KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
HANS WILHELM SMOLIK
LAUBBÄUME UNS...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
HANS WILHELM SMOLIK
LAUBBÄUME UNSERER HEIMAT
VERLAG SEBASTIAN LBX MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK • ÖLTEN
Tausendjährige Riesen Ganz selten erreicht der Mensch ein Alter von einhundert Jahren. In alten Büchern kann man lesen, daß die Flußperlmüschel angeblich sogar einhundertfünfzig, der Elefant bis zu zweihundert und die Riesenschildkröte bis zu dreihundert Jahre alt werden sollen. Diese Lebensdauer wird von Forschern unserer Zeit jedoch ins Reich der Fabel verwiesen. Wenn nun aber einer daherkäme und behaupten, würde, daß es heute noch Lebewesen gäbe, die schon vor unserer Zeitrechnung, also vor über zweitausend Jahren, gelebt haben, würden wir ihn sehr kritisch anschauenl Ja, und wenn er sich dann versteifen würde und behauptete, daß er sich noch sehr vorsichtig ausgedrückt habe, daß es sogar drei- bis viertausend Jahre sein könnten, die diese Geschöpfe überdauerten — nun, dann würden wir sicher sein, daß er einem Phantasten auf den Leim gegangen sei. Denn dieses sagenhafte Geschöpf, das müßte ja noch die Gründung von Rom erlebt haben, das müßte dabei gewesen sein, als sie den Herrn ans Kreuz schlugen, das müßte die Weltstädte Paris, London und Berlin als Fischerdörfer gesehen haben! Und doch gibt es Lebewesen, die dieses Alter erreichen . . .1 Es sind die — Bäume! Auf der Insel Teneriffa an der westafrikanischen Küste stand noch vor gar nicht langer Zeit ein Drachenbaum, der nach den vorsichtigsten Schätzungen sage und schreibe fünftausend Jahre alt war! Aber selbst dieser Baum war keine Ausnahme, denn auch die Affenbrotbäume und die Mammutbäume können ein solch ehrwürdiges Alter erreichen. Es wurden Platanen mit viertausend Jahresringen und Zypressen und Eiben mit dreitausend Jahresringen gefüllt. 2
Auf dem Friedhof von Santa Maria de Tule steht eine Sumpfzypresse, die auf viertausend Jahre geschätzt wird. Auf dem Friedhof der englischen Stadt York pflegt man mit Sorgfalt eine Eibe, die dreitausend Jahre alt ist. Und in den Mammutbaumhainen von Kalifornien stehen Riesen, die auf ein vier tausendjähriges Dasein zurückblicken. Man stelle sich nur einmal vor, was diese Bäume alles erlebt haben, wer alles unter ihren Wipfeln saß! Während sie still und stetig gen Himmel strebten, zerfielen Riesenreiche der Menschen, sind volkreiche Großstädte mehrmals unter die Erde gesunken und wieder auferstanden, wurden Riesenbauten von Wind und Wetter geschleift, veränderten sich die Küsten der Länder, verlandeten Seen und Moore, versandeten Flüsse und Ströme und wiederholte sich hunderte Male der bunte Reigen der Tier- und Menschengenerationen. Wahrhaftig, gewaltige Lebewesen sind diese Bäume! Und wir können es unseren heidnischen Vorfahren und den Naturvölkern der Gegenwart nachfühlen, daß sie mit ehrfürchtigem Schaudern und in großer Verehrung zu den Bäumen aufschauten und noch aufblicken; daß sie im Rauschen der Wipfel ihre Gottheiten hörten und es als einen Frevel ansahen, die Hand an solche Baumriesen zu legen. Und wenn wir darüber nachdenken, welches Unheil über die Welt gekommen ist, weil die Menschen die Ehrfurcht vor den Bäumen verloren haben, wie ehemals fruchtbare Länder verödeten und verkarsteten, wie trostlose Wüsten rings auf der Erde entstanden, wie verheerende Sandstürme und ungeheure Überschwemmungen im Gefolge des Frevels am Wald auftraten, dann b e greifen wir, welch wichtige Rolle die Bäume spielen.
In unserer engeren Heimat stehen Wald und Baum schon lange unter streng gehandhabtem Schutz, und die belaubten Riesen der Vorzeit werden als Naturdenkmäler gehegt und gepflegt. Der älteste deutsche Baum ist wohl die zweitausendjährige Eibe bei Krombach an der sächsisch-böhmischen Grenze. Es gibt Fichten und Edeltannen von mehr als hundert Jahren, Linden von 1000 3
Jahren, Lärchen und Kiefern von 500 Jahren und Silberpappeln von 400 Jahren. Dagegen bringen es Ulme, Ahorn und Birnbaum „ n u r " auf 350 Jahre, Buchen und Rosenstöcke auf höchstens 300 Jahre, Eschen auf 250 Jahre, Birken und Apfelbäume auf 200 Jahre und Zitterpappeln, Silberweiden und Buchsbäume auf knappe 150 Jahre. Dem Alter, das manche Bäume erreichen, entspricht auch ihr Höhen- und Umfangwachstum. Der australische Eukalyptusbaum erreicht eine Höhe von 156 MeternI Zum Vergleich: Der Kölner Dom ist 151 Meter und das Ulmer Münster 167 Meter hochj Der Mammutbaum wird 142 Meter hoch, unsere Tanne 75 Meter, die Fichte 60 Meter, die Kiefer fast 50 Meter, die Eiche 35 Meter, die Eibe aber „ n u r " 15 Meter. Der Stammdurchmesser beträgt im Höchstfalle bei den Edelkastanien 20 Meter, den Platanen 15 Meter, den Mammutbäumen 11 Meter, den Eichen 7 Meter, den Eiben 5 Meter, den Ulmen und Tannen 2 bis 3 Meter. Das heißt also, eine Kastanie und eine Platane können den Umfang eines Einfamilienhauses haben, und durch einen Mammutbaum könnten wir ein Tor schlagen, durch das ein Lastwagen fahren kann. Welch geheimnisvolle Kräfte sind am Werk, um diesen Riesen Kraft und Bestand zu geben? Wie vollziehen sich Geburt, Wachstum und Tod der belaubten Giganten? Auf den folgenden Seiten wollen wir die Lebensgesetze der Laubbäume unserer Heimat betrachten, von ihrem Äußeren, ihren Erkennungsmerkmalen, ihrer Wesensart und ihren Besonderheiten hören...
