Als »größte biologische Entdeckung des Jahrhunderts« wurden in England und in den USA die Forschungsergebnisse des jung...
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Als »größte biologische Entdeckung des Jahrhunderts« wurden in England und in den USA die Forschungsergebnisse des jungen Wiener Biologen Dr. Paul Kammerer gefeiert. Vor einer illustren Versammlung von Naturwissenschaftlern an der Universität Cambridge hatte Paul Kammerer den Beweis angetreten, daß eine »Vererbung erworbener Eigenschaften« – ob nun durch natürliche Umstände oder künstlich hervorgerufen – möglich sei. Diese Vererbungs-These stand in krassem Gegensatz zur Lehre der Neodarwinisten von der Evolution als Folge zufälliger Mutationen. Kammerer demonstrierte seine Behauptung an Versuchstieren : blinden Grottenolmen, denen wieder sehfähige Augen wuchsen, oder einer Krötenart Alytes – zu deutsch »Hebammenkröte« –, bei der das Männchen Hornschwielen entwikkelte, um das Weibchen besser halten zu können. Dem begeisterten Beifall der englischen Gelehrten folgten Vortragsreisen Kammerers durch die USA, die sich zu wahren Triumphzügen gestalteten. Doch wenige Tage vor Antritt einer Reise nach Moskau – wo er ein Institut für Experimentalbiologie errichten sollte – wurde Dr. Paul Kammerer erschossen aufgefunden. Sein Selbstmord war eine Sensation, denn Kammerer war nicht nur ein viel umstrittener Gelehrter gewesen, sondern hatte auch zur Wiener guten Gesellschaft gehört, und seine Liebesaffairen von Alma Mahler bis zur berühmten Tänzerin Grete Wiesenthal waren stadtbe-
kannt. Hatte er Selbstmord begangen, weil ein amerikanischer Forscher behauptete, Kammerer habe die Ergebnisse seiner Experimente verfälscht ? Tatsächlich war an dem letzten existierenden Alytes-Präparat eine Fälschung festgestellt worden, doch war sie so primitiv, daß die Frage auftauchte : Konnten dutzende Naturwissenschaftler bei der mikroskopischen Prüfung eine solche Machination übersehen haben ? War es vorstellbar, daß Paul Kammerer, ein als Experimentator berühmter Mann, derartig plump operiert hatte ? Oder hatte ein wohlmeinender Helfer – etwa gar die Hand einer liebenden Frau – hier ein ruiniertes Präparat äußerlich herrichten wollen ? Schließlich – war vielleicht ein mißgünstiger Assistent, ein politischer Gegner am Werk gewesen, um Kammerer zu diskreditieren ? Bis heute gibt es keine gültigen Antworten auf diese Fragen. Doch Arthur Koestler untersucht mit geradezu kriminalistischem Spürsinn diesen Fall des Paul Kammerer. Dabei entsteht ein faszinierendes Bild der Kämpfe in der wissenschaftlichen Welt der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, des Mannes und Forschers Paul Kammerer, seiner Freunde, Gegner und der Gesellschaft, in der sie lebten. Doch geht es Koestler ebenso um die Frage, ob nicht Kammerers Experimente trotz allem Gültigkeit besitzen, ob es nicht doch Argumente gegen ein biologisches Weltbild gibt, demzufolge die Evolution des Lebens auf unserem Planeten nichts ist als eine Häufung blinder Zufälle.
Arthur Koestler
Der Krötenküsser Der Fall des Biologen Paul Kammerer
Verlag Fritz Molden • Wien-München-Zürich
1. Auflage Aus dem Englischen übertragen von KRISTA SCHMIDT Titel der englischen Originalausgabe THE CASE OF THE MIDWIFE TOAD Copyright © Arthur Koestler 1971 Alle Rechte der deutschen Ausgabe 1972 : Verlag Fritz Molden, Wien-München-Zürich Schutzumschlag und Ausstattung : Hans Schaumberger, Wien Lektor : Johannes Eidlitz Technischer Betreuer : Herbert Tossenberger Schrift : Garmond Garamond-Antiqua Satz : Filmsatzzentrum Deutsch-Wagram Druck und Bindearbeit : Wiener Verlag, Wien ISBN : 3-217-00452-3
Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Kapitel eins . . Kapitel zwei . . Kapitel drei . . Kapitel vier . . Kapitel fünf . . Kapitel sechs . Kapitel sieben . Kapitel acht . . Kapitel neun . Kapitel zehn. .
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. 11 . 36 . 56 . 73 . 92 . 103 . 117 . 143 . 162 . 197
Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Bildteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Anhang 1 : Das Gesetz der Serie. . . . . . . . . Anhang 2 : Die Legende . . . . . . . . . . . . . Anhang 3 : Das unwiederholbare Experiment . Anhang 4 : Die Lage der Schwielen . . . . . . . Anhang 5 : Ciona . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. 255 . 247 . 255 . 277 . 294
Quellenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
A. D. Peters in Freundschaft und Dankbarkeit
Danksagung Ich entledige mich gerne der angenehmen Aufgabe, all jenen, die mir ihre Erinnerungen an Paul Kammerer und das Wiener Institut mitteilten, zu danken : Paul Kammerers Tochter Lacerta, Hans Przibrams Töchtern Gräfin Vera Teleki und Frau Doris Baumann, seinem Bruder Professor Karl Przibram (Universität Wien), dem Sohn William Batesons Professor Gregory Bateson (University of Hawaii), Professor Ludwig von Bertalanff y (State University of New York, Buffalo), Frau Bettina Ehrlich, Professor Karl von Frisch, Professor G. Evelyn Hutchinson (Yale University), Dr. L. Harrison Matthews, F. R. S. (University of British Columbia), Professor W. H. Thorpe, F. R. S. (University of Cambridge) und Frau W. M. Thorpe, Professor Paul Weiss (Rockefeller University, New York). Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich Professor Holger Hydén von der Universität Göteborg für die Durchführung eines unorthodoxen Experiments, das einen alten Streit in neuem Licht erscheinen ließ. Mein Dank geht auch an den Bibliothekar der American Philosophical Society für seine Hilfe bei der Einsichtnahme in die Bateson-Dokumente, an den Bibliothekar des German Institute in London, an meinen Buchhändler Herrn Leon Drucker für die Auffindung von Kammerers Werken, an Frau J. St. G. Saunders (Writer’s and Speaker’s Research), Frau Evelyn Rey9
nolds (The North-East London Polytechnic) und Frau Herta Howorka (Innsbruck) für ihre wertvolle Unterstützung.
Eine Reihe von Autoren und Verlegern gestatteten mir freundlicherweise, Auszüge aus folgenden Werken zu zitieren : C. D. Darlington – The Facts of Life (George Allen & Unwin, 1953) ; die bei Allen & Unwin 1964 erschienene revidierte Auflage trägt den Titel Genetics and Man. Sir Alister Hardy – The Living Stream (Collins, 1965). H. Graham Cannon – Lamarck and Modern Genetics (Manchester University Press, 1959).
1. Kapitel
1 Am frühen Nachmittag des 23. September 1926 fand ein Wegmacher auf einem schmalen Pfad des Schneebergs – im südlichen Niederösterreich – die Leiche eines gut gekleideten Mannes in dunklem Anzug. Der Tote lehnte mit dem Rücken gegen den Felshang ; seine rechte Hand hielt noch die Pistole umklammert, mit der er sich eine tödliche Kugel in den Kopf geschossen hatte. In einer seiner Taschen fand sich ein Abschiedsbrief, gerichtet an »denjenigen, der meine Leiche auffindet«. Er hatte folgenden Inhalt : »Dr. Paul Kammerer ersucht, ihn nicht nach Hause zu überbringen, weil seiner Familie der Anblick erspart bleiben soll. Am einfachsten und wohlfeilsten wäre vielleicht die Verwertung im Seziersaal eines der akademischen Universitätsinstitute. Mir auch am sympathischesten, weil ich der Wissenschaft wenigstens auf solche Weise einen kleinen Dienst erweise. Vielleicht finden die werten Kollegen in meinem Gehirn eine Spur dessen, was sie an den lebendigen Äußerungen meiner geistigen Tätigkeit vermißten. Was immer mit dem Kadaver geschieht, eingegraben, verbrannt oder seziert, sein Träger ist konfessionslos ge11
wesen und wünscht, von religiösen Zeremonien verschont zu bleiben, die ihm wahrscheinlich ohnedies verweigert worden wären. Das ist keine Feindseligkeit gegen den individuellen Priester, der ebenso ein Mensch ist wie alle anderen und oft ein guter und edler Mensch.« Der Brief trug die Unterschrift »Dr. Paul Kammerer«. In einem Nachsatz bat er seine Frau, weder schwarze Kleider noch sonst irgendwelche Zeichen der Trauer zu tragen. Damit endete der größte wissenschaft liche Skandal der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Held und zugleich Opfer dieser Tragödie war einer der brillantesten und unorthodoxesten Biologen seiner Zeit. Er war 45 Jahre alt, als ihn der Druck eines unmenschlichen Establishment und die Belastung durch sein eigenes nur allzu menschliches Temperament zum Selbstmord trieben. Man hatte ihn des schwersten Verbrechens angeklagt, das ein Wissenschaft ler begehen kann : experimentelle Ergebnisse gefälscht zu haben. Dennoch würdigte ein Nachruf in Nature, wohl der Welt angesehenster naturwissenschaft licher Zeitschrift, sein letztes Buch als einen »der besten Beiträge zur Evolutionstheorie seit Darwin«.
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2 Ich begann an Kammerers Ideen zum erstenmal Interesse zu nehmen, während ich in Wien studierte. Als er starb, war ich 20 Jahre alt und war Kammerer nie persönlich begegnet, doch in all den Jahren seither verließ mich der Gedanke nicht mehr, über ihn zu schreiben. Das Geheimnis seiner Anziehungskraft liegt teilweise in seinem komplexen Charakter und seinem tragischen Schicksal, vor allem aber in seinen ketzerischen Ideen, für die er unermüdlich in seinen experimentellen Arbeiten, seinen Beiträgen zu wissenschaft lichen Zeitschriften und seinen populärwissenschaft lichen Büchern Beweise vorzulegen suchte. Kammerer weigerte sich, die Evolutionstheorie Darwins zu akzeptieren, jene Theorie, die die Evolution auf Zufallsmutationen – auf wahllose Variationen, erzeugt durch blinden Zufall – zurückführt. Er war dagegen überzeugt, daß jede Evolution von der »Vererbung erworbener Eigenschaften« getragen werde, wie Lamarck im Jahre 1809 behauptet hatte. Das heißt, daß nützliche adaptive Veränderungen bei den Eltern durch Vererbung erhalten bleiben und an die Nachkommen weitergegeben werden können. Dies war und ist für Biologen immer noch ein heißes Eisen. Der Kampf zwischen den Anhängern Darwins und jenen Lamarcks dauert nun schon nahezu ein Jahrhundert lang. Er wurde stets mit viel emotioneller, politischer, ja selbst theologischer Leidenschaft und, wie wir noch sehen werden, erstaunlicher Mißachtung fairer Spielregeln geführt. Dies war das intel13
lektuelle Klima, in dem der Skandal reifte und so tragisch endete. Ein groteskes Amphibienwesen wurde Kammerer zum Verhängnis : die »Geburtshelferkröte«, Alytes obstetricans oder, genauer gesagt, deren sogenannte Brunftschwielen, kleine Höcker mit Hornfortsätzen an den Vorderbeinen des Männchens, die ihm bei der Paarung einen besseren Halt am Weibchen geben. Kammerer behauptete nun, daß diese Schwielen der Beweis für die Vererbung erworbener Merkmale seien. Seine Gegner allerdings leugneten überhaupt ihre Existenz. Im folgenden werden wir noch viel über die Brunftschwielen der Geburtshelferkröte hören. Der Streit um deren Vorhandensein schuf Vorbedingungen für ein Schauerdrama mit makabrem Ausgang. Die Geschichte wurde sogar verfilmt, und zwar im Rußland Stalins. In der Sowjetunion war die offizielle Wissenschaft auf die Parteilinie eingeschworen und damit – im Gegensatz zum Darwinismus des Westens – der Lamarckschen Evolutionstheorie verpflichtet. Der Film trug den Titel Salamandra und wurde unmittelbar nach Kammerers Tod gedreht. Er war so erfolgreich, daß ich ihn noch sechs Jahre später, während meines Aufenthaltes in Moskau, sehen konnte. Drehbuchautor und Regisseur war der Volkskommissar für Volkserziehung Lunatscharsky, seine Frau spielte die weibliche Hauptrolle. Der Held des Films hatte gegen allerlei Schurkerei reaktionärer Darwinisten zu kämpfen, denen auch noch reaktionäre Mönche Schützenhilfe leisteten. Das war 14
eine Übertreibung : Gegen Kammerer wurde nur akademisches Gift verspritzt. Wien hatte, wie Freud bezeugen konnte, für Derartiges einen berechtigten schlechten Ruf. Es gibt keine Biographie Paul Kammerers. Als Quellen für die folgenden Seiten dienten seine Bücher und Fachschriften, die Polemiken, die sie hervorriefen, Dokumente aus verschiedenen Archiven und persönliche Mitteilungen von Wissenschaft lern und Privatpersonen, die ihn gekannt hatten – darunter Kammerers Tochter, sein einziges Kind, das auf den Namen Lacerta getauft wurde. Die Lacertiden sind eine Familie hübsch anzusehender Eidechsen, die Kammerer sehr liebte. Eine von ihm entdeckte, bis dahin unbekannte Varietät wurde nach ihm benannt : Lacerta fiumana kammereri* Lacerta Kammerer – sie trägt den Familiennamen ihres Mannes – lebt heute in Australien. Ihre Briefe vermitteln nicht nur ein anschauliches Bild ihres Vaters sondern auch des Lebens der intellektuellen Elite Wiens in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
3 Die Nachrufe der österreichischen Zeitungen geben ein Bild von Paul Kammerers Leben sozusagen aus der Vogelperspektive, wie seine Zeitgenossen ihn sahen.
* Heute umbenannt in : Lacerta melisellensis kammereri.
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NEUE FREIE PRESSE, Wien – 24. September 1926
»Eine erschütternde Nachricht kommt uns in später Abendstunde zu. Der hervorragende Biologe Dr. Paul Kammerer, dessen Bücher und Essays biologischen und soziologischen Inhaltes berechtigtes Aufsehen hervorgerufen haben, der in den Wiener Vortragssälen stets ein hundertköpfiges begeistertes Publikum um sich zu scharen verstand, hat durch Selbstmord geendet. Dr. Kammerer hat sich auf dem Schneeberg erschossen. Die Briefe, die er zurückgelassen hat, geben keinen vollständigen Aufschluß über die Gründe seines verhängnisvollen Entschlusses. Dr. Kammerer war zweimal verheiratet, beide Ehen sind geschieden worden. Seine erste Frau, die Tochter des hervorragenden Politikers und Abgeordneten im alten Reichsrat, Dr. v. Wiedersperg, hatte er aus einer aussichtsreichen Schauspielerkarriere herausgeheiratet, seine zweite Frau ist eine bekannte und erfolgreiche Malerin.« Ein Wiener Biologe schreibt: »Einer der bekanntesten Biologen Wiens hat seinem Leben freiwillig ein Ende gemacht. Ein Mann, dessen Bedeutung nicht bloß in seinem geradezu erstaunlichen Wissen auf allen Gebieten der Naturwissenschaft, sondern auch in der Begabung bestand, sein Wissen in einer allgemein verständlichen Weise darzustellen und auf die Lücken aufmerksam zu machen, die unsere Kenntnisse aufweisen, sowie die Wege zu zeigen, auf denen man zu neuen Entdeckungen gelangen konnte. Sein wissenschaftli16
ches Leben war deshalb an Erfolgen außerordentlich reich, und die Art, wie er zu seinen Entdeckungen kam, war bezeichnend für die geniale Veranlagung, mit der er gewissermaßen intuitiv die Erfordernisse erfaßte, die zur Beantwortung einer allgemeinen oder auch einer speziellen Frage notwendig sind. Sein Ausbildungsweg führte über die Musik und die Zoologie zur Soziologie. Ein Schüler des Wiener Konservatoriums, beschäftigte er sich nach Absolvierung des Gymnasiums mit Kompositionslehre, und schon bei diesem Studium fiel die Neigung seines Talents, eigene Wege zu gehen, in besonderer Weise auf. Er komponierte eine Reihe von Kinderliedern, die auch späterhin in Konzerten zu Gehör gebracht wurden. Nach Abschluß seiner Musikstudien begann er, an der Wiener Universität Zoologie zu studieren, und fand nach Ablegung seiner philosophischen Rigorosen an der neu gegründeten biologischen Versuchsanstalt eine Arbeitsstätte. Hier entstand nun eine Reihe von aufregenden Arbeiten, die sich zumeist mit der Vererbung erworbener Eigenschaften beschäftigten und die seinen Namen mit einem Schlage in der ganzen wissenschaftlichen Welt bekanntmachten. Es fehlte ihm aber nicht an Feinden und Neidern, und die Schwierigkeiten, die er bei der Habilitation als Privatdozent für Zoologie fand, zeigten ihm, daß die Arbeit selbst wegen ihrer überraschenden Ergebnisse vielfach bezweifelt wurde. Er bemühte sich dann, in einer größeren Reihe von Artikeln die Richtigkeit seiner Versuchsresultate und die Klarheit des von ihm eingeschlagenen Arbeitsweges zu 17
erweisen. In kurzer Frist erfolgte die Publikation einer Reihe von allgemein gehaltenen Büchern, unter denen seine ›Biologie‹ und sein ›Gesetz der Serie‹ sich einer überraschend großen Verbreitung erfreuten. Sein Stil war außerordentlich lebendig, seine Darstellung flüssig, genauso wie seine Vortragsweise begeisternd, und unter seinen wissenschaft lichen Gegnern hat sich niemand gefunden, der sich nicht gern dem Zauber seines Wortes gefangengab. Sein großes Sprachtalent hat es ihm ermöglicht, sich fast sämtliche Weltsprachen in einer Weise anzueignen, daß es ihm nicht schwerfiel, in diesen Sprachen wissenschaftliche Vorträge zu halten, an Diskussionen teilzunehmen, wie er auch während des Krieges als Kenner einer großen Anzahl von italienischen Dialekten, als Zensor der Briefe der italienischen Kriegsgefangenen Verwendung gefunden hatte. Seine Sehnsucht, in Wien eine offizielle Lehrkanzel zu bekommen, ging zu seinem großen Schmerz nicht in Erfüllung. Er empfand es als größtes Glück, daß er gelegentlich einer Vortragsreise im Ausland aufgefordert wurde, ein biologisches Institut in Moskau zu gründen und dort die Professur für Vererbungslehre im Anschluß an das berühmte Institut des Prof. Pawlow zu übernehmen. In wenigen Tagen hätte er die Reise nach Moskau antreten sollen, um am 1. Oktober seine Lehrtätigkeit zu beginnen. Um so größer war das Erstaunen und der Schmerz aller seiner Freunde, als gestern abend Nachricht nach Wien kam, er hätte sich im Schneeberggebiet erschossen.« 18
NEUE FREIE PRESSE – 25. September 1926 MITTEILUNGEN AUS SEINEM FREUNDESKREIS ÜBER DIE URSACHEN DER TAT
»Für den unseligen Entschluß, aus dem Leben zu scheiden, dürfte aber das Moment, daß eine seinem Herzen nahestehende Wiener Künstlerin sich nicht entschließen konnte, mit ihm nach Moskau zu übersiedeln, maßgebend gewesen sein. Er konnte es nicht ertragen, daß er zwar seine wissenschaft lichen Wünsche befriedigt sehen sollte, daß aber seine vielfältigen Interessen in künstlerischer und ästhetischer Beziehung in dem heutigen Moskau nicht jene Befriedigung finden könnten, wie er ihrer in Wien sicher war. Er liebte die Musik und liebte die Frauen.«
NEUE FREIE PRESSE – 27. September 1926
»Dr. Kammerer hatte sich zwei Tage vor seinem Selbstmord in der Handelsabteilung der hiesigen russischen Sowjetgesandtschaft eingefunden und mit größtem Eifer Verfügungen über die Art der Verpackung der wissenschaftlichen Instrumente und Apparate getroffen, die er für sein biologisches Institut in Moskau hier bestellt hatte und deren Transport nach der russischen Hauptstadt demnächst erfolgen wird …«
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DER ABEND – 24. September 1926
(sozialistische Tageszeitung) »Kammerer stand dem, der diese Zeilen schreibt, nicht nur als vieljähriger Mitarbeiter dieses Blattes, sondern auch als gleichgesinnter Kämpfer für die Entwicklung der Menschheit im sozialistischen Sinne nahe. Wenn an die Leiche Kammerers unsere Gesellschaftsordnung und amtliche Wissenschaft heranträten, so würde der Tote, wie es in der alten deutschen Sage heißt, die Hand erheben, weil seine Mörder bei ihm stünden. Eine Gesellschaftsordnung, die einem Gelehrten von Bedeutung zu leben verwehrt, weil er nicht das sorgenfreie Dasein erwerben kann, das dem Schaffenden unentbehrlich ist ; eine amtliche Wissenschaft, die ihm die mit Recht geforderte Anerkennung, Lehr- und Forschungsgelegenheit versagt hat, nur weil er nicht amtlich dachte, fühlte und handelte.«
NEUES WIENER TAGBLATT – 26. September 1926 IN MEMORIAM PAUL KAMMERER
von Peter Sturmbusch »In diesem Lande genial zu sein, ist von der Kirche und dem Staat verboten.« 20
Die Nachrufe wirken wie Bilder in einem Kaleidoskop, wie Farben und Muster der Flecken des Feuersalamanders, deren Variationen Kammerer so viele Jahre lang studiert hatte. Die Verquickung von Reportage und Gefühl verleiht ihnen eine Zeitnähe, die kein Biograph nach einem halben Jahrhundert auch nur annähernd wiedererstehen lassen könnte.
4 Paul Kammerer kam am 17. August 1880 in Wien zur Welt, an einem Glückstag, denn Kaiser Franz Joseph war am 18. August 1830 geboren worden ; der Geburtstagsfeier des jungen Paul folgten stets in der ganzen Monarchie die Festlichkeiten für »Kaisers Geburtstag«. Die Kammerers stammen aus Sachsen, aber unternehmungslustige Vorfahren wanderten nach Siebenbürgen aus und ihre Nachfahren fanden den Weg nach Wien – dem El Dorado Mitteleuropas im 19. Jahrhundert. Es war eine wohlhabende Familie. Pauls Vater Karl war Gründer und Miteigentümer einer führenden österreichischen Fabrik für optische Instrumente. Dabei waren sie aber beileibe weder konventionell noch bürgerlich. Karl Kammerer ließ sich nach zwanzigjähriger Ehe von seiner Frau scheiden und heiratete Sofie, eine imposante und temperamentvolle Witwe aus Ungarn. Es war ihre dritte Ehe ; Sofie brachte zwei Söhne in den neuen Haushalt, Karl einen ; alle drei beinahe erwachsen. Damit ihre neuvermählten Eltern ihre 21
ehelichen Freuden genießen konnten, wurden die drei Jünglinge zur Vollendung ihrer Studien nach England geschickt. Nach Wien zurückgekehrt, waren sie »englischer als die Engländer«. Besonders Karli »kleidete sich wie ein Engländer aus dem Witzblatt«.* Paul Kammerer besaß daher bei seiner Geburt schon drei Stiefbrüder, die um achtzehn bis zwanzig Jahre älter als er waren. Alle drei »vergötterten das neue Baby und blieben Paul stets liebende und treue Brüder«. Damit hatte er Glück : Ebensogut hätten es ja auch tyrannische Grobiane sein können. Zärtlich liebende Schwestern hätten dagegen aus dem kleinen Jungen vielleicht einen Weichling gemacht. So haben die drei Stiefbrüder das Kind zwar verwöhnt, aber auf eine sportlich männliche Art. Vielleicht wollten sie aus ihm den englischen Gentleman ihrer Vorstellung machen. Karli war verrückt nach Hunden, sammelte Perserteppiche und Feldstecher. Lacerta sieht den Onkel heute noch mit Feldstechern behangen »wie ein Christbaum Spazierengehen«. Er war ein Fachmann im Abrichten von Schäferhunden, gab ihr Fachbücher und lehrte sie, wie man Hunde abrichtet. Wahrscheinlich hatte er es seinerzeit mit ihrem Vater genauso gehalten und die besondere Gabe des Jungen, mit allen Arten von Tieren – von Hunden über Schlangen zu Salamandern, Fröschen und Kröten – umgehen zu können, geweckt. Jahre später, auf dem Gipfel seines Ruhmes, war Kammerer in * Zitate ohne Quellenangabe stammen aus Lacerta Kammerers Briefen
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einem Schloß in Mähren zu Gast. Im Garten fand er eine seltene Kröte. Er hob sie auf und küßte sie zärtlich auf den Kopf. Die alte Schloßherrin, die dies mit ansah, fiel beinahe in Ohnmacht. Sie nannte ihn fortan »Krötenküsser«. Einziges Kind alternder Eltern, von jenen drei wohlmeinenden großen Brüdern verhätschelt, wuchs er unweigerlich zu einem Wunderkind heran. Während aber Wunderkinder, wenn sie einmal erwachsen sind, oft verschroben werden, gehörte des jungen Kammerer ganze Liebe der Musik und den Frauen, daneben war er ein eifriger Bergsteiger und hielt sich einen nicht eben wohlriechenden Privatzoo seiner Lieblingstiere. Zum Anfang seiner Karriere beging er jedoch einen schweren Fehler : er studierte zunächst am Wiener Konservatorium Musik und wechselte erst später auf die Universität über, wo er Zoologievorlesungen belegte. Diesen »schwarzen Punkt« hat ihm die etablierte Wissenschaft nie verziehen. Geht es noch an, daß ein Wissenschaft ler in seiner Freizeit Klavier spielt, so ist es doch unverzeihlich, wenn ein Pianist sich den Wissenschaften zuwendet. Er wird unweigerlich zum Dilettanten gestempelt ; der Makel hängt ihm zeit seines Lebens an. »Ne supra crepidam«, flüstern sich da in Wien mit einem wissenden Lächeln die Herren im akademischen Talar zu ; Schuster, bleib bei deinem Leisten. Die Musik lag der Familie im Blut, Vater Karl (Bergsteiger wie sein Sohn) sammelte Spieldosen ; Mutter Sofie spielte mit Leidenschaft Klavier. 23
»Sie hielt sich kerzengerade, kleidete sich mit großer Sorgfalt und hatte wunderschönes schneeweißes Lockenhaar. Sie war schlank, stets auf ihre Figur bedacht und legte auch zum Schlafen das Korsett nicht ab. Klavierspiel war für sie eine Art Besessenheit. Karl soll einmal gesagt haben : ›Seit ich mit einem automatischen Klavier verheiratet bin, ist mir alle Lust an der Musik vergangen.‹ Und jemand, der sie einmal spielen hörte, meinte dazu : ›Was ist der Unterschied zwischen Sofie und einer Nähmaschine ? Sofie ist schneller, aber die Nähmaschine hat mehr Gefühl.‹ Dennoch hatte sie ein gutes Gehör, spielte leichte Klassik auswendig und verfügte über ein großes Repertoire. Um anzugeben, fügte sie Arabesken eigener Erfindung ein, ohne die Melodie ganz zu ruinieren. Ohne hineinzuimprovisieren, konnte sie einfach nicht spielen. Ich sehe sie noch heute, wie sie, so an die achtzig Jahre alt, am Klavier sitzt, mit weitausholenden Armbewegungen ihre Finger über die Tasten laufen läßt und einen Heidenlärm macht.« Kammerer selbst komponierte hauptsächlich Lieder. Sie wurden bei Konzerten in Wien gesungen, die Druckausgaben sind aber unauffindbar. Lacerta Kammerer besitzt jedoch noch einige handschriftliche Partituren seiner Kompositionen, die sich ebenso originell wie reizend anhören. Ihr Stil ist sehr persönlich, er läßt zunächst den Einfluß Mahlers, später jenen Schönbergs und Alban Bergs erkennen.* Die Kammerers und ihre Freunde verbrachten ihre Abende meist in Konzerten oder in 24
der Oper. Zu den Freunden des jungen Kammerer aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gehörten Bruno Walter – selbst ein Wunderkind –, der im Alter von 24 Jahren zum Dirigenten der Wiener Staatsoper berufen wurde, und Gustav Mahler, Wiens damaliger Operndirektor, dem die eiserne Disziplin, die er als Preis der Größe den Ensemblemitgliedern abverlangte, den Spitznamen »der Tyrann« eintrug. Nach Mahlers Tod im Jahre 1911 war dessen Witwe, die legendäre Alma, eine Zeitlang Kammerers Assistentin und arbeitete – sehr passenderweise – an einer Versuchsreihe zur Erforschung des Häutungsverhaltens der Gottesanbeterin.** Das Wien der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist uns heute so fern wie der versunkene Kontinent von Atlantis. Es war eine glänzende Welt der Oper, des Theaters und der Konzerte ; eine Welt, die sich um Picknicks an der Donau, Sommernächte in den Grinzinger Weingärten und leichte Liebeleien drehte. Aber auch eine Welt des Verfalls und der Dekadenz, die in allen Fugen ihres Vielvölkerreiches krachte und nur noch darauf wartete zu zerbrechen. Wer aber hört, wenn er zwanzig ist, das * Kammerers Lieder wurden nach mehr als einem halben Jahrhundert der Vergessenheit für eine auf Grund dieses Buches entstandene Fernsehsendung der BBC aufgenommen. ** Alma Mahler-Werfel – unter welchem Namen sie später berühmt wurde – gefiel sich in der Rolle der femme fatale der Wiener Gesellschaft. Nach der kurzen Episode mit Kammerer folgten ihre berühmte Aff äre mit dem Maler Oskar Kokoschka, ihre berühmte Ehe mit dem Architekten Walter Gropius und eine weitere – nicht weniger berühmte – Ehe mit dem Schriftsteller Franz Werfel, ganz abgesehen von ihren anderen, weniger
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leise Raunen des nahenden Endes ? So alt war Kammerer, als Schnitzler den Reigen schrieb. Paul Kammerer hat sein Leben genossen : als Student am Konservatorium, an der Universität und bald darauf als international bekannte Größe. Mit gleicher Hingabe freute er sich an seiner Arbeit an der biologischen Versuchsanstalt, die unter den Biologen als »Zaubererinstitut« bekannt war. Mit zweiundzwanzig war er an das Institut gekommen und blieb dort bis kurz vor dem Ende.
5 Die »Zauberer«, das waren die Gründer des Instituts, Professor Hans Leo Przibram und seine Mitarbeiter. Da Professor Przibram in Kammerers Leben und im Streit um dessen Arbeit eine wichtige Rolle spielt, sei hier kurz einiges über die Przibrams gesagt. Die aus Prag stammende Familie Przibram war eine Wissenschaftlerdynastie vom Schlage der Huxleys und Batesons in England und der Polanyis in Ungarn. Zu Beginn unseres Jahrhunderts gab es nicht weniger als sechs bedeutsamen Aff ären. In ihren Memoiren (selbst der Herausgeber meint, sie habe »manche irrtümliche und gefährliche Urteile gefällt«) erzählt sie, Kammerer habe sich unsterblich in sie verliebt und nach einem erzwungenen Kuß gedroht, sich an Gustav Mahlers Grab zu erschießen, falls sie ihn nicht heirate. Diese ihre unverhohlen maliziöse Darstellung entspricht zwar nicht den Tatsachen, dennoch hat diese Schilderung von Kammerers Vernarrtheit und romantischer Drohung den Klang der Wahrheit und entspricht der tragisch-romantischen Note in seinem Umgang mit Frauen – aber davon später.
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Przibrams, die an den verschiedenen Fakultäten der Universität Wien eine Lehrkanzel oder eine Dozentur innehatten. Hans Przibrams Vater Gustav, ausnahmsweise Politiker, war einer der ersten Wiener, in dessen Wohnung es elektrisches Licht gab. Er hatte dazu selbst eine Batterie gebaut. Hansens Bruder, Karl Przibram ist emeritierter Professor für Physik in Wien, der, im Alter von 93 Jahren, noch eifrig und anregend korrespondiert. Ich verdankte ihm viele wertvolle Informationen. Hans Przibram selbst war nicht nur ein anerkannter Biologe,* sondern auch ein liebenswerter und – unter Wissenschaftlern eine Seltenheit – gütiger, fast heiligmäßiger Mensch, der sein Leben als Märtyrer endete. Die Familie Przibram war reich. Im Jahre 1903 wurde das sogenannte Vivarium, ein großer Pseudorenaissancebau im Prater, zum Verkauf ausgeschrieben. Es war ursprünglich ein Schauaquarium gewesen, dem später ein Terrarium für Reptilien und andere Landtiere hinzugefügt worden war. So wurde es zum Vivarium. Aber die Wiener gingen lieber ins Variete oder zu den Volkssängern, und so machte das Unternehmen bankrott. Hans Przibram kaufte gemeinsam mit zwei bekannten Wissenschaft lern** das Gebäude und richtete darin das Institut für Experimentalbiologie ein. * Neben seinen zahlreichen Fachschriften verfaßte er auch ein monumentales Werk in sieben Bänden, seine Experimentalzoologie, die zwischen 1907 und 1930 veröffentlicht wurde. Vgl. auch Sir D’Arcy W. Thompsons Nachruf auf Przibram in Nature, 30. Juni 1945. ** den beiden Botanikern Professor Leopold von Portheim und Professor Wilhelm Figdor.
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Die experimentelle Biologie war damals ein neuer Forschungszweig – ein revolutionärer Ausbruch aus der rein theoretischen und beschreibenden, an den Universitäten gelehrten Zoologie. Przibram war schon als Student dem Zauber ihrer Pioniere Wilhelm Roux und Jacques Loeb verfallen. Das alte Vivarium wurde das erste wissenschaft liche Institut, das eigens für biologische Experimente eingerichtet war. Es war auch das erste Institut, das eine Art primitiver Klimaanlage besaß, um die Temperaturen in den Bruträumen im Bereich von 5 bis 40 °C konstant zu halten und die Luftfeuchtigkeit zu regeln. Przibram mag durch seinen Vater, der elektrisches Licht in der elterlichen Wohnung installierte, angeregt worden sein. So war es kein Wunder, daß das Vivarium zur Pilgerstätte der Biologen aus aller Welt wurde. Einige der jungen Wissenschaftler, die für kurze oder längere Zeit im Vivarium arbeiteten, gelangten später zu internationalem Ruhm – darunter von Frisch, der Entdecker der »Tanz-Sprache« der Bienen, Paul Weiss, dessen Experimente zur Gliedmaßenübertragung an Amphibien die Erforschung des Nervensystems revolutionierten, der Ungar Kopany, der die ersten Augentransplantationen (an Ratten) durchführte – ganz zu schweigen von Alma Mahler und ihren Gottesanbeterinnen. Mancher Wissenschaft ler mag wohl im Überschwang der Gefühle, den die Arbeit auf einem neuen Forschungsgebiet oft mit sich bringt, zu weit gegangen sein. So transplantierte ein gewisser Dr. Finkler die Köpfe männlicher Insekten auf Weibchen, die einige Tage noch Lebenszeichen gaben, aber – angeb28
lich – gestörtes Sexualverhalten aufwiesen. Und Professor Steinachs Verjüngungsexperimente, die auf der Anregung der innersekretorischen Funktion der Geschlechtsdrüsen beruhten, machten in der Presse – ungefähr zur Zeit der Entdeckung des Tutenchamon-Grabes – größte Sensation. All dies waren Erscheinungen am Rande, Nebenprodukte einer überschäumenden Begeisterung. Aber gerade diese Übertreibung griff die orthodoxe Wissenschaft heraus, die das Experimentieren für Schmutzarbeit hielt, gerade gut genug für Chemiker, aber entschieden unter der Würde eines Zoologen. Als Ergebnis stießen die von den Institutsmitgliedern veröffentlichten Arbeiten auf Mißtrauen und gaben zu hitzigen Kontroversen Anlaß. Przibrams Integrität allerdings wurde nie in Zweifel gezogen.
6 Zu jener Zeit, als das Institut gegründet wurde, hatte der junge Kammerer die altmodische, verstaubte Zoologie, wie sie an der Universität gelehrt wurde, schon gründlich satt und trug sich mit dem Gedanken, an das Konservatorium zurückzukehren. Er hatte schon verschiedene Artikel in naturkundlichen Zeitschriften veröffendicht, darunter eine Arbeit über »Die Reptilien und Amphibien der Hohen Tatra« und »Haftzeher in Gefangenschaft«. Przibram bekam diese Artikel zu Gesicht, gerade als er mit seinem neuen Institut begann. Er nahm Kontakt mit Kammerer auf, und so begann eine lebenslange Verbindung. 29
Przibram berichtet : »Wir suchten bei der Errichtung der biologischen Versuchsanstalt nach einem Mitarbeiter, der die Terrarien und Aquarien anlegen und dem Kleingetier die Anstalt wohnlich machen sollte. Durch einen Zeitungsartikel Kammerers über seine Tierpflege auf ihn aufmerksam gemacht, suchte ich ihn auf und fand einen begeisterten und geschickten Mitarbeiter. In ihm steckte eine Anlage zur musikalischen Betätigung und ein Großteil Künstlernatur ebenso wie die Fähigkeit zur genauesten Naturbeobachtung und insbesondere eine Liebe zu allen lebendigen Geschöpfen, die ich sonst noch an keinem anderen gesehen habe. Hier lag der Angelpunkt seines ganzen Wesens. Er richtete namentlich die für biologische Versuche so wichtige Pflege der Amphibien und Reptilien vorbildlich ein. Ich habe kaum jemanden gekannt, der dafür alle Voraussetzungen so erfüllt hätte wie er. Dies war allerdings nicht unbedingt ein Vorteil, denn der Hauptwert der experimentellen Methode besteht gerade darin, daß unter gleichen Versuchsbedingungen immer wieder dieselben Resultate erzielt und bei Nachprüfung bestätigt werden können. Gelingt es dem Nachuntersucher nicht, die Tiere ebensolange oder ebenso viele Generationen hindurch am Leben zu erhalten wie dem ersten Beobachter, wie soll dann eine Nachprüfung zu einer Bestätigung und dadurch Sicherheit der Befunde führen ?« 30
Mit diesen Zeilen, die kurz nach Kammerers Tod in Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen verfaßt wurden, legte Przibram den wunden Punkt, die Hauptursache der Tragödie, bloß. Kammerer war eine Art Zauberer im Umgang mit Eidechsen; er verstand es, Amphibien unter künstlich veränderten Umweltbedingungen zu züchten, wie keiner vor und nach ihm. Seinen Erzfeind fand er in England in William Bateson, dem großen Verfechter der Darwinschen Evolutionstheorie (der übrigens das Wort »Genetik« prägte). Bateson focht Kammerers Experimente 14 Jahre lang an und bestritt die Existenz der berüchtigten Brunftschwielen der Alytes. Dennoch erinnert sich sein Sohn (der Anthropologe Gregory. Bateson), daß »mein Vater höchlichst erstaunt war, daß Kammerer überhaupt Alytes in Gefangenschaft züchten konnte«. Der Genetiker Richard Goldschmidt, auch einer aus dem Kreis der Kammerer-Gegner, mußte widerwillig zugeben, daß Kammerer eine besondere Gabe für die Aufzucht von Amphibien und Reptilien besaß: »Er war ein äußerst sensibler, dekadenter, aber hochbegabter Mann, der sich des Nachts nach einem langen Tag im Laboratorium hinsetzte und Symphonien komponierte. Eigentlich war er von Haus aus gar kein Wissenschaft ler, sondern was die Deutschen einen ›Aquarianer‹ nennen, ein Amateur (sic!), der Kleintiere züchtet. Darin besaß er denn auch außerordentliches Geschick, und ich halte die Ergebnisse, die er über den direkten Einfluß der Umwelt vorgelegt hat, im großen und ganzen für richtig.« 31
Gerade dieses »außergewöhnliche Geschick« in der Aufzucht und Pflege von Molchen, Salamandern und Kröten – wohl doch das absolute Gegenteil einer Amateurleistung – machte die Sache so verhext, denn niemandem gelang es, seine Ergebnisse zu bestätigen oder zu widerlegen. Bateson stellte die Gültigkeit von Kammerers Zuchtversuchen an der Geburtshelferkröte zwar in Abrede, konnte aber selbst die Kröte nie züchten.«* Dies gelang auch dem Kurator der Reptiliensammlung des British Museum (Naturgeschichte), G. A. Boulenger, nicht. Sein Sohn, E. G. Boulenger, Kustos für Reptilien im Londoner Zoo, versuchte wohl, Kammerers Experimente mit Salamandern zu wiederholen, brachte aber Salamandra einfach nicht dazu, sich unter den erforderlichen Bedingungen zu vermehren (siehe Anhang 3). Um es nochmals zu sagen : Ist das Ergebnis eines wissenschaft lichen Experiments umstritten, so wird, um die ursprüngliche These nachzuprüfen, zu bestätigen oder zu widerlegen, das Experiment normalerweise von anderen Forschern unter den gleichen Laboratoriumsbedingungen wiederholt. Aber weder Kammerers Experimente an Salamandra noch die an Alytes sind bis zum heutigen Tag mit entsprechender Sorgfalt nachgeprüft worden. Für diesen bemerkenswerten Umstand gibt es gute und schlechte Gründe. Unter letztere fallen das Odi* Daß er es versucht hat, beweist ein vom 14. September 1923 datierter Brief der Firma B. T. Child – 113 Pentonville Road, London, N. W. 1, »Zoologische Handlung – Aquarien, Fische, Wasserpflanzen, Reptilien aus aller Welt«, der den Auft rag Bate-
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um des Skandals und die Angst, sich in den Augen der akademischen Welt lächerlich zu machen oder sich in Mißkredit zu bringen, was bei einem »lamarckistischen« Experiment wohl passieren kann. Als »guter« oder zumindest verständlicher Grund mag gelten, daß sich diese Wesen nur unter größten Schwierigkeiten züchten und manipulieren lassen – außer man ist zufällig ein »Aquarianer« und, wie Kammerer selbst sagte, »willens und bereit, dieser Arbeit einen Großteil seines Lebens zu widmen«. Das aber hat Kammerer eben getan. Die verwirrende Fülle seiner Leidenschaften und Hobbies war paradoxerweise mit einer nahezu unerschöpflichen verbissenen Geduld in seiner experimentellen Arbeit verbunden. Die erblichen Variationen, die er an seinen Versuchstieren hervorzurufen versuchte, konnten ja erst nach mehreren Generationen in Erscheinung treten. Die meisten Biologen waren aber nicht einmal imstande, eine zweite Generation zu züchten. In einem Vortrag, den Kammerer 1914 in Wien hielt, bemerkte er wehmütig : »Nun ist aber die Nachprüfung meiner bisherigen Arbeiten leider ein schwieriges Unterfangen ; sie erstrekken sich auf ein Jahrzehnt oder mehr ; so lange also
sons für eine Lieferung Alytes obstetricans bestätigt. Bei der deutschen Firma Enghardt in Vorwohle bestellte er auch Salamandra. Aber weder über Salamandra noch über Alytes hat Bateson je Arbeiten veröffentlicht.
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mindestens müßte man noch warten, so lange müßte man jede weitere Entscheidung der Frage noch aussetzen. Es kommt hinzu, daß die oft viel Geduld erfordernde Pflegetechnik, die mit jahrzehnte- und generationenlanger Fortführung solcher Zuchten bei Gefahr sonstigen resultatlosen Aussterbens verbunden ist, unter den zünftigen Zoologen noch viel zuwenig Schule gemacht hat ; immer noch finde ich mich fast in ihrem alleinigen Besitz.« In diesem »Jahrzehnt oder mehr« – in Kammerers Leben entspricht es der Zeit von dem Anfang seiner Zwanzigerjahre bis zu seinem 35. Lebensjahr – erschienen in rascher Folge die Berichte über seine experimentellen Arbeiten, die die Biologen in aller Welt aufhorchen ließen. Die wichtigsten wurden im Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, allgemein als »Roux’ Archiv« bekannt, veröffentlicht. Es wurde von Wilhelm Roux, dem Bahnbrecher der experimentellen Embryologie, herausgegeben und war zu dieser Zeit, wie es in der Encyclopedia Britannica heißt, »eine der angesehensten, wenn nicht gar die angesehenste Fachzeitschrift auf dem Gebiete der biologischen Wissenschaften«. Eine Reihe weiterer Arbeiten erschien in dem nicht weniger anerkannten Zentralblatt für Physiologie, in Natur (Leipzig), Nature (London) und in anderen Fachschriften. Das muß besonders betont werden, denn seine späteren Gegner versuchten, ihn als einen Journalisten mit pseudowissenschaftlichen Ambitionen und als Dilettanten abzutun. So schrieb der inzwischen verstorbene 34
H. Graham Cannon, F. R. S., Professor der Zoologie an der Universität Manchester (selbst ein Lamarckist, aber von ganz anderem Schlag), im Jahre 1959 – mehr als 30 Jahre nach Kammerers Tod : »Die wahre Geschichte über Kammerers Experiment ist so wenig bekannt und was darüber geschrieben wurde, so voller Vorurteile, daß es nur recht und billig ist niederzuschreiben, was ich darüber weiß. Kammerers Arbeiten an Alytes wurden zum ersten Mal in einem kurzen Artikel knapp vor dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht.« Ein Blick in die Bände des Roux’ Archivs, die in jeder Universitätsbibliothek aufliegen, hätte Professor Cannon zeigen müssen, daß die erste der Veröffentlichungen Kammerers zum Thema Alytes aus dem Jahre 1906 stammt und 92 Seiten im nicht zu verachtenden Format eines deutschen Lehrbuches füllt. Die nächste – aus dem Jahre 1909 – umfaßt 99 Seiten, und die letzte hat 47 Seiten und kam im Jahre 1919 heraus. 238 im Laufe von 14 Jahren veröffentlichte Seiten voller technischer Details als »kurzen Artikel knapp vor dem Krieg« zu bezeichnen, mag uns einen Vorgeschmack auf die Methoden geben, deren sich Kammerers Gegner bedienten.
2. Kapitel
1 Bevor wir nun Kammerers experimentelle Arbeit näher betrachten, muß ich versuchen zu erklären, was an ihr so besonders aufregend war, daß »die gesamte europäische Biologie in Aufruhr geriet«, um nochmals Richard Goldschmidt zu zitieren. Kurz gesagt, es ging um den Versuch, die Vererbung erworbener Eigenschaften nachzuweisen, eine Behauptung, die von Lamarck aufgestellt worden war. Unter »erworbenen Eigenschaften« versteht man in diesem Zusammenhang Verbesserungen des Körperbaus, Fähigkeiten, Gewohnheiten und Lebensweisen, die die Elterngeneration erwirbt, indem sie sich an die Umweltbedingungen anpaßt und die ihr gebotenen Möglichkeiten zu nützen sucht. Mit anderen Worten sind also diese »erworbenen Eigenschaften« progressiv erfolgende Änderungen, die den Lebensbedürfnissen der Art entsprechen. Diese werden, nach Lamarck, durch Vererbung auf die Nachkommen übertragen. Jede Generation würde so aus den Mühen und Anstrengungen ihrer Vorfahren durch direkte physische Vererbung Nutzen ziehen (und nicht bloß auf indirektem Wege durch Lernen und Nachahmen). Grob gesprochen würde der Sohn eines Hufschmieds 36
schon mit einem stärkeren Bizeps als der Durchschnitt geboren werden und müßte seine Muskelkraft nicht erst mühsam erwerben, indem er alle Anstrengungen seines Vaters noch einmal wiederholen muß. Die Töchter einer »Miß Europa« hätten bereits von Haus aus eine schlankere Taille, ohne – wie ihre Mutter – erst lange hungern zu müssen. Dies ist natürlich eine übertriebene Darstellung, denn die Lamarckisten vertreten im allgemeinen die Ansicht, daß schließlich nur daseinswichtige Merkmale vererbt werden, die als Reaktion auf intensive und während mehrerer Generationen nachhaltig wirkende Umwelteinflüsse nach und nach erworben würden. Nichtsdestoweniger ist das Wesen des Lamarckismus die Annahme, daß die Mühen der Elterngeneration nicht zur Gänze verlorengehen, sondern daß etwas von den erworbenen Vorteilen auf die Nachkommen übertragen wird. Diese Übertragung aber stelle den Schlüsselmechanismus in der Evolution von der Amöbe zum Menschen dar. Gerade hierin liegt ja die enorme, bis Hippokrates zurückzuverfolgende philosophische Anziehungskraft dieser Theorie. In einem populärwissenschaft lichen Vortrag über »Die Bedeutung der Vererbung erworbener Eigenschaften für Erziehung und Unterricht« machte Kammerer sich diese Anziehungskraft beredt zunutze : »Fröbel, Pestalozzi [Schulreformer, die damals sehr in Mode waren] und ihre Schule bauten nur auf dem Anlagenschatze der Vergangenheit, den sie zwar in jedem neuen Schüler zu bereichern hofften ; aber doch 37
nicht zu bereichern mit einem Dauerbesitze auch der Kindeskinder, sondern nur für die flüchtige Zeit des Einzeldaseins. Man konnte nicht voraussehen, daß beim Tode des Individuums anderes geschieht als daß die Vorzüge seines Lebens mit ihm sterben ; mochten seine Nachfahren mit noch so glänzenden Anlagen fortführen, was der Vorfahr begann – es war doch nur der nämliche Erbschatz, dem weitere Vorzüge hinzuzuliefern, sie erst wieder von Anfang an beginnen mußten. Im Lichte der eher zutreffenden, umgekehrten Auslegung des Vorkommens von Vererbung erworbener Merkmale ist die persönliche Arbeit nicht umsonst ; sie haftet nicht an den Lebenskräften der Personen, sondern heftet sich an die Spuren, die Lebenssäfte der Generationen. Von uns hängt es ab, ob wir Gedeihen oder Verderben stiften – Gedeihen und Verderben bis ins tausendste Glied …« »Indem wir unsere Kinder und Schüler unterrichten, wie sie im Lebensstreite zu bestehen und stets vollkommener zu gedeihen vermögen, schenken wir ihnen mehr als kurzen Gewinn ihres eigenen Lebens ; ein Extrakt davon geht dorthin, wo der Mensch wahrhaft unsterblich ist – in jene wunderbare Substanz, aus der in ununterbrochener Folge die Enkel und Ururenkel erstehen. Auf dem Anlagenschatze der Vergangenheit bauen wir, ausgestaltend und umgestaltend, nach unserer Wahl und Willkür in der Zukunft einen immer besseren und neuen Menschen!« 38
Man muß hier in Betracht ziehen, daß dieser Vortrag vor einem Auditorium von Lehrern und Erziehern gehalten wurde. Seine Fachschriften verfaßte Kammerer im staubtrockenen Stil der orthodoxen Wissenschaft. Dennoch erregten seine populären Vorträge – und ihr enormer Erfolg – Neid und Mißgunst des akademischen Establishments. Aber gerade ihre allgemeinverständliche lebendige Sprache macht uns klar, warum die – von der Geburtshelferkröte mit »Energie und Fleiß« erworbenen und zum Wohle künftiger Generationen an die Nachkommen weitergegebenen – Brunftschwielen eine derartige, geradezu hysterische Aufregung unter den Genetikern verursachten. Das wird noch deutlicher, wenn wir die Lamarcksche These von der Vererbung erworbener Eigenschaften ihrer Antithese, dem Neodarwinismus, gegenüberstellen. Nach Ansicht der Lamarckisten erfolgt die Evolution schrittweise – kumulativ – in der vernünftig-natürlichen Art, wie ein Maurer einen Ziegel auf den anderen schichtet. Jede Generation profitiert von der Summe der Erfahrungen ihrer Vorfahren. Die Neodarwinisten hingegen behaupten, daß die Eltern nur das auf dem Weg der Vererbung weitergeben können, was sie selbst geerbt haben, und nichts sonst – also keine der Eigenschaften oder Körpermerkmale, die sie selbst während ihres Lebens erworben haben. Man kann diese Doktrin mit einem Gesetz vergleichen, das festlegt, daß der Mensch seinen Erben nur hinterlassen kann, was er von seinen Eltern ererbt hat, nicht mehr und nicht weniger – also weder den vermehrten Wohlstand noch 39
das Haus, das er gebaut, nicht das Patent für eine Erfindung, die er gemacht hat, und auch nicht seine Schulden. Er könnte also mit dem Buch der Prediger sagen, alle seine Mühe sei für seine Nachkommen vergeblich : »Alles ist Eitelkeit und ein Jagen nach Wind.« Die genetische Anlage bleibt von allem, was ihren jeweiligen Trägern im Leben zustößt, unberührt und wird unverändert von Generation zu Generation weitergegeben. Diese Theorie von der »Kontinuität und Unveränderlichkeit der Keimbahn«, die von dem deutschen Zoologen August Weismann im Jahre 1885 aufgestellt wurde, war zu Kammerers Zeit eine der Säulen des Darwinismus und ist es bis heute geblieben. In den Lehrbüchern lesen wir, daß die genetische Anlage in den Chromosomen der Keimzellen beheimatet ist, die vom übrigen Körper vollkommen isoliert sind. Es handelt sich um potentiell unsterbliche, gegen die Fährnisse des Lebens geschützte molekulare Strukturen, die unverändert von Generation zu Generation entlang der kontinuierlichen Keimbahn weitergegeben werden. In lamarckistischer Sicht ist die Evolution kumulativ, in darwinistischer ist sie repetitiv. Theoretisch könnten Millionen von Generationen einander ohne jeglichen Fortschritt in der Entwicklung folgen. Wie konnte aber dann aus dem Bauplan der Amöbe trotzdem der Bauplan des Menschen entstehen ? Nach der neodarwinistischen Theorie geschah dies dank gelegentlich auftretender zufälliger Vorgänge mikroskopischer Größenordnung, sogenannter »zufälliger Mutationen«. Mutationen definiert man als spontane Än40
derungen der Molekularstruktur der Chromosomen, und »zufällig« werden sie genannt, weil sie offenbar in keinerlei Beziehung zu den Vorgängen in der Umwelt eines Lebewesens und damit zu seinen entwicklungsmäßigen Bedürfnissen stehen. Weil zufällig, sind die meisten Mutationen schädlich, viele sogar tödlich. Allerdings muß es von Zeit zu Zeit auch glückliche Treffer gegeben haben, die dem Träger des mutierten Chromosoms einen winzigen Vorteil einräumten, der dann durch die natürliche Auslese erhalten wurde. Das ist eine notgedrungen vereinfachte Darstellung der beiden konträren Theorien. Sie wird uns aber helfen, die gewaltigen emotionellen und philosophischen Leidenschaften zu verstehen, die im Streit ihrer Anhänger entfacht wurden. Sir Alister Hardy führte in seinen Gifford-Vorlesungen aus : »Das gesamte Konzept des Lamarckismus ist ohne Zweifel mit Emotionen schwer belastet. Ein gewisses Maß an Vorurteil – von nahezu gleicher Intensität – tritt meiner Meinung nach bei Anhängern und Gegnern auf. Für die einen ist der Materialismus der Darwinschen Lehre so schockierend, daß … sie einfach nicht glauben wollen, dies sei der wahre Mechanismus unserer Schöpfung. Im Lamarckismus mit seiner Vererbung erworbener Eigenschaften sehen sie die einzig mögliche Alternative. Auf der anderen Seite stehen aber jene, für die der Lamarckismus nichts als Aberglaube ist.« Der Neodarwinismus treibt tatsächlich den Materialismus, wie ihn das 19. Jahrhundert verstanden hat, auf die Spitze – bis zu dem sprichwörtlich gewordenen 41
Beispiel des Affen an der Schreibmaschine, der aus purem Zufall die richtigen Tasten anschlägt und so ein shakespearisches Sonett produziert –, denn, wie Sir Julian Huxley einmal sagte, »alles ist möglich, wenn man nur lange genug Zeit hat«. Es sind beileibe nicht nur die Lamarckisten, denen es schwerfällt, dieses Konzept zu akzeptieren. Eine beträchdiche Zahl – vielleicht die Mehrheit – bedeutender Biologen innerhalb des wissenschaft lichen Establishments lehnt zwar den Lamarckismus ab, meint jedoch, die Darwinsche Lehre von der natürlichen Auslese durch zufällige Mutationserscheinungen gebe zwar auf einige Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Evolution stellen, eine Antwort, lasse aber gerade die wichtigsten von ihnen unbeantwortet.* Zu diesen formal logischen Schwierigkeiten kommt noch ein metaphysischer Beigeschmack des Darwinismus, gegen den sich nicht nur die Anhänger des Bischofs Wilberforce sträubten ; nämlich das Konzept des »blinden Zufalls« als des allwirkenden Naturgesetzes schlechthin. Darauf bezog sich auch Einsteins berühmter Ausspruch : »Ich weigere mich zu glauben, daß der Schöpfer * Professor Waddington, der wohl jeden, der ihn einen Lamarckisten nennt, wegen Verleumdung klagen würde, verglich die auf Zufallsmutationen beruhende Evolutionslehre mit dem Versuch »Ziegelsteine willkürlich aufeinanderzuhäufen«, in der Hoffnung, »sie würden sich selbst zu einem bewohnbaren Haus ordnen«. Und was die natürliche Auslese anbelangt, so meint er, »dies laufe auf nichts anderes hinaus als zu erklären, daß Menschen mit zahlreichen Nachkommen Menschen seien, die zahlreiche Nachkommen hinterlassen – also reine Tautologie«.
