Nr. 152
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Nr. 152
Der Ring des Schreckens Jagd nach dem Stein der Weisen die Spur führt zum Dreißig-Planeten-Wall von H. G. Ewers
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Arkon steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol IN, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Impe rator von Arkon zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extrahirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen hat und den Sturz des Usurpators anstrebt. Doch Atlans Möglichkeiten und Mittel sind begrenzt. Ihm bleibt nichts anderes üb rig als der Versuch, seinem mächtigen Gegner durch kleine, aber gezielte Aktionen soviel wie möglich zu schaden. Im Zuge dieser Unternehmungen gelang Atlan und seinen verschworenen Gefähr ten erst jüngst ein großer Coup. Sie kaperten die KARRETON und befreiten Ra, den mysteriösen Barbaren vom grünen Planeten. Jetzt sind Atlan und seine Getreuen erneut im Weltraum unterwegs – auf der Jagd nach dem legendären Stein der Weisen, hinter dem auch Orbanaschols Leute her sind. Die Spur dieses Kleinods der Macht führt Atlan zum 30-Planeten-Wall und in den RING DES SCHRECKENS …
Der Ring des Schreckens
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz geht auf die Suche nach dem Stein der Weisen.
Fartuloon und Ra - Atlans Begleiter beim Flug zum Dreißig-Planeten-Wall.
Dovreen - Ein Mann mit zwei Gesichtern.
Kirthon und Tuffar - Zwei Beauftragte Orbanaschols.
1. Die KARRETON wurde heftig durchge schüttelt, als sie nach der vorläufig letzten Transition am Rand des galaktischen Zen trumskerns rematerialisierte. Alarmpfeifen setzten mit schrillem Miß klang ein, und Morvoner Sprangk, der als Pilot fungierte, hieb mit der Faust auf die Schaltplatte, von der aus der energetische Schutzschirm des Schiffes aktiviert wurde. Das Heulen der Alarmpfeifen verstummte Augenblicke später, aber zahlreiche Kon trollen wiesen weiterhin bedenklich stim mende Werte aus. Auf dem Frontsektor der Panoramagalerie war ein grelles Gluten und Gleißen zu sehen, abgemildert durch die au tomatische Lichtfilteranlage, aber dennoch furchterregend anzusehen. »Der Zentrumskern!« erklärte Fartuloon, obwohl es dieser Erklärung nicht bedurft hätte. »Hier stehen im Umkreis von zehn Lichtjahren an die zwanzig Millionen Son nen, ein regelrechter Sternklumpen, dessen Hohlräume von dichtem hocherhitztem Wasserstoff ausgefüllt sind.« »Dort kann sich kein Sonnensystem bil den«, erwiderte ich. »Und wir können dort unmöglich hineinfliegen.« Die Berechnungen stimmen nicht! raunte mein Logiksektor mir zu. Überprüfe sie noch einmal. Irgendwo muß sich ein Fehler eingeschlichen haben. »Es wäre möglich, daß die Berechnungen fehlerhaft sind«, sagte ich. »Schließlich ha ben wir sie nur aufgrund von winzigen In formationsanstößen aufgestellt, die wir uns auf der Vergessenen Positronik holten.« Mein Pflegevater Fartuloon blickte mich nachdenklich an. Er war damals mit auf der Vergessenen Positronik gewesen, hatte ge
meinsam mit mir eine alptraumhafte Serie gefährlichster Abenteuer erlebt und dann von einem Wesen namens Segmasnor erfah ren, daß wir den Dreißig-Planeten-Wall an fliegen sollten, wenn wir den Stein der Wei sen suchten. »Es ist ein Wunder, daß wir überhaupt Berechnungen anstellen konnten, Atlan«, meinte er. »Also überprüfen wir sie noch einmal.« Wir erhoben uns gleichzeitig von unseren Kontursesseln und begaben uns zur Schaltwand der Bordpositronik. Aus den Augen winkeln sah ich, daß Ra, jener geheimnis volle Barbar, den wir Orbanaschol gestohlen hatten, mich beobachtete. Er war noch im mer sehr wortkarg. Aber er verfolgte alle Vorgänge an Bord mit großer Aufmerksam keit. »Soll ich beschleunigen, Atlan?« fragte Sprangk. »Nein, lassen Sie das Schiff treiben!« ent schied ich. »Versuchen Sie, markante Orien tierungsmerkmale zu erfassen!« Ich wußte natürlich, daß es so dicht am galaktischen Zentrumskern ungeheuer schwierig war, markante Orientierungsmerk male zu finden, vor allem, da dieses Gebiet noch nicht kartographisch erfaßt war. Aber es stellte die einzige Möglichkeit dar, unsere Position wenigstens annähernd zu bestim men. Während Morvoner Sprangk die einlau fenden Ortungsergebnisse auswertete, mach ten Fartuloon und ich uns daran, die Berech nungen zu überprüfen. Das war im Grunde genommen leicht, denn wir brauchten nur die einzelnen Daten systematisch durchzu gehen und ihre Erarbeitung vom Bordrech ner wiederholen zu lassen. Aber dieser zeit raubende Vorgang erforderte Geduld. Als wir nach rund dreieinhalb Stunden
4 fertig waren, hatten wir keinen Fehler gefun den. »Es gibt demnach zwei Möglichkeiten«, erklärte Fartuloon. »Entweder stimmen un sere Ausgangsdaten nicht – oder wir sind nach der letzten Transition nicht exakt dort materialisiert, wo wir materialisieren woll ten.« »Letzteres trifft zu«, warf Morvoner Sprangk ein. »Die Orientierung war zwar recht mühselig, aber sie hat mir geholfen. Die letzte Transition ergab eine Abweichung von zirka siebenunddreißig Lichtjahren.« »Das ist enorm«, sagte Corpkor, der ne ben Ra saß. »Eigentlich nicht«, gab Fartuloon zu be denken. »Wir sind durch einen Hyperraum sektor gesprungen, der stark von den Struk turen des Zentrumskerns beeinflußt werden dürfte. Offenbar sind hier exakte Transitio nen nicht mehr möglich.« »Also korrigieren wir die Abweichung«, erklärte ich. Morvoner Sprangk machte eine bestäti gende Geste. Gemeinsam mit meinem Pfle gevater gingen wir an die Arbeit und pro grammierten den Autopiloten für den Kor rektursprung. Anschließend nahm die KARRETON Fahrt auf. Sie beschleunigte bis zu neunzig Prozent LG, dann verwandelte sie sich – und wir mit ihr – in eine Ballung hyperdimensio naler Energie, die so schnell wie ein Hyper funkimpuls durch den Überraum schoß, bei den Zielkoordinaten in den Normalraum zu rückkehrte und sich wieder in die alte stoff liche Erscheinungsform zurückverwandelte. Als wir diesmal zur bewußten Existenz zurückkehrten, schwebte die grelleuchtende Ballung des Zentrumskerns schräg über dem Schiff. An Backbord aber leuchtete eine große gelbe Sonne. »Massetaster schlagen aus!« rief Corpkor von den Ortungskontrollen her. »Sie zeigen nicht nur die Masse der gelben Sonne an, sondern auch zahlreiche andere Massenkon zentrationen.« Wir blickten uns in die Gesichter, ohne
H. G. Ewers aus Corpkors Meldung einen Schluß zu zie hen, der vielleicht voreilig gewesen wäre. Doch ich wußte, daß wir alle das gleiche dachten. Vielleicht befanden wir uns endlich am Ziel unserer Suche – vor dem Dreißig-Pla neten-Wall! An einem Zwischenziel! korrigierte mich der Logiksektor meines Extrahirns. Das war mir klar. Auch der Dreißig-Planeten-Wall konnte nur eine Etappe auf dem Weg zum Stein der Weisen sein, dem sowohl der Mörder und Diktator Orbanaschol III. als auch ich nach jagten. Segmasnor hatte gesagt, wir sollten in den Dreißig-Planeten-Wall fliegen und dort nach dem Weisen Dovreen fragen. Offenbar wuß te dieser geheimnisvolle Weise etwas mehr über den Stein der Weisen. Vermutlich wür de er uns das nächste Zwischenziel nennen können – wenn er wollte. Und wenn wir ihn fanden …! Ich trat zu Corpkors Pult und half dem ehemaligen Kopfjäger dabei, die Ergebnisse der Massetasterortung zu analysieren. Das Ergebnis ließ mein Herz höher schlagen. Die große gelbe Sonne wurde tatsächlich von dreißig Planeten umkreist. »Der Dreißig-Planeten-Wall!« sagte Cor pkor beinahe andächtig. »Alle Planeten umlaufen auf einer ge meinsamen Bahn ihre Sonne«, sagte ich nachdenklich. »Außerdem haben sie in etwa die gleiche Masse. So etwas kann niemals auf natürlichem Wege entstanden sein.« »Das ist richtig«, meinte Fartuloon be dächtig. »Der Dreißig-Planeten-Wall ist zweifellos das Produkt einer weit überlege nen Technik. Ich nehme an, seine Entste hung wurde in die Materie seines Mutterge stirns programmiert.« »Dann muß die Zivilisation, die das schuf, vor Urzeiten existiert haben!« warf Farna thia ein, die sich bisher still verhalten und ihren Kontursessel nicht verlassen hatte. Morvoner Sprangk sah zuerst sie, dann mich an und sagte dann:
Der Ring des Schreckens »Das kann Milliarden Jahre zurückliegen. Soviel wir wissen, existierte aber vor Milli arden von Jahren noch keine hochentwickel te belebte Materie.« »Außer den Göttern!« warf Ra ein. Wir alle blickten den Barbaren verwun dert an, denn seit seiner ersten Begegnung mit Farnathia auf Kraumon, die ihn zum Er zählen der Geschichte seiner Bekanntschaft mit Ischtar veranlaßte, hatte er geschwiegen und sich nur sehr sparsam mit Zeichen ver ständigt. »Welche Götter meinst du?« fragte ich, in der Hoffnung, er würde etwas mehr erzäh len. Leider antwortete Ra nicht, sondern ver sank wieder in sein nachdenkliches Schwei gen. Ich seufzte, wandte mich an Sprangk und sagte: »Fliegen Sie in das System hinein, wir müssen die Planeten genauer untersuchen.«
* Es dauerte rund siebzehn Stunden, bis die KARRETON über der Ebene der Planeten bahnen hing. Von dieser Position aus vermittelten die Fernbildtaster erstmalig einen imposanten Gesamtüberblick auf die dreißig Planeten, die einen weit auseinandergezogenen Ring um die große gelbe Sonne bildeten. Sämtliche Meßinstrumente arbeiteten und holten unablässig Daten über Daten herein. Die Fülle dieser Daten war so gewaltig, daß nur die Bordpositronik in der Lage war, sie innerhalb kurzer Zeit zu analysieren und zweckentsprechend auszuwerten. Als die erste Basisauswertung vorlag, be mächtigte sich aller Personen an Bord eine starke innere Spannung. Teilweise beobach tete ich sogar Nervosität und Furcht. Das wunderte mich nicht, auch wenn ich weder nervös war noch Furcht empfand. Alle dreißig Planeten hatten nicht nur an nähernd gleiche Massen, sondern glichen einander außerdem sehr stark hinsichtlich
5 ihrer Größe. Oberflächenstruktur und atmo sphärischer Zusammensetzung. Sie waren beinahe identisch, was die Vermutung, daß ihre Entstehung von intelligenten Lebewe sen programmiert worden war, natürlich weiter erhärtete. Allerdings schienen die »Erbauer« des Dreißig-Planeten-Walls nicht mehr zu leben, denn Intelligenzen mit einer derart hochent wickelten Technik hätten unserer Meinung nach Raumschiffahrt treiben müssen. Im ge samten System aber ließ sich mit unseren Ortungsgeräten kein einziges Raumschiff aufspüren. Dafür aber sprachen die Energietaster an. Sie lokalisierten auf sämtlichen dreißig Planeten starke Energiequellen, darunter sol che, die dimensional übergeordnete Energi en erzeugten. »Es gibt also auf allen dreißig Planeten Hochenergiekraftwerke«, erklärte ich mei nen Mitstreitern. »Folglich dürfen wir an nehmen, daß es dort auch jemanden gibt, der die erzeugte Energie verbraucht.« »Wir sollten lieber umkehren, bevor je mand sich für uns interessiert, Atlan«, gab Morvoner Sprangk zu bedenken. »Mit die sem Forschungsschiff können wir es niemals mit einer Zivilisation aufnehmen, die dreißig Planeten mit Hochenergie versorgt.« »Unsinn!« erwiderte Fartuloon ungestüm. Der dicke Bauchaufschneider schien wieder einmal vom Jagdfieber gepackt zu sein. »Wir wollen ja gegen niemanden kämpfen, sondern nur nach Dovreen, den Weisen fra gen. Ich schlage vor, wir schicken Robot sonden aus, die alle dreißig Planeten ge nauestens erkunden. Die KARRETON ist ja glücklicherweise reichlich mit Robotsonden ausgestattet.« »Das denke ich auch«, sagte ich. »Du hast mir direkt aus der Seele gesprochen, alter Bauchaufschneider.« Fartuloon grinste. »Du kennst mich ja, mein Junge, und du kennst auch meine Philosophie. Man soll Geheimnissen und Rätseln niemals aus dem Wege gehen, sondern sie entschlossen an
6 packen.« »Dabei kann man sich aber leicht die Fin ger verbrennen«, wandte Morvoner Sprangk beharrlich ein. »Atlan, ich bleibe dabei, daß wir umkehren sollten. Wer weiß, welche Ge fahren im Dreißig-Planeten-Wall auf uns lauern. Wir haben nicht nur zu wenig Leute, sondern sind auch nicht dafür ausgerüstet, es mit einer Zivilisation aufzunehmen, die drei ßig Planeten besiedelt hat.« Ich blickte nachdenklich auf die Bilder, die die Fernbildtaster uns übermittelten. Mein Logiksektor meldete sich erneut und raunte mir zu, daß Morvoner Sprangks Be denken berechtigt waren und daß wir uns auf eine unbekannte Zahl unbekannter Risi kofaktoren einließen, wenn wir mit einem relativ kleinen Schiff und einer Besatzung von nur Sechsundsechzig Personen versuch ten, das Geheimnis des Dreißig-Plane ten-Walls zu lüften. Andererseits versetzte mich die Aussicht, möglicherweise vor der letzten Etappe zu stehen, die mich noch vom Stein der Weisen trennte, in starke Erregung. Ich war ebenso vom Jagdfieber gepackt wie mein Pflegeva ter. Dazu kam, daß auch Orbanaschol auf der Jagd nach dem Stein der Weisen war. Nein, bei einer Rückkehr nach Kraumon, um die Ausrüstung zu ergänzen und viel leicht einige hundert Mann zusätzlich mitzu nehmen, verlor ich vielleicht die Zeit, die über Erfolg oder Mißerfolg entschied. »Wir gehen so vor, wie Fartuloon es vor geschlagen hat!« erklärte ich. Wir machten die Robotsonden einsatzklar und schickten sie los. Insgesamt waren es neunzig der kleinen, aber reichhaltig instru mentierten elliptischen Raumflugkörper, die die KARRETON verließen. Jeweils drei von ihnen sollten sich einen der dreißig Planeten vornehmen, ihn dicht über der Lufthülle um kreisen und alle optischen, akustischen und meßtechnischen Eindrücke an uns übermit teln. Bevor es soweit war, mußten wir uns al lerdings wieder längere Zeit gedulden, denn die Sonden waren ihrer Kleinheit wegen
H. G. Ewers nicht mit Überlichttriebwerken ausgestattet. Wir überbrückten die Wartezeit, indem wir die Fernortungen vervollkommneten und vor allem nach Funksignalen suchten. Zu unserem Erstaunen konnten wir kein einzi ges Signal auffangen. »Das ist unheimlich«, meinte Morvoner Sprangk beklommen. »Wie verständigen sich die Bewohner der dreißig Planeten, wenn nicht mittels Funk?« »Vielleicht sind sie parapsychisch be gabt«, warf Corpkor ein. Ich sagte nichts dazu. Natürlich war es möglich, daß es sich bei den Bewohnern des Dreißig-Planeten-Walls um natürliche Tele pathen handelte, die sich auf rein geistiger Ebene verständigten. Andererseits konnte ich mir nur schwer vorstellen, daß solche Lebewesen sich bisher niemals auf anderen Planeten der Galaxis bemerkbar gemacht hatten. Doch vielleicht besaßen sie eine Mentali tät, die sich grundlegend von der unseren unterschied. Möglicherweise lebten auf den dreißig Planeten auch nur noch wenige Vertreter der Spezies, die diese Welten einst bevölkert hatte. Doch das war ebenso nur eine Speku lation wie die anderen Mutmaßungen. Sie brachte uns nicht weiter. Wir mußten abwar ten, welche Ergebnisse die Robotsonden uns übermittelten. Die Wartezeit stellte meine Geduld auf ei ne harte Probe. Die Versuchung, mit einem Beiboot einen der dreißig Planeten anzuflie gen, zu landen und selbst nachzusehen, war groß. Ich unterdrückte sie, weil ich wußte, daß nichts schädlicher war als überstürztes Handeln. Endlich gingen die ersten Daten ein. Auf den Monitoren der Sondenkontrolle sahen wir Bilder der dreißig Planeten, aus nächster Nähe aufgenommen und per Hyperfunk ab gestrahlt. Die Bilder glichen einander verblüffend. Sie zeigten ausnahmslos die Oberflächen von Welten, die wir aus unserer Sicht nur als paradiesisch bezeichnen konnten. Es gab
Der Ring des Schreckens große Kontinente mit reichhaltiger Flora von parkähnlichem Charakter. In den blaugrünen Meeren lagen zahlreiche grüne Inseln mit schimmernden weißen Sandstränden, die zum Baden einluden. Doch es schien weder Städte noch andere Ansiedlungen zu geben, zumindest nicht an der Oberfläche. Die angemessenen EnergieEmissionen bewiesen aber eindeutig, daß es unter der Oberfläche zahlreiche arbeitende Hochenergie-Kraftwerke gab. Dort wurden Energien erzeugt, die zweifellos mehrere Großstädte einer hochentwickelten und an spruchsvollen Zivilisation versorgen konn ten. »Das ist unheimlich«, sagte Morvoner Sprangk. Er drückte damit aus, was auch ich empfand. »Es scheint, als stellten sich die Bewohner der dreißig Planeten tot.« »Dann hätten sie ihre Kraftwerke abge schaltet«, erwiderte ich. »Ich vermute je doch, daß dort unten bisher niemand etwas von unserer Anwesenheit ahnt. Wir haben keine Ortungsimpulse aufgefangen.« »Was nichts besagt, falls die Bewohner des Dreißig-Planeten-Walls telepathisch be gabt sind«, meinte Corpkor. Ich wollte etwas darauf erwidern, vergaß es aber in dem Augenblick, in dem von allen dreißig Planeten gleichzeitig die Bilder von dreißig großen pavillonähnlichen Bauwer ken übermittelt wurden. Alle dreißig Bauwerke befanden sich in der Mitte eines relativ kleinen Kontinents, und zwar jeweils am Ufer eines Sees. Sie und ihre Umgebung glichen sich wie ein Ei dem anderen. Gespannt warteten wir darauf, ob die Son den uns die Bilder anderer Bauwerke über mittelten. Doch die Umkreisungen wurden abgeschlossen, ohne daß auf den Monitoren weitere Bauwerke zu sehen gewesen wären. Auf jedem der dreißig Planeten schien es nur diesen einen weißen Pavillon zu geben. Fartuloon und ich sahen uns an. Der fette Bauchaufschneider verzog das Gesicht zu einem vielsagenden Lächeln. »Das wäre es, Atlan«, meinte er. »Ich
7 schlage vor, wir fliegen den nächsten Plane ten mit einem Beiboot der YPTAR-Klasse an und landen in der Nähe des Pavillons.« »Einverstanden«, erklärte ich. Ich wandte mich an Ra. »Kommst du mit?« fragte ich. Der Barbar lächelte flüchtig und machte eine zustimmende Geste. Er beherrschte sich großartig. Dennoch entging mir nicht das Funkeln in seinen Augen. Ra brannte wie wir darauf, einen der dreißig Planeten zu er forschen und sein Geheimnis zu entschlei ern. »Holen Sie die Sonden zurück, Sprangk!« befahl ich. »Es wird Zeit, daß wir persönlich nachsehen.«
* Ra und ich trugen die gleiche arkonidi sche Raumfahrerkombination, nur mit dem Unterschied, daß das Halfter seines Waffen gürtels leer war, während in meinem eine Strahlwaffe steckte. Fartuloon hatte es vorgezogen, seine ma lerische und barbarische Kleidung zu tragen. Sein langer Lederrock endete nur wenig über den Schnürstiefeln, im breiten Gürtel steckten eine Strahlwaffe und das Skarg, und der verbeulte Brustpanzer ergänzte die Ausrüstung. Als sich das Innenschott des Schleusen hangars vor uns öffnete, erblickten wir das Beiboot der YPTAR-Klasse, einen raketen förmigen Raumflugkörper von dreißig Me tern Länge und drei Metern Durchmesser, dessen Deltaflügel es erlaubten, ihn inner halb einer gasförmigen Atmosphäre aerody namisch zu steuern. Aus dem sich zur Spitze hin verjüngenden Bug ragte der Spirallauf einer starr eingebauten Thermokanone. Wir kletterten in die Steuerkanzel und setzten uns in die hintereinander angeordne ten drei Pneumositze. Fartuloon übernahm den Platz des Navigators, während ich mich hinter die Kontrollen des Piloten setzte. Wir hatten uns wieder einmal durch einen kurzen Blickwechsel über die Verteilung der Funk
8 tionen geeinigt. Ra setzte sich auf den Platz des Funkers, obwohl er wegen seiner Schweigsamkeit nicht dazu geeignet war, die Funktion des Bordfunkers zu überneh men. Das konnte Fartuloon nebenbei tun. Der Platz des Navigators war ebenfalls mit einem Anschluß an das Funkgerät versehen. Wir checkten das Beiboot sorgfältig durch, obwohl es selbstverständlich gründ lich gewartet worden war, bevor die KAR RETON Kraumon verlassen hatte. In einem Notfall wären wir sofort gestartet. Hier lag jedoch kein Notfall vor, und während wir Knöpfe drückten und Anzeigen ablasen, flog Morvoner Sprangk die KARRETON dichter an den nächsten der dreißig Planeten heran, dem wir den Namen Frokan gegeben hatten. Fartuloon hatte diesen Namen gewählt und dabei mit vielsagendem Lächeln gemeint, es handle sich dabei um den Namen eines schlafenden Riesen aus der Grindholm-Sa ga. Als wir die Überprüfung beendet hatten, rief mein Pflegevater Sprangk über Telekom an. »Alles klar bei uns«, teilte er ihm mit. »Bei mir auch«, antwortete Morvoner Sprangk. »Die Abschußposition ist erreicht. Ich möchte aber nicht versäumen, noch ein mal zu warnen. Die Person Atlans ist zu wertvoll für das Imperium, als daß sie stän dig unberechenbaren Risiken ausgesetzt werden dürfte.« »Ihre Fürsorge ehrt Sie, Morvoner«, erwi derte Fartuloon. »Die Suche nach dem Stein der Weisen ist jedoch etwas, das Atlan kei nem anderen Mann überlassen darf. Bitte, fangen Sie an!« Ich schaltete das hochleistungsfähige Kompakt-Kraftwerk unseres Beibootes an. Das hörte sich einfach an, war jedoch ein sehr komplizierter Vorgang, der durch mei nen Schalterdruck zwar erst ausgelöst, aber danach von einer Automatik stufenweise vollzogen wurde. Zuerst baute die aus einem Speicher abge zogene Hochenergie innerhalb der Reakti onskammer ein kugelförmiges Energiefeld
H. G. Ewers auf, da den Gluten einer Kernfusion kein be kanntes Material standhalten würde. Erst danach wurde hochkatalysiertes Deu terium in die Kammer eingespritzt, das von einem Laser »gezündet« wurde, nachdem der Druck in dem energetischen Kugelfeld hoch genug war. Ein dumpfes Donnern und Tosen wurde hörbar. Es kam nicht aus der Reaktionskam mer, sondern aus dem Umformer, der die er zeugte Fusionsenergie in die Hochenergie-Impul se umwandelte, die von dem Impulstrieb werk im Heck des Beiboots abgestrahlt wer den sollten. Ein Teil der in der Kammer erzeugten Energie floß allerdings in anderer Form in die Kammer zurück und hielt dort das Ku gelfeld aufrecht. Automatisch wurde die Speicherenergieversorgung unterbrochen. Der Fusionsprozeß lieferte von da an die Energie zu seiner Bändigung selbst. Mit einem Hebel, der weitgehend dem Steuerhebel eines Strahlflugzeugs glich, konnte ich die Felddüse des Impulstrieb werks beliebig verstellen. Aber noch rührte ich diesen Hebel nicht an. Unser Triebwerk durfte innerhalb des Schleusenhangars nicht arbeiten, sonst würden seine Energien die »Eingeweide« der KARRETON zerreißen. Vor dem Bug glitt das Außenschott des Hangars auf. Das Geflimmer zahlloser Ster ne wurde sichtbar. Das grelle Strahlen des galaktischen Zentrumskerns sahen wir aller dings nicht, da unser Hangar sich auf der ihm abgewandten Seite der KARRETON befand. Als das Schleusentor ganz geöffnet war, bauten sich um unser Beiboot die Energie felder der Abstoßschleuder auf. Augenblicke später wurden wir auf einer Magnetschiene nach vorn gerissen und in den Weltraum ka tapultiert. Erst danach schaltete ich das Impulstrieb werk ein. Gleichzeitig bewegte ich den Im pulsknüppel, mit dem ich sowohl den Quer schnitt des Düsenfelds als auch die Abstrahl richtung verstellen konnte. Dadurch war ei ne einwandfreie Regelung von Geschwin
Der Ring des Schreckens digkeit und Flugrichtung gewährleistet. Als ich mich nach einigen Sekunden um blickte, war von der KARRETON nichts mehr zu sehen. Dafür sah ich wieder das grelle Gleißen und Gluten der Zentrumsbal lung, das allerdings durch die Automatfilter für unsere Augen erträglich geschaltet wur de. Dennoch fühlte ich mich einen Herz schlag lang hilflos angesichts dieser unvor stellbaren Gewalten, die im eigentlichen Kern unserer Galaxis tobten. Ich wandte mich wieder nach vorn und suchte unser Ziel. Der Planet Frokan war einwandfrei zu er kennen. Er wirkte als hell angestrahlte Ku gel von tiefem Blau, das teilweise von blü tenweißen Wolkenfeldern verdeckt wurde. Damit bestätigte sich die Auswertung der Meßergebnisse in einer Hinsicht, denn es war für uns eine feststehende Tatsache, daß alle Planeten, die aus dem Weltraum diesen blauweißen Anblick boten, lebensfreundli che Sauerstoffplaneten waren – lebens freundlich jedenfalls für Arkoniden und Vertreter anderer humanoider Spezies. Ich bewegte den Impulsknüppel, bis die Nase unseres Beibootes genau auf den Pla neten wies, dann beschleunigte ich mit mitt leren Werten. Der Planet wurde schnell grö ßer. Bald mußte ich die Beschleunigung wieder aufheben und abbremsen. Dazu be nutzte ich die vier kleinen Brems- und Kor rekturtriebwerke, die im Bug ringförmig um die Thermokanone angeordnet waren. Fartuloon sprach über Hyperkom mit Morvoner Sprangk und erhielt von ihm die genaue Position des Pavillons auf Frokan. Er befand sich auf der anderen Seite des Plane ten, die der großen gelben Sonne zugewandt war. Eine richtige Nacht gab es zur Zeit für Frokan nicht, da die jeweils der Sonne abge wandte Seite von der Lichtflut des galakti schen Zentrumskerns überschüttet wurde. Es existierten lediglich zwei wandernde Däm merungszonen. Wenn Frokan seine Bahn auf der anderen Seite der Sonne zog, würde es natürlich wieder Tag und Nacht geben. Ich entschloß mich dazu, die Fahrt zwar
9 mit den Bugtriebwerken zu verringern, die eigentliche Landung aber auf aerodynami sche Art zu vollziehen. Noch einmal gab ich vollen Gegenschub, dann tauchten wir in die Atmosphäre des Planeten ein. Als die Geschwindigkeit aus reichend abgesunken war, schaltete ich alle Triebwerke aus. Das Beiboot segelte gleich einem Raumgleiter durch die Lüfte, während es an Höhe verlor. Wir überflogen ein Gebirge und sahen vor uns eine weite Ebene, deren Pflanzenwuchs sie zu einem riesigen Park machte. In der Ferne erblickte ich die silbrig schimmernde Oberfläche des Sees, an dem der Pavillon stehen sollte. Als ich auch den Pavillon erkannte, flo gen wir nur noch in rund tausend Metern Höhe. Das Bauwerk stand auf der gegen überliegenden Seite des langgestreckten Sees, der eine ideale Landebahn bildete. Ich rechnete mir aus, daß er lang genug für eine lautlose Landung war, so daß ich die Impul striebwerke nicht erneut einzuschalten brauchte. Wenig später setzte das Beiboot sanft auf der Oberfläche des Sees auf. Als das Ufer immer näher gekommen war und das Beiboot weiterhin auf das Ufer zu hielt, sagte Ra etwas in seiner barbarischen Sprache. Ich blickte mich zu ihm um, weil ich vermutete, daß er einen harten Aufprall befürchtete. Aber statt dessen sah ich sein Gesicht strahlen. Er fand offenbar Gefallen an der Art und Weise, wie ich das Beiboot an Land zu bringen gedachte. Kurz darauf schob sich der Bug des Bei boots mit schwachem Knirschen auf den Sandstrand. Etwa zwei Drittel des Raum fahrzeugs blieben allerdings auf dem Was ser. »Gut gemacht, mein Junge!« sagte Fartu loon anerkennend. »Du hast das Boot so lei se herangebracht, daß unser zukünftiger Gastgeber nicht einmal erwacht ist.« Er deutete mit dem Arm an mir vorbei auf eine Liege, die zwischen dem Ufer und dem Pavillon stand. Erst jetzt sah ich, daß auf
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dieser Liege ein humanoides Lebewesen lag. Es mußte sehr fest schlafen, denn so ganz geräuschlos war unsere Ankunft denn doch nicht abgegangen. »Wir werden ihm unsere Aufwartung ma chen«, sagte ich.