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Bei unseren Vorfahren, den Germanen, war die Eiche ein heiliger Baum, dem gewaltigen Donar, dem Gott des Donners und des Blitzes, geweiht. Unter alten Eichen wurde öffentlich Recht gesprochen. In heiligen Eichenhainen walteten die weisen Frauen und Priesterinnen ihres Amtes, und kein Unberufener durfte diese Stätten betreten. Wer sich an den Eichen verging, erlitt einem langen und qualvollen Tod. Heute sind die Eichenhaine in Deutschland zu zählen. Sie starben mit den Auwäldern, die bei der Begradigung der Flüsse und Ströme der Axt zum Opfer fielen. Denn die Eiche, vor allem die Stieleiche, die auch Sommereiche genannt wird, hat es gern feucht und liebt reichen, guten Wurzelgrund. Sie schätzt weder das Hügelland noch die windgekämmten Höhen, sondern die Flußwiesen und die ebenen Tiefländer. Hier bohrt sie ihre starke Pfahlwurzel bis zu 2 Meter tief in die Erde und entwickelt erst ziemlich spät die teils schief abwärts gerichteten, teils ziemlich flachstreichenden Seitenwurzeln, die gleichsam eine unterirdische Krone bilden und mindestens die Weite des Wipfels haben. Trotz des guten Nährbodens wächst die Stieleiche nur langsam. Erst zwischen dem 120. bis 200. Lebensjahr erreicht sie ihre ganze Größe von zwanzig bis fünfunddreißig Metern. In der Jugend ist ihre Rinde grünlichgrau und glänzend, im Alter tiefrissig, dick, graubraun bis schwärzlich. Die starken, gekrümmten, knorrigen Äste laden weit aus und bauen eine tief angesetzte, stockwerkartige, gelockerte Krone auf. Im Durchschnitt wird die Stieleiche 500 bis 600 Jahre alt, in Ausnahmefällen sogar 5
Tausendjährige Eiche
tausend Jahre und weit darüber. Ihr Stammdurchmesser beträgt im Normalfall zwei bis drei Meter. Spät erst beginnt die Eiche zu blühen und zu fruchten. Im geschlossenen Waldverband wird sie erst zwischen dem 70. bis 80. Lebensjahr „ m a n n b a r " , im Freistand oft schon zwanzig Jahre eher. Alle drei bis sieben Jahre trägt sie jetzt reiche Eichelmast. Die männlichen Blutenkätzchen, die sich Ende April oder Anfang Mai öffnen, bilden eigenartige, hängende, hellgrüne Klunkertroddeln, die weiblichen Blüten sind sehr kleine, bräunliche, kugelige Knospengebilde, aus denen ein Büschelchen rötlicher Narben lugt. Die Eicheln sitzen meist einzeln, höchstens zu zweit oder dritt an einem langen Stiel (Stieleiche), wachsen Ende Juni aus ihrem Näpfchen, reifen Ende Oktober und sind durch hellbraune Farbe und grünlichgraue Längsstreifen gekennzeichnet. Die Belaubung erfolgt — gleichzeitig mit der Blüte — immer nur an den äußersten Zweigenden, wo die kurzstieligen und gebuchteten Blätter in dichten Büscheln hervorsprießen. Die Traubeneiche, die man auch Steineiche oder Wintereiche nennt, blüht erst im Mai, hat langgestielte, oberseits glänzend dunkelgrüne Blätter. Sie braucht nicht so guten Nährboden wie ihre Schwester, meidet die Auen und Ebenen und steigt ziemlich hoch in die Mittelgebirge hinauf. Sie erreicht das gleiche Alter und fast die gleiche Höhe und Stärke wie die Stieleiche, hat aber eine hellere, mehr schuppige und nicht so tiefrissige Rinde. Ihr Stamm strebt fast geradlinig bis zur Wipfelspitze empor; die Astkrone ist ganz geschlossen. Die Eicheln sitzen dichtgedrängt und sehr kurzstielig in den Blattachseln und sind kürzer als die der Stieleiche. Das harte, zähe und gerbstoffreiche Eichenholz verwendet man mit Vorliebe im Eisenbahn-, Schiffs-, Brücken- und Möbelbau. Es widersteht selbst im Wasser jahrhundertelang der Fäulnis. Aus den Eicheln, die reich an Stärke, Eiweiß und Fett sind, wird Kraftfutter für Pferde, Kühe und Schweine hergestellt. Geröstet ergeben sie den Eichelkaffee, mit Schokolade- oder Kakaopulver gemischt, den in der Hausmedizin gern benutzten Eichelkakao. Die Industrie stellt aus dem Stärkemehl der Eicheln allerlei Klebemittel her und gewinnt aus ihnen Spiritus. Für die Tiere des Waldes sind die Eicheln ein prachtvolles Mastfutter, das sie für den Winter w i derstandsfähig macht. Die junge Eichenrinde liefert Gerbstoffe. 7
Schon lange ist die Nachfrage nach Eichenholz viel größer als das einheimische Angebot und führte — vor allem nach dem letzten Weltkrieg — zu einem unverantwortlichen Raubbau an den letzten Eichenbeständen. Um dem Eigennutz zu steuern, wurden alle alten Eichen unter Naturschutz gestellt. Der Baum, der mehr als jeder andere in früheren Zeiten unserer Heimat das Gepräge gegeben hat, wird damit hoffentlich vor der gänzlichen Ausrottung bewahrt bleiben.
In den vom Kienspan flackerig erleuchteten Hütten unserer Vorfahren raunte die Sage von der „Weltesche", einem gewaltigen Baum, der das ganze weite All zusammenhalte. Sein rauschender Wipfel reiche hinauf bis zum sonnendurchstrahlten Himmelssaal der Götter, seine Wurzeln durchwüchsen das düstere Reich der Unterwelt, seine Zweige breiteten sich über alle Erdteile und Meere. An seinen drei mächtigen Hauptwurzeln aber liege der ewige Quell des Lebens. Und an diesem Quell säßen drei dunkle Schicksalsgöttinnen, spönnen die Lebensfäden der Menschen und besprengten den Baum mit dem lebenspendenden Wasser. So dachten sich die germanischen Völker den Bau der Welt. Im höchsten Wipfel der Weltesche Iggdrasill sollte sich nach altgermanischer Sage ein Menschenpaar geborgen haben, als die große Sintflut die Erde überschwemmte und der rasende Weltenbrand alles verheerte. Aus dem Eschenholz, das von weißgelber Farbe und überaus
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zäh und doch elastisch ist, schnitten sich unsere Vorväter ihre Bogen und Speere, aus ihm fertigten sie die Scheiben der Wagenräder und die Feuerräder, die sie von den Bergen ins Tal rollen ließen. Die Esche war auch ihr Festbaum, den sie zur Zeit der Wintersonnenwende mit bunten Bändern und Früchten schmückten. Und mächtige Eschenblöcke glimmten Tag und Nacht im Herdfeuer. Die Esche ist ein überaus schöner und prachtvoller Baum, besonders wenn sie frei steht und sich ungehemmt entfalten kann. Dann erreicht sie eine Höhe von gut dreißig Metern, einen Stammdurchmesser von reichlich anderthalb Metern und wird 200 bis 250 Jahre alt. In der Jugend hat sie eine glatte und bräunliche Rinde, im Alter eine rissige, hellgraue Borke. Die starken Äste bauen eine lockere und sehr tief angesetzte Krone auf. Ende April bis Anfang Mai beginnt sie bereits zu blühen. Dann brechen aus ihren knolligen, schwarzbraunen bis schwarzen Knospen die kurzen, dunkelpurpurroten oder violetten Blütenbüschel; man könnte fast sagen, sie „spritzen" hervor und wachsen sich dann allmählich zu hängenden Träubchen aus. Erst nach der Blüte belaubt sich die Esche mit ihren schönen, großen, gefiederten Blättern, die sie von allen anderen Laubbäumen unterscheiden und die sie im Herbst noch grün abwirft. Bei der Esche gibt es also keine herbstliche Laubverfärbung. Die Eschenfrüchte sind kleine, schmale Nüßchen, die alle von der Natur ihren Propeller in Gestalt eines zungenförmigen Flügels mitbekommen, damit sie der Wind weit genug durchs Land wirbeln kann. Sie hängen lange am mütterlichen Baum. Am Liebsten hat es die Esche fußfeucht. Sie gedeiht prächtig in Auwäldern, auf nassen Wiesengründen und an Bachufern. In den Alpen klettert sie mit dem Bergahorn an den Bachrändern und auf den feuchten Matten bis in eine Höhe von 1300 Metern. Aus ihrem Holz werden Sportgeräte hergestellt, wie Skibretter, Schlitten, Schläger, Keulen, Kegelkugeln, Bogen, Barren und Speere. Eschenholz wird auch viel im Waggon- und Brückenbau sowie in der Möbelindustrie und in den Stellmacherwerkstätten verarbeitet. Gar nicht verwandt mit der Esche, aber in den Blättern ihr doch ähnlich, ist die E b e r e s c h e , der besungene „Vogelbeerbaum" 9
der Erzgebirgler. Der Name hat auch nichts mit dem Eber, dem männlichen Schwein, zu tun, sondern entstand aus „Aberesche", was soviel wie falsche Esche bedeutete. Die Eberesche begleitet als Alleebaum vor allem die Straßen in den Mittelgebirgen und steigt im Bergrevier bis über die Waldgrenze hinaus. Sie ist viel zäher und anspruchsloser als ihre große Namensschwester, kommt eigentlich auf jedem Boden fort, sie braucht nur viel Licht und Sauerstoff. Sie wächst auch rascher, wird allerdings meistens nur zehn, höchstens sechzehn Meter hoch und selten älter als achtzig Jahre. Aus ihren großen, dunkelvioletten und filzig behaarten Knospen brechen Ende April die gefiederten Blätter, die zierlicher als die der Esche sind. Im Mai, spätestens im Juni, entfalten sich an den Zweigenden die großen, gewölbten Schirmdolden, die aus zahlreichen, kleinen, weißen, unangenehm riechenden Blüten bestehen. Im Herbst aber verwandeln sich diese aufrecht stehenden Blüten in hängende Fruchtdolden mit leuchtend korallenroten, fast erbsengroßen Beeren. Sie haben gelblichrotes Fleisch, schmecken herb und bitter, enthalten aber viel Zucker, Fruchtsäure und besonders das wertvolle Vitamin C. Die Hausfrauen haben gelernt, das Fleisch der Marmelade aus anderen Früchten beizugeben, den Saft auszupressen und als Vitaminspender auf den Tisch zu bringen. Seit Jahrhunderten schon wird Schnaps aus den Ebereschenbeeren gebrannt. Viel früher als die Menschen sind die Vögel auf den Geschmack dieser wertvollen Früchte gekommen, die Drosseln und alle die geflügelten Wintergäste aus dem hohen Norden, für die im Gezweig der Vogelbeerbäume der Tisch gedeckt ist.
