß und Richtung von synaptischer Plastizität durch Modulation der Erregbarkeit des neuronalen Netzwerkes zeitgleich mit Anwendung des Induktionsproto-

547

54

kolls (7 Abschn. 54.2 und 54.3) stabilisiert homöostatische Metaplastizität die Erregbarkeit eines postsynaptischen Neurons über längerfristige Zeiträume (7 Abschn. 54.1). Daher kann homöostatische Metaplastizität auch nur sinnvoll untersucht werden, wenn eine experimentelle Manipulation zur Änderung der Erregbarkeit oder Aktivität eines neuronalen Netzwerkes und das Induktionsprotokoll zur Auslösung der Plastizität nicht zeitgleich, sondern nacheinander appliziert werden.

54.4.1 Homöostatische Metaplastizität

stimulationsinduzierter Plastizität Die erste Studie zu homöostatischer Metaplastizität am motorischen Kortex des Menschen (Iyer et al. 2003) verwendete eine hochfrequente 6-Hz-rTMS (Intensität: 90 der motorischen Reizschwelle in Ruhe, Dauer: 10 min) unmittelbar gefolgt von einer LTD-ähnlichen Plastizität auslösenden 1-Hz-rTMS (Intensität: 115 der motorischen Reizschwelle in Ruhe, Dauer: 10 min) (7 Kap. 50). Im Vergleich zu einer 6Hz-Schein-rTMS als konditionierende Stimulation verstärkte die reale konditionierende 6-Hz-rTMS den LTD-ähnlichen Effekt der nachfolgenden 1-Hz-rTMS (Iyer et al. 2003). Dies zeigte sich in einer stärkeren Reduktion der MEP-Amplitude im Zielmuskel. Dieses Ergebnis entspricht Befunden am Gewebeschnitt des Hippocampus, die eine relevante Verstärkung der LTD-Induktion durch vorangehendes »Priming« mit 5- bis 6-Hz-Reizung anzeigten. Die Studie von Iyer et al. ließ allerdings offen, ob die konditionierende Stimulation mit 6 Hz für sich genommen die Erregbarkeit oder Aktivität des stimulierten motorischen Kortex erhöht, so dass homöostatische Metaplastizität zwar wahrscheinlich ist, aber nicht explizit durch die Daten demonstriert wurde. Eine weitere Studie untersuchte die Interaktion einer konditionierenden transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) (anodal vs. kathodal vs. Schein-tDCS, Intensität der realen Reizungen: 1 mA, Dauer: 10 min; 7 Kap. 53) auf die Induktion von Plastizität ausgelöst durch eine im Abstand von 10 min folgende 1-Hz-rTMS (Intensität: 90 der motorischen Reizschwelle in Ruhe, Dauer: 15 min; Siebner et al. 2004). Der Effekt der 1-HzrTMS hängt entscheidend vom konditionierenden tDCS-Protokoll ab: Nach Schein-tDCS zeigt sich kein Effekt, nach anodaler tDCS (die zu einer Erhöhung der Erregbarkeit des stimulierten motorischen Kortex führt) kommt es zu einer durch 1-Hz-rTMS ausgelösten LTD-ähnlichen Depression der MEP-Amplitude, nach kathodaler tDCS (Verminderung der Erreg-

548

41

Kapitel 54 · Metaplastizität

a

42 43 44 45 46 47 48 49 50

b

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

c

. Abb. .a–c. Homöostatische Plastizität. a Im oberen Teil der Abbildung ist das experimentelle Protokoll dargestellt. Die Erregbarkeit des motorischen Kortex wurde durch Ableitung motorisch evozierter Potenziale (MEP) im M. interosseus dorsalis manus I der rechten Hand vor (Ausgangsmessung), nach (nach tDCS) und zu zwei weiteren Zeitpunkten im Abstand 0–10 min und 11–20 min nach rTMS (nach rTMS 1, nach rTMS 2) gemessen. In einem randomisierten Überkreuzversuch (engl. cross-over design) wurde entweder eine anodale, kathodale (Intensität: 1 mA, Dauer: 10 min) oder ScheintDCS über dem linken motorischen Kortex als konditionierende Stimulation appliziert und 10 min nach deren Beendigung in allen 3 Sitzungen in gleicher Weise mit 1Hz-rTMS (Intensität: 90% der motorischen Reizschwelle in Ruhe, Dauer: 15 min) ebenfalls der linke motorische Kortex gereizt. Die MEP-Daten (Mittelwerte und Standardfehler von 8 gesunden Probanden) sind im unteren Teil der Abbildung getrennt für die 3 experimentellen Bedingungen aufgetragen (Kreise Schein-tDCS; aufrechte Dreiecke anodale tDCS; umgekehrte Dreiecke kathodale tDCS). Der Eﬀekt der rTMS hängt kritisch von der Konditionierungsbedingung ab: Nach Schein-tDCS ändert rTMS die MEP-Amplitude nicht, nach erregbarkeitssteigernder anodaler tDCS führt die gleiche rTMS zu einer Suppression der MEP, nach erregbarkeitsmindernder kathodaler tDCS dagegen zu einer Steigerung der MEP (Mod. aus Siebner et al. 2004; mit freundlicher Genehmigung der Society for Neuroscience). b,c In einem randomisierten Überkreuzversuch wurde die Interaktion von übungsabhängiger Plastizität, ausgelöst durch 30 min Training einer repetitiven ballistischen Daumenabduktionsbewegung der rechten Hand und nachfolgender LTP-ähnlicher (b) und LTD-ähnlicher Plastizität (c), ausgelöst durch gepaarte assoziative Stimulation (LTP: PASN, LTD: PASN–) des linken motorischen Kortex, untersucht. Die Erregbarkeit des linken motorischen Kortex wurde durch MEP-Messungen im rechten M. abductor pollicis brevis vor dem motorischen Training (B0), nach dem motorischen Training und vor PAS (B1) und über 30 min nach PAS bestimmt. Die MEP-Amplituden sind normalisiert auf den Zeitpunkt B1 dargestellt. PASN alleine (ohne vorausgehendes motorisches Training) führt zu einem lang anhaltenden LTP-ähnlichen Anstieg der MEP-Amplitude (schwarze Quadrate in b), der vollständig supprimiert wird (weiße Quadrate in b), wenn zuvor erregbarkeitssteigerndes motorisches Training stattﬁndet. PASN– führt dagegen alleine (ohne vorangehendes motorisches Training) zu einer lang anhaltenden LTDähnlichen Verminderung der MEP-Amplitude (schwarze Kreise in c), die durch vorangehendes erregbarkeitssteigerndes motorisches Training verstärkt wird (weiße Kreise in c). Zusammenfassend liefern die Daten in a– c Beispiele für homöostatische Metaplastizität im humanen motorischen Kortex

549

54.5 Ausblick

barkeit des stimulierten motorischen Kortex) dagegen zu einem LTP-ähnlichen Anstieg der MEP-Amplitude (. Abb. 54.2a; Siebner et al. 2004). Ein identisches homöostatisches Muster konnte auch für eine 5-Hz-rTMS im Anschluss an eine tDCS gezeigt werden (Lang et al. 2004). Diese Daten sind am besten im Sinne homöostatischer Metaplastizität zu interpretieren: Die Wirkung eines Induktionsprotokolls (hier: 1-Hz-rTMS) hängt von der vorangehenden Aktivität und Erregbarkeit im neuronalen Netzwerk ab – bei hoher Aktivität (hier: anodale tDCS) wird die Induktion von LTD-ähnlicher Plastizität begünstigt, bei niedriger Aktivität (hier: kathodale tDCS) die Induktion LTP-ähnlicher Plastizität. Die Befunde sind mit den Modellen der Bienenstock-Cooper-Munro-Theorie (Bienenstock et al. 1982) bidirektionaler synaptischer Plastizität und synaptischer Skalierung (7 Abschn. 54.1) kompatibel, die zugrunde liegenden molekularen und zellulären Mechanismen lassen sich mit diesem systemphysiologischen Ansatz aber natürlich nicht weiter aufklären.

54.4.2 Homöostatische Metaplastizität

zwischen stimulationsinduzierter Plastizität und nachfolgender übungsabhängiger Plastizität Die umgekehrte Interaktion von LTP/LTD-ähnlicher Plastizität mit einem nachfolgenden Lernprozess wurde bisher nicht systematisch untersucht. Vorläufige Daten weisen jedoch darauf hin, dass LTD-ähnliche Plastizität (ausgelöst durch PAS) nachfolgendes Lernen gegenüber eine Kontrollsituation signifikant verstärken kann (Ziemann et al. 2006a). Dieser Zusammenhang wird in der Zukunft weiter untersucht werden, da er für die kontrollierte Verbesserung von Lernprozessen, z. T. im Rahmen der neurologischen Rehabilitation bei Schlaganfallpatienten erhebliche Bedeutung bekommen könnte.

54.4.3 Homöostatische Plastizität

zwischen übungsabhängiger Plastizität und nachfolgender stimulationsinduzierter Plastizität Unter der wohl begründeten Annahme, dass übungsabhängiger Plastizität und hiermit verbundenen motorischen Lernprozessen LTP als ein wichtiger Mechanismus zugrunde liegt (7 Kap. 52), kann auch der Frage nachgegangen werden, ob übungsabhängige Plastizität durch homöostatische Metaplastizität reguliert

54

wird. Die erste Studie zu diesem Thema zeigt, dass das Trainieren einer ballistischen Daumenabduktionsbewegung (Dauer: 30 min, Frequenz: 0,5 Hz) im Abstand von 10 min gefolgt durch gepaarte assoziative Stimulation (PAS, 7 Kap. 51) PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität vollständig verhindert bzw. sogar kurzfristig zu einer Depression der motorisch evozierten Potenziale führt (. Abb. 54.2b), wohingegen durch ein anderes PAS-Protokoll ausgelöste LTD-ähnliche Plastizität verstärkt wird (. Abb. 54.2c; Ziemann et al. 2004). Diese Befunde legen nahe, dass motorische Lernprozesse durch homöostatische Metaplastizität reguliert werden: erhöhte Aktivität im motorischen Kortex (hier: motorisches Training) führt nachfolgend zur Verstärkung der Induktion LTD-ähnlicher Plastizität und der Abschwächung LTP-ähnlicher Plastizität (hier: ausgelöst durch spezielle PAS-Protokolle). Diese Interaktionen treten nur auf, wenn durch das motorische Training auch gelernt wird (hier: Zunahme der maximalen Beschleunigung der trainierten Bewegung), nicht jedoch, wenn die Hand in einem Kontrollexperiment ohne Lerneffekt bewegt wird (Ziemann et al. 2004). Die homöostatische Interaktion zwischen übungsabhängiger Plastizität und nachfolgender PASinduzierter LTP-ähnlicher Plastizität wurde für ein anderes dynamisches Lernprotokoll (isometrische Daumenabduktionen in eine vorgegebene Kraftzielzone) bestätigt (Stefan et al. 2006), so dass denkbar ist, dass die homöostatische Interaktionen von Lernprozessen und nachfolgender stimulationsinduzierter Plastizität allgemeine Gültigkeit haben. Die Interaktion zwischen übungsabhängiger Plastizität und stimulationsinduzierter LTP-ähnlicher Plastizität macht es zudem sehr wahrscheinlich, das LTP ein relevanter Mechanismus motorischen Lernens ist.

54.5

Ausblick

Diesem Kapitel liegt die fundamentale und noch relativ neue Erkenntnis zugrunde, dass Plastizität zielgerichtet gesteuert werden kann. Während der Induktion von Plastizität ist insbesondere deren Schwellenabhängigkeit von Bedeutung: Stimulationsinduzierte LTP-ähnliche Plastizität und übungsabhängige Plastizität werden durch gleichzeitige Steigerung der Erregbarkeit des neuronalen Netzwerkes verstärkt bzw. gebahnt (engl. gating) (. Abb. 54.3a). Im längerfristigen Zeitbereich kommt dagegen homöostatische Metaplastizität als regulierendes und stabilisierendes Prinzip zum Tragen: Stimulationsinduzierte LTP-ähnliche Plastizität und wahrscheinlich auch übungsabhängige Plastizität werden verstärkt, wenn das neu-

550

41

Kapitel 54 · Metaplastizität

a

b

42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a,b. a Gating. Ein bestimmtes Induktionsprotokoll (Pfeil) führt bei normaler postsynaptischer Erregbarkeit (weißer Punkt) nicht zu LTP, da die LTP-Induktionsschwelle nicht überschritten wird. Wird die Erregbarkeit des stimulierten neuronalen Netzwerkes durch experimentelle Manipulation (z. B. durch Disinhibition oder neuromodulierende Medikamente) gesteigert (nach rechts wandernder weißer Punkt), führt dasselbe Induktionsprotokoll zu LTP. b Homeo-

statische Metaplastizität. Ein bestimmtes Induktionsprotokoll (Pfeil) führt bei vorangehender normaler postsynaptischer Aktivität nicht zu LTP, da die LTP-Induktionsschwelle (schwarzer Punkt) nicht überschritten wird. Nach längerer postsynaptischer Inaktivität (z. B. durch kathodale transkranielle Gleichstromstimulation) sinkt die LTP-Induktionsschwelle (Linksverschiebung der LTD/LTP-Kurve) und dasselbe Induktionsprotokoll führt zu LTP

ronale Netzwerk zuvor eine geringe Aktivität aufwies (. Abb. 54.3b). Die Induktion von Plastizität zeigt eine hohe interindividuelle Variabilität bereits bei Gesunden (7 Kap. 50). Darüber hinaus können sich die Wirkungen von plastizitätsinduzierenden Protokollen bei Patienten mit neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen und einer pathologisch alterierten Erregbarkeit des Kortex qualitativ und quantitativ erheblich von denen bei Gesunden unterscheiden (7 Kap. 55). »Gating« und homöostatische Metaplastizität könnten in Zukunft genutzt werden, um den Kortex in einen Zustand definierter Erregbarkeit oder Aktivität zu bringen, auf den aufbauend dann Plastizität hinsichtlich Richtung und Ausmaß kontrollierter und effektiver als sonst möglich ausgelöst wird. Bei allen Untersuchungen muss allerdings beachtet werden, dass die homöostatische Metaplastizität per se bei

neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen gestört sein kann. So zeigen Patienten mit einer aufgabenspezifischen Handdystonie einen Verlust der normalen homöostatischen Interaktion zwischen den Effekten eines konditionierenden tDCS-Protokolls und nachfolgend durch 1-Hz-rTMS ausgelöster Plastizität (Quartarone et al. 2005).

Literatur Abbott LF, Nelson SB (2000) Synaptic plasticity: taming the beast. Nat Neurosci 3 Suppl: 1178–1183 Artola A, Brocher S, Singer W (1990) Diﬀerent voltage-dependent thresholds for inducing long-term depression and long-term potentiation in slices of rat visual cortex. Nature 347: 69–72 Bear MF (2003) Bidirectional synaptic plasticity: from theory to reality. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci 358: 649–655

Literatur

1Bienenstock EL, Cooper LN, Munro PW (1982) Theory for the development of neuron selectivity: orientation speciﬁcity and binocular interaction in visual cortex. J Neurosci 2: 32–48 Formulierung und Begründung der Bienenstock-CooperMunro (BCM) Theorie, einer weiterhin einﬂussreichen Hypothese zur Notwendigkeit homöostatischer Metaplastizität zur Langzeitstabilisierung neuronaler Aktivität. Flöel A, Hummel F, Breitenstein C et al. (2005) Dopaminergic eﬀects on encoding of a motor memory in chronic stroke. Neurology 65: 472–474 Gu Q (2002) Neuromodulatory transmitter systems in the cortex and their role in cortical plasticity. Neuroscience 111: 815–835 Hess G, Aizenman CD, Donoghue JP (1996) Conditions for the induction of long-term potentiation in layer II/III horizontal connections of the rat motor cortex. J Neurophysiol 75: 1765–1778 1Iyer MB, Schleper N, Wassermann EM (2003) Priming Stimulation Enhances the Depressant Eﬀect of Low-Frequency Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation. J Neurosci 23: 10867–10872 Erste TMS-Studie zum Nachweis homöostatischer Metaplastizität in vivo am motorischen Kortex des Menschen. Kirkwood A, Rioult MC, Bear MF (1996) Experience-dependent modiﬁcation of synaptic plasticity in visual cortex. Nature 381: 526–528 Lang N, Siebner HR, Ernst D et al. (2004) Preconditioning with transcranial DC stimulation sensitizes the motor cortex to rapid-rate TMS and controls the direction of after-eﬀects. Biol Psychiatry 56: 634–639 Muellbacher W, Richards C, Ziemann U et al. (2002) Improving hand function in chronic stroke. Arch Neurol 59: 1278– 1282 Quartarone A, Rizzo V, Bagnato S et al. (2005) Homeostatic-like plasticity of the primary motor hand area is impaired in focal hand dystonia. Brain 128: 1943–1950 Siebner HR, Lang N, Rizzo V et al. (2004) Preconditioning of Low-Frequency Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation with Transcranial Direct Current Stimulation: Evidence for Homeostatic Plasticity in the Human Motor Cortex. J Neurosci 24: 3379–3385 Stefan K, Wycislo M, Gentner R et al. (2006) Temporary Occlusion of Associative Motor Cortical Plasticity by Prior Dynamic Motor Training. Cereb Cortex 16: 376–385 1Ziemann U, Corwell B, Cohen LG (1998a) Modulation of plasticity in human motor cortex after forearm ischemic nerve block. J Neurosci 18: 1115–1123 Erste TMS-Studie zum Nachweis der Schwellenabhängigkeit LTP-ähnlicher Plastizität und deren Bahnung durch Disinhibition am motorischen Kortex des Menschen. Ziemann U, Hallett M, Cohen LG (1998b) Mechanisms of deafferentation-induced plasticity in human motor cortex. J Neurosci 18: 7000–7007 Ziemann U, Muellbacher W, Hallett M, Cohen LG (2001) Modulation of practice-dependent plasticity in human motor cortex. Brain 124: 1171–1181 1Ziemann U, Ilic TV, Pauli C, Meintzschel F, Ruge D (2004) Learning modiﬁes subsequent induction of LTP-like and

551

54

LTD-like plasticity in human motor cortex. J Neurosci 24: 1666–1672 Erste TMS-Studie zur homöostatischen Interaktion zwischen motorischem Lernen und durch gepaarte assoziative Stimulation ausgelöster LTP- und LTD-ähnlicher Plastizität. Ziemann U, Ilic TV, Jung P (2006a) Long-term potentiation (LTP)-like plasticity and learning in human motor cortexinvestigations with transcranial magnetic stimulation (TMS). Suppl Clin Neurophysiol 59: 19–25 Ziemann U, Meintzschel F, Korchounov A, Ilic TV (2006b) Pharmacological modulation of plasticity in the human motor cortex. Neurorehabil Neural Repair 20: 243–251

553

Modulation von Hirnfunktionen – Therapeutische Ansätze

55

Transkranielle Kortexstimulation

– 555

Ahmed A. Karim, Niels Birbaumer, Hartwig Roman Siebner

56

Schlaganfall

– 567

Agnes Flöel, Friedhelm Hummel, Christian Gerloff

57

Epilepsie

– 577

Frithjof Tergau, Konrad J. Werhahn

58

Bewegungsstörungen

– 583

Martin Sommer, Hartwig Roman Siebner

59

Tinnitus

– 593

Christian Plewnia, Christian Gerloff

60

Schmerz

– 599

Peter Schwenkreis, Burkhard Pleger, Martin Tegenthoff

61

Depressive Erkrankungen

– 609

Frank Padberg, Nicola Großheinrich, Thomas E. Schläpfer

62

Andere psychiatrische Erkrankungen Peter Eichhammer, Göran Hajak

– 621

VIII 55

555

55

Transkranielle Kortexstimulation Ahmed A. Karim, Niels Birbaumer, Hartwig Roman Siebner

55.1

Einleitung – 556

55.2

Messung der kortikalen Erregbarkeit mit der TMS – 556

55.3

55.3.1 55.3.2

Neuromodulatorische Effekte der transkraniellen Kortexstimulation – 556 Lokale Effekte auf den stimulierten Kortex – 556 Netzwerkeffekte im stimulierten neuronalen System – 557

55.4

Konzepte zur therapeutischen Wirkung der transkraniellen Kortexstimulation – 559

55.4.1

Normalisierung des regionalen Erregbarkeits- oder Aktivitätsniveaus – 559 Neuromodulation funktionell intakter Hirnareale – 560

55.4.2

55.5

Methodische Aspekte der therapeutischen transkraniellen Neurostimulation – 561

55.5.1 55.5.2

Placebostimulation – 561 Bestimmung der optimalen Stimulationsvariablen – 561 Bedeutung des Funktionszustandes des Kortex – 562

55.5.3

55.6

Strategien zur Optimierung der therapeutischen Efﬁzienz – 563

55.6.1

Optimierung der Kortexstimulation – 563 Manipulation der kortikalen Aktivität während der Kortexstimulation – 563

55.6.2

55.7

Schlussfolgerung und Ausblick

Literatur

– 565

– 564

ZUM THEMA Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) und die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) können die menschliche Hirnfunktion über die Dauer der Stimulation hinaus beeinﬂussen. Die konditionierenden Eﬀekte können für Stunden bis Tage nach Stimulationsende anhalten, jedoch wurden meist die rTMS induzierten Funktionsveränderungen nur in der ersten Stunde nach Stimulationsende erfasst. Elektrophysiologische und bildgebende Verfahren konnten zeigen, dass die rTMS und tDCS sowohl das kortikale Erregbarkeitsniveau, die regionale synaptische Aktivität und die funktionelle Kopplung zwischen Hirnregionen modulieren können. Die neuromodulatorischen Eigenschaften der rTMS und tDCS bilden die konzeptionelle Grundlage für den therapeutischen Einsatz dieser Stimulationsverfahren.

Dieses Kapitel versucht eine allgemeine Standortbestimmung zum therapeutischen Einsatz der rTMS und tDCS bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Zunächst werden die derzeit bekannten neuromodulatorischen Eﬀekte der rTMS und tDCS im gesunden Gehirn zusammengefasst. Hieraus werden Konzepte für den therapeutischen Einsatz der transkraniellen Kortexstimulation abgeleitet. Nachfolgend werden methodische Aspekte diskutiert, die bei der Planung von therapeutischen rTMS- und tDCS-Studien zu berücksichtigen sind. Hervorzuheben ist die Bedeutung des aktuellen Funktionszustandes der stimulierten neuronalen Strukturen für die therapeutischen Eﬀekte der Kortexstimulation. Schließlich diskutieren wir Strategien, die helfen können das therapeutische Potenzial der rTMS zu optimieren.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

556

Kapitel 55 · Transkranielle Kortexstimulation

55.1

Einleitung

Das menschliche Gehirn hat zeitlebens ein erhebliches Potenzial für neuroplastische Veränderungen. Neuroplastizität bezeichnet dabei die Fähigkeit des zentralen Nervensystems sich an neue Anforderungen zu adaptieren und entsprechend seine strukturelle und funktionelle Organisation zu modifizieren. Diese Reorganisation findet auf molekularer und zellulärer Ebene statt (Yuste u. Bonhoeffer 2001) als dynamische Antwort auf veränderte interne oder externe Rahmenbedingungen, z. B. nach einem Trauma oder als Resultat von Lernvorgängen (Elbert et al. 1995). Die TMS kann in einem therapeutischen Kontext in zweierlei Weise sinnvoll eingesetzt werden. Zum einen kann die TMS als abhängige Variable zur Erfassung der therapieinduzierten funktionellen Reorganisation dienen; zum anderen als Behandlungsvariable zur aktiven Modulation der kortikalen Erreg-

barkeit und zur Induktion neuroplastischer Veränderungen. Alternativ zur rTMS (7 Kap. 50) kann auch die tDCS verwendet werden, um die kortikale Erregbarkeit zu modulieren (7 Kap. 53). Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die verschiedenen therapeutischen Strategien und diskutiert sowohl das Potenzial als auch die Grenzen dieser therapeutischen Ansätze.

52 53

Die TMS ist geeignet, unterschiedliche Aspekte der kortikalen Erregbarkeit zu messen. Einzelpuls- und Doppelpuls-TMS des primären motorischen Kortex ermöglichen die Untersuchung einer Reihe elektrophysiologischer Kennwerte der kortikomotorischen Erregbarkeit wie die kortikale motorische Reizschwelle, die Reiz-Antwortkurve der MEP-Amplitude, die ipsi- und kontralaterale kortikale Innervationsstille und die intrakortikale Doppelpulshemmung und bahnung, (7 Kap. 5, 14–18). Messungen der Erregbarkeit des visuellen Kortex, z. B. über die Messung der Phosphenschwelle, sind ebenfalls möglich, bedürfen allerdings der aktiven Mitarbeit des Probanden (7 Kap. 19). Die topografische Repräsentation der kortikospinalen Projektion zu einem bestimmten Zielmuskel kann durch Verschiebung der Reizspule auf der Schädeloberfläche und Ableitung der MEP kartiert werden (7 Kap. 40). Mit dieser Kartierungsmethode kann die repräsentationale Plastizität im motorischen Kortex, z. B. im Rahmen von Lernprozessen sowie nach fokaler Hirnschädigung oder peripherer Deafferenzierung untersucht werden (7 Kap. 40).

55 56 57 58 59 60

55.3

Neuromodulatorische Eﬀekte der transkraniellen Kortexstimulation

Die rTMS und tDCS sind nichtinvasive schmerzlose Stimulationsverfahren der menschlichen Gehirnrinde, mit denen die Hirnfunktion über die Dauer der Stimulation hinaus beeinflusst werden kann. Die Konditionierungseffekte der rTMS auf die Hirnfunktion sind komplex und umfassen Änderungen der regionalen Erregbarkeit und synaptischen Aktivität sowie der funktionellen Kopplung zwischen Hirnregionen (7 Kap. 36, 37 und 50). Diese nachhaltigen Stimulationseffekte begründen das Interesse an der rTMS und tDCS als potenzielle therapeutische Instrumente.

55.3.1 Lokale Eﬀekte auf den stimulierten

Messung der kortikalen Erregbarkeit mit der TMS

55.2

54

Darüber hinaus kann mit der TMS die Wirkung pharmakologischer Substanzen auf die kortikale Erregbarkeit des primären motorischen Kortex erfasst werden (7 Kap. 34). Mithilfe der obengenannten Messmethoden konnten zahlreiche TMS-Studien zeigen, dass verschiedene neurologische und psychiatrische Erkrankungen mit einer pathologisch veränderten kortikalen Erregbarkeit einhergehen (Wassermann u. Lisanby 2001; 7 Kap. 22–30).

Kortex Am besten untersucht sind die bahnenden und hemmenden Effekte der rTMS und tDCS auf die kortikomotorische Erregbarkeit des primären motorischen Handareals. MEP-Messungen vor und nach transkranieller Stimulation haben gezeigt, dass sowohl verschiedene rTMS-Protokolle als auch eine mehrminütige kontinuierliche tDCS des primären motorischen Kortex eine Bahnung oder Hemmung der kortikalen Erregbarkeit induzieren können (7 Kap. 50 und 53). Diese Konditionierungseffekte können die Stimulationsphase für einige Stunden bis Tage überdauern. Die Stimulationseffekte auf die kortikale Erregbarkeit sind komplex und hängen von den Stimulationsvariablen wie der 5 Frequenz, 5 Intensität, 5 Spulenform, 5 Zahl der Stimuli pro Sitzung, 5 Stimuluskonfiguration, 5 Richtung des induzierten Stroms und dem 5 zeitlichen Muster der Reizapplikation ab (7 Kap. 50).

55.3 Neuromodulatorische Effekte der transkraniellen Kortexstimulation

Neben der Erregbarkeit kortikospinaler Neurone können rTMS und tDCS auch die Erregbarkeit intrakortikaler Neuronenpopulationen nachhaltig beeinflussen. Als Faustregel kann gelten, dass eine hochfrequente rTMS (≥5 Hz) oder eine anodale tDCS die kortikospinale Erregbarkeit erhöhen, während eine niedrigfrequente rTMS (~1 Hz) oder eine kathodale tDCS die kortikospinale Erregbarkeit im stimulierten Areal verringern (7 Kap. 50 und 53). Hier bestehen jedoch erhebliche interindividuelle Unterschiede. Wenige Informationen liegen zu den kortikalen Erregbarkeitsänderungen nach rTMS und tDCS außerhalb des primären motorischen Kortex vor, da hier die Erregbarkeitsänderungen nicht direkt über eine MEP-Messung erfassbar sind. Eine gewisse Ausnahme bildet der occipitale Kortex, da hier regionale Erregbarkeitsänderungen über die Bestimmung der Phosphenschwelle untersucht werden können. Die Phosphenschwelle beschreibt die minimale Reizintensität mit der ein einzelner TMS-Puls über dem occipitalen Kortex ein Phosphen auslösen kann (7 Kap. 19). Eine niedrigfrequente (1 Hz) occipitale rTMS führte zu einer Anhebung der Phosphenschwelle im Sinne einer anhaltenden Hemmung der Erregbarkeit des visuellen Kortex (Boroojerdi et al. 2000). Dieser Befund legt nahe, dass sich die im motorischen Kortex induzierbaren Erregbarkeitsveränderungen auch in anderen Hirnregionen auslösen lassen. Es ist bislang unklar, welche neuronalen Mechanismen auf der Zellebene diesen regionalen Erregbarkeitsänderungen zugrunde liegen (7 Kap. 50). Die mit den MEP-Messungen nachweisbaren Erregbarkeitsänderungen auf der Systemebene weisen viele Analogien zur synaptischen Langzeitpotenzierung (engl. long-term potentiation, LTP) oder Langzeitdepression (engl. long-term depression, LTD) auf, die auf zellulärer Ebene sowohl in vitro (Linden 1994) als auch in vivo (Heynen et al. 1996) durch direkte elektrische Stimulation auslösbar ist. Dies legt die Vermutung nahe, dass die transkranielle Kortexstimulation zu einer LTP- und LTD-artigen Modulation synaptischer Effizienz auf Systemebene führt (7 Kap. 50, 51 und 53). In der Tat konnten Wang et al. (1996) in einer tierexperimentellen Untersuchungen an mongolischen Rennmäusen mit der rTMS LTP- und LTD-artige Veränderungen im auditorischen Kortex induzieren. Neben der Induktion synaptischer Plastizität in bestimmten Neuronenpopulationen des stimulierten Kortex kommen insbesondere bei der tDCS auch anhaltende Verschiebungen des Membranpotenzials kortikaler Neurone im Sinne einer intrinsischen neuronalen Plastizität als Ursache für die anhaltenden Verschiebungen der regionalen Erregbarkeit in Betracht.

557

55

Die Erregbarkeitsänderungen im stimulierten Kortex können die neuronale Informationsverarbeitung im stimulierten Kortex nachhaltig beeinflussen. Denkbar sind eine veränderte intrinsische Interaktion über eine veränderte Aktivität intrakortikaler Interneurone, eine Verschiebung in der Empfänglichkeit gegenüber afferenten kortikokortikalen und thalamokortikalen neuronalen Einflüssen sowie eine Änderung efferenter Aktivität und somit ein veränderter Einfluss auf mit dem stimulierten Kortex verbundene Hirnregionen.

55.3.2 Netzwerkeﬀekte im stimulierten

neuronalen System Sowohl rTMS als auch tDCS können neuromodulatorische Effekte auf Systemebene erzielen, die weit über das direkt stimulierte Kortexareal hinausgehen (Pötter et al. 2005). So kann eine fokale niedrigfrequente rTMS des primären motorischen Handareals einer Hemisphäre über eine Modulation der interhemisphärischen Hemmung die Erregbarkeit des kontralateralen homologen Handareals steigern (Gilio et al. 2003). Passend zu diesen elektrophysiologischen Untersuchungen konnte mithilfe der funktionellen Neurobildgebung gezeigt werden, dass eine fokale rTMS die regionale neuronale Aktivität entfernter Hirnregionen modulieren kann (7 Kap. 36 und 37). So führt eine halbstündige unterschwellige 1-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals z. B. nicht nur zu einem Anstieg der regionalen neuronalen Aktivität im stimulierten Kortex, sondern auch zu einem Aktivitätsanstieg im kontralateralen dorsalen prämotorischen Kortex und im motorischen Areal beider Kleinhirnhemisphären (Lee et al. 2003). Somit kann sich die im stimulierten Kortexareal hervorgerufene neuronale Stimulation über kortikokortikale und kortikosubkortikale Projektionen ausbreiten und »Netzwerkeffekte« entfalten (. Abb. 55.1). Die Netzwerkeffekte der rTMS weisen eine hohe topografische Spezifität auf. So führte eine fokale, hochfrequente rTMS des primären motorischen Handareals zu einer umschriebenen Steigerung der endogenen Dopaminfreisetzung im hinteren Putamen (Strafella et al. 2001). Auch tierexperimentelle Befunde belegen, dass die rTMS eine anhaltende Wirkung auf die endogene Neurotransmitterfreisetzung, z. B. im dopaminergen und serotinergen System haben kann (7 Kap. 39). Die rTMS kann nicht nur die spontane regionale neuronale Aktivität beeinflussen, sondern verändert auch das aufgabenspezifische Aktivierungsmuster und die kontextabhängige Änderung der funktionellen

558

41

Kapitel 55 · Transkranielle Kortexstimulation

a

42 43 44 45 46

b

. Abb. .a,b. Netzwerkeﬀekte einer »fokalen« rTMS. a Die fokale rTMS kann nicht nur die neuronalen Strukturen im stimulierten Kortex (Blitzsymbol) nachhaltig modulieren, sondern beeinﬂusst auch die Funktion der mit dem stimulierten Kortex verbundenen, kortikalen und subkortikalen Hirnregionen. b Positronenemissionstomograﬁsche Messung des regionalen zerebralen Blutﬂusses (als Maß für die regionale neuronale Aktivität) nach 1800 Stimuli einer 1-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals mit 90% der kortikalen motorischen Reizschwelle: Die fokale rTMS führte nicht nur zu einer Zunahme der regionalen neuronalen Aktivität im stimulierten Kortex (Blitzsymbol), sondern auch im kontralateralen dorsolateralen prämotorischen Kortex (einfacher Pfeil) und in beiden oberen Kleinhirnhemisphären (Doppelpfeil). (Aus Lee et al. 2003; mit freundlicher Genehmigung der Society of Neuroscience) (Abbildung in Farbe 7 S. 636)

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .. Modell zur Charakterisierung des Zusammenhangs zwischen regionaler Erregbarkeit und Hirnfunktion: Das Modell postuliert eine inverse U-förmige Beziehung zwischen dem Niveau der regionalen Erregbarkeit und der Hirnfunktion. Liegt die regionale Erregbarkeit im physiologischen Bereich ist die Hirnfunktion optimal. Steigt oder sinkt die regionale Erregbarkeit über oder unter eine kritische Schwelle, so wird die regionale Hirnfunktion beeinträchtigt. Hierbei nimmt das Ausmaß der Funktionsstörung mit zunehmender Abweichung des Erregbarkeitsniveaus vom physiologischen Bereich zu. Liegt das regionale Erregbarkeitsniveau im phy-

siologischen Bereich, wird sich die durch eine rTMS hervorgerufene Erregbarkeitsänderung allenfalls in einer geringfügigen Änderung der Hirnfunktion niederschlagen (gestrichelte Pfeile). Dagegen kann die rTMS eine deutliche Funktionsverbesserung erzielen, wenn es gelingt mit der rTMS ein primär abnormes Erregbarkeitsniveau anhaltend zu normalisieren (durchgezogene Pfeile); die horizontale gepunktete Linie markiert den Übergang von einer noch normalen Funktion (oberhalb der Linie) bis zu einer Funktionseinschränkung (unterhalb der Linie). (Aus Pötter et al. 2005)

55.4 Konzepte zur therapeutischen Wirkung der transkraniellen Kortexstimulation

Interaktion innerhalb des stimulierten Netzwerks (Lee et al. 2003). Die durch die rTMS hervorgerufenen Änderungen in der aufgabenabhängigen regionalen Aktivierung und interregionalen Kopplung sind abhängig von der Stimulationsfrequenz. So führte eine konditionierende 1-Hz oder 5-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals zu gegenläufigen Veränderungen im Aktivierungsmuster und der Konnektivität motorischer Kortexareale während der Ausführung selbst gewählter Fingerbewegungen (Rounis et al. 2005). Obwohl die rTMS die neuronale Erregbarkeit und Aktivität nachhaltig beeinflussen kann, führen diese Konditionierungseffekte bei gesunden Probanden in der psychophysischen Testung häufig zu keinen fassbaren Änderungen in der Leistungsfähigkeit. Falls ein Verhaltenseffekt nach rTMS gefunden wird, handelt es sich meist um eine diskrete Zunahme der Reaktionszeit oder der Fehlerrate im Sinne eines leichten »Läsionseffektes« (7 Kap. 31). Diese relative Unempfindlichkeit des intakten Gehirns gegenüber der rTMS belegt ein erhebliches Potenzial des Gehirns sich an akute Veränderungen der regionalen neuronalen Erregbarkeit und Aktivität rasch und effektiv anzupassen (. Abb. 55.2).

55.4

Konzepte zur therapeutischen Wirkung der transkraniellen Kortexstimulation

Die anhaltende Beeinflussung kortikaler Erregbarkeit und Aktivität durch die rTMS und tDCS hat zahlreiche Forschergruppen motiviert, die therapeutische Wirksamkeit dieser Stimulationsverfahren bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen zu untersuchen. Hierbei standen insbesondere Erkrankungen im Mittelpunkt, bei denen eine erhöhte oder verminderte kortikale Erregbarkeit oder Aktivität pathophysiologisch eine Rolle spielt. Im Folgenden werden die pathophysiologischen Konzepte erörtert, die hinter diesen therapeutischen Ansätzen stehen. Auf den Einsatz der rTMS und tDCS bei spezifischen Krankheitsbildern wird allenfalls beispielhaft eingegangen, da die neuromodulatorischen Effekte der rTMS bei einzelnen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen in den nachfolgenden Kapiteln des Buches (7 Kap. 56–62) ausführlich abgehandelt werden. Es stellt sich zunächst die Frage, wie rTMS und tDCS bei Patienten eine relevante therapeutische Wirkung entfalten können, wenn doch bei gesunden Personen häufig nur geringfügige Verhaltenseffekte festgestellt werden können. Dieser scheinbare Wider-

559

55

spruch löst sich auf, wenn man bedenkt, dass bei gesunden Personen ein gut funktionierendes neuronales System stimuliert wird und somit wenig Spielraum für eine weitere Funktionsverbesserung besteht. Dagegen stimulieren rTMS und tDCS in der therapeutischen Anwendung immer ein dysfunktionelles System. Somit ist bei Patienten mit einer neurologischen Erkrankung die Aussicht größer, mit der rTMS eine relevante Funktionsverbesserung zu erzielen.

55.4.1 Normalisierung des

regionalen Erregbarkeits- oder Aktivitätsniveaus Der Zusammenhang zwischen dem regionalen Erregbarkeitsniveau und der neuronalen Funktion der Gehirnrinde lässt sich am ehesten als inverse U-förmige Beziehung beschreiben (. Abb. 55.2). Viele neurologische Erkrankungen sind mit einer abnorm gesteigerten oder reduzierten kortikalen Erregbarkeit assoziiert, welche die Hirnfunktion signifikant beeinträchtigen (Pötter et al. 2005). Hier könnte die rTMS oder tDCS das pathologische Erregbarkeitsniveau normalisieren und so die Hirnfunktion bessern. Nach diesem Therapiekonzept bietet sich bei Erkrankungen, die mit einer abnorm erhöhten Erregbarkeit oder einer regionalen Überaktivität einhergehen, ein »hemmendes« rTMS- oder tDCS-Protokoll an, um die Übererregbarkeit zu senken. Dieser Ansatz erscheint unter anderem bei Epilepsien, hyperkinetischen Bewegungsstörungen und abnormen sensorischen Reizerscheinungen wie chronischen Deafferenzierungsschmerzen, Tinnitus oder Halluzinationen sinnvoll. Umgekehrt könnte eine erniedrigte regionale Erregbarkeit oder ein reduziertes regionales Aktivitätsniveau mit einem »fazilitierenden« rTMS- oder tDCS-Protokoll angehoben werden und so die Hirnfunktion verbessert werden. Ein solcher Ansatz bietet sich bei Depression, hypokinetischen Bewegungsstörungen oder bei Lähmung nach Schlaganfall an. Auch wenn die Zielsetzung einer zu normalisierenden kortikalen Erregbarkeit einleuchtet und im Einklang mit einigen Studien steht (7 Kap. 56–62), wurde dieses Therapiekonzept bislang nicht ausreichend wissenschaftlich validiert. Hierzu wäre der Nachweis eines differenziellen Stimulationseffektes in einer Studie zu fordern, in der in zwei verschiedenen Sitzungen ein hemmendes oder fazilitierendes Stimulationsprotokoll verabreicht wird. Die Protokolle sollten gegensätzliche Effekte (Funktionsverbesserung oder -verschlechterung) erzielen und das Ausmaß der

560

Kapitel 55 · Transkranielle Kortexstimulation

50

Funktionsänderung sollte mit der durch die rTMS oder tDCS induzierten kortikalen Erregbarkeitsänderung korrelieren. Das oben ausgeführte Therapiekonzept basiert auf der Annahme, dass sich die bei gesunden Personen nachweisbaren, neuromodulatorischen Effekte auch beim Vorliegen einer neurologischen oder psychiatrischen Erkrankung erzielen lassen. Dieser Analogieschluss trifft jedoch häufig nicht zu. So sind z. B. bei Patienten mit Schreibkrampf, einer fokalen aufgabenspezifischen Dystonie und bei unmedizierten Patienten mit Morbus Parkinson die »normalen« Konditionierungseffekte der rTMS auf die Erregbarkeit des primären motorischen Kortex qualitativ und quantitativ verändert (7 Kap. 58). Krankheitsspezifische Veränderungen in der »Empfänglichkeit« für die Konditionierungseffekte einer rTMS oder tDCS müssen also bei der therapeutischen Anwendung stets bedacht werden. In Therapiestudien sollten daher, wann immer dies möglich ist, die neurophysiologischen Effekte der rTMS mit elektrophysiologischen und bildgebenden Verfahren erfasst werden. Nur so lässt sich eine Aussage treffen, ob und wie die neuromodulatorischen Effekte in einer Patientengruppe von einer vergleichbaren gesunden Kontrollgruppe abweichen.

51

55.4.2 Neuromodulation funktionell

41 42 43 44 45 46 47 48 49

52 53 54 55 56 57 58 59 60

intakter Hirnareale Das zuvor dargelegte Therapiekonzept stellt die Neuromodulation des dysfunktionellen Kortex in den Mittelpunkt. Ein alternatives Therapiekonzept zielt auf die Neuromodulation funktionell intakter Kortexareale ab, um die Hirnfunktion zu bessern (Pötter et al. 2005). Ein solcher »indirekter« Ansatz kommt z. B. nach einer unilateralen fokalen Läsion (z.B. nach einem Schlaganfall) in Betracht, wenn ein funktionelles Ungleichgewicht zwischen den beiden Großhirnhemisphären besteht (Hummel u. Cohen 2006; 7 Kap. 56). So kann eine unilaterale Läsion durch Wegfall einer interhemisphärischen Hemmung zu einer Disinhibition des homologen Areals in der kontraläsionellen Hemisphäre führen. Es wird angenommen, dass eine gestörte interhemisphärische Interaktion nach fokaler Hirnläsion die Funktionserholung nach Schlaganfall beeinträchtigt (Hummel u. Cohen 2006; 7 Kap. 56). Hier könnte eine hemmende niedrigfrequente rTMS oder kathodale tDCS zur Anwendung kommen, um die gesteigerte Erregbarkeit im kontraläsionellen homologen Kortex zu supprimieren. Die Hypothese ist, dass die Suppression der neuronalen Erregbarkeit in der intakten Hemisphäre zu

einer »paradoxen« Leistungsverbesserung führt, in dem das vorbestehende funktionelle Ungleichgewicht zwischen den Hemisphären ausgeglichen wird. Auch dieses Konzept der Hemmung der intakten Hemisphäre erscheint plausibel und wird durch einige Untersuchungen gestützt (7 Kap. 56). Dennoch steht auch hier eine endgültige experimentelle Bestätigung des Therapieprinzips noch aus. Hierzu ist es nicht nur erforderlich, eine passagere Verbesserung nach Gabe eines hemmenden Stimulationsprotokolls über der intakten Hemisphäre, sondern auch eine passagere Verschlechterung nach Gabe eines bahnenden Stimulationsprotokolls über der intakten Hemisphäre zu demonstrieren. Zudem muss ein quantitativer Zusammenhang zwischen der Modulation der interhemisphärischen Interaktion und den klinischen Effekten demonstriert werden. Die rTMS eines intakten Kortexareals kann auch dazu verwendet werden, um ein dysfunktionelles Areal indirekt über die repetitive und synchrone Aktivierung kortikokortikaler oder kortikosubkortikaler Projektionen zu stimulieren. Eine solche Strategie bietet sich insbesondere dann an, wenn das dysfunktionelle Kortexareal mit der TMS aufgrund des großen Abstands zur Schädeloberfläche nicht direkt stimuliert werden kann. Ein mögliches Szenario wäre z. B. eine transkranielle Kortexstimulation eines präfrontalen Kortexareals, um über eine repetitive, synchrone Aktivierung präfrontal-hippocampaler oder präfrontal-zingulärer Projektionen den Hippocampus oder tief gelegene, anteriore zinguläre Areale zu beeinflussen. Aber auch bei oberflächlich gelegenen Kortexarealen ist dieses Stimulationskonzept möglich. So kann durch rTMS des dorsalen prämotorischen Kortex über die repetitive Stimulation kortikokortikaler Projektionen die Erregbarkeit des ipsilateralen primären motorischen Kortex in Abhängigkeit von der Frequenz der rTMS gehemmt oder gebahnt werden (Rizzo et al. 2004; 7 Kap. 18). Dieser indirekte Ansatz der Neuromodulation führt zu einer »physiologischeren« Konditionierung des dysfunktionellen Areals, da die Neurostimulation transsynaptisch über bestehende neuronale Verbindungen und nicht durch einen artifiziellen elektrischen Strom im Gewebe entsteht. Es ist durchaus denkbar, dass viele der bisher beobachteten therapeutischen Effekte zumindest teilweise auf eine physiologische Ausbreitung der Konditionierungseffekte entlang vorbestehender neuronaler Verbindungen zurückzuführen sind.

55.5 Methodische Aspekte der therapeutischen transkraniellen Neurostimulation

55.5

Methodische Aspekte der therapeutischen transkraniellen Neurostimulation

55.5.1 Placebostimulation Studien mit einer therapeutischen Zielrichtung sollten ein randomisertes, placebokontrolliertes, doppelblindes Studiendesign haben. Neben der Verblindung des Patienten ist auf die Verblindung des Untersuchers zu achten. Während eine effektive Verblindung bei tDCS-Studien einfach zu realisieren ist (7 Kap. 53), ist eine einwandfreie Placebostimulation für die rTMS derzeit noch nicht zufriedenstellend gelöst. Viele Studien verwenden sog. »Placebospulen« (engl. sham coils) und vergleichen die Effekte nach Placebostimulation mit denen nach Verumstimulation. Die Placebospulen haben das gleiche Aussehen wie die effektiven Stimulationsspulen und simulieren die akustische Stimulation während der rTMS. Da in der Placebospule kein elektromagnetisches Wechselfeld generiert wird, kommt es im Gegensatz zur Verumstimulation während der Placebostimulation zu keiner begleitenden Stimulation peripherer trigeminaler Afferenzen. Daher fühlt sich die Placebostimulation für den Patienten anders an als die Verumstimulation. Es ist aber zu fordern, dass sich die Placebostimulation bez. der peripheren somatosensorischen Stimulation im Bereich der Kopfhaut nicht von der Verumstimulation unterscheidet, da dies zur Aufhebung der Verblindung insbesondere bei wiederholten Sitzungen führt. Ein echter Fortschritt stellt die von Rossi et al. (2007) entwickelte und psychophysisch getestete »reale elektromagnetische Placebospule« (REMPSpule) dar. Die REMP-Spule besteht aus zwei achtförmigen Komponenten, die mit Plastikband fest aneinander geklebt sind. Die »Placebo-Komponente« liegt dem Schädel direkt an. In diese Spulenkomponente ist an der Auflagefläche im Bereich des Spulenzentrums ein bipolarer Elektrostimulator integriert. Über diesen wird während der Placebostimulation ein überschwelliger elektrischer Stimulus verabreicht, der über eine periphere Nervenstimulation eine lokale Sensation in der darunterliegenden Haut auslöst. Gleichzeitig ist eine funktionstüchtige Achterspule am Rücken der Placebospule fixiert. Diese »echte Spulenkomponente« wird simultan mit dem elektrischen Stimulus entladen und induziert so ein elektromagnetisches Wechselfeld. Dieses ist aber aufgrund des großen SpulenKortex-Abstandes so schwach, dass keine neurobiologisch effektive Stimulation im Kortex unter der Spule resultiert. Die psychophysische Testung zeigte, dass Probanden ohne Vorerfahrung mit der TMS diese Art

561

55

der Placebostimulation als effektiv einschätzten (Rossi et al. 2007). Statt der rTMS mit einer Placebospule können Kontrollbedingungen in das Studiendesign integriert werden, bei denen entweder das gleiche »effektive« rTMS-Protokoll über verschiedenen Kortexregionen verabreicht wird oder alternativ das gleiche rTMSProtokoll immer über demselben Areal, aber mit unterschiedlichen Stimulusintensitäten, verwendet wird. Findet sich ein therapeutischer Effekt nur für die effektive rTMS-Bedingung, so kann dieser nicht durch unspezifische Effekte der rTMS erklärt werden.

