Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 566 Die Landschaft im Nichts
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 566 Die Landschaft im Nichts
Der Schalter von Peter Griese Das Ende der Landschaft im Nichts Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den August des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL entscheidende Impulse zu positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff viele Lichtjahre zurückgelegt, und unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, hat längst eine Normalisierung des Lebens an Bord stattgefunden. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe. So geschieht es auch, als die SOL auf dem Flug nach Ploohnei in ein MiniUniversum verschlagen wird, wo die Solaner vernichtet werden sollen. Die Szene dieser geplanten Vernichtungsaktion ist die Landschaft im Nichts. Das ausführende Organ dieser Aktion ist DER SCHALTER …
Die Hauptpersonen des Romans: Oggar, Sternfeuer und Cpt'Carch - Das Multibewußtsein im Kampf gegen die Macht von Hidden-X. Atlan, Sanny und Bjo Breiskoll - Ihre Bewußtseine werden von ihren Körpern getrennt. Hapeldan - Ein abtrünniger Molaate. Breckcrown Hayes - Der High Sideryt geht daran, eine Sonne zu zerstören.
1. Ich hatte meinen Körper wieder. Die schreckliche Zeit in dem Gefängnis aus blankem Nickel, aus dem es ohne fremde Hilfe kein Entkommen gegeben hätte, war vorbei. Die Leiden, die mein Bewußtseinsverbund hatte ertragen müssen, waren vergessen. Jetzt galt es zu handeln. Atlan und seine Begleiter waren ebenfalls in der Gefangenschaft des Schalters gewesen. Noch fehlte mir der HORT. Aber ich war sicher, daß Insider mit ihm außerhalb dieser fremdartigen Daseinsebene warten würde, bis er auch in die Geschehnisse eingreifen könnte. Neben mir stand Atlan, von dem ich aus den Erinnerungen Sternfeuers und Cpt'Carchs schon eine recht genaue Vorstellung hatte. Sein wahres Erscheinungsbild übertraf jedoch meine Erwartungen. Dieser Mann strahlte etwas Undefinierbares aus. Eine wichtige Komponente seines Ich war ein unbändiger Wille. Der lange Weg, den ich gegangen war, auf den mich Fastrap geschickt hatte, hatte seinen Sinn gehabt. Das erlebte ich mit jeder Faser meines eigenen Bewußtseins, an das sich die Geister meiner beiden Partner so eng klammerten, als wären alle drei eins. Die SCHNECKE bot nur Platz für zwei Personen. Ohne Zögern war meine Wahl auf den Arkoniden gefallen. Er war mehr als nur
eine Schlüsselfigur in diesem Kampf gegen den Schalter und die Macht hinter dem abtrünnigen Molaaten die auch ich Hidden-X nannte. Die neuen Erfahrungen der letzten Stunden waren überwältigend. Am schnellsten gelangten noch die Informationen in mein Multibewußtsein, die Sternfeuers Anteil von ihrem Zwillingsbruder Federspiel empfing, sowie die Schreckensnachricht, die Bjo Breiskoll mir zukommen ließ. Das Mnemodukt II hingegen benötigte mehr Zeit, um von seinen Erlebnissen auf der SOL zu berichten. »Meine Leute dort unten sind in höchster Gefahr«, erklärte Atlan. »Wenn der Zentralkegel mit seinen Waffen zuschlägt, ist es für die Wehrlosen zu spät.« Er hatte recht, der Arkonide, obwohl er nur seine wenigen Begleiter meinte, die ich vor wenigen Minuten befreit hatte. Federspiel, Solania, Lyta und die anderen kauerten unweit hinter einem natürlichen Hügel und warteten darauf, was sich weiter ereignen würde. Sie waren in Gefahr, das stimmte. Aber die eigentliche Gefahr lag an einer ganz anderen Stelle. Bjo Breiskolls Gedanken hämmerten über Sternfeuer in mein Multibewußtsein. Hidden-X hatte sich gemeldet und dem Schalter Hapeldan befohlen, sofort die Landschaft im Nichts abzuschalten! Das war die eigentliche Gefahr! Zwar wußte ich von meinem Mnemodukt, daß nur eine geringe Anzahl Solaner in Wirklichkeit auf dieser künstlichen Welt weilten. Es mochten rund 260 Personen sein. Alle anderen Figuren waren Roboter, geschickt getarnt. Trotz dieser mit technischen Maßstäben gesehenen primitiven Tarnung war es gelungen, den Schalter damit zu täuschen. Ich lernte schnell und machte mir eine Erfahrung zu eigen, die auch der Arkonide schon gemacht hatte. Gegen Wesen wie es Hidden-X und seine Werkzeuge darstellten, hatte nur das Einfache,
manchmal geradezu das Primitive, eine Erfolgschance. »Die SOL muß alarmiert werden«, verlangte Atlan. »Vorlan Brick wartet mit einer Jet jenseits der Berge. Er könnte meine Leute aufnehmen. Sie müssen von hier weg.« Ich überließ Sternfeuer meinen Körper. Sie betätigte die Funkeinrichtungen der SCHNECKE. Der Kontakt zu dem Piloten der SOL kam sofort zustande. Atlan selbst sprach in den Mikrofonring und gab seine Anweisungen. Als er mir den Mikrofonring zurückreichte, erklärte ich ihm, was in dem Zentralkegel geschehen war. »Abschalten?« Atlan zog die Stirn kraus. »Das bestätigte meine Annahme. Die Landschaft im Nichts ist ein künstliches Gebilde.« Mein Multibewußtsein korrespondierte kurz mit dem Mnemodukt, während ich gleichzeitig einen weiteren Funkspruch aus dem Sender jagte, den Breckcrown Hayes sogleich bestätigte. Ich wußte nicht, wie lange Breiskoll den Schalter noch aufhalten konnte. Es mochten Minuten sein. Mehr Zeit hatten wir bestimmt nicht. Atlan und mir drohte keine unmittelbare Gefahr, denn in der SCHNECKE mit ihren Versorgungssystemen waren wir sicher. Gegen die Waffen des Zentralkegels konnten wir allerdings nichts ausrichten. Atlans Leute würden von Vorlan Brick aufgenommen werden. Auch hier war es fraglich, wie der Schalter auf das Auftauchen der Space-Jet reagieren würde. Die SOL leitete jetzt bestimmt schon die Evakuierung aller Menschen von der Landschaft im Nichts ein. Dieser Vorgang würde die meiste Zeit benötigen, zumal ich nicht genau über die Möglichkeiten Bescheid wußte, die dem High Sideryt zur Verfügung standen. Zeit! Das war das zentrale Problem. Nur wenn Hapeldan aufgehalten werden konnte, hatten alle Beteiligten eine reelle Überlebenschance.
Ich erklärte dem Arkoniden die Zusammenhänge. Der nickte nur stumm und starrte auf den knapp zwei Kilometer entfernten Zentralkegel. »Ich muß den Wahnsinnigen aufhalten«, erklärte ich. »Hapeldan ist schlechter, als du es dir vorstellen kannst. Aber er ist nicht unfehlbar.« Ich lenkte die SCHNECKE zu Boden, so daß sie der direkten Sicht des Zentralkegels entzogen war. »Was hast du vor?« fragte mich der Arkonide. »Kommst du mit meinem Schiff klar?« Ich deutete auf die wenigen Kontroll- und Steuerelemente. »Was hast du vor?« wollte Atlan noch einmal wissen. Meine Frage hatte er übergangen. »Nur ich kann Hapeldan aufhalten. Er ist allein. Gammler ist keine echte Hilfe, eher eine Schaltstation für die Befehle des Schalters an die Einrichtungen des Zentralkegels. Er hat Angst, und er braucht selbst Hilfe. Hidden-X hat ihm gedroht. Noch hofft der verräterische Molaate, daß er seine Haut retten kann. Das allein macht sein Zögern verständlich. Aber auch Hidden-X selbst kann ihm zuvorkommen. Er steuert über den Nickelspiegel in der Sonne Super die Energien und die Basiswerte für die Landschaft im Nichts. Der Zentralkegel Hapeldans trägt nur nach den dort gesammelten Informationen für die Feinwerte und die Einzelheiten bei.« »Woher weißt du das?« Atlans Stimme klang mißtrauisch. »Durch mich«, antwortete ich mit Sternfeuers Stimme. Das stellte den Arkoniden zufrieden. »Was hast du vor?« »Mein Plan ist einfach, aber ich würde viel Zeit verlieren, um ihn dir zu erklären. Du mußt mir vertrauen«, bat ich. Atlan übernahm die Steuerung der SCHNECKE und bekundete damit sein Einverständnis. »Es wird nur noch Sekunden dauern, dann ist Brick hier«, sagte ich. »Dann muß ich bei Hapeldan sein, sonst sind er, die Jet, deine
Leute und alle Solaner verloren.« »Was soll ich tun?« fragte Atlan dumpf. »Setze mich in unmittelbarer Nähe des Zentralkegels ab«, bat ich. »Ich bin mir sicher, daß Hapeldan mich an Bord holt, wenn er mich sieht.« »Und was soll ich tun?« »Du hast freie Hand in jeder Beziehung, Atlan.« Der Arkonide startete.