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mit der Welt Würfel spielt.« Zugleich legt aber die Doktrin von der Kontinuität der Keimbahn, von der feststehenden, durch nichts veränderbaren genetischen Anlage des ungeborenen Kindes, eine mechanische Art der Vorherbestimmung nahe. Als im Ersten Weltkrieg William Bateson vor Soldaten einen Vortrag über den Darwinismus hielt, quittierte dies ein Soldat mit der Bemerkung : »Das ist ja wissenschaft licher Calvinismus.« Bateson rühmte dies als »einen Geistesblitz unwissender Inspiration«. Wohl das profundeste Argument gegen den Darwinismus findet sich in einer Bemerkung Henri Bergsons, dessen vitalistische Philosophie sich gegen die mechanistische richtete : »Das vitalistische Prinzip mag wohl nicht imstande sein, vieles zu erklären, ist aber zumindest ein Schild, das wir unserer Ignoranz anhängen können, damit wir uns ihrer gelegentlich erinnern, während der Mechanismus dazu verleitet, diese unsere Ignoranz zu ignorieren.« Bergsons Zurückhaltung war aber ein Ausnahmefall. Viel bezeichnender ist der folgende, im Jahre 1959 nach dem Darwinjubiläum zu Papier gebrachte Unmutsausbruch des Professors der Zoologie in Manchester, Cannon : »Bei diesen Sitzungen, mit all ihrem Zubehör von Rundfunkinterviews und Veröffentlichungen, wurden alle meine Einwände völlig ignoriert. Weit schlimmer aber war, daß der Name Lamarck in einer Art in die Debatte geworfen wurde, die in einer aufgeklärten Epoche der Wissenschaften kaum vorstell43
bar ist. Ungeachtet meiner vor einigen Jahren veröffentlichten Arbeit What Lamarck Really Said, in der ich nur die krassesten Beispiele dafür aufzeigte, wie die Ansichten Lamarcks in der Mitte des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts entstellt wiedergegeben worden waren, bestanden die hochgelehrten Drahtzieher dieser Veranstaltung immer wieder darauf, in aggressivster Weise die schon früher begangenen Verleumdungen Lamarcks zu wiederholen. Doch das kann so nicht weitergehen. Die orthodoxe Genetik hat sich ohne Zweifel gut verschanzt. Aber eines Tages wird sie sich doch dem Kreuzfeuer gegnerischer Ansichten, deren immer mehr veröffentlicht werden, stellen müssen. Auf die Dauer wird sie sich nicht hinter ihren kabbalistischen Formeln verschanzen können.« Zwei Generationen vorher, ungefähr zu der Zeit, als Kammerer geboren wurde, schrieb ein berühmter Lamarckist, Samuel Butler, in seinen Notebooks : »Ich habe in Erewhon an den Grundfesten der Moral gerüttelt, und keiner kümmerte sich einen Deut darum. In The Fair Haven habe ich die Wunden meines Erlösers am Kreuze wieder aufgerissen, und den Leuten gefiel’s. Aber als ich mir erlaubte, Herrn Darwin anzugreifen, gingen alle sofort auf die Barrikaden.« Dem fügt Butler in Evolution Old and New (1879) hinzu : »Lamarck wurde so gründlich und mit so viel Methode verspottet, daß es beinahe einem philosophischen Selbstmord gleichkommt, für ihn einzutreten.« 44
So geschrieben nahezu 50 Jahre bevor Kammerer Selbstmord beging. Dreißig Jahre später behauptete ein prominentes Mitglied des Establishments (Sir Gavin de Beer), jeder Versuch, die Lehre Darwins anzufechten, zeuge von »Unwissenheit und Unverfrorenheit«. Und einer seiner Kollegen (Professor Darlington) bezeichnete die Lamarcksche Theorie als »anrüchigen, uralten Aberglauben«. Ein Streit, der nun schon nahezu ein Jahrhundert lang mit so unverminderter Heftigkeit geführt wird, muß wohl tiefreichende emotionelle Wurzeln haben. Darwin selbst fand Lamarck paradoxerweise nicht anrüchig. Ganz im Gegenteil : In seinen frühen, nicht zur Veröffentlichung gedachten Notizheften würdigte er Lamarck als eine Quelle der Inspiration, »im Besitze einer prophetischen Gabe für die Wissenschaften, der vornehmsten Begabung des großen Genies«. Später änderte er seine Meinung und bezeichnete Lamarcks Theorien in einem Brief als »ausgemachten Unsinn«. Er änderte seine Meinung aber nochmals und zitierte in dem 1868 erschienenen Werk Variation of Animals and Plants under Domestication eine ganze Reihe von Beispielen für die angebliche Vererbung erworbener Eigenschaften im Sinne Lamarcks – er berichtete von Pferden mit ererbten Knochenwucherungen an den Beinen, die sich bei den Eltern der beobachteten Tiere als Reaktion auf das Laufen auf harten Böden gebildet hatten ; von einem Mann, der ein Glied seines kleinen Fingers verlor und dessen Söhne alle mit der gleichen Mißbildung zur Welt kamen, und ande45
re ähnliche Altweibergeschichten mehr, die er für bare Münze nahm.*« Vier Jahre später fügte er der 6. Auflage des Ursprungs der Arten ein neues Kapitel hinzu, in dem ähnliches anklingt. Wieder drei Jahre später gab er in einem Brief an Galton zu, daß er sich mit jedem Jahr mehr und mehr gezwungen sehe, auf die Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften zurückzugreifen – denn Zufallsvariationen und natürliche Auslese allein reichten offenbar nicht aus, die Evolutionsphänomene zu erklären. Die Beispiele, die er zitierte, waren höchst zweifelhaft, aber sie beweisen eines : wenn der Lamarckismus Aberglaube war, dann teilte Darwin diesen Aberglauben. Warum nun all die Aufregung ? Abgesehen von den angeführten Gründen kommt hinzu, daß die Jünger immer fanatischer sind als ihr Lehrmeister, haben sie sich doch seinem System verschrieben, jahrelange Arbeit investiert und ihren Ruf dafür verpfändet. Sie haben doch die Gegenseite bekämpft und ertragen nun den Gedanken nicht, daß ihr System falsch sein könnte. Päpstlicher zu sein als der Papst ist unter Wissenschaft lern, die mit Hingabe an ihrer Theorie hängen, ebenso verbreitet wie unter Politikern und Theologen, die an ihrer Dok-
* Von Darwin stammt auch folgendes : »Die Mohammedaner beschneiden ihre Söhne, aber die Beschneidung erfolgt später als bei den Juden. Und Riedel schreibt mir aus Nord-Celebes, daß die Jungen dort bis zum Alter von sechs bis zehn Jahren nackt herumlaufen und daß er wohl nicht an allen, aber an vielen eine verkürzte Vorhaut beobachten konnte. Dies schreibt er der erblichen Wirkung des Eingriffs zu.«
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trin festhalten – seien es nun Freudianer oder Jungianer, Stalinisten oder Trotzkisten, Jesuiten oder Jansenisten. Außerdem hatte der Darwinismus allem Anschein nach eine »moderne« mechanistische Erklärung für die Evolution anzubieten, wozu der Lamarckismus nicht imstande war. Die Entdeckung der Mendelschen Erbgesetze, die Anwendung statistischer Methoden in der Genetik und schließlich die Enträtselung des in den Chromosomen festgelegten »genetischen Codes«, all dies schien im nachhinein Darwins Prophezeiungen zu bestätigen. Der Evolutionsmechanismus, so wie er ihn lehrte, mag zwar nicht ausgereift gewesen sein und noch mancher Abänderung und Verfeinerung bedurft haben. Aber die Lamarckisten hatten überhaupt keinen Mechanismus zu bieten, der mit der modernen Biochemie in Einklang zu bringen gewesen wäre. Durch Radioaktivität, kosmische Strahlung, Überhitzung oder schädliche Chemikalien ausgelöste Zufallsmutationen waren immerhin eine wissenschaftlich annehmbare Grundlage für das Wirken der natürlichen Auslese. Hingegen gab es keine annehmbare Hypothese dafür, auf welche Art erworbene körperliche oder geistige Eigenschaften eine Änderung der in der Mikrostruktur der Chromosomen in den Keimzellen enthaltenen genetischen Anlage bewirken könnten. Daß die Evolution durch einen Prozeß vor sich gehen sollte, der es den Nachkommen ermöglicht, von den sinnvollen Anpassungen ihrer Vorfahren zu profitieren, war ein Gedanke, der wohl dem gesunden Menschenverstand einleuchtete, der aber für den Wissenschaft ler am Mi47
kroskop sachlich unvorstellbar und daher zu verwerfen war. Er hatte den Beigeschmack althergebrachter Vorstellungen von einem Miniaturhomunkulus, von einem im Samen oder der Eizelle eingeschlossenen genauen Ebenbild der Person, mit allen seinen oder ihren »erworbenen Merkmalen«. Daher würde das aus diesem Homunkulus letztlich entstehende Wesen all das widerspiegeln, was seinen Eltern widerfahren war. So erwarb der Lamarckismus das Stigma des »Anrüchigen, des uralten Aberglaubens«, setzte er doch ein Naturprinzip voraus, für das er keinen dem damaligen Stand der Wissenschaften entsprechenden Mechanismus anzubieten imstande war. Das ist allerdings in der Wissenschaftsgeschichte nicht neu. Als der deutsche Astronom Johannes Kepler ein halbes Jahrhundert vor Newton behauptete, die Gezeiten würden durch die Anziehungskraft des Mondes verursacht,* tat Galilei diesen Gedanken verächtlich als »okkulte Phantasie« ab, denn man konnte sich damals (ebensowenig wie heute) keinen Mechanismus vorstellen, der diese Fernwirkung erklärt hätte.
2 Die allgemeine Schwerkraft wurde als »Magie« abgelehnt, denn sie bedeute – in Newtons eigenen Worten – »mit Geisterhand nach fernen Dingen zu greifen« und * Im Vorwort zu Keplers im Jahre 1609 erschienener Astronomia Nova.
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widerspreche so den Gesetzen der Mechanik. Der Lamarckismus wiederum wurde abgelehnt, weil die Behauptung, der Organismus könne in die Struktur seiner Chromosome eingreifen, den »Gesetzen der Genetik« widersprach. Dennoch fand der Gedanke zu Kammerers Zeit noch so viel Anklang, daß es immer noch Versuche gab, die Vererbung im Sinne Lamarcks experimentell zu beweisen, trotz der Schwierigkeit, daß keine Theorie vorlag, die erklärt hätte, wie so etwas vor sich ging – wenn überhaupt etwas vor sich ging. Und – der Chronist scheut sich beinahe es zu berichten – die standhaftesten Darwinisten waren die ersten, die sich den verbotenen Spaß lamarckistischer Versuche erlaubten. Darwin selbst hatte dies nicht nötig – er ließ sich, wie wir gesehen haben, leicht vom Hörensagen überzeugen. Als er am Ursprung der Arten arbeitete, schrieb er in sein Notizheft : »Der Katze wurde in Shrewsbury der Schwanz abgehackt. Ihre Jungen hatten alle kurze Schwänze. Nur eines hatte einen etwas längeren als die anderen. Keines der Jungen überlebte. Vorher und nachher warf die Katze Junge mit normalen Schwänzen.« Und in späteren Arbeiten führte er sogar noch skurrilere Beispiele an. August Weismann, überzeugterer Darwinist als Darwin selbst, hatte behauptet, daß der Träger der Erbanlagen – das »Keimplasma«, wie er es nannte – von erworbenen Eigenschaften nicht beeinflußt werde. In einem seiner berühmten Experimente schnitt er 22 aufeinanderfolgenden Generationen von Mäusen den Schwanz ab, um festzustellen, ob sich unter den Nachkommen 49
eine schwanzlose Maus finden würde. Aber wie ein Kritiker– selbst Lamarckist – bemerkte, hätte er ebenso gut die Erblichkeit eines Holzbeines studieren können ; denn nach Lamarcks Theorie werden nur jene Merkmale vererbt, die ein Lebewesen als Folge seiner natürlichen Anpassung erwirbt – und das Amputieren des Schwanzes kann man doch wohl nicht als natürliche Anpassung der Maus bezeichnen. In der Sowjetunion, wo – wie wir uns erinnern werden – die Parteilinie prolamarckistisch war, war es kein geringerer als Pawlow, der Begründer der Theorie der bedingten Reflexe, der in seinem Leningrader Laboratorium nachzuweisen versuchte, daß das durch die Konditionierung erzielte Ergebnis vererbbar sei. Er brachte Mäusen bei, auf ein Glockenzeichen zu reagieren, das immer ertönte, bevor das Futter kam. In der ersten Generation brauchten die Mäuse 300 »Übungsstunden«, bevor sie lernten, daß das Glockenzeichen ihr Futter ankündigte. In der zweiten Generation waren nur noch 100 Stunden nötig, in der dritten 30, und die vierte Generation erfaßte das Prinzip »Glocke = Futter« in ganzen fünf Stunden. Damit schien der Beweis erbracht, daß erlerntes Wissen vererbt wird, und außerdem war eine Methode gefunden, um durch eine mehrere Generationen umfassende Konditionierung Übermenschen zu schaffen. Als aber das Experiment beim Wiederholversuch negativ verlief, widerrief Pawlow öffentlich seine Behauptung und erklärte, sie hätte sich auf von einem Assistenten fehlerhaft durchgeführte Experimente gestützt. (Der Laborgehilfe in der Rolle des 50
Schuldigen wird in diesem Buch noch öfter eine Rolle spielen.) Pawlows Widerruf erwies seine Integrität als Wissenschaft ler. Dennoch hielt er an der Vererbbarkeit von Erlerntem fest, denn ein Jahr nach den fehlgeschlagenen Mäuseexperimenten wurde Kammerer eingeladen, in Rußland im Rahmen des Pawlow-Instituts ein biologisches Laboratorium einzurichten. Auch der berühmte Psychologe William McDougall, Professor an der Harvard-Universität, tat sein Bestes, die Vererbung im Lamarckschen Sinne nachzuweisen. Er richtete Ratten dazu ab, den richtigen Fluchtweg aus einem Wasserbehälter zu wählen, züchtete die abgerichteten Linien weiter und unterzog ihre Nachkommenschaft dem gleichen Versuch. Wie Pawlows Mäuse brauchten auch die Ratten jeder nachfolgenden Generation zum Lernen des Fluchtwegs immer weniger Zeit. Als er im Jahre 1927 seine Ergebnisse veröffentlichte, tat er dies nicht triumphierend, sondern fast schüchtern und in bemerkenswerter Offenheit : »Es muß in diesem Zusammenhang wohl zugegeben werden, daß im Laufe der Versuche uns allen immer mehr an einem positiven Ausgang gelegen war – ja ich muß es wohl offen bekennen – daß wir ihn sogar herbeiwünschten … Ich für meinen Teil hatte das Gefühl, daß ein klares positives Ergebnis viel dazu beitragen würde, eine Theorie der organischen Evolution glaubhaft zu machen, während ein negatives Ergebnis uns in der Dunkelheit belassen würde, in der sich der Neodarwinismus befindet. 51
Ich war mir also meiner Befangenheit zugunsten eines positiven Ausganges klar und kämpfte stets bewußt gegen die Versuchung an, jedwedes Detail, das ein positives Ergebnis in unzulässiger Weise begünstigt hätte, zu dulden oder zu übergehen. Auf solche Details stößt man immer wieder, insbesondere bei Zuchtversuchen an Lebewesen. Diese Befangenheit nicht einzugestehen und vorzugeben, daß wir über derartige menschliche Schwächen erhaben seien, wäre äußerst gefährlich gewesen. Nur ein ehrliches Eingeständnis und unermüdliche Wachsamkeit können vor dieser Gefahr bewahren. Ich kann nur hoffen, daß es uns gelungen ist, standhaft zu bleiben. Mir selbst darf ich zugestehen, daß ich mich doppelt und dreifach bemüht habe. Ob uns diese unsere schwierigste Aufgabe wirklich gelungen ist, wird sich erst erweisen, bis wir andere ähnliche Experimente durchgeführt haben. Sollten unsere Ergebnisse nicht stimmen, so muß der Fehler, der uns bisher entgangen ist, in irgendeiner Form in dieser unserer Befangenheit begründet sein. Diese düsteren Vorahnungen erwiesen sich als richtig. Die Experimente wurden tatsächlich (und zwar von Professor Agar und seinen Mitarbeitern in Melbourne) mit unbeugsamer Geduld im Laufe von 15 Jahren wiederholt. Dabei bestätigte sich zwar McDougalls Behauptung, daß die Nachkommen abgerichteter Tiere rascher lernen als ihre Eltern – aber leider traf dies auf die Kontrolltiere nicht abgerichteter Linien gleicher52
maßen zu. Offensichtlich werden unter Laboratoriumsbedingungen gezüchtete Rattenstämme von Generation zu Generation intelligenter.* Einmal mehr konnte es nur heißen : nichts erwiesen. »Die Lamarckisten«, kommentiert Sir Alister Hardy, »sind meiner Meinung nach in einer besonders unglücklichen Lage. Sie fühlen intuitiv, daß Änderungen in der Verhaltensweise eine viel größere Rolle in der Entwicklung gespielt haben, als ihre Kollegen zuzugeben gewillt sind. Damit haben sie zweifeilos recht, aber es ist ihnen bisher nicht gelungen, dafür einen überzeugenden Beweis vorzulegen.« Um die Kommentare zu der großen Kontroverse, die den Hintergrund zu Paul Kammerers Tragödie abgab, abzurunden, möchte ich auszugsweise eine Stelle aus den Facts of Life von Professor Darlington, dem wohl leidenschaftlichsten Gegner des Lamarckismus, zitieren: »Über die Vererbung hat es immer schon zwei grundlegend verschiedene Theorien gegeben. Da ist zunächst die alte vitalistische Theorie von der direkten Vererbung, nach der alle Eigenschaften der Eltern, die sie zur Zeit der Zeugung besaßen, in den Nachkommen wieder erscheinen. Sie geht von dem Gedanken aus, daß jede Generation irgendwie in die Form eines Samens oder eines Eies komprimiert wird, um sich
* Dies entspricht durchaus den Ergebnissen neuerer Experimente, die von David Krech und seinem Team, allerdings mit anderer Zielsetzung, in Berkeley durchgeführt wurden.
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daraus in der nächsten Generation neu zu entfalten. Das heißt, daß die Nachkommen alle Eigenschaften tragen, die die Natur ihren Eltern aufgeprägt hat. Erworbene Eigenschaften werden vererbt. Die zweite, neue Theorie von der indirekten Vererbung ist schwieriger. Sie klang schon in der Vorstellung der genitalia corpora des Lukrez an und kam in den Versuchen, die Vererbung erworbener Eigenschaften zu widerlegen, vollends zum Ausdruck. Sie beruht auf der Annahme, daß etwas, was von Generation zu Generation weitergegeben wird, das Wesen des Körpers bestimmt, ohne aber selbst in seinem Wesen von all dem, was mit dem Körper geschieht, beeinflußt zu werden. Diese Theorie wurde zum erstenmal in eindeutiger Weise von Weismann vertreten. Sie fand offenkundig in der Chromosomenlehre, die in den Händen deutscher und amerikanischer Zytologen Gestalt anzunehmen begann, ihre Bestätigung und paßte wie angegossen zur neuen Lehre Mendels. Ja, je ausgereifter die Experimente und je genauer deren Auswertungen wurden, desto unglaubwürdiger wurde die direkte und desto plausibler die indirekte Theorie. Zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde das Für und Wider der beiden Vererbungstheorien so erstmals zur Kernfrage im Studium alles Lebendigen. Einerseits zeichnete sich unter dem Einfluß der Genetik und der Zellenlehre ein Wandel ab. Der althergebrachte Gedanke, daß die persönliche Anpassung, daß Eigenheiten, die uns durch glückliche oder un54
glückliche Umstände, durch den Gestaltungswillen des Schöpfers oder durch unsere eigene Willenskraft aufgezwungen werden, erblich sind, mußte nach und nach weichen. An seine Stelle traten neue Begriffe, so der Begriff der harten, mikroskopisch sichtbaren, mathematisch berechenbaren, unabänderlich deterministischen und jedem göttlichen Eingriff (außer dem in der natürlichen Auslese wirkenden) entzogenen Teilchen. Wo aber der Einfluß der genetischen Experimente nicht fühlbar wurde, konnten sich die althergebrachten Ansichten behaupten. Die Gebildeten, die Humanisten und Wirtschaft ler, die Psychologen und Juristen, die Historiker, Sozialwissenschaft ler und die liberalen Philosophen glaubten alle und oft genug begeistert an die Vererbung erworbener Eigenschaften, macht sie doch den Fortschritt so viel einfacher. Es bestand also allgemein ein echtes Bedürfnis nach einer Alternative zur kompromißlosen und scheinbar groben Doktrin der Genetiker. Diese ungewöhnliche Spannung in der intellektuellen Welt hatte eigenartige Folgen … Durch Zufall kam im Jahre 1904 ein einnehmender junger Zoologe an die biologische Versuchsanstalt in Wien. Er hieß Paul Kammerer und erwies sich als geschickter Fachmann in der Auf- und Weiterzucht aller möglichen Frösche, Kröten, Eidechsen und Salamander …«
3. Kapitel
1 Hier folgt eine kurze und vereinfachte Darstellung von Kammerers experimenteller Arbeit. Alles an ihr beruhte auf komplizierten Versuchsanordnungen, bei denen eine Vielzahl oft unterschiedlichster Kontrollen und oft auch verschiedenste Techniken angewendet wurden. Doch muß ich mich auf den wesentlichen Zweck jedes Experimentes beschränken und den Leser, den dieses Thema besonders interessiert, auf den Anhang und die Bibliographie verweisen. Kammerer sammelte seine Versuchsobjekte meist auf langen einsamen Wanderungen in den Bergen und auf den Ebenen Mitteleuropas und unternahm hiezu auch drei Expeditionen auf unbewohnte Inseln Dalmatiens. Eine weitere Expedition mit Przibram führte ihn in den Sudan, wo er für sein Institut tropische Versuchstiere holte. Er kaufte ungern Tiere von Händlern, weil sie ihm bereits zu »verdorben« waren, ausgehungert oder überfüttert, neurotisch und oft paarungsunwillig. Er betrachtete Reptilien und Amphibien als zarte, empfindsame Wesen. So findet sich in seinem letzten Buch eine lange, bezaubernde Beschreibung der Verschiedenartigkeit der Temperamente der auf den dalmatinischen Inseln heimischen Eidechsen. 56
Grundgedanke der berühmtesten Experimente Kammerers war es, durch Züchtung in einer vom natürlichen Lebensraum vollkommen verschiedenen Umwelt (d. h. unter anderen klimatischen Verhältnissen oder auf schwarzem anstatt gelbem Grund) Veränderungen im Paarungsverhalten, in der Farbe oder im Körperbau seiner Versuchstiere hervorzurufen und festzustellen, ob diese Anpassungen vererbt werden können. Er behauptete nämlich, dies sei möglich – manchmal schon innerhalb einer einzigen Generation, manchmal aber erst nach fünf oder sechs unter künstlichen Umweltbedingungen gezüchteten Generationen.
2 Mit seiner ersten durchgehenden Versuchsreihe konnte er nachweisen, daß sich der Fortpflanzungsmodus von Salamandra ändern läßt. Diese Arbeit nahm fünf Jahre in Anspruch. Nachdem Professor Knoblauch, Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft Frankfurt a. M., seine Ergebnisse bestätigt hatte, erhielt Kammerer im Jahre 1909, damals erst 29 Jahre alt, den von dieser Gesellschaft zu vergebenden vielbegehrten Sömmeringpreis für grundlegende physiologische Entdeckungen. Salamandra, eine dem Wassermolch ähnliche langschwänzige Amphibienart, kommt in Europa in zwei Formen vor, als der schwarze, in den Alpen beheimatete Alpensalamander Salamandra atra und als der gefleckte, im Flachland lebende Feuersalamander Sala57
mandra maculosa.* Einmal oder zweimal im Jahr laicht das Feuersalamanderweibchen und legt 10 bis 50 kleine Larven im Wasser ab. Diese Larven besitzen wie die Kaulquappen äußere Kiemen. Erst nach einigen Monaten verlieren sie diese Kiemen zusammen mit den anderen Merkmalen einer Quappe und verwandeln sich zu Salamandern. Die Weibchen der Alpensalamander hingegen gebären an Land und bringen nur zwei, dafür aber ziemlich große und voll ausgebildete Junge zur Welt. Das Larvenstadium wird also hier im Leib des Muttertieres durchlaufen. Kammerers Experiment bestand nun im wesentlichen darin, den Feuersalamander in einem kalten und trockenen, dem Alpenraum entsprechenden Klima und den Alpensalamander unter künstlicher Wärme und Feuchtigkeit in einem dem Flachland entsprechenden Klima zu züchten. Die in Beiträgen zum Archiv für Entwicklungsmechanik und zum Centralblatt für Physiologie in den Jahren 1904 und 1907 veröffentlichten Ergebnisse sprechen, um Kammerer selbst zu zitieren, für »einen vollständigen und vererbbaren Austausch der Fortpflanzungsmerkmale«. Der Feuersalamander, in ein künstliches Hochgebirge versetzt, ohne Wasserstellen, in denen er hätte laichen können, brachte nämlich (nach wiederholten, aber nicht lebensfähigen Quappengeburten) schließlich zwei voll entwickelte Junge zur Welt, so wie dies der Alpensalamander zu tun pflegt. Und der in ein warmes und feuchtes Klima versetzte * Heute oft Salamandra salamandra genannt.
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Alpensalamander setzte den Laich im Wasser ab, statt an Land. Die Jungen waren Quappen und hatten nicht mehr die Gestalt eines voll entwickelten Tieres, mit jedem Wurf wurden es mehr. Das ist an sich schon eine bemerkenswerte tour de force, wie selbst Richard Goldschmidt zugeben mußte. Der zweite und kritische Schritt in der Versuchsreihe bestand darin, diese unter »abnormen« Bedingungen geborenen Jungen zur Vollreife heranzuziehen, sie sich paaren zu lassen und zu untersuchen, ob die zweite Generation Anzeichen für eine Vererbung des von der Norm abweichenden Fortpflanzungsverhaltens der Elterngeneration aufwies. Dazu bedurfte es mehrerer Jahre, denn Salamander gelangen erst nach vier Jahren (in der Gefangenschaft allerdings etwas früher) zur vollen Geschlechtsreife. Kammerer begann Anfang 1903 mit 40 »abnormal« geborenen Salamandern beiderlei Geschlechts und hatte die Genugtuung, im Laufe der Jahre 1906 und 1907 sechs Generationen beobachten zu können, wovon vier auf den Feuersalamander und zwei auf den Alpensalamander entfielen. Bei allen fand sich in unterschiedlichem Ausmaß* die künstlich hervorgerufene Umkehr des Fortpflanzungsverhaltens wieder.
* Diese unterschiedlichen Variationen forderten Batesons Kritik heraus. Salamander sind jedoch keineswegs die einzigen Lebewesen, deren Fortpflanzungsweise stark variieren kann. Und wenn Kammerer beabsichtigt hätte, seine Ergebnisse zurechtzudoktern, hätte er doch wohl die Unterschiede unter den Tisch fallen lassen, anstatt jede Generation seitenlang bis ins unbedeutendste Detail zu beschreiben.
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Daraus schloß Kammerer, daß die Versuchsergebnisse »die Vererbung erworbener Eigenschaften so deutlich nachwiesen, wie man es sich nur wünschen könne«. Als Kammerer im Alter von 22 Jahren mit seinen Salamanderversuchen begann, war der Anlaß dazu keineswegs der Wunsch, Beweise für die Vererbung im Sinne Lamarcks zu finden. »Ich stand damals«, schrieb er, »ganz unter dem Eindruck von Weismann und Mendel, die beide darin übereinstimmten, daß erworbene Eigenschaften erblich seien.« Erst als er sah, welch tiefgreifende und sinnvolle Anpassungen im Aussehen und in der Verhaltensweise der Tiere er durch Veränderung ihrer Umwelt hervorrufen konnte, kam ihm der Gedanke, nachzuprüfen, ob diese nützlichen Anpassungen nicht erblich wären. In einem Kommentar zu den oben erwähnten Ergebnissen schrieb er : »Das ganze Experiment ist uns von der Natur bereits vorgemacht und hat zur Entstehung einer Salamanderart geführt, die das Hochgebirge bewohnt, wo zum Absetzen der Larvenbrut geeignete Gewässer fehlen«! der ganz schwarze Alpensalamander Salamandra atra ist anscheinend eine erblich fi xierte Kümmerform unseres gefleckten Salamanders, bringt je zwei fertige Junge zur Welt, die ihre Larvenentwicklung im mütterlichen Uterus durchlaufen, mittels Aufzehren der Geschwistereier und Ausbilden ungeheurer Kiemenstämme bis zum Ende durchhalten.«
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3 Der Feuersalamander ist ein wandlungsfähiges kleines Tier. Je nach den Umständen laicht es, wie wir gesehen haben, im Wasser oder gebiert an Land, bringt es Larven oder Jugendformen des ausgereiften Tieres zur Welt. Darüber hinaus ändert die gefleckte Art auch ihre Farbe wie ein Chamäleon, aber – zum Leidwesen des Forschers – in sehr viel langsamerem Tempo. Die Salamanderart, die Kammerer aus dem Wienerwald holte (Salamandra maculosa, forma typica), weist unregelmäßig auf schwarzem Grund verteilte gelbe Flecken auf.* Die Vorstufe der nächsten Versuchsreihen – die einen Zeitraum von 11 Jahren in Anspruch nehmen – bestand darin, eine Gruppe von Tieren auf schwarzem Untergrund und eine zweite Gruppe auf gelbem Untergrund zu züchten. Bei der ersten Gruppe verblaßten die gelben Flecken nach und nach, bis ungefähr im sechsten Jahr, als die Versuchstiere die volle Reife erlangten, die Flecken nur noch ganz klein waren. Bei der zweiten Gruppe wurden die gelben Flecken immer größer und verschmolzen zu langen Streifen. Dieser Teil des Experiments wurde von anderen Forschern wiederholt und blieb unbestritten. Es steht auch fest, daß die erwähnten Farbveränderungen nicht durch den direkten chemischen oder photochemischen Einfluß der Umwelt auf die Haut der Tiere zustandekommen, sondern vielmehr über das Zentralnervensystem erfolgen, das auf * Siehe Abbildungen.
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die von den Augen des Tieres wahrgenommene Farbe reagiert.* Wie schon bei dem vorher beschriebenen Experiment war es der zweite Schritt, auf den es ankam : der Versuch, nachzuweisen, daß diese adaptiven Farbänderungen der ersten Generation Einfluß auf die Vererbung hatten. Läßt man Kammerers Versuchsprotokolle, seine Photos und Zeichnungen als Beweise gelten, so hatten diese Änderungen tatsächlich einen solchen Einfluß. Die auch auf schwarzem Boden gezüchteten Nachkommen der schwarz adaptierten Elterngeneration hatten schon von Geburt an entlang der Mittellinie des Rückens nur eine einzige schmale Reihe kleiner gelber Flecken, die immer mehr schrumpften, bis sie fast nicht mehr zu sehen waren. Die auf gelbem Boden gezüchteten Nachkommen der gelb adaptierten Elterngeneration kamen mit zwei symmetrischen Reihen gelber Punkte zur Welt, die später zu zwei fortlaufenden, breiten gelben Streifen zusammenwuchsen. Die dritte Generation war bereits »einfarbig kanariengelb«. Jahre später schrieb Kammerer in einem für die breite Öffentlichkeit gedachten Werk : * Schon in früheren Experimenten ist nachgewiesen worden, daß Farbveränderungen bei der Scholle und bei anderen Flachfischen, die ihre Färbung je nach Untergrund ändern, unterbleiben, wenn die Tiere geblendet werden. Im Falle von Salamandra konnte Kammerer seine Behauptung durch Hauttransplantationen nachweisen ; Przibram und andere bestätigten Kammerers Ergebnisse durch Versuche an geblendeten Tieren. Kammerer selbst konnte sich offenbar nicht dazu überwinden, diese einfache, aber grausame Methode anzuwenden.
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»Was mir selbst völlig unerwartet kam, war die in der zweiten Generation erfolgte Umgruppierung des Zeichnungsstiles aus unsymmetrischer in symmetrische Fleckung oder in Streifung. Dabei ergänzen einander die beiderlei Versuchsreihen so prachtvoll, daß man sich über die Genauigkeit, mit der die lebende Substanz reagiert, nicht genug wundern kann. Sehen wir von gewissen Flecken ab, die bei jedem Salamander paarig vorhanden sind – nämlich auf den Augenlidern, Ohrdrüsen und auf den Ansätzen der Gliedmaßen –, so sieht das Negativ der einen Versuchsreihe beinahe wie ein Positiv der anderen aus ; oder würde man bei den Nachkommen der einen Versuchsreihe alle gelben Stellen schwarz anmalen und umgekehrt, so käme beiläufig das Aussehen der anderen Versuchsreihe heraus.« Ich möchte dieses Experiment nicht ausführlicher schildern, obwohl es noch zu haarsträubenden Komplikationen führte : So züchtete Kammerer zum Beispiel die Hälfte der Nachkommen der gelb adaptierten Eltern auf schwarzem Untergrund weiter, um zu sehen, was eintritt, wenn eine eventuell erblich fi xierte Färbung mit der Anpassungstendenz der Nachkommen in Konflikt gerät. Er stellte auch komplizierte Kreuzungsversuche an und transplantierte Ovarien, um zu zeigen, daß die erblichen Veränderungen den Mendelschen Gesetzen folgen, und um eine »Versöhnung der Lamarckisten mit den Mendelianern« zu erreichen. Welche Deutung immer Kammerers Ergebnissen zu63
kommen mag, seine bahnbrechenden Experimente versetzten die europäische Biologie zu Recht in Aufruhr. Man hätte demnach erwartet, daß Scharen von Forscherteams begierig die neue Fährte aufnehmen würden. Aber dem war nicht so. Niemand machte den ernsthaften Versuch, Kammerer zu bestätigen oder zu widerlegen.
4 Die größte Sensation unter all den Experimenten Kammerers wurde durch seine Arbeit über ein kleines, unansehnliches Wesen verursacht: die Geburtshelferkröte Alytes obstetricans. Während die meisten Krötenarten und auch die Frösche sich im Wasser begatten, tut dies Alytes an Land. Während der Paarung im Wasser umklammert das Krötenmännchen das Weibchen an den Hüften und hält es beträchtliche Zeit in seinem Griff – oft wochenlang –, bis das Weibchen den Laich (die Eier) ausstößt, die das Männchen dann durch sein Sperma befruchtet. Um an dem schlüpfrigen Körper des Weibchens im Wasser einen festen Halt zu haben, bildet das Männchen während der Paarungszeit an den Handflächen und Fingern dunkelgefärbte Schwielen aus, aus denen kleine Hornfortsätze herausragen: Das sind die berühmten Brunftschwielen. Die Geburtshelferkröte jedoch, die ja an Land kopuliert, wo die Haut des Weibchens verhältnismäßig trocken und rauh ist, braucht diese Schwielen nicht und besitzt deshalb auch keine. Das 64
Weibchen stößt eine Menge Eier aus, die in langen Gallertfäden eingebettet sind. Diese besamt das Männchen, schlingt diese »Perlketten« nach erfolgter Besamung um seine Hinterbeine und trägt sie mit sich, bis die Jungen ausschlüpfen. Daher der Name Geburtshelferkröte.* Kammerer stellte nun die Behauptung auf, daß Alytes, wenn man sie dazu zwingt, mehrere Generationen lang wie andere Kröten im Wasser zu kopulieren, allmählich Brunftschwielen als ein erworbenes Erbmerkmal ausbildet. Dem kann man natürlich entgegenhalten – und er war der erste, der darauf hinwies –, daß die Art der Alytes in ferner Vergangenheit aus gewöhnlichen wasserkopulierenden Kröten, die Brunftschwielen besaßen, entstanden sei. Demnach wäre das Wiederauftreten der Schwielen ein Atavismus – nicht so sehr ein Erwerb eines neuen Merkmals, als vielmehr das Wiederauftreten eines früher vorhandenen. In einem denkwürdigen, im Jahre 1923 vor der Cambridge Natural History Society gehaltenen Vortrag sagte Kammerer dazu : »Da man stets den Einwand des Atavismus erheben kann, ist mir nicht ganz klar, warum man gerade dieses Experiment (an Alytes) als experimentum crucis betrachtet. Meiner Meinung nach bietet es keineswegs einen schlüssigen Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften.« Nichtsdestoweniger stellte die erbliche Fixierung adaptiver oder readaptiver Merkmale ein erstaunliches Phänomen dar, das mit * siehe Bildtafeln.
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der Theorie der »Unbeeinflußbarkeit der Keimbahn« schwierig in Einklang zu bringen war. Während also Kammerer selbst die Bedeutung der Brunftschwielen eher unterspielte und bestritt, daß sie einen schlüssigenBeweis für die Vererbung erworbener Eigenschaftenlieferten, betrachtete sie sein Gegner Bateson paradoxerweise sehr wohl als das experimentum cruris, als »das erstaunlichste« von Kammerers Experimenten, als »die entscheidende Beobachtung … die, sollte sie sich bestätigen lassen, Kammerers Behauptung weitgehend beweisen würde«. Einer der Kommentatoren meinte, die Salamanderexperimente seien weitaus bedeutender gewesen : jedem, der sie schweigend übergehe, aber dafür wegen der Brunftschwielen in Erregung gerate, müsse es so ergehen wie dem Mann im Sprichwort, der »an einer Mücke fast erstickt wäre, aber anstandslos ein Kamel verschluckte«. Wie bei den früheren Experimenten mit den Alpenund den Feuersalamandern bestand der erste Schritt zunächst darin, den Fortpflanzungsmodus der Geburtshelferkröte zu ändern. Dies geschah, indem die Kröten bei ungewöhnlich hohen Temperaturen( +25 bis +30 °C) gehalten wurden, ihnen jedoch ein Bassin mit kühlem Wasser bereitgestellt wurde. Dies veranlaßte die Tiere, sich immer länger in dem Bassin aufzuhalten, bis sie sich schließlich auch im Wasser paarten. Aber die Eier, die das Weibchen ins Wasser ausstieß, quollen sofort auf und blieben nicht an den Beinen des Männchens haften. Sie sanken auf den Boden des Bassins, wo die meisten von ihnen zugrunde gingen. 66
Wieder war es eine tour de force Kammerers, einige dieser »Wassereier« zu retten und aus diesen im Wasser gezeugte Alytes zu züchten. Wie bereits erwähnt, versuchte der Kustos der Reptiliensammlung des Londoner Naturhistorischen Museums und eifrigste Verbündete Batesons, Dr. Boulenger, die Experimente zu wiederholen, was ihm aber nicht gelang. Er war nicht imstande, auch nur ein einziges im Wasser gezeugtes Exemplar aufzuziehen. Die Gründe für seinen Mißerfolg werden im Anhang 3 erörtert. Als Kammerer im Jahre 1909 an den Nachkommen seiner im Wasser sich paarenden Alytes Brunftschwielen entdeckte, war dies ein Zufallsergebnis, dem er keine besondere Bedeutung beimaß. In seinem Hauptwerk zu diesem Thema schrieb er später (1919) : »Das merkwürdigste Kennzeichen der ›Zucht aus Wassereiern‹ bieten die Vordergliedmaßen des geschlechtsreif gewordenen Männchens. Zuerst bemerkte ich in der F3-(Urenkel-)Generation, daß der erste Finger an seiner Ober-und Außenseite sowie auf dem Ballen schwarzgrau verfärbt und gleichzeitig etwas verdickt war. Die ganze vordere Extremität erschien muskulöser und abweichend in ihrer Haltung, nämlich mehr einwärts gewendet. Erst durch die auff ällige Aberration in F3 aufmerksam gemacht, entdeckte ich schwächere Ansätze dazu nachträglich auch in F2 (den Enkeln, wobei als Großeltern die zuerst experimentell beeinflußten Ausgangsexemplare gerechnet werden) : ebenfalls Rauhigkeiten im Bereiche der Dau67
menhaut, aber ohne dem unbewaffneten Auge sichtbare Verfärbung. 1909 hatte ich die neu aufgetretene, beim normalen Brunftmännchen von Alytes nicht vorhandene Daumenschwiele nur makroskopisch beschrieben und skizzenhaft abgebildet. Das Interesse daran schien mir damals mit dieser Darstellung vorläufig erschöpft. Inzwischen sind Umstände eingetreten, die es mir wünschenswert sein ließen, gerade jener Begattungsschwiele eingehendere Untersuchungen zu widmen, die den Gegenstand der heute vorliegenden Arbeit bildet.« Die »Umstände«, die er hier erwähnt, beziehen sich offensichtlich auf die Angriffe Batesons und anderer, die Kammerer am Ende der umfangreichen Arbeit zu entkräften versuchte.
5 Bis an das Ende seines Lebens war Kammerer davon überzeugt, daß das »entscheidende Experiment«, das den Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften erbrachte, weder seine Arbeit an Salamandra, noch die an Lacerta oder Alytes gewesen war, sondern seine Versuche mit der Seescheide, einer primitiven Aszidienart Ciona intestinalis, die auf dem Meeresboden lebt und zwei röhrenförmige, sich im Wasser hin und her bewegende Fortsätze, sogenannte Siphonen, besitzt, ei68
nen zum Wasseransaugen und den anderen zum Wasserausstoßen. Kammerer schnitt die Siphonen ab und stellte fest, daß die Cionen sie durch längere Röhrchen ersetzten. Je öfter er diesen Vorgang wiederholte, desto länger wurden die regenerierten Siphonen, bis sie schließlich aussahen wie »monströs lange Elefantenrüssel«. Er behauptete im weiteren, daß diese verlängerten Röhren vererbbar wären. Nun war dieses zunehmende Längenwachstum der regenerierten Röhren (nicht aber deren Vererbbarkeit) tatsächlich schon im Jahre 1891 von dem italienischen Zoologen Mingazzini in Neapel aufgezeigt und von Jacques Loeb bestätigt worden – dessen Ergebnisse niemand anzweifelte. Kammerer übernahm die Idee, mit Ciona Versuche anzustellen, denn auch von Mingazzini. Als er aber seine Arbeit über Ciona veröffentlichte, stellte man (ganz abgesehen von der Frage der Erblichkeit) die Verlängerung der regenerierten Siphonen plötzlich in Frage, und Munro Fox, der am biologischen Institut in Roseoff (Bretagne) arbeitete, schrieb in einem Brief an Nature, er habe selbst vergeblich versucht, eine Verlängerung regenerierter Röhren zu erreichen. Kammerer wies zwar darauf hin, daß Fox nicht die richtige Methode angewendet habe, doch ohne Erfolg. Wann immer dieses Thema zur Sprache kam, stets wurde Munro Fox als Gegenbeweis zitiert, während man Mingazzini und Loeb schweigend überging (siehe Anhang 5). Auch nahm sich niemand die Mühe, Kammerers Ciona-Exemplare zu untersuchen, die er anläß69
lich seiner Vorträge in Cambridge und London im Jahre 1923 vorgewiesen hatte. – Die Originalphotographien der fraglichen Exemplare finden sich im Bildteil.* Hier muß nachdrücklich betont werden, daß es in dieser Auseinandersetzung gar nicht um Kammerers Behauptung ging, die verlängerten Siphonen seien erblich, sondern man vielmehr schon bei der Frage stekkenblieb, ob es solche verlängerten Siphonen überhaupt gäbe. Zur Zeit, da ich dies schreibe – nahezu 40 Jahre später –, ist es noch immer bei diesem Stand der Dinge geblieben. Dabei würde die Nachprüfung der Ciona-Versuche Kammerers weder die Geduld noch jene ausgeklügelten Methoden erfordern, die zur Zucht von Amphibien nötig sind. Dies ist eine sehr summarische Darstellung der bekanntesten Experimente Kammerers. Neben diesen gab es aber noch viele andere : Er experimentierte mit Eidechsen – seinen geliebten Lacertae – und behauptete, er habe erbliche Veränderungen in der Färbung und den Brunftgewohnheiten, ähnlich wie bei Salamandra, hervorrufen können. Er stellte Versuche mit dem blinden Grottenolm Proteus an, der in Höhlen lebt und dessen unter der Haut verborgene winzige rudimentäre Augenansätze sich mit zunehmender Reife zurückbilden. Setzt man Proteus dem normalen Tageslicht aus, so wird der Gesichtssinn nicht regeneriert, weil in der die Augenansätze verdeckenden Haut sich * Die Photographien hatten Professor Thorpe und seine Frau, die sie mir freundlicherweise überließen, aufbewahrt.
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ein schwarzes Pigment bildet, das die Entwicklung des Auges zum Stillstand bringt und den gleichen degenerativen Prozeß auslöst, der bei normalen in Dunkelheit heranwachsenden Grottenolmen abläuft. Indem er Proteus aber rotem Licht aussetzte, das keine Pigmentierung der Haut verursacht, erzielte Kammerer Exemplare mit großen, funktionstüchtigen Augen. Einer seiner Bewunderer, Professor für Zoologie am Imperial College, schrieb später : »Ob man bezüglich Kammerers Ergebnissen auf anderen Gebieten nun Vorbehalte haben mag oder nicht, über seine Arbeiten an Proteus kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Gemeinsam mit anderen Zoologen, die an der außerordentlichen Sitzung der Linnéschen Gesellschaft im Mai 1923 teilnahmen, sah ich diese großäugigen Exemplare des Proteus, meinem Dafürhalten nach die wunderbarsten Exemplare, die je bei einer Zoologentagung gezeigt wurden.* Kammerer behauptete nicht, daß dieses Experiment irgend etwas mit der Vererbung erworbener Eigenschaften zu tun habe. Seine Entdeckung, wonach sich der Gesichtssinn des Proteus unter dem Einfluß von rotem Licht regenerieren läßt, steht heute in jedem Lehrbuch. Und dennoch – obwohl an dieser Tatsache »nicht der geringste Zweifel« bestehen kann, blieb immer noch Raum für niederträchtige Unterstellungen. In The Material Basis of Evolution (veröffentlicht 1940) schrieb Professor Richard Goldschmidt : »Bei seinen Experimenten an dem blinden Grottenolm Proteus er* Siehe Abbildungen.
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zielte Kammerer (1912) an Exemplaren, die in gelbem [sie] Licht gezüchtet wurden, große offene Augen.« Diesem Satz ist folgende Fußnote beigefügt : »Da viele von Kammerers Behauptungen Verdacht erregten, möchte ich sagen, daß ich die fraglichen Exemplare selbst gesehen habe. Natürlich kann ich nicht beschwören, daß die guten Augen nicht etwa transplantiert worden waren.« Neun Jahre später schrieb Goldschmidt in Science : »Ich glaube nicht, daß Kammerer absichtlich gefälscht hat.« Das hat aber die absichtliche Verleumdung nicht wiedergutmachen können. Das Proteus-Auge beschwor, wie wir gleich sehen werden, einen weiteren Skandal herauf, der für Kammerer verheerende Folgen hatte.
4. Kapitel
1 Kammerer trat im Jahre 1903, als er 23 Jahre alt war, in Przibrams Vivarium ein. Er promovierte 1904 und wurde zwei Jahre später Privatdozent. Im Jahre 1905 lernte er bei einem Hausmusikabend die junge Baronesse Felicitas Maria Theodora Wiedersperg kennen, die dort Lieder vortrug. »Es war offensichtlich Liebe auf den ersten Blick, sie verlobten sich bald darauf und heirateten, nach dem üblichen einen Jahr Wartezeit, 1906. Sie machten fast immer den Eindruck eines sehr glücklichen Paares und waren ungewöhnlich zärtlich zueinander.« Die Wiederspergs stammten aus altem Adel ; sie konnten ihre Vorfahren bis zu einem Kreuzritter des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen. Dabei waren sie aber durchaus keine Snobs. Felicitas’ Vater, Gustav von Wiedersperg, war Abgeordneter und praktizierte (ohne Honorar) auf seinem Gut in Böhmen als Landarzt, bei dem sich die Bauern kostenlos ihre Medizin holen konnten. Einer ihrer Brüder war wie sein Vater Arzt und der andere Staatsbeamter. Die Familie Wiedersperg teilte die Liebe der Kammerers zur Musik und zu den Tieren. Papa Wiedersperg, so schreibt Lacerta, hielt sich »Schlangen, zwei Affen, eine Fledermaus, ein Eich73
hörnchen und einen Storch. Die Rhesusäffchen waren nach seinem Tod nicht mehr im Zaum zu halten und wurden in den Schönbrunner Tiergarten gebracht. Ich erinnere mich noch gut an die Störchin Mausa. Immer wenn ich sie umarmte, legte sie ihren Schnabel auf meinen Kopf. Hatte sie Hunger, so klapperte sie vor dem Küchenfenster mit dem Schnabel«. So hatte Kammerer nicht nur eine hübsche Frau geheiratet, sondern mit ihr gleich eine ganze Sippe gleichgesinnter Seelen, mitsamt ihrer Liebe zur Musik und den Tieren, und bald teilten die beiden Familien das Haus der Wiederspergs in Hietzing. Lacerta wurde 1907 geboren und blieb das einzige Kind. Auch sie durfte sich bald eine Privatmenagerie halten. In dem Hause »stank es überall nach Tieren«, wie ein häufiger Gast* erzählt. Felicitas war klein, hübsch und quicklebendig und gewohnt, mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt die ungeheuerlichsten Aussprüche von sich zu geben. Sie hätte von einem Computer als die idealste Gefährtin für Kammerer ausgewählt worden sein können : sie sang bei Konzerten seine Lieder und arbeitete im Vivarium halbtags als seine Assistentin. Kam sie nach Hause, so hielt sie Lacerta Vorträge, wie man die Schwänze von Ratten und deren Temperatur mißt. Aber sie gab Lacerta auch vernünftige modische Ratschläge : »Wenn man über dreißig ist, soll man nie Rosa oder Gelb tragen. Sie machen die Jungen jung, die nicht mehr so Jungen aber alt. Trage keine auffallenden Kleider, die gehören für die * Professor Przibrams Tochter, heute Gräfin Teleki.
Häßlichen. Sie lenken den Blick der Leute vom Gesicht auf die Kleider ab. Du hast das nicht nötig.« Das junge Paar stand gesellschaft lich hoch im Kurs. Eine wolkenlose Zukunft schien vor ihnen zu liegen. Die erste harmlos aussehende Wolke zog im Jahre 1910 auf, als Kammerer 30 Jahre alt war und einen Brief des großen William Bateson aus Cambridge erhielt, in dem dieser ihn bat, ihm »ein Exemplar der Geburtshelferkröte, an dem die Brunftschwielen zu sehen sind, zu leihen«.
2 Die Hetzkampagne, die den Rest des Lebens Kammerers verdüstern sollte, nahm ihren Ausgang nicht – wie zu erwarten gewesen wäre – bei seinen Kollegen zu Hause, sondern in England. Die großen Schlachten wurden nicht in deutschen Journalen, sondern in den nüchternen Spalten der Zeitschrift Nature ausgetragen. In Wien selbst war Kammerer außerordentlich populär, und zwar nicht nur bei der künstlerischen und gesellschaft lichen Elite, sondern auch bei den aufgeschlosseneren seiner Kollegen. Zu diesen gehörten Professor Steinach, Initiator der schon erwähnten Verjüngungsmethode, Professor Richard Semon, Verfasser der berühmten Abhandlung über Die Mneme, Professor Hans Przibram und einige andere. Steinach, Semon und Przibram unterstützten ihn in ihren wissenschaftlichen Arbeiten vorbehaltslos, was immerhin beträcht75
liches Gewicht hatte. Auch das unanfechtbare Lehrbuch Kammerers »Allgemeine Biologie«, das damals als Standardwerk galt, trug wesentlich zu seinem wissenschaft lichen Ansehen bei. Die negative Haltung des Universitäts-Establishments richtete sich nicht einmal so sehr gegen Kammerers lamarckistische Theorien, es war vielmehr Ausdruck der üblichen Feindschaft der Krähen im akademischen Hain gegen den bunten Singvogel mit der allzu melodischen Stimme. Dennoch besaß er 1918 – im Alter von 38 Jahren – gute Aussichten, außerordentlicher Professor zu werden. (Freud mußte 46 werden, bevor ihm diese Auszeichnung zuteil wurde ; zum ordentlichen Professor wurde er erst mit 64 ernannt.) Das fiel gerade in die Zeit, als er seine Arbeit am »Gesetz der Serie« abgeschlossen hatte, eine spekulative Hypothese über das Wesen bedeutungsvoller Zufälle (siehe Anhang 1). Przibram und andere Freunde beschworen ihn, die Veröffentlichung dieser Arbeit bis nach der Sitzung des akademischen Senats hinauszuschieben, in der über seine Ernennung entschieden werden sollte. Seinem Temperament entsprechend, weigerte sich Kammerer jedoch, einen Kompromiß einzugehen. Damit aber war das Ende all seiner Hoffnungen auf eine Professur gekommen – doch wirkte sich dies keineswegs auf seine experimentelle Arbeit aus. Auch in Deutschland genoß er bis zum Schluß hohes Ansehen. Einen Artikel im Archiv für Entwicklungsmechanik zu veröffentlichen bedeutete für jeden Biologen ein wichtiges Zeichen der Anerkennung : Kammerers 76
Arbeiten wurden zwischen 1904 und 1922 im Archiv fast mehr Raum zugestanden als denen irgendeines anderen zeitgenössischen Wissenschaft lers. Sein ernsthaftester Gegner in Deutschland war der Botaniker Erich Baur, doch richtete sich Baurs Kritik in der Hauptsache gegen die theoretische Interpretation, die Kammerer seiner experimentellen Arbeit gab ; die Gültigkeit der Versuche selbst und Kammerers Integrität zog auch Baur nie in Zweifel. Obwohl diese Auseinandersetzung in sehr scharfem Ton geführt wurde, so war es stets ein wissenschaftlicher Streit, ohne je ins Persönliche auszuarten, und tat so dem Ansehen der beiden Streitparteien keinerlei Abbruch. Es ist vielleicht ein Paradoxon, daß die unversöhnlichsten Feinde Kammerers nicht die sprichwörtlich rabiaten deutschen »Herren Professoren« waren, sondern seine angeblich so fairen und duldsamen Kollegen in einem Land, für das er und sein Bruder Karl so viel naive Bewunderung hegten. Die Wirklichkeit war eben ganz anders. Es fällt schwer, jene Atmosphäre von Bosheit und unfairem Verhalten wiederzugeben, die am Beginn dieses Jahrhunderts in den Kreisen der englischen Evolutionsforscher herrschte. Der Mann, der vielleicht mehr als jeder andere unter diesen Verhältnissen zu leiden hatte, war William Bateson. Da er in dem vor uns abrollenden Drama der Hauptgegner war, müssen wir versuchen, zu verstehen, welche Motive seinen Handlungen zugrunde lagen.
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3 Bateson begann als Lamarckist. 1886 unternahm er, damals 26 Jahre alt, eine Expedition zu den zentralasiatischen Seen (Balkaschsee, Tschalkarsee, Aralsee etc.) in der Hoffnung, in der Fauna dieser unerforschten und isolierten Gewässer Beweise für die Vererbung erworbener Eigenschaften zu entdecken. Er fand jedoch nichts. Im Vorwort zu seinem Expeditionsbericht schrieb seine Witwe : »Seine großen Hoffnungen, erfolgreich die Probleme, die er sich gestellt hatte, klären zu können, wurden enttäuscht ; widerstrebend mußte er sie, Schritt für Schritt, aufgeben.« Er verbrachte an die 18 Monate in der Karakumwüste, lebte mit den Eingeborenen, ertrug harte Entbehrungen und Erkrankungen – das umsonst und ohne Ergebnisse, die er bei seiner Rückkehr hätte vorweisen können. Es muß ein traumatisches Erlebnis gewesen sein. Auf die Frage, was für ein Mensch sein Vater gewesen sei, schrieb mir sein Sohn Gregory Bateson : »Die Frage, ob mein Vater, trotz einer angeborenen Zwiespältigkeit, ein umgänglicher Mensch gewesen sei, möchte ich mit ›ja‹ beantworten. Es gab viele Leute, die ihn gerne hatten und ihrerseits umgänglich waren. Aber gerade jene, die ihn gerne mochten, waren nicht seine Berufskollegen. Viele dieser Wissenschaft ler haßten ihn zutiefst. Wann immer aber die Frage der Vererbung erworbener Merkmale zur Sprache kam, hörte er ganz ent78
schieden auf, umgänglich zu sein. Kam das Gespräch auf dieses Thema, dann tanzten die Kaffeetassen auf dem Tisch. Bedenken Sie, daß er in die (sibirische) Steppe gegangen war, um an Hand der Lebewesen, die er im Balkaschsee und in den anderen sibirischen Gewässern zu finden hoffte, den Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften zu erbringen. Das Unternehmen erwies sich als totaler Fehlschlag. Vielleicht hängt das irgendwie mit seiner späteren Haltung zusammen. Ich glaube, er wußte immer, daß mit der orthodoxen Darwinschen Theorie etwas absolut nicht stimme, aber er betrachtete gleichzeitig den Lamarckismus als eine Art verbotenen Honigtopf, nach dem zu greifen ihm nicht erlaubt war. Ich besitze sein Exemplar des Ursprungs der Arten, die sechste Auflage, in dem er auf dem Vorsatzblatt alle jene Seiten vermerkt hat, auf denen Darwin in lamarckistische Ketzerei abgeglitten war.« Was ihn ursprünglich zu dem verbotenen Honigtopf hinzog, war die Krise, in die der Darwinismus während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts geriet. »In der Erforschung der Evolution«, schrieb Bateson rückblickend, »gab es kaum mehr einen Fortschritt. Die Energischeren, vielleicht auch die Klügeren, verließen dieses Feld der Wissenschaft, um sich anderen Gebieten zuzuwenden, wo die Ernte weniger zweifelhaft war oder die Ergebnisse sich rascher einstellten. Unter den Verbliebenen mühten sich einige immer noch, der Wahrheit eine Gasse durch das Dschungel 79
der Phänomene zu bahnen, die meisten aber waren zufrieden, untätig auf der großen Lichtung, die Darwin schon lange geschlagen hatte, auszuruhen.« Tatsächlich aber war das Dschungel schon zu Darwins Lebzeiten undurchdringlich geworden. Im Jahre 1867 hatte Fleeming Jenkin, Professor der Technik an der Universität Edinburgh, eine kritische Stellungnahme zum Ursprung der Arten veröffentlicht, in der er durch einen verblüffend einfachen logischen Schluß nachwies, daß auf Grund des damals anerkannten Vererbungsmechanismus durch Zufallsvariationen nie neue Arten entstehen können. Dieser Mechanismus, die sogenannte »Mischung der Erbanlagen«, beruhte auf der durchaus einleuchtenden Annahme, daß die angeborene Ausstattung des Neugeborenen eine Mischung der Eigenschaften seiner Eltern sei, zu der jeder Elternteil ungefähr die Hälfte beiträgt. Francis Galton, ein Vetter Darwins, bezeichnete dies als »das Gesetz des Ahnenerbes« und kleidete es in eine mathematische Formel. Angenommen, in einer Population würde ein Individuum mit einer brauchbaren Zufallsvariation auftreten und sich mit einem normalen Partner paaren (wobei wir den höchst unwahrscheinlichen Fall ausklammern wollen, daß dieses Individuum auf einen Partner mit der gleichen Zufallsvariation trifft und mit ihm Nachkommen zeugt), so würden seine Nachkommen lediglich 50 Prozent des brauchbaren neuen Merkmals erben, die Enkel 25 Prozent, die Urenkel zwölfeinhalb Prozent und so weiter, bis das brauchbar Neue wie ein Tropfen im Ozean verschwinden würde, lange bevor die natür80
liche Auslese eine Chance gehabt hätte, seine Ausbreitung zu bewirken. Es war dieser Einwand, der Darwin so sehr erschütterte, daß er der 6. Auflage seines Ursprungs der Arten ein neues Kapitel hinzufügte, in dem er die Vererbung erworbener Eigenschaften wieder auferstehen ließ. Wie seine Briefe an Wallace deutlich beweisen, sah er keinen anderen Ausweg. Sein Sohn Francis meinte dazu später : »Es nimmt nicht wenig wunder, daß die meiner Meinung nach für meinen Vater stichhaltigste Kritik seiner These nicht von einem professionellen Naturforscher, sondern ausgerechnet von einem Professor der Technik, Mr. Fleeming Jenkin, kam.« Nicht weniger verwunderlich ist, wie Sir Alister Hardy bemerkte, daß »die großen Geister der viktorianischen Ära« den fundamentalen logischen Trugschluß, den Jenkin aufwies, nicht erkannten. Bateson allerdings hat ihn erkannt und ebenso die anderen schwachen Stellen im Gebäude des Darwinismus. Daher der verzweifelte Hinweis auf den »Dschungel der Phänomene« ; daher auch seine anfängliche Hoffnung, in den asiatischen Seen Beweise für den lamarckistischen Vererbungsmechanismus zu finden. Diese seine Hoffnung wurde grausam zerstört – ihr Echo klang nur im Klappern der Kaffeetassen nach. Einige Jahre später jedoch wurde die Krise durch ein unerwartetes und nahezu melodramatisches Ereignis überwunden, die Wolken verzogen sich, und aus dem Darwinismus wurde der Neodarwinismus. Das entscheidende Ereignis war die Wiederentdek81
kung, im Jahre 1900, einer Arbeit, die 35 Jahre vorher der Augustinermönch Gregor Mendel in einem Vortrag der Naturhistorischen Gesellschaft in Brünn dargelegt hatte. Die Arbeit trug den Titel »Versuche über Pflanzenhybriden« und war im Jahre 1865 in den Protokollen der Gesellschaft veröffentlicht worden, aber völlig unbeachtet geblieben. Mendel starb 19 Jahre später, ein bitter enttäuschter Mann, obwohl der Umstand, daß er Abt seines Klosters war, ein gewisser Trost gewesen sein mochte. Wieder 16 Jahre später wurde seine Arbeit wiederentdeckt, und zwar fast gleichzeitig und unabhängig voneinander von drei Biologen in drei verschiedenen Ländern : Tschermak in Wien, de Vries in Leyden und Correns in Berlin. Alle drei hatten die Literatur nach einem Hinweis auf einen Weg aus der Sackgasse durchsucht, und jeder der drei erkannte sofort die revolutionäre Bedeutung der Mendelschen Kreuzzüchtungen mit der gemeinen Erbse, die – wie Newtons Apfel – zum Gemeingut der Wissenschaft werden sollte. An Mendels Pflanzen ließ sich erkennen, daß die Erbeinheiten – das, was später Gen genannt werden sollte – sich nicht vermischen und daher auch nicht verdünnt werden ; vielmehr ähneln sie dauerhaften, harten Marmorsteinchen, die miteinander eine Vielzahl verschiedener Mosaikformen eingehen, dabei aber ihre Eigenheit bewahren und unverändert auf die nächste Generation übertragen werden, um sich neuerlich zu kaleidoskopartigen Formen zusammenzusetzen und in den verschiedenen Phasen des Fortpflanzungsprozesses neu zu gruppieren. Wenn eine Mutation auf82
tritt – eine zufällige Veränderung an einem Gen – und wenn diese Mutation Überlebenswert besitzt, so wird sie nicht durch die Mischung der Erbanlagen von Generation zu Generation verwässert, sondern durch die natürliche Auslese bewahrt. Nun griff eines logisch ins andere. Jede Erbeinheit war in einem Mendelschen Gen eingeschlossen, und jedes Gen hatte den ihm zukommenden Platz in den Chromosomen der Zellkerne, aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Die Evolution barg keine Geheimnisse mehr. So schien es zumindest eine Zeitlang. Der Pionier der Ideen Mendels in England war William Bateson. Im Jahre 1900 las er, damals 40 Jahre alt, Mendels Abhandlung. Bateson saß im Eisenbahnzug auf dem Weg zu einem Vortrag vor der Royal Horticultural Society. Im Lichte der neuen Erkenntnisse schrieb er sofort – noch im Zug – sein Referat um. Wie tief er beeindruckt war, läßt sich aus dem Vorwort zu seinem Buch Mendel’s Principles of Heredity : A Defence, das im Jahre 1902 erschien, ermessen. Aus diesem Buch stammt auch die oben zitierte Bemerkung, daß es im Studium der Entwicklung »kaum noch ein Vorwärtskommen« auf der von Darwin geschlagenen Lichtung im Dschungel gebe. Im Vorwort heißt es dann weiter : »So war unsere Situation, als man vor zwei Jahren plötzlich entdeckte, daß ein völlig Unbekannter, Johann Gregor Mendel, allein und unbemerkt einen völlig neuen Weg eingeschlagen hatte. Das ist keine Phrase, sondern die einfache Wahrheit. Wer immer 83
von uns heute sein eigenes Stück Arbeit betrachtet, wird darin etwas von der Botschaft Mendels wiederfinden. Wohin sie uns führen wird, wagen wir noch nicht auszudenken.« Es ist die gleiche Sprache überschwenglicher Begeisterung, in der auch Kammerer eine »Schöne Neue Welt« verkündete, in der erworbenes Wissen erblich wurde. So verschieden sie in anderer Hinsicht auch waren, diese Begeisterungsfähigkeit für eine Idee war eine Eigenschaft, die die beiden Männer gemeinsam hatten. Sie beeinflußten nicht nur ihre berufliche Haltung, sondern auch ihr Privatleben. So taufte Kammerer seine Tochter nach seinen Lieblingseidechsen Lacerta. Bateson gab zu Ehren seines Idols Gregor Mendel seinem jüngsten Sohn den Namen Gregory. »Wohin uns die Botschaft führen wird.« Sie führte – was vorauszusehen war – zu neuen Schwierigkeiten. Bateson gelang als erstem mit seinen Experimenten an Hühnern der Nachweis, daß die Mendelschen Erbgesetze für die Tierwelt ebenso gültig sind wie für die Pflanzenwelt. Aber alle Beweise der Welt waren nicht imstande, die einflußreiche Gruppe der Gegner Mendels zu überzeugen ; sie klammerten sich an die Theorie von der »Mischung der Erbanlagen« und versuchten sie durch Anwendung statistischer Methoden in der Biologie zu untermauern. Sie gaben dieser Methodik, deren Begründer Francis Galton war, den Namen Biometrik und gründeten eine Zeitschrift mit dem Titel Biometrika, deren Herausgeber der Mathematiker Karl Pear84
son und W. F. R. Wheldon waren. Der Streit zog sich viele Jahre hin und wurde – besonders von den Biometrikern – mit einem bemerkenswerten Maß an Niedertracht geführt. Pearson und Wheldon griffen Bateson und die anderen Mendelianer an, gestatteten ihnen aber nicht, darauf in den Spalten der Biometrika zu erwidern. Bateson revanchierte sich, indem er die Strategie des Trojanischen Pferdes anwandte : er ließ seine Erwiderung im Selbstverlag drucken und in einen Umschlag binden, der genau jenem der Biometrika glich. Pearson benützte auch seinen nicht unbeträchtlichen Einfluß bei den Herausgebern von Nature, um die Veröffentlichung von Batesons Briefen zu unterbinden. Unter den Papieren aus dem Nachlaß Batesons* findet sich ein Brief des Redakteurs von Nature vom 19. Mai 1903, in dem es heißt, er sei »nicht bereit, die Diskussion über die Mendelschen Gesetze fortzusetzen, und sende hiemit die ihm kürzlich von Herrn Bateson zugegangenen Artikel zurück«. Ein bemerkenswertes Dokument, wenn man bedenkt, daß im darauffolgenden Jahr Bateson bei der Tagung der British Association in Cambridge als Präsident der Sektion Zoologie »in einer aufrüttelnden Rede die Methoden der Mendelschen Forschung rechtfertigte und die Thesen der biometri* Die »Bateson-Dokumente«, wie sie im folgenden genannt werden (darunter Batesons Korrespondenz und seine Notizen), wurden von Professor Gregory Bateson in der Bibliothek der American Philosophical Society hinterlegt ; er gestattete mir, dort Einsicht zu nehmen, wofür ich ihm zu Dank verpflichtet bin.
