Thorsten Oberbossel
Erschienen am:
01.04.2002
PROC STORIES Fan-Stories aus dem PERRY RHODAN ONLINE CLUB
Der Bote der Vorzeit
PROC STORIES Der Bote der Vorzeit
von Thorsten Oberbossel Erschienen am: 01.04.2002
FAN-STORIES AUS DEM PERRY RHODAN ONLINE CLUB Khasram erwachte vom Ultraschallgong des Weckers, der in seinem Ruheraum enthalten war. Sofort waren all seine Sinne aktiv und der Schlafzyklus wurde beendet. Khasram war ein menschenähnliches Geschöpf, das bei zwei geschlechtlichen Lebensformen der männlichen Körperform zu rechnen war. Er besaß einen langen, weißen Haarschopf und silbergraue Augen in einem langen Gesicht, dessen hervorspringendstes Merkmal eine Knollennase war. An seinem 1,90 m langen und 0,90 m breiten Körper trug er einen einteiligen hellblauen Bordanzug, der in weichen Füßlingen endete. Als sich Khasram an der Zeitleiste in der Wand über den aktuellen Zeitpunkt orientiert hatte, erhob er sich und ging durch das Individualimpuls gesteuerte Türschott hinüber in den Flugüberwachungsraum seines Schiffes. Sogleich trat er mit der halborganischen Rechneranlage des Schiffes in mentalen Kontakt. »Hallo, Khasram! Hast du gut geschlafen?« erkundigte sich das Rechenwerk, das sich mit Guldara anreden ließ, bei dem Mann im Überwachungsraum. Guldara definierte sich, auf Grund der biosynthetischen Komponenten, als weibliches Wesen, was für die Zusammenarbeit mit Khasram, der seit seinen ersten Einsätzen für das Reich ein ausgesprochener Liebesabenteurer war, sehr zweckmäßig und angenehm war. »Oh ja, meine Liebe. Ich fühle mich in allen Teilen meines Körpers gestärkt für neue Taten. Wann gedenkst du, mich aus deinem Schoß zu entlassen?« Guldara ließ so etwas wie ein mentales Auflachen vernehmen, denn daß Khasram sie eher als Mutter als als Partnerin ansah, daran hatte sie sich mit überragender Schnelligkeit gewöhnt. Außerdem wußten sie und Khasram, daß nur die Flucht in den Tripolflug sie beide vor der Vernichtung in einem kollabierendem Stern bewahrt hatte, auch wenn der Tripolantrieb erheblich durcheinander gebracht wurde. »Können wir denn jetzt in den Normalraum zurücktauchen?« wollte Khasram wissen, denn er fühlte sich trotz der vierzehn verschlafenen Santakte ungeduldig. Er wollte wissen, ob der Generalangriff der bangusianischen Flotten wirklich begonnen hatte oder nicht. »Ich habe alle Fehleinstellungen des Tripolantriebs ausgeglichen und zur Sicherheit eine Testflugphase von 14 Santakten durch geführt, um die Verläßlichkeit des ÜberPROC STORIES - Fan-Stories vom PROC - ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUBs. Kurzgeschichte »Der Bote der Vorzeit« von Thorsten Oberbossel. Erschienen am: 01.04.2002. Titelbild: Lothar Bauer (
[email protected]). Lektorat, Nachbearbeitung und Umsetzung in Endformate: Alexander Nofftz (
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lichtantriebs zu sichern. Aber jetzt können wir ohne Verzögerung in den materiellen Raum zurückkehren«, teilte Guldara mit. »Und wo kommen wir an?« »Du machst mir Spaß«, klagte die Rechenanlage. »Erst einen Zentisantakt wieder wach und schon so viele Fragen . . . Aber ich bin gnädig mit dir. Wir werden im Zentrum der Reichsgalaxis in das materielle Gefüge zurückkehren.« »Dann mach mal!« »Hmm, wie heißt das?« »Sofort, Guldara!« versetzte Khasram mit Nachdruck. Auch wenn er Guldara wie eine Mutter ansah, so verbot er sich doch ihre aufgesetzte Strenge. Das bis dahin unmerkliche Summen der Tripolmaschinen wechselte zu einem hohen Sirren und fiel dann langsam zu einem dumpfen Brummen ab. Gleichzeitig sah Khasram auf den Anzeiger für den Betriebszustand der Überlichtmaschinerie und verfolgte den Anpassungsvorgang, der das Schiff in seiner schützenden 4D-Konservationsblase an das fünfdimensionale Grundschwingungsmuster der Übergangsschwelle zwischen Normal- und Hyperraum heranführte. Dann röhrte der Tripolantrieb kurz laut auf, um die notwendigen Interferenzstrahlen zu erzeugen, mit denen der endgültige Wiedereintritt in das vierdimensionale Raum-ZeitGefüge ohne energetische Streueffekte bewerkstelligt wurde. Im gleichen Moment löste sich die Schutzblase auf und verging mit den Interferenzstrahlen, während auf der dreidimensionalen Rundumsichtbildwand ein vielfarbiges Flackern das bisherige Schwarz ablöste, aus dem sich schließlich der sterngepunktete dunkle Vorhang des Weltraums herausschälte. Sie waren zurück im Normalraum. Sogleich verschlang Khasram mit seinen Ultraaugen das Bild, das sich ihm bot und verglich es mit dem Bild, das er vom Zentrum der heimatlichen Sternenanhäufung besaß. Er erkannte, daß sie tatsächlich im von Millionen von Sternen übersäten Mittelbereich einer Galaxis herausgekommen waren und erkannte auch Merkmale, die diese Milchstraße als seine Heimat auswiesen – doch da waren befremdliche Unterschiede! Einige Sterne, die Khasram ausmachen konnte, standen nicht in den von ihm in
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Erinnerung behaltenen Positionen. Außerdem vermißte er einige große Sterne, die sonst als Leuchtfeuer für die Navigatoren benutzt wurden. »Wir sind irgendwie falsch«, vermutete Khasram. »Ich habe die Unterschiede auch registriert, die du bemerkt hast, Khasram. Ich rechne alles durch«, antwortete Guldara. »Wir hätten doch mit Tropolsonar fliegen sollen«, ärgerte sich der Flüchtling aus der Sternenkatastrophe über eine Unterlassung, die sich, so dachte er, nun rächte. »Berechnung komplett«, kam die nüchterne Antwort des halborganischen Rechenwerks. Und gleich darauf wurde dem Mann in der Überwachungszentrale der größte Schock seines Lebens versetzt. »Die astrometrische Berechnung bestätigt, daß wir im Zentrum der sanissiramischen Stammgalaxis ins vierdimensionale Gefüge zurückgetaucht sind. Jedoch muß bei der übereilten Flucht und der nachhaltigen Erschütterung des Hyperraums und der damit einhergehenden Störung des Tripolantriebs ein Fehler aufgetreten sein, der unseren Flug aus der Nachbargalaxis heraus nicht in 15 Santakten normalen Zeitablaufs hat stattfinden lassen, sondern eine Zeit von 19.456 Saniza-Orbits und 500,52 Santakten beansprucht hat. Wir erfuhren diesen Zeitablauf nicht, da wir in der Schutzblase gegen n-dimensionale Erscheinungen abgeschirmt waren. Für uns lief nur die Betriebszeit des Tripolantriebs, die 15 Santakte betrug.« (1 Saniza-Orbit / Saniza-Umkreisung durch den Planeten Saniss = 1,5 Erdjahre. 1 Santakt = 30 Minuten) Khasram zweifelte nicht im geringsten an der Richtigkeit dieser Berechnung. Doch dann fluteten soviel Fragen gleichzeitig durch seinen Verstand, daß Guldara, die diese überstarke Mentalaktivität bemerkte, sofort einwarf, nicht alle Fragen auf einmal beantworten zu können. Khasram erstellte daraufhin eine Tabelle der wichtigsten Fragen, die er zuerst klären wollte. »Funktioniert der Tripolantrieb denn wenigstens jetzt, oder landen wir beim nächsten Überlichtflug noch ein paar tausend SanizaOrbits später?« »Der Tripolantrieb funktioniert im Rahmen