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Ein eindrucksvoller, feierlicher, gründämmernder Dom ist der Buchenwald. Gleich mächtigen Säulen ragen die starken, silbergrauen Stämme empor. Zu einem dichten Gewölbe schließen sich die Wipfel. Nur wenig Licht und Sonne erreicht den mit vergilbtem Laub bedeckten Boden, der deshalb auch arm an Unterholz, an Zwergsträuchern und Büschen ist. Ein rechter Märchenwald ist es, den die Buchen bilden. Nicht umsonst tragen allein in Deutschland über anderthalbtausend Ortschaften den Namen dieses Baumes. Es gibt bei uns zu Lande nur wenige Gebiete ohne Buchenwälder, obwohl viele der Axt zum Opfer gefallen sind und nur wenige wieder angepflanzt werden. Und dabei ist kaum ein anderer Baum so geeignet, uns die Majestät der Waldriesen eindrucksvoll vor Augen zu führen wie die Buche. Schauen wir einmal hinauf in den Wipfel einer hundertjährigen Buche! Lassen wir unseren Blick über den drehrunden und glattborkigen Stamm bis zu den gleich gespannten Muskelträgern ausladenden Ästen gleiten! Ermessen wir staunend den Umfang der breitschattenden Krone, die Tausende und Abertausende grüner Blattspreiten ins Licht hebt! Denken wir daran, daß der Baum diese unzähligen Blätter zu einem riesigen „Lichtfangnetz" zusammenfügt, so daß kein Sonnenstrahl ungenützt bleibt, solange die Sonne über den Himmel rollt! Stellen wir uns vor, wieviele hundert Liter Wasser alltäglich und unaufhörlich durch diesen Pflanzenleib kreisen! Überblicken wir mit dem Auge der Phantasie auch das weitverzweigte Wurzelgeflecht des Baumes im dunklen Erdreich — wie da 11
von der senkrechten Pfahlwurzel aus die hundert flachstreichenden Wurzeln in waagerechter Richtung ausstrahlen, und von jeder dieser hundert Seitenwurzeln wiederum mindestens hundert kleinere Wurzeln abzweigen, wie schließlich von jeder einzelnen dieser zehntausend Nebenwurzeln in sechzehnfacher (!) Folge nochmals hundert und wieder hundert Würzelchen ausgehen 1 Kaum vermag man sich dieses unentwirrbare Geflecht auszudenken und auszumalen. So weit der Wipfel sich breitet, durchziehen die W u r zeln das Erdreich. Und das alles ist gewachsen ganz aus eigener Kraft, im ununterbrochenen Kampf um Licht und Lebensraum, im gnadenlosen Ringen mit den Wettergewalten, mit abertausend Schädlingen, die Wurzel wie Rlatt, Zweige wie Stamm befallen. Dreihundert Jahre alt kann eine Buche werden. Langsam nur wächst sie im Anfang. Im zwanzigsten Lebensjahr erreicht sie knapp eine Höhe von sechs Metern. Im Alter von hundert Jahren aber ist sie 25 bis 30 Meter hoch und hat einen Stammdurchmesser von fast einem Meter. Welch gewaltige Säule 1 Und immer noch ist die Borke glatt und rein, lediglich gezeichnet vom schwärzlichen Regenwasserband, das aus der großen Wipfeltraufe kommt und am Stamm hinunterläuft — oder aber von den Schnitzkünsten törichter Menschen, die da glauben, sich in der Rinde der Bäume mit ihrem Namen verewigen zu müssen. Mit 150 Jahren ist der Stamm meist schon kernfaul, wird der Wipfel dürr. Von ihrem 60. Lebensjahr an blüht und fruchtet die Buche und liefert dann etwa alle fünf bis acht Jahre eine reiche Ölfruchtmast. Die im September oder Oktober aufspringenden, verholzten, gelbbraunen Fruchtbecher haben vier bepelzte Klappen und enthalten zwei dreikantige, glänzend rotbraune Samen, die Bucheckern oder Buchein. Außer am glatten, grauen Stamm erkennen wir die „Rotbuche' leicht an ihren maiengrünen, spitz eiförmigen, schwach gezähnten Blättern, die sich im April bis Mai entfalten und in den ersten Wochen an den Rändern wie an den Rippen der Unterseite seidig behaart sind und im Lichte schimmern. Später verlieren die Blätter diesen haarigen Verdunstungsschutz, bekommen eine glänzend dunkelgrüne Oberseite und eine helle Unterseite. 12
Die Rotbuche liebt kalkreichen Boden und hält nicht viel von nassen Füßen. Im Auwald fühlt sie sich nicht wohl. Dort läßt sie sich lieber von der H a i n b u c h e vertreten, die trotz des gleichen Namens keine Verwandte von ihr ist, sondern der Hasel nahesteht. Auch die Hainbuche lebt gern im geschlossenen Waldverband. Sie hat ebenfalls eine helle, glatte, graue Rinde, die aber im Alter bald längsrissig aufklafft und dann leicht von der Rotbuchenborke zu unterscheiden ist. Ihre Blätter sind deutlich doppelt gesägt, länglich eiförmig und gefaltet. Die Hainbuche wird höchstens 150 Jahre alt und nur 20 Meter hoch. Zu fruchten beginnt sie bereits im zwanzigsten Lebensjahr. Ihre kleinen Nüßchen reifen erst nach dem Laubfall und werden von einem großen, dreizackigen Deckblatt wie von einem eigenen Sonderflugzeug davongetragen. Das sehr harte, gelblichweiße Holz wird gern für Handwerkszeuge, Holzschuhe, Holzleisten, Holznägel und Holzschrauben verwendet. Die Rotbuche dagegen liefert uns Holzpflaster, Treppenstufen, Eisenbahnschwellen, Brückenbelag, gute Möbelbretter und Zellwolle.
