Nr. 152
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Nr. 152
Der Ring des Schreckens Jagd nach dem Stein der Weisen die Spur führt zum Dreißig-Planeten-Wall von H. G. Ewers
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Arkon steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol IN, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Imperator von Arkon zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extrahirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen hat und den Sturz des Usurpators anstrebt. Doch Atlans Möglichkeiten und Mittel sind begrenzt. Ihm bleibt nichts anderes übrig als der Versuch, seinem mächtigen Gegner durch kleine, aber gezielte Aktionen soviel wie möglich zu schaden. Im Zuge dieser Unternehmungen gelang Atlan und seinen verschworenen Gefährten erst jüngst ein großer Coup. Sie kaperten die KARRETON und befreiten Ra, den mysteriösen Barbaren vom grünen Planeten. Jetzt sind Atlan und seine Getreuen erneut im Weltraum unterwegs – auf der Jagd nach dem legendären Stein der Weisen, hinter dem auch Orbanaschols Leute her sind. Die Spur dieses Kleinods der Macht führt Atlan zum 30-Planeten-Wall und in den RING DES SCHRECKENS …
Der Ring des Schreckens
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Kristallprinz geht auf die Suche nach dem Stein der Weisen. Fartuloon und Ra - Atlans Begleiter beim Flug zum Dreißig-Planeten-Wall. Dovreen - Ein Mann mit zwei Gesichtern. Kirthon und Tuffar - Zwei Beauftragte Orbanaschols.
1. Die KARRETON wurde heftig durchgeschüttelt, als sie nach der vorläufig letzten Transition am Rand des galaktischen Zentrumskerns rematerialisierte. Alarmpfeifen setzten mit schrillem Mißklang ein, und Morvoner Sprangk, der als Pilot fungierte, hieb mit der Faust auf die Schaltplatte, von der aus der energetische Schutzschirm des Schiffes aktiviert wurde. Das Heulen der Alarmpfeifen verstummte Augenblicke später, aber zahlreiche Kontrollen wiesen weiterhin bedenklich stimmende Werte aus. Auf dem Frontsektor der Panoramagalerie war ein grelles Gluten und Gleißen zu sehen, abgemildert durch die automatische Lichtfilteranlage, aber dennoch furchterregend anzusehen. »Der Zentrumskern!« erklärte Fartuloon, obwohl es dieser Erklärung nicht bedurft hätte. »Hier stehen im Umkreis von zehn Lichtjahren an die zwanzig Millionen Sonnen, ein regelrechter Sternklumpen, dessen Hohlräume von dichtem hocherhitztem Wasserstoff ausgefüllt sind.« »Dort kann sich kein Sonnensystem bilden«, erwiderte ich. »Und wir können dort unmöglich hineinfliegen.« Die Berechnungen stimmen nicht! raunte mein Logiksektor mir zu. Überprüfe sie noch einmal. Irgendwo muß sich ein Fehler eingeschlichen haben. »Es wäre möglich, daß die Berechnungen fehlerhaft sind«, sagte ich. »Schließlich haben wir sie nur aufgrund von winzigen Informationsanstößen aufgestellt, die wir uns auf der Vergessenen Positronik holten.« Mein Pflegevater Fartuloon blickte mich nachdenklich an. Er war damals mit auf der Vergessenen Positronik gewesen, hatte ge-
meinsam mit mir eine alptraumhafte Serie gefährlichster Abenteuer erlebt und dann von einem Wesen namens Segmasnor erfahren, daß wir den Dreißig-Planeten-Wall anfliegen sollten, wenn wir den Stein der Weisen suchten. »Es ist ein Wunder, daß wir überhaupt Berechnungen anstellen konnten, Atlan«, meinte er. »Also überprüfen wir sie noch einmal.« Wir erhoben uns gleichzeitig von unseren Kontursesseln und begaben uns zur Schaltwand der Bordpositronik. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Ra, jener geheimnisvolle Barbar, den wir Orbanaschol gestohlen hatten, mich beobachtete. Er war noch immer sehr wortkarg. Aber er verfolgte alle Vorgänge an Bord mit großer Aufmerksamkeit. »Soll ich beschleunigen, Atlan?« fragte Sprangk. »Nein, lassen Sie das Schiff treiben!« entschied ich. »Versuchen Sie, markante Orientierungsmerkmale zu erfassen!« Ich wußte natürlich, daß es so dicht am galaktischen Zentrumskern ungeheuer schwierig war, markante Orientierungsmerkmale zu finden, vor allem, da dieses Gebiet noch nicht kartographisch erfaßt war. Aber es stellte die einzige Möglichkeit dar, unsere Position wenigstens annähernd zu bestimmen. Während Morvoner Sprangk die einlaufenden Ortungsergebnisse auswertete, machten Fartuloon und ich uns daran, die Berechnungen zu überprüfen. Das war im Grunde genommen leicht, denn wir brauchten nur die einzelnen Daten systematisch durchzugehen und ihre Erarbeitung vom Bordrechner wiederholen zu lassen. Aber dieser zeitraubende Vorgang erforderte Geduld. Als wir nach rund dreieinhalb Stunden
4 fertig waren, hatten wir keinen Fehler gefunden. »Es gibt demnach zwei Möglichkeiten«, erklärte Fartuloon. »Entweder stimmen unsere Ausgangsdaten nicht – oder wir sind nach der letzten Transition nicht exakt dort materialisiert, wo wir materialisieren wollten.« »Letzteres trifft zu«, warf Morvoner Sprangk ein. »Die Orientierung war zwar recht mühselig, aber sie hat mir geholfen. Die letzte Transition ergab eine Abweichung von zirka siebenunddreißig Lichtjahren.« »Das ist enorm«, sagte Corpkor, der neben Ra saß. »Eigentlich nicht«, gab Fartuloon zu bedenken. »Wir sind durch einen Hyperraumsektor gesprungen, der stark von den Strukturen des Zentrumskerns beeinflußt werden dürfte. Offenbar sind hier exakte Transitionen nicht mehr möglich.« »Also korrigieren wir die Abweichung«, erklärte ich. Morvoner Sprangk machte eine bestätigende Geste. Gemeinsam mit meinem Pflegevater gingen wir an die Arbeit und programmierten den Autopiloten für den Korrektursprung. Anschließend nahm die KARRETON Fahrt auf. Sie beschleunigte bis zu neunzig Prozent LG, dann verwandelte sie sich – und wir mit ihr – in eine Ballung hyperdimensionaler Energie, die so schnell wie ein Hyperfunkimpuls durch den Überraum schoß, bei den Zielkoordinaten in den Normalraum zurückkehrte und sich wieder in die alte stoffliche Erscheinungsform zurückverwandelte. Als wir diesmal zur bewußten Existenz zurückkehrten, schwebte die grelleuchtende Ballung des Zentrumskerns schräg über dem Schiff. An Backbord aber leuchtete eine große gelbe Sonne. »Massetaster schlagen aus!« rief Corpkor von den Ortungskontrollen her. »Sie zeigen nicht nur die Masse der gelben Sonne an, sondern auch zahlreiche andere Massenkonzentrationen.« Wir blickten uns in die Gesichter, ohne
H. G. Ewers aus Corpkors Meldung einen Schluß zu ziehen, der vielleicht voreilig gewesen wäre. Doch ich wußte, daß wir alle das gleiche dachten. Vielleicht befanden wir uns endlich am Ziel unserer Suche – vor dem Dreißig-Planeten-Wall! An einem Zwischenziel! korrigierte mich der Logiksektor meines Extrahirns. Das war mir klar. Auch der Dreißig-Planeten-Wall konnte nur eine Etappe auf dem Weg zum Stein der Weisen sein, dem sowohl der Mörder und Diktator Orbanaschol III. als auch ich nachjagten. Segmasnor hatte gesagt, wir sollten in den Dreißig-Planeten-Wall fliegen und dort nach dem Weisen Dovreen fragen. Offenbar wußte dieser geheimnisvolle Weise etwas mehr über den Stein der Weisen. Vermutlich würde er uns das nächste Zwischenziel nennen können – wenn er wollte. Und wenn wir ihn fanden …! Ich trat zu Corpkors Pult und half dem ehemaligen Kopfjäger dabei, die Ergebnisse der Massetasterortung zu analysieren. Das Ergebnis ließ mein Herz höher schlagen. Die große gelbe Sonne wurde tatsächlich von dreißig Planeten umkreist. »Der Dreißig-Planeten-Wall!« sagte Corpkor beinahe andächtig. »Alle Planeten umlaufen auf einer gemeinsamen Bahn ihre Sonne«, sagte ich nachdenklich. »Außerdem haben sie in etwa die gleiche Masse. So etwas kann niemals auf natürlichem Wege entstanden sein.« »Das ist richtig«, meinte Fartuloon bedächtig. »Der Dreißig-Planeten-Wall ist zweifellos das Produkt einer weit überlegenen Technik. Ich nehme an, seine Entstehung wurde in die Materie seines Muttergestirns programmiert.« »Dann muß die Zivilisation, die das schuf, vor Urzeiten existiert haben!« warf Farnathia ein, die sich bisher still verhalten und ihren Kontursessel nicht verlassen hatte. Morvoner Sprangk sah zuerst sie, dann mich an und sagte dann:
Der Ring des Schreckens »Das kann Milliarden Jahre zurückliegen. Soviel wir wissen, existierte aber vor Milliarden von Jahren noch keine hochentwickelte belebte Materie.« »Außer den Göttern!« warf Ra ein. Wir alle blickten den Barbaren verwundert an, denn seit seiner ersten Begegnung mit Farnathia auf Kraumon, die ihn zum Erzählen der Geschichte seiner Bekanntschaft mit Ischtar veranlaßte, hatte er geschwiegen und sich nur sehr sparsam mit Zeichen verständigt. »Welche Götter meinst du?« fragte ich, in der Hoffnung, er würde etwas mehr erzählen. Leider antwortete Ra nicht, sondern versank wieder in sein nachdenkliches Schweigen. Ich seufzte, wandte mich an Sprangk und sagte: »Fliegen Sie in das System hinein, wir müssen die Planeten genauer untersuchen.«
* Es dauerte rund siebzehn Stunden, bis die KARRETON über der Ebene der Planetenbahnen hing. Von dieser Position aus vermittelten die Fernbildtaster erstmalig einen imposanten Gesamtüberblick auf die dreißig Planeten, die einen weit auseinandergezogenen Ring um die große gelbe Sonne bildeten. Sämtliche Meßinstrumente arbeiteten und holten unablässig Daten über Daten herein. Die Fülle dieser Daten war so gewaltig, daß nur die Bordpositronik in der Lage war, sie innerhalb kurzer Zeit zu analysieren und zweckentsprechend auszuwerten. Als die erste Basisauswertung vorlag, bemächtigte sich aller Personen an Bord eine starke innere Spannung. Teilweise beobachtete ich sogar Nervosität und Furcht. Das wunderte mich nicht, auch wenn ich weder nervös war noch Furcht empfand. Alle dreißig Planeten hatten nicht nur annähernd gleiche Massen, sondern glichen einander außerdem sehr stark hinsichtlich
5 ihrer Größe. Oberflächenstruktur und atmosphärischer Zusammensetzung. Sie waren beinahe identisch, was die Vermutung, daß ihre Entstehung von intelligenten Lebewesen programmiert worden war, natürlich weiter erhärtete. Allerdings schienen die »Erbauer« des Dreißig-Planeten-Walls nicht mehr zu leben, denn Intelligenzen mit einer derart hochentwickelten Technik hätten unserer Meinung nach Raumschiffahrt treiben müssen. Im gesamten System aber ließ sich mit unseren Ortungsgeräten kein einziges Raumschiff aufspüren. Dafür aber sprachen die Energietaster an. Sie lokalisierten auf sämtlichen dreißig Planeten starke Energiequellen, darunter solche, die dimensional übergeordnete Energien erzeugten. »Es gibt also auf allen dreißig Planeten Hochenergiekraftwerke«, erklärte ich meinen Mitstreitern. »Folglich dürfen wir annehmen, daß es dort auch jemanden gibt, der die erzeugte Energie verbraucht.« »Wir sollten lieber umkehren, bevor jemand sich für uns interessiert, Atlan«, gab Morvoner Sprangk zu bedenken. »Mit diesem Forschungsschiff können wir es niemals mit einer Zivilisation aufnehmen, die dreißig Planeten mit Hochenergie versorgt.« »Unsinn!« erwiderte Fartuloon ungestüm. Der dicke Bauchaufschneider schien wieder einmal vom Jagdfieber gepackt zu sein. »Wir wollen ja gegen niemanden kämpfen, sondern nur nach Dovreen, den Weisen fragen. Ich schlage vor, wir schicken Robotsonden aus, die alle dreißig Planeten genauestens erkunden. Die KARRETON ist ja glücklicherweise reichlich mit Robotsonden ausgestattet.« »Das denke ich auch«, sagte ich. »Du hast mir direkt aus der Seele gesprochen, alter Bauchaufschneider.« Fartuloon grinste. »Du kennst mich ja, mein Junge, und du kennst auch meine Philosophie. Man soll Geheimnissen und Rätseln niemals aus dem Wege gehen, sondern sie entschlossen an-
6 packen.« »Dabei kann man sich aber leicht die Finger verbrennen«, wandte Morvoner Sprangk beharrlich ein. »Atlan, ich bleibe dabei, daß wir umkehren sollten. Wer weiß, welche Gefahren im Dreißig-Planeten-Wall auf uns lauern. Wir haben nicht nur zu wenig Leute, sondern sind auch nicht dafür ausgerüstet, es mit einer Zivilisation aufzunehmen, die dreißig Planeten besiedelt hat.« Ich blickte nachdenklich auf die Bilder, die die Fernbildtaster uns übermittelten. Mein Logiksektor meldete sich erneut und raunte mir zu, daß Morvoner Sprangks Bedenken berechtigt waren und daß wir uns auf eine unbekannte Zahl unbekannter Risikofaktoren einließen, wenn wir mit einem relativ kleinen Schiff und einer Besatzung von nur Sechsundsechzig Personen versuchten, das Geheimnis des Dreißig-Planeten-Walls zu lüften. Andererseits versetzte mich die Aussicht, möglicherweise vor der letzten Etappe zu stehen, die mich noch vom Stein der Weisen trennte, in starke Erregung. Ich war ebenso vom Jagdfieber gepackt wie mein Pflegevater. Dazu kam, daß auch Orbanaschol auf der Jagd nach dem Stein der Weisen war. Nein, bei einer Rückkehr nach Kraumon, um die Ausrüstung zu ergänzen und vielleicht einige hundert Mann zusätzlich mitzunehmen, verlor ich vielleicht die Zeit, die über Erfolg oder Mißerfolg entschied. »Wir gehen so vor, wie Fartuloon es vorgeschlagen hat!« erklärte ich. Wir machten die Robotsonden einsatzklar und schickten sie los. Insgesamt waren es neunzig der kleinen, aber reichhaltig instrumentierten elliptischen Raumflugkörper, die die KARRETON verließen. Jeweils drei von ihnen sollten sich einen der dreißig Planeten vornehmen, ihn dicht über der Lufthülle umkreisen und alle optischen, akustischen und meßtechnischen Eindrücke an uns übermitteln. Bevor es soweit war, mußten wir uns allerdings wieder längere Zeit gedulden, denn die Sonden waren ihrer Kleinheit wegen
H. G. Ewers nicht mit Überlichttriebwerken ausgestattet. Wir überbrückten die Wartezeit, indem wir die Fernortungen vervollkommneten und vor allem nach Funksignalen suchten. Zu unserem Erstaunen konnten wir kein einziges Signal auffangen. »Das ist unheimlich«, meinte Morvoner Sprangk beklommen. »Wie verständigen sich die Bewohner der dreißig Planeten, wenn nicht mittels Funk?« »Vielleicht sind sie parapsychisch begabt«, warf Corpkor ein. Ich sagte nichts dazu. Natürlich war es möglich, daß es sich bei den Bewohnern des Dreißig-Planeten-Walls um natürliche Telepathen handelte, die sich auf rein geistiger Ebene verständigten. Andererseits konnte ich mir nur schwer vorstellen, daß solche Lebewesen sich bisher niemals auf anderen Planeten der Galaxis bemerkbar gemacht hatten. Doch vielleicht besaßen sie eine Mentalität, die sich grundlegend von der unseren unterschied. Möglicherweise lebten auf den dreißig Planeten auch nur noch wenige Vertreter der Spezies, die diese Welten einst bevölkert hatte. Doch das war ebenso nur eine Spekulation wie die anderen Mutmaßungen. Sie brachte uns nicht weiter. Wir mußten abwarten, welche Ergebnisse die Robotsonden uns übermittelten. Die Wartezeit stellte meine Geduld auf eine harte Probe. Die Versuchung, mit einem Beiboot einen der dreißig Planeten anzufliegen, zu landen und selbst nachzusehen, war groß. Ich unterdrückte sie, weil ich wußte, daß nichts schädlicher war als überstürztes Handeln. Endlich gingen die ersten Daten ein. Auf den Monitoren der Sondenkontrolle sahen wir Bilder der dreißig Planeten, aus nächster Nähe aufgenommen und per Hyperfunk abgestrahlt. Die Bilder glichen einander verblüffend. Sie zeigten ausnahmslos die Oberflächen von Welten, die wir aus unserer Sicht nur als paradiesisch bezeichnen konnten. Es gab
Der Ring des Schreckens große Kontinente mit reichhaltiger Flora von parkähnlichem Charakter. In den blaugrünen Meeren lagen zahlreiche grüne Inseln mit schimmernden weißen Sandstränden, die zum Baden einluden. Doch es schien weder Städte noch andere Ansiedlungen zu geben, zumindest nicht an der Oberfläche. Die angemessenen EnergieEmissionen bewiesen aber eindeutig, daß es unter der Oberfläche zahlreiche arbeitende Hochenergie-Kraftwerke gab. Dort wurden Energien erzeugt, die zweifellos mehrere Großstädte einer hochentwickelten und anspruchsvollen Zivilisation versorgen konnten. »Das ist unheimlich«, sagte Morvoner Sprangk. Er drückte damit aus, was auch ich empfand. »Es scheint, als stellten sich die Bewohner der dreißig Planeten tot.« »Dann hätten sie ihre Kraftwerke abgeschaltet«, erwiderte ich. »Ich vermute jedoch, daß dort unten bisher niemand etwas von unserer Anwesenheit ahnt. Wir haben keine Ortungsimpulse aufgefangen.« »Was nichts besagt, falls die Bewohner des Dreißig-Planeten-Walls telepathisch begabt sind«, meinte Corpkor. Ich wollte etwas darauf erwidern, vergaß es aber in dem Augenblick, in dem von allen dreißig Planeten gleichzeitig die Bilder von dreißig großen pavillonähnlichen Bauwerken übermittelt wurden. Alle dreißig Bauwerke befanden sich in der Mitte eines relativ kleinen Kontinents, und zwar jeweils am Ufer eines Sees. Sie und ihre Umgebung glichen sich wie ein Ei dem anderen. Gespannt warteten wir darauf, ob die Sonden uns die Bilder anderer Bauwerke übermittelten. Doch die Umkreisungen wurden abgeschlossen, ohne daß auf den Monitoren weitere Bauwerke zu sehen gewesen wären. Auf jedem der dreißig Planeten schien es nur diesen einen weißen Pavillon zu geben. Fartuloon und ich sahen uns an. Der fette Bauchaufschneider verzog das Gesicht zu einem vielsagenden Lächeln. »Das wäre es, Atlan«, meinte er. »Ich
7 schlage vor, wir fliegen den nächsten Planeten mit einem Beiboot der YPTAR-Klasse an und landen in der Nähe des Pavillons.« »Einverstanden«, erklärte ich. Ich wandte mich an Ra. »Kommst du mit?« fragte ich. Der Barbar lächelte flüchtig und machte eine zustimmende Geste. Er beherrschte sich großartig. Dennoch entging mir nicht das Funkeln in seinen Augen. Ra brannte wie wir darauf, einen der dreißig Planeten zu erforschen und sein Geheimnis zu entschleiern. »Holen Sie die Sonden zurück, Sprangk!« befahl ich. »Es wird Zeit, daß wir persönlich nachsehen.«
* Ra und ich trugen die gleiche arkonidische Raumfahrerkombination, nur mit dem Unterschied, daß das Halfter seines Waffengürtels leer war, während in meinem eine Strahlwaffe steckte. Fartuloon hatte es vorgezogen, seine malerische und barbarische Kleidung zu tragen. Sein langer Lederrock endete nur wenig über den Schnürstiefeln, im breiten Gürtel steckten eine Strahlwaffe und das Skarg, und der verbeulte Brustpanzer ergänzte die Ausrüstung. Als sich das Innenschott des Schleusenhangars vor uns öffnete, erblickten wir das Beiboot der YPTAR-Klasse, einen raketenförmigen Raumflugkörper von dreißig Metern Länge und drei Metern Durchmesser, dessen Deltaflügel es erlaubten, ihn innerhalb einer gasförmigen Atmosphäre aerodynamisch zu steuern. Aus dem sich zur Spitze hin verjüngenden Bug ragte der Spirallauf einer starr eingebauten Thermokanone. Wir kletterten in die Steuerkanzel und setzten uns in die hintereinander angeordneten drei Pneumositze. Fartuloon übernahm den Platz des Navigators, während ich mich hinter die Kontrollen des Piloten setzte. Wir hatten uns wieder einmal durch einen kurzen Blickwechsel über die Verteilung der Funk-
8 tionen geeinigt. Ra setzte sich auf den Platz des Funkers, obwohl er wegen seiner Schweigsamkeit nicht dazu geeignet war, die Funktion des Bordfunkers zu übernehmen. Das konnte Fartuloon nebenbei tun. Der Platz des Navigators war ebenfalls mit einem Anschluß an das Funkgerät versehen. Wir checkten das Beiboot sorgfältig durch, obwohl es selbstverständlich gründlich gewartet worden war, bevor die KARRETON Kraumon verlassen hatte. In einem Notfall wären wir sofort gestartet. Hier lag jedoch kein Notfall vor, und während wir Knöpfe drückten und Anzeigen ablasen, flog Morvoner Sprangk die KARRETON dichter an den nächsten der dreißig Planeten heran, dem wir den Namen Frokan gegeben hatten. Fartuloon hatte diesen Namen gewählt und dabei mit vielsagendem Lächeln gemeint, es handle sich dabei um den Namen eines schlafenden Riesen aus der Grindholm-Saga. Als wir die Überprüfung beendet hatten, rief mein Pflegevater Sprangk über Telekom an. »Alles klar bei uns«, teilte er ihm mit. »Bei mir auch«, antwortete Morvoner Sprangk. »Die Abschußposition ist erreicht. Ich möchte aber nicht versäumen, noch einmal zu warnen. Die Person Atlans ist zu wertvoll für das Imperium, als daß sie ständig unberechenbaren Risiken ausgesetzt werden dürfte.« »Ihre Fürsorge ehrt Sie, Morvoner«, erwiderte Fartuloon. »Die Suche nach dem Stein der Weisen ist jedoch etwas, das Atlan keinem anderen Mann überlassen darf. Bitte, fangen Sie an!« Ich schaltete das hochleistungsfähige Kompakt-Kraftwerk unseres Beibootes an. Das hörte sich einfach an, war jedoch ein sehr komplizierter Vorgang, der durch meinen Schalterdruck zwar erst ausgelöst, aber danach von einer Automatik stufenweise vollzogen wurde. Zuerst baute die aus einem Speicher abgezogene Hochenergie innerhalb der Reaktionskammer ein kugelförmiges Energiefeld
H. G. Ewers auf, da den Gluten einer Kernfusion kein bekanntes Material standhalten würde. Erst danach wurde hochkatalysiertes Deuterium in die Kammer eingespritzt, das von einem Laser »gezündet« wurde, nachdem der Druck in dem energetischen Kugelfeld hoch genug war. Ein dumpfes Donnern und Tosen wurde hörbar. Es kam nicht aus der Reaktionskammer, sondern aus dem Umformer, der die erzeugte Fusionsenergie in die Hochenergie-Impulse umwandelte, die von dem Impulstriebwerk im Heck des Beiboots abgestrahlt werden sollten. Ein Teil der in der Kammer erzeugten Energie floß allerdings in anderer Form in die Kammer zurück und hielt dort das Kugelfeld aufrecht. Automatisch wurde die Speicherenergieversorgung unterbrochen. Der Fusionsprozeß lieferte von da an die Energie zu seiner Bändigung selbst. Mit einem Hebel, der weitgehend dem Steuerhebel eines Strahlflugzeugs glich, konnte ich die Felddüse des Impulstriebwerks beliebig verstellen. Aber noch rührte ich diesen Hebel nicht an. Unser Triebwerk durfte innerhalb des Schleusenhangars nicht arbeiten, sonst würden seine Energien die »Eingeweide« der KARRETON zerreißen. Vor dem Bug glitt das Außenschott des Hangars auf. Das Geflimmer zahlloser Sterne wurde sichtbar. Das grelle Strahlen des galaktischen Zentrumskerns sahen wir allerdings nicht, da unser Hangar sich auf der ihm abgewandten Seite der KARRETON befand. Als das Schleusentor ganz geöffnet war, bauten sich um unser Beiboot die Energiefelder der Abstoßschleuder auf. Augenblicke später wurden wir auf einer Magnetschiene nach vorn gerissen und in den Weltraum katapultiert. Erst danach schaltete ich das Impulstriebwerk ein. Gleichzeitig bewegte ich den Impulsknüppel, mit dem ich sowohl den Querschnitt des Düsenfelds als auch die Abstrahlrichtung verstellen konnte. Dadurch war eine einwandfreie Regelung von Geschwin-
Der Ring des Schreckens digkeit und Flugrichtung gewährleistet. Als ich mich nach einigen Sekunden umblickte, war von der KARRETON nichts mehr zu sehen. Dafür sah ich wieder das grelle Gleißen und Gluten der Zentrumsballung, das allerdings durch die Automatfilter für unsere Augen erträglich geschaltet wurde. Dennoch fühlte ich mich einen Herzschlag lang hilflos angesichts dieser unvorstellbaren Gewalten, die im eigentlichen Kern unserer Galaxis tobten. Ich wandte mich wieder nach vorn und suchte unser Ziel. Der Planet Frokan war einwandfrei zu erkennen. Er wirkte als hell angestrahlte Kugel von tiefem Blau, das teilweise von blütenweißen Wolkenfeldern verdeckt wurde. Damit bestätigte sich die Auswertung der Meßergebnisse in einer Hinsicht, denn es war für uns eine feststehende Tatsache, daß alle Planeten, die aus dem Weltraum diesen blauweißen Anblick boten, lebensfreundliche Sauerstoffplaneten waren – lebensfreundlich jedenfalls für Arkoniden und Vertreter anderer humanoider Spezies. Ich bewegte den Impulsknüppel, bis die Nase unseres Beibootes genau auf den Planeten wies, dann beschleunigte ich mit mittleren Werten. Der Planet wurde schnell größer. Bald mußte ich die Beschleunigung wieder aufheben und abbremsen. Dazu benutzte ich die vier kleinen Brems- und Korrekturtriebwerke, die im Bug ringförmig um die Thermokanone angeordnet waren. Fartuloon sprach über Hyperkom mit Morvoner Sprangk und erhielt von ihm die genaue Position des Pavillons auf Frokan. Er befand sich auf der anderen Seite des Planeten, die der großen gelben Sonne zugewandt war. Eine richtige Nacht gab es zur Zeit für Frokan nicht, da die jeweils der Sonne abgewandte Seite von der Lichtflut des galaktischen Zentrumskerns überschüttet wurde. Es existierten lediglich zwei wandernde Dämmerungszonen. Wenn Frokan seine Bahn auf der anderen Seite der Sonne zog, würde es natürlich wieder Tag und Nacht geben. Ich entschloß mich dazu, die Fahrt zwar
9 mit den Bugtriebwerken zu verringern, die eigentliche Landung aber auf aerodynamische Art zu vollziehen. Noch einmal gab ich vollen Gegenschub, dann tauchten wir in die Atmosphäre des Planeten ein. Als die Geschwindigkeit ausreichend abgesunken war, schaltete ich alle Triebwerke aus. Das Beiboot segelte gleich einem Raumgleiter durch die Lüfte, während es an Höhe verlor. Wir überflogen ein Gebirge und sahen vor uns eine weite Ebene, deren Pflanzenwuchs sie zu einem riesigen Park machte. In der Ferne erblickte ich die silbrig schimmernde Oberfläche des Sees, an dem der Pavillon stehen sollte. Als ich auch den Pavillon erkannte, flogen wir nur noch in rund tausend Metern Höhe. Das Bauwerk stand auf der gegenüberliegenden Seite des langgestreckten Sees, der eine ideale Landebahn bildete. Ich rechnete mir aus, daß er lang genug für eine lautlose Landung war, so daß ich die Impulstriebwerke nicht erneut einzuschalten brauchte. Wenig später setzte das Beiboot sanft auf der Oberfläche des Sees auf. Als das Ufer immer näher gekommen war und das Beiboot weiterhin auf das Ufer zuhielt, sagte Ra etwas in seiner barbarischen Sprache. Ich blickte mich zu ihm um, weil ich vermutete, daß er einen harten Aufprall befürchtete. Aber statt dessen sah ich sein Gesicht strahlen. Er fand offenbar Gefallen an der Art und Weise, wie ich das Beiboot an Land zu bringen gedachte. Kurz darauf schob sich der Bug des Beiboots mit schwachem Knirschen auf den Sandstrand. Etwa zwei Drittel des Raumfahrzeugs blieben allerdings auf dem Wasser. »Gut gemacht, mein Junge!« sagte Fartuloon anerkennend. »Du hast das Boot so leise herangebracht, daß unser zukünftiger Gastgeber nicht einmal erwacht ist.« Er deutete mit dem Arm an mir vorbei auf eine Liege, die zwischen dem Ufer und dem Pavillon stand. Erst jetzt sah ich, daß auf
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dieser Liege ein humanoides Lebewesen lag. Es mußte sehr fest schlafen, denn so ganz geräuschlos war unsere Ankunft denn doch nicht abgegangen. »Wir werden ihm unsere Aufwartung machen«, sagte ich.
