KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L'T U R K U N D LI C H E H E F T E
VITA...
259 downloads
634 Views
549KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L'T U R K U N D LI C H E H E F T E
VITALIS
PANTENBURG
DER GOLFSTROM FERNHEIZUNG
EUROPAS
i
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
M L II N AU • U L N C H E S -I N N S B R U C K
Einführung \Jolfstrom — Inbegriff einer Fülle phantasiereicher Vorstellungen: heiße südliche Gestade, tropische Fülle, hartblauer Himmel unter einer scharfen Sonne, durchsichtiges Meeresblau, jagende schillernde Fischleiber, ranke Klipper unter windprallen Segeln, gefahrvolle Entdeckerfahrten und seltsame Abenteuer in fernen Ländern. Seit mehr ah sechzig Millionen Jahren, so schätzt man, wirkt der Golfstrom, der „Schicksalsstrom ohne Ufer", als gigantische Pulsader des Klimas und des Lebens all jener Staaten, die am Nordatlantik liegen. Und doch gibt diese großartigste Erscheinung des Ozeans immer noch Rätsel auf; sie ist unberechenbar kraftvoll, von weit stärkerer Ausstrahlung und mächtiger als alle anderen sichtbaren Ströme der Erde zusammengenommen. Europa verdankt ihm seine klimatisch begünstigte Lage und damit eigentlich alles, was es an bedeutenden Leistungen für die Menschheit im Laufe der vieltausendjährigen Weltgeschichte hervorgebracht hat. Vor 450 Jahren verspürte der erste abendländische Seefahrer staunend und erschauernd zugleich die unerklärbare Gewalt des Golfstroms. Seitdem hat dieses Naturphänomen die Phantasie ebenso beflügelt wie das Bestreben, seine geheimnisvollen Eigenschaften physikalisch-sachlich zu ergründen. Immer wieder ergab sich, daß es schwierig ist, das „Bett" des voll entfalteten Golfstroms festzustellen, zumal sich auch aus der Luft nur mit Mühe etwas erkennen läßt. Vieles ist immer noch verborgen, weil diese Meeresflut — abgesehen von ihrem Ursprungsbereich — fast unauffällig ihren Weg polwärts durch den Atlantik nimmt . . . Schott gibt in seiner „Geographie des Atlantischen Ozeans" eine anschauliche Darstellung . des Naturschauspiels Golfstrom: „Der Mensch steht staunend und seiner Nichtigkeit bewußt vor Naturwundern wie dem Hochgebirge, den Eisbergen, den Urwäldern, den Wasserfällen; er hat eine unmittelbare Vorstellung von der Gewalt 2
der Sturmflut, die Leuchttürme wegwaschen kann und den großen Ozeandampfer wie einen Kork hin- und herwirft. In einem auf dem Rücken des Golfstromes treibenden Schiff sieht und merkt man nichts von der Strömung. Aber sobald es weit außerhalb jeglicher Küste in tiefem Wasser verankert ist und nun in mächtigem wirbelndem Lauf der Strom mit Meilengeschwindigkeit am vibrierenden Ankerstahlseil und am gierenden Schiffe vorbeizieht, Tag für Tag und Nacht für Nacht, geht wohl einem jeden das Auge auf für die über alle Vorstellung erhabene Größe des Golfstomes."
Warmes Wasser im eiskalten Meer „Stop! Ich glaube, es reicht!" Nansen rief es seinem Gefährten zu, der die Winde mit dem langen dünnen Drahtseil bediente. Der Mann freute sich, daß die langweilige und anstrengende Kurbelarbeit ein Ende hatte. Es war die letzte Messung der Tiefenwassertemperatur unter der mächtigen Eisdecke, die Nansens Expeditionsschiff schon seit dem Herbst 1893 in ihrem todeskalten Griff hielt. Die nachmals so berühmt gewordene „Fram" befand sich nördlich der Neusibirischen Insel. Der norwegische Professor hatte hier im arktischen Bereich in verschiedenen Tiefen die Wasserwärme geprüft. Nun stellte er in seinem kleinen Bord-Labor die Meßreihen zusammen. Links die Wassertiefe, rechts die Temperaturen. Und Fridtjof Nansen hatte einigen Anlaß zu staunen: Das Wasser war in 100 m Tiefe um etwa 2 Grad wärmer als an der Meeresoberfläche, selbst unterhalb von 500 m lag die Temperatur noch höher als in den oberen Wasserschichten. Daraus schloß der Polarforscher, daß wärmeres und salzhaltigeres Wasser als das der Umgebung irgendwoher in das kalte salzärmere Zentralpolarmeer eindrang. Das konnte nur der Golfstrom sein. Nansen hatte immer behauptet, daß der Golfstrom Ausläufer hoch in die Arktis vortreibe, wofür ein schlüssiger Beweis bis dahin noch nicht erbracht war. Nun freute ihn die Bestätigung seiner Behauptung um so mehr. Eine norwegische Polarforschungsexpedition hatte bereits westlich von Spitzbergen und in der Barents-See Golfstromstränge festgestellt. Die Messungen der „Fram" ergaben nun, daß sich diese Stränge unter dem arktischen Treibeis noch viel weiter nach Norden und Nordosten fortsetzten. 3
Spätere Untersuchungen, insbesondere die neuesten der Amerikaner und Russen, denen weit bessere Methoden und Hilfsmittel zur Verfügung stehen, haben Nansens Beobachtungen voll bestätigt. Es steht heute fest, daß der Golfstrom nach seinem Aufbruch aus den äquatorialen Breiten Mittelamerikas und nach seiner vieltausend Kilometer langen Reise durch den ganzen Nordatlantik im Nördlichen Eismeer unterseeisch versickert. Die vor allem durch Nansen angeregte Meereskunde — d i e Ozeanographie — hat sich jedoch erst vor wenigen Jahrzehnten der „Strömungstechnik" des Golfstromes angenommen. Heute weiß man schon sehr viel mehr über das System und die Wirkungsweise dieser Meeresströmung.
Das Geheimnis der Spanier Unter dem Befehl des spanischen Edelmannes Ponce de Leon, dem der Pilot Francisco de Alaminos zur Seite stand, segelten im Jahre 1513 drei Karavellen längs der Südküste Floridas auf den Golf von Mexiko zu. Am „Cabo de Corrientes", das in jüngster Zeit als Cap Canaveral weltberühmt wurde, ließ der Flottillenführer Kurs nach Süden setzen. Hier beobachteten die spanischen Seeleute erstmals eine merkwürdige Eigenschaft des Meeres, über die das erhalten gebliebene Schiffstagebuch der Reise anschaulich berichtet: „Während wir gegen Süd hielten, dabei etwas mehr von der Küste abkamen, gewahrten wir am 22. April von allen drei Schiffen aus eine Strömung, gegen die wir nicht ankonnten, obwohl guter achterlicher Wind die Segel füllte. Allerdings sah es so aus, als kämen wir voran; wir erkannten aber bald, daß wir trotz praller Segel zurückgetrieben wurden; der Strom war viel mächtiger als der Wind. Zwei der Schiffe, die etwas näher der Küste fuhren, konnten Anker werfen, aber die Strömung war so gewaltig, daß sie die Ankertaue erzittern ließ. Das dritte Schiff, das mehr seewärts segelte, fand keinen Ankergrund. Es wurde fortgerissen und entschwand rasch unserer Sicht, obwohl der Tag ruhig und hell war . . . " Die erfahrenen Seeleute wußten, was es zu bedeuten hatte, wenn ihr Schiff in scheinbar rascher Fahrt die See pflügte und trotzdem nicht vorankam. Durch Beobachtungen der Landmarken entlang der Küste stellten die Spanier fest, daß sie zeitweise sogar zurückgesetzt wurden, obwohl sie glaubten, gute Fahrt vorwärts zu machen. 4
Von Fluß- und Gezeitenströmungen her kannte jeder Seefahrer diese Wirkungen, aber hier — mitten im Meer? Es mußte also eine ungewöhnlich starke Strömung dem Kurs der Karavellen entgegenwirken. Die spanischen Überseefahrer hatten als erste die sehr einprägsame Bekanntschaft mit dem „Golf-Strom gemacht. „Golfo" war die Bezeichnung der Westindienfahrer für das Meer an sieh. Doch ist Golfstrom ein viel späterer Name. Die weißen Entdecker dieser Mecresdrift nannten ihn Floridastrom, und diesen Namen behielt er zweieinhalb Jahrhunderte lang. Noch machte man sich keine Gedanken über die Triebkräfte, die diese Wasserdrift entstehen ließen, und ihre sonstigen Eigenschaften. Noch ahnte man nichts von der riesigen Ausdehnung des Golfstromes und seinem Einfluß auf den von ihm durchströmten Nordatlantik und auf die anrainenden Erdteile, vor allem auf Europa, in dem die spanischen Entdecker ja zu Hause waren. Es steht in dem Schiffstagebuch Ponce de Leons nichts darüber vermerkt, daß dem Karavellenkapitän und seinem nautischen Offizier die für den Golfstrom charakteristische intensiv blaue Farbe aufgefallen war, die ihn bis weit hinter Florida von dem umgebenden Meereswasser deutlich abhebt. Im Bericht eines späteren Beobachters heißt es darüber: „Mit tiefem Indigoblau liegt der prachtvolle Strom in dem bläulich-grünen Bett des Atlantischen Ozeans bis zu den Küsten Carolinas im Südosten der USA. Eine scharfe Linie zeichnet seine Grenze, auf welcher hinsegelnd ein Schiff mit der einen Seite im Golfstrom, mit der anderen im Atlantischen Ozean sich befinden kann. Der Golfstrom ist aber nicht nur blauer als das Bett, in welchem er fließt, sondern auch durchsichtiger, wärmer, spezifisch schwerer und salziger". Dieses Farbwunder zeigt sich jedoch nur in dem Teil der Meeresströmung, der noch die volle ungestüme Anfangskraft hat, nicht aber später, wenn er sich von der Südost-Küste der USA ostwärts, dem offenen Atlantik und schließlich dem Norden zuwendet. Früher wurde angenommen, der junge Golfstrom verdanke das strahlende Tiefblau seinem stärkeren Salzgehalt im Vergleich zum umgebenden Meer, das sozusagen seine „Ufer" bildet. Der auffallende Farbunterschied erklärt sich aber aus der größeren Durchsichtigkeit des 5