55.5.2 Bestimmung der optimalen

Stimulationsvariablen Bislang wurden keine Dosisfindungsstudien im engeren Sinne für die therapeutische Anwendung der rTMS oder tDCS durchgeführt. Vor einer breiten therapeutischen Anwendung oder der Durchführung großer multizentrischer Studien ist ein systematischer Vergleich verschiedener Stimulationsprotokolle empfehlenswert, um die optimalen Stimulationsparameter zu etablieren. Hier stellt sich ein praktisches Problem, da durch Variation von 5 Stimulationsintensität, 5 Stimulationsfrequenz, 5 Pulskonfiguration, 5 Richtung des induzierten Stroms, 5 zeitlichem Muster der rTMS, 5 Anzahl der Stimuli und 5 Zahl und zeitlichem Abstand zwischen den wiederholten Anwendungen eine Vielzahl von rTMS-Protokollen möglich sind, die nicht systematisch ausgetestet werden können. Leider sind neurophysiologische Untersuchungen der rTMS-Effekte an gesunden Personen nicht unbedingt hilfreich ein optimales Stimulationsprotokoll für eine Patientengruppe festzulegen, da sich die neuromodulatorischen Effekte der rTMS bei gesunden Probanden nicht ohne weiteres auf das erkrankte Gehirn übertragen lassen (7 Abschn. 55.4.1). Auch altersbedingte physiologische Veränderungen der kortikalen Ausgangserregbarkeit und der Modulierbarkeit durch die rTMS müssen bedacht werden, da die meisten neurophysiologischen Untersuchungen zur rTMS an jungen Normalpersonen erhoben wurden. Reizintensität. Die Reizintensität der rTMS wird ent-

weder in Bezug zur individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle (7 Kap. 14) oder zu der maximalen Ausgangsleistung des verwendeten Stimulators

562

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 55 · Transkranielle Kortexstimulation

gesetzt. Die Anpassung der Stimulationsintensität an die kortikale motorische Reizschwelle hat den Vorteil, dass hier die individuelle Erregbarkeit des Kortex berücksichtigt wird. Allerdings liefert die motorische Reizschwelle nur ein Maß für die individuelle Erregbarkeit des motorischen Kortex und ist somit geeignet für eine rTMS des motorischen Kortex. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die über dem motorischen Kortex ermittelte Reizschwelle die regionale kortikale Erregbarkeit anderer Kortexareale zuverlässig widerspiegelt. So zeigte die individuelle Reizschwelle, mit der über dem occipitalen Kortex Phosphene ausgelöst werden können, keine Korrelation mit der kortikalen motorischen Reizschwelle (Boroojerdi et al. 2002). Wird die individuelle motorische Reizschwelle zur Festlegung der Stimulusintensität eines nichtmotorischen Zielareals verwendet, sollte zumindest der möglicherweise unterschiedliche Spulen-Kortex-Abstand für den primären motorischen Kortex und das Zielareal berücksichtigt werden. Reizort. Die Frage nach den optimalen Stimulati-

onsparametern ist eng verknüpft mit der Frage nach dem geeigneten Reizort. Der optimale Reizort ist bislang für keine der möglichen therapeutischen Anwendungen geklärt. Die Wahl des Reizortes für die rTMS oder tDCS basiert in der Regel auf allgemeinen pathophysiologischen Erwägungen. Systematische Untersuchungen zur Bestimmung des optimalen Reizortes für eine bestimmte therapeutische Anwendung wurden nur vereinzelt durchgeführt. Eine Anpassung der Spulenpositionierung an die individuelle Pathophysiologie ist ebenfalls die Ausnahme. Hier bietet die neuronavigierte rTMS in Kombination mit der funktionellen Neurobildgebung die Möglichkeit zur individuellen Optimierung des Stimulationsortes (7 Kap. 32). Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob nicht für manche therapeutischen Anwendungen eine großflächige rTMS multipler Kortexareale (z. B. mit einer runden oder kappenartigen Spule) Erfolg versprechender ist als die fokale rTMS eines umschriebenen Hirnareals. Aufgrund der limitierten Eindringtiefe sind vor allem oberflächlich gelegene Kortexareale einer direkten rTMS gut zugänglich. Tiefer gelegene Kortexareale und subkortikale Hirnregionen wie die Basalganglien lassen sich nur indirekt über eine Erregung kortikokortikaler oder kortikosubkortikaler Projektionen mit der rTMS stimulieren. Dies soll nicht heißen, dass eine indirekte transsynaptische Neurostimulation einer Hirnregion neurobiologisch weniger effektiv ist als eine direkte Neurostimulation durch das induzierte elektromagnetische Wechselfeld

(7 Abschn. 55.4.2). Bei der therapeutischen Anwendung der rTMS muss zudem bedacht werden, dass ein identisches rTMS-Protokoll in Abhängigkeit vom stimulierten Kortexareal unterschiedliche Konditionierungseffekte hervorrufen kann. Somit lassen sich die in einem bestimmten Kortexareal nachgewiesenen »Reaktionsmuster« nicht ohne weiteres auf andere Hirnrindenareale übertragen.

55.5.3 Bedeutung des Funktionszustandes

des Kortex Der Erregbarkeitszustand des stimulierten neuronalen Systems zum Zeitpunkt der therapeutischen Kortexstimulation hat einen erheblichen Einfluss auf die neuromodulatorischen Effekte der rTMS oder tDCS (7 Kap. 54). Dies zeigen Untersuchungen, bei denen die Erregbarkeit des primären motorischen Kortex vor der rTMS entweder durch eine anodale tDCS gesteigert oder durch eine kathodale tDCS gehemmt wurde (Siebner et al. 2004). Anschließend wurde eine 1-Hz-rTMS über dem primären motorischen Kortex verabreicht. In Abhängigkeit von der vorausgehenden Gleichstromstimulation führte ein identisches rTMSProtokoll zu gegenläufigen Effekten. Die gleiche 1Hz-rTMS bewirkte entweder eine Hemmung (nach anodaler tDCS) oder eine Steigerung (nach kathodaler tDCS) der Erregbarkeit des primären motorischen Kortex. Eine Vorbehandlung mit tDCS beeinflusste nicht nur die Richtung, sondern auch die Schwelle für neuromodulatorische Effekte und konnte somit den stimulierten Kortex für die nachfolgende rTMS »sensibilisieren«. Die rasche Modulation der Reaktion des primären motorischen Kortex auf die 1-Hz-rTMS wird auf eine Aktivierung endogener, homöostatischer Regulationsmechanismen durch die vorherige tDCS zurückgeführt. Ein vorausgehendes motorisches Training oder eine passagere visuelle Deprivation können bei Gesunden ebenfalls die durch eine nachfolgende rTMS induzierte Erregbarkeitsänderung im motorischen und visuellen Kortex maßgeblich beeinflussen (7 Kap. 54). Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass eine Manipulation des Funktionszustands des stimulierten neuronalen Systems vor und während der rTMS die neuromodulatorische Wirkung der rTMS erheblich beeinflussen kann. Je nachdem, ob das stimulierte Kortexareal und verbundene Hirnregionen sich während der rTMS in einem Ruhezustand befinden oder aktiv sind, wird das gleiche Stimulationsprotokoll unterschiedliche neuronale Strukturen stimulieren und andere Konditionierungseffekte erzielen. Die mangelhafte Standardisierung der Aktivität

55.6 Strategien zur Optimierung der therapeutischen Efﬁzienz

des neuronalen Zielgewebes des Patienten während der Kortexstimulation kann die erheblichen interindividuellen Unterschiede im Ansprechen auf die rTMS oder tDCS miterklären.

55.6

Strategien zur Optimierung der therapeutischen Eﬃzienz

Die in einer rTMS- oder tDCS-Sitzung erzielten klinischen Effekte sind meist kurzlebig. Die nachweisbaren klinischen Effekte weisen eine hohe Variabilität auf und haben oft nur eine geringe Effektstärke. Deshalb wird es für den künftigen Einsatz der transkraniellen Kortexstimulation als Therapieinstrument wichtig sein, die therapeutische Wirksamkeit zu optimieren.

55.6.1 Optimierung der Kortexstimulation Eine häufig eingesetzte Strategie die therapeutischen Effekte der rTMS und tDCS in Ausmaß und Dauer zu verstärken besteht in der wiederholten Gabe der rTMS (z. B. tägliche Sitzungen über mehrere Tage oder Wochen). Zudem wurden in Ergänzung zur konventionellen regelmäßigen rTMS in den letzten Jahren neue Konditionierungsprotokolle entwickelt, welche komplexe zeitliche Stimulationsmuster verwenden (7 Kap. 50). So können kurze hochfrequente Reizserien, die mit einer konstanten Wiederholungsfrequenz (5 Hz) für 20–40 s verabreicht werden, eine konsistente und lang anhaltende Erregbarkeitsverschiebung im primären motorischen Kortex bewirken (Huang et al. 2005). Dieses als Theta-Burst-Stimulation (TBS) bezeichnete Protokoll scheint effektiver zu sein als die konventionelle regelmäßige rTMS, obwohl ein direkter Vergleich der Konditionierungseffekte derzeit aussteht. Es ist absehbar, dass neben der Theta-Burst-Stimulation künftig weitere Stimulationsprotokolle entwickelt werden, die über eine Modifikation der zeitlichen Stimulationsmuster die Effizienz der rTMS steigern. Andere absehbare Weiterentwicklungen sind die 5 EEG-getriggerte rTMS; 5 die multifokale rTMS oder 5 die Kombination von tDCS und rTMS in einer Sitzung. Auch eine zeitlich-räumliche Paarung von zwei Stimulationsformen (z. B. periphere Nervenstimulation und transkranielle Kortexstimulation) bietet eine effiziente Alternative zur konventionellen rTMS (7 Kap. 51).

563

55

Hierbei führt das Zusammenspiel der ersten Stimulation mit der zweiten Stimulation zu einer assoziativen Plastizität. Mit dieser sog. gepaarten assoziativen Stimulation (PAS) kann die topografische Spezifität der Konditionierungseffekte gesteigert werden, da vorwiegend die vom ersten Stimulationsort zum zweiten Stimulationsorten ziehenden neuronalen Projektionen moduliert werden. Zudem ergibt je nach zeitlicher Abfolge der Aktivierung des motorischen Kortex durch das peripher-afferente Signal und die transkranielle Kortexstimulation die Möglichkeit, LTP- oder LTD-ähnliche synaptische Plastizität zu induzieren (7 Kap. 51).

55.6.2 Manipulation der kortikalen

Aktivität während der Kortexstimulation Für die therapeutischen Anwendungen der rTMS ist es vermutlich wichtig den funktionellen Zustand der Patienten (z.B. Wachheit, Aktivitätsniveau) möglichst gut zu standardisieren. Auch die neuronale Aktivität im stimulierten System in der Zeit vor Gabe der rTMS beeinflusst das individuelle Ansprechen auf die rTMS. Deshalb sollte die Aktivität der Patienten in den Stunden vor der rTMS ebenfalls so weit wie möglich standardisiert werden. Es kann jedoch durchaus sinnvoll sein über eine reine Standardisierung des kortikalen Aktivitätsniveaus während der Stimulation hinauszugehen und die intrinsische neuronale Aktivität des Gehirns so zu »manipulieren«, dass hierdurch die Effizienz der rTMS oder tDCS gesteigert wird. Ein Ansatz besteht darin, die »externe« transkranielle Neuromodulation mit einem standardisierten Training oder einer Lernaufgabe zu kombinieren. Bei Gesunden führte die Kombination aus einer 15-Hz-rTMS des primären somatosensorischen Kortex und einem taktilen Diskriminationstraining im Gegensatz zu einem alleinigen Diskriminationstraining (kombiniert mit einer ineffektiven rTMS) oder einer alleinigen rTMS zu einer anhaltenden, aufgabenspezifischen Leistungsverbesserung (Karim et al. 2006). Die Kombination aus rTMS und Training bestand aus einer zeitlich kontingenten taktilen Stimulation des Testfingers und einer »externen« Voraktivierung des kontralateralen primären somatosensorischen Kortex mittels hochfrequenter rTMS. Alternativ zu diesem »Voraktivierungsansatz« kann es auch sinnvoll sein, die neuronalen Netzwerke, die therapeutisch beeinflusst werden sollen, für die Zeit der rTMS oder tDCS kontinuierlich willkürlich zu aktivieren, um die Effektivität und Selektivität der appli-

564

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 55 · Transkranielle Kortexstimulation

zierten rTMS zu steigern. So konnte bei Patienten mit Schreibkrampf eine relativ kurze 1-Hz-rTMS, die während der Ausführung einfacher Zeichenbewegungen appliziert wurde, die Kinematik dystoner Schreibbewegungen verbessern (Siebner et al. 1999). In einer anderen Studie wurde bei Patienten mit motorischem Schlaganfall eine anodale tDCS über dem ipsiläsionellen motorischen Kortex verabreicht, während die Patienten ein motorisches Training mit der kontralateralen Hand ausführten (Hummel et al. 2005). Hierdurch konnte im Vergleich zu einer Placebostimulation eine Verbesserung der Handfunktion erzielt werden. Diese vorläufigen Daten sprechen dafür, dass eine gezielte Kombination von rTMS/tDCS und intrinsischer Aktivierung, z. B. durch ein funktionsspezifisches Training, sich zur neuropsychologischen Rehabilitation von funktionellen Defiziten anbietet. Dabei kann die rTMS (oder tDCS) genutzt werden, um einen Lernprozess zu bahnen, oder die intrinsische Voraktivierung, um die Konditionierungseffekte der rTMS (oder tDCS) zu fokussieren und zu potenzieren. Ein weiterer innovativer Ansatz kombiniert die rTMS mit einer Selbstregulation elektrischer oder metabolischer Hirnrindenaktivität (kortikales Neurofeedback). Ein solches Neurofeedbackverfahren über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle (engl. braincomputer interface) wurde in den letzten Jahren für schwerst- und vollständig gelähmte Patienten mit »Locked-in«-Syndrom entwickelt (Birbaumer et al. 1999). Die Gehirn-Computer-Schnittstelle ermöglicht es den Patienten über eine operant gelernte Selbstregulation von langsamen kortikalen Potenzialen (engl. slow cortical potentials) einen Cursor auf einem Computerbildschirm zu steuern und so mit der Außenwelt zu kommunizieren (Birbaumer et al. 1999). Allerdings ist ein Drittel der Patienten auch nach ausgedehntem Neurofeedbacktraining nicht in der Lage, die langsamen kortikalen Potenziale reliabel zu regulieren. In einer Pilotstudie zeigte sich ein modulierender Einfluss von rTMS und tDCS auf die selbstregulierte Potenzialverschiebung. Eine niedrigfrequente rTMS und eine kathodale tDCS fördern die Generierung von positiven langsamen kortikalen Potenzialen, während die hochfrequente rTMS und anodale tDCS die Generierung von negativen langsamen kortikalen Potenzialen erleichtern (Karim et al. 2003, 2004). Diese Befunde stehen im Einklang mit den postulierten neurophysiologischen Mechanismen der langsamen kortikalen Potenziale, wonach negative Potenzialverschiebungen mit erhöhter kortikaler Erregbarkeit und positive Potenzialverschiebungen mit verminderter kortikaler Erregbarkeit einhergehen (Birbaumer et al. 1990). Weitere klinische Studien müssen jedoch prü-

fen, inwiefern Patienten von der Kombination transkranieller Stimulationsverfahren mit operant gelernter Selbstregulation von Hirnpotenzialen profitieren können.

55.7

Schlussfolgerung und Ausblick

Die aufgeführten Beispiele veranschaulichen, dass die neurobiologischen Effekte der rTMS allenfalls ansatzweise erforscht sind. Die verschiedenen Aspekte kortikaler Erregbarkeit, die durch TMS messbar und modulierbar sind, stellen wichtige Parameter zum Verständnis der kortikalen Physiologie und der Pathophysiologie unterschiedlicher neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen dar. In Bezug auf das Verständnis der zugrunde liegenden Zusammenhänge und der TMS-induzierten Wirkmechanismen besteht jedoch z. T. noch erheblicher Forschungsbedarf. Erforderlich ist eine Intensivierung tierexperimenteller (7 Kap. 39) und humanbiologischer Forschung, um die Konditionierungseffekte der rTMS von der zellulären Ebene bis zur Systemebene besser zu verstehen. Künftige Therapiestudien sollten daher elektrophysiologische, neuropharmakologische oder bildgebende Verfahren einsetzen, um die neurobiologischen Effekte der rTMS möglichst umfassend zu charakterisieren und diese mit den klinischen Effekten der rTMS in Beziehung zu setzen. Dies wird nicht nur wesentliche Einblicke in die Pathophysiologie neurologischer Erkrankungen eröffnen, sondern auch ein besseres Verständnis der Wirkmechanismen der rTMS ermöglichen und helfen effektivere Stimulationsprotokolle zu entwickeln. Um über die Wirkung der rTMS und der tDCS bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen Erkenntnisse zu gewinnen, die den Maßstäben evidenzbasierter Medizin gerecht werden, sollten kontrollierte Multicenterstudien vergleichbar mit pharmakologischen Phase-III-Studien durchgeführt werden. Allerdings sollten kontrollierte Multicenterstudien zunächst darauf abzielen, Klarheit bez. der Protokolloptimierung der rTMS und tDCS zu schaffen, statt sich frühzeitig auf ein bestimmtes Stimulationsprotokoll festzulegen. So sind in den letzten Jahren eine Reihe neuer Konditionierungsprotokolle, z. B. die Theta-Burst-Stimulation (Huang et al. 2005), etabliert worden, die alle derzeit klinisch erprobt werden, ohne dass Klarheit besteht, ob diese der konventionellen rTMS oder tDCS tatsächlich überlegen sind. Schließlich sind systematische Untersuchungen erforderlich, um geeignete Strategien zur zeitlichen Erhaltung von rTMS- und tDCS-Effekten zu etablieren.

Literatur

Literatur Birbaumer N, Elbert T, Canavan AGM, Rockstroh B (1990) Slow potentials of the cerebral cortex and behavior. Physiol Rev 70: 1–32 Birbaumer N, Ghanayim N, Hinterberger T et al. (1999) A spelling device for the paralysed. Nature 398: 297–298 Boroojerdi B, Prager A, Muellbacher W, Cohen LG (2000) Reduction of human visual cortex excitability using 1-Hz transcranial magnetic stimulation. Neurology 54: 1529–1531 Boroojerdi B, Meister IG, Foltys H et al. (2002) Visual and motor cortex excitability: a transcranial magnetic stimulation study. Clin Neurophysiol 113: 1501–1504 Elbert T, Pantev C, Wienbruch C et al. (1995) Increased cortical representation of the ﬁngers of the left hand in string players. Science 270: 305–307 Gilio F, Rizzo V, Siebner HR, Rothwell JC (2003) Eﬀects on the right motor hand-area excitability produced by low-frequency rTMS over human contralateral homologous cortex J Physiol 551: 563–573 Heynen AJ, Abraham WC, Bear MF (1996) Bidirectional modiﬁcation of CA1 synapses in the adult hippocampus in vivo. Nature 381: 163–166 2Huang YZ, Edwards MJ, Rounis E et al. (2005) Theta burst stimulation of the human motor cortex. Neuron 45: 201– 206 Wichtige Studie, die zeigt, dass durch eine Modiﬁkation des zeitlichen Musters der rTMS die Eﬃzienz der rTMS deutlich gesteigert werden kann. 2Hummel F, Celnik P, Giraux P et al. (2005) Eﬀects of noninvasive cortical stimulation on skilled motor function in chronic stroke. Brain 128: 490–499 Erste Studie zur Anwendung der anodaler tDCS des ipsiläsionellen Kortex bei Patienten mit Parese nach Schlaganfall. Wichtig ist, dass die tDCS nicht in Muskelruhe verabreicht wurde, sondern während der Durchführung eines motorischen Trainings mit der betroﬀenen Hand. 1Hummel FC, Cohen LG (2006) Non-invasive brain stimulation: a new strategy to improve neurorehabilitation after stroke? Lancet Neurol 5: 708–712 Lesenswerter Kommentar zu den möglichen therapeutischen Mechanismen der transkraniellen Kortexstimulation bei Schlaganfall. 2Karim AA, Schuler A, Hegner YL et al. (2006) Facilitating effect of 15-Hz repetitive transcranial magnetic stimulation on tactile perceptual learning. J Cogn Neurosci 18: 1577– 1585 Diese Studie verwendet einen innovativen Ansatz zur Fazilitierung von perzeptuellem Lernen bei gesunden Probanden mittels rTMS. Hierbei ging in den Trainingstrials einer taktilen Stimulation des Testﬁngers eine zeitlich kontingente »externe« Voraktivierung des kontralateralen primären somatosensorischen Kortex mittels hochfrequenter rTMS voraus. Diese Kombination von operantem Lernen und rTMS führte zu persistenteren Leistungsverbesserungen, die mit rTMS oder operantem Lernen allein nicht erzielt werden konnten.

565

55

Karim AA, Kammer T, Lotze M et al. (2003) Eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) on slow cortical potentials. Clin Neurophysiology Suppl. 56: 331–337 Karim AA, Kammer T, Lotze M et al. (2004) Eﬀects of TMS and tDCS on the physiological Regulation of cortical excitability in a Brain-Computer Interface. Biomed Eng 49: 55–57 1Lee L, Siebner HR, Rowe JB et al. (2003) Acute remapping within the motor system induced by low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 23: 5308–5318 Diese bildgebende Untersuchung unterstreicht die Komplexität der neuromodulatorischen Eﬀekte der rTMS. Linden DJ (1994) Long-term synaptic depression in the mammalian brain. Neuron 12: 457–472 Pötter M, Peller M, Siebner HR (2005) Die repetitive transkranielle Magnetstimulation - Therapeutische Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen. Clin Neurophysiol 36: 186– 201 Rizzo V, Siebner HR, Modugno N et al. (2004) Shaping the excitability of human motor cortex with premotor rTMS. J Physiol 554: 483–495 1Rossi S, Ferro M, Cincotta M et al. (2007) A real electro-magnetic placebo (REMP) device for sham transcranial magnetic stimulation (TMS). Clin Neurophysiol 118: 709–716 Origineller Vorschlag zur Optimierung der Placebo-TMS im Rahmen von therapeutischen rTMS-Studien. Rounis E, Lee L, Siebner HR et al. (2005) Frequency speciﬁc changes in regional cerebral blood ﬂow and motor system connectivity following rTMS to the primary motor cortex. Neuroimage 26: 164–176 Siebner HR, Auer C, Ceballos-Baumann A, Conrad B (1999) Has repetitive transcranial magnetic stimulation of the primary motor hand area a therapeutic application in writer´s cramp? Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 51: 265–275 Siebner HR, Lang N, Rizzo V et al. (2004) Preconditioning of low-frequency rTMS with tDCS: evidence for homeostatic plasticity in the human motor cortex. J Neurosci 24: 3379–3385 Strafella AP, Paus T, Barrett J, Dagher A (2001) Repetitive transcranial magnetic stimulation of the human prefrontal cortex induces dopamine release in the caudate nucleus. J Neurosci 21: RC157 2Wang H, Wang X, Scheich H (1996) LTD and LTP induced by transcranial magnetic stimulation in auditory cortex. Neuroreport 7: 521–525 Tierexperimentelle Erstbeschreibung von LTP- und LTD- ähnlichen neuromodulatorischen Eﬀekten der rTMS. Wassermann EM, Lisanby SH (2001) Therapeutic application of repetitive transcranial magnetic stimulation: a review. Clin Neurophysiol 112: 1367–1377 Yuste R, Bonhoeﬀer T (2001) Morphological changes in dendritic spines associated with long-term synaptic plasticity. Annu Rev Neurosci 24: 1071–1089

56

567

Schlaganfall Agnes Flöel, Friedhelm Hummel, Christian Gerloff

56.1

TMS und kortikale Erregbarkeit – 568

56.2

Therapiestudien – 569

56.2.1 56.2.2 56.2.3 56.2.4

Motorisches System – 569 Aphasie – 572 Neglekt und Extinktion – 573 Depression nach Schlaganfall – 574

56.3

Zusammenfassung – 574

56.4

Ausblick/offene Fragen

Literatur

– 575

– 574

ZUM THEMA Das folgende Kapitel gibt einen Überblick, wie durch transkranielle Magnetstimulation (TMS) der Erfolg der Rehabilitation nach Schlaganfall verbessert werden kann. Zuerst wird beschrieben, wie TMS die Erregbarkeit des Gehirns moduliert und Plastizität im Sinne einer Langzeitpotenzierung (engl. long-term potentiation, LTP) bzw. Langzeitdepression (engl. long-term depression, LTD) induziert. Daraus ergibt sich, dass es mit TMS prinzipiell möglich ist, funktionell sinnvolle plastische Veränderungen des Gehirns zu stärken und maladaptive Plastizität zu hemmen. Im Hauptteil werden die bisher verfügbaren Therapiestudien im motorischen, sprachlichen und visuell-räumlichen (Aufmerksamkeits-) System bei Schlaganfallpatienten darge-

stellt. Ebenfalls diskutiert wird der Einsatz der TMS in der Behandlung einer nach Schlaganfall auftretenden pharmakoresistenten Depression. Jedem Abschnitt unmittelbar vorangestellt sind relevante Studien an Gesunden. Informationen über zum Druckzeitpunkt noch andauernde Studien sind den angegebenen Webadressen zu entnehmen. Abschließend erfolgt eine Zusammenstellung potenzieller TMS-basierter Therapiestrategien in der Schlaganfallbehandlung. Auf der Grundlage der pathophysiologischen Mechanismen sowie vorangegangener Untersuchungen an Gesunden werden zukünftige Studien skizziert, um die TMS von einem viel versprechenden experimentellen Verfahren in die klinische Praxis zu überführen.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

568

Kapitel 56 · Schlaganfall

56.1

TMS und kortikale Erregbarkeit

TMS wird seit weit über 15 Jahren in der Neurologie zur Routinediagnostik der Leitfähigkeit motorischer Bahnen eingesetzt. Bei Schlaganfallpatienten hat sie vor allem prognostischen Wert in der Abschätzung noch vorhandener kortikospinaler Bahnen (7 Kap. 24). Die therapeutischen Möglichkeiten der TMS hingegen werden zwar oft als »erfolgsversprechend« gewertet aufgrund ihres Potenzials, Veränderungen der kortikalen Erregbarkeit und LTP/LTD-ähnliche Prozesse zu induzieren. Einen Eingang in die klinische Praxis haben therapeutische Applikationen bei Schlaganfallpatienten bisher jedoch nicht gefunden (Kobayashi u. Pascual-Leone 2003). Entscheidend für den (potenziellen) Einsatz der TMS in der Schlaganfallrehabilitation ist die Möglichkeit, kortikale Erregbarkeit und/oder Plastizität über die Stimulationsdauer hinaus zu verändern. Eine Minuten oder Stunden über die Stimulation hinausgehende Beeinflussung kann im engeren Sinne nur durch sog. repetitive TMS (rTMS) erreicht werden (Überblick bei Hallett et al. 2000). In Studien an gesunden Menschen ließ sich durch hochfrequente rTMS (>5 Hz) eine vorübergehend gesteigerte Erregbarkeit (Fazilitation) des primären motorischen Kortex, durch niedrigfrequente rTMS (<1 Hz) dagegen eine vorübergehend verminderte Erregbarkeit (Inhibition) erzeugen (7 Kap. 50). Tierexperimentelle Arbeiten zeigten, dass sich durch rTMS LTP- und LTD-ähnliche Veränderungen sowie ein Anstieg der Konzentration neurotropher Faktoren und der Genex-

pression (»immediate early genes«) induzieren lassen. Weiter konnten eine verstärkte Freisetzung von Dopamin und Serotonin durch fazilitierende TMS gezeigt werden. Letztere Befunde ließen sich auch beim Menschen in vivo mittels der Positronenemissionstomografie (PET) nachweisen (Strafella et al. 2001). Zusammenfassend zeigte sich, dass die rTMS über die Reizdauer hinaus anhaltende Veränderungen auf molekularer und systemischer Ebene im ZNS induzieren kann, so dass die Hoffnung besteht, mit ihr therapeutisch auf die Plastizität des Gehirns Einfluss zu nehmen. Denn das menschliche Gehirn besitzt die Fähigkeit, sich an neue Anforderungen durch plastische Veränderungen anzupassen, z. B. im Rahmen von Lernprozessen oder nach Schädigung. Diese Plastizität ist normalerweise adaptiv und funktionsverbessernd. Allerdings kann es im Rahmen solcher Veränderungen auch zu maladaptiver Plastizität kommen, wie z. B. bei der Entwicklung chronischer Schmerzen nach Amputation (7 Kap. 60) oder Tinnitus nach Innenohrschädigung (7 Kap. 59). Mit der rTMS besteht sowohl die Möglichkeit, adaptive Reorganisationsvorgänge zu fazilitieren, als auch maladaptive Vorgänge zu hemmen. Eine hochfrequente rTMS übt z. B. eine fazilitierende Wirkung auf den präfrontalen Kortex aus und führt dadurch zu einer verbesserten Benenn- und Gedächtnisleistung (Mottaghy et al. 1999). Auf die Rehabilitation nach Hirnschädigung übertragen, könnte die fazilitierende hochfrequente rTMS während eines Trainings den Trainingserfolg evtl. verbessern (. Abb. 56.1).

. Abb. .. Prinzip des adjuvanten Einsatzes der TMS in der Schlaganfallrehabilitation. Fazilitierende TMS der geschädigten Hemisphäre kann zur Erhöhung der kortikalen Erregbarkeit bzw. zur Verstärkung der trainingsinduzierten Langzeitpotenzierung in der geschädigten Hemisphäre (Läsion durch grauen Punkt markiert) eingesetzt werden. Inhibierende TMS der nichtgeschädigten Hemisphäre kann eingesetzt werden, um die disinhibierte nichtgeschädigte Hemisphäre zu hemmen und so das durch den Schlaganfall gestörte interhemisphärische Gleichgewicht (teilweise) wiederherzustellen (s. auch Flöel et al. 2004)

569

56.2 Therapiestudien

Neben dieser plastizitätsfördernden fazilitierenden rTMS, die in Verbindung mit Training zu einer verstärkten Reorganisation und Restitution in der geschädigten Hirnhälfte führt, ist auch der Einsatz einer hemmenden niedrigfrequenten rTMS in der Schlaganfallrehabilitation denkbar (. Abb. 56.1). Dieser Einsatz beruht auf dem Modell eines interhemisphärischen Gleichgewichts, das durch eine einseitige Läsion massiv zuungunsten der geschädigten Seite verschoben sein kann. Durch Hemmung der gesunden Hirnhälfte sollte die inhibierende Wirkung auf die geschädigte Hirnhälfte vermindert und eine (teilweise) Wiederherstellung der Funktion erreicht werden (Hummel u. Cohen 2006). Elektrophysiologische Arbeiten zeigten, dass durch inhibitorische rTMS über einem Motorkortex tatsächlich eine Disinhibition des Motorkortex der kontralateralen nicht stimulierten Hemisphäre erreicht werden kann (Plewnia et al. 2003). Neben der rTMS gibt es aber auch ein (fazilitierendes) therapeutisches Potenzial der EinzelpulsTMS, obwohl sich die Hirnaktivität direkt nur für Millisekunden verändern lässt (Kobayashi u. PascualLeone 2003). In-vitro-Experimente konnten zeigen, dass die Stimulation kortikaler Afferenzen gepaart mit der Depolarisation einer bestimmten Zielstruktur in einem definierten zeitlichen Abschnitt zu einer verstärkten Langzeitpotenzierung führt (Baranyi et al. 1991). In einem ähnlich aufgebauten, nichtinvasiv durchgeführten Experiment am gesunden menschlichen Gehirn konnten Bütefisch et al. (2004) zeigen , dass Einzelpuls-TMS, appliziert über dem Motorkortex synchron mit Trainingsbewegungen, zu einer verstärkten motorischen Gedächtnisbildung führt gegenüber dem ohne TMS oder mit nichtsynchroner TMSApplikation durchgeführten Training. Durch Kombination der Einzelpuls-TMS mit motorischem Training ließe sich daher der Erfolg der Intervention potenziell erhöhen. Für die funktionelle Erholung der Patienten in der Rehabilitation ist wichtig, dass sich der trainingsverstärkende Effekt auch über die eigentliche Stimulationsdauer hinaus nachweisen lässt. Nicht nur im motorischen System, sondern auch im Sprach- und Aufmerksamkeitssystem sind entsprechende Hypothesen formuliert worden. Es wurde z. B. postuliert, dass die Spracherholung nach linkshemisphärischem Schlaganfall durch eine zu starke Hemmung der rechten intakten auf die linke geschädigte Gehirnseite behindert sein könnte. Basierend auf dieser Annahme ließe sich die funktionelle Erholung in der linken Hemisphäre verbessern, wenn die Aktivität der rechten Hemisphäre in korrespondierenden Arealen gehemmt würde. Wenn diese Annahme zuträfe,

56

müsste sich durch »Hemmung der Hemmung« der primär sprachdominanten Hemisphäre mittels inhibierender rTMS der gesunden rechten Hemisphäre eine Verbesserung der Sprachleistung erzielen lassen (Martin et al. 2004). Nach der Aufmerksamkeitshypothese von Kinsbourne (Oliveri et al. 2001) besteht zwischen den beiden Hemisphären ein dynamisches Gleichgewicht in der Orientierung von gerichteter Aufmerksamkeit ins kontralaterale Gesichtsfeld. Kommt es durch eine einseitige Läsion zu einer Störung dieses Gleichgewichts, so ist die nichtgestörte Seite (relativ) überaktiviert, da ihr die Hemmung durch die geschädigte Seite fehlt. Aus dieser Theorie folgt, dass die Aufmerksamkeitsdefizite, die Neglektpatienten in der Exploration der zur geschädigten Hemisphäre kontralateralen Seite haben, durch eine Hemmung der Funktion der gesunden Hemisphäre verbessert werden können (Oliveri et al. 2001) Im folgenden Hauptabschnitt werden rTMS-Studien sowohl zur Aktivierung der geschädigten Hemisphäre als auch zur Hemmung der gesunden Hemisphäre, gegliedert nach den entsprechenden kortikalen Funktionen (Motorik, Sprache, Aufmerksamkeit), dargestellt.

56.2

Therapiestudien

Im folgenden Abschnitt werden die bisher veröffentlichten Studien an Schlaganfallpatienten vorgestellt. Jedem Unterabschnitt (Motorik, Sprache, Neglekt und Extinktion, Depression) vorangestellt sind die unmittelbar relevanten Studien an gesunden Probanden (s. auch . Tab. 56.1).

56.2.1 Motorisches System

Gesunde Probanden Aufbauend auf dem Modell der oben beschriebenen »interhemisphärischen Kompetition« (Plewnia et al. 2003) konnten Kobayashi et al. zeigen, dass durch Hemmung des ipsilateralen (zur Aufgabenhand) primärmotorischen Kortex mittels niedrigfrequenter rTMS (1 Hz; Intensität 90 der kortikalen motorischen Reizschwelle, RMT; Dauer 10 min) die Durchführung einer Zeigefingersequenz beschleunigt werden kann (Kobayashi et al. 2004; . Abb. 56.2). Dieser Effekt war mit einer erhöhten Erregbarkeit im nichtstimulierten kontralateralen Motorkortex assoziiert. Die Stimulation von Kontrollarealen (kontralateraler Motorkortex, ipsilateraler prämotorischer Kortex, Vertex) zeigte diesen positiven Effekt auf die Fin-

570

41 42

Kapitel 56 · Schlaganfall

. Tab. .. Studien an gesunden Probanden und Schlaganfallpatienten, bei denen eine Funktionsverbesserung in der jeweiligen Modalität zu beobachten war Untersuchtes Kollektiv

Modalität

Stimulationsort

rTMS Parameter (Frequenz, Intensität, Dauer)

Literatur

Gesunde Probanden

Motorisches System

M1 ipsilateral zur untersuchten Hand

1 Hz, 90% RMT, 10 min

Kobayashi et al. 2004

Gesunde Probanden

Motorisches System

M1 kontralateral zur untersuchten Hand

0,1 Hz, 80% RMT, insgesamt 30 min, synchron mit Trainingsbewegung

Büteﬁsch et al. 2004

Gesunde Probanden

Sprache

Wernicke-Areal links (CP5)* und Wernicke-Homolog rechts (CP6)*

1 Hz, 110% RMT, 10 min

Knecht et al. 2002

47

Gesunde Probanden

Sprache

Wernicke-Areal links

20 Hz, 55% d. max. Stimulatorleistung (1,6 T), 2 s

Mottaghy et al. 1999

48

Gesunde Probanden

Aufmerksamkeit

Parietal (P5/P6)*

1 Hz, 90% RMT, 10 min

Hilgetag et al. 2001

Parietal (P5/P6) der gesunden Hemisphäre*

Einzelpuls, 115% RMT, 150–300 ms nach Stimulusbeginn

Oliveri et al. 2001

M1 ipsilateral zur paretischen Hand

1 Hz, 90% RMT, 25 min

Takeuchi et al. 2005

M1 ipsilateral zur paretischen Hand

1 Hz, 100% RMT, 20 min

Mansur et al. 2005

M1 kontralateral zur paretischen Hand

3 Hz, 120% RMT, 10 Reizzüge á 10 s, 50 s zwischen Reizzügen; an insgesamt 10 Tagen

Khedr et al. 2005

M1 kontralateral zur paretischen Hand

10 Hz, 80% RMT, 8 Reizzüge á 2 s, 58 s zwischen Reizzügen

Kim et al. 2006

43 44 45 46

49 50 51 52

Schlaganfallpatienten

Schlaganfallpatienten

Motorisches System

Motorisches System

53 54

Schlaganfallpatienten

Sprache

Broca-Homolog rechts **

1 Hz, 90% RMT, 20 min, an insgesamt 10 Tagen

Martin et al. 2004

55

Schlaganfallpatienten

Aufmerksamkeit

Parietal

25 Hz, 115% RMT, 10 Pulse

Oliveri et al. 2001

Schlaganfallpatienten

Aufmerksamkeit

Parietal

0,9 Hz, 95% RMT, 900 Pulse, an insgesamt 6 Tagen

Shindo et al. 2006

Schlaganfallpatienten

Stimmung (Depression)

Links präfrontal

10 Hz, 110% RMT, 20 Reizzüge á 5 s, 5 Sitzungen/ Woche über 10 Wochen

Jorge et al. 2004

56 57 58 59 60

RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; T Tesla; * nach Internationalem 10–20-System zur Plazierung der EEG-Elektroden; ** funktionell bildgebend wurden in der rechten Hemisphäre 4 mögliche Stimulationsorte identiﬁziert; in einer ersten Phase wurde mit rTMS der Stimulationsort bestimmt, dessen Hemmung die Sprachleistung am stärksten verbesserte; dieser wurde dann über 2 Wochen mit rTMS behandelt.

gersequenzaufgabe nicht. Einschränkend muss gesagt werden, dass diese Effekte bisher nicht repliziert werden konnten. Strens et al. (2003) dagegen suchten mittels rTMS nach Evidenz für ein Modell, nach dem die zur Läsi-

on kontralaterale Seite den Ausfall kompensieren soll. Durch hochfrequente rTMS (5 Hz; Intensität 90 aktive AMT; Dauer 30 s) wurde eine »virtuelle Läsion« (7 Kap. 31) des linken Motorkortex induziert. Gleichzeitig sollte mit der rechten Hand eine schnelle Fin-

571

56.2 Therapiestudien

a

56

b

. Abb. .a,b. Verbesserung der motorischen Funktion durch inhibierende Stimulation des zur Aufgabenhand ipsilateralen Motorkortex bei gesunden Probanden. a Zeit, die im Mittel pro Fingerbewegung zur Durchführung der motorischen Aufgabe mit der linken Hand benötigt wurde, vor und nach rTMS über dem ipsilateralen prämotorischen Kortex (offene Kreise), dem ipsilateralen Motorkortex (schwarze Vierecke) oder dem Vertex (Kontrollstimulation; oﬀene Dreiecke). Nach rTMS des zur Aufgabenhand ipsilateralen Motorkortex kam

es, verglichen mit der Kontrollstimulation über dem Vertex, zu einer signiﬁkanten Abnahme der Bewegungszeit (*p<0,05). b Die Amplitude der motorisch evozierten Potenziale, die mittels der sog. Doppelpulstechnik (7 Kap. 16) vom linken M. interosseus dorsalis manus I abgeleitet werden konnten, vor (oﬀene Vierecke) und nach rTMS (schwarze Vierecke) über dem ipsilateralen Motorkortex. Dabei zeigt sich, dass die Erregbarkeit des motorischen Kortex nach der Stimulation zunimmt (Mod. nach Kobayashi et al. 2004)

gerbewegungsaufgabe durchführt werden, bei der die Anforderung darin bestand, eine bestimmte Druckstärke auf die Taste auszuüben und beizubehalten. Die rTMS führte zu einer verstärkten Variabilität der Tastendruckstärke, die sich bei Stimulation von Kontrollpunkten (ipsilateraler Motorkortex, okzipitaler Kortex) nicht fand. Ähnliche Veränderungen durch Stimulation eines Motorkortex waren in vorangegangenen Studien mehrfach beschrieben worden. Der entscheidende neue Befund war, dass nach kurzer Zeit die geforderte Druckstärke wieder eingehalten werden konnte, gleichzeitig stieg die Exzitabilität des ipsilateralen motorischen Kortex an. Wurden dagegen beide motorischen Kortizes simultan stimuliert, gelang den Probanden das Einhalten der Druckstärke nicht mehr (Strens et al. 2003)Die Autoren interpretierten diese Befunde im Sinne einer durch den ipsilateralen Kortex vermittelten Kompensation. Eine direkte Aktivierung des zur Aufgabenhand kontralateralen Motorkortex wurde in der Studie von Kim et al. (2004) nachgewiesen. Sie konnten in ihrer Studie mit hochfrequenter rTMS (10 Hz; Intensität 80 RMT; 20 Reizzüge; Dauer jeweils 2 s) über dem rechten Motorkortex zeigen, dass die Lernleistung einer mit der linken Hand durchgeführten Fingersequenzaufgabe unter rTMS signifikant besser war

als unter einer Scheinstimulation. Interessanterweise unterscheiden sich die in der Studie verwendeten Parameter zur Fazilitierung (»hochfrequent, niedrige Stimulationsintensität«) nur gering von den in den beiden obengenannten Studien, wo eine Inhibierung erreicht wurde. Allerdings wurde in der Studie von Kim et al. vor der motorischen Aufgabe stimuliert, in den beiden anderen Studien während der Aufgabe. Diese Studien zeigen, dass beide Strategien, 1. die Fazilitation motorischer Areale der erkrankten Hemisphäre und 2. die Inhibition homologer Areale der ungeschädigten Hemisphäre, pathophysiologisch begründbar sind und Aussicht auf Erfolg haben.

Schlaganfallpatienten Inhibition des kontraläsionellen Motorkortex durch niedrigfrequente rTMS: Takeuchi et al. (2005) führten eine randomisierte »Scheinstimulation«-kontrollierte Studie durch, bei der niedrigfrequente rTMS (1 Hz, Intensität 90 RMT, Dauer 25 min) über dem kontraläsionellen Motorkortex (M1) bei insgesamt 20 Schlaganfallpatienten mit Hemiparese appliziert wurde. Bei der Hälfte wurde eine sog. Scheinstimulation durchgeführt, bei der die Spule um 90 vertikal gekippt

572

41

Kapitel 56 · Schlaganfall

a

c

b

42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a–c. Vor und direkt nach der 10-tägigen rTMSBehandlung sowie 10 Tage später wurde die ScandinavianStroke-Skala (a), die NIH-Skala (b) und der Barthel-Index (c) bei den Schlaganfall-Patienten nach der echten 3-Hz-rTMS des geschädigten Motorkortex (schwarze Kreise) und nach der

Scheinstimulation (Quadrate) bestimmt. In allen 3 Bereichen zeigte sich ein signiﬁkant besseres Abschneiden der Patienten mit der rTMS-Stimulation im Vergleich zur Scheinstimulation, das sowohl direkt nach der Behandlung als auch 10 Tage später (10 T) noch nachweisbar war. (Aus Khedr et al. 2005)

wurde. Durch die reale rTMS verbesserte sich die maximale Beschleunigung eines trainierten Pinzettengriffes der paretischen Hand direkt im Anschluss an die Stimulation. Parallel dazu nahm die Amplitude der MEP im kontraläsionalen M1 ab, und die transkallosale Hemmung (7 Kap. 18) verringerte sich. Die verringerte transkallosale Hemmung korrelierte signifikant mit der verbesserten motorischen Funktion. Ebenfalls auf dem Konzept der Hemmung der gesunden Hemisphäre beruht die Studie von Mansur et al. (2005). Die Autoren zeigten, dass sich in einer gekreuzten, »Scheinstimulation«-kontrollierten Studie an insgesamt 10 Patienten die motorische Funktion der paretischen Hand durch rTMS (1 Hz; Intensität 100 RMT; Dauer 20 min) über der nichtgeschädigten Hirnhälfte in einfachen und komplexen Reaktionszeitaufgaben sowie im Purdue-Pegboard-Test signifikant verbessern ließ. Die Inhibition des kontraläsionellen Motorkortex durch niedrigfrequente rTMS sollte aber nur für die Patienten einen positiven Effekt zeigen, bei denen die gesunde Hemisphäre tatsächlich »überaktiv« ist und die geschädigte Hemisphäre »behindert«. Eine Reihe von Studien haben jedoch gezeigt, dass die Aktivität in der kontraläsionellen Hemisphäre bei einigen Patienten auch einen positiven funktionellen Effekt hat, d. h. die nichtgeschädigte Hemisphäre kompensiert funktionell relevant Defizite der geschädigten Hemisphäre (Lotze et al. 2006) In diesem Fall sollte eine Fazilitierung der kontralateralen Seite angestrebt werden. Diese Hypothese muss in entsprechenden Schlaganfallkollektiven direkt überprüft werden. Fazilitierung des läsionellen Motorkortex durch hochfrequente rTMS: Kim et al. (2006) untersuchten die Effekte von 10-Hz-rTMS (Intensität 80 RMT; Dauer eines Reizzuges 2 s; 8 Reizzüge über insgesamt

8 min) auf die Ausführung komplexer Fingerbewegungen in einer Gruppe von 15 chronischen Schlaganfallpatienten. Sie fanden eine kurzanhaltende Verbesserung der Bewegungszeit mit rTMS verglichen mit einer Scheinstimulation. Eine randomisierte »Scheinstimulation«-kontrollierte Studie von Khedr et al. (2005) zeigte, dass durch 3-Hz-rTMS über dem geschädigten motorischen Kortex (Intensität 120 RMT;10 Reizzüge á 10 s; 50 s zwischen Reizzügen; 10 Tage), die an insgesamt 52 Patienten nach akutem ischämischen Schlaganfall durchgeführt wurde, ein signifikant besseres Ergebnis bei den 26 mit rTMS behandelten Patienten in der »Disability Scale« erreicht werden konnte (. Abb. 56.3). Dieser Effekt war mindestens 10 Tage lang nachweisbar. Damit war ausgeschlossen, dass es sich lediglich um eine akute Fazilitierung des geschädigten Areals gehandelt hatte. Die Autoren vermuteten, dass durch die Stimulation plastische Vorgänge angestoßen wurden, die in Verbindung mit Training über die Stimulation hinaus positive Effekte bewirkten. Ebenfalls könnte durch die rTMS vermehrt Dopamin im Striatum ausgeschüttet worden sein (Strafella et al. 2001) und fazilitierend auf das Einspeichern neuer Gedächtnisspuren gewirkt haben.

56.2.2 Aphasie

Gesunde Probanden Die TMS kann bei der Beeinflussung von Sprachfunktionen bei gesunden Probanden und Schlaganfallpatienten in einer dem motorischen System vergleichbaren Form angewandt werden. Es ist also grundsätzlich vorstellbar, dass in der Therapie von Sprachstörungen nach unilateraler Hirnschädigung eine

573

56.2 Therapiestudien

1. Hemmung überaktiver Areale und 2. eine Fazilitierung unteraktiver oder geschädigter Areale durchgeführt werden könnte. Das Potenzial der TMS, Sprachfunktionen bei Gesunden zu hemmen, konnte in einer Reihe von Studien gezeigt werden, in denen mit überschwelliger, hochfrequenter rTMS über dem linken präfrontalen Kortex gereizt wurde, in der einfachsten Form definiert als einige Zentimeter vor dem motorischen Kortex (Pascual-Leone et al. 1991). Allerdings konnte keine wesentlich über die Stimulationsdauer hinausgehende Beeinflussung nachgewiesen werden. Auch birgt die hochfrequente rTMS die Gefahr, epileptische Anfälle auszulösen, besonders in dem vulnerablen Kollektiv der Schlaganfallpatienten. In eigenen Arbeiten konnten wir zeigen, dass auch durch niederfrequente rTMS über dem linken oder rechten präfrontalen Kortex eine über die Stimulationsdauer hinaus anhaltende Hemmung von Sprachfunktionen bei Gesunden möglich ist, jeweils abhängig von der in der Bildgebung bestimmten Seite der Sprachlateralisation (Knecht et al. 2002). Weiter konnte an gesunden Personen gezeigt werden, dass durch kurze Salven hochfrequenter rTMS mit niedriger Stimulationsstärke (Mottaghy et al. 1999) eine Steigerung sprachlicher Leistungen herbeizuführen ist, möglicherweise durch Voraktivierung neuronaler Netze. Allerdings waren diese Effekte gering, interindividuell sehr variabel und nur von kurzer Dauer.

Schlaganfallpatienten Zur fazilitierenden hochfrequenten rTMS liegen bisher keine veröffentlichten Studien vor, möglicherweise wegen der Gefahr, über dem geschädigten Areal epileptische Anfälle auszulösen. Zum Einsatz der inhibierenden rTMS zur Hemmung der die Erholung in der sprachdominanten linken Hemisphäre störenden homologen rechtshemisphärischen Areale (BrocaHomolog in der rechten Hemisphäre) liegt eine Studie mit 4 Aphasiepatienten vor. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Benennleistung nach Stimulation über 10 Tage mit 1-Hz-rTMS über einer in der funktionellen Kernspintomografie identifizierten überaktiven Areal in der rechten Hemisphäre verbessern ließ (Martin et al. 2004). Aus der gleichen Gruppe berichtete Naeser ein Jahr später, dass sich die verbesserte Benennleistung bei 3 der Patienten noch 8 Monate nach der rTMS-Behandlung nachweisen ließ (Naeser et al. 2005). Diese offene Studie kann zumindest als Hinweis gewertet werden, dass inhibierende rTMS in der Sprachtherapie einsetzbar sein könnte. In der Aphasietherapie sind größere, kontrollierte und ran-

56

domisierte Studien dringend erforderlich, bevor hier eine Empfehlung für die klinische Praxis abgegeben werden kann. Auch der Möglichkeit, sprachliche Funktionen durch Voraktivierung neuronaler Netze der geschädigten Hemisphäre zu verbessern, sollte nachgegangen werden.

56.2.3 Neglekt und Extinktion

Gesunde Probanden Auch im Aufmerksamkeitssystem konnte eine Hemmung durch niedrigfrequente rTMS nachgewiesen werden: Eine 1-Hz-Stimulation (Intensität 90 RMT; Dauer 10 min) über dem parietalen Kortex führte zu einer verringerten Erkennleistung von visuellen Stimuli im korrespondierenden kontralateralen Gesichtsfeld (Hilgetag et al. 2001). Interessanterweise verbesserte sich gleichzeitig die Detektion visueller Reize im ipsilateralen Gesichtsfeld, was darauf hinweisen könnte, dass Schlaganfallpatienten mit einseitigem Neglekt durch kontraläsionelle inhibierende Stimulation profitieren könnten.

Schlaganfallpatienten Bei 7 Neglektpatienten konnte durch hochfrequente rTMS (25 Hz, Intensität 115 MS, 10 Pulse) über dem parietalen Kortex der gesunden Hemisphäre eine transiente Verringerung zumindest eines NeglektAspektes, gemessen mittels einer Linienhalbierungsaufgabe, erreicht werden (Oliveri et al. 2001). Um dieses Verfahren jedoch potenziell für die klinische Routine nutzbar zu machen, müssen Stimulationsprotokolle erarbeitet werden, die eine Hemmung der gesunden Seite auch über die Stimulationsdauer hinaus erzeugen können, wie dies mit 1-Hz-Stimulation bei Gesunden erreicht worden war (Hilgetag et al. 2001). Eine erste Arbeit hierzu liegt von Shindo et al. (2006) vor. Zwei Patienten mit linksseitigem Neglekt wurden über 2 Wochen in insgesamt 6 Sitzungen behandelt. In jeder Sitzung erfolgte eine 0,9Hz-Stimulation mit 900 Pulsen (Intensität 95 RMT) über dem kontraläsionellen parietalen Kortex (P5). Dadurch ließ sich die Leistung in einer Aufmerksamkeitsaufgabe (sog. Behavioral-Inattention-Test) bessern. Die Wirkung hielt bis zu 6 Wochen nach der Behandlung an. Dieses Verfahren sollte nun in größeren, randomisierten und placebokontrollierten Studien überprüft werden.