2. Bevor wir ausstiegen, schauten wir uns genauer um. Der Pavillon hatte einen ungefähren Grundflächendurchmesser von sechshundert Metern und war zirka zwanzig Meter hoch. Er lag zwischen einem lichten parkähnlichen Wald und dem Ufer des Sees. Zwischen den fremdartigen Bäumen und Sträuchern des Waldes nahmen wir Bewegungen wahr. Dort ästen Tiere, die etwas größer waren als arkonidische Parkrinder, dafür allerdings erheblich schlanker. Manchmal hob eines der Tiere den Kopf und blickte in unsere Richtung. Es sah jedoch niemals so aus, als hielten die Tiere nach Gefahr Ausschau. Sie ästen so sorglos, daß ich zu dem Schluß kam, sie hätten keine natürlichen Feinde. Nach einer Weile machten wir auch andere Tiere aus. Es gab buntgefiederte Vögel, die zwischen den Bäumen hin und her flogen sowie kleine schwarzbepelzte Tiere mit langen Greifschwänzen, mit denen sie sich an den Ästen hielten. Alle diese Tiere ernährten sich, soweit wir das erkennen konnten, ausschließlich von Pflanzen und ihren Früchten. Wenn es auf Frokan keine Fleischfresser gab, so war dieser Planet tatsächlich eine paradiesische Welt. Ich glaubte jedoch nicht daran. Mein Extrasinn meldete sich immer wieder und warnte vor unerkannten Gefahren. Ra strahlte nicht mehr. Auch der Barbar schien zu spüren, daß über dieser paradiesisch anmutenden Landschaft eine unbestimmbare Drohung hing. Als ich Fartuloon anblickte, verzog sich das Gesicht meines Pflegevaters zu einem grimmigen Lächeln.
»Die Schönheit dieser Welt ist nur eine Fassade, hinter der sich unbekannte Gefahren verbergen«, erklärte er. »Ich spüre es deutlich, mein Junge.« Ra machte eine bestätigende Geste. »Ich spüre es ebenfalls«, sagte ich. »Dennoch müssen wir einmal aussteigen. Vielleicht kann das Wesen auf der Liege uns sagen, wo wir den Weisen Dovreen finden.« Fartuloon schlug gegen den Griff seines Zauberschwerts und meinte: »Bringen wir es hinter uns!« Wir öffneten das Kanzeldach des Beiboots, da der normale Ein- und Ausstieg teilweise unter der Wasserlinie lag. Nacheinander kletterten wir hinaus, nicht ohne das Kanzeldach anschließend wieder zu verriegeln. Das Wesen auf der Liege hatte sich noch immer nicht gerührt. Entweder schlief es tatsächlich sehr fest oder es stellte sich schlafend. Als wir näherkamen, sah ich, daß der Körper des Fremden dem eines Arkoniden ähnelte. Er war jedoch gedrungener und offenbar kräftiger. Und dann entdeckten wir gleichzeitig etwas, was unseren Schritt stocken ließ. »Er hat zwei Gesichter!« flüsterte ich. Das stimmte und stimmte auch wieder nicht, denn der Fremde besaß zwar sowohl vorn als auch am Hinterkopf je ein Gesicht, aber die Gesichter glichen sich bis auf die kleinste erkennbare Kleinigkeit. Wir sahen wohlgeformte Züge, zwei schafrückige Nasen, zwei volle Lippenpaare und zwei graue lockige Haarmähnen, die bis zu den Schultern reichten und nahtlos ineinander übergingen. »Janus, der Gott der Tür!« flüsterte Fartuloon. »Eine Gestalt aus dem Di-indigetas-Mythos!« »Was bedeutet das: Gott der Tür?« erkundigte ich mich leise. Der Bauchaufschneider lächelte humorlos. »Janus wacht an der Tür eines Tempels«, erklärte er. »Darum besitzt er ein Doppelge-
Der Ring des Schreckens sicht, damit er gleichzeitig nach innen und nach außen sehen kann. Es gibt allerdings auch eine andere Auslegung des Diindigetas-Mythos; danach deuten die beiden Gesichter des Janus auf die Zweiteilung seines Charakters in den guten und den bösen hin.« »Wir gehen wohl am besten von dieser Deutung aus«, sagte ich. Langsam gingen wir weiter. Als wir nur noch fünf Schritt von dem Fremden mit dem sagenhaften Januskopf entfernt waren, erwachte er. Er schlug die Augen auf, drehte sich und setzte sich auf. Ich sah, daß der Mann strahlend blaue Augen hatte, aus denen er uns aufmerksam, aber furchtlos musterte. »Arkoniden!« sagte er in einwandfreiem Interkosmo. »Was wollt ihr von Dovreen, dem Weisen?« Fasziniert beobachtete ich das Wesen. Ich wollte schon fragen, woher der Mann wußte, daß wir den Weisen Dovreen suchten, da fiel mir ein, daß der Ton seiner Frage eigentlich den Schluß zuließ, daß er von sich in der dritten Person gesprochen hatte. War er vielleicht Dovreen, der Weise? Ich grüßte nach der Sitte der Imperiumsflotte, indem ich die rechte Hand zur Faust ballte und auf die linke Brustseite legte. »Es ist richtig, wir suchen Dovreen, den Weisen«, antwortete ich. »Wenn Ihr dieser Mann seid, so erlaubt uns, Euch unsere Verehrung zu beweisen, indem wir Euch zuhören.« Der Fremde machte eine abwehrende Geste. Sein Gesicht wirkte plötzlich unmutig. In seinen Augen glaubte ich Verachtung zu lesen. »Ich weiß genau, was ihr wollt!« erklärte er und erhob sich. Fartuloon, der langsam um ihn herumgegangen war, sagte: »Er bewegt beide Lippenpaare, wenn er spricht. Beide Gesichter zeigen die gleichen Regungen.« »Ich bin Dovreen, den man den Weisen nennt«, sagte der Doppelgesichtige. »Und
11 ich weiß deshalb genau, was ihr wollt, weil alle nur aus einem Grunde zu mir kommen.« »Ich bitte um Vergebung«, erwiderte ich höflich. »Es stimmt, daß wir gekommen sind, um von Euch Informationen über den Stein der Weisen zu erhalten. Doch uns interessiert alles, was mit dem Dreißig-Planeten-Wall, seinen Erbauern und seinen derzeitigen Bewohnern zusammenhängt.« »Alles zu seiner Zeit«, erklärte Dovreen gleichmütig. »Niemand kann alles auf einmal haben. Das Universum ist für den Unkundigen voller Rätsel, für den Kundigen ist es ein einziges Rätsel.« »Wenn es leicht durchschaubar wäre, wäre es ziemlich langweilig«, warf Fartuloon ein. Dovreen hob die Schultern leicht an und ließ sie wieder sinken. Er hatte uns nur flüchtig gemustert. Weder die merkwürdige Kleidung meines Pflegevaters noch die gezügelte Wildheit in Ras Haltung schienen ihn zu beeindrucken. Er war offenbar ein Mann, der schon so vieles gesehen hatte, daß für ihn Äußerlichkeiten unwesentlich waren. »Folgt mir!« sagte er mit unüberhörbarer Autorität. Er wandte sich um und schritt auf den weißen Pavillon zu. Wir folgten ihm nach einem Augenblick des Zögerns. Erneut erreichte mich ein warnender Impuls meines Extrahirns. Ich ignorierte ihn nicht, aber ich richtete mich auch nicht danach. Wie sollte ich mehr über den Stein der Weisen erfahren, wenn ich vor jedem Risiko und vor jeder Gefahr zurückschreckte! Einen Schritt vor der fugenlosen Wand des Pavillons blieb Dovreen stehen. Im nächsten Moment löste sich ein Teil der Wand auf. Eine torgroße Öffnung bildete sich. Es sah aus wie Zauberei, konnte aber nur das Resultat eines komplizierten technischen Vorgangs sein. Dort drinnen könnte sich eine Falle befinden! warnte mich der Logiksektor meines Extrahirns. Versuche, von Dovreen zu erfahren, was er euch zeigen will, bevor du ein-
12 trittst! Ich wollte die Mahnung gern beherzigen, doch dazu war es zu spät. Der Weise trat durch die Öffnung und entschwand damit meinem Blick. Es war, als wäre alles, was sich innerhalb des Pavillons befand, von außen nicht zu sehen. Ich sah, daß Fartuloon die Rechte auf den Griff seines Skargs legte, und umfaßte das Griffstück meiner Strahlwaffe. Ra blickte mich forschend an. Er war offensichtlich beunruhigt. Dennoch blieb er nicht hinter uns zurück, sondern trat neben uns durch die Öffnung. Im nächsten Augenblick konnte ich Dovreen wieder sehen. Der Weise befand sich in der Mitte eines relativ kurzen, aber breiten Korridors. Er reagierte nicht ein einziges Mal auf uns, sondern ging zielstrebig weiter. Ich musterte die bleigrauen Wände des Korridors, versuchte herauszufinden, ob sich hinter ihnen vielleicht Waffen oder Projektoren von Fesselfeldern verbargen. Aber wenn es solche Dinge gab, dann waren sie so gut getarnt, daß sie mit bloßem Auge nicht erkannt werden konnten. Uns blieb vorerst nichts anderes übrig, als dem Weisen Dovreen zu folgen. Es war ein eigentümliches Gefühl, eines seiner Gesichter zu sehen, obwohl er uns doch den Rücken zuwandte. Als wir nach etwa hundert Schritten das jenseitige Ende des Korridors immer noch nicht erreicht hatten, begriff ich, daß ich vorhin einer optischen Täuschung zum Opfer gefallen war, als ich ihn als relativ kurz einschätzte. Ra erschauerte plötzlich. Erst da spürte auch ich die Kälte, die hier herrschte. Es schien, als würden die Temperaturen innerhalb des Pavillons künstlich niedrig gehalten. Dovreen ging noch rund hundert Schritt weiter, dann bildete sich vor ihm, in der Abschlußwand des Korridors, ein fahles Leuchten, das sich schnell über die ganze Wand ausbreitete. Der Mund des rückwärtigen Gesichts Do-
H. G. Ewers vreens öffnete sich. »Kommt!« sagte der Weise – und trat in das fahle Leuchten, wodurch er aus unserem Blickfeld verschwand. Mein Extrasinn meldete sich mit einem schmerzhaft starken Warnimpuls, und ein Blick Fartuloons bewies, daß auch mein Pflegevater die unheimliche Drohung spürte, die über allem lag. Doch wir waren so weit gekommen, daß ich nicht mehr zurück wollte – nicht ohne jedes Ergebnis. Schließlich stellte Dovreen vorläufig unseren einzigen Anhaltspunkt auf dem Weg zum Stein der Weisen dar. Ich zog meine Strahlwaffe. »Gehen wir!« sagte ich rauh.
* Das fahle Leuchten rief überhaupt keine Empfindung hervor. Es war weder wärmer noch kälter als die Luft im Korridor, erzeugte weder Schmerz noch angenehme Gefühle. Es war so neutral wie der Lichtschein einer Kaltlichtlampe. Vielleicht war es nur dazu bestimmt, ängstliche Gemüter zur Umkehr zu bewegen, versuchte ich mir einzureden. Als ich das Leuchten durchschritten hatte, schob ich die Strahlwaffe schnell wieder ins Gürtelhalfter zurück. Dovreen hatte sie dennoch gesehen. Ich erkannte es an dem ironischen oder höhnischen Lächeln, das über sein rückwärtiges Gesicht huschte. Der Weise stand etwa zehn Schritte vor uns auf dem bleigrauen Boden einer großen Halle. Auch die Wände waren bleigrau und die nach oben gewölbte Decke ebenfalls. Ich hatte das Empfinden, als würden Wände und Decke zurückweichen. Auch in der Halle war es empfindlich kalt. Es gab keinerlei Einrichtungsgegenstände, die auf den Verwendungszweck der Halle hingewiesen hätten. Die Halle war völlig leer – bis auf Dovreen und uns. Und doch nicht absolut leer, denn in ihrem Mittelpunkt befand sich ein undefinierbarer schwarzer Fleck. Seine Form ließ sich
Der Ring des Schreckens nicht erkennen. Manchmal wirkte er kugelförmig, manchmal nur wie eine zweidimensionale Scheibe und dann wieder wie eine Pforte zu einem imaginären Schattenreich. Wieder lächelte Dovreens rückwärtiges Gesicht. Diesmal wirkte das Lächeln hochmütig, so, als dünkte der Weise sich uns unendlich überlegen. Das ärgerte mich, denn wenn jemand mehr Wissen besaß als andere, war das noch lange kein Grund, verächtlich auf sie herabzusehen. Aus diesem Ärger heraus sagte ich: »Hier sind wir, Dovreen. Ich hoffe, Ihr habt uns nicht zum Spaß hierher geführt.« Zorn blitzte in den Augen des Doppelgesichtigen auf, verschwand aber sofort wieder. »Du bist noch jung, deshalb trage ich dir deine Worte nicht nach«, erklärte der Weise. »Ihr werdet noch feststellen, daß es kein Spaß ist, den Stein der Weisen zu suchen – und daß es für mich kein Spaß ist, ständig neue Sucher auf den Anfang des Weges zu bringen.« »Waren auch schon Abgesandte von Orbanaschol III. hier?« erkundigte sich Fartuloon. Dovreens Gesicht wurde ausdruckslos. Er setzte sich wieder in Bewegung und ging genau auf dieses undefinierbare schwarze Etwas im Mittelpunkt der Halle zu, ohne die Frage meines Pflegevaters zu beantworten. Ras Gesicht verzog sich zu einer zornigen Grimasse. Er gestikulierte heftig und sah mich dabei an. Ich begriff, daß er wissen wollte, ob er Dovreen niederschlagen sollte. Ich antwortete mit einer verneinenden Geste. Wir durften uns nicht aus bloßem Zorn zu Tätlichkeiten hinreißen lassen. Vor dem undefinierbaren Etwas blieb Dovreen stehen. Er wartete, bis wir ihn eingeholt hatten, dann streckte er die Hand aus und berührte das Schwarze. Von einem Augenblick zum anderen verwandelte sich das Etwas in eine Art transparenter Energieblase, in der eine etwa faust-
13 große silberfarbene Kugel schwebte. Ra stieß einen Schrei aus, der maßlose Überraschung ausdrückte, dann erstarrte er. Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Die Augen schienen in weite Ferne zu blicken, und nahmen uns nicht mehr wahr. Ich verstand, daß der Wilde wieder einmal in Trance verfallen war, wie es schon auf Kraumon geschehen war, als Ra zum erstenmal Farnathia gegenüberstand. »Die Silberkugel in der leuchtenden Wolke!« flüsterte Ra. Mehr sagte er nicht, aber sowohl Fartuloon als auch ich begriffen, was er meinte. Ra hatte uns auf Kraumon seine Begegnung mit Ischtar und seine Erlebnisse im Raumschiff der Varganen geschildert. Dabei hatte er auch davon gesprochen, daß er in einem Raum von Ischtars Schiff eine faustgroße silberne Kugel entdeckt hätte, die in einer Energiewolke schwebte. Ischtar hatte erklärt, diese Kugel sei ein altes Geheimnis ihres Volkes, an dem nicht einmal sie rühren dürfe. Und nun schwebte vor uns eine silberfarbene Kugel, die genauso aussah wie die geheimnisvolle Kugel Ischtars. Gab es vielleicht Zusammenhänge zwischen Dovreen und den Varganen? Konnte es sein, daß der Dreißig-Planeten-Wall früher einmal von den Varganen besucht worden war? Oder hatte dieses geheimnisvolle, im Dunkel der Vergangenheit verschwundene Volk einst den Dreißig-Planeten-Wall geschaffen? Fragen über Fragen, auf die es vielleicht niemals zufriedenstellende Antworten geben würde! Aber Dovreen mußte mehr wissen als wir. »Was ist das für eine Kugel?« fragte ich, meine Ungeduld beherrschend. Der Weise blickte mich mit starrem Lächeln an, antwortete jedoch nicht. »Warum schweigt Ihr?« bohrte ich weiter. »Wir sind gekommen, um Antworten auf unsere Fragen zu bekommen. Könnt Ihr uns sagen, wer das System des Dreißig-Planeten-Walls schuf und wie Ihr hierher gekom-
14 men seid?« Dovreen schüttelte den Kopf und erwiderte: »Du wirst Antworten bekommen, wenn du zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort die richtigen Fragen stellst.« Er deutete auf die silbrig schimmernde Kugel. »Wenn du den Schlüssel zum Stein der Weisen suchst – das ist er!« Er lächelte eigentümlich dabei, und sofort übermittelte mir mein Extrasinn einen so starken Warnimpuls, daß mir ein stechender Schmerz durchs Gehirn raste. »Ich glaube Euch nicht, Dovreen!« entgegnete ich und wandte mich an meine Gefährten. »Laßt uns fortgehen!« Ich war willens, meine Absicht unverzüglich in die Tat umzusetzen, denn eine derart starke Warnung meines Extrasinns zu überhören, wäre unverantwortlich gewesen. Wahrscheinlich log Dovreen. Die Kugel strahlte Unheil aus, das spürte ich immer stärker. Aber als ich mich zum Gehen wenden wollte, konnte ich mich nicht mehr bewegen, und als ich Fartuloons Fluch und Ras zornigen Schrei vernahm, wußte ich, daß es meinen Gefährten nicht besser ging. Dovreen dagegen wurde nicht auf seinen Platz gebannt. Mit gleichmütigen Gesichtern wandte er sich um und ging davon. »Die Kugel, Atlan!« rief Fartuloon unterdrückt. »Sie dehnt sich aus! Wenn ich nur die Arme bewegen könnte, um mein Skarg zu ziehen!« Ich sah ebenfalls, daß die silberfarbene Kugel sich allmählich ausdehnte. Gleichzeitig hatte ich das deutliche Gefühl, als ob Ra, Fartuloon und ich im gleichen Maße schrumpften, wie die Kugel anschwoll. Nunmehr war ich sicher, daß Dovreen uns eine Falle gestellt hatte. Verzweifelt versuchte ich, mich zu bewegen, um mich entweder von der unheilvollen Kugel zu entfernen oder meine Strahlwaffe zu ziehen. Doch meine Anstrengungen waren vergebens.
H. G. Ewers Immer mehr dehnte sich die Kugel aus. Ra schrie gellend, als die äußere Kugelwandung uns berührte. Aber er verstummte gleich wieder. Entsetzt bemerkte ich, daß die Kugel uns verschlang, daß wir von ihr sozusagen absorbiert wurden. Der Vorgang war keineswegs mit Schmerzen verbunden, weder mit physischen noch psychischen, dennoch war mir, als würde ich von einem Ungeheuer verschlungen. Wenige Augenblicke später umgab uns nur noch wogender milchiger Nebel, der an unseren Körpern vorbeizufließen schien. Vielleicht aber wurden wir auch bewegt, von einer unbekannten Kraft durch den Nebel gezogen. Und plötzlich konnten wir uns wieder bewegen. Doch das nützte uns nichts, denn wir konnten nirgends ein Ziel entdecken, zu dem vorzudringen sich gelohnt hätte. Es schien, als sollten wir für alle Zeiten in einem Universum aus kaltem Nebel gefangengehalten werden.