warmen Golfwassers gegenüber dem kälteren Wasser des ihn umflutenden Ozeans. Dem Hochseepiloten Francisco de Alaminos ließ die Entdeckung der merkwürdigen, starken Meeresströmung keine Ruhe. Er sagte sich, daß man sich ihre gewaltige Schubkraft auf der Fahrt aus den mittelamerikanischen Kolonien in den Atlantik durchaus zunutze machen könne. Aus dieser Überlegung entstand die erste spanische Segelvorschrift für das Karibische Meer und den Golf von Mexiko, in dem der Golfstrom gleichsam geboren wird. In dieser Vorschrift konnten die Schiffsführer nachlesen, daß sich das neue „Mittelmeer" vor den Küsten Mittelamerikas und des nördlichen Südamerikas in vier bis fünf Tagen mühelos durchsegeln lasse, wenn man von der neu entdeckten Strömung getrieben werde; doch sei die Rückreise derart beschwerlich, daß man meine, die Schiffe hätten „einen Berg hinaufzufahren". Sechs Jahre später stellte de Alaminos, der inzwischen zum Cheflotsen der spanischen Seefahrt in den mittelamerikanischen Gewässern aufgerückt war, auf dem „Rücken des Golfstromes" einen ersten Streckenrekord auf. Hernando Cortez, Eroberer Mexikos und Zerstörer des Aztekenreiches, beauftragte ihn im Jahre 1519, auf dem schnellsten Wege nach Spanien zu reisen und dem spanischen König von den im Aztekenreich erbeuteten Goldschätzen Mitteilung zu machen. Mit dem flinksten Segler der Invasionsflotte segelte der erfahrene Alaminos am 26. Juli 1519 in der lebhaften Drift des Golfstromes zum ersten Male ostwärts durch die Floridastraße; als er erkannte, daß die ihn tragende Strömung sich über Florida hinaus weiter nach Osten erstreckte, hielt er sich in ihrem Flutbereich und gelangte schon nach zwei Monaten Fahrt in die spanische Heimat. Das war eine für damalige Zeiten unerhörte Leistung. Für de Alaminos aber war sie zugleich der schlüssige Beweis, daß diese gewaltige Strömung eine „Dauereinrichtung" des Atlantischen Ozeans sei, die für die Kolonialpläne Spaniens und seiner Seemacht von größtem Nutzen sein könne. Und er berichtete über alles, was er unterwegs beobachtet hatte, seinem Herrn. Fortan bediente sich Spanien dieser Kenntnisse bei seinen überseeischen Unternehmungen. Die Kapitäne erhielten strengen Befehl zur Geheimhaltung, damit die Feinde, Konkurrenten und Neider 6
des spanischen Seereiches diese Chance nicht ausnutzen konnten. Auf Indiskretion oder Verrat war Todesstrafe gesetzt. Der damaligen Weltmacht stand so die schnellste und bequemste Seeroute von Westindien und Mittelamerika nach Europa zur Verfügung. Auf umgekehrtem Kurs, auf der Fahrt von Europa nach Mittelamerika, vermied man natürlich, gegen den Golfstrom anzukämpfen. Man merkte sehr bald, daß man bei dieser Reise an den „Flanken" der Drift entlangsegeln müsse, entweder westlich — oder mehr östlich. Auf die Dauer ließ sich die Tatsache des Golfstroms und seiner seemännischen Chancen vor der Weltöffentlichkeit nicht geheimhalten: Aber den Trick, wie man die Strömungen für ein schnelleres Vorwärtskommen ausnutze, hatten längst noch nicht alle Kapitäne begriffen.
Die Flaschenpost der „Malvira" Viel Aufsehen erregte eine Flaschenpost, die im März 1703 an den Strand einer schottischen Insel angetrieben worden war. Nicht nur wegen der Tragödie, die darin mitgeteilt wurde, sondern auch wegen der gewaltigen Strecke, die die Botschaft zurückgelegt hatte und die ein weiterer Hinweis auf das Vorhandensein einer den Ozean von West nach Ost durchflutenden Strömung war. Die Post hatten die Besatzungsmitglieder des holländischen Segelschiffes „Malvira" in den Gewässern Westindiens den Fluten übergeben, sie enthielt folgende Mitteilung: „Heimreise von New Orleans — Befinden uns 7. Oktober 1702 auf 31,9 Nord zu 74,3 West — Tornado aus Südsüdwest nahm uns alle Masten, die Takelage, die Boote und sieben Mann, dabei den ersten Steuermann. Der Großmast schlug von außenbords ein Leck. Versuchten, es zu dichten. Es ist zu groß, die Pumpen nützen nichts mehr. Wir sinken. Gott sei uns gnädig! Da nichts mehr hilft, als sich bereit zu machen, habe ich, Kapitän Löwaald, mit denen, die noch da sind, diese Flasche geleert auf eine gute Landung drüben im Jenseits. Wir geben, soweit wir verheiratet sind, unseren lieben Frauen daheim als Andenken und Zeichen unseres Bedauerns und Mitleids unsere Eheringe hinein, damit sie sich von dem Erlös einen Trost kaufen sollen." Die letzte Nachricht dieser dem Tod geweihten Seeleute mußte die weite Reise über den Ozean auf dem Rücken des Golfstroms gemacht haben, da sie schon fünf Monate später auf7
gefunden worden war. Die traurige Flaschenpost von 1703 wurde in der Geschichte der Golfstromforschung ein wichtiges Dokument.
Schiffsortbestimmung — nach Wassertemperaturen Im Jahre 1769, zweieinhalb Jahrhunderte nach der Rekordfahrt des Chefpiloten de Alaminos von Westindien nach Spanien, erschien zum ersten Mal der Golfstrom auf einer Seekarte des Atlantischen Ozeans. Die Anregung hierzu gab der berühmte amerikanische Staatsmann und Erfinder Benjamin Franklin in einer Zeit, in der die Nordamerikastaaten noch britische Kolonien waren. Während eines Aufenthaltes in London bat man ihn um Auskunft darüber, wie es möglich sei, daß Frachten, die britische Unternehmer aus Falmouth in Südengland nach Boston sandten, vierzehn Tage länger für die Überfahrt benötigten als amerikanische Handelsschiffe, die von London nach Rhode Island segelten, das etwas südlich von Boston liegt. Franklin, der selbst darüber erstaunt war, wandte sich an seinen amerikanischen Landsmann, den bewährten Kapitän Thimothy Folger aus Nantucket. Dieser erfahrene Walfänger kannte das Meer und seine Eigenschaften wie seine Häuslichkeit. Er sagte, bei den schnelleren Schiffen handle es sich um Segler von NantucketI.euten, denen bekannt sei, daß man auf Westkurs, also von England her, den Golfstrom meiden müsse, was die Engländer einfach nicht beachteten. Folger erklärte es genauer: „Bei der Verfolgung von Walen, die sich stets außerhalb des Golfstromes halten, also nie mitten darin angetroffen werden, fahren wir Nantucket-Seeleute an seinem Rande entlang und überqueren ihn häufig, um die Seite zu wechseln. Bei diesem Durchkreuzen begegnen wir oftmals den britischen Paketbooten. Sie befinden sich in der Mitte des Golfstromes und müssen ihm entgegenarbeiten. Wir haben mit ihnen gesprochen und sie darüber unterrichtet, daß sie gegen eine Strömung ansegeln müssen, die mit .einer Geschwindigkeit von drei Meilen in der Stunde gegen sie anlaufe. Wir rieten ihnen, wenn sie auf Westkurs segelten, die Strömung zu meiden. Aber die Gentlemen waren zu gescheit, um sich von uns amerikanischen Fischern beraten zu lassen." Franklin fand es „sehr bedauerlich, daß von diesem Strome auf den Karten keine Notiz genommen werde", und veranlaßte Captain Folger, genau aufzuzeichnen, was er von ihm wußte. Die erste 8
Der Golfstrom mit seiner Kreisbewegung im Mittleren Atlantik und seinen Nebenarmen und Ausläufern (nach einer älteren Karte).