2. Bevor wir ausstiegen, schauten wir uns genauer um. Der Pavillon hatte einen ungefähren Grundflächendurchmesser von sechshundert Metern und war zirka zwanzig Meter hoch. Er lag zwischen einem lichten parkähnlichen Wald und dem Ufer des Sees. Zwischen den fremdartigen Bäumen und Sträuchern des Waldes nahmen wir Bewegungen wahr. Dort ästen Tiere, die etwas größer waren als arkonidische Parkrinder, dafür allerdings erheblich schlanker. Manchmal hob eines der Tiere den Kopf und blickte in unsere Richtung. Es sah jedoch niemals so aus, als hielten die Tiere nach Gefahr Ausschau. Sie ästen so sorglos, daß ich zu dem Schluß kam, sie hätten keine natürlichen Feinde. Nach einer Weile machten wir auch ande re Tiere aus. Es gab buntgefiederte Vögel, die zwischen den Bäumen hin und her flo gen sowie kleine schwarzbepelzte Tiere mit langen Greifschwänzen, mit denen sie sich an den Ästen hielten. Alle diese Tiere ernährten sich, soweit wir das erkennen konnten, ausschließlich von Pflanzen und ihren Früchten. Wenn es auf Frokan keine Fleischfresser gab, so war die ser Planet tatsächlich eine paradiesische Welt. Ich glaubte jedoch nicht daran. Mein Ex trasinn meldete sich immer wieder und warnte vor unerkannten Gefahren. Ra strahl te nicht mehr. Auch der Barbar schien zu spüren, daß über dieser paradiesisch anmu tenden Landschaft eine unbestimmbare Dro hung hing. Als ich Fartuloon anblickte, verzog sich das Gesicht meines Pflegevaters zu einem grimmigen Lächeln.
»Die Schönheit dieser Welt ist nur eine Fassade, hinter der sich unbekannte Gefah ren verbergen«, erklärte er. »Ich spüre es deutlich, mein Junge.« Ra machte eine bestätigende Geste. »Ich spüre es ebenfalls«, sagte ich. »Dennoch müssen wir einmal aussteigen. Vielleicht kann das Wesen auf der Liege uns sagen, wo wir den Weisen Dovreen finden.« Fartuloon schlug gegen den Griff seines Zauberschwerts und meinte: »Bringen wir es hinter uns!« Wir öffneten das Kanzeldach des Bei boots, da der normale Ein- und Ausstieg teil weise unter der Wasserlinie lag. Nacheinan der kletterten wir hinaus, nicht ohne das Kanzeldach anschließend wieder zu verrie geln. Das Wesen auf der Liege hatte sich noch immer nicht gerührt. Entweder schlief es tat sächlich sehr fest oder es stellte sich schla fend. Als wir näherkamen, sah ich, daß der Körper des Fremden dem eines Arkoniden ähnelte. Er war jedoch gedrungener und of fenbar kräftiger. Und dann entdeckten wir gleichzeitig et was, was unseren Schritt stocken ließ. »Er hat zwei Gesichter!« flüsterte ich. Das stimmte und stimmte auch wieder nicht, denn der Fremde besaß zwar sowohl vorn als auch am Hinterkopf je ein Gesicht, aber die Gesichter glichen sich bis auf die kleinste erkennbare Kleinigkeit. Wir sahen wohlgeformte Züge, zwei schafrückige Nasen, zwei volle Lippenpaare und zwei graue lockige Haarmähnen, die bis zu den Schultern reichten und nahtlos inein ander übergingen. »Janus, der Gott der Tür!« flüsterte Fartu loon. »Eine Gestalt aus dem Di-indi getas-Mythos!« »Was bedeutet das: Gott der Tür?« erkun digte ich mich leise. Der Bauchaufschneider lächelte humor los. »Janus wacht an der Tür eines Tempels«, erklärte er. »Darum besitzt er ein Doppelge
Der Ring des Schreckens sicht, damit er gleichzeitig nach innen und nach außen sehen kann. Es gibt allerdings auch eine andere Auslegung des Di indigetas-Mythos; danach deuten die beiden Gesichter des Janus auf die Zweiteilung sei nes Charakters in den guten und den bösen hin.« »Wir gehen wohl am besten von dieser Deutung aus«, sagte ich. Langsam gingen wir weiter. Als wir nur noch fünf Schritt von dem Fremden mit dem sagenhaften Januskopf entfernt waren, erwachte er. Er schlug die Augen auf, drehte sich und setzte sich auf. Ich sah, daß der Mann strahlend blaue Augen hatte, aus denen er uns aufmerksam, aber furchtlos musterte. »Arkoniden!« sagte er in einwandfreiem Interkosmo. »Was wollt ihr von Dovreen, dem Weisen?« Fasziniert beobachtete ich das Wesen. Ich wollte schon fragen, woher der Mann wußte, daß wir den Weisen Dovreen suchten, da fiel mir ein, daß der Ton seiner Frage eigentlich den Schluß zuließ, daß er von sich in der dritten Person gesprochen hatte. War er vielleicht Dovreen, der Weise? Ich grüßte nach der Sitte der Imperiums flotte, indem ich die rechte Hand zur Faust ballte und auf die linke Brustseite legte. »Es ist richtig, wir suchen Dovreen, den Weisen«, antwortete ich. »Wenn Ihr dieser Mann seid, so erlaubt uns, Euch unsere Ver ehrung zu beweisen, indem wir Euch zuhö ren.« Der Fremde machte eine abwehrende Ge ste. Sein Gesicht wirkte plötzlich unmutig. In seinen Augen glaubte ich Verachtung zu lesen. »Ich weiß genau, was ihr wollt!« erklärte er und erhob sich. Fartuloon, der langsam um ihn herumge gangen war, sagte: »Er bewegt beide Lippenpaare, wenn er spricht. Beide Gesichter zeigen die gleichen Regungen.« »Ich bin Dovreen, den man den Weisen nennt«, sagte der Doppelgesichtige. »Und
11 ich weiß deshalb genau, was ihr wollt, weil alle nur aus einem Grunde zu mir kommen.« »Ich bitte um Vergebung«, erwiderte ich höflich. »Es stimmt, daß wir gekommen sind, um von Euch Informationen über den Stein der Weisen zu erhalten. Doch uns in teressiert alles, was mit dem Dreißig-Plane ten-Wall, seinen Erbauern und seinen der zeitigen Bewohnern zusammenhängt.« »Alles zu seiner Zeit«, erklärte Dovreen gleichmütig. »Niemand kann alles auf ein mal haben. Das Universum ist für den Un kundigen voller Rätsel, für den Kundigen ist es ein einziges Rätsel.« »Wenn es leicht durchschaubar wäre, wä re es ziemlich langweilig«, warf Fartuloon ein. Dovreen hob die Schultern leicht an und ließ sie wieder sinken. Er hatte uns nur flüchtig gemustert. Weder die merkwürdige Kleidung meines Pflegevaters noch die ge zügelte Wildheit in Ras Haltung schienen ihn zu beeindrucken. Er war offenbar ein Mann, der schon so vieles gesehen hatte, daß für ihn Äußerlichkeiten unwesentlich waren. »Folgt mir!« sagte er mit unüberhörbarer Autorität. Er wandte sich um und schritt auf den weißen Pavillon zu. Wir folgten ihm nach einem Augenblick des Zögerns. Erneut er reichte mich ein warnender Impuls meines Extrahirns. Ich ignorierte ihn nicht, aber ich richtete mich auch nicht danach. Wie sollte ich mehr über den Stein der Weisen erfah ren, wenn ich vor jedem Risiko und vor je der Gefahr zurückschreckte! Einen Schritt vor der fugenlosen Wand des Pavillons blieb Dovreen stehen. Im nächsten Moment löste sich ein Teil der Wand auf. Eine torgroße Öffnung bildete sich. Es sah aus wie Zauberei, konnte aber nur das Resultat eines komplizierten techni schen Vorgangs sein. Dort drinnen könnte sich eine Falle befin den! warnte mich der Logiksektor meines Extrahirns. Versuche, von Dovreen zu erfah ren, was er euch zeigen will, bevor du ein
12 trittst! Ich wollte die Mahnung gern beherzigen, doch dazu war es zu spät. Der Weise trat durch die Öffnung und entschwand damit meinem Blick. Es war, als wäre alles, was sich innerhalb des Pavillons befand, von au ßen nicht zu sehen. Ich sah, daß Fartuloon die Rechte auf den Griff seines Skargs legte, und umfaßte das Griffstück meiner Strahlwaffe. Ra blickte mich forschend an. Er war offensichtlich be unruhigt. Dennoch blieb er nicht hinter uns zurück, sondern trat neben uns durch die Öffnung. Im nächsten Augenblick konnte ich Do vreen wieder sehen. Der Weise befand sich in der Mitte eines relativ kurzen, aber brei ten Korridors. Er reagierte nicht ein einziges Mal auf uns, sondern ging zielstrebig weiter. Ich musterte die bleigrauen Wände des Korridors, versuchte herauszufinden, ob sich hinter ihnen vielleicht Waffen oder Projek toren von Fesselfeldern verbargen. Aber wenn es solche Dinge gab, dann waren sie so gut getarnt, daß sie mit bloßem Auge nicht erkannt werden konnten. Uns blieb vorerst nichts anderes übrig, als dem Weisen Dovreen zu folgen. Es war ein eigentümliches Gefühl, eines seiner Gesich ter zu sehen, obwohl er uns doch den Rücken zuwandte. Als wir nach etwa hundert Schritten das jenseitige Ende des Korridors immer noch nicht erreicht hatten, begriff ich, daß ich vorhin einer optischen Täuschung zum Op fer gefallen war, als ich ihn als relativ kurz einschätzte. Ra erschauerte plötzlich. Erst da spürte auch ich die Kälte, die hier herrschte. Es schien, als würden die Tempe raturen innerhalb des Pavillons künstlich niedrig gehalten. Dovreen ging noch rund hundert Schritt weiter, dann bildete sich vor ihm, in der Ab schlußwand des Korridors, ein fahles Leuch ten, das sich schnell über die ganze Wand ausbreitete. Der Mund des rückwärtigen Gesichts Do
H. G. Ewers vreens öffnete sich. »Kommt!« sagte der Weise – und trat in das fahle Leuchten, wodurch er aus unserem Blickfeld verschwand. Mein Extrasinn meldete sich mit einem schmerzhaft starken Warnimpuls, und ein Blick Fartuloons bewies, daß auch mein Pflegevater die unheimliche Drohung spürte, die über allem lag. Doch wir waren so weit gekommen, daß ich nicht mehr zurück wollte – nicht ohne je des Ergebnis. Schließlich stellte Dovreen vorläufig unseren einzigen Anhaltspunkt auf dem Weg zum Stein der Weisen dar. Ich zog meine Strahlwaffe. »Gehen wir!« sagte ich rauh.
* Das fahle Leuchten rief überhaupt keine Empfindung hervor. Es war weder wärmer noch kälter als die Luft im Korridor, erzeug te weder Schmerz noch angenehme Gefühle. Es war so neutral wie der Lichtschein einer Kaltlichtlampe. Vielleicht war es nur dazu bestimmt, ängstliche Gemüter zur Umkehr zu bewe gen, versuchte ich mir einzureden. Als ich das Leuchten durchschritten hatte, schob ich die Strahlwaffe schnell wieder ins Gürtelhalfter zurück. Dovreen hatte sie den noch gesehen. Ich erkannte es an dem ironi schen oder höhnischen Lächeln, das über sein rückwärtiges Gesicht huschte. Der Weise stand etwa zehn Schritte vor uns auf dem bleigrauen Boden einer großen Halle. Auch die Wände waren bleigrau und die nach oben gewölbte Decke ebenfalls. Ich hatte das Empfinden, als würden Wände und Decke zurückweichen. Auch in der Halle war es empfindlich kalt. Es gab keinerlei Einrichtungsgegenstände, die auf den Verwendungszweck der Halle hingewie sen hätten. Die Halle war völlig leer – bis auf Dovreen und uns. Und doch nicht absolut leer, denn in ih rem Mittelpunkt befand sich ein undefinier barer schwarzer Fleck. Seine Form ließ sich
Der Ring des Schreckens nicht erkennen. Manchmal wirkte er kugel förmig, manchmal nur wie eine zweidimen sionale Scheibe und dann wieder wie eine Pforte zu einem imaginären Schattenreich. Wieder lächelte Dovreens rückwärtiges Gesicht. Diesmal wirkte das Lächeln hoch mütig, so, als dünkte der Weise sich uns un endlich überlegen. Das ärgerte mich, denn wenn jemand mehr Wissen besaß als andere, war das noch lange kein Grund, verächtlich auf sie herabzusehen. Aus diesem Ärger heraus sagte ich: »Hier sind wir, Dovreen. Ich hoffe, Ihr habt uns nicht zum Spaß hierher geführt.« Zorn blitzte in den Augen des Doppelge sichtigen auf, verschwand aber sofort wie der. »Du bist noch jung, deshalb trage ich dir deine Worte nicht nach«, erklärte der Weise. »Ihr werdet noch feststellen, daß es kein Spaß ist, den Stein der Weisen zu suchen – und daß es für mich kein Spaß ist, ständig neue Sucher auf den Anfang des Weges zu bringen.« »Waren auch schon Abgesandte von Or banaschol III. hier?« erkundigte sich Fartu loon. Dovreens Gesicht wurde ausdruckslos. Er setzte sich wieder in Bewegung und ging genau auf dieses undefinierbare schwarze Etwas im Mittelpunkt der Halle zu, ohne die Frage meines Pflegevaters zu beantworten. Ras Gesicht verzog sich zu einer zornigen Grimasse. Er gestikulierte heftig und sah mich dabei an. Ich begriff, daß er wissen wollte, ob er Dovreen niederschlagen sollte. Ich antwortete mit einer verneinenden Ge ste. Wir durften uns nicht aus bloßem Zorn zu Tätlichkeiten hinreißen lassen. Vor dem undefinierbaren Etwas blieb Do vreen stehen. Er wartete, bis wir ihn eingeholt hatten, dann streckte er die Hand aus und berührte das Schwarze. Von einem Augenblick zum anderen ver wandelte sich das Etwas in eine Art transpa renter Energieblase, in der eine etwa faust
13 große silberfarbene Kugel schwebte. Ra stieß einen Schrei aus, der maßlose Überraschung ausdrückte, dann erstarrte er. Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Die Au gen schienen in weite Ferne zu blicken, und nahmen uns nicht mehr wahr. Ich verstand, daß der Wilde wieder ein mal in Trance verfallen war, wie es schon auf Kraumon geschehen war, als Ra zum er stenmal Farnathia gegenüberstand. »Die Silberkugel in der leuchtenden Wol ke!« flüsterte Ra. Mehr sagte er nicht, aber sowohl Fartu loon als auch ich begriffen, was er meinte. Ra hatte uns auf Kraumon seine Begeg nung mit Ischtar und seine Erlebnisse im Raumschiff der Varganen geschildert. Dabei hatte er auch davon gesprochen, daß er in ei nem Raum von Ischtars Schiff eine faust große silberne Kugel entdeckt hätte, die in einer Energiewolke schwebte. Ischtar hatte erklärt, diese Kugel sei ein altes Geheimnis ihres Volkes, an dem nicht einmal sie rühren dürfe. Und nun schwebte vor uns eine silberfar bene Kugel, die genauso aussah wie die ge heimnisvolle Kugel Ischtars. Gab es vielleicht Zusammenhänge zwi schen Dovreen und den Varganen? Konnte es sein, daß der Dreißig-Planeten-Wall frü her einmal von den Varganen besucht wor den war? Oder hatte dieses geheimnisvolle, im Dunkel der Vergangenheit verschwunde ne Volk einst den Dreißig-Planeten-Wall ge schaffen? Fragen über Fragen, auf die es vielleicht niemals zufriedenstellende Antworten geben würde! Aber Dovreen mußte mehr wissen als wir. »Was ist das für eine Kugel?« fragte ich, meine Ungeduld beherrschend. Der Weise blickte mich mit starrem Lä cheln an, antwortete jedoch nicht. »Warum schweigt Ihr?« bohrte ich weiter. »Wir sind gekommen, um Antworten auf unsere Fragen zu bekommen. Könnt Ihr uns sagen, wer das System des Dreißig-Plane ten-Walls schuf und wie Ihr hierher gekom
14 men seid?« Dovreen schüttelte den Kopf und erwider te: »Du wirst Antworten bekommen, wenn du zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort die richtigen Fragen stellst.« Er deutete auf die silbrig schimmernde Kugel. »Wenn du den Schlüssel zum Stein der Weisen suchst – das ist er!« Er lächelte eigentümlich dabei, und sofort übermittelte mir mein Extrasinn einen so starken Warnimpuls, daß mir ein stechender Schmerz durchs Gehirn raste. »Ich glaube Euch nicht, Dovreen!« ent gegnete ich und wandte mich an meine Ge fährten. »Laßt uns fortgehen!« Ich war willens, meine Absicht unverzüg lich in die Tat umzusetzen, denn eine derart starke Warnung meines Extrasinns zu über hören, wäre unverantwortlich gewesen. Wahrscheinlich log Dovreen. Die Kugel strahlte Unheil aus, das spürte ich immer stärker. Aber als ich mich zum Gehen wenden wollte, konnte ich mich nicht mehr bewe gen, und als ich Fartuloons Fluch und Ras zornigen Schrei vernahm, wußte ich, daß es meinen Gefährten nicht besser ging. Dovreen dagegen wurde nicht auf seinen Platz gebannt. Mit gleichmütigen Gesichtern wandte er sich um und ging davon. »Die Kugel, Atlan!« rief Fartuloon unter drückt. »Sie dehnt sich aus! Wenn ich nur die Arme bewegen könnte, um mein Skarg zu ziehen!« Ich sah ebenfalls, daß die silberfarbene Kugel sich allmählich ausdehnte. Gleichzei tig hatte ich das deutliche Gefühl, als ob Ra, Fartuloon und ich im gleichen Maße schrumpften, wie die Kugel anschwoll. Nun mehr war ich sicher, daß Dovreen uns eine Falle gestellt hatte. Verzweifelt versuchte ich, mich zu bewegen, um mich entweder von der unheilvollen Kugel zu entfernen oder meine Strahlwaffe zu ziehen. Doch meine Anstrengungen waren verge bens.
H. G. Ewers Immer mehr dehnte sich die Kugel aus. Ra schrie gellend, als die äußere Kugel wandung uns berührte. Aber er verstummte gleich wieder. Entsetzt bemerkte ich, daß die Kugel uns verschlang, daß wir von ihr sozusagen ab sorbiert wurden. Der Vorgang war keines wegs mit Schmerzen verbunden, weder mit physischen noch psychischen, dennoch war mir, als würde ich von einem Ungeheuer verschlungen. Wenige Augenblicke später umgab uns nur noch wogender milchiger Nebel, der an unseren Körpern vorbeizufließen schien. Vielleicht aber wurden wir auch bewegt, von einer unbekannten Kraft durch den Ne bel gezogen. Und plötzlich konnten wir uns wieder be wegen. Doch das nützte uns nichts, denn wir konnten nirgends ein Ziel entdecken, zu dem vorzudringen sich gelohnt hätte. Es schien, als sollten wir für alle Zeiten in einem Uni versum aus kaltem Nebel gefangengehalten werden.