574

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 56 · Schlaganfall

56.2.4 Depression nach Schlaganfall Eine nach Schlaganfall auftretende Depression hat einen signifikanten Einfluss auf die Gesamterholung und die Mortalität. Ein Teil der betroffenen Patienten sprechen nicht auf eine antidepressive Behandlung an. Hierbei könnte die rTMS eventuell eine sichere und effektive Alternative zur Elektrokonvulsionstherapie bei pharmakoresistenten Fällen bieten. Nach mehreren vielversprechenden Einzelfallberichten liegt bisher eine randomisierte, doppelblinde Studie vor, die den Einfluss von 10-wöchiger linksseitigen präfrontaler rTMS (10 Hz, Intensität 110 RMT, 20 Reizzüge á 5 s) gegen eine Scheinstimulation bei Patienten mit pharmakoresistenter Depression nach Schlaganfall untersuchte. Funktionell bildgebende Studien hatten von einer Unteraktivierung des linken präfrontalen Kortex bei depressiven Patienten berichtet (7 Kap. 61 für Details und Literatur). Unter rTMS fand sich eine signifikante Verbesserung in der Hamilton-Depressionsskala (Jorge et al. 2004). Da sich keine nennenswerten über die in der Placebogruppe hinausgehenden Nebenwirkungen fanden, könnte die rTMS eine sichere und effektive Behandlung bei pharmakoresistenter Depression nach Schlaganfall bieten. Dieses Ergebnis sollte jetzt durch Untersuchungen in größeren Gruppen bestätigt werden.

56.3

gen. Anschließend müssen die beschriebenen Effekte an größeren Kollektiven in randomisierten, placebokontrollierten Studien nachgewiesen werden. Hier sind Multicenteranstrengungen entscheidend, um eine ausreichend große Zahl an Patienten mit residuellen Defiziten im Motorik-, Sprach- und Aufmerksamkeitssystem zu rekrutieren und randomisiert einer rTMS bzw. einer Schein-Stimulation zuzuführen. Idealerweise sollte die rTMS-/Schein-Behandlung mit Training kombiniert werden. Dadurch könnte der Trainingserfolg verstärkt, die TMS-Effekte langfristig konsolidiert/bewahrt und die funktionelle Erholung langfristig verbessert werden.

56.4 1. 2.

Zusammenfassung

Durch die rTMS lassen sich sowohl Veränderungen auf molekularer und systemischer Ebene induzieren als auch funktionelle Parameter verändern (Verhaltensleistungen im motorischen, sprachlichen und Aufmerksamkeitssystem). Dies konnte in Studien an Gesunden und in kleinen »Proof of principle«-Untersuchungen bei Schlaganfallpatienten nachgewiesen werden. Um diese Verfahren aber tatsächlich in die klinische therapeutische Arena zu bringen, muss in weiteren experimentellen Studien an gesunden Personen und Schlaganfallpatienten geklärt werden, welche Behandlungsstrategien hinsichtlich des stimulierten kortikalen Areals (geschädigte vs. intakte Hemisphäre), Dauer der Behandlung sowie Art der Stimulation (z. B. niedrigfrequente vs. hochfrequente Stimulation) am erfolgversprechendsten sind. Wünschenswert wäre weiter, vor Beginn einer Behandlung hyperbzw. hypoaktive Areale am individuellen Patienten zu identifizieren, um entsprechend gezielt (Lokalisation, Frequenz) stimulieren zu können. Hier könnte ein wichtiger Einsatz der funktionellen Bildgebung lie-

3. 4.

5. 6.

7.

8.

Ausblick/oﬀene Fragen

Welcher Ort, Dauer und Art der Stimulation bewirken die ausgeprägtesten Effekte? Welche Patientengruppen profitieren am meisten von der jeweiligen Intervention? Gibt es Marker, die zeigen, welche Patienten, z. B. von einer Hemmung der gesunden, welche von einer Fazilitierung der geschädigten Hemisphäre profitieren würden? Gerade bei schwer betroffenen Patienten scheint die gesunde Seite tatsächlich kompensatorische Funktionen übernehmen zu können. Sollte die rTMS immer mit funktioneller Bildgebung kombiniert werden, um vor Stimulation hypo- und hyperaktive Areale zu identifizieren? Wie lange hält die Verbesserung nach rTMS an? Kann durch wiederholte rTMS-Behandlungen eine längerfristige oder sogar permanente Verbesserung der Funktion erreicht werden? In welchem zeitlichen Abstand nach Schlaganfall ist die Intervention am effektivsten? Klärung, inwieweit die zeitliche Beziehung zwischen Training und rTMS-Behandlung das Rehabilitationsergebnis beeinflusst. Eine weitere Möglichkeit zur Verstärkung der Effekte von TMS ist die Kombination mit anderen interventionellen Strategien, wie z. B. pharmakologischer Neuromodulation (7 Kap. 34) oder Modulation mit transkranieller Gleichstromstimulation (7 Kap. 53). Weiter müssen auch Sicherheitsaspekte der rTMS, v. a. bei wiederholter Anwendung, bei Schlaganfallpatienten evaluiert werden. Führt eine Erhöhung der Exzitabilität in der geschädigten Hemisphäre zu einem erhöhten Risiko epileptischer Anfälle?

Literatur

9. Letztlich fehlen große, randomisierte, placebokontrollierte klinische Studien, die die Kriterien von »randomised clinical trials« (RCT) erfüllen und Aussagen zum Evidenzlevel der vorhandenen Daten für die Therapie von Schlaganfallpatienten zulassen würden.

Literatur Baranyi A, Szente MB, Woody CD (1991) Properties of associative long-lasting potentiation induced by cellular conditioning in the motor cortex of conscious cats. Neuroscience 42: 321–334 Büteﬁsch CM, Khurana V, Kopylev L, Cohen LG (2004) Enhancing encoding of a motor memory in the primary motor cortex by cortical stimulation. J Neurophysiol 91: 2110– 2116 Flöel A, Nagorsen U, Werhahn KJ et al. (2004) Inﬂuence of somatosensory input on motor function in patients with chronic stroke. Ann Neurol 56: 206-212 Hallett M, Epstein CM, Berardelli A et al. (2000) Topics in transcranial magnetic stimulation. Suppl Clin Neurophysiol 53: 301–311 Hilgetag CC, Theoret H, Pascual-Leone A (2001) Enhanced visual spatial attention ipsilateral to rTMS-induced ‘virtual lesions’ of human parietal cortex. Nat Neurosci 4: 953–957 Hummel F, Cohen LG (2006) Noninvasive brain stimulation: A novel strategy to enhance neurorehabilitation after stroke? Lancet Neurol 5: 708–712 Jorge RE, Robinson RG, Tateno A et al. (2004) Repetitive transcranial magnetic stimulation as treatment of poststroke depression: a preliminary study. Biol Psychiatry 55: 398– 405 1Khedr EM, Ahmed MA, Fathy N, Rothwell JC (2005) Therapeutic trial of repetitive transcranial magnetic stimulation after acute ischemic stroke. Neurology 65: 466–468 Die Arbeit zeigt erstmals, dass hochfrequente rTMS über der betroﬀenen Hemisphäre nach akutem Schlaganfall die Erholung verbessern kann. Kim YH, Park JW, Ko MH (2004) Facilitative eﬀect of high frequency subthreshold repetitive transcranial magnetic stimulation on complex sequential motor learning in humans. Neurosci Lett 367: 181–185 Kim YH, You SH, Ko MH et al. (2006) Repetitive transcranial magnetic stimulation-induced corticomotor excitability and associated motor skill acquisition in chronic stroke. Stroke 37: 1471–1476 Knecht S, Flöel A, Drager B et al. (2002) Degree of language lateralization determines susceptibility to unilateral brain lesions. Nat Neurosci 5: 695–699 1Kobayashi M, Hutchinson S, Theoret H et al. (2004) Repetitive TMS of the motor cortex improves ipsilateral sequential simple ﬁnger movements. Neurology 62: 91–98 Diese Arbeit zeigt bei Gesunden, dass eine rTMS-induzierte Hemmung des Motorkortex einer Hemisphäre die Erregbarkeit des gegenüberliegenden Motorkortex erhöht und

575

56

gleichzeitig die Funktion der zum rTMS-stimulierten Motorkortex ipsilateralen Hand verbessert. Kobayashi M, Pascual-Leone A (2003) Transcranial magnetic stimulation in neurology. Lancet Neurol 2: 145–156 Lotze M, Markert J, Sauseng P (2006) The role of multiple contralesional motor areas for complex hand movements after internal capsular lesion. J Neurosci 26: 6096–6102 Mansur CG, Fregni F, Boggio PS et al. (2005) A sham stimulation-controlled trial of rTMS of the unaﬀected hemisphere in stroke patients. Neurology 64: 1802–1804 1Martin PI, Naeser MA, Theoret H et al. (2004) Transcranial magnetic stimulation as a complementary treatment for aphasia. Semin Speech Lang 25: 181–191 Diese Arbeit zeigt erstmals, dass eine Hemmung überaktiver rechtshemisphärischer Areale mit rTMS bei Aphasiepatienten eine Verbesserung der Sprachfunktion induzieren kann. Mottaghy FM, Hungs M, Brugmann M et al. (1999) Facilitation of picture naming after repetitive transcranial magnetic stimulation. Neurology 53: 1806–1812 Naeser MA, Martin PI, Nicholas M et al. (2005) Improved picture naming in chronic aphasia after TMS to part of right Broca’s area: an open-protocol study. Brain Lang 93: 95– 105 Oliveri M, Bisiach E, Brighina F et al. (2001) rTMS of the unaffected hemisphere transiently reduces contralesional visuospatial hemineglect. Neurology 57: 1338–1340 Pascual-Leone A, Gates JR, Dhuna A (1991) Induction of speech arrest and counting errors with rapid-rate transcranial magnetic stimulation. Neurology 41: 697–702 Plewnia C, Lotze M, Gerloﬀ C (2003) Disinhibition of the contralateral motor cortex by low-frequency rTMS. Neuroreport 14: 609–612 1Shindo K, Sugiyama K, Huabao L et al. (2006) Long-term eﬀect of low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation over the unaﬀected posterior parietal cortex in patients with unilateral spatial neglect. J Rehabil Med 38: 65–67 Die Autoren zeigen erstmals, dass eine hemmende Stimulation über der gesunden Hemisphäre eine längerfristige Besserung von Neglektsymptomen nach Schlaganfall induzieren kann. Strafella AP, Paus T, Barrett J, Dagher A (2001) Repetitive transcranial magnetic stimulation of the human prefrontal cortex induces dopamine release in the caudate nucleus. J Neurosci 21: RC157 Strens LH, Fogelson N, Shanahan P et al. (2003) The ipsilateral human motor cortex can functionally compensate for acute contralateral motor cortex dysfunction. Curr Biol 13: 1201–1205 1Takeuchi N, Chuma T, Matsuo Y et al. (2005) Repetitive transcranial magnetic stimulation of contralesional primary motor cortex improves hand function after stroke. Stroke 36: 2681–2686 Eine rTMS-induzierte Hemmung des gesunden Motorkortex bei Schlaganfallpatienten vermindert die interhemisphärische Hemmung des gesunden auf den geschädigten Motorkortex und verbessert gleichzeitig die Funktion der paretischen Hand.

576

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 56 · Schlaganfall

Webadressen zu Informationen laufender Therapiestudien »Preliminary Study of Transcranial Magnetic Stimulation for Stroke Rehabilitation« http://www.clinicaltrials.gov/ct/ show/NCT00050128 »Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation in Chronic Stroke Patients. Dose Eﬀect on Motor Cortex Excitability, Motor Performance, and Safety Using Diﬀerent Stimulation Parameters« http://clinicalstudies.info.nih.gov/cgi/detail. cgi?A_2003-N-0049.html »Fazilitierung von Lernprozessen im Motorkortex von Gesunden und Schlaganfallpatienten« http://www.kgu.de/znn/ neurologie/ (link: Forschung – Motorkortex) Diese Studien sollen die Möglichkeiten der (r)TMS als trainingsadjuvante Behandlung in der Rehabilitation von Schlaganfallfolgen testen. Es sollen sowohl die optimalen Stimulationsparameter (innerhalb der veröﬀentlichten Sicherheitsrichtlinien) gefunden als auch die Sicherheit des Verfahrens bei Schlaganfallpatienten belegt werden.

577

57

Epilepsie Frithjof Tergau, Konrad J. Werhahn

57.1

rTMS bei Epilepsie

57.1.1 57.1.2 57.1.3 57.1.4

Allgemeine Vorbemerkungen – 578 Pathophysiologische Konzepte – 578 Therapeutische rTMS-Studien bei Epilepsien – 578 Ausblick – 581

– 578

Literatur

– 582

ZUM THEMA Die repetitive TMS (rTMS) wurde bisher in einer Vielzahl von Fallbeschreibungen, kleineren oﬀenen Studien und bisher drei kontrollierten Studien an insgesamt etwa 100 Patienten zumeist mit fokaler Epilepsie zur Reduktion der Anfallsfrequenz eingesetzt. In den meisten Studien wurden rTMS Frequenzen von 1 Hz bzw. 0,33 Hz verwendet. Grundsätzlich sind zwei methodische Ansätze verfolgt worden: Nichtfokale Stimulation über dem Vertex mit einer Rundspule oder fokale Applikation von TMS-Reizen direkt über dem mittels EEG oder anderer Methoden nachgewiesenen Anfallsursprung. Während oﬀene Studien und insbesondere

Einzelfallberichte zum Teil ausgeprägte Eﬀekte im Sinne einer Reduktion der Anfallsfrequenz zeigten, konnte bisher in keiner der kontrollierten Studien eine signiﬁkante Reduktion der Anfallsfrequenz nachgewiesen werden. Die Heterogenität der Patienten und der verschiedenen methodischen Ansätze erschweren aber eine konsequente Überprüfung therapeutischer rTMS-Eﬀekte bei Epilepsie. Die Methode steht daher noch am Anfang; sie kann noch nicht in der klinischen Routine eingesetzt werden und ist zurzeit im Stadium der wissenschaftlichen Einordnung.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

578

Kapitel 57 · Epilepsie

57.1

rTMS bei Epilepsie

57.1.1 Allgemeine Vorbemerkungen Die Veränderung der kortikalen Erregbarkeit ist der entscheidende pathophysiologische Mechanismus in der Entstehung epileptischer Anfälle. Es ist daher nahe liegend, Methoden der Hirnstimulation, die die kortikale Erregbarkeit modulieren können, zur Therapie von Epilepsien einzusetzen. Durch Stimulation des Kortex mithilfe der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) können je nach Stimulationsprotokoll Veränderungen der kortikalen Erregbarkeit verschiedener Qualitäten und verschiedenen Ausmaßes induziert werden (7 Kap. 50). Aufgrund ihrer Vorteile als nichtinvasive, schmerzlose und einfach durchzuführende Methode wurde die TMS als therapeutisches Verfahren schon in einer Vielzahl von Versuchen bei Patienten mit Epilepsie eingesetzt. In diesem Kapitel sollen diese Studien zusammengefasst und bewertet sowie ein Ausblick auf die Rolle der TMS in der Therapie von Epilepsien gegeben werden. Konzeptionell hat jedes Verfahren zur externen Stimulation des Kortex als Therapie bei Epilepsien zwei Probleme: Die Stimulation und deren Effekt ist zum einen örtlich begrenzt und erfolgt zum anderen intermittierend, ist also zeitlich begrenzt. Die örtliche Begrenzung hat zur Konsequenz, dass die neuronale Erregbarkeit in Abhängigkeit vom Reizort nur in begrenzten Hirnregionen – vermutlich nur vornehmlich kortikal – moduliert werden kann. Die zeitliche Begrenzung setzt voraus, dass therapeutische Effekte der Hirnstimulation die Dauer der Stimulation deutlich überdauern können. Der Nachteil der örtlichen Begrenzung kann durch Selektion von bestimmten Epilepsie-Syndromen mit umschriebenen kortikalen Läsionen vermindert bzw. möglicherweise in einen Vorteil umgewandelt werden. Bezüglich der zeitlichen Begrenzung ist zumindest für den sensomotorischen Kortex an gesunden Probanden exemplarisch gezeigt worden, dass die Effekte von repetitiver TMS (rTMS) die Dauer der Stimulation messbar überdauern können, wenigstens für einige Minuten (7 Kap. 50). Es darf aber vermutet werden, dass bei entsprechender Einstellung des Reizprotokolls die Modulation kortikaler Erregbarkeit deutlich länger anhalten kann, dies lässt sich jedoch aus ethischen Gründen nur begrenzt systematisch untersuchen. In der Anfangsphase der TMS-Forschung seit 1985 bestand zunächst die Vermutung, dass durch TMS epileptische Anfälle ausgelöst werden könnten, es wurde aber bald deutlich, dass sich die TMS mit einzelnen Reizen nicht eignet, um reliabel epileptische Anfälle auszulösen. Der

Einsatz der TMS zur Therapie bei Epilepsien wurde erst wirklich durch die Entwicklung von TMS-Geräten mit repetitiver Reizung zu Beginn der 90er-Jahre möglich.

57.1.2 Pathophysiologische Konzepte Das zugrunde liegende pathophysiologische Konzept des Einsatzes von rTMS zur antiepileptischen Therapie besteht darin, die bei Epilepsie aufgrund verminderter Hemmung oder gesteigerter Erregung erhöhte neuronale Exzitabilität im epileptischen Fokus und der an der Anfallsausbreitung beteiligten Strukturen zu normalisieren, d. h. die Hemmung zu verstärken oder die Übererregbarkeit zu reduzieren. Prinzipiell kann mit rTMS eine Verstärkung von Inhibition, aber auch eine Steigerung der Erregbarkeit im stimulierten Kortex induziert werden. In welche Richtung sich die Erregbarkeit verändert, hängt vor allem von den Stimulationsparametern ab (7 Kap. 50); rTMS, welche zur Induktion einer Erregbarkeitssteigerung konfiguriert wird – z. B. durch hohe Reizfrequenz – kann im Gegensatz zur Einzelreiz-TMS prinzipiell zur Auslösung von epileptischen Anfällen bei Epilepsie-Patienten, aber auch bei Gesunden führen (7 Kap. 4). Die Reizfrequenz ist nicht alleine entscheidend für den induzierten Effekt, vielmehr ist es die Summe verschiedener Faktoren, neben der Frequenz insbesondere die Intensität, die Wiederholungsrate und Länge der rTMS-Reizzüge, aber auch die Spulen- und die Pulskonfiguration. Die Kombination dieser Faktoren entscheidet, ob rTMS zu einer verstärkten Hemmung oder Erregung führt und welche Dauer diese Effekte haben (7 Kap. 50). Hinzu kommt, dass patientenbezogene Faktoren wie die Heterogenität der EpilepsieSyndrome bzw. Fokus-Lokalisationen, Anfallstypen, Vormedikation etc. den rTMS-Effekt erheblich beeinflussen können. Aus der Vielzahl potenzieller Einflussfaktoren wird deutlich, warum die verschiedenen hier besprochenen Studien nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar sind, da sie sich in eben diesen Faktoren unterscheiden und ein einheitliches Reizprotokoll bisher nicht etabliert ist.

57.1.3 Therapeutische rTMS-Studien bei

Epilepsien Die wesentlichen auf diesem Gebiet bisher publizierten Studien sind in der . Tab. 57.1. dargestellt. Der tabellarische Überblick zeigt sofort die methodische Diversivität. Grundsätzlich kann man drei verschie-

4

1

2

1

Daniele et al. 2003

Rossi et al. 2004

Graﬀ-Guerrero et al. 2004

Misawa et al. 2005

9

8

7

6

Tergau et al. 1999

Fregni et al. 2005

Kinoshita et al. 2005

Brighina et al. 2006

Oﬀene Studien

1

n

Menkes et al. 2000

Fallberichte

Autoren

Zerebellum

Über dem »Herd«

Über Dysplasie

Vertex

Über Dysplasie

Epileptogene Region

Perirolandisch

Über Dysplasie

Über Dysplasie

Reizort

achtförmig monophasisch

9 cm – rund ?

achtförmig ?

9 cm – rund monophasisch

achtförmig ?

achtförmig monophasisch

achtförmig biphasisch

achtförmig monophasisch

9 cm – rund monophasisch

Spulentyp Pulsform

. Tab. .. rTMS Studien zur Therapie von Epilepsiepatienten

2000 20

8100 10

90% RMT 0,9 Hz 90% RMT 5 Hz

600 1

5000 5

100 1

600 1

900 1

800 8

800 8

Pulse Sitzungen

100% RMT 0,5 Hz

100% RMT 0,33 Hz

90% RMT 0,5 Hz

128% RMT 20 Hz

90% RMT 1 Hz

90% RMT 0,5 Hz

95% RMT 0,5 Hz

Intensität Frequenz

54% Anfallsreduktion während der rTMS (4 Wochen), aber kein Eﬀekt nach rTMS

Nicht signiﬁkante Reduktion der Anfallsfrequenz um 19% in den 2 Wochen nach rTMS (36% für komplexpartielle und 7% für einfach-partielle Anfälle)

Signiﬁkante Reduktion epileptischer Entladungen um 46% und 42% und der Anfallsfrequenz um 57% und 52% 15 und 30 Tage nach rTMS

39% Reduktion der Anfallsfrequenz, signiﬁkant 4 Wochen nach rTMS

Die EPC sistierte in der Hand und im Arm für 2 Monate nach einer einzigen rTMS-Sitzung. Dieses Ergebnis konnte in demselben Patienten reproduziert werden

Reduktion der Hyperperfusion im Bereich des epileptogenen Areals bei 2 Patienten mit EPC; bei einem Patienten sistierten die Anfälle für 24 h, ein Patient zeigte nur eine minimale klinische Verbesserung

Reduktion der Myoklonien auf 33%, Reduktion der Amplitude, nicht aber der Anzahl Myokloni-assoziierter Spikes

Reduktion der Anfallsfrequenz von 31–42% bei 2 Patienten mit einer einzelnen fokalen Dysplasie sowohl während als auch nach rTMS, keine Anfallsreduktion in 2 Patienten mit mutiplen Foki

70% Reduktion der Anfallsfrequenz; 77% Reduktion epilepsietypische Potenziale

Eﬀekt

C

C

C

C

D

D

D

D

D

Evidenzklasse

57.1 rTMS bei Epilepsie 579

57

58

59

60

21

Fregni et al. 2006

Über kortikaler Malformation

Vertex

100% RMT 1 Hz

100% RMT 0,33 Hz

100% RMT 0,33–1 Hz

6000 5

5000 5

5000 5

Gegenüber Placebo signiﬁkante Reduktion der Anfallsfrequenz über 2 Monate und signiﬁkante Reduktion der Frequenz epilepsietypischer Potenziale über 4 Wochen

Nicht signiﬁkante Reduktion der Anfallsfrequenz um 15% (Placebo 9%); nicht signiﬁkante Reduktion der Anzahl von epilepsietypsichen Potenzialen im EEG (>50% Reduktion bei 12/38)

Ca. 40% Anfallsreduktion während der Stimulation mit 0,33 Hz, keine signiﬁkanter Eﬀekt für irgendeine andere Zeit oder im Vergleich zu Placebo

B

B

B

B

Evidenzklasse

n untersuchte Patientenzahl; ? keine Angaben; RMT kortikale motorische Reizschwelle in Ruhe; Pulse Gesamtzahl applizierter Pulse über alle Sitzungen; EPC Epilepsia partialis continua; Evidenzlevel A– D (A höchste Evidenzklasse)

43

56

Cantello et al. 2007

53

9 cm – rund monophasisch

47

Nicht signiﬁkante Anfallsreduktion über 2 bzw. 8 Wochen nach rTMS: 16 bzw. 4,5% (in der Verumgruppe), 1 bzw. –0,4% (Placebogruppe)

46

Vertex

9000 14

45

17

120% RMT1 Hz

Eﬀekt

44

Tergau et al. 2003

55 achtförmig biphasisch

52

Über iktalem EEG-Fokus

50 Pulse Sitzungen

43

24

51

Intensität Frequenz

42

Theodore et al. 2002

54

Spulentyp Pulsform

49

Kontrollierte Studien

57

Reizort

48

n

41

Autoren

. Tab. .. Fortsetzung

580 Kapitel 57 · Epilepsie

581

57.1 rTMS bei Epilepsie

dene Evidenzlevel von Therapiestudien unterscheiden: Fallberichte, offene und kontrollierte Studien. Keine der Studien erreicht die Evidenzklasse A und die Fallzahl der Studien ist immer noch sehr klein, so dass sich die Anwendung von rTMS bei Epilepsie zur therapeutischen Zwecken immer noch in der PilotPhase befindet. In den meisten Studien lag die Reizfrequenz bei ≤1 Hz und die Reizstärke entsprach oder lag leicht unter der kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe (engl. resting motor threshold, RMT). Es wurden zwei grundsätzlich differente Strategien angewendet: Entweder fokale Stimulation über dem angenommen Anfallsursprung mit einer »fokalen« achtförmigen Spule oder Stimulation über dem Vertex mit einer Rundspule. Lediglich in einer Studie mit 2 Patienten (Graff-Guerrero et al. 2004) mit Epilepsia partialis continua wurde versucht, die epileptische Erregung mit einer Frequenz von 20 Hz und überschwelligen Reizen über dem epileptogenen Fokus zu durchbrechen. Nach einer ersten erfolgreichen und daher viel beachteten kleinen Serie fanden Tergau et al. (1999) in einer offenen Studie an 9 Patienten mit fokaler Epilepsie (2 temporal, 7 extratemporal) eine signifikante Reduktion der Anfallsfrequenz um 39 für 4 Wochen nach niedrigfrequenter nichtfokaler rTMS-Therapie (0,33 Hz) über 5 Tage. Dieser Effekt ließ sich aber in einer placebokontrollierten Studie an 23 Patienten der gleichen Arbeitsgruppe nicht reproduzieren (Tergau et al. 2003 und eigene Daten, noch unveröffentlicht), was zeigt, dass sich die positiven Effekte von Fallberichten und offenen Studien, ähnlich wie auch bei Therapieversuchen mit Thalamus- und KleinhirnStimulation bei Epilepsie, in kontrollierten Studien oft nicht bestätigten und mit Vorsicht interpretiert werden müssen. Dass rTMS mit 0,33 Hz über dem Vertex keinen signifikanten Effekt auf die Anfallsfrequenz hat, konnte auch in einer weiteren kontrollierten Multicenterstudie bestätigt werden (Cantello et al. 2007). In einem Crossover-Design erhielten 43 medikamentös-therapieresistente Patienten (n=43) mit fokaler Epilepsie (in 42 Fällen) für 5 Tage 2×500 rTMS-Reize mit Schwellreizstärke und 0,33 Hz über die Rundspule über dem Vertex. Es kam zwar bei 12 von 38 Patienten zu einer >50-Reduktion epilepsietypischer Potenziale im EEG, der Effekt auf die Anfallshäufigkeit (Einschlusskriterium bei baseline ≥3 Anfälle/Woche), war aber nicht signifikant (15-Reduktion mit rTMS, 9-Reduktion mit Placebo). Zwei andere kontrollierte Studien, in denen 1-Hz-rTMS zur Anwendung kam, zeigten uneinheitliche Ergebnisse: In der ersten überhaupt publizierten placebokontrollierten doppelblinden Studie (Theodore et al. 2002) bei Patienten mit fokaler Epilepsie (10 mesio- und 10 laterotempora-

57

ler, 3 frontaler, 1 parietaler Anfallsursprung nach MRT und iktalem EEG) wurde eine achtförmige Spule über die EEG-Elektrodenposition des 10–20-Systems gehalten, von der die Anfälle ausgingen und 2× pro Tag und über 5 Tage für 15 min mit 1 Hz (900 Impulse) und mit einer Reizstärke von 120 RMT stimuliert. Hierbei ergab sich kein Unterschied zwischen der aktiven und der Placebo-Gruppe. Es fand sich allerdings ein nicht signifikanter Trend zu einer Reduktion der Anfallsfrequenz (von 2,1 auf 1,1 Anfälle pro Woche) in den 2 Wochen nach rTMS bei den Patienten mit neokortikal-temporalem Anfallsursprung gegenüber den Patienten mit mesial-temporale Anfallsursprung (Reduktion um 24±22 vs. –11±28). Die fehlende Signifikanz dieses Ergebnisses hängt mit der hohen interindividuellen Varianz und der kleinen Fallzahl (n=10 in jeder Gruppe) zusammen. Die Schlussfolgerung dieser Studie war daher, dass eine Stimulation direkt über kortikalen Foki effektiv sein könnte, während eine Stimulation fernab vom Fokus (z. B. bei tiefliegendem Fokus bei mesiotemporaler Epilepsie) keinen Effekt zu haben scheint. Genau diese Spezifizierung des Stimulationsprotokolls scheint entscheidend für den Nachweis eines signifikanten antiepileptischen Effekts in der Studie der Arbeitsgruppe von Fregni et al. (2006) zu sein: Bei 21 Patienten mit fokaler therapieresistenter Epilepsie aufgrund einer kortikalen Malformation resultierte eine fokale rTMS mit 1 Hz über 5 Tage mit täglich 1200 Pulsen über dem Fokus verglichen mit Placebostimulation in einer signifikanten Reduktion der Anfallsfrequenz über einen Zeitraum von 2 Monaten und einer signifikanten Abnahme der Frequenz epilepsietypischer Muster im EEG über 4 Wochen.

57.1.4 Ausblick Die rTMS bietet eine interessante Möglichkeit, kortikale Erregbarkeit zu modulieren, und es sollte möglich sein, diesen Effekt therapeutisch bei Epilepsie nutzbar zu machen. Nachdem die nichtfokale Stimulation über dem Vertex wenig erfolgreich zu sein scheint, besteht eine nach derzeitiger Studienlage vielversprechende Möglichkeit darin, die direkte Stimulation des Anfallsursprungs bei neokortikalen fokalen Epilepsien mittels fokaler rTMS detaillierter zu untersuchen. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Erfolg der medikamentösen und chirurgischen Therapien gerade bei neokortikalen fokalen Epilepsien nicht zufriedenstellend ist und weil es eine Reihe von Patienten mit medikamentös-therapieresistenten perirolandischen Epilepsien gibt, die wegen der Nähe des

582

Kapitel 57 · Epilepsie

41

Anfallsursprungs zu eloquenten Kortexarealen nicht operiert werden können.

42

Literatur

43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Brighina F, Daniele O, Piazza A et al. (2006) Hemispheric cerebellar rTMS to treat drug-resistant epilepsy: case reports. Neurosci Lett 397: 229–233 Cantello R, Rossi P, Varrasi C et al. (2007) Slow repetitive TMS for drug-resistant epilepsy. Clinical and EEG ﬁndings of a placebo-controlled trial. Epilepsia 48: 366–374 Daniele O, Brighina F, Piazza A, et al. (2003) Low-frequency transcranial magnetic stimulation in patients with cortical dysplasia - a preliminary study. J Neurol 250: 761–762 Fregni F, Thome-Souza S, Bermpohl F et al. (2005) Antiepileptic eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation in patients with cortical malformations: an EEG and clinical study. Stereotact Funct Neurosurg 83: 57–62 2Fregni F, Otachi PT, Do Valle A et al. (2006) A randomized clinical trial of repetitive transcranial magnetic stimulation in patients with refractory epilepsy. Ann Neurol 60: 447–455 Erste placebokontrollierte Studie, die einen mehrwöchigen signiﬁkanten positiven Eﬀekt von 1,0-Hz-rTMS auf die Anfallsfrequenz zeigt. Graﬀ-Guerrero A, Gonzales-Olvera J, Ruiz-Garcia M et al. (2004) rTMS reduces focal brain hyperperfusion in two patients with EPC. Acta Neurol Scand 109: 290–296 Kinoshita M, Ikeda A, Begum T et al. (2005) Low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation for seizure suppression in patients with extratemporal lobe epilepsy-a pilot study. Seizure 14: 387–392 Menkes DL, Gruenthal M (2000) Slow-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation in a patient with focal cortical dysplasia. Epilepsia 41: 240–242 Misawa S, Kuwabara S, Shibuya K et al. (2005) Low-frequency transcranial magnetic stimulation for epilepsia partialis continua due to cortical dysplasia. J Neurol Sci 234: 37– 39 Rossi S, Ulivelli M, Bartalini S et al. (2004) Reduction of cortical myoclonus-related epileptic activity following slow-frequency rTMS. Neuroreport 15: 293–296 1Tergau F, Naumann U, Paulus W et al. (1999) Low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation improves intractable epilepsy. Lancet 353: 2209 Erste rTMS-Therapiestudie an einem Patientenkollektiv überhaupt, die als unkontrollierte Pilotstudie mit fraktionierter Behandlung mit 0,3-Hz-rTMS über 5 Tage einen mehrwöchigen positiven Nach-Eﬀekt auf die Anfallsfrequenz zeigt. Tergau F, Neumann D, Rosenow F et al. (2003) Can epilepsies be improved by repetitive transcranial magnetic stimulation? - Interim analysis of a controlled study. Clin Neurophysiol (Suppl) 56: 400–405 1Theodore WH, Hunter K, Chen R et al. (2002) Transcranial magnetic stimulation for the treatment of seizures: a controlled study. Neurology 59: 560–562

Erste Studie, bei der ein möglicher antiepileptischer Therapieeﬀekt von rTMS in einem placebokontrollierten Design untersucht wird. Die Eﬀekte sind nicht signiﬁkant.

583

58

Bewegungsstörungen Martin Sommer, Hartwig Roman Siebner

58.1

Einleitung – 584

58.2

Morbus Parkinson

58.2.1 58.2.2

Pathophysiologischer Hintergrund Klinische Effekte einer einmaligen rTMS-Anwendung – 585 Kumulative Effekte wiederholter rTMS-Anwendungen – 587

58.2.3

– 584

58.3

Andere Bewegungsstörungen – 588

58.4

Offene Fragen

58.5

Ausblick – 590

Literatur

– 590

– 589

– 584

ZUM THEMA An Hand des Morbus Parkinson und der fokalen Handdystonie fasst dieses Kapitel den derzeitigen Kenntnisstand zum therapeutischen Einsatz der transkraniellen Kortexstimulation bei Bewegungsstörungen zusammen. Ausgehend von der Pathophysiologie der Bewegungsstörungen leiten wir Konzepte für den therapeutischen Einsatz der transkraniellen Kortexstimulation ab. Zudem werden die veröﬀentlichten Therapie-

studien zusammengefasst und die Grenzen aktueller Behandlungsversuche aufgezeigt. Obwohl ein Wirksamkeitsnachweis nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin derzeit noch aussteht, rechtfertigen die vorliegenden Ergebnisse weitere Untersuchungen zur therapeutischen Neuromodulation der transkraniellen Kortexstimulation bei Bewegungsstörungen.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

584

Kapitel 58 · Bewegungsstörungen

58.1

Einleitung

Bewegungsstörungen bieten sich aus mehreren Gründen für die therapeutische transkranielle Neuromodulation an. Die motorischen Kortexareale sind für transkranielle Stimulationsverfahren gut zugänglich. Zudem kann die Stimulusintensität insbesondere bei rTMS an die individuelle Erregbarkeit des primären motorischen Kortex angepasst werden (7 Kap. 5 und 14). Ein weiterer Vorteil ist, dass die neurophysiologischen Auswirkungen der rTMS (und tDCS) auf motorische Kortexareale im Vergleich zu anderen Systemen bei gesunden Probanden relativ gut untersucht sind (7 Kap. 50 und 53). Die rTMS von Patienten mit Bewegungsstörungen ist auch für die Entwicklung therapeutischer Konzepte von besonderem Interesse, da sich die elektrophysiologischen und funktionellen Auswirkungen der konditionierenden Kortexstimulation über die Aufzeichnung der MEP und kinematische Bewegungsmessungen gut charakterisieren lassen (7 Kap. 40). Somit können klinische Effekte oder kinematische Änderungen in standardisierten motorischen Aufgaben mit neurophysiologischen Veränderungen (z. B. eine Änderung in der intrakortikalen Hemmung) in Beziehung gesetzt werden. Auch können funktionelle Verfahren (EEG, PET, funktionelle MRT) zusätzlich eingesetzt werden, um die neuromodulatorischen Effekte der Kortexstimulation auf Systemebene zu erfassen (7 Kap. 35–37).

58.2

Morbus Parkinson

Der Morbus Parkinson (idiopathisches Parkinsonsyndrom oder Parkinson-Erkrankung) wurde im Hinblick therapeutischer Ansätze der transkraniellen Hirnstimulation von allen Bewegungsstörungen am intensivsten untersucht. Zahlreiche Studien hatten zum Ziel, durch eine Modulation kortikaler Erregbarkeit in die gestörten neuronalen Regelkreise einzugreifen und klinische Symptome zu bessern (7 Kap. 51). Im Folgenden werden die pathophysiologischen Hintergründe und die wichtigsten rTMS-Studien näher besprochen.

58 59 60

58.2.1 Pathophysiologischer Hintergrund Beim Morbus Parkinson führt eine progressive Degeneration dopaminerger Neurone in der Pars compacta der Substantia nigra zu einer Dopaminverarmung im Striatum. Der striatale Dopaminmangel induziert eine Dysfunktion der verschiedenen, parallel organi-

sierten Basalganglienschleifen, wobei die motorische Schleife besonders stark betroffen ist. Diese subkortikale Dysfunktion verändert auch die Funktion des motorischen Kortex bei Patienten mit Morbus Parkinson. So ist das Erregbarkeitsprofil des primären motorischen Kortex im Sinne einer reduzierten Erregbarkeit inhibitorischer Regelkreise verändert. Funktionelle Aktivierungsstudien belegen eine relative Minderaktivierung motorischer Kortexareale während der Durchführung frei gewählter Handbewegungen, die sich sowohl durch Gabe dopaminerger Substanzen als auch durch hochfrequente tiefe Hirnstimulation des Nucleus subthalamicus besserte (Übersicht in Pötter et al. 2005). Dies wurde als Beleg für eine unzureichende funktionelle Modulation motorischer Areale über die Basalganglienschleife bei manifestem striatalem Dopaminmangel gedeutet. Passend zu der gestörten bewegungsassoziierten Aktivierung motorischer Kortexareale in den bildgebenden Untersuchungen zeigen Patienten mit Morbus Parkinson eine gestörte bewegungsabhängige Modulation der kortikomotorischen Erregbarkeit. So ist z. B. der physiologische Anstieg und Abfall der kortikospinalen Erregbarkeit vor und nach der Ausführung einer schnellen Fingerbewegung verzögert. Zusammenfassend bedingt die funktionelle Störung in der motorischen Basalganglienschleife eine Dysfunktion frontaler motorischer Kortexareale. Diese Veränderungen bilden die pathophysiologische Basis für Ansätze, die motorischen Symptome beim Morbus Parkinson mit einer rTMS zu behandeln. Zudem legten anekdotische Berichte über eine erfolgreiche Anwendung der Elektrokonvulsionstherapie und der chronischen epiduralen Stimulation des motorischen Kortex eine mögliche positive Wirkung der rTMS beim Morbus Parkinson nahe. Eine detaillierte Zusammenfassung pathophysiologischer Aspekte in Hinblick auf den therapeutischen Einsatz der rTMS beim Morbus Parkinson findet sich in Pötter et al. (2005). Die Annahme, dass die TMS die motorische Dysfunktion beim Morbus Parkinson bessern kann, wurde von einer Untersuchung gestützt, in der transkranielle Einzelreize unterschiedlicher Intensität über dem primären motorischen Kortex während einer einfachen Reaktionszeitaufgabe appliziert wurde (PascualLeone et al. 1994). Gesunde und Patienten mit Morbus Parkinson führten nach einem Startsignal eine ballistische Armbewegung aus. Eine Einzelreizung über dem primär motorischen Kortex kontralateral zum untersuchten Arm verkürzte die Reaktionszeit, sofern die TMS in einem bestimmten Zeitfenster 10 ms vor bis 60 ms nach dem Startsignal erfolgte. Diese Verbesserung der Reaktionszeit war bei den Patienten mit

58.2 Morbus Parkinson

Morbus Parkinson signifikant deutlicher ausgeprägt als bei den Gesunden, bei denen eine Stimulation zu einem späteren Zeitpunkt sogar eine Verschlechterung der Reaktionszeit zeigte. In beiden Gruppen war die Beeinflussung der Reaktionszeit durch TMS bei Reizintensitäten knapp unterhalb der motorischen Reizschwelle am deutlichsten ausgeprägt. Zudem war bei Patienten mit Morbus Parkinson die Erregbarkeitssteigerung im primären motorischen Motorkortex vor Bewegungsbeginn verzögert und wurde durch TMS beschleunigt. Daraus schlossen die Autoren, dass die TMS mit der Bewegungsausführung interferiert und diese bei Patienten mit Morbus Parkinson normalisiert, bei Gesunden dagegen stören kann. Allerdings sind die Verhaltenseffekte der TMS während einer motorischen Aufgabe hinsichtlich möglicher Therapieeffekte generell schwer zu interpretieren, da die TMS während der Durchführung einer Aufgabe eher eine Funktionsverschlechterung im Sinne einer virtuellen Läsion erzielt (7 Kap. 31).

58.2.2 Klinische Eﬀekte einer einmaligen

rTMS-Anwendung Die meisten Studien zu den akuten Konditionierungseffekten einer einmaligen rTMS-Sitzung beim Morbus Parkinson stimulierten den primären motorischen Kortex. Die publizierten Studien zu den klinischen Kurzzeiteffekten (Minuten bis Stunden) nach einer einzelnen rTMS-Sitzung sind tabellarisch zusammengefasst (. Tab. 58.1). Es wurden meist nur kleine Patientengruppen untersucht. Die konditionierenden Effekte der rTMS auf die motorische Dysfunktion wurde entweder mittels kinematischer Messungen oder durch eine standardisierte klinische Untersuchung unter Verwendung der »Unified Parkinson’s Disease Rating Scale« (UPDRS) erfasst. Ein Vergleich dieser Studien ist nur eingeschränkt möglich, da unterschiedliche Stimulationsprotokolle verwendet wurden und die Patienten entweder nach kurzfristigem Absetzen oder unter Fortführung der vorbestehenden dopaminergen Medikation untersucht wurden. In einigen Studien wurde bei Patienten mit Morbus Parkinson eine hochfrequente fokale rTMS über dem primären motorischen Handareal in der Vorstellung verabreicht, die gestörte thalamokortikale Aktivierung durch eine Anhebung der intrinsischen kortikalen Erregbarkeit zu »erleichtern« und somit ein akinetisch-rigides Parkinson-Syndrom zu bessern. Dieses Konzept wird durch eine elektroenzephalografische Untersuchung an gesunden Probanden gestützt, welche die präparatorische kortikale Aktivität vor und

585

58

nach einer unterschwelligen 5-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals untersuchte (Holler et al. 2006). Verglichen mit einer Kontrollstimulation nahm nach der 5-Hz-rTMS die präparatorische Aktivität in der linken Präzentralregion zu. Zudem führte eine unterschwellige 5-Hz-rTMS des primären motorischen Kortex zu einer Verlängerung der kortikalen Innervationsstille (engl. cortical silent period; 7 Kap. 15) bei nicht medizierten Patienten mit Morbus Parkinson im Sinne einer Verstärkung der intrakortikalen GABAergen Inhibition (Siebner et al. 2000a). Ein fokale hochfrequente rTMS des primären motorischen Handareals könnte zudem die Dopaminfreisetzung aus den verbliebenen nigrostriatalen Neuronen im Putamen verbessern, da eine hochfrequente fokale rTMS des primären motorischen Handareals bei gesunden Personen zu einer vermehrten endogenen Dopaminfreisetzung im ipsilateralen posterolateralen Putamen führt (7 Kap. 36). Vier Arbeitgruppen haben die akuten Auswirkungen einer hochfrequenten (5 Hz) rTMS des primären motorischen Kortex auf die motorische Dysfunktion nach kurzfristigem Absetzen der dopaminergen Medikation untersucht. Siebner et al. (1999b, 2000b) applizierten in zwei Gruppen von Patienten mit Morbus Parkinson eine unterschwellige 5-Hz-rTMS des primären motorischen Handareals (2250 Stimuli) und fanden eine Verbesserung des motorischen Teils der UPDRS sowie einen günstigen Effekt auf Zeigebewegungen mit der kontralateralen Hand. Vergleichbare klinische Effekte nach hochfrequenter rTMS des primären motorischen Handareals wurden auch von anderen Gruppen beobachtet (. Tab. 58.1). De Groot et al. (2001) beschrieben, dass die klinische Besserung kontralateral zur stärker betroffenen Seite am ausgeprägtesten war. Lefaucheur et al. (2004) untersuchte, inwiefern die akuten Effekte der rTMS auf den Parkinsonismus von der verwendeten Stimulationsfrequenz abhängen. Dieselbe Gruppe von Patienten mit Morbus Parkinson erhielt in zwei getrennten Sitzungen eine niedrigfrequente (0,5 Hz) oder hochfrequente (10 Hz) rTMS. Die 0,5-Hz-rTMS besserte vor allem die Rigidität und den Gang, während Rigidität, Bradykinese sowie die Durchführung einer ballistischen Tappingaufgabe nach der 10-Hz-rTMS eine Besserung zeigten. Somit zeigen alle vier Studien, dass eine hochfrequente unterschwellige rTMS des primären motorischen Kortex bei nichtmedizierten Patienten einen günstigen Kurzzeiteffekt auf das akinetisch-rigide Parkinson-Syndrom hat, falls mindestens 1000 Stimuli verabreicht werden (. Tab. 58.1). Zwei Untersuchungen erfolgten unter Beibehaltung der vorbestehenden dopaminergen Medikati-

586

Kapitel 58 · Bewegungsstörungen

41

. Tab. .. Studien zu klinischen Kurzzeiteﬀekten nach einzelnen rTMS-Sitzungen

42

Studie

rTMS-Protokoll

Zielgröße

Eﬀekte der rTMS

Tergau (1999) n=7, CO, ON

Vertex (90% RMT) 1, 5, 10, 20 Hz, 1000 Reize

UPDRS, Teil III

Unverändert

M1 (90% RMT) 5 Hz, 2250 Reize

Zielbewegung

44

Siebner (1999b) n=12, CO, OFF

Schnellere und glattere Bewegung

Siebner (2000b) n=10, CO, OFF

M1 (90% RMT) 5 Hz, 2250 Reize

UPDRS, Teil III

Verbesserung

45

Boylan (2001) n=10, CO, OFF

SMA (110% RMT) 10 Hz, 2000 Reize

Spiralzeichnen, Reaktionszeit

Verschlechterung

De Groot (2001) n=9, CO, OFF

M1 (90% RMT) 5 Hz, 2250 Reize

UPDRS, Teil III

Verbesserung

Sommer (2002) n=11, CO, ON

M1 (~120% RMT) 1 Hz, 900 Reize

Finger tapping, Tremor

Finger tapping gebessert, Tremor unverändert

PMd (80% AMT) 1 Hz, 1200 Reize

UPDRS, Teil III Gehen, manuelle Tests

Keine fassbaren Eﬀekte

48

Buhmann (2004) n=10, oﬀene Studie, ON/OFF Boernke (2004) n=12, CO, OFF

M1 (90% RMT) 10 Hz, 1000 Reize

UPDRS, Teil III

Verbesserung

49

Koch (2004) n=10, CO, OFF

DLPFC/SMA (100% RMT), 5 Hz, 250 Reize

Einschätzung von Zeitintervallen

Verbesserung nach rTMS des DLPFC

Lefaucheur (2004), n=12, CO, OFF

M1 (80% RMT) 0,5 Hz, 600 Reize 10 Hz, 2000 Reize

UPDRS, Teil III

Verbesserung von Rigor und Gehen (0,5-Hz-RTMS) Verbesserung der Bradykinese (10-Hz-rTMS)

Mir (2005) n=10, oﬀene Studie, ON/OFF

PMd (90% aktive RMT) 5 Hz, 1500 Reize

UPDRS, Teil III Ballistische Handbewegung

Keine fassbaren Eﬀekte

Koch (2005) n=8, CO, ON

SMA (90% RMT) 1 Hz, 900 Reize

AIMS

Verbesserung der Dyskinesien

Strafella (2006) n=7, oﬀene Studie, ON

M1 (»Placebo« 30% RMT) 5 Hz, 400 Reize

Subjektiver Eindruck der Patienten

4 Patienten gebessert, 3 Patienten unverändert

43

46 47

50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Studie: angegeben sind Erstautor, Jahr der Publikation, Zahl der untersuchten Patienten und das Untersuchungsdesign (CO crossover design). Patienten wurden entweder in einem ON-Zustand unter Fortführung der vorbestehenden Medikation oder nach kurzfristiger Unterbrechung der dopaminergen Vormedikation in einem OFF-Zustand untersucht. rTMS-Protokoll: In dieser Spalte sind die Details des verwendeten Stimulationsprotokolls (Stimulationsort, Stimulationsintensität, Stimulationsfrequenz und Gesamtzahl der applizierten Reize) zusammengefasst. Stimulationsort: M1 primärer motorischer Kortex; SMA Supplementäres motorisches Areal; DLPFC Dorsolateraler präfrontaler Kortex. Die verwendete Stimulusintensität ist angegeben in % der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe (RMT) oder unter tonischer Vorinnervation (AMT) Zielgröße: Angabe zu den erhobenen Messwerten nach der rTMS. UPDRS »Uniﬁed-Parkinson’s-Disease-Rating«-Skala. AIMS »AbnormalInvoluntary-Movement«-Skala Eﬀekte der rTMS: Qualitative Angabe zu den Auswirkungen der rTMS.

on. Tergau et al. (1999) verglichen verschiedene Frequenzen von 1–20 Hz unterschwelliger rTMS (1000 Stimuli pro Sitzung) unter Verwendung einer Rundspule über dem Vertex. Unabhängig von der verwendeten Frequenz konnte mittels motorischer UPDRS keine klinische Verbesserung gefunden werden. Sommer et al. (2002) untersuchten die Geschwindigkeit repetitiver Fingerbewegungen nach überschwelliger nieder-

frequenter (1 Hz) rTMS. Die rTMS beschleunigte die repetitiven Fingerbewegungen insbesondere auf der stärker betroffenen Seite, ohne den Tremor zu beeinflussen. Bei Patienten mit Morbus Parkinson wurden auch der prämotorische Kortex mit einer fokalen rTMS stimuliert. Eine hochfrequente (10 Hz) rTMS über dem supplementären motorischen Areal hatte keinen fass-

587

58.2 Morbus Parkinson

baren Effekt auf die motorischen Symptome, sondern führte sogar zu einer Verschlechterung beim Zeichnen von Spiralen und zu einer Verlängerung der Reaktionszeit (Boylan et al. 2001). Eine unterschwellige niedrigfrequente (1 Hz) rTMS des dorsalen prämotorischen Kortex hatte weder im On- noch im Off-Zustand fassbare Effekte auf den Parkinsonismus (Buhmann et al. 2004; Mir et al. 2005). Die prämotorische 1-Hz-rTMS änderte die Erregbarkeit des ipsilateralen primären motorischen Kortex wie bei gesunden Probanden, aber nur wenn das dopaminerge Defizit der Patienten medikamentös ausgeglichen war (On-Zustand). Eine niedrigfrequente (1 Hz) rTMS des SMA mit 90 der motorischen Ruheschwelle besserte

58

jedoch die durch Apomorphin induzierten Dyskinesien (Koch et al. 2005).

