OTTO ZIERER
BILD DER J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
KATSER EUROPAS Unt...
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OTTO ZIERER
BILD DER J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
KATSER EUROPAS Unter diesem Titel ist der Doppelband 35/36 der neuen Weltgeschichte erschienen. Der Doppelband behandelt den 1. Teil des 19. Jahrhunderts
Als der Vu'kan der französischen Revolution aufgehört hat, Menschen zu verschlingen undldeen auszuschleudern, beginnt Napoleon wie emo riesige Fackel den Kontinent zu erleuchten. Der „Robespierre zu Pferde" trägt den Gedanken der Revolution und die Sehnsucht nach europäischer Einheit vom Mittelmeer zum Atlantik. Die zwei Jahrzehnte Napo'eons von 1795—1815 sind zugleich die Jahre der großen Geister: Goethe, Chateaubriand, Pestalozzi, Kant, Beethoven u. a.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60. Mit dam Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom VERLAG SEBASTIAN LUX - MURNAU
MÜNCHEN * INNSBRUCK
K L E I N E B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
FRANZ
BAUMER
Der Meister des
BALTHASAR NEUMANN
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU-MÜNCHEN-INNSBRUCK
HEFTE
Würzburger Residenz - Gartenseite
V i ^ s ist eine Lust, an sonnigen Tagen das Frankenland zu durchwandern. Wohin wir auch kommen durch das wellige Land bewaldeter Höhen, durch die „Fränkische Schweiz" oder das milde Tal des Mains, durch den herben, kernigen Frankenwald oder über die sagenumwobenen Kämme des Spessarts — immer wieder überrascht und überwältigt uns inmitten urwüchsiger Natur, gleichsam von ihr eingefaßt, eine glänzende Perle menschlicher Schöpferkraft, die steingewordene Phantasiewelt eines Künstlers: eine jubelnd emporsteigende Kirche, ein prunkendes Schloß, ein malerisches Kapellchen. Es sind die Schätze des Barock und Rokoko, denen wir überall begegnen, festliche Fassaden, zierreiche Türme mit kugeligen Helmen, geschwungene Galerien, Säulen- und Bogengänge, zaubervolle Malereien und verschlungene Dekorationen, kühn gewölbte Räume voller Musik. Wohin wir auch kommen, überall tritt uns der Name eines Bauschöpfers entgegen: Der Name Balthasar Neumanns. Weit über das fränkische Land hinaus war er Schöpfer und Ratgeber der Baukunst seiner Zeit. Zwischen Köln und Konstanz, vom Main bis zur Donau galt er als der große Meister des Bauens und Planen«, und kaum ein Werk entstaud um die Mitte des 18. Jahrhunderts, zu dem der „Obrist Balthasar Neumann aus Würzburg" nicht um Rat und Hilfe gebeten worden wäre. Das Erstaunliche an diesem Genie ist, daß es sich nicht nur auf ein Fach, die Baukunst — die Architektur — beschränkte, sondern, aus dem einfachen Handwerk aufsteigend, sich auf den vielfältig2
sten Gebieten des Schaffens bestimmend und sicher bewegte. Nenmann war Soldat, Kanonengießer, Glockengießer, Büchsenmacher, Feuerwerker, Straßen-, Fluß- und Brückenbauer anerkannter Fachmann im Bau von Mühlen, Wasserleitungen, Springbrunnen, Pumpwerken und Brnnnenstuben — in dieser Vielzahl der Begabungen Leonardo da Vinci oder Michelangelo vergleichbar. Praxis und Theorie waren bei ihm eins, in seinem Leben sollte nie eines ohne das andere sein, das Grobe nicht ohne das Feine. Wir können nur staunen, wie ein Einzelner es vermochte, als Künstler die größten Gegensätze des Lebens in sich schöpferisch zu vereinen. Denn Neumanns Leben war in der Tat ein Leben zwischen Kirchen und Kasernen, Schlössern und Wehranlagen, zwischen hoher Kunst und rauher Wirklichkeit. Es war begleitet vom Donner der Kanonen, vom Hufschlag der ziehenden Reiterscharen, nicht minder aber von der Erhabenheit Bachscher Musik, die das Maß seiner Bauwerke, seiner Zahlen und Formen, durchklingt. Kirchen, Klöster, Herrenhäuser, Stadthöfe, Schlösser baute Neumann vielerorts in Franken und am Rhein — Militärbauten und Befestigungsanlagen in Würzburg, Kitzingen, Kronach, Königshofen, Forchheini, Koblenz-Ehreabreitstein und anderswo in Westdeutschland. Geboren ist Balthasar Neumann im Januar 1687 in Eger. Den Geburtstag wissen wir nicht mehr. Bekannt ist nur, daß am 30. Januar m der Niklaskirche die Taufe war. Sechs Geschwister waren bereits da, später kam noch ein siebentes, und der kleine Balthasar lernte in der Schiffgasse, wo sich das Haus seiner Eltern befand, Wohlstand und Üppigkeit sicher nicht kennen; eher schon Sorgen und Not. Der Vater, Hans Christoph Neumann, ist Tuchmacher gewesen. Hätte sein Gewerbe ihn und die Familie ausreichend ernährt, würde er wohl kaum nebenher auch noch Torhüterdienste am Scbifftor zu Eger verrichtet und, als unser Balthasar sieben Jahre alt war, das überschuldete Haus verkauft haben. Tuchmacher in der Reichsstadt Eger sind auch schon die beiden Großväter Balthasars, Andreas Neumann und Hieronymus Grassold, gewesen. In der Lehrzeit wurde dem jungen Neumann nichts an harter Arbeit geschenkt. Bei seinem Paten erlernte er die Glockengießerei; doch fehlen uns für die Jahre seines Heranwachsens und Heranreifens die Quellen, so daß die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens kaum aufzuhellen sind. Erst 1709 taucht sein Name wieder auf: Neumann hilft beim Reparieren von Wasserkünsten, kunst3
vollen Springbrunnen und Wasserspielen, jenen zur damaligen Zeit sehr beliebten Zieranlagen in den Gärten und Parks der Vornehmen und des Adels. Den Zunftgesetzen, sicher aber auch dem eigenen Drängen folgend, geht Neumann dann auf die Wanderschaft. Mit vierundzwanzig Jahren, anno 1711, kommt er nach Würzburg. Auf dem Schottenanger steht das große Gießhaus des berühmten Stück- und Glockengießermeisters* Ignaz Kopp. Bei Meister Kopp findet Neumann reichliche Arbeit. In dieser Zeit wird viel gebaut: neben Bürgerhäusern, Palästen, Zweckbauten besonders viele Klöster, Klosterkirchen, Stifts- und Stadtkirchen. Zahlreiche neue Glocken gibt es da zu gießen für Stadt und Land, dazu Kirchenzierat, Altarleuchter, Chorgitter; aber auch . . . Kanonen. Denn es ist eine unruhige Zeit, und der Landesfürst verlangt sichere Bastionen. Alles, was an neuen Geschützen zur Festungsverteidigung und für die Truppen außerhalb Würzburgs gebraucht wird, entstammt in jenen Jahren der Werkstatt des Stückgießermeisters Ignaz Kopp zu Würzburg. Als Balthasar Neumann um Arbeit bei ihm vorspricht, kann er ihm einen Gesellenbrief für die Glocken- und Stückgießerei vorweisen. Daß er sich darüber hinaus aber auch schon mit anderen Dingen beschäftigt hat, zeigt ein weiterer Lehrbrief, der ihm von der Zunft der „Büchsenmeister Ernst- und Lustfeuerwerkerey" verliehen und ausgehändigt worden ist. In der „Lustfeuerwerkerey" kann Neumann sich bald praktisch betätigen. Denn die Fürsten jener glanzliebenden Zeit verstehen es, rauschende Feste und Empfänge zu geben, bei denen als Prunkstück meist ein sprühendes Feuerwerk nicht fehlen darf; so 1712. als Kaiser Karl VI. zu feierlichem Besuch in Würzburg eintrifft. Bald denkt Neumann nicht mehr daran, seine Wanderschaft, wie er es ursprünglich geplant hat, noch fortzusetzen. Würzburg hat es ihm angetan. Was hat diese Stadt nicht alles zu bieten, diese lachende, blühende, köstliche Stadt am Main; „Augapfel" eines der glänzendsten Fürstengeschlechter der Zeit: der kunstliebenden Herren von Schönborn. Noch aber ist Neumann kein Architekt. Er tut Dienst als Gemeiner in der Fränkischen Kreis-Artillerie und muß zunächst die Feldzüge mitmachen, an denen die Würzburger Truppen damals beteiligt sind. „Feldzüge nach Ungarn, Gegenwart bei berühmten Belagerungen, geführt von großen Kriegshelden", das sind die Ereignisse ') Stückgießer = Kanonengießer. Das,Wort hat sich erhalten in dem Ausdruck: Eine Festung oder ein Schiff .bestücken", d.h. mit Kanonen ausstatten.