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normaler Parameter«, lautete die computertypische Antwort Guldaras. »Ich liebe es, wie du das sagst«, gab Khasram zurück. Dann bat er die Schiffsführung, ihn zum Planeten Saniss, der Hauptwelt des Sternenreiches, dem er entstammte, zu bringen. Sofort lief der Tripolantrieb wieder an, und das Bild des normalen Weltraums erlosch und wich der unendlichen Dunkelheit des Materieund lichtlosen Bereiches, durch den sich das Schiff nun mit Hilfe des Tripolantriebs bewegte. Diesmal arbeitete der Tripolantrieb auf einem niedrigeren Schwingungsniveau, wodurch die relative Überlichtgeschwindigkeit nicht so extrem hoch war, wie bei der Reise von dem bedrängten Außenposten, der in der Nachbargalaxis lag zu dem Zentrum der Reichsgalaxis. So verging ein Dezisantakt, bevor das Schiff in den Normalraum zurückkehrte und sich auf der Bahn des sechsten Planeten einer weißgelben Sonne befand, der Bahn von Saniss, dem Hauptplaneten des großen Reiches Sanissiram. »Und wie spät ist es jetzt?« erkundigte sich Khasram mißtrauisch. »Genau ein Dezisantakt später als vorher, laut astrometrischer Messung. Wir haben also wieder die Kontrolle über den Tripolantrieb«, verkündete Guldara mit beruhigenden Mentalimpulsen. »Na, und? Wir sind eine Ewigkeit später ins Reich zurückgekehrt! Gibt es das Reich eigentlich noch?« »Sieh selbst!« kam die knappe Antwort der Rechnereinheit. Guldara, obwohl doch ein Computer, war durch ihre organische Komponente doch zu grundlegenden Gefühlen wie Zufriedenheit, Angst, Unruhe und einer Spur Zorn fähig. So verspürte sie eine gewisse Verärgerung über Khasrams Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Auch versetzter ihr die Erkenntnis, in einer unvorstellbar späten Epoche der Galaxis zurückgekehrt zu sein, ein unabstreitbares Unbehagen. Khasram sah auf den Bildschirm und die Anzeigen der Energie- und Hyperenergieortung und konnte keinen Hinweis auf eine Hyperraum-technische Zivilisation finden. Saniss, zu seiner Zeit eine dichtbesiedelte warm-
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gemäßigte Welt, bot sich ihrem Betrachter nun als unbevölkerte Waldwelt dar, denn die vier großen Landmassen waren von wildwuchernder Vegetation überzogen, in der sich höchstens tierisches Leben tummelte. Auch konnte die Ortung keinen Hinweis auf die einstigen untermeerischen Städte und Stationen erbringen. Und was die Vielzahl künstlicher Satelliten anging, die einst das politische und militärische Zentrum des sanissiramischen Reiches umkreist hatten, so war der Raum um Saniss völlig leer, wenn Khasram von den im Schwerefeld treiben den Meteoriten und den beiden natürlichen Monden absah. Was ihm bei näherer Betrachtung auffiel war die hohe Strahlung, die von dem Planeten ausging. Auch die Monde wiesen eine im Verhältnis zur kosmischen Hintergrundstrahlung hohe Radioaktivität auf. Diese Messung bestätigte den tief in Khasrams Innerem schlummernden Verdacht, daß auch Saniss von den Kämpfen im Reich betroffen wurde und entweder bei Atomangreifen oder aus freien Stücken heraus entvölkert worden war. »Wie fühlst du dich, Guldara?« wandte sich der ehemalige Bote des Reiches an seine Gesprächspartnerin. »Wahrscheinlich genauso verunsichert wie du, Khasram – verunsichert und einsam«, gestand Guldara und ließ ihre unterschwellige Furcht und Besorgnis in ihren Mentalimpulsen mit schwingen. »Wo sollen wir hinfliegen, Guldara? Soll ich einen Sprung zum Planeten machen, um zu sehen, ob etwas hinterlassen wurde? Oder soll das ganze Schiff landen? Oder sollen wir alle Planeten des Reiches anfliegen, um höchstwahrscheinlich das gleiche Bild zu sehen?« »Irgendwo wird es doch noch jemanden geben, der das Vermächtnis unseres Volkes bewahrt hat und pflegt.« »Hoffnung oder Wahrscheinlichkeitsberechnung, Guldara?« Guldara horchte mit den Empfängern für Tripol- und normalem Hyperfunk auf irgendwelche Signale, die ihr und ihrem Schützling verrieten, daß es noch Angehörige des Reiches gab. Tatsächlich vernahm sie schwach den Austausch von überlichtschnellen Signalen
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auf der früher gebräuchlichen Hyperenergieschwingungsbasis. Dann nahmen ihre mechanischen Sinnesorgane für hyperräumliche Aktivitäten einen kurzen heftigen Impuls wahr, der von einem ebenso heftigen Zusatzimpuls gefolgt wurde. Diese Ortung wurde durch ein kurzes Pling-Plong akustisch im Überwachungsraum angezeigt. »Was ist passiert?« wandte sich Khasram an seine Gesprächspartnerin. »Ich habe einen Hyperraumflug mit überholten Durchstoßtriebwerken angemessen. Das Flugobjekt stieß sich 15.000 Saniza-Orbits von hier aus dem materiellen Raum hinaus und kehrte 199,987 Saniza-Orbits von hier in ihn zurück. Die räumliche Peilung ergibt, daß das Hyperfluggerät in einem Richtungswinkel von 25,89989 Grad zu unserer jetzigen Fluglinie und in einem Höhenwinkel von -22,71428 Grad zu unserer jetzigen Flugbahnebene aufgetaucht ist, wie bereits bezeichnet in 199,987 SanizaOrbits Entfernung von hier. Dort erfasse ich einen roten Altstern, der gemäß früherer Karten die Sternenbasis Khashingtan beherbergte.« »Vielleicht ist es ein zurückgefallener Vertreter des Reiches, und es gibt die Sternenbasis noch. Laß sie uns über Tripolkom anrufen!« brach es aus Khasram heraus. Doch Guldara riet ihm davon ab. »Es wäre unklug, solange wir nicht wissen, ob die Station noch von regierungstreuen Truppen gehalten wird, Khasram. Aber ich stimme dir zu, daß wir die Sachlage prüfen sollten.« »Dann fliegen wir hin und sehen nach, wer da angekommen ist. Wie nanntest du diese Antriebsform nochmal, Guldara?« »Durchstoßantrieb, Khasram. Dieser Antrieb sendet zunächst eine gerichtete Hyperenergieschockwelle aus, die einen Riß im Raum-Zeit-Gefüge verursacht, durch den das entsprechende Schiff gezogen wird, nachdem es eine zweite Stoßwelle auf Hyperraumbasis erzeugte, um den Riß nach dem Durchstoß wieder zu schließen. Beide Wellen trieben das Schiff im entstofflichten Zustand durch den Hyperraum und sorgten für einen stabilen Übergang zwischen zwei Punkten im Normalraum ohne Zeitverlust. Jedoch barg dieser Antrieb Nachteile. So mußte zunächst umständlich die rela-
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tive Bewegung zwischen Start- und Zielpunkt errechnet werden und auf Hyperraumvariable übertragen werden. Dann belastete die Ent- und Rematerialisation lebende Besatzungen körperlich so sehr, daß keine Flüge über große Entfernungen stattfinden konnten. Mit der Entwicklung des Tripolantriebes wurden diese Nachteile behoben. Raumfahrt wurde sicher, schnell und unbeschwerlich.« Bei Guldaras letzten Worten brach Khasram auch hörbar in schallendes Gelächter aus und verlor fast den halt, so daß er beinahe zu Boden gefallen wäre. »Sicher, ha ha ha? Schnell, ha ha ha! Ich stelle mir gerade vor, wie ein Reiseunternehmer mit Tripolflügen werben könnte: Tripolflüge, das sicherste was es gibt! Aber bitte sorgen Sie dafür, daß Sie vor dem Abflug ein Testament machen, in dem festgelegt wird, daß ihr Vermögen bis in die zehntausendste Generation bewahrt wird . . . ha ha ha ha . . . damit Sie noch etwas davon haben, wenn Sie zurückkehren.« Bei seinen letzten Worten krächzte Khasrams Stimme nur noch, vor lauter Überanstrengung. Danach konnte der Bote des Reiches Sanissiram überhaupt nichts mehr sagen, weil er zu sehr lachen mußte. Guldara räusperte sich auf mentalem Wege so laut, daß es in Khasrams Gedanken widerhallte und ihn darauf hinwies, daß das Schiff der Beiden bereits wieder auf Überlichtfahrt gegangen war. Doch kaum einen halben Millisantakt später tauchte es wieder ins Raum-Zeit-Gefüge zurück, präzise auf der Bahn eines großen Asteroiden. »Hier war einmal Khashingtan«, lautete die kurze Erklärung Guldaras, nachdem Khasram sich wieder besonnen hatte. Dann erkannte der Raumfahrer einen schimmernden Punkt und stellte seine Ultraaugen darauf ein, bis er erkannte, daß es sich um ein Raumfahrzeug handelte, das unter schwachem Quantenausstoßantrieb das Ankunftsgebiet durchkreuzte.