* »Ich habe wieder festen Boden unter den Füßen!« rief Fartuloon. »Reicht mir eure Hände, damit wir uns nicht verlieren!« Ra und ich griffen zu und packten jeder eine Hand meines Pflegevaters. Die Gefahr, daß wir uns in den treibenden Nebelschwa den aus den Augen verloren und uns weit voneinander entfernten, bestand tatsächlich. Nur ab und zu konnte ich meine Gefährten voll sehen; meist wurden sie ganz oder teil weise von dem Nebel meinem Blick entzo gen. Ich ersparte mir, Fartuloon danach zu fra gen, wo wir uns befanden. Er konnte es ebensowenig wissen wie ich. Erstaunlich war für mich, daß Ra nicht in Panik geriet, denn jedem Barbaren mußte das, was wir hier erlebten, unheimlich erscheinen. Aller dings hatte Ra ja durch Ischtar und später in seiner Sklavenzeit viele Erfahrungen mit
Der Ring des Schreckens technischen Vorgängen sammeln können, die für Unerfahrene ebenfalls unheimlich anmuten würden. »Ich denke, es ist gleich, in welche Rich tung wir gehen«, sagte ich. »Wenn unser Nebelgefängnis nicht unendlich ist, müssen wir irgendwann seine Grenze erreichen.« »Wenn die Naturwissenschaftler recht ha ben, dann gibt es überhaupt nichts Unendli ches, mein Sohn«, erwiderte Fartuloon. »Auch unser Universum ist nicht unendlich. Freilich besagt das noch nichts darüber, ob wir jemals aus unserem endlichen Gefängnis herausfinden. Vielleicht laufen wir im Kreis, während wir denken, geradeaus zu gehen.« Ich wußte, was er meinte. Es mochte unbekannte Kräfte geben, die unsere Fortbewegung verzerrten, so daß es uns praktisch unmöglich war, exakt in einund derselben Richtung zu gehen. Das läßt sich vielleicht am besten an dem Beispiel ei ner Geraden auf einem Planeten verdeutli chen, die entgegen den mathematischen Lehrsätzen keinesfalls die kürzeste Verbin dung zwischen zwei Punkten darstellt – eben weil sie keine Gerade ist. Den meisten Leu ten kommt so etwas gar nicht in den Sinn. Aber versuchen Sie einmal, eine Gerade über die Oberfläche eines Planeten zu zie hen. Es wird immer ein Kreis daraus. Ich lachte voller Selbstironie, weil mir in einer unwirklich erscheinenden und be stimmt gefährlichen Situation philosophi sche Gedankengänge kamen. »Lache nur, solange du kannst!« knurrte Fartuloon. »Vielleicht werden wir alle sehr bald heulen.« Als hätte er damit eine Aufforderung aus gesprochen, erscholl von rechts stoßartiges Gelächter. Ich spürte, wie sich die Haare in meinem Nacken aufrichteten. Gab es in diesem Nebel noch andere Ge fangene außer uns? Das wäre nur logisch! erklärte der Logik sektor meines Extrahirns. Dovreen dürfte al le Personen, die ihn nach dem Stein der Weisen gefragt haben, in die silberfarbene
15 Kugel verbannt haben. Folglich muß es hier viele Gefangene geben. Ob dieser Logik erschauerte ich. Wenn es hier viele Gefangene gab, dann bedeutete das doch, daß niemand dieses Ne belgefängnis wieder verlassen hatte. Fast niemand! teilte meine innere Stimme mir mit. Das Gelächter verstummte und wurde von einem Schluchzen abgelöst. Hysterie! Jemand befindet sich dort im Zustand der Hysterie! »Kommt!« sagte ich zu meinen Gefähr ten. »Laßt uns sehen, ob wir irgendwie hel fen können.« Ich zog meine Gefährten nach rechts. Sie folgten mir willig. Es war nicht nur Mitleid und schon gar nicht Gefühlsduselei, was mich veranlaßte, nach dem Wesen zu sehen, das abwechselnd lachte und weinte. Sicher, ich wollte helfen. Ich hoffte aber auch, daß wir von jemandem, der sich schon länger in dem Nebelgefängnis befand, Fakten erfahren würden, die uns eventuell halfen, die unheimlichen Kräfte zu überwinden. Wir drangen etwa hundert Meter vor, und das Schluchzen hielt unvermindert an, dann erblickten wir eine seltsame Gestalt, die auf dem unsichtbaren, aber gut spürbaren Boden kniete. Die Gestalt hatte die Form eines jungen Baumes, dessen Krone zum Boden gebogen war. Sie kniete auf zahlreichen dünnen Bei nen, die verblüffende Ähnlichkeit mit Baumwurzeln hatten, und ihre acht dünnen Arme glichen Ästen. Wären noch Blätter vorhanden gewesen, dann hätte ich tatsäch lich geglaubt, einen Baum vor mir zu haben. Doch das Wesen trug keine Blätter, und weder waren die Beine Wurzeln noch die Arme Äste. Die Körpersubstanz leuchtete in einem hellen freundlichen Rot, soweit sie nicht von der enganliegenden schwarzen Kleidung bedeckt war. Weder Schädel noch Gesicht waren zu er kennen. Dafür saßen an den Ästen überall kleine, dunkelrote Knoten. Vielleicht waren
16 das die Sinnesorgane des Wesens. Wir konnten nicht erkennen, worüber sich das Wesen beugte, bis wir unmittelbar neben ihm standen. Ra zog scharf die Luft ein, als er es sah. Auch ich war verblüfft, denn vor dem Baumwesen lag ein etwa faustgroßes Ei mit hellgrauer Schale, die an mehreren Stellen gesprungen war. Während ich hinblickte, entstand ein neu er Sprung. Die Eischale barst an dieser Stel le, und plötzlich zerriß die darunter befindli che Haut. Eine winzige hellblaue Hand streckte sich ins Freie. Es war eine Hand mit fünf Fin gern, und trotz der Winzigkeit ließen sich die noch weichen Fingernägel erkennen. »Beim heiligen Kataplos!« stieß Fartu loon verblüfft hervor. »Das gibt es doch gar nicht!« Die Hand verschwand wieder im Innern des Eies. Gleich darauf wurde die Schale dicht daneben zerbrochen. Wieder zerriß die Eihaut, und wieder streckte sich die winzige hellblaue Hand heraus. Plötzlich erschien eine zweite Hand. Bei de Hände packten die Ränder der Eischale, rissen und zerrten und vergrößerten das zweite Loch, bis eine Verbindung mit dem ersten hergestellt war. Im nächsten Augenblick streckte sich ein winziger Kopf aus der Öffnung. Er war völ lig kahl, ansonsten aber absolut humanoid, mit zwei Augen, einer Nase, einem Mund und zwei Ohren. Ra bückte sich unvermittelt, riß die Ei schale ganz auseinander und nahm das blau häutige Baby behutsam in die rechte Hand. Das schien dem Baumwesen nicht zu ge fallen. Es peitschte mit seinen Armen Ras Kopf und Rücken. Der Barbar knurrte wü tend und wandte sich dem Baumwesen zu, um sich zu verteidigen. »Laß das!« fuhr Fartuloon ihn an. »Setz das Baby auf den Boden, Ra!« Ra funkelte ihn widerspenstig an, doch dann gehorchte er und setzte das seltsame Baby auf den Boden.
H. G. Ewers Sofort stellte das Baumwesen seinen An griff ein. Es bewegte zwar noch die Arme, das schien jedoch nur eine warnende Geste zu sein. Aber das Baby …! Es kam mir plötzlich gar nicht wie ein hilfloses Baby vor, das gerade aus einem Ei geschlüpft war, sondern wie ein Zwerg, der genau wußte, was er wollte. Der Zwerg stemmte die Fäuste in die Sei ten, blickte uns an und verzog das winzige Gesicht zu einem Grinsen. »Was ist das?« fragte ich fassungslos. Das Baumwesen richtete sich auf und we delte weiter mit seinen Ästen beziehungs weise Armen. Es schien keine Möglichkeit zu besitzen, sich akustisch zu verständigen. Aber wir hatten es doch deutlich lachen und schluchzen gehört! Plötzlich ertönte ein tiefes Brummen. Es schien aus dem Baumwesen zu kommen. Die Bewegungen der Arme bekamen Syste matik. Kein Zweifel, das Wesen versuchte, sich mit uns durch Zeichensprache zu verständi gen! Ich blickte meinen Pflegevater auffor dernd an. Wenn es jemanden gab, der sich mit ei nem absolut fremdartigen Wesen mittels Zeichensprache verständigen konnte, dann war es der dicke Bauchaufschneider. Fartuloon wandte sich dem Baumwesen zu. Beide unterhielten sich eine Weile mit Hilfe einer Zeichensprache, von der ich so gut wie nichts verstand. Der blauhäutige Zwerg stand dabei und schaute interessiert zu. Nach einiger Zeit stellten die beiden un terschiedlichen Wesen ihre »Unterhaltung« ein. Fartuloon wandte sich an Ra und mich und erklärte: »Das Wesen gehört einem Volk an, das schon lange im Aussterben begriffen ist. Dieses Exemplar suchte nach dem Stein der Weisen, um das langsame Sterben seines Volkes mit seiner Hilfe aufzuhalten. Es wur
Der Ring des Schreckens de von Dovreen in das Nebelgefängnis ver bannt – so wie wir.« »Und der Zwerg?« erkundigte ich mich. »Was hat das Wesen mit dem Zwerg zu tun?« »Es fand das Ei rein zufällig und merkte, daß Leben in ihm war«, antwortete mein Pflegevater. »Die Tatsache, daß jemand in die hier herrschende Hoffnungslosigkeit hin eingeboren werden sollte, versetzte ihm einen Schock.« »Der Zwerg scheint sich aber recht wohl zu fühlen«, erwiderte ich. »Hast du das Baumwesen gefragt, wovon es in dem Ne belgefängnis lebt?« »Selbstverständlich«, sagte Fartuloon. »Es gibt hier weder Wasser noch Nahrung, jedenfalls nicht in der Form, wie er es ge wöhnt ist. Da er aber weder verdurstet noch verhungert, nimmt er an, daß die Körper der Verbannten ihren Bedarf an Wasser und Nahrung aus Substanzen decken, die im Ne bel enthalten sind und von der Haut aufge nommen werden können.« »Dann brauchen wir uns wenigstens in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen«, erklärte ich. »Folglich können wir uns ganz darauf konzentrieren, eine Möglichkeit zu finden, aus dem Gefängnis auszubrechen. Frage doch das Wesen, ob es sich uns an schließen möchte.« »Das habe ich bereits getan«, erwiderte mein Pflegevater. »Es will allein bleiben.« »Und was machen wir mit dem Zwerg?« fragte ich. Diese Frage erübrigte sich im nächsten Augenblick. Eine riesige blaue Hand, so groß wie ein Hangarschott, senkte sich aus dem Nebel über uns und legte sich neben dem Zwerg auf den Boden, die Handfläche nach oben. Der Zwerg blickte uns an, bildete aus Daumen und Zeigefinger der rechten Hand einen Kreis, dann kletterte er auf die riesige Hand, die gleich darauf mit ihm im Nebel über uns verschwand. »War das nun die Hand vom Vater oder von der Mutter des Kleinen?« fragte Fartu
17 loon trocken. Er hatte schon einen eigenartigen Humor. Wir lauschten eine Weile, ob wir viel leicht die Schritte hörten, mit denen sich der Gigant entfernte. Doch es blieb still. »Verabschiede dich von dem Baumwe sen, Dicker«, sagte ich zu Fartuloon. »Danach gehen wir weiter. Ich bin wirklich gespannt, welche Überraschungen wir noch erleben werden.«
3. Das Baumwesen entfernte sich auf seinen wurzelähnlichen Beinen in die eine Rich tung, wir gingen in die andere. Schon kurz darauf sahen wir es nicht mehr. Dafür entdeckten wir plötzlich etwas, das wir in dem Nebelgefängnis niemals vermu tet hätten, einen großen, grauen Obelisken. Er stand an einer Stelle, an der wir unserer Meinung nach vorhin vorbeigekommen wa ren, ohne daß wir ihn gesehen hatten. »Entweder sind wir doch nicht an dieser Stelle vorbeigekommen – oder der Obelisk ist in der Zwischenzeit hier erschienen«, meinte mein Pflegevater. »Wie könnte er ›erschienen‹ sein?« fragte ich. »Er ist doch kein lebendes Wesen, das sich auf der Suche nach dem Stein der Wei sen befindet, sondern ein totes Bauwerk.« Langsam ging ich um den Obelisken her um. Er durchmaß in der Grundfläche etwa zwanzig Meter und war höher, als ich sehen konnte. »Allmählich halte ich alles für möglich«, erklärte Fartuloon. »Jedenfalls in diesem Nebelgefängnis.« Mir ging es ähnlich. Aber vorerst interes sierte mich mehr, ob wir das Bauwerk betre ten konnten. Deshalb suchte ich nach einer Öffnung. Aber bevor ich sie gefunden hatte, gesti kulierte Ra heftig mit den Händen und deu tete auf einen Vorsprung in der Außenwand des Obelisken. Der Vorsprung ragte etwa fünfzehn Zentimeter weit heraus und hatte die Form eines Drachenkopfes mit geöffne
18 tem Maul. Ich musterte den Drachenkopf. Es berührte mich immer eigenartig, wenn ich irgendwo auf die Abbildung eines jener sagenhaften Ungeheuer stieß. Ich wußte von Fartuloon, daß in den Mythen fast aller ga laktischen Völker Drachen eine Rolle spiel ten. Das konnte kein Zufall sein. Wahr scheinlich handelte es sich um Produkte ei ner Kollektiverinnerung, die weit in der Vorzeit entstanden war. Wenn dem so war, mußten drachenähnliche Lebewesen einst ei ne reale Rolle im galaktischen Geschehen gespielt haben. Vielleicht fanden wir eines Tages Spuren, die sie selber hinterlassen hatten. »Der Drachenkopf könnte ein Hinweis darauf sein, wie sich jemand Zugang zum Innern des Obelisken verschaffen kann«, meinte Fartuloon bedächtig. Er tastete das Gebilde sorgfältig ab. Als er einen der Reißzähne berührte, klickte es plötzlich. Ein Stück der Außen wand schwang nach innen. Mein Pflegevater blickte mich frohlockend an, als wollte er mir sagen, daß nur er mit seinen vielfältigen Erfahrungen in der Lage gewesen sei, den Öffnungsmecha nismus zu entdecken. »Ich gehe vorerst allein hinein, Atlan«, sagte er. »Ihr bleibt draußen. Wenn ich nach einer halben Stunde nicht wieder herausge kommen bin, könnt ihr nach mir suchen.« »Und wenn die Tür sich hinter dir wieder schließt?« fragte ich. »Dann müßt ihr sie irgendwie wieder öff nen«, antwortete Fartuloon. »Aber wendet erst dann Gewalt an, wenn die halbe Stunde verstrichen ist.« Er zückte sein Schwert und tauchte in der Öffnung unter. Eine Weile sah ich noch den Schein der Atomlampe, die vor seiner Brust hing, dann wurde es im Obelisken wieder dunkel. Ich lauschte angestrengt, vermochte aber keine Geräusche aus dem Innern des Bauwerks aufzufangen. Dafür wurde es in unserer Nähe laut. Jemand schrie unverständliche Worte. Ein
H. G. Ewers helles Pfeifen war die Antwort. Wieder er tönten die unverständlichen Worte, offenbar in einer fremden Sprache geschrien. Diesmal antworteten Pfeiftöne aus zwei verschiede nen Richtungen. Danach wurde es wieder still. Einige Minuten verstrichen, dann schrie abermals jemand. Diesmal war es näher als zuvor. Aus zwei Richtungen antworteten die Pfeiftöne, und auch das Pfeifen kam diesmal aus größerer Nähe. Ra wurde unruhig. Er vermutete wahr scheinlich Gefahr. Auch mein Extrasinn meldete sich wieder. Vorsichtshalber zog ich die Strahlwaffe aus meinem Gürtelhalfter. Keinen Augenblick zu früh, denn plötz lich tauchten schräg über uns zwei große Flugechsen mit langen Hälsen, kleinen Köp fen und säbelartigen Schnäbeln auf. Als sie auf uns herabstießen, feuerte ich. Eine der Flugechsen verging in der son nenheißen Glut des Impulsstrahlers, die an dere wich zur Seite aus und tauchte wieder im Nebel unter. Abermals schrie jemand unverständliche Worte – und diesmal erschollen Pfeiftöne aus allen Richtungen. Ich ahnte, daß jemand sich der Flugech sen bediente, um auf Gefangene des Nebels Jagd zu machen. Vielleicht hatte er es auf Ausrüstungsgegenstände abgesehen. Doch wie dem auch sei, ich war nicht gewillt, das Opfer dieses Jägers zu werden. Ich stieß Ra durch die Öffnung in das In nere des Obelisken, folgte ihm und wartete. Meine Strahlwaffe stellte ich auf breite Streuung, um möglichst alle Angreifer gleichzeitig zu erfassen. Dadurch würde meine Waffe zwar nicht töten, doch es ge nügte mir, wenn ich die Flugechsen vertrei ben konnte. Wie ich erwartet hatte, griffen die Flug echsen beim nächstenmal massiert an. Der Strahlenkegel aus meiner Impulswaffe er faßte viele von ihnen und fügte ihnen Schmerzen zu. Einige stürzten wild flatternd zu Boden; die anderen stoben taumelnd aus
Der Ring des Schreckens einander. Plötzlich tauchte aus dem Nebel ein son derbares Wesen auf. Halb Pferd, halb Echse, jagte es im Galopp auf die Öffnung des Obe lisken zu. Genauer gesagt, handelte es sich um einen Pferderumpf, aus dem in Brusthö he der Oberkörper einer Echse ragte, die an nähernd einem Topsider glich. Am Echsenleib befanden sich zwei Arme mit schuppenbedeckten Händen. In einer Hand schwang das Doppelwesen eine Schleuder. Ich zögerte, weil mir die Waffen zu un gleich erschienen. Wenn ich mit scharf ge bündeltem Impulsstrahl schoß, hatte der Jä ger keine Chance. Ra kannte solche Skrupel offenbar nicht. Er kam von einer barbarischen Welt, wo der Überlegene seine Stärke kompromißlos ge brauchte. Ra stieß mich zur Seite, schnellte sich mit einem gewaltigen Satz auf den Pferderücken und umschlang den Echsenleib von hinten mit seinen kräftigen Armen. Der Pferdekörper scheute und stieg hoch, dann bockte er und feuerte nach hinten aus. Ra fiel nicht herab, weil er erstens den Ech senleib fest umklammerte und zweitens die Schenkel gegen den Pferdekörper preßte. Mit seinen Armen drückte er dem Echsen leib die Luft ab. Ich sah keine Möglichkeit für mich, in den Kampf einzugreifen, da das Doppelwe sen wild umhersprang und die Gefahr be stand, daß ich Ra mit der Impulswaffe traf, wenn ich schoß. Kurz darauf streckte sich der Pferdekör per und jagte im Galopp davon, in den Ne bel hinein. Ich stieß eine Verwünschung aus. Wer weiß, wohin der Jäger mit Ra galop pierte. Es erschien mir unwahrscheinlich, daß der Barbar Fartuloon und mich in die sem Nebelgefängnis wiederfinden würde, wenn er sich sehr weit entfernte. Ich mußte sogar damit rechnen, daß das Doppelwesen ihn abwarf und tötete. Allerdings wunderte ich mich darüber,
19 daß Fartuloon noch nicht wieder hier war. Er mußte doch den Kampflärm gehört haben, und mein Pflegevater war nicht der Mann, sich vor einem Kampf zu drücken. Im Ge genteil, er hätte sofort eingegriffen. Ich schaltete die kleine, aber leistungsfä hige Lampe ein, die in einer Magnethalte rung vor meiner Brust hing. Solange sie in der Halterung steckte, bezog ihre Glasfaser leuchtspirale die benötigte Energie von dem Kompakt-Fusionsreaktor in meinem Aggre gat-Tornister. Zog ich sie heraus, wurde au tomatisch der Kontakt mit dem Abnehmer des Speichers geschlossen, der sich in der Lampe befand. Der Lichtkegel zeigte mir erstmalig den Raum, in dem ich mich befand. Es handelte sich um eine kreisrunde Halle mit Wänden, die sich nach oben zu verjüngten. In zirka drei Metern Höhe befand sich eine Decke mit drei kreisrunden Öffnungen. Das war al les. Ich aktivierte mein Armband-Funkgerät und rief nach Fartuloon. Der Dicke meldete sich nicht. Kurz entschlossen stellte ich mich unter die nächste der drei Öffnungen. Meine Vermutung, daß es sich um die Öffnung eines Freifeld-Antigravlifts handel te, der sich automatisch ein- und ausschalte te, bestätigte sich. Als ich die Öffnung passiert hatte, er blickte ich eine zweite Halle. Sie war unge fähr zehn Meter hoch und endete in einer Decke mit zwei Öffnungen, und sie war leer wie die erste. Da die Öffnungen nicht untereinander an geordnet waren, trat ich auf den Boden und stellte mich unter die nächste Öffnung. Abermals schaltete sich ein Antigravlift ein und ermöglichte mir den Aufstieg. Und wieder landete ich in einer Halle, mit erheblich kleinerem Grundflächendurchmes ser als die erste und nur einer Öffnung in der Decke. Auch hier war Fartuloon nicht zu sehen. Ich benutzte wieder den Freifeld-Anti gravlift, und als ich durch die Öffnung schwebte, sah ich, daß der Raum darüber der
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letzte in dem Obelisken war, denn er lief nach oben spitz aus. Ratlos schaute ich mich um. Ich wußte, daß Fartuloon den Obelisken nicht verlassen hatte – und doch befand er sich nicht mehr darin. Das erschien unmög lich. Da es jedoch feststand, mußte es eine Möglichkeit geben, meinem Pflegevater zu folgen. Ich mußte sie nur finden.