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Sommerschloß Werneck in Balthasar Neumanns Leben, von denen seine ersten Biographien aus dieser Zeit berichten. Sein Vorgesetzter ist der Ingenieurhauptmann Andreas Müller. Bald schon hat dieser weitsichtige Kopf die große Begabung des Stückgießergesellen erkannt, und er regt ihn zum Studium der Geometrie, Feldmesserei, Zivil- und Militärarchitektur an. Das Glocken- und Kanonengießen sei nicht seine Sache, sondern die Baukunst. Aber woher das Geld für Bücher und Instrumente nehmen? Neumann wendet sich im Jahre 1712 an den Magistrat seiner Vaterstadt Eger, und die Stadtväter haben ein offenes Ohr für seine Bitte und unterstützen ihn mit Geld, damit er sich fortbilden kann. Nun wirft Neumann sich mit Leidenschaft aufs Studium. Fünfundzwanzig Jahre ist er bereits, als er sich zum erstenmal mit Architektur befaßt. Doch tut er es so gründlich, daß er schon ein Jahr später, 1713, die Geheimnisse der mathematischen Grundlage der Baukunst völlig beherrscht. Er erfindet ein eigenes Instrument für die praktische Arbeit in der Architektur, ein Gerät, mit dem die beim Bau von Säulen vorkommenden Maße und Verhältnisse — wie beim Messen des Geschützkalibers — zu erfassen und ohne mühseliges Rechnen ganz einfach abzulesen sind. Es ist das heute noch erhaltene „Instrumentum Arcbitecturae", das er selbst angefertigt und signiert hat. Ein zweites Instrument stellte er für die Baubehörde von Eger her. Diese Erfindung, die ein gleich großes Können in Theorie und Praxis voraussetzt, gibt zugleich Zeugnis vom Geist der Zeit. Denn „more geometrico", nach geometrischem Maß, ist der Wahlspruch des Barock, der ebenso auf die Kunst wie auf die Wissenschaft angewandt wird. Es ist die Lieblingsidee des 18. Jahrhunderts: Mit der Vernunft die ganze Welt zu erfassen und ihre Geheimnisse
mit dem Rechenstabe zu ermessen. All die großen Baumeister des überall nachgeahmten Frankreich, dessen König Ludwig XIV. der mächtigste Förderer der Verherrlichungskunst des Barock für ganz Europa ist, alle Großen der Architektur jener Zeit, wie de Cotte, der Erbauer der Schlösser Brühl und Poppeisdorf am Rhein, oder Boffrand, der Schöpfer der Kathedrale von Nancy, glauben mehr oder weniger daran, daß die Welt ein großes, technisch-mechanisches Werk sei, das gedanklich bis in seine letzten Zusammenhänge durchschaut werden könne. So meinen die Künstler auch, daß alles konstruierbar sei, auch die Schönheit. Selbst die Natur wird verstandesmäßig zerlegt, beschnitten, neu geordnet: Es entstehen die Gärten mit geometrisch gezirkelten Beeten, plastisch geformten Bäumen, zu grünen Mauern verwandelten Alleen. Man wendet die mathematisch-mechanischen Grundsätze auf den gesamten Wehlauf und alle Bereiche des Lebens an. Mechanischen Drahtpuppen gleich, bewegen sich die nach der Mode gekleideten Menschen des Barock. Mit Draht gesteift sind ihre Reifröcke, Schöße, Ärmelaufputze und Perücken. Der in dieser Zeit lebende Philosoph Rene Descartes hat die Behauptung aufgestellt, der menschliche Körper sei eine Maschine, und es scheint kein Zufall zu sein, daß man im Barock die Marionettenbühne liebt; bewegen sich doch die Menschen selbst gleich Marionetten, zierlich, Schritt für Schritt, fein abgemessen, nicht natürlich, sondern wie mechanisch. Dieser Geist bleibt nicht auf Frankreich beschränkt. Selbst der kleinste der dreihundert deutschen Souveräne will nicht der letzte in der Nachahmung dieses französischen Wesens sein. Die Verbindung von Mechanik und Kunst, wie wir sie bei Balthasar Neumann bewundern, wird durch den Lebensstil seiner Zeit unterstützt. Das Besondere an ihm aber ist, daß er nicht starr dem Geist seiner Zeit verfällt, sondern die erwägenswerten Ideen der Zeitgenossen schöpferisch in sich verarbeitet. So wird es möglich, daß die Bauund Bildwerke des Meisters zwar ein großartig errechnetes Grundgefüge, in Grundriß und Aufbau ein mathematisch durchgearbeitetes Gerüst erahnen oder erkennen lassen, daß sie aber alles andere sind als erdachte oder ausgeklügelte, mechanisch aufgebaute Gebilde: die Gewalt, die von Balthasar Neumanns Bauschöpfungen ausgeht, ist nicht mit dem Verstand allein zu begreifen, so wenig, wie man die große Architektur eines Musikwerkes durch das Auseinandergliedern seiner „Bauelemente" und das Bloßlegen seiner Kompositionsanlage voll erfassen oder erleben kann. Ein Jahr nachdem er sein Architekturinstrument konstruiert hat, tritt der junge Neumann als Fähnrich in die Schloß-Leibkompanie 6
Dieses Bildnis Balthasar Neumanns hat der Würzburgische Hofmaler Markus Friedrich Kieinert 1727 imAuftrag des Fürstbischofs Franz vonHutten geschaffen. Neumann, im modischen Küraß, trägt in der Rechten den neuen Festungsplan und seine Linke deutet auf die Würzburger Residenz.
ein. Er gehört n u n m e h r zur Garde des Fürstbischofs und tut als Stückjunker Dienst. Da er im Zeichnen gewandt und sicher ist. wird ihm schon bald eine große Arbeit übertragen: Die A n f e r t i g u n g eines Stadtplanes, eine Übersicht über die Stadtanlage mit ihren Baulichk e i t e n , Straßenzügen und B e f e s t i g u n g e n . Dieser Stadtplan ist heute noch in einer alten, genauen Kopie erhalten. Mit dieser Arbeit, die N e u m a n n 1715 abschließt, liefert er ein viel bewundertes Schaustück, das ihn als hervortagenden Landmesser und- genauesten Zeichner ausweist. N u n m e h r b e g l e i t e t er als Adjutant seinen Lehr.*r Müller und den Baurat Greising auf ihren Reisen. Es ist eine Zeit eifrigen Schauen« und Lernens. Aber auch als Ratgeber wird er bereits in Anspruch g e n o m m e n , ah man 1716 in Ebrach die Wasserverhältnisse zu modernisieren beginnt.