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6 2. Das Treffen zweier Welten
»Langstreckenaufklärer Goman erfolgreich im Ziel eingetroffen«, funkte Aschgor Zatelo an seine Basis, als der 50 m große Raumer, der wie ein riesiger Käfer aus blauem Metall aussah, vor der roten Riesensonne materialisiert hatte, die sein Ziel gewiesen war. Knapp 20 Lichtminuten von dem alten Stern entfernt näherte sich das Schiff den kläglichen Überresten eines ehemaligen Planetensystems. Die zehnköpfige Besatzung des atreokidischen Erkundungsschiffes hatte den Auftrag erhalten, einen neuen Außenposten einzurichten oder zumindest dieses System auf mögliche strategische Verwendbarkeit zu untersuchen. Eine Legende berichtete, daß hier einst ein mächtiges Raumfahrervolk gelebt hatte. Doch in wie weit die Legende auf Tatsachen baute, konnte nie geklärt werden. So blieb der Raumkapitänin Kelari Sintano nichts anderes übrig, als mit den nackten und langweiligen Tatsachen fertigzuwerden, die sie und ihre Mannschaft vorfanden. Man wollte gerade daran gehen, den größten Asteroiden hyperspektrometrisch zu untersuchen, als der Ortungsoffizier eine Fremdschiffsichtung meldete. Kelari Sintano eilte in ihrer tiefblauen Kunstlederuniform zum Kommandostand und forderte eine Bildüberspielung des gesichteten Schiffes an. »Das Schiff ist mir völlig unbekannt«, stellte die Kommandantin fest, als sie den flachen, elliptischen Flugkörper als vergrößertes Hyperortungsbild sah. »Es liegen keine Unterlagen darüber vor«, meldete der Ortungsoffizier an den Kommandostand. »Außerdem ist da was Seltsames. Das Schiff ist plötzlich da gewesen. Es hat keine Hyperraumstoßwellenfront gegeben und auch keine normalräumlichen Turbulenzen wie eine sprunghafte Gravitationsverschiebung oder Energiestreuungen. Es ist so, als wäre das Schiff ganz einfach auf Unterlichtgeschwindigkeit gebremst worden, nachdem es ohne Ent- und Verstofflichung den Raum überlichtschnell durchflogen hat.«
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»Blanker Unsinn«, kommentierte der Chefingenieur Korsat Hekdros, der sich ebenfalls im Kommandoraum aufhielt, da man ihn im Moment nicht bei den Maschinen benötigte. »Unsinn, Herr Hekdros?« fragte Kapitänin Sintano. »Raumschiffe, die vollkommen stofflich mit Überlichtgeschwindigkeit fliegen können sind wissenschaftliche Dichtung. Wunschträume phantasievoller Zukunftsdichter«, erläuterte der Ingenieur seinen Einwand. »Wann kriegen wir das normaloptische Auftauchbild des Schiffes?« erkundigte sich die Kommandantin der Goman bei der Ortungsabteilung. »In 50 Grundtakten, Kommandantin«, kam die genaue Antwort. (1 atreokidischer Grundtakt = 0,864 Sekunden) Als dann die Lichtwellen des auftauchenden Raumschiffes die Bildsensoren der Goman erreichten, ließ die Schiffskommandantin extra Aufnahmen in hoher zeitlicher Auflösung mitlaufen, obwohl das, was sie mit normaler Geschwindigkeit ablaufen sah, bereits genügte, um die Aussagen des Ortungsoffiziers zu bestätigen, denn die üblichen Lichterscheinungen beim Eintritt in den Normalraum blieben vollständig aus. Es schien, als sei das fremde Schiff von einem Grundtakt zum nächsten einfach so da gewesen. Jedoch sahen sich die Führungsoffiziere 50 Grundtakte nach der Normalbildaufnahme den Eintauchvorgang in tausendfacher Verlangsamung an. Doch außer einem kurzen Flirren, welches das eintreffende Schiff beim Übergang von seiner Nichtexistenz zur Greifbarkeit bot, fiel nichts weiteres auf. Und dieses kurze Flimmern des Bildes dauerte in der Verlangsamung nur einen Zehntelgrundtakt, also in Wirklichkeit nur einen Zehntausendstelgrundtakt, wohingegen das übliche Lichterspiel eines wiederverstofflichenden Schiffes zwei Zehntelgrundtakte lang zu sehen war. Und je massereicher es war, desto heller flammte das Lichtgewitter bei der Rückkehr zur Stofflichkeit. Die Fachleute aus Ortung, Funk und Antriebstechnik stritten sich über den Vorgang, während Kelari Sintano an das wesentliche dachte. Da war ein fremdes Schiff erschienen,
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das keiner vorher gesehen hatte. Also war doch wichtiger, ob es bemannt war und welchem Zweck seine Anwesenheit diente. Also ging die Kommandantin aus dem kleinen Beratungsraum, wo sich die Fachleute wieder stritten, was möglich, vielleicht möglich oder schlichter Unsinn war. »Wurden wir schon angerufen oder abgetastet?« wandte sich die Befehlshaberin der Goman an den Stellvertreter des Ortungsoffiziers. »Aus dem Funkraum kam nichts, und außer scheinbar ungerichteten Hyperstreuimpulsen konnten wir nichts ausmachen, was von dem Fremden kam«, informierte der Mann an den Ortungsinstrumenten. »In Ordnung! Dann warten wir, ob wir gerufen werden. Die dort drüben müssen doch gemerkt haben, daß sie nicht alleine sind, wenn sie nicht sogar unseretwegen hier sind«, stellte Kelari Sintano fest und schüttelte ihr kastanienbraunes Haar aus. * »Wir werden mit einfachen Hyperresonanzstrahlen abgetastet«, informierte Guldara Khasram. Der Bote aus dem gescheiterten Außenposten des nun in der fernen Vergangenheit verschollenen Reiches Sanissiram entschied daraufhin, die Ortungsstrahlen, die auf Tripolebene arbeiteten, abzustellen und mit herkömmlichen Hyperpeilsignalen zu arbeiten. Guldara führte den Befehl sogleich aus. »Sie werden sich melden, wenn sie merken, daß sie auch von uns abgetastet werden«, vermutete Khasram und blickte angestrengt zu dem in der Ferne kaum erkennbaren Insektenkörper hinüber, der in Wirklichkeit ein Raumschiff war. »Vielleicht sollten wir uns einfach abschirmen. Die herkömmlichen Ortungsstrahlen können bei minimaler Hyperdynschirmeinstellung vollständig absorbiert werden.« »Lieb gemeint, Guldara, aber jetzt wissen die doch schon, daß wir hier sind. Ich warte, ob
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ein Funkruf kommt.« * Auch Kelari Sintano wartete auf einen Anruf. Doch die Ortungsabteilung meldete nur, daß sich die ungerichteten Streuimpulse in gezielte Suchsignale verwandelt hätten. »Was der oder die auch immer vorher gemacht haben, jetzt klopfen sie uns so ab, daß wir’s merken«, stellte die Befehlshaberin der Goman fest. 200 Grundtakte wartete sie noch, dann entschied sie, den ersten Kontaktversuch zu unternehmen. »Senden Sie in allen bekannten Sprachen der Übereinkunftszivilisationen und auf allen dort gebräuchlichen Frequenzen: Hier ist das atreokidische Forschungsschiff Goman. Wir bitten das Schiff, das sich mit uns in diesem Sonnensystem befindet um Kontakt. Wir verfolgen keine feindseligen Absichten und wären über das Zustandekommen einer Funkverbindung sehr erfreut. gez. Kelari Sintano, Kapitänin des atreokidischen Raumforschungsverbandes.« * »Oh, wir erhalten einen Hyperfunkspruch auf einfacher Energieauslenkungsbasis und diesen gleich auf 15.000 verschiedenen Wellenlängen und in 11.465 verschiedenen Zeichensystemen«, verkündete Guldara und begann unaufgefordert nach der Übersetzung der Botschaft zu suchen, denn wie Khasram wußte auch sie, daß man, wie bei Raumfahrtzivilisationen, die um ihre Existenz zwischen anderen Zivilisationen wissen, die gleiche Botschaft auf allen bekannten Kommunikationskanälen und in allen bekannten Sprachen übermittelte. Dies war schon mal ein Ansatz. Nach zehn Millisantakten hatte sie den Inhalt von 500 Botschaften entschlüsselt und ihre Vermutung bestätigt gefunden, daß die gleiche Information in dieser Flut von Signalen transportiert wurde. Als sie ihrem Schützling und Befehlsgeber die Botschaft übersetzte, bat Khas-