* Ich tastete sorgfältig die Wände ab, ent deckte aber nichts, weder Fugen noch sonst einen Hinweis auf eine Möglichkeit, eine verborgene Tür zu öffnen. Ich bekämpfte die Panik, die sich meiner bemächtigen wollte. Dennoch konnte ich nicht verhindern, daß ich nervös wurde. Ein Blick auf den Armband-Chronographen zeigte mir, daß die halbe Stunde inzwischen verstrichen war. Folglich wurde Fartuloon an der Rückkehr gehindert, sonst wäre er längst gekommen. Ich ließ mich vom Antigravlift eine Etage tiefer befördern und suchte auch dort syste matisch die Wände ab. Aber auch hier blieb meine Suche erfolglos. Genauso erging es mir mit den beiden übrigen Etagen. Fartu loon war spurlos verschwunden. Ich lehnte mich gegen die Wand, ver schränkte die Arme vor der Brust und zwang mich dazu, in aller Ruhe die Möglichkeiten zu durchdenken, die mir geblieben waren. Ich konnte versuchen, meinen Pflegevater draußen zu finden, da er ja ganz offensicht lich nicht mehr in dem Obelisken war. Das schien eine erfolgversprechende Möglichkeit zu sein. Dennoch verwarf ich diesen Gedanken wieder. Er barg das Risiko, daß Ra während meiner Abwesenheit zum Obelisken zurückfand und ihn wieder ver ließ, weil ich nicht mehr da war. Dadurch hätten wir uns für immer verlieren können. Eine andere Möglichkeit war, passiv zu warten. Ra besaß als Wilder einen viel bes seren Orientierungssinn als ich und würde,
wenn er den Kampf mit dem Jäger überleb te, irgendwann zurückkehren. Außerdem gab ich auch die Hoffnung nicht auf, daß mein Pflegevater wieder auftauchen könnte. Ich verwarf diesen Gedanken. Fartuloon konnte sich in einer Lage befin den, in der sein Überleben von meiner Hilfe abhing. Folglich durfte ich nicht passiv war ten, sondern mußte weiterhin aktiv bleiben. Die Frage war nur, wie. Schließlich hatte ich alle Etagen des Obelisken gründlich ab gesucht und konnte ausschließen, daß es ei ne verborgene Tür gab. Aber irgendwie mußte Fartuloon schließ lich den Obelisken verlassen haben. Er muß te etwas getan haben, das ich noch nicht nachvollzogen hatte. Ich versetzte mich in die Denkweise des Bauchaufschneiders, um herauszufinden, was er wohl getan haben könnte, das sein Verschwinden bewerkstelligt hatte. Ganz sicher war er mit Hilfe der Anti gravlifte bis in die oberste Etage des Obelis ken vorgedrungen. Ich kehrte also wieder dorthin zurück und sah mich um. Was hatte Fartuloon wohl gedacht, als er feststellte, daß alle Etagen dieses Bauwerks leer waren? Unwillkürlich mußte ich lächeln. Ganz bestimmt hatte er geflucht, weil sei ne Mühe vergebens gewesen war. Er fluchte gern und oft, beherrschte sich in meiner Ge genwart jedoch meistens. Wenn er sich al lein glaubte und Anlaß dazu hatte, trieb er es jedoch manchmal bis zum Exzeß. Ich überwand meine Hemmungen und stieß einige der Flüche aus, die ich von dem dicken Bauchaufschneider gehört hatte. Ein wenig lächerlich kam ich mir dabei aller dings vor, doch wollte ich keine Möglichkeit ungenutzt lassen. Als immer noch nichts geschah, überlegte ich weiter. Mein Pflegevater mußte, nachdem er sich durch sein Fluchen abreagiert hatte, be schlossen haben, umzukehren. Da er aber nicht bei mir angekommen war, hatte ihn et was daran gehindert. Er mußte das aber auf
Der Ring des Schreckens jeden Fall provoziert haben, denn ich hatte mich bisher ungehindert in dem Obelisken bewegen können. Natürlich! schoß es mir durch den Kopf. Es lag in Fartuloons Mentalität, daß er, be vor er umkehrte, seine Verachtung gegen über dem fruchtlosen Objekt seiner Untersu chung geäußert hatte. In solchen Fällen pflegte er auf den Boden zu spucken. Ich fühlte mich verlegen, als ich Speichel in meinem Mund sammelte und dann auf den Boden spie. Im nächsten Moment füllte sich der Raum mit einem grünen Leuchten, und als es er losch, befand ich mich nicht mehr im ober sten Raum des Obelisken, sondern in einem erheblich größeren Saal, an dessen Wänden dicht an dicht schwarze Roboter standen. Es gab keinen Zweifel daran, daß es sich um Roboter von annähernd humanoider Ge stalt handelte. Nur die Tätigkeit, die sie aus übten, wurde normalerweise nicht von Ro botern ausgeübt, ja, Roboter waren dazu normalerweise nicht einmal fähig. Sie spuckten nämlich in schöner Regel mäßigkeit auf den blanken Boden des Saal es, und die Gestalt, die auf den Knien an ih nen vorbeirutschte, bemühte sich eifrig, die Spucke mit einem Lappen zu beseitigen. »Was ist denn das?« entfuhr es mir. Die Gestalt hielt in ihrer entwürdigenden Tätigkeit inne und wandte mir ihr schweiß überströmtes Gesicht zu. »Atlan!« rief Fartuloon. »Hast du etwa auch das Heiligtum angespuckt?« Bevor ich antworten konnte, ließ der Far tuloon am nächsten stehende Roboter eine Schockpeitsche auf den Rücken meines Pflegevaters sausen. Fartuloon schrie gepeinigt auf und wisch te unverzüglich weiter. Ich griff nach meinem Impulsstrahler, aber ehe ich ihn erreichte, pfiff etwas durch die Luft. Im nächsten Augenblick brach ich schreiend zusammen. Mir war, als tobte ver zehrende Glut durch meinen Körper. »Du hast den Tempel des Deirkhan ent weiht!« ertönte eine unmodulierte Stimme.
21 »Dafür wirst du Buße tun, indem du den Bo den dieses Saales sauberhältst!« Ein großer grauer Lappen fiel vor meine Füße. Zornig packte ich ihn, schleuderte ihn fort und rief: »Ich denke nicht daran!« Abermals traf mich eine Schockpeitsche, und wieder brach ich schreiend zusammen. Schockpeitschen sind grauenvoll in ihrer Wirkung, und ich hatte noch nie von jeman dem gehört, dem es gelungen war, bei dieser Tortur zu schweigen. Ich hatte auch noch von niemandem gehört, der dabei standhaft geblieben war. Aber ich wollte mich nicht beugen. Das ließ mein Stolz einfach nicht zu. Nach dem fünften Schlag verlor ich das Bewußtsein. Ich hörte noch einen Schrei Fartuloons, dann umfing mich gnädige Fin sternis.
* Als ich wieder zu mir kam, wagte ich erst nicht, die Augen zu öffnen, in der Furcht, die Tortur würde dann von neuem beginnen. Doch da sagte Fartuloons Stimme: »Du brauchst dich nicht zu verstellen, At lan. Ich bin stolz auf dich, mein Junge. Dei ne Standhaftigkeit hat die Roboter davon überzeugt, daß du in der bei ihnen geltenden Rangordnung höher stehst als Deirkhan, des sen Tempel wir angeblich entweihten.« Ich schlug die Augen auf und erblickte Fartuloons Gesicht über mir. Mein Körper schmerzte nicht mehr, aber die Erinnerung an die Tortur ließ mich erschauern. »Warum mußtest du auch auf den Boden spucken, Bauchaufschneider!« erwiderte ich. »Aber du hast es ja ebenfalls getan«, sagte Fartuloon. »Sonst wärst du nicht wie ich be straft worden.« »Ich habe nur versucht, deine Handlungen nachzuvollziehen, um dich wiederzufinden, Fartuloon«, entgegnete ich. Mein Pflegevater wurde verlegen.
22 »Ich werde versuchen, mich zu bessern, Atlan«, erklärte er. »Es war schon ein Alp traum, daß ich vor den Robotern auf den Knien kriechen mußte, aber dann zu sehen, wie sie dich peinigten …!« Ich versuchte zu lächeln. »Warum hast du dich gebeugt, Dicker? Hattest du nicht genug Stolz, um dich not falls totprügeln zu lassen, anstatt dich zu de mütigen?« Fartuloon blickte mich ernst an. »Ich hätte mich lieber zu Tode quälen las sen, mein Junge, wenn ich nicht gewußt hät te, daß ihr mich braucht.« »Entschuldige, bitte!« sagte ich leise. »Wo sind wir eigentlich?« »Im Keller des Obelisken«, antwortete Fartuloon. »Da staunst du, was? Allerdings besteht die einzige Verbindung in einem Transmitter. Ich hoffe, die Roboter schicken uns wieder zurück.« Ich richtete mich auf und bemerkte dabei, daß ich auf einer Liege gelegen hatte, die in einem quadratischen Raum stand. Von den schwarzen Robotern war nichts zu sehen. Ich schwang mich von der Liege und sagte: »Bringt uns wieder zurück! Wir haben schon zuviel Zeit verloren.« Niemand antwortete, aber nach wenigen Sekunden füllte sich der quadratische Raum mit dem bekannten grünen Leuchten – und im nächsten Moment standen mein Pflege vater und ich im obersten Stockwerk des Obelisken. Wir atmeten beide auf. »Bitte, nicht auf den Boden spucken!« mahnte ich. »Nie wieder!« versprach Fartuloon. »Jedenfalls nicht hier«, schränkte er gleich danach wieder ein. Während wir in den Antigravlifts nach unten schwebten, berichtete ich meinem Pflegevater von dem Überfall des Jägers und seiner Flugechsen und davon, daß Ra von dem Jäger quasi entführt worden war. »Wir können nichts weiter für ihn tun, als bei dem Obelisken zu warten«, meinte Far tuloon. »Er kehrt bestimmt hierher zurück.
H. G. Ewers Dann müssen wir da sein.« Als wir den Obelisken verließen, atmete ich freier, obwohl wir uns immer noch in dem Nebelgefängnis befanden. Ra war noch nicht zurückgekehrt, und so blieb uns weiter nichts übrig, als auf ihn zu warten und uns in Spekulationen über unsere Zukunft zu erge hen. »Der Aufenthalt in diesem Nebelgefäng nis muß einen Sinn haben«, erklärte ich. »Schließlich ist der Stein der Weisen dazu bestimmt, von einem Würdigen gefunden und gebraucht zu werden. Wenn wir uns richtig verhalten, kommen wir bestimmt hier wieder heraus.« »Das denke ich auch«, erwiderte Fartu loon. »Jedenfalls müssen die einzelnen Etap pen auf dem Wege zum Stein der Weisen einst sinnvoll angelegt worden sein. Ob sie noch ihren ursprünglichen Zweck erfüllen, daran zweifle ich allerdings bereits seit un seren Abenteuern in der Vergessenen Po sitronik. Zu viele Faktoren haben im Laufe eines sehr langen Zeitraums eingewirkt.« Als wir ein schwaches Geräusch hörten, fuhren wir herum und zogen dabei unsere Impulsstrahler. Aber es war kein neuer Gegner, der aus dem Nebel auftauchte, sondern Ra. Der Wilde vom dritten Planeten einer weißgelben Sonne hinkte leicht und blutete aus einer Platzwunde am Kopf, sonst schien er unversehrt zu sein. »Wie geht es dir?« fragte Fartuloon und versorgte die Platzwunde. »Na, mit deiner Konstitution hast du dich schnell wieder er holt.« Ra antwortete nicht. »Was ist mit dem Jäger?« erkundigte ich mich. Diesmal verzog Ra das Gesicht zu einem dünnen Grinsen und beantwortete meine Frage mit einer Geste, die eindeutig verriet, daß er den Jäger getötet hatte. Ich sah davon ab, ihn wegen seines über stürzten Eingreifens zu rügen. Ra war intel ligent genug, um selbst aus seinen Fehlern zu lernen. Außerdem wollte ich ihn nicht
Der Ring des Schreckens verunsichern und damit seine Eigeninitiative einschränken. »So, das wär's!« sagte Fartuloon, nach dem er Ras Platzwunde mit Biomolplast be sprüht hatte. »Dein Schädel hält allerhand aus, alter Knabe. Wir freuen uns jedenfalls, daß du zurückgefunden hast.« Ra winkte ab. Er schien seine Leistung als selbstver ständlich anzusehen. Mein Pflegevater blickte mich an. »Ich schlage vor, wir marschieren noch vier Stunden und legen dann eine Rast ein«, erklärte er. »Ich bin schon froh, wenn ich diesen verdammten Obelisken nicht mehr sehen muß.« Er traf Anstalten, auf den Bo den zu spucken, schluckte den Speichel aber schnell hinunter, als er meinen warnenden Blick sah. »Einverstanden«, erwiderte ich. »Ich wer de froh sein, wenn wir die vier Stunden hin ter uns haben, ohne abermals belästigt wor den zu sein.«
4. Wir waren ungefähr zwei Stunden mar schiert, als wir die Kugel sahen. Sie ragte so unvermittelt vor uns auf, daß wir beinahe dagegengerannt wären – und sie lag nicht etwa auf dem Boden, sondern schwebte zirka zehn Zentimeter darüber und drehte sich langsam. »Nach dem Krümmungsgrad zu urteilen, dürfte die Kugel einen Durchmesser von et wa fünfzehn Metern haben«, meinte Fartu loon. »Und sie besteht aus einem uns unbe kannten Material«, ergänzte ich, während ich versuchte, irgendwelche Unebenheiten oder Fugen zu erkennen. Die Kugel war so bleigrau wie der Nebel, der uns umgab und der mir immer stärker auf die Nerven fiel. Aber es war kein metal lisches Grau, sondern ein stumpfer Farbton von einer Konsistenz, als wären Milliarden und aber Milliarden dünner grauer Fäden zu diesem kugelförmigen Gebilde verwebt wor
23 den. Fartuloon streckte die Hand nach der Ku gel aus, zog sie jedoch zögernd wieder zu rück. »Vielleicht sollten wir uns gar nicht um die Kugel kümmern, sondern einen Bogen um sie schlagen«, meinte er. »Wer weiß, welche Teufelei wieder dahinter steckt.« »Sie befindet sich auf unserem Weg«, er widerte ich. »Das könnte bedeuten, daß uns mit ihr eine neue Aufgabe gestellt wird, die wir zu lösen haben, wenn wir unseren Weg zum Stein der Weisen fortsetzen wollen.« Plötzlich versteifte sich Ras Haltung. Es sah aus, als lauschte er angestrengt. Kurz da nach wandte er sich uns zu und gestikulierte heftig. »Du hast etwas gehört?« fragte mein Pfle gevater. »Kam das Geräusch aus der Ku gel?« Ra machte eine bejahende Geste. Fartuloon verzog das Gesicht. »Vielleicht wohnt jemand in der Kugel«, meinte er skeptisch. »Ob wir uns bemerkbar machen?« »Anklopfen könnte nichts schaden«, erwi derte ich. »Ja, aber ich werde nicht mit den Fingerknöcheln anklopfen, sondern mit dem Skarg«, erklärte Fartuloon. Er zog sein Schwert aus der Scheide und schlug mehrmals mit der flachen Klinge ge gen die Kugel. Es klang, als ob man mit ei nem Stock gegen einen Lederball schlüge. »Elastisches Material!« meinte Fartuloon, drehte die Schwertklinge und führte einen Streich mit der Schneide gegen die Kugel. In der Wand bildete sich ein Riß. Und aus diesem Riß ertönte wenig später eine Stimme, die in reinstem Interkosmo um Hilfe rief. Mein Pflegevater schob sein Schwert in die Scheide zurück, packte die Ränder des Risses mit beiden Händen und zog sie aus einander. »Wer ist dort?« fragte er. »Und warum ru fen Sie um Hilfe?« »Der Skailach!« jammerte jemand. »Der
24 Skailach hat uns gefangen. Er frißt uns, wenn wir nicht bald herauskommen.« Im ersten Moment dachte ich, wir hätten es mit einem Verrückten zu tun. Doch dann wurde mir klar, daß durchaus die Möglich keit bestand, daß ein Lebewesen diese Kugel als Vorratsbehälter benutzte. Es gab schließ lich die sonderbarsten Lebensformen in die sem Nebelgefängnis. »Wie sieht der Skailach aus?« rief ich. »Schrecklich!« erscholl die dumpfe Ant wort. »Helfen Sie uns, bitte! Wir sind Be auftragte des Imperators Orbanaschol III. Sie werden reich belohnt werden, wenn Sie uns retten.« »Ich kann mir vorstellen, wie die Beloh nung eines Mörders und Diktators aussehen würde«, sagte ich leise, während ich die Tat sache zu verdauen suchte, daß Orbanaschols Beauftragte vor mir im Dreißig-Plane ten-Wall eingetroffen waren. Eigentlich war es aber kein Wunder, denn dem Diktator standen weitaus größere Hilfs mittel und unbegrenzte Scharen von Helfern zur Verfügung, während ich mit nur weni gen Getreuen nach dem Stein der Weisen suchte. Unter diesen Umständen erfüllte es mich natürlich mit Befriedigung, daß die Beauf tragten des Diktators im Nebelgefängnis ge scheitert waren. Von nun an war Orbana schol mir nicht mehr um eine Nasenlänge voraus wie bisher. Das löste allerdings nicht mein augen blickliches Problem, denn es war ethischer Natur. So sehr ich den Beauftragten Orbana schols ihre Niederlage gönnte, sie waren Ar koniden und sie befanden sich in Not. Ich hatte die Pflicht, ihnen zu helfen, so gut mir das möglich war. »Wir holen Sie heraus!« rief ich. »Gedulden Sie sich noch eine kurze Zeit.« Ich nickte Fartuloon auffordernd zu, und an seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, daß er meine Entscheidung guthieß. Er zog abermals das Schwert, um den Spalt in der Kugelwandung zu vergrößern. Da schrie Ra auf, packte meinen Pflege
H. G. Ewers vater an der Schulter und zog mit so kräfti gem Ruck, daß Fartuloon fünf Meter weit durch die Luft segelte. Im nächsten Augenblick schlug dort, wo er eben noch gestanden hatte, eine braunrote Säule ein, deren Ende von riesigen gelben Krallen verunziert wurde. Als ich an der Säule entlang nach oben blickte, sah ich in zirka acht Metern Höhe, halb vom Nebel verhüllt, einen etwa vier Meter durchmessenden Federkranz, aus dem zwei große runde Augen und ein riesiger gelber Hakenschnabel blickten. Der Skailach! teilte mir mein Extrasinn mit. Flieh, denn wenn du ihn mit dem Strah ler triffst, begräbt er dich unter sich. Ich wirbelte herum und rannte fort. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Fartuloon und Ra sich ebenfalls zurückzogen. Der Skailach landete nun auch ein zweites Bein auf dem Boden. Es verpaßte mich nur knapp. Sekunden später stieß der federum kränzte Kopf herab. Der Schnabel hackte nach Ra, der sich dem tödlichen Zugriff nur mit einem gewaltigen Hechtsprung entzie hen konnte. Ich kniete mich auf den Boden, zog mei nen Impulsstrahler und feuerte auf eines der großen Augen. Fartuloon schoß im gleichen Augenblick auf das andere Auge. Plötzlich erhob sich eine Art kleiner Wir belsturm. Staub und Federn flogen umher, und ich wurde zu Boden geschleudert. Ein hartes Kratzen und Brausen ertönte. Etwas Großes, Dunkles flog durch den in Aufruhr geratenen Nebel über mir, dann senkte es sich schräg herab und schlug ungefähr fünf zig Schritt hinter mir schwer auf. Ich erhob mich wieder auf ein Knie, zielte auf die undeutlich erkennbare Masse und feuerte, bis ihre zuckenden Bewegungen aufhörten. Es wurde unvermittelt still. »Fartuloon?« rief ich. »Ra?« Niemand antwortete. Ich stand auf und blickte mich suchend um. Da entdeckte ich den Wilden. Er kam auf mich zu und trug meinen Pflegevater über der Schulter.
Der Ring des Schreckens Besorgt eilte ich ihm entgegen. Doch als ich ihn erreichte, schlug Fartuloon eben wie der die Augen auf. »Keine Angst, mein Junge«, sagte er mit matter Stimme. »Ich habe mir nur beim letz ten Sturz den Gehirnkasten leicht angeschla gen. Es wird schon besser. Sehen wir uns den toten Skailach an!« Wir gingen zu dem reglosen Lebewesen. Dort ließ Ra meinen Pflegevater von der Schulter und stellte ihn auf die Füße, dann sahen wir uns den Skailach an. Es handelte sich um ein Vogelwesen, des sen Höhe mindestens zwanzig Meter betra gen haben mußte. Die Spannweite der bei den Flügel schätzte ich auf sechzig Meter. »Ein Tier«, meinte Fartuloon. »Seit wann jagen Tiere nach dem Stein der Weisen?« »Es ist kein Tier«, entgegnete ich. »Schau dir die Gerätetaschen an, die an seinen Schenkeln hängen. Ich nehme an, dort hatte der Skailach seine technische Ausrüstung untergebracht. Vielleicht wurde sie ihm ge stohlen.« »Vielleicht von den Beauftragten Orbana schols«, erwiderte Fartuloon grimmig. »Möglicherweise hat er sie nur deshalb in die Kugel gesperrt. Und uns sah er als seine Feinde an, weil wir seine Gefangenen be freien wollten.« »Fragen wir sie«, erklärte ich. »Wenn sie schuld an dem Tod des Skailachs sind, müs sen sie zur Verantwortung gezogen wer den.«
* Als wir zu der Kugel zurückkehrten, hör ten wir aus dem Spalt wehleidiges Jammern und Schluchzen. Fartuloon verzog angewi dert das Gesicht, und an Ras Miene erkannte ich, daß auch der Barbar die Beauftragten Orbanaschols verachtete. »Kommt heraus!« rief ich. »Der Skailach ist tot.« Das Jammern und Schluchzen verstumm te. Doch niemand kam heraus, obwohl der Spalt in der Kugelhülle groß genug war, um
25 einen Mann durchzulassen. »Wir werden sie wohl herausholen müs sen«, meinte ich und schaltete meine Brust lampe ein. »Ich werde zuerst einsteigen«, erklärte mein Pflegevater. »Falls die Kerle uns über wältigen wollen, werde ich am ehesten mit ihnen fertig.« Er schaltete ebenfalls seine Brustlampe ein, zog das Skarg und zwängte sich durch den Spalt. »Alles klar!« rief er, nachdem er ganz in der Kugel verschwunden war. »Du kannst nachkommen, mein Junge. Die Kerle den ken zur Zeit an keine Hinterlist. Sie leiden noch unter den Nachwirkungen der Angst.« Ich folgte meinem Pflegevater. Im Schein unserer beiden Lampen konnte ich das Innere der Kugel recht gut über blicken. Ich sah zwei reglose Gestalten auf dem Boden liegen. Weiter hinten kauerten zwei andere Gestalten. Sie trugen, wie die beiden ersten, arkonidische Raumfahrer kombinationen, auf deren Brustteilen das Symbol des Wissenschaftlichen Forschungs kommandos des Großen Imperiums prangte. Wir hatten es demnach mit Wissenschaftlern zu tun. Fartuloon untersuchte die beiden reglosen Gestalten. »Sie sind tot«, stellte er fest. »Wahrscheinlich Herzversagen infolge Schockwirkung, denn Verletzungen kann ich nicht erkennen.« Er schnüffelte betont. »Bei den anderen Burschen hat sich der Schock anders ausgewirkt. Man riecht es.« Ich versuchte, den unangenehmen Ge ruch, der die Kugel erfüllte, zu ignorieren. An den Gesichtern der beiden Überlebenden erkannte ich, daß sie vor Angst halb wahn sinnig waren. Wahrscheinlich waren sie lan ge durch den Nebel geirrt und schon da durch zermürbt gewesen, bevor sie mit dem Skailach zusammentrafen. Meine Verach tung ihnen gegenüber verwandelte sich in Mitleid. Diese Männer waren vielleicht kei ne Feiglinge. Sie hatten nur so viel gelitten,
26 daß ihr Verstand ernsthaft angegriffen wor den war. »Wie heißen Sie?« fragte ich. »Tuffar«, antwortete der eine, »Kirthon«, der andere. Wenigstens hatten sie ihre Na men noch nicht vergessen. Das war schon etwas wert. »Wir werden sie säubern müssen, sonst halten wir es nicht lange aus«, erklärte mein Pflegevater. Die beiden Wissenschaftler sträubten sich eine Weile, bevor sie sich von uns entklei den ließen. Wir säuberten sie, so gut es ging, dann streiften wir ihnen die Kombinationen wieder über und brachten sie aus der Kugel. »Warum habt ihr dem Skailach die Ausrü stung gestohlen?« fragte ich sie. »Wir dachten, wir könnten mit seinen Ge räten den Ring des Wahnsinns verlassen«, antwortete Kirthon. »Und dann wundert ihr euch, daß der Skailach sich dafür zu rächen versuchte!« sagte Fartuloon grimmig. »Ihr seid daran schuld, daß wir ihn töten mußten. Wo habt ihr die Ausrüstung eigentlich gelassen?« »Drei Roboter haben sie uns weggenom men«, erklärte Tuffar. »Sie haben uns auch unsere eigene Ausrüstung gestohlen. Dann tauchte der Skailach wieder auf und sperrte uns in seinen Vorratsbehälter. Wir dachten, er wollte uns fressen.« »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Er hät te euch ja gleich fressen können, wenn das seine Absicht gewesen wäre. Wie lange seid ihr schon hier?« »Die Reise geht endlos weiter«, erwiderte Tuffar. »Es ist ein Kreis ohne Ende«, ergänzte Kirthon. Damit konnte ich nichts anfangen. Der Geist der beiden Wissenschaftler schien doch stärker angegriffen zu sein, als es zu erst ausgesehen hatte. »Kreise haben es so an sich, daß sie kein Ende besitzen«, meinte Fartuloon ironisch. »Ihr müßt doch wissen, wie lange ihr hier seid.« Aber die beiden Arkoniden starrten ihn
H. G. Ewers nur verwirrt an. Es schien mir denkbar, daß ihnen der Zeitsinn abhanden gekommen war. »Ich wollte, Orbanaschol hätte sich per sönlich in den Dreißig-Planeten-Wall ge wagt«, erklärte ich. »Aber dazu fehlt ihm wohl der Mut. Er ist eben nur ein Mörder, der außerdem zu feige ist, um Gruppen mit abweichenden Meinungen zu dulden. Des halb herrscht er als Diktator.« »Wer seid Ihr?« fragte Kirthon. Ich sah nicht ein, warum ich den beiden Wissenschaftlern meine Identität vorenthal ten sollte. Sie konnten uns hier nicht gefähr lich werden, und falls Orbanaschol später einmal von ihnen erfahren sollte, daß ich ebenfalls nach dem Stein der Weisen ge sucht hatte, würde entweder er oder ich be reits im Besitz dieses kosmischen Kleinods sein, so daß es keine Rolle mehr spielte. »Ich bin Atlan«, antwortete ich. »Sohn des von Orbanaschol ermordeten Gonozal VII. und als Kristallprinz sein rechtmäßiger Nachfolger. Ich werde den Diktator stürzen und das Große Imperium neu ordnen, damit seine Bewohner wieder ein freies und würdi ges Leben führen können, wie es sich für Arkoniden gehört.« Kirthon wurde blaß. »Ich bin nicht Euer Gegner, Erhabener!« stammelte er. Tuffar dagegen schien überhaupt nicht zu begreifen, was ich eben gesagt hatte. Er stierte mich nur an. »Wenn Sie sich friedlich verhalten, haben Sie von uns nichts zu befürchten«, erklärte ich. »Sollten Sie jedoch feindselige Hand lungen begehen, müssen Sie die Konsequen zen tragen.« »Ich werde bestimmt nicht die Hand ge gen Euch erheben, Erhabener«, sagte Kir thon. »Ich bin Wissenschaftler und kein Büt tel Orbanaschols. Er hat uns in diese Hölle geschickt. Dafür verfluche ich ihn.« Ich blieb skeptisch und beschloß, gerade vor Kirthon auf der Hut zu sein. Ihm kamen die Worte etwas zu glatt über die Lippen, als daß sie überzeugend geklungen hätten. Au
Der Ring des Schreckens ßerdem zeugte es nicht gerade von gutem Charakter, daß die Wissenschaftler dem Skailach, der schließlich ein Leidensgenosse gewesen war, die Ausrüstung gestohlen hat ten, anstatt zu versuchen, sich mit ihm zu sammenzutun. Ich wandte mich an Fartuloon und fragte: »Was tun wir mit den beiden Toten in der Kugel?« Mein Pflegevater zuckte die Schultern. »Wir lassen sie am besten dort. Begraben können wir sie nicht, denn der Boden ist hart wie Stahl, wie du inzwischen selbst bemerkt haben wirst.« Das stimmte. Der Boden fühlte sich wie Arkonstahl an. Gesehen hatten wir ihn allerdings nicht. Er blieb unsichtbar, so dicht wir auch mit den Augen an ihn herangingen, das heißt, wir konnten dort, wo wir den Boden unter unse ren Füßen spürten, nichts als bleigrauen Ne bel sehen. »Gehen wir also weiter«, sagte ich. Wir setzten uns in Bewegung und wateten durch die träge dahinziehenden Nebelschwa den. Unser Gefängnis schien sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken. Dabei wußten wir genau, daß wir uns eigentlich in jener silbernen Kugel befanden, die wir in Do vreens Pavillon gesehen hatten. Manchmal überlegte ich, ob diese Kugel sich wirklich so sehr vergrößert hatte, oder ob wir zu mikroskopischen Lebewesen ge schrumpft waren, die durch das Innere einer Kugel schritten, die nicht größer als eine Männerfaust war.