Karte des „Golfstromes" entstand. Franklin sorgte auch dafür, daß die britischen Schiffskapitäne von Falmouth sich in Zukunft dieser für sie wertvollen Karte bedienen konnten, aber „sie zuckten darüber nur die Achseln". In einem zeitgenössischen Bericht heißt es, es sei der „alberne, dünkelhafte Hochmut der Briten", der sie, sehr zum eigenen Nachteil, von dieser nutzbringenden Anregung Abstand nehmen ließ. Heute spricht man von einer „kalten Wand", die wie eine feste Schranke die wärmeren Wassermassen des Golfstromes von den sie umgebenden Meereswassern trennt. Zwar können große, moderne Schiffe erfolgreich gegen den Golfstrom ankämpfen; um aber Brennstoff und Zeit zu sparen, nehmen sie auch heute noch vielfach einen Kurs hart unter der Küste, wo der Golfstrom von geringerer Wirkung bleibt; das hat aber den Nachteil, daß hier das Fahrwasser Wegen der Untiefen und Riffe nicht ganz ungefährlich ist. Benjamin Franklin, der Naturvorgänge gern und leidenschaftlich studierte, interessierte sich seit der Belehrung durch Kapitän Folger stark für die eigenartige Erscheinung des Golfstromes. Ihm fiel als erstem die höhere Temperatur seines Wassers auf. Doch behielt er dieses Wissen lange für sich und seine inzwischen — im Jahre 1773 — von England freigewordene amerikanische Heimat. Erst im Jahre 1790 machte er die Öffentlichkeit in seiner Aufsehen erregenden Schrift „Über die Seemannskunst durch Wärmemessung" („On thermometrical Navigation") auf seine Entdeckung aufmerksam, auch die heutige Bezeichnung „Golfstrom" geht auf Franklin zurück. Es dauerte nun nicht mehr lange, bis jeder tüchtige Kapitän in den vom Golfstrom durchzogenen Gebieten schon aus den Messungen der Wassertemperaturen die geographische Länge, in der sich sein Schiff befand, einigermaßen genau bestimmen konnte. Später haben der berühmte deutsche Gelehrte Alexander von Humboldt, der Begründer der wissenschaftlichen Erdkunde, und der Amerikaner Mathew Fontaine Maur/ die Kenntnisse vom Golfstrom wesentlich erweitert.
Die „Tangwälder" des Sargassomeers In dem Jahrhundert Franklins findet sich auf einer Landkarte auch erstmals die bis dahin sagenhafte „Sargassobank" eingezeichnet, deren Lage und Entstehung für die Erforschung des Golfstromes von 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2006.12.30 10:03:04 +01'00'
großer Bedeutung werden sollte. Der Schwede Peter Kalm nannte die hier in Massen vorkommenden Meerespflanzen „Golfkräuter". Der auch Sargassomeer oder Sargassowiesen genannte riesige Meeresteil liegt westlich der Azoren und erstreckt sich über eine Fläche vom Umfang fast des ganzen europäischen Festlandes. Die „Golfkräuter", auch als „Sargassotang", „Beerentang", „Sargassokraut" bezeichnet, eine lederartige Algenart, bildet hier ungeheure schwimmende Inseln, die sich stets erneuern. Das Kraut hat luftgefüllte Schwimmblasen, die es an der Wasseroberfläche halten. Schon Kolumbus war das Vorhandensein dieser Tangmassen aufgefallen; er hatte mit seiner Flotte vierzehn Tage gebraucht, um sich durch die Dickichte dieser „Tangwälder" durchzuarbeiten. Auf das azurblaue Sargasso-Meer strahlt unablässig eine glühendheiße Tropensonne herab. Im Atem des herrlich weiten Ozeans schwingen die ungeheuren Wälder aus Tang. Die Geheimnisse dieser Dickichte mußten die Meeresforscher locken. Aber erst um das Jahr 1880 setzte die Erforschung ein, und es ergab sich, daß diese eigenartige Erscheinung durch den Kreislauf des Golfstroms zustande kommt, der die Tangmassen in drehende Bewegung versetzt und sie zugleich an der Stelle hält. Die Gelehrten lösten hier auch das Rätsel der Aalwanderungen. Warum zogen die Aale in ihrer Jugend aus dem Atlantik die Flüsse Europas oder Ostamerikas hinauf, warum wanderten sie im reifen Alter die Flüsse hinab wieder meerwärts, wobei sie jeden Widerstand überwanden? Woher kamen die geschmeidigen schlangengleichen Tiere, die der Feinschmecker als köstliche Leckerbissen so sehr schätzt? Wo war ihre Heimat, zu der sie wieder hinzogen? Die Sargassobank ist die Geburtsstätte, von der die etwa 1 cm großen Aallarven ausziehen, um sich dem Golfstrom anzuvertrauen und, unterwegs immer größer werdend, der amerikanischen oder europäischen Küste zuzustreben. Sie ist der Ort, an den sie, wenn sie erwachsen und reich an Erfahrung sind, zurückkehren, um Hochzeit zu halten, neuen Millionen und Abermillionen winziger Aallarven das Leben zu geben und ihr eigenes in der Sargassomeerestiefe zu beschließen. Eine der Routen der jungen, europäischen Aale führt rheinaufwärts durch den Main und seine Kanalverbindung zur Donau und zum Schwarzen Meer, dann durch das Mittelländische Meer 11
westwärts wieder in Richtung ihrer Sargasso-Heimat. Eine abenteuerliche Reise, reich an Erlebnissen für diese kleinen, unendlich zählebigen und ausdauernden Meeres- und Flußbewohner.