Der einzige Baum unserer Heimat, der es wie die tropische Mangrove fertigbringt, gleichsam auf Wurzelstelzen ins Wasser zu steigen, ist die Schwarzerle, überall dort, wo sich die von den Wasserpflanzen dicht durchwachsenen Teiche und Seen in Gras-
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moore verwandeln, stellt sie sich ein, strebt rank und schlank empor und festigt den schwankenden Grund. So siegreich ist ihr Vordringen, daß die von ihr besiedelten Flachmoore in wenigen Jahren großen Buschwäldern gleichen und sich in dichte Erlenbrüche verwandeln. In diesen Brüchen vermögen bald auch Weiden, Moorbirken und Moorkiefern zu leben. Haben die Neulinge Fuß gefaßt, hat die Schwarzerle ihre Aufgabe bereits erfüllt, erstickt in der starken Torfschicht und kehrt wieder zu ihrer angestammten Lebensstätte, zu den Bächen und Flüssen, zurück. Hier steht sie dicht an den Ufern, denn sie liebt die Nässe und das rieselnde Wasser, braucht den tiefgründigen, mineralreichen und immerfeuchten Boden. Es gibt kaum einen Bach und kaum einen Fluß, den sie nicht begleitet, vorausgesetzt, daß der Wasserlauf nicht künstlich befestigte und begradigte Ufer hat. Und sie ist auch nicht leicht zu verdrängen, selbst wenn sie gefällt oder zurückgeschnitten wird. Ihre Stümpfe schlagen immer wieder aus, und ihre Ruten bilden dichte Büsche. Die Schwarzerle wächst sehr schnell, ist mit zwanzig Jahren schon 20 bis 25 Meter hoch, kann eine Höhe von 33 Metern und ein Alter von 100 Jahren erreichen. Der schlanke Stamm — meist nicht stärker als einen halben Meter — verläuft geradlinig bis zur höchsten Spitze des Wipfels. Die schwachen Äste strahlen in ziemlich großen Abständen aus und bilden eine längliche bis pyramidenförmige, lichte und lockere Krone. Der Stamm ist in der Jugend dunkelschokoladebraun und bekommt im Alter eine schwarzbraune Borke. Zu blühen und zu fruchten beginnt die Schwarzerle bereits zwischen dem 12. bis 20. Lebensjahr. Ihre langgestielten Kätzchen legt sie schon im Sommer an, läßt sie überwintern und streckt sie im zeitigen Frühjahr, im Monat März, noch vor dem Laubausbruch. Dann spreizen sich die violettbraunen Deckschuppen, quellen die goldgelben Staubbeutel und die roten Narben hervor, und der Wind besorgt die Befruchtung. Im April entfalten sich die wechselständigen, verkehrt eiförmigen, grob doppelgezähnten, oberseits glänzend dunkelgrünen, unterseits helleren Blätter, die in ihren Nervenwinkeln zarte, rostfarbige Bärtchen tragen. Und bald entwickeln sich die eiförmigen, zuerst graugrünen und etwas klebrigen, später dunkelbraunen und
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verholzenden Fruchtzäpfchen mit den glänzendbraunen, flachen und rundlichen oder fünfeckigen Samennüßclien, die nur sehr schmale Flügelränder haben. Der Same reift im September bis Oktober, fliegt manchmal schon im Spätherbst aus, bleibt aber meist bis zum Februar oder März am Baum und keimt dann bereits nach vier bis sechs Wochen. Die entleerten, schwarzen und holzigen Fruchtzäpfchen bleiben noch bis zum Sommer an den Zweigen und machen es uns sehr leicht, die Schwarzerle einwandfrei zu bestimmen. Ihr Holz, das sich an der Luft schnell gelbrot verfärbt und dunkle Zonen aufweist, ist nicht viel wert, ist zu weich, brennt schlecht, bleibt aber im Wasser geradezu unbegrenzt haltbar und wird deshalb gern bei Wasserbauten und als Grubenholz verwendet. Die durstige Schwarzerle hat eine „trockene" Schwester: die kleinere und zartere W e i ß - oder G r a u e r l e . Im Gegensatz zu der Schwarzerle siedelt sich die Schwester lieber auf flachgründigen und steinigen Hängen an und fühlt sich auf allen Ödländern wohl. Dem kargen Grund entsprechend ist ihr Stamm häufig krumm; sie hat einen sogenannten Spannrücken, bleibt selbst klein und wird nur selten über 50 Jahre alt. Ihre Rinde ist zuerst graubraun, später glänzend silbergrau und verwandelt sich nicht in eine starke Borke. Die Weiß- oder Grauerle blüht oft schon im Februar, hat unterseits graugrüne und filzig behaarte Blätter und trägt kleinere Fruchtzäpfchen mit größeren Samennüßchen. Die dritte im Bunde ist die hoch in die Berge kletternde G r ü n e r 1 e, die Nachbarin der Latsche oder Legföhre, die sich vor Sturm und Wetter tief auf den Boden duckt und mit einem höchstens prügelholzstarken Stamm aufwarten kann. Sie wird meistens nur ein Strauch von 25 bis 50 Zentimeter Höhe, kann günstigstenfalls auch einmal bis drei Meter hoch werden, hat in der J u gend kleine, klebrige Blätter und blüht erst im Mai bis Juni. Sie liebt die feuchten und schattigen Nordhänge der höchsten Berge und bildet hier ein wichtiges Schutzgehölz gegen Steinschläge und Lawinen.