* Wir waren ungefähr eine halbe Stunde marschiert, als plötzlich über uns der Nebel aufriß. Eine Art Fenster wurde sichtbar. Die beiden arkonidischen Wissenschaftler er schraken beim Anblick dieses Fensters so heftig, daß sie an allen Gliedern zitterten. Aus dem Nebel ringsum ertönten Entset zensschreie, vermischt mit jämmerlichem
27 Heulen. Die Gefangenen des Nebels schie nen sich vor etwas zu fürchten. Vielleicht kündigte das Erscheinen des Fensters ein schlimmes Ereignis an, mit dem die anderen Gefangenen schon böse Erfah rungen gemacht hatten. Wir versuchten, aus den Wissenschaftlern herauszubekommen, wovor sie sich fürchte ten. Doch sie waren offensichtlich zu kei nem klaren Gedanken mehr fähig. Drei schemenhafte Gestalten huschten in der Nähe an uns vorbei. Fartuloon rief sie an, doch sie antworteten nicht. Sie schienen sich auf der Flucht zu befinden. »Vielleicht sollten wir ebenfalls fliehen«, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß eine Flucht sinn voll wäre«, erwiderte mein Pflegevater. »Hier kann niemand fliehen. Es hat keinen Zweck, in panischer Furcht durch den Nebel zu laufen. Das kostet nur Kraft und verwirrt den Geist.« Er hatte sicher recht. Ich musterte Ra verstohlen von der Seite. Der Barbar fürchtete sich offensichtlich auch, doch er beherrschte sich. Ich sah, wie er die Lippen zusammenpreßte und mit den Kiefern mahlte. Fartuloon und ich richteten unsere Auf merksamkeit auf das seltsame Fenster. Bis her hatten wir darin oder dahinter nur Dun kelheit gesehen. Jetzt tauchten einige Lichter darin auf. »Sterne!« flüsterte Fartuloon. Kurz darauf wanderte ein großer gelber Sonnenball in das Fenster. Er blieb nicht lange sichtbar. An seiner Stelle erschien ein Planet. Er wirkte so, als wären wir nicht weiter als einige Millionen Kilometer von ihm entfernt – und er wurde allmählich grö ßer, so als näherten wir uns ihm in schneller Fahrt. »Das sieht aus, als befänden wir uns an Bord eines Raumschiffs«, meinte ich. »Es sieht so aus«, erwiderte Fartuloon. »Aber wie sollten wir an Bord eines Raum schiffs gekommen sein? Wir haben doch nichts dergleichen bemerkt, oder?«
28 »Vielleicht wurden wir in der Kugel ent materialisiert, in ein nebelerfülltes Raum schiff abgestrahlt und dort wieder remateria lisiert«, sagte ich. Tuffar schrie auf und lief davon. Kirthon wollte ihm folgen, doch Fartuloon ergriff seinen Arm und hielt ihn fest. »Von uns aus könnt ihr laufen, wohin ihr wollt«, erklärte mein Pflegevater. »Aber be vor ich dich loslasse, mußt du mir verraten, wovor ihr euch so sehr fürchtet.« Kirthon rollte mit den Augen und gab ei nige unartikulierte Laute von sich. Er ver suchte vergebens, sich aus Fartuloons Griff zu befreien. Unterdessen war der Planet in dem »Fenster« größer geworden. Ich hatte den deutlichen Eindruck, daß wir auf ihn zura sten. Darüber, ob ich den Planeten wirklich durch ein Fenster sah oder nur auf einem Bildschirm, zerbrach ich mir nicht den Kopf. Das war unwichtig. Wichtig war für uns nur, daß der Planet, auf den wir zustürzten, genau wie Frokan aussah, jene Welt, auf der wir dem Weisen Dovreen begegnet und von ihm in die silber ne Kugel verbannt worden waren. Kehrten wir nach unserer Irrfahrt nun an den Ausgangspunkt zurück? Wenn das zutraf, verstand ich allerdings die panische Furcht nicht, die die beiden ar konidischen Wissenschaftler und die ande ren Gefangenen des Nebels erfaßt hatte. Ich selber fürchtete mich nicht vor einer Rückkehr nach Frokan. Im Gegenteil, dort würden wir – hoffentlich – unser Beiboot wiederfinden. Wir konnten dann entweder zur KARRETON zurückkehren oder Do vreen dazu veranlassen, mehr Informationen auszupacken. Notfalls mußten wir ihn eben unter Druck setzen; immerhin verdankten wir ihm ein paar schlimme Stunden. Erneut huschten schemenhaft erkennbare Wesen in unserer Nähe durch den Nebel. Abermals ertönten Schreie. Der Planet, auf den wir zurasten, füllte inzwischen das Fen ster aus. Er wuchs weiterhin an, und bald sa hen wir nur noch einen Ausschnitt der Pla
H. G. Ewers netenoberfläche. Sie war so grell erleuchtet, daß ich annahm, daß dieser Teil zur Zeit der Sonne abgewandt war. Er empfing seine Helligkeit vom Zentrumskern unserer Gala xis. »Der See!« rief Fartuloon. Ich entdeckte die langgestreckte Fläche des Sees, auf dem wir gelandet waren, zur gleichen Zeit. Die Wasserfläche warf das Zentrumsleuchten zurück wie ein riesiger Spiegel, so daß ich die Augen zusammen kneifen mußte, um nicht geblendet zu wer den. Allmählich wurde ich unruhig, denn wir stürzten noch immer mit rasender Ge schwindigkeit auf den Planeten zu. Wenn wir nicht bald abgebremst wurden, mußten wir so hart aufschlagen, daß wir dabei zer schmettert wurden. Kirthon wehrte sich nicht mehr gegen Fartuloons Griff. Er starrte nur aus tränen den Augen durch das Fenster, und Speichel rann aus seinen Mundwinkeln. Plötzlich gab es einen Ruck, der uns alle zu Boden warf. Kirthon heulte auf und krümmte sich. Als ich wieder klar sehen konnte, merkte ich, daß unsere Bewegung zum Stillstand gekommen war. Und etwa zwanzig Meter vor uns formte sich in dem bleigrauen Nebel ein bläulich leuchtender Ring von etwa zehn Metern Durchmesser. Der Nebel innerhalb des Rin ges verflüchtigte sich, und ich sah dahinter eine parkähnliche Landschaft, einen kleinen Ausschnitt eines Sees und weiter hinten den weißen Pavillon. »Wir sind auf Frokan!« rief Fartuloon. »Los, raus hier!« Er zog Kirthon hoch und schleppte ihn mit. Ra half meinem Pflegevater dabei, denn der Wissenschaftler sträubte sich mit Hän den und Füßen. Ich lief hinter meinen Ge fährten auf das seltsame Tor zu, das unser Nebelgefängnis mit Frokan verband. Als wir das leuchtende Tor erreicht hat ten, ließ Fartuloon den Wissenschaftler los und meinte:
Der Ring des Schreckens »Wenn du unbedingt im Nebel bleiben willst, will ich dich nicht länger daran hin dern. Ra, laß ihn los. Er soll tun, was ihm beliebt.« Der Barbar ließ ihn ebenfalls los, dann eilten wir durch das Tor. Unsere Füße ver sanken in weichem sattgrünem Gras. Wir wandten uns um und sahen Kirthon auf der anderen Seite des Tores. Der Wissenschaftler hatte sich auf den Boden geworfen und versuchte, tiefer in das Nebelgefängnis zu kriechen. Aber immer wieder wandte er sich um und kroch näher an das Tor heran. Er schluchzte, heulte und tobte abwechselnd. »Etwas zwingt ihn, zum Tor zu kriechen«, bemerkte ich. »Es sieht so aus«, erwiderte mein Pflege vater. »Wahrscheinlich wirkt eine hypno suggestive Kraft auf ihn ein, ohne ihm völlig den eigenen Willen zu nehmen.« Hinter Kirthon tauchte unvermittelt Tuffar auf. Er schwankte und schritt mit halbge schlossenen Augen auf das Tor zu. Dicht da vor stolperte er über Kirthon und stürzte. Die beiden Wissenschaftler umklammerten sich und schlugen mit den Fäusten aufeinan der ein, wobei sie immer wieder irre Schreie ausstießen. Dabei kamen sie dem Tor immer näher – und schließlich waren sie hindurch. Im gleichen Augenblick erlosch das Tor. Damit verschwand auch das Nebelgefängnis unseren Blicken. Es war, als hätte es niemals existiert. Die beiden Wissenschaftler ließen er schöpft voneinander ab. »Da wären wir also wieder auf Frokan«, meinte Fartuloon. Kirthon stieß ein schrilles Gelächter aus, das in hemmungsloses Schluchzen überging. Ich legte die Hand über die Augen, um die grelle Helligkeit des Zentrumsleuchtens abzuschirmen und blickte zum See. »Vielleicht ist das doch nicht Frokan«, sagte ich. »Jedenfalls liegt unser Beiboot nicht mehr am Ufer. Wenn es nicht wegge bracht worden ist, befinden wir uns auf ei
29 nem der anderen Planeten des Dreißig-Planeten-Walls.«
5. Wir ließen die beiden Wissenschaftler lie gen, da wir keine Gefahren erkennen konn ten, dann gingen wir zum Ufer des langge streckten Sees. Auf unserer Seite gab es keinen Sand strand, sondern einen schmalen Schilfgürtel. Zwischen den Halmen tummelten sich Was servögel, und ab und zu schnellte sich ein silbrig schimmernder Fischleib aus dem Wasser. Wir spähten hinüber zu dem Pavillon, vermochten aber keine Bewegung zu erken nen. Dafür sahen wir, daß es auch dort kei nen Sandstrand gab, sondern nur einen Schilfgürtel wie bei uns. Damit stand fest, daß wir uns nicht auf Frokan befanden, sondern auf einer anderen Welt des Dreißig-Planeten-Walls. Die bei den Planeten glichen sich fast völlig – aber eben nur fast. Gewisse Unterschiede stellten sich eben im Laufe der Zeit auch auf Plane ten ein, die sich vielleicht früher absolut ge glichen hatten. »Ohne unser Beiboot kommen wir nicht zur KARRETON«, meinte mein Pflegevater bedauernd. »Und mit unseren Armband funkgeräten können wir das Schiff ebenfalls nicht erreichen. Folglich sind wir weiterhin auf uns allein gestellt.« »Aber hier gibt es den gleichen Pavillon wie auf Frokan«, erwiderte ich. »Vielleicht gibt es dort auch einen Wächter mit der glei chen Funktion, wie Dovreen sie auf Frokan ausübt. Wir sollten uns dort umsehen.« Wir hatten beide während unseres Ge sprächs nicht auf das geachtet, was hinter unserem Rücken vorging. Als Ra einen un artikulierten Schrei ausstieß, wirbelten wir herum und griffen nach unseren Waffen. Vor der nächsten Baumgruppe stand eine Gestalt und blickte zu uns herüber. Sie war humanoid und trug etwas, das einmal eine Kombination gewesen sein mußte, jetzt aber
30 nur noch fragmentarisch erhalten war. Ich winkte, doch die Gestalt winkte nicht zurück, sondern starrte weiter herüber. Kurz darauf tauchte zwischen den Bäu men eine zweite Gestalt auf. Sie glich der ersten, soweit sich das aus dieser Entfernung beurteilen ließ. Als wenig später eine dritte und eine vier te Gestalt auftauchten, wurde ich unruhig. Sie sahen alle so abgerissen aus wie die erste Gestalt, und ich konnte mir vorstellen, daß unsere unbeschädigte Kleidung sie zu der Überlegung veranlaßte, wie sie sich wohl in ihren Besitz setzen könnten. Doch erst, als links von uns weitere Ge stalten auftauchten, die sich aus der Rich tung näherten, in der der Pavillon lag, emp fand ich die Fremden als akute Bedrohung. »Wir sollten darauf achten, stets ausrei chend Abstand zu ihnen zu halten«, sagte ich zu Fartuloon. »Sie tragen nur primitive Waffen«, erwi derte mein Pflegevater. »Speere, Schleudern und Keulen, nicht einmal Pfeil und Bogen haben sie. Aber du hast recht, Atlan. Wir sollten einen Kampf vermeiden, um nieman den töten zu müssen.« Die Fremden am Ufer rückten langsam näher, und als sie bis auf zirka zweihundert Meter herangekommen waren, setzten sich auch die vier Personen von der Baumgruppe in unsere Richtung in Bewegung. Ich rief den beiden arkonidischen Wissen schaftlern, die noch immer erschöpft im Gras lagen, eine Warnung zu. Kirthon und Tuffar richteten sich auf. Als sie die Frem den erblickten, die sich ihnen näherten, sprangen sie auf die Füße und eilten zu uns. »Es sind Kranke!« rief Kirthon. »Wir müssen fliehen, Erhabener!« »Lassen wir sie noch etwas näher kom men«, meinte Fartuloon. »Wie meinst du das, es sind Kranke, Kirthon?« Aber weder Kirthon noch Tuffar antwor teten. Sie zitterten schon wieder vor Furcht und starrten den Fremden wie hypnotisiert entgegen. Inzwischen waren diese Fremden nahe
H. G. Ewers genug, daß wir Einzelheiten erkennen konn ten. Ich sah, daß sie bronzefarbene Haut und goldfarbene Haare besaßen und erinnerte mich, daß Ra von Ischtar gesagt hatte, sie hätte bronzefarbene Haut und goldfarbenes Haar gehabt. »Vielleicht sind sie mit den Varganen ver wandt«, sagte Fartuloon, der demnach den gleichen Gedanken wie ich gehabt hatte. »Sie sehen schlimm aus«, erwiderte ich. Das war allerdings noch weit untertrieben. Die Bronzehäutigen sahen grauenhaft aus. Ihre Körper waren, soweit ich sehen konnte, von geschwürigen Beulen bedeckt. Teilwei se hing ihnen die Haut in Fetzen vom Kör per. »Sie haben zweifellos eine ansteckende Krankheit«, sagte Fartuloon. »Verschwinden wir!« erklärte ich. Wir zogen uns in die einzige Richtung zu rück, die uns noch freigeblieben war. Damit entfernten wir uns zwar vom Pavillon, doch das war nicht zu ändern. Zuerst gingen wir nur langsam, als aber die Kranken mit schauerlichem Geheul zur Verfolgung ansetzten, rannten wir, so schnell wir konnten. Nach etwa fünfhundert Metern gaben un sere Verfolger auf. Sie schienen keine großen Kraftreserven zu besitzen. Aber auch Kirthon und Tuffar waren völlig außer Atem geraten, so daß wir nur langsam weitergehen konnten. Bei einigen großen Steinblöcken, die in gut überschaubarem Grasland standen, leg ten wir eine Rast ein. »Wir müssen später versuchen, am ande ren Seeufer entlang den Pavillon zu errei chen«, sagte Fartuloon. »Leider wird es hier nachts wohl nicht dunkel, so daß man uns sehen kann. Aber wir müssen eben vorsichtig sein.« Er wandte sich an Kirthon. »Was ist das für eine Krankheit, an der die Bronzehäutigen leiden?« erkundigte er sich. »Es ist die Draudegar-Pest«, antwortete Kirthon. »Eine tödlich verlaufende Krank
Der Ring des Schreckens heit. Da sie sehr ansteckend ist, wurden die Erkrankten auf diesem Planeten unter Qua rantäne gestellt. Mehr wissen wir auch nicht.« Fartuloon und ich blickten uns vielsagend an. Wenn dieser Planet eine Quarantänewelt war, deren Bewohner an einer tödlichen Krankheit litten, mußten wir versuchen, sie so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Wenn wir erst angesteckt würden, konnten wir nicht nur die weitere Suche nach dem Stein der Weisen aufgeben, sondern alle un sere hochfliegenden Pläne begraben. Dann würde man uns nämlich auch bald begraben, falls sich jemand dazu bereitfand. Ich verstand jetzt, warum die beiden Wis senschaftler sich davor gefürchtet und sich geweigert hatten, durch das Tor auf diese Welt zu gehen. Im Nebelgefängnis waren sie zweifellos sicherer gewesen als auf einer Seuchenwelt. Ihr Sträuben hatte ihnen nichts genützt. Hypnosuggestive Zwangsimpulse hatten sie durch das Tor getrieben. Wir dagegen waren freiwillig gegangen. Ich fragte mich, ob die unbekannte Kraft uns ebenfalls gezwungen hätte, die Seuchenwelt zu betreten, wenn wir nicht aus eigenem An trieb durch das Tor gegangen wären. Wahrscheinlich hätte man uns gezwun gen. Ich hätte gern gewußt, wer »man« über haupt war, wer die Vorgänge im Dreißig Planeten-Wall steuerte, wer hier die Regie führte. Vielleicht würden wir es erfahren, viel leicht auch nicht. Jedenfalls wurde mir kla rer als je zuvor, daß der Weg zum Stein der Weisen mit so vielen Gefahren und Hinder nissen gespickt war, daß auf diesem Wege eine unbarmherzige Auslese stattfand.