* »Ich habe wieder festen Boden unter den Füßen!« rief Fartuloon. »Reicht mir eure Hände, damit wir uns nicht verlieren!« Ra und ich griffen zu und packten jeder eine Hand meines Pflegevaters. Die Gefahr, daß wir uns in den treibenden Nebelschwaden aus den Augen verloren und uns weit voneinander entfernten, bestand tatsächlich. Nur ab und zu konnte ich meine Gefährten voll sehen; meist wurden sie ganz oder teilweise von dem Nebel meinem Blick entzogen. Ich ersparte mir, Fartuloon danach zu fragen, wo wir uns befanden. Er konnte es ebensowenig wissen wie ich. Erstaunlich war für mich, daß Ra nicht in Panik geriet, denn jedem Barbaren mußte das, was wir hier erlebten, unheimlich erscheinen. Allerdings hatte Ra ja durch Ischtar und später in seiner Sklavenzeit viele Erfahrungen mit
Der Ring des Schreckens technischen Vorgängen sammeln können, die für Unerfahrene ebenfalls unheimlich anmuten würden. »Ich denke, es ist gleich, in welche Richtung wir gehen«, sagte ich. »Wenn unser Nebelgefängnis nicht unendlich ist, müssen wir irgendwann seine Grenze erreichen.« »Wenn die Naturwissenschaftler recht haben, dann gibt es überhaupt nichts Unendliches, mein Sohn«, erwiderte Fartuloon. »Auch unser Universum ist nicht unendlich. Freilich besagt das noch nichts darüber, ob wir jemals aus unserem endlichen Gefängnis herausfinden. Vielleicht laufen wir im Kreis, während wir denken, geradeaus zu gehen.« Ich wußte, was er meinte. Es mochte unbekannte Kräfte geben, die unsere Fortbewegung verzerrten, so daß es uns praktisch unmöglich war, exakt in einund derselben Richtung zu gehen. Das läßt sich vielleicht am besten an dem Beispiel einer Geraden auf einem Planeten verdeutlichen, die entgegen den mathematischen Lehrsätzen keinesfalls die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten darstellt – eben weil sie keine Gerade ist. Den meisten Leuten kommt so etwas gar nicht in den Sinn. Aber versuchen Sie einmal, eine Gerade über die Oberfläche eines Planeten zu ziehen. Es wird immer ein Kreis daraus. Ich lachte voller Selbstironie, weil mir in einer unwirklich erscheinenden und bestimmt gefährlichen Situation philosophische Gedankengänge kamen. »Lache nur, solange du kannst!« knurrte Fartuloon. »Vielleicht werden wir alle sehr bald heulen.« Als hätte er damit eine Aufforderung ausgesprochen, erscholl von rechts stoßartiges Gelächter. Ich spürte, wie sich die Haare in meinem Nacken aufrichteten. Gab es in diesem Nebel noch andere Gefangene außer uns? Das wäre nur logisch! erklärte der Logiksektor meines Extrahirns. Dovreen dürfte alle Personen, die ihn nach dem Stein der Weisen gefragt haben, in die silberfarbene
15 Kugel verbannt haben. Folglich muß es hier viele Gefangene geben. Ob dieser Logik erschauerte ich. Wenn es hier viele Gefangene gab, dann bedeutete das doch, daß niemand dieses Nebelgefängnis wieder verlassen hatte. Fast niemand! teilte meine innere Stimme mir mit. Das Gelächter verstummte und wurde von einem Schluchzen abgelöst. Hysterie! Jemand befindet sich dort im Zustand der Hysterie! »Kommt!« sagte ich zu meinen Gefährten. »Laßt uns sehen, ob wir irgendwie helfen können.« Ich zog meine Gefährten nach rechts. Sie folgten mir willig. Es war nicht nur Mitleid und schon gar nicht Gefühlsduselei, was mich veranlaßte, nach dem Wesen zu sehen, das abwechselnd lachte und weinte. Sicher, ich wollte helfen. Ich hoffte aber auch, daß wir von jemandem, der sich schon länger in dem Nebelgefängnis befand, Fakten erfahren würden, die uns eventuell halfen, die unheimlichen Kräfte zu überwinden. Wir drangen etwa hundert Meter vor, und das Schluchzen hielt unvermindert an, dann erblickten wir eine seltsame Gestalt, die auf dem unsichtbaren, aber gut spürbaren Boden kniete. Die Gestalt hatte die Form eines jungen Baumes, dessen Krone zum Boden gebogen war. Sie kniete auf zahlreichen dünnen Beinen, die verblüffende Ähnlichkeit mit Baumwurzeln hatten, und ihre acht dünnen Arme glichen Ästen. Wären noch Blätter vorhanden gewesen, dann hätte ich tatsächlich geglaubt, einen Baum vor mir zu haben. Doch das Wesen trug keine Blätter, und weder waren die Beine Wurzeln noch die Arme Äste. Die Körpersubstanz leuchtete in einem hellen freundlichen Rot, soweit sie nicht von der enganliegenden schwarzen Kleidung bedeckt war. Weder Schädel noch Gesicht waren zu erkennen. Dafür saßen an den Ästen überall kleine, dunkelrote Knoten. Vielleicht waren
16 das die Sinnesorgane des Wesens. Wir konnten nicht erkennen, worüber sich das Wesen beugte, bis wir unmittelbar neben ihm standen. Ra zog scharf die Luft ein, als er es sah. Auch ich war verblüfft, denn vor dem Baumwesen lag ein etwa faustgroßes Ei mit hellgrauer Schale, die an mehreren Stellen gesprungen war. Während ich hinblickte, entstand ein neuer Sprung. Die Eischale barst an dieser Stelle, und plötzlich zerriß die darunter befindliche Haut. Eine winzige hellblaue Hand streckte sich ins Freie. Es war eine Hand mit fünf Fingern, und trotz der Winzigkeit ließen sich die noch weichen Fingernägel erkennen. »Beim heiligen Kataplos!« stieß Fartuloon verblüfft hervor. »Das gibt es doch gar nicht!« Die Hand verschwand wieder im Innern des Eies. Gleich darauf wurde die Schale dicht daneben zerbrochen. Wieder zerriß die Eihaut, und wieder streckte sich die winzige hellblaue Hand heraus. Plötzlich erschien eine zweite Hand. Beide Hände packten die Ränder der Eischale, rissen und zerrten und vergrößerten das zweite Loch, bis eine Verbindung mit dem ersten hergestellt war. Im nächsten Augenblick streckte sich ein winziger Kopf aus der Öffnung. Er war völlig kahl, ansonsten aber absolut humanoid, mit zwei Augen, einer Nase, einem Mund und zwei Ohren. Ra bückte sich unvermittelt, riß die Eischale ganz auseinander und nahm das blauhäutige Baby behutsam in die rechte Hand. Das schien dem Baumwesen nicht zu gefallen. Es peitschte mit seinen Armen Ras Kopf und Rücken. Der Barbar knurrte wütend und wandte sich dem Baumwesen zu, um sich zu verteidigen. »Laß das!« fuhr Fartuloon ihn an. »Setz das Baby auf den Boden, Ra!« Ra funkelte ihn widerspenstig an, doch dann gehorchte er und setzte das seltsame Baby auf den Boden.
H. G. Ewers Sofort stellte das Baumwesen seinen Angriff ein. Es bewegte zwar noch die Arme, das schien jedoch nur eine warnende Geste zu sein. Aber das Baby …! Es kam mir plötzlich gar nicht wie ein hilfloses Baby vor, das gerade aus einem Ei geschlüpft war, sondern wie ein Zwerg, der genau wußte, was er wollte. Der Zwerg stemmte die Fäuste in die Seiten, blickte uns an und verzog das winzige Gesicht zu einem Grinsen. »Was ist das?« fragte ich fassungslos. Das Baumwesen richtete sich auf und wedelte weiter mit seinen Ästen beziehungsweise Armen. Es schien keine Möglichkeit zu besitzen, sich akustisch zu verständigen. Aber wir hatten es doch deutlich lachen und schluchzen gehört! Plötzlich ertönte ein tiefes Brummen. Es schien aus dem Baumwesen zu kommen. Die Bewegungen der Arme bekamen Systematik. Kein Zweifel, das Wesen versuchte, sich mit uns durch Zeichensprache zu verständigen! Ich blickte meinen Pflegevater auffordernd an. Wenn es jemanden gab, der sich mit einem absolut fremdartigen Wesen mittels Zeichensprache verständigen konnte, dann war es der dicke Bauchaufschneider. Fartuloon wandte sich dem Baumwesen zu. Beide unterhielten sich eine Weile mit Hilfe einer Zeichensprache, von der ich so gut wie nichts verstand. Der blauhäutige Zwerg stand dabei und schaute interessiert zu. Nach einiger Zeit stellten die beiden unterschiedlichen Wesen ihre »Unterhaltung« ein. Fartuloon wandte sich an Ra und mich und erklärte: »Das Wesen gehört einem Volk an, das schon lange im Aussterben begriffen ist. Dieses Exemplar suchte nach dem Stein der Weisen, um das langsame Sterben seines Volkes mit seiner Hilfe aufzuhalten. Es wur-
Der Ring des Schreckens de von Dovreen in das Nebelgefängnis verbannt – so wie wir.« »Und der Zwerg?« erkundigte ich mich. »Was hat das Wesen mit dem Zwerg zu tun?« »Es fand das Ei rein zufällig und merkte, daß Leben in ihm war«, antwortete mein Pflegevater. »Die Tatsache, daß jemand in die hier herrschende Hoffnungslosigkeit hineingeboren werden sollte, versetzte ihm einen Schock.« »Der Zwerg scheint sich aber recht wohl zu fühlen«, erwiderte ich. »Hast du das Baumwesen gefragt, wovon es in dem Nebelgefängnis lebt?« »Selbstverständlich«, sagte Fartuloon. »Es gibt hier weder Wasser noch Nahrung, jedenfalls nicht in der Form, wie er es gewöhnt ist. Da er aber weder verdurstet noch verhungert, nimmt er an, daß die Körper der Verbannten ihren Bedarf an Wasser und Nahrung aus Substanzen decken, die im Nebel enthalten sind und von der Haut aufgenommen werden können.« »Dann brauchen wir uns wenigstens in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen«, erklärte ich. »Folglich können wir uns ganz darauf konzentrieren, eine Möglichkeit zu finden, aus dem Gefängnis auszubrechen. Frage doch das Wesen, ob es sich uns anschließen möchte.« »Das habe ich bereits getan«, erwiderte mein Pflegevater. »Es will allein bleiben.« »Und was machen wir mit dem Zwerg?« fragte ich. Diese Frage erübrigte sich im nächsten Augenblick. Eine riesige blaue Hand, so groß wie ein Hangarschott, senkte sich aus dem Nebel über uns und legte sich neben dem Zwerg auf den Boden, die Handfläche nach oben. Der Zwerg blickte uns an, bildete aus Daumen und Zeigefinger der rechten Hand einen Kreis, dann kletterte er auf die riesige Hand, die gleich darauf mit ihm im Nebel über uns verschwand. »War das nun die Hand vom Vater oder von der Mutter des Kleinen?« fragte Fartu-
17 loon trocken. Er hatte schon einen eigenartigen Humor. Wir lauschten eine Weile, ob wir vielleicht die Schritte hörten, mit denen sich der Gigant entfernte. Doch es blieb still. »Verabschiede dich von dem Baumwesen, Dicker«, sagte ich zu Fartuloon. »Danach gehen wir weiter. Ich bin wirklich gespannt, welche Überraschungen wir noch erleben werden.«
3. Das Baumwesen entfernte sich auf seinen wurzelähnlichen Beinen in die eine Richtung, wir gingen in die andere. Schon kurz darauf sahen wir es nicht mehr. Dafür entdeckten wir plötzlich etwas, das wir in dem Nebelgefängnis niemals vermutet hätten, einen großen, grauen Obelisken. Er stand an einer Stelle, an der wir unserer Meinung nach vorhin vorbeigekommen waren, ohne daß wir ihn gesehen hatten. »Entweder sind wir doch nicht an dieser Stelle vorbeigekommen – oder der Obelisk ist in der Zwischenzeit hier erschienen«, meinte mein Pflegevater. »Wie könnte er ›erschienen‹ sein?« fragte ich. »Er ist doch kein lebendes Wesen, das sich auf der Suche nach dem Stein der Weisen befindet, sondern ein totes Bauwerk.« Langsam ging ich um den Obelisken herum. Er durchmaß in der Grundfläche etwa zwanzig Meter und war höher, als ich sehen konnte. »Allmählich halte ich alles für möglich«, erklärte Fartuloon. »Jedenfalls in diesem Nebelgefängnis.« Mir ging es ähnlich. Aber vorerst interessierte mich mehr, ob wir das Bauwerk betreten konnten. Deshalb suchte ich nach einer Öffnung. Aber bevor ich sie gefunden hatte, gestikulierte Ra heftig mit den Händen und deutete auf einen Vorsprung in der Außenwand des Obelisken. Der Vorsprung ragte etwa fünfzehn Zentimeter weit heraus und hatte die Form eines Drachenkopfes mit geöffne-
18 tem Maul. Ich musterte den Drachenkopf. Es berührte mich immer eigenartig, wenn ich irgendwo auf die Abbildung eines jener sagenhaften Ungeheuer stieß. Ich wußte von Fartuloon, daß in den Mythen fast aller galaktischen Völker Drachen eine Rolle spielten. Das konnte kein Zufall sein. Wahrscheinlich handelte es sich um Produkte einer Kollektiverinnerung, die weit in der Vorzeit entstanden war. Wenn dem so war, mußten drachenähnliche Lebewesen einst eine reale Rolle im galaktischen Geschehen gespielt haben. Vielleicht fanden wir eines Tages Spuren, die sie selber hinterlassen hatten. »Der Drachenkopf könnte ein Hinweis darauf sein, wie sich jemand Zugang zum Innern des Obelisken verschaffen kann«, meinte Fartuloon bedächtig. Er tastete das Gebilde sorgfältig ab. Als er einen der Reißzähne berührte, klickte es plötzlich. Ein Stück der Außenwand schwang nach innen. Mein Pflegevater blickte mich frohlockend an, als wollte er mir sagen, daß nur er mit seinen vielfältigen Erfahrungen in der Lage gewesen sei, den Öffnungsmechanismus zu entdecken. »Ich gehe vorerst allein hinein, Atlan«, sagte er. »Ihr bleibt draußen. Wenn ich nach einer halben Stunde nicht wieder herausgekommen bin, könnt ihr nach mir suchen.« »Und wenn die Tür sich hinter dir wieder schließt?« fragte ich. »Dann müßt ihr sie irgendwie wieder öffnen«, antwortete Fartuloon. »Aber wendet erst dann Gewalt an, wenn die halbe Stunde verstrichen ist.« Er zückte sein Schwert und tauchte in der Öffnung unter. Eine Weile sah ich noch den Schein der Atomlampe, die vor seiner Brust hing, dann wurde es im Obelisken wieder dunkel. Ich lauschte angestrengt, vermochte aber keine Geräusche aus dem Innern des Bauwerks aufzufangen. Dafür wurde es in unserer Nähe laut. Jemand schrie unverständliche Worte. Ein
H. G. Ewers helles Pfeifen war die Antwort. Wieder ertönten die unverständlichen Worte, offenbar in einer fremden Sprache geschrien. Diesmal antworteten Pfeiftöne aus zwei verschiedenen Richtungen. Danach wurde es wieder still. Einige Minuten verstrichen, dann schrie abermals jemand. Diesmal war es näher als zuvor. Aus zwei Richtungen antworteten die Pfeiftöne, und auch das Pfeifen kam diesmal aus größerer Nähe. Ra wurde unruhig. Er vermutete wahrscheinlich Gefahr. Auch mein Extrasinn meldete sich wieder. Vorsichtshalber zog ich die Strahlwaffe aus meinem Gürtelhalfter. Keinen Augenblick zu früh, denn plötzlich tauchten schräg über uns zwei große Flugechsen mit langen Hälsen, kleinen Köpfen und säbelartigen Schnäbeln auf. Als sie auf uns herabstießen, feuerte ich. Eine der Flugechsen verging in der sonnenheißen Glut des Impulsstrahlers, die andere wich zur Seite aus und tauchte wieder im Nebel unter. Abermals schrie jemand unverständliche Worte – und diesmal erschollen Pfeiftöne aus allen Richtungen. Ich ahnte, daß jemand sich der Flugechsen bediente, um auf Gefangene des Nebels Jagd zu machen. Vielleicht hatte er es auf Ausrüstungsgegenstände abgesehen. Doch wie dem auch sei, ich war nicht gewillt, das Opfer dieses Jägers zu werden. Ich stieß Ra durch die Öffnung in das Innere des Obelisken, folgte ihm und wartete. Meine Strahlwaffe stellte ich auf breite Streuung, um möglichst alle Angreifer gleichzeitig zu erfassen. Dadurch würde meine Waffe zwar nicht töten, doch es genügte mir, wenn ich die Flugechsen vertreiben konnte. Wie ich erwartet hatte, griffen die Flugechsen beim nächstenmal massiert an. Der Strahlenkegel aus meiner Impulswaffe erfaßte viele von ihnen und fügte ihnen Schmerzen zu. Einige stürzten wild flatternd zu Boden; die anderen stoben taumelnd aus-
Der Ring des Schreckens einander. Plötzlich tauchte aus dem Nebel ein sonderbares Wesen auf. Halb Pferd, halb Echse, jagte es im Galopp auf die Öffnung des Obelisken zu. Genauer gesagt, handelte es sich um einen Pferderumpf, aus dem in Brusthöhe der Oberkörper einer Echse ragte, die annähernd einem Topsider glich. Am Echsenleib befanden sich zwei Arme mit schuppenbedeckten Händen. In einer Hand schwang das Doppelwesen eine Schleuder. Ich zögerte, weil mir die Waffen zu ungleich erschienen. Wenn ich mit scharf gebündeltem Impulsstrahl schoß, hatte der Jäger keine Chance. Ra kannte solche Skrupel offenbar nicht. Er kam von einer barbarischen Welt, wo der Überlegene seine Stärke kompromißlos gebrauchte. Ra stieß mich zur Seite, schnellte sich mit einem gewaltigen Satz auf den Pferderücken und umschlang den Echsenleib von hinten mit seinen kräftigen Armen. Der Pferdekörper scheute und stieg hoch, dann bockte er und feuerte nach hinten aus. Ra fiel nicht herab, weil er erstens den Echsenleib fest umklammerte und zweitens die Schenkel gegen den Pferdekörper preßte. Mit seinen Armen drückte er dem Echsenleib die Luft ab. Ich sah keine Möglichkeit für mich, in den Kampf einzugreifen, da das Doppelwesen wild umhersprang und die Gefahr bestand, daß ich Ra mit der Impulswaffe traf, wenn ich schoß. Kurz darauf streckte sich der Pferdekörper und jagte im Galopp davon, in den Nebel hinein. Ich stieß eine Verwünschung aus. Wer weiß, wohin der Jäger mit Ra galoppierte. Es erschien mir unwahrscheinlich, daß der Barbar Fartuloon und mich in diesem Nebelgefängnis wiederfinden würde, wenn er sich sehr weit entfernte. Ich mußte sogar damit rechnen, daß das Doppelwesen ihn abwarf und tötete. Allerdings wunderte ich mich darüber,
19 daß Fartuloon noch nicht wieder hier war. Er mußte doch den Kampflärm gehört haben, und mein Pflegevater war nicht der Mann, sich vor einem Kampf zu drücken. Im Gegenteil, er hätte sofort eingegriffen. Ich schaltete die kleine, aber leistungsfähige Lampe ein, die in einer Magnethalterung vor meiner Brust hing. Solange sie in der Halterung steckte, bezog ihre Glasfaserleuchtspirale die benötigte Energie von dem Kompakt-Fusionsreaktor in meinem Aggregat-Tornister. Zog ich sie heraus, wurde automatisch der Kontakt mit dem Abnehmer des Speichers geschlossen, der sich in der Lampe befand. Der Lichtkegel zeigte mir erstmalig den Raum, in dem ich mich befand. Es handelte sich um eine kreisrunde Halle mit Wänden, die sich nach oben zu verjüngten. In zirka drei Metern Höhe befand sich eine Decke mit drei kreisrunden Öffnungen. Das war alles. Ich aktivierte mein Armband-Funkgerät und rief nach Fartuloon. Der Dicke meldete sich nicht. Kurz entschlossen stellte ich mich unter die nächste der drei Öffnungen. Meine Vermutung, daß es sich um die Öffnung eines Freifeld-Antigravlifts handelte, der sich automatisch ein- und ausschaltete, bestätigte sich. Als ich die Öffnung passiert hatte, erblickte ich eine zweite Halle. Sie war ungefähr zehn Meter hoch und endete in einer Decke mit zwei Öffnungen, und sie war leer wie die erste. Da die Öffnungen nicht untereinander angeordnet waren, trat ich auf den Boden und stellte mich unter die nächste Öffnung. Abermals schaltete sich ein Antigravlift ein und ermöglichte mir den Aufstieg. Und wieder landete ich in einer Halle, mit erheblich kleinerem Grundflächendurchmesser als die erste und nur einer Öffnung in der Decke. Auch hier war Fartuloon nicht zu sehen. Ich benutzte wieder den Freifeld-Antigravlift, und als ich durch die Öffnung schwebte, sah ich, daß der Raum darüber der
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letzte in dem Obelisken war, denn er lief nach oben spitz aus. Ratlos schaute ich mich um. Ich wußte, daß Fartuloon den Obelisken nicht verlassen hatte – und doch befand er sich nicht mehr darin. Das erschien unmöglich. Da es jedoch feststand, mußte es eine Möglichkeit geben, meinem Pflegevater zu folgen. Ich mußte sie nur finden.