Es ist im Sommer des Jahres 1717, im F e l d l a g e r zwischen D o n a u und Save, zu F ü ß e n der hochragenden F e s t u n g Belgrad. Aus rauhen
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Kehlen kommt das Lied, das man in diesen Tagen oft hört, wuchtig wie Marschtritt und erregend wie Trommelschlag ist sein Rhythmus. „Prinz Eugen der edle Ritter Wollt dem Kaiser wiedrum kriegen Stadt und Festung Beigerad. Er ließ schlagen einen Brücken, Daß man kunnt' hinüberrucken Mit der Armee wohl für die Stadt." So tönt es die ganze Nacht hindurch. Man feiert einen glorreichen Sieg. Kaiser Karl VI. hat »eine Klingen erfolgreich mit den Türken gekreuzt, hat an diesem Tage den Vorstoß der Türken für immer gebannt und Belgrad erobert. Es war kein leichter Triumph. Unerträgliche Hitze lastete tagsüber auf der belagerten Stadt. Schon glaubte man die Kräfte der Verteidiger erlahmt und am Ende, als in einem todesmutigen Unternehmen Chalil Pascha mit 200 000 Türken das Christenheer gefährlich in die Zange nahm. Aber Prinz Eugen, der kühne Savoyer, zersprengte die ehernen Bande. Belgrad hat kapituliert, und es ist Grund zum Singen. Und wieder hallt es in heiseren Tönen durch die Nacht . . . „Als der Brücken ward geschlagen, Daß man kunnt mit Stuck und Wagen, Frei passier'n den Donaufluß . . ." Als man die Brücke schlug, damit Kanonen und Wagen über die Donau hinüber konnten, da war auch der Stückjunker Balthasar Neumann als Ingenieur dabei. Von Zeit zu Zeit finden wir ihn so immer wieder einmal inmitten rauher Wirklichkeit, die als Kehrseite einer Welt des Glanzes und des schönen Scheins niemals in seinem Leben fehlt. Neumann ist nun dreißig Jahre alt. Sein Weg zum Erfolg beginnt. In Wien, wohin der Hofkriegsrat ihn nach der Belagerung Belgrads ruft, wird ihm ein kaiserliches Hauptmannspatent angeboten. Lukas von Hildebrandt, der bedeutendste Meister der österreichischen Barockbaukunst, der Erbauer des Stadtschlosses des Prinzen Eugen, des Belvedere, ist einst auf ähnliche Weise in die Kaiserstadt ' gelangt. Neumann aber schlägt die Ehre aus. Ihm schwebt ein anderes Ziel vor, er will sich noch nicht festlegen. Ihm ist daran gelegen, noch viel zu lernen und zu sehen. 1718 finden wir ihn beim Stabe des Fürsten Maximilian Karl von Löwenstein, des kaiserlichen Generalgouverneurs in Mailand. Dort 9
arbeitet Neumann und lernt die Barockarchitektur Oberitalieris kennen. Nach Würzburg heimgekehrt,, übernimmt er die Leitung der Fortifikationsarbeiten", den Ausbau der Befestigungsanlagen. Es ist die Zeit der Fronarbeit, und der Landesherr Philipp von Greiffenclau fordert fleißiges Zupacken, wenn es um wichtige Arbeiten geht. So wird auch diesmal das „müßige Volk" — entlaufene oder ausgediente Soldaten, Landstreicher, und Bauernknechte, Männer und Frauen — zusammengeholt, bekommt Pike und Schaufel in die Hand und muß unter Neumanns Kommando an dem neuen Befestigungsring der Residenzstadt schanzen. Das Kommando wirft einigen Verdienst ab. Am Fuße der Festung Marienberg kann Neumann sich 1718, nunmehr zum Ingenieurhauptmann befördert, ein kleines Haus erbauen. Das Jahr 1719 ist das Sternenjahr in seinem Leben. Von jetzt an erfüllt sich sinnvoll sein Geschick. Er, der geborene Architekt, kommt endlich in die ihm gemäße Laufbahn. Johann Philipp Franz Graf von Schönborn, der bisherige Dompropst zu Würzburg, besteigt im Herbst des Jahres 1719 den Bischofsstuhl und wird als Fürstbischof zugleich der weltliche Regent, der Landesvater, im Bereich des Bistums. Wie alle Schönborns ist auch Philipp Franz dem ,,Bauteuffl", dem „Bauwurmb" verfallen. Immer neue Pläne und Wünsche drängt es ihn zu verwirklichen. Als seinen Baumeister aber beruft er Balthasar Neu mann! Der erste Auftrag ist zugleich auch der mächtigste: Die Bauleitung an dem seit längerer Zeit geplanten Würzburger Residenzschloß, zu dessen Ausgestaltung auch andere große Meister herangezogen sind. Der Bau der Residenz soll alle anderen weltlichen Bauten der Zeit an Größe und Pracht übertreffen. Der zweiunddreißigjährige Architekt ist nicht ohne Erfahrung in seinem Fache. Schon 1718 hat er Plan um Plan für die mächtige Kuppel der Würzburger Neumünsterkirche entworfen. Er ist des Abwägens und richtigen Anordnens der schiebenden und tragenden Kräfte in einem Bauwerk kundig, seine mathematischen Kenntnisse ermöglichen es ihm, die steinernen Massen überlegen und sicher zu behandeln. Wenn auch Erfahrung und Künstlerschaft noch wachsen müssen, so kann er doch schon im Herbst 1719 mit einer Fülle von Plänen für die Würzburger Residenz vor einen der mächtigsten Männer des Reiches treten: vor Lothar Franz von Schönborn, den Bischof von Bamberg und Kurfürsten von Mainz. Kurfürst Lothar Franz ist in der reich verzweigten Familie der Schönborns gleichsam der gute Hausgeist, zu dem die Verwandten als dem Ober10
haupt der Sippe aufblicken, dem sie ihre Baupläne vorlegen, damit er sie begutachte. Der Kurfürst, einer der größten Bauherrn seiner Zeit, Entdecker und Förderer von Künstlern wie Johann Dientzenhofer und Maximilian von Welsch, empfängt den jungen Architekten auf Schloß Pommersfelden in Oberfranken, da« Dientzenhofer und Welsch gebaut haben. Neumann schneidet bei dieser ersten Audienz gut ab. Er wird dem Würzburger Bischof zur Förderung ganz angelegentlich empfohlen. Was sich von nun an abspielt, ist ein dramatisches Ringen um die Verwirklichung der Schloßidee. Hat Neumann jetzt auch das große Glück, mit den führenden Architekten seiner Zeit gemeinsam arbeiten zu können und im Austausch des Wissens und der Gedanken mit Männern wie Dientzenhofer, Welsch, Hildebrandt, de Cotte und Boffrand, den beiden führenden Architekten Frankreichs, Beachtliches lernen zu können, so ist es zuweilen doch auch nicht leicht, sein Bestes und Eigenstes so vielen Großen gegenüber durchzusetzen. Die andern mitwirkenden großen Meister sind gleichsam nur Begutachter, die von Zeit zu Zeit aus Mainz, Bamberg, oder Wien herüberkommen oder briefliche Anregungen nach Würzburg senden, während Neumann ständig an Ort und Stelle tätig sein kann. In der Auseinandersetzung um die Riesenaufgabe der Würzburger Residenz, deren Bau und Vollendung das ganze Leben unseres Meisters begleitet, wächst er selbst immer höher empor. Dieser Würzburger Prachtbau wird unter Neumanns Führung zu einem der glänzendsten Höhepunkte barocker Kunst, zu einem Gemeinschaftswerk abendländischer Künstler, an dem Italiener und Flamen, Österreicher, Franzosen und Deutsche beteiligt sind. Balthasar Neumann verdankt die Würzburger Residenz, daß sie trotz der Vielzahl mitbeteiligter Kräfte zu der vielbewunderten Einheit zusammengewachsen ist. Keineswegs aber ist sein Aufgabengebiet mit dem Residenzbau von Würzburg auch nur annähernd erschöpft. Neumann wird zum Berater und Gestalter des gesamten Bauwesens. Seit Philipp Franz an der Regierung ist, breitet ein neuer Geist der Ordnung sich von der fürstbischöfliclien Kanzlei her über die ganze Stadt. Und wieder ist es Neumann, der unermüdlich Pläne ausarbeitet und sie verwirklicht. 1720 schlägt er die Beseitigung alter Häuser an der Auffahrt zur Mainbrücke vor. Der alte Brückenturm wird abgebrochen und die Brücke so zum Wahrzeichen der Stadt, zur klar sichtbaren Verbindung zwischen Festung und Dom. Zwei Jahre darauf wird eine Baukommis.sion ins Leben gerufen, die zwar die Bauwillkür der ein11