* Wir ruhten etwa zwei Stunden, ohne daß wir abermals Kranke gesehen hätten. Während dieser Zeit aßen wir von den Konzentraten, die sich in unseren Gürtelta
31 schen befanden und die wir im Nebelgefäng nis nicht hatten anbrechen müssen. Wir ga ben auch den beiden Wissenschaftlern etwas ab, denn sie besaßen keine Vorräte mehr. Ich mußte immer wieder an den blauhäu tigen Zwerg zurückdenken, der in dem Ne belgefängnis aus einem Ei geschlüpft war und sich ganz wie ein Erwachsener benom men hatte, obwohl das Auftauchen seiner Mutter – oder seines Vaters – bewiesen hat te, daß er tatsächlich nur ein Baby war. Ich fragte mich, ob seine Eltern ebenfalls auf der Suche nach dem Stein der Weisen in das Nebelgefängnis verbannt worden waren oder ob sich in dieser seltsamen düsteren Welt eigene Lebensformen entwickelt hat ten. Aber wie es sich auch verhielt, die Blauen Giganten mußten extrem friedfertig sein. Die riesige Hand, auf der das Baby schließ lich entschwand, hätte Fartuloon, Ra und mich mühelos zerquetschen können. An ih rer Größe gemessen mußte das Wesen, zu dem sie gehörte, mindestens achtzig Meter groß gewesen sein. Vielleicht noch größer, denn wir hatten seine Füße nicht zu Gesicht bekommen. Folglich mußten sie so weit voneinander entfernt gestanden haben, daß der Nebel sie vor unseren Blicken verborgen hatte. Ich bedauerte, daß wir keinen Kontakt mit dem Blauen Riesen hatten aufnehmen kön nen. Vielleicht hätten wir von ihm wertvolle Informationen erhalten. Ich schrak aus meinen Gedanken auf, als mich Ra mit dem Ellenbogen anstieß. Der Barbar deutete in das Grasland hin aus. Ich sah, daß sich aus der Richtung, aus der wir gekommen waren, etwas näherte. Doch es war noch zu weit entfernt, als daß wir Genaueres hätten erkennen können. Ich sah nur, daß es sich nicht um einen Varga nen handeln konnte. Als ich mich nach Fartuloon umwandte, sah ich, daß mein Pflegevater mit offenem Mund schlief. Die beiden arkonidischen Wissenschaftler schliefen zwar nicht, aber
32 sie starrten nur teilnahmslos in die Gegend. Ich riß einen Grashalm ab und kitzelte Fartuloon damit in der Nase. Der dicke Bauchaufschneider erwachte mit einem laut starken Niesen, was Ra grinsen ließ. »Was ist los, du Bengel?« fragte Fartu loon und rieb sich die Nase heftig mit dem Handrücken. »Was sollen diese Streiche? Wirst du nie erwachsen?« »Schau dir das an!« erwiderte ich und zeigte auf das Etwas, auf das Ra mich auf merksam gemacht hatte. Mein Pflegevater blinzelte und folgte meinem ausgestreckten Arm mit den Augen. »Es scheint etwas Metallisches zu sein«, meinte er nach einer Weile. »Vielleicht ein Verrückter, der einen Brustharnisch trägt«, sagte ich, auf Fartulo ons zerbeulten Brustpanzer anspielend. Mein Pflegevater reagierte nicht auf die Anspielung, sondern spähte weiterhin ange strengt hinüber zu dem Ding. Noch immer war nicht zu erkennen, worum es sich han delte. Aber es bewegte sich weiter in unsere Richtung. »Wahrscheinlich folgt es unserer Spur«, erklärte Fartuloon. »Ich schlage vor, wir zie hen uns weiter zurück.« Es gefiel mir zwar nicht, immer wieder auszuweichen, aber ich sah ein, daß wir auf einer Seuchenwelt niemanden zu nahe an uns herankommen lassen durften, wenn wir uns nicht gezwungen sehen sollten, gegen unseren Willen auf bedauernswerte Kranke zu schießen. Nachdem Ra die beiden Wissenschaftler mit ein paar Rippenstößen aufgemuntert hat te, erkundigten wir uns bei ihnen, was dieses Etwas sein könnte, das das grelle Zentrumsleuchten wie Metall reflektierte. Aber sie behaupteten, keine Ahnung zu haben. Inzwischen hatte sich das Ding weiter ge nähert. Ich erkannte zum erstenmal Einzel heiten, obwohl die Reflexion die optische Wahrnehmung behinderte. »Das ist ein Fahrzeug«, erklärte ich. »Ich sehe ein Paar Gleisketten, einen Fahr
H. G. Ewers zeugrumpf und – nein, das kann nicht sein!« Fartuloon lächelte dünn. »Was kann nicht sein, Atlan? Daß dein Fahrzeug tentakelartige Greifarme und einen Kopf besitzt, der von einem langen Tenta kelhals getragen wird?« Ich schluckte. »Dann meinst du auch, es handelt sich um einen Roboter?« fragte ich. »Allerdings«, erwiderte mein Pflegevater. »Es handelt sich um einen Roboter, und die ser Roboter folgt unserer Spur. Wahrschein lich verwendet er ein Infrarot-Suchgerät da für. Warum er unserer Spur folgt, das darfst du mich allerdings nicht fragen.« »Vielleicht handelt es sich um eine Art Medoroboter, der die Kranken betreut«, meinte ich. Ich blickte dabei die beiden Wissenschaft ler fragend an. »Nein«, sagte Kirthon. »Wir waren schon hier, aber wir haben damals von einem Me doroboter weder etwas gesehen noch gehört. Soviel wir wissen, bleiben die Kranken auf diesem Planeten sich selbst überlassen.« »Machen wir uns aus dem Staub!« forder te Fartuloon uns auf. Wir marschierten in normalem Tempo durch die Grasebene, bis wir an einen klei nen Fluß kamen. Fartuloon, der uns führte, ging in das seichte Wasser hinein und mar schierte darin zirka zweihundert Meter fluß aufwärts. Wir folgten ihm. Mein Pflegevater kehrte auf die gleiche Seite des Flusses zurück und schlug im Grasland einen Bogen, der uns bis auf rund hundert Meter an die Steingruppe führte, bei der wir gerastet hatten. Hier befand sich ein Schlammloch. Fartuloon blieb stehen und sagte: »Der Roboter hat die Steingruppe fast er reicht. Verhaltet euch still und legt euch hin, damit er uns nicht sehen kann. Atlan und Ra, kommt zu mir! Wir wollen beobachten, wie der Roboter vorgeht, wenn er unseren La gerplatz findet!« Wir legten uns so ins Gras, daß wir das
Der Ring des Schreckens Gelände gerade noch überschauen, selber aber nur schwer ausgemacht werden konn ten. Der Roboter schien keine Fernortungs geräte zu besitzen, sonst hätte er uns längst angemessen und würde nicht mehr stur der Infrarotspur folgen. Er bewegte sich mit der geringen Ge schwindigkeit eines Spaziergängers. Als er den Steinhaufen erreichte, blieb er stehen und tastete die Steinblöcke mit seinen metal lischen Tentakelarmen ab. Anschließend fuhr er um den Steinhaufen herum. »Er sucht etwas«, flüsterte ich. »Ja, uns«, gab Fartuloon zurück. »Vielleicht ist er so programmiert, daß er für uns eine Hilfe darstellen würde, doch darauf möchte ich lieber nicht spekulieren.« »Eigentlich kann er uns doch nichts anha ben«, entgegnete ich. »Er ist zu langsam für uns, und er dürfte auch nicht immun gegen unsere Strahlwaffen sein.« »Er ist langsam, aber ausdauernd«, meinte Fartuloon. Der Roboter hatte die Untersuchung unse res Rastplatzes abgeschlossen und rollte weiter auf unserer Spur, die wir hinterlassen hatten. Uns nahm er nicht wahr. Fartuloon lächelte und meinte: »Ich schlage vor, wir folgen ihm in ange messener Entfernung. Ich möchte erleben, wie er reagiert, wenn ihn unsere Spur aber mals zum Rastplatz führt.«
* Wir hatten dem seltsamen Roboter rund zweihundert Meter Vorsprung gelassen, dann waren wir ihm vorsichtig gefolgt. Es war ein eigenartiges Gefühl, einer Ma schine nachzuschleichen, die mit sturer Be harrlichkeit unserer Spur folgte und sich da bei oft benahm wie ein blinder Käfer. Der Roboter rollte zum Fluß, wie wir es nicht anders erwartet hatten. Am Ufer hielt er an und tastete wieder mit seinen Tentakel armen den Boden ab. »Eigentlich müßte das fließende Wasser die schwachen Infrarotspuren, die wir auf
33 dem Grund hinterlassen haben, längst ausge löscht haben«, sagte Fartuloon. Seine Stimme klang aber nicht sehr über zeugt, und kurz darauf bewies uns der Robo ter, daß Fartuloons Hoffnung sich nicht er füllte. Die Maschine rollte auf genau dem Wege durch das seichte Wasser, den auch wir genommen hatten. Folglich mußten sei ne Spürgeräte auch noch auf minimale Infra rotspuren ansprechen, falls sie sich nicht an anderen Faktoren orientierten. »Wir folgen ihm auf dem gleichen We ge«, erklärte Fartuloon. »Dann muß er, wenn er länger auf unserer Spur bleibt, un ablässig im Kreis rollen.« »Und wir müßten unablässig im Kreis ge hen«, erwiderte ich. »Warten wir es ab«, meinte mein Pflege vater. Wir gingen hinter dem Roboter her, ob wohl die beiden Beauftragten Orbanaschols murrten. Als wir uns erneut unserem Rast platz näherten, sahen wir, daß auch verschie dene Varganen unserer Spur gefolgt waren. Wir entdeckten die Kranken allerdings erst, als der Roboter sich unmittelbar vor der Steingruppe befand. Plötzlich sprangen rund zwanzig Varga nen hinter den Steinen hervor und griffen den Roboter mit ihren primitiven Waffen an. Natürlich prallten die geschleuderten Steine und Speere wirkungslos an der stählernen Hülle des Roboters ab. Die Maschine reagierte völlig anders, als wir es erwartet hatten. Plötzlich schossen ei ne Unmenge dünner Flüssigkeitsstrahlen aus dem »Kopf« des Roboters, senkten sich über die Angreifer und verfestigten sich zu zähen klebrigen Fäden, die ihre Beute umschlan gen und festhielten. Ich zog meine Strahlwaffe und sprang auf, wollte auf den »Kopf« des Roboters feuern. Doch bevor ich dazu kam, hüllte sich die Maschine in einen rötlich strahlenden Ener gieschirm, unter dem auch ihre Beute ver schwand. Ohnmächtig mußten wir dastehen und abwarten, was weiter geschah.
34 Aber für eine halbe Stunde geschah über haupt nichts. Der rötliche Energieschirm entzog sowohl den Roboter als auch die ge fangenen Varganen unseren Blicken. Was sich darunter abspielte, konnten wir nicht einmal ahnen. Dann erlosch der Energieschirm so plötz lich, wie er aufgebaut worden war. Von den Varganen war nichts mehr zu sehen. Der Roboter rollte zu dem Steinhaufen, tastete ihn abermals mit seinen Metalltentakeln ab und wandte sich dann wieder in Richtung Fluß. Langsam gingen Fartuloon, Ra und ich auf den Schauplatz des Geschehens zu. Wir waren nur noch rund fünfzig Meter davon entfernt, als wir die Varganen sahen. Sie lagen lang ausgestreckt und reglos im Gras. Auf den ersten Blick sah es aus, als schliefen sie. Doch dann entdeckten wir, daß ihre Schädel geöffnet und geleert worden waren. »Er hat ihnen ihre Gehirne genommen«, sagte mein Pflegevater erschüttert. Auch ich war zutiefst erschüttert. Die Kranken waren zwar durch die Seu che ohnehin zu einem grauenhaften Tod ver urteilt gewesen. Das konnte jedoch nicht die Handlungsweise des Roboters entschuldi gen. »Aber warum nur?« fragte ich leise. »Was will eine Maschine mit den Gehirnen von Lebewesen? Und wie kommt sie dazu, intel ligentes Leben einfach zu vernichten?« Fartuloon machte eine Geste der Ratlosig keit. »Vielleicht hat der Roboter die Angreifer nicht als intelligent im Sinne seiner Pro grammierung eingestuft«, meinte er. »Intelligenz ist ja ein sehr dehn- und wan delbarer Begriff. Intelligentes Verhalten gab es bereits, bevor die Evolution die primitiv sten Gehirne hervorgebracht hatte. In diesem Sinne betrachtet, ist alles im Universum in telligent, auch die ›tote‹ Materie. Wer unter Intelligenz eine ganz bestimmte Entwick lungsstufe versteht, muß einen willkürlich gewählten Gradmesser als Maßstab anlegen.
H. G. Ewers Auf seiner Skala könnten die Varganen und auch wir durchaus als nicht intelligent gel ten.« Das leuchtete mir natürlich ein. Dennoch war es meiner Meinung nach ein schwerer Mißgriff, wenn jemand oder etwas Lebewe sen, die zu bewußtem Denken und zu be wußtem Erforschen der weiteren Umwelt fä hig waren, als nicht intelligent einstufte. »Ob der Roboter uns ebenfalls die Gehir ne genommen hätte, wenn wir ihn an uns hätten herankommen lassen?« fragte ich. »Wahrscheinlich ja«, antwortete mein Pflegevater. »Wir achten also lieber weiter hin auf Distanz. Allerdings denke ich, daß wir jetzt unsere alte Spur verlassen können. Wenn wir den See weit ausholend auf der gegenüberliegenden Seite umgehen, werden wir sicher auch einer neuen Begegnung mit Kranken ausweichen können.« »Hoffentlich«, erwiderte ich.
6. Wir waren fünf Stunden marschiert und hatten uns dabei schätzungsweise dreißig Kilometer von dem Steinhaufen entfernt, an dem die zwanzig Varganen von einem grau enhaften Schicksal ereilt worden waren. Auf den meisten anderen Planeten mit nur einem Zentralgestirn wäre es inzwischen Nacht geworden. Nicht so auf dieser Welt. Zwar war das Zentrumsleuchten vor einer Stunde »untergegangen«; dafür leuchtete uns jetzt die große gelbe Sonne des Dreißig Planeten-Walls. Inzwischen machten sich die Strapazen doch bemerkbar. Vor allem die beiden Be auftragten Orbanaschols benötigten drin gend eine längere Ruhepause. Da wir sie nicht allein lassen wollten, entschlossen wir uns, eine gemeinsame Rast von mindestens vier Stunden einzulegen. Fartuloon, Ra und ich verständigten uns darüber, daß wir abwechselnd wachen woll ten. Die beiden Wissenschaftler hielten wir für unzuverlässig und teilten sie deshalb nicht zum Wachen ein. Sie protestierten
Der Ring des Schreckens nicht dagegen, sondern waren innerhalb kur zer Zeit fest eingeschlafen. Fartuloon wollte die erste Wache über nehmen. Danach kam Ra an die Reihe und dann ich. Ra schlief ebenfalls bald fest. Ich dagegen lag noch lange wach und dachte über unsere Zukunft nach, die völlig im dunkeln lag. Ich konnte weder vorausse hen, ob wir diesen Planeten lebend und ge sund wieder verließen noch, ob wir jemals den Stein der Weisen finden würden. Orbanaschol III. würde ganz sicher etwas unternehmen, wenn seine Beauftragten nicht aus dem Dreißig-Planeten-Wall zurückkehr ten. Vielleicht schickte er einen Flottenver band aus. Einem Arkoniden mit seiner Men talität war es durchaus zuzutrauen, daß er sich mit brutaler Gewalt zu nehmen versuch te, was seine Beauftragten durch andere Mit tel nicht bekamen. Gewiß würde Orbanaschol damit keinen Erfolg haben, aber er konnte unter Umstän den für immer die Spur zerstören, die zum Stein der Weisen führte. Zusätzlich zu unseren derzeitigen Schwie rigkeiten kam also noch der Zeitdruck. Wir mußten die nächste Spur zum Stein der Wei sen gefunden haben, bevor Orbanaschol un geduldig wurde. Die Frage war nur, wie wir sie finden sollten. Dovreen mußte das Geheimnis ken nen, aber er würde es bestimmt nur unter feststehenden Voraussetzungen lüften. Bei diesen Überlegungen schlief ich schließlich doch ein. Ich erwachte, als mich jemand an der Schulter rüttelte. Als ich aufsah, begegnete ich dem Blick Ras. Der Barbar nickte mir freundlich zu. »Hat sich etwas während deiner Wache ereignet?« erkundigte ich mich – in der Hoffnung, daß Ra sich endlich zu einem Ge spräch bewegen ließ. Doch wieder beschränkte der Wilde vom dritten Planeten einer gelbweißen Sonne sich auf Gesten, um mir mitzuteilen, daß es keine besonderen Vorkommnisse gegeben
35 hätte. Ich erhob mich und sah Fartuloon, der wenige Schritte neben mir lag und schlief. Seine Rechte hielt den Knauf des Skargs umklammert. Die beiden arkonidischen Wissenschaftler schliefen ebenfalls noch. Ich reckte mich, gähnte und sah mich um. Die Sonne hatte inzwischen fast den Zenit erreicht. Ihre Strahlen brannten heiß herab. Es war völlig windstill, und der Boden über der Gras- und Parklandschaft flimmerte in folge der aufsteigenden erhitzten Luft. In der Nähe lagerten drei große Grasfres ser unter einem Baum, dessen schirmartige Krone den Tieren Schatten spendete. Auch unser Lager befand sich unter einem solchen Baum, sonst hätten wir es in der Hitze kaum aushalten können, obwohl auch auf den Ar konwelten ein heißes Klima herrschte. Dort konnte man sich aber jederzeit in einen voll klimatisierten kühlen Raum zurückziehen. Dieser Gedankengang regte mich zu Überlegungen an, wie es wohl derzeit auf den drei Hauptwelten der Sonne Arkon aus sehen mochte. Alle drei Planeten umliefen die große weiße Sonne auf der gleichen Bahn, deren mittlere Sonnenentfernung 620 Millionen Kilometer betrug. Aber jede Hauptwelt hatte eine andere Funktion und war entsprechend gestaltet. Nummer eins, der Wohnplanet, auch Kri stallwelt genannt, war an der Oberfläche als großzügig angelegte Parklandschaft gestal tet, in der die trichterförmigen Wohnbauten locker verstreut lagen, so daß es zu keinen Ballungen kam. Auf der Kristallwelt befand sich auch das Regierungszentrum, »Hügel der Weisen« genannt. Dort regierte seit rund fünfzehn Ar konjahren der Mörder und Diktator Orbana schol III. und mit ihm regierten Brutalität und Furcht. Orbanaschol III. war nur darauf bedacht, seine persönliche Machtposition zu erhalten und weiter auszubauen. Jeder, der ihm dabei im Wege war, wurde erbarmungslos ver nichtet. Unter diesen Umständen konnte das Imperium natürlich keine entscheidenden
36 Erfolge gegen die Maahks erringen. Die Folge davon war, daß der sogenannte Große Methankrieg unvermindert weitertob te, ohne daß ein Ende abzusehen war. Wäre ich Imperator gewesen, ich hätte die Imperi umsflotte so eingesetzt, daß sie den Wasser stoffatmern lokal begrenzte schwere Nieder lagen zufügte. Vielleicht wären die Maahks dann bereit gewesen, Friedensverhandlun gen zu führen. Doch so lange sie sich noch Chancen für einen Sieg ausrechneten, wür den sie jeden Kompromiß weit von sich wei sen. Die Folge davon waren ständige schmerzliche Aderlässe auf beiden Seiten. Ich fragte mich, wie es auf der Arkonwelt Nummer zwei aussehen mochte, dem Han dels- und Industrieplaneten. Wahrscheinlich war er zur reinen Nachschubbasis für die Flotte und die Arkonwelten geworden. Ich hatte erfahren, daß Orbanaschol III. anstatt die Kolonialvölker des Sternenreichs für ei ne fruchtbare Zusammenarbeit zu gewinnen, Rohstofflieferungen wie Tribute aus ihnen herauspreßte. Welt Nummer drei, der Kriegsplanet, würde wahrscheinlich von hektischer Akti vität erfüllt sein. Die vollpositronisch ge steuerten Fertigungsanlagen stießen wahr scheinlich so viele Kampfschiffe, Roboter und Zubehörteile wie nie zuvor in der Ge schichte des Großen Imperiums aus. Nur wurde dieser Zuwachs an Machtinstrumen ten in erster Linie für die Ausbeutung und Unterdrückung der Kolonialvölker und der Aufrechterhaltung von Orbanaschols Ge waltherrschaft verwendet und nicht für eine aktive Friedenspolitik, die nach einem ent scheidenden Schlag gegen die Flotten der Maahks hätte beginnen können. Es wurde höchste Zeit, daß Orbanaschols unheilvollem Wirken ein Ende gemacht würde. Während meiner Überlegungen hatte ich unser Lager zweimal umschritten und dabei die Umgebung sorgfältig beobachtet. Als ich mich zur dritten Umkreisung anschickte, er regte ein metallisches Glitzern und Funkeln meine Aufmerksamkeit.
H. G. Ewers Natürlich dachte ich sofort an den Robo ter – und er war es tatsächlich. Die Maschine näherte sich uns aus der Richtung, aus der wir gekommen waren. Sie hatte demnach unsere Spur mit sturer Hart näckigkeit weiterverfolgt. Mit tödlicher Hartnäckigkeit! meldete sich mein Extrasinn. Der Roboter wird auf eurer Spur bleiben, solange ihr euch auf die sem Planeten befindet – und irgendwann werden eure Kräfte erlahmen. Dann holt er euch ein. Ich weckte meine Gefährten und teilte ih nen mit, daß der Roboter uns in der nächsten Viertelstunde erreichen würde, wenn wir nicht weitermarschierten. Fartuloon zog ein finsteres Gesicht und meinte: »Wir werden jedesmal einen Gewaltmar sch machen müssen, nur um für ein paar Stunden Ruhe zu haben. Das geht nicht un begrenzt so weiter. Atlan, wir müssen versu chen, ob wir diese Mordmaschine unschäd lich machen können.« Ich stimmte meinem Pflegevater zu. Ein Versuch konnte nichts schaden, wenn wir nur darauf achteten, daß zwischen uns und dem Roboter ein sicherer Abstand blieb.
* Wir einigten uns darauf, einen Sicher heitsabstand von fünfzig Metern einzuhal ten. Da die beiden Beauftragten Orbana schols uns nicht helfen konnten, sondern eher behindert hätten, schickten wir sie zu sammen mit Ra fort. Sie sollten langsam in Richtung des langgestreckten Sees gehen, der von unserem Lagerplatz zirka fünfzehn Kilometer entfernt war. Als die drei Männer gegangen waren, überprüften Fartuloon und ich unsere Strahl waffen. Die Energiemagazine waren noch fast voll, und jeder von uns besaß fünf Re servemagazine. Inzwischen hatte sich der Roboter bis auf rund zweihundert Meter genähert. Die Gras fresser, die unter dem benachbarten Baum
Der Ring des Schreckens ruhten, äugten zu ihm hinüber, zeigten sich aber nicht beunruhigt – noch nicht. Fartuloon ging von unserem Platz zwan zig Schritt nach rechts; ich ging zwanzig Schritt nach links. Wir hielten die Impuls strahler schußbereit und warteten. Sobald der Roboter sich dem Lagerplatz auf sechzig Meter genähert hatte, wollten wir schießen. Während die Maschine sich unerbittlich näherte, versuchte ich mir vorzustellen, wel che Lebewesen sie programmiert hatten und warum sie intelligenten Lebewesen die Ge hirne raubte. Schließlich mußte jede zielge richtete Handlungsweise ein Motiv haben. Ich hatte noch keine Lösung gefunden, als der Roboter auf sechzig Meter herangekom men war. Mein Pflegevater und ich verstän digten uns durch Handzeichen, dann visier ten wir das Ungetüm durch die Reflexvisiere unserer Strahlwaffen an und eröffneten ein mörderisches Dauerfeuer. Aber noch bevor die lichtschnellen Strahlbahnen in den Roboter einschlagen konnten, hüllte sich die Maschine wieder in den schon bekannten rötlichen Energieschirm. Es ließ sich nicht erkennen, ob die Impuls strahlen den Energieschirm durchdrangen oder von ihm aufgesogen wurden. Wir konnten auch den Roboter nicht mehr sehen. Doch der Energieschirm rückte mit der nor malen Marschgeschwindigkeit des Roboters näher. Fartuloon und ich zogen uns im Lauf schritt etwa dreißig Meter zurück, dann wandten wir uns abermals um und feuerten auf das Gebilde. Wiederum ließ sich keine Wirkung erkennen. Da aber der Energieschirm weiter vorrückte, mußte der Roboter unter ihm unversehrt geblieben sein. »So hat das keinen Sinn«, erklärte mein Pflegevater. »Unsere Waffen können dem Ding nicht schaden.« Er stellte das Feuer ein, und ich folgte sei nem Beispiel. In diesem Augenblick erreichte der von seinem Energieschirm wirkungsvoll ge schützte Roboter unseren Lagerplatz. Er ver harrte eine Weile dort, dann setzte er sich in
37 die Richtung in Bewegung, in die Ra mit den beiden Wissenschaftlern gegangen war. »Er wählt die stärkste Spur!« rief ich Far tuloon zu. »Ich möchte wissen, was er getan hätte, wenn jeder von uns in eine andere Richtung gegangen wäre.« »Du bringst mich auf eine Idee, mein Jun ge!« rief mein Pflegevater zurück. »Vielleicht kann der Roboter überhaupt kei ner unserer Spuren folgen, wenn jeder von uns in eine andere Richtung geht. Los, wir holen die anderen ein und sagen ihnen Be scheid!« Wir setzten uns im Laufschritt in Bewe gung. Nach ungefähr zehn Minuten erblickten wir Ra mit den beiden Wissenschaftlern vor uns. Auf Fartuloons Zuruf hin blieben sie stehen und warteten auf uns. Mein Pflegevater erklärte ihnen unseren Plan. Ra zeigte seine Zustimmung durch Ge sten. Die beiden Beauftragten Orbanaschols dagegen waren nicht davon begeistert. Kir thon wandte dagegen ein, daß Tuffar zu schwach sei, um auf sich allein gestellt zu bleiben. »Es ist nur vorübergehend«, erwiderte ich. »Außerdem werden wir uns nur so weit voneinander entfernen, daß jeder dem ande ren zu Hilfe kommen kann, wenn es erfor derlich werden sollte. Wir müssen schließ lich auch weiterhin mit den Varganen rech nen.« Widerstrebend gab Kirthon sich damit zu frieden. Wir hatten auch nicht länger Zeit, zu diskutieren, denn schon war der Roboter wieder in bedrohliche Nähe gerückt. Er hatte seinen Schutzschirm wieder aus geschaltet, deshalb konnten wir deutlich er kennen, daß unser Beschuß ihm nicht ge schadet hatte. Wir liefen nach verschiedenen Richtun gen auseinander, entfernten uns aber nicht allzuweit voneinander. Nach rund fünfhun dert Metern blieben wir stehen und blickten zurück. Der Roboter hatte die Stelle erreicht, an
38 der wir auseinandergegangen waren. Seine Tentakel tasteten auf dem Boden herum, und der Kopf drehte sich mit dem Tentakelhals ruckweise in die Richtungen, in die wir ge gangen waren. Was mochte wohl im zentralen Steue rungs- und Auswertungsteil des Roboters, dem energetisch-mechanischen Gehirn, vor gehen? War es wohl in der Lage, eine von fünf gleichwertigen Möglichkeiten willkür lich auszuwählen? Als der Roboter wieder anfuhr und in die Richtung rollte, in die mein Pflegevater ge gangen war, wurde mir klar, daß wir einem Irrtum verfallen waren. Wir hatten unsere Spuren für gleichwertig gehalten, obwohl sie es nicht sein konnten. Da wir uns durch unser Körpergewicht von einander unterschieden, mußte der Schwere re von uns die stärkere Spur hinterlassen. Folglich war für den Roboter eine Entschei dungsmöglichkeit nach logischen Gesichts punkten gegeben. Er hatte Fartuloons Spur gewählt, weil mein Pflegevater von uns allen das größte Körpergewicht besaß, das durch den stähler nen Brustpanzer noch erhöht wurde. Da zur Fortbewegung eines höheren Gewichts mehr Energie benötigt wird, äußert sich die höhe re Quantität an körperlicher Verbrennungs wärme naturgemäß auch in der Hinterlas sung einer stärkeren Infrarotspur im Gelän de. »Hier herüber!« rief ich meinem Pflege vater zu und deutete auf eine Stelle im Ge lände, die wir beide erreichen konnten, ohne dem Roboter gefährlich nahe zu kommen. »Pech für mich«, sagte Fartuloon, als wir uns trafen. »Du ißt eben zuviel«, versuchte ich zu scherzen, obwohl mir nicht danach zumute war. »Ich bin nur schwerer als ihr, weil ich das bei weitem größte Gehirn von uns habe«, meinte Fartuloon. »Weißt du was? Ich wer de den Roboter in die Irre führen, und ihr begebt euch inzwischen zu dem Pavillon am See. Sprecht mit Dovreen, falls es hier auch
H. G. Ewers einen Dovreen geben sollte. Vielleicht hilft er uns gegen den Roboter.« »Und inzwischen hetzt er dich bis zur to talen Erschöpfung und tötet dich«, entgegne te ich. »Nein, wir müssen uns eine bessere Lösung einfallen lassen.« Wir blickten zu der Maschine, die unter dessen die Stelle erreicht hatte, an der Fartu loon auf ihre Reaktion gewartet hatte. Lang sam wendete sie auf ihren Gleisketten und schlug die neue Richtung ein. »Wenn wir nun unsere Spuren löschen?« fragte ich. »Ein breit gefächerter Strahl aus einer Impulswaffe dürfte die Infrarotspuren so überlagern, daß der Roboter sie nicht mehr aufspüren kann.« »Er würde sich auch dadurch nicht von seinem Ziel abbringen lassen«, erwiderte mein Pflegevater. »Wir können unsere Spu ren schließlich nur so lange immer wieder löschen, wie die Energie unserer Waffenma gazine reicht. Danach läßt sie sich wieder anmessen.« Ich stieß eine Verwünschung aus und sag te: »Hast du gesehen, daß er sich überhaupt nicht um die Pflanzenfresser gekümmert hat?« »Das habe ich«, antwortete Fartuloon. »Offenbar legt er keinen Wert auf die Gehir ne von Tieren, sondern nur auf die von hö her entwickelten Lebewesen.« »Ich weiß, was wir tun!« sagte ich. »Wir gehen zum See und schwimmen hindurch. Dabei hinterlassen wir keine Infrarotspuren auf dem Grund wie beim Fluß, und die In frarotspuren, die wir im Wasser hinterlassen, werden von der Strömung davongetragen, die vom Zufluß in Richtung Abfluß geht.« »Das ist einen Versuch wert«, meinte mein Pflegevater. Wir liefen zu unseren Gefährten, die gese hen hatten, was geschehen war, und teilten ihnen unsere Absicht mit. »Ich kann nicht schwimmen«, erklärte Tuffar kläglich. »Auch das noch!« empörte sich Fartu loon. »Orbanaschol schickt Leute auf eine
Der Ring des Schreckens gefährliche Expedition, die nicht einmal schwimmen können!« Er blickte Kirthon an. »Und du? Kannst du schwimmen?« »Einigermaßen«, antwortete Kirthon. »Ich kann Tuffar mitnehmen«, erbot sich Ra. Plötzlich bewies er wieder, daß er doch sprechen konnte. »Also gut!« entschied Fartuloon. »Vorwärts!« Es wurde höchste Zeit, denn der Roboter hatte sich unserem Standort inzwischen auf zirka achtzig Meter genähert. Mit Fartuloon an der Spitze setzten wir uns wieder in Be wegung.