* Ich tastete sorgfältig die Wände ab, entdeckte aber nichts, weder Fugen noch sonst einen Hinweis auf eine Möglichkeit, eine verborgene Tür zu öffnen. Ich bekämpfte die Panik, die sich meiner bemächtigen wollte. Dennoch konnte ich nicht verhindern, daß ich nervös wurde. Ein Blick auf den Armband-Chronographen zeigte mir, daß die halbe Stunde inzwischen verstrichen war. Folglich wurde Fartuloon an der Rückkehr gehindert, sonst wäre er längst gekommen. Ich ließ mich vom Antigravlift eine Etage tiefer befördern und suchte auch dort systematisch die Wände ab. Aber auch hier blieb meine Suche erfolglos. Genauso erging es mir mit den beiden übrigen Etagen. Fartuloon war spurlos verschwunden. Ich lehnte mich gegen die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und zwang mich dazu, in aller Ruhe die Möglichkeiten zu durchdenken, die mir geblieben waren. Ich konnte versuchen, meinen Pflegevater draußen zu finden, da er ja ganz offensichtlich nicht mehr in dem Obelisken war. Das schien eine erfolgversprechende Möglichkeit zu sein. Dennoch verwarf ich diesen Gedanken wieder. Er barg das Risiko, daß Ra während meiner Abwesenheit zum Obelisken zurückfand und ihn wieder verließ, weil ich nicht mehr da war. Dadurch hätten wir uns für immer verlieren können. Eine andere Möglichkeit war, passiv zu warten. Ra besaß als Wilder einen viel besseren Orientierungssinn als ich und würde,
wenn er den Kampf mit dem Jäger überlebte, irgendwann zurückkehren. Außerdem gab ich auch die Hoffnung nicht auf, daß mein Pflegevater wieder auftauchen könnte. Ich verwarf diesen Gedanken. Fartuloon konnte sich in einer Lage befinden, in der sein Überleben von meiner Hilfe abhing. Folglich durfte ich nicht passiv warten, sondern mußte weiterhin aktiv bleiben. Die Frage war nur, wie. Schließlich hatte ich alle Etagen des Obelisken gründlich abgesucht und konnte ausschließen, daß es eine verborgene Tür gab. Aber irgendwie mußte Fartuloon schließlich den Obelisken verlassen haben. Er mußte etwas getan haben, das ich noch nicht nachvollzogen hatte. Ich versetzte mich in die Denkweise des Bauchaufschneiders, um herauszufinden, was er wohl getan haben könnte, das sein Verschwinden bewerkstelligt hatte. Ganz sicher war er mit Hilfe der Antigravlifte bis in die oberste Etage des Obelisken vorgedrungen. Ich kehrte also wieder dorthin zurück und sah mich um. Was hatte Fartuloon wohl gedacht, als er feststellte, daß alle Etagen dieses Bauwerks leer waren? Unwillkürlich mußte ich lächeln. Ganz bestimmt hatte er geflucht, weil seine Mühe vergebens gewesen war. Er fluchte gern und oft, beherrschte sich in meiner Gegenwart jedoch meistens. Wenn er sich allein glaubte und Anlaß dazu hatte, trieb er es jedoch manchmal bis zum Exzeß. Ich überwand meine Hemmungen und stieß einige der Flüche aus, die ich von dem dicken Bauchaufschneider gehört hatte. Ein wenig lächerlich kam ich mir dabei allerdings vor, doch wollte ich keine Möglichkeit ungenutzt lassen. Als immer noch nichts geschah, überlegte ich weiter. Mein Pflegevater mußte, nachdem er sich durch sein Fluchen abreagiert hatte, beschlossen haben, umzukehren. Da er aber nicht bei mir angekommen war, hatte ihn etwas daran gehindert. Er mußte das aber auf
Der Ring des Schreckens jeden Fall provoziert haben, denn ich hatte mich bisher ungehindert in dem Obelisken bewegen können. Natürlich! schoß es mir durch den Kopf. Es lag in Fartuloons Mentalität, daß er, bevor er umkehrte, seine Verachtung gegenüber dem fruchtlosen Objekt seiner Untersuchung geäußert hatte. In solchen Fällen pflegte er auf den Boden zu spucken. Ich fühlte mich verlegen, als ich Speichel in meinem Mund sammelte und dann auf den Boden spie. Im nächsten Moment füllte sich der Raum mit einem grünen Leuchten, und als es erlosch, befand ich mich nicht mehr im obersten Raum des Obelisken, sondern in einem erheblich größeren Saal, an dessen Wänden dicht an dicht schwarze Roboter standen. Es gab keinen Zweifel daran, daß es sich um Roboter von annähernd humanoider Gestalt handelte. Nur die Tätigkeit, die sie ausübten, wurde normalerweise nicht von Robotern ausgeübt, ja, Roboter waren dazu normalerweise nicht einmal fähig. Sie spuckten nämlich in schöner Regelmäßigkeit auf den blanken Boden des Saales, und die Gestalt, die auf den Knien an ihnen vorbeirutschte, bemühte sich eifrig, die Spucke mit einem Lappen zu beseitigen. »Was ist denn das?« entfuhr es mir. Die Gestalt hielt in ihrer entwürdigenden Tätigkeit inne und wandte mir ihr schweißüberströmtes Gesicht zu. »Atlan!« rief Fartuloon. »Hast du etwa auch das Heiligtum angespuckt?« Bevor ich antworten konnte, ließ der Fartuloon am nächsten stehende Roboter eine Schockpeitsche auf den Rücken meines Pflegevaters sausen. Fartuloon schrie gepeinigt auf und wischte unverzüglich weiter. Ich griff nach meinem Impulsstrahler, aber ehe ich ihn erreichte, pfiff etwas durch die Luft. Im nächsten Augenblick brach ich schreiend zusammen. Mir war, als tobte verzehrende Glut durch meinen Körper. »Du hast den Tempel des Deirkhan entweiht!« ertönte eine unmodulierte Stimme.
21 »Dafür wirst du Buße tun, indem du den Boden dieses Saales sauberhältst!« Ein großer grauer Lappen fiel vor meine Füße. Zornig packte ich ihn, schleuderte ihn fort und rief: »Ich denke nicht daran!« Abermals traf mich eine Schockpeitsche, und wieder brach ich schreiend zusammen. Schockpeitschen sind grauenvoll in ihrer Wirkung, und ich hatte noch nie von jemandem gehört, dem es gelungen war, bei dieser Tortur zu schweigen. Ich hatte auch noch von niemandem gehört, der dabei standhaft geblieben war. Aber ich wollte mich nicht beugen. Das ließ mein Stolz einfach nicht zu. Nach dem fünften Schlag verlor ich das Bewußtsein. Ich hörte noch einen Schrei Fartuloons, dann umfing mich gnädige Finsternis.
* Als ich wieder zu mir kam, wagte ich erst nicht, die Augen zu öffnen, in der Furcht, die Tortur würde dann von neuem beginnen. Doch da sagte Fartuloons Stimme: »Du brauchst dich nicht zu verstellen, Atlan. Ich bin stolz auf dich, mein Junge. Deine Standhaftigkeit hat die Roboter davon überzeugt, daß du in der bei ihnen geltenden Rangordnung höher stehst als Deirkhan, dessen Tempel wir angeblich entweihten.« Ich schlug die Augen auf und erblickte Fartuloons Gesicht über mir. Mein Körper schmerzte nicht mehr, aber die Erinnerung an die Tortur ließ mich erschauern. »Warum mußtest du auch auf den Boden spucken, Bauchaufschneider!« erwiderte ich. »Aber du hast es ja ebenfalls getan«, sagte Fartuloon. »Sonst wärst du nicht wie ich bestraft worden.« »Ich habe nur versucht, deine Handlungen nachzuvollziehen, um dich wiederzufinden, Fartuloon«, entgegnete ich. Mein Pflegevater wurde verlegen.
22 »Ich werde versuchen, mich zu bessern, Atlan«, erklärte er. »Es war schon ein Alptraum, daß ich vor den Robotern auf den Knien kriechen mußte, aber dann zu sehen, wie sie dich peinigten …!« Ich versuchte zu lächeln. »Warum hast du dich gebeugt, Dicker? Hattest du nicht genug Stolz, um dich notfalls totprügeln zu lassen, anstatt dich zu demütigen?« Fartuloon blickte mich ernst an. »Ich hätte mich lieber zu Tode quälen lassen, mein Junge, wenn ich nicht gewußt hätte, daß ihr mich braucht.« »Entschuldige, bitte!« sagte ich leise. »Wo sind wir eigentlich?« »Im Keller des Obelisken«, antwortete Fartuloon. »Da staunst du, was? Allerdings besteht die einzige Verbindung in einem Transmitter. Ich hoffe, die Roboter schicken uns wieder zurück.« Ich richtete mich auf und bemerkte dabei, daß ich auf einer Liege gelegen hatte, die in einem quadratischen Raum stand. Von den schwarzen Robotern war nichts zu sehen. Ich schwang mich von der Liege und sagte: »Bringt uns wieder zurück! Wir haben schon zuviel Zeit verloren.« Niemand antwortete, aber nach wenigen Sekunden füllte sich der quadratische Raum mit dem bekannten grünen Leuchten – und im nächsten Moment standen mein Pflegevater und ich im obersten Stockwerk des Obelisken. Wir atmeten beide auf. »Bitte, nicht auf den Boden spucken!« mahnte ich. »Nie wieder!« versprach Fartuloon. »Jedenfalls nicht hier«, schränkte er gleich danach wieder ein. Während wir in den Antigravlifts nach unten schwebten, berichtete ich meinem Pflegevater von dem Überfall des Jägers und seiner Flugechsen und davon, daß Ra von dem Jäger quasi entführt worden war. »Wir können nichts weiter für ihn tun, als bei dem Obelisken zu warten«, meinte Fartuloon. »Er kehrt bestimmt hierher zurück.
H. G. Ewers Dann müssen wir da sein.« Als wir den Obelisken verließen, atmete ich freier, obwohl wir uns immer noch in dem Nebelgefängnis befanden. Ra war noch nicht zurückgekehrt, und so blieb uns weiter nichts übrig, als auf ihn zu warten und uns in Spekulationen über unsere Zukunft zu ergehen. »Der Aufenthalt in diesem Nebelgefängnis muß einen Sinn haben«, erklärte ich. »Schließlich ist der Stein der Weisen dazu bestimmt, von einem Würdigen gefunden und gebraucht zu werden. Wenn wir uns richtig verhalten, kommen wir bestimmt hier wieder heraus.« »Das denke ich auch«, erwiderte Fartuloon. »Jedenfalls müssen die einzelnen Etappen auf dem Wege zum Stein der Weisen einst sinnvoll angelegt worden sein. Ob sie noch ihren ursprünglichen Zweck erfüllen, daran zweifle ich allerdings bereits seit unseren Abenteuern in der Vergessenen Positronik. Zu viele Faktoren haben im Laufe eines sehr langen Zeitraums eingewirkt.« Als wir ein schwaches Geräusch hörten, fuhren wir herum und zogen dabei unsere Impulsstrahler. Aber es war kein neuer Gegner, der aus dem Nebel auftauchte, sondern Ra. Der Wilde vom dritten Planeten einer weißgelben Sonne hinkte leicht und blutete aus einer Platzwunde am Kopf, sonst schien er unversehrt zu sein. »Wie geht es dir?« fragte Fartuloon und versorgte die Platzwunde. »Na, mit deiner Konstitution hast du dich schnell wieder erholt.« Ra antwortete nicht. »Was ist mit dem Jäger?« erkundigte ich mich. Diesmal verzog Ra das Gesicht zu einem dünnen Grinsen und beantwortete meine Frage mit einer Geste, die eindeutig verriet, daß er den Jäger getötet hatte. Ich sah davon ab, ihn wegen seines überstürzten Eingreifens zu rügen. Ra war intelligent genug, um selbst aus seinen Fehlern zu lernen. Außerdem wollte ich ihn nicht
Der Ring des Schreckens verunsichern und damit seine Eigeninitiative einschränken. »So, das wär's!« sagte Fartuloon, nachdem er Ras Platzwunde mit Biomolplast besprüht hatte. »Dein Schädel hält allerhand aus, alter Knabe. Wir freuen uns jedenfalls, daß du zurückgefunden hast.« Ra winkte ab. Er schien seine Leistung als selbstverständlich anzusehen. Mein Pflegevater blickte mich an. »Ich schlage vor, wir marschieren noch vier Stunden und legen dann eine Rast ein«, erklärte er. »Ich bin schon froh, wenn ich diesen verdammten Obelisken nicht mehr sehen muß.« Er traf Anstalten, auf den Boden zu spucken, schluckte den Speichel aber schnell hinunter, als er meinen warnenden Blick sah. »Einverstanden«, erwiderte ich. »Ich werde froh sein, wenn wir die vier Stunden hinter uns haben, ohne abermals belästigt worden zu sein.«
4. Wir waren ungefähr zwei Stunden marschiert, als wir die Kugel sahen. Sie ragte so unvermittelt vor uns auf, daß wir beinahe dagegengerannt wären – und sie lag nicht etwa auf dem Boden, sondern schwebte zirka zehn Zentimeter darüber und drehte sich langsam. »Nach dem Krümmungsgrad zu urteilen, dürfte die Kugel einen Durchmesser von etwa fünfzehn Metern haben«, meinte Fartuloon. »Und sie besteht aus einem uns unbekannten Material«, ergänzte ich, während ich versuchte, irgendwelche Unebenheiten oder Fugen zu erkennen. Die Kugel war so bleigrau wie der Nebel, der uns umgab und der mir immer stärker auf die Nerven fiel. Aber es war kein metallisches Grau, sondern ein stumpfer Farbton von einer Konsistenz, als wären Milliarden und aber Milliarden dünner grauer Fäden zu diesem kugelförmigen Gebilde verwebt wor-
23 den. Fartuloon streckte die Hand nach der Kugel aus, zog sie jedoch zögernd wieder zurück. »Vielleicht sollten wir uns gar nicht um die Kugel kümmern, sondern einen Bogen um sie schlagen«, meinte er. »Wer weiß, welche Teufelei wieder dahinter steckt.« »Sie befindet sich auf unserem Weg«, erwiderte ich. »Das könnte bedeuten, daß uns mit ihr eine neue Aufgabe gestellt wird, die wir zu lösen haben, wenn wir unseren Weg zum Stein der Weisen fortsetzen wollen.« Plötzlich versteifte sich Ras Haltung. Es sah aus, als lauschte er angestrengt. Kurz danach wandte er sich uns zu und gestikulierte heftig. »Du hast etwas gehört?« fragte mein Pflegevater. »Kam das Geräusch aus der Kugel?« Ra machte eine bejahende Geste. Fartuloon verzog das Gesicht. »Vielleicht wohnt jemand in der Kugel«, meinte er skeptisch. »Ob wir uns bemerkbar machen?« »Anklopfen könnte nichts schaden«, erwiderte ich. »Ja, aber ich werde nicht mit den Fingerknöcheln anklopfen, sondern mit dem Skarg«, erklärte Fartuloon. Er zog sein Schwert aus der Scheide und schlug mehrmals mit der flachen Klinge gegen die Kugel. Es klang, als ob man mit einem Stock gegen einen Lederball schlüge. »Elastisches Material!« meinte Fartuloon, drehte die Schwertklinge und führte einen Streich mit der Schneide gegen die Kugel. In der Wand bildete sich ein Riß. Und aus diesem Riß ertönte wenig später eine Stimme, die in reinstem Interkosmo um Hilfe rief. Mein Pflegevater schob sein Schwert in die Scheide zurück, packte die Ränder des Risses mit beiden Händen und zog sie auseinander. »Wer ist dort?« fragte er. »Und warum rufen Sie um Hilfe?« »Der Skailach!« jammerte jemand. »Der
24 Skailach hat uns gefangen. Er frißt uns, wenn wir nicht bald herauskommen.« Im ersten Moment dachte ich, wir hätten es mit einem Verrückten zu tun. Doch dann wurde mir klar, daß durchaus die Möglichkeit bestand, daß ein Lebewesen diese Kugel als Vorratsbehälter benutzte. Es gab schließlich die sonderbarsten Lebensformen in diesem Nebelgefängnis. »Wie sieht der Skailach aus?« rief ich. »Schrecklich!« erscholl die dumpfe Antwort. »Helfen Sie uns, bitte! Wir sind Beauftragte des Imperators Orbanaschol III. Sie werden reich belohnt werden, wenn Sie uns retten.« »Ich kann mir vorstellen, wie die Belohnung eines Mörders und Diktators aussehen würde«, sagte ich leise, während ich die Tatsache zu verdauen suchte, daß Orbanaschols Beauftragte vor mir im Dreißig-Planeten-Wall eingetroffen waren. Eigentlich war es aber kein Wunder, denn dem Diktator standen weitaus größere Hilfsmittel und unbegrenzte Scharen von Helfern zur Verfügung, während ich mit nur wenigen Getreuen nach dem Stein der Weisen suchte. Unter diesen Umständen erfüllte es mich natürlich mit Befriedigung, daß die Beauftragten des Diktators im Nebelgefängnis gescheitert waren. Von nun an war Orbanaschol mir nicht mehr um eine Nasenlänge voraus wie bisher. Das löste allerdings nicht mein augenblickliches Problem, denn es war ethischer Natur. So sehr ich den Beauftragten Orbanaschols ihre Niederlage gönnte, sie waren Arkoniden und sie befanden sich in Not. Ich hatte die Pflicht, ihnen zu helfen, so gut mir das möglich war. »Wir holen Sie heraus!« rief ich. »Gedulden Sie sich noch eine kurze Zeit.« Ich nickte Fartuloon auffordernd zu, und an seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, daß er meine Entscheidung guthieß. Er zog abermals das Schwert, um den Spalt in der Kugelwandung zu vergrößern. Da schrie Ra auf, packte meinen Pflege-
H. G. Ewers vater an der Schulter und zog mit so kräftigem Ruck, daß Fartuloon fünf Meter weit durch die Luft segelte. Im nächsten Augenblick schlug dort, wo er eben noch gestanden hatte, eine braunrote Säule ein, deren Ende von riesigen gelben Krallen verunziert wurde. Als ich an der Säule entlang nach oben blickte, sah ich in zirka acht Metern Höhe, halb vom Nebel verhüllt, einen etwa vier Meter durchmessenden Federkranz, aus dem zwei große runde Augen und ein riesiger gelber Hakenschnabel blickten. Der Skailach! teilte mir mein Extrasinn mit. Flieh, denn wenn du ihn mit dem Strahler triffst, begräbt er dich unter sich. Ich wirbelte herum und rannte fort. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Fartuloon und Ra sich ebenfalls zurückzogen. Der Skailach landete nun auch ein zweites Bein auf dem Boden. Es verpaßte mich nur knapp. Sekunden später stieß der federumkränzte Kopf herab. Der Schnabel hackte nach Ra, der sich dem tödlichen Zugriff nur mit einem gewaltigen Hechtsprung entziehen konnte. Ich kniete mich auf den Boden, zog meinen Impulsstrahler und feuerte auf eines der großen Augen. Fartuloon schoß im gleichen Augenblick auf das andere Auge. Plötzlich erhob sich eine Art kleiner Wirbelsturm. Staub und Federn flogen umher, und ich wurde zu Boden geschleudert. Ein hartes Kratzen und Brausen ertönte. Etwas Großes, Dunkles flog durch den in Aufruhr geratenen Nebel über mir, dann senkte es sich schräg herab und schlug ungefähr fünfzig Schritt hinter mir schwer auf. Ich erhob mich wieder auf ein Knie, zielte auf die undeutlich erkennbare Masse und feuerte, bis ihre zuckenden Bewegungen aufhörten. Es wurde unvermittelt still. »Fartuloon?« rief ich. »Ra?« Niemand antwortete. Ich stand auf und blickte mich suchend um. Da entdeckte ich den Wilden. Er kam auf mich zu und trug meinen Pflegevater über der Schulter.
Der Ring des Schreckens Besorgt eilte ich ihm entgegen. Doch als ich ihn erreichte, schlug Fartuloon eben wieder die Augen auf. »Keine Angst, mein Junge«, sagte er mit matter Stimme. »Ich habe mir nur beim letzten Sturz den Gehirnkasten leicht angeschlagen. Es wird schon besser. Sehen wir uns den toten Skailach an!« Wir gingen zu dem reglosen Lebewesen. Dort ließ Ra meinen Pflegevater von der Schulter und stellte ihn auf die Füße, dann sahen wir uns den Skailach an. Es handelte sich um ein Vogelwesen, dessen Höhe mindestens zwanzig Meter betragen haben mußte. Die Spannweite der beiden Flügel schätzte ich auf sechzig Meter. »Ein Tier«, meinte Fartuloon. »Seit wann jagen Tiere nach dem Stein der Weisen?« »Es ist kein Tier«, entgegnete ich. »Schau dir die Gerätetaschen an, die an seinen Schenkeln hängen. Ich nehme an, dort hatte der Skailach seine technische Ausrüstung untergebracht. Vielleicht wurde sie ihm gestohlen.« »Vielleicht von den Beauftragten Orbanaschols«, erwiderte Fartuloon grimmig. »Möglicherweise hat er sie nur deshalb in die Kugel gesperrt. Und uns sah er als seine Feinde an, weil wir seine Gefangenen befreien wollten.« »Fragen wir sie«, erklärte ich. »Wenn sie schuld an dem Tod des Skailachs sind, müssen sie zur Verantwortung gezogen werden.«
* Als wir zu der Kugel zurückkehrten, hörten wir aus dem Spalt wehleidiges Jammern und Schluchzen. Fartuloon verzog angewidert das Gesicht, und an Ras Miene erkannte ich, daß auch der Barbar die Beauftragten Orbanaschols verachtete. »Kommt heraus!« rief ich. »Der Skailach ist tot.« Das Jammern und Schluchzen verstummte. Doch niemand kam heraus, obwohl der Spalt in der Kugelhülle groß genug war, um
25 einen Mann durchzulassen. »Wir werden sie wohl herausholen müssen«, meinte ich und schaltete meine Brustlampe ein. »Ich werde zuerst einsteigen«, erklärte mein Pflegevater. »Falls die Kerle uns überwältigen wollen, werde ich am ehesten mit ihnen fertig.« Er schaltete ebenfalls seine Brustlampe ein, zog das Skarg und zwängte sich durch den Spalt. »Alles klar!« rief er, nachdem er ganz in der Kugel verschwunden war. »Du kannst nachkommen, mein Junge. Die Kerle denken zur Zeit an keine Hinterlist. Sie leiden noch unter den Nachwirkungen der Angst.« Ich folgte meinem Pflegevater. Im Schein unserer beiden Lampen konnte ich das Innere der Kugel recht gut überblicken. Ich sah zwei reglose Gestalten auf dem Boden liegen. Weiter hinten kauerten zwei andere Gestalten. Sie trugen, wie die beiden ersten, arkonidische Raumfahrerkombinationen, auf deren Brustteilen das Symbol des Wissenschaftlichen Forschungskommandos des Großen Imperiums prangte. Wir hatten es demnach mit Wissenschaftlern zu tun. Fartuloon untersuchte die beiden reglosen Gestalten. »Sie sind tot«, stellte er fest. »Wahrscheinlich Herzversagen infolge Schockwirkung, denn Verletzungen kann ich nicht erkennen.« Er schnüffelte betont. »Bei den anderen Burschen hat sich der Schock anders ausgewirkt. Man riecht es.« Ich versuchte, den unangenehmen Geruch, der die Kugel erfüllte, zu ignorieren. An den Gesichtern der beiden Überlebenden erkannte ich, daß sie vor Angst halb wahnsinnig waren. Wahrscheinlich waren sie lange durch den Nebel geirrt und schon dadurch zermürbt gewesen, bevor sie mit dem Skailach zusammentrafen. Meine Verachtung ihnen gegenüber verwandelte sich in Mitleid. Diese Männer waren vielleicht keine Feiglinge. Sie hatten nur so viel gelitten,
26 daß ihr Verstand ernsthaft angegriffen worden war. »Wie heißen Sie?« fragte ich. »Tuffar«, antwortete der eine, »Kirthon«, der andere. Wenigstens hatten sie ihre Namen noch nicht vergessen. Das war schon etwas wert. »Wir werden sie säubern müssen, sonst halten wir es nicht lange aus«, erklärte mein Pflegevater. Die beiden Wissenschaftler sträubten sich eine Weile, bevor sie sich von uns entkleiden ließen. Wir säuberten sie, so gut es ging, dann streiften wir ihnen die Kombinationen wieder über und brachten sie aus der Kugel. »Warum habt ihr dem Skailach die Ausrüstung gestohlen?« fragte ich sie. »Wir dachten, wir könnten mit seinen Geräten den Ring des Wahnsinns verlassen«, antwortete Kirthon. »Und dann wundert ihr euch, daß der Skailach sich dafür zu rächen versuchte!« sagte Fartuloon grimmig. »Ihr seid daran schuld, daß wir ihn töten mußten. Wo habt ihr die Ausrüstung eigentlich gelassen?« »Drei Roboter haben sie uns weggenommen«, erklärte Tuffar. »Sie haben uns auch unsere eigene Ausrüstung gestohlen. Dann tauchte der Skailach wieder auf und sperrte uns in seinen Vorratsbehälter. Wir dachten, er wollte uns fressen.« »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Er hätte euch ja gleich fressen können, wenn das seine Absicht gewesen wäre. Wie lange seid ihr schon hier?« »Die Reise geht endlos weiter«, erwiderte Tuffar. »Es ist ein Kreis ohne Ende«, ergänzte Kirthon. Damit konnte ich nichts anfangen. Der Geist der beiden Wissenschaftler schien doch stärker angegriffen zu sein, als es zuerst ausgesehen hatte. »Kreise haben es so an sich, daß sie kein Ende besitzen«, meinte Fartuloon ironisch. »Ihr müßt doch wissen, wie lange ihr hier seid.« Aber die beiden Arkoniden starrten ihn
H. G. Ewers nur verwirrt an. Es schien mir denkbar, daß ihnen der Zeitsinn abhanden gekommen war. »Ich wollte, Orbanaschol hätte sich persönlich in den Dreißig-Planeten-Wall gewagt«, erklärte ich. »Aber dazu fehlt ihm wohl der Mut. Er ist eben nur ein Mörder, der außerdem zu feige ist, um Gruppen mit abweichenden Meinungen zu dulden. Deshalb herrscht er als Diktator.« »Wer seid Ihr?« fragte Kirthon. Ich sah nicht ein, warum ich den beiden Wissenschaftlern meine Identität vorenthalten sollte. Sie konnten uns hier nicht gefährlich werden, und falls Orbanaschol später einmal von ihnen erfahren sollte, daß ich ebenfalls nach dem Stein der Weisen gesucht hatte, würde entweder er oder ich bereits im Besitz dieses kosmischen Kleinods sein, so daß es keine Rolle mehr spielte. »Ich bin Atlan«, antwortete ich. »Sohn des von Orbanaschol ermordeten Gonozal VII. und als Kristallprinz sein rechtmäßiger Nachfolger. Ich werde den Diktator stürzen und das Große Imperium neu ordnen, damit seine Bewohner wieder ein freies und würdiges Leben führen können, wie es sich für Arkoniden gehört.« Kirthon wurde blaß. »Ich bin nicht Euer Gegner, Erhabener!« stammelte er. Tuffar dagegen schien überhaupt nicht zu begreifen, was ich eben gesagt hatte. Er stierte mich nur an. »Wenn Sie sich friedlich verhalten, haben Sie von uns nichts zu befürchten«, erklärte ich. »Sollten Sie jedoch feindselige Handlungen begehen, müssen Sie die Konsequenzen tragen.« »Ich werde bestimmt nicht die Hand gegen Euch erheben, Erhabener«, sagte Kirthon. »Ich bin Wissenschaftler und kein Büttel Orbanaschols. Er hat uns in diese Hölle geschickt. Dafür verfluche ich ihn.« Ich blieb skeptisch und beschloß, gerade vor Kirthon auf der Hut zu sein. Ihm kamen die Worte etwas zu glatt über die Lippen, als daß sie überzeugend geklungen hätten. Au-
Der Ring des Schreckens ßerdem zeugte es nicht gerade von gutem Charakter, daß die Wissenschaftler dem Skailach, der schließlich ein Leidensgenosse gewesen war, die Ausrüstung gestohlen hatten, anstatt zu versuchen, sich mit ihm zusammenzutun. Ich wandte mich an Fartuloon und fragte: »Was tun wir mit den beiden Toten in der Kugel?« Mein Pflegevater zuckte die Schultern. »Wir lassen sie am besten dort. Begraben können wir sie nicht, denn der Boden ist hart wie Stahl, wie du inzwischen selbst bemerkt haben wirst.« Das stimmte. Der Boden fühlte sich wie Arkonstahl an. Gesehen hatten wir ihn allerdings nicht. Er blieb unsichtbar, so dicht wir auch mit den Augen an ihn herangingen, das heißt, wir konnten dort, wo wir den Boden unter unseren Füßen spürten, nichts als bleigrauen Nebel sehen. »Gehen wir also weiter«, sagte ich. Wir setzten uns in Bewegung und wateten durch die träge dahinziehenden Nebelschwaden. Unser Gefängnis schien sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken. Dabei wußten wir genau, daß wir uns eigentlich in jener silbernen Kugel befanden, die wir in Dovreens Pavillon gesehen hatten. Manchmal überlegte ich, ob diese Kugel sich wirklich so sehr vergrößert hatte, oder ob wir zu mikroskopischen Lebewesen geschrumpft waren, die durch das Innere einer Kugel schritten, die nicht größer als eine Männerfaust war.