zelnen Bürger zugunsten einer einheitlichen Planung empfindlich beschneidet, für Neubauten im rechten Stil jedoch großzügige Steuervergünstigungen gewährt. In dem Erlaß von 1722 lesen wir: „Obschon ein jeder auf seinem Eigentum ansonsten gemeiniglich nach Belieben tuen und bis an den Himmel aufbauen darf, so wird jedoch diese Freiheit sowohl zum Nutzen als zur Zierde der gemeinen Stadt billig beschränket, damit nicht ein Haus vier, das andere eins, das dritte drei und das vierte zwei Stock in denen offenen Gassen angetroffen werde, welcher Anblick in der Tat die Unform einer Stadt sein würde". Auch hinter diesen Bestimmungen steht Balthasar Neumann. Er ist nun „Premier Architect und Baudirektor" Würzburgs geworden. Für die neuen Bauvorhaben entwirft er wieder Plan um Plan, zeichnet eine große Vogelschaukarte der ganzen Stadt einschließlich der Befestigungen und vieler geplanter Bauten (Abb. s. Umschlag) und errichtet die alte Mainkaserne und eine Reihe verschiedener Zweckgebäude in Stadt und Land. Und nebenher wird immer wieder an den Befestigungsanlagen verbessert und erweitert. Obwohl noch um die Baupläne gerungen wird und vor allem Maximilian von Welsch immer neue Ideen beiträgt, wächst die Residenz aus dem Boden. Jetzt, in den ersten Februartagen des Jahres 1723, hat Neumann Gelegenheit, für ein Vierteljahr nach Frankreich, nach Paris, zu gehen, damit er sich dort bei den „vornehmbsten Baumeistern" weiter ausbilde. Im Kutschwagen geht es über Philippsburg, Bruchsal nach Mannheim; alles Sehenswerte wird dabei genau studiert — vor allem in Mannheim, wo in dieser Zeit ebenfalls ein Schloßbau begonnen hat. Die Weiterreise führt dann nach Straßburg; hier sind es die Zitadelle und das Stadtfestungswerk, die den Festungsbaumeister besonders interessieren. Vom Plan des neuen Schlosses in Zabern fertigt sich Neumann eine Kopie an, um die Anordnung, Maße und Verhältnisse später genau studieren zu können. Zahlreiche Briefe und Berichte über die Reise und den Pariser Aufenthalt bat Neumann Sr. Hochfürstlichen Gnaden, Johann Philipp Franz Graf von Schönborn, geschickt. Diese Briefe sind Zeugnis dafür, wie sehr Neumann ständig mit größtem Eifer an seiner Weiterbildung arbeitet, wie er immer bemüht ist, aus der Leistung anderer zu lernen, wie er auf die kleinsten Dinge der Technik und des Geschmacks achtet, um Erfahrungen zu sammeln, die seinen späteren Werken wieder zugute kommen können. Aus Versailles schreibt er am 7. Februar 1723: „Ansonsten habe mir schon viele Sachen notiert und unterlasse keine Stundt müßig vorbeigehen". 12
Immer ist sein Blick auf da» Praktische gerichtet. Der Handwerker und der Künstler sind in ihm untrennbar vereint. Was in Paris zu lernen ist, ist vor allem, bequem zu wohnen. Die deutsche Residenzbaukunst der Fürsten dieser Zeit ist bisher in erster Linie auf den Prunk und die Schönheit nach außen gerichtet gewesen. Die Wohnräume dagegen sind oft noch sehr unpraktisch und primitiv. In dieser Hinsicht ist viel bei den Franzosen zu lernen. Balthasar Neumann läßt Modelle von Stühlen und Betten, Wandleuchtern und Kaminbauten anfertigen und schickt sie nach Würzburg. An „drinkgeltern" läßt er's nicht fehlen, um alle die Gegenstände genau untersuchen und seine „Messur darnach nehmen" zu können. Immer neue Modelle aus Holz und Bronze sendet er dem Fürstbischof, damit die einheimischen Bildhauer sehen können, wie nach der neuesten Fasson und Manier zu arbeiten ist. Alles muß er aufs gründlichste gesehen haben, das Gießereiwesen und die Vergoldungstechnik, die Innen- und Außenarchitektur, die Säulenabmessungen und Gewölbekonstruktionen, die Gartenanlagen und Wasserkunstwerke. Durch einen Bruder des Würzburger Fürstbischofs, den Bischof von Speyer, dst Neumann dem Pariser Kardinal Rohan zur Audienz empfohlen worden. Und nun kommt er ins Gespräch mit den königlichen Hofarchitekten zu Versailles, mit Germain Boffrand, der Neumann ein Jahr später in Würzburg besucht, und mit de Cotte. Im Mittelpunkt der Unterhaltungen steht immer wieder die Planung und der Bau der Würzburger Residenz. Neumann breitet vor den Franzosen seine Ideen aus. Wieder gibt es ein eifriges Hin und Her von Meinungen, Vorschlägen, Bedenken und Gegenvorschlägen. De Cotte, der die Neumannschen Entwürfe genau studiert, meint, in Neumanns Plänen sei „viel auf italienisch Manier und was teutsches dabei"; es ist die etwas erd- und naturhaftere, aber gemütvollere Art Neumanns, die dem Franzosen auffällt, es ist der Unterschied des deutschen Barock gegenüber dem französischen: er bleibt stets mehr der Erde, der Natur und dem Gefühl verhaftet und wird nie ganz zum Ausdruck des denkenden, rechnenden und berechnenden Verstandes wie in Frankreich. Balthasar Neumann ist darin kaum anders als andere süddeutsche Meister, die Gebrüder Asam zum Beispiel, die in München und anderswo barocke Märchenarchitekturen schaffen, oder Dominikus Zimmermann, der zwei Jahrzehnte später in der oberbayerischen Wieskirche eine der bezauberndsten barocken Innenräume schaffen wird. Viel vom Geist der Asam und Zimmermann lodert auch in ihm, dem strengeren fränkischen Meister. Außer der Erörterung grundsätzlicher Fragen zum Gesamtplan IS
der Würzburger Residenz, zu ihrem endgültigen Grundriß, der Gestaltung ihrer Haupt- und ihrer Gartenfront gibt es in Paris viele wichtige Beratungen über einzelne Teile des Riesenbaues. Wie soll die Hofkirche aussehen, wohin soll sie überhaupt kommen? Und dann das Treppenhaus! Darum wird am härtesten gerungen. Neumann will zunächst neben der Einfahrt zwei große, gleichgebaute Treppenhäuser nach oben führen. Für ihn ist die Treppe die Seele des Hauses. Sie zieht den Blick des Eintretenden empor, mit jeder Stufe soll sie dem Besucher ein anderes Bild bieten, ein neues Spielen des Lichts, ein tieferes Eindringen in das, was an Geist in den Formen des Hauses zu Stein und Stuck geworden ist. Die Franzosen halten diese Doppel-Treppenanlage für deutschen Überschwang, und Balthasar Neumann verschließt sich ihren Einwänden nicht. Was er dann zuletzt, mehr als ein Jahrzehnt später, im Würzburger Treppenbau wirklich Gestalt werden läßt, das hat die kühnsten Erwartungen dieser ersten Planungszeit weit übertroffen. Bald ist der Pariser Aufenthalt vorbei. Neiumann geht wieder nach Würzburg. Die kurze Zeit in Paris hat sein Selbstbewußtsein gestärkt und ihn zur Selbständigkeit geführt. In Würzburg sind vor zwei Jahren Müller und Greising gestorben. Neiumann lädt sich auch ihre Arbeit auf. Im Jahre 1723 übernimmt er außerdem den Auftrag für den neuen Klosterbau des AugustinerChorherrenstiftes Heidenfeld. Oft fährt er mit Plänen und Modellen hinaus zu den Stiftsherren, um das Bauwerk mit ihnen zu besprechen. Während all dieser Arbeit aber singt und klingt das Leben dieser sinnenfrohen Zeit dem Balthasar Neumann seine Melodien ins Gemüt. Himmlisches und Irdisches sind im Barock ja auf ganz wunderbare Weise eins. Während in einem Jahre rauher Kriegsgesang die Welt durchdröhnt, da beginnt vielleicht schon im nächsten Jahre wieder göttliche Musik zu erklingen, da erobert das „wohltemperierte Klavier" Johann Sebastian Bachs sich Ohr und Herz, gehen die Johannes- und die Matthäuspassion des gleichen Meisters ihrer Vollendung entgegen. Und neben dieser würdig dahinschreitenden frommen Kunst tänzelt in jubelndem Lachen und zärtlichem Kosen der Figurenschmuck barocker Puttenpärchen durch Gärten und Parks. Ausgelassenheit und Würde, Ernst und Scherz halten sich in diesem Zeitalter die Waage. Neben Zeremonienspiel und Tändelei der Höflinge wächst echtestes Gefühl des Volkes wundersam empor. Innig singt ein unbekannter D i c h t e r . . . 14
Residenz_zu Würzburg • Fassade des Ehrenhofes