* Die ersten paar Kilometer kamen wir gut voran, dann mußten wir das Tempo dros seln, weil Tuffar zurückblieb. »Reiß dich zusammen!« sagte Fartuloon zu ihm. »Wir können keine Pause einlegen. Was wir brauchen, ist ein möglichst großer Vorsprung vor dem Mordroboter.« Ra ging zu Tuffar, legte sich einen Arm des Wissenschaftlers über die Schulter und faßte ihn um die Hüfte. Dadurch konnten wir ein halbwegs gutes Tempo halten, bis wir den See erreichten. Fartuloon wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn und blickte über die spiegelglatte Fläche des Sees, die nur in der Mitte aufgerauht wirkte. Dort floß die Strömung, die der Fluß verur sachte, der in der Nähe des Pavillons in den See mündete und ihn auf der gegenüberlie genden Seite wieder verließ. »Ich freue mich direkt auf das erfrischen de Bad«, meinte er. »Mit deinem Brustpanzer wird es kein rei nes Vergnügen werden«, erwiderte ich. Mein Pflegevater lächelte, zog sein Vibra tormesser und ging ins seichte Uferwasser. Dort schnitt er ausreichend Schilfstengel für ein kleines Floß ab, das er mit Plastikband zusammenfügte. »Es geht nichts über ein gut funktionie
39 rendes Gehirn«, erklärte er. »Das Floß wird nicht nur meinen Brustpanzer tragen, son dern auch deinen Aggregat-Tornister, At lan.« Er legte seinen Brustpanzer ab und ver staute ihn auf dem Floß. Ich tat das gleiche mit meinem Aggregat-Tornister. Nachdem wir alles festgebunden hatten, wateten wir ins Wasser. Fartuloon schob das kleine Floß mühelos vor sich her. »Hoffentlich gibt es hier keine Raubfi sche«, sagte Kirthon, der zögernd am Ufer stand. »Du kannst wählen«, antwortete mein Pflegevater ihm. »Entweder du gehst das Ri siko ein, unterwegs von Raubfischen ange nagt zu werden – oder du wirst mit absoluter Sicherheit von dem Roboter umgebracht.« »Ich glaube nicht, daß es Raubfische gibt«, warf ich ein. »Wir haben weder auf Frokan noch auf diesem Planeten Landraub tiere gesehen, sondern nur Pflanzenfresser. Das biologische Gleichgewicht auf den Wel ten des Dreißig-Planeten-Walls kommt wahrscheinlich ohne Fleischfresser aus. Folglich dürfte es auch keine Raubfische ge ben.« Kirthon warf mir einen mißtrauischen Blick zu. Als er jedoch sah, daß ich, ohne zu zögern, ebenfalls ins tiefere Wasser stieg, überwand er seine Furcht und folgte mir. Den Abschluß bildete Ra. Der Barbar trug Tuffar, bis ihm das Wasser bis zur Brust reichte, dann legte er sich auf den Rücken, faßte den Wissenschaftler unter die Arme und schwamm mit kräftigen Stößen hinaus. Wir schwammen mit ruhigen gleichmäßi gen Stößen, und Kirthon hielt sich recht gut. Dennoch blieb ich in seiner Nähe, um einzu greifen, falls ihn die Kräfte verlassen sollten. Ich bewunderte Ra, der trotz seiner zusätzli chen Last, die ihn am Gebrauch der Arme hinderte, nicht zurückblieb. Als wir die Strömung erreichten, mußten wir kraftvoller schwimmen, damit wir nicht zu weit abgetrieben wurden. Mir bereitete das keine Schwierigkeiten, aber Kirthon ru derte plötzlich nur noch lahm mit Armen
40 und Beinen. »Ganz ruhig!« rief ich ihm zu. »Sie müs sen so schwimmen, als wären Sie dicht am anderen Ufer!« Aber Kirthon hörte mich offenbar gar nicht. Ich sah, daß er Wasser schluckte und als Folge davon endgültig in Panik geriet. Er warf die Arme hoch und tauchte prompt mit dem Kopf unter. Ich schwamm zu ihm und wollte ihm un ter die Arme greifen. Er klammerte sich je doch verzweifelt an mir fest, so daß ich ihn mit einem Dagorgriff betäuben mußte. Mir blieb weiter nichts übrig, als den be wußtlosen Wissenschaftler abzuschleppen. Wir waren etwa fünfzig Meter abgetrieben worden, und ich strengte mich an, um end lich wieder aus der Strömung zu kommen. Als ich es geschafft hatte, schwamm ich wieder ruhiger. Rund siebzig Meter unter halb meiner Gefährten erreichte ich das Ufer, warf mir Kirthon über die Schulter und trug ihn an Land. Dort ließ ich ihn behutsam zu Boden glei ten. Als ich mich wieder aufrichtete, flog ein großer Stein dicht an meinem Kopf vorbei und fiel klatschend ins Wasser. Ich warf mich zu Boden, zog den Impuls strahler und blickte mich suchend um. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Fartuloon, der mir zu Hilfe kam. Im Laufen streifte er sich seinen Brustpanzer wieder über. Kurz darauf entdeckte ich den Angreifer. Es war ein Vargane, und er kroch langsam durch das Gras auf mich zu. Ich stellte meine Strahlwaffe auf breite Streuung und minimale Energieabgabe, ziel te auf den Angreifer und schoß. Die abge strahlte Energie war zu schwach, um ihn zu töten oder ernsthaft zu verletzen, aber sie versetzte ihm einen Schock, der ihn vorüber gehend handlungsunfähig machte. Sekunden später mußte ich erkennen, daß er nicht allein gekommen war. Etwa fünf zehn Meter hinter ihm erhoben sich drei Varganen aus dem Gras und stürmten auf mich zu. Zwei trugen Keulen, einer hatte einen Speer, den er im Laufen nach mir
H. G. Ewers schleuderte. Ich wälzte mich zur Seite, und die Speerspitze bohrte sich einen halben Meter neben mir in den Boden. Dann feuerte ich. Zwei der Angreifer brachen mit seltsam verrenkten Gliedern zusammen. Der dritte Vargane schleuderte seine Keule nach mir, riß ein Messer aus dem Gürtel und stürzte sich auf mich. Ich wich aus, weil ich auf keinen Fall mit einem Seuchenkranken in Berührung kom men wollte. Die Keule streifte meinen Kopf. Dann brach auch dieser Angreifer zusam men. Fartuloon hatte ihn getroffen, aber ebenfalls nur mit schwacher Energie ge schossen. »Danke!« rief ich. »Keine Ursache«, gab mein Pflegevater zurück. »Bist du verletzt?« Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn in diesem Augenblick sah ich, daß Ra vor etwa zwanzig Varganen floh. Er hatte Tuffar wieder über seine Schulter gelegt, und in der freien Hand trug er meinen Ag gregat-Tornister. »Wir müssen ihm helfen, Fartuloon«, sag te ich. Wir eilten Ra entgegen, ließen ihn an uns vorbei und feuerten auf die Verfolger. Die Varganen ließen sich nicht abschrecken, wenn ihre Gefährten zu Boden gingen. Sie griffen so lange an, bis alle geschockt wa ren. Als wir uns umdrehten, sahen wir, daß Ra erneut in Bedrängnis geraten war. Rund zehn Varganen hatten einen weiten Halb kreis um ihn und die beiden Wissenschaftler gebildet und rückten mit geschwungenen Waffen vor. Ich erkannte sofort, daß die Entfernung zu groß für schwach eingestellte Impulsstrahler war. Wenn ich von hier aus Wirkung erzie len wollte, mußte ich eine tödliche Einstel lung wählen. Noch aber war ich nicht dazu bereit. »Auffangen!« rief ich dem Barbaren zu, schob den Impulsstrahler ins Gürtelhalfter, schnallte den Gürtel ab und warf ihn hin
Der Ring des Schreckens über. Ra fing ihn auf, schnallte sich den Gürtel um und zog die Strahlwaffe. Als er schoß, merkte ich, daß er die Einstellung verändert hatte. Der Impulsstrahler verschoß absolut tödliche Energie, und innerhalb weniger Se kunden waren die Angreifer tot. Ich war so entsetzt darüber, daß ich nicht schnell genug auf die folgenden Ereignisse reagierte. Plötzlich sprangen Tuffar und Kirthon auf die Füße. Kirthon hob die Keule des von Fartuloon geschockten Varganen und schlug sie auf Ras Hinterkopf. Der Barbar brach lautlos zusammen. Die Beauftragten Orbanaschols rissen meinen Aggregat-Tornister, den Waffengurt und den Impulsstrahler an sich und rannten davon. Fartuloon stieß eine Verwünschung aus und legte mit seiner Strahlwaffe auf sie an. Ich packte sein Handgelenk und sagte: »Die kriegen wir auch so, Dicker. Es hat schon genug Tote gegeben.« »Du mußt wissen, was du willst, Atlan«, erwiderte mein Pflegevater ärgerlich. »Hoffentlich weißt du auch, daß wir sie nicht blindlings verfolgen dürfen, wenn wir nicht in einen möglichen Hinterhalt der Var ganen laufen wollen.« »Ich weiß«, sagte ich. »Die Verräter kom men nicht weit. Kümmern wir uns erst ein mal um Ra.«
7. Der Barbar kam gerade wieder zu sich, als wir ihn erreichten. Fartuloon untersuchte seine Schädeldecke, dann meinte er: »Alles in Ordnung. Der Kerl hat einen sehr harten Schädel. Und die Kopfschmer zen, die er in den nächsten Stunden aushal ten muß, gönne ich ihm.« Er blickte ihn wütend an. »Warum hast du Atlans Waffe verstellt? Es war unnötig, die Varganen zu töten.« Ra verzog das Gesicht zu einer Grimasse und erklärte mittels Gesten, daß nur ein toter
41 Feind ein besiegter Feind sei. Ich sagte gar nichts, denn ich konnte die kompromißlose Haltung des Barbaren ver stehen. Auf seiner Heimatwelt endete ein Kampf eben nur mit dem Tod des Besiegten, falls ihm die Flucht nicht gelang. Wer einen besiegten Gegner am Leben ließ, riskierte, daß dieser ihn bei nächster Gelegenheit wie der angriff. »Verfolgen wir die Verräter oder gehen wir direkt zum Pavillon?« fragte Fartuloon. »Wir holen erst meine Ausrüstung zu rück«, entgegnete ich. »Wer weiß, was uns im Dreißig-Planeten-Wall noch bevorsteht. Aber erst möchte ich abwarten, bis der Ro boter auftaucht und sehen, was er unter nimmt.« »Einverstanden«, erwiderte mein Pflege vater. Wir verließen den Kampfplatz, denn die geschockten Varganen mußten bald wieder zu sich kommen, und marschierten eine Strecke am Ufer entlang. Dabei hielten wir scharf Ausschau nach weiteren Varganen, entdeckten jedoch keine mehr. Bei einer Baumgruppe hielten wir an. Fartuloon blickte skeptisch zu dem un übersichtlichen Blätterdach hinauf, dann feuerte er mit dem auf schwache Leistung eingestellten Impulsstrahler nach oben. Aber kein geschockter Vargane fiel herab. Ra bedeutete uns durch Gesten, daß er auf einen der Bäume klettern und von der erhöh ten Warte aus nach Varganen und den bei den Arkoniden Ausschau halten wollte. Far tuloon und ich hatten nichts dagegen einzu wenden. Kaum war der Barbar in dem Blätterdach des Wipfels verschwunden, rief er: »Varganen sind nicht in der Nähe, aber ich sehe die Arkoniden. Sie gehen auf eine Hügelgruppe zu.« »Danke«, erwiderte ich. »Wie gut er sprechen kann, wenn er will«, meinte mein Pflegevater ironisch. »Ich möchte bloß wissen, warum er sonst meist den großen Schweiger spielt.« »Er hat sicherlich Schweres durchge
42 macht«, sagte ich leise. »Eines Tages wird er seine Schweigsamkeit endgültig aufge ben, da bin ich sicher. Lassen wir ihm Zeit.« Ein Zuruf Ras richtete unsere Aufmerk samkeit auf das gegenüberliegende Ufer. Wir sahen, daß der Roboter angekommen war. Er stand unmittelbar vor dem Schilf gürtel und tastete den Boden mit seinen Ten takelarmen ab. Wenig später rollte er ins seichte Wasser, bis es über seinen Gleisket ten zusammenschlug. Abermals blieb er stehen. Seine Tentakel tauchten ins Wasser, als suchten sie dort nach etwas. Aber der Robo ter konnte Infrarotspuren bestenfalls so weit anmessen, wie wir zu Fuß gegangen waren. Nach einer Weile setzte er sich wieder in Bewegung und rollte rückwärts ans Ufer. Dort verharrte er einige Zeit, bevor er auf der Stelle wendete und am Ufer entlangroll te. »Das nenne ich Hartnäckigkeit!« entfuhr es Fartuloon. »Der Kerl läßt wohl nicht locker, wenn er einmal eine Spur aufgenom men hat.« »Der ›Kerl‹ ist ein Roboter«, korrigierte ich meinen Pflegevater. »Deshalb ist er so stur.« Allmählich wurde ich nervös. Der Roboter hatte zwar eine Richtung ein geschlagen, die vom Pavillon wegführte. Doch das nützte uns gar nichts. Da er stur am Ufer entlangfuhr, würde er schließlich wieder auf unsere Spur stoßen und sie erneut aufnehmen. Wahrscheinlich würde er uns notfalls um den ganzen Planeten herum fol gen, so lange, bis wir vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnten. »Ich bin nicht gewillt, auf derart dumme Weise umzukommen«, erklärte ich zornig. »Wir müssen diesem Spuk ein Ende berei ten, so oder so.« Der dicke Bauchaufschneider massierte seinen Nasenrücken mit zwei Fingern, dann meinte er bedächtig: »Ich werde versuchen, aus einem Energie magazin und ein paar Teilen aus meiner Re paraturtasche eine Mine zu basteln. Wenn
H. G. Ewers sie direkt unter dem Roboter explodiert, dürfte ihm keine Zeit mehr bleiben, seinen Schutzschirm zu aktivieren.« »Fang schon an!« erwiderte ich. Mir war natürlich klar, daß es ungewiß war, ob die Sache funktionierte. Der Roboter untersuchte mit seinen Tentakelgreifern sehr sorgfältig den Boden. Dabei konnte er eine Mine entdecken. Aber andererseits blieb uns gar nichts weiter übrig, als alle Möglichkei ten auszuschöpfen, wenn wir nicht doch noch Opfer dieser Mordmaschine werden wollten. Fartuloon brauchte eine Viertelstunde da zu, die Mine zusammenzubasteln. Sie sah nicht sehr vertrauenerweckend aus, doch auf das Aussehen kam es nicht an. Hauptsache war, sie funktionierte zweckentsprechend, und bisher hatte alles, was der Bauchauf schneider gebaut hatte, funktioniert. Nun mußten wir nur noch dafür sorgen, daß der Roboter eine Spur aufnahm und ver folgte, die zu dem Platz führte, an dem wir die Mine deponieren würden. Wir gingen langsam den Weg zurück, den wir gekommen waren, nachdem Ra von dem Baum herabgeklettert war. Die geschockten Varganen hatten sich inzwischen erholt und waren verschwunden. Vorsichtshalber durchsuchten wir das Gelände in einem Um kreis von fünfhundert Metern. Erst, als wir wußten, daß es keinen neuen Hinterhalt gab, gingen wir an die Ausführung unseres Plans. Wir gingen dem Roboter, der soeben den Abfluß am unteren Ende des Sees überquer te, rund zweihundert Meter entgegen, dann bogen wir im rechten Winkel nach links ab und entfernten uns zirka dreihundert Meter vom Ufer. Dort gab es einen falschen Sandhügel, der uns ideal für die Ausführung unseres Plans erschien. In dem Sandboden ließ sich die Mine gut unterbringen, ohne daß Spuren un serer Tätigkeit zurückblieben. Überdies war der Platz gut einzusehen, so daß Fartuloon die Mine im genau richtigen Augenblick fernzünden konnte. Nachdem die Mine vergraben war und
Der Ring des Schreckens nichts mehr auf unsere Arbeit hinweisen konnte, zogen wir uns etwa hundert Meter zurück, legten uns ins warme Gras und war teten. Es dauerte eine halbe Stunde, bis der Ro boter die Stelle am Ufer erreicht hatte, wo wir im rechten Winkel abgebogen waren. Wieder blieb er stehen und tastete den Bo den sorgfältig ab, dann wandte er sich nach rechts und rollte auf den Sandhügel zu. Fartuloon murmelte eine Beschwörungs formel. Als ich ihn deswegen spöttisch anlä chelte, zuckte er die Schultern. »Du hältst vielleicht nichts von Magie, mein Junge«, meinte er. »Aber komm nur erst einmal in mein Alter, dann denkst du vielleicht anders darüber.« »Paß lieber auf, sonst versäumst du den richtigen Moment«, gab ich zurück. Fartuloon murmelte etwas, das ich nicht verstand. Er beobachtete den Roboter scharf, und als die Maschine genau über der Mine war, gab er mit seinem Armband-Telekom den Funkimpuls. Die gesamte im Energiemagazin gespei cherte Hochenergie entlud sich im Bruchteil einer Sekunde. Der Roboter wurde von einer imaginären Faust hochgestemmt. Unter ihm strahlte eine kleine künstliche Sonne auf. Für einen Moment sah es aus, als würde es der Maschine noch gelingen, sich in einen Schutzschirm zu hüllen. Rötliches Licht flackerte auf. Doch dann barst der Roboter auseinander, glühte auf und stürzte auf den Boden zurück, der sich in glutflüssiges Mag ma verwandelt hatte. »Geschafft!« jubelte Fartuloon und riß die Arme hoch. Wir liefen zu dem glühenden Wrack und musterten das, was von der sturen Mordma schine übriggeblieben war. Es war nicht viel. Die Trümmerteile waren zur Hälfte im glutflüssigen Boden versunken. Sie knack ten und knisterten, als der Abkühlungspro zeß begann. Aber ein Teil des Roboters war einiger maßen erhalten geblieben. Es handelte sich um den »Kopf«. Er war bei der Explosion
43 mit einem Teil des Tentakelhalses abgeris sen und fortgeschleudert worden, so daß die Glut ihn nicht hatte erfassen können. Fartuloon drehte den »Kopf« vorsichtig mit dem Skarg um, so daß die Stelle, an der die Hülle aufgeplatzt war, oben lag. Der Dicke sprang erschrocken zurück, als ein paar klebrige Fangfäden aus der Öffnung schnellten. Doch sie flogen nur einen halben Schritt weit und fielen dann kraftlos zu Bo den. Wieder näherte sich Fartuloon dem Kopf. Er hielt das Skarg schützend vor sein Ge sicht und spähte ins Innere des Kopfes hin ein. »Dachte ich mir's doch!« sagte er. »Neuroplastleiter!« Ich runzelte die Stirn. »Neuroplastleiter?« fragte ich. »Was be deutet das?« Mein Pflegevater richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das bedeutet, daß zumindest die Fang mechanik des Roboters von einem organi schen Gebilde gesteuert wurde, wahrschein lich von einem organischen Gehirn.« »Dann war der Roboter vielleicht gar kein Roboter, sondern eine Art Vollprothese für das Gehirn eines Lebewesens, das seinen ur sprünglichen Körper verloren hatte«, meinte ich. Fartuloon blickte mich ernst an. »Höchstwahrscheinlich«, erwiderte er. »Ich kenne allerdings nur ein Volk, bei dem die Medotechnik so weit fortgeschritten ist, daß Gehirntransplantationen in eine maschi nelle Vollprothese möglich wären.« »Die Aras?« vermutete ich. »Ja, die Galaktischen Mediziner von Ara lon«, bestätigte Fartuloon. »Sie müssen sich ebenfalls auf der Suche nach dem Stein der Weisen befinden. Es entspricht ihrer Menta lität, daß sie dabei ihr Risiko so klein wie nur möglich halten. Wahrscheinlich haben sie nicht das Gehirn eines der ihren in den Roboter verpflanzt, sondern das eines ande ren intelligenten Lebewesens, das sie vorher in ihrem Sinne beeinflußten.«
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H. G. Ewers
»Das ist ein Verbrechen!« sagte ich. »Natürlich ist das ein Verbrechen«, erwi derte mein Pflegevater. »Aber es hat bei den Galaktischen Medizinern schon immer Frau en und Männer gegeben, die vor verbreche rischen Handlungen nicht zurückschreckten, wenn sie sich davon etwas versprachen. Und die Aras sind sicher der Ansicht, daß der Stein der Weisen nur ihnen zustünde. Folg lich versuchen sie alles, um ihn in ihren Be sitz zu bringen.« »Das leuchtet mir ein«, sagte ich. »Doch eines verstehe ich nicht. Warum raubte der Roboter die Gehirne anderer Lebewesen, wenn er doch hinter dem Stein der Weisen her war?« Fartuloon lächelte freudlos. »Darüber werden wir wohl nie völlige Klarheit erhal ten, mein Junge«, erklärte er. »Vielleicht entzog das Gehirn in dem Roboter den frem den Gehirnen ihr Wissen, um so mehr über den Weg zum Stein der Weisen zu erfahren. Vielleicht war es auch von der DraudegarPest befallen und handelte deshalb irregu lär.« Er holte tief Luft. »Jedenfalls bin ich sehr froh darüber, daß wir diesem mörderischen Spuk ein Ende be reiten konnten.« Da konnte ich meinem Pflegevater nur voll beipflichten. Wir waren den gnadenlo sen Verfolger los. Endlich konnten wir uns wieder unserer eigentlichen Aufgabe zuwen den. Aber vorher mußte ich mir meine Ausrü stung zurückholen.