* Wir waren ungefähr eine halbe Stunde marschiert, als plötzlich über uns der Nebel aufriß. Eine Art Fenster wurde sichtbar. Die beiden arkonidischen Wissenschaftler erschraken beim Anblick dieses Fensters so heftig, daß sie an allen Gliedern zitterten. Aus dem Nebel ringsum ertönten Entsetzensschreie, vermischt mit jämmerlichem
27 Heulen. Die Gefangenen des Nebels schienen sich vor etwas zu fürchten. Vielleicht kündigte das Erscheinen des Fensters ein schlimmes Ereignis an, mit dem die anderen Gefangenen schon böse Erfahrungen gemacht hatten. Wir versuchten, aus den Wissenschaftlern herauszubekommen, wovor sie sich fürchteten. Doch sie waren offensichtlich zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Drei schemenhafte Gestalten huschten in der Nähe an uns vorbei. Fartuloon rief sie an, doch sie antworteten nicht. Sie schienen sich auf der Flucht zu befinden. »Vielleicht sollten wir ebenfalls fliehen«, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß eine Flucht sinnvoll wäre«, erwiderte mein Pflegevater. »Hier kann niemand fliehen. Es hat keinen Zweck, in panischer Furcht durch den Nebel zu laufen. Das kostet nur Kraft und verwirrt den Geist.« Er hatte sicher recht. Ich musterte Ra verstohlen von der Seite. Der Barbar fürchtete sich offensichtlich auch, doch er beherrschte sich. Ich sah, wie er die Lippen zusammenpreßte und mit den Kiefern mahlte. Fartuloon und ich richteten unsere Aufmerksamkeit auf das seltsame Fenster. Bisher hatten wir darin oder dahinter nur Dunkelheit gesehen. Jetzt tauchten einige Lichter darin auf. »Sterne!« flüsterte Fartuloon. Kurz darauf wanderte ein großer gelber Sonnenball in das Fenster. Er blieb nicht lange sichtbar. An seiner Stelle erschien ein Planet. Er wirkte so, als wären wir nicht weiter als einige Millionen Kilometer von ihm entfernt – und er wurde allmählich größer, so als näherten wir uns ihm in schneller Fahrt. »Das sieht aus, als befänden wir uns an Bord eines Raumschiffs«, meinte ich. »Es sieht so aus«, erwiderte Fartuloon. »Aber wie sollten wir an Bord eines Raumschiffs gekommen sein? Wir haben doch nichts dergleichen bemerkt, oder?«
28 »Vielleicht wurden wir in der Kugel entmaterialisiert, in ein nebelerfülltes Raumschiff abgestrahlt und dort wieder rematerialisiert«, sagte ich. Tuffar schrie auf und lief davon. Kirthon wollte ihm folgen, doch Fartuloon ergriff seinen Arm und hielt ihn fest. »Von uns aus könnt ihr laufen, wohin ihr wollt«, erklärte mein Pflegevater. »Aber bevor ich dich loslasse, mußt du mir verraten, wovor ihr euch so sehr fürchtet.« Kirthon rollte mit den Augen und gab einige unartikulierte Laute von sich. Er versuchte vergebens, sich aus Fartuloons Griff zu befreien. Unterdessen war der Planet in dem »Fenster« größer geworden. Ich hatte den deutlichen Eindruck, daß wir auf ihn zurasten. Darüber, ob ich den Planeten wirklich durch ein Fenster sah oder nur auf einem Bildschirm, zerbrach ich mir nicht den Kopf. Das war unwichtig. Wichtig war für uns nur, daß der Planet, auf den wir zustürzten, genau wie Frokan aussah, jene Welt, auf der wir dem Weisen Dovreen begegnet und von ihm in die silberne Kugel verbannt worden waren. Kehrten wir nach unserer Irrfahrt nun an den Ausgangspunkt zurück? Wenn das zutraf, verstand ich allerdings die panische Furcht nicht, die die beiden arkonidischen Wissenschaftler und die anderen Gefangenen des Nebels erfaßt hatte. Ich selber fürchtete mich nicht vor einer Rückkehr nach Frokan. Im Gegenteil, dort würden wir – hoffentlich – unser Beiboot wiederfinden. Wir konnten dann entweder zur KARRETON zurückkehren oder Dovreen dazu veranlassen, mehr Informationen auszupacken. Notfalls mußten wir ihn eben unter Druck setzen; immerhin verdankten wir ihm ein paar schlimme Stunden. Erneut huschten schemenhaft erkennbare Wesen in unserer Nähe durch den Nebel. Abermals ertönten Schreie. Der Planet, auf den wir zurasten, füllte inzwischen das Fenster aus. Er wuchs weiterhin an, und bald sahen wir nur noch einen Ausschnitt der Pla-
H. G. Ewers netenoberfläche. Sie war so grell erleuchtet, daß ich annahm, daß dieser Teil zur Zeit der Sonne abgewandt war. Er empfing seine Helligkeit vom Zentrumskern unserer Galaxis. »Der See!« rief Fartuloon. Ich entdeckte die langgestreckte Fläche des Sees, auf dem wir gelandet waren, zur gleichen Zeit. Die Wasserfläche warf das Zentrumsleuchten zurück wie ein riesiger Spiegel, so daß ich die Augen zusammenkneifen mußte, um nicht geblendet zu werden. Allmählich wurde ich unruhig, denn wir stürzten noch immer mit rasender Geschwindigkeit auf den Planeten zu. Wenn wir nicht bald abgebremst wurden, mußten wir so hart aufschlagen, daß wir dabei zerschmettert wurden. Kirthon wehrte sich nicht mehr gegen Fartuloons Griff. Er starrte nur aus tränenden Augen durch das Fenster, und Speichel rann aus seinen Mundwinkeln. Plötzlich gab es einen Ruck, der uns alle zu Boden warf. Kirthon heulte auf und krümmte sich. Als ich wieder klar sehen konnte, merkte ich, daß unsere Bewegung zum Stillstand gekommen war. Und etwa zwanzig Meter vor uns formte sich in dem bleigrauen Nebel ein bläulich leuchtender Ring von etwa zehn Metern Durchmesser. Der Nebel innerhalb des Ringes verflüchtigte sich, und ich sah dahinter eine parkähnliche Landschaft, einen kleinen Ausschnitt eines Sees und weiter hinten den weißen Pavillon. »Wir sind auf Frokan!« rief Fartuloon. »Los, raus hier!« Er zog Kirthon hoch und schleppte ihn mit. Ra half meinem Pflegevater dabei, denn der Wissenschaftler sträubte sich mit Händen und Füßen. Ich lief hinter meinen Gefährten auf das seltsame Tor zu, das unser Nebelgefängnis mit Frokan verband. Als wir das leuchtende Tor erreicht hatten, ließ Fartuloon den Wissenschaftler los und meinte:
Der Ring des Schreckens »Wenn du unbedingt im Nebel bleiben willst, will ich dich nicht länger daran hindern. Ra, laß ihn los. Er soll tun, was ihm beliebt.« Der Barbar ließ ihn ebenfalls los, dann eilten wir durch das Tor. Unsere Füße versanken in weichem sattgrünem Gras. Wir wandten uns um und sahen Kirthon auf der anderen Seite des Tores. Der Wissenschaftler hatte sich auf den Boden geworfen und versuchte, tiefer in das Nebelgefängnis zu kriechen. Aber immer wieder wandte er sich um und kroch näher an das Tor heran. Er schluchzte, heulte und tobte abwechselnd. »Etwas zwingt ihn, zum Tor zu kriechen«, bemerkte ich. »Es sieht so aus«, erwiderte mein Pflegevater. »Wahrscheinlich wirkt eine hypnosuggestive Kraft auf ihn ein, ohne ihm völlig den eigenen Willen zu nehmen.« Hinter Kirthon tauchte unvermittelt Tuffar auf. Er schwankte und schritt mit halbgeschlossenen Augen auf das Tor zu. Dicht davor stolperte er über Kirthon und stürzte. Die beiden Wissenschaftler umklammerten sich und schlugen mit den Fäusten aufeinander ein, wobei sie immer wieder irre Schreie ausstießen. Dabei kamen sie dem Tor immer näher – und schließlich waren sie hindurch. Im gleichen Augenblick erlosch das Tor. Damit verschwand auch das Nebelgefängnis unseren Blicken. Es war, als hätte es niemals existiert. Die beiden Wissenschaftler ließen erschöpft voneinander ab. »Da wären wir also wieder auf Frokan«, meinte Fartuloon. Kirthon stieß ein schrilles Gelächter aus, das in hemmungsloses Schluchzen überging. Ich legte die Hand über die Augen, um die grelle Helligkeit des Zentrumsleuchtens abzuschirmen und blickte zum See. »Vielleicht ist das doch nicht Frokan«, sagte ich. »Jedenfalls liegt unser Beiboot nicht mehr am Ufer. Wenn es nicht weggebracht worden ist, befinden wir uns auf ei-
29 nem der anderen Planeten des Dreißig-Planeten-Walls.«
5. Wir ließen die beiden Wissenschaftler liegen, da wir keine Gefahren erkennen konnten, dann gingen wir zum Ufer des langgestreckten Sees. Auf unserer Seite gab es keinen Sandstrand, sondern einen schmalen Schilfgürtel. Zwischen den Halmen tummelten sich Wasservögel, und ab und zu schnellte sich ein silbrig schimmernder Fischleib aus dem Wasser. Wir spähten hinüber zu dem Pavillon, vermochten aber keine Bewegung zu erkennen. Dafür sahen wir, daß es auch dort keinen Sandstrand gab, sondern nur einen Schilfgürtel wie bei uns. Damit stand fest, daß wir uns nicht auf Frokan befanden, sondern auf einer anderen Welt des Dreißig-Planeten-Walls. Die beiden Planeten glichen sich fast völlig – aber eben nur fast. Gewisse Unterschiede stellten sich eben im Laufe der Zeit auch auf Planeten ein, die sich vielleicht früher absolut geglichen hatten. »Ohne unser Beiboot kommen wir nicht zur KARRETON«, meinte mein Pflegevater bedauernd. »Und mit unseren Armbandfunkgeräten können wir das Schiff ebenfalls nicht erreichen. Folglich sind wir weiterhin auf uns allein gestellt.« »Aber hier gibt es den gleichen Pavillon wie auf Frokan«, erwiderte ich. »Vielleicht gibt es dort auch einen Wächter mit der gleichen Funktion, wie Dovreen sie auf Frokan ausübt. Wir sollten uns dort umsehen.« Wir hatten beide während unseres Gesprächs nicht auf das geachtet, was hinter unserem Rücken vorging. Als Ra einen unartikulierten Schrei ausstieß, wirbelten wir herum und griffen nach unseren Waffen. Vor der nächsten Baumgruppe stand eine Gestalt und blickte zu uns herüber. Sie war humanoid und trug etwas, das einmal eine Kombination gewesen sein mußte, jetzt aber
30 nur noch fragmentarisch erhalten war. Ich winkte, doch die Gestalt winkte nicht zurück, sondern starrte weiter herüber. Kurz darauf tauchte zwischen den Bäumen eine zweite Gestalt auf. Sie glich der ersten, soweit sich das aus dieser Entfernung beurteilen ließ. Als wenig später eine dritte und eine vierte Gestalt auftauchten, wurde ich unruhig. Sie sahen alle so abgerissen aus wie die erste Gestalt, und ich konnte mir vorstellen, daß unsere unbeschädigte Kleidung sie zu der Überlegung veranlaßte, wie sie sich wohl in ihren Besitz setzen könnten. Doch erst, als links von uns weitere Gestalten auftauchten, die sich aus der Richtung näherten, in der der Pavillon lag, empfand ich die Fremden als akute Bedrohung. »Wir sollten darauf achten, stets ausreichend Abstand zu ihnen zu halten«, sagte ich zu Fartuloon. »Sie tragen nur primitive Waffen«, erwiderte mein Pflegevater. »Speere, Schleudern und Keulen, nicht einmal Pfeil und Bogen haben sie. Aber du hast recht, Atlan. Wir sollten einen Kampf vermeiden, um niemanden töten zu müssen.« Die Fremden am Ufer rückten langsam näher, und als sie bis auf zirka zweihundert Meter herangekommen waren, setzten sich auch die vier Personen von der Baumgruppe in unsere Richtung in Bewegung. Ich rief den beiden arkonidischen Wissenschaftlern, die noch immer erschöpft im Gras lagen, eine Warnung zu. Kirthon und Tuffar richteten sich auf. Als sie die Fremden erblickten, die sich ihnen näherten, sprangen sie auf die Füße und eilten zu uns. »Es sind Kranke!« rief Kirthon. »Wir müssen fliehen, Erhabener!« »Lassen wir sie noch etwas näher kommen«, meinte Fartuloon. »Wie meinst du das, es sind Kranke, Kirthon?« Aber weder Kirthon noch Tuffar antworteten. Sie zitterten schon wieder vor Furcht und starrten den Fremden wie hypnotisiert entgegen. Inzwischen waren diese Fremden nahe
H. G. Ewers genug, daß wir Einzelheiten erkennen konnten. Ich sah, daß sie bronzefarbene Haut und goldfarbene Haare besaßen und erinnerte mich, daß Ra von Ischtar gesagt hatte, sie hätte bronzefarbene Haut und goldfarbenes Haar gehabt. »Vielleicht sind sie mit den Varganen verwandt«, sagte Fartuloon, der demnach den gleichen Gedanken wie ich gehabt hatte. »Sie sehen schlimm aus«, erwiderte ich. Das war allerdings noch weit untertrieben. Die Bronzehäutigen sahen grauenhaft aus. Ihre Körper waren, soweit ich sehen konnte, von geschwürigen Beulen bedeckt. Teilweise hing ihnen die Haut in Fetzen vom Körper. »Sie haben zweifellos eine ansteckende Krankheit«, sagte Fartuloon. »Verschwinden wir!« erklärte ich. Wir zogen uns in die einzige Richtung zurück, die uns noch freigeblieben war. Damit entfernten wir uns zwar vom Pavillon, doch das war nicht zu ändern. Zuerst gingen wir nur langsam, als aber die Kranken mit schauerlichem Geheul zur Verfolgung ansetzten, rannten wir, so schnell wir konnten. Nach etwa fünfhundert Metern gaben unsere Verfolger auf. Sie schienen keine großen Kraftreserven zu besitzen. Aber auch Kirthon und Tuffar waren völlig außer Atem geraten, so daß wir nur langsam weitergehen konnten. Bei einigen großen Steinblöcken, die in gut überschaubarem Grasland standen, legten wir eine Rast ein. »Wir müssen später versuchen, am anderen Seeufer entlang den Pavillon zu erreichen«, sagte Fartuloon. »Leider wird es hier nachts wohl nicht dunkel, so daß man uns sehen kann. Aber wir müssen eben vorsichtig sein.« Er wandte sich an Kirthon. »Was ist das für eine Krankheit, an der die Bronzehäutigen leiden?« erkundigte er sich. »Es ist die Draudegar-Pest«, antwortete Kirthon. »Eine tödlich verlaufende Krank-
Der Ring des Schreckens heit. Da sie sehr ansteckend ist, wurden die Erkrankten auf diesem Planeten unter Quarantäne gestellt. Mehr wissen wir auch nicht.« Fartuloon und ich blickten uns vielsagend an. Wenn dieser Planet eine Quarantänewelt war, deren Bewohner an einer tödlichen Krankheit litten, mußten wir versuchen, sie so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Wenn wir erst angesteckt würden, konnten wir nicht nur die weitere Suche nach dem Stein der Weisen aufgeben, sondern alle unsere hochfliegenden Pläne begraben. Dann würde man uns nämlich auch bald begraben, falls sich jemand dazu bereitfand. Ich verstand jetzt, warum die beiden Wissenschaftler sich davor gefürchtet und sich geweigert hatten, durch das Tor auf diese Welt zu gehen. Im Nebelgefängnis waren sie zweifellos sicherer gewesen als auf einer Seuchenwelt. Ihr Sträuben hatte ihnen nichts genützt. Hypnosuggestive Zwangsimpulse hatten sie durch das Tor getrieben. Wir dagegen waren freiwillig gegangen. Ich fragte mich, ob die unbekannte Kraft uns ebenfalls gezwungen hätte, die Seuchenwelt zu betreten, wenn wir nicht aus eigenem Antrieb durch das Tor gegangen wären. Wahrscheinlich hätte man uns gezwungen. Ich hätte gern gewußt, wer »man« überhaupt war, wer die Vorgänge im DreißigPlaneten-Wall steuerte, wer hier die Regie führte. Vielleicht würden wir es erfahren, vielleicht auch nicht. Jedenfalls wurde mir klarer als je zuvor, daß der Weg zum Stein der Weisen mit so vielen Gefahren und Hindernissen gespickt war, daß auf diesem Wege eine unbarmherzige Auslese stattfand.