Der Weg wird verfolgt Noch im 18. Jahrhundert begann man sich intensiver mit der Route des Golfstroms zu befassen. Hierzu gab besonders Alexander von Humboldt die Anregung. Seit 1770 erschien die Bezeichnung „Golfstrom" allgemein auf den Seekarten und in den Büchern. Nicht lange danach machte sich der deutsche Kapitän Strickland daran, den Verlauf des Golfstroms genauer zu verfolgen. Erste Hinweise waren für ihn die mit dem Strom reisenden fliegenden Fische und der in der Strömung treibende Tang, der sich gelegentlich aus dem SargassoMeer herauslöste. Strickland beobachtete auch das Treibholz, das der Ozean an den Stranden Irlands, Schottlands und der Hebriden an Land warf und das seiner Beschaffenheit nach nur aus tropischen Zonen stammen konnte. Aus diesen Anlandungen schloß er, daß ein Golfstromzweig auch im Nordatlantik bestehen müsse, der diese Dinge heranführte. Und die Nachwelt hat ihm recht gegeben. Daß der Atlantik ständig tote, zuweilen sogar lebende Zeugen einer fremden, irgendwo im Westen liegenden unbekannten Welt an die westlichen Küsten des Abendlandes wirft, war übrigens schon in der Antike bekannt. Der römische Berichterstatter und Geschichtsschreiber Plinius berichtet, daß fremde Eingeborene in Bootstypen, die kein Europäer je gesehen hatte, an die Westküste Europas angetrieben worden seien; sie stammten vermutlich von fernen Inseln im Atlantik. Auch in den Jahrhunderten später wußte man von solchen Gestrandeten und von Treibgut aus dem „Westmeer". Kolumbus wurde zu seiner weltbewegenden Entdeckerreise unter anderem auch durch solche fremdartigen Dinge angeregt, die man an den Gestaden der Azoren aufgelesen hatte: Baumstämme aus unbekannten Wäldern, Leichenteile von Angehörigen nie gesehener Stämme und mancherlei anderes angetriebenes Gut. Über den Weg des Golfstromes im Norden des Atlantik und seine polaren Fortsetzungen erfuhr man Näheres aber erst im Jahre 1820, als William Scoresby, ein erfolgreicher Walfänger-Kapitän und leidenschaftlicher Naturbeobachter, auf Grund der Erfahrungen auf 12
Im Nördlichen Eismeer an der Treibeisgrenze, die dort, wo der Golfstrom einwirkt, weit zurückgedrängt ist. Schiffe können hier viel weiter hinauffahren als irgendwo anders im weiten Rund um den Pol. 13
seinen Jagdfahrten einen Bericht über Meeresströmungen veröffentlichte. Er kam zu dem Schluß, daß „die nördliche Abzweigung des Golfstroms sich vermutlich auf der Oberfläche des Ozeans längs der Küste Norwegens hin gegen Nordosten fortsetze". Scoresby fand als erster heraus, daß — entgegen der physikalischen Regel über „steigende Wärme" — im Polargebiet warme Strömung unter die kalte tauchte. Er wußte auch eine Erklärung dafür: Der Golfstrom führte mehr Salz und war deshalb schwerer als das salzärmere Wasser der nördlichen Meere, die ja das salzlose Schmelzwasser der Gletscher, Eisberge und Flüsse in sich aufnehmen. Auf Scoresbys Annahme baute schließlich Nansen seine Forschungsarbeiten im Nördlichen Eismeer auf, von denen wir zu Anfang berichtet haben. Um die gleiche Zeit bewies eine Reihe aufschlußreicher Strandgutfunde, daß Scoresbys Behauptung von einem Nordzweig des Golfstroms richtig war. Oberst Sabine, der im Auftrag der Könglich britischen Marine eine Forschungsreise an die Ostküste Grönlands unternahm, entdeckte zufällig im Sommer 1823 in Hammerfest, der nördlichsten Stadt Europas, Fässer mit Palmöl, die aus der See geborgen waren und nach ihren Aufschriften unzweifelhaft von einem weit im Süden gescheiterten Schiff stammten. Oberst Sabine befuhr und erkundete den Verlauf des Golfstroms auf weiten Strekken. Der Golfstrom wurde, sobald er die Küste Europas erreichte, nach Süden zur afrikanischen Nordwestküste abgebogen und „kehrte" von dort nach Mittelamerika, seinem Ausgangsgewässer, zurück. Er vollzog also im mittleren Atlantik einen Rundlauf, in dessen Zentrum die Sargasso-See lag. Von der Karibischen See aus segelte Oberst Sabine dann mit dem Golfstrom durch die FloridaStraße an die Stelle, von wo der Strang nach Nordosten abbog. Auf seiner Fünftausend-Seemeilen-Reise, so erklärte der Oberst, habe ihm die Unterstützung durch den Golfstrom rund 1600 Seemeilen „geschenkt". Bei Kap Hatteras habe er Anker werfen lassen, um „zum ersten Male in ganz genügender und wissenschaftlicher Beobachtung" die Geschwindigkeit des Golfstroms zu messen. Sie betrug während eines Etmals, das heißt in der Zeit von Mittag zu Mittag, 77 Seemeilen, das sind 145 Kilometer, die der Reise-TagesLeistung der Pferde-Postwagen seiner Zeit entsprachen. 14
Über Wege und Geschwindigkeit des Golfstromes machte sich auch der deutsche Kapitän und Meerforscher Irminger Gedanken nach dem der an Island vorbeistreichende, auf Südgrönland zielende Seitenarm des Golfstroms benannt ist. Er glaubte, Baumstämme aus dem Mississippi, die auf der Insel Stömö in den Färöern 1844 an Land geworfen worden waren, seien 160 Reisetage unterwegs gewesen. Er nahm an, der Golfstrom trüge sie mit einer Geschwindigkeit von 5 km in der Stunde fort. An der Westküste Spitzbergens griff Kapitän Irminger Bojen, die sich von den Netzen norwegischer Lofotfischer losgerissen hatten, auf. 1861 fischte er zu seiner großen Verwunderung sogar dreißig solcher Schwimmkörper an den Sjuöyani aus dem Meer. Diese „Sieben Inseln" liegen nördlich von Spitzbergen; der Fund war daher für Irminger die sichere Bestätigung dafür, daß der Golfstrom einen starken Ausläufer nicht nur an der Westküste Spitzbergens entlang sendet, sondern daß er sich über die Inselgruppe hinaus fortsetzen muß. Auch die Forschungsexpedition, die unter Paul Gaimard nach Skandinavien und Spitzbergen fuhr, um den nördlichen Arm des Golfstroms näher zu erkunden, kam zu dem Ergebnis, daß „eine breite Strömung in nordöstlicher Richtung durch die nördlichen Partien des Atlantischen Ozeans geht. Sie ist zuerst auf Großbritannien gerichtet, streift dann, zwischen Schottland und den FäröerInseln durchführend, die norwegische Küste entlang und wendet sich von da aus weiter nordwärts". Auch Gaimard machte an der norwegischen Küste interessante Funde, darunter zahlreiche südliche Pflanzen, „welche offenbar von der Küste der Vereinigten Staaten und vom Golf von Mexiko hierhin gelangt sein mußten". An der äußersten Spitze des Nordkaps Europas stieß die Expedition auf die Frucht einer bekannten mexikanischen Mimose; das waren weitere untrügliche Beweise für den Verlauf dieses Zweiges der Golfstromdrift. Gründlichere Forschungsarbeiten über Ursprung, Verlauf und sonstige Besonderheiten des Golfstroms ließ die Regierung der Vereinigten Staaten kurz danach durch ihre Küstenvermessungsabteilung durchführen. Diese Arbeiten, die sich bis 1866 hinzogen, waren die wichtigste Voraussetzung für die weitere Golfstromforschung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten dann verbesserte grundlegende Seekarten mit dem Golfstromverlauf er15
scheinen; sie kamen auf Anregung des berühmten deutschen Geographen Georg Petermann zustande. Im großen Stil förderte dann ein sehr vermögender europäischer Kleinherrscher die Drifterforschung des Golfstroms. Es war um die Jahrhundertwende Fürst Albert I. von Monaco, dem seine Spielsäle so viel Geld einbrachten, daß ihm neben allerei aufwendigen Hobbies noch reichlich Mittel zu privaten Meeresforschungsarbeiten übrigblieben. Er ließ siebzehntausend hohle Kupferkugeln anfertigen und in der Bahn des Golfstroms aussetzen. Sie sollten mit dem Strom treibend den genauen Weg des Golfstroms von der nordamerikanischen Ostküste her anzeigen. Kaum jeder siebte dieser kupfernen Stromanzeiger wurde eingefangen. Manche kamen in Irland, andere in Norwegen an. Einige trieben gegen die westafrikanische Küste. Die Einzelschicksale der Hohlkugeln waren sehr aufschlußreich. Obwohl es heute manche bessere und genauere Methode gibt, um meereskundliche Untersuchungen durchzuführen, sind Hohlgefäße noch längst nicht überflüssig geworden. Im Frühjahr 1954 machte das „Britische Institut für Ozeanographie" die bisher umfassendste Anstrengung, tiefer in die Rätsel des Golfstromverlaufs und seiner Driftgeschwindigkeit einzudringen. Zwischen der Biskaya und den Hebriden, einer Inselgruppe westlich der schottischen Küste, wurden an genau bestimmten Punkten zehntausend sorgsam seefest und wasserdicht verpackte Fragebogen dem unruhevollen Atlantik anvertraut. Die Auswertung der bisher wiedergefundenen Fragebogenpost ist noch nicht abgeschlossen.