Willst da dein Herz mir schenken, so fang es heimlich an. daß unser beider Denken niemand erraten kann. Die Liebe muß bei beiden allzeit verschwiegen sein, drum schließ die größten Freuden in deinem Herzen ein . . . Johann Sebastian Bach vertont dieses Lied. Dem ernsten Balthasar Neumann mit der hohen Stirn und den klugen, hellen, großen Augen ist ganz nach dem Sinn dieser Verse zumute, als er, siebenunddreißigjährig, sich mit Eva Maria Engelberts Schild verspricht. Eben erst ist er zum Major befördert worden; nun kann er es wagen, beim Geheimrat Dr. Franz Ignaz Schild um Eva-Maria förmlich anzuhalten. Denn der künftige Schwiegervater ist Gehedmer Hofrat und gehört zu den angesehensten Patriziern der Stadt. Vielleicht hätte er es gerne gesehen, wenn seine Tochter einen Adeligen geheiratet hätte. Die Vornehmheit der Geburt ist zur damaligen Zeit außerordentlich bedeutsam und wird ohne Widerrede anerkannt wie ein Naturgesetz. Neumann aber durchbricht diese Schranke und dieses Gesetz durch sein Genie. 1725 findet die Hochzeit statt. Der Residenzhau stockt zu dieser Zeit. Denn im August des vergangenen Jahres ist Johann Philipp ganz plötzlich einem Schlage erlegen; als sein Nachfolger ist der Domdechant Christoph Franz von Hütten zur Regierung gekommen, der Führer der Opposition gegen die Schönborns. Ihm verdankt Neumann zwar seine Beförderung zum Major, aber der neue Herr ist der Baukunst selber nur wenig zugetan. Er ist Gelehrter und spürt lieber einer verstaubten mittelalterlichen Handschrift nach, als daß er prächtige Gebäude baut. Er überläßt das Bauwesen schon bald seinem Neffen Wilhelm von Hütten. Aber dem ist wieder mehr an gutem Leben, denn an fleißigem Bauen gelegen. In dieser Zeit vertauscht Neumann sein Haus in der Kapuzinergasse gegen ein Haus „Oberfrankfurt" in der Franziskanergasse, das bisher Wilhelm von Hütten gehört hatte. In der Franziskanergasse entsteht nun anstelle des alten Fachwerkbaues ein Neubau mit großen, hellen Zimmern und Fenstern, mit breitem Tor und geräumigen Treppenhaus: das neue Heim für das junge Paar. Wird Neumann von der Hofclique des neuen Herrn jetzt auch manchmal kränkend zurückgedrängt, so wächst dennoch sein Ruhm als Architekt. 1725 und 1726 ruft der Kurfürst und Deutschmeister Franz Ludwig ihn als Berater zum Umbau seines alten Schlosses nach Mergentheim. Weitere auswärtige Aufträge folgen: Die Planung einer Pfarrkirche in Wiesentheid im Steigerwald für einen H
Grafen des Hauses Schönborn und der Bau einer Rundkirche zu Holzkirchen bei Würzburg, Gotteshaus der Benediktinerprobstei mit zierreicher Kuppel. Aber auch in Würzburg gibt es für den Vielseitigen noch zu tun genug. Bald nach seiner Hochzeit kommt die Statthalterin der Niederlande, Erzherzogin Elisabeth von Österreich, die Schwester des Kaisers, in die Bischofstadt, um von dort nach Brüssel weiterzureisen. Zu ihrem Empfang wird ein großes Feuerwerk veranstaltet, und' Neumann hat es zu gestalten. In vier großen Vorstellungen wird es abgebrannt, und jedesmal schreiben die emporsteigenden Feuergarben in sinnbildlichen Figuren einen neuen Gedanken an den Nachthimmel: Einmal wird in Wappen und Bildern das Verlangen der Niederlande, die Erzherzogin zur Statthalterin zu haben, ausgedrückt; dann die Ernennung zur Statthalterin; darauf die Freude über ihre nahende Ankunft und endlich der Glückwunsch des Würzburger Hochstifts — alles ganz im Zeichen absolutistischer Fürstenherrlichkeit. Staunend steht das Volk an den Ufern des Mains, während Salutschüsse und Raketen, Feuerräder und Leuchtkugeln, flammende Pfauenschweife und auseinanderstiebende Sternenregen in ständigem Wechsel aus den Mündungen der auf dem Main schwimmenden Feuerwerkskanonen herausschießen. Zum Schluß schickt der Artillerie- und Ingenieurmajor Neumann ein hundert Fuß hohes M V", den Anfangsbuchstaben des Wortes „Vivat", aus Raketen in die Luft. So wechseln die Aufgaben Balthasar Neumanns zwischen Ernst und Spiel. Durch immer neue Tätigkeiten überrascht er uns. Während im allgemeinen der im Hochbau Tätige nicht die Arbeiten des Tiefbautechnikers durchführt, der sich mit Erd- und Straßenbauten beschäftigt, arbeitet Neumann auch im Straßen-, Fluß- und Brückenbau. Zwischen 1724 und 1729 entsteht unter seiner Leitung das etwa 235 m lange und 11 m breite „Wehr", ein Bau, durch den der Mainmühle bei Würzburg das Wasser zugeleitet wird. Auch in späteren Jahren finden wir Neumann oftmals beim Brückenbau in und außerhalb Würzburgs. Von einer Aufgabe eilt er zur andern. Kaum sind die Pläne gezeichnet und die praktischen Anweisungen für ein Unternehmen erteilt, so rüstet er sich schon zum Aufbruch und reist nach Höchberg, Zell oder Königshofen, wo die Befestigungsanlagen noch immer nicht vollendet sind. Die angestrengte Arbeit auf allen diesen Gebieten hilft ihm über die schlechtere Zeit hinweg, die seit dem Amtsantritt des neuen Fürsten für seine hochfliegenden Baupläne angebrochen ist. 17
Manchmal bietet sich aber auch wieder einmal eine lockendere Aufgabe: Balthasar Neumann vollendet in dieser Zeit den Innenausbau der Grabkapelle der Bischöfe aus dem Hause Schönborn, der Schönbornkapelle am Würzburger Dom, die Welsch entworfen hatte. Die Abteikirche Münsterschwarzach, die im 19. Jahrhundart zerstört wurde, wächst mit mächtiger Kuppel und prächtigen Türmen empor. Hier kann der Meister sich wieder einmal beweisen! In der Anlage der Kreuzform beider Schiffe und vor allem im Berechnen der Deckenwölbungen ist hier Vorbildliches vollbracht. Auch Plan und Modell für die Abtei Schöntal entstehen; wuchtig und doch anmutig, wie es seiner Art entspricht, steigt die westliche Hauptseite der Abteikirche empor, die durch mannigfaltige Wandpfeiler gegliedert und zu beiden Seiten von achteckigen Türmen mit „welschen Hauben", geschweiften Zwiebeldächern, überragt ist. Für fast alle diese Bauten fertigt Balthasar Neumann genaue Modelle an, Modelle, bei denen man eher die feine Hand eines Bildhauers, als die eines Architekten zu verspüren glaubt. Solche Modelle kommen ihm gut zustatten, um damit den Auftraggebern die eigene Idee gleich anschaulich darzustellen, oder um die Arbeit der untergebenen Meister am Modell zu kontrollieren, wenn Neumann einen Bau einmal nicht selber leiten kann . Die freien Stunden gelten der Familie. Nie fehlt Kinderlachen im Haus. Ein Bub und zwei Mädchen laufen bereits herum und bringen frohes Lehen in die Stube. Drei Mädchen und zwei Jungen gesellen sich im Laufe der Zeit noch dazu. Oft ist das junge Volk um ihn, wenn er in seinem Arbeitszimmer in der Franziskanergasse sitzt und Skizze um Skizze in sein Zeichenbuch einträgt. Aber freundlich und gütig läßt er die tobende Schar gewähren, bis er sie mit einem Scherzwort dann endlich doch zur Ruhe bringt. Dann stehen sie mit großen Augen um seinen Sessel und schauen und staunen, was er da entworfen und gezeichnet hat.
* Ein neuer Erntetag bricht an. Unerwartet ist Christoph Franz von Hütten, der unlustige und sparsame Bauherr und gelehrte Fürstbischof, aus dem Leben geschieden. Wieder wird ein Schönborn den Würzburger Bischofsstuhl besteigen. Es ist der bisherige Reichsvizekanzler aus Wien, Friedrich Karl von Schönborn, ein Mann von auserlesenem Kunstverstand. Der erst fünfunddreißigjährige Fürst ist Herr über die beiden Hochstifte Würzburg und Bamberg; denn inzwischen ist auch der mächtige Kurfürst von Mainz, Erzkanzler Lothar Franz von Schönborn, gestorben und 18