* Wir ruhten etwa zwei Stunden, ohne daß wir abermals Kranke gesehen hätten. Während dieser Zeit aßen wir von den Konzentraten, die sich in unseren Gürtelta-
31 schen befanden und die wir im Nebelgefängnis nicht hatten anbrechen müssen. Wir gaben auch den beiden Wissenschaftlern etwas ab, denn sie besaßen keine Vorräte mehr. Ich mußte immer wieder an den blauhäutigen Zwerg zurückdenken, der in dem Nebelgefängnis aus einem Ei geschlüpft war und sich ganz wie ein Erwachsener benommen hatte, obwohl das Auftauchen seiner Mutter – oder seines Vaters – bewiesen hatte, daß er tatsächlich nur ein Baby war. Ich fragte mich, ob seine Eltern ebenfalls auf der Suche nach dem Stein der Weisen in das Nebelgefängnis verbannt worden waren oder ob sich in dieser seltsamen düsteren Welt eigene Lebensformen entwickelt hatten. Aber wie es sich auch verhielt, die Blauen Giganten mußten extrem friedfertig sein. Die riesige Hand, auf der das Baby schließlich entschwand, hätte Fartuloon, Ra und mich mühelos zerquetschen können. An ihrer Größe gemessen mußte das Wesen, zu dem sie gehörte, mindestens achtzig Meter groß gewesen sein. Vielleicht noch größer, denn wir hatten seine Füße nicht zu Gesicht bekommen. Folglich mußten sie so weit voneinander entfernt gestanden haben, daß der Nebel sie vor unseren Blicken verborgen hatte. Ich bedauerte, daß wir keinen Kontakt mit dem Blauen Riesen hatten aufnehmen können. Vielleicht hätten wir von ihm wertvolle Informationen erhalten. Ich schrak aus meinen Gedanken auf, als mich Ra mit dem Ellenbogen anstieß. Der Barbar deutete in das Grasland hinaus. Ich sah, daß sich aus der Richtung, aus der wir gekommen waren, etwas näherte. Doch es war noch zu weit entfernt, als daß wir Genaueres hätten erkennen können. Ich sah nur, daß es sich nicht um einen Varganen handeln konnte. Als ich mich nach Fartuloon umwandte, sah ich, daß mein Pflegevater mit offenem Mund schlief. Die beiden arkonidischen Wissenschaftler schliefen zwar nicht, aber
32 sie starrten nur teilnahmslos in die Gegend. Ich riß einen Grashalm ab und kitzelte Fartuloon damit in der Nase. Der dicke Bauchaufschneider erwachte mit einem lautstarken Niesen, was Ra grinsen ließ. »Was ist los, du Bengel?« fragte Fartuloon und rieb sich die Nase heftig mit dem Handrücken. »Was sollen diese Streiche? Wirst du nie erwachsen?« »Schau dir das an!« erwiderte ich und zeigte auf das Etwas, auf das Ra mich aufmerksam gemacht hatte. Mein Pflegevater blinzelte und folgte meinem ausgestreckten Arm mit den Augen. »Es scheint etwas Metallisches zu sein«, meinte er nach einer Weile. »Vielleicht ein Verrückter, der einen Brustharnisch trägt«, sagte ich, auf Fartuloons zerbeulten Brustpanzer anspielend. Mein Pflegevater reagierte nicht auf die Anspielung, sondern spähte weiterhin angestrengt hinüber zu dem Ding. Noch immer war nicht zu erkennen, worum es sich handelte. Aber es bewegte sich weiter in unsere Richtung. »Wahrscheinlich folgt es unserer Spur«, erklärte Fartuloon. »Ich schlage vor, wir ziehen uns weiter zurück.« Es gefiel mir zwar nicht, immer wieder auszuweichen, aber ich sah ein, daß wir auf einer Seuchenwelt niemanden zu nahe an uns herankommen lassen durften, wenn wir uns nicht gezwungen sehen sollten, gegen unseren Willen auf bedauernswerte Kranke zu schießen. Nachdem Ra die beiden Wissenschaftler mit ein paar Rippenstößen aufgemuntert hatte, erkundigten wir uns bei ihnen, was dieses Etwas sein könnte, das das grelle Zentrumsleuchten wie Metall reflektierte. Aber sie behaupteten, keine Ahnung zu haben. Inzwischen hatte sich das Ding weiter genähert. Ich erkannte zum erstenmal Einzelheiten, obwohl die Reflexion die optische Wahrnehmung behinderte. »Das ist ein Fahrzeug«, erklärte ich. »Ich sehe ein Paar Gleisketten, einen Fahr-
H. G. Ewers zeugrumpf und – nein, das kann nicht sein!« Fartuloon lächelte dünn. »Was kann nicht sein, Atlan? Daß dein Fahrzeug tentakelartige Greifarme und einen Kopf besitzt, der von einem langen Tentakelhals getragen wird?« Ich schluckte. »Dann meinst du auch, es handelt sich um einen Roboter?« fragte ich. »Allerdings«, erwiderte mein Pflegevater. »Es handelt sich um einen Roboter, und dieser Roboter folgt unserer Spur. Wahrscheinlich verwendet er ein Infrarot-Suchgerät dafür. Warum er unserer Spur folgt, das darfst du mich allerdings nicht fragen.« »Vielleicht handelt es sich um eine Art Medoroboter, der die Kranken betreut«, meinte ich. Ich blickte dabei die beiden Wissenschaftler fragend an. »Nein«, sagte Kirthon. »Wir waren schon hier, aber wir haben damals von einem Medoroboter weder etwas gesehen noch gehört. Soviel wir wissen, bleiben die Kranken auf diesem Planeten sich selbst überlassen.« »Machen wir uns aus dem Staub!« forderte Fartuloon uns auf. Wir marschierten in normalem Tempo durch die Grasebene, bis wir an einen kleinen Fluß kamen. Fartuloon, der uns führte, ging in das seichte Wasser hinein und marschierte darin zirka zweihundert Meter flußaufwärts. Wir folgten ihm. Mein Pflegevater kehrte auf die gleiche Seite des Flusses zurück und schlug im Grasland einen Bogen, der uns bis auf rund hundert Meter an die Steingruppe führte, bei der wir gerastet hatten. Hier befand sich ein Schlammloch. Fartuloon blieb stehen und sagte: »Der Roboter hat die Steingruppe fast erreicht. Verhaltet euch still und legt euch hin, damit er uns nicht sehen kann. Atlan und Ra, kommt zu mir! Wir wollen beobachten, wie der Roboter vorgeht, wenn er unseren Lagerplatz findet!« Wir legten uns so ins Gras, daß wir das
Der Ring des Schreckens Gelände gerade noch überschauen, selber aber nur schwer ausgemacht werden konnten. Der Roboter schien keine Fernortungsgeräte zu besitzen, sonst hätte er uns längst angemessen und würde nicht mehr stur der Infrarotspur folgen. Er bewegte sich mit der geringen Geschwindigkeit eines Spaziergängers. Als er den Steinhaufen erreichte, blieb er stehen und tastete die Steinblöcke mit seinen metallischen Tentakelarmen ab. Anschließend fuhr er um den Steinhaufen herum. »Er sucht etwas«, flüsterte ich. »Ja, uns«, gab Fartuloon zurück. »Vielleicht ist er so programmiert, daß er für uns eine Hilfe darstellen würde, doch darauf möchte ich lieber nicht spekulieren.« »Eigentlich kann er uns doch nichts anhaben«, entgegnete ich. »Er ist zu langsam für uns, und er dürfte auch nicht immun gegen unsere Strahlwaffen sein.« »Er ist langsam, aber ausdauernd«, meinte Fartuloon. Der Roboter hatte die Untersuchung unseres Rastplatzes abgeschlossen und rollte weiter auf unserer Spur, die wir hinterlassen hatten. Uns nahm er nicht wahr. Fartuloon lächelte und meinte: »Ich schlage vor, wir folgen ihm in angemessener Entfernung. Ich möchte erleben, wie er reagiert, wenn ihn unsere Spur abermals zum Rastplatz führt.«
* Wir hatten dem seltsamen Roboter rund zweihundert Meter Vorsprung gelassen, dann waren wir ihm vorsichtig gefolgt. Es war ein eigenartiges Gefühl, einer Maschine nachzuschleichen, die mit sturer Beharrlichkeit unserer Spur folgte und sich dabei oft benahm wie ein blinder Käfer. Der Roboter rollte zum Fluß, wie wir es nicht anders erwartet hatten. Am Ufer hielt er an und tastete wieder mit seinen Tentakelarmen den Boden ab. »Eigentlich müßte das fließende Wasser die schwachen Infrarotspuren, die wir auf
33 dem Grund hinterlassen haben, längst ausgelöscht haben«, sagte Fartuloon. Seine Stimme klang aber nicht sehr überzeugt, und kurz darauf bewies uns der Roboter, daß Fartuloons Hoffnung sich nicht erfüllte. Die Maschine rollte auf genau dem Wege durch das seichte Wasser, den auch wir genommen hatten. Folglich mußten seine Spürgeräte auch noch auf minimale Infrarotspuren ansprechen, falls sie sich nicht an anderen Faktoren orientierten. »Wir folgen ihm auf dem gleichen Wege«, erklärte Fartuloon. »Dann muß er, wenn er länger auf unserer Spur bleibt, unablässig im Kreis rollen.« »Und wir müßten unablässig im Kreis gehen«, erwiderte ich. »Warten wir es ab«, meinte mein Pflegevater. Wir gingen hinter dem Roboter her, obwohl die beiden Beauftragten Orbanaschols murrten. Als wir uns erneut unserem Rastplatz näherten, sahen wir, daß auch verschiedene Varganen unserer Spur gefolgt waren. Wir entdeckten die Kranken allerdings erst, als der Roboter sich unmittelbar vor der Steingruppe befand. Plötzlich sprangen rund zwanzig Varganen hinter den Steinen hervor und griffen den Roboter mit ihren primitiven Waffen an. Natürlich prallten die geschleuderten Steine und Speere wirkungslos an der stählernen Hülle des Roboters ab. Die Maschine reagierte völlig anders, als wir es erwartet hatten. Plötzlich schossen eine Unmenge dünner Flüssigkeitsstrahlen aus dem »Kopf« des Roboters, senkten sich über die Angreifer und verfestigten sich zu zähen klebrigen Fäden, die ihre Beute umschlangen und festhielten. Ich zog meine Strahlwaffe und sprang auf, wollte auf den »Kopf« des Roboters feuern. Doch bevor ich dazu kam, hüllte sich die Maschine in einen rötlich strahlenden Energieschirm, unter dem auch ihre Beute verschwand. Ohnmächtig mußten wir dastehen und abwarten, was weiter geschah.
34 Aber für eine halbe Stunde geschah überhaupt nichts. Der rötliche Energieschirm entzog sowohl den Roboter als auch die gefangenen Varganen unseren Blicken. Was sich darunter abspielte, konnten wir nicht einmal ahnen. Dann erlosch der Energieschirm so plötzlich, wie er aufgebaut worden war. Von den Varganen war nichts mehr zu sehen. Der Roboter rollte zu dem Steinhaufen, tastete ihn abermals mit seinen Metalltentakeln ab und wandte sich dann wieder in Richtung Fluß. Langsam gingen Fartuloon, Ra und ich auf den Schauplatz des Geschehens zu. Wir waren nur noch rund fünfzig Meter davon entfernt, als wir die Varganen sahen. Sie lagen lang ausgestreckt und reglos im Gras. Auf den ersten Blick sah es aus, als schliefen sie. Doch dann entdeckten wir, daß ihre Schädel geöffnet und geleert worden waren. »Er hat ihnen ihre Gehirne genommen«, sagte mein Pflegevater erschüttert. Auch ich war zutiefst erschüttert. Die Kranken waren zwar durch die Seuche ohnehin zu einem grauenhaften Tod verurteilt gewesen. Das konnte jedoch nicht die Handlungsweise des Roboters entschuldigen. »Aber warum nur?« fragte ich leise. »Was will eine Maschine mit den Gehirnen von Lebewesen? Und wie kommt sie dazu, intelligentes Leben einfach zu vernichten?« Fartuloon machte eine Geste der Ratlosigkeit. »Vielleicht hat der Roboter die Angreifer nicht als intelligent im Sinne seiner Programmierung eingestuft«, meinte er. »Intelligenz ist ja ein sehr dehn- und wandelbarer Begriff. Intelligentes Verhalten gab es bereits, bevor die Evolution die primitivsten Gehirne hervorgebracht hatte. In diesem Sinne betrachtet, ist alles im Universum intelligent, auch die ›tote‹ Materie. Wer unter Intelligenz eine ganz bestimmte Entwicklungsstufe versteht, muß einen willkürlich gewählten Gradmesser als Maßstab anlegen.
H. G. Ewers Auf seiner Skala könnten die Varganen und auch wir durchaus als nicht intelligent gelten.« Das leuchtete mir natürlich ein. Dennoch war es meiner Meinung nach ein schwerer Mißgriff, wenn jemand oder etwas Lebewesen, die zu bewußtem Denken und zu bewußtem Erforschen der weiteren Umwelt fähig waren, als nicht intelligent einstufte. »Ob der Roboter uns ebenfalls die Gehirne genommen hätte, wenn wir ihn an uns hätten herankommen lassen?« fragte ich. »Wahrscheinlich ja«, antwortete mein Pflegevater. »Wir achten also lieber weiterhin auf Distanz. Allerdings denke ich, daß wir jetzt unsere alte Spur verlassen können. Wenn wir den See weit ausholend auf der gegenüberliegenden Seite umgehen, werden wir sicher auch einer neuen Begegnung mit Kranken ausweichen können.« »Hoffentlich«, erwiderte ich.
6. Wir waren fünf Stunden marschiert und hatten uns dabei schätzungsweise dreißig Kilometer von dem Steinhaufen entfernt, an dem die zwanzig Varganen von einem grauenhaften Schicksal ereilt worden waren. Auf den meisten anderen Planeten mit nur einem Zentralgestirn wäre es inzwischen Nacht geworden. Nicht so auf dieser Welt. Zwar war das Zentrumsleuchten vor einer Stunde »untergegangen«; dafür leuchtete uns jetzt die große gelbe Sonne des DreißigPlaneten-Walls. Inzwischen machten sich die Strapazen doch bemerkbar. Vor allem die beiden Beauftragten Orbanaschols benötigten dringend eine längere Ruhepause. Da wir sie nicht allein lassen wollten, entschlossen wir uns, eine gemeinsame Rast von mindestens vier Stunden einzulegen. Fartuloon, Ra und ich verständigten uns darüber, daß wir abwechselnd wachen wollten. Die beiden Wissenschaftler hielten wir für unzuverlässig und teilten sie deshalb nicht zum Wachen ein. Sie protestierten
Der Ring des Schreckens nicht dagegen, sondern waren innerhalb kurzer Zeit fest eingeschlafen. Fartuloon wollte die erste Wache übernehmen. Danach kam Ra an die Reihe und dann ich. Ra schlief ebenfalls bald fest. Ich dagegen lag noch lange wach und dachte über unsere Zukunft nach, die völlig im dunkeln lag. Ich konnte weder voraussehen, ob wir diesen Planeten lebend und gesund wieder verließen noch, ob wir jemals den Stein der Weisen finden würden. Orbanaschol III. würde ganz sicher etwas unternehmen, wenn seine Beauftragten nicht aus dem Dreißig-Planeten-Wall zurückkehrten. Vielleicht schickte er einen Flottenverband aus. Einem Arkoniden mit seiner Mentalität war es durchaus zuzutrauen, daß er sich mit brutaler Gewalt zu nehmen versuchte, was seine Beauftragten durch andere Mittel nicht bekamen. Gewiß würde Orbanaschol damit keinen Erfolg haben, aber er konnte unter Umständen für immer die Spur zerstören, die zum Stein der Weisen führte. Zusätzlich zu unseren derzeitigen Schwierigkeiten kam also noch der Zeitdruck. Wir mußten die nächste Spur zum Stein der Weisen gefunden haben, bevor Orbanaschol ungeduldig wurde. Die Frage war nur, wie wir sie finden sollten. Dovreen mußte das Geheimnis kennen, aber er würde es bestimmt nur unter feststehenden Voraussetzungen lüften. Bei diesen Überlegungen schlief ich schließlich doch ein. Ich erwachte, als mich jemand an der Schulter rüttelte. Als ich aufsah, begegnete ich dem Blick Ras. Der Barbar nickte mir freundlich zu. »Hat sich etwas während deiner Wache ereignet?« erkundigte ich mich – in der Hoffnung, daß Ra sich endlich zu einem Gespräch bewegen ließ. Doch wieder beschränkte der Wilde vom dritten Planeten einer gelbweißen Sonne sich auf Gesten, um mir mitzuteilen, daß es keine besonderen Vorkommnisse gegeben
35 hätte. Ich erhob mich und sah Fartuloon, der wenige Schritte neben mir lag und schlief. Seine Rechte hielt den Knauf des Skargs umklammert. Die beiden arkonidischen Wissenschaftler schliefen ebenfalls noch. Ich reckte mich, gähnte und sah mich um. Die Sonne hatte inzwischen fast den Zenit erreicht. Ihre Strahlen brannten heiß herab. Es war völlig windstill, und der Boden über der Gras- und Parklandschaft flimmerte infolge der aufsteigenden erhitzten Luft. In der Nähe lagerten drei große Grasfresser unter einem Baum, dessen schirmartige Krone den Tieren Schatten spendete. Auch unser Lager befand sich unter einem solchen Baum, sonst hätten wir es in der Hitze kaum aushalten können, obwohl auch auf den Arkonwelten ein heißes Klima herrschte. Dort konnte man sich aber jederzeit in einen vollklimatisierten kühlen Raum zurückziehen. Dieser Gedankengang regte mich zu Überlegungen an, wie es wohl derzeit auf den drei Hauptwelten der Sonne Arkon aussehen mochte. Alle drei Planeten umliefen die große weiße Sonne auf der gleichen Bahn, deren mittlere Sonnenentfernung 620 Millionen Kilometer betrug. Aber jede Hauptwelt hatte eine andere Funktion und war entsprechend gestaltet. Nummer eins, der Wohnplanet, auch Kristallwelt genannt, war an der Oberfläche als großzügig angelegte Parklandschaft gestaltet, in der die trichterförmigen Wohnbauten locker verstreut lagen, so daß es zu keinen Ballungen kam. Auf der Kristallwelt befand sich auch das Regierungszentrum, »Hügel der Weisen« genannt. Dort regierte seit rund fünfzehn Arkonjahren der Mörder und Diktator Orbanaschol III. und mit ihm regierten Brutalität und Furcht. Orbanaschol III. war nur darauf bedacht, seine persönliche Machtposition zu erhalten und weiter auszubauen. Jeder, der ihm dabei im Wege war, wurde erbarmungslos vernichtet. Unter diesen Umständen konnte das Imperium natürlich keine entscheidenden
36 Erfolge gegen die Maahks erringen. Die Folge davon war, daß der sogenannte Große Methankrieg unvermindert weitertobte, ohne daß ein Ende abzusehen war. Wäre ich Imperator gewesen, ich hätte die Imperiumsflotte so eingesetzt, daß sie den Wasserstoffatmern lokal begrenzte schwere Niederlagen zufügte. Vielleicht wären die Maahks dann bereit gewesen, Friedensverhandlungen zu führen. Doch so lange sie sich noch Chancen für einen Sieg ausrechneten, würden sie jeden Kompromiß weit von sich weisen. Die Folge davon waren ständige schmerzliche Aderlässe auf beiden Seiten. Ich fragte mich, wie es auf der Arkonwelt Nummer zwei aussehen mochte, dem Handels- und Industrieplaneten. Wahrscheinlich war er zur reinen Nachschubbasis für die Flotte und die Arkonwelten geworden. Ich hatte erfahren, daß Orbanaschol III. anstatt die Kolonialvölker des Sternenreichs für eine fruchtbare Zusammenarbeit zu gewinnen, Rohstofflieferungen wie Tribute aus ihnen herauspreßte. Welt Nummer drei, der Kriegsplanet, würde wahrscheinlich von hektischer Aktivität erfüllt sein. Die vollpositronisch gesteuerten Fertigungsanlagen stießen wahrscheinlich so viele Kampfschiffe, Roboter und Zubehörteile wie nie zuvor in der Geschichte des Großen Imperiums aus. Nur wurde dieser Zuwachs an Machtinstrumenten in erster Linie für die Ausbeutung und Unterdrückung der Kolonialvölker und der Aufrechterhaltung von Orbanaschols Gewaltherrschaft verwendet und nicht für eine aktive Friedenspolitik, die nach einem entscheidenden Schlag gegen die Flotten der Maahks hätte beginnen können. Es wurde höchste Zeit, daß Orbanaschols unheilvollem Wirken ein Ende gemacht würde. Während meiner Überlegungen hatte ich unser Lager zweimal umschritten und dabei die Umgebung sorgfältig beobachtet. Als ich mich zur dritten Umkreisung anschickte, erregte ein metallisches Glitzern und Funkeln meine Aufmerksamkeit.
H. G. Ewers Natürlich dachte ich sofort an den Roboter – und er war es tatsächlich. Die Maschine näherte sich uns aus der Richtung, aus der wir gekommen waren. Sie hatte demnach unsere Spur mit sturer Hartnäckigkeit weiterverfolgt. Mit tödlicher Hartnäckigkeit! meldete sich mein Extrasinn. Der Roboter wird auf eurer Spur bleiben, solange ihr euch auf diesem Planeten befindet – und irgendwann werden eure Kräfte erlahmen. Dann holt er euch ein. Ich weckte meine Gefährten und teilte ihnen mit, daß der Roboter uns in der nächsten Viertelstunde erreichen würde, wenn wir nicht weitermarschierten. Fartuloon zog ein finsteres Gesicht und meinte: »Wir werden jedesmal einen Gewaltmarsch machen müssen, nur um für ein paar Stunden Ruhe zu haben. Das geht nicht unbegrenzt so weiter. Atlan, wir müssen versuchen, ob wir diese Mordmaschine unschädlich machen können.« Ich stimmte meinem Pflegevater zu. Ein Versuch konnte nichts schaden, wenn wir nur darauf achteten, daß zwischen uns und dem Roboter ein sicherer Abstand blieb.
* Wir einigten uns darauf, einen Sicherheitsabstand von fünfzig Metern einzuhalten. Da die beiden Beauftragten Orbanaschols uns nicht helfen konnten, sondern eher behindert hätten, schickten wir sie zusammen mit Ra fort. Sie sollten langsam in Richtung des langgestreckten Sees gehen, der von unserem Lagerplatz zirka fünfzehn Kilometer entfernt war. Als die drei Männer gegangen waren, überprüften Fartuloon und ich unsere Strahlwaffen. Die Energiemagazine waren noch fast voll, und jeder von uns besaß fünf Reservemagazine. Inzwischen hatte sich der Roboter bis auf rund zweihundert Meter genähert. Die Grasfresser, die unter dem benachbarten Baum
Der Ring des Schreckens ruhten, äugten zu ihm hinüber, zeigten sich aber nicht beunruhigt – noch nicht. Fartuloon ging von unserem Platz zwanzig Schritt nach rechts; ich ging zwanzig Schritt nach links. Wir hielten die Impulsstrahler schußbereit und warteten. Sobald der Roboter sich dem Lagerplatz auf sechzig Meter genähert hatte, wollten wir schießen. Während die Maschine sich unerbittlich näherte, versuchte ich mir vorzustellen, welche Lebewesen sie programmiert hatten und warum sie intelligenten Lebewesen die Gehirne raubte. Schließlich mußte jede zielgerichtete Handlungsweise ein Motiv haben. Ich hatte noch keine Lösung gefunden, als der Roboter auf sechzig Meter herangekommen war. Mein Pflegevater und ich verständigten uns durch Handzeichen, dann visierten wir das Ungetüm durch die Reflexvisiere unserer Strahlwaffen an und eröffneten ein mörderisches Dauerfeuer. Aber noch bevor die lichtschnellen Strahlbahnen in den Roboter einschlagen konnten, hüllte sich die Maschine wieder in den schon bekannten rötlichen Energieschirm. Es ließ sich nicht erkennen, ob die Impulsstrahlen den Energieschirm durchdrangen oder von ihm aufgesogen wurden. Wir konnten auch den Roboter nicht mehr sehen. Doch der Energieschirm rückte mit der normalen Marschgeschwindigkeit des Roboters näher. Fartuloon und ich zogen uns im Laufschritt etwa dreißig Meter zurück, dann wandten wir uns abermals um und feuerten auf das Gebilde. Wiederum ließ sich keine Wirkung erkennen. Da aber der Energieschirm weiter vorrückte, mußte der Roboter unter ihm unversehrt geblieben sein. »So hat das keinen Sinn«, erklärte mein Pflegevater. »Unsere Waffen können dem Ding nicht schaden.« Er stellte das Feuer ein, und ich folgte seinem Beispiel. In diesem Augenblick erreichte der von seinem Energieschirm wirkungsvoll geschützte Roboter unseren Lagerplatz. Er verharrte eine Weile dort, dann setzte er sich in
37 die Richtung in Bewegung, in die Ra mit den beiden Wissenschaftlern gegangen war. »Er wählt die stärkste Spur!« rief ich Fartuloon zu. »Ich möchte wissen, was er getan hätte, wenn jeder von uns in eine andere Richtung gegangen wäre.« »Du bringst mich auf eine Idee, mein Junge!« rief mein Pflegevater zurück. »Vielleicht kann der Roboter überhaupt keiner unserer Spuren folgen, wenn jeder von uns in eine andere Richtung geht. Los, wir holen die anderen ein und sagen ihnen Bescheid!« Wir setzten uns im Laufschritt in Bewegung. Nach ungefähr zehn Minuten erblickten wir Ra mit den beiden Wissenschaftlern vor uns. Auf Fartuloons Zuruf hin blieben sie stehen und warteten auf uns. Mein Pflegevater erklärte ihnen unseren Plan. Ra zeigte seine Zustimmung durch Gesten. Die beiden Beauftragten Orbanaschols dagegen waren nicht davon begeistert. Kirthon wandte dagegen ein, daß Tuffar zu schwach sei, um auf sich allein gestellt zu bleiben. »Es ist nur vorübergehend«, erwiderte ich. »Außerdem werden wir uns nur so weit voneinander entfernen, daß jeder dem anderen zu Hilfe kommen kann, wenn es erforderlich werden sollte. Wir müssen schließlich auch weiterhin mit den Varganen rechnen.« Widerstrebend gab Kirthon sich damit zufrieden. Wir hatten auch nicht länger Zeit, zu diskutieren, denn schon war der Roboter wieder in bedrohliche Nähe gerückt. Er hatte seinen Schutzschirm wieder ausgeschaltet, deshalb konnten wir deutlich erkennen, daß unser Beschuß ihm nicht geschadet hatte. Wir liefen nach verschiedenen Richtungen auseinander, entfernten uns aber nicht allzuweit voneinander. Nach rund fünfhundert Metern blieben wir stehen und blickten zurück. Der Roboter hatte die Stelle erreicht, an
38 der wir auseinandergegangen waren. Seine Tentakel tasteten auf dem Boden herum, und der Kopf drehte sich mit dem Tentakelhals ruckweise in die Richtungen, in die wir gegangen waren. Was mochte wohl im zentralen Steuerungs- und Auswertungsteil des Roboters, dem energetisch-mechanischen Gehirn, vorgehen? War es wohl in der Lage, eine von fünf gleichwertigen Möglichkeiten willkürlich auszuwählen? Als der Roboter wieder anfuhr und in die Richtung rollte, in die mein Pflegevater gegangen war, wurde mir klar, daß wir einem Irrtum verfallen waren. Wir hatten unsere Spuren für gleichwertig gehalten, obwohl sie es nicht sein konnten. Da wir uns durch unser Körpergewicht voneinander unterschieden, mußte der Schwerere von uns die stärkere Spur hinterlassen. Folglich war für den Roboter eine Entscheidungsmöglichkeit nach logischen Gesichtspunkten gegeben. Er hatte Fartuloons Spur gewählt, weil mein Pflegevater von uns allen das größte Körpergewicht besaß, das durch den stählernen Brustpanzer noch erhöht wurde. Da zur Fortbewegung eines höheren Gewichts mehr Energie benötigt wird, äußert sich die höhere Quantität an körperlicher Verbrennungswärme naturgemäß auch in der Hinterlassung einer stärkeren Infrarotspur im Gelände. »Hier herüber!« rief ich meinem Pflegevater zu und deutete auf eine Stelle im Gelände, die wir beide erreichen konnten, ohne dem Roboter gefährlich nahe zu kommen. »Pech für mich«, sagte Fartuloon, als wir uns trafen. »Du ißt eben zuviel«, versuchte ich zu scherzen, obwohl mir nicht danach zumute war. »Ich bin nur schwerer als ihr, weil ich das bei weitem größte Gehirn von uns habe«, meinte Fartuloon. »Weißt du was? Ich werde den Roboter in die Irre führen, und ihr begebt euch inzwischen zu dem Pavillon am See. Sprecht mit Dovreen, falls es hier auch
H. G. Ewers einen Dovreen geben sollte. Vielleicht hilft er uns gegen den Roboter.« »Und inzwischen hetzt er dich bis zur totalen Erschöpfung und tötet dich«, entgegnete ich. »Nein, wir müssen uns eine bessere Lösung einfallen lassen.« Wir blickten zu der Maschine, die unterdessen die Stelle erreicht hatte, an der Fartuloon auf ihre Reaktion gewartet hatte. Langsam wendete sie auf ihren Gleisketten und schlug die neue Richtung ein. »Wenn wir nun unsere Spuren löschen?« fragte ich. »Ein breit gefächerter Strahl aus einer Impulswaffe dürfte die Infrarotspuren so überlagern, daß der Roboter sie nicht mehr aufspüren kann.« »Er würde sich auch dadurch nicht von seinem Ziel abbringen lassen«, erwiderte mein Pflegevater. »Wir können unsere Spuren schließlich nur so lange immer wieder löschen, wie die Energie unserer Waffenmagazine reicht. Danach läßt sie sich wieder anmessen.« Ich stieß eine Verwünschung aus und sagte: »Hast du gesehen, daß er sich überhaupt nicht um die Pflanzenfresser gekümmert hat?« »Das habe ich«, antwortete Fartuloon. »Offenbar legt er keinen Wert auf die Gehirne von Tieren, sondern nur auf die von höher entwickelten Lebewesen.« »Ich weiß, was wir tun!« sagte ich. »Wir gehen zum See und schwimmen hindurch. Dabei hinterlassen wir keine Infrarotspuren auf dem Grund wie beim Fluß, und die Infrarotspuren, die wir im Wasser hinterlassen, werden von der Strömung davongetragen, die vom Zufluß in Richtung Abfluß geht.« »Das ist einen Versuch wert«, meinte mein Pflegevater. Wir liefen zu unseren Gefährten, die gesehen hatten, was geschehen war, und teilten ihnen unsere Absicht mit. »Ich kann nicht schwimmen«, erklärte Tuffar kläglich. »Auch das noch!« empörte sich Fartuloon. »Orbanaschol schickt Leute auf eine
Der Ring des Schreckens gefährliche Expedition, die nicht einmal schwimmen können!« Er blickte Kirthon an. »Und du? Kannst du schwimmen?« »Einigermaßen«, antwortete Kirthon. »Ich kann Tuffar mitnehmen«, erbot sich Ra. Plötzlich bewies er wieder, daß er doch sprechen konnte. »Also gut!« entschied Fartuloon. »Vorwärts!« Es wurde höchste Zeit, denn der Roboter hatte sich unserem Standort inzwischen auf zirka achtzig Meter genähert. Mit Fartuloon an der Spitze setzten wir uns wieder in Bewegung.