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Birken im Sonnenlicht
Schon immer ist den Menschen die schöne und helle, die feine und beseelte Birke mit ihrem leuchtendweißen und seidigglänzenden Stamm, ihren hellgrünen und glänzenden Blättern als der Bote des Lichts, des Frühlings und der wiedererwachenden Lebenskraft erschienen. Als schlanker Maibaum wandert sie um Pfingsten in die Dörfer und Städte, schmückt die Häuser, die Kirchen und verschönt die fröhlichen Sitten und Gebräuche, die sich um die Frühlingsfeste ranken. Seit Jahrtausenden lebt die alte Sage, daß die letzte große Schlacht, der Entscheidungskampf zwischen Abend und Morgen, unter einem alten Birkenbaum ausgefochten werde. Wenn das Geklirr der Waffen verstumme, bräche das goldene Zeitalter des ewigen Friedens an. Ebenso alt ist der Glaube, daß man die Krankheiten, an denen man leidet, auf eine Birke übertragen und sich auf diese Weise von ihnen befreien kann. Die Birkenrute gilt im Volksglauben als Lebensrute, sie bringt Segen und Gesundheit ins Haus. Man meint, daß viele starke und wundersame Heilkräfte in der Birke verborgen sind. Ihr Saft, wie ihre Rinde, ihre Knospen, wie ihre Blätter sollen viele schwere Erkrankungen, wie Gicht und Rheuma, Krätze und Ausschlag, Nierenleiden und Wassersucht günstig beeinflussen. Köstlich mundet der Birkenwein aus dem frischen Saft der angezapften Bäume; Birkensaft stärkt auch die Haarwurzeln und — oavon sind viele Mädchen auf dem Lande überzeugt — vertreibt die häßlichen Sommersprossen. Aber immer 17
daran denken: Das unbefugte Anzapfen von Birkenbäumen wird als Baumfrevel bestraft! Als Baum ist die Birke die Anspruchslosigkeit selbst. Jeder Boden ist ihr recht, der sandige und trockene, wie der moorige und stickige, wenn sie nur ihre Zweige und Blätter ins Sonnenlicht strecken kann. Sie besiedelt die armselige, dürre Heide wie das schwankende, düstere Moor, dringt im Norden bis nach Grönland vor und ist auf Island überhaupt der einzige Baum. Ihre schönste Gestalt erreicht sie in der uns allen wohlbekannten H ä n g e b i r k e , die auch Weißbirke oder Gemeine Birke genannt wird. Sie bevorzugt die trockenen und sandigen Standorte. In der Jugend, in der sie nur langsam wächst, hat sie einen schlanken Stamm mit einer weißen, dünnen Korkrinde, die sich leicht schilfert und in Bändern löst. Es ist allerdings streng verboten, junge Birkenstämme um der Rinde willen zu schälen! Im Alter bekommt sie eine tiefrissige, schwarze Borke. Der Stamm geht geradsehäftig bis zur höchsten Wipfelspitze hinauf. Die dünnen und biegsamen, im Winde wehenden Zweige hängen stark durch. Sie tragen lang zugespitzte, klebrig-glänzende und balsamisch duftende Blätter von einem im Frühling und Frühsommer wahrhaft festlich leuchtenden Maiengrün. Schon Ende März beginnt sich die Birke zu belauben und gleichzeitig auch zu blühen. Die männlichen Kätzchen erinnern an die hängenden Troddeln der Haseln und Erlen, werden auch im Sommer gebildet, überwintern und strecken und dehnen sich im Frühjahr mächtig. Die bräunlichen Deckschuppen spreizen sich, und der Wind nimmt den staubartigen Samen mit auf die Reise durch die Wälder und Auen. Schon im Juni reifen die Fruchtzapfen, zerfallen bis zum August, und die Samen schweben als beidseitig geflügelte Nüßchen davon. Sie keimen schon nach zwei bis drei Wochen, nehmen mit dem geringsten Krümchen Erde vorlieb und entfalten sich unbekümmert auf Mauern und Türmen, Ruinen und Felsen. Zum erstenmal blüht die Birke zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr. Mit 50 bis 60 Jahren hat sie bereits ihre größte Höhe von 25 bis 28 Metern erreicht. Ganz selten nur wird sie älter als 100 bis 150 Jahre. Das gilt auch für ihre etwas widerborstige Schwester, die B e 18
s e n b i r k e , die es gern feucht hat, in Sümpfen und Mooren, Brüchen und Auwäldern siedelt und nicht so anmutig wie die Hängebirke ihre Zweige im Winde wiegt. Das kommt vor allem wohl daher, weil sie ihre Äste nicht durchhängen läßt, sondern sie steif und besenartig in die Luft streckt. Aus dem guten und harten Birkenholz werden wertvolle Möbel angefertigt, Holzlöffel, Holzschuhe und Gewehrschäfte geschnitzt, Holznägel für die Schuhmacher gestanzt. Mit dem Gerbstoff der Kinde wird das feine Juchtenleder bearbeitet. Die Reiser aber liefern die widerstandsfähigen Besen, mit denen die Hausfrau Haus und Hof kehrt. Die Birke wird uns also recht nützlich, obwohl sich kein Mensch um ihr Fortkommen kümmern und sorgen muß. Noch nie brauchten in unseren Wäldern die Birken gesät oder gepflanzt zu werden. Sie sind so fruchtbar und lebenstüchtig, daß sie ganz allein durchkommen.
In Schinsheim in Rheinhessen steht eine Ulme, deren Stamm einen Umfang von fünfzehneinhalb Metern hat. Das heißt, daß diesen Stamm sechzehn Schulkinder gerade umspannen können. Diese Ulme, die man das „Rathaus von Schinsheim" nennt, ist der stärkste Baum in Deutschland und soll über tausend Jahre alt sein. Ob das Alter stimmt, mag dahingestellt sein. Aber etliche hundert Jahre alt können die Ulmen schon werden, vor allem die F c l d u l m e n , und dazu über dreißig Meter hoch. 19
Die vielhundertjährige Ulme
Es sind mächtige Bäume, die man zuverlässig an den immer sehr tief angesetzten Kronen, die fast den ganzen starken Stamm von unten her bis zum Wipfel bedecken, zu erkennen vermag. Die Kronen sind licht und locker, viel feingliedriger als die der Buchen und Eichen. Bei näherer Betrachtung schwindet jeder Zweifel,.denn die Blätter der Ulmen haben auffallend ungleiche Hälften, von denen die eine größer un.l tiefer angesetzt ist als die andere. Die Feldulme, die auch Rotulme, Rüster oder Rüsche genannt wird, wurde früher besonders gern als Alleebaum angepflanzt, bildete dort wundervolle, grüne Säulengänge, die heute hier und da noch zu alten Schlössern und großen Landgütern führen. Die Feldulme wächst nämlich recht schnell, ist mit fünfzig Jahren schon dreißig Meter hoch und mehr als zwei Meter stark. Allerdings ist sie auch einer unserer anspruchsvollsten Bäume, verlangt einen guten, tiefgründigen Boden, mildes Klima, viel Wärme und Luftfeuchtigkeit. Und das ist wohl auch der tiefere Grund dafür, daß sie heute gar nicht mehr so recht gesund ist, sich bei uns einfach nicht mehr wohlfühlt, vorzeitig wipfeldürr wird und so leicht von der Ulmenkrankheit dahingerafft wird. Es ist viel über das große „Ulmensterben" geschrieben, gesprochen und gerätselt worden, bis es gelang, in einem vom Ulmen-Splintkäfer übertragenen Schlauchpilz den Urheber der Krankheit zu entdecken. Vielleicht ist die Ulme aber auch müde, glattweg lebensmüde und der Krankheit aufgeschlossen, weil ihre Zeit auf Erden abgelaufen ist. Denn die Ulme ist ein uralter Laubbaum, der schon grünte, als es in unseren Landstrichen noch Feigen-, Zimt- und Kampferbäume gab, als sich bei uns noch Palmen wiegten und die Mimose das Heidekraut vertrat. Zeitig im März beginnt die Ulme zu blühen. Als dichte, kugelige Büschel brechen die rötlichen Blüten aus den schwarzen, noch unbelaubten Zweigen, werden vom Winde bestäubt und reifen bereits im Mai-Juni za rötlichen Nüßchen heran. Jede kleine Samennuß liegt in der Mitte eines sie allseitig umfassenden häutigen Flügels, mit dessen Hilfe sie weit davonzufliegen vermag. Hunderttausende und Millionen dieser Samennüßchen schickt die Ulme alle zwei Jahre auf die Reise, aber nur verschwindend wenige finden den guten Grund, den sie brauchen, um fortzukommen. Die Feldulme erkennt man an der längsfurchigen, dunkelgrau21
braunen Borke, die in rechteckige Stücke aufreißt und an die Borke der Eiche erinnert. Die Borke der F l a t t e r u l m e ist dagegen längst nicht so dick, mehr graubraun, längsrissig und blättert in flachen und gekrümmten Schuppen ab. Außerdem unterscheidet sich die Flatterulme von der Feldulme wie von der B e r g u 1 m e dadurch, daß ihre Blüten und Früchte langgestielt sind und im Winde flattern. Die Feldulme und noch mehr die Flatterulme sind Flachlandbewohner und fehlen oft bereits schon im hügeligen Mittelgebirge. Bescheidener als ihre empfindsame Schwester ist die Flatterulme, die wir deshalb auch oft in dichtverwachsenen Auwäldern antreffen. Dafür ist ihr lichtbraunes Holz aber auch viel geringwertiger als das Holz der Feldulme, das ungewöhnlich fest, zäh, schwer und dazu noch sehr schön gemasert ist. Feldulmenholz wird von der Möbelindustrie hoch bezahlt. Die Stellmacher verwenden es gern für Wagenspeichen. Ein Kind des Bergwaldes ist die Bergulme, Weißulme oder Weißrüster. Bis zu einer Höhe von 1300 Metern steigt sie in den Alpen empor, ist in allen unseren Mittelgebirgen zu Hause. Es ist gar nicht so leicht, sie von der Feldulme rein äußerlich zu unterscheiden. Wir müssen schon die Blätter vergleichen, die bei ihr ein wenig größer, etwas rauher auf der Oberseite und behaarter auf der Unterseite sind. Auch die Früchte sind größer als bei den anderen Ulmen. Das Holz der Bergulme ist ebenfalls bei der Möbelindustrie wegen seiner schönen Maserung begehrt; es hat keinen schokoladebraunen, sondern einen blaßbraunen Kern. In den Bergen ist die Ulme noch verhältnismäßig gesund und wird weniger von der Ulmenkrankheit befallen wie in der Ebene. Ein Hinweis dafür, daß wahrscheinlich doch die mindere Güte unserer heute überbeanspruchten Ackerböden für das Ulmensterben mitverantwortlich zu machen ist.