* Mein Körper! Nicht nur, daß ich ihn wiederhatte. Nun sollte er zu meinem Werkzeug werden, zu einem Täuschungsmittel gegen den Schalter. Bevor ich mit Sternfeuer und Cpt'Carch zu einem Multibewußtsein geworden war, war ich ein Pers-Oggare gewesen. In meinen persönlichen Gedankengängen, die ich unabhängig von dem Bewußtseinsverbund gelegentlich noch führte, fühlte ich noch so. Damals auf Vasterstat, meiner Heimatwelt, hätte man mich eher für eine Pflanze gehalten. In der Tat stammten die Pers-Oggaren von den Pflanzen ab. Heute war ich wahrscheinlich der einzige PersOggare, den es im ganzen Universum noch gab. Auf Vasterstat hatte ich meinen richtigen Körper verloren. Durch Fastrap, meinen Lehrmeister, hatte ich etwas von dem gelernt, was er einmal eine körperlose Existenz genannt hatte. Das war vor Jahrtausenden gewesen. Inzwischen besaß ich einen neuen Körper, den eines ehemaligen Feindes, den ich ausgelöscht hatte, als er mich vernichten wollte. Dieser Körper war mit großer Wahrscheinlichkeit nach dem Vorbild der Solaner gebaut worden. Überhaupt war ich davon überzeugt, daß der Schalter seine Informationen fast ausschließlich
aus der Existenz der SOL gewonnen hatte. Mir war das in Anbetracht der augenblicklichen Umstände sehr recht, denn äußerlich unterschied ich mich nur wenig von einem Solaner. Freilich sah man mir auf den ersten Blick an, daß dies der Körper eines Androiden war. Zu glatt und ebenmäßig waren die sichtbaren Partien, die die Nachahmung der Haut darstellten. Außerdem war diese Hülle meines Körpers im Normalzustand weiß. Wenn mein gemeinsames Bewußtsein den geistigen Befehl über die Transmissionsstrecken des Körpers zu den Aggregaten gab, verhärtete sich diese Haut. Sie blieb dann noch elastisch, aber sie war für normale Handfeuerwaffen unzerstörbar. Anfangs war es mir ein Rätsel gewesen, warum die Haut dann fahlrosa und hellgrün schimmerte. Inzwischen wußte ich aus den Berichten Sternfeuers, daß diese beiden blassen Farben eine besondere Bedeutung haben mußten. Ein geheimnisvolles, eiförmiges Wesen, das die Solaner Chybrain nannten, schimmerte in diesen Farben. Atlan hatte bei seinen Abenteuern im Ysterioon mit einem ähnlichen Phänomen zu tun gehabt. Hidden-X hatte einen Klumpen Jenseitsmaterie auf Atlan gehetzt, der in den gleichen Farben geschimmert hatte. Für mich bestand also kein Zweifel daran, daß die Hülle meines Körpers aus einer ähnlichen Substanz bestehen mußte. Was sich wirklich hinter den zartrosa und blaßgrünen Stoffen verbarg, blieb unklar, denn eine analytische Untersuchung mit Hilfe von Insider und dem Mnemodukt I meines HORTS war ohne Resultat geblieben. Im Normalzustand jedenfalls unterschied sich meine Haut chemisch und physikalisch nicht von zähem organischem Plasma. Mein Körper bestand in der Masse aus sinnvoll angeordneten Maschinen in Mikrobauweise. Die Zwischenräume waren mit organischem Plasma ausgefüllt, und da die Verbindungen zwischen den einzelnen Aggregaten elastisch waren, konnte ich diesen
künstlichen Leib fast nach Belieben bewegen. An Schnelligkeit übertraf ich sogar den Insider. Der wichtigste Bestandteil meines Innern war das Mnemodukt II. Dabei handelte es sich um eine Positronik in Mikrostruktur – ein Hochleistungsaggregat, das im Notfall den Körper auch allein lenken konnte. Es besaß allerdings nur eine künstliche Intuition und war daher jedem Lebewesen haushoch unterlegen. Ich benutzte es als Gesprächspartner, als logische Maschine und zur automatischen Steuerung der Körpervorgänge, um die ich mich nicht kümmern konnte oder wollte. Als mein Multibewußtsein auf diesen Körper gestoßen war, war nicht nur ein anderer Geist in ihm gewesen. Auch das Mnemodukt hatte eine ganz andere Programmierung besessen. Diese war jedoch in ihrem funktionellen Teil gelöscht worden. Die Erinnerungsspeicher hingegen waren nur abgeblockt. Das Mnemodukt II besaß ohne meinen Willen keinen Zugriff mehr zu seinem früheren Wissen. Das sollte sich nun als ein entscheidender Vorteil erweisen. Mein Bewußtsein, das ja eigentlich aus drei verschiedenen Anteilen bestand, hatte seinen Sitz dicht unter der Schädeldecke in den Poti-Blocks. Die drei Komponenten klammerten sich auf Grund einer natürlichen Affinität aneinander und bildeten so eine Einheit. Nur selten noch sprachen Sternfeuer, Cpt'Carch oder ich für uns allein. Wir waren eins, und wir fühlten alle eins, und wir handelten als eins. Das machte uns stark, denn die Denk- und Handlungsprozesse verliefen viel schneller als bei einem normalen Menschen oder PersOggaren. Allerdings muß ich zugeben, daß es eine lange Zeit der Übung bedurft hatte, bis wir unsere Fähigkeiten koordiniert einsetzen konnten. Heute war es so, daß ein Gedanke, den Sternfeuer mit ihrem
telepathischen Bewußtsein auffing, uns allen zur gleichen Zeit bekannt war. Die Ansprache des Mnemodukts durch mein Gesamtbewußtsein erfolgte ebenfalls ohne Zeitverluste. In dem Augenblick, in dem diese Gedanken entstanden, waren sie auch in dem Mnemodukt II. Unsere körperlose Einheit und die kleine Maschine in der Bauchhöhle bildeten in dieser Hinsicht einen untrennbaren Verbund, der nur in Extremfällen durch meinen Willen unterbrochen werden konnte. Bei dem Eindringen in die abgekapselte Raumzone, in der sich die Landschaft im Nichts befand, war diese Trennung durch die Vorgänge im Innern der künstlichen Sonne Super notwendig geworden. Danach war mein körperloses Multibewußtsein in eine Falle des Schalters gerannt. Immerhin, der Solaner Bjo Breiskoll hatte mich befreit. Die Energien des Mikromateriewandlers, der seinen Platz im Brustkorb hatte, pulsierten wieder durch meinen Körper. Jetzt konnte ich handeln. Wenn es sein mußte, 250 Jahre lang, denn ich benötigte keinen normalen Schlaf, und die Energiezelle selbst mußte erst in 250 Jahren ausgewechselt werden. Meine Hände glitten über die hellblaue Kombination aus festem Kunststoff, die nur die Kopfpartie frei ließ. Der Helm, der mir noch einen zusätzlichen Schutz verleihen konnte, lag noch auf dem Boden der SCHNECKE. Ich fühlte eine tiefe Zufriedenheit, weil ich nach der Zeit der Gefangenschaft und der Trennung von meinem Körper wieder über diesen verfügte. Mein Körper! Eigentlich war es ein Hohn, daß ich gedanklich von meinem Körper sprach. Freilich war ich der alleinige Herr über ihn, aber das war ja nicht immer so gewesen. Auch wußte ich nichts Genaues über die Herkunft dieses Androidenleibs. Wahrscheinlich hatte der Schalter oder sein Herr
Hidden-X dieses einmalige Kunstwerk entstehen lassen. Das stand mit großer Wahrscheinlichkeit fest. Auch hatte es ein Bewußtsein in diesem Körper gegeben, das sich Waggaldan genannt hatte. Waggaldan war tot. Die Programmierung des Mnemodukts war verändert worden. Ich beherrschte jetzt mit dem Multibewußtsein dieses herrliche Instrument. Meine Hand tastete über die haarlose Schädeldecke, als könnte ich mich selbst dort drinnen in den Poti-Blocks fühlen. Cpt'Carch, der sich durch unseren Verbund erstmals in seinem Leben geboren fühlte, sandte mir einen ärgerlichen Gedanken zu. Sein Anteil wollte, daß ich mich nun auf die entscheidenden Dinge konzentrierte. Ich gab seinem Verlangen nach, zumal ich über die optischen Sensoren sah, daß Atlan die SCHNECKE fast bis an jenen imaginären Sperrgürtel heranmanövriert hatte, der den ganzen Zentralkegel des Schalters umgab. Ich mußte schnell handeln. Mit zwei Handgriffen setzte ich den Helm auf und griff nach einem kleinen Funkgerät aus der Ausrüstung. Auf Waffen aller Art verzichtete ich ganz bewußt. »Bis später, Atlan«, stieß ich hervor und öffnete das Luk. »Ich springe vor dem Sperrgürtel von Bord.« Der Arkonide wendete die SCHNECKE, so daß das kleine Beiboot parallel zu der Absperrung flog. Seine Hand hob sich zu einem stummen Gruß. Ich ließ mich einfach in die Tiefe fallen. Der Sturz aus einer Höhe von zehn oder zwanzig Metern stellte keine besonderen Anforderungen an meinen Androidenkörper. Noch bevor ich den Boden erreichte, löste ich die Sperre vor den Erinnerungsspeichern des Mnemodukts. Es sollte jetzt wieder wissen, wem es früher einmal gedient hatte. Waggaldan! Dieser Name pulsierte nun durch die Mikropositronik.