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ram Guldara darum, folgende Antwort in den bereits entschlüsselten Sprachen zu senden: »An das Erkundungsschiff Goman! Hier spricht der Befehlshaber der Geltarham. Ich bitte um eine Bild-Sprechverbindung ohne zwischengeschalteten Sprachübersetzer. Bitte übermitteln sie in mathematischen Grundbegriffen die Art und Darstellungsparameter ihrer Bildübertragung mit Angabe der dafür benutzten Trägerfrequenzen. gez. Khasram, Kommandant der Geltarham.« * An Bord der Goman atmete man auf. Sintano ließ ihr Bordsprechsystem an die Funkanlage anschließen und wartete, bis die angeforderten Daten übermittelt waren. Dann kam ein Bestätigungssignal von der Geltarham, und die Sicht-Sprechverbindung wurde eingerichtet. Auf dem Schirm der Kommandobrücke erschien das lange Gesicht eines Mannes, der nach atreokidischen Vorstellungen 8 Jahre zählte. (1 atreokidisches Jahr dauert 7 Erdjahre) Da auf dem Planeten Atreox die Lebenserwartung bei 50 Atreoxjahren lag, erschien Sintanos Gesprächspartner also sehr jung. »Hallo, können Sie mich hören und verstehen? Hier spricht Kelari Sintano.« Bei der Nennung ihres Namens wies sie mit der rechten Hand auf sich selbst, in der Hoffnung daß diese Geste auch als Hinweis auf ihre Person verstanden würde. Khasram besaß nicht nur Ultraaugen, mit denen er dreißigmal weiter sehen und selbst bei geringstem Lichteinfall noch klare Konturen erkennen konnte, er war zudem noch ein Tacholinguist, konnte also durch das Hören von Worten deren Sinn erkennen und nach kurzer Zeit ohne zwischengeschalteten Übersetzer eine für ihn bis dahin fremde Sprache fließend verstehen und sprechen. Da Sintano so klug gewesen war, bei ihrem ersten Sprechkontakt mehrere Wortgefüge zu bilden, konnte Khasram ihr ohne weitere Verzögerung antworten. »Ich höre und verstehe Sie, Kelari Sintano. Auch ich suche Frieden. Ich möchte mit Ihnen direkten Kontakt.«
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»Was meint er damit?« flüsterte der Bordingenieur, der sich außerhalb des Bildaufnahmebereiches aufhielt. Doch Khasram besaß, dem Chefingenieur zum Verhängnis, ein sehr scharfes Gehör und antwortete, bevor Sintano die Frage laut aussprechen konnte: »Ich möchte mich mit Ihnen auf Ihrem oder meinem Schiff treffen, um in direkter Verständigung Informationen auszutauschen.« Kelari Sintano überlegte, während ihr der Bordingenieur verneinende Zeichen machte, auf keinen Fall einem solchen Treffen zuzustimmen. Auch Guldara hatte da ihre Bedenken. Denn im Gegensatz zu dem lediglich aus einem Mißtrauen allen Fremden heraus handelndem Ingenieur der Goman, kannte sie Khasram sehr gut und hatte überdies noch das mentale Aufflackern registriert, daß Khasram ausgesandt hatte, als er die Kommandantin des anderen Schiffes zum ersten Mal gesehen hatte. »Du wirst dich beherrschen, Khasram. Bitte versprich mir das! Wir sind hier nicht zu Hause.« »Die Zeit hat uns einen Streich gespielt, liebste Guldara. Also werde ich es auch der Zeit überlassen, wie sich die Dinge entwickeln«, erwiderte Khasram. Dann traf die Antwort von Kelari Sintano ein. »Einverstanden! Sie sind an Bord meines Schiffes willkommen. Benötigen Sie für Ihren Aufenthalt eine besondere Umweltvorkehrung?« »Bitte geben Sie mir eine Auflistung ihrer physikalischen Gegebenheiten mit Umrechnungswerten. Ich sende zur Ermittlung einer Umrechnungsgrundlage ein Lichtsignal aus. Der Zeitpunkt des Aussendens wird der Beginn ihrer Zeitmessung sein, dessen Ende der Erhalt des Widerscheins von der Asteroidenoberfläche ist. Bitte begeben Sie sich in eine Position, von der aus wir beide die gleichen Blickwinkel auf den Asteroiden haben. Stärke, Laufzeit und Widerscheinstärke des Lichtstrahls bieten für unsere beiden Rechensysteme die Grundlage zur Berechnung der wichtigsten physikalischen Daten, wie Zeit, Energie, Strecke und Frequenz. Mein Rechner wird Ihnen unsere diesbe-
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züglichen Maßeinheitenbezeichnungen mitteilen, während Ihre Daten meinem Rechner übermittelt werden. Danach erfolgt der Lichtimpuls und daraus die entsprechenden Umrechnungen. Danach werde ich Ihnen mitteilen, ob und wie ich Umweltanpassungen für nötig halte.« Danach entspann sich ein reger Datenaustausch, der dadurch verkürzt wurde, daß man sich darauf einigte, für bestimmte Größenangaben bestimmte Frequenzen zu benutzen. Schließlich feuerte Guldara einen gebündelten blauen Lichtstrahl auf den Asteroiden ab und maß dessen Laufzeit bis hin zur Reflektion. Das gleiche geschah an Bord der Goman, wo man zunächst befürchtete, der abgefeuerte Energiestrahl diene einem Angriff. Doch dann lagen alle notwendigen Daten vor und konnten in die jeweils anderen Einheiten umgerechnet werden, was durch den Bordcomputer der Goman und Guldara keine nennbare Zeit in Anspruch nahm. Danach folgten die physikalischen Daten der Goman und der Geltarham. Zu Khasrams Befriedigung benötigte er keine veränderte Atmosphäre oder Schwerkraft. Auch war er gegen Temperaturen unempfindlich, die zwischen gefrorenem Wasser und geschmolzenem Blei lagen. Als diese dringlichen Fragen geklärt waren, kündigte der Bote aus Sanissiram seinen Wechsel zur Goman an und wurde gefragt, ob er ein Raumfahrzeug zum Übersetzen benutzen würde. Diese Frage verneinte er lächelnd. Dann schickte er einen mentalen Befehl an Guldara: »Schicke mich durch die Tripolschleuse!« Guldara gehorchte und löste den auf tripolarer Hypertechnik beruhenden Materietransporter aus, so daß Khasram übergangslos, nur durch ein Fauchen mit sich gerissener Luft beim Verlassen der Geltarham und einem scharfen Knall explosionsartig verdrängter Luft bei der Ankunft auf der Goman gestört, zu dem fremden Schiff hinüberwechselte. Sogleich kam ein Medoroboter, hüllte den Neuankömmling in ein Quarantänefeld ein und überprüfte ihn auf schädliche Mikroorganismen. Als die Prüfung negativ ausgefallen war, gab die Maschine Khasram frei, so daß er sich an Kelari Sintano wenden konnte, die den Mann