Winde — Motoren des Golfstroms Wie kommt die gewaltige Flutbewegung der Erde zustande? Die spanischen Seefahrer, die um die Wende zum 16. Jahrhundert das Zeitalter der größten und erfolgreichsten Entdeckungen und Eroberungen in Übersee einleiteten, kreuzten den weiten Atlantik mit Segelschiffen. Sie waren daher auf den Wind angewiesen. Wir wissen, daß sie sich aber auch der Meeresströmungen bedienten, wenn diese die Antriebskraft der Luftströmung vermehren konnten. Sie erkannten, daß die Winde im nördlich des Äquators liegenden Bereich ständig — zumeist sanft aus Nordost — wehen. Das Segeln bot hier besondere Vorteile zumal das Vorwärtskommen zugleich durch die 16
Hier am Nordkap, wo Europa zu Ende ist, biegen Ausläufer des Golfstroms bis weit in das Nordmeer hinaus. 17
Nordäquatorialdrift unterstützt wurde. Infolge des hier auch recht angenehmen Klimas war die Seereise weniger abenteuerlich, mühsam und gefährlich als auf anderen Schiffahrtswegen. Kein Wunder, daß dieser Teil des Atlantik für sie „el golfo de las damas", das „Damenmeer", war. Zeigte sich hier nicht der Himmel stets von der heiteren, schönsten Seite? Der erste der aus den im allgemeinen spärlichen oder aus Konkurrenzgründen meist geheimgehaltenen Berichten der Westindienfahrer eine Theorie machte, war der Niederländer Vossius. Er wußte noch nichts von den Nordausläufern des Golfstroms, aber seinen merkwürdigen Kreislauf hatte er doch ziemlich genau erfaßt. In seiner Abhandlung „Die Bewegungen der Meergewässer und Winde", die in Den Haag 1663 erschienen ist, heißt es: „Mit dem allgemeinen Äquatorialstrom laufen die Gewässer nach Guayana zu und treten dann in den mexikanischen Meerbusen ein. Von da setzen sie schief hinüber nach der Straße von Florida und nach Virginia und laufen von dort nach Osten, bis. sie die gegenüberliegenden Küsten von Europa und Afrika erreicht haben, von welchen aus sie wieder südwärts gehen und schließlich in die anfängliche Bewegung nach Westen umlenken, indem sie so sich ständig in einem Zirkel herumbewegen". Die Frage, wie diese Bewegung der Wassermassen in Gang kommt und in Gang gehalten wird, ließ Vossius unbeantwortet. Heute wissen wir genau, wie sie entsteht: Es sind die seltsamen, im Atlantik vorherrschenden Winde, die den Golfstrom antreiben und in ununterbrochenem Lauf halten. Nördlich und südlich des Äquators befinden sich im Luftmeer Hochdruckgebiete, während sich am Äquator selbst — zwischen diesen Räumen des Hochdrucks — eine breite Rinne tiefen Druckes erstreckt. Durch dieses Druckgefälle kommen Winde zustande, die von Norden und von Süden her ungeheure Luftmassen zum Äquator führen. Sie. wehen aber nicht genau senkrecht zum Äquator hin, weil die Erdumdrehung auf ihre Richtung weitgehend Einfluß nimmt. Sie werden abgebogen, und zwar so, daß die von Nord nach Süd streichenden Winde eine Ablenkung nach rechts, die von Süd nach Nord gehenden nach links erfahren. Nördlich des Äquators wehen deshalb vornehmlich Winde aus Nordost, südlich des Äquators aus Südost. Segelschiffe, die aus südeuropäischen Häfen 18
zum tropischen Mittelamerika oder von Nordafrika in die südamerikanischen Kolonien, fuhren, vertrauten sich dem gleichbleibenden immer in Fahrtrichtung wehenden Wind an, und ebenso machten es die Kapitäne, die von Mittel- und Nordeuropa Nordamerika erreichen wollten. Dank dieser Unterstützung durch den Wind „passierten" sie besonders günstig den Atlantik. Deshalb nannte man die segelfüllenden Winde „Passate": Nordost-Passat und SüdostPassat. Diese frühen, die Neue Welt ansegelnden Kapitäne hatten indes keine Ahnung, daß die wundersamen Passate zugleich auch die Motoren für den Golfstrom sind. Denn die Passate schwellen nicht nur die Segel der Schiffe, so daß sie in unbehelligter Fahrt viele Schiffstagereisen weit auf gleichem Kurs ihre Bahn ziehen können; sie stoßen zugleich die Wassermassen des mächtigen Atlantik an und zwingen sie in ihre Richtung, wobei auch die Wasser von der ablenkenden Kraft der Erdumdrehung erfaßt werden. Die Ablenkung ist am größten am Äquator, weil hier die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde am höchsten ist und es in diesem atlantischen Bereich kein Land und keine Großinseln gibt, die das Strömen des Wassers hemmen könnten. Die Bewegungsgesetze, die sich aus den Winden und der Erdumdrehung für das Fluten des Ozeans ergeben, sind über ein riesiges Gebiet wirksam. Es erstreckt sich bis zu zweitausendzweihundert Kilometer nördlich und ebenso viele Kilometer südlich des Äquators. Die südlichen Wassermengen bewegen sich, von den Winden angetrieben, auf die Inselkette Mittelamerikas und auf die lange schmale Landbrücke zwischen dem nordamerikanischen und dem südamerikanischen Erdteil zu. Die immensen von der tropischen Sonne erwärmten Wasser würden als ungeheurer Stromring ohne Aufenthalt den ganzen Erdball umziehen, wenn diese Inselkette und diese Brücke zwischen Südund Nordamerika nicht wären. Zwischen den Inseln der Kleinen Antillen und dem südamerikanischen Festland zwängen sich die Hauptmassen der Flut ins Karibische Meer, von dort durch das Tor zwischen der Halbinsel Yucatan und der Insel Kuba in den Golf von Mexiko. Nur ein kleiner Teil, der beim Anprall gegen die Inselsperre der Großen Antillen abgespalten wird, geht nicht in das Becken des mexikanischen Meerbusens. Dieser Stromast streicht an 19
der Außenfront des Antillen-Archipels entlang und hat nach ihm den Namen Antillenstrom erhalten.
Die Geburt des Golfstroms Im Kessel des Golfes von Mexiko ballen sich die riesigen Wassermassen, zu denen in nie versiegendem Strom neue stoßen, unter den Feuern der Tropensonne zusammen. Ihre Druckenergien sind unvorstellbar; sie lassen die Oberfläche des Wassers von der Yukatan-Enge her nach dem Innern des Golfes zu um mehrere Dutzend Zentimeter ansteigen. Da 1 Kubikmeter Wasser einem Gewicht von 1 Tonne entspricht, haben die hier sich ballenden Wassermassen gigantische Energien, die sich mit unwiderstehlicher Gewalt eine Öffnung schaffen, durch die sie frei werden und verströmen können. Wohin, das zeigt ein Blick auf die Karte dieses Ursprungsraumes. Es gibt nur ein einziges Ventil: die Meerespforte zwischen der Halbinsel Florida und den Inseln des Kuba-Bahama-Archipels. Hier öffnet sich das natürliche, achtzig Kilometer breite, aber nur achthundert Meter tiefe Tor für die „gigantischste Ausflußströmung der Erde". Mit ungeheurer Gewalt drängen die im Mexiko-Golf gestauten und durch stetige Zufuhr ergänzten Wassermassen durch das Florida-Tor. Nirgendwo auf der Erde findet sich ein diesen Fluten auch nur annähernd vergleichbares Gegenstück. In jeder Sekunde schießen Millionen und aber Millionen Kubikmeter Wasser zunächst fast nördlich durch dieses verhältnismäßig viel zu enge Portal, wobei sie genau gegen den hier aus Nordost und Nord wehenden Passat anlaufen. Viele tausend Kilometer "weit wirken diese phantastischen, nie versiegenden und nie schwächer werdenden Stromkräfte nach. Man hat überschlägig errechnet, daß sie das Zweihundertvierzigfache des Amazonas ausmachen. Es ist auch versucht worden, die Menge des Golfstroms auf.der Höhe der Küste Floridas durch Messungen zu ermitteln. Danach schießen mindestens fünfundzwanzig Millionen Kubikmeter in einer einzigen Sekunde durch das Profil dieser Meerpforte; das sind in einer Stunde rund hundert Milliarden Kubikmeter und ebenso viele Tonnen. Eine unvorstellbare Masse! Aus der Menge des durch die Florida-Enge schießenden Stromes ergibt sich auch seine Geschwindigkeit. In einer Stunde legt er hier über sechs 20
An der hochnordischen Küste Norwegens gedeihen dank der Golfstromwärme nicht nur die Früchte des Landes, sondern auch die „Früchte des Meeres". Bis zu 60 Millionen Dorsche werden hier in einer Fangsaison erbeutet. 21
Kilometer zurück, das ist in der Sekunde etwa 1,7 Meter. An der Oberfläche sind aber noch höhere Geschwindigkeiten gemessen worden, sie liegen zwischen 2,1 und 2,6 Meter je Sekunde. Derartige Geschwindigkeiten werden sonst nur bei Hochwasserkatastrophen festgestellt. Der Golfstrom bewegt nicht nur die Oberflächenwasser, er reißt auch die unteren Schichten mit; doch nimmt seine Geschwindigkeit mit zunehmender Wassertiefe begreiflicherweise ab. In dreihundert Meter Tiefe ist sie nur noch halb so groß wie an der Meeresoberfläche. Die Strömungsgeschwindigkeit vermindert sich dabei sowohl nach unten wie nach den Seiten hin, was man schon in jedem Flußbett beobachten kann; es ist eine Folge der Reibung. Ähnlich verhält es sich mit den Wassertemperaturen. Mißt man an der Oberfläche zwanzig Grad Celsius, so sind es in vierhundert Meter Tiefe nur noch zehn bis vierzehn Grad Celsius. Der Salzgehalt, der beim Golfstrom eine so wichtige Rolle spielt, macht etwa 35 bis 36 Teile auf tausend Teile Wasser aus. Unweit der Florida-Enge prallt der Floridastrom auf den vor der Inselkette der Antillen abgespaltenen und nordwärts abgebogenen Antillenstrom, der ihm neue enorme Kräfte zuführt. Es sind rund elf Millionen Kubikmeter je Sekunde. Dieser Bereich, wo die Was-, sermassen sich vermählen, ist der imponierendste Abschnitt im ganzen Verlauf des Golfstroms. Die vereinten Kraftströme treiben hinter dem Ausgang der Florida-Straße in die Weite des Atlantik. Zunächst fließt der Golfstrom an der nordamerikanischen Südostküste entlang, die beim Kap Hatteras in den Ozean vorspringt. Dann nimmt er nordöstliche Richtung, bis er vom Unterwassersockel der kanadischen Meeresprovinzen Neuschottland und Neufundland nach Osten abgelenkt wird. Hier schiebt sich der kalte LabradorStrom, der die Eisberge der stark vergletscherten Arktis-Inseln Grönland und Baffin-Land mit sich führt, gegen seine Nordflanke. Die kalte Flut. des Labradorstromes ist oftmals sogar bis fast zum Kap Hatteras zu verfolgen. Besonders stark ist das Gegeneinanderwirken von Golfstrom und kaltem Polarstrom auf der Höhe Neuschottlands zu verspüren und gibt oft Anlaß zu den merkwürdigsten Beobachtungen. Der britische Admiral Milne, der im Mai 1861 von Halifax nach 22