Gleichzeitig kamen meine Anweisungen. Das Mnemodukt II übernahm meinen Körper, während mein Multibewußtsein sich völlig zur Ruhe legte. Ich beobachtete nur noch. Derjenige, der jetzt handelte, war Waggaldan. Ein Waggaldan, der von dem Mnemodukt II mit Hilfe der früheren Kenntnisse simuliert wurde. Über den Funksender strahlte Waggaldan einen Ruf an den Schalter ab. Gleichzeitig verkündete er damit seine Rückkehr. Und er bot dem von Niederlagen geschüttelten Molaaten seine Hilfe an.
2. Kaum hatte Atlan Oggar aus den Augen verloren, da sprach die Funkstation der SCHNECKE an. »Ich sehe den Zentralkegel«, rief Vorlan Brick aufgeregt. »Wo kann ich die Leute aufnehmen?« Atlan antwortete und flog selbst mit dem Beiboot des HORTS zu der Stelle, an der sich seine Mitstreiter versteckt hatten. »Ich bleibe hier«, entschied der Arkonide, als alle an Bord der Jet BINGO I waren. »Bjo und Sanny befinden sich noch in dem Kegel, dazu dieser merkwürdige Oggar. Ihr müßt Hayes sofort berichten, was geschehen ist. Die Landschaft im Nichts kann jede Sekunde abgeschaltet werden. Es gehört wohl nicht viel Phantasie dazu, um die Bedeutung dieser Worte zu erkennen. Das ist der eine Punkt, den Federspiel von Bjo aufgefangen hat. Der andere betrifft die Sonne Einauge oder Super. Oggar hat dort seine eigenen Erfahrungen gemacht. Sagt Breckcrown, er solle nicht zögern, mit allen Mitteln gegen unseren Feind, von dem wir nun endgültig wissen, daß es Hidden-X ist, vorzugehen.« »Ich würde dich gern begleiten«, bat Federspiel. »Es geht schließlich um meine Schwester.«
»Nein.« Atlan schüttelte den Kopf, während er sich einen Kampfanzug aus der Space-Jet überstreifte. »Ich bin ja nicht allein. In Oggar scheinen wir einen guten Freund und Verbündeten zu haben. Dann ist da ja auch noch Bjo. Ich will jemand auf der SOL haben, der unsere weitere Aktion telepathisch verfolgen kann. Das bist du, Federspiel.« Sekunden später hockte Atlan wieder in der SCHNECKE. Die BINGO I verschwand über den Bergen. Brick nahm Kurs auf die Position der SOL. Lyta Kunduran saß an den Funkanlagen und stellte eine Verbindung zum High Sideryt her. Je weiter man sich von der Landschaft im Nichts entfernte, um so ungestörter wurde der Kontakt. Dann liefen alle Informationen, die man in den letzten Stunden auf der Landschaft im Nichts gesammelt hatte, in der Hauptzentrale der SOL ein. Breckcrown Hayes zögerte keine Sekunde. Seine fast dreihundert Solaner, die mit den Heerscharen der als Menschen getarnten Robotern der scheibenförmigen Kunstwelt einen angeblichen Erholungsaufenthalt abstatteten, waren in größter Gefahr. Unter »Abschalten« vermutete SENECA das völlige Verschwinden der Landschaft im Nichts. Ein vorbereitetes Stichwort ging über die Sender. Die Transmitter, die man auf Paradiso nirwana aufgebaut hatte, wurden in den Sendebetrieb umgeschaltet. Während die Roboter den angeblichen Urlaubsrummel ungestört fortsetzten, verschwanden innerhalb von Minuten sämtliche Solaner in den Transmittern. Noch bevor der letzte von ihnen wieder auf der SOL war, legte SENECA seinen zweiten Plan vor. Diesmal ging es um die Sonne Einauge. Die Erkenntnisse, die Brooklyn bei ihrem unfreiwilligen Ausflug
in das Innere dieses künstlichen Gebildes gesammelt hatte, waren schon seit Tagen ausgewertet. Das Mnemodukt II in Oggars Körper hatte diese Angaben noch ergänzt. Die Vermutung Atlans, die seine Helfer von der Landschaft im Nichts mitbrachten, nämlich daß diese Sonne eine Funktion in der Erhaltung des abgeschlossenen Kleinuniversums spielte und darüber hinaus auch noch für die Existenz der Landschaft im Nichts verantwortlich zu sein schien, wurde von SENECA voll bestätigt. »Es sind drei Robotschiffe mit Bomben vorbereitet worden«, teilte die Biopositronik dem High Sideryt mit. »Einstiegsöffnungen in das Innere von Einauge sind bekannt. Die Schiffe können sofort starten.« Breckcrown Hayes blickte sich fragend in der Zentrale um. Wenn er jetzt den Angriff auf Einauge starten würde, würde die Landschaft im Nichts womöglich noch eher verschwinden. Er konnte nicht beurteilen, ob er damit Atlan, Bjo Breiskoll und Sanny nicht in eine gefährliche oder gar tödliche Situation manövrierte, denn es bestand kein Funkkontakt zu den dreien. Dann ging es auch noch um Oggar. »Da!« rief Brooklyn, die sich seit Wochen mit ihrem richtigen Namen Solania von Terra ansprechen ließ. »Die Entscheidung wird uns abgenommen.« Die Szenen auf den Bildschirmen der Fernbeobachtung waren gespenstisch. Zunächst bildeten sich einzelne Löcher in der riesigen Landschaft. Sie fransten schnell aus. Gewaltige Staubfahnen wehten in die Höhe und versperrten den optischen Sensoren die Sicht. Die Landschaft im Nichts zerbrach in vier große Stücke, die selbst wieder durchlöchert waren. Diese Teile zerkrümelten sich wie unter einer gigantischen, unsichtbaren Faust. Dann lösten sich die Staubwolken in nichts auf. Das merkwürdige Kleinuniversum, oder was immer diese Raumzone darstellte, blieb jedoch unverändert. Auch die Sonne Einauge strahlte weiter, obwohl es für sie nun keine Szene mehr
gab, die sie beleuchten oder erwärmen konnte. »Unsere Roboter treiben im leeren Raum«, meldete Lyta Kunduran. »Und dann ist da noch ein Objekt von beachtlicher Größe. Zweifellos ist es der Zentralkegel. Dicht daneben schwebt die SCHNECKE Oggars.« »Wir werden uns das aus der Nähe betrachten«, entschied Hayes. »Ich kann nur hoffen, daß Atlan und seine Begleiter nicht in Gefahr sind.« »Was geschieht mit der Sonne Einauge und den vorbereiteten Robotschiffen?« fragte SENECA. »Starten!« befahl der High Sideryt.