58.2.3 Kumulative Eﬀekte wiederholter

rTMS-Anwendungen In Analogie zur Elektrokonvulsionstherapie bei Depression wurde vermutet, dass sich konsistente klinische Effekte erst nach wiederholten rTMS-Anwendungen einstellen. Dieses Konzept wurde von einigen Arbeitsgruppen bei Patienten mit Morbus Parkinson überprüft (. Tab. 58.2). Die vorliegenden Studien erbrachten z. T. widersprüchliche Ergebnisse. Aller-

. Tab. .. Studien zur Überprüfung konsistenter klinischer Eﬀekte nach wiederholten rTMS-Anwendungen Studie

rTMS-Protokoll

Zielgröße

Eﬀekte der rTMS

Mally (1999) n=10 oﬀene Studie; ON

Vertex (15–35% MAX, 1 Hz, 30 S, Rund) 1×tgl. für 10 Tage

UPDRS (Teil I–IV) Kurzzeitgedächtnis

+ UPDRS (28–48%) = Gedächtnis

Dragasevic (2002) n=10 oﬀene Studie; ON

Präfrontal (110% RMT, 0,5 Hz, 200 S, Rund) 1×tgl. für 10 Tage

UPDRS (Teil I–IV) HDS

+ UPDRS (20%) + HDS (37%)

Shimamoto (2001) n=18 parallele Gruppen, ON

Vertex (700 V, 0,2 Hz, 60 S, Rund) 1×wöchentlich für 8 Wochen

UPDRS (Teil III)

+ UPDRS (49%)

Ikeguchi (2003) n=12 parallele Gruppen, ON

Vertex (70 Max, 0,2 Hz, 360 S, Rund) 6×in 2 Wochen.

UPDRS (Teil II+III),

+ UPDRS (10%)

Khedr (2003) n=36 parallele Gruppen, OFF

M1 (120% RMT, 5 Hz, 2000 S, Acht) 1×tgl. über 10 Tage

UPDRS (Teil III) Gehen

+ UPDRS (47%)

Okabe (2003) n=85 Crossover Design, ON

Vertex (110% AMT, 0,2 Hz, 100 S, Rund) 1×wöchentlich für 8 Wochen

UPDRS (Teil III) HDS

= =

Fregni (2004) n=42 parallele Gruppen, ON

DLPFC (110% RMT, 15 Hz, 3000 S, Acht) 10×in 2 Wochen

UPDRS (Teil III) HDS

= UPDRS + HDS (38%)

Lomarev et al. (2006) n=18 parallele Gruppen, ON

Bilateral M1+DLPFC (100% RMT), 25 Hz, 1200 Reize–300 pro Ort, Eisenkern) 8×über 4 Wochen

UPDRS (Teil III) Bradykinese, Gehen

+ UPDRS (15%)

Khedr (2006) n=55 parallele Gruppen, OFF

M1 Bein und Hand bds. (80% RMT, 10/25 Hz, 3000 Reize–1000 pro Ort, Acht) 1×täglich für 6 Tage

UPDRS (Teil III) Tapping, Gehen

+ UPDRS (45%)

Studie: angegeben sind Erstautor, Jahr der Publikation, Zahl der untersuchten Patienten und das Untersuchungsdesign (CO crossover design). ON rTMS unter Fortführung der vorbestehenden Medikation; OFF rTMS ohne gleichzeitige dopaminerge Medikation rTMS Protokoll: In dieser Spalte sind die Details des verwendeten Stimulationsprotokolls (Stimulationsort, Stimulationsintensität, Stimulationsfrequenz und Gesamtzahl der applizierten Reize pro Sitzung, Zahl der rTMS-Sitzungen) zusammengefasst. Stimulationsort: M1 primärer motorischer Kortex; SMA Supplementäres motorisches Areal; DLPFC Dorsolateraler präfrontaler Kortex. Die verwendete Stimulusintensität ist angegeben in % der individuellen kortikalen motorischen Reizschwelle in Ruhe (RMT) oder unter tonischer Vorinnervation (AMT). MAX Stimulusintensität bezogen auf die maximale Ausgangsleistung des Stimulators; Acht achtförmige Schmetterlingsspule, Eisenkern Eisenkernspule; Rund Rundspule, S Stimuli Zielgröße: UPDRS »Uniﬁed-Parkinson´s-Disease-Rating«-Skala; HDS Hamilton-Depression-Skala Eﬀekte der rTMS: Qualitative Angabe zu den Auswirkungen der rTMS (+ klinische Besserung; = kein Eﬀekt). Die Prozentangaben beziehen sich auf die mittlere Besserung der klinischen Punktzahl nach Ende der rTMS.

588

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 58 · Bewegungsstörungen

dings ist ein direkter Vergleich aufgrund erheblicher Unterschiede im Studiendesign und den verwendeten rTMS-Protokollen nur eingeschränkt möglich, was die Aussagekraft einer kürzlich publizierten Metaanalyse relativiert (Fregni et al. 2005). In einer multizentrischen placebokontrollierten Studie wurde mit eine Rundspule über dem primären motorischen Kortex eine kurze (100 monophasische Stimuli pro Sitzung), unterschwellige 0,2-Hz-rTMS einmal wöchentlich über 2 Monate unter Fortführung der vorbestehenden Medikation verabreicht (Okabe et al. 2003). Die Stimulationsfrequenz und -konfiguration wurde aus rein pragmatischen Gründen gewählt, da so die rTMS mit einem Einzelreiz-Stimulator appliziert werden konnte. Es zeigte sich nur ein moderater Placeboeffekt ohne eine zusätzliche Symptomlinderung unter Verumstimulation. Dagegen berichtete eine andere Studie einen klaren therapeutischen Effekt nach einer wiederholten hochfrequenten rTMS-Anwendung über dem primären motorischen Kortex bei Patienten mit Morbus Parkinson (Khedr et al. 2003). Die Patienten erhielten keine dopaminerge Medikation im Monat vor und während der Studie. Eine Patientengruppe wurde über 10 Tage hinweg jeweils mit 2000 Stimuli einer überschwelligen 5Hz-rTMS behandelt, während eine zweite Patientengruppe eine Placebostimulation erhielt. Die effektive Stimulation führte in einer geblindeten Evaluation zu einer deutlichen Besserung der motorischen »UPDRS-Punktzahl« von circa 50, welche für einen Monat anhielt. Diese deutliche Besserung der motorischen Symptome nach wiederholter hochfrequenter rTMS legt nahe, dass sich die nach einer einzelnen 5-Hz-rTMS-Sitzung beobachtbaren Kurzzeiteffekte durch mehrfache Anwendungen verlängern lassen. Zwei aktuelle Studien verfolgten eine »multifokale« Stimulationsstrategie, um die Parkinson-Symptome zu bessern (. Tab. 58.2). Hierzu wurden in einer Sitzung mehrere frontale Kortexareale hintereinander hochfrequent stimuliert. Lomarev et al. (2006) führten 2-mal wöchentlich über 4 Wochen eine bilaterale hochfrequente (25 Hz) rTMS des primären motorischen Kortex sowie des dorsolateralen präfrontalen Kortex. Die vorbestehende dopaminerge Medikation wurde fortgeführt. Im Vergleich zur Placebostimulation führte die Verumstimulation zu einer für einen Monat anhaltenden Besserung des Gehens und komplexer Fingerbewegungen sowie zu einem positiven Trend in der motorischen Gesamtpunktzahl des UPDRS. In einer zweiten Studie (Khedr et al. 2006) an nichtmedizierten Patienten führte eine 6-tägige multifokale rTMS der primären motorischen Fuß- und Handrepräsentationen zu einer deutlichen klinischen

Besserung im Vergleich zu einer occipitalen KontrollrTMS.

58.3

Andere Bewegungsstörungen

Auch bei anderen Bewegungsstörungen wie der fokalen Handdystonie oder dem essenziellen Tremor wurde die rTMS vereinzelt angewendet, um die motorische Dysfunktion zu bessern. Bei Patienten mit Schreibkrampf, einer aufgabenspezifischen Dystonie der Hand, wurden die klinischen und elektrophysiologischen Effekte einer niedrigfrequenten 1-Hz-rTMS des primären motorischen Handareals untersucht. Da bei Patienten mit Schreibkrampf die kortikospinale Erregbarkeit abnorm gesteigert und die intrakortikale Hemmung abgeschwächt ist, wurde eine »hemmende« 1-Hz-rTMS des primären motorischen Kortex kontralateral zur betroffenen Hand eingesetzt, um die intrakortikale Hemmung zu verstärken und eine die Stimulationsphase überdauernde Abnahme der kortikospinalen Exzitabilität zu bewirken (Siebner et al. 1999c). Eine 30-minütige, unterschwellige 1-HzrTMS mit 90 der motorischen Ruheschwelle wurde in entspanntem Zustand über dem kontralateralen motorischen Handareal appliziert und besserte bei der Hälfte der Patienten die klinische Symptomatik. Darüber hinaus zeigten neurophysiologische Untersuchungen zur intrakortikalen Erregbarkeit, dass die unterschwellige 1-Hz-rTMS die vorbestehende Unteraktivität intrakortikaler inhibitorischer Regelkreise normalisieren konnte. In einer zweiten Studie (Siebner et al. 1999a) wurde die unterschwellige 1-Hz-rTMS des kontralateralen motorischen Handareals nicht in Muskelruhe, sondern während der Durchführung von kreisenden Zeichenbewegungen verabreicht. Trotz der im Vergleich zur ersten Studie (Siebner et al. 1999c) kürzeren und schwächeren Reizserie führte dieses Stimulationsprotokoll bei 9 der 12 Patienten zu einer passageren Verbesserung des Schreibens und wie in der ersten Studie kam es zu einer Normalisierung der defizienten intrakortikalen Hemmung nach rTMS (Siebner et al. 1999a). In einer weiteren Studie besserte eine 0,2-Hz-rTMS des dorsalen prämotorischen Kortex die Kinematik von Schreibbewegungen bei Patienten mit Schreibkrampf (Murase et al. 2005). Gleichzeitig kam es zu einer Verlängerung der kontralateralen kortikalen Innervationsstille als Beleg für eine rTMS-induzierte Verstärkung der intrakortikalen GABAergen Hemmung (7 Kap. 15). Bei Patienten mit essenziellem Tremor führt eine 1Hz-rTMS über dem Kleinhirn zu einer kurzfristigen

58.4 Offene Fragen

Besserung (Gironell et al. 2002). Ob häufigere Anwendungen oder andere Stimulationsorte hier einen längeren Effekt ergeben, bleibt derzeit offen. Die rTMS wurde auch beim Gilles-de-la-Tourette Syndrom eingesetzt: Münchau et al. (2002) fanden keine akute Verbesserung der Ticstörung nach einer einzelnen 1Hz-rTMS-Sitzung über verschiedenen motorischen Hirnarealen. Auch eine spätere Modifikation des Protokolls mit längeren Reizserien erbrachte keinen Effekt (Orth et al. 2005). Chae et al. (2004) applizierten in einer »Sicherheitsstudie« eine überschwellige rTMS (1 oder 15 Hz) einmal täglich für 5 Tage (zweimal über dem primären motorischen Kortex, zweimal über dem präfrontalen Kortex und einmal als Placebostimulation) und beobachteten eine Abnahme der Tics im Verlauf der Studie. Mangels einer parallelen Kontrollbedingung (z. B. 5-tägige Placebo-rTMS) bleibt die Spezifität dieses kumulativen Effektes unklar.

58.4

Oﬀene Fragen

Elektrophysiologische und bildgebende Untersuchungen an Gesunden belegen, dass eine fokale rTMS eine komplexe Reorganisation im stimulierten Kortex und in verbundenen Hirnregionen induzieren kann (7 Kap. 35–37). So kann eine fokale hochfrequente rTMS die endogene Ausschüttung von Dopamin im Striatum in der stimulierten Basalganglienschleife verstärken (7 Kap. 36). Dagegen sind die physiologischen Auswirkungen einer rTMS bei Patienten mit Bewegungsstörungen nur ansatzweise untersucht. Unklar ist daher, ob die klinischen Effekte der rTMS primär über lokale Effekte oder eine Fernwirkung vermittelt werden. Elektrophysiologische Untersuchungen zeigen, dass die rTMS des primären motorischen Kortex die veränderte Erregbarkeit des stimulierten Kortex bei Morbus Parkinson und Handdystonie passager normalisieren kann (Siebner et al. 1999a,c, 2000a; Buhmann et al. 2004). Ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Effekten auf die lokale Erregbarkeit und den klinischen Effekten wurde bislang nicht überzeugend gezeigt. Ein inhärentes Problem der rTMS ist die adäquate experimentelle Kontrolle von Placeboeffekten. Diese sind technisch schwierig zu kontrollieren, weil jeder TMS-Reiz durch mechanische Spulenverformung mit einem Klickgeräusch sowie mit einer sensomotorischen Reizung der Kopfhaut und der Skalpmuskulatur einhergeht. Die mögliche Relevanz von Placeboeffekten wurde in einer PET-Untersuchung unterstrichen: Eine ineffektive Placebostimulation bei Patienten mit Morbus Parkinson führte zu einer endo-

589

58

genen Dopaminfreisetzung im Striatum (Strafella et al. 2006). Somit müssen die Erwartungshaltung des Patienten und der daraus resultierende Placeboeffekt in klinischen Studien zur therapeutischen Wirksamkeit der rTMS bei Bewegungsstörungen unbedingt berücksichtigt werden. Verschiedene Arbeitsgruppen haben unterschiedliche Ansätze verwendet, um für Placeboeffekte im experimentellen Design zu kontrollieren. Diese Ansätze werden im Kapitel zu den therapeutischen Konzepten der transkraniellen Kortexstimulation ausführlich besprochen (7 Kap. 55). Ein weiteres konzeptionelles Problem besteht darin, dass sich die Konditionierungseffekte der rTMS bei Gesunden nur bedingt auf Patienten mit Bewegungsstörungen übertragen lassen. So zeigen Patienten mit Morbus Parkinson nur dann eine normale Neuromodulation der Erregbarkeit im ipsilateralen motorischen Handareal nach einer 1-Hz-rTMS des dorsalen prämotorischen Kortex, wenn zuvor das dopaminerge Defizit medikamentös ausgeglichen wurde (Buhmann et al. 2004; Mir et al. 2005). Auch die funktionellen Auswirkungen der rTMS auf die Bewegungsausführung in standardisierten motorischen Aufgaben waren in mehreren Studien bei Patienten mit Morbus Parkinson und gesunden Kontrollpersonen unterschiedlich (Siebner et al. 1999b; Sommer et al. 2002). Man kann also nicht ummittelbar von den Verhaltenseffekten bei Gesunden auf ähnliche Effekte bei Patienten mit einer Bewegungsstörung schließen (7 Kap. 55). Da die Mechanismen der rTMS, welche eine klinische Besserung einer Bewegungsstörung vermitteln, bislang nur unzureichend verstanden sind, wundert es nicht, dass es keinen Konsens bez. des optimalen Stimulationsortes oder des optimalen Stimulationsprotokolls gibt. Zwar haben die meisten Studien den primären motorischen Kortex mit fokalen Spulen stimuliert. Gründe hierfür waren aber in der Regel pragmatischer Art, weil dieses Areal aufgrund des unmittelbar messbaren MEP besonders einfach lokalisiert werden und die Stimulusintensität individuell an der motorischen Reizschwelle adjustiert werden kann. Auch ist unklar, ob die Begrenzung der Stimulation auf ein kortikales Zielareal wirklich die aussichtsreichste therapeutische Strategie darstellt. Rezente Studien weisen daraufhin, dass eine kombinierte Stimulation mehrerer, z. B. primärmotorischer und prämotorischer Areale, evtl. eine interessante Alternative zur fokalen rTMS darstellen könnte. Bez. des optimalen Stimulationsprotokolls kristallisiert sich heraus, dass eine wiederholte rTMSAnwendung über mehrere Tage oder Wochen kumulative Effekte erzielen kann und daher einzelnen Anwen-

590

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 58 · Bewegungsstörungen

dungen überlegen ist (Lomarev et al. 2006; Khedr et al. 2006). Obwohl in der Mehrzahl der rTMS-Studien, die eine Symptombesserung beim Morbus Parkinson berichteten, eine hochfrequente rTMS verwendeten, ist die Frequenzabhängigkeit der rTMSEffekte auf eine spezifische Bewegungsstörung nur im Ansatz untersucht (Lefaucheur 2004) und eine Überlegenheit der hochfrequenten rTMS gegenüber einer niedrigfrequenten rTMS nicht belegt. Auch die optimale Stimulusintensität, Anzahl an Stimuli pro rTMSAnwendung, Pulskonfiguration (z. B. monophasische vs. biphasische Reize) oder Spulenorientierung sind im Sinne einer »Dosisfindung« nicht geklärt, und ein »optimales Protokoll« wird sich angesichts der vielen möglichen Kombinationen dieser Stimulationsvariablen auch in der Praxis kaum abgrenzen lassen. Die Frage nach dem optimalen Stimulationsprotokoll wird dadurch verschärft, dass in den letzten Jahren neue kortikale Konditionierungsprotokolle etabliert wurden, die mit der konventionellen regelmäßigen rTMS konkurrieren. Neben der gepaarten assoziativen Stimulation (7 Kap. 51) haben besonders intermittierende rTMS-Protokolle, wie die so genannte Theta-Burst-Stimulation (TBS; 7 Kap. 50) und die transkranielle Gleichstromapplikation (tDCS; 7 Kap. 53) besonderes Interesse als potenzielle therapeutische Stimulationsprotokolle geweckt. Als Vorteil der transkraniellen Gleichstromstimulation ist die einfache Durchführung einer effektiven Placebostimulation hervorzuheben. Diese neuen Protokolle sind ohne Zweifel vielversprechend, ihre klinische Evaluation steht allerdings für Bewegungsstörungen noch aus. Somit bleibt abzuwarten, ob diese neuen Protokolle konsistentere, stärkere und länger andauernde klinische Effekte erzielen können als konventionelle rTMS-Protokolle. Auch die Frage, ob die rTMS unter Fortführung oder besser nach kurzzeitigem Absetzen der dopaminergen Medikation durchzuführen ist, ist noch nicht geklärt. Sollte die rTMS in einem klinischen Kontext als »Add on«-Therapie zusätzlich zur medikamentösen Therapie zum Einsatz kommen, ist es erforderlich, einen zusätzlichen klinischer Nutzen der Kombination aus rTMS und Pharmakotherapie im Vergleich zur alleinigen medikamentösen Therapie zu demonstrieren. Die Fragestellung, ob eine alleinige wiederholte rTMS zum Erkrankungsbeginn eine medikamentöse Therapie hinauszögern kann, ist bislang ebenfalls nicht untersucht.

58.5

Ausblick

Die derzeitige Datenlage rechtfertigen weitere Studien zur therapeutischen Effizienz der transkraniellen Kortexstimulation bei Bewegungsstörungen. Zahlreiche Einflussfaktoren sind in ihrer Bedeutung bislang wenig verstanden; hierzu gehören technische Aspekte wie Frequenz, Impulsform und Stromflussrichtung ebenso wie mehr physiologische Aspekte wie der optimale Reizort und das Ausmaß der medikamentösen Vorbehandlung. Somit steckt der therapeutische Einsatz der transkraniellen Kortexstimulation bei Bewegungsstörungen noch in den Kinderschuhen und ist noch als experimentelles Verfahren anzusehen. Künftige Therapiestudien sollten möglichst neben der klinischen Evaluation begleitende elektrophysiologische und bildgebende Untersuchungen durchführen, um das Verständnis der neuromodulatorischen Effekte der rTMS zu verbessern. Die in den letzten Jahren entwickelten neuartigen Stimulationsprotokolle könnten helfen, die therapeutische Effizienz der rTMS zu steigern, jedoch stehen entsprechende klinische Studien noch aus.

Literatur Bornke C, Schulte T, Przuntek H, Muller T (2004) Clinical eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation versus acute levodopa challenge in Parkinson’s disease. J Neural Transm Suppl 68: 61–67 Boylan LS, Pullman SL, Lisanby SH et al. (2001) Repetitive transcranial magnetic stimulation to SMA worsens complex movements in Parkinson‘s disease. Clin Neurophysiol 112: 259–264 Buhmann C, Gorsler A, Baumer T et al. (2004) Abnormal excitability of premotor-motor connections in de novo Parkinson’s disease. Brain 127: 2732–2746 Chae JH, Nahas Z, Wassermann E et al. (2004) A pilot safety study of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in Tourette‘s syndrome. Cogn Behav Neurol 17: 109–117 De Groot M, Hermann W, Steﬀen J et al. (2001) Contralateral and ipsilateral repetitive transcranial magnetic stimulation in Parkinson patients. Nervenarzt 72: 932–938 Dragasevic N, Potrebic A, Damjanovic A et al. (2002) Therapeutic eﬃcacy of bilateral prefrontal slow repetitive transcranial magnetic stimulation in depressed patients with Parkinson’s disease: an open study. Mov Disord 17: 528– 532 Fregni F, Santos CM, Myczkowski ML et al. (2004) Repetitive transcranial magnetic stimulation is as eﬀective as ﬂuoxetine in the treatment of depression in patients with Parkinson’s disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 75: 1171–1174 Fregni F, Simon DK, Wu A, Pascual-Leone A (2005) Non-invasive brain stimulation for Parkinson’s disease: a systematic re-

Literatur

view and meta-analysis of the literature. J Neurol Neurosurg Psychiatry 76: 1614–1623 Gironell A, Kulisevsky J, Lorenzo J et al. (2002) Transcranial magnetic stimulation of the cerebellum in essential tremor: a controlled study. Arch Neurol 59: 413–417 Holler I, Siebner HR, Cunnington R, Gerschlager W (2006) 5Hz repetitive TMS increases anticipatory motor activity in the human cortex. Neurosci Lett 392: 221–225 Khedr EM, Farweez HM, Islam H (2003) Therapeutic eﬀect of repetitive transcranial magnetic stimulation on motor function in Parkinson´s disease patients. Eur J Neurol 10: 567– 572 2Khedr EM, Rothwell JC, Shawky OA et al. (2006) Eﬀect of daily repetitive transcranial magnetic stimulation on motor performance in Parkinson’s disease. Mov Disord 21: 1311–1316 Erste rTMS-Studie, welche die kumulativen klinischen Eﬀekte einer multifokalen hochfrequenten rTMS des primären motorischen Kortex bei nichtmedizierten Patienten mit Morbus Parkinson untersucht. Koch G, Oliveri M, Brusa L et al. (2004) High-frequency rTMS improves time perception in Parkinson disease. Neurology 63: 2405–2406 2Koch G, Brusa L, Caltagirone C et al. (2005) rTMS of supplementary motor area modulates therapy-induced dyskinesias in Parkinson disease. Neurology 65: 623–625 Erste rTMS-Studie, welche einen günstigen Eﬀekt einer niedrigfrequenten rTMS des supplementären motorischen Kortex auf Dyskinesien bei Patienten mit Morbus Parkinson zeigt. Lefaucheur JP, Drouot X, Von Raison F et al. (2004) Improvement of motor performance and modulation of cortical excitability by repetitive transcranial magnetic stimulation of the motor cortex in Parkinson’s disease. Clin Neurophysiol 115: 2530–2541 2Lomarev MP, Kanchana S, Bara-Jimenez W et al. (2006) Placebo-controlled study of rTMS for the treatment of Parkinson’s disease. Mov Disord 21: 325–331 Erste rTMS-Studie, welche die kumulativen klinischen Effekte einer hochfrequenten multifokalen rTMS des primären motorischen Kortex und des präfrontalen Kortex bei medizierten Patienten mit Morbus Parkinson untersucht. Mally J, Stone TW (1999) Improvement in Parkinsonian symptoms after repetitive transcranial magnetic stimulation. J Neurol Sci 162: 179–184 Mir P, Matsunaga K, Gilio F et al. (2005) Dopaminergic drugs restore facilitatory premotor-motor interactions in Parkinson disease. Neurology 64: 1906–1912 Münchau A, Bloem BR, Thilo KV et al. (2002) Repetitive transcranial magnetic stimulation for Tourette syndrome. Neurology 59: 1789–1791 Murase N, Rothwell JC, Kaji R et al. (2005) Subthreshold lowfrequency repetitive transcranial magnetic stimulation over the premotor cortex modulates writer‘s cramp. Brain 128: 104–115 Okabe S, Ugawa Y, Kanazawa I (2003) 0.2-Hz repetitive transcranial magnetic stimulation has no add-on eﬀects as compared to a realistic sham stimulation in Parkinson‘s disease. Mov Disord 18: 382–388

591

58

Orth M, Kirby R, Richardson MP et al. (2005) Subthreshold rTMS over pre-motor cortex has no eﬀect on tics in patients with Gilles de la Tourette syndrome. Clin Neurophysiol 116: 764–768 Pascual-Leone A, Valls-Sole J, Brasil-Neto JP et al. (1994) Akinesia in Parkinson‘s Akinesia in Parkinson‘s disease. I. Shortening of simple reaction time with focal, single-pulse transcranial magnetic stimulation. Neurology 44: 884–891 Pötter M, Peller M, Siebner HR (2005) Die repetitive transkranielle Magnetstimulation – Therapeutische Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen. Clin Neurophysiol 36: 186– 201 Shimamoto H, Takasaki K, Shigemori M et al. (2001) Therapeutic eﬀect and mechanism of repetitive transcranial magnetic stimulation in Parkinson’s disease. J Neurol 248 Suppl 3: 48–52 Siebner HR, Auer C, Ceballos-Baumann A, Conrad B (1999a) Has repetitive transcranial magnetic stimulation of the primary motor hand area a therapeutic application in writer´s cramp? Electroencephalogr Clin Neurophysiol Suppl 51: 265–275 Siebner HR, Mentschel C, Auer C, Conrad B (1999b) Repetitive transcranial magnetic stimulation has a beneﬁcial eﬀect on bradykinesia in Parkinson‘s disease. Neuroreport 10: 589–594 2Siebner HR, Tormos JM, Ceballos-Baumann AO et al. (1999c) Low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation of the motor cortex in writer‘s cramp. Neurology 52: 529–537 Diese rTMS-Studie zeigte erstmals, dass eine niederfrequente rTMS des primären motorischen Kortex die abnorme intrakortikale Erregbarkeit bei Patienten mit Schreibkrampf normalisieren kann. Gleichzeitig führte die rTMS zu einer Besserung der dystonen Symptomatik bei einem Teil der Patienten. Siebner HR, Mentschel C, Auer C et al. (2000a) Repetitive transcranial magnetic stimulation causes a short-term increase in the duration of the cortical silent period in patients with Parkinson‘s disease. Neurosci Lett 284: 147–150 Siebner HR, Rossmeier C, Mentschel C et al. (2000b) Short-term motor improvement after sub-threshold 5-Hz repetitive transcranial magnetic stimulation of the primary motor hand area in Parkinson‘s disease. J Neurol Sci 178: 91–94 Sommer M, Kamm T, Tergau F et al. (2002) Repetitive pairedpulse transcranial magnetic stimulation aﬀects corticospinal excitability and ﬁnger tapping in Parkinson‘s disease. Clin Neurophysiol 113: 944–950 2Strafella AP, Ko JH, Monchi O (2006) Therapeutic application of transcranial magnetic stimulation in Parkinson‘s disease: The contribution of expectation. Neuroimage 31: 1666–1672 Wichtige PET-Studie, welche nachweist, dass eine ineﬀektive rTMS über einen Placeboeﬀekt die dopaminerge Neurotransmissison im Striatum bei Patienten mit Morbus Parkinson beeinﬂussen kann. Tergau F, Wassermann EM, Paulus W, Ziemann U (1999) Lack of clinical improvement in patients with PD after low and high frequency repetitive transcranial magnetic stimulation. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 51: 281–288

593

59

Tinnitus Christian Plewnia, Christian Gerloff

59.1

Pathophysiologische Grundlagen – 594

59.2

Funktionelle Topograﬁe – 594

59.3

Experimentelle Therapie – 595

59.4

Ausblick – 597

Literatur

– 597

ZUM THEMA Die pathophysiologischen Grundlagen des chronischen Tinnitus sind noch weitgehend unklar. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren zeigen während Tinnituswahrnehmung erhöhte Aktivität des Kortex in Arealen auditorischer Informationsverarbeitung. Eine gezielte vorübergehende Unterdrückung dieser Aktivität mittels neuronavigierter hochfrequenter rTMS (engl. virtual lesion) bewirkt bei einem Teil der Untersuchten eine kurzfristige Reduktion der Tinnituslautstärke. Niederfrequente repetitive TMS dieser Areale führt zu einer länger anhaltenden Tinnitus-Suppression. Das Ausmaß des Eﬀekts ist dabei abhängig von der Zahl der Stimuli und der Dauer des Tinnitus.

Versuche einer Stabilisierung dieser Wirkungen im Sinne einer therapeutischen Anwendung der rTMS bei Tinnitus zeigen erste vielversprechende Ergebnisse. Eine moderate Eﬀektivität, hohe interindividuelle Variabilität und eine unsichere Stabilität der Eﬀekte lassen eine klinische Anwendbarkeit derzeit jedoch außerhalb wissenschaftlicher Studien noch nicht sinnvoll erscheinen. Weitere Studien zur Identiﬁkation der optimalen Stimulationsparameter, der eﬀektivsten Stimulationslokalisation und der individuellen neurophysiologischen Voraussetzungen für eine Wirksamkeit sind erforderlich.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

594

Kapitel 59 · Tinnitus

59.1

Pathophysiologische Grundlagen

Tinnitus, die Wahrnehmung von elementaren Tönen oder Geräuschen in Abwesenheit eines auditorischen Stimulus, ist eine häufige, aber noch wenig verstandene Störung des auditorischen Systems. Etwa 10–15 der Bevölkerung sind davon betroffen. Bei 1–2 ist der Tinnitus von erheblichen Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit begleitet. Verlässliche Daten zur Effektivität tinnitusspezifischer Therapieformen fehlen weitgehend. Die Behandlung ist häufig von einer zumeist wenig effektiven Polypragmasie gekennzeichnet.

sucht, bei denen der Patient die Lautstärke durch Bewegungen der Augen oder der Gesichtsmuskulatur modulieren kann oder der Tinnitus (ON-Bedingung) wurde vorübergehend durch eine i. v. Injektion von Lidocain supprimiert (OFF-Bedingung). So konnte gezeigt werden, dass Aktivierungen auf verschiedenen Stufen der kortikalen auditorischen Informationsverarbeitung, insbesondere auch in Arealen komplexerer auditorischer bzw. multimodaler Informationsverarbeitung, mit der Tinnituswahrnehmung korrelieren (Plewnia et al. 2007a).

59.2

Funktionelle Topograﬁe

Auditorische Phantomwahrnehmung. In den meisten

Fällen geht der Tinnitussymptomatik eine dauerhafte oder vorübergehende Beeinträchtigung der Funktion des peripheren Hörorgans voraus. Neurowissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre zeigen jedoch auch relevante Veränderung zerebraler Aktivität. Die Reduktion inhibitorischer Mechanismen im inferioren Colliculus, im primären und sekundären auditorischen Kortex wird dabei als ein wichtiger Pathomechanismus erachtet (Eggermont u. Roberts 2004). In Analogie zum Phänomen des Phantomschmerzes wird Tinnitus deshalb auch häufig als auditorische Phantomwahrnehmung bezeichnet. Maladaptive Neuroplastizität. Dem pathophysiologischen Konzept maladaptiver neuroplastischer Veränderungen folgend, konnten im Tiermodell des Tinnitus auf verschiedenen Ebenen der zerebralen auditorischen Informationsverarbeitung Veränderungen der Balance von Exzitation und Inhibition nachgewiesen werden. Bei Tinnituspatienten fanden sich Abweichungen in der tonotopen Organisation des primären auditorischen Kortex im Bereich der Tinnitusfrequenz. Diese korrelierten mit der Intensität des Tinnitus. Ein pathophysiologisch relevanter Zusammenhang zwischen kortikaler Reorganisation, der Erregbarkeit neuronaler Strukturen und Tinnitus ist dementsprechend sehr wahrscheinlich (Eggermont u. Roberts 2004). Fokale Überaktivität. Diese bei Tinnitus relevanten zerebralen Strukturen, wurden in den letzten Jahren mit funktionell bildgebenden Verfahren eingehender untersucht. Dazu wurde zumeist die geräuscharme Positronenemissionstomografie (PET) verwendet. Zur Darstellung der mit Tinnitus assoziierten kortikalen Aktivitäten ist es sinnvoll, zwei Aktivierungsbedingungen (ON/OFF) zu vergleichen. Es wurden deshalb entweder spezielle Formen des Tinnitus unter-

Ergebnisse bildgebender Verfahren lassen in der Regel keine direkten Rückschlüsse auf die funktionelle Relevanz der identifizierten Aktivitäten zu. Dementsprechend ist auch die Bedeutung der bei Tinnitus dargestellten Aktivierungsmuster unklar. Die TMS bietet mit dem Paradigma der virtuellen Läsion (7 Kap. 31) hervorragende Möglichkeiten zur Untersuchung dieser Frage. Ist die Aktivität eines kortikalen Areals tatsächlich notwendiger Bestandteil des den Tinnitus konstituierenden neuronalen Netzwerkes, sollte die Störung (virtuelle Läsion durch hochfrequente rTMS) bzw. die Reduktion (LTD-artige niedrigfrequente rTMS; 7 Kap. 50) dieser Aktivität eine vorübergehende Verminderung des Tinnitus zur Folge haben. Virtuelle Läsion – hochfrequente rTMS. Hochfrequente,

überschwellige rTMS (10 Hz, 120 kortikalen motorischen Reizschwelle, MT; Dauer 2,9 s) führte bei 8 von 14 Patienten zu einer kurzfristigen Minderung der Tinnituslautstärke (visuelle Analogskala) unmittelbar nach Ende der Stimulation, dabei signifikant häufiger nach Stimulation links temporaler und temporoparietaler Areale als nach lauter (gekippte Spule vor dem Ohr) bzw. lauter und aversiver (Ansatz des M. sternocleidomastoideus) Kontrollstimulation (Plewnia et al. 2003). Dies lieferte den Beweis für die unmittelbare funktionelle Relevanz in bildgebenden Verfahren aktivierter kortikaler Areale für die Tinnituswahrnehmung. Darüber hinaus zeigen diese Daten, dass es möglich ist, mit rTMS die Lautstärke des Tinnitus zu modulieren. An einer größeren Zahl von Patienten (114) wurde dieser Befund in einem anderen Labor repliziert und erweitert (De Ridder et al. 2005): Repetitive TMS unterschiedlicher Frequenz (1–20 Hz) mit 90 der motorischen Reizschwelle über dem zum Tinnitus kontralateralen auditorischen Kortex führte bei 25 der Patienten kurzfristig zu einer guten, bei 28 zu einer partiellen und bei 47 zu keiner Reduk-

59.3 Experimentelle Therapie

tion des Tinnitus. Die mittlere Reduktion des Tinnitus betrug 78, wohingegen durch eine Scheinstimulation (engl. sham stimulation) mit gekippter Spule nur eine Reduktion von 37 zu erreichen war. Die Stärke des Effekts korrelierte negativ mit der Dauer des Bestehens des Tinnitus. Nach hochfrequenter rTMS (10 Hz, 120 MT) des linken temporoparietalen Kortex beobachteten auch Fregni et al. (2006) eine kurzfristige Reduktion des Tinnitus bei 3 von 7 Patienten. Bei denselben Patienten konnte die Tinnituslautstärke auch durch transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS; 7 Kap. 53) für kurze Zeit reduziert werden. Eigene Untersuchungen zeigten hier jedoch sehr variable Ergebnisse. Eine kurzfristige Störung der Funktion temporaler und temporoparietaler Kortexareale bewirkt demnach bei einem Teil der Tinnituspatienten eine vorübergehende Verringerung der Tinnituslautheit. Bei diesen Patienten stellt die Funktion dieser Areale eine notwendige Voraussetzung für die Tinnituswahrnehmung dar. Folglich könnte eine anhaltende Verringerung der pathophysiologisch relevanten Überaktivität dieser Kortexbereiche auch zu einer anhaltenden Minderung der Tinnitusbelastung führen. LTD-artige Modulation durch niedrigfrequente rTMS. Niedrigfrequente rTMS (~1 Hz) bewirkt ei-

ne über die Dauer der Stimulation hinaus (bis zu 30 min) anhaltende Minderung kortikaler Erregbarkeit im stimulierten Areal (7 Kap. 50). Auf bei Tinnituswahrnehmung vermehrt aktive Areale angewendet ([O]HO-PET vor und nach Lidocaininjektion), führt 1-Hz-rTMS bei einigen Patienten zu einer bis zu 30 min anhaltenden Reduktion der Tinnituslautheit. Das Ausmaß der Reduktion korrelierte dabei mit der Dauer der Stimulation und war einer entsprechend lauten und unangenehmen Scheinstimulation überlegen (Plewnia et al. 2007a). Analog zu früheren Beobachtungen (De Ridder et al. 2005), war auch hier der Effekt bei länger bestehendem Tinnitus geringer. . Tab. 59.1 gibt eine Übersicht über wichtige Studien der TMS zur Untersuchung und experimentellen Therapie von Tinnitus.

59.3

Experimentelle Therapie

Nachdem die rTMS sich als geeignet erwiesen hat, bei einem Teil der Patienten die Tinnituswahrnehmung vorübergehend, jedoch über die Dauer der Stimulation hinaus anhaltend zu verringern, gilt es in der Zukunft, Möglichkeiten der Stabilisierung dieser Effekte, z. B. durch regelmäßige Wiederholung

595

59

der Stimulation, zu untersuchen. Auf der Grundlage dieses Verfahrens könnte damit erstmals ein neurophysiologisch begründetes, rationales Therapieverfahren des chronischen Tinnitus zur Verfügung stehen. In einer ersten Fallserie wurden 3 Patienten im Crossover-Design mit 5 täglichen Sitzungen niederfrequenter rTMS (1 Hz) bzw. einer das Geräusch der rTMS nachahmenden Placebostimulation des Areals über dem primär auditorischen Kortex behandelt. Durch Messung der Tinnitusbelastung mit dem Tinnitusfragebogen (TF) konnte eine spezifische Wirksamkeit bei einem der Patienten beobachtet werden. Ein weiterer Patient reagierte auf rTMS und Placebostimulation gleichermaßen. Beim dritten Patienten zeigten beide Stimulationformen keine Wirkung auf den Tinnitus (Eichhammer et al. 2003). Die darauf folgende Behandlung von insgesamt 14 Patienten nach dem gleichen Schema ergab unmittelbar nach Stimulation eine signifikante Verringerung der Tinnitusbelastung (TF) um 8, wohingegen die Stimulation mit einer Placebospule keinen wesentliche Veränderung zur Folge hatte (Kleinjung et al. 2005). Nach 6 Monaten war der »TF-Score« um insgesamt 12 verringert. Ein Vergleich mit der Placebostimulation war aufgrund des Designs hier zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. In einer weiteren Studie zeigte die Behandlung von 6 Patienten mit neuronavigierter 1-Hz-rTMS des tinnitusassoziierten Aktivierungsmaximums eine im Vergleich zu einer Sham-Stimulation überlegene Wirkung auf die Tinnitusbelastung (TF). Die mittlere prozentuale Differenz des Effekts beider Stimulationsformen (2×2 Wochen, Crossover-Design) betrug 19,5. Zwei Wochen nach Ende der Behandlung war jedoch keine wesentliche Tinnitusreduktion mehr feststellbar (Plewnia et al. 2007b). Auf Grundlage der Beobachtung, dass rTMS die Tinnituslautheit beeinflussen kann, wurden erste Versuche unternommen, durch kontinuierliche elektrische Stimulation eine dauerhafte Besserung der Symptomatik zu erreichen (De Ridder et al. 2006). Zur Prüfung der individuellen Responsivität und der optimalen Lokalisation, wurde zunächst der Effekt einer virtuellen Läsion mittels rTMS geprüft. Patienten, die hier eine Tinnitusreduktion zeigten (n=12), wurde eine intradurale Elektrode über dem primären bzw. sekundären auditorischen Kortex implantiert und eine kontinuierliche elektrische Stimulation durchgeführt. Tonaler Tinnitus konnte durch diese Stimulationsform um 97 reduziert werden, wohingegen Tinnitus mit vorherrschend rauschendem Charakter nur um 24 verringert wurde.

52

53

54

55

56

57

58

59

60

2×1 Woche 1 Hz

»Virt. Läsion« 1–20 Hz

»Virt. Läsion« 10 Hz; tDCS

2 Wochen 1 Hz

3×1 Hz 5, 15, 30 min

2×2 Wochen 1 Hz

Kleinjung et al. 2005

De Ridder et al. 2005

Fregni et al. 2006

Langguth et al. 2006

Plewnia et al. 2007a

Plewnia et al. 2007b

Mastoid

Mastoid

Keine

Sham-Spule, EEG10/20: Pz

Spule gekippt

Sham-Spule

Sham-Spule

~–10 TF Variabel, VAS –18% TF

[O]HO-PET Lidocain [O]HO-PET Lidocain

<2 Wochen

Bis >30 min

Bis 13 Wochen

<5 min

–

rTMS: –78% Sham: –37% Variabel, VAS

Über 6 Monate (- 12% TF)

Bis 6 Tage nach rTMS

2/6

6/8

19/28

3/7

60/114

11/14

2/3

8/14

Wenige Sekunden

–7,5% TF

Bis -12 TF

2,5 cm über und 1,5 cm hinter T3

EEG10/20: C3/T5

über PAC kontralateral

FDG-PET über PAC

FDG-PET über PAC

–16,9% VAS (Responder)

Responder

Virt. Läsion »Virtuelle Läsion«; [O]HO-PET - Positronenemissionstomograﬁe zur Registrierung kurzfristiger Änderungen des zerebralen Blutﬂusses als Korrelate tinnitusassoziierter Aktivität; FDG-PET Fluorodeoxyglucose-PET zur Registrierung lokal erhöhter Stoﬀwechselaktivität; TF Tinnitusfragebogen nach Goebel u. Hiller (1994); VAS visuelle Analogskala; PAC primärer auditorischer Kortex.

2×1 Woche 1 Hz

51

Eichhammer et al. 2003

49

EEG 10–20: T3, C3/T5

46

Spule gekippt, Mastoid

48 Dauer des Eﬀektes

45

»Virt. Läsion« 10 Hz

47

Eﬀekte

44

Plewnia et al. 2003

50

Zielpunkt/ Navigation

43

Sham-Kontrolle

42

Methode

41

Autoren

. Tab. .. TMS zur Untersuchung und experimentellen Therapie von Tinnitus

596 Kapitel 59 · Tinnitus

Literatur

59.4

Ausblick

Die vorliegenden Studien zur Anwendung von rTMS bei chronischem Tinnitus konnten einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Klärung der Pathophysiologie des chronischen Tinnitus leisten. Im Hinblick auf die Möglichkeiten einer therapeutischen Anwendbarkeit ist die Datenlage jedoch noch ungenügend. Zwei kontrollierte Pilotstudien (Kleinjung et al. 2005; Plewnia et al. 2007b) zeigen nur eine moderate Effektstärke und eine hohe interindividuelle Variabilität im Ansprechverhalten. Die optimale Stimulationslokalisation ist noch nicht letztlich geklärt. Effekte konnten sowohl nach Stimulation sekundärer als auch tertiärer auditorischer Areale beobachtet werden. Die direkte Stimulation des primären auditorischen Kortex ist aufgrund seiner Lage im Sulcus lateralis mit rTMS kaum möglich bzw. zwingend immer mit einer Kostimulation sekundärer auditorischer Areale verbunden. Die Beobachtungen bez. der Dauer der erzielten Effekte sind uneinheitlich (Kleinjung et al. 2005; Plewnia et al. 2007b). Im Fokus weiterer Untersuchungen werden deshalb unterschiedliche Stimulationsparadigmen, -lokalisationen und individuelle neurophysiologische und klinische Charakteristika von auf rTMS respondierenden Patienten stehen müssen. Inwieweit sich aus den so gewonnenen Erkenntnissen eine neue, effektive therapeutische Option für die Behandlung des chronischen Tinnitus ergibt, müssen dann größere klinische Studien zeigen. ! Vorübergehende Therapieerfolge bei Tinnitus sind bereits durch unterschiedlichste Methoden erreicht worden, haben sich aber als nicht reproduzierbar oder klinisch irrelevant erwiesen. Lautstärke und periphere Eﬀekte der rTMS allein sind durchaus geeignet, Tinnitus vorübergehend erheblich zu beeinﬂussen. Eine sorgfältige Auswahl der Kontrollbedingungen inklusive einer möglichst vollständigen Simulation von Lautstärke und Aversivität der rTMS ist deshalb von wesentlicher Bedeutung für den Wert künftiger Untersuchungen.

Literatur De Ridder D, Verstraeten E, Van der Kelen K et al. (2005) Transcranial magnetic stimulation for tinnitus: inﬂuence of tinnitus duration on stimulation parameter choice and maximal tinnitus suppression. Otol Neurotol 26: 616–619 De Ridder D, De Mulder G, Verstraeten E et al. (2006) Primary and secondary auditory cortex stimulation for intractable tinnitus. ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec 68: 48–55

597

59

1Eggermont JJ, Roberts LE (2004) The neuroscience of tinnitus. Trends Neurosci 27: 676–682 Wichtiger Übersichtsartikel zu den neurophysiologischen Grundlagen des Tinnitus. Eichhammer P, Langguth B, Marienhagen J et al. (2003) Neuronavigated repetitive transcranial magnetic stimulation in patients with tinnitus: a short case series. Biol Psychiatry 54: 862–865 Fregni F, Marcondes R, Boggio PS et al. (2006) Transient tinnitus suppression induced by repetitive transcranial magnetic stimulation and transcranial direct current stimulation. Eur J Neurol 13: 996–1001 Goebel G, Hiller W (1994) Tinnitus-Fragebogen (TF). HNO 42: 166–172 2Kleinjung T, Eichhammer P, Langguth B et al. (2005) Longterm eﬀects of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in patients with chronic tinnitus. Otolaryngol Head Neck Surg 132: 566–569 Erste kontrollierte Studie zur Therapie des Tinnitus mit rTMS. Langguth B, Zowe M, Landgrebe M et al. (2006) Transcranial Magnetic Stimulation for the Treatment of Tinnitus: A New Coil Positioning Method and First Results. Brain Topogr 18: 241–247 1Plewnia C, Bartels M, Gerloﬀ C (2003) Transient suppression of tinnitus by transcranial magnetic stimulation. Ann Neurol 53: 263–266 Der Artikel zeigt erstmals die funktionelle Relevanz kortikaler Areale bei Tinnitus und deren Modulierbarkeit durch rTMS. 2Plewnia C, Reimold M, Najib A et al. (2007a) Dose-dependent attenuation of auditory phantom perception (tinnitus) by PET-guided repetitive transcranial magnetic stimulation. Hum Brain Mapp 28: 238–246 Diese Arbeit integriert funktionelle Bildgebung und navigierte rTMS. Es wird die dosisabhängige vorübergehende Reduktion des Tinnitus nach niederfrequenter rTMS bei Tinnitus überaktiver Kortexareale nachgewiesen. Plewnia C, Reimold M, Najib A et al. (2007b) Moderate therapeutic eﬃcacy of PET-navigated repetitive transcranial magnetic stimulation against chronic tinnitus: A randomized, controlled pilot study. J Neurol Neurosurg Psy 78: 152–156

599

60

Schmerz Peter Schwenkreis, Burkhard Pleger, Martin Tegenthoff

60.1

Pathophysiologisches Konzept

60.2

TMS und experimenteller Schmerz – 601

– 600

60.3

TMS und chronischer Schmerz

60.4

Ausblick – 605

Literatur

– 606

– 601

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen Überblick über das pathophysiologische Konzept des TMS-Einsatzes in der Schmerztherapie, über Untersuchungen zur Modulation von experimentellem Schmerz bei Gesunden sowie über den therapeutischen Einsatz von rTMS bei chronischen Schmerzen. Der Einsatz der rTMS bei chronischen Schmerzen hat sich entwickelt aus dem pathophysiologischen Konzept der invasiven Motorkortexstimulation, bei welcher ein über kortikothalamische Bahnen vermittelter modulierender Eﬀekt auf Strukturen des medialen nozizeptiven Systems postuliert wird. Dieses Konzept wird durch Untersuchungen zum experimentellen Schmerz

gestützt. Die publizierten Kasuistiken und kleineren kontrollierten Studien legen einen analgetischen Eﬀekt der rTMS bei chronischen Schmerzen nahe, wobei sich augenblicklich eine Reihe von wichtigen Stimulationsparametern herauskristallisiert (motorischer Kortex, fokale Spule, Frequenz >1 Hz, hohe Zahl von Pulsen pro Sitzung, wiederholte Sitzungen). Bevor ein breiter Einsatz der Methodik empfohlen werden kann, sind jedoch größere kontrollierte Studien mit homogeneren Patientenkollektiven und eine Optimierung der Stimulationsparameter für einen stärkeren und längeren Effekt erforderlich.