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in seinem einteiligen Bordanzug prüfend anblickte. »Willkommen auf der GOMAN!« begrüßte die Befehlshaberin den Fremden. Der Ingenieur des Erkundungsschiffes hielt sich im Hintergrund. Er traute der Angelegenheit nicht sonderlich. Korsat Hekdros, der Chefingenieur der GOMAN, erschrak zunächst über das unvermittelte Erscheinen des Fremden mit den weißen Haaren und in dem hellblauen Bordanzug. Doch als der bereitstehende Medoroboter keinen Grundtaktbruchteil nach dem Eintreffen Khasrams ein Quarantänekraftfeld um den Neuankömmling legte, beruhigte sich der altgediente Raumfahrer wieder. Seine Neugier überflutete für gewisse Zeit sein nagendes Mißtrauen. Er wollte mehr über den Fremden wissen. War sein Erscheinen eine technische Spielerei oder besaß dieser Unbekannte eine natürliche Begabung zum zeitlosen Standortwechsel? Hekdros wußte aus Berichten des atreokidischen Weltraumwachschutzes, daß einmal ein solcherart begabtes Wesen auf Atreox gewesen war. Als der Roboter das rote Energiefeld um Khasrams Körper wieder erlöschen ließ, kehrte Hekdros’ Mißtrauen wieder an die Oberfläche seines Bewußtseins zurück und riet ihm zur Wachsamkeit. »Willkommen auf dem Forschungsschiff GOMAN, Kommandant Khasram!« begrüßte Kapitänin Sintano den Besucher respektvoll, wie es sich für eine wohlerzogene Offizierin gehörte. Khasram blickte die ranghöchste Raumfahrerin des atreokidischen Kreuzers prüfend von oben nach unten an, dann erwiderte er: »Ich danke Ihnen, Kapitänin Sintano. Ich freue mich, daß dieses Treffen zustandegekommen ist.« Danach wurden dem Besucher von der GELTARHAM alle Führungsoffiziere vorgestellt, und Khasram bedachte jeden mit einem persönlichen Gruß. Als ihm Korsat Hekdros vorgestellt wurde, vermied es der Ingenieur, sich dem Blick des Fremden auszusetzen, weil er befürchtete, daß Khasrams höfliches Auftreten nicht so ganz freimütig sein könnte. Doch dann lockerte sich die Stimmung ein wenig auf, als Kapitänin Sintano die Frage stellte, in wessen
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Namen der Besucher durch den Weltraum reiste und ein geheimnisvolles Grinsen von Khasram erntete. »Ich weiß es nicht mehr, Kapitänin Sintano. Ich bin der Kurier von Saniss, der mächtigsten Welt dieser Sternenansammlung. Doch zwischen mir und meiner Heimat liegt nun eine gewaltige Zeitbarriere, so daß ich nicht weiß, ob ich überhaupt noch jemandem zu Diensten stehe.« »Eine Zeitbarriere?« brachte der erste Offizier Jungarek Asquon sein Erstaunen über Khasrams Antwort zum Ausdruck. »Jawohl, Herr Steuermann Asquon«, bestätigte Khasram. »Mein letzter Auftrag führte mich in die Nähe eines Neutronensterns, wo wir eine kleine Flottenauffangstation unterhielten. Doch die Gegner unseres Reiches lösten mit einer uns unbekannten Waffe den Zusammenbruch des Sterns aus, so daß eine gewaltige Raumverzerrung entstand, in die die Station und alles, was sie beherbergte, hineingezogen wurde. Ich konnte gerade noch auf Überlichtfahrt gehen, doch dabei muß eine Störung aufgetreten sein, die meinen Flug zeitlich so ausdehnte, daß ich beinahe zwanzigtausend Umkreisungen unseres Zentralplaneten um seine Sonne verloren habe.« »Moment«, unterbrach Hekdros, der sich in seiner Ehre als Ingenieur und Antriebsspezialist herausgefordert sah. »Kein Hypersprung aus unmittelbarer Nähe eines schwarzen Loches – und um so etwas muß es sich bei Ihrem zusammenbrechenden Stern gehandelt haben – hat eine derartige Zeitverzögerung zur Folge. Der Sprung kann zeitlich verlagert werden, so die Transitionstheorie von Albon. Auch kann eine Ablenkung vom ursprünglichen Eintauchziel stattfinden. Aber eine Zeitverzögerung von 20.000 Sonnenumläufen ist unmöglich! Es sei denn, Ihre Sonne ist so winzig, daß Ihr Planet nur wenige Grundtakte für eine Umrundung benötigt. Und daß ein Saniza-Orbit, wie bei Ihnen die Sonnenumrundungen heißen, ein wenig mehr als ein Siebteljahr unserer Zeitrechnung dauert, haben Sie uns ja mitgeteilt.« Khasram ließ den Wortstrom Hekdros zunächst abklingen, dann erwiderte er ruhig: »Da Sie mit überholter Hyperflugtechnologie arbei-
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ten, müssen Sie selbstverständlich annehmen, daß alle anderen Interstellarschiffe ebenso reisen, wenn sie in weit entfernte Sonnensysteme oder gar Galaxien vorstoßen wollen. Doch lassen Sie mich bitte weiter berichten, und dann verstehen Sie mich auch besser.« »Sie wollen uns also jetzt, wenn ich richtig vermute, das Märchen vom überlichtschnell fliegenden Schiff erzählen, das einfach so über die Lichtmauer hinaus beschleunigen kann und ganz normal durch den Raum fliegt«, warf der Ingenieur ein und erntete einen verbitterten Blick von seiner Kommandantin, die diese Verzögerung durch den Chefingenieur als lästig empfand. »Offensichtlich muß ich, bevor ich meine Geschichte weitererzählen kann, einen kurzen Abstecher in unsere Antriebstechnologie machen«, seufzte Khasram betont und schickte einen mentalen Frageimpuls zu Guldara hinüber, ob er die Tripoltechnik nur erwähnen durfte, auch ohne auf technische Einzelheiten eingehen zu müssen. Guldara berechnete die Gefahren und Vorteile einer solchen Informationspreisgabe und erlaubte ihrem Schützling nach einem halben Millisantakt, auf die Tripolanwendungen einzugehen, da wohl kein Verrat gegen Sanissiram begangen werden konnte, solange keine detaillierten Pläne von Maschinen und Programmen übermittelt würden. »Unsere Wissenschaftler entdeckten 100 Saniza-Orbits vor meinem letzten Auftrag, daß die als Hyperraum bezeichnete Zustandsform der Energie kein gleichförmiges Gebilde ist, sondern einer mehrdimensionalen Schwankung in ihrem Energiehaushalt unterworfen ist. Diese Grundschwingung, die von unserem großen Hyperphysiker Nieldas zum ersten Mal gemessen werden konnte, wurde dann auch nach ihm benannt. Danach wurde die Theorie aufgestellt, daß man örtlich begrenzte Veränderungen dieser Schwingungsform schaffen könnte, falls es gelänge, neben den schon bekannten Durchstoßimpulsen, mit denen Ihre Raumschiffe arbeiten, einen dritten Zustand der HyperraumNormalraumwechselwirkung zu schaffen, ähnlich einem dreiphasig geführten elektrischen
Der Bote der Vorzeit
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Wechselstrom. Daraus wurde bald ein großangelegter Wettbewerb der Hyperphysiker, bis es gelang, diese Dreiphasenschwingungen, die dann als Tripolenergien bezeichnet wurden, zu erzeugen. Dabei stellte man fest, daß sich bei einem sehr kleinen Energieaufwand die tausendfache Reichweite erzielen lassen konnte, als bei bisherigen Energieauslenkungen gerichteter Hyperimpulse. Weitergehende Forschungen führten zur Feststellung des negativen Hyperraums, und danach wurde ein neuartiges Antriebsverfahren entwickelt, bei dem ein Schiff, das in eine schützende Energieummantelung eingehüllt wird, vom Grundschwingungszustand des Hyperraums ausgehend, bei voller Stofflichkeit die Lichtmauer durchbrechen konnte. Danach wurden mathematische Funktionen ermittelt, in welcher Weise Schwingungsmuster auf Tripolbasis verändert werden konnten, was zu einer Steigerung der Überlichtgeschwindigkeit, zur Reichweitenerhöhung für Ortungsund Funksignale und damit zum intergalaktischen Raumflug führte. Wie die physikalischen Grundlagen geschaffen wurden und technische Anwendung finden, darf ich nicht sagen. Doch soviel kann ich noch hinzufügen, damit Sie alle nicht glauben, ich würde Unsinn reden: Durch die Tripoltechnik schaffen wir die Voraussetzung, materiellgebliebene Schiffe ohne die üblichen Stoßwellen in den Hyperraum, in ihm zum Ziel und wieder aus ihm heraus zu manövrieren. Es ist so ähnlich, als würden Sie bei einem Sprung kurz vor der entgültigen Entstofflichung den nächsten Sprung auslösen, und dies direkt nach jedem Wiedereintauchmanöver wiederholen. Nur daß hier das Schiff seine vierdimensionale Beschaffenheit einkapselt und somit ohne Austritt aus dem übergeordneten Medium den nächsten Vortriebsimpuls ausstoßen kann. Natürlich millionenmal schneller, als Sie es von Ihren Sprungimpulsfolgen kennen.« »Sehen heißt glauben«, warf Hekdros ein. Doch nun wurde er von Sintano zur Ordnung gerufen. »Über derlei Streitfragen können die Fachleute unseren Besucher ja später genug aushorchen, Herr Hekdros. Doch jetzt will ich, und ich denke nicht nur ich, mehr über Khasrams Geschichte erfahren. Bitte sehen Sie die