* Die unbegreifliche Wesenheit Hidden-X befand sich zur gleichen Zeit an einem mehrere Millionen Lichtjahre entfernten Ort. Die Informationen über das Geschehen um das Vlaahalaan liefen nur spärlich ein. Hidden-X hatte den Verdacht, daß der Knecht und Schalter Hapeldan ihm die wahre Entwicklung nur bruchstückweise zukommen ließ, um so seine eigenen Fehler zu verschleiern. Es entsprach nicht der Mentalität des Hidden-X, sich persönlich ununterbrochen um niedrige Angelegenheiten zu kümmern, wie sie der Schalter oder seine vielen Hilfsvölker auszuführen hatten. Allerdings maß Hidden-X Atlan und den Solanern schon eine größere Bedeutung zu, als dies normalerweise der Fall gewesen wäre. Die gewaltsame Vertreibung seines Ichs aus dem Ysterioon war Hidden-X eine deutliche Warnung gewesen. Diese Solaner setzten alles ein, wenn es um die Verfolgung ihrer Ziele ging. Bei dem gewaltsamen Vorgehen gegen die Basis auf dem Planeten Pryttar hatte Hidden-X die Solaner schon falsch eingeschätzt. Sie hatten ohne zu zögern den ganzen Planeten durch einen unlöschbaren Atombrand vernichtet, als sie die Bedeutung der
dortigen Station und deren Unangreifbarkeit erkannt hatten. Zumindest nahm Hidden-X dies so an. Nicht weniger entschlossen hatte der Solaner Chart Deccon gehandelt, der mit einem für Hidden-X undurchschaubaren Trick in das Innere der Mentalstatue des Ysterioons gedrungen war und durch seinen Freitod ihm, Hidden-X, eine schwere Niederlage zugefügt hatte. Sie waren gefährliche Gegner, die er nicht unterschätzen durfte. Jetzt war Hidden-X jedoch in völliger Sicherheit und Abgeschiedenheit. Es kümmerte sich in erster Linie um die Steuerung der kleinen Baumeister, die die letzten Arbeiten an seiner Heimstatt, dem Flekto-Yn, zu vollenden hatten. Dann würde er dieses lästige Ungeziefer beseitigen müssen. Hidden-X erzeugte in seinem Bewußtsein das Bild des Vlaahalaans. Es war stolz über sein Werk, auch wenn es wußte, daß es das Vlaahalaan schon bald zerstören würde. Wenn es seinen Zweck erfüllt hatte, brauchte es die Landschaft im Nichts, wie die Solaner das Vlaahalaan genannt hatten, nicht mehr. Noch fehlte die entscheidende Information des Schalters, der zudem noch die Vollmacht besaß, im richtigen Zeitpunkt die Abschaltung selbst vornehmen zu dürfen. Selbstgefällig überflog sein geistiger Blick dieses wundervolle Produkt, in dem es all das verwirklicht hatte, was es aus dem Wissen und den verborgenen Wünschen der Solaner erfahren hatte. Eine scheibenförmige Welt! Dieser Urgedanke der Menschen war der Grundbaustein des Vlaahalaans gewesen. Dazu hatte Hidden-X eine Atmosphäre konstruiert, die genau den Werten im Innern der SOL entsprach. Natürlich mußte auch die künstliche Gravitation stimmen. Der psychologisch wichtigste Punkt war jedoch das Sehnsucht und Freude weckende Aussehen der Landschaft selbst gewesen. Es hatte hier an nichts gespart, um für jeden Solaner eine ansprechende Szene bereitzuhalten.
Ein Halbrund der herrlichen Landschaft war mit einem langen Gebirgsrücken versehen, dessen majestätische Gipfel im ewigen Eis lagen. Diesen Urtraum der Solaner aus den tiefsten Schichten des Unterbewußtseins freizulegen, war auch für ein gewaltiges Wesen, wie es es darstellte, keine einfache Tat gewesen. Die ganze Innenfläche, die von dem Bergmassiv in einem Halbkreis umschlossen wurde, strahlte in ihrer Vielfalt und Schönheit all das aus, was die Menschen der SOL als etwas Wunderbares, Heimweh und Sehnsüchte Erweckendes empfinden mußten. Kein einziger der Erdenabkömmlinge sollte sich von diesen Reizen freimachen können, nicht einer der zweibeinigen Wesen sollte noch Herr seiner Gefühle sein, wenn er dieses Werk des Hidden-X mit seinen Augen erblickte. So hatte es diesen grandiosen Plan entwickelt, der in seinem Aufwand und in seinem Prunk nur von einer Spiegelung einer mächtigen Superintelligenz stammen konnte. Die Solaner hatten den Gefühlen nicht widerstehen können. Eine Zeitspanne des Zögerns hatte Hidden-X noch einkalkuliert. Daß es sich in der Größe dieser Zeitspanne geirrt hatte, hatte es längst wieder vergessen oder den Schalter durch sein ungeschicktes Handeln dafür verantwortlich gemacht. Hapeldan hatte immer wieder gemeint, er müßte den kampferprobten Solanern abenteuerliche Unterhaltung bieten. Dies würde sie eher anlocken als die geheimnisvollen Reize einer abwechslungsreichen Natur. Hapeldan ist ein Versager! dachte Hidden-X wütend. Da es aber den direkten Zugriff zu seinen früheren Helfern, den Ysteronen und den Roxharen verloren hatte, blieb ihm gar keine andere Wahl, als vorerst mit dem machthungrigen Molaaten sein Spiel weiterzutreiben. In der Kunst der Völker, die das Vlaahalaan bewohnten, hatte der Schalter zumindest eine glückliche Hand bewiesen, wie die ersten Kontakte des Vorkommandos der Solaner mit den
Libellenmenschen bewiesen hatten. Auch mußte Hidden-X eingestehen, daß Hapeldan seinen Zentralkegel vorzüglich getarnt und geschützt hatte. Dennoch wurde es den quälenden Verdacht nicht los, daß sein Diener eine Reihe von entscheidenden Fehlern gemacht hatte. Oder hatte es selbst etwas übersehen? Sie dachten und fühlten in teilweise unbegreiflichen Bahnen, diese Solaner. Ihre verborgenen Sehnsüchte waren nicht im Einklang mit ihrem unmittelbaren Tun. Manchmal glaubte Hidden-X, daß eine fremde Macht, die sich seiner Wahrnehmung entziehen konnte, die Solaner antrieb. Oder war es am Ende nur die Person dieses Atlan, der völlig neue Kräfte und andere Emotionen in diesen Zweibeinern freigesetzt hatte? Hidden-X grübelte über diese Frage nur einen Sekundenbruchteil nach. Es war gewarnt. Gewarnt von dem selbstlosen Einsatz der Solaner in dem Lebensbereich der Ysteronen und im Ysterioon selbst. Noch einmal glitt sein geistiges Auge über die Landschaft im Nichts. Es erfaßte die vielen kleinen Dörfer, die Ruhe und Geborgenheit signalisierten, die blanken Seen aus kristallklarem Wasser mit einladenden Stränden aus gelbem Sand, die verwinkelten Kanäle, auf denen kleine Segelboote durch die grünen Auen und die niedrigen Wälder zogen, die lauen Lüfte, die einen ewigen Frühling versprachen. Für einen Moment verspürte Hidden-X einen Hauch von Wehmut, denn es war sich dessen bewußt, daß all dies in Kürze verschwinden würde. Seine vom normalen Universum abgeschottete Raumnische würde sich ebenso auflösen wie diese ganze Kunstwelt aus gestohlenen Gedanken, verborgenen Sehnsüchten, wilden Wünschen, dem Drang nach Ruhe und Geborgenheit oder nach Abenteuern und unvergeßlichen Erlebnissen.
Das Vlaahalaan war nur zu einem einzigen bestimmten Zweck erschaffen worden, und diesen galt es unter allen Umständen zu erreichen. Dabei stellten Figuren wie Hapeldan, Atlan, Chart Deccon, Wylt'Rong oder Oggar nur lästige Hindernisse dar. Sicher spielte die Lust, mit den hilflosen Wesen dieses Kosmos zu spielen, bei Hidden-X auch eine Rolle. Er selbst bewertete diesen Umstand als angenehmes Beiwerk, das mit der eigentlichen Sache nichts zu tun hatte. Die Solaner hatten es einmal fast vernichtend geschlagen. Diese Tatsache würde diese Wesenheit nie vergessen! Das Werkzeug der Solaner war die SOL. Um dieses Raumschiff allein ging es. Und um seine Rache an diesen Kreaturen, die es gewagt hatten, sich gegen das zu stellen, was die stärkste Komponente des ganzen Universums sein würde. Gegen Hidden-X! Seine Niederlage war überwunden, aber seine neue Macht noch nicht voll etabliert. Die kleinen Baumeister würden noch wenige Einheiten benötigen, um das Flekto-Yn zu vollenden. Bis dieser Schritt getan sein würde, mußte die SOL in seiner Hand sein. Ein leicht dirigierbares Volk würde sich immer finden lassen. Vielleicht würde es die Molaaten auswählen, wenn diese bis zu jenem Zeitpunkt noch nicht völlig ausgelaugt waren. Die Solaner als Hilfsvolk schieden aus, so hervorragende Eigenschaften viele von ihnen auch besaßen. Der Grund dafür lag in jenem Unfaßbaren, das Hidden-X einer anderen Macht zuschrieb. Hidden-X wurde ungeduldig, denn in der jetzigen Phase der Entscheidung meldete sich der Schalter immer seltener. Es bündelte einen Gedanken und schickte ihn durch die ewige Festung bis hin zu dem großen Parabolspiegel, der genau auf das unendlich ferne Vlaahalaan gerichtet war. Die Impulse mußten den Umlenkspiegel erreichen und von dort in den Empfängern des Zentralkegels weitergeleitet werden, wo ihn die robotische Einheit dem Schalter übersetzen würde.