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

600

Kapitel 60 · Schmerz

60.1

Pathophysiologisches Konzept

Trotz aller zur Verfügung stehenden pharmakologischen Therapieansätze ist die suffiziente Behandlung chronifizierter neuropathischer Schmerzsyndrome nach Läsionen des zentralen oder peripheren Nervensystems bis heute ein in vielen Fällen ungelöstes Problem. Bereits Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurde daher erstmalig durch Tsubokawa et al. das Verfahren der invasiven Motorkortexstimulation (MCS) durch epidural implantierte Elektroden bei Patienten mit nicht beherrschbaren Thalamusschmerzen angewandt (Tsubokawa et al. 1991). Pathophysiologische Grundlage dieser Motorkortexstimulation waren tierexperimentelle Untersuchungen, bei welchen eine burstförmige Hyperaktivität thalamischer Neurone, welche nach Läsionen des Tractus spinothalamicus zu beobachten war, durch eine Stimulation des primären motorischen Kortex lang anhaltend unterdrückt werden konnte. Eine vergleichbare Hyperaktivität thalamischer Neurone war bei Patienten mit Läsionen des Tractus spinothalamicus durch Ableitungen mit Mikroelektroden nur dann nachzuweisen, wenn diese klinisch einen zentralen Schmerz entwickelt hatten (Lenz et al. 1989). Nach ersten Erfolgen bei der klinischen Anwendung der

MCS lag ein Schwerpunkt weiterer Untersuchungen in der Aufklärung ihrer Wirkungsweise. Basierend auf PET-Untersuchungen und elektrophysiologischen Daten postulierten Garcia-Larrea et al. (1999) dabei ein Modell, bei welchem eine primäre, via kortikothalamischer Bahnen induzierte Aktivierung von Kernen im ventrolateralen Thalamus sekundär zu einer Kaskade von synaptischen Aktivitäten in verschiedenen Strukturen des medialen nozizeptiven Systems einschließlich des medialen Thalamus, des anterioren Cingulums, des periaquäduktalen Graus im oberen Hirnstamm sowie der vorderen Inselrinde führt. Der MCS-Effekt ließe sich demgemäß einerseits über eine Beeinflussung der affektiv-motivationalen Schmerzkomponente via medialen Thalamus und anterioren Cingulum, andererseits über eine Beeinflussung der nozizeptiven Verarbeitung auf spinaler Ebene durch eine verstärkte deszendierende Hemmung erklären. . Abb. 60.1 zeigt eine schematische Darstellung der wesentlichen Komponenten der sog. Schmerzmatrix. Aufgrund der Invasivität der MCS sowie der relativ hohen Rate von ca. 30 Therapieversagern erwuchs im Gefolge ein rasch zunehmendes Interesse an der TMS. Ziel war und ist dabei einerseits, die MCS durch ein gleichwertiges nichtinvasives Verfahren zu ersetzen, und andererseits mithilfe der TMS bereits

. Abb. .. Schematische Darstellung einiger wesentlicher Komponenten (mediales nozizeptives System, laterales nozizeptives System) der sog. Schmerzmatrix und ihre mögliche

funktionelle Bedeutung. Die vermuteten schmerzmodulatorischen Eﬀekte einer Stimulation des primären motorischen Kortex sind als gestrichelte Pfeile eingezeichnet

52 53 54 55 56 57 58 59 60

601

60.3 TMS und chronischer Schmerz

vorab diejenigen Patienten zu identifizieren, welche von einer invasiven MCS profitieren. Basierend auf dem oben beschriebenen pathophysiologischen Konzept der MCS verfolgen bis heute die Mehrzahl der Untersucher den Ansatz, mit einer hochfrequenten rTMS (Frequenz >1 Hz mit einer fazilitierenden Wirkung auf die stimulierten Regionen) über dem primären motorischen Kortex den Effekt einer (ebenfalls hochfrequenten) MCS zu imitieren (7 Kap. 50). Allerdings existieren auch Berichte über positive Effekte bei Anwendung niedrigfrequenter rTMS (Frequenz ≤1 Hz mit inhibitorischem Einfluss auf die stimulierte Kortexregion) bzw. bei Stimulation anderer Hirnareale (dorsolateraler präfrontaler Kortex, posteriorer parietaler Kortex). Dabei müssen andere im Detail jedoch unklare Wirkungsmechanismen postuliert werden.

60.2

TMS und experimenteller Schmerz

In einer ganzen Reihe von Studien wurde der TMSEffekt auf experimentell induzierten Schmerz bei Verwendung unterschiedlicher Stimulationsorte und unterschiedlicher Reizprotokolle untersucht. Primärer motorischer Kortex. Häufigster Stimulationsort war der primäre motorische Kortex. Dabei führte die Stimulation mit TMS-Doppelpulsen (Interstimulusintervall 50 ms) bei Gesunden zu einer erniedrigten Schmerzschwelle bei mittels CO-Laser induzierten Schmerzreizen (Kanda et al. 2003). Bei niedrigfrequenter rTMS (1 Hz) kam es in Abhängigkeit von der Schmerzprovokationsmethode ebenfalls zu einer Erniedrigung (Laserstimulation) oder aber zu einer Erhöhung der Schmerzschwelle (Capsaicin) (Tamura et al. 2004). Dies wurde mit einer differenziellen Beeinflussung von Aδ-Faser bzw. C-Faser-vermitteltem Schmerz erklärt, da beide Schmerzmodalitäten auch zentral in unterschiedlichen Strukturen verarbeitet werden. Mittels SPECT konnte beim Capsaicin-Modell zusätzlich ein verminderter regionaler Blutfluss im rechten medialen präfrontalen Kortex sowie ein vermehrter regionaler Blutfluss im rechten anterioren Cingulum und linken prämotorischen Kortex unter 1Hz-rTMS nachgewiesen werden. Es wurde eine wichtige Rolle dieser überwiegend zum medialen nozizeptiven System gehörenden Strukturen bei der Mediation des antinozizeptiven rTMS-Effektes postuliert und damit das für die MCS entwickelte pathophysiologische Modell (s. oben) unterstützt. Hochfrequente rTMS (10 Hz bzw. 20 Hz) führte bei Gesunden zu einer verminderten Schmerzempfindlichkeit sowohl bei Kälteschmerz als auch bei transkutan-elektrisch indu-

60

ziertem Schmerz (Summers et al. 2004). Patienten mit chronischem Rückenschmerz unterschieden sich dabei nicht prinzipiell von Gesunden, auch bei diesen war eine verminderte Kälteschmerzwahrnehmung durch 20-Hz-rTMS nachweisbar, außerdem wurde bei diesen Patienten die Hitzeschmerzschwelle durch 20Hz-rTMS erhöht (Johnson et al. 2006). Medialer frontaler Kortex. Neben dem primären mo-

torischen Kortex wurde häufig eine Stimulation über Fz (nach dem internationalen 10–20-System zur Plazierung der EEG-Elektroden) durchgeführt, wobei eine Stimulation des medialen frontalen Kortex angenommen wird. Doppelpuls-TMS (Interstimulusintervall 50 ms) führte dort einerseits zu einer erhöhten Schmerzschwelle bei CO-Laser-induziertem Schmerz (Kanda et al. 2003), andererseits fand eine andere Gruppe darunter eine erniedrigte Schwelle für den elektrisch ausgelösten nozizeptiven Flexorreflex (Mylius et al. 2006). Dieser offensichtliche Widerspruch wurde mit methodischen Unterschieden der beiden Studien (insbesondere unterschiedliche Intensität des verwendeten nozizeptiven Stimulus) erklärt. In einer weiteren Studie erfolgte eine 10-Hz-Stimulation über Fz, was zu einer reduzierten Schmerztoleranzschwelle für transkutan-elektrisch induzierten Schmerz führte (Yoo et al. 2006). Andere Stimulationsorte. Andere Stimulationsorte wurden deutlich seltener untersucht. Dabei fand sich bei 1-Hz-rTMS über dem rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex bei Gesunden eine Erhöhung der Schmerztoleranzschwelle, nicht jedoch der Schmerzschwelle (Graff-Guerrero et al. 2005). Keinen Effekt auf einen experimentellen Schmerz bei Gesunden hatten TMS-Doppelpulse (Interstimulusintervall 50 ms) über dem okzipitalen Kortex und über dem sekundären somatosensorischen Kortex (S2) sowie eine 15-HzrTMS über dem posterioren parietalen Kortex (Kanda et al. 2003; Töpper et al. 2003).

60.3

TMS und chronischer Schmerz

Mittlerweile existiert eine ganze Reihe von Kasuistiken und kleineren kontrollierten Studien (mit maximal 60 eingeschlossenen Patienten) zum Einsatz der rTMS bei therapierefraktärem chronischem neuropathischen Schmerzsyndrom unterschiedlicher Ätiologie (insbesondere zentraler Schmerz nach Schlaganfall sowie Trigeminusneuralgie). Darin wurde in der überwiegenden Mehrzahl ein positiver Effekt der rTMS beschreiben (Übersicht in . Tab. 60.1).

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

Crossover, Placebokontrolliert

Crossover, Placebokontrolliert

Kasuistik

Crossover, Placebokontrolliert

Crossover, Placebokontrolliert

Lefaucheur et al. 2001a

Lefaucheur et al. 2001b

Reid et al. 2001

Rollnik et al. 2002

Canavero et al. 2002

versch. chronische Schmerzsyndrome

zentraler Schmerz

12

9

Thalamusinfarkt (n=7), Trigeminusneuropathie (n=7)

14

Bds. Gesichtsschmerz

Thalamusinfarkt/blutung (n=6), Hirnstammläsion (n=6), Plexus-brachialis-Läsion (n=6)

18

1

Putamenblutung (a), Thalamotomie bei ICP (b)

2

achtförmig bzw. Haube M1 0,2 Hz 100% MSA

rund M1 20 Hz 80% MT 20 1 1 Tag

800 1 20 min

1200 14 7 Tage kein Unterschied zwischen Verum und Sham

Allodynie-/Schmerzreduktion >25% in 3/9, nur Allodynie in 1/9 (Sham: 0/9), Dauer bis zu 16 h

20 Hz: >30% Schmerzreduktion in 1/12

42% Schmerzreduktion ab der 2. Woche, bis Ende des Beobachtungszeitraumes anhaltend

10 Hz: >30% Schmerzreduktion in 8/14 (Sham: 0/14)

10 Hz: signiﬁkanter Eﬀekt i.Vgl. zu Sham, Dauer 8 Tage, Maximum Tag 2–4

1000 1 12 Tage

achtförmig M1 10 Hz 80% RMT ? l-PFC 20 Hz 100% RMT

10 Hz: >30% in 7/18 (0,5 Hz und Sham: 0/18)

0,5 Hz: kein Eﬀekt; 10 Hz: signiﬁkanter Eﬀekt i.Vgl. zu Sham

1000 1 10 min

achtförmig M1 0,5Hz/10Hz 80% RMT

positive Korrelation zu Propofoltest und späterem MCSAnsprechen

positive Prädiktion des MCSEﬀektes

200 1 1h

rund M1 Einzelpulse 80% MSA

a: 30% Schmerzreduktion für 1 h; b: kein Eﬀekt

Stimuli Sitzungen Follow-up

Spule Reizort Frequenz Intensität

49

Kasuistik

48 Besonderheiten

43

Ergebnis individuell

46

Migita et al. 1995

47

Ergebnis Gruppe

45

Diagnosen

44

n

42

Studiendesign

41

Autoren

. Tab. .. Studien und Kasuistiken zum Einsatz der rTMS bei chronischen Schmerzsyndromen

602 Kapitel 60 · Schmerz

Studiendesign

Kasuistiken

Kasuistik

Crossover, Placebokontrolliert

Crossover, Placebokontrolliert

Autoren

Töpper et al. 2003

Lefaucheur et al. 2004a

Lefaucheur et al. 2004b

Pleger et al. 2004

. Tab. .. Fortsetzung

Plexus-brachialis-Läsion

Thalamusinfarkt/-blutung (n=12), Hirnstammläsion (n=12), Rückenmarksläsion (n=12), Plexus-brachialis-Läsion (n=12), Trigeminusläsion (n=12)

CRPS I

60

10

zervikaler Wurzelausriss

Diagnosen

1

2

n

ca. 40% Schmerzreduktion nach jeder Sitzung, anhaltender Eﬀekt für 5 Tage 10 Hz: Schmerzreduktion >30% in 16/60

10 Hz: Schmerzreduktion >30% in 3/10

10 Hz: signiﬁkante Schmerzreduktion (Verum –22,9%, Sham – 7,8%)

10 Hz: signiﬁkanter Eﬀekt bis zum Ende des Beobachtungszeitraumes im Vergleich zu Sham

1000 16 (1×/Monat) 5 Tage nach jeder Sitzung 1000 1 keine

120 1 90 min

achtförmig M1 10 Hz 80% RMT achtförmig M1 10 Hz 80% RMT

achtförmig M1 10 Hz 110% RMT

besseres Ergebnis: Gesichtsschmerz, Trigeminusläsion; schlechteres Ergebnis: Hirnstammläsion, ausgeprägte Sensibilitätsstörung

optimaler Stimulationsort nach ausführlicher Vortestung ausgewählt

10 Hz: >30% Schmerzreduktion in 1/2, Dauer ca. 11 min; 1 Hz: >30% Schmerzreduktion in 2/2, Dauer ca.15 min; keine anhaltenden Eﬀekte

achtförmig PPC 1 Hz/10 Hz 110% RMT

400 od. 720 15 15 min nach jeder Sitzung

Ergebnis Gruppe

Besonderheiten

Stimuli Sitzungen Follow-up

Ergebnis individuell

Spule Reizort Frequenz Intensität

60.3 TMS und chronischer Schmerz 603

60

58

59

60

zentraler Schmerz nach Schlaganfall (n=12), Rückenmarksläsion (n=2), Trigeminusneuropathie (n=3), periphere Nervenverletzung (n=3)

20

Crossover, Placebokontrolliert

Hirayama et al. 2006

zunehmender Eﬀekt mit zunehmender Zahl der Sitzungen

Korrelation zwischen Ansprechen auf 20 Hz und späterem MCS-Effekt andere Lokalisationen nicht eﬀektiv

20 Hz: Schmerzreduktion >40% in 17/28 (Sham: 2/20) zum Ende des Beobachtungszeitraumes

20 Hz: Schmerzreduktion >10% in 5/14 (1 Hz: 1/14; Sham: 3/14)

Motorkortex: Schmerzreduktion >30 % in 10/20

signiﬁkante Reduktion von Attackenfrequenz, Analgetikaverbrauch und Kopfschmerzindex für 1 Monat signiﬁkanter Effekt im Vergleich zu Sham bis zum Ende des Beobachtungszeitraumes (Verum – 40%, Sham –2%) signiﬁkanter Effekt von 20 Hz und Sham im Vergleich zu 1 Hz nach 6 Tagen signiﬁkanter Effekt über M1 im Vergleich zu Sham und den anderen Lokalisationen

2000 5 15 Tage

1600 1 6 Tage

500 1 3h

achtförmig M1 20 Hz 80% RMT

achtförmig M1 1 Hz/20 Hz 90% RMT

achtförmig M1, S1, PMC, SMA 5 Hz 90% RMT

Besonderheiten

ICP Infantile Zerebralparese; l-DLPFC linker dorsolateraler präfrontaler Kortex; l-PFC linker präfrontaler Kortex; M1 primärer motorischer Kortex; MSA maximale Stimulatorausgangsleistung; MT motorische Reizschwelle; n Zahl der untersuchten Personen; PMC prämotorischer Kortex; PPC posteriorer parietaler Kortex; RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; S1 primärer somatosensorischer Kortex; SMA supplementär motorisches Areal.

zentraler Schmerz nach Schlaganfall (n=10), Rückenmarksverletzung (n=1), periphere Nervenverletzung (n=3)

14

Crossover, Placebokontrolliert

André-Obadia et al. 2006

57

Trigeminusneuralgie (n=24), zentraler Schmerz nach Infarkt/ Blutung (n=24)

56

48

53

Parallel, Placebokonrolliert

55

Khedr et al. 2005

54 400 12 1 Monat

51

achtförmig l-DLPFC 20 Hz 90% RMT

50

chronische Migräne

49

11

48

Parallel, Placebokonrolliert

47

Ergebnis Gruppe

43

Stimuli Sitzungen Follow-up

Ergebnis individuell

46

Brighina et al. 2004

52 Spule Reizort Frequenz Intensität

45

Diagnosen

44

n

42

Studiendesign

41

Autoren

. Tab. .. Fortsetzung

604 Kapitel 60 · Schmerz

605

60.4 Ausblick

Die mittlere Schmerzreduktion lag in diesen Studien zwischen 20 und 45, wobei sowohl Responder (mit einer Schmerzreduktion >30) als auch NonResponder existierten. Dabei kristallisieren sich eine Reihe von Faktoren heraus, welche die Effektivität der Methodik zu beeinflussen scheinen: Lokalisation und Ursache des Schmerzsyndroms. Eine Studie mit 60 Patienten untersuchte gezielt die Abhängigkeit des Therapieeffektes von Ursache und Lokalisation des therapierten neuropathischen Schmerzsyndroms. Hier ergaben sich Hinweise für eine bessere Wirksamkeit bei Lokalisation des Schmerzes im Gesicht sowie bei ursächlicher peripherer Trigeminusläsion, wohingegen Patienten mit Hirnstammläsionen und Patienten mit begleitenden ausgeprägten Sensibilitätsstörungen vergleichsweise am wenigsten profitierten (Lefaucheur et al. 2004b). Stimulationsort. In den meisten Fällen wurde über

dem zum Schmerz kontralateralen primären motorischen Kortex stimuliert. Bei einer mittels Neuronavigation platzierten Spule erwies sich sowohl eine Stimulation über dem primären somatosensorischen Kortex (S1) als auch über dem supplementären motorischen Areal (SMA) und dem prämotorischen Kortex als ineffektiv. Eine Kasuistik bei beidseitigem Gesichtsschmerz berichtete über einen positiven Effekt bei Stimulation über dem dorsolateralen präfrontalen Kortex, eine weitere Kasuistik bei zervikalem Wurzelausriss über einen positiven Effekt bei Stimulation über dem posterioren parietalen Kortex (. Tab. 60.1). Spule. In der Regel wurde eine fokale Spule verwen-

det. Die einzige Studie mit Rundspule erbrachte einen negativen Effekt (. Tab. 60.1). Stimulationsfrequenz und -intensität. Effektiv war in der Regel eine hochfrequente Stimulation (>1 Hz) mit einer Intensität von ca. 80–90 der motorischen Reizschwelle in Ruhe. Niedrigfrequente rTMS (0,5 Hz bzw. 1 Hz) war im Vergleich zu hochfrequenter rTMS deutlich weniger effektiv. Die meisten Autoren berichten über eine gleiche oder sogar geringere Wirkung als bei Scheinstimulation (engl. sham stimulation; AndreObadia et al. 2006; Lefaucheur et al. 2001a; Töpper et al. 2003). Lediglich eine Arbeitgruppe fand einen positiven Effekt einer 0,2-Hz-Stimulation über dem primären motorischen Kortex bei zentralem Schmerzsyndrom (. Tab. 60.1). Eﬀektdauer. Diese war einerseits abhängig von der Zahl der Einzelimpulse pro Sitzung, andererseits

60

von der Anzahl der Sitzungen insgesamt. In der Regel überdauerte der Effekt auch bei nur einer Sitzung die Dauer der Stimulation. Dabei wurde bei einer Zahl von 1000 Stimuli über eine bis zu 8 Tage anhaltende Schmerzreduktion berichtet, mit einem Effektmaximum 2–4 Tage nach der Stimulation (Lefaucheur et al. 2001b). Umgekehrt lies der Effekt bei einer Anzahl von 120 Stimuli 90 min nach Stimulationsende wieder nach (Pleger et al. 2004). Wiederholte Sitzungen führten zu einer Verstärkung und Verlängerung des Effektes, wobei in der Studie von Khedr et al. (2005) die Schmerzreduktion nach 5 konsekutiven Sitzungen bis zum Ende der Nachbeobachtungszeit (15 Tage nach Ende der letzten Stimulation) anhielt. Neben der Anwendung der rTMS zur Schmerztherapie lag ein weiteres Augenmerk der Kasuistiken und Studien auf dem möglichen prädiktiven Wert der rTMS bez. der Effektivität einer späteren invasiven MCS. Dabei beschrieb eine Kasuistik eine korrekte positive bzw. negative Prädiktion des MCS-Effektes bei 2 Patienten mittels Einzelpuls-TMS. Zwei weitere kleinere Studien mit 9 bzw. 14 Patienten fanden eine positive Korrelation zwischen dem Ansprechen auf 0,2 Hz bzw. 20-Hz-rTMS über dem primären motorischen Kortex und einem späteren MCS-Effekt (Andre-Obadia et al. 2006; . Tab. 60.1) Neben dieser Fülle von Studien, die bei Patienten mit chronischen neuropathischen Schmerzen durchgeführt wurden, befasste sich eine Einzelstudie mit dem Einsatz von rTMS bei chronischer Migräne. Dabei wurde mit 20 Hz in insgesamt 12 Sitzungen über dem linken dorsolateralen präfrontalen Kortex stimuliert. Die Autoren berichteten über eine signifikante Reduktion von Attackenfrequenz und Analgetikaverbrauch für einen Monat nach Stimulationsende und damit über einen deutlich den Stimulationszeitraum überdauernden Effekt (. Tab. 60.1).

60.4

Ausblick

Insgesamt belegen die Untersuchungen zum experimentellen Schmerz, dass sich mittels rTMS die zentrale Schmerzverarbeitung unter physiologischen Bedingungen bei Gesunden beeinflussen lässt. Dabei scheinen insbesondere die C-Faser-vermittelten und im medialen nozizeptiven System verarbeiteten, affektivmotivationalen Schmerzkomponenten einer Modulation durch rTMS zugänglich zu sein. Die vorhandenen Studien bei chronischen Schmerzpatienten legen ein Potenzial der rTMS sowohl zur Therapie chronischer Schmerzen als auch als Screeninginstrument zur Vorhersage eines späteren MCS-Effektes nahe. Aller-

606

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 60 · Schmerz

dings sind diese Studien bislang allesamt zu klein und die untersuchten Kollektive zu inhomogen, um derzeit bereits einen routinemäßigen Einsatz der Methodik außerhalb von kontrollierten Studien empfehlen zu können. Hier sind größere kontrollierte, multizentrische Studien mit homogenen Patientenkollektiven unbedingt zu fordern, um den Stellenwert der Methodik in der Schmerztherapie endgültig zu determinieren. Besonderes Augenmerk sollte auch auf die Wahl der optimalen Stimulationsparameter gelegt werden. Hier kristallisieren sich aus den vorhandenen Studien zwar einige Eckpunkte heraus (primärer motorischer Kortex, fokale Spule, Stimulationsfrequenz >1 Hz, hohe Stimuluszahl pro Sitzung, wiederholte Sitzungen). Allerdings sind Ausmaß und Dauer der bislang damit erzielten Effekte (Schmerzreduktion um 20–45, Dauer bis zu 15 Tage) wohl für einen Routineeinsatz derzeit nicht ausreichend, so dass an der Optimierung der Protokolle gearbeitet werden muss. Neue Stimulationsverfahren wie die »Theta-Burst-Stimulation« oder die transkranielle Gleichstromstimulation (7 Kap. 50 und 53) könnten hier für die Zukunft interessante Optionen darstellen.

Literatur Andre-Obadia N, Peyron R, Mertens P et al. (2006) Transcranial magnetic stimulation for pain control. Double-blind study of diﬀerent frequencies against placebo, and correlation with motor cortex stimulation eﬃcacy. Clin Neurophysiol 117: 1536–1544 Brighina F, Piazza A, Vitello G et al. (2004) rTMS of the prefrontal cortex in the treatment of chronic migraine: a pilot study. J Neurol Sci 227: 67–71 Canavero S, Bonicalzi V, Dotta M et al. (2002) Transcranial magnetic cortical stimulation relieves central pain. Stereotact Funct Neurosurg 78: 192–196 Garcia-Larrea L, Peyron R, Mertens P et al. (1999) Electrical stimulation of motor cortex for pain control: a combined PET-scan and electrophysiological study. Pain 83: 259– 273 Graﬀ-Guerrero A, Gonzalez-Olvera J, Fresan A et al. (2005) Repetitive transcranial magnetic stimulation of dorsolateral prefrontal cortex increases tolerance to human experimental pain. Brain Res Cogn Brain Res 25: 153–160 Hirayama A, Saitoh Y, Kishima H et al. (2006) Reduktion of intractable deaﬀerentation pain by navigation-guided repetitive transcranial magnetic stimulation of the primary motor cortex. Pain 122: 22–27 Johnson S, Summers J, Pridmore S (2006) Changes to somatosensory detection and pain thresholds following high frequency repetitive TMS of the motor cortex in individuals suﬀering from chronic pain. Pain 123: 187–192 Kanda M, Mima T, Oga T et al. (2003) Transcranial magnetic stimulation (TMS) of the sensorimotor cortex and medial

frontal cortex modiﬁes human pain perception. Clin Neurophysiol 114: 860–866 2Khedr EM, Kotb H, Kamel NF et al. (2005) Longlasting antalgic eﬀects of daily sessions of repetitive transcranial magnetic stimulation in central and peripheral neuropathic pain. J Neurol Neurosurg Psychiatry 76: 833–838 Bisher größte kontrollierte Therapiestudie mit wiederholten Stimulationssitzungen; konnte erstmalig einen über 15 Tage anhaltenden analgetischen Eﬀekt nachweisen. Lefaucheur JP, Drouot X, Keravel Y et al. (2001a) Pain relief induced by repetitive transcranial magnetic stimulation of precentral cortex. Neuroreport 12: 2963–2965 1Lefaucheur JP, Drouot X, Nguyen JP (2001b) Interventional neurophysiology for pain control: duration of pain relief following repetitive transcranial magnetic stimulation of the motor cortex. Neurophysiol Clin 31: 247–252 Studie, welche die Dauer des analgetischen Eﬀektes nach einmaliger rTMS des primären motorischen Kortex untersucht hat. Lefaucheur JP, Drouot X, Menard-Lefaucheur I et al. (2004a) Neuropathic pain controlled for more than a year by monthly sessions of repetitive transcranial magnetic stimulation of the motor cortex. Neurophysiol Clin 34: 91– 95 1Lefaucheur JP, Drouot X, Menard-Lefaucheur I et al. (2004b) Neurogenic pain relief by repetitive transcranial magnetic cortical stimulation depends on the origin and the site of pain. J Neurol Neurosurg Psychiatry 75: 612– 616 Studie mit der bislang größten Zahl eingeschlossener Patienten (n=60), untersuchte Eﬀektivität der rTMS Schmerztherapie bei unterschiedlicher Schmerzursache und -lokalisation. Lenz FA, Kwan HC, Dostrovsky JO et al. (1989) Characteristics of the bursting pattern of action potentials that occurs in the thalamus of patients with central pain. Brain Res 496: 357–360 Migita K, Uozumi T, Arita K et al. (1995) Transcranial magnetic coil stimulation of motor cortex in patients with central pain. Neurosurgery 36: 1037–1039 Mylius V, Reis J, Kunz M et al. (2006) Modulation of electrically induced pain by paired pulse transcranial magnetic stimulation of the medial frontal cortex. Clin Neurophysiol 117: 1814–1820 Pleger B, Janssen F, Schwenkreis P et al. (2004) Repetitive transcranial magnetic stimulation of the motor cortex attenuates pain perception in complex regional pain syndrome type I. Neurosci Lett 356: 87–90 Reid P, Pridmore (2001) Improvement in chronic pain with transcranial magnetic stimulation. Aust N Z J Psychiatry 35: 252 Rollnik JD, Wustefeld S, Dauper J et al. (2002) Repetitive transcranial magnetic stimulation for the treatment of chronic pain – a pilot study. Eur Neurol 48: 6–10 Summers J, Johnson S, Pridmore S et al. (2004) Changes to cold detection and pain thresholds following low and high frequency transcranial magnetic stimulation of the motor cortex. Neurosci Lett 368: 197–200

Literatur

Tamura Y, Okabe S, Ohnishi T et al. (2004) Eﬀects of 1-Hz repetitive transcranial magnetic stimulation on acute pain induced by capsaicin. Pain 107: 107–115 Töpper R, Foltys H, Meister IG et al. (2003) Repetitive transcranial magnetic stimulation of the parietal cortex transiently ameliorates phantom limb pain-like syndrome. Clin Neurophysiol 114: 1521–1530 Tsubokawa T, Katayama Y, Yamamoto T et al. (1991) Treatment of thalamic pain by chronic motor cortex stimulation. Pacing Clin Electrophysiol 14: 131–134 Yoo WK, Kim YH, Doh WS et al. (2006) Dissociable modulating eﬀect of repetitive transcranial magnetic stimulation on sensory and pain perception. Neuroreport 17: 141–144

607

60

609

61

Depressive Erkrankungen Frank Padberg, Nicola Großheinrich, Thomas E. Schläpfer

61.1

Einführung – 610

61.2

Grundlagen der funktionellen Neuroanatomie – 610

61.5.5

Wirkung auf dopaminerge und serotonerge Systeme – 611

61.6

Antidepressive Wirksamkeit der rTMS – 612

Magnetkonvulsionstherapie (MKT) – 617

61.7

Sicherheit der rTMS

61.3

61.4

61.5.3 61.5.4

rTMS bei bipolaren Erkrankungen – 615 rTMS bei anderen depressiven Syndromen – 615 Vergleich mit der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) – 615

61.5

Speziﬁsche Anwendungen bei depressiven Erkrankungen – 612

61.8

Ausblick – 618

61.5.1

Kombinationsbehandlung mit rTMS in der Primärtherapie – 612 rTMS bei therapieresistenten Depressionen – 614

Literatur

– 618

61.5.2

– 618

ZUM THEMA Die Anwendung der rTMS in der Therapie psychiatrischer Erkrankungen wurde zunächst bei Depressionen untersucht. Mittlerweile liegen umfangreiche Daten aus tierexperimentellen Studien, Probandenuntersuchungen und klinischen Studien zu neurobiologischen und klinischen Eﬀekten einer rTMS des präfrontalen Kortex vor. Die Untersuchungen zeigen, dass eine präfrontale rTMS modulierende Eﬀekte auf das serotonerge System besitzt und eine Dopaminfreisetzung im mesostriatalen und mesolimbischen System bewirkt. In über 30 placebokontrollierten Studien einschließlich einer aktuellen großen Multicenterstudie konnte mehrheitlich eine antidepressive Wirkung bei zumeist therapieresistenten Patienten gefunden

werden. Dabei gelten eine hochfrequente rTMS des linken, möglicherweise auch eine niedrigfrequente rTMS des rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex als wirksam. Die Eﬀektstärke wird als moderat und die Verträglichkeit als sehr gut angesehen. Für andere Formen depressiver Erkrankungen lässt die aktuelle Datenlage noch keine sichere Bewertung zu. Die Magnetkonvulsionstherapie (MKT) ist eine neue Form der rTMS mit hoher Stimulationsfrequenz und -intensität, bei der ähnlich wie bei der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ein generalisierter Anfall ausgelöst wird. Ein Vorteil dieser Methode ist ein geringeres Risiko für kognitive Nebenwirkungen als unter EKT bei vergleichbarer Wirksamkeit.

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

610

Kapitel 61 · Depressive Erkrankungen

61.1

Einführung

Die Major Depression wird gegenwärtig funktionell-anatomisch als ZNS-Systemerkrankung angesehen und ist durch potenziell reversible Funktionsänderungen in limbischen und paralimbischen Regelkreisen, v. a. monaminergen Neurotransmittersystemen und spezifischen molekularen Mediatorsystemen gekennzeichnet (7 Kap. 30). Trotz der vielfältigen etablierten Behandlungsmöglichkeiten bleibt die Behandlung depressiver Erkrankungen ein Schwerpunkt aktueller psychiatrischer Forschung. Nur 2 von 3 depressiven Patienten sprechen auf das erste Antidepressivum an, das sie erhalten. Auch von weiteren antidepressiven Behandlungsversuchen profitiert jeweils nur ein Teil der Patienten. Je mehr Behandlungsversuche erfolglos waren und je länger die aktuelle depressive Phase besteht, desto größer ist die Gefahr der Entwicklung einer sog. Therapieresistenz und eines chronischen Verlaufs. Wesentliche Ziele der Forschung sind daher die Steigerung der initialen Ansprechraten, die Verkürzung der üblichen Latenzzeit von ca. 2–3 Wochen bis zum Eintritt der antidepressiven Wirkung und die Behandlung therapieresistenter Zustandsbilder sowie die Prophylaxe gegen ein Wiederauftreten depressiver Symptome. In den letzten Jahren haben diese Ziele im Bereich der pharmakologischen Forschung zur Entwicklung neuer Wirkprinzipien geführt, z. B. den Substanz-P-Antagonisten oder CRH-Rezeptor-Antagonisten. Auch nichtpharmakologische Ansätze wurden entwickelt und intensiver untersucht wie u. a. 5 die Wachtherapie, kombiniert mit Schlafphasenvorverlagerung, 5 die Vagusnervstimulation (VNS), 5 die tiefe Hirnstimulation (engl. Deep Brain Stimulation, DBS; Mayberg et al. 2005) und 5 die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS; Schlaepfer et al. 2003). In den 90er-Jahren waren die Erwartungen an die rTMS als neue Interventionsform sehr hoch, obgleich nur eine kurze Entwicklungszeit seit der Erstbeschreibung der rTMS-Anwendung bei Depressionen vergangen war (Höflich et al. 1993). Die rTMS wurde rasch als neue, »sanfte« Alternative zur Elektrokonvulsionstherapie (EKT) gesehen. Die EKT ist das Behandlungsverfahren mit der höchsten antidepressiven Wirkstärke, wobei die Methode in der Regel erst relativ spät im Krankheitsverlauf bei therapieresistenten Depressionen, d. h. meistens und fälschlicherweise als »Ultima Ratio« eingesetzt wird. Es ist deshalb nicht wirklich überraschend, dass die hohen Erwartungen an die

rTMS bislang eher enttäuscht wurden und noch eine längere Entwicklungszeit zur Methodenoptimierung erforderlich sein wird. Entsprechend wurde bei einem Konsensustreffen der Arbeitsgemeinschaft TMS in der Psychiatrie die bisherige Datenlage zur therapeutischen Anwendung bei Depressionen als durchaus vielversprechend, jedoch ein Einsatz der rTMS in der klinischen Behandlungspraxis als verfrüht angesehen (Hajak et al. 2005).

61.2

Grundlagen der funktionellen Neuroanatomie

Zielregion für die rTMS als antidepressive Therapieform ist der dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC), wobei der linke DLPFC üblicherweise hochfrequent (5–20 Hz) und der rechte DLPFC üblicherweise niedrigfrequent (≤1 Hz) stimuliert wird. Eine Grundlage hierfür sind die Befunde zu frequenzabhängig differenziellen Effekten von hoch- und niedrigfrequenter Stimulation auf die Erregbarkeit des motorischen Kortex mit eher inhibitorischen Effekten niedrigfrequenter und eher exzitatorischen Effekten hochfrequenter Stimulation (Fitzgerald et al. 2006; 7 Kap. 50). Die zweite Grundlage sind Befunde zur lateralisierten frontalen Aktivierung bei Depressionen mit links- im Verhältnis zu rechtshemisphärisch verminderter Aktivierung. Beide Evidenzlinien wurden im Sinne einer Hypothese zum Wirkmechanismus der präfrontalen rTMS miteinander verbunden und führten dazu, dass in klinischen Studien zur rTMS überwiegend eine hochfrequente Stimulation links präfrontal eingesetzt wurde (. Abb. 61.1), einige Arbeitsgruppen jedoch auch eine niedrigfrequente Stimulation des rechten DLPFC verwendeten. Die Grundannahme zu seitenabhängig differenziellen Effekten der rTMS ist dabei sicherlich eher modellhaft zu verstehen und bedarf weiterer Prüfung. Frühe Studien zeigten, dass eine rTMS über dem visuellen oder dem motorischen Kortex dosisabhängig lokale Effekte im stimulierten Areal und transsynaptisch vermittelte Effekte in mit dem primär stimulierten Kortex verbundenen Regionen besitzt. In ähnlicher Weise zeigen mehrere Untersuchungen aus jüngster Zeit, dass eine rTMS des DLPFC sowohl Effekte im Stimulationsareal als auch in anderen Hirnregionen, z. B. dem anterioren Gyrus cinguli, besitzt. Diese Befunde unterstützen die Hypothese, dass eine rTMS des PFC die Aktivität in frontozingulären Regelkreisen modulieren kann, die bei depressiven Störungen verändert ist (Drevets 2000). Befunde aus den letzten Jahren zeigen hierbei, dass der DLPFC als

611

61.3 Wirkung auf dopaminerge und serotonerge Systeme

61

. Abb. .. Darstellung der individuellen Talairach-Koordinaten für die Spulenpositionen über dem Handareal im linken Motorkortex (schwarze Punkte) sowie über dem linken DLPFC (Brodmann-Areale, BA: BA 6 rot, BA 6/8 und 8 blau, BA 8/9 und 9 gelb) nach Standardpositionierung (deﬁnierter Abstand zum Motorkortex parasagittal) wie sie in den meisten klinischen Studien verwendet wird. Bei gesunden Probanden wurde die präfrontale Spulenposition mittels neuronavigierter TMS (7 Kap. 32) bez. der anatomisch genauen Lokalisation untersucht. Die einzelnen Punkte repräsentieren jeweils die Schnittpunkte der Spulenaxen mit der Kortexoberﬂäche in einem individuellen MRT-Bild (Segmentierung der weißen Substanz) nach Transformation in den Talairach-Raum (Aus Herwig et al. 2001; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier Science) (Abbildung in Farbe 7 S. 636)

Zielregion der rTMS bei Depressionen im Laufe einer erfolgreichen antidepressiven Behandlung eine Aktivierungszunahme zeigt, unabhängig, ob die Patienten medikamentös oder mit EKT behandelt werden. In kürzlich publizierten Studie von Mayberg et al. (2005) fand sich eine vergleichbare Aktivierung im DLPFC auch im Lauf einer erfolgreichen DBS des subgenualen Gyrus cinguli, einer weiteren Kandidatenregion für die therapeutische Hirnstimulation. Die therapeutische rTMS bedient sich hier also gleichsam eines »kortikalen Fensters« als Zugang zu einem komplex regulierten, bei Depressionen dysfunktionalen, anatomischen Systems. Insgesamt stellen sich die skizzierten Netto-Effekte der rTMS auf die regionale Hirnaktivität in der Bildgebung komplex dar; die Befunde sind z. T. widersprüchlich und können hier aus Platzgründen nicht ausführlicher dargestellt werden. Eine Zunahme des regionalen zerebralen Blutflusses bzw. Glucosemetabolismus kann auf Funktionsebene sowohl einer Verstärkung als auch einer Hemmung (z. B. bei Aktivierung inhibitorischer Neuronenpopulationen) entsprechen. Darüber hinaus können sich aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen rTMS und Durchführung der bildgebenden Untersuchungen differenzielle Effekt ergeben. Dabei ist als zusätzlicher Einflussfaktor zu berücksichtigen, dass die verschiedenen funktionell bildgebenden Methoden Veränderungen in unterschiedlichen Zeitfenstern erfassen (7 Kap. 36 und 37).

61.3

Wirkung auf dopaminerge und serotonerge Systeme

Die Stimulation des präfrontalen Kortex kann transsynaptisch zu einer Aktivierung dopaminerger Neurone im Mittelhirn sowie noradrenerger und serotonerger Neurone im Hirnstamm führen. Insgesamt weisen die bisherigen tierexperimentellen Untersuchungen v. a. auf eine Dopaminfreisetzung unter rTMS hin. Nach ersten Befunden in tierexperimentellen Untersuchungen (Post u. Keck 2001) konnte bei gesunden Probanden, konsistent mit den tierexperimentellen Befunden, ebenfalls eine Freisetzung von Dopamin im Nucleus caudatus bzw. im Putamen nach Stimulation des präfrontalen und des motorischen Kortex nachgewiesen werden. Auch bei depressiven Patienten fanden sich Hinweise auf eine Dopaminfreisetzung im Striatum während einer Stimulation (Pogarell et al. 2006), wobei es jedoch zu keiner Veränderung des dopaminergen Grundtonus im Laufe einer mehrtägigen Behandlung kam. Weiterhin zeigten sich auch Einflüsse einer präfrontalen rTMS auf das serotonerge System, die v. a. auf Rezeptorebene nachweisbar waren (Post u. Keck 2001). Die Befunde zur dopaminergen Wirkung sind konsistent, wobei weitere Untersuchungen klären müssen, welche Bedeutung die Placebowirkkomponente der rTMS, die damit zusammenhängende spezifische Erwartung der Versuchspersonen und mit der rTMS assoziierte Schmerzreize haben. Es gibt zahlreiche Hinweise auf eine veränderte Funktion der dopaminergen Neurotransmission bei depressiven Patienten (Brown u. Gershon 1993). Trizyklika und andere Antidepressiva hemmen die Dopamin-Wiederaufnahme u. a. im Nucleus accumbens und PFC.

612

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 61 · Depressive Erkrankungen

Bei einigen Substanzen in der Antidepressiva-Entwicklung (Nomifensin, Bupropion, Amineptin, Minaprin und Pramipexol) werden dopaminerge Effekte sogar als für die antidepressive Wirkung wesentlich angesehen (Brown u. Gershon 1993). Dopaminerge Wirkmechanismen werden dabei v. a. für die erfolgreiche Behandlung therapieresistenter Depressionen diskutiert und es erscheint daher insgesamt plausibel, dass hier ein Zusammenhang mit der antidepressiven Wirkung der rTMS bei therapieresistenten Depressionen besteht.

61.4

Antidepressive Wirksamkeit der rTMS

Insgesamt wurden mehr als 30 einzelne, placebokontrollierte klinische Studien mit über 900 Patienten zur Sicherheit und Wirksamkeit der rTMS als antidepressive Behandlung durchgeführt. Die Mehrzahl der klinischen Studien zeigte signifikante antidepressive Effekte im Vergleich zu einer nicht oder schwächer aktiven »Schein-« oder »Sham«Stimulation, die in den meisten Studien als Placebokontrolle eingesetzt wurde. Die Befunde sprechen für eine antidepressive Wirksamkeit einer 10 bis 20Hz-rTMS über dem linken DLPFC (Fitzgerald et al. 2003; Padberg et al. 2002). Zwei kontrollierte Studien zeigten positive Effekte einer 1-Hz-rTMS über dem rechten DLPFC (Fitzgerald et al. 2003). Die Effektstärken waren im Durchschnitt moderat und bezogen sich zumeist auf einen 2-wöchigen Beobachtungszeitraum (Martin et al. 2002). Aufgrund der methodischen Beschränkung vieler dieser Studien (kleine Fallzahlen, Schwierigkeiten mit der Kontrolle der Placebobedingung, kurze Beobachtungszeiträume, heterogene Stimulationsparameter) ist die derzeitige Bewertung der rTMS bez. ihrer Wirkstärke nüchterner im Vergleich zum Enthusiasmus nach den ersten Pilotstudien vor 10 Jahren (Schläpfer et al. 2003). Mehrere Meta-Analysen wurden durchgeführt, die insgesamt die antidepressive Wirksamkeit der rTMS stützen, wobei die klinischen Effekte jedoch nicht sehr stark waren und die klinische Relevanz der Methode sogar in Frage gestellt wurde. Die jüngste Meta-Analyse von Herrmann u. Ebmeier (2006) schließt 33 Einzelstudien mit insgesamt 877 Patienten ein und ergab, dass eine rTMS effektiver als eine Placebo-rTMS bei relativ hoher Effektstärke von 0,71 ist (. Abb. 61.2). Die durchschnittliche Reduktion der »Depressions-Scores« nach aktiver rTMS betrug 33,6 im Vergleich zu 17,4 nach Placebo-rTMS. Da die Studien eine erhebliche Variabili-

tät in Stimulationsparametern und Einzeleffektstärke zeigten, war es nicht möglich, ein bestimmtes, besonders effektives Stimulationsprotokoll zu identifizieren. Der beste positive Prädiktor für ein Ansprechen auf rTMS war die Stimulationsintensität mit effektiver Intensität ≥90 der individuellen motorischen Reizschwelle in Ruhe.

61.5

Speziﬁsche Anwendungen bei depressiven Erkrankungen

Spezifische Anwendungen der rTMS bei depressiven Erkrankungen erfordern spezielle Studiendesigns und die Wirksamkeit in diesen Indikationen muss in entsprechenden Studien getestet werden. Die folgenden Abschnitte gehen kurz auf diese speziellen Indikationen ein.

61.5.1 Kombinationsbehandlung mit rTMS

in der Primärtherapie Ein wesentliches Ziel neuer Strategien ist, die Latenzzeit des Ansprechens auf ein Antidepressivum zu verkürzen und die initialen Ansprechraten bei Depressionen zu erhöhen. Die Kombination von rTMS mit anderen antidepressiven Interventionen, z. B. Pharmakotherapie, Psychotherapie oder Schlafentzug frühzeitig in der Behandlung einer depressiven Episode, könnte hier einen erfolgversprechenden Ansatz bieten. Mehrere Studien haben diese Frage in Placebokontrollierten-Designs untersucht und haben eine hochfrequente rTMS mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), trizyklischen Antidepressiva oder Substanzen mit neuem Wirkprinzip kombiniert. Garcia-Toro et al. (2001) und Lisanby et al. (2002) fanden in ihren Untersuchungen keinen Unterschied zwischen einer aktiven rTMS und einer Placebo-rTMS, wenn die Behandlung mit Sertralin, einem SSRI, über 2 Wochen in Kombination erfolgte. Auch Hausmann et al. (2004) konnten keinen signifikanten Unterschied zwischen einer aktiven rTMS und einer Placebobehandlung in Kombination mit Citalopram, Venlafaxin, Mirtazapin oder Reboxetin über einen 2-Wochen-Zeitraum finden. Rumi et al. (2005) waren erfolgreich mit einer Kombination von 5-HzrTMS des linken DLPFC mit Amitriptylin, das bereits 7 Tage vor der ersten rTMS-Behandlung begonnen wurde. Die Gesamt-Behandlungszeit war länger (4 im Vergleich zu 2 Wochen) als in den Vorstudien. Rossini et al. (2005) fanden eine Effektivität einer 15-HzrTMS in Kombination mit Venlafaxin, Sertralin oder

61.5 Speziﬁsche Anwendungen bei depressiven Erkrankungen

. Abb. .. Meta-Analyse von 33 placebokontrollierten, randomisierten Studien zur therapeutischen Wirkung der rTMS bei Depressionen. Für die einzelnen Studien sind jeweils die mittlere Eﬀektstärke (schwarzes Quadrat), das Konﬁdenzintervall (Linie) sowie die Stichprobengröße (Größe des Quadrates)

613

61

dargestellt. (Abbildung mit Literaturangaben aus Herrmann u. Ebmeier 2006; nähere Angaben s. dort; mit freundlicher Genehmigung von Physicians Postgraduate Press, Inc. und K.P. Ebmeier, Oxford)

614

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 61 · Depressive Erkrankungen

Citalopram im Vergleich zu einer Placebobehandlung, jedoch lag die Effektstärke dieser Studie außerhalb des Bereichs der Effektstärken von Vergleichsstudien (. Abb. 61.2). Seit kurzem liegen Ergebnisse einer ersten multizentrischen Studie zur kombinierten Behandlung vor, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde (Herwig et al. 2006). Insgesamt wurden 127 Patienten mit einer mittel- bis schwergradigen depressiven Episode eingeschlossen. Die Patienten wurden mit einer neu begonnenen Kombination von Mirtazapin oder Venlafaxin und rTMS (10 Hz, 110 Intensität bezogen auf die individuelle motorische Reizschwelle in Ruhe, 2000 Stimuli pro Tag), über einen Zeitraum von 3 Wochen mit einer 3-wöchigen Follow-up-Periode behandelt. Nach 3 Wochen betrugen die Response-Raten in beiden Behandlungsgruppen ca. 30 und unterschieden sich nicht signifikant. Nach einer 3-wöchigen Followup-Periode zeigte sich eine gewisse Überlegenheit der Verum-Bedingung (58 vs. 47), die jedoch nicht statistisch signifikant wurde. Die bisherigen Ergebnisse stützen daher die Anwendung der rTMS im Sinne einer frühen Kombinationstherapie mit anderen antidepressiven Interventionen nicht, und weitere Studien auch zur Kombination mit nichtpharmakologischen Verfahren wie dem partiellen Schlafentzug sind erforderlich.

61.5.2 rTMS bei therapieresistenten

Depressionen rTMS wurde ursprünglich als eine potenzielle Alternative zur EKT eingesetzt. Entsprechend wurde die Mehrzahl der bisherigen Studien an therapieresistenten Kollektiven durchgeführt. Dabei ist zu bedenken, dass therapieresistente Patienten niedrige Ansprechraten auf antidepressive Interventionen zeigen. Während in den meisten Studien die rTMS als Add-on-Behandlung zu einer stabilen antidepressiven Medikation gegeben wurde, haben einzelne Studien auch die Anwendung als Monotherapie bei medikamentenfreien Patienten untersucht. Abgesehen von Unterschieden in den Patientencharakteristika, die eine wesentliche Einflussgröße darstellen und die Variation der Einzeleffektstärke mit bedingen könnten, gibt es eine erhebliche Variabilität der Stimulationsparameter. Einige Studien haben verschiedene Bedingungen direkt miteinander und zum Teil mit einer Placebostimulation verglichen. Dennoch fehlen größere Dosisfindungsstudien. Fitzgerald et al. (2006) verglichen in einer aktuellen Studie zwei verschiedene niedrigfrequente Stimulationen (1 Hz vs.

2 Hz) in einem großen Kollektiv von 130 Patienten und konnten keinen Unterschied in der therapeutischen Wirksamkeit finden. Kürzlich wurden die Ergebnisse einer US-amerikanischen, placebokontrollierten Multicenterstudie zur hochfrequenten rTMS veröffentlicht, in die insgesamt 325 Patienten in 23 Studienzentren in Nordamerika und Australien eingeschlossen wurden (O’Reardon 2006). Einschlusskriterien waren ein Wert von über 20 auf der Hamilton-Depressionsskala, eine Therapieresistenz definiert als Nichtansprechen auf mindestens 1 und höchstens 5 antidepressive Behandlungsversuche während der aktuellen Episode, eine Dauer der aktuellen Episode von weniger als 3 Jahren und die Vertretbarkeit des Absetzens der bestehenden antidepressiven Medikation. Alle Patienten waren dementsprechend ohne antidepressive Begleitmedikation mit rTMS-Monotherapie behandelt. Psychotische und bipolare Patienten wurden nicht eingeschlossen. Die Behandlung erfolgte mit dem Neurostar-TMS-Therapiesystem, das im Vergleich zu den üblichen rTMS-Stimulatoren eine Stimulationsspule mit einem ferromagnetischen Metallkern besitzt. Die Behandlung erfolgte hoch dosiert (10 Hz, 120 Stimulationsintensität bezogen auf die individuelle motorische Reizschwelle in Ruhe, 3000 Stimuli pro Tag). Der Gesamtbehandlungszeitraum betrug 6 Wochen. Der Verlauf in der Verum-Gruppe war nach 4 und 6 Wochen Behandlung in Bezug auf die depressive Symptomatik gemessen mit der Hamilton-Depressionsskala signifikant günstiger, es zeigten sich Responder-Raten von 19 nach 4 Wochen unter Verum-rTMS im Vergleich zu 11 nach Placebostimulation (p<0,05) und 24 nach 6 Wochen (vs. 15, p<0,05). Die Remissionsraten betrugen 9 (vs. 8) nach 4 Wochen (nicht signifikant) und 17 (vs. 8, p<0,05) nach 6 Wochen. Wie bei vielen Antidepressivastudien zeigte sich auch hier eine relativ große Wirksamkeit der Placebobedingung; nach einer Behandlungsdauer von 2 Wochen war in beiden Gruppen ein signifikantes Ansprechen auf die Therapie erkennbar und erst nach einer längeren Behandlungsdauer wurden die Wirksamkeitsunterschiede zwischen Placebo- und rTMS-Bedingung signifikant. Die Autoren ziehen den Schluss, dass sich die Ansprechraten in dieser Studie in dem Bereich für Ansprechraten vergleichbar therapieresistenter Patienten auf medikamentöse Interventionen bewegen. Einige Arbeitsgruppen untersuchten intensivere Stimulationsprotokolle mit der Kombination einer links hochfrequenten und rechts niedrigfrequenten Stimulation bzw. sogar eine bilateral hochfrequente Stimu-

615

61.5 Speziﬁsche Anwendungen bei depressiven Erkrankungen

lation. Eine Überlegenheit dieser Ansätze konnte bislang nicht gezeigt werden.