den Bermudas reiste, staunte nicht wenig, als er in dieser Grenzzone zwischen Kalt und Warm Temperaturmessungen vornehmen ließ. Am Bug seines Schiffes maß man +21» C, am Heck aber nur + 4,5° C, so daß sich auf einer einzigen Schiffslänge von nur einigen Dutzend Metern ein Temperaturunterschied von 16,5° C ergab. Warm und Kalt sind hier gleichsam wie durch eine gläserne Zwischenwand getrennt. Zweieinhalb Jahrhunderte zuvor hatte schon der französische Naturforscher Lescarbot vierhundert Seemeilen östlich von Neufundland auf dem 45° nördlicher Breite festgestellt, daß das Meerwasser plötzlich sehr warm wurde, während die Luft genauso rauh-kalt war wie vorher. Drei Tage und drei Nächte fuhr Lescarbot in warmem Wasser, bis die See wieder sehr kalt war. Auf der Rückreise beobachtete der Seefahrer, daß in der gleichen Gegend trotz der umgebenden kalten Luft das Bier im tiefen Laderaum so warm wurde, daß es kaum noch mit Genuß zu trinken war. Das Schiff fuhr also gleichsam durch zwei unterschiedlich warme Stockwerke des Meeres. Die Eisberge des Labradorstromes beginnen bei der Berührung mit dem warmen Golfstrom abzuschmelzen. Das dadurch verursachte Gemisch von Eiskalt und Warm führt zu reichlicher Nebelbildung, die bis in die jüngste Zeit der Schiffahrt sehr zu schaffen machte. Durch den Einsatz neuzeitlicher Navigationsmittel, durch Funk, Echolot und Radar und durch den wohlorganisierten EisbergSicherungsdienst Kanadas und der USA gelang es, die Gefahren durch Nebel und Eisberge so gut wie völlig auszuschalten. Bei seiner Ablenkung nach Nordost und Ostnordost wächst der Golfstrom fächerförmig in die Breite, wobei die kräftigen Reibungswiderstände durch den umgebenden Atlantik auf ihn einwirken. Seine Kraft und seine Strömungsgeschwindigkeit lassen daher in der Folge merklich nach. Verfügt er im „Ventil" der Florida-Enge über ein Bett von nur achtzig Kilometer und auf der Höhe des Kap Hatteras von zweihundertfünfzig Kilometer Breite, so ist zwischen dem 40. und 45. Grad nördlicher Breite die Flut schon so ausgedehnt, daß aus dem Strömen fast ein gemächliches Dahintreiben geworden ist. Ehe der Golfstrom aber völlig verebben kann, erhält er überraschend einen neuen starken Impuls. Er befindet sich jetzt in dem 23
Abschnitt, den die Meereskundler als Nordatlantischen Strom bezeichnen. Wieder verhelfen ihm hier die Winde vorwärts. Aus der ständigen Hochdruckzone im Raum der Azoren strömen nämlich die Luftmassen nicht nur zu der Tiefdruckrinne am Äquator, sondern sie fließen zum Teil auch nach Norden in eine hier lagernde Zone tiefen Druckes ab, die den Meteorologen unter der Bezeichnung „Island-Tief" geläufig ist. Die nordwärts wehenden Winde veranlassen den müde gewordenen Golfstrom, die Hauptrichtung von Westsüdwest nach Ostnordost wieder, aufzunehmen und geben ihm wieder ein schnelleres Tempo. Aus der freien Unendlichkeit des Meeres bewegt sich der Strom jetzt auf die europäische Küste und die vorgelagerten Inseln zu. Die lange Festlandfront Europas und die nordatlantischen Inselländer Großbritannien, Irland und die Shetlands und Orkneys zwingen ihn, sich zu verzweigen. Ein schwächerer Zweig sucht sich einen Durchlaß durch den Ärmelkanal und gelangt in die südliche Nordsee; ein zweiter stärkerer Abfluß entweicht in die Irische See, streicht am Westraum der britischen Inselgruppe entlang und dann durch die tiefe Pforte zwischen Schottland und den Färöern und durchsetzt das Europäische Nordmeer. Ein dritter Arm, der Irminger Strom, stößt sogar nach Ostgrönland vor. Auch auf der Höhe der Shetland-Inseln gabelt vom Hauptzweig ein Ast ab und dringt von Norden her in die Nordsee. Breit und ziemlich langsam wandert dieser Abkömmling des Golfstroms an der langgestreckten Meeresfront Norwegens entlang, die durch Schären, Inseln, Sunde und Fjorde weithin aufgespalten ist. Ohne ihn wären die norwegischen Meeresküsten völlig eisblockiert. Die warme Golfströmung hier hat noch immer Kraft genug, um mit einem Arm sogar über das Nordkap hinwegzugreifen bis in das eisbedeckte Meer vor Sibiriens Nordwestküste, und mit einem weiteren 'auch die Inselwelt Spitzbergens und Nowaja Semljas zu berühren. So kommt auch Nordschweden, Nordfinnland und ein Teil des nördlichen Rußland in den Genuß seiner wärmespendenden Kraft. Neuerdings hat man selbst im Norden des Franz-JosephArchipels wärmere unterseeische Schichten festgestellt, die vom Golfstrom herrühren. Auch hier entscheidet der größere Prozentsatz an Salz, daß die Wärmeschichten absinken; denn auch in der arktischen 24
Wo auf dem gleichen Breitengrad in Sibirien oder Nordamerika keine Nutzpflanze mehr wächst, kann in Norwegen der Bauer zur Saat und Ernte noch die Furchen ziehen. 25
Zone finden sich im Golfstromwasser immer noch 35 Teile Salz auf 1000 Teile Wasser. Der Salzgehalt hält sich also nahezu auf gleicher Höhe. Die Temperatur des Golfstroms aber läßt mit der Annäherung an den Polumkreis merklich nach. Auf der über zwölftausend Kilometer langen Reise aus den heißen Tropen bis hinauf in die zentrale Arktis sinkt die Wasserwärme auf ein Drittel ab. Aus den zwanzig Grad im Florida-Abschnitt sind bei den Shetland-Inseln zwölf bis dreizehn Grad geworden, bei Spitzbergen schließlich nur etwa halb so viel, wenn man die Sommer- und Oberflächentemperatur des Wassers zugrunde legt. Professor Georg Wüst, der lange Zeit das berühmte Berliner Institut für Meereskunde geleitet hat und als einer der besten Golfstromforscher gilt, verdanken wir eine gute Übersicht über die verschiedenen Teile des „Großen Flusses im Meer". Jetzt am nördlichsten Endpunkt unserer Golfstromwanderung ist es empfehlenswert, die zurückgelegten Wegstrecken noch einmal an Hand seiner Angaben zurückzuverfolgen. Professor Wüst belehrt uns, daß die zünftige Ozeanographie viel feinere Unterscheidungen macht, als wir sie auf den vorhergehenden Seiten berücksichtigt haben. Wir konnten unsere Leser nur in großen Zügen über das komplizierte Hin und Her des Ozeanwassers unterrichten, um sie nicht allzusehr zu verwirren. Seine Übersicht über den gewaltigen und sich vielfach durch Abstecher verästelnden Rundlauf des Golfstroms beginnt Professor Wüst im südlichen Atlantik mit dem Portugal-, dem Kanarien- und dem Azorenstrom. Ihre Fortsetzung nach Westen hin ist der mit dem Südostpassat den Ozean überquerende Nordäquatorialstrom, der zusätzlich durch den Südäquatorialstrom genährt wird. Der Nordäquatorialstrom läuft gegen die Nordküste Südamerikas an und wird hier zum Guayanastrom, der sich nordwärts der Inselwelt Karibiens zukehrt. Wo er die Antillen außerhalb umrundet, trägt er den Namen Antillenstrom; wo er zwischen den Inseln in die mittelamerikanischen Meeresbecken, das Karibische Meer und den Golf von Mexiko, eindringt, heißt er Karibenstrom, Yukatanstrom und Floridastrom. Vom eigentlichen Golfstrom sprechen wir aber erst, wenn der Antillenstrom und der Floridastrom am Ausgang der Florida-Straße, 26
hinter den Bahama-Inseln, zusammengekommen sind. Vor den Neufundlandbänken wendet er sich dann in den Kreislauf des mittleren Atlantik, um wieder in die schon genannten Portugal-, Kanarienund Azorenströme einzumünden, mit einem Ausläufer ins Mittelmeer, dem Gibraltarstrom. Als eigentliche „Warmwasserleitung Europas" aber wirkt der Nordatlantische Strom, der von Neufundland nordostwärts ebenfalls über den Atlantik zieht. Sein auf Island gerichteter Arm ist der Irische Strom; der westwärts ausbiegende, Island berührende ist der Irminger Strom. Schließlich wird nordwärts der Färöer der Nordatlantische Strom zum Norwegerstrom, der weiterflutend das Nordkap vom arktischen Eis freihält und seine warmen, salzreichen Wasser bis weit hinauf und hinüber vor Sibiriens Küsten schickt. Der Aufheizkessel und der Ausgangspunkt für das gesamte verzweigte Heizsystem des Golfstromes aber ist wie gesagt der Golf von Mexiko, wo die tropische Sonne seinen geballten Wassern ununterbrochen die Wärme zuführt, die er so freigiebig in so viele Länder ausstrahlen läßt.