Die Antworten kamen nun endlich. Hidden-X wallte in ungeheurer Wut auf. Der Schalter hatte versagt! Fremden war es gelungen, in den Zentralkegel einzudringen. Die Schutzvorrichtungen Hapeldans, die Tarnung des mächtigen Raumschiffs, die Täuschung durch das Vlaahalaan, all das war von einer kleinen Gruppe der Solaner umgangen oder überlistet worden. So meldete es die robotische Einheit. Und sie meldete noch etwas, was Hidden-X in Erstaunen versetzte. Bei den Solanern war eins der Wesen, das zu den kleinen Baumeistern gehörte, die es sich willfährig gemacht hatte. Dieses Wesen besaß eine starke Abwehrkraft gegen all das, was es selbst ausmachte. Hatte es hier eine Komponente jener vermuteten Macht entdeckt, die die Solaner gegen ihn trieb? Noch während die Wesenheit im Flekto-Yn über diese Frage nachgrübelte, faßte sie den Entschluß. Hapeldan war ein Versager. Es selbst hatte dem Vlaahalaan und seinem genialen Plan zu wenig Beachtung geschenkt. Es, Hidden-X, mußte handeln. Sein Befehl wurde mit unüberhörbarer Wucht abgestrahlt. Er überbrückte ohne Zeitverlust die gewaltige Distanz und explodierte in den Köpfen jener, die sich im Zentralkegel befanden. Es wußte, daß sich der Schalter dieser Anweisung nicht widersetzen konnte. Dafür war der Molaate zu schwach. Ungläubig hörte es die Bitte seines Knechtes, der noch um drei kurze Zeiteinheiten bat, weil er das ganze Unternehmen doch noch zu einem vollen Erfolg führen wollte. Eine kurze Zeiteinheit! antwortete Hidden-X so sanft, das nur der Schalter seine geistigen Worte vernehmen konnte. Danach unterbreche ich die Energiezufuhr, egal, was du erreicht hast. Dann ist auch dein Leben verwirkt und dein Traum vom High Sideryt der SOL ausgeträumt. Hapeldan antwortete nicht.
Hidden-X wartete die beschlossene Zeit ab. Als bis zu diesem Zeitpunkt noch immer keine Information des Schalters vorlag und die automatischen Sensoren einen praktisch unveränderten Zustand des Vlaahalaans meldeten, handelte das mächtige Wesen. Wahllos griff sein körperloser Fühler in die Sektionen des unfertigen Flekto-Yns und unterbrach an mehreren Stellen den ständigen Fluß aus transformierter Energie und bildlicher Information. Nur den Umlenkspiegel beließ Hidden-X in seinem ursprünglichen Zustand, weil er zur Aufrechterhaltung der Nische erforderlich war. Niemand sollte seinem vernichtenden Schlag entkommen. Kein Solaner und auch nicht die SOL. Dieses Instrument aus geballter Kraft durfte nicht in den Besitz einer anderen Macht gelangen. Aus der Raumnische gab es keine Rückkehr in das angestammte Universum. Die Tage der SOL in jenem Raum, den die Solaner den Einsteinraum nannten, waren vorüber, egal, wie der Kampf um das Vlaahalaan ausgehen würde. Ohne Gefühle beobachtete Hidden-X, wie sich die Landschaft im Nichts durchlöcherte, je mehr Quellen des Flekto-Yns es desaktivierte. In seinem Innern lachte eine höhnische Stimme, als es die hilflosen Solaner erkannte, deren leblose Körper starr und steif durch das plötzliche Vakuum trieben. Es war getan. Die nächsten Zeiteinheiten würden zeigen, ob der große Plan aufgegangen war. Vielleicht gab es auf der SOL noch eine Handvoll dieser Wahnsinnigen, die in der Stunde ihres Untergangs ihre Heimat mit in den ewigen Tod reißen würden. Hidden-X schloß eine solche Handlung nicht aus. Es begann aber schon wieder, sich auf andere Probleme zu konzentrieren. Der Schalter würde in seinem Zentralkegel überleben, denn dieser war der einzige Bestandteil des ganzen
Vlaahalaans, der aus realer Materie bestand. Hapeldan würde die Eindringlinge töten. Oder … Hidden-X formierte einen neuen Gedanken, der durch die endlose Weite eilte und von dem großen Spiegel aufgefaßt wurde. Wie unter einem energetischen Peitschenhieb zuckte das mächtige Wesen zusammen, als die Antwortimpulse einliefen. Die Verbindung zum Zentralkegel war unterbrochen. Statt dessen meldete die robotische Einrichtung des Umlenkspiegels eine wahre Ungeheuerlichkeit, die unter den gegebenen Umständen absolut unmöglich war. Die SOL griff mit aller Wucht den riesigen Sonnenspiegel an! Die SOL, auf der höchstens noch einhundert aktionsfähige Solaner sein konnten. Eine dumpfe Ahnung beschlich Hidden-X. Es begann die Erinnerungen an die Ereignisse im Ysterioon in sein Bewußtsein zu rufen. Seine … seine Fehler! Es hatte wahrscheinlich etwas übersehen. Es konnte eigentlich nur eine belanglose Kleinigkeit gewesen sein, denn zu komplizierten Gedankengängen und komplexem Handeln war selbst der gefährliche Atlan nicht in der Lage. Hidden-X verarbeitete die Informationen. Dann überließ es das weitere Geschehen den Einrichtungen des Umlenkspiegels und beschränkte sich auf das Beobachten. Gleichzeitig sammelte es jedoch Kräfte für einen Akt, der im wahrsten Sinn des Wortes die Grenzen des Universums sprengen sollte. Ein neuer Plan wurde vorbereitet. Als die Weichen gestellt waren, verharrte Hidden-X in völliger Ruhe und geistiger Erstarrung.
3.
Die drohende Stimme war verhallt. In Bjo Breiskolls sensiblem Gehirn dröhnte jedes einzelne Wort des Hidden-X noch nach. Die unheimliche Stimme hatte sich fest in sein Bewußtsein gebrannt. Er stand steif und unbeweglich auf dem metallenen Boden der oberen Zentrale von Hapeldans Kegel und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. All das Böse und Unmenschliche, das er in den letzten Tagen gespürt hatte, stürzte erneut mit voller Wucht auf ihn ein. Sicher, es war letztlich richtig gewesen, seine Scheu vor der Landschaft im Nichts doch noch zu überwinden, denn ohne sein Eingreifen wären nicht nur Atlan und seine Helfer, sondern auch Oggar und damit die Bewußtseinsinhalte von Sternfeuer und Cpt'Carch wahrscheinlich für immer verloren gewesen. Was der Mutant in den letzten Stunden von dem großspurigen Schalter Hapeldan erfahren hatte, eröffnete ganz neue Perspektiven. Leider, das mußte Bjo eingestehen, waren es fast ausschließlich negative Aspekte. Und jetzt der Abschaltbefehl des Hidden-X, der sich von einem unbekannten Ort aus direkt in die Geschehnisse eingeschaltet hatte. Auch Hapeldan zögerte einen Moment. Dann gab er unhörbare Instruktionen an den einarmigen Roboter Gammler. Was dieser daraufhin tat, konnte Bjo nicht feststellen. Hapeldan hatte im Überschwang seiner Gefühle seine menschliche Maske vollkommen fallengelassen. In Bjos Augen war er ein lächerlich kleines, menschenähnliches Wesen, dessen Augen gierig funkelten. Ein Molaate, und noch dazu einer, der mit gefährlichen Machtmitteln ausgestattet war! Ein machthungriges Werkzeug ihres Feindes Hidden-X. Bjo konzentrierte sich noch einmal auf Federspiel und Oggar, die allein in der Lage waren, seine Gedanken klar und deutlich zu lesen.