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schen Schule anfocht. Die heftige Debatte, die sich im Anschluß an seine Rede entspann, wurde von einem dicht gedrängten Auditorium aufmerksam verfolgt, an deren Ende es wohl keinen Zweifel gab, daß die Exponenten der Mendelschen Theorie Sieger geblieben waren«. Diese Zeilen stammen aus dem Nachruf auf Bateson in Nature – die natürlich stets auf der richtigen Seite gestanden hatte.
4 Das also war die herzerfrischende Atmosphäre im Cambridge der Jahre, die der großen Kontroverse zwischen Bateson und Kammerer vorausgingen. Aber in der Geschichte des Aufstiegs des Neodarwinismus gibt es zwei zutiefst ironische Wendungen, die wenig bekannt sind und über die ich kurz berichten möchte. Erstens und vor allem waren Gregor Mendels statistische Angaben in seiner klassischen Abhandlung gefälscht oder, um es höflicher zu sagen, zurechtfrisiert. Davon wußte Bateson nichts – hätte er davon gewußt, so darf man sich die Frage stellen, ob dies wohl eine wesentliche Änderung seiner Haltung herbeigeführt hätte ; ob er sich von seiner Überzeugung von der Richtigkeit der Theorie abbringen hätte lassen. Wäre dem aber so gewesen, hätte er dann sein Wissen publik gemacht oder es im Interesse einer höheren Wahrheit weise für sich behalten ? Sei dem wie immer, erst im Jahre 1936 wurde entdeckt, daß Mendels Resultate zurechtfri86
siert waren, und zu dieser Zeit lebten Bateson, Pearson und die anderen Akteure dieses Dramas nicht mehr. Die Sache liegt nun folgendermaßen : In den Erbgesetzen Mendels wird die Behauptung aufgestellt, daß bei Kreuzung zweier Rassen einer Art – sagen wir großwüchsige und kleinwüchsige Pflanzen – das Verhältnis der groß wüchsigen zu den kleinwüchsigen Exemplaren bei den Abkömmlingen der Pflanzenmischlinge ungefähr 3 : 1 ist.* Bei den von Mendel veröffentlichten experimentellen Ergebnissen kommt das tatsächliche Verhältnis dem erwarteten 3 : 1 so nahe, daß es zu schön ist, um wahr zu sein. Keinem der Tausenden Forscher, die ähnliche Versuche angestellt haben, ist es je gelungen, dem Idealwert von 3 : 1 so nahe zu kommen. Es war der inzwischen verstorbene Sir Ronald Fisher, der größte Vertreter der statistischen Mathematik seiner Zeit, der nachwies, daß die detaillierten Zahlenangaben in Mendels Abhandlung nicht stimmen konnten – denn dieses Verhältnis zu erzielen sei undenkbar und komme geradezu »einem Wunder an Zufall« gleich.** Man findet in der Literatur nur selten Hinweise auf diesen historischen Skandal. Man hat ihn nicht so sehr * Das Gen für den Großwuchs »G« wird im dominanten Erbgang vererbt, das für den Kleinwuchs »k« im rezessiven Erbgang. Daraus folgt, daß bei den vier Kombinationsmöglichkeiten GG, Gk, kG, kk aus den ersten drei großwüchsige Pflanzen entstehen und nur aus der letzten Zwergpflanzen. ** Das Verhältnis der vier durch Bestäubung möglichen Genkombinationen folgt dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit wie in einem Würfelspiel und läßt sich vom Geschick des Experimentators nicht beeinflussen.
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vertuscht, sondern vielmehr als unwesentlich behandelt. Was macht es denn aus, wenn Mendel ein wenig geschwindelt hat, da sich doch seine Gesetze als richtig erwiesen haben ? Für diese Toleranz bezeichnend ist Sir Alister Hardys Kommentar in seinen Gifford-Vorlesungen : »Ich glaube nicht, daß jemand annimmt, Mendel habe selbst seine Resultate absichtlich gefälscht. Aller Wahrscheinlichkeit nach – und das macht Mendels Leistung, wie auch Fisher meint, vielleicht nur noch größer, als man bisher dachte – hat er, anstatt zuerst unzählige Experimente anzustellen und daraus seine Schlüsse zu ziehen, nach nur wenigen Versuchen seine Theorie am Schreibtisch mathematisch errechnet und dann erst praktisch erprobt. Man sieht ihn geradezu, wie er seinen Gärtnern von seiner Theorie erzählt, ihnen erklärt, warum er die Versuche durchführte und warum er erwarte, ein Verhältnis von annähernd, aber nicht genau 3 : 1 zu erzielen. Als die Versuche dann in vollem Gange waren, haben die Gärtner, die ihm halfen, wohl klar erkannt, daß die Ergebnisse so ausfallen würden, wie Mendel es vorhergesagt hatte. Und man muß wohl annehmen, daß sie sich beim Zählen, bei dem sie ihm an die Hand gingen, Ärger ersparen wollten und ihm jene Resultate angaben, die er vorhergesagt hatte, nicht genau, aber knapp an die 3 : 1 – zu knapp, wie sich herausstellte! Zweifellos hat Mendel seine Versuchspflanzen mit peinlicher Genauigkeit selbst bestäubt, viel88
leicht aber das bloße Zählen seinen Helfern überlassen. Die volle Wahrheit über diese Geschichte werden wir wohl nie erfahren, aber sie scheint ein weiteres Beispiel einer brillanten Erkenntnis darzustellen, die sich im nachhinein experimentell bestätigt hat.« Man ist versucht, angesichts der großzügigen Verwendung der Ausdrücke »aller Wahrscheinlichkeit nach«, »zweifellos«, »man sieht ihn geradezu«, »man muß wohl annehmen«, »vielleicht« usw. zu lächeln. Toleranz und Nachsicht gegenüber einem Toten sind zweifellos lobenswert. Wie aber, wenn man den unbekannten Mönch aus Brünn in flagranti dabei ertappt hätte, wie er seine Statistiken frisierte, oder dabei, daß er es verabsäumt hatte, die Angaben seiner Gärtner zu überprüfen ? Ein weiterer rätselhafter Aspekt der Aff äre ist, wieso Karl Pearson und die anderen Biometriker, die doch in der statistischen Mathematik zu Hause und noch dazu Mendelgegner waren, den Fehler in dessen Statistiken nicht bemerkt haben, war er doch – einmal aufgezeigt – für jeden, der nur einen blassen Schimmer von der Wahrscheinlichkeitsrechnung hat, klar erkennbar. In der Hitze des Gefechts, konzentriert auf einen bestimmten Punkt eines Problems, benehmen sich eben auch Wissenschaft ler, als trügen sie Scheuklappen, ganz wie gewöhnliche Sterbliche. Und nun zur zweiten Ironie in dieser Geschichte : Wie wir gesehen haben, blieb Mendel 35 Jahre lang – von 1865 bis 1900 – völlig unbeachtet. Es gab nur eine Aus89
nahme : der deutsche Botaniker Wilhelm Focke veröffentlichte 1881 ein Buch, Die Pflanzen-Mischlinge, das einen kurzen Hinweis auf Mendels Experimente enthielt. So gelangte Mendels Name in die Bibliographie dieses einen Buches. Nun schrieb gerade zu der Zeit, als dieses Werk erschien, der Oxforder Biologe George John Romanes (der Stifter der in zweijährigen Intervallen gehaltenen Romanes-Vorlesungen) an einem für die neunte Auflage der Encyclopedia Britannica bestimmten Artikel über Hybridisierung (Pflanzenmischlinge). Als er damit fertig war, hielt er es für angemessen, dem Beitrag eine eindrucksvolle Biographie beizufügen. Er schrieb also (am 30. November 1880) an Charles Darwin und bat ihn um eine Liste für diesen Gegenstand geeigneter Werke. Darwin, der sich ebenso wie Romanes unnütze Arbeit sparen wollte, schickte ihm Fokkes Buch über Die Pflanzen-Mischlinge, das eben eingetroffen war, und erklärte dazu, er habe zwar selbst noch nicht die Zeit gefunden, es zu lesen, meine aber, daß es eine brauchbare Bibliographie enthalte, die für ihn (Romanes) gerade das richtige wäre. Und so war es auch ; Romanes schrieb die bibliographischen Hinweise einfach ab, und zwar in der gleichen Reihenfolge wie in Die Pflanzen-Mischlinge, egal, ob im Text seines Artikels auf die Werke Bezug genommen wurde oder nicht. So wurde Mendels berühmte Abhandlung tatsächlich in der neunten Auflage der Ecyclopedia Britannica erwähnt – aber nur in der Bibliographie, nicht hingegen im Text von Romanes’ Beitrag. In diesem bescheidenen Versteck war sie also zu finden, und zwar noch zu Leb90
zeiten von Darwin und auch Mendel, und blieb dort auch schüchtern zwanzig Jahre lang verborgen, bis sie schließlich plötzlich wie eine Zeitbombe explodierte. Vor einigen Jahren kam es zu einem beachtlichen Skandal, als man einem englischen Journalisten, der eine Biographie eines berühmten Europäers verfaßt hatte, nachwies, die bibliographischen Hinweise einem fremden Werk entnommen zu haben. Nun – solche bedauernswerten Praktiken, so würde man meinen, können unter Journalisten schon einmal vorkommen, aber doch wohl niemals in der erhabenen Welt der Wissenschaft und der Encyclopedia Britannica. Ich habe das geistige Klima und die polemischen Methoden jener Zeit so ausführlich geschildert, um zu zeigen, daß das Klima weit davon entfernt war, gemäßigt zu sein, und die Methoden beileibe nicht zimperlich waren. Nur wenn man diese Hintergründe kennt, kann man die Kampagne gegen Kammerer in der richtigen Perspektive sehen.
5. Kapitel
l Das erste Scharmützel zwischen Bateson und Kammerer fand im Jahre 1910 statt, als Bateson 50, Kammerer 30 Jahre alt war und beide auf ihrem Gebiet beträchtliches Ansehen genossen. Bateson las Kammerers frühe Arbeiten über die Brunftschwielen der Geburtshelferkröte, und schon begannen die Kaffeetassen auf dem Tisch zu tanzen. »Solche Dinge glauben wir nur, wenn wir müssen – aber nicht vorher«, schrieb er in Problems of Genetics – dem Buch, an dem er damals gerade arbeitete, das aber erst drei Jahre später, nämlich 1913 veröffentlicht wurde. Im neunten Kapitel dieses Werks sollte der Vererbung erworbener Eigenschaften, »einem offen gesagt unvorstellbaren Vorgang«, endgültig der Todesstoß versetzt und das Gespenst des Lamarckismus für alle Zeit gebannt werden. Schon vorher hatte er mit anderen ketzerischen Lamarckisten abgerechnet, darunter Professor W. L. Tower aus Chicago, dessen Buch, laut Bateson, »zwar enormes Selbstvertrauen beweist, ansonsten aber von so elementarem Unwissen auf dem eigentlichen Fachgebiet und der Chemie im allgemeinen zeugt, daß es nicht ernst genommen werden kann«. Aber kaum war ein Haupt des Drachen abgeschlagen, als auch schon ein neues an seiner Stelle wuchs. Kam92
merers Haupt aber war weit bedrohlicher als jenes von Tower– wie Bateson sofort erkannte. Er schrieb dazu (in Problems of Genetics) : »Die von Kammerer mit verschiedenen Amphibien durchgeführten Versuchsreihen haben viel Aufsehen erregt und wurden von Semon und all jenen, die an die Übertragung erworbener Eigenschaften glauben, als Beweis für die Richtigkeit ihrer Ansicht gefeiert. Die hauptsächliche Stellungnahme, die man in bezug auf Kammerers Beobachtungen abgeben kann, ist, daß sie bislang unbestätigt sind. Es ist kaum nötig zu sagen, daß viele der vorgelegten Resultate den meisten Lesern höchst unwahrscheinlich vorkommen werden. Da die veröffentlichten Berichte aber von einem Mann mit so umfassender Erfahrung, wie Dr. Kammerer sie besitzt, stammen und von Dr. Przibram, unter dessen Leitung die Arbeit in der Biologischen Versuchsanstalt in Wien durchgeführt wurde, anerkannt werden, verdienen sie sehr respektvolle Beachtung.« Weiters sagt Bateson : »Ich schrieb Kammerer im Juli 1910 und bat ihn, mir ein solches Exemplar (der Alytes mit den Brunftschwielen) leihweise zu überlassen und wiederholte bei meinem Besuch in der Biologischen Versuchsanstalt im September des gleichen Jahres mein Ersuchen, bisher ist aber kein Exemplar vorgelegt worden.«
Diesem Satz fügt Bateson folgende Fußnote bei : »In Beantwortung meines Briefes teilte mir Dr. Kammerer, der sich damals auswärts aufhielt, freundlicherweise mit, daß er nicht ganz sicher sei, ob er konservierte Exemplare der Alytes mit Brunftschwielen habe oder lediglich lebende Männchen der vierten Generation, daß er aber illustratives Material schikken werde.« Diese Beschuldigung – daß nämlich Kammerer im Jahre 1910 kein Exemplar der Alytes nach Cambridge geschickt und Bateson bei dessen späterem Besuch in Wien im gleichen Jahr auch keines gezeigt habe – sollte noch eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb ist der genaue Wortlaut von Batesons Bitte und Kammerers Antwort wert, festgehalten zu werden.«* 17. 7. 1910 Herrn Dr. P. Kammerer Sehr geehrter Herr! Mit Interesse habe ich verschiedene Ihrer Arbeiten über die Vererbung der Ergebnisse bestimmter Umweltbedingungen gelesen, da ich diesem Thema in einem Buch, an dem ich gerade arbeite, ein Kapitel widmen möchte. Ebenso wie meine hiesigen Kol-
* Aus den Bateson-Dokumenten. Batesons Brief an Kammerer ist in einer handschrift lichen Kopie erhalten, Kammerers Antwort im (englisch verfaßten) Original.
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legen, die sich mit Genetik befassen, würde es mich sehr interessieren, Exemplare zu sehen, an denen die aufgetretenen Veränderungen ersichtlich sind. Da die Veränderungen meist stark vom Entwicklungsgrad, dem Entwicklungsalter und der Entwicklungsstufe abhängen, kann ich sehr wohl verstehen, daß es nicht einfach ist, sie jemandem, der den Verlauf der Versuche nicht kennt, vorzuführen. In einem Fall, nämlich bei den an allen Alytes obstetricans-Männchen der 4. Generation beobachteten Brunftschwielen (S. 516), müßte es allerdings ein leichtes sein, die aufgetretenen Veränderungen zu demonstrieren. Ich erlaube mir daher anzufragen, ob Sie mir freundlicherweise ein Exemplar, das die genannten Veränderungen zeigt, für kurze Zeit überlassen wollten. Ich verpflichte mich selbstverständlich, bei der Untersuchung größte Sorgfalt walten zu lassen und Ihnen das Präparat sofort bzw. so rasch wie möglich heil zurückzusenden. In der Hoffnung, daß es Ihnen möglich sein wird, meine Bitte zu erfüllen, bin ich Ihr ergebener William Bateson
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Steinbach am Attersee Gasthof Föttinger Ober-Österreich 22.7.1910 Sehr geehrter Herr! Ich befinde mich gerade auf Urlaub, so daß mir Ihr freundlicher Brief von Wien nach Steinbach nachgesandt werden mußte. Daher meine verspätete Antwort. Sobald ich wieder bei meiner normalen Arbeit bin – dazwischen liegen noch zwei Kongresse und eine Reise nach München –, werde ich Ihnen mit dem größten Vergnügen alle Objekte schicken, die Sie eventuell für Ihr Buch brauchen könnten und für die Sie sich interessieren mögen. Ich hoffe, daß es dann nicht zu spät ist, das Material im Kapitel über »Wirkungen von Umweltsbedingungen« Ihres geplanten Buches zu verwenden. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich bereits Exemplare der Alytes mit Brunftschwielen konserviert habe oder nur lebende Männchen dieser (F4-)Generation besitze. Aber ich zweifle nicht daran, daß auch andere Objekte gut geeignet sind, um die Wirkung der Umwelteinflüsse und ihre Vererbung leicht zu ersehen. Besonders meine neuen Versuche über den Einfluß des Untergrunds etc. auf die Färbung (mit Ausnahme einiger vorläufiger Notizen, z. B. in den »Verhandlungen deutscher Naturforscher und Ärzte«, Salzburg 1909, noch nicht veröffentlicht) sind für diesen Zweck viel geeigneter als die Instinktvariationen, ungeachtet deren morphologischer Folgeerscheinungen. 96
Ich habe auch (d. h. Dr. Przibram hat in meinem Namen) Mr. Doncaster versprochen, ihm eine Reihe von Quappen mit Veränderungen etc. für Ihr Museum zur Verfügung zu stellen, und es ist meine Absicht, dieses Versprechen zusammen mit dem Ihnen heute gegebenen zu Herbstbeginn einzulösen. Ihr ergebener Paul Kammerer Liest man Kammerers Antwort sorgfältig, merkt man, daß er nicht versprochen hat, Bateson eine Alytes mit Brunftschwielen zu schicken, weil er nicht sicher war, ob er ein Präparat, an dem sie zu sehen waren, besaß. Was er Bateson anbot, war, ihm »andere Objekte« zu schicken, die seiner Meinung nach »für diesen Zweck viel besser geeignet sind«, nämlich, um die Vererbung erworbener Eigenschaften zu beweisen. Daß das von Bateson geplante Kapitel des Buches diesem Beweis gewidmet sein werde, nahm Kammerer offensichtlich auf Grund des sehr sorgfältig formulierten Briefes Batesons an. Batesons Ziel war natürlich das genaue Gegenteil. Das fragliche Kapitel (Kapitel IX) in Problems of Genetics umfaßt 26 Seiten ; 13 davon sind einer scharfen Kritik der Versuche Kammerers gewidmet. Kammerer hat dieses Buch allerdings erst viel später zu Gesicht bekommen.
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2 Dieser Briefwechsel zwischen Bateson und Kammerer datiert vom Juli 1910. Zwei Monate später kam Bateson nach Wien. Dieser Besuch verwandelte seine Haltung gegenüber Kammerer von Skepsis in Feindschaft, die später an das Obsessionelle grenzte. Bateson war Gast in Przibrams luxuriöser Wohnung am Parkring (jener Wohnung, in der Przibram senior elektrisches Licht installiert hatte) ; nichts, was er sah, war ihm recht. In einem Brief an seine Frau schrieb er : 28. ix. 1910. Parkring 18, Wien Ein höchst anstrengender Tag! Es scheint, daß ich nichts ohne Begleitung unternehmen darf, eine recht harte Strafe für die Annehmlichkeiten, die man mir ansonsten bietet. Przibram führte mich heute vormittag ins Kunsthistorische Museum, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, nicht so viel davon gehabt zu haben, wie ich hätte haben können. Er hat nicht sehr viel Kunstsinn und ist recht nüchtern. Ich wohne höchst komfortabel mit allen nur erdenklichen Bequemlichkeiten. Der Diener flicht in seine Rede so viele »Herr Professor« ein, wie er bestimmte Artikel verwendet. Er hat meine Koffer ausgepackt und findet mich immer noch zu bedeutend, um einfach »Sie« zu mir zu sagen. Ich wollte heute abend Rigoletto sehen, aber Przibram war für einen ruhigen Abend, und dabei bleibt’s. Seine Frau ist müde und hat sich noch gar nicht gezeigt. Er und ich werden also in einem Re98
staurant zu Abend essen. Wir haben schon den ganzen Tag miteinander geredet, und ich habe langsam das Gefühl, daß unser Gesprächsstoff erschöpft ist. Morgen vormittag hat er gottlob beim Physiologenkongreß zu tun, den ich mir ersparen werde. Ich habe mich eingehend mit Kammerer unterhalten – es ist nicht länger zu leugnen, daß das, was er tut, außerordentlich interessant ist. Die Brunftschwielen konnte er nicht vorweisen. Irgendwie bin ich da auf einen wunden Punkt gestoßen. Meine Kritik muß für sie recht unerwartet gekommen sein, sie scheinen überhaupt nicht bemerkt zu haben, wie entscheidend in jedem Fall gerade dieser Punkt sein muß. Sie sagen jedoch, daß sie mit der Zeit über mehr Exemplare verfügen werden etc. Aber er hat zweifellos eine ganze Menge guter Arbeit geleistet und ist ungewöhnlich nahe daran, zu beweisen, daß erworbene Anpassung übertragbar ist. Das Ganze gefällt mir nicht, und solange auch nur der geringste Zweifel besteht, werde ich nicht nachgeben. Kammerer ist kein gewöhnlicher Mensch. Er hat etwas Künstlerisches an sich und wollte, soweit ich weiß, einmal Musiker werden. Ich will das wirklich nicht im Ernst sagen, aber ein oder das andere Mal kam mir eine ganz leise Spur eines Verdachts, daß er mogelt. Betrachtet man aber die Gesamtheit seiner Experimentalserien, so kann ich wirklich den Gedanken an Betrug nicht aufrechterhalten. Es müßte denn auch ein bewußter, großangelegter, viele Jahre lang durchgehaltener Schwindel sein, um diese Re99
sultate hervorzubringen. Sein Gesicht erinnert mich ein wenig an Pearson, und vielleicht war es das, was mich einen Augenblick lang an seiner Aufrichtigkeit zweifeln ließ … 29. ix. 10. Ach, haben wir einen tödlich langweiligen Abend verbracht. Ich finde Przibram nicht sympathisch. Ich wollte, ich hätte ein wenig mehr Freiheit, und zweifle sehr, ob diese Abhängigkeit am Ende wirklich billiger sein wird. All dieses ständige »Küß die Hand« und »Herr Professor« wird sich wohl auf die Trinkgelder auswirken … In diesen Briefen sind mehrere aufschlußreiche Punkte enthalten. Zunächst ist da die Ähnlichkeit – real oder eingebildet – mit Karl Pearson, Batesons Todfeind aus den Biometrika-Tagen. Man braucht gar nicht allzusehr in die Tiefenpsychologie einzudringen, um zu wissen, daß Assoziationen auf Grund physischer Ähnlichkeiten starke und bleibende gefühlsmäßige Reaktionen auslösen können – Anziehung oder Abstoßung, je nach der Lage der Dinge. Der zweite Punkt ist die widerstrebend eingestandene Bewunderung für Kammerer (»kein gewöhnlicher Mensch« – »hat eine ganze Menge guter Arbeit geleistet« – »das Ganze gefällt mir nicht, … ich werde nicht nachgeben« etc.). Bateson war zum Balkaschsee ausgezogen, um die Vererbung »erworbener Anpassungen« zu beweisen, und war dazu nicht imstande gewesen. Kammerer kam diesem Ziel »ungewöhnlich nahe«, ohne 18 Monate mit den Wilden in der Steppe zugebracht zu 100
haben und sich danach wie ein Narr vorgekommen zu sein. Sollte ihm gelingen, was Bateson mißlungen war ? Die aufschlußreichste Stelle, deren Bedeutung erst im Lichte des Vorhergesagten aufdämmert, ist jedoch die Bemerkung : »Die Brunftschwielen konnte er nicht vorweisen. Irgendwie bin ich da auf einen wunden Punkt gestoßen. Meine Kritik muß für sie recht unerwartet gekommen sein.« Mit anderen Worten, Bateson glaubte, Kammerers Achillesferse gefunden zu haben. Sicherlich hat man ihn durch das Aquarium und das Terrarium geführt und ihm Kammerers Salamander, Eidechsen, langschläuchige Cionen und all die übrige »gute Arbeit« gezeigt, die Brunftschwielen aber hatte man ihm nicht gezeigt, weil es außerhalb der Brunftzeit an lebenden Exemplaren keine zu zeigen gab und Kammerer keines seiner wertvollen Zuchttiere zu dem Zeitpunkt getötet hatte, als sie diese Merkmale aufwiesen. Deshalb kam Batesons Kritik »recht unerwartet«, und deshalb zeigten sich Kammerer und Przibram wohl auch einigermaßen überrascht ; sie konnten einfach nicht verstehen, »wie entscheidend in jedem Fall gerade dieser Punkt sein muß«, da Kammerer selbst nie behauptet hatte, die Schwielen seien ein entscheidendes Kriterium. In Problems of Genetics griff Bateson nicht nur die Alytes-Versuche, sondern auch Kammerers Arbeit an Salamandern an. 1913, demselben Jahr, in dem Batesons Buch erschien, veröffentlichte Kammerer seinen – vorläufigen – Abschlußbericht über die Farbanpassungen der Salamander im Archiv, durch den Batesons Ein101
wände überholt waren. Aber Bateson unterließ es, seine Kritik zu revidieren, und kam überhaupt nicht mehr auf Salamandra zurück. Er hatte damals schon beschlossen, sich ganz auf die Geburtshelferkröte zu konzentrieren und Kammerers übrige Arbeiten einfach zu ignorieren.
6. Kapitel
1 Während des Ersten Weltkrieges waren die Verbindungen naturgemäß unterbrochen. Im Jahre 1919 veröffentlichte Kammerer im Archiv für Entwicklungsmechanik seinen bis dahin detailliertesten Bericht über die Geburtshelferkröte. In diesem Bericht beantwortete er auch verschiedene Kritiken – darunter jene von Bateson. Ich möchte die diesbezügliche Stelle ungekürzt zitieren, vorerst aber den Leser daran erinnern, daß die Wiederholung des Experiments niemandem gelungen war, die an Land kopulierende Alytes dazu zu bringen, sich im Wasser zu begatten und weitere Generationen aus den der Brutpflege des Männchens entzogenen Wassereiern zu züchten.* Wertvolle Belegexemplare auswärts zu schicken, ist nicht immer leicht und ratsam. Ich will davon schweigen, welch trübe Erfahrungen ich bisweilen mit solchem Verleihen gemacht habe ; offenbar deshalb setzten sich die meisten öffentlichen Sammlungen zur Regel, nichts außer Haus zu geben. Trotzdem hatte * Siehe Anhang 3 zur Kontroverse mit Boulenger, der es – allerdings ohne Erfolg – versuchte.
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ich die Absicht, ein schwieliges Männchen nach England zu senden. Materialknappheit, die stets nur mit genauer Not erlaubt, bis zur jeweils nächstfolgenden Generation fortzufristen, ließ mich immer wieder zögern. Oft hängt ja die Weiterzucht von einem einzigen Exemplar ab : keineswegs alle sind [unter den künstlichen Laboratoriumsbedingungen] fortpflanzungswillig ; sogar wenn sie morphologische Hochzeitsattribute entfalten. Und es ist ihnen vorher nicht anzusehen, ob sie geeignet, ob sie überflüssig sein werden … [Es folgen Hinweise auf photographische Aufnahmen im Text und auf im Wiener Institut befindliche Präparate.] Bei dieser Gelegenheit will ich einige Bemerkungen über das Konservieren von Belegexemplaren machen, die mir schon lange auf der Seele liegen. Meist steht man geradezu vor der Wahl : entweder konservieren auf die Gefahr hin, den Versuch abbrechen zu müssen (so erging es mir beispielsweise mit den großäugigen Lichtolmen!), oder möglichst alles lebend belassen auf die Gefahr hin, zuletzt nur noch konservierungsuntaugliche Kadaver zu ernten. Zumal in früheren Jahren, als ich noch nicht so vieler Skepsis begegnet war, entschloß ich mich daher sehr schwer zur Tötung eines Versuchstieres, sondern war bestrebt, immer noch weitere Extremstufen damit zu erreichen. Nur diesem – in gewisser Beziehung sicher nicht einwandfreien – Verfahren danke ich viele meiner Zuchterfolge, wenn sie mit Haaresbreite vom Überleben just eines besonders zeugungstüchtigen 104
Exemplares abhingen. Vor solchem Abhängen von einzelnen Individuen bietet auch das reichste Material, wie es mir stets als Ausgangspunkt diente, keinen unbedingten Schutz. Die Forderung nach »Belegen« ist auch wohl an mich häufiger und mit größerer Strenge herangetreten als an andere Forscher. Driesch [ein führender Embryologe zu Kammerers Zeit] sagte mir gelegentlich seines Besuches und auf unsere Bitte hin, Resultate seiner Experimente dem entwicklungsmechanischen Museum unserer Anstalt zu spenden : »Ich habe nichts aufgehoben ; wer an den Befunden zweifelt, soll sie nachmachen!« Daß dies mit den meinigen endlich geschehe, ist mein sehnlichster Wunsch! Auch Bateson besuchte die Biologische Versuchsanstalt anfangs September 1910, anschließend an den Internationalen Zoologenkongreß in Graz. Er erwähnt es S. 202 [in : Problems of Genetics]. Warum habe ich ihm damals keine Schwielen-Alytes gezeigt ? Nun, konserviert waren eben aus den dargelegten Gründen keine, und bei den lebenden ist die Schwiele bekanntlich ein periodisch (nur in der Brunft) auftretendes Merkmal. Dieser Periodentermin aber war damals [bei Batesons Besuch] noch nicht fällig : wenige Wochen später wäre die Schwärzung und das Wachstum der hornigen Papillen bereits demonstrierbar gewesen! Und natürlich gibt es Fachleute genug, die die Schwiele zu solcher Zeit gesehen haben.
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Später schrieb Kammerer mit einiger Bitterkeit, er habe seine Arbeit an Proteus, die aufzeigen sollte, ob die großen Augen vererbt werden, aufgegeben, da seine Kritiker das Experiment ohnehin nicht anerkannt hätten. Er entschloß sich daher, seine Versuchstiere zu opfern, und diesem Umstand ist es zu danken, daß sie als konserviertes Beweismaterial erhalten blieben. Hätte er seine Zuchtexemplare nicht getötet, wäre seine Behauptung, daß der Proteus dazu veranlaßt werden kann, einen normalen Gesichtssinn zu entwickeln, sicherlich auf die gleiche Skepsis gestoßen wie die Brunftschwielen der Alytes.
2 Die Kontakte zwischen den Wissenschaft lern der ehemaligen Feindländer wurden nur langsam wiederaufgenommen. Der erste, der die englischen Forscher auf Kammerers neuen Artikel aufmerksam machte, war der Zoologieprofessor am Imperial College of Science in London, E. W. MacBride. Einer seiner Gegner (Professor Darlington) beschrieb MacBride als »untersetzten, kleinen Iren, mit einer schrillen Stimme, und wie sein Landsmann G. B. Shaw ein streitsüchtiger Lamarckist«. Er war auch ein überzeugter Kammererianer. In seinem am 22. Mai 1919 in Nature veröffentlichten Brief gab er eine Zusammenfassung von Kammerers Experimenten und zitierte Auszüge aus Batesons Kritik sowie Kammerers im Archiv für Entwicklungsme106
chanik dazu erschienene Entgegnung. Abschließend schrieb er : »Man muß, so meinen wir, Kammerer zugestehen, daß er den ihm von Professor Bateson zugeworfenen Fendehandschuh in fairer Haltung aufgenommen hat. Der augenblickliche Stand der Dinge ist, daß eine durchaus glaubwürdige Beweisführung für die Vererblichkeit erworbener Anpassungen vorliegt. Ungläubige Thomasse können wohl nur durch eine Reise nach Wien und eine Besichtigung der modifizierten Männchen überzeugt werden ; denn es ist unvernünftig zu erwarten, daß er seine unbezahlbaren Belegexemplare jedem Zoologen, dem es gerade einfällt, an seinem Wort zu zweifeln, schicken wird. Es ist zu hoffen, daß diese Reise nach Wien, wenn erst einmal der Friedensvertrag unterzeichnet ist, bald erfolgt. Vielleicht könnte gesagt werden, daß man Resultate erst dann zur Kenntnis nehmen solle, bis sie von einem anderen Forscher wiederholt worden sind. Gegenüber anderen zoologischen Untersuchungen wird aber ein solches Verfahren nicht angewendet. Werden neue Entdeckungen veröffentlicht, so nehmen wir sie dankbar auf. Mag sein, daß wir eine gewisse Vorsicht üben, bevor sie durch Wiederholung bestätigt sind ; aber wir geben jedenfalls unumwunden zu, daß ein prima facie Beweis für sie geführt ist. Gegenüber den Kritikern aus dem Mendelschen Lager möchte ich auf die kolossalen Schwierigkeiten bei der Durchführung von Experimenten hinweisen, 107
die die Vererblichkeit erworbener Eigenschaften belegen sollen. Ich habe Herrn E. G. Boulenger*, den Kustos für Reptilien, dazu gebracht, Vorkehrungen für die Wiederholung einiger Experimente Kammerers in den Zoological Gardens zu treffen. Dabei habe ich herausgefunden, daß entscheidende Ergebnisse frühestens nach sechs Jahren zu erwarten sind. Der neue Artikel Kammerers stellt allem Anschein nach das Ergebnis einer sieben- oder achtjährigen Arbeit dar. Man sollte daher von den Mendelianern erwarten, daß sie, anstatt über die fehlende Bestätigung seitens anderer Forscher zu spotten (wiewohl in dieser Hinsicht sogar manches vorliegt), sich das Bibelwort zu Herzen nehmen : ›Gehet hin und tuet ein Gleiches.‹« Batesons Antwort an MacBride (Nature, 3. Juli 1919) war zwar im Ton gemäßigt, aber reich an verschleierten Unterstellungen. Er tat Kammerers 15 Jahre umfassende Arbeit an Salamandra mit der einzigen Bemerkung ab : »Salamander mit der den verschiedenen Exemplaren Dr. Kammerers entsprechenden Zeichnung können von Händlern bezogen werden.« Man muß sich erinnern, daß Kammerer Anspruch erhob, eine erbliche Veränderung des Farbkleides seiner Feuersalamander durch Züchtung erzielt zu haben. Was Bateson mit seiner Bemerkung andeuten wollte, war, daß Kammerer seine veränderten Feuersalamander einfach »vom Händler« gekauft habe. Sechs Jahre zuvor war Batesons * Boulenger jun.
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hauptsächliche Stellungnahme in Problems of Genetics zu Kammerers Experimenten noch gewesen, daß sie »bislang unbestätigt sind«, doch »respektvollste Beachtung verdienen«. Nun unterstellte Bateson, daß die Ergebnisse durch Betrug erzielt worden seien. Mit ein wenig Überlegung hätte man daraufkommen müssen, daß die Unterschiebung eines beim Händler gekauften Exemplars für ein Versuchstier eine technische Unmöglichkeit war, denn Auftreten und Größerwerden der gelben Punkte und Streifen war ja ein gradueller Prozeß, der sich im Laufe von sechs Jahren abspielte. Ein Austausch der Exemplare in Kammerers jedermann zugänglichen Aquarien und Terrarien hätte den Mitgliedern des Wiener Instituts und dessen Leiter Przibram, dessen Integrität niemand bezweifelte, nicht entgehen können. Hätte Bateson sich die Mühe genommen, Kammerers Veröffentlichung aus dem Jahre 1913 zu lesen und sich die Diagramme und Illustrationen auf den 189 Seiten anzusehen, hätte er erkennen müssen, daß sein Verdacht unhaltbar war. Batesons Brief an Nature griff dann wieder auf die Episode aus dem Jahre 1910 zurück. In Problems of Genetics hatte er lediglich in einer Fußnote erwähnt, daß Kammerer, da er sich nicht zu Hause aufgehalten habe, ihm »freundlicherweise mitteilte«, er sei nicht sicher, ob er ein konserviertes Exemplar einer Schwielen-Alytes habe. Nun fühlte sich Bateson veranlaßt, Kammerers Brief von 1910 ungekürzt zu veröffentlichen (siehe oben, S. 69). Aus diesem Schreiben ist zu entnehmen, daß Kammerer enthusiastisch und etwas voreilig versprochen hatte, »mit 109
dem größten Vergnügen alle Objekte [mit Ausnahme der Alytes] zu schicken, die Sie eventuell für Ihr Buch brauchen könnten und für die Sie sich interessieren mögen«! Wie schon erwähnt, war Bateson noch im gleichen Sommer nach Wien gekommen, und danach war keine Rede mehr von einem Senden von Exemplaren. Bedeutsam ist auch die Datierung der Briefe von 1910. Bateson schrieb am 17. Juli aus Cambridge nach Wien. Kammerer war auf Urlaub, der Brief mußte ihm also nachgeschickt werden ; und dennoch antwortete er bereits am 22. Juli. Nun gab es damals ja noch keine Luftpost, und die Wiener sind bekannt dafür, sich bei der Beantwortung von Briefen Zeit zu lassen. Also muß Kammerer an einer Zusammenarbeit sehr viel gelegen gewesen sein. Trotzdem sollte Batesons ungekürzte, nach neun Jahren erfolgende Veröffentlichung von Kammerers Brief offensichtlich den Eindruck erwekken, daß Kammerer ein Versprechen gegeben, es aber nicht gehalten habe. Im übrigen drehte sich Batesons Brief an Nature vom Juli 1919 zur Gänze um die Brunftschwielen. Er kritisierte die Photographien der Schwielen in Kammerers jüngster Arbeit, bezweifelte, daß sie sich »an der richtigen Stelle« der Vordergliedmaßen der Kröte befänden, und schloß : »Professor MacBride fordert, Skeptiker sollten Experimente über die Vererbung erworbener Eigenschaften wiederholen. Wir allerdings werden diese Aufgabe eher jenen überlassen, die sie als eine vielversprechende Forschungsrichtung betrachten. Selbst wenn in diesem Fall der Alytes uns ein Männchen mit 110
unbestreitbar vorhandenen Brunftschwielen vor Augen geführt würde, so bliebe doch die Frage der Interpretation bestehen, obgleich das Vertrauen in die Behauptungen Dr. Kammerers sehr gestärkt würde.« Zehn Jahre waren vergangen, seit Bateson zum erstenmal von der Geburtshelferkröte gehört hatte; nun, da er sich dem Sechziger näherte, war seine Haltung immer starrer geworden. Zehn Jahre zuvor hatte er noch geschrieben, daß, sollte sich die Existenz der Brunftschwielen bestätigen, dies »Kammerers Behauptung weitgehend beweisen« würde. Nun, konfrontiert mit dem neuen Beweismaterial in Kammerers Artikel von 1919, stellte er sich auf den Standpunkt, daß sie, selbst wenn sie existieren sollten, überhaupt nichts beweisen würden (so bliebf »die Frage der Interpretation bestehen«). Wir erinnern uns, daß Kämmerer selbst diese Schwielen ja gar nicht als Beweis für die Vererbung erworbener Merkmale betrachtete. Ihm waren die Salamandraund Ciona -Versuche viel wichtiger. Den Kampf um die Brunftschwielen hatte nicht er angefangen ; nun wurde er in ihn hineingezwungen.
3 Bateson aber, in der Meinung, Kammerers »wunden Punkt« gefunden zu haben, führte den Kampf unerbittlich weiter. Am 20. Juli 1920 schrieb er an den Zoologen Martin, der gerade Reisevorbereitungen für einen Besuch in Wien traf : 111
»Wenn Sie in Wien sind, müssen Sie unbedingt Dr. Hans Przibram (sprich : Prschi-brahm) von der Biologischen Versuchsanstalt aufsuchen. Wir korrespondieren miteinander, und er wird sich freuen, Sie zu sehen. Sowohl er selbst als auch seine Frau sind großartige Leute. In seinem Laboratorium werden Sie die berühmte, von Kammerer produzierte Alytes sehen. Wenn Sie sie wirklich zu sehen bekommen, achten Sie ganz besonders auf die Position der angeblich vorhandenen Brunftschwielen, und zwar auf beiden Seiten. Lassen Sie sich das Präparat aus dem Glas herausgeben. Chr. Bonnevie sah es im Glas, konnte aber nichts ausmachen. Denken Sie daran, daß es heute schon alle möglichen Arten von Transplantationsschwindel gibt – ich würde allerdings derartiges nicht offen behaupten. Versichern Sie sich auch, daß es sich bei dem Ihnen gezeigten Exemplar wirklich um eine Alytes handelt (eine kleine, schlanke Kröte mit kleinen, schwachen Vordergliedmaßen) ; eine sichere Diagnose kann ich Ihnen auch nicht geben. Przibram hat sicher Boulengers Batrachia of Europa, wo Sie gute Abbildungen finden. Verlangen Sie, daß man das Exemplar in eine offene Schale gibt, wo Sie es in Ruhe mit dem Seziermikroskop untersuchen können (Sperrdruck im Original).«* * In einer handschrift lichen Notiz, die der Kopie dieses Briefes beiliegt, vermerkte Batesons Witwe : »Ich glaube mich zu erinnern, daß Martin das Exemplar nicht gesehen hat. Ich nehme an, daß die Przibrams nicht in Wien waren, als er dort war, und daß er von K.s Versuchen nichts gesehen hat.«
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Weder Kammerer noch Przibram scheinen erkannt zu haben, wie groß Batesons Feindseligkeit und wie weit zu gehen er bereit war. Przibram, der immer noch Bateson für einen Freund hielt, schrieb ihm weiterhin herzliche Briefe. Kammerer selbst aber schickte Bateson im Sommer 1921 histologische Schnitte der Brunftschwielen. Bateson bestätigte sie zwar nie, schrieb aber in Beantwortung eines Briefes von Przibram am 6. September: »Vor einigen Wochen erhielt ich zwei Schnittpräparate. Ich nehme an, sie stammen von Dr. Kammerer ; das eine ist als normal gekennzeichnet, das andere zeigt laut Aufschrift die angeblich unter dem Einfluß der Behandlung entstandene Struktur. Ohne mehr über den normalen Entwicklungsablauf der Alytes zu wissen, als ich es jetzt tue, kann ich mir bezüglich der Bedeutung dieser Präparate keine Meinung bilden. Und außer ihm für die freundliche Übersendung der Schnitte zu danken, kann ich im Augenblick nicht mehr sagen. P. S. Lassen Sie mich wissen, falls Dr. Kammerer die Präparate bald zurückgesandt haben möchte. Einige Naturforscher hier in England hätten sie gerne gesehen, und ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, sie ihnen zu zeigen.« Przibram antwortete darauf (auf einer von ihm selbst bemalten Ansichtskarte mit einer idyllischen Landschaft) überaus entgegenkommend : 113
»Wien, 17. September Lieber Professor Bateson! Ich habe Ihren Brief vom 6. September dankend erhalten und bitte Sie, die Alytes-Präparate so lange Sie wollen zu behalten. Wir haben für unser Museum noch andere und würden uns freuen, wenn sie es für wert hielten, die übersandten Präparate zu behalten oder sie einer englischen Sammlung zu übergeben, wo sie vielleicht auch Anerkennung finden. Ihr ergebener H. Przibram« Bateson behielt zwar die Schnittpräparate, erwähnte sie aber in seinen Polemiken gegen Kammerer nicht – außer um anzudeuten, Kammerer habe Schnitte einer anderen Kröte bzw. eines Frosches unterschoben, die normalerweise Schwielen besitzen, und vorgegeben, sie stammten von Alytes. Diese Andeutung machte er auch E. G. Boulenger (dem Sohn) gegenüber. Aber selbst Boulenger wies sie zurück. Nach einem Besuch im Wiener Institut im Jahre 1922 schrieb er an Bateson : »Ich habe mich lange mit Przibram unterhalten. Er übernimmt nicht nur die volle Verantwortung für alle Versuche K.s, sondern erklärt auch, bei der Herstellung der Schnitte dabeigewesen zu sein, die beweisen, daß die Schwärzung keine Pigmenteinlagerung ist, sondern von einer Hornsubstanz herrührt. Wenn wir immer noch zweifeln, so müssen wir annehmen, daß Przibram unehrlich ist.« 114
Damit war klar gesagt, daß eine derartige Annahme absurd sei und daß das Schnittpräparat als Beweis anerkannt werden müsse. Im selben Jahr, nur etwas früher, war J. H. Quastel – damals Doktorand am Trinity College in Cambridge, später Professor für Biochemie an der McGill University – in Wien gewesen, um Kammerer zu sprechen und das Photographieren der Belegexemplare zu überwachen. Der der Royal Society anläßlich der Ordentlichen Versammlung am 18. Jänner 1923 vorgelegte Bericht enthält dazu folgende Mitteilung : »Prof. E. W. MacBride, F. R. S., Bemerkungen zur Vererbung erworbener Eigenschaften (mündliche Mitteilung) : Es ist Zoologen wohl bekannt, daß während der letzten 15 oder 20 Jahre in Wien von Dr. Paul Kammerer eine Reihe von Versuchen durchgeführt worden sind, aus denen hervorzugehen scheint, daß erworbene Eigenschaften oder, um es anders zu sagen, durch modifizierte Gewohnheiten induzierte Strukturänderungen erblich sind. Die Ergebnisse dieser Versuche wurden hier wie auf dem Kontinent mit großer Skepsis aufgenommen und Dr. Kammerers bona fides wurde in Frage gestellt. Einer seiner interessantesten Versuche bestand darin, Alytes, eine normalerweise an Land kopulierende Kröte, im Wasser zur Begattung zu zwingen. Das Ergebnis davon war, daß die Alytes-Männchen nach zwei Generationen an den Vordergliedmaßen 115
eine Hornschwiele ausbildeten, die es ihnen ermöglichte, das schlüpfrig-glatte Weibchen festzuhalten. Kammerers Kritiker gestanden ihm zu, daß die Gültigkeit seiner Befunde weitgehend erwiesen wäre, wenn es ihm gelänge, diese Schwiele vorzuweisen. In diesem Sommer sprach nun Mr. J. Quastel vom Trinity College, Cambridge, auf mein Betreiben anläßlich eines Aufenthaltes in Wien mit Kammerer, der ihm eines der modifizierten Männchen zeigte. Quastel photographierte das Schwielenmännchen, und die Vergrößerungen dieser Photographien sehen Sie nun hier. Danach sandte die Zoological Society wiederum auf mein Betreiben Herrn E. G. Boulenger nach Wien. Auch er sah das modifizierte Männchen, und Przibram, der Leiter des Biologischen Instituts, versicherte ihm, daß alle Versuche Kammerers unter seiner (Przibrams) Aufsicht durchgeführt wurden und absolut echt seien.«
7. Kapitel
1 Die entscheidende Episode in der Auseinandersetzung war Kammerers Reise nach England im Jahre 1923, bei der es zur zweiten Begegnung mit William Bateson kam. Diese Reise erfolgte auf Einladung der Cambridge Natural History Society und wurde von einer Gruppe begeisterter Studenten, unter ihnen der junge Gregory Bateson, finanziert. Kammerer hielt am 30. April einen Vortrag vor der Cambridge Society, den er am 10. Mai in London vor der Linnean Society wiederholte. Der Wortlaut dieses Vortrags erschien ungekürzt am 12. Mai in Nature. Kammerer hatte einige Belegexemplare von Proteus und Salamandra mitgebracht und – das wichtigste, zwar nicht für ihn, aber für seine Gegner – das letzte und einzige Exemplar der Geburtshelferkröte in Alkohol konserviert, bei dem auf dem linken Vorderglied die Brunftschwielen zu sehen waren, die Schwiele des rechten Glieds dagegen war zur Herstellung von Schnittpräparaten, die anläßlich seiner Vorträge gezeigt wurden, abgelöst worden. Es war dies das letzte und einzige Belegexemplar, weil während des Krieges nahezu alle Versuchstiere im Vivarium eingegangen und die meisten Präparate zu117
grunde gegangen waren. Die Laborgehilfen und Tierpfleger waren zum Militär eingezogen worden, und das Institut befand sich in »desolatestem Zustand«. Kammerers aufopfernde Gattin Felicitas bemühte sich eine Zeitlang, selbst die Pflege der empfindlichen Tiere zu besorgen, es bedurfte aber großer Sachkenntnis, um sie am Leben zu erhalten, da die Anlagen zur Temperatur- und Feuchtigkeitsregelung nicht mehr funktionierten. Die 1914 aus »Wassereiern« geschlüpften Alytes der 7. Generation (F6) bekamen an den vorderen und hinteren Gliedmaßen Ödeme, die bald geschwürig wurden, so daß die gesamte Zuchtlinie ausstarb. Ein einziges überlebendes Männchen (der F5-Generation), das gerade in die Pubertätsphase eingetreten war, »gibt noch Gelegenheit, die Evolution seiner Daumenschwiele wahrzunehmen, und zwar jetzt bereits ohne daß es seine Vorderbeine jemals bei der Umklammerung eines Weibchens betätigt hätte«. Dieses in einem Glasgefäß konservierte Präparat wurde zum ausschlaggebenden Beweisstück und sollte in weiterer Folge der Hauptgrund für den Selbstmord Kammerers werden. Kammerer selbst war zwar während des Krieges wegen eines Herzfehlers vom Dienst mit der Waffe befreit, wurde aber der Briefzensurstelle im Generalstab zugeteilt, was ihm wenig Zeit für andere Dinge ließ. Professor von Bertalanff y, heute an der New York State University, erinnert sich noch, wie er mit ihm in der Dunkelheit des frühen Morgens im Vorortezug in die Stadt fuhr und Kammerer gelassen im Scheine einer Taschenlampe las.
Nach dem Krieg und dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie kam eine Zeit politischer Unruhe und jene katastrophale Inflation, die innerhalb weniger Monate das Bürgertum Mitteleuropas verarmen ließ. So ging es auch den einstmals wohlhabenden Kammerers und Przibrams. Um sich einigermaßen über Wasser zu halten, mußte sich Kammerer mehr und mehr darauf verlegen, Vorträge zu halten und populärwissenschaft liche Artikel zu verfassen. So befand sich Kammerer – nun 42 Jahre alt –, nachdem er seine geliebten Salamander, Kröten und Eidechsen verloren hatte, in der Lage eines Schriftstellers, dessen gesamte Manuskripte verbrannt sind. Sein Vortrag in Cambridge schloß denn auch mit resignierenden Worten : »Die gegenwärtigen Verhältnisse in meinem verarmten Land sind der Fortführung derartiger Forschungsaufgaben auf dem Gebiete der Vererbung kaum günstig. Während des Krieges sind Versuchstiere, deren Stammbäume bekannt waren und deren Zuchtlinien durch 15 Jahre hindurch beobachtet worden waren, verlorengegangen. Ich bin nicht mehr jung genug, um noch einmal durch weitere 15 oder mehr Jahre Versuche, deren Resultate mir längst vertraut sind, zu wiederholen … Die Sorge um das tägliche Brot hat mich beinahe schon so weit gebracht, jegliche Hoffnung aufzugeben, meine eigentliche Arbeit – die experimentelle Forschung – wieder aufnehmen zu können. Ich hoffe und wünsche von Herzen, daß dieses 119
gastfreundliche Land vielen Forschern die Möglichkeit bieten möge, das schon Erreichte nachzuprüfen, und was begonnen wurde, zu einem befriedigenden Ende zu führen.«
2 Der Vortrag in Cambridge und die darauf folgenden Diskussionen erwiesen sich als nachhaltiger persönlicher Erfolg, obwohl die entscheidenden Verfechter des Neodarwinismus natürlich skeptisch blieben. Aber selbst sie verließen die Tagung überzeugt von der Aufrichtigkeit Kammerers. So gab Hon. Mrs. Onslow, geborene Miß Buriel Wheldon, damals Lehrbeauftragte für Zoologie und mit Bateson befreundet, in einem an ihn am darauffolgenden Tag gerichteten Brief folgende Darstellung der Tagung (an der Bateson teilzunehmen sich geweigert hatte – siehe weiter unten) : »Lieber Mr. Bateson, Ich ging zu Kammerers Vortrag. Am Nachmittag waren seine Präparate gezeigt worden ; ich bin zwar dazu nicht rechtzeitig nach Cambridge zurückgekommen, habe aber einiges bei seinem Vortrag am Abend gesehen. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung von diesem Mann gehabt und war auch an ihm und seinen Versuchen nicht sonderlich interessiert. Seine Persönlichkeit hat mich durchaus günstig beeindruckt. Ich 120
fand ihn reizend, und er erscheint mir absolut aufrichtig, ohne Falsch und ernsthaft bemüht. Er gab eine sachliche Darstellung seiner Versuche in recht gutem Englisch. Meiner Meinung nach war es ein anerkennenswertes Bemühen, seine Hypothese zu beweisen. Sein Bericht bezog sich lediglich auf Salamandra, Kröten, Proteus und ein mit Siphonen ausgestattetes Wesen. Trotzdem hatte ich eindeutig das Gefühl, daß ich die Versuche – hätte ich sie selbst durchgeführt und verfügte ich über alle Daten und die erforderlichen Kenntnisse – ganz anders interpretieren würde. Der Vortrag fand im Anatomielehrsaal statt. Er war gut besucht, aber nicht voll. In der Hauptsache sah man jüngere Männer und Frauen. Unter den Anwesenden befanden sich auch der Professor für Zoologie*, ferner MacBride, Scott, Keilin, Balfour-Browne, Lamb, Potts, Gray, Haidane, Gadow, Hopkins und Fräulein Saunders. Das wären so ziemlich alle.** Als Kammerer zu Ende gekommen war, stand Gadow auf und kritisierte die Versuche. Er zog nahezu alle in Zweifel. MacBride dagegen spendete höchstes Lob : er fungierte überhaupt als Zeremonienmeister und wohl schon, so nehme ich an, den ganzen Tag hindurch. Was über Mendel gesagt wurde, war durchaus positiv, oder doch zumindest fair und in * Professor J. Stanley Gardiner, ein begeisterter Anhänger Kammerers. ** Tatsächlich war noch eine ganze Reihe weiterer prominenter Wissenschaft ler anwesend, wie wir noch sehen werden.