* Die ersten paar Kilometer kamen wir gut voran, dann mußten wir das Tempo drosseln, weil Tuffar zurückblieb. »Reiß dich zusammen!« sagte Fartuloon zu ihm. »Wir können keine Pause einlegen. Was wir brauchen, ist ein möglichst großer Vorsprung vor dem Mordroboter.« Ra ging zu Tuffar, legte sich einen Arm des Wissenschaftlers über die Schulter und faßte ihn um die Hüfte. Dadurch konnten wir ein halbwegs gutes Tempo halten, bis wir den See erreichten. Fartuloon wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn und blickte über die spiegelglatte Fläche des Sees, die nur in der Mitte aufgerauht wirkte. Dort floß die Strömung, die der Fluß verursachte, der in der Nähe des Pavillons in den See mündete und ihn auf der gegenüberliegenden Seite wieder verließ. »Ich freue mich direkt auf das erfrischende Bad«, meinte er. »Mit deinem Brustpanzer wird es kein reines Vergnügen werden«, erwiderte ich. Mein Pflegevater lächelte, zog sein Vibratormesser und ging ins seichte Uferwasser. Dort schnitt er ausreichend Schilfstengel für ein kleines Floß ab, das er mit Plastikband zusammenfügte. »Es geht nichts über ein gut funktionie-
39 rendes Gehirn«, erklärte er. »Das Floß wird nicht nur meinen Brustpanzer tragen, sondern auch deinen Aggregat-Tornister, Atlan.« Er legte seinen Brustpanzer ab und verstaute ihn auf dem Floß. Ich tat das gleiche mit meinem Aggregat-Tornister. Nachdem wir alles festgebunden hatten, wateten wir ins Wasser. Fartuloon schob das kleine Floß mühelos vor sich her. »Hoffentlich gibt es hier keine Raubfische«, sagte Kirthon, der zögernd am Ufer stand. »Du kannst wählen«, antwortete mein Pflegevater ihm. »Entweder du gehst das Risiko ein, unterwegs von Raubfischen angenagt zu werden – oder du wirst mit absoluter Sicherheit von dem Roboter umgebracht.« »Ich glaube nicht, daß es Raubfische gibt«, warf ich ein. »Wir haben weder auf Frokan noch auf diesem Planeten Landraubtiere gesehen, sondern nur Pflanzenfresser. Das biologische Gleichgewicht auf den Welten des Dreißig-Planeten-Walls kommt wahrscheinlich ohne Fleischfresser aus. Folglich dürfte es auch keine Raubfische geben.« Kirthon warf mir einen mißtrauischen Blick zu. Als er jedoch sah, daß ich, ohne zu zögern, ebenfalls ins tiefere Wasser stieg, überwand er seine Furcht und folgte mir. Den Abschluß bildete Ra. Der Barbar trug Tuffar, bis ihm das Wasser bis zur Brust reichte, dann legte er sich auf den Rücken, faßte den Wissenschaftler unter die Arme und schwamm mit kräftigen Stößen hinaus. Wir schwammen mit ruhigen gleichmäßigen Stößen, und Kirthon hielt sich recht gut. Dennoch blieb ich in seiner Nähe, um einzugreifen, falls ihn die Kräfte verlassen sollten. Ich bewunderte Ra, der trotz seiner zusätzlichen Last, die ihn am Gebrauch der Arme hinderte, nicht zurückblieb. Als wir die Strömung erreichten, mußten wir kraftvoller schwimmen, damit wir nicht zu weit abgetrieben wurden. Mir bereitete das keine Schwierigkeiten, aber Kirthon ruderte plötzlich nur noch lahm mit Armen
40 und Beinen. »Ganz ruhig!« rief ich ihm zu. »Sie müssen so schwimmen, als wären Sie dicht am anderen Ufer!« Aber Kirthon hörte mich offenbar gar nicht. Ich sah, daß er Wasser schluckte und als Folge davon endgültig in Panik geriet. Er warf die Arme hoch und tauchte prompt mit dem Kopf unter. Ich schwamm zu ihm und wollte ihm unter die Arme greifen. Er klammerte sich jedoch verzweifelt an mir fest, so daß ich ihn mit einem Dagorgriff betäuben mußte. Mir blieb weiter nichts übrig, als den bewußtlosen Wissenschaftler abzuschleppen. Wir waren etwa fünfzig Meter abgetrieben worden, und ich strengte mich an, um endlich wieder aus der Strömung zu kommen. Als ich es geschafft hatte, schwamm ich wieder ruhiger. Rund siebzig Meter unterhalb meiner Gefährten erreichte ich das Ufer, warf mir Kirthon über die Schulter und trug ihn an Land. Dort ließ ich ihn behutsam zu Boden gleiten. Als ich mich wieder aufrichtete, flog ein großer Stein dicht an meinem Kopf vorbei und fiel klatschend ins Wasser. Ich warf mich zu Boden, zog den Impulsstrahler und blickte mich suchend um. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Fartuloon, der mir zu Hilfe kam. Im Laufen streifte er sich seinen Brustpanzer wieder über. Kurz darauf entdeckte ich den Angreifer. Es war ein Vargane, und er kroch langsam durch das Gras auf mich zu. Ich stellte meine Strahlwaffe auf breite Streuung und minimale Energieabgabe, zielte auf den Angreifer und schoß. Die abgestrahlte Energie war zu schwach, um ihn zu töten oder ernsthaft zu verletzen, aber sie versetzte ihm einen Schock, der ihn vorübergehend handlungsunfähig machte. Sekunden später mußte ich erkennen, daß er nicht allein gekommen war. Etwa fünfzehn Meter hinter ihm erhoben sich drei Varganen aus dem Gras und stürmten auf mich zu. Zwei trugen Keulen, einer hatte einen Speer, den er im Laufen nach mir
H. G. Ewers schleuderte. Ich wälzte mich zur Seite, und die Speerspitze bohrte sich einen halben Meter neben mir in den Boden. Dann feuerte ich. Zwei der Angreifer brachen mit seltsam verrenkten Gliedern zusammen. Der dritte Vargane schleuderte seine Keule nach mir, riß ein Messer aus dem Gürtel und stürzte sich auf mich. Ich wich aus, weil ich auf keinen Fall mit einem Seuchenkranken in Berührung kommen wollte. Die Keule streifte meinen Kopf. Dann brach auch dieser Angreifer zusammen. Fartuloon hatte ihn getroffen, aber ebenfalls nur mit schwacher Energie geschossen. »Danke!« rief ich. »Keine Ursache«, gab mein Pflegevater zurück. »Bist du verletzt?« Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn in diesem Augenblick sah ich, daß Ra vor etwa zwanzig Varganen floh. Er hatte Tuffar wieder über seine Schulter gelegt, und in der freien Hand trug er meinen Aggregat-Tornister. »Wir müssen ihm helfen, Fartuloon«, sagte ich. Wir eilten Ra entgegen, ließen ihn an uns vorbei und feuerten auf die Verfolger. Die Varganen ließen sich nicht abschrecken, wenn ihre Gefährten zu Boden gingen. Sie griffen so lange an, bis alle geschockt waren. Als wir uns umdrehten, sahen wir, daß Ra erneut in Bedrängnis geraten war. Rund zehn Varganen hatten einen weiten Halbkreis um ihn und die beiden Wissenschaftler gebildet und rückten mit geschwungenen Waffen vor. Ich erkannte sofort, daß die Entfernung zu groß für schwach eingestellte Impulsstrahler war. Wenn ich von hier aus Wirkung erzielen wollte, mußte ich eine tödliche Einstellung wählen. Noch aber war ich nicht dazu bereit. »Auffangen!« rief ich dem Barbaren zu, schob den Impulsstrahler ins Gürtelhalfter, schnallte den Gürtel ab und warf ihn hin-
Der Ring des Schreckens über. Ra fing ihn auf, schnallte sich den Gürtel um und zog die Strahlwaffe. Als er schoß, merkte ich, daß er die Einstellung verändert hatte. Der Impulsstrahler verschoß absolut tödliche Energie, und innerhalb weniger Sekunden waren die Angreifer tot. Ich war so entsetzt darüber, daß ich nicht schnell genug auf die folgenden Ereignisse reagierte. Plötzlich sprangen Tuffar und Kirthon auf die Füße. Kirthon hob die Keule des von Fartuloon geschockten Varganen und schlug sie auf Ras Hinterkopf. Der Barbar brach lautlos zusammen. Die Beauftragten Orbanaschols rissen meinen Aggregat-Tornister, den Waffengurt und den Impulsstrahler an sich und rannten davon. Fartuloon stieß eine Verwünschung aus und legte mit seiner Strahlwaffe auf sie an. Ich packte sein Handgelenk und sagte: »Die kriegen wir auch so, Dicker. Es hat schon genug Tote gegeben.« »Du mußt wissen, was du willst, Atlan«, erwiderte mein Pflegevater ärgerlich. »Hoffentlich weißt du auch, daß wir sie nicht blindlings verfolgen dürfen, wenn wir nicht in einen möglichen Hinterhalt der Varganen laufen wollen.« »Ich weiß«, sagte ich. »Die Verräter kommen nicht weit. Kümmern wir uns erst einmal um Ra.«
7. Der Barbar kam gerade wieder zu sich, als wir ihn erreichten. Fartuloon untersuchte seine Schädeldecke, dann meinte er: »Alles in Ordnung. Der Kerl hat einen sehr harten Schädel. Und die Kopfschmerzen, die er in den nächsten Stunden aushalten muß, gönne ich ihm.« Er blickte ihn wütend an. »Warum hast du Atlans Waffe verstellt? Es war unnötig, die Varganen zu töten.« Ra verzog das Gesicht zu einer Grimasse und erklärte mittels Gesten, daß nur ein toter
41 Feind ein besiegter Feind sei. Ich sagte gar nichts, denn ich konnte die kompromißlose Haltung des Barbaren verstehen. Auf seiner Heimatwelt endete ein Kampf eben nur mit dem Tod des Besiegten, falls ihm die Flucht nicht gelang. Wer einen besiegten Gegner am Leben ließ, riskierte, daß dieser ihn bei nächster Gelegenheit wieder angriff. »Verfolgen wir die Verräter oder gehen wir direkt zum Pavillon?« fragte Fartuloon. »Wir holen erst meine Ausrüstung zurück«, entgegnete ich. »Wer weiß, was uns im Dreißig-Planeten-Wall noch bevorsteht. Aber erst möchte ich abwarten, bis der Roboter auftaucht und sehen, was er unternimmt.« »Einverstanden«, erwiderte mein Pflegevater. Wir verließen den Kampfplatz, denn die geschockten Varganen mußten bald wieder zu sich kommen, und marschierten eine Strecke am Ufer entlang. Dabei hielten wir scharf Ausschau nach weiteren Varganen, entdeckten jedoch keine mehr. Bei einer Baumgruppe hielten wir an. Fartuloon blickte skeptisch zu dem unübersichtlichen Blätterdach hinauf, dann feuerte er mit dem auf schwache Leistung eingestellten Impulsstrahler nach oben. Aber kein geschockter Vargane fiel herab. Ra bedeutete uns durch Gesten, daß er auf einen der Bäume klettern und von der erhöhten Warte aus nach Varganen und den beiden Arkoniden Ausschau halten wollte. Fartuloon und ich hatten nichts dagegen einzuwenden. Kaum war der Barbar in dem Blätterdach des Wipfels verschwunden, rief er: »Varganen sind nicht in der Nähe, aber ich sehe die Arkoniden. Sie gehen auf eine Hügelgruppe zu.« »Danke«, erwiderte ich. »Wie gut er sprechen kann, wenn er will«, meinte mein Pflegevater ironisch. »Ich möchte bloß wissen, warum er sonst meist den großen Schweiger spielt.« »Er hat sicherlich Schweres durchge-
42 macht«, sagte ich leise. »Eines Tages wird er seine Schweigsamkeit endgültig aufgeben, da bin ich sicher. Lassen wir ihm Zeit.« Ein Zuruf Ras richtete unsere Aufmerksamkeit auf das gegenüberliegende Ufer. Wir sahen, daß der Roboter angekommen war. Er stand unmittelbar vor dem Schilfgürtel und tastete den Boden mit seinen Tentakelarmen ab. Wenig später rollte er ins seichte Wasser, bis es über seinen Gleisketten zusammenschlug. Abermals blieb er stehen. Seine Tentakel tauchten ins Wasser, als suchten sie dort nach etwas. Aber der Roboter konnte Infrarotspuren bestenfalls so weit anmessen, wie wir zu Fuß gegangen waren. Nach einer Weile setzte er sich wieder in Bewegung und rollte rückwärts ans Ufer. Dort verharrte er einige Zeit, bevor er auf der Stelle wendete und am Ufer entlangrollte. »Das nenne ich Hartnäckigkeit!« entfuhr es Fartuloon. »Der Kerl läßt wohl nicht locker, wenn er einmal eine Spur aufgenommen hat.« »Der ›Kerl‹ ist ein Roboter«, korrigierte ich meinen Pflegevater. »Deshalb ist er so stur.« Allmählich wurde ich nervös. Der Roboter hatte zwar eine Richtung eingeschlagen, die vom Pavillon wegführte. Doch das nützte uns gar nichts. Da er stur am Ufer entlangfuhr, würde er schließlich wieder auf unsere Spur stoßen und sie erneut aufnehmen. Wahrscheinlich würde er uns notfalls um den ganzen Planeten herum folgen, so lange, bis wir vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnten. »Ich bin nicht gewillt, auf derart dumme Weise umzukommen«, erklärte ich zornig. »Wir müssen diesem Spuk ein Ende bereiten, so oder so.« Der dicke Bauchaufschneider massierte seinen Nasenrücken mit zwei Fingern, dann meinte er bedächtig: »Ich werde versuchen, aus einem Energiemagazin und ein paar Teilen aus meiner Reparaturtasche eine Mine zu basteln. Wenn
H. G. Ewers sie direkt unter dem Roboter explodiert, dürfte ihm keine Zeit mehr bleiben, seinen Schutzschirm zu aktivieren.« »Fang schon an!« erwiderte ich. Mir war natürlich klar, daß es ungewiß war, ob die Sache funktionierte. Der Roboter untersuchte mit seinen Tentakelgreifern sehr sorgfältig den Boden. Dabei konnte er eine Mine entdecken. Aber andererseits blieb uns gar nichts weiter übrig, als alle Möglichkeiten auszuschöpfen, wenn wir nicht doch noch Opfer dieser Mordmaschine werden wollten. Fartuloon brauchte eine Viertelstunde dazu, die Mine zusammenzubasteln. Sie sah nicht sehr vertrauenerweckend aus, doch auf das Aussehen kam es nicht an. Hauptsache war, sie funktionierte zweckentsprechend, und bisher hatte alles, was der Bauchaufschneider gebaut hatte, funktioniert. Nun mußten wir nur noch dafür sorgen, daß der Roboter eine Spur aufnahm und verfolgte, die zu dem Platz führte, an dem wir die Mine deponieren würden. Wir gingen langsam den Weg zurück, den wir gekommen waren, nachdem Ra von dem Baum herabgeklettert war. Die geschockten Varganen hatten sich inzwischen erholt und waren verschwunden. Vorsichtshalber durchsuchten wir das Gelände in einem Umkreis von fünfhundert Metern. Erst, als wir wußten, daß es keinen neuen Hinterhalt gab, gingen wir an die Ausführung unseres Plans. Wir gingen dem Roboter, der soeben den Abfluß am unteren Ende des Sees überquerte, rund zweihundert Meter entgegen, dann bogen wir im rechten Winkel nach links ab und entfernten uns zirka dreihundert Meter vom Ufer. Dort gab es einen falschen Sandhügel, der uns ideal für die Ausführung unseres Plans erschien. In dem Sandboden ließ sich die Mine gut unterbringen, ohne daß Spuren unserer Tätigkeit zurückblieben. Überdies war der Platz gut einzusehen, so daß Fartuloon die Mine im genau richtigen Augenblick fernzünden konnte. Nachdem die Mine vergraben war und
Der Ring des Schreckens nichts mehr auf unsere Arbeit hinweisen konnte, zogen wir uns etwa hundert Meter zurück, legten uns ins warme Gras und warteten. Es dauerte eine halbe Stunde, bis der Roboter die Stelle am Ufer erreicht hatte, wo wir im rechten Winkel abgebogen waren. Wieder blieb er stehen und tastete den Boden sorgfältig ab, dann wandte er sich nach rechts und rollte auf den Sandhügel zu. Fartuloon murmelte eine Beschwörungsformel. Als ich ihn deswegen spöttisch anlächelte, zuckte er die Schultern. »Du hältst vielleicht nichts von Magie, mein Junge«, meinte er. »Aber komm nur erst einmal in mein Alter, dann denkst du vielleicht anders darüber.« »Paß lieber auf, sonst versäumst du den richtigen Moment«, gab ich zurück. Fartuloon murmelte etwas, das ich nicht verstand. Er beobachtete den Roboter scharf, und als die Maschine genau über der Mine war, gab er mit seinem Armband-Telekom den Funkimpuls. Die gesamte im Energiemagazin gespeicherte Hochenergie entlud sich im Bruchteil einer Sekunde. Der Roboter wurde von einer imaginären Faust hochgestemmt. Unter ihm strahlte eine kleine künstliche Sonne auf. Für einen Moment sah es aus, als würde es der Maschine noch gelingen, sich in einen Schutzschirm zu hüllen. Rötliches Licht flackerte auf. Doch dann barst der Roboter auseinander, glühte auf und stürzte auf den Boden zurück, der sich in glutflüssiges Magma verwandelt hatte. »Geschafft!« jubelte Fartuloon und riß die Arme hoch. Wir liefen zu dem glühenden Wrack und musterten das, was von der sturen Mordmaschine übriggeblieben war. Es war nicht viel. Die Trümmerteile waren zur Hälfte im glutflüssigen Boden versunken. Sie knackten und knisterten, als der Abkühlungsprozeß begann. Aber ein Teil des Roboters war einigermaßen erhalten geblieben. Es handelte sich um den »Kopf«. Er war bei der Explosion
43 mit einem Teil des Tentakelhalses abgerissen und fortgeschleudert worden, so daß die Glut ihn nicht hatte erfassen können. Fartuloon drehte den »Kopf« vorsichtig mit dem Skarg um, so daß die Stelle, an der die Hülle aufgeplatzt war, oben lag. Der Dicke sprang erschrocken zurück, als ein paar klebrige Fangfäden aus der Öffnung schnellten. Doch sie flogen nur einen halben Schritt weit und fielen dann kraftlos zu Boden. Wieder näherte sich Fartuloon dem Kopf. Er hielt das Skarg schützend vor sein Gesicht und spähte ins Innere des Kopfes hinein. »Dachte ich mir's doch!« sagte er. »Neuroplastleiter!« Ich runzelte die Stirn. »Neuroplastleiter?« fragte ich. »Was bedeutet das?« Mein Pflegevater richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das bedeutet, daß zumindest die Fangmechanik des Roboters von einem organischen Gebilde gesteuert wurde, wahrscheinlich von einem organischen Gehirn.« »Dann war der Roboter vielleicht gar kein Roboter, sondern eine Art Vollprothese für das Gehirn eines Lebewesens, das seinen ursprünglichen Körper verloren hatte«, meinte ich. Fartuloon blickte mich ernst an. »Höchstwahrscheinlich«, erwiderte er. »Ich kenne allerdings nur ein Volk, bei dem die Medotechnik so weit fortgeschritten ist, daß Gehirntransplantationen in eine maschinelle Vollprothese möglich wären.« »Die Aras?« vermutete ich. »Ja, die Galaktischen Mediziner von Aralon«, bestätigte Fartuloon. »Sie müssen sich ebenfalls auf der Suche nach dem Stein der Weisen befinden. Es entspricht ihrer Mentalität, daß sie dabei ihr Risiko so klein wie nur möglich halten. Wahrscheinlich haben sie nicht das Gehirn eines der ihren in den Roboter verpflanzt, sondern das eines anderen intelligenten Lebewesens, das sie vorher in ihrem Sinne beeinflußten.«
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H. G. Ewers
»Das ist ein Verbrechen!« sagte ich. »Natürlich ist das ein Verbrechen«, erwiderte mein Pflegevater. »Aber es hat bei den Galaktischen Medizinern schon immer Frauen und Männer gegeben, die vor verbrecherischen Handlungen nicht zurückschreckten, wenn sie sich davon etwas versprachen. Und die Aras sind sicher der Ansicht, daß der Stein der Weisen nur ihnen zustünde. Folglich versuchen sie alles, um ihn in ihren Besitz zu bringen.« »Das leuchtet mir ein«, sagte ich. »Doch eines verstehe ich nicht. Warum raubte der Roboter die Gehirne anderer Lebewesen, wenn er doch hinter dem Stein der Weisen her war?« Fartuloon lächelte freudlos. »Darüber werden wir wohl nie völlige Klarheit erhalten, mein Junge«, erklärte er. »Vielleicht entzog das Gehirn in dem Roboter den fremden Gehirnen ihr Wissen, um so mehr über den Weg zum Stein der Weisen zu erfahren. Vielleicht war es auch von der DraudegarPest befallen und handelte deshalb irregulär.« Er holte tief Luft. »Jedenfalls bin ich sehr froh darüber, daß wir diesem mörderischen Spuk ein Ende bereiten konnten.« Da konnte ich meinem Pflegevater nur voll beipflichten. Wir waren den gnadenlosen Verfolger los. Endlich konnten wir uns wieder unserer eigentlichen Aufgabe zuwenden. Aber vorher mußte ich mir meine Ausrüstung zurückholen.