Jede Information mußte jetzt in diesen entscheidenden Augenblicken zu den Freunden gelangen, denn ohne deren Hilfe waren er und Sanny verloren. Die zierliche Molaatin, die eine treue Helferin Atlans geworden war, entstammte dem kleinen Volk wie Hapeldan. Doch die Gegensätze zwischen den beiden Kleinwüchsigen waren so kraß, daß sie Breiskoll kaum in ihrer ganzen Tragweite beurteilen konnte. Sanny hockte stumm neben Bjo auf dem Boden. Sie hielt ihre Augen noch geschlossen, als müsse auch sie die Worte verkraften, die Hidden-X in ihr Bewußtsein geschleudert hatte. Er mußte etwas tun, auch wenn es vielleicht nur eine Verzweiflungstat sein würde. Der Abschaltbefehl war eindeutig und unmißverständlich. Eine Anweisung von Hapeldan an Gammler würde genügen, und der Roboter, der ein Umsetzmechanismus für den Schalter und seine Befehle war, würde Paradiso nirwana für immer verschwinden lassen. Bjo spannte seine Muskeln und setzte zu einem katzengewandten Sprung auf Hapeldan an. Gammler ließ er unbeobachtet, doch der Roboter verfolgte das Geschehen genauer, als er vermutet hatte. Ein unsichtbarer Strahl zischte aus dem Rumpf der Maschine und traf Bjo. Ein Paralysestrahl! durchzuckte es ihn, während er im gleichen Augenblick merkte, daß sein Körper seinen Befehlen nicht mehr folgen konnte. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie sich Sanny erhob. »Du wirst nichts tun, Hapeldan!« befahl sie und streckte ihre beiden Ärmchen beschwörend nach vorn. »Du nicht!« Hapeldan lachte ironisch auf. »Was willst du unwürdiger Wurm mir schon befehlen«, kreischte er überheblich. »Ich gehorche nur Hidden-X. Es wird mir die Macht über die SOL geben. Und danach werde ich die Molaaten in eine bessere Zukunft führen, in der sie über ganz All-Mohandot herrschen werden.«
»Du bist verrückt, Hapeldan«, stellte Sanny ruhig fest. Hapeldan machte eine abfällige Handbewegung. Dann drehte er sich Gammler zu. »Paralysiere diese übergeschnappte Person«, befahl er. »Das ist leider nicht möglich«, krächzte der seltsame Roboter und schwenkte seinen einen Arm vor dem Körper hin und her. »Was soll das heißen?« Der Schalter nahm eine drohende Haltung ein, die bei seinem kleinen Körper eher grotesk wirkte. »Ich bin für den Ablauf einer Zeiteinheit desaktiviert worden«, sang Gammler nun mit schriller Stimme, die Bjo kaum noch wahrnehmen konnte. Die Paralyse ergriff immer stärker Besitz von allen Körperfunktionen. »Ich kann dem Herrn und Meister nur noch mitteilen, daß du das Vlaahalaan abgeschaltet hast. Das geht natürlich nur dann, wenn du es wirklich tust. Du weißt, welche Frist er dir zugestanden hat.« Hapeldan zögerte. Er begriff nicht genau, was geschah. Hatte Hidden-X seinen Helfer vorübergehend aus dem Verkehr gezogen oder spielten andere Faktoren eine Rolle? Vielleicht die kleine Artgenossin, die ihn mit ihrem undurchdringlichen Blick anstarrte, als wolle sie ihn hypnotisieren. »Sind die Gefangenen wieder in sicherer Obhut?« fragte Hapeldan den Roboter lauernd. »Das kann man sehen, wie man will.« »Gib mir gefälligst eine vernünftige Antwort, Gammler«, schrie der Molaate aufgebracht. »Die Zeit deiner albernen Späße mit den Solanern ist vorbei.« »Sie sind in sicherer Obhut.« Hapeldan atmete sichtlich auf, aber er zuckte zusammen, als Gammler ungerührt nach einer kurzen Pause hinzufügte: »Sie sind nämlich entkommen.« Nun handelte Hapeldan selbst. Er rannte zu einer Konsole und nahm mehrere Schaltungen vor. Bildschirme flammten auf, und auf den Anzeigen erschienen in
rascher Folge verschiedene Werte. Bjo konnte aus seiner starren Haltung nicht genau erkennen, was sie besagten. »Es stimmt.« Hapeldan hatte sich wieder gefangen. »Hidden-X hatte recht. Ich muß das Vlaahalaan sofort desaktivieren.« Er eilte durch den Raum auf die gegenüberliegende Seite, wo eine für Bjo unerklärliche Apparatur stand. Es mußte irgendeine Fernsteuereinheit oder etwas Ähnliches sein. Da Bjo in dem gelähmten Zustand nicht in der Lage war, Hapeldans Gedanken zu erfassen, verließ er sich auf seinen gesunden Menschenverstand. Und der sagte ihm nach allem, was er bislang von dem abtrünnigen Molaaten erfahren hatte, daß diese Vorrichtung die materiellen Spiegelungen, aus denen die Landschaft im Nichts in allem Drum und Dran bestand, in nichts auflösen würde. »Du darfst es nicht tun, Hapeldan!« Sanny stürzte sich auf den Schalter und riß ihn zur Seite. Gammler beobachtete das Geschehen, ohne einzugreifen. Hapeldan wollte der Paramathematikerin einen Stoß versetzen, aber die wich seinem Hieb geschickt aus. Dann zog der Molaate eine Waffe aus seinem Umhang und richtete sie auf Sanny. Das wäre eigentlich der Moment, dachte Bjo Breiskoll in einem Anfall von Verzweiflung, in dem unser geheimnisvoller Helfer Chybrain auftauchen müßte. Seine unausgesprochene Hoffnung blieb jedoch ohne Erfüllung. Doch plötzlich lag eine klingende Tonfolge in der Luft. Sie mußte aus irgendeinem Gerät der Zentrale gekommen sein. Hapeldan fuhr herum. »Was ist das?« schrie er Gammler an. »Keine Auskunft«, antwortete die Maschine ungerührt. »Ich bin desaktiviert. Aber ich weise dich darauf hin, daß die Hälfte der Zeiteinheit, die dir zugestanden wurde, bereits verstrichen ist.« Hapeldan rannte zurück zu der Hauptkonsole. Seine kleinen Finger huschten in rasender Geschwindigkeit über die Tastatur. Ein Bildschirm zeigte einen Ausschnitt von außerhalb des
Zentralkegels. In dem armhohen Gras räkelte sich eine Gestalt. Bjo konnte sie nur schemenhaft erkennen, da auch seine Augen an die Starre der Paralyse gefesselt waren. Er sah aber deutlich, wie ein freudiges Lächeln über das Gesicht des Schalters huschte. »Schalter! Schalter!« klang eine gequälte Stimme aus einem unsichtbaren Lautsprecher. »Ich bin zurückgekehrt. Ich habe eine wichtige Botschaft von unseren Feinden. Sie haben sich verbün …« »Waggaldan!« Der Molaate klatschte begeistert in die Hände. »Du kommst im rechten Augenblick. Gammler ist eine Null. Oder jemand hat ihn endgültig in den Wahnsinn … ich bin froh, wieder einen meiner Helfer zu sehen.« Bei den letzten Worten hatte Hapeldan eine Taste gedrückt, so daß seine Worte von dem Wesen dort draußen gehört werden konnten. »Warte einen Moment, Waggaldan«, beeilte sich der Schalter zu sagen. »Ich hole dich mit dem Ego-Transmitter herein. Dann können wir zusammen den Plan doch noch zu einem vollen Erfolg führen. Hidden-X wird mit mir zufrieden sein.« Er rannte zu einer anderen Stelle und nahm dort mehrere Justierungen vor. Ein sanftes Summen erfüllte den Raum. Kurz darauf entstand in der Mitte der Zentrale ein Flimmern. Direkt vor Bjos getrübtem Blick kristallisierte sich eine menschliche Gestalt aus dem schlierenartigen Nebel. Der Mutant kämpfte verzweifelt gegen die Lähmungen des Paralyseschocks. Allein sein Gehirn arbeitete noch unbeeinflußt. Seine Psi-Sinne waren auf ein Minimum reduziert. »Waggaldan!« Der Molaate klatschte begeistert in die Hände. Dann schaltete er mit einem raschen Griff den Ego-Transmitter wieder ab. Breiskoll musterte die fremde Gestalt, die merkwürdig glatt und künstlich aussah. Sein kosmisches Gefühl für Gut und Böse ließ ihn völlig im Stich. Er wußte nicht, wen Hapeldan in den Zentralkegel geholt hatte, obwohl er Oggars Körper auf der SOL erlebt hatte. Auch Sanny verhielt sich abwartend, zumal die Waffe des
Schalters keine Sekunde aus ihrer Richtung wich. »Wo hast du so lange gesteckt, Waggaldan?« Zufriedenheit und Neugier sprach aus den Worten des Schalters. »Ehrlich gesagt, ich hatte dich schon abgeschrieben.« Der Kunstmensch setzte ein Lächeln auf und blickte sich um. Als seine Augen dem Blick Bjos begegneten, glaubte dieser, für eine winzige Zeitspanne ein zuversichtliches Lächeln darin zu erkennen. »Ich werde dir alles berichten«, erklärte Waggaldan. Im selben Moment spürte Bjo eine vertraute Stimme, die an seinem Psi-Bewußtsein kratzte. Es war eindeutig Sternfeuer! Keine Panik, altes Haus!