61.5.3 rTMS bei bipolaren Erkrankungen Bipolare Depressionen stellen eine eigene Untergruppe dar, die sich durch besondere Kennzeichen in dem Ansprechen auf antidepressive Behandlung (Risiko des Umschlagens »switch« in eine Manie, Anstieg der Phasenfrequenz bis zu einem »rapid cycling« unter wiederholten antidepressiven Behandlungen) auszeichnet. Diese spezielle Indikation wurde bislang nur in wenigen Studien untersucht. In einer ersten Studie von Dolberg et al. (2002) wurden 20 Patienten mit Verum- oder Placebo-rTMS behandelt. Es ergab sich dabei ein signifikanter Unterschied nach 2 Wochen Stimulation, der jedoch nach 4 Wochen nicht mehr nachweisbar war. In einer weiteren Studie konnten Nahas et al. (2003) bei 23 depressiven bipolaren Patienten keine signifikante Überlegenheit einer 5-Hz-rTMS über eine Placebostimulation finden. Bemerkenswert ist, dass nur ein Patient ein Umschlagen in einen hypomanen oder manischen Zustand zeigte, obgleich solche Fälle immer wieder von anderen Arbeitsgruppen berichtet wurden. Interessant sind die Langzeit-Ergebnisse bei 7 Patienten der akuten Studie, die eine wöchentliche ErhaltungsrTMS für ein Jahr erhielten. Es konnten 3 Patienten über den gesamten Behandlungszeitraum gut stabilisiert werden, die anderen 4 Patienten zeigten trotz wöchentlicher rTMS eine rezidivierende depressive Symptomatik. Im Vergleich zur Anwendung bei depressiven Erkrankungen sind die Ergebnisse in der Anwendung bei manischen Syndromen bislang widersprüchlich. Nachdem eine erste Studie die antimanische Wirksamkeit einer rechts gegenüber einer links präfrontalen hochfrequenten rTMS zeigte, konnte dieselbe Arbeitsgruppe diese Ergebnisse im Vergleich zu einer Placebogruppe nicht replizieren. Dennoch sprechen weitere Einzelfälle und zwei offene Studien für die Möglichkeit einer erfolgreichen Anwendung der rTMS bei Manien und unterstützen den weiteren Forschungsbedarf in diesem Bereich.

61.5.4 rTMS bei anderen depressiven

Syndromen Auch depressive Syndrome, die mit Morbus Parkinson oder Schlaganfällen (7 Kap. 56) assoziiert sind, können als potenzielle spezifische Indikationen für eine

61

rTMS angesehen werden. Zwei Studien untersuchten die Frage, ob eine rTMS-Behandlung für depressive Syndrome bei Morbus Parkinson effektiv ist. Die erste offene Studie von Dragasevic et al. (2002) zeigte, dass eine niedrigfrequente rTMS des linken und des rechten DLPFC eine signifikante Verbesserung der depressiven Symptomatik und der motorischen Funktionen bewirken kann. Fregni et al. (2004) führten eine randomisierte, doppeltblinde kontrollierte Studie zur Anwendung einer hochfrequenten rTMS über dem linken DLPFC bei Morbus Parkinson durch. Diese Studie zeigte, dass 10 konsekutive Behandlungen zu einem vergleichbaren antidepressiven Effekt führen können wie die Gabe von Fluoxetin (einem SSRI) und dass dieser Effekt über einen Zeitraum von 2 Monaten nachweisbar war. Ähnliche positive Ergebnisse wurden für die Behandlung einer Post-Stroke-Depression nach einer 10-Hz-rTMS des linken DLPFC im Vergleich zu einer Placebostimulation gefunden mit einer signifikanten Reduktion der depressiven Symptomatik und einem Trend in Richtung einer kognitiven Verbesserung (7 Kap. 56). Studien zur Anwendung bei depressiven Syndromen im Rahmen einer Epilepsie oder im Rahmen demenzieller Erkrankungen liegen bislang noch nicht vor. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf.

61.5.5 Vergleich mit der

Elektrokonvulsionstherapie (EKT) Obgleich die rTMS bereits früh in Konkurrenz zur EKT diskutiert wurde, unterscheiden sich beide Technologien doch grundsätzlich sowohl im methodischen Ansatz als auch hinsichtlich der bislang beschriebenen neurobiologischen Effekte (Post u. Keck 2001). Der Grund für das Interesse an diesem Vergleich ist darin begründet, dass die Ethikkommission des NIMH rTMS-Studien nur bei schwerst therapieresistenten Patienten zuließ, da sowohl die Bedeutung als auch die Häufigkeit der Nebenwirkung eines Krampanfalles überschätzt wurden. Insgesamt wurden 8 Studien publiziert, die hochfrequente rTMS und EKT in parallelen Gruppen verglichen (Grunhaus et al. 2000). Bei psychotischen Depressionen erwies sich die EKT als wirksamer, bei nichtpsychotischen depressiven Patienten wurden in den bisherigen Studien keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede zwischen beiden Verfahren gefunden (. Tab. 61.1). Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass sowohl auf der Basis metaanalytischer Daten als auch nach unserer eigenen klinischen Erfahrung die EKT bislang klinisch deutlich effizienter ist und der fehlende Nachweis von

61

62

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

Parallele Gruppen, randomisiert

Parallele Gruppen, randomisiert

Parallele Gruppen, randomisiert

Parallele Gruppen, randomisiert

Parallele Gruppen, nicht randomisiert

Parallele Gruppen, nicht randomisiert

Parallele Gruppen, randomisiert

Parallele Gruppen, randomisiert

(Grunhaus et al. 2000)

(Pridmore et al. 2000)

(Janicak et al. 2002)

(Grunhaus et al. 2003)

(O‘Connor et al. 2003)

(Schulze-Rauschenbach et al. 2005)

(Rosa et al. 2006)

(Eranti et al. 2007)

63,6 68,3

24

46,0

41,8

46,7

47,7

48,4

51,2

61,4

57,6

42,7

42,9

41,5

44,0

63,6

58,4

Alter in Jahren

22

21

EKT 10-Hz-rTMS

21

EKT 10-Hz-rTMS

16 14

10-Hz-rTMS

14 14

EKT

EKT 10-Hz-rTMS

20 20

10-Hz-rTMS

14 11

EKT

EKT 10-Hz-rTMS

16 16

20-Hz-rTMS

20 20

EKT

n

10-Hz-rTMS

Behandlungsgruppe

42 MD 4 BP (7 psychotisch)

MD (nicht psychotisch)

MD (nicht psychotisch)

MD (nicht psychotisch)

MD (nicht psychotisch)

17 MD 8 BP (9 psychotisch)

26 MD 6 BP

MD (21 psychotisch)

Diagnose

MD Major Depression; BP Bipolare Störung; HRSD »Hamilton Rating Scale for Depression«; na nicht angegeben; n Anzahl der untersuchten Personen.

Design

Studie

Alle

Alle

Alle

na

na

Alle

Alle

Alle

58%

22%

≈41%

≈40%

35%

39%

60,8%

12,7%

48,2%

45,5%

64%

55%

66,4%

55,6%

60,6%

40,3%

5 10

Symptom-Reduktion (HRSD)

Therapieresistenz

. Tab. .. Klinische Studien zum Vergleich von hochfrequenter rTMS des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und EKT (Randomisierung zu parallelen Gruppen) bei Major Depression. Grunhaus et al. 2000, O´Connor et al. 2003 und Eranti et al. 2007 fanden eine statistisch signiﬁkante Überlegenheit der EKT, in den anderen Studien waren die Unterschiede statistisch nicht signiﬁkant. (Literatur aus Platzgründen nicht im Literaturverzeichnis, z. B. unter PubMed zu ﬁnden)

616 Kapitel 61 · Depressive Erkrankungen

61.6 Magnetkonvulsionstherapie (MKT)

Wirksamkeitsunterschieden mit großer Wahrscheinlichkeit auf den hohen Beta-Fehler bei eher geringen Fallzahlen und andere methodische Probleme der bisher durchgeführten Vergleichsstudien zurückzuführen sein könnte.

61.6

Magnetkonvulsionstherapie (MKT)

Eine der rTMS nahestehende Behandlungsmethode ist die Magnetkrampf- oder auch Magnetkonvulsionstherapie (MKT; engl. Magnetic Seizure Therapy, MST), die in letzter Zeit als andere mögliche alternative Behandlungsform zur EKT erforscht wird. Im Gegensatz zur rTMS werden bei der MKT Stimulationsparameter (höhere Frequenz und Amplitude) genutzt, die weit oberhalb der individuellen motorischen Reizschwelle liegen, mit der Absicht, einen generalisierten Krampfanfall im gleichen Setting wie bei der EKT zu induzieren (. Abb. 61.3). Eine präklinische Phase an Primaten zeigte, dass bei der Anwendung der MKT in allen Fällen durch einen starken Einzelpuls ein Anfall ausgelöst werden konnte. Die Methode erweist sich dabei als relativ sicher und gut praktikabel. In einer weiteren Studie an Primaten (Macaca mulatta) konnte gezeigt werden, dass 6 Wochen tägliche MKT zu keinen histopathologischen Veränderungen führt (Dwork et al. 2004). Die erste klinisch therapeutische MKT wurde in der Universitätsklinik in Bern in der Schweiz im Jahre 2000 realisiert (Lisanby et al. 2001). Seitdem sind mehrere Einzelfälle (z. B.

617

61

Kosel et al. 2003) sowie Studien mit geringen Fallzahlen veröffentlicht worden. Mittlerweile sind weltweit ca. 40 Patienten mit MKT behandelt worden. Die Methode ist in der klinischen Anwendung im Vergleich zur rTMS kostenaufwändiger, da die Patienten, ähnlich wie bei der EKT, in Vollnarkose versetzt werden müssen, so dass für die Realisierung der Behandlung Personal mehrerer klinischer Disziplinen notwendig ist (. Abb. 61.3). Die beschriebenen, subjektiven Nebenwirkungen nach Behandlung scheinen jedoch geringer ausgeprägt zu sein als nach der EKT und die Patienten erlangten ihre Orientierung und Aufmerksamkeit schneller wieder. Auch bez. einer retrograden Amnesie schnitten die Patienten nach MKT besser ab als nach EKT. Möglicherweise ist diese bessere Verträglichkeit auf die fokalere Anwendbarkeit und bessere Dosierung zurückzuführen. In einer kontrollierten Studie an 20 Patienten konnte kürzlich eine gute antidepressive Wirksamkeit der Methode gezeigt werden (White et al. 2006). Bevor weitergehende Aussagen zu Nutzen und Nebenwirkungen der MKT getroffen werden können, müssen allerdings erst weitere klinische Studien abgewartet werden. Da der physiologische Wirkmechanismus der EKT noch nicht eindeutig geklärt ist, scheint die MKT außerdem ein viel versprechendes Instrument zur weiteren Erforschung funktioneller zerebraler Regelkreise zu sein, die für die konvulsive und antidepressive Wirkung der EKT verantwortlich sind.

. Abb. .. Erste klinische Anwendung der Magnetkonvulsionstherapie am Menschen am 1. Mai 2000 in Bern. Die Anwendung der Therapie erfolgt grundsätzlich unter denselben Bedingungen wie die Elektrokonvulsionstherapie (vollständige Muskelrelaxation, Vollnarkose). Der generalisierte epileptische Anfall wurde mit der auf dem Bild sichtbaren gewinkelten achtförmigen Spule (engl. double cone coil) über dem Vertex ausgelöst

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

618

Kapitel 61 · Depressive Erkrankungen

61.7

Sicherheit der rTMS

In tierexperimentellen Studien verursacht die rTMS selbst bei Langzeitanwendung keine kognitiven Beeinträchtigungen oder morphologischen Veränderungen im ZNS (Post u. Keck 2001). Auch auf der Grundlage umfangreicher klinischer Erfahrungen kann festgestellt werden, dass die rTMS nichtmotorischer Kortexareale ein sehr sicheres und gut verträgliches Behandlungsverfahren ist, wenn die entsprechend definierten Sicherheitsrichtlinien eingehalten werden (Hajak et al. 2005; Machii et al. 2006; 7 Kap. 4). Das Risiko für die in Einzelfällen berichteten epileptischen Anfälle unter rTMS bei höheren Stimulationsintensitäten und -frequenzen scheint seit Begrenzung der Stimulationsparameter durch Sicherheitskriterien nach oben weitgehend minimiert zu sein. Relevante Nebenwirkungen sind vorübergehende Kopfschmerzen nach rTMS und die Verstärkung vorbestehender Kopfschmerzoder Tinnitussyndrome. Auf absolute Kontraindikationen, wie z. B. elektronische Implantate (Herzschrittmacher, Insulin-Pumpen etc.), intrakranielle Metallpartikel oder epileptische Anfälle in der Vorgeschichte, muss geachtet werden. Relative Vorsicht ist bei schwerem Schädelhirntrauma oder Hirnoperationen sowie Kopfschmerzsyndromen und Schwangerschaft geboten. Auch psychiatrische Nebenwirkungen wie das möglicherweise erhöhte Switch-Risiko in manische Syndrome sowie das Neuauftreten psychotischer Symptome nach rTMS wurden in Einzelfällen beschrieben.

53 54 55 56 57 58 59 60

61.8

Ausblick

Die aktuelle Datenlage zur rTMS bei depressiven Erkrankungen ist durchaus vielversprechend (Hajak et al. 2005), lässt jedoch sicher noch keine allgemeine Anwendungsempfehlung in der Praxis zu. Insbesondere die Ergebnisse der bereits erwähnten US-amerikanischen multicentrischen Studie könnten die weitere Etablierung der Methode in der Behandlungspraxis depressiver Erkrankungen beschleunigen. Nach dem bisherigen Kenntnisstand könnte die Methode einen Platz in der Stufentherapie der Depression finden und die therapeutische Lücke zwischen primären Behandlungsformen (Pharmakotherapie, Psychotherapie) und der EKT schließen. Die geringen Nebenwirkungen und gute Verträglichkeit legen dabei eher einen frühzeitigen Einsatz nahe als eine Anwendung der rTMS als Ultima Ratio. Ob die rTMS die Latenz bis zum Eintritt der antidepressiven Wirkung verkürzen bzw. die Wirkung antidepressiver Substanzen

verstärken kann, ist nach wie vor nicht ausreichend geklärt. Bezüglich der antidepressiven Wirkstärke der rTMS ist von neuen Stimulationsformen wie der Theta-Burst-Stimulation und der repetitiven Doppelpulsstimulation (7 Kap. 50) sowie neuen Spulen- und Stimulatortypen in Zukunft eine weitere Verbesserung zu erhoffen.

Literatur Brown AS, Gershon S (1993) Dopamine and depression. J Neural Transm Gen Sect 91: 75–109 2Drevets WC (2000) Functional anatomical abnormalities in limbic and prefrontal cortical structures in major depression. Prog Brain Res 126: 413-431 Wichtige Übersichtsarbeit zur funktionellen Neuroanatomie der Major Depression. Dolberg OT, Dannon PN, Schreiber S, Grunhaus L (2002) Transcranial magnetic stimulation in patients with bipolar depression: a double blind, controlled study. Bipolar Disord 4 Suppl 1: 94–95 Dragasevic N, Potrebic A, Damjanovic A et al. (2002) Therapeutic eﬃcacy of bilateral prefrontal slow repetitive transcranial magnetic stimulation in depressed patients with Parkinson‘s disease: an open study. Mov Disord 17: 528– 532 Dwork AJ, Arango V, Underwood M et al. (2004) Absence of histological lesions in primate models of ECT and magnetic seizure therapy. Am J Psychiatry 161: 576–578 1Fitzgerald PB, Brown TL, Marston NA et al. (2003) Transcranial magnetic stimulation in the treatment of depression: a double-blind, placebo-controlled trial. Arch Gen Psychiatry 60: 1002–1008 Erste Studie zum direkten Vergleich einer hochfrequenten rTMS des linken und einer niedrigfrequenten rTMS des rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex. Es fand sich kein signiﬁkanter Unterschied zwischen beiden rTMS-Formen. Fitzgerald PB, Fountain S, Daskalakis ZJ (2006) A comprehensive review of the eﬀects of rTMS on motor cortical excitability and inhibition. Clin Neurophysiol 117: 2584–2596 Fregni F, Santos CM, Myczkowski ML et al. (2004) Repetitive transcranial magnetic stimulation is as eﬀective as ﬂuoxetine in the treatment of depression in patients with Parkinson’s disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 75: 1171–1174 Garcia-Toro M, Pascual-Leone A, Romera M et al. (2001) Prefrontal repetitive transcranial magnetic stimulation as add on treatment in depression. J Neurol Neurosurg Psychiatry 71: 546–548 Grunhaus L, Dannon PN, Schreiber S et al. (2000) Repetitive transcranial magnetic stimulation is as eﬀective as electroconvulsive therapy in the treatment of nondelusional major depressive disorder: an open study. Biol Psychiatry 47: 314–324 1Hajak G, Padberg F, Herwig U et al. (2005) Repetitive Transkranielle Magnetstimulation. Konsensus zum the-

Literatur

rapeutischen Einsatz bei psychiatrischen Erkrankungen. Nervenheilkunde 24: 48–58 Konsensuspapier der Arbeitsgemeinschaft Transkranielle Magnetstimulation in der Psychiatrie (gegründet 1999 von G. Hajak und F. Padberg). 2Herrmann LL, Ebmeier KP (2006) Factors modifying the eﬃcacy of transcranial magnetic stimulation in the treatment of depression. J Clin Psychiatry 67: 1870–1876 Aktuelle und wichtige Meta-Analyse von über 30 placebokontrollierten rTMS-Studien bei Depressionen. Herwig U, Padberg F, Unger J et al. (2001) Transcranial magnetic stimulation in therapy studies: examination of the reliability of »standard« coil positioning by neuronavigation. Biological Psychiatry 50: 58–61 Herwig U, Spitzer M, Eschweiler GW et al. (2006) Antidepressant transcranial magnetic stimulation - results from the ﬁrst multi-center trial. 565-575 59: 97S (abstract) 1Höﬂich G, Kasper S, Hufnagel A et al. (1993) Application of transcranial magnetic stimulation in treatment of drugresistant major depression. Human Psychopharmacology 8: 361–365 Erste Beschreibung einer therapeutischen Anwendung der rTMS bei zwei depressiven Patienten. Kosel M, Frick C, Lisanby SH et al. (2003) Magnetic seizure therapy improves mood in refractory major depression. Neuropsychopharmacology 28: 2045–2048 1Lisanby SH, Schlaepfer TE, Fisch HU, Sackeim HA (2001) Magnetic seizure therapy of major depression. Arch Gen Psychiatry. 58: 303–305 Erste Beschreibung einer therapeutischen Anwendung der Magnetkonvulsionstherapie (MKT) am Menschen. Lisanby HS, Pascal-Leone A, Sampson SM et al. (2002) Augmentation of sertraline antidepressant treatment with transcranial magnetic stimulation. 565-575 49: 81S 2Machii K, Cohen D, Ramos-Estebanez C, Pascual-Leone A (2006) Safety of rTMS to non-motor cortical areas in healthy participants and patients. Clin Neurophysiol 117: 455– 471 Aktuelle Analyse zur Sicherheit und Verträglichkeit einer rTMS nichtmotorischer Areale auf der Basis einer umfassenden Literaturübersicht und der Dokumentation des Labors für Hirnstimulation am Beth Israel Deaconess Medical Center der Harvard Medical School, Boston, USA. 1Martin JL, Barbanoj MJ, Schlaepfer TE et al. (2002) Transcranial magnetic stimulation for treating depression. Cochrane Database Syst Rev (02): CD003493 Cochrane Review zur Wirksamkeit der rTMS bei Depressionen auf der Basis der bis Anfang 2002 publizierten Studien. Mayberg HS, Lozano AM, Voon V et al. (2005) Deep brain stimulation for treatment-resistant depression. Neuron 45: 651–660 Nahas Z, Kozel FA, Li X, Anderson B (2003) Left prefrontal transcranial magnetic stimulation (TMS) treatment of depression in bipolar aﬀective disorder: a pilot study of acute safety and eﬃcacy. Bipolar Disord 5: 40–47 2O´Reardon JP (2006) Repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) at 10 Hz in the treatment of pharmacoresistant major depression – results from a controlled mul-

619

61

ticenter clinical trial. Presented at the 2006 APA Annual Meeting Toronto Erste kontrollierte große Multicenterstudie zur rTMS bei therapieresistenten Depressionen. Padberg F, Zwanzger P, Keck ME et al. (2002) Repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in major depression: relation between eﬃcacy and stimulation intensity. Neuropsychopharmacology 27: 638–645 Pogarell O, Koch W, Popperl G et al. (2006) Striatal dopamine release after prefrontal repetitive transcranial magnetic stimulation in major depression: preliminary results of a dynamic [123I] IBZM SPECT study. J Psychiatr Res 40: 307– 314 Post A, Keck ME (2001) Transcranial magnetic stimulation as a therapeutic tool in psychiatry: what do we know about the neurobiological mechanisms? J Psychiatr Res 35: 193– 215 Rossini D, Magri L, Lucca A et al. (2005) Does rTMS hasten the response to escitalopram, sertraline, or venlafaxine in patients with major depressive disorder? A double-blind, randomized, sham-controlled trial. J Clin Psychiatry 66: 1569–1575 Rumi DO, Gattaz WF, Rigonatti SP et al. (2005) Transcranial magnetic stimulation accelerates the antidepressant eﬀect of amitriptyline in severe depression: a double-blind placebo-controlled study. Biol Psychiatry 57: 162–166 Schlaepfer TE, Kosel M, Nemeroﬀ CB (2003) Eﬃcacy of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in the treatment of aﬀective disorders. Neuropsychopharmacology 28: 201–205 White PF, Amos Q, Zhang Y et al. (2006) Anesthetic considerations for magnetic seizure therapy: a novel therapy for severe depression. Anesth Analg 103: 76–80

621

62

Andere psychiatrische Erkrankungen Peter Eichhammer, Göran Hajak

62.1

Schizophrenie – 622

62.1.1 62.1.2

Klinik und Pathophysiologie – 622 rTMS bei Schizophrenie – Positivsymptomatik – 622 rTMS bei Schizophrenie – Negativsymptomatik – 625

62.1.3

62.3

Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) – 626

62.3.1 62.3.2

Klinik und Pathophysiologie – 626 rTMS bei posttraumatischer Belastungsstörung – 626

62.4

Zwangsstörung – 627

62.2

Angststörungen – Panikstörung – 625

62.4.1 62.4.2

Klinik und Pathophysiologie – 627 rTMS bei Zwangsstörung – 628

62.2.1 62.2.2

Klinik und Pathophysiologie – 625 rTMS bei Panikstörung – 625

62.5

Craving – 629

62.5.1 62.5.2

Klinik und Pathophysiologie rTMS bei Craving – 629

Literatur

– 629

– 629

ZUM THEMA Dieses Kapitel gibt einen Überblick über therapeutische Ansätze der rTMS bei psychiatrischen Erkrankungen (mit Ausnahme depressiver Erkrankungen, die im 7 Kap. 61 besprochen werden). rTMS wird vor allem zur Therapie klinischer Symptome verwendet, die medikamentös nur schwer zu behandeln sind. Die biophysikalischen Qualitäten der rTMS, in Abhängigkeit von Stimulationsort und Stimulationsfrequenz, die Erregbarkeit kortikaler und kortikal-subkortikaler Netzwerke zu modulieren, sprechen für den Einsatz dieses Verfahrens bei speziﬁschen klinischen Symptomen, deren neurobiologische Grundlagen durch bildgebende

Methoden zunehmend besser verstanden werden. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der diﬀerenziellen rTMS-Behandlung der Positiv- und Negativsymptomatik bei Schizophrenie. Zur rTMS-Behandlung dieses Krankheitsbildes liegen die meisten und qualiﬁziertesten Studien vor. In Form eines kausal-orientierten Behandlungsansatzes gewinnt die rTMS in der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen sowie der Zwangsstörung zunehmend an Bedeutung. Ein neues Einsatzfeld scheint sich in der Therapie des sog. Cravings (süchtiges Verlangen) zu eröﬀnen. Hierzu liegen erste explorative Untersuchungen vor.

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

622

Kapitel 62 · Andere psychiatrische Erkrankungen

62.1

Schizophrenie

einer Besserung klinischer Symptome beitragen, die für eine Negativsymptomatik charakteristisch sind.

62.1.1 Klinik und Pathophysiologie Schizophrene Störungen gehören mit einer interkulturell stabilen Prävalenz von 1 der Gesamtbevölkerung zu den häufigsten und schwersten psychiatrischen Erkrankungen. Bereits Eugen Bleuler wusste um die Heterogenität dieses Krankheitsbildes und sprach von der Gruppe der Schizophrenien. Klinisch hat sich eine Einteilung schizophrener Symptome in eine Positivund Negativsymptomatik bewährt. Die Positivsymptomatik ist mit Wahnvorstellungen, schweren kognitiven Störungen sowie vorwiegend akustischen Halluzinationen assoziiert, während sich die Negativsymptomatik durch ein ausgeprägtes Antriebsdefizit verbunden mit Anhedonie auszeichnet. Pharmakologisch lässt sich die Positivsymptomatik erfolgreicher als die Negativsymptomatik behandeln. Jedoch werden bei bis zu 25 schizophrener Patienten ebenfalls medikamentös therapieresistente akustische Halluzinationen berichtet. Funktionell bildgebende und neurophysiologische Befunde belegen, dass sich die klinische Unterscheidung in Positiv- und Negativsymptomatik ebenfalls neurobiologisch abbilden lässt. So findet sich bei einer Positivsymptomatik, die mit akustischen Halluzinationen verbunden ist, eine Aktivierung des rechten und linken oberen temporalen Kortex einschließlich auditorischer Kortexareale. Zudem imponiert die bilaterale extensive Aktivierung eines kortikosubkortikalen Netzwerkes mit Einbeziehung limbischer Strukturen und thalamischer Areale. Auf dem Boden dieser Befunde wurden sog. kortikale Hyperexzitabilitätsstörungen postuliert, die sich besonders erfolgreich mittels niedrigfrequenter rTMS therapieren lassen, von der eine erregbarkeitsreduzierende Wirkung bekannt ist (7 Kap. 50). Die Negativsymptomatik bei Schizophrenie scheint mit einer Untererregbarkeit in frontalen Hirnarealen assoziiert zu sein. Der präfrontale Kortex ist bidirektional mit einer Vielzahl kortikaler und subkortikaler Hirngebiete verbunden wie der Inselregion, limbischen Strukturen einschließlich thalamischer Areale sowie den Basalganglien. Eine dysfunktionale Aktivität des präfrontalen Kortex führt zudem zu einer dysfunktionalen dopaminergen Neurotransmission in mesolimbischen Strukturen, die im Zusammenhang mit einer depressiven Stimmungslage und einer Negativsymptomatik bei Schizophrenie beschrieben wurde (Heimer et al. 1997). Eine rTMS-induzierte Aktivierung frontaler Hirngebiete mittels hochfrequenter rTMS sollte infolge dieser neurobiologischen Befunde zu

62.1.2 rTMS bei Schizophrenie –

Positivsymptomatik Der Einsatz niedrigfrequenter rTMS bei Positivsymptomatik bezieht sich ausschließlich auf die Behandlung zumeist medikamentös therapieresistenter akustischer Halluzinationen. Pionierarbeit leistete hierbei die Arbeitsgruppe um Ralph Hoffman in Yale (Hoffman et al. 2000). In einer ersten doppelblinden Crossover-Studie an 12 Patienten mit paranoider oder schizoaffektiver Psychose führte eine 1-Hz-rTMS über dem linken parietotemporalen Kortex nach 4 Tagen Therapie zu einem signifikanten Rückgang der akustischen Halluzinationen. Hierbei wurde der Therapieerfolg durch die Einnahme antikonvulsiv wirkender Medikamente vermindert. Diese initialen Ergebnisse konnten in einer zweiten Studie an 24 schizophrenen Patienten mit chronischen akustischen Halluzinationen repliziert werden. Die niedrigfrequente rTMS nahm dabei keinen Einfluss auf die Wahnsymptomatik oder die Ausprägung der Negativsymptomatik. Eine weitere Studie an 50 Patienten erbrachte eine erneute Bestätigung der Effektivität niedrigfrequenter rTMS in der Behandlung akustischer Halluzinationen. Diese positiven Ergebnisse konnten jedoch nicht in allen weiteren Studien anderer Arbeitsgruppen bestätigt werden. In placebokontrollierten Crossover-Studien konnte mit niedrigfrequenter rTMS über dem Broca-Areal und über dem superioren temporalen Kortex keine signifikante Besserung akustischer Halluzinationen nachgewiesen werden. Jedoch führte eine neuronavigierte rTMS (7 Kap. 32) anhand individueller funktionell-kernspintomografischer Befunde zu einem deutlichen, wenn auch nicht signifikanten Rückgang der Schwere akustischer Halluzinationen bei 4 Patienten (Schönfeldt-Lecuona et al. 2004). Die negativen Therapieergebnisse in diesen Studien wurden unter anderem als Folge einer zu geringen Gesamtanzahl an TMS-Stimuli interpretiert. Für diese Hypothese spricht, dass zwei kürzlich veröffentlichte Studien mit einer hohen Anzahl verabreichter Magnetpulse (über 10.000 Pulse) einen signifikanten Rückgang akustischer Halluzinationen berichten. Die Reduktion akustischer Halluzinationen ist neurobiologisch mit einer Aktivitätsminderung auditorischer Kortexareale nach niedrigfrequenter rTMS assoziiert. Weitere detaillierte Informationen zur rTMS bei akustischen Halluzinationen bietet . Tab. 62.1.

l-TP

l-STG

9

24

16

12

10

39

18

16

50

24

33

D’Alfonso et al. 2002

Hoﬀman et al. 2003

McIntosh et al. 2004

SchönfeldtLecuona et al. 2004

Poulet et al. 2005

Lee et al. 2005

Saba et al. 2005

Chibbaro et al. 2005

Hoﬀman et al. 2005

Brunelin et al. 2005

Fitzgerald et al. 2005

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

1 Hz

rTMSFrequenz

90% RMT

90% RMT

90% RMT

90% RMT

80% RMT

100% RMT

90% RMT

90% RMT

80% RMT

90% RMT

80% RMT

80% RMT

Reiz-Intensität

9000 10

10.000 10

7920 9

3600 4

3000 10

12.000 10

10.000 5

4800 5

2400 4

7920 9

12.200 10

2400 4

Pulse Sitzungen

Placebokontrolliert crossover Placebokontrolliert crossover Placebokontrolliert doppelblind crossover Placebokontrolliert doppelblind Placebokontrolliert doppelblind

Negativ Negativ

Positiv Positiv Negativ

Positiv

Positiv

Placebokontrolliert doppelblind

Placebokontrolliert doppelblind

Placebokontrolliert doppelblind

Placebokontrolliert doppelblind

Positiv

positiv

Oﬀen

Positiv

Placebokontrolliert doppelblind

Placebokontrolliert doppelblind crossover

Positiv

Positiv

Studiendesign

Therapie Eﬀekt

1–

1–

1

1–

1–

1–

1–

1–

1–

1

2–

1–

Evidenz Level

l-AC linker auditorischer Kortex; l-STG linker superiorer temporaler Gyrus; l-TP links temporoparietal; RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; Pulse Gesamtzahl applizierter TMS-Pulse über alle Sitzungen; Evidenzlevel (Scottish Intercollegiate Guidelines Network, May 2002): 1 höchste, 4 niedrigste Studienqualität.

l-TP

l-TP

l-TP

l-TP

l-TP

l-TP

l-TP

l-TP

l-AC

l-TP

12

Hoﬀman et al. 2000

Reizort

Patienten

Autor

. Tab. .. rTMS-Studien bei akustischen Halluzinationen (Positivsymptomatik)

62.1 Schizophrenie 623

62

55

56

57

58

59

60

31

6

8

12

20

10

22

20

4

16

Klein et al. 1999

Cohen et al. 1999

Nahas et al. 1999

Rollnik et al. 2000

Hajak et al. 2004

Jandl et al. 2004

Holi et al. 2004

Jin et al. 2005

Sachdev et al. 2005

Novak et al. 2006

54

l-DLPFC

l-DLPFC

DLPFC bilateral

l-DLPFC

l-DLPFC

l-DLPFC

DLPFC dominant

l-DLPFC

OA

r-PFC

r-PFC

20 Hz

90% RMT

90% RMT

80% RMT

20 Hz 15 Hz

100% RMT

100% RMT

110% RMT

80% RMT

100% RMT

80% RMT

110% RMT

100% RMT

10 Hz

10 Hz

10 Hz

20 Hz

20 Hz

20 Hz

1 Hz

1 Hz

20.000 10

36.000 20

8000 10

10.000 10

3500 5

10.000 10

8000 10

1600 1

8000 10

1200 10

1200 10

30 1

Placebokontrolliert doppelblind crossover Oﬀen placebokontrolliert doppelblind

Positiv Negativ

Placebokontrolliert doppelblind

Negativ Positiv

Oﬀen

Positiv

Placebokontrolliert doppelblind crossover

Positiv (Trend)

Placebokontrolliert doppelblind

Oﬀen

Positiv

Positiv

Placebokontrolliert doppelblind

Negativ

Placebokontrolliert doppelblind crossover

Oﬀen

Positiv

Positiv

Oﬀen

Positiv

1-

3

1-

1-

2-

1-

1-

2

3

1-

2-

2-

Evidenz Level

FA Frontales Areal; DLPFC dorsolateraler präfrontaler Kortex; l-DLPFC linker DLPFC; OA orbitales Areal; r-PFC rechter präfrontaler Kortex; RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; Pulse Gesamtzahl applizierter TMS-Pulse über alle Sitzungen; Evidenzlevel (Scottish Intercollegiate Guidelines Network, May 2002): 1 höchste, 4 niedrigste Studienqualität.

10

Feinsod et al. 1998

52 100% RMT

50

1 Hz

44

Studiendesign

43

Therapie Eﬀekt

48

FA bilateral

49

Pulse Sitzungen

47

10

51

ReizIntensität

46

Geller et al. 1997

53 rTMSFrequenz

45

Reizort

62

Patienten

61

Autor

. Tab. .. rTMS-Studien bei Negativsymptomatik

624 Kapitel 62 · Andere psychiatrische Erkrankungen

625

62.2 Angststörungen – Panikstörung

62.1.3 rTMS bei Schizophrenie –

Negativsymptomatik Erste klinische Befunde zu einer rTMS-induzierten Modulation der Negativsymptomatik bei Schizophrenie erschienen 1997 und 1998 aus den Arbeitsgruppen von Geller (1997) und Feinsod (1998). In beiden offenen Studien führte eine niedrigfrequente rTMS zu einer Verbesserung ängstlicher und anhedonischer Symptomatik ohne Einflussnahme auf floride produktiv-psychotische Symptome. Im Jahre 1999 wurde die erste doppelblinde placebokontrollierte Studie an 31 Patienten mit schizophrener oder schizoaffektiver Erkrankung veröffentlicht. Hierbei erfolgte eine niedrigfrequente rTMS-Behandlung über dem rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC). Im Vergleich zu der Scheinstimulation (engl. sham stimulation) konnte unter Verum-Stimulation keine Besserung der Negativsymptomatik mittels der PANSSSkala erfasst werden. Zu diesem Zeitpunkt wurden ebenfalls erstmals Studien über die klinische Wirkung hochfrequenter rTMS in der Behandlung der Negativsymptomatik publiziert. Die Wahl hochfrequenter Stimulationsmodi berücksichtigt dabei die Ergebnisse bildgebender Befunde, die vorwiegend eine Hypofrontalität bei schizophrenen Erkrankungen beschreiben. In einer doppelblinden placebokontrollierten Studie führte hochfrequente rTMS mit 20 Hz über dem linken DLPFC zu einer kurzfristigen Verbesserung der Negativsymptomatik. Diese positiven Ergebnisse ließen sich unter einer rTMS-Behandlung mit 10 Hz über dem linken DLPFC in einer placebokontrollierten Studie an 20 schizophrenen Patienten replizieren (Hajak et al. 2004). Hierbei wurden die Stimulationsparameter aus einer Arbeit entnommen, welche eine Modifikation des mesolimbischen und mesostriatalen Dopaminturnovers mittels Positronenemissionstomografie (PET) an gesunden Probanden nachweisen konnte. Durch die Wahl dieser rTMS-Parameter sollte es ermöglicht werden, subkortikale Mechanismen mit zu beeinflussen, welche eine Rolle in der Entstehung der Negativsymptomatik spielen. Die Ergebnisse dieser Studie konnten zwischenzeitlich an 25 Patienten repliziert werden (Cordes et al. 2005). Eine weitere Optimierung des Therapieerfolges unter hochfrequenter rTMS scheint durch die Miteinbeziehung von individuellen EEG-Daten möglich. Im Gegensatz zu diesen positiven Therapiebefunden wurden ebenfalls negative Studienergebnisse veröffentlicht, welche unter hochfrequenter rTMS über dem linken DLPFC keine Verbesserung der Negativsymptomatik erzielen konnten. Eine detaillierte Zusammenschau der Studien bietet . Tab. 62.2.

62

Insgesamt erfolgte bisher die rTMS-Behandlung bei schizophrenen Patienten zumeist als Add-on-Therapie zu einer vorbestehenden, wenn auch meist über Wochen vor Stimulationsbeginn stabilen Medikation. Bis dato wurde in diesen Studien nicht die erzielte Lebensqualität (engl. quality of life) erfasst, auch fehlen Studien mit langen Follow-up-Phasen. Zuwenig wurde bisher auf die ätiologische Heterogenität schizophrener Erkrankungen geachtet und individuelle biologische Parameter zur Auswahl des Stimulationsprotokolls herangezogen. Ebenfalls liegen zumeist nur kleine Stichprobengrößen vor. Zudem muss die Art der Placebostimulation und deren spezifische Vor- und Nachteile für die Verblindung größere Beachtung finden (7 Kap. 55). Zukünftige TMSStudien sollten diese Punkte berücksichtigen, zumal die rTMS auf dem Boden neurobiologischer Befunde hoffnungsvolle Ansätze in der Therapie schizophrener Symptome bietet.

62.2

Angststörungen – Panikstörung

62.2.1 Klinik und Pathophysiologie Angststörungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Krankheitsbildern. Es besteht klinisch wie neurobiologisch eine enge Verwandtschaft zu depressiven Erkrankungen. Diese enge Verwandtschaft begründet eine hohe Komorbidität beider Erkrankungsformen. Neurobiologisch liegt eine dysfunktionale Prozessierung unter anderem in frontalen und limbischen Kortexarealen vor. Damit liegt es nahe, über eine Modulation der Erregbarkeit frontaler Hirngebiete ein neurobiologisches Netzwerk mittels rTMS zu modifizieren, das eng in die Ätiologie von Angsterkrankungen involviert ist.

62.2.2 rTMS bei Panikstörung Zurzeit liegen ausschließlich kasuistische Befunde zur rTMS-Wirkung bei Patienten mit Panikattacken vor, die Wirkung von TMS bei generalisierten Angststörungen oder spezifischen Phobien wurde bis dato noch nicht untersucht. Im Jahre 2002 erschienen die ersten Studien zur rTMS-Therapie bei dieser Krankheitsform. In einer Studie an 3 spanischen Patienten mit psychopharmaka- und psychotherapieresistenten Panikattacken wurde eine niedrigfrequente 1-HzrTMS-Therapie über dem rechten DLPFC erprobt. Hierbei kam es zu keiner signifikanten klinischen Besserung. Eine konsekutive hochfrequente 20-Hz-

626

Kapitel 62 · Andere psychiatrische Erkrankungen

50

rTMS an zwei der vorbehandelten Patienten, ebenfalls über dem rechten DLPFC, führte zu keinem zusätzlichen Therapieeffekt. Im Gegensatz zu dieser Arbeit berichteten Zwanzger et al. (2002) über eine deutliche Reduktion der Angstsymptomatik bei einer 52-jährigen Patientin mit Panikstörung unter einer niedrigfrequenten 2-wöchigen 1-Hz-rTMS über dem rechten DLPFC. Zusätzlich konnte die rTMS bei dieser Patientin neurobiologische Effekte einer CholecystokininTetrapeptid-(CCK)-induzierten Panikattacke erfolgreich unterdrücken. Diese neurobiologische rTMSWirkung konnte jedoch in einer neueren Arbeit an 11 gesunden Probanden mit CCK-induzierten Panikattacken nicht bestätigt werden. Ebenfalls gibt es Hinweise hinsichtlich der klinischen Wirkung hochfrequenter TMS über dem linken DLPFC. Mithilfe dieses Therapiealgorithmus kam es zu einer klinischen Besserung bei einem Patienten mit Panikattacken und komorbider depressiver Symptomatik nach Myokardinfarkt. Zusammenfassend liegen derzeitig nur kasuistische Befunde zur klinischen Effektivität von rTMS vor. Es fehlen derzeit noch placebokontrollierte Studien an einem größeren Patientenkollektiv. In diesen Studien sollten zugleich neurobiologische Effekte der rTMS-Therapie miterfasst werden (7 Kap. 55).

51

62.3

61 62 43 44 45 46 47 48 49

52 53 54 55 56 57 58 59 60

Die zunehmende Verfügbarkeit funktionell bildgebender Techniken in den letzten Jahren in Verbindung mit einer steigenden Anzahl an PTSD erkrankten Kriegsteilnehmern und Grenzen der medikamentösen Behandlung führten zu dem verstärkten Versuch einer neurobiologischen Definition des Krankheitsbildes. So wurde in positronenemissionstomografischen Untersuchungen (PET) unter Ruhebedingungen ein verminderter Glukosemetabolismus in temporalen und frontalen, vor allem rechtsseitig gelegenen Kortexarealen gefunden. Unter Provokationsbedingungen kommt es bei PTSD-Patienten zudem zu einer verstärkten Amygdalaaktivierung und einer gleichzeitigen Deaktivierung des medialen präfrontalen Kortex. Kernspinspektroskopische Untersuchungen weisen zusätzlich auf einen möglichen traumaassoziierten Untergang an Nervenzellen in limbischen kortikalen Arealen wie dem anterioren Cingulum hin. Zusammenfassend belegen die aktuellen neurobiologischen Befunde eine rechtshemisphärisch betonte Störung präfrontaler und limbischer Netzwerke mit einem dysfunktionalen Aktivitätsmuster vor allem im Bereich der Amygdala sowie des frontalen Cortex. Vor diesem Hintergrund bietet sich eine rTMS-induzierte Modulation frontaler Kortexareale als aussichtsreiche Therapiestrategie bei PTSD an.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) 62.3.2 rTMS bei posttraumatischer

62.3.1 Klinik und Pathophysiologie Die posttraumatische Belastungsstörung ist eine ernstzunehmende psychiatrische Erkrankung mit einer geschätzten Prävalenz von 1–2 in der Gesamtbevölkerung westlicher Nationen. Die klinische Relevanz dieses Krankheitsbildes wird vor allem bei kriegsteilnehmenden Soldaten evident, von denen zwischen 15–25 an PTSD erkranken. Die psychopathologische Kernsymptomatik besteht hierbei in wiederkehrenden, zumeist visuellen Nachhallerinnerungen (engl. flashbacks), einem ausgesprochenem Vermeidungsverhalten sowie einer generellen neurovegetativen Übererregtheit und Vigilanzsteigerung in Verbindung mit einer Angstsymptomatik. Unzureichend behandelt führt eine fortbestehende PTSD zu schweren psychischen Symptomen einschließlich Alkohol- und Drogenabhängigkeiten, wiederkehrenden depressiven Störungen sowie einer zunehmenden sozialen Isolierung. Die daraus entstehenden sozioökonomischen Konsequenzen sind enorm, zumal medikamentöse Behandlungsstrategien zumeist nur unzulänglich wirken (Zygmont et al. 1998).

Belastungsstörung Die ersten rTMS-Therapieversuche an Patienten mit PTSD erfolgten 1998 (Grisaru et al. 1998; McCann et al. 1998). Die Arbeitsgruppe von Grisaru et al. behandelte hierbei 10 PTSD-Patienten mit niedrigfrequenter rTMS über dem motorischen Kortex. Insgesamt wurden hierbei 30-TMS-Impulse verabreicht, je 15 über dem rechten bzw. linken motorischen Kortex. Die Wahl der Stimulationsfrequenz und des Stimulationsortes wurde in Analogie zu ersten klinischen Studien an Patienten mit depressiven Störungen gewählt. Nach rTMS-Behandlung konnte eine deutliche, jedoch transiente Verbesserung nachgewiesen werden. Interessanterweise kam es zu einem selektiven Rückgang spezifischer PTSD-Symptome wie erhöhter Ängstlichkeit und Somatisierungsneigung. Eine Placebokontrolle fehlte bei dieser Pilotuntersuchung. Eine im selben Jahr veröffentlichte Studie von McCann et al. (1998) orientierte sich im Gegensatz zu der vorgenannten Arbeit bereits stärker an pathophysiologischen Überlegungen und wählte eine niedrigfrequente rTMS-Behandlung über dem rechten DLPFC.

627

2

12

24

McCann et al. 1998

Rosenberg et al. 2002

Cohen et al. 2004

l-DLPFC linker dorsolateraler präfrontaler Kortex; r-DLPFC rechter DLPFC; M1 primärer motorischer Kortex; RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; Pulse Gesamtzahl applizierter TMS-Pulse über alle Sitzungen; Evidenzlevel (Scottish Intercollegiate Guidelines Network, May 2002): 1 höchste, 4 niedrigste Studienqualität.

2Placebokontrolliert doppelblind

10 Grisaru et al. 1998

80% RMT 1 Hz und 10 Hz r-DLPFC

1000 (1 Hz) 4000 (10 Hz) 10

Positiv (10 Hz)

3 Oﬀen Negativ 90% RMT 1 Hz und 5 Hz l-DLPFC

6000 10

3 Oﬀen 80% RMT 1 Hz r-DLPFC

20.400 17

Positiv

3 Oﬀen Positiv 0,016 Hz M1 bilateral

100% RMT

30 1

Studiendesign rTMSFrequenz Reizort Patienten Autor

. Tab. .. rTMS-Studien bei posttraumatischer Belastungsstörung

ReizIntensität

Pulse Sitzungen

Therapie Eﬀekt

Evidenz Level

62.4 Zwangsstörung

62

Die damit behandelten beiden Patienten zeigten eine Abnahme ihrer PTSD-Symptome, die sich parallel in einem Rückgang des regionalen zerebralen Metabolismus vorwiegend rechtshemisphärisch im Glukose-PET widerspiegelte. Eine offene rTMS-Studie mit niedrigfrequenter Stimulation über dem linken DLPFC an 12 Patienten konnte keine Besserung der PTSD-Symptomatik, jedoch einen antidepressiven Effekt, nachweisen. Die einzige bis dato veröffentlichte placebo-kontrollierte und doppelblinde Studie verglich eine niedrigfrequente (1 Hz) mit einer hochfrequenten (10 Hz) rTMS über dem rechten DLPFC bei 24 PTSD-Patienten (Cohen et al. 2004). Nur unter hochfrequenter rTMS kam es zu einer signifikanten Besserung der klinischen Symptomatik. Zurückgeführt wurde dieser Behandlungserfolg unter anderem auf eine rTMS-induzierte Aktivierung des rechten frontalen Cortex und einer dadurch verstärkten inhibitorischen Wirkung auf limbische Areale, insbesondere auf die Amygdala. Dieses pathophysiologische Erklärungsmodell ist gut vereinbar mit neurobiologischen Befunden bei PTSD-Patienten unter Symptomprovokation (7 Abschn. 62.3.1). Zu Einzelheiten der aufgeführten Arbeiten . Tab. 62.3. Zukünftige Studien sollten die klinische Relevanz einer hochfrequenten rTMS über dem rechten DLPFC weiter abklären und versuchen, die neurobiologischen Effekte mittels moderner Bildgebung zu visualisieren. Zur weiteren Optimierung der Therapie kann auch die neuronavigierte rTMS beitragen (7 Kap. 32), die individuelle kortikale Aktivitätsmuster eines gegebenen Patienten identifizieren kann und hilft, die Wahl des Stimulationsortes und der Stimulationsfrequenz individuell abzustimmen.

62.4

Zwangsstörung

62.4.1 Klinik und Pathophysiologie Klinisch zeichnen sich Zwangsstörungen durch subjektiv unsinnig empfundene wiederkehrende Zwangsgedanken und Zwangshandlungen aus. Bereits Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurde dem orbitofrontalen Kortex eine Schlüsselrolle in der Ätiopathogenese dieser Erkrankung zugeschrieben. Weitere, insbesondere funktionelle bildgebende Untersuchungen weisen auf eine Hyperaktivität in orbitofrontalen Hirnarealen und in den Basalganglien hin. Diese Ergebnisse werden durch neurophysiologische Studien gestützt, die Zwangssymptome als Ergebnis einer vor allem linksseitig betonten Übererregbarkeit kortikaler Hirngebiete einschließlich motorischer Areale

DLPFC dorsolateraler präfrontaler Kortex; l-DLPFC linker DLPFC; r-DLPFC rechter DLPFC; SMA supplementär motorisches Areal; RMT motorische Reizschwelle in Ruhe; Pulse Gesamtzahl applizierter TMSPulse über alle Sitzungen; Evidenzlevel (Scottish Intercollegiate Guidelines Network, May 2002): 1 höchste, 4 niedrigste Studienqualität.

2Doppelblind Positiv 12.000 10 100% RMT 1 Hz 10

SMA bilateral

2Placebokontrolliert doppelblind l-DLPFC

1 Hz

110% RMT

18.000 10

Negativ

2doppelblind Positiv (Trend) 110% RMT l-DLPFC r-DLPFC

10 Hz

15.000 10

2 Placebokontrolliert doppelblind 110% RMT 1 Hz

21.600 18

Negativ

2Placebokontrolliert doppelblind crossover Positiv 800 1

Evidenz Level Pulse Sitzungen

Mantovani et al. 2006

60

30

59

Prasko et al. 2006

58

12

57

Sachdev et al. 2001

56

r-DLPFC

55

18

54

Alonso et al. 2001

53

80% RMT

52

20 Hz

51

DLPFC bilateral

50

Reiz-Intensität

49

Die erste Studie zur rTMS-Behandlung bei Zwangsstörung erfolgte bereits 1997 (Greenberg et al. 1997). Hierbei wurde bei 12 Patienten mit Zwangsstörung in einem Crossover-Design hochfrequent mit 20 Hz über dem rechten und dem linken DLPFC stimuliert. Eine occipitale rTMS diente als Placebobedingung. Die rechtsseitige rTMS führte zu einer signifikanten Besserung der klinischen Symptomatik insbesondere der Zwangshandlungen im Vergleich zur linksseitigen DLPFC-Stimulation und zur Shambedingung. In dieser Studie wurden einmalig je 800 Impulse verabreicht, der Therapieeffekt nach rechtsseitiger rTMS war transient und am deutlichsten 8 Stunden nach rTMSBehandlung ausgeprägt. In einer doppelblinden placebokontrollierten Studie an 18 Patienten mit Zwangsstörung konnte unter niedrigfrequenter rTMS-Behandlung des rechten DLPFC über 6 Wochen hinweg keine signifikante Verbesserung der klinischen Symptomatik erzielt werden. Im Gegensatz dazu führte in einer weiteren Studie eine hochfrequente 10-Hz-rTMS-Behandlung über dem linken wie über dem rechten DLPFC bei einem Viertel von insgesamt 12 behandelten Patienten zu einem deutlichen Rückgang von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. In dieser Studie war jedoch keine Placebobedingung enthalten. Eine CochraneAnalyse unter Einbeziehung der vorgenannten drei Studien kam zu dem Ergebnis, dass auf der Basis des vorhandenen Datenmaterials keine Schlüsse über die therapeutische Wirksamkeit von rTMS bei Zwangsstörungen gezogen werden können (Martin et al. 2003). Im Jahr 2006 sind ergänzend zwei neue rTMS-Studien erschienen. In der einen Arbeit wurden 30 Patienten mit Zwangsstörung nach randomisierter Zuordnung entweder mit Verum- oder Sham-rTMS behandelt (Prasko et al. 2006). Die Stimulation erfolgte wiederholt niedrigfrequent mit 1 Hz über dem linken DLPFC

rTMS-Frequenz

48

62.4.2 rTMS bei Zwangsstörung

. Tab. .. rTMS-Studien bei Zwangsstörung

47

Therapie Effekt

46

12

45

Greenberg et al. 1997

44

Studiendesign

43

Reizort

62

interpretieren und eine Reduktion inhibitorisch wirkender kortikosubkortikaler Mechanismen postulieren (Rossi et al. 2005). Kernspinspektroskopisch wurden Hinweise auf Neuronenverluste in den Basalganglien gefunden. Eine therapeutisch erfolgreiche medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung ist mit einer Normalisierung hyperaktiver Kortexareale verbunden. Tiefe Hirnstimulation bei therapieresistenten Zwangsstörungen wirkt primär durch eine Beeinflussung subkortikaler Areale. In Anbetracht dieser Pathophysiologie bieten sich für eine rTMSTherapie sowohl frontale Kortexareale als auch motorische Kortexgebiete als Stimulationsorte an.