* Ra führte uns zu der Hügelgruppe, zu der sich die beiden Beauftragten Orbanaschols gewandt hatten. Unterwegs sahen wir immer wieder Var ganen. Doch sie griffen nicht an, sondern beobachteten uns nur. Ich war allerdings si cher, daß sie nur auf einen günstigen Augen blick für einen neuen Überfall warteten. Als wir den ersten Hügel erreichten, fan
den wir die Leichen von sechs Varganen. Sie waren mit einer Energiewaffe getötet worden und lagen noch nicht lange hier. Wahrscheinlich hatten die beiden Wissen schaftler sie erschossen. Bitterkeit stieg in mir hoch. Ich konnte noch verstehen, wenn ein Bar bar wie Ra seine Gegner tötete, aber die An gehörigen eines hochzivilisierten Volkes sollten eigentlich auch in Notwehr niemals das erforderliche Maß an Gewalt überschrei ten. Allmählich zweifelte ich daran, daß wir Arkoniden tatsächlich das Prädikat »hochzivilisiert« für uns beanspruchen durf ten. Die Regentschaft eines Diktators konnte doch die Sitten nicht in großem Umfang ver rohen lassen. Oder war es einfach so, daß die Massen sich manipulieren ließen, daß sie ihre Ver haltensweisen der jeweiligen Form anpaß ten, in der sie regiert wurden? Wenn es so war, dann war Arkon über haupt nicht reif genug, ein großes Sternenreich zu beherrschen. »Woran denkst du, Atlan?« fragte mein Pflegevater leise. Ich sagte es ihm. Er legte mir die Hände auf die Schultern, blickte mich ernst an und erklärte: »Wenn der Reifegrad erreicht sein wird, den du in deinen idealistischen Vorstellun gen forderst, wird kein Arkonide mehr da nach streben, ein Sternenreich aufzubauen oder zu erhalten. Dazu gehört nun einmal Härte gegen sich und andere, und eine sol che Härte findest du nur bei Intelligenzen, die sich noch in einem stürmischen Gä rungsprozeß ihrer Entwicklung befinden. Er warte also nicht, daß du einst ein Reich von Arkoniden regieren wirst, die deinen heuti gen Idealvorstellungen entsprechen.« Er lächelte und fuhr fort: »Doch gerade weil die Massen manipu lierbar sind, braucht das Große Imperium einen guten Imperator wie dich, mein Junge. Es braucht jemanden, der das Böse, was in uns allen steckt, weitgehend unterdrückt, in
Der Ring des Schreckens dem er den Arkoniden Ziele setzt, die das Gute in ihnen aktivieren. So, und nun wollen wir weitermachen.« Ra hatte mit ausdruckslosem Gesicht zu gehört. Als wir uns ihm zuwandten, gab er durch Gesten zu verstehen, daß wir nach sei ner Meinung die Hügel umgehen und von der anderen Seite durchkämmen sollten. Fartuloon und ich verständigten uns mit einem kurzen Blick. Wir hielten den Vor schlag für gut. Wir zogen uns in den Wald zurück, der links von den Hügeln lag. Die Bäume stan den weit genug auseinander, so daß wir an schleichende Varganen rechtzeitig bemerken mußten. Ihr Blätterdach schützte uns den noch vor den Blicken von Beobachtern, die sich auf einem der Hügel befanden. Ich rechnete jedenfalls damit, daß die bei den Wissenschaftler sich auf einem der Hü gel verborgen hielten. Dort konnten sie an greifende Varganen besser abwehren als in der Ebene. Allerdings würden sie nicht län ger als einige Tage dort bleiben können, denn länger reichten die Konzentrate nicht, die sich in meinen Gürteltaschen befanden. Auf einer Welt wie dieser mußten sie jagen, um zu überleben. Als wir den Wald verließen, befanden wir uns auf der anderen Seite der Hügelgruppe. Hier wuchsen ausreichend Büsche, die uns Sichtdeckung gaben. Doch die Büsche ga ben auch eventuell anwesenden Varganen Sichtdeckung gegen uns. Ich spähte aufmerksam zum nächsten Hü gel hinüber. Er war etwa sechzig Meter hoch. Seine Hänge trugen nur Gras, aber auf der Kuppe wuchsen mehrere große Bäume. Wenn die beiden Wissenschaftler dort oben waren, konnten sie sich verbergen und den noch jeden sehen, der den Hügel besteigen wollte. »Das Gelände ist ungünstig für einen An griff«, meinte ich. »Schade, daß es hier nicht Nacht wird.« Fartuloon blickte zur Hügelkuppe. »Ich könnte die Bäume dort oben mit meinem Impulsstrahler in Brand setzen«,
45 meinte er. »Dann müßten die Verräter ihren Schlupfwinkel verlassen.« »Zu spät«, sagte ich und deutete auf die Varganen, die ganz in unserer Nähe durch das Gras krochen. »Sie werden jeden Mo ment angreifen. Offenbar haben sie uns noch nicht bemerkt. Wenn du schießt, lenkst du ihre Aufmerksamkeit auf uns. Aber viel leicht nehmen sie uns die Arbeit ab.« Ra gab ein paar unverständliche Laute von sich und gestikulierte heftig. »Er meint, wir sollten, während die Verrä ter durch die angreifenden Varganen abge lenkt werden, zwischen diesem und dem Nachbarhügel hindurchstürmen und uns auf der anderen Seite auf die Lauer legen«, sagte Fartuloon. »Einverstanden«, erwiderte ich. Inzwischen hatten die Varganen den Fuß des Hügels erreicht. Auf ein Kommando sprangen sie alle gleichzeitig auf und rann ten den Hang hinauf. Die beiden Beauftragten Orbanaschols hatten allerdings aufgepaßt. Sie eröffneten sofort das Feuer aus meinem Impulsstrahler. Zahlreiche Angreifer brachen tot oder ver wundet zusammen. Aber noch mehr stürm ten weiter den Hügel hinauf. »Los!« sagte Fartuloon. Wir liefen geduckt auf das schmale Tal zwischen den beiden Hügeln zu. Niemand schoß auf uns. Wenn die Verräter uns ent deckt hatten, hielten sie uns wohl für das kleinere Übel, und da sie nur eine Waffe be saßen, mußten sie sie gegen die akute Be drohung einsetzen. Ungehindert erreichten wir die andere Seite des Hügels – und entdeckten zirka hundert Varganen, die sich anschickten, die sen Hang zu stürmen. Mir war klar, daß die beiden Verräter ei nem massierten Angriff von zwei Seiten nicht gewachsen waren. Sie würden über rannt werden. Das konnte aber nicht in unse rem Interesse liegen, denn abgesehen davon, daß wir dann meine Waffe vielleicht endgül tig verloren, durften wir nicht tatenlos zuse hen, wie zwei Arkoniden von halbvertierten
46 Kranken niedergemetzelt wurden. Wieder verständigten Fartuloon und ich uns mit einem Blick, aber bevor mein Pfle gevater das Feuer auf die Varganen eröffnen konnte, wurde es dunkel. Das kam so überraschend und unerwartet, daß sich sekundenlang keiner von uns zu rühren wagte. Erst, als von den Varganen Entsetzensschreie herüberhallten, löste sich unsere Starre. »Was ist das?« flüsterte ich. »Hier kann es doch niemals dunkel werden.« »Das ist keine natürliche Dunkelheit«, flüsterte Fartuloon zurück. »Schau dir den Himmel an.« Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Am Himmel leuchtete nicht ein einziger Stern, obwohl er eben noch wolkenlos gewesen war und sich auch nicht so schnell hatte bewölken können. Die Dunkelheit wurde künstlich erzeugt! teilte mir der Logiksektor meines Extrahirns mit. Wahrscheinlich mit Hilfe eines Energie schirms, der jede sichtbare Strahlung reflek tiert. »Warten wir ab!« sagte mein Pflegevater. »Die Varganen rennen in panischer Angst davon. Wir wollen ihnen nicht gerade jetzt über den Weg laufen. Wenn sie fort sind, schleichen wir den Hügel hinauf.« »Einverstanden«, erwiderte ich. Die Finsternis war so vollkommen, daß wir einander nicht sehen konnten, obwohl wir dicht beisammen standen. Ich wunderte mich, daß Ra sich nicht rührte. Für einen Wilden wie ihn mußte das Phänomen einer absoluten Dunkelheit doch tiefverwurzelte Urängste wecken. Die Geräusche der flüchtenden Varganen wurden leiser und ließen sich schließlich nicht mehr wahrnehmen. »Beeilen wir uns!« sagte Fartuloon. »Wer weiß, wie lange es dunkel bleibt.« Wir wollten uns gerade in Bewegung set zen, als ein neues Geräusch uns an unsere Plätze bannte, ein lautes Stampfen, das in Abständen von jeweils etwa vier Sekunden erfolgte und von stoßartigen Erschütterun
H. G. Ewers gen des Bodens begleitet wurde. »Still!« flüsterte Fartuloon. »Etwas oder jemand trampelt im Gelände herum.«
8. Das von Erschütterungen begleitete Stampfen hielt mindestens eine halbe Stunde lang an. Zuerst näherte es sich uns, dann ent fernte es sich wieder. Einmal spürten wir einen starken Luftzug, der den Eindruck erweckte, als bewegte sich etwas Großes, Schweres dicht über unsere Köpfe hinweg. Wir erstarrten zu völliger Bewegungslosigkeit, und unwillkürlich hielt ich den Atem an. Wenige Minuten, nachdem das Stampfen aufgehört hatte, wurde es wieder hell. Unsere Augen, die sich an die absolute Finsternis gewöhnt hatten, schlossen sich geblendet. Ich öffnete die Lider erst ein wenig, war tete eine Weile und öffnete sie dann ganz. Die Landschaft lag wieder im hellen Licht der großen gelben Sonne – aber es war nicht mehr ganz die Landschaft, wie sie vor der Dunkelheit gewesen war. Überall im Gelände waren riesige Löcher zu sehen, zirka einen halben Meter tiefe Ein drücke von Füßen, die eine Länge von fünf und eine Breite von zwei Metern haben mußten. Die Eindrücke waren geformt wie die Fußabdrücke humanoider Lebewesen und ließen erkennen, daß der Gigant, der sich durchs Gelände bewegt hatte, an jedem Fuß fünf Zehen besaß. Ich mußte sofort an das Lebewesen den ken, auf dessen Hand der blauhäutige Zwerg geklettert war, dem wir im Nebelgefängnis begegnet waren. Von der Größe seiner Hand auf die Größe seiner Füße geschlossen, mußten sie schätzungsweise derartige Ab drücke hinterlassen. »Ich nehme an, du denkst das gleiche wie ich«, bemerkte Fartuloon. »Ja, ich denke an den Blauen Riesen«, antwortete ich. »Allerdings frage ich mich, aus welchem Grund er uns einen Besuch ab
Der Ring des Schreckens gestattet hat und warum das in absoluter Dunkelheit geschehen mußte.« »Er wird kaum unsertwegen gekommen sein«, meinte mein Pflegevater ironisch. »Aber mich interessiert auch, warum er sich nur in völliger Dunkelheit auf diesen Plane ten wagte. Das Wie stellt theoretisch kein Problem dar; es setzt lediglich einen entspre chenden Aufwand an Hochenergietechnik voraus.« Ra musterte uns aufmerksam. Ich lächelte ihm zu. »Es ist alles in Ordnung, Ra«, erklärte ich. Er erwiderte das Lächeln, wurde dann wieder ernst und deutete mit fragendem Ge sichtsausdruck auf die Kuppe des Hügels, auf dem sich die beiden Beauftragten Orba naschols aufhielten. »Sie entkommen uns nicht«, beantwortete ich die unausgesprochene Frage. »Aber durch die Flucht der Varganen befinden sie sich wieder in der besseren Kampfposition. Wir müssen einen deckungslosen Hang hin aufklettern und bieten dabei natürlich vor zügliche Ziele, die auch ein schlechter Schütze nicht verfehlen kann.« »Trotzdem warten wir nicht länger«, er klärte Fartuloon. »Ihr beiden geht links und rechts um den Hügel herum; ich gehe ihn geradeaus an. Sobald ihr Energieschüsse hört, stürmt ihr hinauf. Die Verräter sind keine Kämpfer; sie werden in Panik geraten, wenn sie merken, daß sie von drei Seiten gleichzeitig angegriffen werden.« »Einverstanden«, erwiderte ich. »Aber sei vorsichtig, alter Bauchaufschneider.« Fartuloon lächelte. »Du auch, mein Junge. Und nun los!« Ra und ich liefen nach verschiedenen Richtungen. Wir hielten uns dabei dicht am Fuße des Hügels, weil ein Verteidiger, der sich auf der Hügelkuppe befand, dort nur dann auf uns schießen konnte, wenn er seine Deckung aufgab. Damit würde er aber in den Schußbereich Fartuloons geraten. Als ich den Hügel zu einem Viertel um rundet hatte, blieb ich stehen und blickte nach oben.
47 Aber dort rührte sich nichts. Es war auch noch kein Schuß gefallen, obwohl Fartuloon inzwischen seinen Hang zur Hälfte geschafft haben mußte. Sollten die Beauftragten des Diktators während der Finsternis geflohen sein? Das ist unwahrscheinlich! teilte mir mein Logiksektor mit. Sie sind nicht besonders mutig, folglich wird die Furcht sie auf ihren Platz gebannt haben. Das mochte stimmen, erklärte aber nicht, warum sie sich nicht verteidigten. Wie es sich aber auch verhielt, ich durfte nicht länger warten. Also kletterte ich den Hang hinauf. Ich hatte die Hügelkuppe noch nicht ganz erreicht, als ich von oben Fartuloons Stimme hörte. Zwar konnte ich nicht verstehen, was mein Pflegevater sagte; ich merkte jedoch, daß seine Worte nicht an mich gerichtet wa ren. Kurz darauf ertönte Fartuloons Stimme erneut. »Atlan, Ra!« rief sie. »Es ist alles in Ord nung. Kommt herauf!« Als ich die Hügelkuppe erreichte, standen sich Fartuloon und Kirthon gegenüber. Kir thon war blaß und ließ den Kopf hängen. Zwischen ihm und meinem Pflegevater la gen mein Aggregat-Tornister sowie mein Waffengurt. Der Impulsstrahler steckte hin ter Fartuloons Gürtel. Ich blickte mich nach Tuffar um und ent deckte ihn ein paar Meter entfernt vor einem Baum. Er lag seltsam verkrampft da und be wegte sich nicht. »Er ist tot«, erklärte Fartuloon. »Ein von einem Varganen geschleuderter Stein traf ihn am Kopf.« Kirthon blickte mich an. »Vergebung, Erhabener!« sagte er fle hend. »Ich habe mich von Tuffar dazu ver leiten lassen, Ra niederzuschlagen und mit Eurer Ausrüstung zu fliehen.« Ich sah ihn verächtlich an, sagte aber nichts. Keinen Augenblick glaubte ich dar an, daß die Initiative von Tuffar ausgegan
48 gen war. Tuffar war zu jenem Zeitpunkt völ lig erschöpft und psychisch so zermürbt ge wesen, daß die Initiative niemals von ihm ausgegangen sein konnte. Ich legte meine Ausrüstung wieder an und schob die Strahlwaffe, die Fartuloon mir reichte, ins Gürtelhalfter. Danach ging ich zu dem toten Wissenschaftler, hockte mich neben ihn und musterte die Schädelverlet zung. Sie war zweifellos von einem Stein her vorgerufen worden, doch ich konnte in der Nähe nirgends einen Stein entdecken. Ich erhob mich wieder und ging langsam zu Kirthon zurück. Als ich ihm scharf in die Augen blickte, senkte er den Kopf. »Wo ist der Stein?« fragte ich. »Welcher Stein?« flüsterte Kirthon. »Der Stein, der Tuffar getötet hat«, erklär te ich. »Er kann nicht abgeprallt sein, müßte also in Tuffars Nähe liegen.« »Ich habe keine Ahnung, was mit diesem Stein ist, Erhabener«, stammelte Kirthon. »Nein?« fragte ich drohend. »Ich wette, wenn wir den Hang absuchen, werden wir den Stein finden. Da er nicht von selbst so weit geflogen sein kann, muß ihn irgend je mand fortgeworfen haben. Warum wohl?« »Ich muß es unbewußt getan haben, als ich sah, daß Tuffar tot war«, sagte Kirthon. »Ganz recht«, erklärte ich. »Sie haben in stinktiv reagiert und das Werkzeug fortge worfen, mit dem Sie Ihren Gefährten ermor deten. So reagiert ein Mörder.« »Nein!« schrie Kirthon. »Warum sollte ich Tuffar umbringen, Erhabener?« fuhr er leiser fort. »Damit Sie alle Schuld auf ihn abwälzen können«, erwiderte ich. »Tote können sich bekanntlich nicht mehr verteidigen. Kirthon, Sie sind hiermit verhaftet. An Bord meines Schiffes sollen Sie eine Gerichtsverhandlung bekommen.« Ich wandte mich an Ra, der schweigend beobachtet hatte. »Feßle ihm die Hände!« sagte ich. Als der Barbar auf Kirthon zuging, stieß der Wissenschaftler einen Schrei aus, wir
H. G. Ewers belte herum und rannte davon. Ra wollte ihn verfolgen, aber ich hielt ihn zurück. »Mit seiner Flucht hat er sowohl seine Schuld eingestanden, als auch sein Urteil über sich gefällt«, erklärte ich. »Er ist schon jetzt so gut wie tot. Wenn er nicht das Opfer der Varganen wird, rafft ihn die DraudegarPest dahin.« »Das geschieht ihm recht«, sagte Fartu loon. »Einen hilflosen Gefährten zu ermor den, um die Verantwortung an dem Verrat auf ihn abwälzen zu können!« Er spie aus.
* Wir brachen schweigend auf, nachdem wir Tuffar begraben hatten. Als wir den Hü gel hinabstiegen, war von Kirthon nichts mehr zu sehen. Während des Abstiegs entdeckte ich am Hang des gegenüberliegenden Hügels ein Loch, das vor dem »Besuch« des Riesen nicht dagewesen war. Es war kreisrund und hatte einen Durchmesser von etwa drei Me tern. Ich machte meine Gefährten darauf auf merksam, und wir beschlossen, uns das selt same Loch näher anzusehen. Seltsam war es schon allein dadurch, daß kein Bodenaushub vorhanden war. Wir kletterten den jenseitigen Hang hin auf, dann schalteten Fartuloon und ich unse re Lampen ein und leuchteten in die Höh lung hinter dem runden Loch. Die Höhlung entpuppte sich als eine Röh re mit unebener Wandung. Vor allem die Stollendecke war stark gewellt; sie wies vier breite, parallel verlaufende Rillen aus. Fartuloon ballte seine rechte Hand zur Faust und musterte sie mit vielsagendem Blick. Ich wußte was er damit andeuten wollte. Wenn er in der Lage wäre, mit seiner Faust einen Stollen ins Erdreich zu rammen, dann würde die Decke des Stollens ebenfalls vier parallel verlaufende Rillen aufweisen. Der Riese mußte den Stollen also auf die
Der Ring des Schreckens se Weise geschaffen haben. Doch niemand baut einen Stollen, wenn er nicht einen bestimmten Verwendungs zweck im Auge hat. Auch der Riese würde seine Faust bestimmt nicht nur zum Spaß rund fünfzehn Meter tief in den Boden ge rammt haben. Wir ließen die Lichtkegel unserer Lampen von der Wandung des Stollens zu seinem Ende wandern, und wir waren nicht verwun dert, als wir dort statt festgestampften Erd reichs eine schaumige gelbliche Masse sa hen. Fartuloon und ich forderten Ra auf, am Eingang des Stollens Wache zu halten, da mit wir nicht von Varganen überrascht wur den. Dann drangen wir zum Ende des Stol lens vor. Die schaumige gelbliche Masse erwies sich als steinhart. Als wir die Lampen aus den Magnethalterungen nahmen und dicht gegen die schaumige Wand hielten, enthüllte ihr Licht die schattenhaft erkennbaren For men von drei Eiern. »Sie sind von der gleichen Größe wie das Ei, aus dem im Nebelgefängnis der blauhäu tige Zwerg schlüpfte«, sagte ich beinahe an dächtig. »Stimmt«, bestätigte mein Pflegevater. »Das könnte bedeuten, daß die Blauen Rie sen sich nicht in dieser Nebelwelt entwickel ten, sondern auf einem der dreißig Planeten. Deshalb müssen sie wahrscheinlich ihre Eier in den Boden eines Planeten legen.« »Aber der Zwerg schlüpfte in der Nebel welt«, wandte ich ein. »Vielleicht werden die Eier hier nur ange brütet und später wieder abgeholt«, erwider te Fartuloon. »Oder die Riesen versuchen, ihr Ge schlecht auch außerhalb ihrer Ursprungswelt zu verbreiten«, meinte ich. »Möglicherweise rechnen sie damit, daß die Bewohner der be treffenden Planeten das nicht gern sehen würden und legen die Eier deshalb im Schutze einer künstlich erzeugten absoluten Finsternis.« »Das wäre denkbar«, sagte Fartuloon.
49 »Aber leider sind wir nicht hier, um das Rät sel der Blauen Riesen zu lösen, sondern um eine Spur zum Stein der Weisen zu finden.« Ich seufzte. »Du hast recht, Dicker. Immer, wenn es interessant wird, hindern uns Pflichten dar an, das Objekt unseres Interesses zu erfor schen.« Wir verließen den Stollen wieder und gin gen in Richtung des Pavillons. Insgeheim hatte ich gehofft, daß auch auf diesem Planeten ein Dovreen auf einer Liege vor dem Pavillon liegen würde. Diese Hoff nung erfüllte sich jedoch nicht. Kein Do vreen war zu sehen. Dicht vor dem Pavillon blieben wir ste hen. »Was nun?« fragte Fartuloon. Er blickte mich dabei so eigentümlich an, daß ich erkannte, er erwartete eine ganz be stimmte Antwort von mir. Ich lächelte und deutete auf die Wand des Pavillons. »Auf diesem Planeten kenne ich nur ein einziges Ziel: das Innere dieses Bauwerks«, antwortete ich. »Nur hier können wir einen Hinweis darauf finden, was wir als nächstes zu tun haben.« »Das denke ich auch«, meinte Fartuloon zufrieden. »Wir wollen hoffen, daß sich die Wand für uns ebenso öffnet wie in dem Pa villon auf Frokan für Dovreen.« »Es kommt auf einen Versuch an«, sagte ich und ging auf die Wand zu. Mein Pflegevater hielt sich neben mir. Seine Rechte lag auf dem Griff seines Schwertes, als wollte er uns mit dieser Be rührung vor den Auswirkungen Schwarzer Magie beschützen. Ra ging unmittelbar hin ter uns. Als Fartuloon und ich nur noch einen Schritt von der fugenlosen Wand des Pavil lons entfernt waren, löste sich ein torgroßer Teil auf. Wir schritten hindurch und befanden uns in einem Korridor, der ebenfalls dem Korri dor in dem Pavillon auf Frokan glich. Als wir weitergingen, merkten wir, daß auch
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hier die Kürze des Korridors eine optische Täuschung war. Und auch hier war die Luft eiskalt. Nach rund zweihundert Metern hatten wir das Ende des Korridors erreicht. In der Ab schlußwand bildete sich ein fahles Leuchten – genau wie auf Frokan. Ohne zu zögern, traten wir in das fahle Leuchten – und befanden uns in einer Halle, deren bleigraue Wände zurückzuweichen schienen – und in der Mitte der Halle schwebte ein undefinierbares schwarzes Et was. »Trete näher!« sagte eine hohl klingende Stimme. Neben dem schwarzen Etwas stand plötz lich, als wäre er aus dem Nichts erschienen, der Weise Dovreen. Er streckte die Hand nach dem Etwas aus, und es wurde durch sichtig. Fartuloon holte tief Luft, als er die faust große, silberfarbene Kugel über dem Boden schweben sah. »Das verdammte Ding!« stieß er halblaut hervor. Dovreen sagte nichts mehr. Er ließ seinen Arm wieder sinken und wandte sich zum Gehen. Ich blickte ihm nach.
Es war nicht der Dovreen, dem wir auf
Frokan begegnet waren. Dieser hier war von der Draudegar-Pest gezeichnet. Plötzlich ahnte ich, was die Beauftragten Orbanaschols gemeint hatten, als sie von ei ner »endlosen Reise«, einem »Kreis ohne Ende« und einem »Ring des Wahnsinns« ge sprochen hatten. Offenbar mußte jeder, der einmal von ei ner dieser Kugeln eingefangen wurde, auf immer von Welt zu Welt durch den Dreißig Planeten-Wall reisen, ohne eine Chance, diesem teuflischen Kreis wieder zu entflie hen, denn wohin er auch immer kam, warte te als einzige Fluchtmöglichkeit nur wieder eine Kugel auf ihn, mit der er zum nächsten Planeten dieses Systems befördert wurde. Ich überlegte noch, ob wir uns nicht lieber von der Kugel zurückziehen sollten, um die Reise hier zu beenden, da dehnte sich das silberfarbene Gebilde lautlos aus und ver schlang Ra, Fartuloon und mich. Und wieder umgab uns bleigrauer Nebel, aus dem die Schreie Verzweifelter hallten …
E N D E
ENDE