* Ich beobachtete das Mnemodukt II aus sicherer Entfernung. Jetzt mußte ich mich ganz auf diese kleine Wundermaschine in meinem Körper verlassen. Sie formte die Gedanken aus dem entriegelten Erinnerungsspeicher und nach meiner allgemeinen Anweisung. Jederzeit mußte ich damit rechnen, daß der Mnemodukt einen Fehler machte, denn es besaß keine kreative Intelligenz. Es handelte stur nach den Daten, über die es verfügte. Da ich über die technischen und psionischen Möglichkeiten des Zentralkegels absolut nichts wußte, war dies ein riskantes Spiel. Auch in den Erinnerungsspeichern des Mnemodukts gab es keine Informationen über dieses Monument aus Technik, Energie und Tarnung. Ich folgerte daraus, daß der Androidenjäger Waggaldans eine gewisse Zeit vor dem Zentralkegel entstanden sein mußte oder aber an einem ganz anderen Ort. Auch über Hapeldan gab es keine Informationen, außer daß der Schalter Waggaldan ausgeschickt hatte. »Hast du den Feind in der Ferne ausgelöscht, den der Meister
entdeckt hatte?« wollte Hapeldan wissen. Das war eine kritische Frage, die von Umständen abhing, über die das Mnemodukt II auch keine Einzelheiten kannte. Ich zuckte innerlich zusammen, denn ich hatte keine Vorstellung davon, wie die Antwort ausfallen würde. Von einer direkten Übernahme meines Körpers sah ich ab, denn das hätte noch leichter zu der Entdeckung führen können. »Natürlich, Schalter«, antwortete das Mnemodukt II über die Sprechvorrichtung. »Allerdings war die Sache nicht so einfach, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Auch habe ich bei dem Kampf mein Raumgefährt eingebüßt. Die Rückkehr zu dir war dann ein weiteres Problem. Aber jetzt bin ich da und kann dir helfen.« »Gut«, entgegnete Hapeldan zufrieden. Noch schien er nicht bemerkt zu haben, wer wirklich in dem Androidenkörper steckte und wer sprach. »Die Lage ist nicht gerade erfreulich. Hidden-X hat die Abschaltung des Vlaahalaans befohlen. Ich habe nur noch wenige Minuten Zeit, um meinen Plan zu vollenden. Dann wird es wahrscheinlich von sich aus die Energiezufuhr unterbrechen.« »Das darf nicht geschehen«, begehrte das Mnemodukt II auf. »Die vielen Solaner dort draußen würden in dem plötzlich entstehenden Vakuum umkommen.« »Was scheren dich diese unwichtigen Feinde!« Hapeldan war mißtrauisch geworden. »Wir könnten sie zu unseren Helfern machen«, wehrte das Mnemodukt ab. »Zu unseren?« Die Augen des Molaaten bildeten schmale Schlitze. Ich ahnte, daß mein Trick bald durchschaut sein würde. So konnte ich nur hoffen, daß die geringe Zeitspanne, die ich durch mein Auftauchen zugunsten der Solaner gewonnen hatte, ausreichen würde, um allen die Rückkehr zur SOL zu ermöglichen. Lenke ihn mit einem anderen Problem ab! befahl ich dem Mnemodukt. »Draußen braut sich etwas zusammen, Schalter«, behauptete das Mnemodukt. »Ich habe es auf der Fahrt hierher beobachtet.«
Zu verräterisch, wisperte mir Cpt'Carch zu. »Da ist jemand!« behauptete Gammler plötzlich. »Halt den Mund!« Hapeldan wurde nervös. Er kam drei Schritte auf mich zu. Langsam schwenkte er seine Waffe von Sanny weg und richtete sie auf meinen Kopf. Ganz ruhig bleiben, befahl ich dem Mnemodukt. Sprich weiter! »Da ist noch jemand«, behauptete Gammler. »In extremen Notsituationen darf ich meine Desaktivierung aufheben.« Hapeldan ging nicht darauf ein. Er starrte mich mißtrauisch an. »Wie bist du überhaupt durch die Dimensionssperre gelangt, Waggaldan? Selbst für dich dürfte das unmöglich sein.« »Ich war als Gefangener an Bord der Sol«, log das Mnemodukt geschickt, »als sich die Falle schloß. Ich konnte mich leider nicht früher befreien. Das kannst du mir ruhig glauben, Hapeldan.« »Hapeldan?« schrie der Schalter mit überschnappender Stimme. »Woher kennst du meinen Namen?« Ich erkannte den Fehler, der geschehen war. Waggaldan hatte keine unmittelbare Beziehung zu Hapeldan gehabt. Für ihn hatte es nur den Schalter gegeben. Da Sternfeuer diesen Namen von Bjo Breiskoll aufgeschnappt hatte, war er über mein Multibewußtsein auch in den Wissensschatz des Mnemodukts eingegangen. Gut, ich hatte eine Menge Zeit gewonnen und Hapeldan von seinem eigentlichen Vorhaben abgelenkt. Jetzt war das Täuschungsspiel aber wohl zu Ende. Ich übernahm den Körper und blockierte die alten Erinnerungsspeicher wieder von der Zentraleinheit des Mnemodukts ab. Es war keine Sekunde zu spät, denn schon krümmte sich der Finger an Hapeldans Waffe. Verletzen konnte er mich nicht, aber ich wurde von einem gewaltigen Schlag getroffen, der mich rückwärts gegen ein Schaltpult warf. Hapeldan rannte zu einer anderen Bedienungseinheit.
Im gleichen Moment schwoll ein greller Ton an. Der ganze Zentralkegel begann sich zu schütteln. Das Metall ächzte, und ich hatte das Gefühl, daß die Schwerkraft stockend aussetzte. »Die Zeiteinheit ist abgelaufen«, verkündete Gammler ungerührt. »Der Herr schaltet ab. Du weißt, was das für dich bedeutet, Hapeldan. Warum hast du nicht auf mich gehört? Es sind Fremde hier drinnen, und draußen löst sich das Vlaahalaan auf.« Der Schalter blickte sich gehetzt um. Seine Augen fielen auf die zahlreichen Bildschirme, und er sah das bestätigt, was Gammler gesagt hatte. Ein Fluch in einer fremden Sprache kam über seine Lippen. Die kleine Molaatin Sanny zuckte bei diesen Worten zusammen. Ich raffte mich von dem Sturz auf. Ein Teil meiner Kombination war von dem Schuß zerstört worden. Darunter leuchtete die Kunsthaut in hellroten und zartgrünen Farbtönen. Langsam kehrte das normale Weiß wieder zurück. Ich sah, wie die Landschaft im Nichts auf den Bildschirmen zerfiel. Gleichzeitig erwachte Gammler zu einer unheimlichen Aktivität. Jetzt zeigte er, welch technisch vollkommene Maschine er war. Er paralysierte Sanny und unmittelbar darauf auch mich. Die Energien durchdrangen meinen Körper, aber sie erzielten eigentlich keine Wirkung. Mein Multibewußtsein wertete diese Tatsache in dem Bruchteil einer Mikrosekunde aus. Ich war bislang davon ausgegangen, daß der Schalter und damit auch sein robotischer Helfer Waggaldan genau gekannt hatten. Das konnte nach diesen Ereignissen aber nicht der Fall sein. Denn dann wäre es absolut unlogisch, mit Paralysestrahlen auf mich zu feuern, denn eine Wirkung wurde damit ja nicht erzielt. Vielmehr mußte ich nun annehmen, daß sich Hapeldan allenfalls an das äußere Erscheinungsbild Waggaldans erinnerte, mehr nicht. Gleiches galt somit auch für Gammler. Es war eine klare Sache für mein Multibewußtsein, daß wir diese
Schwäche unseres Gegners ausnutzen mußten. Ich tat so, als ob mich der Paralysestrahl bewegungsunfähig gemacht hätte und verharrte in der hockenden Stellung, in der ich mich gerade befunden hatte. Wenige Schritte neben mir stand der wirklich gelähmte Breiskoll. Sanny war von dem Schuß umgestürzt und lag verkrümmt auf dem Boden. Ich konnte ihre Gedanken (mit Sternfeuers Bewußtseinsanteil) nicht lesen. Das schien bei dieser Molaatin aber der Normalzustand zu sein, denn sie war von Natur aus mentalstabilisiert. Aber auch Hapeldans Gedanken drangen nicht bis in den PsiSektor. Er mußte seine Schutzvorrichtung wieder angelegt haben. In der hockenden Stellung beobachtete ich, wie draußen die Landschaft vollständig verschwand und Leben in den Zentralkegel kam. Überall begannen Geräte leise zu summen. Weitere Bildschirme und Anzeigen flammten auf. Der Zentralkegel setzte sich langsam in Bewegung. Für mein Multibewußtsein war die logische Folgerung einfach. Der Zentralkegel war kein Bauwerk, sondern ein Raumschiff.