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Ordnung. Nur MacBride meinte, daß die Mendelschen Gesetze weder die Differenzierung der Arten noch die Entwicklung im allgemeinen auch nur annähernd klären konnten. Dazu gab es lauten Applaus, aber fast allein durch Ihren Sohn ; damit werden Sie schon fertig werden.« Nach einigen Bemerkungen über die Dummheit der Studenten wendet sie sich dann gegen deren Lehrer : »Der Professor der Z. appellierte mit Nachdruck an die Jugend dieser Generation, die Arbeiten K.s unverzüglich aufzugreifen und seine Befunde zu bestätigen oder zu widerlegen. Kammerer selbst bemühte sich tapfer, seinen Kritikern Kontra zu bieten, was ihm auch mit erstaunlichem Geschick und viel Würde gelang, obwohl er nicht gut genug Englisch spricht, um darin antworten zu können. Er sprach daher Deutsch, ein ausgezeichnetes Deutsch, ich meine klar genug für mich, um einigermaßen folgen zu können. Gadow unter brach ihn in Abständen. Es war eine höchst komische Situation. Die Reden Gadows, des Professors und MacBrides bewiesen mit schmerzlicher Deutlichkeit, auf welch niedrigem Niveau die wissenschaft liche Arbeit an den Zoologieinstituten der beiden größten Universitäten dieses Landes steht. Besonders Gadow zeichnete sich durch Niveaulosigkeit und Grobheit aus.« 122
Mrs. Onslow hatte zweifellos eine spitze Zunge, dennoch kommt Kammerer von allen noch am besten weg. Bateson antwortete kurz und bündig : »Liebe Frau Onslow! Danke Ihnen für den interessanten Bericht von der Kammerer-Tagung. Ich habe gut daran getan, nicht hinzugehen. Daß die führenden Zoologen eine jämmerliche Figur abgaben, glaube ich gerne.« Da der Besuch in Cambridge – wie wir noch sehen werden – den Schlüssel zu dem ganzen Rätsel lieferte, habe ich Berichte aus erster Hand der noch lebenden Augenzeugen gesammelt. Nahezu 50 Jahre nach dem Ereignis stimmten Ihre Aussagen in manchem Detail verständlicherweise nicht überein. Was aber den allgemeinen Eindruck anlangt, den Kammerer machte, so sind ihre Erinnerungen lebhaft und einmütig. So schreibt Professor W. H. Thorpe (25. Mai 1970) : »Ich war bei dem Vortrag ; er ist bis heute einer der stärksten Eindrücke meiner Studienjahre geblieben.« G. Evelyn Hutchinson – heute Sterling Professor der Zoologie in Yale – erinnert sich an manche beziehungsvolle Einzelheit (aus einem Brief vom 17. April 1970) : »Der Vortrag wurde auf Deutsch gehalten,* sehr wienerisch, und es kam mir zum ersten Mal zu Bewußt* Er wurde auf Englisch gehalten. Kammerer sprach nur in der Diskussion Deutsch.
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sein, wie schön diese Sprache sein kann. Der alte Hans Gadow, den wir alle liebten, übersetzte (Dr. Gadow galt als Autorität für Reptilien). Ein oder zwei Tage später fand die jährliche conversazione der Gesellschaft statt. Kammerer führte sein Alytes-Exemplar vor, an dem eine Hornschwiele zu sehen war. Die andere, so wurde erklärt, sei für Schnittpräparate verwendet worden, die ebenfalls gezeigt wurden. Er behauptete, daß diese Schnittpräparate, die meiner Ansicht nach tatsächlich von einer Amphibien-Brunftschwiele stammten, sich in Einzelheiten von denen jeder anderen bekannten Art unterschieden. Natürlich war niemand in Cambridge Fachmann auf diesem Gebiet. Das Präparat wurde aus dem Glasbehälter genommen und unter einen Binokularmikroskop untersucht. Leider oblagen mir als Vorstandsmitglied gewisse Pflichten – ich weiß nicht mehr genau, was ich zu tun hatte –, jedenfalls stand ich zwar am Rande der Gruppe, die sich um das Mikroskop geschart hatte, kam aber nicht dazu, selbst durchzuschauen. J. B. S. Haldane jedoch hatte dazu Gelegenheit, und ich erinnere mich, daß er mir erzählte, er habe die für eine Brunftschwiele charakteristischen Erhabenheiten sehen können. Ich führte mit J. B. S. kurz vor seinem Tod in Cornel ein ausführliches Gespräch und fragte ihn, ob er sich noch daran erinnern könne. Leider erinnerte er sich nicht. Wenn die Erhabenheiten tatsächlich vorhanden waren, dann war das damals gezeigte Exemplar nicht mit dem später als Fälschung entlarvten identisch. Ich bin immer noch der Mei124
nung, daß es sich lohnen würde, wenn jemand mit einer Passion für die Krötenzucht die Alytes-Versuche wiederholte. Kammerer wohnte bei Dr. E. J. Bles, einem guten Freund von mir, dem es als erstem gelungen war, die afrikanische Klauenkröte Xenopus in Gefangenschaft zu züchten. Bles hatte sich auch in der Zucht des blinden Grottenolms Proteus versucht. Ihm war – im Gegensatz zu Kammerer – dabei kein Erfolg beschieden. Nach Kammerers Abreise erzählte mir Bles, er sei von dessen absoluter Ehrlichkeit überzeugt. Bles war ein philosophisch neutraler Darwinist, der nicht Partei ergriffen hätte, wäre er seiner Sache nicht sicher gewesen.« Professor Quastel (siehe weiter oben, S. 82 f.) schreibt :* »Ich frage mich, wie ich Ihren Brief über Paul Kammerer beantworten soll. Der Vorfall liegt an die 47 Jahre zurück ; alles, woran ich mich deutlich erinnern kann, ist der Eindruck, den ich von Kammerer als Mensch und Wissenschaft ler hatte. Als ich 1923 Wien besuchte, war ich noch sehr jung, hatte gerade begonnen, mich mit Biochemie zu beschäft igen und war beileibe kein geschulter Biologe, obschon ich genug Kenntnisse besaß, um die Tragweite der Arbeiten Kammerers erfassen zu können. Ich war Mitglied der Cambridge Natural History Society und bezog in * 26. August 1970
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der Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften einen neutralen Standpunkt zwischen den beiden gegnerischen Parteien, die eine geführt von Mac Bride, bei dem ich am Imperial College of Science ein wenig Zoologie studiert hatte, und die andere um Bateson. Man dachte damals, daß sich eine Annäherung der beiden Biologenschulen anbahnen könnte, wenn Kammerer das fragliche Alytes-Exemplar nach Cambridge brächte und darüber vor allen daran interessierten englischen Wissenschaft lern referierte. Ich wurde daher gebeten, Kammerer in Wien aufzusuchen, einschlägiges Photomaterial mitzubringen und vor allem zu sondieren, ob Kammerer gewillt sei, nach Cambridge zu kommen, ein Referat zu halten und das fragliche Exemplar zu zeigen. Mein Zusammentreffen mit Kammerer in Wien ist mir noch lebhaft im Gedächtnis. Ich empfand ihn als äußerst liebenswürdigen, integren Menschen. Ich erinnere mich auch, von ihm die Photographien der Alytes bekommen zu haben, möglicherweise auch die Negative, kann aber nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob ich dabei war, als im Photolabor die Photographien aufgenommen wurden. Wenn Dr. Przibram sagt, ich sei dabei gewesen, muß es wohl stimmen, ich entsinne mich dessen aber nicht mehr. Ich habe mir, glaube ich, darüber auch keine Gedanken gemacht, da ich ja Kammerers Zusicherung hatte, daß er nach Cambridge kommen und sein zur Diskussion stehendes Exemplar mit sich bringen würde. 126
Ich weiß noch, daß ich die Photographien (möglicherweise mit den Negativen) bei meiner Rückkehr nach Cambridge meinem lieben Freund Michael Perkins übergab, der an den Vorbereitungen für Kammerers Vortrag und seine Demonstrationen wesentlichen Anteil hatte. (Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist Michael Perkins einige Jahre später während einer Grippeepidemie in London gestorben.) Ich holte Kammerer bei seiner Ankunft in England ab und übersetzte seinen deutsch abgefaßten Vortrag ins Englische. Das fragliche Alytes-Exemplar befand sich, soweit ich mich erinnern kann, bis zur Vorführung stets in Kammerers Händen. Kammerers Vortrag und Demonstration waren sehr gut besucht. Allerdings waren Bateson und einige andere führende Biologen, auf deren Anwesenheit wir gehofft hatten, nicht zugegen. Das fragliche Exemplar ist von vielen eingehend untersucht worden. Ich habe niemals eine Behauptung, daß es sich um eine Fälschung handle, von jemanden, der es gesehen hat, gehört. Ich bin dessen sicher, daß genügend wissenschaft liche Experten anwesend waren, um ein objektives Urteil zu gewährleisten. Unter meinen Freunden herrschte allgemein die Meinung, daß die Demonstration ein Erfolg gewesen sei ; ich selbst hätte zu jenem Zeitpunkt nicht glauben können, daß man uns alle hinters Licht geführt habe. Darüber hinaus konnten alle, die Kammerer – wenn auch nur kurze Zeit – gekannt hatten, schon auf Grund seiner Persönlichkeit nicht glauben, daß er uns absichtlich hintergehen würde. Nach sei127
nem Aufenthalt in Cambridge sah ich ihn in Österreich wieder ; daß er ein Ehrenmann war, hatte ich auch damals keinen Grund zu bezweifeln. Ich war bereit zuzugeben, daß er sich – wie jeder von uns – in der Interpretation seiner Befunde irren könne, aber ich konnte einfach nicht glauben, daß er diese seine Befunde selbst fälschen würde. Sein Selbstmord erschütterte freilich meinen Glauben an ihn. Konnte ein Mann, der so viel für seine Arbeit hingegeben hatte und von der Echtheit seiner Befunde überzeugt war, wirklich Selbstmord begehen, wo er doch wissen mußte, wie die wissenschaft liche Welt seine Tat gerade zu diesem kritischen Zeitpunkt deuten würde ? Daß diese Überlegung vielleicht nicht gerecht ist, ist mir bewußt – Kammerers Selbstmord mag andere als wissenschaft liche Gründe gehabt haben –, aber was immer die Gründe gewesen sein mögen, eines stand fest : alle, die Kammerers Ergebnisse in Frage gestellt hatten, fühlten sich nun bestätigt. Und ich glaube, mit diesem Urteil übereinstimmen zu müssen. Ich kann nicht glauben, daß Kammerer selbst den Farbstoff injizierte, habe aber keine Idee, wer es sonst getan haben könnte. Unklar ist mir auch, ob die Injektion schon vor der Cambridge-Reise erfolgte – wenn ja, muß es so geschickt gemacht worden sein, daß alle Biologen, die das Exemplar in Cambridge sahen, getäuscht werden konnten. Ich selbst war kein Fachmann und konnte daher auch keine Meinung abgeben, aber die Biologen unter meinen Freunden 128
versicherten mir alle, die vorgeführte Alytes sei echt gewesen. Wenn das Exemplar schon vor Cambridge zurechtgerichtet worden war, ist es ohne weiteres denkbar, daß dies zu einem späteren Zeitpunkt wieder geschehen ist. Ich kann mich aber ehrlich nicht dazu durchringen zu glauben, daß Kammerer so etwas getan hätte.« Der vorletzte Absatz ist natürlich auf Mutmaßungen gestützt und scheint dem Inhalt des übrigen Briefes zu widersprechen. So aber dachten viele über Kammerers Selbstmord. Dies und das Rätsel der »Injektion« werde ich später erörtern. Hier sollen uns nur die – nicht durch Überlegungen im nachhinein verzerrten – Augenzeugenberichte interessieren. Zur Vervollständigung des Bildes möchte ich noch Dr. L. Harrison Matthews, F. R. S., den früheren wissenschaft lichen Leiter der Zoological Society, zitieren :* »Mit Interesse höre ich, daß Sie an einer Studie über Paul Kammerer schreiben. An seinen Aufenthalt in Cambridge erinnere ich mich noch gut. Ich weiß nicht mehr genau, warum wir ihn eigentlich eingeladen hatten ; ich glaube, weil seine experimentellen Ergebnisse zu einer heftigen Kontroverse Anlaß gegeben hatten und wir, wie die Jugend nun einmal ist – eine lobenswerte Einstellung übrigens –, das Gefühl hatten, daß ihm seine Gegner nicht Ge* Brief vom 24. Juli 1970
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rechtigkeit widerfahren ließen und es ihm helfen könnte, selbst hier aufzutreten und zu sagen, was er zu sagen hatte. Es gab allerlei durch die Nachkriegszeit bedingte finanzielle Schwierigkeiten, so daß wir erst die Mittel beschaffen mußten, um seinen Aufenthalt und ich glaube auch seine Reise bezahlen zu können. Jedenfalls fuhren wir [Michael Perkins, J. H. Quastel und L. Harrison Matthews] am Abend nach Harwich und holten K., der kurz vor Mitternacht ankam, ab. (Es war, obwohl es schon gegen April ging, eine kühle, nebelige Nacht, und wir trugen alle Mäntel oder Regenmäntel.) Bevor wir mit einem der Nachtzüge nach Cambridge fuhren, luden wir Kammerer zu einem Imbiß im Parkeston Quay Hotel ein. Auf der Reise stellten wir ihm dann natürlich unzählige Fragen und durften auch schon den ersten Blick auf seine Präparate tun. Wo wir ihn unterbrachten, habe ich vergessen, wahrscheinlich in einem der Colleges (möglicherweise im Trinity, dem College Perkins’). Eine Vorführung seiner Präparate war im alten Zoologielabor im letzten Stock des alten Gebäudes angesetzt. Er hatte seine Alytes und die Schnittbilder der angeblichen Schwielen an den Vordergliedern mitgebracht, die Cionen mit den verlängerten Siphonen und den großäugigen Proteus. Darüber hinaus zeigte er auch noch Photographien der im Aquarium lebenden ersten und zweiten Cionen-Generation mit den kurzen bzw. langen Siphonen, und er hatte auch Exemplare seiner Salamander … 130
Kammerer machte mir den Eindruck eines ehrlichen, offenherzigen Mannes, der an seinen Versuchen ein leidenschaft liches Interesse nahm und bereit war, sie jederzeit von jedermann nachprüfen zu lassen. Seine äußere Erscheinung nahm für ihn ein, er sah gut aus und hatte liebenswürdige Umgangsformen. Trotzdem waren wir (oder zumindest war ich) nicht restlos überzeugt, denn als ich (1923 oder 1924) die Photographien montierte, beschriftete ich sie, wie ich nun sehe, mit »Zeigt die angebliche Vererbung erworbener Eigenschaften« bzw. »Zeigt die Vererbung ( ?) erworbener Eigenschaften«. Es ist mir immer schon schwergefallen zu glauben, daß K. ein Scharlatan gewesen sein sollte. Er mag einer Selbsttäuschung erlegen sein, war vielleicht nicht kritisch genug, oder er wurde, wie man sagt, von seinem Assistenten hintergangen. In der ganzen Kontroverse sah man wohl auf beiden Seiten nicht klar, und des alten MacBride lächerliche Excathedra-Verkündungen trugen sicherlich nicht das geringste zur Klärung bei. Rückblickend nimmt es eigentlich wunder, daß man bei klarer Überlegung K. nicht ein halbes Dutzend Schlüsselfragen gestellt hat. Zu deren Beantwortung hätte er in sein Laboratorium zurück müssen, um die – dann sicher endgültige – Lösung zu finden. Ob er nun Selbstmord beging, weil man ihn entlarvt hatte oder weil er selbst erkannte, daß man ihn hinters Licht geführt hatte, wissen Sie sicherlich besser als ich. Soweit ich ihn kannte, war er mir sympathisch, und ich möchte nochmals betonen, daß ich 131
Kammerer für ehrlich halte, wenngleich auch mit seinen Befunden etwas nicht stimmte. Wenn ein Betrug vorlag, zählte er selbst zu den Opfern. Soweit ich ihn kannte, bin ich überzeugt davon, daß er aufrichtig war und wirklich glaubte, was er sagte.« Dr. Matthews setzt mit einer rührenden Würdigung der Leistungen von Michael Perkins fort, dessen Namen wir noch oft begegnen werden (er starb im Alter von 33 Jahren an einer Blutvergiftung). Weder Gadow noch Boulenger noch sonst einer der in Cambridge bei den Vorträgen und Demonstrationen anwesenden Skeptiker ließen Zweifel an der Echtheit der Belegexemplare bzw. der Mikroschnitte laut werden. Dies muß als entscheidendes Moment festgehalten werden.
3 Trotz seiner Sorgen scheint es Kammerer in England gefallen zu haben. Man erzählt sich über den prominenten Gast allerlei Anekdoten. So schreibt Ivor Montagu, der vor seiner Karriere in Politik und Film Zoologie studierte, in seiner Autobiographie : »Als Kammerer kam, war er – nach Einstein – erst der zweite Wissenschaft ler aus einem ehemaligen Feindland, der nach dem Ersten Weltkrieg England besuchte. Ich lud ihn nach Townhill [das war der Land132
sitz der Montagus] ein und drängte ihn, mir zu sagen, ob er irgend etwas besonderes zu tun oder zu sehen wünsche, bevor er wieder nach Hause fahre. Er nannte mir zwei Wünsche : einen Räucherhering zu essen und Bernard Shaw kennenzulernen. Den ersten erklärte er mir damit, daß ihm eine alte Dame aus England, die durch die Kriegswirren in Wien festgehalten worden war und in ihrem Exil von allen ihr liebgewordenen Dingen den Genuß eines Räucherherings am meisten vermißte, das Versprechen abgenommen hatte, einen für sie zu essen. Den zweiten Wunsch konnte ich ihm auch leicht erfüllen, denn ich kannte G. B. S. damals schon und wußte um seine absurden Ideen über die Evolution.« Gregory Bateson weiß noch eine andere Anekdote zu erzählen : »Ich gehörte zu jener kleinen Gruppe von Biologiestudenten, die Kammerer 1923 nach Cambridge gebracht hatte. Am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist mir eine Geschichte, die er erzählte ; wie er nämlich am Vortag kurz in den Londoner Zoo gegangen war und vor einem Lama stehenblieb. Als er so das Lama betrachtete, erinnerte es ihn plötzlich an William Bateson. In diesem Augenblick spuckte das Tier.« Der weitere Ablauf der Dinge sollte allerdings nicht ganz so komisch sein.
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4 Ein auffallender Umstand bei der Tagung in Cambridge war die Abwesenheit William Batesons. Er hatte mit seiner Forderung viel Wind gemacht, es solle ihm ein Alytes-Exemplar zur Untersuchung nach Cambridge geschickt werden. Nun, da öffentlich bekanntgegeben worden war, daß in Cambridge ein Exemplar gezeigt werde, weigerte er sich, es zu untersuchen. Der Grund, den er für seine Weigerung angab (in einem Brief an Nature, veröffentlicht am 2. Juni 1923), mutet recht seltsam an. Nachdem er noch einmal wiederholte, er habe im Jahre 1910 – also 13 Jahre vor der Demonstration in Cambridge – Kammerer aufgefordert, ein Alytes-Exemplar vorzulegen, und daß Kammerer dies damals verabsäumt habe, fuhr Bateson fort : »Von einem Exemplar jedoch (wahrscheinlich das auf den Photographien abgebildete) war bekannt, daß es in Wien erhalten geblieben war. Es wurde von Besuchern der Versuchsanstalt untersucht, die mündlich und sehr verschiedentlich darüber berichteten, was sie gesehen hatten. Vor einigen Wochen wurde nun angekündigt, daß ebendieses Alytes-Exemplar in Cambridge gezeigt werden solle, und ich erhielt eine Einladung, an einer Sitzung, bei der die Vorführung erfolgen sollte, teilzunehmen. Da mir bekannt war, daß Dr. Kammerer es vermieden hatte, auf dem Genetikerkongreß zu erscheinen, der im September vorigen Jahres in Wien tagte, mußte ich daraus schlie134
ßen, daß er nichts Neues vorzuweisen habe. Ich entschuldigte mich also bei den Veranstaltern und blieb der Sitzung fern, da ich mich nicht wissentlich in ein Wortgefecht einlassen wollte, das sich höchstwahrscheinlich als fruchtlos herausstellen würde.« Die Tagung in Cambridge erregte jedoch in der Presse und in wissenschaftlichen Kreisen so großes Aufsehen, daß die Linnean Society in London Kammerer einlud, seinen Vortrag am 10. Mai zu wiederholen. Diesmal konnte Bateson, ein prominentes Mitglied der Gesellschaft, nicht ablehnen. – Im Jahresbericht der Gesellschaft erschien eine kurze und sachliche Zusammenfassung des Vortrages – der ja bereits in extenso in Nature abgedruckt worden war – und ein vier Absätze langes Resumé der Diskussion. Im ersten Absatz heißt es : »Dr. Bateson, F. R. S., beglückwünschte den Vortragenden zu dessen enthusiastischer Hingabe an seine Arbeit, stimmte aber einigen seiner Schlußfolgerungen nicht zu.« Das war alles über Bateson. Den anderen zwei im Jahresbericht erwähnten Diskussionsrednern wurden zwölf bzw. sieben Zeilen zugestanden. Es waren dies J. T. Cunningham und Professor E. S. Goodrich, F. R. S., der Sekretär der Linnean Society. Sie stellten zwar Kammerers Befunde nicht in Frage, erhoben aber gegen einige seiner Interpretationen Einwände. Im vierten und letzten Absatz heißt es dann : 135
»Der Vortragende antwortete, wobei Professor MacBride als Dolmetscher fungierte. Die von Dr. Bateson und Herrn Cunningham vorgebrachten Einwände erklärte er für unzutreffend und kündigte an, daß in Cambridge Kontrollversuche durchgeführt werden würden. Die Zahl der bei seinen Versuchen verwendeten Tiere schwanke, je nach dem um welchen Fall es sich handle, zwischen 20 und 100.« Bateson unterließ es, seine Feindseligkeit offen auszusprechen. Laut MacBride, der zwei Wochen später in Nature einen Brief erscheinen ließ, »zog Dr. Bateson seinen gegen Dr. Kammerer ausgesprochenen Vorwurf der Täuschungsabsicht zur Gänze zurück und anerkannte die Echtheit der veröffentlichten Daten, betonte allerdings – was sein gutes Recht ist –, bezüglich der von Dr. Kammerer aus ihnen gezogenen Schlüsse anderer Meinung zu sein«. Auch Kammerer bestätigte, daß »er (Bateson) sich ausdrücklich bei mir entschuldigte für den Fall, daß ich seine früheren Angriffe als zu hart empfunden hätte«. Es ist klar, daß MacBride und Kammerer nicht diese Darstellung der Vorgänge während der Sitzung veröffentlichen konnten, wenn sie nicht den Tatsachen entsprochen hätten – insbesondere in Nature, die ja alle Teilnehmer der Tagung lesen würden. Bateson bestritt auch seine Entschuldigungen und Rücknahmen nicht. Aber kaum hatte Kammerer England verlassen, als Bateson seine kaum verschleierten Anklagen des Betruges wieder erhob. 136
Kammerer reiste am 11. Mai ab. Am 16. Mai schrieb Bateson einen ausführlichen Brief an Nature, in dem er eine der Photographien, die Kammerer gezeigt hatte, mit »Geisterbildern, so wie sie vor einigen Jahren herumgereicht wurden« verglich. Er bat Joan Procter, die im British Museum (Natural History) für die Reptilien zuständig war, um Auskunft, womit man Alytes füttere, und versuchte bei dieser Gelegenheit, sie für die AntiKammerer-Kampagne zu gewinnen. Ihre Antwort war entmutigend : »Ich wollte, wir könnten uns auf ein reicheres Material stützen und daß ich in irgendeiner Form zur Klärung der Alytes-Frage beitragen könnte … Ich habe nicht den geringsten Einwand dagegen, in den Krieg gegen Kammerer hineingezogen zu werden, aber wie ich schon sagte, bin ich nicht imstande, auch nur den geringsten konstruktiven Beitrag zu leisten.« Obschon es schwer zu glauben ist, so nützte Bateson doch die sich ihm bei der Sitzung der Linnean Society bietende einmalige Gelegenheit nicht, das Belegexemplar, das er unbedingt sehen hatte wollen, eingehend zu untersuchen. Nicht einmal aus dem Glas nehmen ließ er es, um beide Seiten der Vorderglieder sehen zu können, so wie dies seine Kollegen in Cambridge getan hatten ; denn durch das Glas konnte man nur eine Seite, nämlich den Ballen sehen. Als Kammerer ihn später darauf ansprach, antwortete Bateson (15. September) : »Es bleibt die Frage, was die wahre Natur der Schwellungen an dem gezeigten Versuchstier ist. Jene auf dem Ballen sah nicht wie eine Brunftschwiele aus. 137
Was sich auf dem Handrücken befinden mochte, weiß ich nicht. Darüber habe ich mich auch nie geäußert, obwohl Dr. Kammerer dies behauptet. Sicher hätte ich ersuchen können, auch den Handrücken zu sehen, aber ich hatte keinen Grund zu der Annahme, daß es daran mehr zu sehen gebe.« Die gleiche Logik also, die ihn veranlaßte, die Einladung nach Cambridge abzulehnen. Auch damals hatte er ja schließen müssen, daß Kammerer »nichts Neues vorzuweisen« habe. Dennoch instruierte er, wie wir uns erinnern werden, Mr. Martin (S. 80) : »Achten Sie besonders auf die Lage der angeblichen Brunftschwielen auf beiden Seiten. Lassen Sie sich das Exemplar aus dem Glas herausgeben. Bitten Sie, daß man es Ihnen in einer Schale zeigt, wo Sie es in Ruhe mit dem Seziermikroskop untersuchen können.« Bei der Sitzung der Linnean Society war Bateson der wichtigste Teilnehmer. Es fehlte ihm nicht an einem Seziermikroskop und nicht an Zeit, um das Exemplar von beiden Seiten zu betrachten. Weshalb ließ er diese einmalige Gelegenheit ungenützt verstreichen ? Könnte es sein, daß er wegsah, weil er Angst hatte, überzeugt zu werden ? Das hatte Kammerer wohl im Sinn, als er sagte : [Wäre Bateson bereit gewesen], »hätte ich ihn sehr wohl sehen lassen können, was er nicht sehen wollte. Ich hätte selbstverständlich für ihn das Alytes-Exem138
plar aus dem Glas genommen, und er hätte es – ohne Beeinträchtigung durch das Glas oder den Hintergrund – von allen Seiten unter der Lupe betrachten können. Während meines Aufenthaltes in England habe ich für viele Kollegen (so zum Beispiel für Herrn E. G. Boulenger und Sir Sidney Harmer) ein Gleiches getan.« Batesons Brief vom 15. September, in dem er erklärte, er habe nicht ersucht, auch den Handrücken zu sehen, weil er »keinen Grund zu der Annahme« gehabt habe, »daß es daran mehr zu sehen gebe«, schloß mit einem überraschenden Angebot : »Ich bin begierig, diese Alytes nochmals zu sehen. Für die Möglichkeit, sie in Ruhe im British Museum, wo Vergleichsobjekte zur Verfügung stehen, oder gegebenenfalls in Professor MacBrides Laboratorium untersuchen zu können, bin ich bereit, entweder der Versuchsanstalt oder irgendeiner anderen zuständigen Stelle 25 Pfund zu bezahlen. Es reisen genug verantwortungsbewußte Leute zwischen Wien und London hin und her, so daß es keine Schwierigkeiten geben sollte, einen sicheren Transport zu finden.« Hatte er es zuvor abgelehnt, das Exemplar zu untersuchen, als es sich in London befand, so war er nun »begierig, es nochmals zu sehen« und ersuchte, es ein zweites Mal nach London zu schicken. Da er wußte, wie ungern Kammerer sein letztes, ohnehin schon mitge139
nommenes Exemplar dem Risiko weiterer Beschädigung aussetzte, zählte er offenbar darauf, daß sein Ersuchen auf Ablehnung stoßen würde. Dem war auch so. Allerdings antwortete Kammerer, bedenkt man die Umstände, erstaunlich zurückhaltend. »Die Belegexemplare meiner Versuche befinden sich in dem der Biologischen Versuchsanstalt angegliederten Museum für Entwicklungstechnik und sind dessen Eigentum. Ich leitete Dr. Batesons Vorschlag an das Direktorium weiter und fügte als meine persönliche Stellungnahme hinzu, daß ich nicht dafür sei, das kritische Alytes-Exemplar mit den Brunftschwielen den Gefahren einer zweiten Reise auszusetzen, nur weil Dr. Bateson die Gelegenheit versäumt hatte, es zu untersuchen, als er dazu in der Lage gewesen wäre. Nichtsdestoweniger habe ich kein Veto gegen einen eventuellen Beschluß des Direktoriums eingelegt, falls dieses wünschen sollte, das Exemplar doch zu schicken.« In seiner Eigenschaft als Direktor des Instituts schrieb Przibram kurz darauf : »Wien XIII/7, Hietzinger Hauptstraße 122 Mein lieber Professor Bateson! In Kenntnis Ihres Angebots bezüglich Kammerers Alytes in Nature Nr. 2811 erlaube ich mir vorzuschlagen, daß Sie Ihre ursprüngliche Absicht, persönlich nach Wien zu kommen, ausführen. Ich wiederhole 140
gerne meine Einladung an Sie, einige Tage in meinem Haus zu verbringen. Dies würde Ihnen hinlänglich Gelegenheit geben, das Präparat zu untersuchen, ohne daß Gefahr bestünde, daß es in Verlust gerät. Ich habe Kammerer nur gestattet, das Präparat nach England mitzunehmen, weil ich Sie zufrieden gestellt wissen wollte, und bedaure, daß Sie diese Gelegenheit nicht genützt haben. Allerdings kann ich wohl kaum verantworten, dieses einzigartige Exemplar jemandem anderen anzuvertrauen (dies habe ich auch schon bei anderer Gelegenheit abgelehnt, wie Ihnen Herr Boulenger bestätigen wird). Wir würden uns sehr freuen, Sie bei uns zu sehen. Ich verbleibe mit den besten Grüßen an Sie, lieber Professor Bateson, Ihr alter Freund Hans Przibram« Bateson veröffentlichte am 22. Dezember (in Nature) Przibrams Brief zusammen mit seiner Antwort : »Ich habe schon befürchtet, daß es Schwierigkeiten geben könnte. Deshalb bot ich die 25 Pfund zur Dekkung der Bahnspesen in der Höhe von 10 Pfund für einen Sonderkurier, wobei noch ein ausreichender Rest bliebe. Wie ich sehe, geht es aber nicht um finanzielle Schwierigkeiten. Wenn dem so wäre, würde ich mein Angebot nur zu gerne verdoppeln. Sicherlich hätte ich mich rascher entschließen können. In dem Bestreben, mein Versäumnis gutzumachen, und in der Hoffnung, diese Angelegenheit end141
gültig zu bereinigen, erfolgte denn auch mein – wohl nicht unangemessenes – Angebot, das Sie nunmehr ablehnen. Hochachtungsvoll William Bateson« Und damit sollte es für die nächsten drei Jahre bis zum tragischen Ende von 1926 sein Bewenden haben. Während dieser letzten drei Jahre aber war Paul Kammerer bereits ein gebrochener Mann.
8. Kapitel
1 Ich habe schon einmal den finanziellen Ruin der Kammerers und Przibrams erwähnt. Das Wort »Inflation«, angewandt auf die verhältnismäßig geringen Steigerungen der Lebenshaltungskosten nach dem Zweiten Weltkrieg gibt überhaupt keine Vorstellung von den katastrophalen Verhältnissen in Mitteleuropa in den frühen zwanziger Jahren. Die österreichische Krone entsprach ursprünglich dem Gegenwert eines Schweizer Franken. Ende 1920 war sie nur noch einen Rappen wert – also ein Hundertstel eines Franken. Ende 1921 zahlte man für einen Franken 1400 Kronen und 1922 schon zehnmal soviel. Innerhalb weniger Monate schmolz das Vermögen der Kammerers dahin. Von der Inflation am schlimmsten betroffen waren natürlich die Angestellten, darunter auch die Akademiker, deren Einkommen auf einen Hungerlohn verringert wurde. Kammerers Jahreseinkommen entsprach 1923 umgerechnet etwa 1200 DM oder 9000 Schilling von heute. Ehrbare Hausfrauen aus dem Mittelstand prostituierten sich und ältere Beamte standen bei Wohlfahrtsinstitutionen um einen Teller Suppe Schlange. Hans Przibram hatte, wie wir uns erinnern werden, die Biologische Versuchsanstalt gegründet und größtenteils aus 143
eigenen Mitteln finanziert, bis sie von der österreichischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1914 übernommen wurde. Nach dem Krieg schrieb er Bateson ergreifende Briefe und bot ihm seltene Werke aus seiner Privatbibliothek zum Kauf, um mit dem Erlös wissenschaft liche Publikationen aus England erstehen zu können, die zu erwerben die Versuchsanstalt sich nicht mehr leisten konnte. Ungeachtet der öffentlichen Kontroverse, in die sie beide verwickelt waren, appellierte MacBride, der streitsüchtige Ire mit dem goldenen Herzen, privat an Bateson und versuchte, ihn zu überreden, Kammerer gegenüber etwas menschlicher zu sein : »Ich möchte Ihnen lediglich die wirtschaft lichen und materiellen Schwierigkeiten vor Augen halten, die sich ein Engländer überhaupt nicht ausmalen kann. Kammerer geht im Herbst nach Amerika. Zweifellos nimmt er sein kritisches Belegexemplar mit. Ich weiß, daß er größte Schwierigkeiten hat, die erforderlichen Mittel aufzutreiben – so habe ich gehört, wie er sich über einen Zuschuß von 50 Pfund gefreut hat, mit dem er bis zum Herbst auskommen will! Ich habe ihm angeboten, ihn bei mir aufzunehmen, sollte er über London reisen, aber ich fürchte, daß sich dies zusätzlich zu seiner Reise als zu teuer erweisen wird. Sollte er jedoch wirklich über London reisen, so hätten Sie damit die geforderte Gelegenheit, sein AlytesExemplar in Ruhe zu untersuchen. – Darf ich fragen, ob Sie etwas unternommen haben, um Kammerer 144
eine Kopie Ihres letzten Briefes (an Nature) zu senden ? Wenn nicht, so dürfen Sie sein Schweigen nicht als Unfähigkeit zu antworten auslegen. Nature ist in Österreich ein teurer Luxusartikel geworden – ein Exemplar kostet ungefähr 18.000 Kronen und ist damit für den durchschnittlichen Wissenschaft ler unerschwinglich. Kammerer hätte sicher nichts von der in Nature abgedruckten Kritik seines Vortrages gehört, wenn ihm nicht Freunde ein Exemplar geschickt hätten.« Um diese Zeit hatte Kammerer bereits seine Vortragsreise in die Vereinigten Staaten angetreten. Seine Stelle an der Biologischen Versuchsanstalt hatte er aufgegeben, um aus journalistischer Arbeit und seiner Vortragstätigkeit den Unterhalt für seine Familie bestreiten zu können. Die von MacBride erwähnten 50 Pfund waren die jämmerliche Abfindung der österreichischen Akademie der Wissenschaften für neunzehn Jahre geleisteter Dienste.
2 Die populär gehaltenen Vorträge in den Vereinigten Staaten und auf dem Kontinent waren zwar außerordentlich erfolgreich, taten aber seinem Ruf als Wissenschaftler entschieden Abbruch. Sein Charme und sein offensichtlich ehrlicher Glaube an seine Theorien fesselten seine Zuhörer, egal ob es sich nun um Biologen 145
aus Cambridge oder um ein Laienpublikum in New York handelte. Aber die Veranstalter und die Presse umgaben seine Vorträge mit der Aura des Sensationellen, und Kammerer war einerseits nicht imstande, anderseits aber auch zu naiv, sie daran zu hindern. Der Publicity-Rummel hatte bereits in Cambridge begonnen. Am 24. April, eine Woche vor Kammerers Vortrag, trat der Vorstand der Natural History Society zusammen, um »die Frage der Benachrichtigung der Presse bezüglich Dr. Kammerers Vortrag« zu erwägen. Laut Sitzungsprotokoll »entspann sich eine heftige Diskussion« über die Frage, ob man nun die Presse einladen solle oder nicht. Ivor Montagu, Mitglied des für die Vorbereitung von Kammerers Aufenthalt zuständigen Unterausschusses, gab zu bedenken, daß »zwar klar sei, daß Kammerer für seinen geplanten Besuch keine Reklame wünsche, sich aber Umstände ergeben hätten, die nach Ansicht des Unterausschusses eine Berichterstattung über seinen Vortrag seitens der Presse berechtigt erscheinen lassen«. Welche Umstände das waren, geht aus dem Protokoll nicht hervor. Schließlich stellte Evelyn Hutchinson den Antrag, daß »keinerlei Presseberichterstattung über Dr. Kammerers Vortrag ohne Zustimmung des Vorstandes« erfolgen dürfe. Dieser Antrag wurde dann auch einstimmig angenommen und der Beschluß gefaßt, »einen offiziellen Sitzungsbericht« an Nature zu schicken »mit der eindeutigen Auflage, über den Wert von Dr. Kammerers Arbeit kein, offizielles Urteil abzugeben«. Das Ergebnis war also dies : Kammerers Wunsch entsprechend keine 146
Berichterstattung in der Presse, sondern lediglich ein Bericht in Nature. Während der Ratssitzung kam es allerdings »zu einer weiteren Komplikation, da ein Mitglied des Unterausschusses einen persönlichen Gast zum Vortrag eingeladen hatte, der nicht nur an der Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften interessiert, sondern gleichzeitig auch Angehöriger des Redaktionsstabes einer Tageszeitung war. Diese Person hat auch ihre Absicht zu erkennen gegeben, dieser Zeitung einen Bericht über die Tagung zugehen zu lassen. Der Präsident erläuterte, daß es sich um die private Tagung einer privaten Gesellschaft handle. Das betreffende Mitglied sei verpflichtet, sollte es der Wunsch des Vorstandes sein, daß keinerlei unautorisierte Berichte in der Presse erscheinen sollten, seinen Gast zu bitten, die ihm gewährte Gastfreundschaft nicht durch die Veröffentlichung eines Berichtes zu verletzen«. Das »betreffende Mitglied« des Unterausschusses war Michael Perkins, Kurator der Gesellschaft, und die zwielichtige »Person«, die er voreilig eingeladen hatte, ein Reporter des Daily Express. Die Folgen waren katastrophal. Der Reporter kam zwar nach Cambridge, durfte aber an dem Vortrag Kammerers, zu dem nur Mitglieder der Gesellschaft und offiziell geladene Gäste zugelassen waren, nicht teilnehmen. Diese Geheimniskrämerei erregte die Neugier des Reporters nur noch mehr und überzeugte ihn, daß hinter verschlossenen Türen sensationelle Neuigkeiten ausgebrütet würden. Es gelang ihm, mit Mitglie147
dern der Gesellschaft und vielleicht sogar mit Kammerer selbst zu sprechen und einiges über die Wiederherstellung des Gesichtssinns bei dem blinden Grottenolm Proteus, die Änderung der Fortpflanzungsgewohnheiten bei Amphibien und so fort aufzuschnappen. Das Ergebnis war eine Sensationsgeschichte auf der ersten Seite des Daily Express am 1. Mai. In der Morgenausgabe erschien sein Artikel unter dem Titel GROSSARTIGE ENTDECKUNG DER WISSENSCHAFT, der quer über alle sechs Spalten der ganzen ersten Seite lief. Darunter hieß es : AUGENLOSEN TIEREN WACHSEN AUGEN
• Wissenschaftler behauptet Übertragung guter Eigenschaften entdeckt zu haben • Genie vererbbar • Umgestaltung der Menschheit Der für die Späte Morgenausgabe zuständige Reporter hielt aber offenbar die Schlagzeilen für viel zu zurückhaltend. Denn in dieser Ausgabe erschien zwar der Artikel in unverändertem Wortlaut, aber mit folgenden, viel zugkräftigeren Schlagzeilen : AUF DEM WEGE ZUM SUPERMENSCHEN
• Großartige Entdeckung eines Wissenschaftlers kann uns alle verändern • Genie vererbbar • Augenlosen Tieren wachsen Augen 148
Im Protokoll der nächsten Ratssitzung der Natural History Society wird zu den spektakulären Vorfällen Stellung genommen. Dort lesen wir darüber : »Das Protokoll der letzten Sitzung wurde verlesen und nach gewissen Korrekturen, die durch den etwas überstürzten und würdelosen Abgang eines Antragstellers bei jener Sitzung notwendig geworden waren, angenommen. Auf Grund einer Reihe höchst bedauerlicher Umstände, die im Erscheinen einer unrichtigen und nicht autorisierten Darstellung des von Dr. Kammerer anläßlich der Tagung der Gesellschaft am 30. April gehaltenen Vortrages im Daily Express gipfelten, stellte Mr. Perkins sein Amt als Vorstandsmitglied zur Verfügung und verließ die Sitzung. Die Entscheidung über die Annahme seiner Demission wurde bis nach Abwicklung der Tagesordnung zurückgestellt. Der Vorstand kam zu der Meinung, es sei in bezug auf die unrichtige und nicht autorisierte Darstellung des von Dr. Kammerer gehaltenen Vortrages im Daily Express der beste Weg, diese Zeitung vollständig zu ignorieren. In Anbetracht der Tatsache, daß Mr. Perkins sein möglichstes getan hatte, den unautorisierten Bericht im Daily Express zu verhindern, beantragte der Präsident, der Vorstand möge Mr. Perkins’ Demission nicht annehmen. Der Antrag wurde von Professor Gardiner unterstützt und einstimmig angenommen.« 149
Damit konnte der Schaden aber nicht mehr gutgemacht werden. Denn die Geschichte aus dem Daily Express wurde noch vor Kammerers Ankunft in die Vereinigten Staaten gekabelt. Das Ergebnis waren neuerlich Schlagzeilen, wie etwa die in der New York World vom 5. Mai 1923 : WIENER BIOLOGE ALS MANN DES JAHRHUNDERTS GEFEIERT
• Beweis für Darwinsche These • Theorie von Wissenschaftlern der Universität Cambridge anerkannt Die Schlagzeilen waren nicht ganz so verrückt, wie es den Anschein hat. Denn in dem Kabelbericht waren die Professoren Nuttal und Gardiner zitiert. Und G. H. F. Nuttal, Professor der Biologie in Cambridge, hatte tatsächlich gesagt, daß Kammerer »vielleicht die größte wissenschaft liche Entdeckung des Jahrhunderts« gemacht habe, ebenso wie der Zoologieprofessor Stanley Gardiner festgestellt hatte, daß »Kammerer dort beginnt, wo Darwin aufgehört hat«. Selbst die sonst so seriöse New York Times ließ sich hinreißen : WISSENSCHAFTLER MELDET ERFOLG, WO DARWIN SCHEITERTE
• Augen bei Olmen entwickelt • Nachweis der Vererbung erworbener Eigenschaften erbracht 150
• Lorbeeren für österreichischen Gelehrten • Entwicklungsbeschleunigung möglich, wenn positive Eigenschaften übertragen werden können Auch eine Porträtskizze Kammerers, mit der Bildunterschrift »Als zweiter Darwin gefeiert«, erschien. Der über fünf Spalten laufende Artikel selbst gab dann immerhin eine ziemlich richtige Zusammenfassung der Versuche.
3 Diese Publicity-Lawine ging Kammerers Ankunft in Amerika voran. Die die Vortragsreise betreuende Agentur beutete in ihren Ankündigungen all das bis zur Neige aus – besonders die Stellungnahmen Nuttals und Gardiners. Die akademische Welt Amerikas war – obwohl im allgemeinen gegenüber ein wenig Reklame nicht abgeneigt – schockiert. Am ärgerlichsten äußerte sich erwartungsgemäß der große T. H. Morgan, Professor an der Columbia University und Bahnbrecher der Chromosomenlehre, dessen Autorität in Amerika der Batesons in England entsprach. Auf die Einladung, dem Komitee, das Kammerers Besuch vorbereitete, beizutreten, antwortete er : »Sehr geehrte Herren! Sollte die Ihrem Schreiben beiliegende Ankündigung als Nachweis für Dr. Kammerers Qualifikation 151
und Leistung gedacht sein, kann ich mich unter keinen Umständen bereit erklären, dem von Ihnen genannten Komitee beizutreten. Ich habe persönlich selbstverständlich nichts gegen Professor Kammerer, bin mit seiner Arbeit seit langem vertraut und kenne seine Erfolge wie auch seine Schwächen ; aber eine derartige Reklame ist genau das, wofür man, wenn man ehrlich an der Weiterentwicklung der Wissenschaften in Amerika interessiert ist, nicht einen Augenblick lang seinen Namen hergeben darf. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr T. H. Morgan« Eine Kopie dieses Briefes sandte er an Bateson. Einige Monate später schrieb Morgan anläßlich der zweiten Vortragsreise Kammerers durch Amerika abermals an Bateson : »Lieber Bateson! Ich vergeude Ihre Zeit, wenn ich Ihnen wieder ein paar Neuigkeiten in der Sache Kammerer melde. Er übertrifft alle Erwartungen – erfüllt jedenfalls einen guten Zweck, den eines Prüfsteins. An ihm scheiden sich die Meinungen unserer Zeitgenossen in zwei recht genau abgesteckte Lager. Das wird schließlich doch zur Klärung der Lage beitragen.« Die beiden »genau abgesteckten Lager« waren natürlich die Neodarwinisten einerseits und die Neolamarckisten andererseits. Zur »Klärung der Lage« trug dies 152
allerdings weiß Gott nicht bei, es schuf im Gegensatz nur noch starrere Fronten und peitschte die Gemüter noch mehr auf. Trotz alldem fand Kammerer in Amerika auch mächtige Verbündete. Darunter J. B. Watson von der Johns Hopkins University, der Begründer des Behaviorismus, der die Psychologie in den folgenden 50 Jahren entscheidend beeinflussen sollte. Watson schrieb : »Professor Kammerers Arbeiten über die Vererbung erworbener Eigenschaften haben die Welt aufhorchen lassen. Mehr als ein Lebensalter lang galt für die Biologen, daß erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden. Professor Kammerers Versuche scheinen nun in eine andere Richtung zu weisen. In Biologenkreisen stehen heute seine Versuchsergebnisse im Mittelpunkt jeder Diskussion. Denn wir alle wünschen an seine Erkenntnisse zu glauben, falls sie richtig sind. Wieviel würde es für die Pädagogen, für die Gesellschaft im allgemeinen bedeuten, wenn sie richtig wären! Die amerikanischen Wissenschaft ler sind nun in der besonders glücklichen Lage, diesen prominenten Biologen unmittelbar hören und ihm über seine Technik und seine Kontrollversuche Fragen stellen zu können.« Der Erfolg, der Kammerers amerikanischer Vortragsreise im Herbst 1923 beschieden war, ist daran zu ermessen, daß er eingeladen wurde, sie im Februar 1924 zu wiederholen. Eines der beiden »genau abgesteck153
ten Lager« zeigte ihm zwar die kalte Schulter, aber zumindest beschuldigte ihn niemand, seine Befunde gefälscht zu haben. Während seines zweiten Aufenthaltes in Amerika erschien bei Boni & Liveright in New York sein Buch The Inheritance of Acquired Characteristics. In einer der – liebevoll unter den Bateson-Dokumenten aufbewahrten – Ankündigungen hieß es : »Dies ist das epochemachende Werk, das Dr. Kammerer den Ruf eintrug, ein zweiter Darwin zu sein. Es umfaßt seine erfolgreichen Versuche, die das Problem lösten, an dem Charles Darwin verzweifelte und das weltweit als unlösbar galt.« Schriftsteller wissen, daß Verleger nicht die Gewohnheit haben, die Meinung ihrer Autoren zu ihren Ankündigungen einzuholen. Gleichviel – all dies trug nicht gerade dazu bei, Kammerer in wissenschaft lichen Kreisen beliebter zu machen. Ich habe die Vorgänge bei der Vorstandssitzung der Cambridge Natural History Society, die zu dem »unrichtigen und nicht autorisierten« Bericht im Daily Express führten und die Publicity-Lawine in den Vereinigten Staaten ins Rollen brachten, mit einiger Ausführlichkeit beschrieben. Ich wollte damit zeigen, daß – wie es im Protokoll der Sitzung ausdrücklich heißt – »Kammerer für seinen geplanten Besuch keine Reklame wünsche« und daß er an der darauf folgenden Sensationsmache keinen Anteil hatte. Andere Wissenschaftler, von Einstein abwärts, sind ebenso Opfer der Sensati154
onslust geworden, ohne als Scharlatane gebrandmarkt zu werden.
4 Ich erwähnte bereits drei Faktoren, die zu Kammerers wachsender Verzweiflung beitrugen : die finanzielle Notlage, die versteckten Betrugsanschuldigungen und die unaufhörliche Beunruhigung durch Bateson und seine Verbündeten ; nun die falsche Art von Popularität, die ihn seinem Gegner direkt in die Hände spielte. Es gab aber noch ein Problem : die Frauen. Alle, die ihn kannten, sind darin einig, daß er eine außergewöhnliche Anziehungskraft auf das – wie es damals hieß – schwache Geschlecht ausübte. Selbst in den diskreten Nachrufen ist davon die Rede. Seine Tochter Lacerta kommt in ihren Briefen mehrere Male darauf zu sprechen : »Er war so an die magnetische Anziehungskraft, die er Frauen gegenüber besaß, gewöhnt, daß er – mit ganz wenigen Ausnahmen – gar nicht erst versuchte, eine Eroberung zu machen ; er eroberte ohnehin schon mehr, als für ihn zuträglich gewesen wäre!« Im Jahre 1920 verbrachten die Kammerers den Sommer in einer Sommerfrische an einem österreichischen See :
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»Auch zwei Damen, die wir bis dahin überhaupt nicht gekannt hatten, verbrachten ihren Sommer dort. Eine war Mitte Zwanzig, die andere um die Vierzig. Beide wurden augenscheinlich total gaga wegen P. K. Die ›Vierzigerin‹ tanzte im Mondenschein unter Vaters Fenster! Sie ging sogar so weit, einmal für ihn eine Schlange (eine harmlose glatte Natter) aufzuheben. Ich sehe sie noch heute, wie sie dabei ganz grün im Gesicht wurde. Ich glaube, meine Mutter hielt – soweit das in ihrer Macht stand – junge Frauen von meinem Vater fern. Und wie er sie alle anzog! Ich erinnere mich an Scharen von ihnen, die versuchten, sich ihm unter jedem nur erdenklichen Vorwand zu nähern.« Dennoch wäre es völlig falsch, sich ihn als einen Wiener Casanova vorzustellen. Ihn einen schwärmerischen Werther zu nennen, käme der Wahrheit schon näher. Er hatte natürlich Aff ären, aber sie waren mit einer solchen Intensität von seiner Seite her belastet, daß es zur Selbstquälerei führte – Werthers Leiden. Da gab es einmal die Episode mit Alma Mahler. Kurz darauf verliebte er sich in eine bekannte exzentrische Malerin namens Anna Walt. Felicitas zeigte sich verständnisvoll und willigte in die – wegen Unvereinbarkeit der Charaktere beantragte – Scheidung ein. Kammerer heiratete Anna Walt – und mußte mit ihr erfahren, was Unvereinbarkeit der Charaktere wirklich heißt. Die Ehe dauerte nur wenige Monate. Nach einer ihrer fürchterlichen Ehestreitigkeiten schluckte er eine Überdosis 156
Schlaftabletten, erbrach sie aber wieder. Er machte eine depressive Phase durch und kehrte zu Felicitas, Lacerta und den Wiederspergs zurück, die ihm offensichtlich wieder ins normale Leben zurück halfen.* Felicitas wurde damit ganz gut fertig : »Als das Anna-Walt-Zwischenspiel vorbei war und Vater nach Hause zurückgekehrt war, hörte ich meine Mutter sagen : ›Die Leute bewundern mich, daß ich so verzeihend bin. Aber wenn man jemand liebt, dann liebt man ihn. So ist das eben.‹« Einige Jahre nach dieser Episode – ungefähr zu der Zeit, als er 1924 aus Amerika zurückkehrte– verliebte er sich abermals in eine femme fatale. Aber davon später.
5 Geldsorgen, Verleumdungen, die falsche Art von Popularität, seine geliebte Präparatesammlung – der sichtbare Ausdruck seines Lebenswerkes – zerstört, und dazu noch eine unglückliche Liebesaff äre … In den spärlichen Berichten über seinen Gemütszustand in diesen seinen letzten zwei Lebensjahren erscheint Kammerer einmal völlig niedergeschlagen und deprimiert, zum anderen Mal voll Energie und fröhlich. Offensichtlich * Durch irgendeinen juristischen Kunstgriff – ermöglicht durch die Novellierung der österreichischen Gesetze – konnte die Ehe mit Anna Walt annulliert und seine (kirchlich nach katholischem Ritus geschlossene) Ehe mit Felicitas wiederhergestellt werden.
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lösten diese Zu Standsbilder einander ab, wie in einem manisch-depressiven Zyklus. Aber auch während seiner depressiven Perioden arbeitete er verbissen weiter. Neben populärwissenschaft lichen Artikeln und Vorträgen schrieb er an einem Buch, das selbst seine Verleumder als klassischen Beitrag zur Entwicklungsbiologie anerkennen mußten. Es wurde im Dezember 1925 fertig und im Sommer 1926, wenige Monate vor seinem Selbstmord, unter dem wenig verlockenden Titel Der Artenwandel auf Inseln und seine Ursachen ermittelt durch Vergleich und Versuch an den Eidechsen der Dalmatinischen Eilande veröffentlicht. Gewidmet ist es »Meiner Tochter Lacerta zu ihrem 18. Geburtstag«. Dem Buch liegen drei Expeditionen – 1909, 1911 und 1914 – zugrunde. Die erste unternahm Kammerer auf einem Fischkutter, die anderen zwei mit dem Forschungsschiff Adria unter der Patronanz der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Kammerer untersuchte ungefähr 50 meist unbewohnte Inseln von sehr verschiedenen Ausmaßen : manche recht groß, andere nicht mehr als ein Felsblock. Auf diesen Inseln gibt es Eidechsen im Überfluß, und Kammerer konnte auf jeder 20 bis 50 Exemplare lebend fangen, um sie nach Hause in die biologische Versuchsanstalt zu bringen, wo er sie für Zuchtversuche verwendete. Seine Beschreibungen der verschiedenen Methoden, um Eidechsen zu fangen, sind ein wahres Vergnügen. Diese Methoden variieren je nach Wetter und Terrain, zu ihnen gehört lose Steine umzudrehen, auf offenem Terrain die Tiere zu verfolgen, sie mit einem etwas abge158
wandelten Schmetterlingsnetz einzufangen, sie mit einer Fliege auf einem Angelhaken zu ködern und dann mit einer Drahtschlinge oder einem Netz zu fangen. Die auf den Inseln heimischen Eidechsen haben offenbar auch ein ganz unterschiedliches Temperament, so gibt es Abstufungen von »sehr scheu« bis »zutraulich« und »frech«. (Am Rande sei auch vermerkt, daß sie eine Art Symbiose mit den Seemöwen eingehen : sie suchen regelmäßig die Nester der Seemöwen auf und säubern sie mit Zustimmung der Möwen von Parasiten.) Das Studium von Inselpopulationen, von Tieren, die sich in völliger Abgeschiedenheit entwickeln, ist für die Evolutionslehre von enormer Bedeutung. Die Schildkröten und Vögel der Galapagos etwa, die sich von Insel zu Insel zwar unbedeutend, aber dennoch etwas unterscheiden, hatten Darwin wichtige Hinweise für seine Theorien geliefert. Bateson hatte in den abgeschiedenen asiatischen Gewässern nach Anzeichen für die Vererbung im Lamarckschen Sinne gesucht. Kammerers Anliegen war, »den Spuren Darwins und Wallaces zu folgen … und durch Studium der Variationen der Eidechsen auf verschiedenen Eilanden Einsicht in deren Ursachen – und damit in die Entstehung der Arten – zu gewinnen«. Die zwei Hauptvertreter der Inseleidechsen – Lacerta serpa* und Lacerta fiumana – zeigen auf den einzelnen Inseln tatsächlich sehr deutliche Farb-, Größen- und
* Heute genannt : Lacerta sicula (Ruineneidechse).
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Formvarianten. Und zwar in solchem Ausmaß, daß Kammerer auf Mali Barjak, einem Felseneiland nahe von Lissa, eine bis dahin unbekannte Varietät entdeckte, die nach ihm benannte Lacerta fiumana kammereri. Zugegeben – die Isolierung erleichtert bzw. beschleunigt das Auftreten neuer Formen ; aber wieder bleibt die Frage, ob diese neuen Formen durch Zufallsmutationen und natürliche Auslese entstehen oder durch den direkten Einfluß der Umwelt. Kammerer kam – was zu erwarten ist – zu dem Schluß, daß nicht der Zufall, sondern die Beschaffenheit der Umwelt, Temperatur, Feuchtigkeit, Licht, Fauna etc. für die Änderungen verantwortlich sind und daß diese Änderungen, die als Einzelanpassungen beginnen, schließlich erblich werden. Um dies zu beweisen, rief er experimentell an seinen Versuchstieren durch Veränderung der Umwelt Farbanpassungen hervor, z. B. von Schwarz nach Grün und umgekehrt, so wie er dies bei seinen Salamanderversuchen getan hatte, und beanspruchte, die Erblichkeit dieser Anpassungen bewiesen zu haben. Was aber den sichtbaren Beweis angeht … 1923 übergab Kammerer seine Sammlung dem Vizepräsidenten der Akademie der Wissenschaften Dr. Wettstein, der das Material katalogisierte. In dem als Anhang zu Kammerers Buch erschienenen Katalog betont Wettstein ausdrücklich, daß sich viele Präparate in schlechtestem Konservierungszustand befanden, da »ihnen während der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht die erforderliche Pflege zuteil werden konnte«. Sie hatten alle ihre Färbung, auf die es ja ankam, verloren, so daß Wettstein 160
sich in seinem Katalog an die Farbzeichnungen halten mußte, die Professor Lorenz Müller, Kustos des Zoologischen Museums München, von den lebenden Exemplaren angefertigt hatte. Das Werk wurde nach Kammerers Tod von MacBride in Nature rezensiert. MacBride schreibt, daß der Verfall seiner Sammlung »eine der Ursachen war, die Kammerer das Herz brachen und ihn in den Selbstmord trieben«.