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Sache mit dem Hyperantrieb erstmal als gegebene Begründung für Khasrams Hiersein an.« »Danke, Kapitänin Sintano«, antwortete Khasram und wollte gerade mit seinem Bericht fortfahren, als der Medoroboter, der den Besucher aus der Vorzeit bei seiner Ankunft untersucht hatte, eine überraschende Feststellung machte. »Meine Untersuchung des Raumfahrers Khasram auf biologische Schadstoffe überdeckte eine Erkenntnis, deren Bewertung nun vorliegt«, ertönte eine männlich angehauchte Kunststimme aus einem kleinen Lautssprecher am Zylinderkopf der Maschinengestalt. »Welche Erkenntnis?« wollte Sintano wissen. »Bei unserem Gast handelt es sich um ein bis ins kleinste Element lebendiger Wesen nachempfundenen Kunstwesen, einem Androiden mit mikrobionischen Einzelkomponenten, die seine Existenz mit den Vorteilen sowohl lebender Wesen als auch von Maschinen versehen hat.« Eine Weile lang sprach niemand mehr. Nur Hekdros sah noch mißtrauischer auf den Repräsentanten eines angeblich in weiter Vergangenheit verschollenen Reiches. Khasram war also kein Lebewesen, sondern ein künstliches Geschöpf. Eine programmierbare Kreatur mit künstlicher Intelligenz, die jedoch – daran zweifelte der Ingenieur keinen Augenblick – einer Reihe von Grundbefehlen folgte, auch wenn sie nach außen einen unabhängigen Geist vorspiegelte. »Es ist richtig, daß mein Körper keine biologische Basis besitzt und damit auch mein Denken nicht auf organischer Ebene abläuft«, bestätigte Khasram den Bericht des Medoroboters und fühlte sich irgendwie entblößt. »Dennoch wurde ich mit einem selbsterweiternden Gehirn versehen, das sich physisch wie erfahrungsbezogen weiterentwickelt. Ich besitze also, wie Ihr Roboter erkannt hat, die Vorzüge von Lebensformen und Maschinen. Ich betrachte mich jedoch als eigenständige Intelligenz und Lebensform und bitte daher um die gleiche Behandlung, wie sie vollorganischen Intelligenzwesen zukommt.« Seit undenklichen Zeiten hatte es niemanden
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mehr interessiert, ob sein Körper nun völlig organisch war oder nur ein Gefüge aus mikroskopisch kleinen Bauelementen, die richtigen Zellen zu 99,998% nachempfunden waren, nur daß sie keine Erbinformationen auf molekularer Ebene besaßen. Die Wiederherstellung ausgefallener Einzelzellen wurde von Mikrospeichern in anderen Zellen überwacht und gesteuert. Sein Körper war daher ein vernetzter Computer mit Millionen von Einzelknoten und nur wenig von der großen Steuereinheit zu kontrollieren. Doch Khasram mußte, wie jedes Lebewesen, Materie aufnehmen um verlorene Substanzen zu ersetzen und bedurfte auch gewisser Ruhephasen, um seinen Körper wieder zur vollen Einsatzbereitschaft zu bringen. »Gut. Sie haben mein Wort, daß wir Sie als vollwertiges Intelligenzwesen ansehen«, ging Sintano auf die Bitte Khasrams ein. Dann bat sie, der Bote der Vorzeit möge seine Geschichte fortsetzen. Doch es gab nicht mehr viel zu berichten, außer der Tatsache, daß Khasram den Auftrag hatte, der Zentralwelt seines Reiches zu berichten, daß der Flottenstützpunkt verlorengegangen war. »Erzählen Sie von Sanissiram. Wieviele Planeten gehörten zu diesem Reich, wie wurde es regiert und wo befand es sich?« fragte der erste Offizier. Doch der Ingenieur warf ein: »Aber das können doch die Fachleute bei einer weitergehenden Befragung herausfinden. Seien Sie doch nicht so ungeduldig.« »Herr Hekdros, bitte sorgen Sie dafür, daß wir in zwei Zentitagen den Heimflug antreten können, wenn ich von der Heimatbasis erfahren habe, wie wir mit Khasram verfahren sollen«, wandte sich Kelari Sintano an den Ingenieur.
3. Khasrams Geschichte
Korsat Hekdros, der Chefingenieur der GOMAN, erschrak zunächst über das unvermittelte Erscheinen des Fremden mit den weißen Haaren und in dem hellblauen Bordanzug. Doch als der bereitstehende Medoroboter keinen Grund-
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taktbruchteil nach dem Eintreffen Khasrams ein Quarantänekraftfeld um den Neuankömmling legte, beruhigte sich der altgediente Raumfahrer wieder. Seine Neugier überflutete für gewisse Zeit sein nagendes Mißtrauen. Er wollte mehr über den Fremden wissen. War sein Erscheinen eine technische Spielerei oder besaß dieser Unbekannte eine natürliche Begabung zum zeitlosen Standortwechsel? Hekdros wußte aus Berichten des atreokidischen Weltraumwachschutzes, daß einmal ein solcherart begabtes Wesen auf Atreox gewesen war. Als der Roboter das rote Energiefeld um Khasrams Körper wieder erlöschen ließ, kehrte Hekdros’ Mißtrauen wieder an die Oberfläche seines Bewußtseins zurück und riet ihm zur Wachsamkeit. »Willkommen auf dem Forschungsschiff GOMAN, Kommandant Khasram!« begrüßte Kapitänin Sintano den Besucher respektvoll, wie es sich für eine wohlerzogene Offizierin gehörte. Khasram blickte die ranghöchste Raumfahrerin des atreokidischen Kreuzers prüfend von oben nach unten an, dann erwiderte er: »Ich danke Ihnen, Kapitänin Sintano. Ich freue mich, daß dieses Treffen zustandegekommen ist.« Danach wurden dem Besucher von der GELTARHAM alle Führungsoffiziere vorgestellt, und Khasram bedachte jeden mit einem persönlichen Gruß. Als ihm Korsat Hekdros vorgestellt wurde, vermied es der Ingenieur, sich dem Blick des Fremden auszusetzen, weil er befürchtete, daß Khasrams höfliches Auftreten nicht so ganz freimütig sein könnte. Doch dann lockerte sich die Stimmung ein wenig auf, als Kapitänin Sintano die Frage stellte, in wessen Namen der Besucher durch den Weltraum reiste und ein geheimnisvolles Grinsen von Khasram erntete. »Ich weiß es nicht mehr, Kapitänin Sintano. Ich bin der Kurier von Saniss, der mächtigsten Welt dieser Sternenansammlung. Doch zwischen mir und meiner Heimat liegt nun eine gewaltige Zeitbarriere, so daß ich nicht weiß, ob ich überhaupt noch jemandem zu Diensten stehe.« »Eine Zeitbarriere?« brachte der erste Offizier Jungarek Asquon sein Erstaunen über
Der Bote der Vorzeit
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Khasrams Antwort zum Ausdruck. »Jawohl, Herr Steuermann Asquon«, bestätigte Khasram. »Mein letzter Auftrag führte mich in die Nähe eines Neutronensterns, wo wir eine kleine Flottenauffangstation unterhielten. Doch die Gegner unseres Reiches lösten mit einer uns unbekannten Waffe den Zusammenbruch des Sterns aus, so daß eine gewaltige Raumverzerrung entstand, in die die Station und alles, was sie beherbergte, hineingezogen wurde. Ich konnte gerade noch auf Überlichtfahrt gehen, doch dabei muß eine Störung aufgetreten sein, die meinen Flug zeitlich so ausdehnte, daß ich beinahe zwanzigtausend Umkreisungen unseres Zentralplaneten um seine Sonne verloren habe.« »Moment«, unterbrach Hekdros, der sich in seiner Ehre als Ingenieur und Antriebsspezialist herausgefordert sah. »Kein Hypersprung aus unmittelbarer Nähe eines schwarzen Loches – und um so etwas muß es sich bei Ihrem zusammenbrechenden Stern gehandelt haben – hat eine derartige Zeitverzögerung zur Folge. Der Sprung kann zeitlich verlagert werden, so die Transitionstheorie von Albon. Auch kann eine Ablenkung vom ursprünglichen Eintauchziel stattfinden. Aber eine Zeitverzögerung von 20.000 Sonnenumläufen ist unmöglich! Es sei denn, Ihre Sonne ist so winzig, daß Ihr Planet nur wenige Grundtakte für eine Umrundung benötigt. Und daß ein Saniza-Orbit, wie bei Ihnen die Sonnenumrundungen heißen, ein wenig mehr als ein Siebteljahr unserer Zeitrechnung dauert, haben Sie uns ja mitgeteilt.« Khasram ließ den Wortstrom Hekdros zunächst abklingen, dann erwiderte er ruhig: »Da Sie mit überholter Hyperflugtechnologie arbeiten, müssen Sie selbstverständlich annehmen, daß alle anderen Interstellarschiffe ebenso reisen, wenn sie in weit entfernte Sonnensysteme oder gar Galaxien vorstoßen wollen. Doch lassen Sie mich bitte weiter berichten, und dann verstehen Sie mich auch besser.« »Sie wollen uns also jetzt, wenn ich richtig vermute, das Märchen vom überlichtschnell fliegenden Schiff erzählen, das einfach so über die Lichtmauer hinaus beschleunigen kann und ganz normal durch den Raum fliegt«, warf der Ingenieur ein und erntete einen verbitter-