„Vater der Stürme" Überall, wo warme und kalte Meeres- und Luftströmungen aufeinanderprallen, befinden sich Zonen großer Unruhe. Kein Wunder, daß an den Säumen des Golfstroms die Stürme und Orkane auftreten. Die Amerikaner nannten ihn daher schon früh „Vater der Stürme". Die Seehandbücher, ohne die kein Kapitän den Ozean befährt, warnen daher: „Im Bereich des Golfstroms und an seinen Rändern hat das Wetter sehr unruhigen Charakter. Böen, Gewitter und Wasserhosen können unversehens in allen Monaten auftreten. Rasche Windänderungen bringen entsprechende Temperaturänderungen mit sich, was auf Schiffen mit empfindlicher Ladung wohl zu berücksichtigen ist." Die Wetterkundigen sagen, daß alle nordatlantischen Stürme auf den Golfstrom zurückzuführen sind. Die atlantischen Wirbelwinde folgen dem Golfstrom, die Antillen und Bahamas streifend, bis zu den Azoren. Im Sommer treten die gefürchteten, auf dem Festland Tornados genannten Hurrikans auf; im Winter sind es die Blizzards. Zwischen den Orkney-Inseln, Island und Spitzbergen wüten im Winter die Zyklone. Wie diese Störungen zustande kommen, ist bisher 27
noch nicht klar erwiesen. Jedenfalls erstrecken sie sich über ungeheure Gebiete. Ihre Zerstörungskräfte haben sonst in der Natur kaum noch etwas Vergleichbares. Während auf See bei Windstärke 12 der Beaufort-Skala der Wind mit 110 km in der Stunde dahinstürmt, bringen Hurrikans es auf etwa das Siebenfache. Hierbei kann sich ein Mensch nicht einmal mehr auf allen vieren halten; Häuser und Autos werden einfach durch die Luft gewirbelt. Da die Verluste an Menschen und Schiffen im Zuge der Golfströmung selbst heute noch beträchtlich sind, entschlossen sich 1946 acht Nationen, ständig unterhaltene See-Wetterschiffe einzusetzen. Die Amerikaner stationierten vier äußerst seetüchtige Küstenwachkutter unter Neufundland, vor Kap Hatteras, vor Florida und vor dem Atlantiksaum der Westindischen Inseln. Nordostwärts schließen sich zwei englische schwimmende „Wetterfrösche" an; zwischen Island und Grönland kreuzt eine niederländische Station, zwischen Grönland und Labrador ein kanadisches und ganz nördlich das norwegisch-schwedische Schiff „Polarfront", zeitweise unterstützt vom deutschen Fischereischutzboot „Meerkatze". Westlich vor der spanischen Halbinsel tut schließlich ein französisches Wetterschiff seinen harten Dienst. Diese trotzigen kleinen Wetterschiffe mit ihren trefflichen Besatzungen betreuen einen Seeraum, in den Nordamerika und Europa zusammen bequem hineingingen. Sie sind unermüdlich tätig, dem „alten Wetterbrüter Golfstrom den Puls zu fühlen". Unzählige Seefahrer, Fischer und Flieger sind von ihnen schon gewarnt worden, und vielen haben sie das Leben erhalten. Diese Wetterfrösche auf hoher See wissen stets vorher, was sich in ihrem Bereich zusammenbraut. So steht im Berichtbuch eines atlantischen Wetterschiffes vor der großen Deichkatastrophe, die vor einigen Jahren über die holländische Provinz Seeland hereinbrach: „In Kürze entwickelte sich ein Sturm mit Seen bis zu 20 m Höhe. Sturmzentrum passierte das Schiff 7 Meilen Nord. Windstärke konnte wegen Ausfalls der Instrumente nicht gemessen werden. Höchstgeschwindigkeit, geschätzt, 90 Knoten (= 177 km/Stunde)." In diesem Fall nutzten alle vorbeugenden Maßnahmen nichts mehr. Nicht, weil sie zu spät gekommen wären, sondern weil die Deiche dieser infernalischen Orkanwut nicht gewachsen waren. 2S
Ofen für Europa Doch es überwiegen die erfreulichen Auswirkungen des Golfstroms die verhängnisvollen bei weitem. Das vom Golfstrom bestimmte Klima läßt, wie ein kluger Mann einmal sagte, „den Menschen weder in der Kälte verkümmern noch in der Hitze erschlaffen, indem sie ihn weder durch müheloses Erlangen der Gaben einer üppigen Natur in geistige Apathie und flachen Sinnesgenuß einwiegt, noch ihn durch harte Notwendigkeit zwingt, sein ganzes Leben in angestrengter und aufreibender Tätigkeit einzig der Befriedigung des leiblichen Bedürfnisses zu widmen. Der Charakter des gemäßigten Klimas, den Fleiß herausfordernd, aber auch ihn lohnend, gleich weit entfernt vom starrenden Eis des Nordens und der Glut der Wüste, von der Öde einer in Kälte ersterbenden Natur
Ausschnitt aus der ersten Golfstromkarte, deren Druck von Benjamin Franklin angeregt wurde. 29
und einer berauschenden Fülle ihrer Gaben, ist der eigentliche Erzeuger und Fortbildner der Zivilisation, hat die Kultur in Europa hervorgerufen und zur Blüte gebracht, in der sie nunmehr steht. Bei einer nördlichen Breite, wo in Hammerfest noch glückliche Menschen leben, sind wir in Ostasien, fast vier Grad nördlicher als die eisbedeckte Bering-Straße, von ewigem Eis umschlossen. Dem Kornund Gartenbau von Drontheim entspricht etwa das Kap Navarin im Lande der primitiven Tschuktschen, denen Fische und Rentiere mit einigen dürftigen Wurzeln die einzige Nahrung sind. Und wer möchte die blühenden Fluren Holsteins mit den traurigen Umgebungen von Petropawlowsk auf Kamtschatka vertauschen? Alles das verdankt Europa dem Golfstrom, der ihm die Wärme der Tropen zuführt und da noch Leben und Kultur gestattet und hervorruft, wo sonst alles in eisigem Tode abstirbt." Der tropisch-warme „Strom im Meer" hätte nie alles Leben in Europa so stark beeinflußt, würden vom Golfstrom nicht ständig auch warme Luftmassen herangebracht. Allzustarke Temperaturunterschiede kommen daher nicht auf, und Winterkälte kann auf Europa, vor allem den westlichen Teil, nicht so stark einwirken. Stets kommen aus dieser Richtung befruchtende Niederschläge. Europa bietet sich diesen Luftströmungen geradzu an. Da sind zuerst seine küstennahen Flachländer, dann die Zone der Mittelgebirge, tief im Innern die der Hochgebirge. Fast alle verlaufen in der allgemeinen Richtung West-Ost. Nur Skandinavien bildet durch das lange norwegisch-schwedische Grenzgebirge eine Ausnahme. Ein riesiger Raum wird daher vom Golfstrom beeinflußt. Er reicht von Irland bis hinter den Ural, von Griechenland und Bulgarien bis hinauf zur Eismeerküste. Die Wärme aus dem „äquatorialen Ofen" wird vom Golfstrom ständig auch den kälteren nördlichen Gestaden zugeführt. Sie hält das arktische Treibeis von den Westküsten Europas fern, sie drückt die Eisgrenze bis vor Spitzbergens Nordkap auf 80° nördlicher Breite zurück. An Westspitzbergens begünstigten Fjorden kann man im Sommer mehr als hundert bunte Blütenpflanzen bewundern, während auf Grönland bei gleicher geographischer Breite kilometerdickes Firneis lastet. Norwegen ist um durchweg 20° C wärmer, als es ohne die Naturgabe des Golfstroms wäre. Deutschland und Mit30