* Ra führte uns zu der Hügelgruppe, zu der sich die beiden Beauftragten Orbanaschols gewandt hatten. Unterwegs sahen wir immer wieder Varganen. Doch sie griffen nicht an, sondern beobachteten uns nur. Ich war allerdings sicher, daß sie nur auf einen günstigen Augenblick für einen neuen Überfall warteten. Als wir den ersten Hügel erreichten, fan-
den wir die Leichen von sechs Varganen. Sie waren mit einer Energiewaffe getötet worden und lagen noch nicht lange hier. Wahrscheinlich hatten die beiden Wissenschaftler sie erschossen. Bitterkeit stieg in mir hoch. Ich konnte noch verstehen, wenn ein Barbar wie Ra seine Gegner tötete, aber die Angehörigen eines hochzivilisierten Volkes sollten eigentlich auch in Notwehr niemals das erforderliche Maß an Gewalt überschreiten. Allmählich zweifelte ich daran, daß wir Arkoniden tatsächlich das Prädikat »hochzivilisiert« für uns beanspruchen durften. Die Regentschaft eines Diktators konnte doch die Sitten nicht in großem Umfang verrohen lassen. Oder war es einfach so, daß die Massen sich manipulieren ließen, daß sie ihre Verhaltensweisen der jeweiligen Form anpaßten, in der sie regiert wurden? Wenn es so war, dann war Arkon überhaupt nicht reif genug, ein großes Sternenreich zu beherrschen. »Woran denkst du, Atlan?« fragte mein Pflegevater leise. Ich sagte es ihm. Er legte mir die Hände auf die Schultern, blickte mich ernst an und erklärte: »Wenn der Reifegrad erreicht sein wird, den du in deinen idealistischen Vorstellungen forderst, wird kein Arkonide mehr danach streben, ein Sternenreich aufzubauen oder zu erhalten. Dazu gehört nun einmal Härte gegen sich und andere, und eine solche Härte findest du nur bei Intelligenzen, die sich noch in einem stürmischen Gärungsprozeß ihrer Entwicklung befinden. Erwarte also nicht, daß du einst ein Reich von Arkoniden regieren wirst, die deinen heutigen Idealvorstellungen entsprechen.« Er lächelte und fuhr fort: »Doch gerade weil die Massen manipulierbar sind, braucht das Große Imperium einen guten Imperator wie dich, mein Junge. Es braucht jemanden, der das Böse, was in uns allen steckt, weitgehend unterdrückt, in-
Der Ring des Schreckens dem er den Arkoniden Ziele setzt, die das Gute in ihnen aktivieren. So, und nun wollen wir weitermachen.« Ra hatte mit ausdruckslosem Gesicht zugehört. Als wir uns ihm zuwandten, gab er durch Gesten zu verstehen, daß wir nach seiner Meinung die Hügel umgehen und von der anderen Seite durchkämmen sollten. Fartuloon und ich verständigten uns mit einem kurzen Blick. Wir hielten den Vorschlag für gut. Wir zogen uns in den Wald zurück, der links von den Hügeln lag. Die Bäume standen weit genug auseinander, so daß wir anschleichende Varganen rechtzeitig bemerken mußten. Ihr Blätterdach schützte uns dennoch vor den Blicken von Beobachtern, die sich auf einem der Hügel befanden. Ich rechnete jedenfalls damit, daß die beiden Wissenschaftler sich auf einem der Hügel verborgen hielten. Dort konnten sie angreifende Varganen besser abwehren als in der Ebene. Allerdings würden sie nicht länger als einige Tage dort bleiben können, denn länger reichten die Konzentrate nicht, die sich in meinen Gürteltaschen befanden. Auf einer Welt wie dieser mußten sie jagen, um zu überleben. Als wir den Wald verließen, befanden wir uns auf der anderen Seite der Hügelgruppe. Hier wuchsen ausreichend Büsche, die uns Sichtdeckung gaben. Doch die Büsche gaben auch eventuell anwesenden Varganen Sichtdeckung gegen uns. Ich spähte aufmerksam zum nächsten Hügel hinüber. Er war etwa sechzig Meter hoch. Seine Hänge trugen nur Gras, aber auf der Kuppe wuchsen mehrere große Bäume. Wenn die beiden Wissenschaftler dort oben waren, konnten sie sich verbergen und dennoch jeden sehen, der den Hügel besteigen wollte. »Das Gelände ist ungünstig für einen Angriff«, meinte ich. »Schade, daß es hier nicht Nacht wird.« Fartuloon blickte zur Hügelkuppe. »Ich könnte die Bäume dort oben mit meinem Impulsstrahler in Brand setzen«,
45 meinte er. »Dann müßten die Verräter ihren Schlupfwinkel verlassen.« »Zu spät«, sagte ich und deutete auf die Varganen, die ganz in unserer Nähe durch das Gras krochen. »Sie werden jeden Moment angreifen. Offenbar haben sie uns noch nicht bemerkt. Wenn du schießt, lenkst du ihre Aufmerksamkeit auf uns. Aber vielleicht nehmen sie uns die Arbeit ab.« Ra gab ein paar unverständliche Laute von sich und gestikulierte heftig. »Er meint, wir sollten, während die Verräter durch die angreifenden Varganen abgelenkt werden, zwischen diesem und dem Nachbarhügel hindurchstürmen und uns auf der anderen Seite auf die Lauer legen«, sagte Fartuloon. »Einverstanden«, erwiderte ich. Inzwischen hatten die Varganen den Fuß des Hügels erreicht. Auf ein Kommando sprangen sie alle gleichzeitig auf und rannten den Hang hinauf. Die beiden Beauftragten Orbanaschols hatten allerdings aufgepaßt. Sie eröffneten sofort das Feuer aus meinem Impulsstrahler. Zahlreiche Angreifer brachen tot oder verwundet zusammen. Aber noch mehr stürmten weiter den Hügel hinauf. »Los!« sagte Fartuloon. Wir liefen geduckt auf das schmale Tal zwischen den beiden Hügeln zu. Niemand schoß auf uns. Wenn die Verräter uns entdeckt hatten, hielten sie uns wohl für das kleinere Übel, und da sie nur eine Waffe besaßen, mußten sie sie gegen die akute Bedrohung einsetzen. Ungehindert erreichten wir die andere Seite des Hügels – und entdeckten zirka hundert Varganen, die sich anschickten, diesen Hang zu stürmen. Mir war klar, daß die beiden Verräter einem massierten Angriff von zwei Seiten nicht gewachsen waren. Sie würden überrannt werden. Das konnte aber nicht in unserem Interesse liegen, denn abgesehen davon, daß wir dann meine Waffe vielleicht endgültig verloren, durften wir nicht tatenlos zusehen, wie zwei Arkoniden von halbvertierten
46 Kranken niedergemetzelt wurden. Wieder verständigten Fartuloon und ich uns mit einem Blick, aber bevor mein Pflegevater das Feuer auf die Varganen eröffnen konnte, wurde es dunkel. Das kam so überraschend und unerwartet, daß sich sekundenlang keiner von uns zu rühren wagte. Erst, als von den Varganen Entsetzensschreie herüberhallten, löste sich unsere Starre. »Was ist das?« flüsterte ich. »Hier kann es doch niemals dunkel werden.« »Das ist keine natürliche Dunkelheit«, flüsterte Fartuloon zurück. »Schau dir den Himmel an.« Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Am Himmel leuchtete nicht ein einziger Stern, obwohl er eben noch wolkenlos gewesen war und sich auch nicht so schnell hatte bewölken können. Die Dunkelheit wurde künstlich erzeugt! teilte mir der Logiksektor meines Extrahirns mit. Wahrscheinlich mit Hilfe eines Energieschirms, der jede sichtbare Strahlung reflektiert. »Warten wir ab!« sagte mein Pflegevater. »Die Varganen rennen in panischer Angst davon. Wir wollen ihnen nicht gerade jetzt über den Weg laufen. Wenn sie fort sind, schleichen wir den Hügel hinauf.« »Einverstanden«, erwiderte ich. Die Finsternis war so vollkommen, daß wir einander nicht sehen konnten, obwohl wir dicht beisammen standen. Ich wunderte mich, daß Ra sich nicht rührte. Für einen Wilden wie ihn mußte das Phänomen einer absoluten Dunkelheit doch tiefverwurzelte Urängste wecken. Die Geräusche der flüchtenden Varganen wurden leiser und ließen sich schließlich nicht mehr wahrnehmen. »Beeilen wir uns!« sagte Fartuloon. »Wer weiß, wie lange es dunkel bleibt.« Wir wollten uns gerade in Bewegung setzen, als ein neues Geräusch uns an unsere Plätze bannte, ein lautes Stampfen, das in Abständen von jeweils etwa vier Sekunden erfolgte und von stoßartigen Erschütterun-
H. G. Ewers gen des Bodens begleitet wurde. »Still!« flüsterte Fartuloon. »Etwas oder jemand trampelt im Gelände herum.«
8. Das von Erschütterungen begleitete Stampfen hielt mindestens eine halbe Stunde lang an. Zuerst näherte es sich uns, dann entfernte es sich wieder. Einmal spürten wir einen starken Luftzug, der den Eindruck erweckte, als bewegte sich etwas Großes, Schweres dicht über unsere Köpfe hinweg. Wir erstarrten zu völliger Bewegungslosigkeit, und unwillkürlich hielt ich den Atem an. Wenige Minuten, nachdem das Stampfen aufgehört hatte, wurde es wieder hell. Unsere Augen, die sich an die absolute Finsternis gewöhnt hatten, schlossen sich geblendet. Ich öffnete die Lider erst ein wenig, wartete eine Weile und öffnete sie dann ganz. Die Landschaft lag wieder im hellen Licht der großen gelben Sonne – aber es war nicht mehr ganz die Landschaft, wie sie vor der Dunkelheit gewesen war. Überall im Gelände waren riesige Löcher zu sehen, zirka einen halben Meter tiefe Eindrücke von Füßen, die eine Länge von fünf und eine Breite von zwei Metern haben mußten. Die Eindrücke waren geformt wie die Fußabdrücke humanoider Lebewesen und ließen erkennen, daß der Gigant, der sich durchs Gelände bewegt hatte, an jedem Fuß fünf Zehen besaß. Ich mußte sofort an das Lebewesen denken, auf dessen Hand der blauhäutige Zwerg geklettert war, dem wir im Nebelgefängnis begegnet waren. Von der Größe seiner Hand auf die Größe seiner Füße geschlossen, mußten sie schätzungsweise derartige Abdrücke hinterlassen. »Ich nehme an, du denkst das gleiche wie ich«, bemerkte Fartuloon. »Ja, ich denke an den Blauen Riesen«, antwortete ich. »Allerdings frage ich mich, aus welchem Grund er uns einen Besuch ab-
Der Ring des Schreckens gestattet hat und warum das in absoluter Dunkelheit geschehen mußte.« »Er wird kaum unsertwegen gekommen sein«, meinte mein Pflegevater ironisch. »Aber mich interessiert auch, warum er sich nur in völliger Dunkelheit auf diesen Planeten wagte. Das Wie stellt theoretisch kein Problem dar; es setzt lediglich einen entsprechenden Aufwand an Hochenergietechnik voraus.« Ra musterte uns aufmerksam. Ich lächelte ihm zu. »Es ist alles in Ordnung, Ra«, erklärte ich. Er erwiderte das Lächeln, wurde dann wieder ernst und deutete mit fragendem Gesichtsausdruck auf die Kuppe des Hügels, auf dem sich die beiden Beauftragten Orbanaschols aufhielten. »Sie entkommen uns nicht«, beantwortete ich die unausgesprochene Frage. »Aber durch die Flucht der Varganen befinden sie sich wieder in der besseren Kampfposition. Wir müssen einen deckungslosen Hang hinaufklettern und bieten dabei natürlich vorzügliche Ziele, die auch ein schlechter Schütze nicht verfehlen kann.« »Trotzdem warten wir nicht länger«, erklärte Fartuloon. »Ihr beiden geht links und rechts um den Hügel herum; ich gehe ihn geradeaus an. Sobald ihr Energieschüsse hört, stürmt ihr hinauf. Die Verräter sind keine Kämpfer; sie werden in Panik geraten, wenn sie merken, daß sie von drei Seiten gleichzeitig angegriffen werden.« »Einverstanden«, erwiderte ich. »Aber sei vorsichtig, alter Bauchaufschneider.« Fartuloon lächelte. »Du auch, mein Junge. Und nun los!« Ra und ich liefen nach verschiedenen Richtungen. Wir hielten uns dabei dicht am Fuße des Hügels, weil ein Verteidiger, der sich auf der Hügelkuppe befand, dort nur dann auf uns schießen konnte, wenn er seine Deckung aufgab. Damit würde er aber in den Schußbereich Fartuloons geraten. Als ich den Hügel zu einem Viertel umrundet hatte, blieb ich stehen und blickte nach oben.
47 Aber dort rührte sich nichts. Es war auch noch kein Schuß gefallen, obwohl Fartuloon inzwischen seinen Hang zur Hälfte geschafft haben mußte. Sollten die Beauftragten des Diktators während der Finsternis geflohen sein? Das ist unwahrscheinlich! teilte mir mein Logiksektor mit. Sie sind nicht besonders mutig, folglich wird die Furcht sie auf ihren Platz gebannt haben. Das mochte stimmen, erklärte aber nicht, warum sie sich nicht verteidigten. Wie es sich aber auch verhielt, ich durfte nicht länger warten. Also kletterte ich den Hang hinauf. Ich hatte die Hügelkuppe noch nicht ganz erreicht, als ich von oben Fartuloons Stimme hörte. Zwar konnte ich nicht verstehen, was mein Pflegevater sagte; ich merkte jedoch, daß seine Worte nicht an mich gerichtet waren. Kurz darauf ertönte Fartuloons Stimme erneut. »Atlan, Ra!« rief sie. »Es ist alles in Ordnung. Kommt herauf!« Als ich die Hügelkuppe erreichte, standen sich Fartuloon und Kirthon gegenüber. Kirthon war blaß und ließ den Kopf hängen. Zwischen ihm und meinem Pflegevater lagen mein Aggregat-Tornister sowie mein Waffengurt. Der Impulsstrahler steckte hinter Fartuloons Gürtel. Ich blickte mich nach Tuffar um und entdeckte ihn ein paar Meter entfernt vor einem Baum. Er lag seltsam verkrampft da und bewegte sich nicht. »Er ist tot«, erklärte Fartuloon. »Ein von einem Varganen geschleuderter Stein traf ihn am Kopf.« Kirthon blickte mich an. »Vergebung, Erhabener!« sagte er flehend. »Ich habe mich von Tuffar dazu verleiten lassen, Ra niederzuschlagen und mit Eurer Ausrüstung zu fliehen.« Ich sah ihn verächtlich an, sagte aber nichts. Keinen Augenblick glaubte ich daran, daß die Initiative von Tuffar ausgegan-
48 gen war. Tuffar war zu jenem Zeitpunkt völlig erschöpft und psychisch so zermürbt gewesen, daß die Initiative niemals von ihm ausgegangen sein konnte. Ich legte meine Ausrüstung wieder an und schob die Strahlwaffe, die Fartuloon mir reichte, ins Gürtelhalfter. Danach ging ich zu dem toten Wissenschaftler, hockte mich neben ihn und musterte die Schädelverletzung. Sie war zweifellos von einem Stein hervorgerufen worden, doch ich konnte in der Nähe nirgends einen Stein entdecken. Ich erhob mich wieder und ging langsam zu Kirthon zurück. Als ich ihm scharf in die Augen blickte, senkte er den Kopf. »Wo ist der Stein?« fragte ich. »Welcher Stein?« flüsterte Kirthon. »Der Stein, der Tuffar getötet hat«, erklärte ich. »Er kann nicht abgeprallt sein, müßte also in Tuffars Nähe liegen.« »Ich habe keine Ahnung, was mit diesem Stein ist, Erhabener«, stammelte Kirthon. »Nein?« fragte ich drohend. »Ich wette, wenn wir den Hang absuchen, werden wir den Stein finden. Da er nicht von selbst so weit geflogen sein kann, muß ihn irgend jemand fortgeworfen haben. Warum wohl?« »Ich muß es unbewußt getan haben, als ich sah, daß Tuffar tot war«, sagte Kirthon. »Ganz recht«, erklärte ich. »Sie haben instinktiv reagiert und das Werkzeug fortgeworfen, mit dem Sie Ihren Gefährten ermordeten. So reagiert ein Mörder.« »Nein!« schrie Kirthon. »Warum sollte ich Tuffar umbringen, Erhabener?« fuhr er leiser fort. »Damit Sie alle Schuld auf ihn abwälzen können«, erwiderte ich. »Tote können sich bekanntlich nicht mehr verteidigen. Kirthon, Sie sind hiermit verhaftet. An Bord meines Schiffes sollen Sie eine Gerichtsverhandlung bekommen.« Ich wandte mich an Ra, der schweigend beobachtet hatte. »Feßle ihm die Hände!« sagte ich. Als der Barbar auf Kirthon zuging, stieß der Wissenschaftler einen Schrei aus, wir-
H. G. Ewers belte herum und rannte davon. Ra wollte ihn verfolgen, aber ich hielt ihn zurück. »Mit seiner Flucht hat er sowohl seine Schuld eingestanden, als auch sein Urteil über sich gefällt«, erklärte ich. »Er ist schon jetzt so gut wie tot. Wenn er nicht das Opfer der Varganen wird, rafft ihn die DraudegarPest dahin.« »Das geschieht ihm recht«, sagte Fartuloon. »Einen hilflosen Gefährten zu ermorden, um die Verantwortung an dem Verrat auf ihn abwälzen zu können!« Er spie aus.
* Wir brachen schweigend auf, nachdem wir Tuffar begraben hatten. Als wir den Hügel hinabstiegen, war von Kirthon nichts mehr zu sehen. Während des Abstiegs entdeckte ich am Hang des gegenüberliegenden Hügels ein Loch, das vor dem »Besuch« des Riesen nicht dagewesen war. Es war kreisrund und hatte einen Durchmesser von etwa drei Metern. Ich machte meine Gefährten darauf aufmerksam, und wir beschlossen, uns das seltsame Loch näher anzusehen. Seltsam war es schon allein dadurch, daß kein Bodenaushub vorhanden war. Wir kletterten den jenseitigen Hang hinauf, dann schalteten Fartuloon und ich unsere Lampen ein und leuchteten in die Höhlung hinter dem runden Loch. Die Höhlung entpuppte sich als eine Röhre mit unebener Wandung. Vor allem die Stollendecke war stark gewellt; sie wies vier breite, parallel verlaufende Rillen aus. Fartuloon ballte seine rechte Hand zur Faust und musterte sie mit vielsagendem Blick. Ich wußte was er damit andeuten wollte. Wenn er in der Lage wäre, mit seiner Faust einen Stollen ins Erdreich zu rammen, dann würde die Decke des Stollens ebenfalls vier parallel verlaufende Rillen aufweisen. Der Riese mußte den Stollen also auf die-
Der Ring des Schreckens se Weise geschaffen haben. Doch niemand baut einen Stollen, wenn er nicht einen bestimmten Verwendungszweck im Auge hat. Auch der Riese würde seine Faust bestimmt nicht nur zum Spaß rund fünfzehn Meter tief in den Boden gerammt haben. Wir ließen die Lichtkegel unserer Lampen von der Wandung des Stollens zu seinem Ende wandern, und wir waren nicht verwundert, als wir dort statt festgestampften Erdreichs eine schaumige gelbliche Masse sahen. Fartuloon und ich forderten Ra auf, am Eingang des Stollens Wache zu halten, damit wir nicht von Varganen überrascht wurden. Dann drangen wir zum Ende des Stollens vor. Die schaumige gelbliche Masse erwies sich als steinhart. Als wir die Lampen aus den Magnethalterungen nahmen und dicht gegen die schaumige Wand hielten, enthüllte ihr Licht die schattenhaft erkennbaren Formen von drei Eiern. »Sie sind von der gleichen Größe wie das Ei, aus dem im Nebelgefängnis der blauhäutige Zwerg schlüpfte«, sagte ich beinahe andächtig. »Stimmt«, bestätigte mein Pflegevater. »Das könnte bedeuten, daß die Blauen Riesen sich nicht in dieser Nebelwelt entwickelten, sondern auf einem der dreißig Planeten. Deshalb müssen sie wahrscheinlich ihre Eier in den Boden eines Planeten legen.« »Aber der Zwerg schlüpfte in der Nebelwelt«, wandte ich ein. »Vielleicht werden die Eier hier nur angebrütet und später wieder abgeholt«, erwiderte Fartuloon. »Oder die Riesen versuchen, ihr Geschlecht auch außerhalb ihrer Ursprungswelt zu verbreiten«, meinte ich. »Möglicherweise rechnen sie damit, daß die Bewohner der betreffenden Planeten das nicht gern sehen würden und legen die Eier deshalb im Schutze einer künstlich erzeugten absoluten Finsternis.« »Das wäre denkbar«, sagte Fartuloon.
49 »Aber leider sind wir nicht hier, um das Rätsel der Blauen Riesen zu lösen, sondern um eine Spur zum Stein der Weisen zu finden.« Ich seufzte. »Du hast recht, Dicker. Immer, wenn es interessant wird, hindern uns Pflichten daran, das Objekt unseres Interesses zu erforschen.« Wir verließen den Stollen wieder und gingen in Richtung des Pavillons. Insgeheim hatte ich gehofft, daß auch auf diesem Planeten ein Dovreen auf einer Liege vor dem Pavillon liegen würde. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Kein Dovreen war zu sehen. Dicht vor dem Pavillon blieben wir stehen. »Was nun?« fragte Fartuloon. Er blickte mich dabei so eigentümlich an, daß ich erkannte, er erwartete eine ganz bestimmte Antwort von mir. Ich lächelte und deutete auf die Wand des Pavillons. »Auf diesem Planeten kenne ich nur ein einziges Ziel: das Innere dieses Bauwerks«, antwortete ich. »Nur hier können wir einen Hinweis darauf finden, was wir als nächstes zu tun haben.« »Das denke ich auch«, meinte Fartuloon zufrieden. »Wir wollen hoffen, daß sich die Wand für uns ebenso öffnet wie in dem Pavillon auf Frokan für Dovreen.« »Es kommt auf einen Versuch an«, sagte ich und ging auf die Wand zu. Mein Pflegevater hielt sich neben mir. Seine Rechte lag auf dem Griff seines Schwertes, als wollte er uns mit dieser Berührung vor den Auswirkungen Schwarzer Magie beschützen. Ra ging unmittelbar hinter uns. Als Fartuloon und ich nur noch einen Schritt von der fugenlosen Wand des Pavillons entfernt waren, löste sich ein torgroßer Teil auf. Wir schritten hindurch und befanden uns in einem Korridor, der ebenfalls dem Korridor in dem Pavillon auf Frokan glich. Als wir weitergingen, merkten wir, daß auch
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hier die Kürze des Korridors eine optische Täuschung war. Und auch hier war die Luft eiskalt. Nach rund zweihundert Metern hatten wir das Ende des Korridors erreicht. In der Abschlußwand bildete sich ein fahles Leuchten – genau wie auf Frokan. Ohne zu zögern, traten wir in das fahle Leuchten – und befanden uns in einer Halle, deren bleigraue Wände zurückzuweichen schienen – und in der Mitte der Halle schwebte ein undefinierbares schwarzes Etwas. »Trete näher!« sagte eine hohl klingende Stimme. Neben dem schwarzen Etwas stand plötzlich, als wäre er aus dem Nichts erschienen, der Weise Dovreen. Er streckte die Hand nach dem Etwas aus, und es wurde durchsichtig. Fartuloon holte tief Luft, als er die faustgroße, silberfarbene Kugel über dem Boden schweben sah. »Das verdammte Ding!« stieß er halblaut hervor. Dovreen sagte nichts mehr. Er ließ seinen Arm wieder sinken und wandte sich zum Gehen. Ich blickte ihm nach. Es war nicht der Dovreen, dem wir auf
Frokan begegnet waren. Dieser hier war von der Draudegar-Pest gezeichnet. Plötzlich ahnte ich, was die Beauftragten Orbanaschols gemeint hatten, als sie von einer »endlosen Reise«, einem »Kreis ohne Ende« und einem »Ring des Wahnsinns« gesprochen hatten. Offenbar mußte jeder, der einmal von einer dieser Kugeln eingefangen wurde, auf immer von Welt zu Welt durch den DreißigPlaneten-Wall reisen, ohne eine Chance, diesem teuflischen Kreis wieder zu entfliehen, denn wohin er auch immer kam, wartete als einzige Fluchtmöglichkeit nur wieder eine Kugel auf ihn, mit der er zum nächsten Planeten dieses Systems befördert wurde. Ich überlegte noch, ob wir uns nicht lieber von der Kugel zurückziehen sollten, um die Reise hier zu beenden, da dehnte sich das silberfarbene Gebilde lautlos aus und verschlang Ra, Fartuloon und mich. Und wieder umgab uns bleigrauer Nebel, aus dem die Schreie Verzweifelter hallten …
ENDE
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