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ten Blick von seiner Kommandantin, die diese Verzögerung durch den Chefingenieur als lästig empfand. »Offensichtlich muß ich, bevor ich meine Geschichte weitererzählen kann, einen kurzen Abstecher in unsere Antriebstechnologie machen«, seufzte Khasram betont und schickte einen mentalen Frageimpuls zu Guldara hinüber, ob er die Tripoltechnik nur erwähnen durfte, auch ohne auf technische Einzelheiten eingehen zu müssen. Guldara berechnete die Gefahren und Vorteile einer solchen Informationspreisgabe und erlaubte ihrem Schützling nach einem halben Millisantakt, auf die Tripolanwendungen einzugehen, da wohl kein Verrat gegen Sanissiram begangen werden konnte, solange keine detaillierten Pläne von Maschinen und Programmen übermittelt würden. »Unsere Wissenschaftler entdeckten 100 Saniza-Orbits vor meinem letzten Auftrag, daß die als Hyperraum bezeichnete Zustandsform der Energie kein gleichförmiges Gebilde ist, sondern einer mehrdimensionalen Schwankung in ihrem Energiehaushalt unterworfen ist. Diese Grundschwingung, die von unserem großen Hyperphysiker Nieldas zum ersten Mal gemessen werden konnte, wurde dann auch nach ihm benannt. Danach wurde die Theorie aufgestellt, daß man örtlich begrenzte Veränderungen dieser Schwingungsform schaffen könnte, falls es gelänge, neben den schon bekannten Durchstoßimpulsen, mit denen Ihre Raumschiffe arbeiten, einen dritten Zustand der HyperraumNormalraumwechselwirkung zu schaffen, ähnlich einem dreiphasig geführten elektrischen Wechselstrom. Daraus wurde bald ein großangelegter Wettbewerb der Hyperphysiker, bis es gelang, diese Dreiphasenschwingungen, die dann als Tripolenergien bezeichnet wurden, zu erzeugen. Dabei stellte man fest, daß sich bei einem sehr kleinen Energieaufwand die tausendfache Reichweite erzielen lassen konnte, als bei bisherigen Energieauslenkungen gerichteter Hyperimpulse. Weitergehende Forschungen führten zur Feststellung des negativen Hyperraums, und danach wurde ein neuartiges Antriebs-
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verfahren entwickelt, bei dem ein Schiff, das in eine schützende Energieummantelung eingehüllt wird, vom Grundschwingungszustand des Hyperraums ausgehend, bei voller Stofflichkeit die Lichtmauer durchbrechen konnte. Danach wurden mathematische Funktionen ermittelt, in welcher Weise Schwingungsmuster auf Tripolbasis verändert werden konnten, was zu einer Steigerung der Überlichtgeschwindigkeit, zur Reichweitenerhöhung für Ortungsund Funksignale und damit zum intergalaktischen Raumflug führte. Wie die physikalischen Grundlagen geschaffen wurden und technische Anwendung finden, darf ich nicht sagen. Doch soviel kann ich noch hinzufügen, damit Sie alle nicht glauben, ich würde Unsinn reden: Durch die Tripoltechnik schaffen wir die Voraussetzung, materiellgebliebene Schiffe ohne die üblichen Stoßwellen in den Hyperraum, in ihm zum Ziel und wieder aus ihm heraus zu manövrieren. Es ist so ähnlich, als würden Sie bei einem Sprung kurz vor der entgültigen Entstofflichung den nächsten Sprung auslösen, und dies direkt nach jedem Wiedereintauchmanöver wiederholen. Nur daß hier das Schiff seine vierdimensionale Beschaffenheit einkapselt und somit ohne Austritt aus dem übergeordneten Medium den nächsten Vortriebsimpuls ausstoßen kann. Natürlich millionenmal schneller, als Sie es von Ihren Sprungimpulsfolgen kennen.« »Sehen heißt glauben«, warf Hekdros ein. Doch nun wurde er von Sintano zur Ordnung gerufen. »Über derlei Streitfragen können die Fachleute unseren Besucher ja später genug aushorchen, Herr Hekdros. Doch jetzt will ich, und ich denke nicht nur ich, mehr über Khasrams Geschichte erfahren. Bitte sehen Sie die Sache mit dem Hyperantrieb erstmal als gegebene Begründung für Khasrams Hiersein an.« »Danke, Kapitänin Sintano«, antwortete Khasram und wollte gerade mit seinem Bericht fortfahren, als der Medoroboter, der den Besucher aus der Vorzeit bei seiner Ankunft untersucht hatte, eine überraschende Feststellung machte. »Meine Untersuchung des Raumfahrers Khasram auf biologische Schadstoffe überdeckte eine Erkenntnis, deren Bewertung nun vorliegt«, ertönte eine männlich angehauchte
Thorsten Oberbossel
Kunststimme aus einem kleinen Lautssprecher am Zylinderkopf der Maschinengestalt. »Welche Erkenntnis?« wollte Sintano wissen. »Bei unserem Gast handelt es sich um ein bis ins kleinste Element lebendiger Wesen nachempfundenen Kunstwesen, einem Androiden mit mikrobionischen Einzelkomponenten, die seine Existenz mit den Vorteilen sowohl lebender Wesen als auch von Maschinen versehen hat.« Eine Weile lang sprach niemand mehr. Nur Hekdros sah noch mißtrauischer auf den Repräsentanten eines angeblich in weiter Vergangenheit verschollenen Reiches. Khasram war also kein Lebewesen, sondern ein künstliches Geschöpf. Eine programmierbare Kreatur mit künstlicher Intelligenz, die jedoch – daran zweifelte der Ingenieur keinen Augenblick – einer Reihe von Grundbefehlen folgte, auch wenn sie nach außen einen unabhängigen Geist vorspiegelte. »Es ist richtig, daß mein Körper keine biologische Basis besitzt und damit auch mein Denken nicht auf organischer Ebene abläuft«, bestätigte Khasram den Bericht des Medoroboters und fühlte sich irgendwie entblößt. »Dennoch wurde ich mit einem selbsterweiternden Gehirn versehen, das sich physisch wie erfahrungsbezogen weiterentwickelt. Ich besitze also, wie Ihr Roboter erkannt hat, die Vorzüge von Lebensformen und Maschinen. Ich betrachte mich jedoch als eigenständige Intelligenz und Lebensform und bitte daher um die gleiche Behandlung, wie sie vollorganischen Intelligenzwesen zukommt.« Seit undenklichen Zeiten hatte es niemanden mehr interessiert, ob sein Körper nun völlig organisch war oder nur ein Gefüge aus mikroskopisch kleinen Bauelementen, die richtigen Zellen zu 99,998% nachempfunden waren, nur daß sie keine Erbinformationen auf molekularer Ebene besaßen. Die Wiederherstellung ausgefallener Einzelzellen wurde von Mikrospeichern in anderen Zellen überwacht und gesteuert. Sein Körper war daher ein vernetzter Computer mit Millionen von Einzelknoten und nur wenig von der großen Steuereinheit zu kontrollieren.