Patienten

61

Kapitel 62 · Andere psychiatrische Erkrankungen

Autor

628

629

Literatur

an 10 Behandlungstagen. Im Vergleich zur Placebobehandlung konnte keine Verbesserung der Zwangssymptomatik unter Verum-rTMS gefunden werden. Die Zwangspatienten waren medikamentös therapieresistent und durchschnittlich mehr als 15 Jahre erkrankt. Einschränkend waren bei Behandlungsbeginn VerumrTMS-behandelte Patienten signifikant kränker als Placebo-rTMS-behandelte Patienten. In der zweiten Studie erfolgte eine niedrigfrequente 1-Hz-rTMSBehandlung bilateral über dem supplementär-motorischen Areal (SMA) an 10 Behandlungstagen (Mantovani et al. 2006). Unter diesem Therapiesetting kam es bereits in der ersten Behandlungswoche zu einer signifikanten Reduktion der Zwangssymptomatik, die über den Zeitraum von 3 Monaten nach Behandlung anhielt. Die klinische Verbesserung war mit einer signifikanten Zunahme der motorischen Reizschwelle assoziiert, einem neurophysiologischen Parameter, der eine Abnahme axonaler Erregbarkeit unter rTMSTherapie nahe legt (7 Kap. 14 und 34). Zusammenfassend scheint hochfrequente rTMS über frontalen Kortexarealen sowie niedrigfrequente rTMS über motorischen Hirngebieten (SMA) bei Zwangsstörungen erfolgversprechend. Die Wahl der SMA als Stimulationsort ist deshalb besonders interessant, da dieses Areal eng mit zahlreichen anderen kortikalen Gebieten, Thalamus und Basalganglien verbunden ist. Derzeitig fehlen jedoch noch weitere, insbesondere placebokontrollierte Studien an großen Stichproben, die die Effektivität dieses Therapiealgorithmus bei Zwangsstörung replizieren können. Eine Auflistung der publizierten rTMS-Studien zur Behandlung von Zwangsstörungen erfolgt in . Tab. 62.4.

62.5

Craving

62.5.1 Klinik und Pathophysiologie Craving beschreibt einen Zustand erhöhten Verlangens bei substanz- und nichtsubstanzgebundenen Süchten. Dieses Verlangen ist äußerst schwer therapierbar. Neurobiologisch spielt das dopaminerg modulierte mesolimbische Belohnungssystem eine entscheidende Rolle in der Vermittlung des Cravings. Tierexperimentelle Studien konnten nachweisen, dass hochfrequente frontale rTMS in der Lage ist, das mesolimbische Dopaminsystem zu aktivieren. Diese Befunde konnten beim Menschen in speziellen PETUntersuchungen (Racloprid-PET) kürzlich bestätigt werden (Strafella et al. 2003). Vor diesem Hintergrund bietet sich hochfrequente rTMS über frontalen Kortexarealen in der Therapie des Cravings an.

62

62.5.2 rTMS bei Craving Erstmals wurde hochfrequente rTMS (20 Hz) in der Therapie des Rauchverlangens bei Nikotinabhängigkeit untersucht (Eichhammer et al. 2003). Hierbei handelte es sich um eine randomisierte placebokontrollierte Crossover-Studie, bei der an je 2 Tagen mit Verum- bzw. mit Sham-rTMS über dem linken DLPFC bei abhängigen Rauchern behandelt wurde. Im Gegensatz zur Placebobedingung führte VerumrTMS zu einer Reduktion des Cravings sowie der Anzahl gerauchter Zigaretten. Ein vergleichbarer Einfluss auf sog. Food-Craving unter hochfrequenter 10Hz-rTMS wurde kürzlich an 28 Patientinnen mit Esssucht beschrieben (Uher et al. 2005). Ebenfalls scheint hochfrequente rTMS über dem rechten DLPFC Cocain-Craving signifikant zu reduzieren. Zusammenfassend scheint hochfrequente rTMS kortikale Netzwerkstrukturen zu beeinflussen, die neurobiologisch dem Suchtverlangen zugrunde liegen. Weitere placebokontrollierte Studien an größeren Stichproben über längere Behandlungsintervalle sind notwendig, um die klinische Effektivität dieses Therapiealgorithmus zu belegen.

Literatur Alonso P, Pujol J, Cardoner N et al. (2001) Right prefrontal repetitive magnetic stimulation in obsessive-compulsive disorder: a double-blind, placebo-controlled study. Am J Psychiatry 158: 1143–1145 2Cohen H, Kaplan Z, Kotler M et al. (2004) Repetitive transcranial magnetic stimulation of the right dorsolateral prefrontal cortex in posttraumatic stress disorder: a double-blind, placebo-controlled study. Am J Psychiatry 161: 515–524 Der Artikel untersucht erstmals die Wirkung von rTMS bei PTSD in einem doppelblinden und placebokontrollierten Studiendesign. 1Cordes J, Brinkmeyer J, Kotrotsios G et al. (2005) The eﬀect of high frequency repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) on negative symptoms and electrophysiological correlates of facial aﬀect recognition in schizophrenia. Schizophr Bull 31: 510 Der Artikel beschreibt die erfolgreiche Anwendung hochfrequenter rTMS bei schizophrenen Patienten mit vorwiegender Negativsymtomatik. d’Alfonso AA, Aleman A, Kessel et al. (2002) Transcranial magnetic stimulation of left auditory cortex in patients with schizophrenia: eﬀects on hallucinations and neurocognition. J Neuropsychiatry Clin Neurosci 14: 77–79 Eichhammer P, Johann M, Kharraz A et al. (2003) High-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation decreases cigarette smoking. J Clin Psychiatry 64: 951–953

630

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Kapitel 62 · Andere psychiatrische Erkrankungen

Feinsod M, Kreinin B, Chistyakov A, Klein E (1998) Preliminary evidence for a beneﬁcial eﬀect of low-frequency, repetitive transcranial magnetic stimulation in patients with major depression and schizophrenia. Depress Anxiety 7: 65–68 Geller V, Grisaru N, Abarbanel JM et al. (1997) Slow magnetic stimulation of prefrontal cortex in depression and schizophrenia. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 21: 105–110 Greenberg BD, George MS, Martin JD et al. (1997) Eﬀect of prefrontal repetitive transcranial magnetic stimulation in obsessive-compulsive disorder: a preliminary study. Am J Psychiatry 154: 867–869 Grisaru N, Amir M, Cohen H, Kaplan Z (1998) Eﬀect of transcranial magnetic stimulation in posttraumatic stress disorder: a preliminary study. Biol Psychiatry 44: 52–55 Hajak G, Marienhagen J, Langguth B et al. (2004) High-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation in schizophrenia: a combined treatment and neuroimaging study. Psychol Med 34: 1157–1163 Heimer L, Harlan RE, Alheid GF et al. (1997) Substantia innominata: a notion which impedes clinical-anatomical correlations in neuropsychiatric disorders. Neuroscience 76: 957–1006 2Hoﬀman RE, Boutros NN, Hu S et al. (2000) Transcranial magnetic stimulation and auditory hallucinations in schizophrenia. Lancet 355: 1073–1075 Wichtiger Artikel, der die Wirkung niedrigfrequenter rTMS bei akustischen Halluzinationen schizophrener Patienten belegt. KLein E, Kolsky Y, Puyerovsky M et al. (1999) Right prefrontal slow repetitive transcranial magnetic stimulation in schizophrenia: a double-blind sham-controlled pilot study. Biol Psychiatry 46: 1451–1454 1Mantovani A, Lisanby SH, Pieraccini F et al. (2006) Repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in the treatment of obsessive-compulsive disorder (OCD) and Tourette‘s syndrome (TS). Int J Neuropsychopharmacol 9: 95–100 Der Artikel beschreibt die erfolgreiche Anwendung einer niedrigfrequenten bilateralen SMA-rTMS bei Patienten mit Zwangsstörung. Martin JL, Barbanoj MJ, Perez V, Sacristan M (2003) Transcranial magnetic stimulation for the treatment of obsessive-compulsive disorder. Cochrane Database Syst Rev: CD003387 McCann UD, Kimbrell TA, Morgan CM et al. (1998) Repetitive transcranial magnetic stimulation for posttraumatic stress disorder. Arch Gen Psychiatry 55: 276–279 Prasko J, Paskova B, Zalesky R et al. (2006) The eﬀect of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) on symptoms in obsessive compulsive disorder. A randomized, double blind, sham controlled study. Neuro Endocrinol Lett 27 Rosenberg PB, Mehndiratta RB, Mehndiratta YP et al. (2002) Repetitive transcranial magnetic stimulation treatment of comorbid posttraumatic stress disorder and major depression. J Neuropsychiatry Clin Neurosci 14: 270–276

Rossi S, Bartalini S, Ulivelli M et al. (2005) Hypofunctioning of sensory gating mechanisms in patients with obsessivecompulsive disorder. Biol Psychiatry 57: 16–20 1Schonfeldt-Lecuona C, Gron G, Walter H et al. (2004) Stereotaxic rTMS for the treatment of auditory hallucinations in schizophrenia. Neuroreport 15: 1669–1673 Der Artikel untersucht den Nutzen einer neuronavigierten rTMS bei akustischen Halluzinationen. Strafella AP, Paus T, Fraraccio M, Dagher A (2003) Striatal dopamine release induced by repetitive transcranial magnetic stimulation of the human motor cortex. Brain 126: 2609– 2615 Uher R, Yoganathan D, Mogg A et al. (2005) Eﬀect of left prefrontal repetitive transcranial magnetic stimulation on food craving. Biol Psychiatry 58: 840–842 Zwanzger P, Minov C, Ella R et al. (2002) Transcranial magnetic stimulation for panic. Am J Psychiatry 159: 315–316 Zygmont M, Prigerson HG, Houck PR et al. (1998) A post hoc comparison of paroxetine and nortriptyline for symptoms of traumatic grief. J Clin Psychiatry 59: 241–245

631

Farbtafel . Abb. .a,b. a Rund- und Achterspule (Doppelspule) sind die am häuﬁgsten verwendeten Stimulationsspulen. b Unter den Spulen ist die jeweilige Verteilung des induzierten elektrischen Feldes dargestellt; das Feld (E) wurde für beide Spulen in einer Ebene unterhalb der Spule berechnet; die Höhe der 3-D-Kurven entspricht dem Betrag des Feldes

a

b

a

. Abb. .a,b. a Phosphenkarte. Blick auf den okzipitalen Kortex. Jede Nadel markiert eine Stimulationsposition (Mittelpunkt der fokalen Spule, neuronavigiert). Die Farben geben die Wahrnehmung der Versuchsperson an: Rot Phosphen im rechten Gesichtsfeld, gelb Phosphen bilateral, blau Phosphen im linken Gesichtsfeld, grau kein Phosphen. Unten sind 3 typische Zeichnungen von Phosphenkonturen dargestellt. b Phosphenschwellen. Die Rohdaten zweier Schwellenmessungen (fokale Spule, Griﬀ nach oben) mit mono- und bipha-

b

sischen Pulsen sind zusammen mit sigmoiden Näherungskurven dargestellt. In randomisierter Reihenfolge sind pro Intensitätsstufe 10 Teststimuli appliziert worden. Auf der Ordinate ist die Anzahl der wahrgenommenen Phosphene aufgetragen. Anhand der Näherungskurven beträgt die Schwelle (5 von 10 Phosphenen wahrgenommen) für den biphasischen Puls 51%, für den monophasischen Puls 70% der Stimulatorleistung

632

Farbtafel

. Abb. .. Intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen und intrakortikale Bahnung bei Patienten mit Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (rote Kreise, Mittelwerte von 20 Patienten) und altersentsprechenden Gesunden (blaue Quadrate, Mittelwerte von 21 Probanden). Auffällig ist die verminderte Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen in der Patientengruppe. (Mod. nach Ziemann et al. 1997)

61 62 43 44 45 46 47 48 49

a

b

50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .a,b. Lokale Änderungen des spontanen Wach(a) und Schlaf-EEG (b) nach einer Konditionierung des primären motorischen Kortex mit einer hochfrequenten rTMS. Topographische Darstellung der t-Werte des Vergleichs zwischen der Konditionierung mit der 5-Hz-rTMS und einer ineffektiven Kontrollbedingung (engl. sham rTMS) für die Aktivität im Alpha-Frequenzband (9–10 Hz) im Wachzustand und für die Aktivität im Delta-Frequenzband (1–4,5 Hz) im Schlaf. Das Wach-EEG wurde kontinuierlich über 2 min aufgezeichnet mit Aufzeichnungsbeginn durchschnittlich 22 min nach Ende der TMS-Konditionierung. Das Schlaf-EEG stellt einen Mittelwert der ersten 30 min des Schlafes ohne schnelle Augenbewegungen (engl. non-rapid eye movement, bzw. NREM-sleep) dar. Weiße Punkte markieren Elektroden, bei denen mit einem

nichtparametrischen Analyseverfahren eine signiﬁkante Erhöhung der EEG-Aktivität gefunden wurde. Zur anatomischen Lokalisation der Elektroden, die einen signiﬁkanten Unterschied aufwiesen, wurden alle 60 Elektroden (rote Nadeln) digitalisiert und mit dem Kernspintomogramm jeder Versuchsperson koregistriert. Wurden nach diesem Verfahren die Unterschiede der TMS-Konditionierung und der Kontrollbedingung auf das Gehirn projiziert, so lagen die signiﬁkanten Elektroden über dem prämotorischen Kortex. Diese Untersuchung zeigt, dass TMS Langzeitwirkungen haben kann, die im spontanen Wach- und Schlaf-EEG messbar sind und sich maximal in zur eigentlichen Stimulation rostral gelegenen Hirnregionen zeigen

Farbtafel

. Abb. .. Unterschiedliche kortikale Aktivierung im Wach- und Schlafzustand . Der obere Teil der Abbildung zeigt die globale mittlere Feldstärke (engl. global mean ﬁeld power) der durch die TMS evozierten Potenziale für den Wach(rote Linie) und Schlafzustand (blaue Linie). Diese mittlere Feldstärke reﬂektiert die insgesamte elektrische Aktivierung der Hirnrinde durch die TMS, die aus den gemittelten multikanal Signalen berechnet wurde (Massimini et al. 2005). Die TMS wurde über dem rechten rostralen prämotorischen Kortex appliziert. Im Wachzustand induzierte TMS eine langanhaltende Antwort periodisch auftretender Aktivierung. In den ersten 100 ms nach transkranieller Stimulation dominierte hochfrequente EEG-Aktivität (20–35 Hz). Auf diese folgten langsamere EEG-Komponenten (8–12 Hz) bis ungefähr 300 ms nach der TMS. Mit dem Schlafbeginn änderte sich diese TMSinduzierte Hirnantwort deutlich: Die Amplitude der ersten Welle verdoppelte sich und dauerte länger an. Nach dieser anfänglichen Welle ließ sich im Schlaf bis auf einen kleinen negativen Rücksprung keine weitere TMS-induzierte EEGAktivität mehr feststellen. Der untere Teil der Abbildung beinhaltet eine räumliche und zeitliche Darstellung der durch die TMS evozierten kortikalen Ströme. Für jeden Zeitpunkt mit maximaler Aktivierung (. Abb. 35.3) wurde die Stromdichte in Abhängigkeit der Latenz farbkodiert (hellblau 0 ms; rot 300 ms). Das gelbe Kreuz markiert auf dem Kortex das Zentrum der Stimulationsspule. Im Wachzustand bewegte sich die maximale Aktivierung zwischen dem prämotorischen und dem präfrontalen Kortex beider Hirnhälften hin und her. Im Gegensatz dazu wurde im Schlaf weder eine räumliche noch eine zeitliche Bewegung der TMS-induzierten Aktivität festgestellt. Aus diesen Resultaten wurden in der Studie von Massimini et al. (2005) geschlossen, dass im Schlaf die kortikokortikale Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rindenarealen weitestgehend zusammenbricht. (Mit freundlicher Genehmigung von M. Massimini; ausführlich s. Massimini et al. 2005)

633

634

Farbtafel

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .. Räumlich-zeitliche Dynamik der durch die TMS-induzierten kortikalen EEG-Potenziale im Wachzustand. Die fokale TMS wurde über dem rechten rostralen prämotorischen Kortex gegeben (7 digitale Abbildung der Koregistierung von Stimulationsspule und strukturellem MRT). Im oberen Teil der Abbildung sind für eine repräsentative Versuchsperson die gemittelten durch die TMS evozierten, kortikalen Potenziale aller 60 Elektroden als »butterﬂy plot« dargestellt. Der Zeitpunkt der TMS ist mit einem blauen vertikalen Balken markiert. Die Oberﬂächenprojektionen im unteren Teil der Abbildung zeigen die räumlich-zeitliche Modellierung des Akti-

a

b

vitätsursprungs, die für jede Potenzialkomponente bei dem lokalen Maxima der Feldstärke durchgeführt wurde (rote Markierungen). Die Rekonstruktion der Stromdichte erfolgte mit einer »Minimum-norm-least-squares«-Methode. Die Resultate der Stromdichterekonstruktion wurden zu jedem Zeitpunkt autoskaliert und bei 80% der maximalen Stromdichte (engl. current density ratio, CDR) abgeschnitten. (Mit freundlicher Genehmigung von M. Massimini). Ausführlichere Beschreibung dieser räumlichen und zeitlichen Dynamik der TMS-induzierten kortikalen Potenziale in Massimini et al. (2005) gefunden werden

. Abb. .a,b. a Stimulation über ~10 s mit 3 Hz über dem linken Handareal des primären motorischen Kortex führt sowohl zu lokalen Aktivitätsanstiegen als auch zu Aktivierungen in prämotorischen Arealen und dem SMA sowie Deaktivierungen im kontralateralen motorischen Kortex. Aktivierungen des auditorischen Kortex entstehen durch das Geräusch der Spulenentladung. b Die simultane fMRT während TMS zeigt zudem, dass Aktivierungen selbst in subkortikalen Bereichen, wie z. B. den motorischen Thalamuskernen, ipsilateral zur Stimulation selbst bei unterschwelligen Stimulationsintensitäten auftreten können. (Aus Bestmann et al. 2004; mit freundlicher Genehmigung der Fed. of Europ. Neuroscience)

Farbtafel

635

. Abb. .. Simultan ermittelte MEP-Karten des rechten M. abductor pollicis brevis, M. interosseus dorsalis manus I und M. abductor digiti minimi eines gesunden männlichen Probanden. Die kortikale Einzelreiz-TMS wurde mit einer Stimulusintensität durchgeführt, die im rechten M. interosseus dorsalis manus I eine mittlere MEP-Amplitude von 1 mV auslöste. Für die TMS wurde eine monophasische Stimuluskonﬁguration und eine hochfokale Achterspule (Mag & More, München) verwendet. An jedem Stimulationsort wurden 10 Einzelreize im Abstand von 6 (5–7) s verabreicht. Die mittlere MEP-Amplitude eines Stimulationsortes wurde in Prozent der mittleren MEPAmplitude des »motor hot spot« ausgedrückt. Die kortikomotorischen Karten der Handmuskeln zeigen neben einer beträchtlichen Überlappung auch eine gewisse Somatotopie. Die Repräsentation des M. abductor pollicis brevis liegt weiter ventrolateral als die Repräsentation des M. abductor digiti minimi

. Abb. .. Kortexareale mit funktioneller Bedeutung für das motorische System. M1 primär-motorischer Kortex; S1 primär-sensorischer Kortex; PMd dorsaler Teil des lateralen prämotorischen Kortex; PMv ventraler Teil des lateralen prämotorischen Kortex; SMA supplementär-motorisches Areal; ACC anteriorer zingulärer Kortex; SPL superiorer Teil des Parietallappens; IPL inferiorer Teil des Parietallappens

636

61

Farbtafel

a

62 43 44 45 46

. Abb. .a,b. Netzwerkeﬀekte einer »fokalen« rTMS. a Die fokale rTMS kann nicht nur die neuronalen Strukturen im stimulierten Kortex (Blitzsymbol) nachhaltig modulieren, sondern beeinﬂusst auch die Funktion der mit dem stimulierten Kortex verbundenen, kortikalen und subkortikalen Hirnregionen. b Positronenemissionstomograﬁsche Messung des regionalen zerebralen Blutﬂusses (als Maß für die regionale neuronale Aktivität) nach 1800 Stimuli einer 1-Hz-rTMS des linken primären motorischen Handareals mit 90% der kortikalen motorischen Reizschwelle: Die fokale rTMS führte nicht nur zu einer Zunahme der regionalen neuronalen Aktivität im stimulierten Kortex (Blitzsymbol), sondern auch im kontralateralen dorsolateralen prämotorischen Kortex (einfacher Pfeil) und in beiden oberen Kleinhirnhemisphären (Doppelpfeil). (Aus Lee et al. 2003; mit freundlicher Genehmigung der Society of Neuroscience)

b

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

. Abb. .. Darstellung der individuellen Talairach-Koordinaten für die Spulenpositionen über dem Handareal im linken Motorkortex (schwarze Punkte) sowie über dem linken DLPFC (Brodmann-Areale, BA: BA 6 rot, BA 6/8 und 8 blau, BA 8/9 und 9 gelb) nach Standardpositionierung (deﬁnierter Abstand zum Motorkortex parasagittal) wie sie in den meisten klinischen Studien verwendet wird. Bei gesunden Probanden wurde die präfrontale Spulenposition mittels neuronavigierter TMS (7 Kap. 32) bez. der anatomisch genauen Lokalisation untersucht. Die einzelnen Punkte repräsentieren jeweils die Schnittpunkte der Spulenaxen mit der Kortexoberﬂäche in einem individuellen MRT-Bild (Segmentierung der weißen Substanz) nach Transformation in den Talairach-Raum (Aus Herwig et al. 2001; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier Science)

637

Sachverzeichnis

638

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Sachverzeichnis

A A. cerebelli inferior anterior  A. cerebelli inferior posterior  A. cerebelli superior  absolute Ladungsmenge 216 Abtastfrequenz  Acetylcholin 298, , 338, 341, 546 Acetylcholinesterasehemmer 187, 301, 337, , 341 Acetylcholin-Rezeptor-Antagonist 183, 546 Acetylcholin-Rezeptoren, muskarinerge 183, 546 achtförmige Spule/Magnetspule 8, , 63, 91, 101, 308, 401 Adaptation, sensomotorische 406 Adaptationslernen  Add-on-Therapie 590, 625 A-Delta-Fasern/Aδ-Fasern 185, 601 Aﬀekt 50,  aﬀektive Störung  aﬀektiv-motivationale Schmerzkomponente  aﬀerente Konditionierung 177,  aﬀerente nozizeptive Hemmung  aﬀerente sensomotorische Hemmung – kurzer Latenz , 200, 274, 301, 338, 507, 515 – langer Latenz , 274 Akinese 275 akinetisch-rigides Parkinson-Syndrom 585 Akinetopsie 450 Aktionspotenzial 27, 28, , 61, 120, 151, 212, 230, 521, 535, 544 aktive motorische Reizschwelle 63, 171, 198 Aktivierungskarte 310 akustisch evozierte Potenziale 225, 232 akustische Belastung  akustische Halluzinationen , 623 akustischer Reiz 178 akustisches Artefakt 25 Akzelerometer 68 Alien-limb-Phänomen 276 Alpha-Motoneuron 160, 220, 238, 257 Altersabhängigkeit 142 Alzheimer-Demenz 187, , 338 Amitriptylin 612 Amplitudengrenze 151 Amplitudenkriterium 120 amplitudenmodulierte tDCS 541 Amplitudenquotient , 122 Amputation 345, 347, 402, 445, 568 Amygdala 470, 626

amyotrophe Lateralsklerose 114, 127, 175, , 340 analgetischer Eﬀekt 606 Analgosedierung  Anästhesietiefe  Anästhetika  anatomische Konnektivität  Anfallsbereitschaft  Anfallsfrequenz 264, , 579, 580,  Anfallspropagation  Anfallsrisiko  Anfallsschwelle  Anfallssemiologie  Anfallsursprung 581 Angststörung  Anhedonie 622 anodale transkranielle elektrische Stimulation  anodale transkranielle Gleichstromstimulation , 557 Anode 36, 73, 82, 93, 124, , 222, 536 Anodenschließungsstrom 4 anteriorer intraparietaler Sulcus 406 anteriorer zingulärer Kortex 489, 600, 610 Antidepressiva 163, 298, 612 antidepressive Behandlung 298, 574, , 615 antidrome Erregungsausbreitung 28, 122, 240, 308 Antiepeleptika 13, 262, 266, 298, 334, 340 antiepileptischer Eﬀekt 578, 581 Antikonvulsiva 13, 262, 266, 298, 334, 340 Antipsychotika 300 Antisakkaden 12, , 418 Antriebsstörung 622 Anwendungsrichtlinien - Anwendungssicherheit 48-55, 378 Anxiolyse  Aphasie -, 573 – chronische  – nichtﬂüssige , 436 Aphasietherapie 573 ARAS 478 Arbeitsgedächtnis - – verbales 471 – visuell-räumliches 472 Area striata 456 Areal V1 , 387, 450, 452, 456, 461, 470 Areal V2/V3 , 456 Areal V4 451, 456 Areal V5 , 461, 540 Arousal 488 Artefakt 25, 62, 351, 370, 382, 387

assoziative gepaarte Stimulation 277, 341, 507, - assoziative Plastizität -, 563 aszendierendes retikuläres aktivierendes System 478 Ataxie  Atemstillstand 537 Atemstörungen 114 Atmung  atrophe Parese , 244 Atropin 336, 546 atypische Neuroleptika 300 atypische Parkinson-Syndrome  auditorischer Kortex 51, -, 622, auditorischer Reiz 180, 186 auditorisches System - aufgabenspeziﬁsche Handdystonie 518, 520 aufgabenspeziﬁsche Hirnaktivierung 557 Aufmerksamkeit 66, 300, 312, 358, 451, -, 492, 516, 569, 617 Aufmerksamkeitsdeﬁzit 569 Aufmerksamkeitssystem , 573 Aufzeichnungsrate 62 Augenbewegung 11, 347, -, 478 Aura  ausgelöste Apnoe 537 automatisierte Auswertverfahren 162 Axon 22, - Axonhügel 4, 32, 182, 220 Axonverlust 230

B Baclofen 170, 335, 337,  Bahnung – von Aufmerksamkeitsprozessen 463 – intrakortikale 41, 114, 144, , 199, 242, 265, 274, 283, 298, , 380, 388, 398, 481, 539, 556 – kortikaler Erregbarkeit durch motorisches Lernen 526 – kortikaler Erregbarkeit durch rTMS - – kortikaler Erregbarkeit durch willkürmotorische Aktivierung 64, 73, 86, 109, 126, 186, 398 – motorischer Lernprozesse 424 ballistische Bewegung 65, , 342, 404, 424, 524, 546, 584 Ballonelektroden 114 Barbiturate 221, 336 Barthel-Index 572 Basalganglien 33, 274, 283, 363, , 391, 408, 562, 622, 627

639

Sachverzeichnis

Basalganglienschleife 363, 584 Beinareal, primär motorisches 42, -, 406 Beinmuskeln 11, 65, -, 222, 256, 406 belly tendon montage MuskelbauchMuskelsehnen-Montage 60, 81, 125 Benzodiazepine 172, 183, 221, , 516, 546 Betz’sche Riesenzellen 145, 238 Bewegungen 324, - – antiphasische 406 – assoziierte 143 – beobachtete 326, 398 – dystone 564 – komplexe 424, 572, 588 – repetitive 277, 342, 425, 504, 586 – sequentielle 361, 407 – synchrone 406 – TMS-induzierte 68, 342, 360, 371, 425, 524, 547 – unimanuelle 328 – vorgestellte 326, 399 Bewegungsausführung 324, 350, 362, , 408, 585 Bewegungsauswahl 330, ,  Bewegungsbeobachtung ,  Bewegungsinitiierung , 405 Bewegungsrichtung 68, 408, 425, 525-528 Bewegungsselektion 331 Bewegungsstörungen 14, -, 301, 378, 379, 513, - Bewegungsunterdrückung  Bewegungsvorstellung 326,  Bewegungswahrnehmung  Bewusstsein 347 bidirektionale Modulation kortikaler Erregbarkeit 442, , 538 bidirektionale Plastizität 519, ,  Bienenstock-Cooper-Munro-Theorie 520, , 549 bifokale transkranielle elektrische Stimulation 212 Bildgebung, funktionelle -, 430 bimanuelle Koordination  Biomarker  Biot-Savart-Gesetz  biphasische Pulsform 8, -, 41, 91, 101, 156, 160, 199, 204, 369,  biphasischer Magnetstimulator 20,  bipolare Ableitung 82, 100, 346 bipolare Depression  Blinde 402, 441,  Blindenschrift 402, 441, 445 Blindheit 454 Blinkreﬂex 100, 178 Blinzelreﬂex 178

BOLD-Antwort 215,  BOLD-Signal 215, 373, 374 Boltzmann-Funktion 64, 206 Bottom-up-Strategie 373, 460,  Botulinumtoxin 277, 402 Braille 402, 441 Brailleschrift 454 brain-computer interface  Broca-Areal 9, -, 573, 622 Broca-Homolog 433, 573 Bruxismus 484,  Buchstaben-Trigramm 450 Bulbärparalyse 

C 

C-alphamethyl-Tryptophan PET 363 C-Racloprid-PET  Canalis facialis 11, 34, 74,  Canalis hypoglossi 104, 105 Capsaicin  Capsula interna 192, 238, 250, 381 Cauda equina 76, 93 CCK-induzierte Panikattacke 626 center of gravity 7 Schwerpunkt CE-Zertiﬁkat 26, 52 C-Faser 601, 605 cholinerge Neurotransmission 187 cholinerge Therapie 188 cholinerges Deﬁzit 188 Chorea-Huntington  Chronaxie , 156, 381 chronische Migräne 605 chronischer Tinnitus 595 Chronodispersion , 97, 239, 257 Chronometrie 311, 414, , 463, 465 Citalopram 336, 339, 612, 614 CO-Laser-induzierter Schmerz  Cochleaimplantat ,  Colliculus inferior 594 Colliculus superior 464 constraint induced movement therapy (CIMT) 402, 427 Corona radiata 238 Corpus callosum 232, 251, 299, 327 Corpus geniculatum laterale 451, 456 cortical silent period 7 kortikale Innervationsstille Craving  CRH-Rezeptor-Antagonisten 610 cross talk 87, 110 Crus cerebri 238 CSP 7 kortikale Innervationsstille 

D D2-Rezeptoren 362, 389 D90A SOD 1 Mutation 

A-D

Decussatio pyramidorum 238 deklaratives Gedächtnis , 541 Deltawellen 479, 480 Demaskierung 422, 450, 529 Demenz – vom Alzheimer-Typ 187, , 338 – frontotemporale 187, , 338 – Lewy-Body-Demenz 338 Demyelinisierung 97, , 257 Denervationszeichen 238 Depolarisation 18, -, 212, 220, 262, 288, 324, 479, 517, 544 Depolarisationsblock 535 Depolarisationsphase  Depression – bei Epilepsie 615 – Major Depression , 363, 372, 540, - – bei Morbus Parkinson 615 – nach Schlaganfall  depressive Episode 302 Desﬂuran 221 Desynchronisation , 250 – ereignisbezogene 349 deszendierende Erregungswelle/kortikospinale Entladung 4, -, 170, 182, 220, 240, 325, 505 Detektionsexperiment 207 Detektorsystem  diabetische Myelopathie 258 diagnostische Sensitivität 60, 80, 127, 145, 220, 231, 238, 256, 434 diagnostische Speziﬁtät 220, 231, 256 diagnostische Wertigkeit 157, 231 Diaphragma  Diazepam 243, 335 diﬀusionsgewichtete Magnetresonanztomograﬁe , 103 Diode  direkte Aktivierung 11, 170, 212, 220 direkte Kortexstimulation 4, 37, 110, 112 direkte Welle 5, -, 212 Disinhibition 248, 274, 341, 381, 461, 484, 503, 545-550, 560, 569 Diskriminationsexperiment 207 distale motorische Latenz 93, 101, 102, 124 Distanzeﬀekt 262 Dopamin 336, 341, 387, 546, 568, 572, 611 dopaminerge Medikation 274, 379, 380, 585 dopaminerge Neurone 584 dopaminerge Neurotransmission 299, 611, 622 dopaminerges System 342, 356, 391, 547, 557, 611

640

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Sachverzeichnis

dopaminerges mesolimbisches System 321, 622, 625, 629 Dopaminfreisetzung 363, 391, 585, 611 Dopaminhypothese 299 Dopaminrezeptor-Agonisten - Dopaminrezeptor-Antagonisten  Doppelpulsprotokolle 13, 41, -, -, 337, 388, 398, 440, 505 Doppelpuls-rTMS  Doppelstufenparadigma 414, 418 dorsaler Pfad 456 dorsaler prämotorischer Kortex 33, 194, 360, , 371, -, 424, 504, 557, 560, 587 dorsolateraler präfrontaler Kortex , 362, 412-417, 424, 471-474, 489, 586, 601, , 624 Dosierungsrichtlinien  Dosisﬁndungsstudie 561, 614 double cone coil 7 gewinkelte achtförmige Spule Dunkeladaptation 205 D-Welle 5, -, 212 dysfunktioneller Kortex  Dyskinesien 586, 587 Dysphagie 115 dystoner Schreibkrampf , 520 Dystonie -, 283, 337, 364, 378-381, 399-403, 508, 518, 550, 560, 

E EEG

52, 221, 262-271, -, 373, 440, 456, 485, 493, 541, 580-582, 625 EEG-getriggerte rTMS 563 eﬀektive Konnektivität , 330, 443, 485 Eindringtiefe , 33, 214, 308, 489, 562 Eingangsspeziﬁtät - Einzelreiz 48 ektope Erregung 230 elektrisches Feld -, 28, 31, 33, 38, 212 elektrische Gefährdung 25, 26 elektrische Leistung  elektrische Leitfähigkeit 7 Leitfähigkeit 23, 28, 30, 33-34, 54, 134, 346, 534 elektrische Nervenreizung 19, 73, 82, 93, 100-106, 178, 240, 507, 514 elektrische Spannung  elektrischer Schwingkreis  elektrischer Stromwärmeverlust 

Elektrodenanordnung 38, 54, 61, 212, 537 Elektrodengröße 537 Elektrodenimpedanz 222 elektrodermaler Hautwiderstand 493 Elektroenzephalograﬁe 7 EEG Elektroenzephalogramm 7 EEG Elektrokonvulsionstherapie 9, 14, 48, 51, 298, 574, 584, 610, , 617 elektromagnetische Abschirmung 356 elektromagnetische Induktion ,  Elektroneurograﬁe 7, 238, 258 El-Escorial-Kriterien 238 EMG 62, 143, 151 EMG-Aktivität 48, 52, 114, 160, 193, 351 EMG-Burst 325, 330 EMG-Feedback 72, 92, 162, 172, 527 Emotion - emotionale Verarbeitung 489 emotionaler Interferenztest 493 emotional-kognitives Paradigma 493 emotionsabhängiges Verhalten 487 Emotionsverarbeitung 493 Enﬂuran 221 enger Spinalkanal 257 Enkodierung 472, 474 Entladungswahrscheinlichkeit 39, 42, 67, 242 Entmarkung  Entwicklungsneurologie  ephaptische Erregungsübertragung  epidurale spinale Ableitung , , 170, 172, 174, 182, 257 Epilepsia partialis continua 580-582 Epilepsie 48-52, 163, 216, 221, , 334, 339, 434, 484, -, 615 epilepsietypische Potenziale -, 579, 581 epileptische Anfälle 10, 26, , 216, 221, 269, 434, 573, 578 epileptogener Fokus 266, 268, 270, 578 epileptogene Zone - EPSP , 37, 514, 516, 519 Erblindung 454 Erb-Punkt 123, 125, 232, 240 Erdung 61, 73 Erdungselektrode 100, 104 ereignisbezogene Desynchronisation 349 erlernte Hilﬂosigkeit 494 ermüdende Kontraktion  Ermüdung  Erregbarkeit des primär-motorischen Kortex -

Erregbarkeitsänderung 43, 157, 290, -, -, 430, 441, 444, , 508, 517, 538, 557 Erregbarkeitskarte 401 Erregbarkeitsschwelle 34, -, 430, 503 Erregungsfortleitung -, 74, 220, 230 erstes Motoneuron 238 Erwärmung -, 50, 215 essenzieller Tremor , 588 Esssucht 629 Etagendiagnostik  event-related desynchronization 7 ereignisbezogene Desynchronisation evozierte kortikale Potenziale 349 Expanded Disability Severity Scale  Expresssakkaden  Extinktion 464-466, 573 extrastriärer Kortex , 451 extratemporale Epilepsie ,  exzitatorisches postsynaptisches Potenzial 7 EPSP Exzitotoxizität 51, 215, 239, 241

F familiäre adulte Myoklonusepilepsie  familiäre hemiplegische Migräne , 292 Faraday’sches Gesetz ,  faradische Reizung 4, 5, 14 Fasciculus arcuatus 327, 437 Fazialis-Erregbarkeitstest  Fazialisparese – idiopathische 11, 103, 145 – periphere , , 103, 145 – zentrale  Fazilitierung 7 Bahnung  FDG-PET 356, 357, 360, 596 Feedback des EMG-Signals 72, 92, 162, 172, 527 FEF 7 frontales Augenfeld Feldenergie , 23 Feldgradient  Feldstärke -, 28, 134, 369, 386, 534 Fentanyl 221 ferromagnetischer Kern  Fixationsaufhebung 418 Fluoxetin 615 Flussdichte  fMRT -, 453 fokale Doppelspule 7 achtförmige Spule fokale Epilepsie -, 484, 581

641

Sachverzeichnis

fokale Handdystonien , , 364 fokale Magnetspule 7 achtförmige Spule fokale motorische Anfälle  fokussierte Aufmerksamkeit  Foramen/Foramina – intervertebrale 11, -, 82, 142, 256 – magnum 43, - – ovale 11, 74, 106 – stylomastoideum 100, 102 foraminale Neurostimulation 83 Forced-use-Therapie , 253 fotoparoxysmale Reaktion 312 Frequenzdiskrimination 442, 443 Friedreich-Ataxie  frontales Augenfeld 11, 359, 372, , 453, 457, 461, 507 frontotemporale Demenz 187, , 338 Frühdiagnostik 241 funikuläre Myelose  funktionelle Dopplersonograﬁe 435 funktionelle Erholung 433, , 574 funktionelle Kernspintomograﬁe , 453 funktionelle Konnektivität -, 275, , 351, 403, 436, 559 funktionelle Lateralisierung 462 funktionelle Magnetresonanztomograﬁe -, 453 funktionelle Neuroanatomie 356, ,  funktionelle Reorganisation 315, 360362, 402, 427, 443, 556 funktionelle Subspezialisierung 434 Funktionsblockierung , 312 Funktionshemmung - Funktionsunterbrechung 37, -, 321, 358, 403-407, 413-416, 422, 424, 430, 433, 434, 451-454, 463465, 474 F-Welle 44, -, -, 93-96, 136, 183, 239, 326, 399, 515, 519 F-Wellen-Methode , 81, 83, 86-88, 93-96, 240

G GABAA-Rezeptor 41, 170, 183, 243, 298, -, 340, 546 GABAA-Rezeptor-Agonist 172, , 425, 509, 515, 527, 545 GABAA-Rezeptor-Antagonist -, 544, 545 GABAA-Rezeptor-vermittelte intrakortikale Hemmung 170, 546 GABAB-Rezeptor 170, 298, -

GABAB-Rezeptor-Agonist 170, - GABAB-Rezeptor-vermittelte intrakortikale Hemmung 170, 241, 298, 337 GABAB-Rezeptor-vermittelte präsynaptische Hemmung 170 GABAerge Hemmung 249, 342, 524, 526, 529, 530 GABAerge Interneurone 337, 529 GABAerge Neurotransmission 183, 265 GABAerges System 298, 422 GABA-Konzentration 298, 545 galvanische Reizung 4 galvanische Vestibularisstimulation 55 Gap-Paradigma 414, 418 Gap-Sakkaden 417 Gating 325, 544-545, 549-550 Gedächtnis 300, 347, 390, 414, , 494, 501 Gedächtniskonsolidierung 424, 485, 541 Gedächtnisstörung 474, 475 Gefährdungspotenzial  Gehirn-Computer-Schnittstelle  Gehörschutz 25, 142 Gelegenheitsanfall  generalisierte Angststörung 625 generalisierte Dystonie , 337 generalisierte Epilepsie -, 269 gepaarte assoziative Stimulation 341, -, 546, 548, 549, 563, 590 Gesichtsfeld -, 450, 453, 456, 464-465, 493, 569, 573 Gesichtspräsentation 101 Gestensystem 429, 436 Gewebsschädigung  gewinkelte achtförmige Spule 91, 617 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom 276, 278, -, 589 Gleichrichtung 193 Gleichstrom  Gleichstromreizung 14 Globus pallidus internus 378-380 Glutamat 30, 298, 301, 336 glutamaterge Exzitation 242 glutamaterge Neurotransmission 239, 301, 340 glutamaterges System 422 Glutamat-induzierte Exzitotoxizität 241 Glutamat-Rezeptor 334 Go/Nogo-Aufgabe 494 GPI 7 Globus pallidus internus GPI-Stimulation 381 Grammatik 437 Greifbewegung 111, 185, -, 406, 408

D-H

Greiﬀunktion  Grenzwert -, 52, 96 Griﬀkraft 407 Guillain-Barré-Syndrom 103 Gyrus -, 327 – angularis 461, 462, 464-465 – cinguli anterior 610 – dentatus 520 – frontalis inferior 435, 472 – frontalis medialis 413 – frontalis superior 473 – postcentralis 5, 445 – praecentralis 4, 238, 361, – supramarginalis 460, 462, 472 – temporalis superior 460, 462

H Halbwelle  halogenierte Inhalationsanästhetika  Haloperidol 300, -, 341 Halothan 221, 389 Hamilton-Depressionsskala 299, 302, 574, 587, 614 Handareal – motorisches 33-45, -, 143, 164, 178, 193, 195, 212, 222, 318, 328, 359-363, -, 413, 424427, 430, 441-443, 501-510, 514, 524, 536-538, 556-559, 585-589, 611 – somatosensorisches 440 Handdystonie 364, 399-400, 402, 518, 550, 588, 589 Händigkeit 115, 462 Handmuskeln 6, 11, 61, 64, -, 125, 142, 160, 170, 204, 240, 256, 276, 381, 398, 401, 403, 406-407, 427, 524 Handparese 572 Hautirritationen 536 Hautnerv 181, 184, 494 Hebb-Plastizität - Hebb’sche Lernregel 444 Helligkeit 204, 207 Hemineglect  – motorischer 250 Hemiparese 77, 248 – kongenitale 143, 144, 288, 571 Hemisphärendominanz 114, 405 Hemmung – aﬀerente sensomotorische, kurzer Latenz , 200, 274, 301, 338, 507, 515 – aﬀerente sensomotorische, langer Latenz , 274 – deszendierende 600

642

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

–

Sachverzeichnis

GABAerge 249, 342, 524, 526, 529, 530 – interhemisphärische 41, 143, 192, , 251, 267, 275, 300, -, 403, 433, 480, 503, 507, 540, 557, 560 – intrakortikale 7 intrakortikale Hemmung – präsynaptische 170, 274 – reziproke 181,  – transkallosale 7 interhemisphärische hepatische Myelopathie  hereditäre spastische Spinalparalyse  Herzfrequenz 478, 493 Herzschrittmacher -, 81, 82, 216, 269, 618 hintere Schädelgrube 101,  Hippocampus 373, , , 520, 530, 547, 560 Hirnfurche 32 Hirnschenkel 238 Hirnschnitt 51, 444 – axialer 431 Hirnschrittmacher -, - Hirnstamm 5, 11, 186, 194, 221, 238, 283, 479, 482, 546, 600, 611 Hirnstammläsion 225, 602-603, 605 Hirnstammstimulation 44, 515, 519, 537 Hirnstammtheorie 288 Hirnwindung 32 Histopathologie  Hitzeschmerz 601 hochfrequente rTMS 13, 49, 371, , 427, 430, 433, 441, 472, 490, , , 557, 564, 568, 570-573, 585, 590, 594, 601, 612, 615, 622, 625, 629 Hochfrequenzrauschen 370 Hochfrequenzstimulator 168 Hochpassﬁlter 61 Hochvoltstimulation 10, 76, 82, 93, 96, 222 Hochvoltstimulator 6, 8, 73, 93, 215 Hoﬀmann-Reﬂex 6, 12, -, 172, 326 Homöostase , 562 homöostatische Metaplastizität 544, - homosynaptische Plastizität  homotope Aufmerksamkeitsregion  Homunkulus 5, 110, 445 HO-PET 356-357, 595 horizontale kortikokortikale Axone 37, 213, 250, 514, 526 Hörschwellenerhöhung 

hot spot 7 optimaler Stimulationsort 63, 81, 85, 91, 150, 318, 357, 401, 404, 440, 537, 635 H-Reﬂex 6, 12, -, 172, 326 HTLV-I-assoziierte Myelopathie  Hyperpolarisation 160, 263, 479 3-Hz-Spitze-Welle-Komplex 

I idiopathische Epilepsie - idiopathische Fazialisparese 11, 103, 145 idiopathische zerebelläre Ataxie  idiopathisches Parkinson-Syndrom 337, 584 Imagination einer Bewegung 326, 399, 539 implantierte biomedizinische Geräte  indirekte Wellen 5, -, 170, 172, 174, 185, 212-214, 220, 268, 337338, 486, 505 Induktionsschwelle 544 Induktivität  induzierte epileptische Anfälle 5,26, , 221, 269, 578, 617 induziertes elektrisches Feld 19, , 28, 32-34, 155, 213, 386, 392 Infarkt 163-164, -, 285, 329 Infarktlokalisation 250, 251 inferiorer frontaler Kortex 434-437, 472 inferiorer Parietalkortex 462, 465, 472 Informationsverarbeitung -, 321, 470, 557, 594 Inhalationsanästhetika  inhibitorisches postsynaptisches Potenzial 7 IPSP 30, 32 Inion 76, 198, 204 initiales Axonsegment 32, 41 Initiationsphase  innere Kapsel 192, 238, 250, 381 Intensitätskurve der intrakortikalen Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen  Intensivmedizin  Interferenzsensibilität 424 Interferenzwirkung 12 interhemisphärische Bahnung/Fazilitierung , 251, 328-329, 403 interhemisphärische Dysbalance 249 interhemisphärische Hemmung/Inhibition 41, 143, 192, , 251, 267, 275, 300, -, 403, 433, 480, 503, 507, 540, 557, 560 interhemisphärische Interaktion 266, 328, 331, 430, 560

interhemisphärische Konnektivität 299, -, 403 interhemisphärische Kompetition/Wettbewerb 461, 464,  interhemisphärisches Gleichgewicht  intermittierende Theta-Burst-Stimulation ,  Interneurone 32, 34, 36-37, 140, 163, 170, 174-175, 182-183, 186, 213, 220, 265, 283, 290, 299, 334, 337338, 358, 362, 382, , 485, 502, 515, 529, 535, 557 internodales Axonsegment 230 Internodium 230 Interstimulusintervall 13, 41-42, 144, 168-175, 178, 192, 194, 197, 200-201, 206-207, 213, 221, 371, 380, 382, 388, 392, 398, 403, 415, 440-444, 481, 500, 502-507, 514515, 526, 601 intrakortikale Bahnung/Fazilitierung 114, -, 175, 192, 199, 213, 242-244, 265, 274, 283, 298, 335-337, 398, 481-482 – bei kurzen Interstimulusintervallen 42, 163, -, 335- 337 intrakortikale Doppelpulsbahnung , 539 intrakortikale Hemmung/Inhibition – bei kurzen Interstimulusintervallen 41, 140, 144, -, 175, 192, 199, 206, 213, 242-244, 249, 252-253, 265, 267, 270, 274, 283, 291, 298-299, 302, 325, 335-337, 379, 398, 481, 502, 515, 526-527 – bei langen Interstimulusintervallen 41, -, 264, 274, 276, 335-338 intrakortikale Konnektivität 371 intrakranielle Gefäßclips -, 216, 269 intraoperatives Monitoring 12, 215, - intrazerebrale Konnektivität 351 intrinsische Aktivierung 564 intrinsische Aktivität 358, 368, 388, 430, 563 intrinsische Erregbarkeit 38, 585 intrinsische Handmuskeln 7 Handmuskeln intrinsische Plastizität 501, 557 intrinsischer Lernprozess 440 invasive Kortexstimulation 38, 54, 600-601, 605 inverses Problem 349 Inzisura mastoidea 198 Ionenkanal/Ionenkanäle 25, -, 288, 340, 501, 539

643

Sachverzeichnis

Ionenstrom , - ipsiläsioneller Motorkortex 248-249, 252, 268, 564, 572 ipsilateral silent period 7 ipsilaterale Innervationsstille ipsilaterale Innervationsstille 143-144, -, 231, 241, 251, 275-276, 300 ipsilaterales MEP 102, 111, 113, 242, 248, 276 IPSP 30, 32 ischämischer Leitungsblock 508, 545-546 Isoﬂuran 221 I-Wellen 5, -, 170, 172, 174, 185, 212-214, 220, 268, 337-338, 486, 505