teleuropa verdanken ihm eine zwischen 5° und 10° C höhere Jahresmitteltemperatur als andere Erdteile auf gleichem Breitengrad. Weder nördlich noch südlich des Äquators liegt auf derselben Breite Land, das ein milderes Klima aufweist als Norwegen. Während im Innern Sibiriens das Quecksilberthermometer nichts mehr anzeigt, weil die Skala die dort herrschende Kälte nicht mehr erfaßt, läßt man im gleich hoch gelegenen Nordnorwegen Vieh im Freien weiden. Am Lyngen-Fjord, zwischen 68 bis fast 70° nördlicher Breite, gedeihen Gerste, Roggen, Weizen und Kartoffeln; selbst dicke saftige Erdbeeren kommen hier noch zur Reife. Der Hardanger-Fjord, der mit dem Südkap des völlig vergletscherten Grönlands und der ostsibirischen Stadt Ochotsk fast den gleichen Breitengrad hat, gilt als Norwegens gesegnete Obstkammer. Und selbst an der russischen Eismeerküste hält der Golfstrom dem Sowjetreich zwei vorzügliche Naturhäfen das ganze Jahr über eisfrei, den Murman- und den Petsamo-Fjord, während das 1000 km südlicher gelegene Leningrad in jedem Winter zufriert. Das warme Meeresfließband Golfstrom lockt unzählbare Heere von Nutzfischen, darunter die wichtigsten — Dorsch-Kabeljau und Hering — an die fjordzerklüftete norwegische Küste. Hier zieht man Jahr um Jahr rund eine Million Tonnen Fische aus dem Meer. Hier, in der Inselwelt des Lofot, liegen die ertragreichsten Fischgründe Europas. Hier feiern die Dorsche — der Welthandelsfisch Nr. 1 — in der Zeit zwischen dem Jahreswechsel und Ostern ihre Fischhochzeit, bei der man bis zu sechzig Millionen dieser großen Raubfische, die bis zu 50 Kilo schwer werden, erbeutet. Dieser seit vielen Jahrhunderten betriebene und anscheinend unversiegbare LofotFang ist ein wahrer „Segen des Meeres", genauer gesagt ein Segen des Golfstroms. Die ergiebigsten Fischgründe der Welt liegen alle auf der nördlichen Halbkugel, außer im Lofot auch in der Barents-See und vor Spitzbergens Westküste, überall, wo Golfstrom und Polarstrom aufeinanderstoßen. Das reichste und größte Fangfeld der Erde aber ist die Neufundland-Bank — rund viermal so groß wie Belgien —, wo der Labradorstrom auf die nördliche Flanke des Golfstroms trifft. Die Grenzzonen zwischen den salzreichen und salzarmen Meerwassern bieten nämlich die günstigsten Bedingungen für das Ge31
deinen der Meeresbewohner. Hier finden sich auch die reichsten Vorkommen an „Plankton", den kleinsten tierischen und pflanzlichen Lebewesen, auf denen die Existenz aller Meeresbewohner beruht. Der Golfstrom, der maßgebliche „Wetterkoch" Europas, ist von tiefgreifendem Einfluß auf die unglaublich empfindlichen Lebewesen des Meeres. Ändert sich seine Wassertemperatur auch nur um Bruchteile von Celsiusgraden, so spürt der Hochseefischer recht bald die Folgen. Seit den letzten Jahrzehnten ist der Golfstrom wärmer geworden, nicht viel, aber es genügte, um z. B. den Dorsch in neue, hunderte Kilometer nördlicher gelegene Laich- und Weidegründe abwandern zu lassen. Die Fachleute sprechen von einer wahren „Invasion vieler Fischarten nach Norden". Wie lange eine solche Erwärmungsperiode — sie ist in der ganzen Nordpolarwelt spürbar — anhält, läßt sich nicht berechnen. Auch ist man sich über ihre tieferen Gründe nicht einig. Doch weiß man, daß der Golfstrom hierbei eine sehr bedeutende Rolle spielt.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Vitalis Pantenburg Lux-Lesebogen
351
(Erdkunde)
Heftpreis
30
Pfg.
Natur- und kulturkundliehe Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux.
Auch aus dem Leben der Tiere berichten viele Lesebogen. Folgende natur- und tierkundlichen Hefte können zum Preise von 25 Pfg je Heft (30 Pfg ab Heft 333) nachbestellt werden (Postkarte genügt): 8 Anguls — der Aal 9 Gefiederte F r e u n d e
103 W u n d e r d e r Vererbung
219 V o g e l v o l k 222 Tier Rätsel
13 A u g e n - aufl
108 V o m Pilz z u m Penicillin
18 H a g e n b e c k b a n d e l t mit T i e r e n
118 Die W e s p e n k ö n i g i n
21 W a l e 23/24 Der R a u b e r Iseg r i m (Doppelheft)
223 W u n d e r in u n s
119 L e b e n d e K r i s t a l l e / A u s d e r W e l t der Viren 123 Der Kuckuck
231 E u l e n v o l k 236 T i e r g e s c h i c h t e n 241 Der B a u m 246 P f l a n z e n w u n d e r 248 B e r n h a r d i n e r
32 N a c n t g e s p e n s t e r
132 K l e i n e s T i e r v o l k
253 Der H a b i c h t
36 I n s e k t e n - R ä t s e l
137 Die
254 W e t t e r b a l l o n e
38 T i e r e u n d T i e r b i l d e r des Höhlenmenschen
142 Der Dachs
260 R o b b e n
152 F a m i l i e Specht
45 A u g e n aufl (2)
154 Im Zoo 155 P i n g u i n e 162 V o g e l w e l t
263 Affenvolk 268 T i e r e , w i e sie keiner kennt 269 A m e i s e n 276 W e r k s t a t t d e r N a t u r 277 V ö g e l am F e n s t e r 279 Kaffee 285 Der H o n i g v o g e l 288 D a s b l ü h e n d e J a h r 290 U r a l t e s T i e r v o l k 296 A l e x a n d e r v o n Humboldt 299 Der S p e r b e r 308 D a s M a m m u t 312 H u n d e 314 In d e r W ü s t e G o b i 319 U r w i l d d e r A r k t i s 322 B i e n e n v o l k 324 E i s b ä r e n 338 L e m m i n g - Z ü g e 339 Pferde 341 W u n d e r w e l t d e r Insekten 344 Spinnen
«7 Das ü b e r l i s t e t e Tier 52 T i e r - R i e s e n d e r Urwelt 53 D a s v e r w a n d e l t e Tier 57 T i e r v ö l k e r w a n d e r n 62 ü b e r W a l d u n d Heide 64 R i n g v o g e l B 32 521 70 T i e r l e b e n 74 H y d r a 78 Grimback — der Hamster 88 U n s i c h t b a r e F e i n d e 92 H e r d e n u n t e r der Mitternachtssonne 93 M e i n F r e u n d — der Igel 98 M e r k w ü r d i g e T i e r e 102 B e r g m a n n d e s Ackers
letzten
Biber
im Zoo
163 F a b e l t i e r e 165 Sieg ü b e r d i e K ä l t e 168 S e l t s a m e K ä u z e 171 G r a u e R i e s e n 173 T ü r i l i — d i e H e i d e lerche 178 R i t t e r im Teich / Der Stichling 181 B a u m e l s t e r d e r Vogelwelt 187 V o m I n s t i n k t d e r Tiere 192 T i e r e im W i n t e r schlaf 194 T i e r e h i n t e r G i t t e r n 197 Die g r o ß e n R ä u b e r 199 M a u e r s e g l e r 202 Der h e i l i g e Käfer Der S k a r a b ä u s 216 Elche
Verlag S e b a s t i a n L u x , M u r n a u vor M ü n c h e n , Seiiil-Park