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Frei will der Ahorn stehen, frei im freien Feld oder auf grüner Bergmatte, will seinen Wipfel rundum im Lichte baden. Im Wald fühlt er sich nicht wohl und entfaltet sich dort kaum einmal zu seiner ganzen Größe und Schönheit. Er selbst rückt auch von sich aus nie zu Wäldern zusammen. Wer hat sich nicht als Kind vergnügt seine klebrigen, geflügelten Früchte als grüne Hörner auf die Nase gepappt? Die meisten kennen ihn also im Grunde, kennen ihn wie die Kastanie und die Fichte, aber sie vergessen ihn später wieder. Und seltsam, es kündet kein Lied von ihm, keine Sage und kein Märchen. Nie ist der Ahorn gleichsam volkstümlich gewesen. Wie überhaupt die Menschen seit langem keinen rechten Sinn mehr für Bäume haben, gar nicht mehr spüren und erfühlen, welch großartige Lebewesen diese berindeten Gesellen sind. Wer einmal eine Wanderung in die Alpen macht, wird dem Ahorn bald begegnen. Er wird auf Bergwiesen, Almweiden und Alpenmatten vereinzelte Bäume sehen, groß und stark wie die Eichen, zwei bis drei Meter dick, mit dichter, gewaltiger und tief angesetzter Krone, die sich in harmonischer Geschlossenheit verjüngt. Das ist der Bergahorn! Und kaum ein anderer Baum paßt so harmonisch in die großartige Bergwelt, wirkt so hoheitsvoll, so majestätisch, so erhaben. Zu erkennen ist er ganz leicht an dem dicken Moospolster, das den Stamm auf der Wetterseite bis zum Wipfel bedeckt, an der 23
dünnen Borke, die in hellbraunen Schuppen abblättert und an der freigelegten, weißgrauen Rinde. Lustig gescheckt erscheint der ganze Stamm. Seine Blätter sind gegenständig, ziemlich lang gestielt, oberseits glänzend dunkelgrün, unterseits graugrün und an den Nervenwinkeln weiß beflaumt. Die fünf grobgesägten und spitzen Lappen des Blattes sind unregelmäßig durch tiefe und flache Einschnitte getrennt. Erst nach der Belaubung brechen die kleinen, grüngelben Blüten auf, bilden hängende Trauben und werden eifrig von Bienen, Hummeln und Fliegen besucht. Dann summt und brummt der ganze Baum den lieben, langen Tag. Noch schöner ist dieses Blütenfest beim S p i t z a h o r n , der schon erblüht, noch bevor er sich belaubt. Bei ihm, den wir besonders oft in den Mittelgebirgen antreffen, stehen die etwas größeren Blüten in aufrechten Sträußen beieinander, schimmern wie eitel Gold in der Sonne, und es schwirrt, blitzt und funkelt nur so in seiner Krone von den schwirrenden Flügeln der bestäubenden Insekten. Ganz so mächtig und kraftvoll wie der Bergahorn ist der Spitzahorn allerdings nicht, wird auch nicht einige hundert Jahre alt wie jener, sondern höchstens 150 Jahre. Seine Borke ist schwärzlich und längsrissig, sie blättert nicht ab. Die Blätter sind ebenfalls fünffach gelappt und erinnern mit ihren langausgezogenen Spitzen an die Blätter der Platane. Wenn wir sie abbrechen, tritt weißer Milchsaft hervor. An diesem Merkzeichen können wir, ganz abgesehen vom Standort, den Spitzahorn gut von seinem größeren Bruder unterscheiden. Vor allem stehen sich seine Früchte nicht in einem so scharfen Winkel gegenüber wie die des Bergahorns und sind deutlich voneinander getrennt. Sie gleichen eher den Früchten des F e l d a h o r n s , die Rücken an Rücken beieinander stehen und rötliche Flügel haben. Dieser Feldahorn, der dritte im Bunde, ist zugleich der bescheidenste und anpassungsfähigste. So hoch hinaus wie seine Brüder will er nicht, klettert weniger in die Berge, fühlt sich in der Ebene wohl, fügt sich in die Waldverbände und begnügt sich mit recht mageren Böden. So ganz geheuer ist es ihm als echtem Sproß der Ahornfamilie 24
allerdings im Wald nicht. Er erreicht dort kaum mehr als zehn Meter Höhe oder bleibt gar nur ein großer Busch. Im freien Feld und an der Landstraße aber zeigt er, was in ihm steckt, entfaltet sich großartig, wird doppelt so hoch und mächtig im Stamm.. Wir erkennen ihn schnell an seiner hellgraubraunen, netzartig aufgerissenen, korkreichen Borke, seinen kleineren, handförmig gelappten, unterseits weich behaarten Blättern und den ebenfalls kleineren, zuerst aufrechten, dann leicht überhängenden Blütensträußen. Vergessen sei auch nicht der nordamerikanische Z u c k e r a h o r n , den wir sehr oft in unseren Parkanlagen sehen können. Im Frühjahr fällt er durch seine lebhaft roten Blätter und roten Blüten auf. Sein Saft liefert guten Zucker. Die Stämme werden im Frühjahr angebohrt, ohne daß der Baum dabei Schaden leidet. Fünf bis sechs Pfund Zucker lassen sich von jedem Baum gewinnen. Das beste Holz liefert der B e r g a h o r n. Es ist astrein, hart und glänzt wie Seide. Schnitzer, Drechsler und Instrumentenbauer ziehen es dem etwas gröberen Holz des Spitzahorns vor. Das Holz des Feldahorns aber ist begehrt wegen seiner besonders schönen Maserung. Im allgemeinen wird das Ahornholz, ganz gleich welcher Art, für gute Möbel und Parkettböden geschätzt. Es ist auch hervorragend für feine Laubsägearbeiten geeignet.