PROC STORIES
Der Bote der Vorzeit
Doch Khasram mußte, wie jedes Lebewesen, Materie aufnehmen um verlorene Substanzen zu ersetzen und bedurfte auch gewisser Ruhephasen, um seinen Körper wieder zur vollen Einsatzbereitschaft zu bringen. »Gut. Sie haben mein Wort, daß wir Sie als vollwertiges Intelligenzwesen ansehen«, ging Sintano auf die Bitte Khasrams ein. Dann bat sie, der Bote der Vorzeit möge seine Geschichte fortsetzen. Doch es gab nicht mehr viel zu berichten, außer der Tatsache, daß Khasram den Auftrag hatte, der Zentralwelt seines Reiches zu berichten, daß der Flottenstützpunkt verlorengegangen war. »Erzählen Sie von Sanissiram. Wieviele Planeten gehörten zu diesem Reich, wie wurde es regiert und wo befand es sich?« fragte der erste Offizier. Doch der Ingenieur warf ein: »Aber das können doch die Fachleute bei einer weitergehenden Befragung herausfinden. Seien Sie doch nicht so ungeduldig.« »Herr Hekdros, bitte sorgen Sie dafür, daß wir in zwei Zentitagen den Heimflug antreten können, wenn ich von der Heimatbasis erfahren habe, wie wir mit Khasram verfahren sollen«, wandte sich Kelari Sintano an den Ingenieur. * Guldara hatte über die mentale Verbindung alles mitbekommen, was sich auf der GOMAN ereignet hatte. Die Neugier der fremden Barbaren widerte sie an und so beschloß sie, Khasram nach einer an ihn gehenden Warnung zurückzuholen und in den freien Raum abzudrehen. Doch vorher wollte sie noch Informationen über Atreox haben und bemühte sich um eine Verbindung zum Bordcomputer der GOMAN. Mit ihrer flexiblen Intelligenz fand sie bald einen Zugang zu den astrogatorischen Daten und rief diese ab. Dadurch löste sie einen Sicherheitsalarm aus. * Chefkybernetikerin Estarin Kensur fuhr aus ihrer entspannten Haltung auf, als ein Sirren
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durch den Hauptcomputerraum schrillte. Sofort erkannte sie, daß ein von außen vollzogener Zugriff auf die Basisspeicher stattfand. So schnell und überraschend, daß die Sicherheitsprogramme nur noch den Zugriff feststellen und keine Abwehrvorgänge mehr ausführen konnten. Sofort versuchte die Kybernetikerin per Notabschaltung des Computers, einen unbefugten Datentransfer zu verhindern. Doch der Dateneinbrecher hatte ein winziges Störprogramm in den Sicherheitsspeicher übermittelt, daß beim erneuten Start des Computers dessen Funktion blockieren würde. Kensur erkannte dies noch rechtzeitig, als sie den Finger schon auf dem Notschalter hatte, denn der Computer verlangsamte seine allgemeinen Vorgänge und zeigte ein Symbol an, das die Ausführung eines kürzlich eingegebenen Programmes bestätigte. Bei einer kurzen Abfrage über das Testgerät für den Hauptcomputer erfuhr Kensur von der Natur des Störprogramms. Gleichzeitig flossen Unmengen an Daten über viele Kommunikationskanäle nach außen ab. Kensur konnte nicht verhindern, daß Daten über Atreox, seine Verbündeten und alle als vertraulich gekennzeichneten Daten über andere Sternenvölker übermittelt wurden. Dann, so plötzlich wie der Spuk begonnen hatte, war er auch wieder vorbei. Das Blockadeprogramm war aus dem Speicher verschwunden, der Dateneindringling hatte seine Programmfühler aus dem Basisspeicher gezogen und das System wieder in seinen Normalzustand versetzt. Sogleich meldete die Kybernetikerin den Dateneinbruch bei der Kommandozentrale der GOMAN. Als Kelari Sintano davon erfuhr, wurde sie bleich und fiel beinahe in Ohnmacht. Ingenieur Hekdros sah seine Befürchtungen bestätigt und wollte den Androiden Khasram festnehmen. »Es tut mir leid«, sprach Khasram hastig. »Aber Guldara will nicht mehr, daß ich bei euch . . . « Seine letzten Worte gingen in einem lauten Pfffft unter, als Luftmassen in das plötzlich entstandene Vakuum stürzten, das Khasrams verschwindender Körper geschaffen hatte.
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»Rotalarm! Gefechtsstufe für alle Stationen! Waffen auf das Fremdschiff richten und bei Einsatzbereitschaft sofort feuern!« klangen Kapitänin Sintanos Befehle. Ingenieur Hekdros hatte bereits die wichtigsten Schaltungen für das Hochfahren der Waffensysteme ausgeführt und die entsprechenden Befehle an die Maschinenzentrale gegeben. Keine zwanzig Grundtakte später war die GOMAN in ein Energiefeld eingehüllt und hatte zehn Auflösungsstrahler auf die GELTARHAM ausgerichtet, die keinen Hundertstelgrundtakt später feuerten. * Was sollte das, Guldara?« herrschte Khasram die Rechneranlage der GELTARHAM an. »Diese rückständigen Kreaturen haben schon mehr erfahren, als richtig ist. Ich sah es als gerechtfertigt ihre Daten zu lesen und dich dann, weil sie dich in Gefahr gebracht hätten, zurückzuholen. Sieh doch, sie beschießen uns mit Molekularauflösern!« rechtfertigte Guldara ihr Vorgehen, während beinahe unsichtbare Energiestrahlen auf die GELTARHAM einwirkten. Doch Guldara hatte sofort nach Khasrams Rückkehr einen wirksamen Abwehrschirm aufgebaut, der mühelos das brandende Strahlenfeuer abfing. »Laß mich noch mit ihnen sprechen und ihnen erklären . . . « sprach Khasram auf Guldara ein. Doch diese antwortete nicht, sondern ließ das Schiff mit Normaltriebwerken wenden und mit irrsinniger Beschleunigung davonschießen,
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um es dann unvermittelt im Hyperraum verschwinden zu lassen, wo es nicht mehr auffindbar war. * Verdammt, sie sind weg!« stieß der Ortungsoffizier aus. Auch in der Kommandozentrale hatte man das Fluchtmanöver der GELTARHAM beobachtet. Ingenieur Hekdros knirschte mit den Zähnen und bellte ins Mikrophon: »Wo sind sie aus dem Hyperraum gekommen?« »Ist nicht feststellbar gewesen«, kam die bedauernde Antwort aus der Ortungsabteilung. So blieb der überrumpelten Besatzung nichts anderes übrig, als ihre Begegnung nach Atreox zu funken und mit der Gewißheit die Heimreise anzutreten, von einer offenbar überlegenen Macht besiegt worden zu sein, die nun über mehr Informationen verfügte, als sie selber preisgegeben hatte. * Khasram indes wies Guldara an, die GELTARHAM mit Tripolgeschwindigkeit in den tiefen Raum zu starten. Jetzt, wo er wußte, daß er seine alte Heimat verloren hatte, galt für ihn nur noch, alles zu finden, was davon übriggeblieben war. So eilte das kleine Raumschiff GELTARHAM mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit durch eine Zone, die Wissenschaftler dieser Zeit nicht im Ansatz verstanden, in der ein Schiff materiell stabil bleiben konnte.
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