J Jugendalter - juvenile Absencenepilepsie ,  juvenile myoklonische Epilepsie 

K Kaliumkanal -, 230 Kälteschmerz  Kalziumkanal 340, 341, 520 Kalziumkanalblocker 520 Kapazität  Kartierung 49, 110, -, 413, 422, 425, 526, 556 katameniale Epilepsie  kataplektischer Anfall 484 Katecholamine 298 Katheterelektrode 222, 223 kathodale transkranielle elektrische Stimulation 36-38, -, kathodale transkranielle Gleichstromstimulation 508, -, 547-550, 557, 560, 562, 564 Kathode 4, 6, 28, 36-40, 73-76, 82-84, 90-96, 100, 124-126, 134-135, 184, , 222, 536-540 Ketamin 221, 335, 386 Kindesalter - Kindling 51, 216 K-Komplex 479, 480 Klavierspieler 426 Kleinhirn 194, -, 403, 407-408, 470-472, 490-493, 557-558, 588 Kleinhirnatrophie  Kleinhirninfarkt ,  Kleinhirnkerne  Kleinhirnläsion  Klick 9, , 232, 312, 314, 351-352, 358, 480, 589

KML -, 84, 86, 97, 102, 105-106 Knochendefekt 54 Koaktivierung 328, 527 – taktile -, 507 Kognition 50 kognitive Kompensationsmechanismen 475 kognitive Nebenwirkungen 50, 216, 618 kognitive Störung 622 kognitiver Prozess -, 327-328, 347-351, 398, 400, , 540 Kohärenzanalyse 349 Kollisionstechnik 12, 121-126, 240-241 Ko-Lokalisation 413 Kompensation, funktionelle 406, 435, 571 Kompensationsmechanismen 275, -, 404, 475 Kompensationsprozesse 310 kompensatorische Reorganisation  Komponentenanalyse 402, 529 kompressive zervikale Myelopathie - Kondensator 6, 8, -, 170 konditionierender Reiz/Stimulus , 181, 185, 194-199, 213, 242, 263, 267, 278, 284, 403 Konditionierung – aﬀerente - – durch rTMS 192, -, -, 329, 348-349, 360, 369, 407, 432435, 440-444, 489, -, 556, 559-564, 585, 589-590 – durch tDCS 539, 548 – zerebelläre 285 Konnektivität 403 – interhemisphärische 299, , 403 – intrakortikale 371 Konsolidierung , 474, 516, 541 kontinuierliche TBS  Kontraindikationen – rTMS 618 – TES 216, 221 – TMS -, 108, 269 kontraläsionelle Hemisphäre 262, 268, 417, 560 kontraläsioneller dorsaler prämotorischer Kortex 405-406 kontraläsioneller Motorkortex 248252, 266, 268, 443, 571-572 kontraläsioneller parietaler Kortex 573 kontraläsionelles frontales Augenfeld 416-417 kontralaterale Innervationsstille 7 kortikale Innervationsstille

H-K

kontralaterale kortikale Innervationsstille 7 kortikale Innervationsstille Kontrollbedingung 214, 347, 358, 361, 435, 561, 597 Konzentrations-Wirkungs-Kurve  Kooperationbereitschaft 141 kooperative Stimulation 7 assoziative Stimulation 517 Kooperativität  Koordinatensystem – allozentrisches 460 – egozentrisches 460 – gemeinsames 345-346 – kraniotopes 414 – retinotopes 414 Kopfschmerzen 10, 50, 216, 288-294 Koregistrierung -, 357 Körpergröße - Körperlänge -, 97 Kortex – primär-motorischer 7 primär motorischer Kortex Kortexoberﬂäche 4, 5, 32-34, 36-40, 212-213, 534 kortikale Erregbarkeit 13, 28, 48, 50, 54, 160, -, 178, 208, 220, 293, 313, 324-327, -, 349-350, 379, 381, 398, 403, 427, 430, 443444, 501-510, 536, 539-541, 556, 559, 562, 556, 568, 578, 581 kortikale Erregbarkeitsschwelle  kortikale Hemmung 7 intrakortikale Hemmung/kortikale Innervationsstille kortikale Innervationsstille 12, 114, -, 193, 241, 250, 263-264, 267, 269-270, 274, 276-277, 283284, 291-293, 298-299, 302, 324, -, 480, 484, 505, 514, 556 kortikale Interneurone 32, 34, 36-37, 140, 163, 170, 174-175, 182-183, 186, 213, 220, 265, 283, 290, 299, 334, 337-338, 358, 362, 382, , 485, 502, 515, 529, 535, 557 kortikale Makrostruktur  kortikale Mikroarchitektur  kortikale motorische Repräsentation 5, 401, 422, 529 kortikale präsynaptische Hemmung 170, 274, 337 kortikale motorische Reizschwelle 21, 33, 40, 43, 48-51, 62, 64-68, 72. 81, 85, 91-96, 101-102, 105-106, 114, 141-143, -, 160-164, 168-174, 180-181, 193-200, 208, 214, 222223, 239, 242-243, 248-251, 262271, 274-279, 282-285, 291-294, 299-301, 310-311, 324, , 338,

644

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Sachverzeichnis

340, 359-360, 362, 398, 401, 406407, 415, 425, 430, 433, 480-485, 556, 561-562, 617, 629 kortikale Reorganisation 115, 250, 252-253, 404, 422, 442-444, 527, 594 kortikale Übererregbarkeit 239, 242, 301, 427, 559, 578, 627 kortikaler Infarkt 163-164, -, 285, 329 kortikaler Myoklonus , -, 276,  kortikales Erregbarkeitsproﬁl  kortikales Neurofeedback  kortikobasale Degeneration - kortikobulbäre Bahnen 115 kortikobulbärer Trakt 74 kortikokortikale Axone/Fasern 32, 72, 301, 368, 500, 514, 526 kortikokortikale Konnektivität , 349 kortikokortikale Leitungszeit  kortikokortikale Projektionen/Verbindungen 37, 143, 349, 372, 503, 539, 557, 560, 562 kortikomotoneuronal 7 kortikospinal kortikomotorische Erregbarkeit 7 kortikale Erregbarkeit kortikomotorische Repräsentation 7 kortikale motorische Repräsentation kortikomuskuläre Latenz 7 kortikomuskuläre Leitungszeit kortikomuskuläre Leitungszeit 7 KML 39, -, 84, 86, 97, 102, 105-106, 124, 259 kortikoösophageale Bahnen 115 kortikospinale Axone 5, 11, -, 161, 182, 185, 212, 232 kortikospinale Erregbarkeit 7 kortikale Erregbarkeit kortikospinale Projektion/Trakt -, 60, 72-78, 97, 120, 212, 239-242, 276, 326, 400-401, 422, 482, 505, 524, 529, 556 kortikospinaler Leitungsblock 120, 127-129, 239 kortikospinales Neuron 4, 34-38, 42-45, 72, 88, 91, 120, 122, 161-163, 243, 324-326, 502-503, 514 Kortisonschubbehandlung 233 Kraftentwicklung/Kraftentfaltung 68, 94 Kraftmesser 64, 92, 94 Kraftzunahme 324, 327 Krankheitsprogression 233 kreisförmige Spule 7 Rundspule kritisches Zeitfenster 311, 313, 519520

kryptogene Epilepsien  kumulativer Eﬀekt 509, - kutane Aﬀerenzen , 515 kutane Stimulation 263, 267, 277, 441 kutaner Nerv 7 Hautnerv 181, 184, 494

L Ladespannung ,  Ladungsdichte 10, 215 Ladungsmenge 215 Lähmung 73, 540, 559 – funktionelle/psychogene/somatoforme  lang anhaltende kortikale Inhibition 7 intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen langsame kortikale Potenziale 564 langsame Wellen 347, 350, 485 Langzeitbeatmung 114 Langzeitdepression 13, 341, 422, 444, 501, 514, 519-520, 524, 534, 539, 544, 557 Langzeitgedächtnis - Langzeitpotenzierung 13, 341, 349, 415, 422-423, 501, 514, 516, , 524, 534, 539, 544, 557, 569 Langzeitreorganisation 425 Langzeitverträglichkeit  Lärmschutz  Laserstimulation 601 läsioneller Motorkortex 7 ipsiläsioneller Motorkortex Läsionseﬀekt – Aufgabenspeziﬁtät 313 – räumliche Speziﬁtät 313 – durch rTMS/TMS 50, -, 404407, 415, 423, 430, 434-437, 455, 474, 504, 506-507, 559 – zeitliche Speziﬁtät 313 Läsionsexperiment - lateraler okzipitaler Komplex 456 laterales nozizeptives System  Lateralisation des epileptogenen Fokus , - L-Dopa 7 Levodopa 275-276, 278279, 335, 337, 341, 547 Leistungsverbindung  Leitfähigkeit 23, 28, 30, 33-34, 54, 134, 346, 534 Leitungsblock 7 ischämischer Leitungsblock 7 kortikospinaler Leitungsblock Leitungszeit – 7 kortikomotorische Leitungszeit – 7 peripher motorische Leitungszeit

– 7 zentralmotorische Leitungszeit Lendenwirbelkörper 90, 93 Lernprozess – intrinsisch 440 – motorisch 326, 342, 402, -, 474, 517-518, 524, 526, -, 546, 549 – somatosensorisch 440, - Levodopa 275-276, 278-279, 335, 337, 341, 547 – Sensitivität  – Test  Lewy-Body-Demenz 338 lexikalische Entscheidungsaufgabe 436 Lichtbalken 387 Lichtdeprivation 544 Lichtwahrnehmung 204 Linienhalbierungsaufgabe 573 Linienteilungsaufgabe 462, 465 Liquor cerebrospinalis 33-34, 54, 231232, 234, 534 LOC 7 lateraler okzipitaler Komplex 456 Locked-in-Syndrom 564 Lokalisation des epileptogenen Fokus  lokalisationsbezogene Epilepsie  Lokalisierungsstudien 429 long-interval intracortical facilitation 7 intrakortikale Bahnung bei langen Interstimulusintervallen long-interval intracortical inhibition 7 intrakortikale Hemmung bei langen Interstimulusintervallen long-latency aﬀerent inhibition 7 aﬀerente sensomotorische Hemmung langer Latenz long-latency reﬂex 178 long-term depression 7 Langzeitdepression long-term potentiation 7 Langzeitpotenzierung Lorazepam 41, -, 341, 527-528, 545 low-pass ﬁlter 7 Tiefpassﬁlter 61-63 LTD 7 Langzeitdepression LTD-ähnliche Plastizität -, 548-549 LTP 7 Langzeitpotenzierung LTP-ähnliche Plastizität 277, 342, , 545-549 luftgekühlte Spule  Luftspule  lumbale Magnetstimulation 93, 135 lumbale Nervenwurzeln 

645

Sachverzeichnis

M M. abductor digiti minimi 64, 76, 8084, 87, 122-123, 240 M. abductor hallucis 77, 123 M. abductor pollicis brevis 76, 77, 82-84, 123 M. biceps brachii 67, 76, 82-84, 87, 142, 256, 258, 259 M. buccinator , , 103-104 M. bulbocavernosus  M. deltoideus  M. digasticus 111 M. erector spinae , 113 M. extensor carpi radialis 164, 181182, 184 M. extensor digitorum brevis 93-94, 123 M. ﬂexor carpi radialis 181, 184 M. ﬂexor digitorum profundus 186 M. ﬂexor digitorum superﬁcialis 142 M. frontalis  M. interosseus dorsalis manus 39, 76, 82-84, 123, 142 M. latissimus dorsi - M. levator labii superioris  M. masseter 76,  M. mentalis 100 M. nasalis 76, ,  M. orbicularis oculi  M. orbicularis oris ,  M. pectoralis - M. pterygoideus medialis  M. quadrizeps femoris 93-94 M. sphincter ani externus - M. sphincter urethrae - M. sternocleidomastoideus  M. tibialis anterior , 77, , -, 123, 248, 256 M. trapezius 76,  M. vastus medialis 77 Magnetenzephalograﬁe 314,  Magnetfeld 8,  magnetische Feldkonstante  magnetische Kraft  magnetischer Fluss  magnetisches Feld  Magnetkonvulsionstherapie 14, 50,  Magnetometer 346 Magnetresonanztomograﬁe – diﬀusionsgewichtete , 103 – funktionelle -, 453 – Perfusionsbildgebung 373 Magnetstimulation peripherer Nerven - Magnetstimulator 6-11, -, 51, 151, 156-157, 169-170

Major Depression , 363, 372, 540, - maladaptive Plastizität 277, 519, 568, 594 Manie  M-Antwort 73-74, 83-84, 240, 257 mapping 7 Kartierung 49, 110, , 413, 422, 425, 526, 556 Maskierung -, 315, 358,  maximale alveoläre Konzentration 221 maximale Kontraktion 162, 326-327 maximale M-Antwort 239, 251,  Maximum-Likelihood-Schwellenjagd 155 mechanischer Reizung/Stimulation 178, - medialer temporaler Kortex 470 mediales nozizeptives System  Medianus-SEP 183, 517 Medikamentenpumpe  Medizinproduktegesetz , 52 MEG 7 Magnetenzephalograﬁe 314,  Mehrfachentladungen -, 242 Membrankapazität 230 Membranpotenzial 28-31, 34, 38, 4243, 212, 534, 537, 557 Membranwiderstand 230 Meningeosis carcinomatosa 103 Menstruationszyklus 269 menstruelle Migräne 288-289 mental clock task 7 mentale Uhraufgabe 455 mentale Chronometrie , , 412 mentale Uhraufgabe 455 MEP 10, -, 80-88, 89-98, 99-108, 109-115 MEP-Amplitude - MEP-Aufzeichnung 61-62, 80-81, 86 MEP-Intensitätskurven , 239, 250251, 336 MEP-Mapping 250-253 7 Kartierung 49, 110, -, 413, 422, 425, 526, 556 MEP/M-Wellen-Quotient 239-240, 256-257 MEP-Verlust 223, 248 Metaplastizität 508, - Migräne - – mit Aura 208, - – ohne Aura - – chronische -, 604-605 – familiäre hemiplegische ,  – menstruelle - Migräneattacke - Migräneintervall  Mills-Nithi-Prozedur 154

K-M

Mirtazapin 163, 612, 614 Missempﬁndungen 537 MKT 7 Magnetkonvulsionstherapie 14, 50,  monophasische Pulsform/Pulskonﬁguration 8, -, 39-41, 43, 80, 9192, 101, 156, 160-161, 170, 204-205, 401, -, 524 monophasischer Magnetstimulator , 156 Morbus Parkinson 7 Parkinson-Erkrankung 6, 80, -, 278, 379, 518, 560, -, 615 Motoneuronerkrankung - motor imagery 7 Imagination einer Bewegung 326, 399, 539 motor point 61 motorisch evoziertes Potenzial 7 MEP 10, -, 80-88, 89-98, 99-108, 109-115 motorische Antwortregel 407 motorische Einheiten -, 60-61, 64, 67-68, 86, 105-106, 121, , 274 motorische Funktion 140, 220, 223, 225, 243, 252, 402, 404, 426, 571572, 615 motorische Gedächtnisbildung 569 motorische Lernprozesse 326, 342, 402, -, 474, 517-518, 524, 526, -, 546, 549 motorische Rehabilitation  motorische Reizschwelle 208, 223, 239, 248, 262, 274, 282, 291, 299, 430 motorische Reorganisation 115, 402, 427 motorische Repräsentation 7 Repräsentation motorische Tics  motorische Vorstellung 7 Imagination einer Bewegung 326, 399, 539 motorischer Hemineglect  motorisches Handareal 7 Handareal motorisches Lernen 7 motorische Lernprozesse motorisches Training 68, 427, -, 548-549, 564, 569 MRT-Bildqualität 370 MSAP 7 Muskelsummenaktionspotenzial multifokale Läsion  multifokale motorische Neuropathie 128,  multifokale rTMS 49, 563, 588 multifokale TMS 404, 417,  multimodale evozierte Potenziale - multimodale Informationsverarbeitung 594

646

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Sachverzeichnis

multimodale Wahrnehmung  multiple Entladungen der AlphaMotoneurone 7 Mehrfachentladungen -, 242 multiple Sklerose 6, 80, 87, 97, 100, 114, 128-129, 145, - Multisystematrophie  muskarinerger Acetylcholinrezeptor 183, 546 Muskarinrezeptor-Antagonisten , 341 Muskelatonie 479, 482, 484 Muskelatrophie 238-239 Muskelbauch-Muskelsehnen-Montage 60, 81, 125 Muskeldehnung 180, 185-186, 188 Muskeldehnungsreiz 185 Muskeldehnungsreﬂex -, 112 Muskelrelaxantien  Muskelspindelaﬀerenz 160, 182, 515 Muskelspindelaktivität 277 Muskelsummenaktionspotenzial 31, 35, 60, 66, 74-77, 81, 83, 94, 97, 100, 120, 135-136, 220, 240 muskuläres MEP 220 M-Welle 7 M-Antwort 73-74, 83-84, 240, 257 M-Wellen-Latenz 73 myelinisiertes Axon 30-31, 34, , 381 Myelonkompression 257 Myelopathie - – diabetische 258 – hepatische 258 – HTLV-I-assoziierte 258 – kompressive zervikale - – spondylotische zervikale 127, 130 – zervikale 111,  Myelopathiesignal 259 Myoklonus 

N N. facialis 11, 100 N. hypoglossus  N. medianus 83, 181 N. radialis 184 N. trigeminus 11 N. ulnaris 240 Nachhyperpolarisation 29 Nadelelektrode 5, 39, , 86, 105, 106, 113, 114, 222 Nadelelektromyograﬁe 238 Nah-Infrarot-Spektroskopie 215 Narkolepsie  Narkose 50, 216, , 221, 319, 350, ,  Narkotika , 386

Natriumkanal , 31, 230 Natriumkanalblocker 157, ,  »N-back«-Arbeitsgedächtnisaufgabe 473 Nebenwirkungen 9, -, 216, 221, 385, 574, 617 Negativsymptomatik 299, , 624, 625 Neglect 250, 459, 464, , 573 Nervenleitungsblock 545 Nervenleitungsgeschwindigkeit 133 – periphere motorische 96 Nervenstimulation – bipolare 125 – periphere 28, , 82, 95, , 134, 156, 178, 181-182, 251, 264, 399, 499, 502, 507, 561, 563 – proximale 96, 125 – supramaximale 134 Nervenwurzelreizung 11, -, - Netzwerkeﬀekte 27, 309, 368, 373, , 558, 637 neurobiologische Faktoren 48,  Neuroborreliose 103 neurochirurgische Operationsplanung 223 Neuroforamen 34, -, 93, 135 Neurograﬁe 61, 125, 128, 133, 135, 258 – periphere motorische 60, 62, 67, 82, 124, 135, 238 Neuroleptika 299 – atypische 300 Neuromodulation 372, 397, 421, 422, 440, 461, 464, 465, 489, 499, 508, 541, , 563, 589 – pharmakologische 528, 546, 574 – therapeutische 378, 583, 584 – transkranielle 421, 461, 508, 563, 584 neuromuskuläre Überleitung , 59, 135 neuronale Erregbarkeit , 54, 178, 185, , 503, 535, 536, 559, 578 neuronale Oszillation 308, 312 neuronale Schleifen 312 neuronale Spontanaktivität 54, 312 neuronales Rauschen 308 Neuronavigation 310, -, 357, 402, 460, 480, 490, 494, 605 Neuronavigationssystem 9, 195,  neuronavigierte TMS -, 434, 562, 595, 622, 627 neuronenspeziﬁsche Enolase  Neuropathie – multifokale, motorische 128, 238 – periphere 75, 88, 122, 445 – Trigeminus- 602, 604

neuropathisches Schmerzsyndrom  Neuropharmaka -, 373, 508 Neuropharmakologie -, 373, 508, 527 neuropharmakologische Modulation 341, 508, 527 Neuroplastizität 25, 507, 540, - – maladaptive 594 Neuroprotektion 387,  Neurostimulation -, 310, 321, 360, 499, 561, 562 Neurotoxizität 51 Neurotransmitter 30, 253, 298, , , 530, 546 Neurotransmitterbindung 362 Neurotransmitterfreisetzung 363, 385, 387, 390, 557 Neurotransmittersysteme 13, 299, , , 356, 364, 373, 422, 547, 610 neurotrophe Faktoren 568 nichtselektive Bewegung 527 nichtsynaptische Plastizität 539 niedrigfrequente rTMS 13, 48, 423, , , , 564, 568, 571-573, 590, 594, 595, 601, 605, 610, 615, 622, 625, 629 NIH-Skala 572 Nikotinabhängigkeit 629 N20-Latenz 182, 278, 514, 519 NMDA-Rezeptor-Antagonist 337, , 340, 386, 425, 509, 516, 520, 523, 527 NMDA-Rezeptor-Blocker 337, , 340, 386, 425, 509, 516, 520, 523, 527 NMDA-Rezeptoren 172, , , 341, , 516, 517, 520, 524, 530, 539, 544 Nn. digitales 182 No-go-Aufgabe 491, 494 non-NMDA-Rezeptoren 340 Non-REM-Schlaf - Noradrenalin 335-337, 341, 534, 546 Noradrenalin-Agonisten 335-337, 341 Noradrenalin-Antagonisten 336, 337 Normwerte 75, 83, 84, 86, 87, 95, 96, 100, 102, 106, 112, 120, 125, 127, 139, 161, 194, 256, 257 Notch-Filter 62 nozizeptiver Flexorreﬂex 601 nozizeptiver Stimulus 185,  N20-P25-Komponente , 502 Nucleus accumbens 489, 611 Nucleus basalis Meynert 300, 546 Nucleus caudatus 362, 363, 611 Nucleus dentatus 249,  Nucleus reticularis thalami 478, 479

647

Sachverzeichnis

Nucleus subthalamicus Nyquist-Theorem 62

378, 380, 584

O obere Schwellenschätzung 154 Oberﬂächenelektroden 31, 36, 37, 43, 54, -, 65, 71, 72, 86, 87, 93, 94, 100, 102, 105-107, 113, 124, 169, 170, 182,  Objektbenennen 432, 433 Objekterkennung ,  obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom  oﬀene Aufmerksamkeit 460 Oﬄine-Anwendung der transkraniellen Kortexstimulation 192, -, 360, 368, 373, 423, 435, 465 OFF-Phase  Ohrstöpsel 47, , 54 Okulomotorik 411-420 okulomotorisches Netzwerk 412, 418 okulomotorisches System 12, 412, 418 okzipitaler Kortex 204, , 449, 491, 492, 557, 571 Olanzapin 300 oligoklonale Banden 231 Online  Online-Analyse 52 Online-Anwendung der transkraniellen Kortexstimulation -, 317, 318, 345, 346, 358, 359, 368, 406, 411, 414, 415, 417, 422, 432, 440, 452, 454, 455, 463-465, 472-474 Online-Verarbeitung 406, 439 Opioide 221 optimaler Stimulationsort 63, 81, 85, 91, 150, 318, 357, 401, 404, 440, 537, 635 orbitofrontaler Kortex 627 Orientierungsaufgabe , 462-464 orthodrome Aktivierung 308, 381 orthodrome Erregungsausbreitung 28, , , 121, 122, 240, 379, 381, 382 Ösophagusmuskulatur 115 Oszillation 36, 308, 312, 325, 327, 349, 351, 391, 478, 479, 485 Outcome 249 Overlap-Paradigma 418 Overlap-Sakkaden 417

P paarig-assoziative Stimulation 501, 507, - Panikattacke 496, , 626 PANSS-Skala 625

499,

paranoide Psychose 622 Paraspastik 238,  Parästhesien 230, 379 parietaler Kortex 391, 454, , , 490, 573, 595, 601, 604 parietales Augenfeld 412 Parietallappen 460 Parkin-Gen 275 Parkin-Mutation 275 Parkinson-Erkrankung 6, 80, -, 278, 379, 518, 560, -, 615 Parkinson-Syndrome, atypische  Pars triangularis 433 PAS 7 paarig-assoziative Stimulation, gepaarte assoziative Stimulation passagere Anarthrie 434 peak-to-peak amplitude 7 Spitze-zuSpitze Amplitude periaquäduktales Grau 600 periläsionell 48, 433, , 438 Perimetrie 204 periphere Aﬀerenzen 178 periphere elektrische Nervenstimulation 50, 73, 81, 95, 101, 104, 124125, 181, 264, 399, 561, 563 periphere motorische Leitungszeit , 81, 84, 92, 96, 101 periphere repetitive Nervenstimulation  perirolandische Epilepsie 581 Peristimulus-Zeithistogramm 40, , 111, 242 PET 12, 13, 314, 328, 352, 373, , 430, 434, 435, 454, 470, 475, 488, 490, 493, 504, 508, 568, 584, 589, 595-597, 625, 627, 629 PGO-wave 479 pharmakodynamische Toleranz 340 pharmakokinetische Toleranz 340 pharmakologische Experimente 13, - pharmakologische Neuromodulation , 508, 516, 527, 539,  Pharynxmuskulatur 115 Phasenauslöschung 36, 42, 59, , 64, 86, , 240 Phasendispersion 60 phonologische Schleife 472 Phosphene 7, -, -, 318, 379, -, 501, 562, 631 Phosphenschwelle , , 452, 506, 539 Photostimulation 186 Physiotherapie 252 Placeboeﬀekt , 589 Placebospulen  Placebostimulation , 368, , 541, , 564, 581, 588-590, 595, 614-615, 625

M-P

Plastizität 277, 341, 342, -, 568 Plexusanästhesie 546 Polarisationseﬀekt  Polarität -, , 533, 539 Polymorphismus 339 Ponsinfarkt 250 pontogeniculooccipitale Welle 479 Positivsymptomatik 622 Positronenemissionstomograﬁe 12, 13, 314, 328, 352, 373, -, 430, 434, 435, 454, 470, 475, 488, 490, 493, 504, 508, 568, 584, 589, 595597, 625, 627, 629 Posner-Paradigma 460, 463, 465 posteriorer parietaler Kortex 414, 455, 456, 461, 601, 604 posteriorer Sulcus temporalis superior 450, 451, 457 Poststimulus-Zeithistogramm 39, 40, 67, 111 Post-Stroke-Depression 615 posttraumatische Belastungsstörung 626 Potenzial, inhibitorisches postsynaptisches (IPSP) 30, 32, 337 PPC 7 posteriorer parietaler Kortex prächirurgische Epilepsiediagnostik 430, 431, 434, 436 präfrontaler Kortex 14, 50, 298, 310, 318, 321, 351, 360, 363, 372, 389, 391, 408, 412, 414, 417, 424, 456, 460, 463, -, 485, 488-494, 538, 541, 560, 568, 573, 574, 588, 601. 605, 610, 611, 622-629, 633, 637 prämotorischer Kortex 33, 37 ,186, 192, -, 248, 252, 275, 326, ,, 347, 348, 360-362, 364, 371, 372, -, 424, 453, 485, 503, 505, 508, 558, 560, 569, 571, 586, 589, 601, 604, 632-634, 636 präoperative Diagnostik 223 primär chronisch-progrediente multiple Sklerose 231 primär motorischer Kortex 5, 28, , 48, 178, -, 212, 238, 250, 275, 290, 424, , , 537, , 557, 568, 585, 586, 601, 604, 606, 627, 662 primäre Lateralsklerose 238 primär auditorischer Kortex 355, 594, 596, 622, 623 primär motorisches Beinareal 42, -, 406 primär motorisches Handareal 33, -, 77, -, 143, 178, 193, 195, 197, -, 310, 318, 326, 328, 329, 334, 359-363, 372, -, 424-427, 430, 501-508, 513, 524,

648

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Sachverzeichnis

526, 536-538, 557-559, 585, 611, 634, 637 primär somatosenorischer Kortex 37, 194, 440, 443, 470, 516, 520 primär visueller Kortex , -, , 461, 465 primär visuelles Areal V1 , 452454, 456, 461, 465 primary peak 242 Priming 315, 494, 547 principal component analysis 7 Komponentenanalyse professionelle Musiker 425 Prognose 80, 225, 231, , 257 prognostische Werte 233, 248, 568 progrediente Hirnschädigung 231, 238, 243, 417, 435 progrediente supranukleäre Blickparese  Progressionsmarker 231, 233 progressive Myoklonusepilepsie 263 Prolactin 216 Propofol 221 Prosakkaden 413, 418 Protokolloptimierung 564 Pseudobulbärparalyse 238 psychiatrische Erkrankungen -, - psychomotorische Verlangsamung 298 Pulsbreite 38, 222 Pulsform -, 24, , 204, 206, 208, 503, 579, 580 Pulsfrequenz 21 Pulskondensator 19 Pulskonﬁguration -, 24, , 204, 206, 208, 503, 579, 580 Purdue-Pegboard-Test 572 Purkinje-Zellen 198, , 285 Putamen 363, 557, 585, 602, 611 Pyramidenbahn 5, , 76, 80, 100, 115, 121, 128, 160, -, 238, 255258, 379, 381 Pyramidenbahnschädigung 80, 238, 257 Pyramidenbahnstimulation 11, 43, 382 Pyramidenzelle 4-6, -, 86, 140, 213, , 238, 263, 343, 524, 529, 535

Q Quellenlokalisation 345, 349 Querschnittslähmung, thorakale 113

R Radiatio optica 208 Radioisotop 364 Ranvier’scher Schnürring 30, , 38, 40,  rapid cycling 615 Rapid Eye Movement sleep/REM sleep -, 490 räumliches Arbeitsgedächtnis 414,  rCBF 7 regionaler cerebraler Blutﬂuss Reaktionszeitaufgabe 251, , 329, 331, -, 424, 506, 540, 572, 584 Reaktionszeitexperiment 251, , 329, 331, -, 424, 506, 540, 572, 584 Reboxetin 298, 335-336, 612 Rechtshändigkeit 405 Rechts-Links-Diﬀerenz 95 Reizantwortkurve , 398, 556 Reexitation, muskuloneurale 122 Referenzierung 320 Referenzierungsstift 320 Referenzpunkt 320 Referenzrahmen 319 Referenzsystem – extraretinales 418 – kraniotopes 418 Reﬂex langer Latenz 178, 502 Reﬂex-Myoklonus 278 Refraktärität 171 Refraktärperiode 230 Refraktärzeit 30, 222 regionale Erregbarkeit 309, 347, 501, 557,  regionale Glukoseaufnahme -, 360, 363-365,387, 470, 626 regionaler Glukosemetabolismus , 360, 363-365,387, 470, 626 regionaler Glukoseverbrauch -, 360, 363-365,387, 470, 626 regionaler zerebraler Blutﬂuss 352, -, 470, 488, 493, 503, 508, 558, 596, 601, 611, 637 Rehabilitation 25, 342, 422, 424, , 564, 568, 569, 574, 576 Reizabfolge 126 Reizantwort-Intensitätskurve 64, , 539 Reizdauer , 31, 215 Reizintensität , 222, 561 Reizintervall  Reizort 562 Reizsalve 221 Reizschwelle 11, 21 – kortikale 92, 94, 102

– motorische , 142 Reizspule 101 Reizstärke 21, , 214 Reizzugdauer 48 Reklassiﬁzierungswert 232 Rekrutierungskurve 64, 334, 539 Rektiﬁzierung 193 rekurrierende Kollaterale 160 Remifentanyl 221 REMP-Spule 561 REM-Schlaf 478,  Remyelinisierung 231 Renshaw-Zelle 160 Reorganisation 115, 200, 247, , -, 350, 360, 362, 365, 368, 402, 403, 422, 427, -, 504, 527, -, 568, 569, 589, 594, 636 – nach Schlaganfall 25-,  repetitive Doppelpulsstimulation 499 repetitive TMS (rTMS) 9, 21, 48, 50, 52, 141, 270, 283, 285, 290, 298, 314, 347, 386-389, 412, 415, 430, 464, 499, -509, 556, 568, 578, 594 – Läsionseﬀekt 504 – Protokolle 192, 499-509 – Stimulationsdauer 502 – Stimulusintensität 502 – des Zerebellums 285 repetitiver Magnetstimulator 9,  Repolarisationsphase  Repolarisierung 535 Repräsentation – Gedächtnisrepräsentation 470 – kortikale motorische 5, 11, 63, 72, 106, -, 169, 174, 222, 225, -, 277, -, 413, , 556, 635 – kortikale okulomotorische 418, 440 – kortikale, visuelle 208, 450, 452, 456 repräsentationale Plastizität 556 Resetting  Resonanzfrequenz  Restless-legs-Syndrom  retikulokortikale Projektion 186 retinotopes System 205, 414 Rett-Syndrom 145 Rheobase  Richtungsselektivität 39 Rigor 274 Riluzol 243, 244 Risikoanalyse  Risperidon 300 Rivastigmin 187 Rolando-Epilepsie, benigne  rTMS 7 repetitive TMS

649

Sachverzeichnis

Rückenmarkverletzung 225 Rückenmuskulatur, autochthone  Rückenschmerz 601 Ruhemembranpotenzial , 54, 534, 535, 537 Ruhezustand 29, 43, 59, 309, 358, 359, 364, 400, 539, 562 runde Magnetspule 7 Rundspule Rundspule 9, , 41, 63, 72, 73, , , , -, -, 101, 104, 124, 142, 169, 179, 180, 184, 204, 319, 401, 450, 581, 587, 605

S Sakkaden 11, -, 457 – gedächtnisgesteuerte (memorisierte) Sakkaden 412, 472 Sakkadenlatenz -,  Sakkaden-Paradigmen  Sakkadentriggerung 415, 507 saltatorische Erregungsleitung  Scandinavian-Stroke-Skala 572 Schädel-Hirn-Verletzung 225 Schädelkalotte 54, 534 schizoaﬀektive Psychose 622 Schizophrenie ,  Schlaf -, 424, -, 541 Schlafentzug 52, 263, 265, 266, 269, 391, 485, 612, 614 Schlafspindel-Oszillationen 350, - Schlafzyklus 478 Schlaganfall 48, 52, 77, 80, 115, 143, 146, 157, -, 328-329, 402406, , , 433,435, 475, 540, 546, 547, 560, -, 601, 604 – kindlicher 143,  Schlaganfallpatienten -,  Schlaganfallrehabilitation  Schluckelektroden 115 Schluckstörung 115 Schmerzhaftigkeit 5, 134, 212, 216, 232 Schmerzmatrix 600 Schmerzreduktion - Schmerzreiz 178 Schmerzschwelle  Schmerzsystem 185, 600 Schmerztherapie  Schmerztoleranzschwelle  Schmerzverarbeitung 605 Schreckreﬂex 178, 494 Schreibkrampf 200, , 399, 400, 403, 518, 520, 560, 564,  schubförmig-remittierende multiple Sklerose 231

Schwammelektrode 54, 534 Schwangerschaft -, 140, 618 Schwelle – gleitende/Sliding Threshold 544 – der kortikalen Innervationsstille 162 Schwellenabhängigkeit 544, 546, 547 Schwellenbestimmung 52, 142, , 206 Schwellendeﬁnition  Schwellenjagd  – Bisektion  Schwellenreizstärke  Schwellenschätzung  Schwellenspiel  Schwerpunkt 401 Scopolamin 183, 336, 338, 341 segmentale Dystonie  Sehstrahlung , 456 Seitendiﬀerenz 75, 84, 86, 96, 120, 157, 243 sekundär chronisch-progrediente multiple Sklerose 231 sekundäre visuelle Areale  sekundärer auditorischer Kortex  Selbstbeurteilungsskalen 487, 489 selektive Bewegung 527 selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer 298, 612 Semantik 432, 437 Sensitivität 356, 364 – diagnostische 11, 13, 60, 80, 127, 145, 220, 225, 231-232, 238, 241, 256, 258, 434, 489 – L-DOPA-Sensitivität 276, 279 sensomotorische Integration 178, 274 sensomotorisches Gating 299 sensorische Online-Verarbeitung 439 sensorische Reizschwelle 181-182, 441, 514 sensorische Verarbeitung 369 sensorischer Reiz 178, 274 SEP 130, 182, 183, 220, 225, 231, 256258, -, 502, 514, 517 Sequenzeﬀekt 435 serielle Reaktionszeitaufgabe 402, 424, 540 serotonerges System 611 Serotonin 298, 363, 546, 568 Serotoninstoﬀwechel 363, 365 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer 336, 339, 612 Sertralin 336, 612 Sevoﬂuran 221 sham stimulation 7 Placebo-Stimulation short-interval intracortical facilitation 7 intrakortikale Bahnung bei kurzen Interstimulusintervallen

P-S

short-interval intracortical inhibition 7 intrakortikale Hemmung bei kurzen Interstimulusintervallen short-latency aﬀerent inhibition 7 aﬀerente sensomotorische Hemmung kurzer Latenz Sicherheitsabstand  Sicherheitsaspekte , 215, 378 Sicherheitsmonitoring 350 Sicherheitsstudie  SICI-Intensitätskurve 249 Sigmoidfunktion 64 Signalaufälligkeit 257 silent period 7 kortikale Innervationsstille Simulationsstudie 534 single motor unit 7 motorische Einheit Single-Photon-Emission-ComputedTomography  Skalp-Axon-Abstand 156 Skalp-Kortex-Abstand 156 Skotom 206, 450, 501 slow cortical potentials 7 langsame kortikale Potentiale 564 slow oscillation 479 slow wave  somatoforme Störung 145 Somatosensorik - somatosensorisch evozierte Potenziale 220, 231, 256, , 502, 514 somatosensorischer Kortex 220, 409, , 446, 507, 605 somatosensorisches System - Somatotopie 5, 363, 398, 401, 436, 441, , 507, 520, 529 spannungsabhängiger Kalziumkanal 520 spannungsaktivierte Natriumkanäle 243 Spannungskopfschmerz  Spastik 238 Spastizität 250 speech arrest 7 Sprachunterbrechung Spektralanalyse 351 Spiegelaktivität 329-330 Spiegelneuron 326, 408 Spiegelneuronensystem 326, 408 spike timing-dependent plasticity 444, 507, 514, , 545 spinale epidurale Ableitung 5, 220 spinale Erregbarkeit 220 spinale Hemmung 160 spinale reziproke Hemmung 184 Spinalkanal 74, 89,  spinozerebelläre Atrophie - Spitze-zu-Spitze Amplitude -, 94, 101, 102, 104, 105, 160, 181-182 Spontanentladungsrate 535 Sportler 425

650

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Sachverzeichnis

Sprachanalyse 490 Sprachdominanz 51, -, 573 Sprache 429-437 Spracherholung 430, 434, 437,  Sprachfunktion -, 573 – lexikalische 429 – semantische 429 Sprachlateralisierung 434, 435, 573 Sprachmodul 430 Sprachperzeption 433, 436 Sprachproduktion 432, 434-437 Sprachverarbeitung - – phonologische 434 – semantische 432, 434 Sprachverständnis 433, 435- 436 Spreading-Depression  Sprechunterbrechung ,  Spulenerwärmung  Spulengeometrie , 157 Spulengröße  Spulen-Kortex-Abstand 311 Spulenorientierung 38, 196, 310 Spulenpositionierung 91, 101, 156, 310, -, 357, 401, 430, 440, 480, 562, 611 Spulenstrom  Spulentyp -, 41, 63, 95, 204, 319, 579 Startle reﬂex 178 STDP 7 spike timing-dependent plasticity stempelförmige Reizspule 195 stereotaktische Neuronavigation 310, -, 402, 460 stereotaktisches Bezugssystem 319 Stereotaxie 9, -, 440 – rahmenlose , 453 Stimmanalyse 492 Stimmung 488-495 Stimmungsmessung 492 Stimmungsskala 489, 492, 494 Stimulation – foraminale 35, -,  , 135 – kanalikuläre -, 145 – mastoidale - – repetitive aﬀerente 115, 502 Stimulationsartefakt 65, 86, 104, 162 Stimulationsdauer 14, , 48, 55, 215, 505,  Stimulationselektrode 28, 36, 124, 125, 192, , 222, 381, , 538 Stimulationsfrequenz 48, 50, 222, , 359, 371, 434, 485, 490, -, , 561, 586, 587, 605, 609, 621, 627 stimulationsinduzierte Plastizität 277, 341, , 513, 533 Stimulationsintensität 49, 59, 72, 92, 101, 150, 162, 222, 310, 537, 561

Stimulationsspule -, 28, 50, 51, 63, 85, 315, 557, 631 – MRT Tauglichkeit 369 stimulus response curve 7 Reizantwortkurve  stimulusbezogenes Histogramm 67 Stimulusform 7 Stimuluskonﬁguration , 101, 156, 503, 556 Stimulusstärke 7 Stimulusintensität Stimulussynchronisation 370 STN 378 STN-Stimulation - striärer Kortex 7 Area V1 Striatum 363, 391, 489, 572, 584, 589, 611 Stromdichte 7 Stromﬂussdichte Stromﬂuss 18, 25, 28, 38, 82 – technischer 81 Stromﬂussdichte 50, 54, 101, 216, 351, ,  Stromﬂussrichtung 8, 19, -, 73, 77, 81, 82, 85, 91, 93, 97, 167, 174, 181, 194, 196, 204, , 220, 310, 535 Stromrichtung 7 Stromﬂussrichtung Stromstärke 25, , 54, 215, 222, 535, , 540 Stromtragfähigkeit  Stroop-Aufgabe 491, 493 strukturelle Läsion , 437 strukturelle Plastizität  strukturelles MRT 194 Studiendesign 358, 477, 492, 561, 588, 602-604, 623-624, 627-628 Stufentherapie der Depression 618 Subdeltaoszillation 479 subklinische Läsion 97, 100, 232, 258 subkortikale Pyramidenbahnstimulation 381 subkortikaler Infarkt  subkortikokortikale Schleifen 408 Substantia nigra 584 Substanz-P-Antagonisten 610 Suchterkrankung  Sufentanil 221 Sulcus centralis 33, 40, 213, 361, 461 Sulcus temporalis superior 450-451, 456-457 supplementäres Augenfeld 412, 418 supplementär-motorisches Areal 362, 372, 406, -, 586, , 604, 628, 629 Surrogatmarker 233-234, 326, 339 symptomatische Epilepsie  synaptic scaling 544 synaptische Aktivität 356, 365, , 555 synaptische Eﬃzienz 534 synaptische Hemmung 172

synaptische Neurotransmission  synaptische Plastizität 342, 386, , 527, 557, 563 synaptische Skalierung 544 Synchronisation 120, 240, 351, 370, 382, 406 Syndrom der unruhigen Beine 484 Syringomyelie 258 10–20-System , 401, 430, 460, 537 systemische Konditionierungseffekte 313, , 556

T taktile Diskriminationsaufgabe 369,  taktiler Reiz 185, 445 taktiles Diskriminationstraining 445, 563 TBS 9, 313, 391-392, 415-416, 444, 500, -, 563, 590 tDCS , , 341, 475, 485, 508, , 547-549, 555-564, 595, 596 temporoparietaler Kortex 461, 595 Testpuls , 182, 185, 186, 194, 213, 388 Testreiz , 182, 185, 186, 194, 213, 388 tetanische Reizung 517, 544 thalamokortikale Neurone 34, 37, 72, 263, 285, 301, 349, 379, 380, 465, 557, 587 thalamokortikales Netzwerk 263, 349, - Thalamus 32, 33, 37, 51, 183, 265, 285, 288, 301, 349, 372, 378, 382, 391, 408, 446, 456, 479, 629 Thalamusinfarkt 249, 602-603 Thalamuskerne 183, 391, 408,446, 600 Thalamusläsion 37, 183, 249 Thalamusschmerzen 600 therapeutische Applikationen 14, - Therapiekonzept - therapieresistente Depression 50, 610 Therapiestudien 13, 474, -, 569, 570, 579, 580, 581, 586, 587, 596, 602, 603, 613, 616, 623,624, 627, 628 Theta-Burst-Stimulation 7 TBS Thyristor 19 Tics , 589 Ticstörungen , 589 tiefe Hirnstimulation -, 584, 610, 628 Tiefenreichweite 19, 23,  Tiefpassﬁlter 61-63 Tiefschlaf 350, 541

651

Sachverzeichnis

Tierexperiment 4-5, 15, 36-37, 54, 215, 361, 382, -, 505, 517, 524, 526, 529-530, 534, 546, 557, 611, 629 tierexperimentelle Sicherheitsstudien 54, 392 Tinnitus 559, 568, - Tinnituswahrnehmung 594 TMS-Eﬀekt, »paradoxer« 417 TMS-Gerätetechnik -, 503 TMS-induzierte Wahrnehmungssuppression -, 289-290, 450 TMS-induziertes Ereignis , 152, 155 TMS-Kartierung 49, 110-112, 253, 345, -, 413, 423, 425, 526, 556, 636 TMS-Mapping 49, 110-112, 253, 345, -, 413, 423, 425, 526, 556, 636 Top-down-Einﬂuss 367, 372, 456, 461, 465, 488, 495 topograﬁsche Speziﬁtät , 516, 518, 519, 557 Torticollis spasmodicus 277 totale intravenöse Anästhesie  Tourette-Syndrom 276, 278, -, 589 Tractus corticospinalis 111, 238, 257 Tractus spinothalamicus 600 träge Nachschwankung 263 Training 51, 68, 342, 390, -, 445, 517, -, 546, 548, 549, 563, 564, 568-570 Trainingsparadigma 425 transienter TMS-Eﬀekt 436 transkallosale Hemmung 7 interhemisphärische Hemmung transkallosale Leitungszeit - transkortikaler Reﬂex langer Latenz , ,  transkraniell evozierte Fingerbewegung 425, 524-525 transkranielle elektrische Stimulation 6, 37-38, 170, 182, -, 220, 285 – bifokale 212 – unifokale 212 transkranielle Gleichstromstimulation 25, 54, 341, 475, 485, 508, -, 550, 556, 595, 606 transmodale Plastizität 454 transossäre Leitungszeit 102 transsynaptische Aktivierung kortikospinaler Neurone 5, 27, 32, 170, 185, 212, 220, 239 transsynaptische Erregungsausbreitung 32, 185 transverse Myelitis 258 trigeminale Aﬀerenzen 288, 561

trigeminales nozizeptives System 288 triphasisches Aktivitätsmuster 325 Triple-Stimulationstechnik 12, -, 145, 231, 240 trizyklische Antidepressiva 298, 387, 611, 612 Tryptophan 363

U Übertemperaturabschaltung 25 übungsabhängige Plastizität 341, , -, 546-547, 549 übungsabhängiges Lernen - Uhthoﬀ-Phänomen 128-129, 230 Ultrakurzzeitgedächtnis 470 Umfeldhemmung 184, 277, 325 unerwünschte Langzeiteﬀekte 51 unerwünschte Wirkung 48 Uniﬁed Parkinson’s Disease Rating Scale 585 untere Schwellenschätzung 154 unterschwellige Depolarisierung 534 unterschwellige Hyperpolarisierung 534

V V1 , 452-454, 456, 461, 465 V5 (V5/MT) 204, -, Vagusnervstimulation 298, 302, 610 Valenzhypothese 488 Valenztheorie 487 Valproinsäure 208, 263, 264, 270 Vektorfeld 18 Venlafaxin 612, 614 ventraler Pfad 456 ventraler prämotorischer Kortex 408 ventrales Striatum 489 ventrolateraler Thalamus 600 Verarbeitung, emotionale 488 Verbengenerierung 433 Verbindung – intrakortikale 167-175, 526, 529 – kortikomuskuläre 35, 39, , 75, 116, 239, 524 – latente neuronale 422 – synaptische 513, 514, 517, 544, 560 Verblindung , 625 verdeckte Aufmerksamkeit 460 Vergenzbewegung 412 Verhaltensgedächtnis 474 Verlust der kortikalen Innervationsstille 164 Verstärkungsfaktor 61, 62 Vertex 38, 41, 42, 50, 63, 81, 85, 91, 101, 105, 106, 142, 169, 184, 195,

S-W

212, 253, 403, 407, 537, 577, 586, 587, 617 Vestibularisreizung 7 Vibrationsreiz 186 virtuelle Kathode 4, 134, 135 virtuelle Läsion 13, 50, 252, -, 328, 430, 431, 559, 570, 594 visuell evozierte Potenziale 231, 290 visuelle Analogskala 489, 490, 492, 594, 596 visuelle Aufmerksamkeit 451, 453, 460 visuelle Aura 288 visuelle Maskierung , 450 visuelle Suche 451, 463, 465 visuelle Verarbeitung -, 470 visuelle Vorstellung 454 visuelle Wahrnehmung -, 311, 452, 454, 540 visueller Kontrast 206 visueller Kortex -, 288, 391, -, 537 visueller Reiz 178, 204-207, 450, 540, 573 visuelles Bewegungszentrum (V5) 204 visuelles System 452,  Vitamin-B-Mangel  vokale Tics 301 Vollwelle 21 Volumenleitung , 87, 110, 113, 124, 346 Voraktivierung , 41-43, -, 81, 86, 110, 197, 398, 401, 432, 445, 484, 563-564, 573 Voranspannung , 41-43, -, 81, 86, 110, 197, 398, 401, 484, Vorderhornzelle 35, 91,  Vorinnervation 11, 32, 43, 44, -, 72-73, 92, 94, 101, 102, 105, 106, 121, 125, 126, 128, 141, 143, 180, 242, 248, 250, 256, 275, 381, 398, 485 voxelbasierte Morphometrie , 

W Wach-EEG 373, , 632-634 Wachtherapie 610 Wachzustand 42, -, -, 632-634 WADA-Test 434, 436 Wahlreaktionszeitaufgabe 330, 404, 405 Wahnvorstellungen 622 Wahrnehmungsleistung – taktile 444 – visuelle 207, 452 wassergekühlte Spule 24 Wernicke-Areal -, 570

652

61 62 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Sachverzeichnis

Widerstand – elektrischer 8, , 24, 32, , 36, 38, 61, 100, 212 – elektrischer Gewebswiderstand 34, 38, 212 – elektrischer Hautwiderstand 493, 537 – elektrischer Membranwiderstand 230 Windungszahl 22 Wirbelströme 11, 33 Wirbelstromverlust 23 Wissensgedächtnis 474 Wurzelreizung 11, 82-84, 93-97

Z Zeitfenster – funktionelle MRT 370 – funktionelle TMS-Eﬀekte 28, 192, 307, -, 404, 432, 441, 450, 465, 471, 584 – Entladungsverhalten 42, 242 – Plastizität - zeitliche Assoziation 519 zeitliche Dispersion 12, , 60, 64, 86, 122, 234, 239, 257 Zellmembran 22, -, 36 zentrale Exekutive 471 zentrale reziproke Hemmung 185 zentraler Schmerz 601, 602, 604 zentralmotorische Leitungszeit 63, , 84, 95, 102, 120, 140, 234, 239, 256-258, 274, 282 zentralmotorischer Leitungsblock 232 zerebelläre Ataxie 285 zerebelläre Konditionierung 198, 282, 285 zerebello-kortikale Projektion 198, 282 Zerebellum 198, 282, 579 zerebraler Blutﬂuss , 488, 493 Zerebralparese , 144, , 604 zervikale Dystonie 276 zervikale Myelopathie ,  ZML 7 zentralmotorische Leitungszeit Zolpidem 335, 337 Zoster oticus 103 Zungenmuskulatur 76,  Zungenrepräsentation, motorische kortikale 104

Zwangsgedanken 627 Zwangshandlungen 627 Zwangsstörung ,  Zweipunktdiskrimination 444 Zweipunktlokalisation 444 zweites Motoneuron 238 Zwerchfell 11,  Zwischenregister – räumlich-visuelles 471 – verbal-phonologisches 47

Druck: Krips bv, Meppel Verarbeitung: Stürtz, Würzburg