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i e die Schwarzerlen den Bach, so begleiten die Pappeln dit Flüsse. Denn auch sie lieben die Feuchtigkeit, brauchen einen nährstoffreichen, tiefgründigen Humusboden, wachsea ebenfalls sehr schnell und erreichen bedeutende Höhen schon in jungen Jahren. 25
Von unseren einheimischen Pappeln wissen seltsamerweise die meisten Menschen so gut wie gar nichts. Viel bekannter ist ihnen die schmale und gleichsam engbrüstige, die aus dem Orient stammende Pyramidenpappel, die vor allem Napoleon I. gern an markante Landschaftspunkte und längs der großen Überlandstraßen setzte, um seinen Soldaten gute Landmarken zu verschaffen. In den staubigen Ebenen und auf den Höhenzügen kämpft sie schwer um ihr Leben, bekommt bald eine dürre Spitze, verkümmert an der Windseite, treibt tief angesetzte Manschetten und schwenkt zuletzt nur noch eine traurige Wipfelfahne. In den Flußauen dagegen gedeiht sie großartig, kann einen Meter dick, über 30 Meter hoch und etliche hundert Jahre alt werden. Sie blüht bereits im März bis April, noch vor dem Laubaustrieb. Ihre Blätter ähneln sehr denen unserer heimischen Schwarzpappel. Im Gegensatz zu der südlichen Pyramidenpappel baut die S c h w a r z p a p p e l — wie auch alle anderen einheimischen Pappeln — eine sehr lockere und breite Krone aus kräftigen Ästen auf und stützt ihren starken Stamm mit hohen Tafel- und Plankenwurzeln. In der Erde streichen ihre Wurzeln dagegen ziemlich flach, sie vermögen dem großen Baum kaum genügend Halt zu verleihen. In ihrer Jugend erkennen wir die Schwarzpappel leicht an der grauweißen Rinde, im Alter an der tiefgefurchten, längsrissigen und schwarzbräunlichen Borke, die an die Eichenborke erinnert. Mit 40 bis 50 Jahren hat sie eine Höhe von 20 bis 30 Metern erreicht, verdickt dann ihren Stamm bis auf einen Durchmesser von 2 Metern und kann gut 300 bis 400 Jahre alt werden. Im April, noch bevor sie sich belaubt, beginnt sie zu blühen. Dann tragen die männlichen Bäume — alle unsere Pappeln sind getrenntgeschlechtlich — dickwalzige Kätzchen mit leuchtendroten Staubbeuteln, die weiblichen Bäume beträchtlich schlankere und grüngelbliche Kätzchen. Der Same reift im Juni und fliegt mit Hilfe seidigweißer Haarschöpfchen wie Schneeflocken davon. Die langgestielten Blätter sind fast dreieckig, oberseits dunkelgrün, unterseits mattgrün. Fast die gleiche Höhe und Stärke, Rinde und Borke, Blüte- und Fruchtzeit wie die Schwarzpappel hat ihre Schwester, die S i 1 b e rp a p p e l , die sich ihr oft zugesellt, sich aber auch im Moor- und 26
im Sandboden recht wohl fühlt. Wir können sie schnell und einwandfrei an ihren handförmig gelappten, efeuähnlichen, oberseits dunkelgrünen, unterseits weißfilzigen Blättern von der Schwarzpappel unterscheiden. Noch anspruchsloser ist die Dritte der Familie, die Z i t t e r p a p p e l oder E s p e , die sich überall anzupassen vermag, als echte Pappel jedoch am liebsten im frischen und feuchten Boden steht. Zierlicher als ihre Schwestern, wird sie nicht älter als 150 Jahre, schließt ihr Wachstum bereits mit dem 60. Lebensjahr ab und ist dann bald kernfaul. Schon von weitem verrät sie sich durch das immerwährende Zittern und Flattern ihrer fast kreisrunden, oberseits dunkelgrünen, unterseits hellgrünen, ungewöhnlich lang und flach bestielten Blätter. Der geringste Windhauch läßt den ganzen Wipfel erbeben und sich beleben, ja, oft zittern ihre Blätter, ohne daß ein Lüftchen weht. Man nimmt an, daß sich dieser Baum in seinen beweglichen Blättern eine Art von Ventilator geschaffen hat, der sofort in Tätigkeit tritt, wenn es ihm zu schwül ist, das heißt, wenn er seine Verdunstung steigern will. Noch ein anderes Lebenswunder offenbart die Zitterpappel: sie hält sich eine Ameisenschutztruppe I Im Frühjahr nämlich entwickelt sie die ersten Blätter an den Zweigen durchaus nicht langgestielt und flattrig, sondern recht festsitzend und versieht sie mit zahlreichen Honigdrüsen. Dieser Honig lockt die immer auf Süßigkeiten versessenen Ameisen auf die Zweige, verführt sie zum fleißigen Zechen und läßt sie wütend die Raupen und Käfer vertreiben, die ebenso versessen auf junge Pappelblätter sind. So kann es der Zitterpappel nie geschehen, daß sie schon den ersten Laubaustrieb verliert, selbst wenn das Jahr sehr insektenreich ist und ihre Nachbarn gefährlich zerfressen werden. Da wir in den Kriegs- und Nachkriegsjahren schwere Verluste an unserem Holzbestand erlitten haben, wird der Anbau tfer schnellwüchsigen Pappeln heute sehr gefördert. Ihr Holz ist zwar leicht und weich, wird jedoch von der Papier- wie von der Möbelindustrie gern verwendet und läßt sich sehr gut schnitzen.
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Die einheimischen Weidenarten zu kennen und auseinanderzuhalten, ist gar nicht einfach. Da gibt es, um nur einige zu nennen: Bruchweiden, Silberweiden, Mandelweiden, Lorbeerweiden, Purpurweiden, Grauweiden, Reifweiden, Korbweiden, Salweiden, Aschweiden, Ohrweiden, Schwarzweiden und Kriechweiden. Aber alle zusammen unterscheiden sich von unseren anderen Laubbäumen durch den oft nur strauchartigen Wuchs, die häufig besenförmige Krone, die dünnen, rutenförmigen Zweige und die kurzgestielten, ungeteilten, meist schmalen und lanzettförmigen, unterseits graugrünen Blätter. Eine Weidenart kennt wohl jeder — die Sal- oder Palmweide. Zumindest kennt man ihre zuerst silberweißen und dann goldenen Blütenkätzchen, die schon Anfang März aus den braunen Knospenkapuzen lugen und den nahenden Lenz verkünden. Der Lockung können die frühlingssüchtigen Menschen einfach nicht widerstehen, sie müssen sich ein Sträußchen dieser Blütenzweige mit nach Hause nehmen. Es sollte jeder wissen, daß er damit ein Unrecht begeht, denn die Palmkätzchen stehen unter Naturschutz, weil sie die erste ergiebige Nektar- und Pollenweide der Honigbienen sind. Daran sollten wir denken, wenn uns im Frühjahr der Spaziergang an einem blühenden Weidenbusch vorüberführt. Die arme Salweide wird trotz aller Ermahnungen und Hinweise jedes Jahr weidlich geplündert, und den Bienen, wie den anderen Frühaufstehern unter den Insekten, den Hummeln und Wespen, Schmetterlingen und Fliegen, bleibt nicht viel, um ihren Hunger und Durst stillen zu können. Vor allem bringen wir uns selbst mit 28