hat da» r urstbistum Bamberg der Obhut seines Neffen, des Würzburger Herrn, überlassen. Für Neumann bedeutet diese Machterweiterung neuen Auftrieb und einen großen Zuwachs seiner Aufgaben. Denn auch im Bambergischen gilt es jetzt bald zu planen und zu bauen. Neumann wird zum Obristleutnant befördert und geht vorerst auf Wunsch seines Landesherrn für kurze Zeit nach Wien. Der Fürstbischof hat ihn dem Prinzen Eugen empfohlen, der an den Planungen für Würzburg regen Anteil nimmt und sich mit Hingabe in die Grundrisse vertieft, die Neumann mitgebracht hat. Vor allem aber ist es Johann Lukas von Hildebrandt, mit dem der Würzburger Meister jetzt in Fühlung kommen soll. Hildebrandt ist berühmt wegen der festlichen und heiteren Note seiner Bauschöpfungen, unter denen das Obere und Untere Belvedere, der Wiener Schloßsitz des Prinzen Eugen, an strahlender Schönheit hervorragt. Neumann und Hildebrandt besprechen gemeinsam die Entwürfe für den Weiterbau der Residenz in Würzburg. Wieder beginnt ein zähes Ringen der Meister um den Vorrang von Gedanken und Ideen. Dem älteren Hildebrandt ist Neumann etwas zu stürmisch. Er traut seinem kühnen Geist nicht immer. Vor allem die gewagten Gewölbekonstruktionen des Jüngeren sieht er nicht gern. Aber gerade das ist Neumanns große Kunst: in kühner Berechnung die Scheitelhöhe eines Gewölbes selbst in den größten Räumen so niedrig zu halten, daß man glaubt, die Decke schwebe; denn er beherrscht das Spiel mit den Kräften der Schwere wie der ThomasKantor Bach in Leipzig die Kunst der Fuge auf der Orgel. Viel schwieriger, als ein Gewölbe hinzuzaubern, ist es meist, den Plan zu der kühnen Wölbung den Bauherren gegenüber durchzusetzen. Balthasar Neumann beabsichtigt, das Treppenhaus des Schlosses mit einem Flachgewölbe zu überspannen, wie eis in dieser Größe noch nie gebaut worden ist. Heftig und hitzig prallen die Meinungen aufeinander. Von Wien nach Würzburg wolle er reisen und sich da unter dem Gewölbe der geplanten großen Treppe hängen lassen, auf eigene Kosten, sagt Hildebrandt, wenn Neumanms Konstruktion sich bewähre. Und Neumann wieder erbietet sich, eine Batterie von Geschützen unter seinem Gewölbe auffahren und jede beliebige Zahl von Schüssen abgeben zu lassen, um die Festigkeit seines Baues zu beweisen. Auf diese Weise gehen die Ansichten hin und her. Selbst als Neumann wieder nach Würzburg zurückgekehrt ist, wird brieflich weitergekämpft. Aber dennoch: es geht vorwärts, es wird gebaut, und der Fürst kommt mit immer neuen Plänen und Wünschen. 20
Schloß Steinbach • Grundriß • Erbaut 1725—28 unter entscheidendjr Mitwirkung Balthasar Neumanns Neue Reisen bringen frische Arbeitskraft. Über Linz, Burghauseii, Neuötting geht es nach München. Nymphenburg und Schleißheim werden genau visitiert. In Nymphenburg interessieren den Meister ganz besonders die Springbrunnen und Pumpwerke. Aber jetzt ist er schon kritisch geworden. Nicht alles findet er an den Wasseranlagen fachgerecht. Schloß Schleißheim aber, meint er, sei ohne Tadel. Vor allem das Vestibül und die Haupttreppe besieht er sich genau. Auch versäumt er nicht, überall Maß zu nehmen und Wasseranlagen, Marmorschneiderei und „vielerley tinge", wohl zu besehen und in sein Notiz- und Skizzenbuch zu vermerken. Auch diese Reise geschieht auf „Hochfürstlicher Gnaden gnädigsten Befehl". Es ist ein festliches Spiel, das Neumann jetzt mit immer neuen Werken seiner Kunst vollbringt. Ein Spiel mit Licht und Farben, mit Zahlen, die sich geheimnisvoll in kühne Konstruktionen verwandeln, mit gewagten Gewölben und weitschwingenden und ineinander verflochtenen Gemächern. Er gestaltet Räume, die das Gemüt emporreißen, Räume, die zur Andacht stimmen, und Räume, deren Ovale, Kreuzformen, Sechsecke und Kuppeln den Geist einer klaren, hohen Mathematik der Seele übertragen. So entstehen das herrliche Treppenhaus im Schloß zu Bruchsaal und das Sommerschloß Werneck 21
der Würzburger Fürstbischöfe, mit Mittelturm, Park, Fasanerie und Orangerie, feierlich, groß, erhaben in seiner Gliederung, fürstlich in seiner Ausstattung; dort aber, wo durch Wiesen, Hügel und Wälder die Straße von Pommersfelden aus weiter in die „Fränkische Schweiz" hineinführt, in jenem kleinen Orte Gößweinstein, unterhalb der alten Ritterburg, wächst die Wallfahrtskirche zur Hl. Dreifaltigkeit empor: In ihrem Äußeren durchdacht und gebändigt im Aufbau ihrer Stockwerke bis hinauf in die schlichten Turinaufsätze mit den bescheidenen Laternchen; festlich schwingend aber im Innern, das überwölbt ist von großartig gegliederten Prachtdecken mit prunkvollen Malereien und Dekorationen. Nie wird in Neumann nur eine Seite seines Wesens offenbar. Gewiß muß er bei einem Kirchenbau rechnen, planen und messen, um dem Bauwerk Feistigkeit und Sicherheit zu verleiben; aber zugleich drängen in ihm auch fromme Betrachtungen zu künstlerischem Ausdruck. Beim Bau der Kirche zu Gößweinstein beschäftigt den Meister das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit nicht weniger als die materielle Architektur. Er zeichnet Skizze um Skizze, um seine tiefsten Gedanken in die Figuren des Hochaltars zu bannen. Erst in diesem Nebeneinander von Konstruieren und frommem Betrachten wird die Mathematik, das geometrische Gerüst seiner Bauweise, zu dem überzeugenden seelischen Klang. Diese wunderbare Einheit von Wissenschaft, Kunst und religiösem Erleben ist eines der Geheimnisse des Barock, wie es Balthasar Neumann in zahlreichen Kirchenbauten verwirklicht hat. Und immer wieder erstaunt uns die vollendete Übereinstimmung des planenden Gedankenbaus mit der seelenvollen Harmonie des vollendeten Werkes. Gottfried Wilhelm Leibnitz hat in dieser Zeit in genialer Weise das Rechnen mit unendlich kleinen Größen, die Infinitesimalrechnung, ergrübelt; diese Rechnung ist das unentbehrliche Rüstzeug des Barock-Architekten, ohne das er die geschwungenen Linien seiner Außen- und Innenbauten gar nicht berechnen und festlegen könnte. Nur weil sie dank der zugrundeliegenden Berechnungen in vollendeten Verhältnissen ihrer Maße gebaut sind, werden sie für jeden, zu Klängen, zu Musik. Balthasar Neumann denkt oft über diese rätselvolle Wechselwirkung nach: über das Aufgehen der Zahl in der Kunst, über das Walten der Zahlharmonien im schönen, wohlabgestimmten Bauwerk und in der Scliönheit überhaupt. Er weiß um das unergründliche Geheimnis. Zur selben Zeit baut in Cremona Antonius Stradivarius seine 22
Geigen, zeichnet Höhen und Wölbungskurven auf das zurechtgeschnittene Holz, wölbt mit dem Stecheisen Boden und Decke. Und auch bei ihm wird aus Rechnen, Denken und Planen ein wundervolles Klingen. Wenn Neumann aus den schon vollendeten Wohnräumen der Residenz die Geigenklänge Telemannscher oder Bachscher Abendmusik vernimmt, dann denkt er, daß die Geigen seinen Werken ähnlich sind.
* Aber es bleibt meist nicht viel Zeit zu solchem Sinnieren. An allen Orten wird er gebraucht, als Künstler und als Ingenieur. Die Hauptaufgabe ist immer noch die Residenz. Die nördliche Fassade des Ehrenhofes ist nun fertig. Prächtig leuchtet die Wand mit ihren Gesimsen, dem reichen Ornament und den rhythmisch gegliederten Wandpfeilern in> hellem Stein. Stück um Stück dieses Riesenbaues wächst in mühevoller Arbeit heran. Da beginnt plötzlich der Steinbruch von Faulenberg, aus dem vor allem die Quader für den Schloßbau gewonnen werden, durch unterirdische Quellen überflutet zu werden. Sogleich konstruiert Neumann ein Pumpensystem, und in zäher Arbeit gelingt es ihm, das Wasser zu besiegen und die Materialquelle für die Steinlieferungen zu erhalten. Kommt er nach anstrengender Tagesarbeit müde heim in sein Haus in der Franziskanergasse, so findet er meist geschäftliche Briefe vor. Ein preußischer Offizier will Unterrichl in der Militärbaukunst, und ein Kavalier aus Österreich wünscht ihn zum Lehrer in allen Belangen der Zivilarchitektur. Nicht immer ist der Meister von solchen Schülern erfreut. Oft ist es nur ihre hohe Stellung, ihr gesellschaftlicher Rang, die es ihm unmöglich machen, sie abzuweisen. Aber manchmal freut es ihn auch, sein reiches Wissen zu vermitteln. Der Fürstbischof hält viel von «einem erzieherischen Geschick. Er erteilt Neumann einen akademischen Lehrauftrag für Zivil- und Militärbaukunst an der Würzburger Universität. Das ist im Jahre 1731. Was ist aus dem Glocken- und Stückgießergesellen Balthasar Neumann, der 1711 als Wanderbursche nach Würzburg kam, in diesen zwanzig Jahren nicht alles geworden! Ein unentbehrlicher Berater des Fürsten, ein großer Ingenieur, tatkräftiger Offizier, ein vollendeter Künstler und nun selbst ein Universitätslehrer. Neumann steht in voller Schaffenskraft. Und immer neue Aufgaben treten an ihn heran. Friedrich Karl wünscht Ratschläge und Pläne für seine Fasanenzüchterei an der Wern. Die Gartenanlage in Pommersfelden fordert 23
seine Überlegung. Neben baulichen Umgestaltungen in der Bamberger Residenz hat Neumann es übernommen, das Katharinenspital, ein neues Priesterseminar und ein Haus für das Domkapitel tu entwerfen.