9. Kapitel
1 Die Bombe, die die wissenschaft liche Welt erschütterte und Kammerers Ruf zerstörte, explodierte in den Spalten von Nature am 7. August 1926. An diesem Tag veröffentlichte die Zeitschrift einen Artikel von Dr. G. K. Noble, dem Kustos der Reptiliensammlung des American Museum of Natural History, in dem behauptet wurde, daß das berühmte Alytes-Exemplar eine Fälschung sei. Noble war 32 Jahre alt, Absolvent der Universitäten von Harvard und Columbia und nach eigenen Angaben im amerikanischen Who’s Who »Kustos und Forscher«. Er hatte mehrere naturkundliche Expeditionen nach Guadeloupe, Neufundland etc. geleitet. Gregory Bateson beschreibt ihn als ungehobelten Grobian, und diesen Ruf genoß er auch unter den englischen Zoologen, die ihn kannten. Aber für Reptilien war er ohne Zweifel ein Experte. Noble war schon seit geraumer Zeit an der AntiKammerer-Kampagne beteiligt gewesen. Im vorangehenden Jahr hatte er bei der Jahrestagung der British Association for the Advancement of Science Kammerers Versuche mit der Begründung angegriffen, die Drüsen an den Brunftschwielen sähen nicht so aus, wie sie 162
seiner Meinung nach aussehen müßten. Sein Angriff fand wenig Beachtung, wurde in dem Bericht in Nature nicht einmal erwähnt ; und weder Kammerer noch auch sein getreuer Wachhund MacBride fühlten sich veranlaßt, darauf zu antworten.* Aber Noble besuchte Anfang 1926 die Biologische Versuchsanstalt in Wien und erhielt von Przibram mit Kammerers Zustimmung die Erlaubnis, das berühmte letzte Alytes-Exemplar einer sorgfältigen Untersuchung zu unterziehen. Und diesmal stieß er sozusagen auf eine Goldader. Die Untersuchung erwies eindeutig, daß das Belegexemplar überhaupt keine Brunftschwielen besaß und daß die Schwärzung an der linken Hand nicht natürlich entstanden war, sondern durch eine Injektion mit Tusche. Seite an Seite mit Nobles Bericht erschien in Nature noch ein weiterer von Dr. Przibram. Er war Kammerers loyaler Freund, aber ebenso ein seriöser Wissenschaft ler. Er prüfte Nobles chemische Untersuchungen nach und bestätigte dessen Befunde. Obwohl die beiden Berichte hinsichtlich der Befunde übereinstimmten, differierten sie radikal in Hinsicht auf die Schlußfolgerungen. Noble schrieb : »Es konnte daher über jeden Zweifel erhaben nachgewiesen werden, daß das einzige noch existierende, modifizierte Alytes-Exemplar Kammerers keine Spur *
MacBride nahm in einer späteren Phase der Kontroverse zu Nobles Kritik bezüglich der Drüsen Stellung (Nature, 21. August 1926).
einer Brunftschwiele zeigt. Es bleibt die Frage : Könnte dieses Exemplar sie vielleicht zu irgendeiner Zeit besessen haben ?« Und zum Schluß : »Ob das Belegexemplar sie jemals besessen hat oder nicht, ist reine Mutmaßung.« Obzwar er es nicht ausdrücklich aussprach, ließ er doch unmißverständlich durchblicken, er glaube nicht, daß das fragliche Belegexemplar jemals die Schwielen besessen habe. Przibrams Bericht befaßte sich zunächst mit dem Fehlen der »Rauheiten«, der rauhen Haut mit den Hornfortsätzen, dem Hauptmerkmal der Brunftschwielen, und bot dafür eine plausible Erklärung an : »Aus dem vorhergehenden Bericht von Noble ist klar ersichtlich, daß das einzige noch erhaltene, experimentell modifizierte Alytes-Exemplar Kammerers in seinem gegenwärtigen Zustand nicht als schlüssiger Beweis für die bei dieser Art künstlich hervorgerufenen Brunftschwielen gelten kann. Wir müssen es nun unternehmen zu entscheiden, ob der Zustand, in dem sich das Exemplar gegenwärtig befindet, jenem zur Zeit seiner Konservierung und davor entspricht. Das Präparat ist schlecht fi xiert und konserviert. Ferner ist die Epidermis an mehreren Stellen im Zustand der Ablösung oder schon abgelöst. Wie Professor Franz Werner aus Wien bestätigt, ist es eine bekannte Tatsache, daß die Brunft-Rauheiten bei wiederholtem Anfassen und Schütteln leicht verlorengehen. Das Prä164
parat ist nach England und wieder zurückgebracht worden, was seinen Zustand nicht eben gebessert hat. Glücklicherweise existieren photographische Aufnahmen, auf denen der Zustand des Präparats vor der Reise nach Cambridge und in England zu sehen ist.« Nach der Beschreibung der Photographien kommt Przibram dann auf die belastende schwarze Flüssigkeit zu sprechen : »Während es möglich ist, hinsichtlich der spiculae [d. h. der fehlenden Fortsätze] eine plausible Erklärung zu finden, war es uns nicht möglich, die Herkunft der schwarzen Substanz aufzuklären. Fest steht, daß sie mit dem oft an Brunftschwielen sichtbaren schwarzen Pigment nichts zu tun hat. Als einzige Möglichkeit erscheint uns denkbar, daß jemand versucht hat, das Aussehen solcher schwarzen Brunftschwielen durch Einspritzen von Tusche zu erhalten, da er fürchtete, sie könnten durch die Zersetzung des Melanins (natürlicher Farbstoff ) unter dem Einfluß der in die Vitrine scheinenden Sonne verschwinden. Kammerer selbst war über die Ergebnisse der chemischen Untersuchung höchst erstaunt, und es sollte festgehalten werden, daß seine Zustimmung zu den chemischen Versuchen eingeholt und auch erteilt wurde.« Kammerer erschoß sich sechs Wochen nach der Veröffentlichung des Noble-Berichts. Er hat Noble nicht ge-
antwortet. Er war jeglicher öffentlicher Polemik zutiefst abgeneigt* und mochte wohl annehmen, daß in Przibrams Entgegnung bereits alles gesagt war, was es zu sagen gab. Seine Unschuld zu beteuern, wäre würdelos gewesen. Lediglich in seinen Abschiedsbriefen schnitt er das Thema an. Einer davon war an Przibram gerichtet, der den Inhalt in Nature wiedergab : »Dieses traurige Ende eines wertvollen Lebens möge all jenen eine Warnung sein, die die Ehre eines Forscherkollegen ohne ausreichende Gründe antasten. In Erfüllung eines Wunsches, dem Kammerer Ausdruck verlieh, bitte ich den Redakteur von Nature, sein letztes Wort zu der viel diskutierten, doch ungelösten Frage eines bestimmten seiner Präparate zu veröffentlichen. Nachdem Kammerer sich überzeugt hat, in welchen Zustand es sich befindet, nimmt er an, daß sich jemand daran zu schaffen gemacht haben müsse. Einen bestimmten Verdacht, wer es gewesen sein könnte, spricht er nicht aus.
* Für seine Stellungnahme zu den Angriffen von Baur, Bateson und Boulenger ließ er sich sechs Jahre Zeit. Auf dem Höhepunkt der Kontroverse veröffentlichte allein Bateson, ganz abgesehen von den anderen Kritikern, fünf Briefe in Nature, Kammerer lediglich zwei. Er überließ es MacBride, auf die Anfeindungen zu antworten.
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2 Angesichts der entscheidenden Bedeutung, die Kammerers Versuchen Zeit seines Lebens von Freund und Feind zuerkannt wurde, nimmt es wunder, daß kein Biologe und kein Wissenschaftshistoriker es der Mühe wert fand, die Indizien zu untersuchen, anstatt sich auf Hörensagen und Legenden zu verlassen. Die erste Frage, die gestellt werden muß, ist klarerweise : Hat Kammerer selbst die Tusche injiziert ? Wenn er es nicht war, wer könnte es sonst getan haben und aus welchem Grund ? Die zweite Frage wäre, ob das umstrittene Präparat Schwielen besaß, bevor sich jemand daran zu schaffen machte. Ich werde mit dieser zweiten Frage beginnen. Beweise für die Existenz der Schwielen liefern die noch vorhandenen Photographien der Hautschnitte. Erinnern wir uns : Kammerer sandte die Photographien dieser Schnitte 1920 an Bateson (S. 81 ff.) und zeigte sie sowohl in Cambridge als auch bei der Sitzung der Linnean Society. In Cambridge wurden die photographischen Vergrößerungen von B. Stewart angefertigt, die mir Professor W. H. Thorpe freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat (siehe Bildtafeln).* Kammerer sandte auch an andere Wissenschaft ler solche Diapositive, unter ihnen dem amerikanischen Biologen Dr. Uhlen-
* Die gleichen Photographien sind auch in Kammerers Büchern The Inheritance of Acquired Characteristics (N. Y. 1924) und Neuvererbung (Stuttgart 1925) abgebildet.
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huth, der sie wieder Noble zeigte. Schließlich konnte Noble die Originalschnittpräparate im Wiener Institut selbst untersuchen. Er mußte zugeben, daß »beide Reihen von Präparaten mit den von Kammerer gegebenen Beschreibungen voll und ganz übereinstimmen«. Aber– so fügte er hinzu – die Schnitte, die Kammerer von den angeblichen Alytes-Schwielen gemacht haben wolle, sähen ganz so aus wie Schnitte durch die Schwielen der Unke Bombinator.* Abschließend schrieb Noble : »Kammerers Schnitte fallen in den Variabilitätsbereich, den das Genus Bombinator (richtiger Bombina) aufweist.« Dabei ließ er es zwar bewenden, aber was er damit meinte, war klar : daß nämlich Kammerer Schnitte der normalen Schwiele einer gewöhnlichen Unke hergestellt hätte und dann behauptete, sie stammten von Alytes. Es war dieselbe Vermutung, die auch schon Bateson gegenüber Boulenger geäußert hatte (siehe S. 82). Sie war aus zwei Gründen unhaltbar. Erstens setzte ein solcher Betrug ein Komplott voraus, an dem nicht nur Dr. Przibram – dem Bateson, Boulenger und selbst Noble uneingeschränkt vertrauten – hätte beteiligt sein müssen, sondern auch die Histologin, die die Schnitte machte – Fräulein Olga Kermauner, die Schwester des Wiener Universitätsprofessors Kermauner. Die heimliche Injektion von Tusche durch eine Person ist eine Sache, dagegen wäre eine Verschwörung von zumindest drei Wissenschaft lern unter ihrem Institutsleiter, die * Heute bekannt unter Bombina.
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gefälschte Schnittpräparate an Fachleute auf der ganzen Welt schicken, sie bei Vorträgen zeigen und in ihrer Sammlung ausstellen, schon etwas ganz anderes. Die Mikrophotographien der Alytes-Schwielen standen und stehen auch heute noch den Experten zum Vergleich mit Schwielenschnitten von anderen Froschund Krötenarten zur Verfügung. Letztere kann man im klassischen Werk Latastes und bei anderen nachsehen. Niemand außer Noble sprach in aller Öffentlichkeit den Verdacht aus, daß die Schnitte von Bombinator stammen könnten (»fallen in den Variabilitätsbereich«). Auch schloß sich kein Experte seiner Meinung an. Bateson, damals bereits tot, hatte privat einen gewissen Verdacht ausgesprochen, aber nicht versucht, ihn zu erhärten. Im Gegenteil : er kam in einem Brief, den er im August 1920 an Boulenger junior schrieb, einer Zurücknahme seiner Verdächtigungen sehr nahe, und zwar kurz nachdem ihm Kammerer die Schnittbilder geschickt hatte : »Natürlich können die Schnittbilder nicht beweisen, daß Alytes bei einer bestimmten Behandlung Brunftschwielen ausbilden. Dennoch sind sie mir ein Rätsel. Ich bezweifle, daß Bombinator oder sonst eine Art mit voll ausgebildeten Schwielen eine Phase durchlaufen kann, wie sie aus den Schnitten ersichtlich ist.« Auch Boulenger junior enthielt sich eines Kommentars zu Nobles Bericht. Vielleicht hatte er früher Batesons Verdacht bezüglich der Herkunft der Schnitte geteilt, nach einem Besuch in Wien im Winter 1922/23 gab er ihn auf (vgl. S. 82). 169
Außer Kammerers eigener Darstellung ist nur eine einzige detaillierte histologische Beschreibung der Schnitte, in der sie mit anderen Arten verglichen werden, verfaßt worden, und zwar von Michael Perkins in einer Entgegnung auf Batesons Angriffe gegen Kammerer im Jahre 1923. Ein Auszug aus Perkins Brief ist in Anhang IV wiedergegeben. Perkins kam zu dem Schluß, daß die Alytes-Schnitte wohl gewisse Ähnlichkeiten – aber auch charakteristische Unterschiede – mit zwei anderen Arten (Bombinator und Discoglossus pictus) aufweisen. Bateson gab darauf eine ausweichende Antwort (Anhang IV, S. 197) und erwähnte in der Öffentlichkeit die Schnittbilder nie wieder. Im Licht dieser Tatsachen hätte man Nobles versteckte Andeutungen, es habe ein Komplott in bezug auf die Schnittbilder gegeben, ohne weitere Überlegung verworfen, wäre nicht eine gewisse psychologische Wahrscheinlichkeit gewesen : War das Präparat mit Tusche zurechtfrisiert worden, so wären wohl auch die Schnittbilder Mystifikationen. Kammerers Selbstmord wirkte zudem wie ein stillschweigendes Schuldbekenntnis, und die unbequemen Beweise, die er in fünfzehnjähriger experimenteller Arbeit zusammengetragen hatte, konnte man unter den Tisch fallen lassen. Nur Przibram und MacBride traten öffentlich für den Toten ein. Selbst als Kammerer noch am Leben war, hatte Przibram zwar Nobles Befunde, was das Vorhandensein von Tusche betraf, bestätigt ; Nobles Verdächtigungen bezüglich der Schnittbilder wies er jedoch zurück : 170
»Der Vergleich [der Schnitte Kammerers] mit den Brunftschwielen anderer Anura zeigt deutlich, daß die Verhornungen sich von allen anderen bekannten Schwielen unterscheiden. Am ähnlichsten sind sie noch denen anderer Discoglossidae, wie Bombinator, aber noch mehr Discoglossus pictus. Darauf hat bereits Herr Perkins hingewiesen (Nature, 15. August 1923.)« Gleichzeitig forderte Przibram Noble auf, seine eigenen Schnittpräparate von Bombinator zum Vergleich mit den Alytes-Schnitten Kammerers vorzulegen. Noble sandte zwar einige Photographien und Zeichnungen, veröffentlichte sie aber nicht. Przibrams Stellungnahme dazu in seinem letzten Brief an Nature, sechs Monate nach Kammerers Tod, faßt die Sachlage zusammen : »(4) Vergleicht man die bekannten Brunftschwielenformen anderer Arten bezüglich ihrer Hornfortsätze (Lataste, Meisenheimer, Harms, Kändler, etc.) mit diesen [Kammerers] Zeichnungen und Photos der Alytes, so scheint eine absolute Spezifität dieser Strukturen gegeben zu sein. Selbst die Schnitte von Bombina maxima, die denen von Alytes am nächsten kommen, lassen sich an Hand der mir von Dr. Noble (Museum, New York) gesandten Photographien und Zeichnungen leicht von diesen unterscheiden. Die Species B. maxima war Kammerer nicht bekannt und wurde nie lebend in unserem Institut gehalten (sie171
he Liste des Tierbestandes, Zeitschrift biol. Technik u. Methodik, 3, 163 ; 1913, S. 214). (5) Die histologischen Merkmale der Schwielenschnitte Kammerers von Alytes sind ferner identisch mit denen eines in freier Natur von R. Kändler (Jenaische Zeitschrift, 60, 175 ; 1924, Tb. X. Abb. 12) gefundenen Exemplars mit rudimentären Schwielen.« Die Entdeckung des Kändler-Exemplars war ein glücklicher Zufall ; für Kammerer kam er allerdings zu spät. Bei der von Kändler gefundenen Kröte handelte es sich natürlich um eine gewöhnliche, an Land kopulierende Alytes, aber es war nun bekannt, daß gelegentlich auch normale Kröten Schwielenansätze ausbilden. Sowohl die außerordentliche Unwahrscheinlichkeit des Vorwurfs eines Komplotts als auch die spezifischen Merkmale der Mikroschnittbilder legen den Schluß nahe, daß Kammerers Behauptung, an Alytes Brunftschwielen hervorgerufen zu haben, nicht widerlegt worden ist. Hätten Bateson, die Boulengers oder Noble Schnitte von Bombinator oder einer anderen Kröte vorgelegt, die von denen Kammerers nicht zu unterscheiden waren, so bestünde weiter Anlaß zu Zweifel. Da Kammerers Schnittbilder noch existieren, lastet die Bürde der Beweisführung nun auf den Schultern seiner Kritiker.
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3 Der nächste zu erörternde Punkt ist die Schwarzfärbung auf dem Ballen des umstrittenen Exemplars. 1926 wurde nachgewiesen, daß sie durch eine Tuscheinjektion hervorgerufen worden war. Das wirft sofort zwei Fragen auf: Zu welchem Zeitpunkt wurde die Tusche injiziert und wie sah die Hand aus, bevor die Injektion durchgeführt worden war? In diesem Zusammenhang kommt den Vorführungen in Cambridge im April 1923 entscheidende Bedeutung zu. In Nobles drei Jahre später verfaßtem Bericht heißt es unter anderem (mein Kursivdruck): »Obwohl dieses Präparat in England vermutlich eingehend untersucht worden ist, … zeigte doch schon eine erste Voruntersuchung durch mich in Wien so unerwartete Merkmale, daß Dr. Przibram und ich es für angebracht hielten, diese unabhängig voneinander einer sorgfältigen mikroskopischen, histologischen und chemischen Untersuchung zu unterziehen … Dabei stellte ich fest, daß die Hand des Exemplars sowohl dorsal als auch ventral oberflächlich geschwärzt war ; die Ausdehnung des geschwärzten Bereichs entspricht in seiner Ausdehnung ziemlich genau jenem, der auf einer im Cambridge aufgenommenen Photographie des Belegexemplars ersichtlich ist. Keine Hand sieht so aus, als besäße sie Brunftschwielen ; jedoch scheint an beiden Händen eine schwarze Substanz injiziert worden zu sein, denn die Schwärzung erstreckt sich auch auf einige Kapillaren. Eine 173
Untersuchung der schwärzlichen Stellen unter dem Binokularmikroskop bei mäßiger Vergrößerung ergab, daß die Verfärbung nicht in der Epidermis lokalisiert ist, das heißt in den Epidermisfortsätzen, sondern in der Dermis [d. h. von einer Injektion stammt].« Eine »Voruntersuchung« des Präparats »unter dem Binokularmikroskop bei mäßiger Vergrößerung« reichte also schon aus, um Noble erkennen zu lassen, daß eine schwarze Substanz injiziert worden war, und um auch Przibram erkennen zu lassen, daß eine chemische Untersuchung angezeigt war. Drei Jahre vorher war dasselbe Präparat der gleichen Voruntersuchung – unter dem Binokularmikroskop bei mäßiger Vergrößerung – unterzogen worden – und zwar von einer Reihe anerkannter Biologen aus Cambridge und London, unter ihnen Wohlmeinende ebenso wie Skeptiker und Feinde ; und keiner von ihnen hatte entdeckt, daß die »Verfärbung nicht in der Epidermis lokalisiert ist«, sondern »von einer schwarzen Substanz stammt, die injiziert wurde«.* Noble war die Bedeutung der Vorführung in Cam-
* Unter den in Cambridge an der Demonstration Teilnehmenden waren mindestens zwei hervorragende Herpetologen : Boulenger jr. und Doktor Gadow, daneben M. Perkins, J. B. S. Haldane, W. H. Thorpe, G. Bateson, Dr. Quastel, Dr. Harrison Matthews, Sir Sidney Harmer, Prof. Stanley Gardiner, G. H. F. Nuttall, G. Evelyn Hutchinson, H. N. Vevers, Prof. H. Graham Cannon, Dr. Borradaile, Mrs. Onslow, F. Potts und andere. Ich habe alle erhältlichen Augenzeugenberichte ohne Auslassung zitiert.
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bridge bewußt. Er versuchte denn auch, sie mit nicht gerade logischen Argumenten zu schmälern : »Als Augenzeugen aus Cambridge zählte Dr. Przibram einige bekannte Namen auf. Bei allem Respekt vor diesen Herren muß ich sagen, daß Teile der Epidermis des Kammerer-Präparates, unter der sich die schwarze Substanz befindet, etwas irregulär aussehen. Dies ist wahrscheinlich auf die ungleichmäßige Verteilung der sich darunter befindenden schwarzen Substanz zurückzuführen. Jedenfalls bedurfte es besonders sorgfältiger Manipulation der Beleuchtung meinerseits, um nachzuweisen, daß diese Unregelmäßigkeiten nicht in der Epidermis selbst liegen. Ferner verstehe ich nicht, wie jemand, der Fachmann genug ist, das Vorhandensein oder Fehlen von Brunftschwielen beurteilen zu können, die Schwarzfärbung der vorderen Gliedmaßen von Kammerers Präparat untersuchen konnte, ohne deren artifiziellen Charakter zu bemerken.« Dennoch ist dies allen tatsächlich entgangen. Auch der zweiten Biologenschar in der Linnean Society, unter ihr Bateson, gelang es nicht, etwas Derartiges zu entdekken. Die einzige plausible Erklärung dafür, daß allen entging, was Noble drei Jahre später sozusagen auf den ersten Blick bemerkte, wäre, daß die Verfälschung erst vorgenommen wurde, nachdem das Präparat in arg beschädigtem Zustand aus Cambridge zurückkam – entweder um das Aussehen der ohnehin schon fast ver175
schwundenen Brunftschwielen zu erhalten, bevor das noch übriggebliebene Pigment gänzlich verschwand, oder aber um Kammerer zu diskreditieren. MacBride war der erste, der auf die Berichte Nobles und Przibrams reagierte : »Da ich mit Dr. Kammerers Besuch in England im Jahre 1923 aufs engste verbunden war und da seine Präparate in meinem Laboratorium ausgepackt und untersucht worden sind, bevor sie nach Cambridge gebracht wurden, darf ich mir erlauben, zu Dr. Nobles Beitrag in Nature vom 7. August Stellung zu nehmen. Über den gegenwärtigen Zustand der Alytes, über die es schon so viel Streit gegeben hat, weiß ich nichts. Dr. Przibrams Ansicht, daß das Präparat nach seiner Rückkehr nach Wien mangels Pflege verblaßte, zu verfallen begann und dann mit ungeschickter Hand restauriert, sprich ›gefälscht‹ wurde, scheint mir möglich. Aber eben dieses Exemplar wurde im Zoologielabor in Cambridge einen ganzen Nachmittag lang von Dr. Kammerer, der es aus dem Glas nahm und zur Untersuchung unter der Lupe aufforderte, einer ganzen Schar von kritischen Beobachtern vorgeführt. Wir alle sahen dabei die Fortsätze. Und nicht die Färbung, sondern eben diese Fortsätze überzeugten uns letztlich. Dr. Noble kann bezüglich der früheren Existenz der Rauhheiten voll und ganz beruhigt sein. Ich besitze einen Abzug der Photographie, auf der sie zu sehen sind – es handelt sich dabei nicht, wie Dr. Noble sich das vorstellt, um zwei oder drei Fortsätze, 176
sondern um eine ganze Reihe winziger, regelmäßig angeordneter Stacheln, die man im Profil entlang der Kante eines der Finger deutlich sehen kann … Ich meine, Dr. Noble und seine Kollegen wären besser beraten, Dr. Kammerers Experimente zu wiederholen – wie ich es versucht habe –, anstatt die bona fides eines Forscherkollegen und die Glaubwürdigkeit der englischen Wissenschaft ler in Zweifel zu ziehen.« Hätte sich das Präparat schon bei seiner Vorführung in Cambridge und London in dem Zustand befunden, den Noble beschreibt, so müßten die damals anwesenden Wissenschaft ler kollektiv mit Blindheit geschlagen gewesen sein. Außerdem hätte Kammerer das veränderte Aussehen seines wertvollen Belegexemplars bemerkt, bevor er es ins Ausland brachte, egal ob derjenige, der den Farbstoff injizierte, er selbst gewesen ist oder sein Assistent. Es ist kaum vorstellbar, daß er sich auf eine wissenschaft liche Vortragsreise begeben hätte, im vollen Bewußtsein, daß das ausschlaggebende Demonstrationsobjekt eine Fälschung war – noch dazu, wo er wußte, daß Bateson und seine anderen feindlich gesonnenen Kritiker eifrig auf eine Gelegenheit warteten, ihn als Betrüger entlarven zu können.
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4 So bleibt als die einzige plausible Erklärung, daß die Tusche nach der Rückkehr des beschädigten Präparates aus England injiziert worden ist. Wir können uns nun der Frage zuwenden, wer es getan hat und zu welchem Zweck. Wir können die Möglichkeit, daß Kammerer selbst, in einem Akt der Verzweiflung, es getan hat, nicht ausschließen. Seine Präparatesammlung – die sichtbaren Beweise seines Lebenswerks – war dahin, und nun drohte auch noch seinem letzten Belegexemplar der Verfall. Er mag – im Bewußtsein, daß die schwarze Schwiele ja einmal da gewesen war – der Versuchung erlegen sein, sie künstlich aufzufrischen. Vielleicht wurde ihm gar nicht bewußt, daß er damit etwas Unrechtes tat. Solche Taschenspielerkunststücke sind in der Wissenschaftsgeschichte nicht unbekannt. Einige Monate nach Kammerers Tod veröffentlichte Nature, etwas überraschend, einen eher naiven Brief eines Außenseiters, der keinerlei akademische Qualifikation besaß und in dem es hieß : Die Brunftschwielen von Kammerers Alytes aus Wassereiern »Vor einiger Zeit nahm einer meiner Freunde, der sich für meine Amateurzuchtversuche an Fröschen interessierte, einige Bilder auf, mit der Absicht, sie zu veröffentlichen. Er fand es notwendig, einen Teil der natürlichen Zeichnung mit Tinte nachzuziehen, damit sie in der Druckwiedergabe besser herauskomme. Vielleicht gibt es für die Markierung auf 178
Kammerers Präparaten, die zu seinem Selbstmord führte, eine ebenso simple Erklärung. Walter C. Kiplinger 234 Park Avenue Indianapolis, Ind., USA« Er könnte es getan haben. Nicht vor seiner Reise nach Cambridge in die Höhle des Löwen, sondern später irgendwann einmal nach seiner Rückkehr. Gegen diese Annahme sprechen jedoch sehr starke Argumente. Das Risiko einer Entlarvung war zwar weniger groß, solange das Präparat im Museum stand, als wenn es auf einer Vortragsreise öffentlich demonstriert wurde. Aber selbst dieses Risiko einzugehen war fatal – wie die Ereignisse bewiesen. In der Biologischen Versuchsanstalt gab es einen nie abreißenden Besucherstrom, und das Exemplar wurde oftmals aus dem Glas genommen, um von irgendeinem prominenten Gast untersucht zu werden. Früher oder später mußte ein Dr. Noble auftauchen. Außerdem war die Injektion außerordentlich ungeschickt gemacht worden, so ungeschickt, daß Noble nahezu schon beim ersten Hinsehen imstande war, sie zu entdecken – und Kammerer war ein hervorragender Experimentator, dessen Geschick in der Handhabung seiner Objekte und dessen Sezierkunst selbst seine Feinde widerstrebend anerkannten. Van Megeeren mag einen Vermeer gefälscht haben, aber er hätte dazu nicht einen Anstreicherpinsel verwendet.
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5 Obwohl Noble in seinem Bericht in Nature nichts davon erwähnte, hatte er bei der histologischen Untersuchung des zurechtgedokterten Alytes-Exemplars einen Assistenten. Es war dies der bekannte Biologe Paul Weiss, heute Professor Emeritus der Rockefeller University, der im Jahre 1926 die Nachfolge Kammerers als Adjunkt am Wiener Institut angetreten hatte. Er gab mir über die Vorgänge, die zur Aufdeckung der Fälschung führten, folgenden Augenzeugenbericht (mein Kursivdruck) : »The Rockefeller University New York, N. Y. 10021 15. Dezember 1970 Als Gladwyn Kingsley Noble an die Biologische Versuchsanstalt kam, um das berühmte Präparat zu inspizieren und zu untersuchen, bat mich Hans Przibram im Interesse des transatlantischen Friedens Noble bei dieser Aufgabe zu helfen. Ich war damals Adjunkt, d. h. administrativer Vizedirektor der Versuchsanstalt, und bekleidete somit die einzige nicht ehrenamtliche Stelle, daher mußte ich den Auftrag annehmen, wenn auch mit einigen Bedenken. Jedenfalls kamen Noble und ich ganz gut miteinander aus (er war nur vier Jahre älter als ich) und beschlossen, das belastende Hautstück des konservierten Exemplars ohne viel Aufhebens gemeinsam abzupräparieren und den Hautlappen an der radialen Seite, dort, 180
wo sich angeblich die Brunftschwielen befinden sollen, für die Herstellung histologischer Schnitte und für die mikroskopische Untersuchung in zwei gleich große Stücke zu teilen. An folgendes erinnere ich mich ziemlich deutlich : (1) Selbst bei oberflächlicher Betrachtung vor dem Abpräparieren entsprach die schwärzliche Stelle weder topographisch noch form- und ausdehnungsmäßig dem normalen morphologischen Bild anderer brünftiger Anurenmännchen, so wie ich es im Gedächtnis hatte. Aber ich war natürlich kein Fachmann auf diesem Gebiet. (2) Nach Abtupfen des Wassers zeigte die Haut am ›Daumen‹ nicht jene rauhe, matte Oberfläche, die man sonst bei Brunftschwielen findet, sondern glänzte wie die angrenzenden Bereiche. (3) Sofort nach Eröffnung der Haut quoll eine dunkle Flüssigkeit hervor ; beim Abheben des Hautlappens sahen wir, daß sich diese Flüssigkeit frei in dem Spalt zwischen der Unterseite der Haut und den Muskeln hinund herbewegte. Sie war in die Haut eingedrungen, aber ob und wie tief die Muskulatur infiltriert war, weiß ich nicht mehr zu sagen. Noble und ich waren einer Meinung, daß diese Flüssigkeit wie Tusche aussah, und ich glaube mich zu erinnern, daß wir eine Probe unter dem Mikroskop untersuchten und dabei tatsächlich Körnchen in der Größe von Tuschekörnern feststellten. Dessen bin ich mir aber nicht mehr ganz sicher. Jedenfalls war die Flüssigkeit eher dunkelgrau als schwarz, offensichtlich hatte sie sich beim Konservieren des Exemplars mit der Fixierlösung 181
vermischt und war so verdünnt worden. (4) Was die histologischen Schnitte anlangt, so erinnere ich mich hauptsächlich, daß sie auf Grund des schlechten Fixationszustandes des Präparats kaum Aufschluß gaben. Da die Schnitte transversal (also im rechten Winkel zur Oberfläche) angelegt wurden, war eine Auszählung der Pigmentzelldichte zur Feststellung einer etwaigen lokalen Anhäufung natürlich nicht möglich. Ich erinnere mich nicht, die für Brunftschwielen typische gezähnte Cuticula gesehen zu haben. Aber angesichts des schlechten Fixationszustandes könnten die Erhabenheiten bei früheren Untersuchungen abgerieben worden sein. Abschließend möchte ich sagen, daß ich persönlich kaum Zweifel daran hege, daß es sich bei dem als diagnostisches Kriterium genannten ›Pigment‹ sowohl der Substanz als auch der Lokalisation nach um ein von Menschenhand verursachtes Artefakt gehandelt hat. Ein zweites Exemplar, das Przibram und ich einige Zeit später in einem der Museumsgläser entdeckten, zeigte ebenso einen aberranten ›Pigment‹-Fleck unter der Haut. Ich habe dieses Exemplar allerdings nicht näher untersucht, wurde dazu auch nicht aufgefordert und habe keine Ahnung, was daraus geworden ist.«
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6 Je mehr Material ich zusammentrug, desto »begieriger« wurde ich, um Bateson zu zitieren, eine Geburtshelferkröte zu sehen, an der die Brunftschwielen durch eine Tusche-Injektion gefälscht waren. Aber die Fälschung mußte von einem Fachmann ausgeführt werden, überzeugend genug, daß dies auch eine Schar Naturforscher in England und sonstwo getäuscht hätte. Zufällig kenne ich Professor Holger Hydén von der Universität Göteborg, einen der führenden Experimentalzytologen Europas – ihm gelang als erstem die Extraktion der Nervenzellkerne.* Der Gedanke amüsierte ihn, sich als Fälscher zu versuchen und mit modernsten chirurgischen Methoden ans Werk zu gehen, um der Fälschung eine faire Chance zu geben. In Skandinavien gibt es zwar keine Alytes, aber Hydén beschaffte sich ein Männchen und ein Weibchen von einem Händler in Mailand. Sein erster »Tätigkeitsbericht« datiert vom 27. Oktober 1970 : 26. Oktober Innenansicht der linken und rechten Hand. Farbaufnahme (Kodak), Kamera Marke Hasselblad. Zur Feststellung der richtigen Belichtungszeit.
* Auf Hydén geht auch die Theorie zurück, daß das Gedächtnis auf biochemischen Veränderungen molekularer Art in Gehirnzellen beruht, in denen RNS (Ribonukleinsäure) und bestimmte Eiweißstoffe verändert werden.
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27. Oktober Tuscheinjektion (Tusche Marke Pelikan) subkutan in die linke Hand beider Alytes ; 20-Nadel. Nach Hauteinstich ventral am Handgelenk gegen den Ansatz des ersten Fingers geringe Menge injiziert ; Spritze zurückgezogen und neuerlich gegen und in den Daumenballen injiziert Verteilung der Tusche ventral gut ; dorsal an der linken Handkante und nach unten an der Radialisseite der Extremität weniger ausgeprägt. Nach Waschen in Lösung gelegt. Aussehen sehr natürlich. Photographiertechnik wie oben. Hydén konservierte ein Exemplar in Alkohol, das andere in Formaldehyd, da wir nicht wußten, welche Lösung in der Biologischen Versuchsanstalt üblicherweise verwendet worden war. Der nächsten Mitteilung vom 6. November lagen die ersten Photographien der gefälschten Präparate bei : Hier sind nun die Farbaufnahmen. Daraus läßt sich an der in Alkohol fixierten Alytes () leicht erkennen, daß es sich um ein Artefakt handelt. Die Tusche bildet unregelmäßig verteilte Klumpen :
und ich bezweifle, daß Kammerers Alytes in Alkohol fixiert war. 184
Das Alytes- (in Formaldehyd) ist zumindest an der Handinnenfläche recht gut gelungen. Vielleicht sehen die dunklen (Tusche-)Flecken in der Nähe des Handgelenks verdächtig aus ; ich weiß es nicht :
16. November Anbei die neuen Photographien vom 13. November. Sie zeigen die rechte Hand des in Formaldehyd fixierten Männchens nach der am Vormittag des 13. November erfolgten [zweiten] Tuscheinjektion. (Finger und Handgelenk wurden zur besseren Verteilung leicht massiert.) Heute wurde die linke Hand dieses Männchens abgetrennt ; aus dem digitalen Anteil werden nach Einbettung Schnitte hergestellt und gefärbt.
30. November Soweit ich sehen kann, ist im Gewebe keine Spur der Tusche übriggeblieben. Sie wurde zur Gänze von der Fixier- und Färbelösung ausgewaschen … 185
Hier endet der Verlaufsbericht, denn im Dezember 1970 begab sich Professor Hydén nach London. Er brachte die beiden »verfälschten« Präparate mit ; sie stehen allen Herpetologen jederzeit zur Überprüfung zur Verfügung. Sein Bericht sagt im wesentlichen folgendes aus. Das in Alkohol konservierte Exemplar sah zunächst (27. Oktober) »sehr natürlich« aus. Aber schon am 6. November »ließ sich leicht erkennen, daß es sich um ein Artefakt handelt. Unter dem Mikroskop zeigen sich unter der Haut kleine runde bis längliche Klumpen. Und diese sahen mir deutlich nach Artefakten aus«. Hydén wiederholte die Injektion am 13. November »und nun beim zweitenmal ging es aus irgendeinem Grund viel besser». Aber bald wurde die Schwärzung viel zu intensiv, die ganze Hand sah aus, als hätte man sie in Tusche getaucht. Die Farbe verblaßte jedoch dann wieder, und die Hand wurde außer um die Kanten grau. Auch das Formaldehydpräparat sah zunächst »sehr natürlieh« aus, selbst am 6. November schien es noch »recht gut gelungen«. Aber einige Tage später »war es etwas ausgebleicht und verblaßt, und bei sachtem Massieren des Arms und der Hand konnte ich sehen, wie sich die Flüssigkeit unter der Haut bewegte. Und da Pelikantusche leicht in Wasser löslich ist, ist ganz klar, was geschehen war. Sie löste sich nach und nach in der Formaldehydelösung und der Gewebsflüssigkeit auf«. Am 17. November, nach der zweiten Injektion, »sah das Exemplar zunächst wirklich schön aus«. Aber schon nach einer Woche »verblaßte die Farbe wieder. Offen186
sichtlich löste sich die Tusche diesmal rascher auf als nach der ersten Injektion am 27. Oktober«. Am 30. November injizierte Hydén abermals und beobachtete, daß »die Schwärzung am Handballen binnen weniger Tage mehr oder minder verschwand«. Im Jänner 1971 versuchte Hydén mit anderen Methoden, die Tusche zu stabilisieren und das Ausbleichen der schwarzen Flecken zu verhindern. Da er keine Alytes mehr auftreiben konnte, mußte er gewöhnliche Unken (Rana bombina)* nehmen. Er probierte es mit einer Tusche-Glyzerin-Mischung, aber auch diese löste sich in Alkohol bzw. Wässer schnell auf. Dann versuchte er es mit Paraffinöl, aber das nahm keine Tusche an. Die besten Resultate erbrachte eine Mischung aus Tusche und warmer Gelatine. Als Konservierungsmittel wurde diesmal nur noch Formaldehyd verwendet, das sich sichtlich besser eignete, denn in Alkohol schrumpften die Präparate ein. Vor den Injektionen wurden die Exemplare bei Zimmertemperatur gelagert. Zwei Monate später, also Mitte März, war keine merkliche Verblassung der Schwärzung zu erkennen, was für die Gel-Methode sprach. Die schwärzliche Farbe »erstreckte sich über die Handinnenfläche, den Daumenballen und den Ansatzbereich des ersten Fingers und dehnte sich bis zur Außenseite des vierten Fingers aus«. Dafür hatte diese Methode aber einen anderen Nachteil. Der schwarze Fleck war entsprechend der darunterliegenden fest gewordenen Gelatinemas* Heute bekannt unter Bombina bombina (Rotbauchunke).
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se scharf umschrieben. Die schwarze Farbe ging nicht, wie bei einer natürlichen Schwärzung, gegen die Finger zu in Grau über, sondern war gleichmäßig über die ganze Handfläche zu sehen. Die Haut war glatt und glänzend und sah alles andere als natürlich aus. Aus dem Gel-Versuch ergab sich noch eins. Hydén stellte vom Injektionsbereich Schnittpräparate her.* »Das Gewebe erwies sich als gut konserviert. Zwischen den Muskelbündeln und Gefäßen fand sich eine schwärzliche Substanz mit Tuschekörnern, die in den Kapillaren bzw. Gefäßen [siehe Nobles Bericht] allerdings fehlte. Dies ist auf das Ausfällen der Gelatine und der Tuschebeimengung in der Formaldehydlösung zurückzuführen.« Die schwarze Substanz löste sich also nicht wie die verdünnte Tusche in der Fixierlösung auf. Die erwärmte Gelatinemasse verfestigte sich vielmehr nach der Injektion im Gewebe und konnte deshalb natürlich nicht aus dem Hautschnitt hervorquellen, wie Noble und Paul Weiss in ihren Berichten angaben. Die in Professor Hydéns Darstellung genannten technischen Finessen habe ich weggelassen. Aus seinem Bericht lassen sich folgende Schlüsse ziehen : Die Vorführungen in Cambridge und London fanden 1923 statt, Nobles Untersuchung erfolgte 1926. Bei einer Injektion nur mit Tusche ist es höchst unwahrscheinlich, daß sich der Effekt ohne ein Verblassen der Farbe durch Verdünnung drei Jahre lang erhalten hät-
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te. Bei Verwendung einer Gelatinelösung hätten sich die schwarzen Flecken wohl erhalten lassen, aber aus den eben erwähnten Gründen kann man diese Methode mit ziemlicher Sicherheit ausschließen. Am wahrscheinlichsten bleibt daher die Annahme, daß nur Tusche verwendet wurde und – da sie ja schnell verblaßt –, daß die Injektion erst kurz vor Nobles Besuch ausgeführt wurde.
7 Es erübrigt sich wohl zu sagen, daß die Versuche nicht als schlüssiger Beweis betrachtet werden können und dies ja auch gar nicht sollten. Hydén schließt durchaus nicht die Möglichkeit aus, daß eine andere Methode erdacht werden könnte, die überzeugendere Resultate bringt. Aber angesichts der Ergebnisse erscheint es als höchst wahrscheinlich, daß die Fälschung nach Kammerers Vorträgen in England und nur wenige Tage vor Nobles angekündigtem Besuch begangen wurde. Wer aber hat sie begangen ? Ich habe schon eine Reihe von Gründen angeführt, die es unwahrscheinlich erscheinen lassen, daß Kammerer es selbst getan hatte. Dazu kommt noch die Tatsache, daß Kammerer ab Ende 1922 nicht mehr an der Versuchsanstalt tätig war. Er erhielt am 1. Dezember 1922 * Die Schnittdicke betrug 7 Mikron, die Färbung erfolgte mit Hematoxylin und Eosin.
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ein Jahr Karenzurlaub. Am 30. Oktober 1923 wurde seinem endgültigen Ausscheiden zugestimmt. Den Großteil der letzten drei Jahre verbrachte er auf Vortragsreisen oder in der Sowjetunion. Wir wissen nicht, ob er nach seinem Ausscheiden noch gelegentlich das Vivarium besuchte ; tat er es, so kam er nun als ein prominenter Gast, der Aufmerksamkeit erregte. Man kann sich unter diesen Umständen nur schwer vorstellen, wie er das Präparat aus der Vitrine nehmen und die Injektion durchführen hätte können, ohne bemerkt zu werden – es sei denn, er hätte eine schwarze Maske getragen. Kommen wir nun zu der Hypothese, daß die Fälschung von einem Techniker oder einem Angestellten des Instituts begangen wurde. Man könnte annehmen, daß es eine seiner Verehrerinnen unter den Laborgehilfinnen gewesen ist, verzweifelt bemüht, ihrem lieben, traurigen Professor zu helfen. Ihr Herz floß vor lauter Liebe über und die Spritze vor lauter Tusche – sie hätte wahrscheinlich keine Ahnung gehabt, daß zwischen natürlichem Hautfarbstoff und Tusche ein Unterschied besteht, und gedacht, je mehr desto besser. Das würde irgendwie zu dem romantischen Operettenstil passen, der sich immer wieder in Kammerers Leben einschlich. Und Przibrams erster Reaktion auf Nobles Enthüllungen lag ja, wie wir gesehen haben, auch dieser Gedanke zugrunde. Aber bei näherer Überlegung änderte er seine Meinung bezüglich der Motive für die Fälschung. In seiner Stellungnahme zu Nobles Bericht hatte er angedeutet, daß »jemand versuchte, das Aussehen dieser schwarzen 190
Brunftschwielen zu erhalten aus Angst, sie könnten mit der Zersetzung des Melanins unter dem Einfluß der in die Vitrine scheinenden Sonne verschwinden«. Aber einige Wochen später, nach Kammerers Selbstmord, erwähnte Przibram in einem Nachruf , daß im Jahre 1918 »ein wahnsinnig eifersüchtiger Kollege fälschlicherweise behauptet hatte, Kammerers Versuche über Farbanpassung bei Salamandern schon in der ersten Generation experimentell widerlegt zu haben«* und daß dieser Mann später »zeitweilig in einer Irrenanstalt untergebracht werden mußte«. Mit »Kollege« kann nur jemand gemeint sein, der mit Kammerer an der Versuchsanstalt arbeitete. Wer es war und was aus ihm geworden ist, wissen wir dank Przibrams Diskretion – die in dieser tratschsüchtigen Stadt sprichwörtlich war – nicht. Przibram ging sogar soweit, einen früheren Assistenten – einen gewissen Dr. Megusar – gegen »jeglichen Verdacht, die Injektion gemacht zu haben« in Schutz zu nehmen, da »er am 3. August 1916 an der wolhynischen Front gefallen ist«. Sogar eine Quellenangabe des Nachrufs gibt er an (Archiv für Entwickl.-Mech., 42, 222 : 1917), wahrscheinlich als Beweis, daß der Mann wirklich tot war. Nach Przibrams Tod schrieb sein Bruder Professor Karl Przibram : »Er [Hans Przibram] blieb stets von der Echtheit der Kammererschen Beobachtungen überzeugt und äu*
Die Anpassungen in der ersten Generation standen nicht zur Debatte, lediglich die Frage ihrer Erblichkeit.
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ßerte sich in privaten Gesprächen wiederholt, er glaube zu wissen, wer die Fälschung begangen habe, um Kammerer zu diskreditieren, könne aber, da ihm eindeutige Beweise fehlten, damit nicht an die Öffentlichkeit gehen.« In zwei Briefen an mich betont Professor Karl Przibram wiederholt diesen Punkt : »Mein Bruder war stets von Kammerers Ehrlichkeit überzeugt und hat öfters gesagt, er glaube zu wissen, wer der Fälscher gewesen sei, könne aber mangels hinreichender Beweise nichts darüber veröffentlichen. Wenn ich meine Meinung dazu äußern darf, so hielt ich Kammerer für viel zu intelligent, um eine so ungeschickte Dummheit zu begehen.« »Mein Bruder hat sicher an die Unschuld Kammerers geglaubt und war überzeugt, die Fälschung sei nur zu dem Zwecke begangen worden, um Kammerer und seine Arbeiten zu diskreditieren.« War Przibrams Verdächtiger jener wahnsinnige Kollege, der schon einmal 1918 versucht hatte, die Salamanderversuche anzufechten, und nun 1926 versuchte, den Beweis für die Alytes-Anpassung zu zerstören ? Wir wissen es nicht. Aber wer immer es gewesen sein mag, er mußte gewußt haben, daß der Besuch eines amerikanischen Reptilienexperten bevorstand und daß dieser Experte ein Kammerer-Gegner war. Damit war eine ideale Gelegenheit – und ein starker Anreiz – geschaf192
fen, irgendwann vor Nobles Ankunft die Tusche zu injizieren. Przibrams Verdächtiger mag aus persönlicher Eifersucht oder gar aus politischen Motiven gehandelt haben. Der russische Film Salamandra, den ich schon früher erwähnte, ging von der Annahme aus, daß der Fälscher aus politischen Motiven gehandelt hatte (siehe Anhang 2) : Der Nachweis der Vererbung erworbener Eigenschaften wäre für die rassistische Doktrin von der genetisch determinierten Über- bzw. Unterlegenheit der Völker ein tödlicher Schlag gewesen. Diese Hypothese ist gar nicht so weit hergeholt, wie es zunächst scheint. Ein fanatischer Nazi – vielleicht jener »wahnsinnige Kollege« – mag sehr wohl versucht gewesen sein, eine derartige Irrsinnstat zu begehen. Das Österreich der zwanziger Jahre schlitterte unter den Klängen der Lustigen Witwe und Ausgerechnet Bananen unaufhaltsam auf einen Bürgerkrieg zu. Politische Morde wurden immer häufiger ; Sozialisten und Nationalisten hatten ihre eigenen Privatarmeen – Schutzbund und Heimwehr ; die Hakenkreuzler – wie man die Nationalsozialisten damals noch nannte – gewannen allmählich Anhänger. Die Universität Wien war ein besonderes Gärungszentrum, wo bei dem traditionellen Studenten-»Bummel« am Samstagvormittag Schlägereien blutig ausgetragen wurden. Kammerer war durch seine öffentlichen Vorträge und seine Zeitungsartikel als glühender Pazifist und Sozialist bekannt. Außerdem wußte man, daß er in Sowjetrußland ein Institut bauen sollte. Ein Sabotageakt im Laboratorium hätte ebenso zur Atmosphäre jener Tage gepaßt wie die tö193
richte Hingabe eines mit der Injektionsspritze bewaffneten, verliebten Fräuleins.
8 Nach Kammerers Tod liefen in Wien alle möglichen Gerüchte- und Mutmaßungen um, aber eine seltsame Tatsache wurde anscheinend übersehen. Nobles Enthüllungen wurden am 7. August 1926 in Nature veröffentlicht, seine Untersuchungen hatte er aber schon ein halbes Jahr vorher durchgeführt, und die Ergebnisse waren damals zweifellos in Akademikerkreisen schon von Mund zu Mund weitergegeben worden. Dennoch hatte Kammerer wenige Tage vor seinem Selbstmord, nämlich um den 20. September, der sowjetischen Botschaft in Wien einen Besuch abgestattet und »gab mit großem Eifer Anordnungen über die Art der Verpakkung und den Transport der wissenschaft lichen Instrumente und Apparate, die er für sein künftiges Experimental-Institut in Moskau bestellt hatte«. Er sollte am 1. Oktober in Rußland mit seiner Arbeit beginnen. Mit anderen Worten, die Akademie der Wissenschaften der UdSSR hatte seine Berufung keineswegs zurückgenommen, obwohl die Entdeckung der Fälschung sechs Monate und die Veröffentlichung sechs Wochen vorher erfolgt waren, also genug Zeit vorhanden gewesen war, um Kammerer fallenzulassen. Auch wenn ein Vertrag unterschrieben worden war, so wäre es den Russen doch ein Leichtes gewesen, Ausflüchte zu finden, um 194
die Angelegenheit hinauszuzögern. Statt dessen stellten sie Kammerer die Mittel für den Ankauf der Institutseinrichtung zur Verfügung und überließen es ihm, die notwendigen Anordnungen für deren Verpackung im Botschaftsgebäude zu treffen. Offensichtlich war ihr Vertrauen in ihn unerschüttert, und wir können annehmen, daß sie dafür ihre guten Gründe hatten. Schließlich genoß das Pawlow-Institut einen weltweiten Ruf und würde gewiß nicht einen Mann mit einem Lehrstuhl und dem Bau einer neuen Versuchsstation beauftragt haben, wenn man ihn für einen Betrüger gehalten hätte. Die Russen ließen sich durch den Skandal nicht abschrecken ; es war vielmehr Kammerer, der in einem seiner Abschiedsbriefe – an die Sowjetische Akademie gerichtet – schrieb, obwohl an der Fälschung nicht beteiligt, halte er sich doch nicht für geeignet, die ihm angetragene Position anzunehmen. Was machte die Russen so sicher ? Es könnte sein, daß sie ihre eigenen Informationsquellen innerhalb der Biologischen Versuchsanstalt besaßen – ein Parteimitglied oder jemanden, der mit ihnen sympathisierte. Es wäre ein völliger Bruch ihrer Gewohnheiten gewesen, hätten sie einem Ausländer eine höchst verantwortungsvolle Stelle anvertraut, ohne über ihn ein Dossier mit Geheimberichten anzulegen, das auch routinemäßig Informationen über seine politischen Ansichten, seine Freunde, sein Privatleben und so weiter umfaßte. Die Betrugsanschuldigungen müssen natürlich darin aufgeschienen und behandelt worden sein. Durchaus nicht unmöglich, daß Kammerers Dossier auch Informatio195
nen aus eingeweihten Kreisen enthielt, geeignet, die für seine Ernennung Verantwortlichen über diese Frage zu beruhigen. Das ist natürlich reine Mutmaßung. Aber das Vertrauen der notorisch mißtrauischen Russen in Kammerer ist schwer zu erklären – es sei denn, sie hatten guten Grund zu glauben, daß jemand anderer die Tusche injiziert hatte.
10. Kapitel
1 In der Operette Das Dreimäderlhaus macht Franz Schubert allen drei unverheirateten Töchtern seines Hausherrn den Hof. Diesen Rekord brach Kammerer, indem er sich hintereinander in alle fünf Wiesenthal-Schwestern verliebte. Vier der berühmten Geschwister waren Ballettänzerinnen, die fünfte spielte Geige. Die älteste, Grete Wiesenthal, war Primaballerina und Ballettmeisterin der Wiener Oper ; später gründete sie eine eigene Schule, in der sie einen neuen Tanzstil – den Wiesenthalstil – lehrte. Sie führte darüber hinaus auch einen der letzten literarischen Salons in Wien. »Ich glaube, Vater war in jede von ihnen verliebt«, sagt Lacerta. Er brauchte anscheinend zehn Jahre, um – sozusagen durch einen Prozeß der Elimination – zu der Entscheidung zu gelangen, daß Grete jene war, die er wirklich wollte. Zumindest zwei der Wiesenthal-Romanzen blieben nach Lacertas Angaben rein platonisch. Mit Dreißig komponierte Paul Kammerer einen Tanz – den »Wiesenthal-Ländler«, den er Bertha, einer der jüngeren Wiesenthal-Schwestein, widmete. Die Partitur ist aber freilich mit einem Motto versehen : »Du mit Deiner süßen, merkwürdigen Schwester, Bertha«, einem 197
Zitat nach dem Dichter Peter Altenberg, der zu dem Kreis um die Wiesenthals gehörte. Das gibt der Widmung einen doppelten Sinn und läßt einen in Zweifel darüber, wer eigentlich mit diesem »Du« gemeint ist, die die »süße, merkwürdige Schwester« hat. Gleichviel – Kammerer sprach später von Bertha als der »Eisjungfrau« ; also war das offenbar ein Mißerfolg. Mit Elsa scheint es ähnlich gegangen zu sein ; sie heiratete den bekannten Maler Rudolf Huber. Von seiner Hand stammen Porträts von Kammerer und Felicitas. Die Familien Kammerer, Huber und die vier anderen Wiesenthalschwestern »trafen sich regelmäßig zum Tee und luden sich reihum ein«. Dann heiratete auch die jüngste – Martha –, »und erst als sie schon verheiratet war, verliebte sich mein Vater in sie«. Obwohl er verarmt war, machte er ihr doch extravagante Geschenke. Über Hilda (die Geigerin) erfahren wir nichts. »Grete war die älteste und zugleich die letzte, die in Erscheinung trat.« Aber als sie auf die Szene kam, nahm die Komödie eine tragische Wendung. Grete Wiesenthal war damals vierzig und auf dem Gipfel ihres Ruhms. Sie war mit dem schwedischen Architekten Somerskjöld verheiratet, der hier weiter keine Rolle spielt. Inwieweit sie Kammerers Gefühle erwiderte, wissen wir nicht. Lacerta sagt, daß »er sie sehr geliebt hat, sie hingegen hat das auf die eine oder die andere Weise nicht hinreichend erwidert«. Immerhin reichte es, um ihre Liaison in Wien stadtbekannt zu machen. In einigen Nachrufen wird sogar angedeutet, 198
der Grund für seinen Selbstmord sei ihre Weigerung gewesen, ihm nach Moskau zu folgen. Aber angesichts der seelischen Zerrüttung, in der er sich gegen Ende seines Lebens befand, wäre es müßig, nach einem einzigen Grund zu suchen. Soweit wir wissen, hinterließ er vier Abschiedsbriefe (abgesehen von der kurzen Notiz »an denjenigen, der meine Leiche findet«), und in jedem davon scheint er für seinen Selbstmord andere Gründe angegeben zu haben. Einer der Abschiedsbriefe war an die Moskauer Akademie der Wissenschaft gerichtet. Kammerer bezieht sich darin auf Nobles Enthüllungen und setzt dann fort : »Auf Grund dieses Tatbestandes, darf ich mich, obwohl ich selbst an diesen Fälschungen meines Belegexemplares unbeteiligt bin, nicht mehr als den geeigneten Mann ansehen, Ihre Berufung anzunehmen. Ich sehe mich aber auch außerstande, diese Vereitelung meiner Lebensarbeit zu ertragen, und hoffentlich werde ich Mut und Kraft aufbringen, meinem verfehlten Leben morgen ein Ende zu bereiten.« Ein weiterer Brief war für Felicitas bestimmt. Nur ein kurzer Auszug aus seinem Inhalt ist bekannt, der in der veröffentlichten Version lautete, »daß er außerstande sei, der Berufung nach Moskau zu folgen. Er fühle sich zu stark an Wien gebunden, und in diesem Widerstreit der Pflichten bleibe ihm nichts anderes übrig, als sich das Leben zu nehmen«. 199
Ein dritter Brief ging an seinen Freund und Vertrauten Baron Willy von Gutmann. »Darin werden in anderen Worten die der Moskauer Akademie gegebenen Gründe wiederholt und ferner ein rein persönlicher, privater Grund genannt, der mit wissenschaft lichen Belangen nichts zu tun hat.« Der vierte Brief war an Grete Wiesenthal gerichtet. Über seinen Inhalt ist nichts bekannt. Als er ankam, war der Absender noch am Leben und wanderte auf dem Schneeberg. Der aufschlußreichste Kommentar erschien zwei Tage nach seinem Tod in der Neuen Freien Presse : DR. KAMMERERS SELBSTMORD
Mitteilungen aus seinem Freundeskreis über die Ursachen der Tat »Prof. Kammerer hat noch in den allerletzten Tagen bedeutende Einkäufe und Bestellungen für sein Moskauer Institut gemacht, und für Donnerstag, den Tag seines Todes, waren Packer bestellt, die seine Bücher und seine Möbel für den Transport nach Moskau herzurichten den Auftrag hatten. Er war vollständig in die Idee der Umsiedlung eingesponnen und hatte einen seiner Wiener wissenschaftlichen Freunde noch in den letzten Tagen aufgefordert, eine wichtige Arbeit auf dem Gebiet der Vererbungslehre mit ihm in Moskau zu beginnen. Das Thema war genau besprochen und die Art der Ausführung bis in die Details festgelegt. Plötzlich meinte er, daß er doch nur kurze 200
Zeit in Moskau bleiben werde. Er hoffte, daß ihm die Arbeit in Moskau die Möglichkeit einer Berufung in ein deutsches Vererbungsinstitut ermöglichen werde, und er schien bestimmten Grund zur Annahme zu haben, daß eine der neugeschaffenen deutschen Universitäten ihm die Pforten öffnen werde. Für den unseligen Entschluß, aus dem Leben zu scheiden, dürfte aber das Moment, daß eine seinem Herzen nahestehende Wiener Künstlerin sich nicht entschließen konnte, mit ihm nach Moskau zu übersiedeln, maßgebend gewesen sein, und die psychische Depression, welche ihn schon vor drei Jahren zu einem Selbstmordversuch mit Veronal veranlaßte, dürfte plötzlich Herrin über seine Entschlüsse geworden sein.« Daraus scheint hervorzugehen, daß er bis zur letzten Minute gehofft hatte, Grete Wiesenthal würde doch noch zustimmen und mit ihm nach Moskau übersiedeln. Diese Hoffnung mag von vornherein Illusion gewesen sein ; jedenfalls machte ihre Weigerung das Maß voll. An ebenjenem Donnerstag, an dem die Packer seine Möbel für den Transport herrichteten, wanderte er auf dem Schneeberg umher, bis er den Mut zu der Tat fand. Ein makabres Detail bleibt noch zu erwähnen. Am Tage nach seinem Tod berichteten die Wiener Abendblätter :
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WIE DR. KAMMERER DIE TAT BEGING
»Über die Tat selbst werden folgende Einzelheiten bekannt : Dr. Paul Kammerer ist Mittwoch abend nach Puchberg gekommen und im Hotel »Zur Rose« abgestiegen. Donnerstag vormittag machte er einen Spaziergang, von dem er nicht mehr zurückkehrte. Er benützte einen schmalen Fußweg, welcher von Puchberg am Theresienfelsen vorüber zum Himberg führt. In der Nähe des Theresienfelsens setzte er sich am Wege nieder und führte die Tat aus. Dr. Kammerer wurde um 2 Uhr nachmittag von einem Puchberger Arbeiter, der diesen Weg hätte ausbessern sollen, in sitzender Stellung tot aufgefunden. Mit dem Rücken lehnte er an der Berglehne, und in der rechten Hand hielt er noch den Revolver. Obwohl er die Pistole in der rechten Hand hatte, befindet sich die Einschußöffnung an der linken Kopfseite, oberhalb des Ohres. Der Schußkanal führt durch den Kopf, und die Ausschußöffnung befindet sich an der rechten Schläfe. Durch den Schuß wurde auch das rechte Auge verletzt. Der Tod muß sofort eingetreten sein.« In einem anderen Blatt heißt es dazu : »Dr. Kammerer dürfte den Selbstmord auf ziemlich komplizierte Weise ausgeführt haben, da er die Pistole in der rechten Hand hielt, während die Einschußstelle an der linken Kopfseite oberhalb des Ohres sich befindet …« usw. 202
Eine komplizierte Methode, bei der man Gefahr läuft alles zu verpfuschen. Das muß jedem, der auch nur ein wenig von der Anatomie des Gehirns versteht, einleuchten. Hält man den Arm vors Gesicht, kann man die Waffe nur schwer im richtigen Winkel ansetzen, selbst wenn man dabei vor dem Spiegel steht. Und ein falscher Winkel könnte Erblindung oder ein Leben als Krüppel statt des Todes bedeuten. Ich habe befreundete Mediziner befragt, ob ihnen ähnliche Fälle untergekommen seien. Sie sagten nein. Die einzige halbwegs plausible Erklärung bot auch nicht etwa ein Psychiater an, sondern eine intuitive Frau. Obwohl Kammerer im allgemeinen ein enthaltsamer Mann war, mochte er sich ein wenig Mut angetrunken haben, bevor er sich auf seine letzte Wanderung machte. An den Felsen gelehnt, zögerte er vielleicht lange Zeit, brachte dann mit einer plötzlich weit ausholenden impulsiven Bewegung den Arm vors Gesicht und die Pistole an die linke Schläfe. In dieser Geste liegt viel mehr Grandezza als im einfachen Hochheben des Revolvers, mit der rechten Hand an die rechte Schläfe. Selbst wenn er nicht berauscht war, diese Geste würde nur zu gut zu einer plötzlich aufwallenden Verzweiflungsekstase passen – die mit einem Tusch endete. Sein Tod hatte etwas Melodramatisches an sich, aber das hatte ja sein ganzes Leben. Er war ein Byron unter den Kröten.