diesem Zweigraub um ein wunderschönes Erlebnis, nämlich um den Anblick einer vollerblühten, im Sonnenlicht wie mit Gold überstäubten Weide, in der es von Insekten derartig wimmelt und kribbelt, summt und schwirrt, daß der ganze Strauch oder Baum wie eine Frühlingsorgel ertönt. Zudem verderben wir es gründlich mit den Flechtern und Korbmachern, für die die Weidenruten bares Geld sind. Kein anderer Baumzweig ist so biegsam und läßt sich so vielseitig verwenden wie der Weidenzweig. Deshalb werden schon seit langem große Weidenkulturen angepflanzt — vor allem von Korbweiden, Purpurweiden, Silberweiden und Bruchweiden — denn der Bedarf an diesem Material steigt unaufhörlich. Weidenzweige spielen eine beachtliche wirtschaftliche Rolle, während das weiche und schwammige Weidenholz nur wenig gefragt ist. Die Weiden sind fortschrittliche Bäume, die von der „altmodischen" Windbestäubung zur „modernen" Insektenbestäubung übergegangen sind. Gleich den Pappeln sind sie zweihäusig, d. h. es gibt männliche und weibliche Bäume. Die männlichen Bäume tragen ovale, höchstens 3 cm lange und 2 cm dicke Kätzchen, aus denen dichtgedrängt die leuchtendgelben Staubgefäße ragen, die weiblichen Bäume dagegen bis zu 6 cm lange und nur 16 mm dicke Kätzchen mit locker und licht beieinandersitzenden Narben. Verhältnismäßig stattliche Bäume bilden hin und wieder die S a 1-, B r u c h - und S i 1 b'e r w e i d e n. Sie wachsen sehr rasch, können eine Höhe von 10 bis 24 Metern und eine Stärke von einem Meter erreichen. Älter als 60 Jahre werden sie nur selten, dm Höchstfalle 150 Jahre. Dann sind sie aber schon lange kernfaul, morsch, tief geborsten, fast hohl, und man wundert sich, daß sie immer noch grünen und blühen. Mittlere bis große Sträucher treiben die M a n de 1 w e i d e , L o r beerweide, P u r p u r weide, Grauweide, K o r b w e i d e , und A s c h w e i d e . An der kleineren Buschform erkennt man die O h r - und die S c h w a r z w e i d e . Zur Erde geduckt ist die K r i e c h - oder M o o r w e i d e . Einen besonders schönen Anblick bietet die rotblühende P u r p u r w e i d e mit den jungen, roten Zweigen, die außerordentlich lang, dünn und zäh sind. Wir können die Sträucher, die vorwiegend in den Alpen zu Hause sind und dort die Bäche und Flüsse 29
säumen, oft auch als Ziergehölz in den Parkanlagen und Gärten finden. Alle Weidenarten siedeln gern in nächster Nachbarschaft der Erlen und Pappeln, also in sehr feuchtem, oft sumpfigem und moorigem Grund. Es gibt wohl nur selten einen Bach oder Fluß, Teich oder See, dessen Ufer ganz ohne Weiden sind. Oft bilden sie schier undurchdringliche Buschwälder und festigen mit ihren sehr weit streichenden Wurzeln die Ufer und Dämme. Da die Weiden alle recht zäh und frosthart sind, steigen sie auch hoch in die Berge und wagen sich bis nach Spitzbergen und Grönland hinauf. Dort treiben sie dann freilich nur noch winzige Zwergsträucher. Die Weiden sind fast ausschließlich auf die nördliche Halbkugel beschränkt. Nur die T r a u e r w e i d e mit den tief herabhängenden Zweigen, die wir von den Parkteichen her kennen, ist ein Gast aus China und Japan, der durch Vermittlung der Länder des Nahen Ostens zu uns gekommen ist.
Am da Ich so
Brunnen vor dem Tore, steht ein Lindenbaum. träumt in seinem Schatten manchen liehen Traum . . .
Das ganze Dorf erfüllt die blühende Linde mit ihrem honigsüßen Duft. Von weither kommen die Bienen und Hummeln, um in den hellgelblichen Blütensträußchen zu wühlen. Zu Tausenden 30
und aber Tausenden summen und brummen sie durch die breit ausladenden Äste und Zweige der gewaltigen Krone und lassen sie gleich einer mächtigen Sommerharfe ertönen. Unübertrefflich hell und fein und mild ist der Lindenblütenhonig, und wundertätige Heilkräfte birgt der schweißtreibende und nervenstärkende Lindenblütentee. Ja, schon der Anblick des Baumes hat den Menschen von altersher Ruhe und Frieden und das starke Gefühl der Geborgenheit geschenkt. Wie er mit seinem mächtigen, runzligen, schwarzgrauen Stamm, mit seiner niedrig angesetzten, stockwerkartig aufgebauten, sich im Wipfel nochmals erhöhenden Krone sich hoch über die Bauernhäuser reckt und fast die äußerste Spitze des Kirchturms erreicht, ist er das Urbild gesammelter und geschlossener, geballter und ruhiger Kraft. Die Germanen waren fest davon überzeugt, daß die Linde gefeit vor jedem Blitzstrahl sei. Sie weihten den Baum der gütigen Freya, der Göttin des häuslichen Herdes, und pflanzten ihn mitten in den großen Hofraum. Noch heute ist kaum ein Dorf ohne Lindenbaum. Besonders in den südlichen Gauen Deutschlands finden wir Dorflinden, die ein Alter von sechshundert, siebenhundert und sogar tausend Jahren haben. Wohl ist ihr Stamm, der einen Umfang bis zu zwölf und fünfzehn Metern erreichen kann, dann meist schon tief geborsten, oft ganz und gar ausgefault; nicht selten muß er mit eisernen Bändern zusammengehalten werden, aber immer noch ist derWipfel grün, und immer noch blühen und fruchten die altehrwürdigen Riesen. Es ist vor allem die S o m m e r l i n d e , die dieses hohe Alter und diese machtvolle Gestalt erreicht. Sie verlangt aber auch einen tiefgründigen, nährstoffreichen und feuchten Boden, wenn sie richtig gedeihen soll. Dann blüht sie bereits mit dreißig Jahren, im Freistand oft sogar noch eher. Die einzelnen Blüten sind zu dritt und zu fünft zu kleinen, hübschen Sträußchen vereinigt. Ende Juni, Anfang Juli — rund vierzehn Tage vor dem Erblühen der Winterlinde — befreien sich die dreißig bis fünfzig, im Grunde gebündelten, goldgelben Staubgefäße aus den grünen Hüllblättern. Der Stiel des Blütenstandes trägt ein langes, schmales, häutiges Flügelblatt, das später stark 31
eintrocknet und zum weittragenden Flugpropeller der weichen Fruchtnüßchen wird. Die Blätter entfalten sich bereits Ende April, sind rundlichherzförmig, beiderseits fein behaart, oberseits lebhaft grün, unterseits merklich heller, und tragen in den Aderwinkeln kleine, weißliche Barte. Die W i n t e r l i n d e — die nicht ganz so alt und mächtig wie ihre Schwester wird - hat kleinere, breit-herzförmige Blätter, die oberseits schön sattgrün, unterseits matt blaugrün sind. Die Bärtchen in den Nervenwinkeln ihrer Blätter sind rotbraun und beherbergen winzige Milbentierchen, die als kleine Pflanzenschutztruppe die Blätter nach Pilzsporen und allerlei anderen Blattschmarotzern absuchen. Die Blütenstände der Winterlinde sind üppiger und voller. Die Rinde aber ist im Gegensatz zu derjenigen der Sommerlinde in der Jugend glatt, angenehm braun getönt und dunkelt im Alter zu einer netzförmig aufgerissenen und eigenartigen Borke ein. Das fast durchweg gelblichweiße, kernlose Holz der Winterlinde ist das beste Schnitzholz, ein wundersam beseelter Werkstoff, den die großen mittelalterlichen Bildschnitzer, wie der begnadete Tilman Riemenschneider aus Würzburg, bevorzugten. Das mehr rötliche Holz der Sommerlinde ist etwas minderwertiger und leichter; es ist für feine Laubsägearbeiten zu empfehlen. In unseren Parkanlagen können wir neben der Sommer- und der Winterlinde sehr oft noch die schöne ungarische S i l b e r l i n d e finden. Sie ist etwas zierlicher als die deutschen Linden und wird nur mittelgroß. Im Herbst fällt sie durch ihre prachtvolle, goldgelbe Laubverfärbung auf. Beim näheren Zusehen erkennt man einen schneeweiß-filzigen Belag auf den Blattunterseiten. Auch die Triebe, die Knospen und die Blütenstiele sind filzig behaart und verleihen dem Baum den silbernen Schimmer. Umschlaggestaltung Karlheinz Dobsky Umschlagbild Seite 2: Das „Antlitz" einer alten Buche
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