* Der Präsident des Obersten Rates der Stadt Würzburg gibt im Februar des Jahres 1733 bekannt, daß der Fürstbischof Auftrag erteilt habe, auf ein Mittel zu sinnen, das geeignet sei, diejenigen Stadtteile, denen gutes Trinkwasser am meisten mangele, mit Wasser zu versorgen. Dem Ohristleutnant Neumann wird die Arbeit übertragen. Am Schalksberg gräbt er nach neuen Quellen und stößt auf ergiebige Wasseradern. Schon baut er ein Pumpwerk, wirft einen Wasserstollen aus und ordnet da« Verlegen von Wasserrohren an, die bis in die Mitte von Würzburg, bis an das Juliusspital geführt werden. Das Werk geht seiner letzten Vollendung entgegen, und Neumann freut sich bereits auf die Einweihung, als er eilige Order nach Ehrenbreitstein erhält; er wird als Sachverständiger für den Ausbau dieser mächtigsten Festung Europas gebraucht, die den Rhein und die Mosel bewacht. Die Zeit ist unruhig. Man fürchtet den Einfall einer großen französischen Armee. Der Obristleutnant der fränkischen Kreisartillerie fährt nach Ehrenbreitstein. Während er die dortigen Baumeister zu zweckmäßiger und schneller Arbeit an der Fortifikation anweist, freuen die Würzburger Bürger sich herzlich an seinem neuen Werk. Welche Begeisterung und welches Vergnügen die ganze Stadt an dem laufenden Röhrenbrunnen bezeigt, berichtet der Chronist im August 1733: „Es ist dermalen ein Stock oder Röhren auf gesetzet, woraus bei 7 Schuh hoch das Wasser von 4 Seiten heraus laufet, und von Jedermann, sowohl Einheimischen als Fremden, versuchet wird. Einige stehen mit Krügen, einige mit Gläsern, andere mit Butten da, das Wasser zu holen; einer drinket auß der Röhren, der andere haltet den Hut auf, und tun nicht änderst, als laufet Wein heraus." Neumanns vielseitiges Können kommt mit solchen, in jener Zeit seltenen Wasserleitungsanlagen seinen Mitbürgern ganz unmittelbar zugute. Aber für ihn ist die Arbeit noch nicht getan, wenn ein Werk vollendet ist. Gleich sinnt er nach neuen Mitteln, es zu verbessern. Der Vierröhrenbrunnen, wie er jetzt angelegt ist, paßt ihm nicht ganz. Die Röhren sind aus Baumstämmen herausgebohrt,
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und er sieht für die Zukunft viele Reparaturen voraus. Einige Jahre später bezieht er deshalb, im Einverständnis mit dem Fürstbischof, 500 Zentner Blei aus England und macht sich mit Eifer daran, Wasserrohre zu gießen, um die Holzleitung durch Bleiröhren zu ersetzen. Allerorts wird er jetzt angefordert, wenn.Brunnen- Pump- und Wasserkunstanlagen zu bauen sind. Überhaupt hat Neumann zum Wasser ein besonderes Verhältnis. Das Gleitende, Dahinflutende, plötzlich Aufsprudelnde und wieder Versinkende des Wassers ist ihm geheimnisvoll wie das Leben selbst. Da hinein zu lauschen lohnt sich. Es macht hellhörig und klug. Was aber bedeutet es erst für ihn, den Baumeister, dieses rätselhafte Element einzufangen, ihm eine Bahn zu geben, es dienstbar zu machen, allen denen, für die er baut! Auch in Kissingen arbeitet Neumann mit dem Wasser. Er läßt die Saale ableiten. Es sind dort bereits einige Heilquellen bekannt; der Bad-Brunnen, der unmittelbar an der Saale entspringt, soll durch die Flußregulierung besser zugängig gemacht werden. Neugierig verfolgt Neumann den Lauf des Flusses. Genau durchforscht er das alte Bett. Dabei entdeckt er den kostbarsten Schatz Kissingens, den „neuen Brunnen", die Heilquelle, der Kissingen seinen Weltruf und seinen Namen „Bad" verdankt! So rein, berichtet Neumann selbst, sprudelt dort die Salzquelle, daß man tief bis auf den Grund sehen kann. Er läßt tiefer und tiefer graben und findet noch eine uralte Fassung der entdeckten Quelle. Dem Fürstbischof ist viel an Kissingen gelegen, und so soll sein Architekt gleich eine genaue Karte für das ganze Badegelände und die Quellenanlage zeichnen und das erste Kurhaus, die Kuranlagen und Badeeinrichtungen entwerfen. Selbstverständlich bleibt neben solcher Beschäftigung die Arbeit an der Würzburger Residenz und all den anderen Bauaufgaben nicht stehen. Für Neumanns Schaffen gibt es überhaupt nur eine Grenze: Die Sparmaßnahmen des Fürsten, die zuzeiten immer wieder einmal nötig sind. Aber er findet stets neue Wege, um groß zu bauen und Kosten zu sparen. Auch als Kaufmann und Fabrikant bewährt er sich nun. Für die vielen Bauten, die jetzt im fränkischen Land emporwachsen, für Kirchen, Schlösser und Paläste, braucht man viel Glas. Glas ist teuer, wenn man es von auswärts kommen läßt. Als Neumann einmal von Bamberg aus in den Steigerwald nach Schleichach kommt, sieht er dort eine verfallene, heruntergewirtschaftete Glasfabrik. Nie hat er bisher mit der GLaaherstelhing zu tun gehabt. 25
Aber er ist Praktiker und versucht sein Glück. Er richtet die Glashütte ein, setzt sie wieder in Gang, kümmert sich um jede Einzelheit und Kleinigkeit und bringt tatsächlich den Betrieb wieder zur Produktion. Da durch die Gasherstellung hohe Einfuhrkosten gespart werden, läßt ihn der Fürst gewähren und übergibt seinem Baumeister das ganze Werk auf eigene Gefahr und zu eigenem Gewinn. Neumann weilt, so oft seine Zeit es erlaubt, in Schlcichach, um Betrieb und Produktion zu leiten uud zu überwachen. Bald ist die Herstellung der Gläser so befriedigend, daß Neumann daran denken kann, ausländische Kunden für seine Ware zu werben. So reist er nach Amsterdam, wo die Schleichacher Glasmuster gefallen, und gewinnt dort einen weiteren Absatzmarkt. Zwischendurch fordert ihn wieder die Militärverwaltung an. Neumann muß die Zeughäuser der Artillerie besuchen und dort nach dem Rechten sehen. Vor allem hat er dafür zu sorgen, daß die Rüstungen stets den modernen Anforderungen entsprechen. Das führende Land im Kriegswesen ist Frankreich. Dort gibt es die besten Festungen, die Belagerungskunst ist auf eine noch nicht dagewesene Höhe gebracht. Frankreich hat das Artilleriewesen verbessert und die bombenwerfenden Mörser eingeführt. Es hat als erstes die umständliche Luntenflinte durch das handlichere Steinschloßgewehr, und die schwerfällige Pike durch das Bajonett ersetzt. Balthasar Neumann ist auch dieser Wirklichkeit gegenübergestellt und muß sich mit ihr befassen. Nie darf er ganz sich selber leben: seinen weitausgreifenden Plänen und Traumgestalten. Während in seinem Geiste die Residenz sich vollendet, in Schloß Brühl bei Köln ein Treppenhaus, ähnlich dem Würzburger, zu triumphierender Schönheit aufsteigt und in mehreren kleinen Kirchen bezaubernd-neue Raumgebilde entstehen, muß Balthasar Neumann gleichzeitig alte Haubitzen einschmelzen lassen, um neue Geschütze daraus zu gießen und ganze Kompanien mit verbesserten Schußwaffen ausrüsten. 1741 wird er zum Obristen der Kreisartillerie befördert, er steht jetzt in der Mitte der Fünfzig. Sein Leben ist alles andere als bequem. Zu Zeiten hat er dreißig Baustellen gleichzeitig zu leiten. Er kommt kaum noch aus der Kutsche heraus bei den vielen Neuund Umbauten in Stadt und Land. Außerdem sind Straßen und Brücken zu prüfen, die Gemeinden zu ermahnen, daß sie ihre Wege instandsetzen, und bei den Bastionen am Marienberg, bei Höchberg, in Nürnberg, Königshofen, Kronach und Forchheim die Schanzarbeiter anzuweisen. Überall taucht Obrist Balthasar Neumann auf, damit kein Stillstand entsteht. 26
Aber gerade dieses mühevolle Leben, das rege Tätigsein ist es, das den Architekten und Künstler in der inneren Unruhe hält, in der Sehnsucht nach dem Schönen, nach der beseelten, klaren, geisterfüllten Form.
* Über dem Main, auf bewaldeter Höhe, das Gesicht dem jenseitigen Kloster Banz zugewandt, steht von altersher eine Kapelle. Der Klosterschäfer auf der Meierei Frankenthal, die zur Zisterzienserabtei Langheim gehört, hatte beim Schafhüten zweimal die Erscheinung der vierzehn heiligen Nothelfer. Sie verlangten die Errichtung einer Kirche zu ihren Ehren. Da erbaute die Abtei Langheim 1448 das Kirchlein auf dem Berg, das bald zu dem beliebtesten Wallfahrtsort für die ganze Umgebung geworden ist. Auch Balthasar Neumann liebt diesen Ort mit dem weiten Blick über das fränkische Land. Als das Kloster die alte Wallfahrtskapelle erneuern und vergrößern will, übernimmt Neumann den Neubau und macht sich sogleich über den Entwurf. „Und solle diesse Kirchen ein Meisterhaftes Werk werden", schreibt er in der Freude über den lockenden Auftrag. Lange schon sinnt er darüber nach, wie er Kirchenräume noch mehr weiten, noch mehr lichten kann, ohne daß die Außenmauern verändert werden. Bei der Kirche Vierzehnheiligen will er die Innenräume nicht mehr streng begrenzt nebeneinander stellen, sondern sie verschmelzen, ein Rund mit dem anderen, ein Oval mit dem anderen verbinden, sie einander übergehen lassen. Er will eine Kirchenhalle schaffen, die aus mehreren Räumen zu e i n e m zusammenklingt, in der die Vielheit die Einheit belebt, in der die Einheit die Vielheit einer höheren Harmonie dienstbar macht. Und es selingt ihm in der Kirche zu den vierzehn Nothelfern. " In goldgelbem Farbton leuchten von weither die Doppeltürme herunter ins liebliche Tal des Mains. Was im Inneren des Gotteshauses geschaffen ist, ist ein beglückendes Wunderwerk, das in der abendländischen Architektur nicht seinesgleichen hat. Der Barock hat in dieser Schöpfung Balthasar Neumanns seine kostbarsten Juwelen ausgestreut. Diese schwebenden Kurvenbahnen der Gewölbe, diese wie Rosenblätter aus dem Herzstück des Gnadenaltars herausnutenden Raumteile, Nischen und Emporen, dieses jubilierende Formenspiel des Decken- und Wandschmucks — all das ist nur noch mit Musik zu umschreiben Und es ist nicht allein die Musik der Zeitgenossen, die Musik Johann Sebastian Bachs und das festliche Tönen Händelscher Oratorien, die daraus hervorklingt, 27
es ist eine vorabnende Musik, eine Musik des Kommenden: Im Kirchenraum zu Vierzehnheiligen musiziert bereits Wolfgang Amadeus Mozart.