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2 William Bateson erlebte Kammerers Ruin nicht mehr. Er starb, vierundsechzigjährig, im Februar 1926, ungefähr zu der Zeit, als Noble entdeckte, daß die Schwielen des letzten Alytes-Exemplars gefälscht waren. Es war ein Pyrrhussieg aus noch ganz anderen, tieferen Gründen. Um 1924 war Bateson zu der Erkenntnis gelangt – und vertraute dies seinem Sohn an, daß »es falsch gewesen ist, sich ganz und gar der Mendelschen Lehre zu verschreiben, denn sie ist eine Sackgasse, die weder die Differenzierung der Arten noch die Entwicklung im allgemeinen erklären kann«. Hans Przibrams letzte Jahre zu schildern, ist ein schmerzliches Unterfangen. Dieser gütige, ein wenig pedantische und weltfremde Mann scheint auserkoren gewesen zu sein, Katastrophe auf Katastrophe erleben zu müssen, die alle – wären sie für die damalige Zeit nicht symptomatisch gewesen – außergewöhnlich anmuten müßten. Przibram war Jude, hatte aber wie Kammerer eine Adelige geheiratet, und zwar eine Gräfin Komarowska aus einer alten polnischen Familie. Solche Verbindungen waren in der alten Monarchie, wo prominente Wissenschaft ler eine viel höhere gesellschaftliche Stellung einnahmen als im Westen, nichts Ungewöhnliches. Die Gräfin war vorher mit einem russischen Prinzen Galitzin verheiratet gewesen. Sie starb 1933 unter tragischen Umständen. Der Ehe entstammten drei Töchter. Przibram heiratete wieder im Jahre 1935 – diesmal 204
eine jüdische Witwe. Der Gefahr, die Hitler für Österreich darstellte, war er sich überhaupt nicht bewußt. Sein früherer Mitarbeiter Paul Weiss, damals an der University of Chicago, machte sich erbötig, ihm eine Position in Amerika zu verschaffen. Przibram lehnte ab ; er wollte nicht glauben, daß Österreich in Barbarei versinken könnte. Als die Nazis 1938 Österreich annektierten, beging der Mann Marguerites, der ältesten Przibram-Tochter, Selbstmord, quälte sich aber noch eine Woche lang, bevor er starb. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch und mußte in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden. Während des Krieges wurde sie zusammen mit den anderen Insassen der Heilanstalt nach Minsk deportiert, von wo niemand zurückkehrte. Der Mann Veras, der zweiten Przibram-Tochter, wurde von den Nazis umgebracht. Vera selbst konnte entkommen ; sie heiratete in zweiter Ehe einen ungarischen Grafen und lebt heute in Kanada. Auch der dritten Tochter Doris gelang die Flucht ; sie ist mit einem österreichischen Diplomaten verheiratet. Kurz vor Kriegsausbruch hatte sich Przibram endlich dazu überreden lassen, mit seiner Frau nach Amsterdam zu emigrieren. Stets voll Hoffnung und Zuversicht, erwartete er bald wieder nach Wien zurückkehren zu können. In der Zwischenzeit setzte er in einem holländischen Laboratorium seine Arbeit über die chemischen Vorgänge in der Zirbeldrüse fort. Selbst als die Nazis Holland besetzten, arbeitete er noch weiter, bis er und seine Frau 1943 in das Konzentrationslager The205
resienstadt deportiert wurden. (Theresienstadt, heute Terezin, liegt in Böhmen, etwa 75 Kilometer nördlich eines Städtchens namens Pribram.) Seine letzte Nachricht ist eine in Amsterdam am 21. April 1943 datierte Postkarte, auf die er in Eile mit Bleistift gekritzelt hatte : »Wir sind eingeladen worden, nach Theresienstadt zu fahren …« Er hatte sie wahrscheinlich aus dem Viehwaggon geworfen, und ein freundlicher Holländer gab sie auf. Im Frühjahr 1944 kam die Nachricht, daß Hans Przibram, 70 Jahre alt, in Theresienstadt gestorben sei. Über die Art seines Todes wurde nichts gesagt. Seiner Frau gelang es irgendwie, sich Gift zu beschaffen ; sie nahm sich das Leben. Sein geliebtes Vivarium, das Zauberer-Institut, ging während der Bombardierung Wiens durch die Russen in Flammen auf. Die Bombenruine verkaufte die österreichische Akademie der Wissenschaften an einen Prater-Schausteller.
Epilog
1 Das Folgende ist eine kurze Zusammenfassung des verwickelten Falles der Geburtshelferkröte. Hat Kammerer sich im Wasser paarende Alytes mit erblichen Brunftschwielen gezüchtet und hat das kritische Belegexemplar diese Schwielen besessen, bevor sich jemand daran zu schaffen machte ? Die Hauptargumente für eine positive Antwort liegen in den heute noch existierenden Photographien der Schnittpräparate, auf denen Merkmale zu erkennen sind, die sich von den Schwielenschnitten anderer Arten unterscheiden, jedoch den rudimentären Schwielen des von Kandler auf freier Wildbahn gefundenen Exemplars ähneln. Damit scheint die Möglichkeit ausgeschlossen, daß Schnitte einer anderen Art für jene von Alytes unterschoben wurden, ganz abgesehen von der Unwahrscheinüchkeit, daß Kammerer, Przibram und die Histologin Fräulein Kermauner sich zu diesem Zweck verschworen hätten. Darüber hinaus legen die Berichte einer ganzen Schar von Biologen, die das Präparat in Wien, Cambridge und London gesehen haben, dafür Zeugnis ab, ebenso wie die von Congdon (1919), Reiffenstein (1922) und B. Stewart in Cambridge (1923) aufgenommenen 207
Photographien. Zwar blieben einige Biologen, die das Präparat unter dem Mikroskop und unter der Lupe betrachteten, skeptisch und meinten, die Rauheiten und Fortsätze seien für Brunftschwielen nicht ausgeprägt genug ; aber niemand bemerkte Spuren von Tusche, die Noble, Przibram und P. Weiss drei Jahre später schon bei »mäßiger Vergrößerung« auffielen und die auch an dem von Professor Hydén experimentell behandelten Exemplaren auff ällig in Erscheinung treten. Ein weiteres Argument, das für die Echtheit des vor und während der Vorträge in England ausgestellten Präparates spricht, ist das große Risiko der Bloßstellung, das Kammerer auf sich genommen hätte, würde er ein gefälschtes Präparat für eine kritische Untersuchung freigegeben haben, gleichgültig, ob die Fälschung nun von ihm selbst oder von jemandem anderen begangen worden war. All dies legt den Schluß nahe, daß die Tusche nach der Rückkehr des Präparates nach Wien von einem Institutsangehörigen in der Absicht, Kammerer zu diskreditieren, injiziert worden war. Das ist auch die Meinung, die der Institutsleiter wiederholt öffentlich und privat ausgesprochen hat. Die Ankündigung des bevorstehenden Besuches von Dr. Noble mag für die Wahl des Zeitpunkts entscheidend gewesen sein, der – im Licht der Ergebnisse der Versuche Hydéns – wahrscheinlich kurz vor Nobles Eintreffen anzusetzen ist. Da Kammerer nicht mehr an der Biologischen Versuchsanstalt tätig war, mußte ihm wohl verborgen geblieben sein, daß sich jemand an seinem Belegexemplar zu schaffen ge208
macht hatte ; deshalb willigte er sogleich in eine histologische Untersuchung ein. Die Möglichkeit, daß er die Injektion in einem verzweifelten Augenblick selbst gegeben haben könnte, läßt sich nicht gänzlich ausschließen. Er konnte den Ruin seiner Sammlung nicht verwinden, und in dem labilen Zustand, in dem er sich während seines letzten Lebensjahres befand, dachte er vielleicht gar nicht daran, daß die »Restaurierung« der Schwiele, die ja einmal existiert hatte, ein Verbrechen sein könnte. Die Wissenschaftsgeschichte kennt ungezählte Beispiele, wo der Natur um einer guten Sache willen nachgeholfen wurde. Gegen diese Annahme sprechen aber die ungeschickte Ausführung der Fälschung, die ständige Gefahr der Entdeckung und vom Psychologischen her die transparente Aufrichtigkeit von Kammerers Wesen, die selbst seine Gegner bezeugten. Meine persönliche Meinung, daß er selbst nicht der Täter war, stützt sich gleichermaßen auf das Bild, das ich mir vom Charakter dieses Menschen gemacht habe, wie auf das vorliegende Beweismaterial. Als ich mit diesem Essay begann, war ich noch nicht dieser Ansicht. Niemand, der in zeitgenössischen Biologiebüchern über Kammerer nachliest, kann an seine Unschuld glauben. Aber je vollständiger das Quellenmaterial aus den Archiven wurde und je mehr Augenzeugenberichte ich von den noch lebenden Beteiligten an dem Drama erhielt, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, daß die Darstellungen in diesen Büchern verzerrt sind, 209
auf lange nach dem Ereignis aus zweiter Hand Gehörtem beruhen und mit den Tatsachen kaum etwas zu tun haben (siehe Anhang 2 »Die Legende«). Ich hatte zu Beginn nicht die Absicht, Paul Kammerer zu rehabilitieren, fand mich aber bald mitten im Versuch, gerade das zu tun. Zeit seines Lebens war er das Opfer einer Verleumdungskampagne durch die Vorkämpfer der neuen Orthodoxie gewesen – eine Situation, die mit deprimierender Monotonie in der Geschichte der Wissenschaften immer wiederkehrt. Seine Gegner weigerten sich zuzugeben, daß er mit seinen Zuchtversuchen einen glaubwürdigen Beweis erbracht habe, waren aber weder imstande noch gewillt, diese seine Versuche nachzuprüfen. Nach seinem unter so tragischen Umständen erfolgten Tod fühlten sie sich nicht mehr dazu verpflichtet. Die Tusche, von unbekannter Hand injiziert, blieb im Gedächtnis ; 15 Jahre experimenteller Arbeit mit Eidechsen, Salamandern, Seescheiden und Kröten konnte man nun schlicht vergessen und mit ihnen die Kampfansage an die Orthodoxie. Ein Gespenst war gebannt. Sein mächtigster und entschlossenster Gegner war einer der Begründer dieser Orthodoxie – William Bateson. Bei einem Rückblick auf die 15 Jahre lang sich hinziehende Kontroverse fällt einem auf, wie groß Batesons strategische Geschicklichkeit war und wie sehr sie Kammerer fehlte. Kammerer war aus purem Zufall auf die Schwielen seiner Alytes aus Wassereiern gestoßen, in einer Versuchsreihe, die einen ganz anderen Zweck verfolgte, nämlich das Fortpflanzungsverhalten der 210
Kröten zu ändern. Er maß den Schwielen ursprünglich wenig Bedeutung bei und betonte während der ganzen Kontroverse immer wieder, daß sie »keineswegs den schlüssigen Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften liefern«. Bateson hingegen ignorierte die Versuche mit Ciona (die Kammerer als die wichtigsten betrachtete) und mit allen anderen Arten, konzentrierte seine Angriffe zunächst auf Salamandra und Alytes und dann lediglich auf die Schwielen der Alytes. Später wieder ignorierte er die Schnittbilder und konzentrierte sich nur noch auf die Lage der Schwielen. Schließlich ignorierte er die Existenz der Schwielen auf dem Handrücken – der »richtigen Lage« – und konzentrierte sich voll und ganz auf den schwarzen Fleck an der Innenfläche, behauptete, er befände sich »an der falschen Stelle« und schlug alle gegenteiligen Argumente in den Wind. Bateson hatte also das Schlachtfeld bestimmt, und es gelang ihm, es immer mehr einzuengen, bis es schließlich zu einer Falle wurde. Aus der Diskussion über die Entstehung der Arten wurde ein grotesker Streit über die Brunftschwielen der Geburtshelferkröte.
2 Angenommen, Kammerers Versuche würden nachgeprüft und bestätigt werden – was würden sie eigentlich beweisen ? Sicherlich nicht, daß die Vererbung im Sinne Lamarcks das alle Entwicklung tragende Prinzip ist. Es 211
gibt so manchen führenden Physiker, der die orthodoxen Theorien der Quantenmechanik, so wie sie heute verstanden wird, ablehnt, was jedoch keineswegs bedeutet, daß damit eine Rückkehr zur aristotelischen Physik gemeint ist. Wenn Darwin in manchen wichtigen Bereichen unrecht hatte, so bedeutet das nicht, daß Lamarck recht hatte. Es kann jedoch bedeuten, daß Lamarck nicht so vollkommen unrecht hatte. Und es wäre immerhin denkbar, daß ebenjene Versuche, die Kammerer so meisterhaft beherrschte, durch die Lücken in der »Weismannschen Barriere« (die verhindert, daß erworbene Merkmale auf den Bauplan künftiger Generationen Einfluß nehmen) durchzuschlüpfen vermögen. Wie dies vor sich gehen soll, kann man sich im Sinne der modernen Biochemie schwerlich vorstellen. Andererseits kommen auch zeitgenössische Biologen heute immer mehr zu der Überzeugung, daß der Darwinismus allein die Entwicklung der Arten nicht zu erklären vermag. Darwin erkannte dies, wie wir uns erinnern (S. 34 f.), als erster – und verfiel deshalb in lamarckistische Ketzerei. Bateson und viele andere folgten ihm darin. Dann kam Mendel. »Nur diejenigen«, schrieb Bateson 1924, »die sich des totalen Dunkels entsinnen, das uns umfing, bevor mit Mendel ein neuer Tag anbrach, können ermessen, was geschehen ist.« Aber nur wenige Zeilen weiter heißt es : »Wiewohl Mendels Analyse all das zuwege brachte, hat sie uns doch nicht die Entstehung der Arten verständlich gemacht.« So schrieb Bateson zwei Jahre vor seinem Tod, als er zu erkennen begann, daß es »falsch gewesen 212
sei, sich ganz und gar der Lehre Mendels zu verschreiben« (S. 147 f.). Aber schon zehn Jahre vorher war seine Enttäuschung über Darwins Lehre von der natürlichen Auslese ebenso groß gewesen wie sein Abscheu vor allem Lamarckismus : »So viele zusammenfließende Linien der Beweise deuten ganz klar auf die zentrale Tatsache der Entstehung aller Lebensformen im Wege eines Entwicklungsprozesses hin, so daß wir uns dieser Einsicht beugen müssen ; was aber nahezu alle wesentlichen Merkmale angeht, … darüber so gut wie nichts zu wissen, müssen wir wohl eingestehen. Der durch unmerkliche, von der Selektion gelenkte Schritte bewirkte Wandel ungezählter Populationen ist, wie viele von uns heute erkannt haben, mit den Tatsachen – der Variation wie der Differenzierung – so unvereinbar, daß wir uns nur über die mangelnde Einsicht derer wundern können, die diesen Gedanken hervorgebracht haben, und über die Geschicklichkeit jener, die ihn uns, wenn auch nur für kurze Zeit, logisch erscheinen ließen.« Bateson prägte den Ausdruck »Genetik« ; W. Johannsen prägte den Ausdruck »Gen«. Auch er wirkte bahnbrechend für den Neodarwinismus im Sinne Mendels. Und auch er erkannte um 1923, daß alle je an der Taufliege – des Genetikers bevorzugtem Versuchsobjekt – induzierten Mutationen entweder schädlich oder unbedeutend waren und daß man sich in höchst un213
wahrscheinlichen, auf keiner empirischen Grundlage fußenden Spekulationen ergeht, wenn man Zufallsmutationen in den Genen als Erklärung des Entwicklungsprozesses gelten läßt : »Ist die gesamte Mendelsche Lehre vielleicht gar nichts anderes als die Feststellung ungezählter Unregelmäßigkeiten, Störungen oder Erkrankungen der Chromosomen, die zwar enorme praktische und theoretische Bedeutung besitzt, aber ohne tieferen Wert ist für das Verständnis der ›normalen‹ Konstitution natürlicher Biotypen ? Weder Mendel noch die seiner Theorie verwandten modernen Erfahrungen mit Mutationen scheinen uns der Lösung des großen Problems der Evolution, der Entstehung der Arten, ernsthaft näherzubringen.« In den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts brach jedoch wieder ein neuer Tag an : Crick und Watson entdeckten die chemische Struktur der DNS (Desoxyribonukleinsäure), der Nukleinsäure in den Chromosomen, Träger der »Erbanlage«, des »genetischen Bauplans«. Weismanns Doktrin, wonach nichts, was dem lebenden Organismus zustößt,*« diesen Bauplan ändern könne, wurde zu Cricks sogenanntem »zentralen Dogma« erhoben, das besagt, daß »die Information nur von den Nukleinsäuren in die Proteine fließen kann (d. h. vom Bauplan zum Baustein), nicht aber vom Protein in die * Außer natürlich einer vernichtenden Katastrophe.
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Nukleinsäure«. Aber Dogmen sind zerbrechliche Gebilde. Am 25. Juni 1970 wurde im New Scientist verkündet : »Zentrales Dogma der Biologie auf den Kopf gestellt.« Dem schloß sich die wissenschaft liche Spalte der Times mit »Schwere Vorbehalte gegen Dogma der Biologie« an und faßte die neu entstandene Situation mit folgenden Worten zusammen : »Es ist verfrüht, die Folgen abzuschätzen, die sich aus dem Nachweis, daß die DNS von der RNS* kopiert werden kann, ergeben können. Aber eines steht zumindest fest : das zentrale Dogma hat die Dinge doch zu sehr vereinfacht.« Was war geschehen ? Drei voneinander unabhängig arbeitende Krebsforschungsteams, und zwar am M. I. T. (Massachussetts Institute of Technology), an der Universität in Wisconsin und an der Columbia University hatten den experimentellen Nachweis erbracht, daß gewisse, im Tierversuch krebserregende Viren, sobald sie in die Wirtszelle eindringen, dort eine eigene vererbbare DNS produzieren können. Dies war bereits sieben Jahre vorher von Howard Temin aus Wisconsin vorausgesagt worden. Der »Teminismus« blieb aber weitgehend unbeachtet, stand er doch mit dem »zentralen Dogma« * Die RNS (= Ribonukleinsäure) ist die »Boten«-Substanz, die die Weisungen der DNS an die Proteinfabriken in den Zellen weitergibt. Laut »zentralem Dogma« kann die Informationsübertragung nur in einer Richtung erfolgen : von der DNS zur RNS und von dort zum Protein.
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in Widerspruch und roch noch dazu nach lamarckistischer Ketzerei. Bis eines Tages D. Baltimore vom M. I. T. und Sol Spiegelman, der Leiter des Krebsforschungsinstituts der Columbia University, Temins Behauptung bestätigten. Plus ça change … Es wäre natürlich unsinnig, nun den Sprung zu der Schlußfolgerung zu machen, daß, weil einige Viren vererbbare Veränderungen in einer Zelle hervorzurufen imstande sind, auch Eltern, die fleißig Klavier üben, musikalische Nachkommen zeugen können. All diese (und noch einige andere) Entdeckungen zeigen lediglich, daß die »Weismannsche Barriere« nicht ganz so undurchdringlich ist, wie die Dogmatiker es gerne sehen würden. Ungefähr zur gleichen Zeit wurden auch in Nature einige grundlegende Arbeiten* veröffentlicht, aus denen Biologen den Anfang vom Ende des Neodarwinismus in seiner gegenwärtigen Form herauszulesen vermeinten. Das Thema ist zu kompliziert, um hier im Detail besprochen zu werden ; es soll daher nur die Einleitung zu Salisburys Artikel wiedergegeben werden : »In der modernen Biologie stehen einander heute zwei Vorstellungen gegenüber, die meiner Meinung nach miteinander völlig unvereinbar sind. Die eine ist das Konzept der Evolution durch natürliche Aus-
* Salisbury, F. B., Nature, 224, 342 (1969). Smith, J. M., Nature, 225, 563 (1970). Spetner, L. M., Nature, 226, 948 (1970).
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lese anpassungsfähiger, ursprünglich durch Zufallsmutationen entstandener Gene. Die zweite ist das Konzept des Gens als Teil eines DNS-Moleküls, wobei jedes Gen in der Anordnung der Reihenfolge seiner Nukleotide einzigartig [spezifisch] ist. Wenn das Leben tatsächlich davon abhängt, daß jedes Gen so einmalig ist, wie es den Anschein hat, dann ist es einfach zu einmalig, um durch Zufallsmutationen entstanden zu sein. Es wäre nichts vorhanden, woran die natürliche Auslese wirksam werden könnte.« Die Argumente, mit Hilfe derer Salisbury aufzeigt, daß Zufallsmutationen und natürliche Auslese allein die Entwicklung nicht in Gang halten können, wenn es da nicht noch ein weiteres Prinzip gäbe, stammen aus der Biochemie und der modernen Informationstheorie. Im wesentlichen sagen sie in sehr anspruchsvoller Form nur das aus, was Waddington, den ich schon früher zitierte (S. 32), bemerkte, nämlich, daß es sinnlos ist, ein Haus bauen zu wollen, indem man Ziegel willkürlich auf einen Haufen wirft. Salisbury setzt fort : »In der Entwicklung des Lebens auf der Erde haben wir es mit Millionen verschiedener Lebensformen zu tun, deren jede auf vielen Genen beruht. Jedoch müßte der Mutationsmechanismus, wie wir ihn uns gegenwärtig vorstellen, hundertfach unzulänglich sein, um in bloß vier Milliarden Jahren auch nur ein einziges brauchbares Gen zustandezubringen.« 217
Professor W. H. Thorpe faßte die gegenwärtige Situation zusammen, als er schrieb, daß wohl Hunderte Biologen in den vergangenen 25 Jahren insgeheim die neodarwinistische Orthodoxie abgelehnt hätten. Einer ihrer beständigsten Kritiker war und ist der hochangesehene Biologe Ludwig von Bertalanff y : »Daß eine so vage, so ungenügend verifizierbare Theorie, die von den ansonsten in der nüchternen Wissenschaft angewendeten Kriterien so weit entfernt ist, zum Dogma wurde, läßt sich meiner Meinung nach nur soziologisch erklären. Gesellschaft und Wissenschaft sind so sehr von Mechanismus, Utilitarismus und freiem Wettbewerb durchdrungen, daß Gott entthront und die Auslese an seine Stelle gesetzt wurde. Andererseits ist symptomatisch, daß die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Zustand der Welt auch in der Evolutionstheorie fühlbar wird. Das erklärt auch, warum führende Entwicklungsforscher wie J. Huxley und Dobzhansky (1967) sich zu dem eher etwas undurchsichtigen Mystizismus eines Teilhard de Chardin hingezogen fühlen. Wenn Unterschiede in der Anzahl der Nachkommen und selektive Vorteile die einzigen Triebkräfte der Entwicklung sind, läßt sich schwer verstehen, warum die Entwicklung jemals über das Niveau des Kaninchens, des Herings oder gar der Bakterien fortgeschritten ist, sind doch diese in ihrer Vermehrungsfähigkeit unübertroffen.«
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3 Nur ein Narr oder ein Fanatiker würde den revolutionären Einfluß des Darwinismus auf unser Weltbild leugnen. Wenn ich mich besonders seiner Mängel angenommen habe, so geschah dies zum einen wegen jener philosophischen Vorurteile, auf die Professor Bertalanff y anspielt, zum anderen aus Gründen, die ich bereits in den ersten Seiten dieses Essays dargelegt habe. Der totalitäre Anspruch der Neodarwinisten, die Entwicklung sei »nichts als« Zufallsmutation plus Auslese, ist – meine ich – endgültig widerlegt, und in zehn oder zwanzig Jahren werden sich Biologen – und Philosophen – wohl fragen, was für eine Umnachtung ihre Vorgänger befallen hatte. Die Darwinsche Auslese zufälliger Mutationen ist ohne Zweifel ein Teil des Entwicklungsbildes, kann aber nicht das ganze Bild sein, ja ist wahrscheinlich nicht einmal ein sehr wichtiger Teil. Innerhalb des riesigen Panoramas der Evolutionsphänomene müssen noch andere Prinzipien und Kräfte tätig sein. Tatsächlich ist auch eine ganze Anzahl solcher Prinzipien von verschiedenen angesehenen Biologen vorgeschlagen und es sind manche davon sogar experimentell nachgewiesen worden. In einem früheren Buch* habe ich einige dieser unabhängigen Theorien zusammengetragen und versucht, sie zu einem Ganzen zu fügen. Ich möchte sie hier nicht noch einmal diskutieren, sondern nur einige Alternativen oder Ergänzungen zur Darwin* Das Gespenst in der Maschine, Teil II : Werden, S. 143 ff.
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schen Theorie, die bisher vorgebracht wurden, erwähnen. Da wäre einmal der sogenannte »Baldwin-Effekt«, den (wie Mendels Artikel) C. H. Waddington und Sir Alister Hardy unabhängig voneinander wiederentdeckt haben. Waddington ließ ihn in seiner Theorie von der »genetischen Assimilation« wieder aufleben und Hardy im »Verhalten als Selektivkraft«. In jüngster Zeit hatten wir den Teminismus, Salisburys Kritik und weitere Beweise für die zytoplasmische Vererbung (z. B. Sonneborn, 1970). Viel diskutiert wurden zu ihrer Zeit auch Garstangs »Pädomorphis-mus«, L. L. Whytes »innere Selektion« und – noch weiter zurück in der Geschichte – Geoffroy de St. Hilaires »loi du balancement«. Mit dieser unvollständigen Aufzählung und ohne jeden Kommentar soll lediglich gezeigt werden, daß im Laufe der Jahre alle möglichen, mehr oder minder plausiblen Korrekturen und Verbesserungen der Lehre Darwins von Biologen vorgeschlagen wurden und daß die naive Version des Lamarckismus, wie sie zu Zeiten Darwins üblich war, nicht die einzige Alternative ist. Alles scheint dafür zu sprechen, daß die Entwicklung das Resultat des Zusammenwirkens unzähliger Kausalfaktoren ist, bekannter, erahnter und bisher völlig unbekannter. Und ich glaube, wir dürfen die Möglichkeit nicht ausschließen, daß unter diesen unzähligen Faktoren sich auch ein bescheidenes Plätzchen für eine Art abgewandelten »Mini-Lamarckismus« findet, als Erklärung begrenzter und seltener Entwicklungsphänomene. Solche Phänomene müssen notwendigerweise selten sein und zwar aus einem simplen Grund, der am 220
besten an Hand einer Analogie zu erklären ist. Unsere wichtigsten Sinnesorgane für das Hören und das Sehen ähneln schmalen Schlitzen, die nur einen sehr begrenzten Frequenzbereich der Schall- und elektromagnetischen Wellen passieren lassen. Aber selbst dieser reduzierte »input« ist noch zuviel. Das Leben wäre unmöglich, wenn wir auf jeden der Millionen Reize reagieren müßten, die auf unsere Sinnesorgane ununterbrochen »in heillosem, surrendem Durcheinander« – wie William James es nennt – einstürzen. Gehirn und Nervensystem wirken daher wie ein hierarchisch angeordnetes Filter- und Auswahlsystem, das einen Großteil des Reizangebots als unbrauchbaren »Lärm« ausscheidet und die brauchbaren Informationen erst in eine verarbeitbare Form bringt, bevor sie an das Bewußtsein weitergegeben werden. Ein typisches Beispiel für diesen Filtriervorgang ist das sogenannte »Cocktailparty-Phänomen« – unsere Fähigkeit, aus dem allgemeinen Lärm eine einzelne Stimme herauszuhören. Mit der »Weismannschen Barriere« bzw. dem »zentralen Dogma« war im Grunde auch nichts anderes gemeint, als daß die Erbsubstanz mit einem ähnlichen Filter vor dem heillosen, surrenden Durcheinander biochemischer Eingriffe geschützt sein müsse, die ansonsten ja die Kontinuität und die Stabilität der Art zerstören würden. Wenn jedwede Erfahrung der Vorfahren den Nachkommen ihren erblichen Stempel aufprägen würde, hätten wir längst ein Chaos der Formen
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und Instinkte. Damit ist aber keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, daß hin und wieder einmal auch das »Cocktailparty-Phänomen« im Entwicklungsprozeß zum Tragen kommt. Das würde bedeuten, daß die »Weismannsche Barriere« vielleicht doch kein absolut undurchdringlicher Wall ist, sondern vielmehr ein ganz feinmaschiger Filter, der nur unter besonderen Umständen durchdrungen werden kann. Einige in der Literatur immer wieder zitierte klassische Beispiele schreien geradezu nach einer »mini-lamarckistischen« Erklärung : »So gibt es zum Beispiel das ehrwürdige Problem, warum die Haut an unseren Fußsohlen viel dicker ist als anderswo. Entstünde diese Verdickung erst nach der Geburt, als Folge der natürlichen Abnutzung, dann gäbe es kein Problem. Es ist aber so, daß die Verdickung der Fußsohlen bereits beim Embryo in Erscheinung tritt, der weder barfuß noch sonstwie herumgeht. Ein ähnliches, noch eindrucksvolleres Phänomen stellt die Hornhaut an den Hand- und Fußgelenken des afrikanischen Warzenschweines dar, auf die sich das Tier bei der Nahrungsaufnahme lehnt ; ferner die Schwielen an den Knien der Kamele, und schließlich – merkwürdigstes von allen – die beiden knollenförmigen Verdickungen, eine vorne, eine hinten, am Unterkörper des Straußes, auf die der ungelenke Vogel sich niederhockt. Alle diese Hornhautbildungen treten – genau wie die dicke Haut an unseren Fußsohlen – bereits beim Embryo in Erschei222
nung. Es handelt sich also um erbliche Eigenschaften. Aber ist es vorstellbar, daß sich diese Hornhautbildungen durch Zufallsmutationen ausgerechnet an jenen Stellen entwickelt haben sollten, wo das Tier sie benötigt ? Oder sollen wir annehmen, es bestehe ein kausaler Zusammenhang – im Sinne Lamarcks – zwischen dem Bedarf des Tieres und der Mutation, die ihn befriedigt ?« Es ist zugegebenermaßen schwer vorstellbar, wie eine erworbene Hornhautverdickung eine Änderung in den Chromosomen bewirken soll. Aber, wie Waddington sagte, »wenn solche Prozesse auch unwahrscheinlich sein mögen, sind sie doch zumindest theoretisch erklärbar. Ob sie in der Natur tatsächlich sich ereignen oder nicht, muß experimentell geklärt werden«. Waddington stellte sogar ein »spekulatives Modell« auf, an Hand dessen er zeigen wollte, wie derartige Veränderungen in der Körperzelltätigkeit die genetischen Vorgänge in den Keimzellen durch im Sinne einer Anpassung wirkende Enzyme beeinflussen können. Nach seinen eigenen Angaben »sollte das Modell lediglich aufzeigen, daß es nicht ganz ungefährlich sein könnte, das Auftreten gezielter (im Gegensatz zu zufälligen) Mutationen unter dem Einfluß der Umwelt a priori auszuschließen«.* * Vgl. auch die Diskussionen im Anschluß an die Vorträge von Bertalanff y und Waddington in Das neue Menschenbild – ein internationales Symposium, herausgegeben von Koestler und Smythies (deutsche Ausgabe 1970 bei Molden).
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Bei Pflanzen sind die Keimzellen nicht vom übrigen Organismus isoliert. Geschlechtszellen können nämlich aus jeder beliebigen Zelle der Schößlingsspitze entstehen. Eine Trennung zwischen Keimzellen und den übrigen Körperzellen findet sich auch keineswegs bei allen Tiergattungen – Flachwürmer oder Süßwasserpolypen sind zum Beispiel imstande, aus faktisch jedem isolierten Körperabschnitt einen vollständigen Organismus einschließlich der Fortpflanzungsorgane zu regenerieren. Die Biologen haben die Wahl entweder zu behaupten, daß die knollenförmigen Wucherungen des Straußes sich aus purem Zufall gerade dort ausbildeten, wo der Vogel sie zum Sitzen braucht, oder zumindest theoretisch die Möglichkeit zuzugeben, daß ganz bestimmte Strukturveränderungen – wie die eben erwähnten Sitzknollen oder die verdickte Haut an unseren Fußsohlen –, die eine Generation nach der anderen erworben hat, doch allmählich durch den Schutzfilter gesickert sind und die genetische Information verändert haben, so daß sie schließlich erblich wurden. Die Biochemie bleibt uns zwar das »Wie« schuldig, schließt aber die Möglichkeit eines im DNS-Code fixierten phylogenetischen Gedächtnisses für ganz bestimmte, lebensnotwendige und anhaltende Reize etwa im Sinne eines entwicklungsmäßigen »Cocktailparty-Effekts« nicht aus. Gäbe es dieses phylogenetische Gedächtnis nicht, wie hätte dann ein so komplexer, eingebauter Instinkt wie der Nestbau oder das Spinnen eines Netzes entstehen können ? Die zeitgenössische Genetik hat für das Problem, wie Verhaltensformen entstanden sind, keine Lösung zu bieten. 224
»Ob solche Prozesse in der Natur ablaufen oder nicht, muß experimentell geklärt werden.« Kammerers Experimente waren dafür ganz besonders gut geeignet, denn Amphibien und Reptilien, ganz zu schweigen von den meeresbewohnenden Seescheiden, sind primitive, genetisch flexible Lebewesen mit unerhörten Regenerationskräften. Darüber hinaus war der anhaltende Reiz, dem er sie aussetzte, ein höchst naturgetreues Abbild des Druckes einer sich ändernden Umwelt, der zu Änderungen in der Entwicklung führen könnte. Als er, noch nicht dreißigjährig, seine ersten Resultate veröffentlichte, ließ er damit »die Biologen in aller Welt aufhorchen«. Wenn seine Versuche einmal bei strengen Kontrollen wiederholt werden – daß dies früher oder später geschehen wird, bezweifle ich nicht –, wird die Wirkung ähnlich sein, nur nachhaltiger. Zur Wiederholung der Ciona-Versuche würde es nicht mehr als ein paar Monate brauchen ; für Salamandra und Alytes wären zumindest zehn Jahre erforderlich. Aber mit automatischer Temperatur- und Feuchtigkeitsregelung könnte sie ein Forscherteam heute so nebenher ohne großen Zeitaufwand durchführen. Lassen wir Kammerer das letzte Wort : »Entwicklung ist nicht bloß ein schöner Traum des vergangenen Jahrhunderts, des Jahrhunderts eines Lamarck, eines Goethe und eines Darwin. Entwicklung ist Wahrheit – nüchterne, herrliche Wahrheit. Nicht erbarmungslose Auslese, die alles Lebendige formt und vervollkommnet, nicht verzweifelter Kampf ums Dasein, der allein die Welt beherrscht. Alles Geschaffene 225
strebt vielmehr aus eigener Kraft nach oben dem Lichte und der Lebensfreude zu und begräbt nur Unbrauchbares im Gräberfeld der Selektion.«
[Der folgende Bidlteil (vier Seiten) befindet sich in der Druckausgabe im 8. Kapitel auf Seite 112 bis 116. Anm. E-Booker]
Dr. Paul Kammerer im Alter von 44 Jahren (1924)
Kammerers Experimente mit Feuersalamandern (Salamandra salamandra) : Bild links zeigt a) normales jugendliches Exemplar bei Beginn der Versuche; b) voll ausgewachsenes Exemplar derselben Generation auf schwarzem Untergrund gezüchtet; die Farbadaption deutlich sichtbar; c) Nachkomme von a) gezüchtet auf gelbem Untergrund; d) Nachkomme von b) gezüchtet wie Elterngeneration auf schwarzem Untergrund.
Bild rechts zeigt e) normales jugendliches Exemplar bei Beginn der Versuche; f) voll ausgewachsenes Exemplar derselben Generation, gezüchtet auf gelbem Untergrund; Farbadaption ist deutlich sichtbar; g) Nachkomme von e) gezüchtet auf schwarzem Grund; h) Nachkomme von f) gezüchtet wie Eltern auf gelbem Grund; i) Exemplar der dritten Generation, aufgezogen wie erste und zweite Generation auf gelbem Grund, kurz nach der Metamorphose.
Photomontage B. Stewart/Cambridge
Kammerers Exemplar von Proteus (Grottenolm) : das Präparat zeigt in voller Deutlichkeit die neugewachsenen Augen; das Exemplar wurde in Cambridge und London 1923 ausgestellt. Photo B. Stewart/Cambridge
Eine Gruppe von Seescheiden (Ciona intestinalis): die Seescheiden zeigen die Regeneration ihrer zuvor amputierten Siphonen; einige der regenerierenden Siphonen zeigen bereits deutliche Verlängerung und sind schlanker als die ursprünglichen Siphonen. Aufnahme aus dem Meeresaquarium von Prof. Cerny, Wien.
Das letzte Exemplar der fünften Generation der »wassergezüchteten Geburtshelferkröte« (Alytes obstetricans), Männchen: am äußeren Rand der Hand sind die Brunftschwielen deutlich zu sehen. Photo Bruno Reiffenstein/Photostudio Wien, aus: Paul Kammerer: »Neuvererbung«, Abdg. 9.
Anhang 1
Das Gesetz der Serie Der Astronom Camille Flammarion erzählt in seinem Buch L’Inconnu et les Problèmes Psychiques die angeblich wahre Geschichte von Monsieur de Fontgibu und dem Plumpudding. Ein gewisser M. Deschamps erhielt einmal, als er noch ein kleiner Bub in Orléans war, von M. de Fontgibu, einem Gast seiner Eltern, ein Stück Plumpudding, das einen unvergeßlichen Eindruck auf ihn machte. Jahre später, als er als junger Mann in einem Pariser Restaurant zu Abend aß, sah er auf der Speisekarte, daß es Plumpudding gab, und bestellte ihn sich prompt. Er kam jedoch zu spät, denn das letzte Stück wurde gerade von einem Herrn, auf den ihn der Kellner diskret aufmerksam machte, verzehrt – es war eben jener M. de Fontgibu, den er seit jenem Zusammentreffen nicht mehr gesehen hatte. Wieder vergingen Jahre. M. Deschamps war eines Abends zum Essen eingeladen, und die Gastgeberin hatte versprochen, als Nachtisch dieses auserlesene Dessert zu bereiten – den berühmten Plumpudding. Bei Tisch erzählte M. Deschamps seine kleine Geschichte und meinte, »alles, was wir jetzt noch zu unserem Wohlbehagen brauchen, ist M. de Fontgibu«. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und herein kam ein greiser, gebrechlicher und 231
völlig verwirrter Herr, der unzählige Entschuldigungen stammelte – M. de Fontgibu, der zu einer anderen Abendgesellschaft eingeladen gewesen war und sich in der Adresse geirrt hatte. Flammarion gehörte zu der geheimen Gilde der Sammler von Koinzidenzen. Unter diesen gibt es die Fanatiker, die genaue Aufzeichnungen persönlicher Erlebnisse führen und einschlägige Zeitungsausschnitte sammeln, um zu beweisen, daß Zufälle »eine Bedeutung haben«, aber auch viele, die das Sammeln als Laster betrachten, dem sie schuldbewußt frönen, meinen sie doch, damit den Gesetzen der rationalen Vernunft zuwiderzuhandeln. Kammerer gehörte zu der ersten Gruppe der Sammler, ebenso wie C. G. Jung. »Ich kam oft (schrieb Jung) in Berührung mit den in Frage stehenden Phänomenen und konnte mich namentlich darüber vergewissern, wieviel sie für die innere Erfahrung des Menschen bedeuten. Es handelt sich ja meist um Dinge, über die man nicht laut spricht, um sie nicht gedankenlosem Spotte auszusetzen. Ich war immer wieder erstaunt darüber, wie viele Leute Erfahrungen dieser Art gemacht haben und wie sorgsam das Unerklärliche gehütet wurde.« Ein typischer Fall aus der Sammlung Jungs ist folgender : »Eine junge Patientin hatte in einem entscheidenden Moment ihrer Behandlung einen Traum, in welchem 232
sie einen goldenen Skarabäus zum Geschenk erhielt. Ich saß, während sie mir den Traum erzählte, mit dem Rücken gegen das geschlossene Fenster. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch, wie wenn etwas leise an das Fenster klopfte. Ich drehte mich um und sah, daß ein fliegendes Insekt von außen gegen das Fenster stieß. Ich öffnete das Fenster und fing das Tier im Fluge. Es war die nächste Analogie zu einem goldenen Skarabäus, welche unsere Breiten aufzubringen vermochten ; nämlich ein Scarbaeide (Blatthornkäfer), Cetonia aurata, der ›gemeine Rosenkäfer‹, der sich offenbar veranlaßt gefühlt hatte, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten gerade in diesem Moment in ein dunkles Zimmer einzudringen.« Kammerer begann seine Aufzeichnungen, als er zwanzig war, und führte sie zumindest bis 1919, als das Gesetz der Serie fertig wurde, fort. Das Buch enthält – mit Absicht oder aus Zufall – genau 100 Beispiele. Im Gegensatz zu vielen anderen Sammlern, die meist eine Vorliebe für dramatische Fälle haben, rekrutiert sich Kammerers Beispielsammlung fast ausnahmslos aus banalen Dingen. Diese Beispielsammlung bildet das erste Kapitel seines Buches, in dem er aus seinen Notizheften in ungezwungener Reihenfolge Koinzidenzen unter verschiedenen Stichwörtern wie Zahlen, Wörter, Namen, Situationen, Briefe, Träume, Katastrophen und so weiter aufzählt. Zur Illustration seien hier einige angeführt. Sie zeigen, wie nüchtern und prosaisch er an seine Aufgabe heranging : 233
»(2 a) Mein Schwager E. v. W. besuchte am 4. November 1910 ein Konzert im Bösendorfersaal ; er hatte den Sitz Nr. 9, sein Garderobezettel wies gleichfalls die Nr. 9 auf. (2 b) Am 5. November, also tags darauf, besuchte er mit mir zusammen das Philharmonische Konzert im Großen Musikvereinssaal und hatte den (ihm von einem Amtskollegen, Herrn R., überlassenen Abonnements-)Platz Nr. 21, sowie auch 21 als Garderobenummer.« Kammerer erläutert dazu, daß es sich bei den Beispielen 2 a und 2 b um »eine Serie zweiter Ordnung« handle, denn die Übereinstimmung der Sitzplatz- und Garderobezettelnummern trat zweimal, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, auf : »Wir werden bald herausfinden, daß auch solche Häufung von Serien erster Ordnung zu Serien zweiter bzw. n-ter Ordnung etwas Gewöhnliches, wenn nicht Regelmäßiges ist.« »(7) Meine Frau sieht sich im Ordinationszimmer bei Prof. Dr. J. v. H. am 18. September 1916 ›Die Kunst‹ an ; es fallen ihr Reproduktionen von Bildern des Malers SCHWALBACH auf ; sie nimmt sich vor, den Namen zu merken, um gelegentlich die Originale suchen und sehen zu können. Indem öffnet sich die Tür und das Stubenmädchen ruft unter die Wartenden : ›Ist Frau SCHWALBACH anwesend ? Sie soll ans Telephon kommen!‹ 234
(22) Am 28. Juli 1915 erlebte, in ›Stichworten‹ weiterschreitende Serie : (a) Meine Frau hat im Roman ›Michael‹ von Hermann Bang über Frau ROHAN gelesen ; dann in der Stadtbahn einen ihr unbekannten Herrn gesehen, der dem ihr befreundeten Josef Fürsten ROHAN ähnlich sah ; abends kam Fürst ROHAN zu Besuch. – (b) Der Herr in der Stadtbahn, dessen Ähnlichkeit mit Fürst ROHAN meiner Frau aufgefallen war, war von einem andern gefragt worden, ob er Weißenbacb am Attersee kenne und als Sommeraufenthalt empfehlen könne. Aus der Stadtbahn begab sich meine Frau zum Naschmarkt, um Einkäufe zu besorgen, und wurde dort von einem Verkäufer gefragt, wo Weißenbach am Attersee liege – in welchem Kronland nämlich – da er nach dort eine bestellte Sendung aufgeben müsse.«a Nach landläufiger Meinung neigen Zufälle dazu, gehäuft bzw. in Serien aufzutreten. Spieler haben ihre Glückstage, und umgekehrt kommt »ein Unglück selten allein«. Der Titel, den Kammerer für sein Buch wählte, war nahezu ein Klischee : Das Gesetz der Serie. Den Grundgedanken definiert er folgendermaßen : »Die Serie stellt sich als eine gesetzmäßige Wiederholung gleicher oder ähnlicher Dinge und Ereignisse dar– eine Wiederholung (Häufung) in der Zeit oder im Räume, deren Einzelfälle, soweit es nur sorgsame Untersuchung zu offenbaren vermag, nicht durch dieselbe, gemeinsam fortwirkende Ursache verknüpft sein können.« 235
Auf die »gesetzmäßige Wiederholung« kommt es dabei an. Kammerer wollte mit seinem Buch nämlich beweisen, daß sich in dem, was wir traditionell als Zufall oder Serie von Zufällen bezeichnen, in Wirklichkeit ein universelles Naturgesetz manifestiert, das von den bekannten physikalischen Kausalprinzipien unabhängig wirkt. So besehen, sind die »Gesetze der Serie« ebenso fundamental wie jene der Physik, aber bislang unerforscht. Wenn Kammerer von »einzelnen Gliedern einer Reihe« spricht, meint er damit, daß das, was wir als isolierte Zufälle betrachten, bloß die Spitzen des Eisbergs sind, die uns zufällig auffallen, weil wir in unserer traditionellen Denkweise dazu erzogen sind, die allgegenwärtigen Manifestationen der »Serialität«, die uns ansonsten ins Auge springen müßten, zu übersehen. Mit anderen Worten : würden wir bewußt Zufälle sammeln, würden wir uns unversehens in eine Wunderwelt der Serien versetzt finden. So ging also Kammerer daran, die unerforschten »Gesetze der Serie« zu erforschen. Es mag ein exzentrisches Unterfangen gewesen sein, aber er ging methodisch ans Werk wie ein Zoologe, der Systematik betreibt : er klassifizierte Zufälle, wie er die Eidechsen auf den Adria-Inseln klassifiziert hatte. War er ein Byron unter Kröten, so könnte man ihn auch den Linné des Zufalls nennen. Im ersten Kapitel seines Buches stellt er eine Typologie akausaler Übereinstimmungen auf, die sich auf Namen, Zahlen, Situationen und anderes bereits Genanntes beziehen. Darauf folgt ein Kapitel über die Morphologie von Serien. Hier lernen wir zwi236
schen Serien erster, zweiter, dritter usw. Ordnung unterscheiden, die entsprechend der Anzahl der aufeinanderfolgenden »gleichen oder ähnlichen Dinge oder Ereignisse« eingeteilt werden. Der Fall ROHAN wäre zum Beispiel eine Serie dritter Ordnung (dreimal aufeinanderfolgende Übereinstimmung). Man unterscheidet auch Serien erster, zweiter, usw. Potenz entsprechend der Anzahl der parallelen Übereinstimmungen. So war zum Beispiel die Information über das Verhältnis Kammerers mit der Tänzerin Grete Wiesenthal in einem Brief enthalten, den Lacerta am 24. Juni 1970 aus Australien schrieb. Unabhängig davon erhielt ich am gleichen Tag die gleiche Mitteilung von Professor Paul Weiss bei einem Abendessen. Am selben Abend wurde eine halbe Stunde später im österreichischen Fernsehen verlautbart, daß Grete Wiesenthal im Alter von 85 Jahren in Wien verstorben sei. – Damit wurde daraus eine »Serie dritter Potenz«. Serien kann man außer nach ihrer Ordnung oder Potenz auch nach der Anzahl ihrer Parameter einteilen, das heißt, nach der Anzahl der gemeinsamen Attribute. Dazu Kammerers Fall 45 : Während der Ferien im Jahre 1906 wurde die 1846 geborene, ledige Baronin Trautenburg von einem stürzenden Baum verletzt ; an einem anderen Ort wurde die Baronin Riegershofen, auch 1846 geboren und auch ledig, von einem stürzenden Baum verletzt. Vier Parameter : Baronin, ledig, Alter, Baum. Noch auff älliger ist Kammerers Beispiel 10 von den zwei jungen Soldaten, die 1915 voneinander unabhängig ins Lazarett von Kattowitz in Böhmen eingeliefert wurden. Sie waren einan237
der vorher nie begegnet, waren beide 19 Jahre alt, beide an schwerer Lungenentzündung erkrankt, beide aus Schlesien, beide waren Freiwillige, waren beim Train und hießen beide Franz Richter. Sechs Parameter. Nach der Typologie und Morphologie folgt eine Systematisierung der Serien in homologe und analoge, reine und gemischte Serien, umgekehrte, alternierende, zyklische und phasische Serien, und so weiter. Kammerer verbrachte viele Stunden in öffentlichen Parkanlagen, wo er auf einer Parkbank sitzend die Anzahl der Leute notierte, die in beiden Richtungen an ihm vorbeischlenderten, und sie nach Geschlecht, Alter, Kleidung, ob sie Regenschirme trugen oder Pakete, klassifizierte. Das gleiche tat er auf seinen langen Straßenbahnfahrten von der Vorstadt zu seinem Arbeitsplatz. Dann analysierte er seine Tabellen und fand heraus, daß sich bei jedem Parameter das typische Phänomen der Zusammenballung zeigte, das den Statistikern, Spielern und Versicherungsgesellschaften so vertraut ist. Er berücksichtigte dabei natürlich mögliche Kausalfaktoren wie Hauptverkehrszeit, Wetter usw. Der theoretische Wert dieser mühevollen Klassifikationsarbeit ist schwer abzuschätzen. Die Schwächen im System findet man leicht : wie viele Parameter hat zum Beispiel Jungs ans Fenster klopfender Skarabäus ? Probleme dieser Art sind immer schon an der quantitativen Bewertung formaler Ähnlichkeiten gescheitert. Kammerer war in den Feinheiten der Wahrscheinlichkeitstheorie nicht genug bewandert. Er konnte daher auf das klassische Argument der Skeptiker keine über238
zeugende Antwort geben, wonach, wenn man nur lange genug wartet, selbst die unwahrscheinlichsten Kombinationen aus purem Zufall wieder einmal auftreten müssen – sei es nun der Skarabäus am Fenster oder der Höcker bei einem Strauß. So berechtigt die Skepsis heute sein mag, vielleicht findet dieser erste Versuch einer systematischen Einteilung akausaler serieller Ereignisse in Zukunft einmal ein unerwartetes Anwendungsgebiet. Immerhin hielt Einstein sehr viel von Kammerers Buch und bezeichnete es als »originell und durchaus nicht absurd«. Vielleicht erinnerte er sich daran, daß die nicht-euklidische Geometrie des mehrdimensionalen gekrümmten Raumes, die einige Mathematiker im 19. Jahrhundert als perverse mathematische Spielerei ersannen, die Grundlage für seine Kosmologie schuf. Am Ende des ersten, klassifizierenden Teils von Kammerers »Gesetz der Serie« heißt es : »Bisher rechneten wir mit dem faktischen Ablaufen serialer Wiederholungen, ohne uns um deren ›Warum‹ zu bekümmern. Daß in benachbarten Raumbezirken und Zeitabschnitten Gleiches oder Ähnliches wiederkehrt, haben wir einfach als Tatsache aufgefunden und hingenommen, die jeden ›Zufall‹ ausschließt oder, vielleicht noch deutlicher, den Zufall derart zur Regel macht, daß sein Begriff aufgehoben erscheint.« Im theoretischen Teil seines Buches versucht Kammerer dann, für das »Gesetz der Serie« eine wissenschaft liche 239
Erklärung zu geben. Seine Theorie erweist sich zwar in nahezu allen wichtigen Punkten als unzulänglich, aber dennoch findet man in ihr eindrucksvolle Zeugnisse intuitiver Erkenntnis. Im Physikalischen geht er oft erstaunlich weit in die Irre, und trotzdem bleibt ein paradoxer Nachgeschmack an Überzeugungskraft, Schönheit des Gedankens. Die Wirkung ist am ehesten einem impressionistischen Gemälde vergleichbar, das man aus einer gewissen Entfernung betrachten muß ; stößt man mit der Nase darauf, so löst es sich in ein Durcheinander bunter Farbflecke auf. Seine Theorie beruht auf dem zentralen Gedanken, daß neben und mit dem Kausalitätsprinzip der klassischen Physik ein zweites Grundprinzip im Universum herrscht, das auf die Einheit der Dinge hinwirkt, eine Anziehungskraft, vergleichbar der universellen Schwerkraft. Während aber die Schwerkraft ohne Unterschied auf jegliche Masse einwirkt, wirkt diese andere universelle Kraft selektiv in dem Sinne, daß sie Gleiches mit Gleichem in Raum und Zeit zusammenbringt. Die Korrelation erfolgt dabei durch Affinität, gleichviel ob die Gleichheit in der Substanz, der Form oder Funktion begründet ist oder symbolischer Art ist. Den modus operandi dieser Kraft, die Art und Weise, wie sie auf die alltäglichen Dinge einwirkt, gibt Kammerer zu, nicht erklären zu können, denn sie wirkt ex hypothesi außerhalb der bekannten Kausalitätsgesetze. Er verweist aber auf Analogien aus verschiedenen Bereichen, wo sich die gleiche Tendenz zur Einheit, Symmetrie und Kohärenz in konventionell kausaler Weise manife240
stiert : von Schwerkraft und Magnetismus über die chemische Affinität, sexuelle Anziehung, biologische Anpassung, Symbiose, Schutzfärbung, Nachahmung und so weiter bis hin zur merkwürdigen Beobachtung, daß alte Ehepaare, Herr und Diener, Herr und Hund einander im Aussehen immer ähnlicher werden – so als ob sie demonstrieren wollten, daß sie auf dem Wege zum »Ich bin Du und Du bist ich« sind. »Es ersteht so das Bild eines Weltmosaiks und Weltkaleidoskops, das trotz stetig wechselnder und ständig neu zusammengestellter Lagen auch immer wieder Gleiches zu Gleichem wirft.« Im Raum bewirkt diese vereinende Kraft eine Häufung von Ereignissen, die durch die Affinität zusammenhängen, in der Zeit ähnlich zusammenhängende Serien. Daher die nicht recht passenwollende Bezeichnung »Serialität« zum Unterschied von Kausalität, die Kammerer für das von ihm postulierte Prinzip wählte. Serien in der Zeit, d. h. die Wiederholung ähnlicher Ereignisse, interpretiert er als Manifestationen periodischer bzw. zyklischer Prozesse, die sich wellenförmig entlang der Zeitachse des Raum-Zeit-Kontinuums fortpflanzen. Wir werden jedoch nur der Wellenkämme gewahr, die in unser Bewußtsein treten und als isolierte Koinzidenzen wahrgenommen werden, während uns die Wellentäler entgehen. (Er kehrt somit das Argument der Skeptiker um, daß wir aus der Vielzahl zufälliger Ereignisse nur jene herausgreifen, die uns be241
sonders wichtig erscheinen.) Die Wellen sich wiederholender Ereignisse können entweder durch kausale oder akausale, d. h. »serielle« Kräfte in Bewegung gehalten werden. Ein Beispiel für ersteres findet sich in den Bewegungen der Planeten und den sich daraus ableitenden Periodenzyklen – Jahreszeiten, Ebbe und Flut, Nacht und Tag. Aber die wellenförmig an-und abschwellende Zahl der mit einem Regenschirm im Park Spazierengehenden und die Glückssträhnen der Spieler haben deutlich keinen kausalen Zusammenhang – solche Wiederholungen treten gemäß der autonomen »Gesetze der Serie« auf. Manche davon sind noch völlig unbekannt, andere betrachtet Kammerer als versuchsweise festgestellt. Den Theorien über bedeutsame Perioden – von der magischen Sieben der Pythagoreer über Goethes Zyklen von guten und schlechten Tagen – bis hin zu den Perioden aus dreiundzwanzig und siebenundzwanzig Tagen von Swoboda und Fliess widmet er ein ausführliches Kapitel. Auch Freud hat bekanntlich an die Periodizität geglaubt und mit Fliess einen umfangreichen Briefwechsel darüber gepflogen, wie man die Zahlen 23 und 27 kombinieren müsse, um für einzelne Zyklen signifikante Daten zu erhalten. (Eigenartigerweise erwähnt Kammerer Freuds Namen nur einmal ganz kurz am Rande.) Kammerer war allerdings zu sehr Entwicklungsforscher, um an Nietzsches »ewige Wiederkehr« glauben zu können. Er erkannte, daß der universellen Tendenz zur Wiederholung und zum symbiotischen Eins-Sein ein entgegengesetzt wirkendes Prinzip gegenüberste242
hen müsse, um das Auftreten des Neuen und Anderen zu erklären. Der Verschmelzung von Ei und Samen zu einer einzigen Zelle folgt ja die Teilung des Zygoten und seine Differenzierung. »Die Erneuerung des Alten ist Erneuerung auch in dem buchstäblichen Sinne, als sie nicht bloß das Vergangene wiederbringt, sondern allemal noch nicht Dagewesenes mit sich trägt. Der Mischung aus Altem und Neuem danken wir das Empfinden des Fortschreitens in der Zeit ; wir hätten es nicht, wenn die Ereignisse mit solcher Kopiertreue zurückkehrten wie die Zeiger der Uhr nach jedesmaliger Ganzbeschreibung ihrer Kreisbahn. So gleicht der Fortschritt des realen Geschehens weder einem Kreisen noch einem Pendeln ; und in seiner graphischen Darstellung nicht so sehr einer zweidimensionalen Wellen- als einer dreidimensionalen Schraubenlinie. Die Windungen wiederholen sich zwar, biegen immer nach derselben Seite des Geschehens um : aber der ehemaligen Lage gegenüber im ganzen immer mehr oder minder weit verschoben ; rückkehrend und dabei doch vorwärts rückend.« Das Buch endet mit einer quasi-messianischen Botschaft : Kammerer gibt seiner Überzeugung Ausdruck, daß das Studium des Gesetzes der Serie die Geschikke des Menschen ändern wird, denn seine Wirkung ist »ein wesentliches Walten und Wirken im ganzen der Welt … Höchstleistungen des Fühlens und Denkens, 243
ans Göttliche ragende Meisterwerke der Kunst wie der Wissenschaft … mit dem Schoße des Weltalls, das alles in der Welt gebar, verknüpft sie alle das Gesetz der Serie.« Wenn Einstein Kammerers Ideen »durchaus nicht absurd« fand, so vielleicht deshalb, weil man im Zeitalter der Relativitäts- und Quantentheorie ganz selbstverständlich in der theoretischen Physik mit anscheinend absurden Vorstellungen operiert, wie der negativen Masse, mit »Löchern« im Raum, mit der rückwärts abrollenden Zeit, mit Wahrscheinlichkeitswellen und subatomaren Vorgängen, für die man keine auslösende Ursache zu nennen vermag. Ein weiterer großer Physiker – Wolfgang Pauli, einer der größten unseres Jahrhunderts* – ging sogar noch einen Schritt weiter. Zusammen mit C. G. Jung entwickelte er 1950 eine Theorie, nach der in der Natur akausale Kräfte wirksam sind, deren Bedeutung der des physikalischen Kausalitätsprinzips gleichkommt. Sie fand ihren Niederschlag in Jungs berühmtem Essay über die »Synchronizität als Prinzip akausaler Zusammenhänge«, in dem Kammerer, dessen Leistung Jung widerstrebend Anerkennung zollt und dessen »Gesetz der Serie« er – allerdings unter anderem Na-
* Er formulierte das sogenannte Pauli-Gesetz (auch das »PauliVerbot« genannt), eine der Säulen der Quantentheorie, für das er 1945 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Er sagte auch die Existenz des Neutrino, des eigenwilligsten unter den »elementaren Teilchen«, voraus, bevor es tatsächlich entdeckt wurde.
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men – übernimmt, ausführlich zitiert wird. Jung definiert die »Synchronizität« als »Gleichzeitigkeit zweier sinngemäß, aber akausal verbundener Ereignisse« oder aber als »zeitliche Koinzidenz zweier oder mehrerer nicht kausal aufeinander bezogener Ereignisse, welche von gleichem oder ähnlichem Sinngehalt sind« … »als Erklärungsprinzip von gleichem Range wie die Kausalität«. Hier wird beinahe wörtlich Kammerers Definition der »Serialität« als »Wiederholung gleicher oder ähnlicher Dinge oder Ereignisse in der Zeit und im Raume« wiederholt – Ereignisse, die – soweit sich feststellen läßt – »nicht durch dieselbe, gemeinsam fortwirkende Ursache verknüpft sein können«. Der Hauptunterschied ist anscheinend, daß bei Kammerer der Schwerpunkt auf zeitlichen Serien liegt (wobei er die Gleichzeitigkeit im Raum durchaus nicht ausschließt), während Jungs Vorstellung von der Synchronizität sich ausschließlich auf gleichzeitige Ereignisse zu beziehen scheint – er erklärt jedoch dann, daß »Synchronizität« nicht dasselbe sei wie »Synchronismus«, sondern sich auf zu verschiedenen Zeiten eintretende Ereignisse beziehen könne. Es ist psychologisch interessant, daß Jung sich veranlaßt fühlte, einen Terminus zu prägen, um dann zu erklären, daß er gar nicht bedeute, was er eigentlich bedeutet. Anscheinend geschah dies, um Kammerers Ausdruck »Serialität« nicht verwenden zu müssen. Ein weiterer Unterschied zwischen Kammerers Buch und Jungs Essay liegt darin, daß Jung versucht, alle akausalen Phänomene dem kollektiv Unbewußten und der extrasensorischen Wahrnehmung zuzuschreiben, 245
während Kammerer sich auf Analogien zu physikalischen Prinzipien wie Schwerkraft, Magnetismus usw. stützt und jegliche parapsychologische Erklärung von sich weist. Hier stoßen wir auf ein weiteres Paradoxon seines komplizierten Wesens. Die eindrucksvollsten und populärsten Beispiele bedeutsamer Koinzidenzen sind wahrgewordene Träume, Vorahnungen, telepathische Erlebnisse und so fort. Kammerer glaubte zwar an die »Serialität« als ein nicht zu leugnendes Prinzip des Lebens, verwarf aber jeglichen Versuch einer parapsychologischen Erklärung als okkulten Aberglauben. Er anerkannte auch nicht die Bedeutung unbewußter Vorgänge, weder im Freudschen noch im »seriellen« Sinn. In seiner Beispielsammlung werden lediglich zwei Träume erwähnt ; in beiden Fällen sind es Bagatellen, in beiden Fällen hatte nicht er sie geträumt. Das Paradoxe ist, daß er sich für einen hartgesottenen Materialisten im philosophischen Sinn hielt. Er war auch, was man einen devoten Atheisten nennen könnte, Freimaurer, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und regelmäßiger Mitarbeiter der Monistischen Monatshefte, der einmal monatlich vom Deutschen Monisten-Bund herausgegebenen Zeitschrift. In dieser Zeitschrift erschien posthum sein letzter Artikel, eine Beschreibung des Darwin-Museums zu Moskau.
Anhang 2
Die Legende Ich erwähnte zu Beginn einmal den berühmten sowjetischen Film Salamandra. Leider ist seine Handlung so absurd, daß seine Beweiskraft gleich Null ist. Ich habe ihn 1932 oder 1933 in Moskau gesehen, erinnere mich aber nur noch dunkel ; deshalb möchte ich – als Kuriosum – den einzigen im Druck darüber erschienenen Bericht zitieren, den ich finden konnte – er entstammt einem unter dem Titel Research and Politics von Richard Goldschmidt im Jahre 1949 in Science veröffentlichten Artikel. Auch dieser Bericht wurde zwanzig Jahre nach dem Ereignis geschrieben, aber in diesem Fall kommt es ja wohl kaum auf Genauigkeit an. Goldschmidt nahm als Ehrengast an dem im Jahre 1929 in Leningrad tagenden, All-Russischen Genetikerkongreß teil : »Als ich eines Tages mit meinem Freund Philiptschenko durch die Straßen ging, sah ich vor einem Kino ein großes Plakat für den Film Salamandra, geschmückt mit Abbildungen dieses harmlosen Lebewesens. Auf meine überraschte Frage, was dies denn sei, lud mein Freund mich kurzerhand ins Kino ein. Wir gingen hinein, und mein Freund übersetzte mir die 247
Dialoge … (Der Film) stellte sich als reine Propaganda für die Doktrin der Vererbung erworbener Eigenschaften heraus. Er bemühte die tragsiche Figur Kammerers, seine Salamander und mischte für die Handlung auch seine Geburtshelferkröten hinein. Welche Bedeutung man diesem Thema beimaß, läßt sich aus der Tatsache ersehen, daß kein Geringerer als der allgewaltige Lunatscharsky, der Volkskommissar für Erziehungswesen, ein höchst gebildeter und intelligenter Mann, das Drehbuch verfaßte, daß dessen Frau die weibliche Hauptrolle übernommen hatte und daß Lunatscharsky, sich selbst darstellend, in einer Szene in Erscheinung tritt. Läßt man die sicherlich wegen der schönen Frau Lunatscharsky eingeflochtene Liebesgeschichte weg, bleibt folgende Handlung : An einer mitteleuropäischen Universität arbeitet ein junger Biologe (Modell Kammerer). Er ist ein wahrer Freund des Volkes und besitzt alle Attribute eines kommunistischen Filmhelden. In Versuchen mit Salamandern ist es ihm gelungen, deren Färbung durch den Einfluß der Umwelt zu ändern. Eines Tages setzt er eine wissenschaftliche Großtat : die erzielte Wirkung erweist sich als erblich. Davon erfährt der Bösewicht des Films, ein Priester, der zu dem Schluß kommt, diese Entdeckung würde das Ende der Macht der Kirche und der privilegierten Klasse bedeuten. Er beschließt dagegen etwas zu unternehmen. In einer Kirche (zu meiner Verwunderung erkannte ich, daß die Aufnahmen im herrlichen Dom zu Erfurt in Thüringen gemacht worden waren) trifft er sich eines Nachts mit 248
einem jungen Prinzen von Geblüt, den zum Assistenten Kammerers ernennen zu lassen ihm gelungen ist. (Zweifellos die typische Tätigkeit eines deutschen Erbprinzen.) Hier in der dunklen Sakristei wird das Komplott geschmiedet. Der Prinz (oder auch der Priester ?) schlägt Kammerer vor, seine wunderbare Entdeckung vor einem akademischen Forum bei einer feierlichen Universitätssitzung zu verkünden, wozu sich der Wissenschaftler gerne bereit erklärt. In der darauffolgenden Nacht dringen der Priester und der Erbprinz in Kammerers Laboratorium ein, zu dem der Prinz den Schlüssel besitzt, da er sich ja als Kammerers ergebener Mitarbeiter ausgibt. Sie öffnen das Gefäß, in dem sich das in Alkohol konservierte Salamanderbelegexemplar befindet, und spritzen ihm Tinte ein. (Offenbar ist ein Salamander photogener als eine Kröte.) In der folgenden Szene sieht man die Universitätssitzung. Die Professoren und der Rektor erscheinen im Talar, der junge Wissenschaftler wird vorgestellt und verkündet in einer brillanten Rede den endgültigen Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften. Als der Applausverklungen ist, erhebt sich der Priester (vielleicht war es auch der Assistent, ich muß mich ja ganz auf mein Gedächtnis verlassen), öffnet das Gefäß, entnimmt ihm den Salamander, taucht ihn in ein Gefäß voll Wasser – und die ganze Farbe rinnt aus. Es entsteht ein Riesentumult, und Kammerer wird mit Schimpf und Schande als Betrüger von der Universität gejagt. Dann sieht man den armen jungen Gelehrten einige Zeit später mit einem seiner früheren 249
Versuchstiere, einem Affen, der ihm ins Elend gefolgt war, auf der Straße betteln. Er ist völlig in Vergessenheit geraten, bis eines Tages eine seiner früheren Studentinnen, eine Russin, eintrifft und ihn sucht. Es gelingt ihr schließlich, ihn in völlig heruntergekommenem Zustand in einer elenden Mansarde ausfindig zu machen. Sie setzt sich sofort in den Zug nach Moskau und spricht bei Lunatscharsky (das ist die Szene, in der er persönlich in Erscheinung tritt) vor, und der Volkskommissar gibt Anweisung, das Opfer kapitalistischer Verfolgung zu retten. In der Zwischenzeit ist Kammerer aber so tief in Verzweiflung versunken, daß er ein Ende zu machen beschließt. Gerade in dem Augenblick, als er Selbstmord begehen will, kommt die russische Studentin mit Lunatscharskys Botschaft zurück und hindert ihn daran, sich das Leben zu nehmen. In der letzten Szene sieht man Kammerer und seine russische Retterin im Zug gegen Osten fahren, und ein großes Transparent verkündet : ›ins Land der Freiheit.‹« So galt Kammerer im Rußland jener Zeit, als Lysenko die Biologen zwang, sich zu seiner Version des Lamarckismus zu bekennen, als Held und Märtyrer. Das war im Westen seinem Ruf natürlich ebensowenig dienlich wie der seinerzeitige Reklamerummel in der amerikanischen Presse. Sein Name verschwand aus den Lehrbüchern. Dort, wo seine Versuche der Vollständigkeit halber in einem geschichtlichen Überblick erwähnt werden, tut man sie gewöhnlich mit wenig Rücksicht 250
auf die Tatsachen mit ein paar abschätzigen Bemerkungen ab. In seinem Buch The Facts of Life (1953), S. 223, vergleicht Professor C. D. Darlington zum Beispiel die Kammerer-Aff äre mit dem berüchtigten Fall des Tichborne-Erben. »Je greifbarer der Schwindel wird, desto unerschütterlicher wird der Glaube jener wenigen, die sich immer noch davon täuschen lassen : credunt quia impossibile. Diejenigen, die darüber heute in Büchern nachlesen, mögen vielleicht deshalb nicht erkennen, daß Kammerer nach jener Diskussion (in der Linnean Society) schon ein verlorener Mann war.« Dabei waren die Sitzungen in Cambridge und in der Linnean Society, wie aus den Augenzeugenberichten und der Korrespondenz in Nature hervorgeht (S. 86), ein nachhaltiger Erfolg. Darlington jedoch vermittelt nicht nur den Eindruck, daß Kammerer »ein verlorener Mann war«, sondern impliziert auch, daß der »greifbare Schwindel« von Kammerer selbst begangen wurde. Jeder Interessent, der etwas über Kammerer erfahren möchte, findet seinen Namen im Index von Darlingtons Buch – allerdings nur einmal, nämlich als Verweis auf die ihn belastende Stelle, die ich eben zitierte. Wie leicht kann einem da entgehen, daß Kammerer noch ein zweite Mal erwähnt wird, allerdings nur im Text, nicht im Index. Die betreffende Stelle findet sich auf S. 236 und besteht nur aus einem einzigen, in einem ganz anderen Zusammenhang stehenden Satz, nämlich : »Kammerers Versuche wurden wahrscheinlich nicht von Kammerer selbst gefälscht.« Kommentar wird keiner hinzugefügt. 251
Den irreführenden Hinweis von Professor H. Graham Cannon auf Kammerers Versuche habe ich bereits an früherer Stelle kurz zitiert (»Kammerers Arbeiten an Alytes wurden zum ersten Mal in einem kurzen Artikel knapp vor dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht«.) Ganz charakteristisch für die häßlichen Anspielungen ist eine Bemerkung über Kammerers Motive für seinen Besuch in Cambridge : »Gerade zu dieser Zeit brach die österreichische Währung völlig zusammen, und so konnte Kammerer es sich kaum leisten, die Einladung abzulehnen.« Aus dem Protokoll des Rates der Cambridge Natural History Society vom 7. Juni 1923 geht jedoch hervor, daß Kammerer für seine Vorträge keinerlei Honorar erhielt. Lediglich seine Reisespesen von Wien nach London und zurück sowie die Ausgaben für seinen Aufenthalt in England vom 25. April bis 11. Mai 1923 im Gesamtbetrag von 16 Pfund, 3 Shilling, 7 Pence wurden ihm erstattet. Nur zum Vergleich : Bateson hatte 50 Pfund für den sicheren Transport des Belegexemplars nach London geboten. Was nun die historische Genauigkeit anlangt, so zitieren wir nochmals Cannon : [Der Betrug] »kam einige Monate später [nach der Sitzung in Cambridge] zutage, als in Amerika nachgewiesen wurde, daß das Exemplar tatsächlich eine Fälschung ist.« »Einige Monate« – das waren in Wirklichkeit drei Jahre und »Amerika« war Wien. Und so geht es weiter. Oder nehmen wir Richard Goldschmidts Version von Kammerers Tod : »Kurz darauf [nach den Enthül252
lungen Nobles] … nahm Kammerer eine Einladung, sich in der UdSSR niederzulassen, an. Über seine dortige Tätigkeit wurde nichts bekannt, außer daß er kurz danach Selbstmord verübte.« Was den Laien so verwundert, ist, daß alle diese Universitätsprofessoren, die ja schließlich nur einen ihrer Mitarbeiter bitten hätten müssen, die Daten in den betreffenden Nummern von Nature nachzuschlagen, sich nicht einmal dazu verpflichtet fühlten. Eine derartige Fahrlässigkeit, wo es um Fakten geht, würde man einem Reporter der Tagespresse nicht verzeihen.
Anhang 3
Das unwiederholbare Experiment Batesons Kronzeuge gegen Kammerer im Fall Geburtshelferkröte war Dr. G. A. Boulenger (1858–1937), damals Kustos der Reptiliensammlung des British Museum (Natural History). Von Geburt Belgier, war er naturalisierter Brite und wurde im Jahre 1894 zum Fellow der Royal Society gewählt. Kurz bevor Bateson die Kontroverse mit Kammerer mit dem Ersuchen eröffnete, ihm eine experimentell veränderte Alytes zu leihen (S. 69), trat er an Boulenger heran und bat ihn um ein Gutachten über Kammerers Arbeiten. Boulenger erwiderte : 2.7. 1910 »Lieber Bateson! Ich bin selbstverständlich an den Arbeiten, die Kammerer in Wien durchführt, äußerst interessiert und habe mir oft gewünscht, nach Wien fahren und sein Vivarium besichtigen zu können. Es wurde mir versichert, daß man seinen Beobachtungen absolut trauen könne. Sie hatten, als Sie mir schrieben, wohl im besonderen seine Ergebnisse in ›Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen‹ (1907) im Sinn, einer bemerkenswerten Arbeit. 255
Falls ich Ihnen bei der Beantwortung irgendwelcher Fragen, in denen Sie nicht klar sehen, behilflich sein kann, werde ich dies mit größtem Vergnügen tun. Wissen Sie, was Bles [Vgl. auch Prof. Hutchinson] in Oxford tut ? Er hat vor ungefähr zwei Jahren die Biologische Versuchsanstalt in Wien besucht und erzählte mir, er wolle einige Versuche auf der Linie Kammerers anstellen. Ich habe schon lange nichts von ihm gehört. Mit den besten Grüßen bin ich Ihr ergebener G. A. Boulenger« Doch unter Batesons Einfluß änderte sich Boulengers Haltung. Batesons Antwort ist nicht erhalten ; der nächste Brief datiert vom 11. Juli : 11. 7. 10 »Lieber Bateson! Ich würde mich sehr freuen, Sie am Mittwoch zu sehen ; meine Frau hofft, daß Sie mit uns en famille zu Abend essen werden (kein Smoking!). Damit wir genug Zeit haben, um uns über K.s Arbeit zu unterhalten, bin ich ab halb sechs zu Hause. Ihr ergebener G. A. Boulenger« Das Ergebnis dieses Abendessens im Kreise der Familie war, daß Boulenger und einer seiner Söhne für eine eingehende Untersuchung der Ergebnisse Kammerers gewonnen wurden. Drei Monate später berichtet Boulenger senior :
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27. 10. 10 »Lieber Bateson! Auf Ihre Anfrage bezüglich der Zeichnung der Salamandra maculosa hin habe ich meinen jüngsten Sohn das Material im Museum sorgfältig untersuchen lassen. Er hat sich eine Methode zur Aufzeichnung der Flecken und Streifen zurechtgelegt, die er Ihnen gerne vorlegen möchte. Wir hoffen, Sie – sobald Sie sich dafür Zeit nehmen können – bei uns zu sehen. Soweit ich es beurteilen kann, ist der Junge zu recht brauchbaren Ergebnissen gekommen, die mit meinem Schema der geographischen Verteilung gut übereinstimmen. Aber vielleicht haben Sie eine bessere graphische Darstellungsmethode vorzuschlagen. Ihr ergebener G. A. Boulenger« Vor Kriegsende gab es keine weiteren Briefe mehr. Jedoch bemühten sich beide Boulengers eifrig, Kammerers Versuche mit Salamandern und Eidechsen zu widerlegen ; in Problems of Genetics zitiert Bateson sie auch beide ausführlich als Zeugen der Anklage (S. 207– 210). So hatte Kammerer zum Beispiel behauptet, daß bei der zweiten Generation der auf gelbem Untergrund gezüchteten Salamandra maculosa die normalerweise unregelmäßig verteilten gelben Flecken sich zu symmetrisch angeordneten, länglichen Streifen vereinigt hätten. Bateson bestreitet die Gültigkeit dieser Feststellung (sein Sperrdruck) : »Bei meiner Rückkehr aus Wien im Jahre 1910 konsultierte ich Herrn G. A. Boulenger senior in dieser 257
Sache, der mir freundlicherweise die schöne Reihe der aus den verschiedensten Gegenden stammenden Exemplare der umfangreichen Sammlung des British Museum zeigte und hervorhob, daß man die in der Natur vorkommenden Farbvarianten in zwei deutlich unterschiedene Typen zusammenfaßt, nämlich eine Varietät, bei der die gelbe Farbe auf dem Körper unregelmäßig verteilt ist, und eine, bei der das Gelb zum Großteil in zwei longitudinalen entweder fortlaufenden oder unterbrochenen Streifen erscheint. Die gef leck te Form ist, w ie er mi r zeigte, in Osteuropa beheimatet, während d i e g e s t r e i f t e F o r m a u s We s t e u r o p a s t a m m t . Herr E. G. Boulenger junior veröffentlichte in der Zwischenzeit eine ausführliche Arbeit über die geographische Verteilung der beiden Formen. Den gefleckten Typus betrachtet er als die typische Form, var. typica, wogegen er für die gestreifte Form die Bezeichnung var. taeniata verwendet … Er zeigt sich überrascht, daß Kammerer diese Eigenarten der geographischen Verteilung der beiden Formen nicht erwähnt. Er ist ferner der Meinung, es sei wahrscheinlicher, daß Kammerers Beobachtungen irgendein Fehler unterlaufen ist, als daß sich die osteuropäische typica im Laufe einer Generation unter dem Einfluß des gelben Untergrundes in die westeuropäische taeniata verwandelt hat.« Dies ist nichts anderes als eine höfliche Formulierung der Anschuldigung, Kammerer habe Exemplare der ei258
nen Varietät für das Exemplar der anderen Varietät unterschoben – wie könnte sonst »ein Fehler bei den Beobachtungen« unterlaufen sein, da doch die angegebenen Veränderungen sich allmählich im Laufe von fünf Jahren einstellten ? Zur gleichen Zeit (1910–1912) arbeitete Boulenger senior fleißig mit Alytes. Diese seine Arbeit fand ihren Niederschlag in einer im Jahre 1912 veröffentlichten Mitteilung an die belgische Académie royal : Observations sur l’accouplement et la pont de l’Alyte accoucheur, Alytes obstetricans. Darin heißt es : »Als ich im vergangenen Juni durch ein hübsches Dorf in der Gegend von Famenne [Südbelgien] kam, entdeckte ich, daß es dort Alytes in großer Zahl gibt, und beschloß, mich im kommenden Jahr einige Tage in dieser Gegend aufzuhalten, um diesen in der Nacht aktiven Froschlurch zu beobachten in der Hoffnung, ihn endlich beim Kopulieren überraschen zu können. Ich setzte diesen Plan letzten Juni in die Tat um, meine Mühe wurde schließlich mit Erfolg belohnt. In Begleitung eines jungen Amateurs, Herrn J. L. Monk aus Birmingham, verbrachte ich sieben Nächte in diesem Dorf, drei davon erwiesen sich unseren Beobachtungen als günstig … Das Wetter war, offen gesagt, wenig geeignet, denn es war recht kühl. Dennoch bot sich uns am vierten Abend, dem 18. Juni, endlich der langersehnte Anblick.«
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Darauf folgt eine sieben Seiten lange, epische Beschreibung des Begattungsaktes mehrerer Geburtshelferkrötenpärchen, die beim Scheine einer elektrischen Taschenlampe beobachtet wurden, und eine scharfe Polemik gegen andere Naturforscher (Demours, Hartmann und Lebrun), die der ungenauen Darstellung des Vorganges bezichtigt werden. Den Angriff auf Kammerer sparte sich Boulenger bis zum Schluß : »Er berichtet, daß er zwei Männchen unmittelbar nach der Besamung die Eier abgenommen und sie aneinandergehängt habe. Darauf legte er sie in Wasser, das er einem Tümpel voller Kaulquappen entnommen hatte. Aber nach fünf bis sechs Tagen waren die Eier zugrundegegangen. Das Mißlingen dieses sowie früherer Versuche brachte ihn »zu der Überzeugung, daß die in Frankreich und Belgien beheimatete Alytes nicht imstande ist, ihre Entwicklung im Wasser zu vollenden. Allem Anschein nach verhält sich die westfälische Alytes anders, obwohl sie der gleichen Art angehört, denn Kammerer scheint bei seinen Versuchen mit letzterer keine Schwierigkeiten zu haben, die Naturgesetze dergestalt zu vergewaltigen.« Bezüglich der von Kammerer angegebenen »schwärzlichen, an der Innenseite des ersten Fingers auftretenden Schwiele entdeckte ich, als ich Gelegenheit hatte, eine Alytes im Begattungsakt sorgfältig zu untersuchen, daß nicht ein Finger, sondern zwei mit der Schamregion des begatteten Weibchens in Berührung treten, eine Tatsache, auf die bisher noch nicht hingewiesen wur260
de. Da die Brunftschwielen, Hautverhärtungen, stets der Begattungsart entsprechen, müßten sie sich folgerichtig an beiden inneren Fingern der Alytes entwikkeln und nicht nur an dem ersten, so wie dies beim Frosch der Fall ist, dessen innerer Finger allein während der Begattung mit der Brust des Weibchens in Kontakt ist. Auf Grund dieser Beobachtung glaube ich berechtigt zu sein, diesen überraschenden Fall einer atavistischen Rückkehr der Alytes zur Wasserkopulation in Zweifel zu ziehen, ein Beispiel mehr für jene oft noch weit wunderbareren Ergebnisse, die bei den Wiener Versuchen erzielt werden.« Dann kam der Krieg und mit ihm brachen alle Verbindungen ab. Man kann Boulenger nicht den Vorwurf machen, wissenschaftlicher Objektivität gegenüber patriotischer Loyalität den Vorzug gegeben zu haben. Nach Kriegsende (am 23. April 1919) schrieb er an Bateson : »Ich weiß nichts von Kammerers neuesten Veröffentlichungen und habe mich auch nicht besonders um ein Exemplar bemüht, da ich mir vornahm, alles, was in Deutschland nach dem Juli 1914 erschienen ist, zu ignorieren.« Diese Einstellung hatte ihn allerdings nicht davon abgehalten, im Jahre 1917, auf dem Höhepunkt des Krieges, einen heftigen Angriff gegen Kammerer, dessen Publikationen er doch ignorieren wollte, zu veröffent261
lichen. Er erschien in Annals and Magazine of Natural History, Ser. 8, Bd. XX, August 1917 unter dem Titel »Remarks on the Midwife Toad (Alytes obstetricans) with Reference to Dr. P. Kammerer’s Publication«. An der Alytes-Front gab es allerdings nichts Neues, was ihn dazu provoziert haben könnte, denn der Krieg hatte allen Experimenten ein Ende gesetzt, und Kammerer veröffentlichte zwischen 1914 und 1918 keinerlei Arbeiten (die in dem Brief an Bateson genannte »letzte« Arbeit stammt aus dem Jahre 1919). Boulengers Angriff im Jahr 1917 war offenbar von anderen als wissenschaft lichen Motiven hervorgerufen. Er beginnt so : »Da ich mich vor kurzem verpflichtet fühlte, Vorsicht bei der Hinnahme der Ergebnisse der Versuche von Dr. Kammerer während der letzten 15 Jahre in Wien anzuraten und Zweifel gegenüber gewissen angeblichen Befunden, die zu überprüfen fast unmöglich scheint, auszusprechen« … »Vor kurzem« bezieht sich auf Boulengers Mitteilung an die Belgische Akademie, die fünf Jahre vorher veröffentlicht wurde, und im restlichen Artikel werden keinerlei neue Fakten vorgebracht. Aber Boulengers Argumentation ist für die Art und Weise, wie die Kontroverse geführt wurde, typisch. »Seit den Tagen Demours [1741–1778], der als erster den Geburtsvorgang der Geburtshelferkröte beobachtete und davon eine sehr unvollständige und un262
richtige Darstellung gab, bis zu Kammerers Beobachtungen wurde dieser komplizierte und wunderbare Akt ohne Zuhilfenahme der Phantasie lediglich von A. de l’Isle (1876), den ich in allen wesentlichen Punkten bestätigen konnte (1912), und Héron Royer (1886) objektiv beschrieben. In den zahlreichen anderen, bisher erschienenen Darstellungen, auf die ich hier nicht näher eingehen muß, hat die Phantasie offensichtlich eine mehr oder minder große Rolle gespielt. Was Kammerer selbst betrifft, bin ich überzeugt, daß er den Vorgang nicht ein einziges Mal zur Gänze eingehend beobachtete, denn sonst hätte er es bestimmt für angebracht gehalten, in irgendeiner Form auf die Diskrepanzen zwischen seinen Beobachtungen und denen de l’Isles hinzuweisen. Da er nicht versuchte, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, indem er es verabsäumte, die Beobachtungen des letzteren nachzuprüfen, gilt für ihn der gleiche Vorwurf, den Spallanzani Demours machte : ›Une observation si intéressante méritait bien d’être répétée, et elle me paraissait plus propre à irriter la curiosité du philosophe qu’à la satisfaire.’« Facit : Da Kammerer sich in keine Polemik gegen die von de l’Isle 1876 veröffentlichte Beschreibung des Brunftverhaltens der Alytes einließ, hat er »den Vorgang nicht ein einziges Mal zur Gänze eingehend beobachtet«. Daß Kammerer Alytes bei der Paarung jemals beobachtet hat, bezweifelt Boulenger auch noch aus einem anderen Grund, 263
weil er nicht angab »wie oft er einen Teil der Nacht in der Versuchsanstalt zubrachte – eine Frage, die der Klärung wert ist, zumal Kammerer ja selbst angibt (1913), daß er nicht in der Versuchsanstalt wohne, sondern in Hütteldorf, zwei Meilen von Wien entfernt, und zumal der Umfang seiner verschiedenartigen Versuche mit Salamandern, Proteus, Alytes, Hyla etc., so scheint mir, während des Frühjahrs und des Sommers insbesondere nach Sonnenuntergang seine nahezu ständige Anwesenheit erfordern würde. Salamander und Alytes kopulieren nie bei Tageslicht.« Es ist fast peinlich, hier erklären zu müssen, daß man von Hütteldorf (genauer gesagt Hütteldorf-Hacking), das zwar verwaltungsmäßig zu den Vororten Wiens zählte, nur ungefähr 20 bis 30 Minuten ins Stadtzentrum fuhr. (Ebenso gut könnte man die Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit eines gelegentlich Nachtdienst machenden Londoner Journalisten in Frage stellen, nur weil er in Hampstead wohnt.) Boulenger bekrittelte auch Kammerers Angaben, daß sich unter den ihm von einem Sammler in Westfalen, Dr. Hartmann, gesandten Exemplaren 14 Männchen und 21 Weibchen befanden, obgleich Alytes-Männchen in der Regel zahlreicher sind als Weibchen : »Ich bin mir bewußt, daß es bezüglich dieser Frage [dem zahlenmäßigen Verhältnis der Männchen zu den Weibchen] widersprechende Feststellungen gibt, unter anderem von Leydig, kann jedoch nur sagen, 264
daß meine Erfahrung voll und ganz mit der Latastes übereinstimmt.« Weil also Lataste 1877 schrieb, daß er mehr Männchen als Weibchen gefunden habe, während Leydig (ohne Quellenangabe) das Gegenteil behauptete, sind Kammerers Angaben suspekt. Aber suspekt aus welchem Grunde ? Etwa, daß er nicht imstande war, ein Männchen von einem Weibchen zu unterscheiden ? Belanglosere Argumente kann man sich wohl kaum mehr ausdenken. Und dennoch zitierte Bateson diesen Artikel als »tiefschürfende und vernichtende Kritik an den Behauptungen Dr. Kammerers«. Viel gravierender ist jedoch Boulengers nächste Unterstellung. Er schreibt (mein Sperrdruck) : »Eine weitere überraschende Behauptung [Kammerers] im Zusammenhang mit den Hartmann-Exemplaren ist, daß a l l e M ä n n c h e n drei Nächte nach ihrem Eintreffen (am 21. April) kopulierten … Bedenkt man die lange Brunftzeit dieser Gattung, muß man sich fragen, wie es denn überhaupt möglich ist, daß eine der Zahl der brünftigen Männchen entsprechende Anzahl Weibchen zur gleichen Zeit laichbereit war ?« Diese angebliche Behauptung Kammerers belegt Boulenger mit zwei Quellenangaben – Kammerers Artikel von 1906, Seite 69, und mit dessen Arbeit von 1909, Seite 454. 265
Schlägt man unter der ersten Angabe nach, findet man (mein Sperrdruck) : »Die Tiere begannen, nachdem sie sich vom Transport erholt hatten, am 21. April mit dem Laichen.« Die zweite von Boulenger erwähnte Stelle bezieht sich lediglich auf frühere Arbeiten. Einige Seiten später (Seite 455), wo es um eine andere Gruppe von 15 AlytesPärchen geht, bemerkt Kammerer jedoch beiläufig, was für jeden Züchter selbstverständlich ist, daß die Tiere – zu verschiedenen Terminen – zwischen 29. April und 6. Mai kopulierten. Lesern von Boulengers Artikel vom Jahr 1917 war wohl kaum zuzumuten, in Kammerers Originalarbeit nachzuschauen – dort hätten sie dann entdeckt, daß die »überraschende Behauptung« frei erfunden war. Was Boulenger erbitterte, war, daß er selbst nicht imstande war, Kammerers Versuche, Alytes aus Wassereiern zu züchten, zu wiederholen. Es gelang ihm offenbar überhaupt nicht, Alytes zu züchten – ob nun im Wasser oder an Land : »Die Zoological Society (in London) erhielt vor einigen Jahren eine Anzahl westfälischer Alytes, die bei demselben Dr. Hartmann eingekauft wurden. Im Gegensatz zu dem was geschah, als sie Kümmerer geliefert wurden, kam es bei unseren nicht zur Fortpflanzung.« Zu Kammerers Angaben, daß die Quappen nach 13 bis 15 Tagen aus den Wassereiern geschlüpft sei266
en, heißt es : »Als ich dies zum ersten Mal las, konnte ich eine solche Behauptung kaum glauben, zumal ich – wie andere auch (d. h. Bateson) – wiederholt, jedoch vergeblich versucht hatte, Alytes hier im Wasser zu züchten. Um mir Gewißheit zu verschaffen, stellte ich 1912 in Belgien – unter meiner Meinung nach günstigen Bedingungen – einen weiteren Versuch an, wobei ich – in Erinnerung an Kammerers Bericht – den Männchen die Eier unmittelbar nach der Besamung abnahm und Wasser aus eben jenem Tümpel verwendete, in dem die Jungen schließlich ausgebrütet worden wären, hätte ich sie nicht der Brutpflege des Männchens entzogen. Dennoch hörte die Entwicklung am 5. oder 6. Tag auf« – siehe Boulengers Bericht an die Belgische Akademie (S. 182 f.). Darauf zitiert Boulenger Kammerers kurze Erwiderung auf diesen Bericht von 1914 : »Junge, im Wasser liegende Alytes-Eier befinden sich in einer unnatürlichen Lage, die man künstlich ausgleichen muß – indem man sie unter sterilen Bedingungen in gekochtem und künstlich durchlüftetem Wasser hält. Nichtsdestoweniger dringen auch dann noch von außen Schimmelkeime ein : jedes befallene Ei muß daher sorgfältig entfernt werden. Trotz Einhaltung dieser Vorsichtsmaßregeln starben weit mehr Eiballen ab und mußten in den Abfalleimer geworfen werden, als Boulenger wohl je zu seinen Versuchen verwendet hat – bis ich endlich mit einigen wenigen Eiern einiger weniger Eierballen Erfolg hatte.« 267
Diese Erwiderung zitiert Boulenger lediglich, um Kammerer vorzuwerfen, er habe sie als Entschuldigung erfunden, als er in die Enge getrieben wurde : »Warum – so könnte man fragen – wurde all dies nicht gleich erwähnt, anstatt den Leser im Glauben zu lassen, daß die Embryonen ihre gesamte Entwicklung ohne Dazutun des Experimentators durchlaufen haben ? Ist es angesichts dieses Beispiels von Oberflächlichkeit, mit der Kammerer seine Versuche beschreibt, verwunderlich, wenn diejenigen, die seinen Behauptungen nicht bedingungslos vertrauen, wie zum Beispiel ich, sie anfechten ?« Dieser Oberflächlichkeit – wenn das überhaupt das richtige Wort dafür ist – macht sich jedoch Boulenger selber schuldig. Zu behaupten, Kammerer hätte nicht von Anfang an auf die heikle Lage der ins Wasser gebrachten Alytes-Eier ausdrücklich hingewiesen, ist einfach unwahr. Er hat dies nämlich sehr wohl schon in seinem ersten, 1906 zu diesem Thema veröffentlichten Artikel getan (Kammerers Kursivdruck) : »Ehe ich mich zur Beschreibung meines nächsten Versuches wende, erübrigt es mir noch, einige technische Bemerkungen zu machen, welche zur richtigen Aufbewahrung der für Entwicklung ohne Brutpflege destinierten Eier anleiten sollen. Ich lege die Eierballen in Glasschalen auf feinen Flußsand, der vor dem Ge268
brauch peinlich reinzuwaschen und behufs Vernichtung von Pilzkeimen zu glühen ist. Der Sand wird durch Bespritzen feucht erhalten, stärker oder schwächer feucht, je nach Art des Versuches. Zur Haltung in dunstgesättigtem Räume wird die Glasschale mit einer gut passenden Glasplatte verschlossen. Bei Haltung im Finsteren wird der Eierballen mit sterilisiertem Fließpapier bedeckt, in welchem Fall letzteres anstatt des Sandes zu besprengen ist. Moos und Erde, die eigentlich naturgemäßen Medien, vermeide ich, weil ich bei dieser Aufbewahrungsmethode die meisten Eier vom Schimmel angegriffen werden sah. Jene Eierballen, welche tagesperiodische Bäder zu bekommen haben, werden alle 24 Stunden einmal, zu beliebiger Tageszeit (jedoch immer zu der nämlichen, einmal gewählten) mit einem Hornlöffel aus der sandgefüllten Schale herausgenommen und für die Dauer von 5 Minuten in eine wassergefüllte Schale gelegt. Bei den finster zu haltenden Eiern wird diese Manipulation in der Dunkelkammer vorgenommen. Immerhin aber verliert man, trotz aller Vorkehrungen, stets einen ziemlich bedeutenden Prozentsatz an Eiern, welche einerseits verdorren, anderseits durch Wucherungen von Schimmelpilzen getötet werden, so daß man, um die Versuche nur überhaupt zu Ende führen zu können, mit einem sehr reichlichen Material versehen sein muß. In noch höherem Grade gilt dies von dem hier nun zu beschreibenden 4. Versuch : Zeitigung der Alytes-Eier ohne Brutpflege des Vaters, im Wasser …« 269
Und in seiner zweiten, 1909 veröffentlichten Arbeit über dieses Thema warnte er nochmals : »Es ist ferner zu wiederholen, daß die Alytes-Eier, so hinfällig sie sich im Wasser zuerst zeigen, so daß in manchen – Schnüren gar keine, in anderen etwa 3–5 Prozent der Eier zur Entwicklung gelangen, im Laufe weiterer Wasser-Laichperioden dort ganz gut fortkommen ; schließlich gehen kaum mehr befruchtete Eier in jeder einzelnen Schnur zugrunde als in Laichklumpen oder -schnüren einer beliebigen anderen Froschlurchart unter natürlichen Bedingungen.« Es ist wahrscheinlich erstaunlich, daß Boulenger diese Warnungen nicht nur nicht berücksichtigte, sondern noch dazu bestritt, daß sie jemals ausgesprochen wurden. Noch erstaunlicher ist freilich, daß das erste der beiden Zitate auf ebenjener Seite 69 des Artikels von 1906 endet, auf die Boulenger hinwies, weil dort angeblich zu lesen sei, daß alle Alytes am gleichen Tag kopulieren. Er konnte also die technischen Anweisungen, deren Existenz er leugnet, gar nicht übersehen haben. Kein Wunder, daß es ihm nicht gelang, Kammerers Versuche zu wiederholen. Aber dies kann man wohl kaum als »tiefschürfende und vernichtende Kritik« auslegen. Am Schluß des Artikels wiederholt Boulenger seine Bedenken bezüglich der Lage der Brunftschwielen und zitiert dabei ausführlich, was Bateson zu diesem Thema zu sagen hatte – ferner bringt auch er nochmals Batesons Brief an Kammerer aus dem Jahre 1910 ins Spiel 270
sowie Kammerers Versäumnis, damals ein Belegexemplar zur Verfügung zu stellen. Obzwar sich Boulenger »oft gewünscht hat, das Vivarium besichtigen« zu können, so hat er es doch nie getan und somit nie Gelegenheit gehabt, sich mit Kammerers spezieüer Pflegetechnik aus nächster Nähe – oder auch mit der Entfernung zwischen Hütteldorf und Wien – bekannt zu machen. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwindet er von der Szene, Kammerers »Erwiderung an Boulenger« (die ich gleich wiedergeben werde) wurde 1919 in jenem langen Artikel veröffentlicht, um den sich Boulenger »nicht bemüht hatte« ; er antwortete auch nie darauf. Sein Sohn, E. G. Boulenger, besuchte jedoch die Versuchsanstalt im Jahre 1922. Obwohl er Kammerers Behauptungen gegenüber ursprünglich skeptisch war, scheint er seine Meinung geändert zu haben, und als er nach Hause zurückkehrte, war er überzeugt, daß »wenn wir immer noch Zweifel haben, Przibram lügen muß«. Er besuchte Kammerers Vortrag und Demonstration in Cambridge, beteiligte sich aber weder an der Diskussion noch an der Kontroverse in Nature*
* Boulenger jun. (der 1946 starb) scheint ein liebenswürdiger, humorvoller Mensch gewesen zu sein. Er machte ausgedehnte Reisen, auf denen er seine Objekte sammelte, nahm dabei immer den Seeweg und fuhr fast ausschließlich auf ausländischen Schiffen. Auf die Frage eines meiner Freunde, der ihn gut kannte, warum er ausländische Schiffe bevorzuge, kam die überraschende Antwort : »Da gibt es diesen Unsinn ›Frauen und Kinder zuerst‹ nicht …«
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Das letzte Dokument in der Boulenger-Kontroverse ist Kammerers in seinem 1919 erschienen Abschlußbericht über Alytes enthaltene Erwiderung. Der Abschlußbericht füllt 45 Seiten des Archivs für Entwicklungsmechanik, acht davon sind einer Erwiderung an seine Kritiker – Boulenger, Bateson und Baur gewidmet. Ich möchte die Erwiderung an Boulenger in extenso mit nur geringfügigen Kürzungen zitieren, da in ihr verschiedene, für die Kontroverse ausschlaggebende Aspekte zusammengefaßt werden (Textstellen in Sperrdruck von Kammerer) :
Erwiderung an G. A. Boulenger »Ich hege große Abneigung gegen eigens zu polemischen Zwecken geschriebene Erörterungen. Dies ist der Grund, weshalb ich verschiedentliche Angriffe, die sich gegen die Exaktheit meiner Ergebnisse und gegen deren theoretische Deutung richteten, bisher unerwidert gelassen habe. Ich wollte die Erwiderungen aufschieben, b i s n i c h t N o t w e n d i g k e i t d e r E r w i d e r u n g als solche, sondern neue Ergebnisse zum Gegenstande es rechtfertigen würden, darauf zurückzukommen. Hinsichtlich der Alytes-Versuche ist die Gelegenheit heute gekommen … Boulenger ist einer der wenigen, die es überhaupt unternahmen, meine Ergebnisse tatsächlich am Objekt nachzuprüfen, ehe sie sie verurteilten. Er nahm zwei (zwei!) Männchen, deren Kopulation er verfol272
gen konnte, die frisch gelegten und befruchteten Eier ab und warf sie ins Wasser. Hierzu verwendete er das Wasser einer Viehtränke (»abreuvoir«),* worin er Alytes-Larven gesehen ; er schloß daraus, dies Wasser müsse für sein Vorhaben besonders geeignet sein. B o u l e n g e r hatte Glück ; denn er sah die Entwicklung anscheinend normal sogar 5–6 Tage weitergehen. Dann erst starben sie ab. Wie ich nämlich schon 1914 in einem kleinen Aufsatze B o u l e n g e r zu antworten Gelegenheit nahm, hätte ich erwartet, daß die Eier unter solch natürlichen Bedingungen in längstens 24 Stunden total verpilzt sein würden. Und bereits 1906 hatte ich von meinen eigenen Schwierigkeiten, die Wassereier von Saprolegniaceen frei zu halten, gesprochen und deren tunlichst sterile Haltung anempfohlen. B o u l e n g e r berücksichtigt diese Stelle nicht … Was jedem Physiologen eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre, war es nicht für B o u l e n g e r , dessen Arbeitsgebiet ihn begreiflicherweise mit den experimentellen Methoden nicht vertraut werden ließ : sogar in a u s g e k o c h t e s , d a n n k ü n s t l i c h d u r c h l ü f t e t e s Wa s s e r dringen von außen noch Schimmelkeime ein ; jedes von ihnen befallene Ei muß sorgfältig entfernt, mit einer feinen Schere aus dem Ballen (der verwirrten Schnur) herausgeschnitten, die Sterilisierung des ganzen Kultur*
Kammerer ist sich nicht bewußt, daß »abreuvoir« auch Tümpel heißen kann. Aber das tut hier nichts zur Sache.
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gefäßes sodann erneuert werden. Trotz Einhaltung all dieser Vorsichtsmaßregeln mußte ich weit zahlreichere Eierballen, nachdem die darin enthaltenen Embryonen abgestorben waren, wegwerfen, als Boulenger wohl je zu seinen Versuchen verwendet hat. Später bessern sich ja die Resultate zusehends ; in späteren Generationen der Tiere mit fertiger Instinktvariation ist die Sterblichkeit der Wassereier kaum größer als diejenige anderer Froschlurcheier, die schon normalerweise ins Wasser abgelegt werden. Bis dahin aber führt ein langer Weg! Gelegentlich einiger Naturbeobachtungen und mit einer Schale voll Tümpelwasser läßt er sich nicht überfliegen! Das Gelingen der Aufzucht aus Wassereiern bildet die Voraussetzung dazu, daß Brunftmännchen späterer Generationen in den Besitz von Daumenschwielen gelangen. Und da Boulenger jene Aufzucht mißlungen war, bezweifelt er unter einem auch gleich die Existenz der Brunftschwiele. Allerdings bringt er noch einen besonderen Grund dafür ins Treffen : ich hatte 1909 die Schwiele nur an einem (dem innersten) Finger beschrieben und abgebildet ; B o u l e n g e r dagegen sah, daß beim Amplexus – abweichend von dem der Frösche – nicht ein, sondern z w e i F i n ger mit der Schamregion des begattet e n We i b c h e n s i n B e r ü h r u n g treten. Diese Feststellung ist an einem einzigen (!) kopulierenden Alytes-Pärchen gemacht, das Boulenger in die Hand nahm. Er meint also : wenn schon Schwielen bei meinen wasserkopulierenden Exemplaren entstanden 274
wären, so hätten sie folgerichtig an zwei und nicht bloß an einem Finger entstehen müssen. Woher nimmt B o u l e n g e r die Sicherheit, daß die Stellung der recht furchtsamen Tiere, als er sie zwecks genauer Besichtigung aufnahm – und ohne sie zur Hand zu nehmen, ist an eine solche Besichtigung nicht zu denken –, sich nicht verschoben hatte ? Woher will B o u l e n g e r wissen, ob beide Finger – die Richtigkeit seiner Beobachtungen also vorausgesetzt – gleichmäßig stark an der Berührung beteiligt waren ? Woher – bei der zweifellosen Variabilität der Alytes-Fortpflanzung (vgl. D ä h n e , der sie aus eigener Wahrnehmung auch für die Kopulationsstellung betont) – s e i n e E i n z e l b e o b a c h t u n g v e r a l l g e m e i n e r n , ihre Gültigkeit auch auf die im Wasser kopulierenden Varianten ausdehnen ? Ich habe gewiß zahlreichere Kopulationen von Alytes – auf dem Lande und im Wasser – gesehen als Boulengers drei Fälle ; und ich habe großen Wert darauf gelegt, sie im Terrarium neben mir zu sehen, statt beim Scheine einer Taschenlampe im Rinnstein einer Dorfstraße und an der zerklüfteten Schwelle einer Hausruine. Ich würde mich aber nicht getrauen, etwas darüber auszusagen, welches regelmäßige Verhalten die (während der Copula auf der Unterseite des Weibchens versteckten) Finger des Männchens an den Tag legen ; in welcher Zahl und Oberfläche sie mit der Haut des Weibchens in Friktion geraten. Die Mannigfaltigkeit in Ausdehnung und Anordnung des Schwielenpolsters, wie sie an meinem hier vorgelegten Materiale zum Vorschein 275
kommt, entspricht vielleicht sogar ebenso vielen Modifikationen der Umfassungslage und -stärke. Boulenger wird den heute beigebrachten Nachweisen gegenüber an der Schwiele wohl nicht mehr Zweifel hegen ; aus ihren Abstufungen aber wird er die fernere Überzeugung schöpfen, daß S c h l ü s s e a u s einem et hologischen auf einen bei ganz anderem Anlasse gewonnenen morphol o g i s c h e n B e f u n d denn doch mit größerer Behutsamkeit zu ziehen sind.« Boulenger hat darauf, wie bereits erwähnt, nicht geantwortet. Wie aus der Literatur hervorgeht, waren Boulenger und Bateson die einzigen Zoologen, die den Versuch unternahmen, Kammerers Alytes-Versuche nachzuprüfen. Bateson hat seine Ergebnisse nie veröffentlicht. Die Textstellen, die ich zitierte, erklären, warum Boulengers Versuche mißlangen. Und sie erweisen ferner, daß – wo Kammerers Versuche als unwiederholbar und suspekt galten – die Schuld bei jenen lag, die sie mit unzulänglichen Methoden zu wiederholen versuchten.