* Vierzehnheiligen, das festliche Lied, ist nicht das letzte, das der Meister angestimmt hat. Er geht jetzt zuweilen allein durch die Stadt, vorüber am Neumünster, der Mainbrücke zu, die er vor über 25 Jahren freilegen ließ, damit sie zum Wahrzeichen Würzburgs werde, zur uneingeengten Verbindung zwischen Festung und Dom. Wie lange liegt das zurück! Es war die erste Zeit seines Werdens, der Auftakt zum großen Werk. Neumann geht über die wuchtige, steinerne Brücke, vorüber an den ergreifenden Figuren, die Claude Curee und Johann Sebastian Becker, die beiden Bildhauer aus Haßfurt, gemeißelt haben, vorüber an den Standbildern Pippins und Karls des Großen, der Madonna und des heiligen Joseph, des heiligen Nepomuk und des heiligen Friedrich. Und Werk um Werk, das er selbst bis jetzt geschaffen hat, steht vor ihm auf. Er hätte Grund, darauf stolz zu sein. Aber es genügt ihm, zu wissen, daß er immer sein Bestes gegeben hat. Das macht ihn stark genug, die erfolgte Entlassung als Oberbaudirektor von Würzburg mit Ruhe hinzunehmen und all die Intrigen zu ertragen, mit denen Nichtskönner und Scharlatane am Hofe des neuen Landesiherrn Graf Anselm Franz von Ingelheim gegen ihn vorgehen; denn im August des Jahres 1746 ist Friedrich Karl von Schönborn, sein großmütiger Gönner, gestorben. Als Neumann bei den drei Frankenaposteln angelangt ist, kommt das alte Kilianslied ihm in den Sinn: „Wir rufen an den teuren Mann, St. Kilian! Wir rufen an dann Mann für Mann, St. Kolonat und St. Totnan! — Dich loben, Dir danken Deine Kinder in Franken, St. Kilian! Und er schöpft wieder Kraft. Was soll er sich grämen? Hat er nicht Grund genug, trotz allem dankbar zu sein? Weit über Frankens Grenzen hinaus ist er geschätzt und begehrt. Was bekümmert ihn die Engherzigkeit jener Hofclique? Jetzt, da er in Würzburg zur Untätigkeit verurteilt ist, wird er frei sein für Bauvorhaben größten Stils. 2«
Vierzehnheiligen • Längsschnitt des ausgeführten Kirchenbaues
Vierzehnheiligen • Die Gewölbe des ausgeführten Baues
Für Wien entwirft Balthasar Neumann Pläne zu einer neuen Hofburg, und auch für das neue Schloß in Stuttgart fertigt er Entwürfe an. 1747 entsteht der Plan für die Marienwallfahrtskirche auf dem Nikolausberg, das „Käppele", hoch über Würzburg, das volkstümliche Kleinod fränkischer Rokokokunst. Im gleichen Jahr wünscht der Abt des schwäbischen Benediktinerklosters Neresheim eine neue Kirche, und Neumann erhält den Bauauftrag. Eine der reifsten Schöpfungen des Meisters entsteht, eine herrliche Komposition von ovalen, sich verschlingenden Räumen, einer von Doppelsäulen getragenen Kuppel und lichtdurchfluteter Durchblicke, ein Bau, der, ähnlich wie die Kirche zu Vierzehnheiligen, in allen seinen Teilen zusammenklingt, verhaltener zwar als dort, aber von gleich großer Eindruckskraft. Auch Kurfürst Franz Georg von Trier gehört zu den Bewunderern Neumannscher Kunst. 1748 erteilt er den Auftrag zu einer Sommerresidenz am Rhein bei Koblenz, der Feste Ehrenbreitstein gegenüber. Neumann macht sich daran, ein Schloß zu schaffen, das mit Recht den Namen „Schönbornslust" verdient. Inzwischen ist in Würzburg die Herrschaft Graf Anselms von Ingelheim zu Ende gegangen. 1749 besteigt erneut ein Fürstbischof aus dem Hause Schönborn den Würzburger Thron: Karl Philipp von Greiffenclau. Neumann wird wieder in alle seine Ämter und Rechte eingesetzt. Endlich kann auch die Würzburger Residenz ihrer Vollendung entgegengehen. Der neue Fürst scheut keine Opfer, dem prächtigen Gebäude die letzte Ausstattung zu geben. Es gelingt, den großen Italiener Tiepolo, den weltberühmten Meister der Freskomalerei, für Würzburg zu gewinnen, damit er Neumanns glanzvolle Räume, vor allem das Treppenhaus, mit Bildern schmücke. Der fünfundsechzigjährige Neumann erfährt die Ehrung, durch den Trierer Kurfürst Franz Georg von Schönborn zum festlichen Einzug in das neuerbaute Schloß am Rhein geladen zu werden, wo ein Herold des Kurfürsten auch des Architekten rühmlich gedenkt: „Wovon ich schon so viel gehöret, Wovon die Zeitung uns belehret, Dies Schloß voll Kunst am großen Rhein, Soll Schönbornlust genennet sein. Denn welcher Pinsel ist so kühn, Den Lauf der Zierrath nach zu ziehn? Vom Grundriß sag ich dies allein, Wer solchen aufs Papier wollt legen, Muß fürstliche Gedanken hegen . . . " 30
Es ist ein Jahr vor Neumanns Tod. Noch schafft er aus der unerschöpflichen Fülle «eine« Künstlertums und leitet die Arbeiten auf vielen Baustellen. Im Juli 1753 aber zwingt ihn ein schweres Leiden aufs Krankenlager, das er nicht mehr verlassen soll. Am Morgen des 19. August 1753 stirbt Balthasar Neumann in seinem Hause in der Franziskanergasse zu Würzburg. Am 22. August trägt man ihn zu Grabe. Inmitten der Stadt, in der Marienkapelle auf dem Markt zu Würzburg, findet er die letzte Ruhestätte.
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„Schönbornslust", eine der letzten großen Schöpfungen Meister Neumanns, ist noch zu Ende des Jahrhunderts von französischen Revolutiönstruppen zerstört worden; viele andere Bauten sind den Verheerungen des letzten Krieges zum Opfer gefallen. Der Ruhm ihres Erbauers aber besteht fort. Wie hochgeschätzt der Künstler unter Künstlern war, beweist das im Jahre 1753 geschaffene Deckenfresko Tiepolos im Treppenhaus der Würzburger Residenz, das den Obristen und Architekten darstellt, wie er gelassen, sicher und ungebeugt, hinüberschaut auf sein großes Werk. Ist auch vieles in Balthasar Neumanns Schaffen nur Planung, Idee, Entwurf geblieben, wie die gewaltig gedachte Architektur zum Wiener Kaiserschloß, so haben selbst die unausgeführten „fürstlichen Gedanken" des Meisters, soweit sie in den Grund- und Aufrissen und Skizzen noch erkennbar sind, für den Betrachter doch höchst beglückende Bedeutung. Was an Bauschöpfungen aber unwiederbringlich verloren ist, das hat zwei Jahrhunderte lang unzählige Menschen hochgestimmt und ergriffen, das wirkt noch in bewundernder Erinnerung, oftmals aber auch in den Werken späterer Künstler, denen es Maß und Vorbild gewesen ist. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Abbildungen auf dem Umschlag: Vogelscbauplan der Stadt Würzburg von B. Neumann aus dem Jahre 1723, darüber vorn: Aufriß der Schönbornkapelle, auf der Rückseite: frühestes Wappen Neumanns.
L u x - L e s e b o c j e n 166 ( K u n s t ) - H e f t p r e i s 2 5 Pfq. Natur- und kul'urkundliche Hefte — Bestellungen (vlertel)ahrl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, München, Innsbruck — Druck: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg 31