Anhang 4
Die Lage der Schwielen Erinnern wir uns, daß nach der Sitzung der Linnean Society im Jahre 1923 Bateson (Nature, 2. Juni) seinen bis dahin heftigsten Angriff gegen Kammerer veröffentlichte. Er brachte verschiedene Punkte dabei zur Sprache, in der Hauptsache aber ging es um die dunkle Färbung der Haut des umstrittenen Alytes-Präparates, die sich an der »falschen Stelle« befand, nämlich an der Handfläche (Batesons Sperrdruck) : »Zunächst verweise ich darauf, daß die an diesem Präparat sichtbare Struktur nicht wie eine echte Brunftschwiele aussah. Ferner möchte ich betonen, daß sie sich in ungewöhnlicher Lokalisation befand. Sie befindet sich an der falschen Stelle. Ich habe dies in einer Besprechung des Befundmaterials schon aufgezeigt. Bei der Begattung von Batrachiern kommt die Handfläche des Männchens nicht mit dem Weibchen in Berührung (d. h. das Männchen dreht den Handrücken bis zu einem gewissen Grad einwärts). Zur Illustration der Handstellung füge ich eine Photographie (Abbildung 1) bei, auf der ein Rana agilis-Pärchen abgebildet ist, das während der Umfassung getötet und in diesem Zu277
stand konserviert wurde. Sollen die Schwielen ihren Zweck erfüllen, müssen sie sich logischerweise am Rücken und an den Radialseiten der Phalangen, im Bereich des Daumenansatzes – wie zum Beispiel beim gemeinen Frosch –, an der Innenseite des Unterarms oder an gewissen anderen Stellen befi nden, nicht aber an den Handflächen. Es gibt natürlich geringfügige Variationsmöglichkeiten, entsprechend derer sich auch die Lage der Schwielen ändert. Aber an der Handfläche der Alytes wären sie ein ebenso unerwarteter Befund wie ein Haarbüschel auf der Handfläche beim Menschen.« Darauf erwiderte MacBride am 23. Juni. Bezüglich der Struktur der Schwielen wies er darauf hin, daß Bateson jede Erwähnung der von Kammerer gezeigten Schnittpräparate vermied ; und ferner, daß auch bei Rana die Schwiele »wie ein gewöhnlicher Pigmentfleck aussieht, an dem ich durch simples Befühlen mit dem Finger keine Capillae feststellen konnte«. Zur Lage der Schwiele zitiert MacBride Boulenger, der bei verschiedenen Arten Schwielen in unterschiedlicher Lokalisation beschreibt – darunter auch an Körperstellen, die niemals mit dem Weibchen in Berührung kommen. Bateson ging in einer äußerst knappen Antwort vom 30. Juni allen anderen Fragen aus dem Wege und erläuterte lediglich, daß Boulenger mit der »Innenseite« der Finger, an der die Schwiele zu sehen ist, die radiale, nicht aber die palmare Seite gemeint habe. Darauf entgegnete MacBride am 21. Juli, dies sei ganz 278
richtig, »die Schwiele an der radialen Seite des Phalangen erfasse jedoch auch die palmare Seite, wovon sich Dr. Bateson an Hand der Abbildungen Boulengers selbst überzeugen könnte. Dies lernt auch jeder Student, wenn ihm die Brunftschwielen des Rana-Männhens gezeigt werden«. Bateson gab keine Antwort. Am 18. August erwiderte Kammerer – eben aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt – selbst auf Batesons Kritik. Zur Kernfrage schrieb er : »Es ist unrichtig, daß die Schwärzung auf die Handflächen begrenzt ist. (Wie kann Herr Bateson dies behaupten, wo er die Oberseite nicht gesehen hat ?) Richtig ist, daß die Schwiele die Oberseite erfaßt und sich deshalb nicht ›an der falschen Stelle‹ befindet. Es ist unrichtig, daß sich die Schwiele lediglich ›als einheitlich dunkler Fleck‹ darstellt und ›keine kapillaren Strukturen und Dornen aufweist‹ Ich lege eine vergrößerte Photographie bei, aus der die ›Stacheln‹ an der Kante der Handfläche mit bloßem Auge ersichtlich sind!« In derselben Nummer von Nature (18. August) erwiderte auch Michael Perkins auf Batesons Kritik. Perkins soll hier ausführlich zitiert werden, denn sein Brief geht viel mehr ins Detail als die Beiträge der anderen Beteiligten, und man sollte meinen, er hätte den Streit endgültig bereinigt : 279
»Dr. Bateson verweist auf zwei Details, auf Grund derer die Strukturen ›ihrem Aussehen nach nicht natürlichen Brunftschwielen‹entsprechen : 1. daß bei Alytes ein ›einheitlich dunkler Fleck ohne die an echten Brunftschwielen so deutliche Tüpfelung‹ bestehe und 2. daß seine Lage nicht der der Hochzeitsschwiele bei Rana agilis entspreche. Aus Latastes ausgezeichneten Abbildungen (Ann. Sci Nat. (6), torn. 3, pl II, 1876) geht hervor, daß eine einheitlich dunkle Farbe der äußeren Schicht der Schwiele ein typisches Merkmal der Discoglossidae ist (zu denen Alytes zählt), das sie von anderen Anura unterscheidet. Auch bei Bufo vulgaris sind die vollausgebildeten Schwielen einheitlich schwarz. Ich konnte kürzlich nachweisen, daß bei unvollständiger Hypertrophierung der äußeren Epithelschicht, was gelegentlich aus ungeklärter Ursache vorkommt, sich eine totale Hypertrophie induzieren läßt, indem man das Männchen veranlaßt, die Begattungsposition eine oder zwei Wochen lang einzuhalten … Die Schwiele der Alytes aus der Wasserzucht ähnelt der des Scheibenzünglers Bombinator auch insofern, als sie eine komplette schwarze Pigmentschicht in der cutis vera aufweist, die noch zu dem einheitlich dunklen Aussehen beiträgt, das an Alytes so deutlich und charakteristisch erkennbar ist … Die Hornstacheln treten am intakten Präparat ganz deutlich zutage, wie ich selbst wiederholt unter der Lupe und dem Binokularmikroskop feststellen konnte, und wie sich viele andere in meiner Gegenwart 280
überzeugen konnten. Es ist natürlich faktisch unmöglich, sie zu photographieren, da ein nasses Präparat stark glänzt. Jedoch geht aus der Photographie zumindest klar und deutlich hervor, an welchen Hautbezirken sie auftreten. Sie finden sich auf nahezu der gesamten Handfläche, der radialen Seite des inneren Mittelhandgelenks, einem Teil des ersten Phalangengelenks des Daumens, erfassen einen mehr oder minder ausgedehnten Bezirk der ventralen und dorsalen Seite des Unterarms und verlaufen über den dorsalradialen Rand des inneren Handwurzelhöckers. Die Scheibenzüngler zeichnen sich dadurch aus, daß die histologischen Merkmale von Brunftschwielen sich an den verschiedensten Stellen zeigen können, an Kinn, Bauch, Schenkeln, ja sogar an den Zehen. Mit anderen Worten heißt das, daß ihr Auftreten nicht unbedingt von der Berührung jener Stellen mit dem Körper des Weibchens abhängt. Dr. H. Gadow zeigte mir eine Skizze einer Alytes cisternasii, Bosca., bei der sich die Schwiele an der Daumenspitze bildet und die Innenfläche der Hand miterfaßt. Selbst bei der gewöhnlichen Kröte beobachtete ich oft, daß sich die Hochzeitsschwiele bis an die Innenfläche des inneren Handwurzelhöckers erstreckt. Ist es schon fragwürdig, über die anatomische Konstitution Analogieschlüsse zu anderen Tieren zu ziehen, so ist dies in bezug auf deren Gewohnheiten und Stellungen um so gefährlicher. Alytes gehört letzten Endes nicht einmal derselben Unterordnung an wie Rana agilis.« 281
Batesons Erwiderung erfolgte am 15. September. Er tat Perkins’ Brief mit zwei Sätzen ab : »Herr Perkins gibt an, daß die ›Hornstacheln am intakten Präparat deutlich zutage treten‹ Unter all jenen, deren Gutachten mir zugegangen ist, ist er der einzige unabhängige Zeuge, der etwas so Bestimmtes gesehen zu haben behauptet.« In seiner Erwiderung an Kammerer wiederholt Bateson einfach, daß sich die Schwiele »an der falschen Stelle an der Handfläche befindet«, und daß sie »nicht wie eine Brunftschwiele aussieht … Was immer auf dem Handrücken gewesen sein mag, weiß ich nicht.« Das war jener Brief, der mit dem Angebot schloß, für den nochmaligen Transport der Alytes nach London 25 Pfund zu zahlen. Dieses Angebot lehnte Przibram in einem auf Seite 100 wiedergegebenen Schreiben an Bateson ab. Auch Batesons Antwort darauf habe ich zitiert : »… würde ich mein Angebot nur allzugern verdoppeln.« Diese Antwort an Przibram, die am 22. Dezember in Nature erschien, enthielt allerdings auch eine neue völlig unbegründete Anschuldigung, die sich im vorletzten Satz des folgenden Zitates findet (Batesons Sperrdruck) : »In meinem letzten Brief erklärte ich, wie es dazu kam, daß ich hier keine ordentliche Untersuchung [des Präparats] vornahm. Es lagen die unterschiedlichsten Berichte vor, und ich schloß aus dieser Tatsa282
che, daß die Art der schwarzen Markierungen in der Hauptsache eine Interpretationsfrage sei. Erst als ich die Kröte bei der Sitzung der Linnean Society sah und daran das unerwartete und an falscher Stelle, nämlich a n d e r H a n d f l ä c h e befindliche Gebilde entdeckte, wurde mir bewußt, daß es daran doch etwas zu untersuchen gebe. Als ich die damaligen Geschehnisse nochmals überdachte, fiel mir als außergewöhnlich auf, daß dieser Befund, die wirkliche Besonderheit des Exemplars – und um dieser Besonderheit willen wurde es doch wohl gezeigt – von Dr. Kammerer nie erwähnt wurde. Er reiste unmittelbar nach der Sitzung aus England ab.« Diese Formulierung »… von Dr. Kammerer nie erwähnt wurde« schien anzudeuten, daß Kammerer die anstößige Lage der Schwiele an der Handfläche so peinlich war, daß er sowohl in der Vergangenheit wie bei seinem Vortrag stillschweigend über sie hinweggegangen war. Batesons Vorwurf ist aber nachweisbar falsch. Im Manuskript Kammerers, das er in Cambridge und vor der Linnean Society verlas und das am 12. Mai in Nature abgedruckt wurde, heißt es (mein Sperrdruck) : »Aus den vielfältigen Veränderungen, die sich bei dieser Wasserzucht während der einzelnen Entwicklungsphasen – vom Ei zur Larve und vom geschlüpften Jungen zum reifen Tier – allmählich einstellen, will ich nur eine herausgreifen, die obenerwähnte Brunftschwiele des Männchens. Diese ist zunächst 283
auf den innersten Finger beschränkt, aber mit jeder Brunftzeit dreht sie sich weiter aus und erfaßt die anderen Finger, den Daumenballen, ja sogar die Unterseite des Unterarms. Innerhalb dieses Verbreitungsgebietes weist sie eine unerwartete Variabilität auf, sowohl intra- wie auch inter-individuell. Die intra-individuelle Variabilität zeigt sich darin, daß die Kennzeichen von Jahr zu Jahr und – bei fehlender Symmetrie – von der rechten auf die linke Hand wechseln. I c h b e s i t z e e i n E x e m p l a r, a n d e m s i c h d ie du n k le Schw iele über a l le a nderen Pha la ngen u nd na hezu d ie gesa mte li nk e H a n d a u s d e h n t .« Das ist aber noch nicht alles. Professor W. H. Thorpe und die Cambridge Natural History Society gewährten mir freundlicherweise in Kammerers maschinengeschriebenes Originalmanuskript des Vortrages Einsicht. Dort heißt der letzte, eben zitierte Satz folgendermaßen (mein Sperrdruck) : »Ich zeige hier ein Exemplar, an dem die dunkle Schwiele …« (Sichtlich eine Korrektur des Redakteurs von Nature an der Druckfassung eines mündlich gehaltenen Vortrages.) Ebenso unverständlich ist Batesons wiederholt zum Ausdruck gebrachte »Verwunderung« über das »unerwartete und an falscher Stelle, nämlich an der Handfläche befindliche Gebilde«. Einige Monate zuvor hatte der junge Boulenger, wie wir uns erinnern werden, die Versuchsanstalt in Wien besucht und darauf Bateson in 284
einem Brief berichtet, daß er das berühmte Alytes-Exemplar gesehen habe und daß »nahezu die ganze Hand schwarz gefärbt sei«. Es fällt schwer zu glauben, daß Bateson dies vergessen haben sollte. Warum also dann die Verwunderung über das Aussehen des Exemplars – und warum die Weigerung, es wie die anderen zu untersuchen ? Batesons Brief sollte auf Przibram eine verheerende Wirkung ausüben, allerdings erst vier Jahre später. Zunächst muß das darin ausgesprochene demütigende Angebot von ursprünglich 25, später 50 Pfund für den nochmaligen Transport des Exemplars nach London selbst diesen gütigen und ruhigen Mann aufgebracht haben, so daß er die darin enthaltenen Unterstellungen kaum beachtete. Nach Kammerers Selbstmord befand sich Przibram jedoch in einer Krise, hatte er doch seinen ältesten Mitarbeiter, dem er am meisten vertraute, verloren. Darüber hinaus hatte der Ruf seines Instituts unter den Ereignissen schwer gelitten. Przibram scheint mehrere Monate gebraucht zu haben, bevor er den Schlag verwand. In diesem zerrütteten Gemütszustand schrieb er im März 1927 einen Brief an Nature, in dem er einen Überblick über die ganze Aff äre zu geben versuchte. Er führte fünf ins Detail gehende »Beweise« für die Echtheit der Kammererschen Befunde an ; er scheint aber gleichzeitig anzudeuten, indem er Batesons Vorwürfe zitiert, daß Kammerer fehlging, als er die »unrichtige« Lage der Schwiele an dem zurechtgedokterten Exemplar von 1922 an verteidigte : 285
»Im September 1922 wurde eine Aufnahme des wohlbekannten Exemplars gemacht, jedoch nicht in der biologischen Versuchsanstalt, sondern im Photographischen Atelier Reiffenstein, und erst von diesem Zeitpunkt an beginnen die unrichtigen Darstellungen. Andererseits stimmen Kammerers Beschreibungen und Abbildungen der Alytes-Schwielen, die aus der Zeit vor 1919 stammen, nicht mit diesem Exemplar überein … Wir konnten fünf Beweise dafür sammeln, daß Kammerer in seinen ursprünglichen Arbeiten nicht von dem zurechtgedokterten Exemplar beeinflußt war, das seine Ausführungen zu diesem Thema in seinen Büchern über Inheritance of Acquired Characteristics (1924) und Neuvererbung (1925) zunichte macht. Es handelt sich dabei um folgende Beweise : (1) In den ursprünglichen Arbeiten Kammerers wird die Brunftschwiele der Alytes in der Beschreibung und in den Abbildungen dargestellt als ›auf der Oberseite des Daumens und auf dem Daumenballen‹ befindlich (1909, S. 516, Abb. 26 a), ›auf der Oberund Radialseite des ersten Fingers‹ (1919, S. 336) und ›über den Daumenballen hinweg auf der ganzen Innenseite des Unterarms bis nahe zu dessen Beuge‹ (S. 337, Tafel X, Abb. 2) entsprechend dem allgemeinen Aussehen und Auftreten von Brunftschwielen. Selbst 1923, als Kammerer Lichtbilder des kritischen Exemplars vor der Zoological Society in London zeigte, erwähnte er die Anlage der Schwiele auf der gesamten Handfläche nicht (siehe Bateson, Nature, 22. Dezem286
ber 1923 und Brief an Przibram). Erst als die photographischen Aufnahmen dieses Exemplars in seinen Büchern abgebildet wurden (1924, S. 53, Abb. 9 rechts ; 1925, Abb. 9 gegenüber Seite 20), erwähnt und verteidigt Kammerer die unrichtige Lage der Schwiele an der Handfläche und am äußeren Rand des letzten (vierten) Fingers …« Diese recht unklaren Ausführungen sollen anscheinend bedeuten, daß das Präparat schon gefälscht war, als es im Jahre 1922 im Reiffenstein-Atelier photographiert wurde, da auf dieser Photographie der schwarze Fleck an der Handfläche zu sehen ist, der »mit den Beschreibungen und Abbildungen von Brunftschwielen«, so wie sie in Kammerers früheren Arbeiten einschließlich seiner letzten aus dem Jahre 1919 stehen, nicht übereinstimmt. Vor 1919 war Kammerer noch »nicht von dem zurechtgedokterten Exemplar beeinflußt« ; hingegen beginnen von 1922 an »die unrichtigen Darstellungen« [offensichtlich Kammerers unrichtige Darstellungen]. Und erst nachdem das Reiffenstein-Photo des zurechtgedokterten Exemplars in seine Bücher aufgenommen wurde (1924 und 1925), »erwähnt und verteidigt er die unrichtige Lage der Schwiele an der Handfläche«, die er bis zu jenem Zeitpunkt schweigend übergangen hatte. Daraus folgert, daß die Fälschung zwar nicht von Kammerer begangen wurde, er aber entweder nichts davon wußte oder es vorzog, nichts darüber zu verlauten. (Welchen Sinn es gehabt haben soll, den auff älligen ausgedehnten Fleck über der ganzen Hand287
fläche des Exemplars nicht zu erwähnen, dafür hatten allerdings weder Przibram noch Bateson eine Erklärung.) Für Przibram ist das Reiffenstein-Photo der Angelpunkt der ganzen Aff äre, und gerade in diesem Punkt widerspricht dieser Brief seinen früheren Äußerungen. Erinnern wir uns : Im August 1926 verfaßte er einen Parallelbericht zu den in Nature veröffentlichten Ausführungen Nobles. In diesem Bericht stützt Przibram sich auf die fragliche Photographie und nennt sie als einen der wichtigsten Beweise für die Existenz der Schwielen zu der Zeit, als das Exemplar sich noch in seinem ursprünglichen Zustand befunden und sich noch niemand daran zu schaffen gemacht hatte : »Glücklicherweise existieren photographische Aufnahmen, auf denen der Zustand des Präparats vor seiner Reise nach Cambridge und in England zu sehen ist. Eine dieser Photographien wurde in Anwesenheit von Dr. J. H. Quastel im Atelier Reiffenstein (Wien) aufgenommen. Das zugehörige Negativ nahm Herr Dr. Quastel mit nach England, wo es seit April 1923 im Besitze von Herrn M. Perkins (Trinity College, Cambridge) steht. Ein Abzug davon findet sich in Kammerers Neuvererbung, Stuttgart-Heilbronn, W. Seifert-Verlag, 1925 (Abb. 9, gegenüber Seite 20).« Im Anschluß daran zitiert er ausführlich die Aussagen von Dr. Quastel, Michael Perkins und W. Farren (einem Photofachmann aus Cambridge), die erweisen, daß das 288
Photo »keine Spuren einer Retuschierung oder sonstigen Veränderung des tatsächlichen Aussehens der Alytes zeige«. Er zitiert auch Kammerer selbst, der »sich daran erinnert, daß sich die schwarze Substanz auch beim lebenden Tier in gleicher Menge an der gleichen Stelle befand«. Mit anderen Worten : Przibram anerkennt die schwarze Markierung an der Handfläche, wie sie aus der Photographie ersichtlich ist, als echt und nimmt an, daß die Fälschung nach der Rückkehr des Präparats aus Cambridge begangen wurde. Ein und dieselbe Photographie wird also einmal – in Przibrams Brief an Nature im Jahre 1926 – als Entlastungsindiz genannt und einmal – in seinem Brief von 1927 – als Belastungsindiz. Was kann Przibram so verwirrt haben ? Seit Kammerers Tod hatten sich keine neuen Anhaltspunkte ergeben, und Przibram muß das Exemplar mit der geschwärzten Handfläche sowie das davon im Reiffenstein-Atelier aufgenommene Bild unzählige Male gesehen haben. Dennoch war er vorher offenbar nie auf die Idee gekommen, daß sich die Schwiele »an der falschen Stelle« befinde. Nach Kammerers Tod und den häßlichen Gerüchten, die er auslöste, müssen seine Gedanken immer wieder um die Geschehnisse in der Vergangenheit gekreist sein, bis sie sich hoffnungslos verwirrten. Er ging wahrscheinlich im Geiste nochmals die Kontroversen aus dem Jahre 1923 durch, sah sie nun in anderem Licht und entdeckte erst jetzt, daß sich »die Schwiele an falscher Stelle« befand. Zweifellos hatte er seinerzeit den Briefwechsel in 289
Nature verfolgt ; die darin enthaltene Kritik hielt er jedoch offenbar für unzutreffend, ebenso wie er ja auch all die Jahre hindurch an dem schwarzhändigen Tier und dessen Photographie nichts auszusetzen fand. In der Verfassung, in der er sich nun befand, muß Batesons Brief und dessen Unterstellung, daß Kammerer selbst in seinen in England gehaltenen Vorträgen die unaussprechliche Lage der Schwiele »nicht erwähnte«, für Przibram die Aff äre insofern entschieden haben, als es nun den Anschein hatte, daß Kammerer in seinen späteren Jahren fragwürdige Methoden anwendete. Bateson lebte zwar nicht mehr, sein Brief aber wirkte anscheinend auf Przibram wie eine Zeitbombe, die ihn sich mehr und mehr in Widersprüche verwickeln ließ. Trotz alledem verdächtigte er Kammerer selbst nicht einen Augenblick lang der Fälschung. Es ist Przibram hoch anzurechnen, daß er Kammerer, dessen Selbstmord dem Institut so viel Schaden zugefügt hatte, nichts nachtrug und daß er noch in dem Zustande der Verwirrung, in dem er sich damals befand, seinen Brief mit den fünf »Beweisen« für die Gültigkeit der früheren Kammererschen Befunde beschloß ; (d. h. (1) daß sich die Schwielen in der grundlegenden Arbeit von 1919 nicht an der falschen Stelle befinden, (2) eine vor 1919 aufgenommene, in der gleichen Arbeit abgedruckte Photographie, (3) die Mikrotomschnitte der normalen und der wasserkopulierenden Alytes, (4) die Mikrotomschnitte, auf denen der Unterschied zwischen Alytes-Schwielen und Schwielen anderer Arten zu sehen ist, und (5) schließlich Kändlers Schnittbilder der an ei290
ner normalen Alytes vorgefundenen Schwielenansätze). Przibram war nicht unfehlbar, aber von einer masochistischen Ehrlichkeit. Es wäre für den Ruf seines Instituts viel besser gewesen, wenn er einfach gesagt hätte, daß sich Unbekannte an dem Exemplar zu schaffen gemacht haben, und es dabei belassen hätte. In diesem Zusammenhang bleibt noch eines zu erwägen. Kammerer hatte in seinen in England gehaltenen Vorträgen die »nahezu die ganze Hand erfassende Schwärzung« erwähnt. Warum hat er sie dann 1919 in seinem Artikel nicht erwähnt, zumal sie ja seinen eigenen Worten nach in der gleichen Menge an der gleichen Stelle auch beim lebenden Tier zu sehen war ? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage klingt in dem folgenden Ausschnitt aus Kammerers Artikel von 1919 an (Kammerers Sperrdruck) : »Die ersten Exemplare brünftiger Alytes-Männchen, die mir in ihrer Ausstattung mit Brunftschwielen unterkamen, besaßen diese als scharf abgegrenzte, schwarzgraue Verdickung der Ober- und Radialseite des ersten Fingers. Der zweite Finger zeigt makroskopisch und bei Lupenvergrößerung keine Spur derselben Bildung. Je mehr Männchen, namentlich der F4- und F5-Generation ›aus Wassereiern‹ in die Brunft eintraten, desto häufiger drängte sich indessen die Erfahrung auf, daß die Schwiele nicht immer auf den zuerst eingenommenen Bezirken wiederkehrte, sondern daß sie (inter- wie intraindividuell) ein ziemlich weites Gebiet über den Daumenballen hinweg auf der 291
ganzen Innenseite des Unterarmes bis nahe an dessen Beuge zur Verfügung hat und innerhalb dieses Verbreitungsgebietes große Variabilität der Ausdehnung und Anordnung aufweist. Ja es kommen Asymmetrien vor : beispielsweise links nur ein Unterarmfleck schwielig. Abb. 2 auf Taf. X zeigt ein hochbrünftiges Männchen der F5-Generation, bei dem eine mächtige Schwiele sich über einen großen Teil der radialen Unterarmregion und nebenbei über den Daumenballen erstreckt, dagegen die Phalangen freiläßt. Auch bei ein und demselben Männchen bleibt der Schwielenbereich nicht unveränderlich an eine Stelle gebannt ; und hier läßt sich dann wohl verfolgen, daß die Richtung der Variation eine progressive ist : grundsätzlich gewinnt sie von Brunft zu Brunft an Ausdehnung. Befand sich z. B. die erstmalige Schwielenbildung nur an der Fingerspitze, so hat die zweite den ganzen Finger, die dritte noch den Ballen, die vierte ein angrenzendes Stück Unterarm erobert. Also im Sinne zunehmenden Flächenraumes und gleichzeitig in der Richtung von distalen zu proximalen Flächen bewegt sich die Variation.« Er sagte damit nicht ausdrücklich, daß bei einem (oder mehreren) Exemplaren die Schwiele auch die Handfläche erfaßte. Angesichts der extremen Variabilität der Schwielen bei Alytes ebenso wie bei anderen Arten hielt er das wahrscheinlich für überflüssig, zumal es in der eben zitierten Stelle ja implizite angedeutet wird. Da einige Kröten Schwielen an den Fingerspitzen ausbilden, 292
andere wieder an ihren hinteren Gliedmaßen, kann man wohl kaum von einer »falschen Stelle« sprechen. Die ganze Kontroverse sieht überhaupt so aus, als hätte man aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Aber der Vollständigkeit halber mußte sie hier wiedergegeben werden.
Anhang 5
Ciona Die Ciona-Versuche sind auf S. 50 f. in einer kurzen Übersicht dargestellt worden. In seinen in Cambridge und vor der Linnean Society gehaltenen Vorträgen führte Kammerer dazu aus : »… Ich habe vor 1914 einen Versuch durchgeführt, der sich möglicherweise als experimentum crucis erweisen wird. In meiner Allgemeinen Biologie habe ich darüber kurz berichtet ; eine detaillierte Veröffentlichung der Ergebnisse steht noch aus. Es handelt sich um Versuche mit der Aszidienart Ciona intestinalis. Schneidet man deren zwei Siphonen (den In- und Exhalationsschlauch) ab, wachsen diese nach und werden im Vergleich zu ihrem vorherigen Zustand etwas größer. Wiederholtes Amputieren jedes einzelnen Exemplars ergibt schließlich extrem lange Gebilde, denen die aufeinanderfolgenden, neugebildeten Anteile das Aussehen gegliederter Schläuche verleihen. Die Siphonen der Nachkommen solcher Individuen sind gleichermaßen länger als gewöhnlich, die an den Eltern beobachteten knotigen Nahtstellen erscheinen indessen geglättet. Wo solche Knoten zu beobachten sind, treten sie nicht als Folge der Operation 294
auf, sondern sind auf eine Unterbrechung der Wachstumsphase zurückzuführen, so wie die Jahresringe an Bäumen den Winterwuchs anzeigen. Das heißt also, daß nicht ein bestimmtes Regenerationsmerkmal auf die Nachkommen übertragen wird, sondern eine lokale Steigerung der Wachstumsintensität. Auf dem nicht retuschierten Bild sind zwei junge Cionen zu sehen, die mit ihren Ausläufern am zerkratzten Glas des Aquariums haften ; am oberen Exemplar läßt sich deutlich der Kontraktionszustand erkennen, während das untere sich im Ruhezustand befindet und seine monströsen Siphonen in voller Länge zeigt. Diese waren schon von Geburt an vorhanden, denn das Cionen-Exemplar entstammt einer Zuchtlinie, deren Siphonen sich durch wiederholtes Amputieren und Regenerieren verlängerten.« Am 3. November veröffentlichte Nature einen Brief von H. Munro Fox vom Cambridge Zoological Department : »Ich wiederholte diese Amputationsversuche zwischen Juni und September letzten Jahres in der biologischen Station von Roseoff. Der Versuch bestand in der Entfernung der oralen Schläuche von 102 Ciona intestinalis-Exemplaren, die in einem Behälter an der Wand haftend wuchsen. Die Länge der Tiere betrug zwischen 0,9 und 4,8 cm. Zur Kontrolle wurden ferner 235 nicht behandelte Individuen beobachtet. Bei keinem der amputierten Tiere zeigte sich nach Wiederherstellung der ursprünglichen Schlauchlänge ein weiteres Wachstum. 295
… Im Jahre 1913 wurde in Neapel nachgewiesen, daß Ciona intestinalis abnorm lange Siphonen ausbildet, wenn sie in einem nährstoffreichen Kulturmedium gehalten wird (Biol. Centrbl. 1914, Bd. 34, S. 429). Wären die langen Siphonen der amputierten Cionen Dr. Kammerers auf diese Ursache zurückzuführen, müßten sie sich auch an den nicht operierten, im selben Wasser gehaltenen Kontrolltieren zeigen.« MacBride erwiderte am 24. November in Nature : »Da Dr. Kammerer großes Interesse an der Nachprüfung seiner Versuche mit Ciona bekundete und mir im Sommer zweimal schrieb, um zu erfahren, ob und unter welchen Bedingungen die Nachprüfung erfolgt, erlauben Sie mir an Stelle Dr. Kammerers, der sich gegenwärtig in Amerika befindet, zu dem Brief von Mr. Fox einige kurze Bemerkungen. Während seines Aufenthaltes in Cambridge schrieb Dr. Kammerer detaillierte, bei diesen Versuchen einzuhaltende Vorsichtsmaßregeln nieder. Damals wußte er nicht, daß Mr. Fox an eine Nachprüfung der Versuche dachte. Er wußte von einem anderen Biologen in Cambridge, der die Arbeit auf sich nehmen wollte, aber aus gesundheitlichen Gründen nicht damit beginnen konnte. Jedenfalls überließ Dr. Kammerer dem betreffenden Herrn seine Angaben. Soweit ich weiß – ich bitte Mr. Fox, mich zu korrigieren, falls ich mich irren sollte – ist Mr. Fox nicht im Besitze der Anweisungen Dr. Kammerers. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunder296
lich, daß Mr. Fox nicht die gleichen Resultate erzielen konnte wie Dr. Kammerer, zumal er dabei in die erstbeste Falle geraten ist. Es mag ihn überraschen zu hören, daß Dr. Kammerer dieselben Resultate erzielte wie er, als er – wie Mr. Fox – lediglich den oralen Sipho amputierte. Da der anale Sipho seine normale Länge beibehält, die Reaktion aber den gesamten Organismus miteinbezieht, wächst auch der amputierte orale Sipho nur bis zu seiner ursprünglichen Länge nach. Werden jedoch an einem ganz jungen Tier beide Siphonen, also der orale und der anale, amputiert, kommt es zu einer Verlängerung der regenerierten Siphonen. Ich bin im Besitze einer Photographie, auf der eine amputierte Ciona neben einer normalen im gleichen Behälter zu sehen ist. An diesen beiden Exemplaren läßt sich deutlich der Kontrast in der Länge ihrer Siphonen erkennen. Sobald Dr. Kammerer aus Amerika zurückkehrt, hoffe ich, daß Mr. Fox sich mit ihm in Verbindung setzen und die Versuche unter Beachtung der Vorsichtsmaßregeln Dr. Kammerers wieder aufnehmen wird. Die dabei erzielten Ergebnisse werden, dessen bin ich sicher, dann denen Dr. Kammerers entsprechen.« Auch Kammerer erwiderte nach seiner Rückkehr aus Amerika Munro Fox – Nature, 8. Dezember (sein Sperrdruck) : »Mr. H. Munro Fox teilt in Nature vom 3. November (S. 653) mit, daß es ihm nicht gelungen sei, bei seinen Ciona-Versuchen in Roseoff meine Ergebnisse zu repro297
duzieren: die amputierten Siphonen wuchsen lediglich in normaler Länge nach. Mr. Fox nimmt nun an, daß das bei meinen Versuchen sich manifestierende übermäßige Längenwachstum der Siphonen nicht auf die Regenerationstätigkeit der Tiere zurückzuführen ist, sondern auf ein überreichliches Nahrungsangebot. Bevor Mr. Fox – wie versprochen – einen vollständigen Bericht über seine Arbeit veröffentlicht, bitte ich ihn, folgendes zur Kenntnis zu nehmen : (1) Die zwei Hauptkulturen meiner Ciona (die Amputationsgruppe und die Kontrollgruppe) wurden zur gleichen Zeit und in der gleichen Entwicklungsphase, bei gleichem Nährstoffangebot in zwei völlig gleiche, nebeneinander stehende Aquarien der Abmessungen 300 × 1 70 × 100 cm eingebracht. Ich habe zwar keine quantitative Bestimmung der im Wasser vorhandenen Mikroorganismen durchgeführt, das Nährstoffangebot war jedoch, soweit ich sehen konnte, eher spärlich als zu groß. Alle Exemplare der Kontrollgruppe besaßen kurze Siphonen, so daß ein Einfluß des Nährstoffangebots auf die Sipholänge ausgeschlossen werden kann. (2) Ich bin nicht der erste und einzige, der ein ›überschießendes Wachstum‹ der Siphonen nach mehrmaliger Amputation beobachten konnte. Mingazzini* berichtet, daß drei- bis viermal in einmonatigen In* »Sulla regenerazione nei Tunicata«, Bolletino Soc. Nat. Napoli, Ser. I, Jg. 5, 1891. (Ein Referat dieses Artikels erschien im Abschnitt »Tunicata« im Neapler Zoologischen Jahresbericht für 1891.)
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tervallen amputierte Siphonen nach erfolgter Regeneration mit jedem Mal länger wurden. Auf diese Art gelang es Mingazzini, die lokale Varietät ›macrosiphonica‹, die im Golf von Neapel vorkommt, künstlich zu züchten. Ich war mir voll und ganz bewußt, daß der entscheidende Versuch über die Regeneration und Vererbung bei Ciona auf heftigen Widerspruch stoßen würde. Aus diesem Grunde achtete ich darauf, diesen kritischen Versuch nach dem Vorbild vorangegangener Versuche anderer Forscher zu planen. Daß dies im Falle von Ciona möglich war, ließ mich überhaupt erst diese Art wählen. Auch zur Frage der Regeneration des Keimplasmas aus somatischem Material hatte ich ja einen Vorgänger (E. Schulz), dessen Versuche allerdings nicht mit Ciona, sondern mit einer anderen Aszidienart (Clavellina) durchgeführt wurden. Das einzig Neue, das ich für mich in Anspruch nehme, ist die Kombination bekannter Versuche und ihre Anwendung zur Lösung eines Vererbungsproblems. Nach seiner (im Laboratorium von Dorpat) gemachten Entdeckung, daß die Gliedmaßen von Froschlarven Regenerationsfähigkeit besitzen, betonte Barfurth,* daß einem positiven Ergebnis mehr Gewicht zukomme als negativen Ergebnissen, selbst wenn diese zahlreicher sind. ›Selbst wenn nur Kaulquappen aus Dorpat ihre Extremitäten regenerierten, stünde dieses Ergebnis nun fest.‹ Das gleiche fordere ich für * »Sind die Extremitäten der Frösche regenerationsfähig ?« Arch. Entw.-Mech., Bd. I, 1894.
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meine Cionen : ›Selbst wenn nur Cionen aus Neapel und Triest verlängerte Siphonen wachsen.‹ Schließlich – vielleicht besitzen nur südliche Populationen diese Fähigkeit ?« Am 22. Dezember desselben Jahres schrieb Przibram an Bateson, um dessen Angebot über 25 Pfund abzulehnen. In diesem Schreiben kommt er auch auf Ciona zu sprechen : »Falls Sie den Brief von Mr. Munro Fox in Nature Nr. 2818 gelesen haben, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Kammerer nicht der erste war, der die Verlängerung der Siphonen nach mehrmaligem Amputieren entdeckte. Diese Entdeckung wurde bereits im Jahre 1897 auf Grund der Versuche Mingazzinis gemacht, die ihrerseits wiederum auf einer früheren Beobachtung unseres gemeinsamen Freundes Jacques Loeb beruhen, wie er mir während meines Aufenthaltes in Kalifornien 1907 mitteilte. Ich verstehe deshalb nicht, weshalb das Mißlingen der Nachprüfung Mr. Fox berechtigen soll, Kammerers Erfolge mit der ersten Generation zu bestreiten.« Am 5. Jänner 1924 schrieb auch B. Stewart, Student am Trinity College und Mitglied der Cambridge Natural History Society, in Nature über Ciona. Er war jener Amateurphotograph, der Aufnahmen von Kammerers Exemplaren gemacht und Kammerers Ciona-Bilder vervielfältigt hatte. 300
»Von den Cionen existieren drei photographische Aufnahmen. Die erste zeigt ein einzelnes unbehandeltes Exemplar, die zweite eine Gruppe der künstlich induzierten var. macrosiphonica und die dritte zwei unbehandelte Nachkommen letzterer. Angesichts der von der Kamera und Perspektive her unterschiedlichen Vergrößerung und da in den meisten Fällen das Tier nicht als Ganzes zu sehen ist, wären einfache Messungen sinnlos. Jedoch erfolgt die Vergrößerung der Siphonen der var. macrosiphonica hauptsächlich in der Längsrichtung, so daß das Verhältnis Sipholänge zu Siphobreite eine günstige Vergleichsmöglichkeit bietet. Auf den drei Photographien finden sich folgende Werte : Photographie I (unbehandeltes Exemplar in voller Extension) : Oraler Sipho : 1,9 ; analer Sipho 1,65. Photographie II (Cionen-Gruppe) : An dem einzelnen voll entfalteten Exemplar – es entspricht zweifellos dem von Prof. MacBride genannten – wurden folgende Werte gemessen : 2,0 oral und 1,65 anal. Bei den übrigen Exemplaren der Gruppe fanden wir in Extension 4,0 bis 4,3 oral und 2,0 bis 4,3 anal, in Kontraktion hingegen 2,4 oral und 1,9 anal. Photographie III (Nachkommen der var. macrosiphonica) : Ein Exemplar befindet sich in fast vollständiger Extension, das andere ist ziemlich stark kontrahiert. Bei ersterem wurden die Werte 4,1 oral und 2,05 anal gemessen, bei zweiterem 2,35 bzw. 1,4. Die Zulässigkeit der oben genannten Vergleichsmethode erweist sich daraus, daß das Verhältnis 301
Länge zu Breite bei allen vier bzw. fünf Exemplaren, an denen Messungen durchgeführt werden konnten, zwischen 4,1 und 4,8 liegt. Das heißt, daß die Fehlerquote auf Grund des unterschiedlichen Extensionsgrades der Versuchstiere, ihrer Lage und der Kameraeinstellung keineswegs größer gewesen sein kann als 20 Prozent. Dennoch beträgt der Längenzuwachs der Siphonen bei der var. macrosiphonica nicht weniger als 125 Prozent.« Am 19. Jänner nahm J. T. Cunningham vom East London College die von MacBride für die negativen Ergebnisse von Munro Fox geltend gemachten Gründe aufs Korn. Er las in Mingazzinis Artikel zu diesem Thema nach und stellte fest, daß dort »klar und deutlich angegeben werde, daß Schlund- und Aftersiphonen einmal an verschiedenen Individuen, einmal an ein und demselben Individuum amputiert wurden und daß bei beiden Methoden die regenerierten Siphonen eine größere Länge aufwiesen. Ferner fällt auf, daß Dr. Kammerer in seinem Brief an Nature am 8. Dezember die Ausführungen von Professor MacBride in der Ausgabe vom 24. November nicht bestätigte«. Darauf erwiderte MacBride – Nature, 9. Februar 1924 : »In Nature vom 19. Jänner, S. 84, erschien ein Brief von Mr. Cunningham zur Frage der Regeneration der Siphonen bei Ciona, in dem er sich auf meine Ausführungen vom 24. November bezieht. Ich hatte da302
mals das Mißlingen der Versuche von Mr. Fox, nach Amputation ein verlängertes Siphonenwachstum zu erzielen, darauf zurückgeführt, daß Mr. Fox lediglich die oralen Siphonen abgetrennt hätte. Mr. Cunningham stellt fest, daß Dr. Kammerer in seinem darauffolgenden Brief an Nature (den ich übrigens für ihn übersetzte und in seinem Namen an Nature sandte) meine Ansicht nicht bestätigt. Das ist richtig. Ich erhielt jedoch danach ein Schreiben Dr. Kammerers, in dem er sich ausdrücklich meiner Meinung anschließt und mir mitteilt, daß es ihm entgangen sei, daß Mr. Fox lediglich einen Sipho entfernt hatte. Anscheinend gelang Mingazzini – von dessen Arbeiten Mr. Cunningham aus dem von mir übersetzten Brief erfuhr– der Versuch, selbst wenn er nur einen Sipho amputierte. Es mag daher sein – wie Dr. Kammerer ausführte –, daß Mr. Fox, nicht weil er nur einen Sipho amputierte, keine Verlängerung erzielen konnte, sondern weil er seine Versuche mit einer im Norden beheimateten Ciona-Rasse durchführte. Die Bedeutung der Bezugnahme auf Mingazzinis Arbeiten liegt aber an anderer Stelle, nämlich darin, daß diese Arbeiten Dr. Kammerers Ergebnisse, die viele nach der Veröffentlichung des Briefes von Mr. Fox in Frage zu stellen geneigt waren, eindeutig bestätigten.« Und damit brach diese Kontroverse – wie auch all die anderen – ab. Was immer der Grund dafür gewesen sein mag, daß Munro Fox die Siphonenverlänge303
rung mißlang – seinem negativen Ergebnis stehen die von Mingazzini und Jacques Loeb erzielten sowie die auf Kammerers Photographien ausgewiesenen positiven Ergebnisse gegenüber. Nichts, was im Laufe dieser Kontroverse geschah, rechtfertigt die Aufgabe eines Forschungsprojektes mit so weitreichender theoretischer Bedeutung.
Quellenverzeichnis
1. Kapitel 1. Neue Freie Presse, Wien, 25. September 1926. 2. 30. Oktober 1926, S. 635 f. 3. K. Przibram (1959), S. 185. 4. Kammerer (1899 und 1900). 5. H. Przibram (1926), S. 401 ff. 6. Persönliche Mitteilung, 6. April 1970. 7. Goldschmidt (1949), S. 22. 8. Bateson-Dokumente. 9. MacBride (1924), S. 88. 10. Kammerer (1914 b), S. 10–11. 11. Cannon (1959), S. 45. 12. Kammerer (1906, 1909 a, 1919 a).
2. Kapitel 1. Goldschmidt (1949), S. 221. 2. Kammerer (1914 b), S. 15– 16. 3. Hardy (1965), S. 156. 4. Waddington (1952). 5. Bergson (1911), S. 44–45, zitiert nach Himmelfarb (1959), S. 369. 6. Cannon 1959), S. IX-X. 7. Butler (1951 ed.), S. 167, zitiert nach Himmelfarb (1959), S. 362. 8. Butler (1879). S. 54. 9. Darlington im Vorwort zum Nachdruck von : On the Origin of Species (1950). 10. Life and Letters, II, S. 215. II. Zitiert nach Himmelfarb (1959). 12. Darwin (1868). 13. Third Letter to Bentley, Opera Omnia, IV, S. 380. 14. Zitiert nach Hardy (1965), S. 157. 15. Hardy, op. cit., S. 159. 16. Darlington (1953), S. 219–221. 305
3. Kapitel 1. Kammerer (1904), S. 165–264. 2. Kammerer (1907 c), S. 99–102. 3. Kammerer (1907 b), S. 34. 4. Kammerer (1923), S. 637. 5. Kammerer (1925), S. 45. 6. Ibid., S. 60. 7. Ibid., S. 48–49. 8. Kammerer (1923 a), S. 639. 9. Bateson, Brief in Nature, 16. Mai 1923. 10. Bateson (1913), S. 201. 11. MacBride, Brief in Nature, 17. Januar 1925. 12. Kammerer (1910 a), S. 327. 13. MacBride, Brief in Nature, 5. Dezember 1925. 14. Goldschmidt (1940), S. 257f. 15. Goldschmidt (1949), S. 221.
4. Kapitel 1. Bateson-Dokumente, 17. Juli 1910. 2. H. Przibram (1926). 3. Bateson (1928). 4. Persönliche Mitteilung, 8. April 1970. 5. Bateson (1902). 6. Hardy (1965), S. 89.
5. Kapitel 1. Bateson (1913), S. 191. 2. Ibid., S. 190. 3. Ibid., S. 227. 4. Ibid., S. 199. 5. Ibid., S. 202. 6. Bateson-Dokumente.
6. Kapitel 1. Kammerer (1919 a), S. 357 ff. 2. Kammerer (1925), S. 23. 306
3. Darlington (1953), S. 222. 4. Bateson-Dokumente. 5. Bateson-Dokumente. 6. Ibid. 7. Ibid.
7. Kapitel 1. MacBride, Brief in Nature, 23. Juni 1923. 2. Kammerer (1919 a), S. 328. 3. Kammerer (1923 a), S. 640. 4. BatesonDokumente. 5. Montagu (1970), S. 139. 6. Persönliche Mitteilung, 6. April 1970. 7. 23. Juni 1923. 8. Brief in Nature, 8. August 1923. 9. Bateson-Dokumente. 10. Kammerer, Brief in Nature, 18. August 1923. 11. Brief in Nature, 15. September 1923. 12. Brief in Nature, 18. August 1923. 13. Brief in Nature, 8. Dezember 1923.
8. Kapitel 1. Bateson-Dokumente, 20. September 1923. 2. Protokoll der Ratssitzung der Cambridge Natural History Society, 27. April 1923. 3. Ibid. 4. Ibid. 5. Ibid., 1. Mai 1923. 6. Bateson-Dokumente, 1. Oktober 1923. 7. Ibid., 27. Februar 1924. 8. Vortragsankündigung, 16. Februar 1924, New School for Social Research, New York. 9. Kammerer (1926 b). 10. 16. Juli 1927.
307
9. Kapitel 1. Brief in Nature, 16. Oktober 1926. 2. Nature, 7. August 1926. 3. H. Przibram, Brief in Nature, 30. April 1927. 4. Lataste (1876). 5. Bateson-Dokumente, 14. August 1920. 6. 30. April 1927. 7. Brief in Nature, 21. August 1926. 8. 30. April 1927. 9. Nature, 17. August 1926. 10. H. Przibram (1926). 11. Brief in Nature, 30. April 1927. 12. K. Przibram (1959), S. 188. 13. Persönliche Mitteilung, 19. Oktober 1970. 14. Ibid., 27. Oktober 1970. 15. Neue Freie Presse, 27. September 1926.
10. Kapitel 1. R. Wettstein, Neue Freie Presse, 16. Dezember 1926. 2. Ibid. 3. Ibid. 4. 25. September 1926. 5. Der Abend, 24. September 1926. 6. Persönliche Mitteilung, 2. Juli 1970. 7. K. Przibram, op. cit., S. 187.
Epilog 1. Kammerer (1923 a), S. 639. 2. Bateson (1924), S. 405. 3. Ibid., S. 406. 4. Bateson (1913), S. 248. 5. Johannsen (1923), S. 140. 6. 26. Juni 1970. 6 a Thorpe (1969), S. 1. 7. von Bertalanff y (1969), S. 66–67. 8. Koestler (1967), S. 158–159. 9. Waddington (1957), S. 182. 10. Ibid. 11. New York Evening Post, 23. Februar 1924. 308
Anhang 1 1. Jung (1960), S. 420. 2. Ibid., S. 438. 3. Kammerer (1919 b), S. 24. 4. Ibid., S. 25. 4 a. Ibid., S. 27. 5. Ibid., S. 36. 6. H. Przibram (1926). 7. Kammerer (1919 b), S. 93. 8. Ibid., S. 137. 9. Ibid., S. 165. 10. Ibid., 5. 454. 11. Ibid., S. 456. 12. Jung, op. cit., S. 441. 13. Ibid., S. 435. 14. Kammerer (1926 a).
Anhang 2 1. Goldschmidt (1949), S. 220–222. 2. Cannon (1959), S. 46. 3. Ibid. 4. Goldschmidt (1949), S. 221.
Anhang 3 1. Bateson-Dokumente. 2. Ibid. 3. Ibid. 4. Bateson (1913), S. 207–208. 5. E. G. Boulenger (1911), S. 323. 6. G. A. Boulenger (1912), S. 572–573. 7. Ibid., S. 579. 8. Ibid. 9. Bateson-Dokumente. 10. G. A. Boulenger (1917), S. 173–174. 11. G. A. Boulenger (1912). 12. G. A. Boulenger (1917), S. 174–175. 13. Ibid., S. 177–178. 14. Ibid., S. 176. 15. Brief in Nature, 3. Juli 1919. 16. G. A. Boulenger (1917), S. 177. 17. Ibid., S. 180 f. 18. Kammerer (1914 a), S. 260. 19. G. A. Boulenger (1917), S. 181. 20. Kammerer (1906), S. 68–69. 21. Kammerer (1909 a), S. 475–476.
309
Anhang 4 1. 30. April 1927. 2. Kammerer (1919 a), S. 336–337.
Anhang 5 1. Kammerer (1923 a), S. 369. 2. Brief in Nature, 22. Dezember 1923.
Bibliographie
1. WERKE PAUL KAMMERERS* (Populärwissenschaft liche Artikel, Vorträge und Schriften soziologischen sowie kulturkritischen Inhalts wurden in dieser Bibliographie nicht berücksichtigt.)
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311
Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen. I. u. II. Mitteilung : Die Nachkommen der spätgeborenen Salamandra maculosa und der frühgeborenen Salamandra atra. Arch. 1907 b. 25. 7–51. Vererbung der erworbenen Eigenschaft habituellen Spätgebärens bei Salamandra maculosa. Zbl. f. Physiol., Leipzig, 1907 c. 21. 99–102. Erzwungene Fortpflanzungsveränderungen und deren Vererbung, etc. Zbl. f. Physiol., Leipzig, 1907 d. 21. Nr. 8. Symbiose zwischen Libellenlarve und Fadenalge. Arch. 1908 a. 25. 52–81. Regeneration sekundärer Sexualcharaktere bei den Amphibien. Arch. 1908 b. 25. 82–124. Regeneration des Dipterenflügels beim Imago. Arch. 1908 c. 25. 349–360. Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen. III. Mitteilung : Die Nachkommen der nicht brutpflegenden Alytes obstetricans. Arch. 1909 a. 28. 447–546. Allgemeine Symbiose und Kampf ums Dasein als gleichberechtigte Triebkräfte der Evolution. Arch. f. Rassen- u. Gesellsch.-Biol., Leipzig und Berlin, 1909 b. 6. 585–608. Vererbung erzwungener Färb- und Fortpflanzungsveränderungen. Natur, Leipzig, 1909 c, 1. 94–97. Vererbung erzwungener Farbveränderungen. I. und II. Mitteilung : Induktion von weiblichem Dimorphismus bei Lacerta muralis, von männlichem Dimorphismus bei Lacerta fiumana. Arch. 1910 a. 29. 456–498. Die Wirkung äußerer Lebensbedingungen auf die organische Variation im Licht der experimentellen Morphologie. Arch. 1910 b. 30. I. 379–408. Das Beibehalten jugendlich unreifer Formzustände (Neotonie und Progenese). Ergebn. d. wissensch. Med., Leipzig, 1910 c. 4. 1–26. Gregor Mendel und seine Vererbungslehre mit Rücksicht 312
auf ihre Bedeutung für die medizinische Wissenschaft. Wien. med. Wochenschr. 1910 d. 9. 2367–2372. Beweise für die Vererbung erworbener Eigenschaften durch planmäßige Züchtung. Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde, Berlin, 1910 e. Vererbung künstlicher Zeugungs- und Farbveränderungen bei Reptilien. Vortrag Internat. Physiol. Kongreß, Wien. Umschau. XV. Nr. 7. 133–156. 1911 a. Mendelsche Regeln und Vererbung erworbener Eigenschaften. Verhandl. d. Naturforsch. Ver. Brunn. 1911 b. XLIX (Mendel-Festband). Experimente über Fortpflanzung, Farbe, Augen und Körperreduktion bei Proteus anguineus Laur. (zugleich : Vererbung erzwungener Farbveränderungen. III. Mitteilung). Arch. 1911–1912. 33. 349–461. Direkt induzierte Farbanpassungen und deren Vererbung. Zeitschrift indukt. Abst- u. Vererbungsl. 1911. IV. 279–288 und Verh. VIII Internat. Zool. Kongreß. Graz. 1912. 263–271. Experimente über Fortpflanzung, etc. IV. Mitteilung : Das Farbkleid des Feuersalamanders, Salamandra maculosa Laurenti in seiner Abhängigkeit von der Umwelt. Arch. 1913 a. 36. 4–193. Nachweis normaler Funktion beim herangewachsenen Lichtauge des Proteus. Arch. f. d. ges. Physiol., Bonn, 1913 b. 51. 1090–1094. Bemerkungen zum Laichgeschäft und der Brutpflege bei der Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Blätter für Aquarien- u. Terrarienkundler. 1914 a. XXV. Nr. 15. 259– 261. Die Bedeutung der Vererbung erworbener Eigenschaften für Erziehung und Unterricht. Wien, 1914 b. Vererbung erzwungener Formveränderungen. I. Mitteilung : Brunftschwiele der Alytes-Männchen aus ›Wassereiern‹ (Zugleich : Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen. V. Mitteilung). Arch. 1919 a. 45. 323–370. 313
Die Zeichnung von Salamandra maculosa in durchfallendem farbigem Licht. Arch. 1922. 50. 79–107. Züchtversuche über Vererbung erworbener Eigenschaften. Natur, Leipzig. 1922–1923. 14. 305–311. Breeding experiments on the inheritance of acquired characters. Nature, 1923 a. III. 637–640. Methoden der experimentellen Variationsforschung. Handb. biol. Arbeitsmeth., Berlin, 1923 b. Abt. 9. T. 3. Das Darwinmuseum zu Moskau. Monistische Monatshefte, Oktober 1926 a. IL 377–382. Methoden und Züchtung von Reptilien und Amphibien. Pflege und Zucht weiterer wirbelloser Landtiere. In : Handb. d. biol. Arbeitsmeth., Berlin, 1928. Abt. 9 T. 1, 2, 1.
Bücher Bestimmung und Vererbung des Geschlechtes bei Pflanze, Tier und Mensch. Leipzig, 1913. Genossenschaften von Lebewesen auf Grund gegenseitiger Vorteile (Symbiose). Stuttgart, 1913 c. Allgemeine Biologie. Stuttgart, 1915 (3. Aufl. 1925). Das Gesetz der Serie. Stuttgart, 1919 b (2. Aufl. 1921). The Inheritance of Acquired Characteristics. New York, 1924. Neuvererbung oder Vererbung erworbener Eigenschaften. Stuttgart, 1925. Der Artenwandel auf Inseln und seine Ursachen. Leipzig und Wien, 1926 b.
314
II. DIE KAMMERER-KONTROVERSE IN NATURE* 1919 1923
1924
*
22. Mai : MacBride (B) 3. Juli : Bateson (B) 12. Mai : Kammerer (A) 26. Mai : Cunningham (B) 2. Juni : Bateson (B) 23. Juni : MacBride (B) 30. Juni : Bateson (B) 21. Juli : MacBride (B) 28. Juli : Cunningham (B) 18. August : Kammerer (B) Perkins (B) 8. September : MacBride (B) Sir Arthur Keith (B) 15. September : Bateson (B) 3. November : Munro Fox (B) 24. November : MacBride (B) 8. Dezember : Kammerer (B) 15. Dezember : Cunningham (B) 22. Dezember : Przibram (B) 5. Januar : Stewart (B) 19. Januar : Cunningham (B) 9. Februar : MacBride (B) 17. Mai : Dover (B) 5. Juni : Caiman (B) 26. Juli : Cunningham (B) 6. September : Przibram (B) 27. September : Caiman (B)
A – bezeichnet Artikel, B – Briefe.
315
1925
1926
1927
10. Januar : MacBride (B) 28. November : MacBride (B) 5. Dezember : MacBride (B) 9. Januar : Cunningham (B) 13. Februar : MacBride (B) 6. März : MacBride (B) 20. März : Cunningham (B) 29. Mai : Cunningham (B) 7. August : Noble (A) Przibram (A) 21. August : MacBride (B) 2. Oktober : Nachruf 9. Oktober : Noble (B) 16. Oktober : Nachruf von Przibram 30. Oktober : Nachruf (ohne Autorenangabe) 6. November : MacBride (B) 30. April : Przibram (B) Kiplinger (B) 14. Mai : MacBride (B) 16. Juli : MacBride (A)
III. SONSTIGE IN DIESEM BUCH ERWÄHNTE WERKE Bateson, W., Mendel’s Principles of Heredity : A Defence. Cambridge, 1902. — Problems of Genetics. New Haven und London, 1913. — Naturalist. Cambridge, 1928. — Letters from the Steppe. London, 1928. The Bateson Papers, Library of the American Philosophical Society, Philadelphia.
316
Bergson, H., Creative Evolution. Tr. A. Mitchell. London, 1911. van Bertalanff y, L., in Beyond Reductionism. Siehe Koestler und Smythies, ed., 1969. Boulenger, E. G., Proc. Zool. Soc, 1911, S. 323. Boulenger, G. A., »Observations sur l’accouplement et la ponte de l’Alyte obstetricans«. Académie Royale de Belgique, Bulletin de la Classe des Sciences, 1912. Nos. 9–10. 570–579. — Remarks on the Midwife Toad (Alytes obstetricans), with reference to Dr. P. Kammerer’s Publications. Annals and Magazine of Natural History, August 1917. Ser. 8, Vol. XX. 173–184. Butler, Samuel, Evolution Old and New. 1879. — Notebooks. Ed. G. Keynes und B. Hill. New York, 1951. Cannon, H. Graham, The Evolution of Living Things. Manchester, 1958. — Lamarck and Modern Genetics. Manchester, 1959. Darlington, C. D., im Vorwort zu On the Origin of Species. Nachdruck der 1. Auflage, London, 1950. — The Facts of Life. London, 1953. Darwin, Charles, The Variation of Animals and Plants under Domestication. 2 Bde. London, 1868. — On the Origin of Species. Nachdruck der l. Auflage, London, 1950. Dobzhansky, T., The Biology of Ultimate Concern. New York, 1957. Flammarion, C:, L’Inconnu et les Problems Psychiques. Paris, 1900. Focke, W., Die Pflanzen-Mischlinge, 1881. Goldschmidt, R., The Material Basis of Evolution. New Haven, 1940. — Research and Politics. Science, 4. März 1949. Hardy, Sir A., The Living Stream. London, 1965. 317
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– Experimental-Zoologie. 7 Bände, Wien und Leipzig : Deuticke, 1907–1930. Przibram, K., »Hans Przibram« in Große Österreicher, Band XIII, Zürich, Leipzig, Wien, 1959. St. Hilaire, G., Philosophie Anatomique, Paris, 1818. Salisbury, F. B., Natural Selection and the Complexity of the Gene. Nature, 25. Oktober 1969, S. 342–343. Semon, R., The Mneme. London, 1921. Smith, J. M., Nature, 1970. 225. 563. Smythies J. R. – siehe Koestler (1969). Sonneborn, T. M., Gene Action in Development. Proc. Royal Soc. of London B, Dezember 1970. Band 176, Nr. 1044. Spetner, L. M., Natural Selection versus Gene Uniqueness. Nature, 6. Juni 1970, S. 948–949. Thorpe, W. H., in Beyond Reductionism, siehe Koestler und Smythies ed. Waddington, C. H., The Listener, London, 13. Februar 1952. — The Strategy of the Genes. London, 1957. Whyte, L. L. Internal Factors in Evolution. London, 1966.
Register* Auf die Aufnahme von Schlagwörtern, die mit ::« bezeichnet sind, wurde verzichtet, weil sie durchlaufend vorkommen.
Agar, Prof. 39 Akademie der Wissenschaften, österreichische 112, 118, 149 Alytes obstetricans* Altenberg, Peter 143 Baldwin-Effekt 158 Balfoure-Browne, Prof. 87 Barriere, Weismannsche 153, 156, 160 Bateson, Gregory 24, 57, 61 f., 95, 119, 127, 147 Bateson, Mrs. 71, 80 Bateson, William 24 f., 33, 44, 49 f., 50, 55, 57 ff., 61 ff., 67 f., 70 ff., 74 ff., 77 ff., 84, 86, 90 f., 95 ff., 108, 110, 117, 121 ff., 126, 128 f., 133, 147, 152 ff., 177, 179 ff., 183 f., 186 ff., 193 ff., 203, 209 Baur, Erich 56f., 121 de Beer, Sir Gavin 34 Berg, Alban 20 Bergson, Henri 33 Bertalanff y, Ludwig von 85, 157 f., 161 Biologische Versuchsanstalt siehe Institut für Experimentalzoologie, Wiener
Bles, E. J. 89, 179 Bombina 123 ff., 136, 152, 196 Bombinator, siehe Bombina Bonnevie, Christian 80 Boulenger, E. G. 25, 77, 82 f., 99, 124, 126f., 181, 190, 199 Boulenger, G. A. 25, 49, 74, 80, 94, 100, 121, 123, 126, 179, 181 f., 183 ff. Brunftschwielen* Butler, Samuel 34 Cambridge Natural HistorySociety 48, 84, 90, 104, 106, 110, 127, 199, 209 Cannon, Graham H. 27, 33, 127, 174, 178 Cionae 50 f., 73, 80, 86, 93, 152, 162, 205 ff. Cocktailparty-Phänomen 159 f., 162 Congdon 150 Correns 60 Crick 155 Cunningham, J. T. 96 f., 210 f. Dähne 192 Darlington, C. D. 34, 40, 76, 176f.
[Die Seitenzahlen verweisen auf die gedruckte Ausgabe.]
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Darwin, Charles 12, 34 f., 37, 58 ff., 61, 65 f., 107, 110, 117, 153f., 159, 162 Darwin, Francis 59 Darwinismus 13, 24, 31 ff., 35, 37, 58 ff., 89, 107, 153, 158 Demours 182, 184 Discoglossidae 125, 196 Discoglossus pictus 124 f. Dobzhansky 157 Doktrin, Weismannsche, auch Dogma, Weismannsches 155, 160 DNS (= Desoxyribonukleinsäure) 133, 155 f., 162 Driesch 75 Einstein, Albert 32, 94, 110, 168, 171 Eiweiß, siehe Protein Enzyclopedia Britannica 65 f. Evolution (Evolutionstheorie) 12f., 24, 29f., 32, 35f., 38, 58, 61, 95, 117, 155 ff. Farren, W. 202 Figdor, Wilhelm 22 Fisher, Sir Ronald 64 Flammarion, Camille 163 Fließ 170 f. Focke, Wilhelm 65 f. Fox, Munro 51, 206 ff., 211 f. Franz Josef I. 18 Freud, Siegmund 56, 170 f., 173 Frisch, Karl von 23 Fröbel 29
Gadow, Hans 87 f., 94, 127, 197 Galilei, Galileo 36 Galton, Francis 35, 59, 62 Gardiner J. Stanley 87, 106 ff., 127 Garstang 159 Geburtshelferkröte, siehe Alytes Gen 60 f., 154 Genetik 24, 35, 37, 40, 154 Gesetz der Serie 163 ff. Goethe, J. W. 162, 170 Goldschmidt, Richard 25, 28, 44, 52f., 174, 178 Goodrich, E. S. 96 Gray 87 Gropius, Walter 20 Gutmann, Willy von 145 Haldane, J. B. S. 87, 89, 127 Hardy, Sir Alister 31, 39, 59, 64 Harmer, Sir Sidney 99, 127 Harms 125 * Hartmann, Dr. 182, 185 ff. Hopkins 8 7 Huber, Rudolf 144 Hutchinson, G. Evelyn 88, 104, 127, 179 Huxley, Sir Julian 32, 157 Hydèn, Holger 133 ff., 151 Hyla 185 Inselpopulationen 117 Institut für Experimentalzoologie, Wiener 15, 21 ff., 41, 54 f., 68, « 78, 80, 84, 100, 102 f., 120, 123, 125, 130 f., 138, 142,
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149, 151, 179 f., 190, 199, 203 de l’Isle, A. 184 f. James, William 159 Jenkin, Fleeming 59 Johannsen, W. 154 Jung, C. G. 164, 168, 172 f. Kändler, R. 125 f., 150, 203 Kammerer, Familie 18, 84, 102, 111 Kammerer, Felicitas 12, 14, 54 f., 84, 111, 144 f. Kammerer, Karl 18 f. Kammerer, Karl (Sohn) 18, 57 Kammerer, Lacerta 13 f., 18, 20, 54f., 110 f., 143f., 167 Kammerer, Paul* Kammerer, Sofie 1 8 ff. Keilin 87 Kepler, Johannes 36 Kermauner, Olga 123, 150 Kiplinger, Walter C. 130 Knoblauch, Prof. 43 Koinzidenzen 163 ff. Kokoschka, Oskar 20 Kopany, Zoologe 23 Lacerta 13 f., 50, 52, 73, 112 f., 117, 143, 152 Lamarck, J. B. 12, 28, 33 f., 153, 161 f. Lamarckismus 27 ff., 35 ff., 39 f., 45, 57f., 60, 67, 76, 117, 154, 159, 176 Lamb 87
Lataste 123, 125, 186, 196 Lebrun 182 Leydig 186 Lichtolme, siehe Proteus Linnean Society 84, 96, 98, 122, 128, 177, 194, 198, 205 Loeb, Jacques 22, 51, 209, 212 Lunatscharsky, Anatoli W. 13, 174 f. Lunatscharsky, Frau 13, 176 MacBride, E. W. 76 ff., 82, 87 f., 90, 93, 97, 99, 103, 118 f., 121, 128, 195, 210 McDougall, William 38 f. Mahler, Gustav 20 Mahler-Werfel, Alma 20, 23, 111 Martin 47, 80, 98 Matthews, L. Harrison 92 ff., 127 Megusar, Dr. 139 Meisenheimer 125 Mendel, Gregor 40, 45, 60 ff., 87, 154 f., 158 Mendelianismus 33, 47, 67, 77, 148, 155 Merkmale, Vererbung erworbener, siehe Vererbung erworbener Merkmale Mingazzini 51, 208 f., 211 f. Monk, J. L. 182 Montagu, Ivor 94, 104 Morgan, T. H. 108 Mutation 31, 60
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»Nature« 12, 27, 51, 55, 62 f., 76 ff., 84, 95 ff., 100, 103 f., 118 ff., 125, 128, 130 f., 141, 156, 177 f., 190, 194, 196, 198 ff., 206f., 211 Neodarwinismus 30 ff., 38, 60, 63, 86, 109, 154, 156 ff. Neolamarckismus 109 Newton, Isaac 36 Nuttall, G. H. F. 107f., 127
100, 102, 120 ff., 125 ff., 131, 133, 138 ff., 148 ff., 150, 190, 197 ff., 209 Przibram, Karl 22, 71, 139 Przibram, Marguerite 148 Przibram, Vera 55, 148 Pythagoräer 170
Onslow, Mrs. (Buriel Wheldon) 86, 88, 127 Pauli, Wolfgang 172 Pauli-Gesetz 172 Pawlow, Iwan 16, 37 f., 141 Pawlow-Institut 16, 38, 141 Pearson, Karl 62, 65, 72 Perkins, Michael 90 f., 93 f., 105 f., 124 f., 127 Pestalozzi, Heinrich 29 Portheim, Leopold von 22 Potts, F. 87 Procter, Joan 97 Protein 133, 155 Proteus 52 f., 75 f., 84, 86, 89, 93, 105 f., 185 Przibram, Doris 148 Przibram, Familie 21, 84, 102 Przibram, Frau I (Gräfin Komarowska) 148 Przibram, Frau II 148, 149 Przibram, Gustav 22 Przibram, Hans 22 ff., 42, 46, 54, 56, 68, 71 ff., 78, 80 ff., 90,
Quastel, J. H. 82 f., 89, 93, 127, 201 f. Reiffenstein, Fotograf 150, 201 f. RNS (= Ribonukleinsäure) 133, 155 Romanes, George John 65, 66 Roux, Wilhelm 22, 27 Royer, Héron 184 Salamandra 17, 25 f., 43, 45 ff., 49 f., 52, 73, 78, 80, 84, 86, 93, 118, 139f., 152f., 162, 180f., 185 »Salamandra« (Film) 13, 140, 174 Salisbury, F. B. 156 f., 159 Schnitzler, Arthur 21 Schönberg, Arnold 20 Schubert, Franz 143 Schulz, E. 208 Scott 87 Semon, Richard 56 Shaw, G. B. 76, 95 Smith, J. M. 156 Sonneborn 159 Spetner, L. M. 156 St. Hilaire, Geoff reoy de 159 Steinach E. 23, 56 Stewart, B. 122, 150, 209
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Swoboda 170 Teilhard de Chardin, Pierre 158 Temin, Howard 156 Teminismus 156, 159 Thorpe, W. H. 51, 88, 122, 127, 157, 199 Tower, W. L. 67 Tschermak, Gustav 60 Uhlenhut, Dr. 123 Vererbung erworbener Eigenschaften 12, 15, 28, 30, 32, 34f., 40f., 45, 48, 50, 57, 59, 67f., 70, 73 (erworbene Anpassungen), 77, 82, 93, 105, 107, 109, 118 (erworbene Anpassungen), 140 Versuchsanstalt, Biologische, siehe Institut für Experimentalzoologie, Wiener Vivarium, siehe Institut für Experimentalzoologie, Wiener Vevers, H. N. 127 de Vries 60
Waddington, C. H. 16, 32, 157f., 161 Wallace 59, 117 Walt, Anna 14, 111 Walter, Bruno 20 Watson, J. B. 109 Watson 155 Weismann, August 31, 37, 40, 45 Weiss, Paul 23, 133, 137, 148, 150, 167 Werfel, Franz 20 Werner, Franz 121 Wheldon, Buriel, siehe Onslow, Mrs. Wheldon, W. F. R. 62 Whyte, L. L. 159 Wiedersperg, Familie 14, 54 f., 111 Wiedersperg, Gustav 54 Wiesenthal, Bertha 143 Wiesenthal, Elsa 143 Wiesenthal, Grete 16, 143, 144 ff. Wiesenthal, Hilda 144 Wiesenthal, Martha 144 Wilberforce 32 Zoological Society 83, 92, 187, 200
ARTHUR KOESTLER, geboren 1905 in Budapest, Sohn eines Industriellen, Studium der Elektrotechnik und Psychologie in Wien, ab 1926 Journalist, Auslandskorrespondent, Reiseschriftsteller. Als KP-Mitglied bis zu seinem Austritt aus der Partei 1938 politisch aktiv. Schreibt seit seiner Übersiedlung nach London 1940 nur mehr in englischer Sprache. Sein Roman »Sonnenfinsternis« gehört zu den meistgelesenen politischen Romanen unserer Zeit überhaupt (in 31 Sprachen übersetzt). Seit 1954 widmet sich Koestler ausschließlich psychologisch-anthropologischen Themen. Sein jüngstes Hauptwerk auf diesem Gebiet : »Das Gespenst in der Maschine« (Molden). 1970 und 1971 erschienen die beiden Bände seiner Autobiographie »Frühe Empörung« und »Abschaum der Erde« (Molden).