4. Atlan hielt die SCHNECKE in sicherer Entfernung von dem Zentralkegel. Daß man ihn von dort orten würde, konnte er zwar nicht ausschließen, aber er wußte ja von dem Sperrfeld, das das hohe Bauwerk in einem Abstand von etwa 500 Metern kreisförmig umgab. Ein Energieortungssystem des kleinen Raumfahrzeugs bildete dieses zudem exakt ab. Dazu signalisierte eine Leuchtschrift GEFAHR. Oggar war vor knapp zwei Minuten auf unerklärliche Weise verschwunden. Auch hier hatte die Energieortung angeschlagen
und Wellen aufgezeichnet, die etwas mit einem Transmittervorgang gemeinsam hatten. Was Oggar ihm in der kurzen Zeit nach der Befreiung aus dem unterirdischen Gefängnis mitgeteilt hatte, war zwar nicht vollständig gewesen. Atlan überblickte aber jetzt die wesentlichen Fakten. Er lenkte die SCHNECKE hinter einen Hügel. Von hier aus konnte er alles genau beobachten, was um den Zentralkegel herum geschah. Zunächst versuchte er erneut, mit der SOL in Funkkontakt zu treten. Was wenige Minuten zuvor noch gelungen war, war jetzt unmöglich. Wahrscheinlich hatte der Schalter die Störfelder, die ihnen in den vergangenen Tagen schon zu schaffen gemacht hatten, wieder in Betrieb genommen. Er war also auf sich allein gestellt. Die Frage war, ob er den anderen zur SOL folgen oder besser hier bleiben sollte. Die Antwort ergab sich automatisch, denn noch waren Bjo Breiskoll und Sanny in der Gewalt des Schalters Hapeldan. Du mußt mit weiteren Überraschungen von HIDDEN-X rechnen, warnte ihn sein Extrasinn. Die Sache Landschaft im Nichts kann nicht so verlaufen sein, wie sie geplant war. »Das ist auch gut so«, murmelte der Arkonide. Er beschloß abzuwarten, was Oggar erreichte. Vielleicht stellte er die letzte Eingreifreserve dar, um diesen, Bjo und die Molaatin herauszuhauen. Hidden-X hat es also auf die SOL abgesehen, überlegte er. Um diese in seine Hand zu bekommen, hat es diesen gewaltigen Zirkus aus einer unbegreiflichen Technik aufgebaut. So ist es, bestätigte der Logiksektor. Hast du dich auch einmal gefragt, woher es diese verworrenen Auskünfte über die Solaner gewonnen hat? Die Planung von Paradiso nirwana enthielt viele Fehler. »Nach logischen Gesichtspunkten stimmt das«, erklärte Atlan halblaut. Er war froh, daß sein Extrasinn ihn in dieses Gespräch
verwickelte. Die vielen Fakten, die er in den letzten Tagen gewonnen hatte, ließen sich nicht ohne weiteres verarbeiten und in ein klares Schema pressen. Zudem stand hinter allem die unverständliche Denk- und Handlungsweise eines fremdartigen Wesens. »Ich nehme an, daß Hidden-X das Unterbewußtsein von ein paar Solanern abgefragt hat. Wenn ich allein daran denke, wie diese merkwürdige Wildweststadt aufgebaut war und was sich dort abspielte, so ist das doch hochgradig unlogisch. Es kann sich allenfalls um die verwirrten Träumereien eines Jugendlichen handeln, der irgendwelche uralten Bücher gelesen oder Videofilme gesehen hat.« Das wäre eine logische Erklärung, bestätigte sein Extrahirn. »Wenn Hidden-X die Solaner von der SOL locken wollte«, fuhr Atlan fort, »so hat es sich doch angeboten die verborgenen Wünsche dieser Menschen als Lockmittel zu benutzen.« Auch diese Folgerung bestätigte der Logiksektor. Etwas spöttisch fügte er dann hinzu: Es könnte aber auch sein, daß deine Vergangenheit und deine Wünsche das Leitbild waren. Atlan zog es vor, nicht darauf zu reagieren. Er beobachtete über die Bildschirme und die Sichtfenster der SCHNECKE, was sich draußen tat. Noch war alles ruhig und unverändert. Ich habe noch eine andere Überlegung einbezogen, meldete sich erneut der Extrasinn. Das Logbuch der SOL. Diese Mitteilung bedeutete für Atlan eine Überraschung. Das Logbuch war nach Breckcrown Hayes' Aussage auf unerklärliche Weise entführt worden. Bis jetzt gab es nicht den geringsten Hinweis darauf, wo es war und wer der Verursacher gewesen sein könnte. »Was soll das Logbuch mit der Landschaft im Nichts zu tun haben? Über Wildwestszenen steht da doch nichts drin.«
Richtig. Aus den niedergeschriebenen Fakten der Vergangenheit der Solaner läßt sich aber indirekt etwas über deren Mentalität folgern. Ich traue Hidden-X zu, daß er das Logbuch gestohlen und studiert hat. »Oder der Schalter«, vermutete Atlan. Auch das erscheint mir im Bereich der Möglichkeiten. Die Szenen der Landschaft im Nichts, die abenteuerlichen Charakter hatten und die, die reine Erholung anboten, passen dazu. Überlege, was die Solaner durchgemacht haben, seit Perry Rhodan sie auf ihren eigenen Weg entließ. Die Erdverbundenheit wurde mit Gewalt unterdrückt. Das mußte zu Gegenreaktionen im Unterbewußtsein führen. Atlan versuchte, über die Funkempfänger ein Signal von Oggar aufzufangen, aber auf allen Kanälen, die die Empfänger ununterbrochen in Sekundenbruchteilen absuchten, herrschte nur ein diffuses Rauschen. Plötzlich gab es einen Ruck, den die Gravitationsstabilisatoren der SCHNECKE nicht sogleich ausgleichen konnten. Das kleine Beiboot war ein Stück nach unten gesackt. Atlan erkannte sofort die Ursache. Unter der SCHNECKE gab es keinen Boden mehr. Die Landschaft im Nichts begann sich zu durchlöchern. Der Zentralkegel stand unverändert an seinem Platz, aber ringsum löste sich der Boden in rasender Geschwindigkeit auf. Keine Spur blieb zurück. Alles fiktiv, kommentierte der Logiksektor. Und doch erschien es absolut materiell. Atlan dachte unwillkürlich an die Zeit zurück, zu der er auf der damaligen Kunstwelt Wanderer der Superintelligenz ES gewesen war. Dort hatte ES mit einem unverständlichen Aufwand ähnliche Szenen aus der Geschichte der Menschheit erzeugt. Bedeutete das, das Hidden-X über ähnliche Machtmittel verfügte als ES? Dann, so sagte sich der Arkonide, war sein Kampf gegen dieses Wesen sinnlos. Er würde ihn nie zu einem Erfolg führen können. Irrtum! erklärte der Extrasinn hart. Du bist nicht allein. Das
Multibewußtsein Oggar hilft dir. Auch mit der Paramathematikerin Sanny hast du eine Stütze. In mancher Beziehung ist SENECA ihr gegenüber nicht mehr als eine Blechdose. »Du übertreibst.« Während des teils lautlosen Gesprächs bemerkte Atlan, daß die Energieortung das Erlöschen des Sperrfelds um den Zentralkegel anzeigte. Da die Landschaft im Nichts verschwunden war, wurde diese Sperre wohl nicht mehr benötigt. Chybrain, fuhr der Extrasinn unbeirrt fort. Gut, niemand weiß, wer oder was er ist. Er kommt mir jedoch irgendwie heimisch vor. Über seine Mittel weißt du etwas, aber bestimmt. Atlan lenkte die SCHNECKE in eine größere Nähe zu dem Zentralkegel. Der lag jetzt völlig frei von jeglichem Erdreich. Auch Teile der mauerartigen Verkleidung, die wohl nur Tarnung gewesen war, waren ausgelöscht. »Soll das heißen, daß ich mich nicht als Vorkämpfer für eine Aufgabe verstehen soll, die im Sinn der Kosmokraten ist, sondern als Koordinator?« Als beides, behauptete der Extrasinn. Und glaube ja nicht, daß du dein Ziel in den nächsten Tagen erreichen wirst. Hast du dich schon einmal gefragt, wo Hidden-X jetzt ist? »Ist er überhaupt irgendwo?« Er war in der Statue des Ysterioons. Das steht fest. Chart Deccon hat ihm eine entscheidende Niederlage zugefügt und ihn damit vertrieben. Der Zentralkegel stand unbeweglich an seiner alten Stelle. Was dort geschah, konnte Atlan nur vermuten. Es gab noch immer keinen Hinweis darauf, was Oggar erreicht hatte. Auch die Funkstörungen blieben. »Niederlagen machen den Feind stark. Er ist gewarnt und damit vorsichtiger.« Oder rücksichtsloser. Die Ereignisse im Ysterioon haben die Aufmerksamkeit von Hidden-X wahrscheinlich erst auf die SOL gelenkt. »Es hat dadurch erkannt, welch großartiges Schiff die SOL ist. Es will sie für sich.«
Und es wird sie lieber vernichten, als sie weiter in der Hand seiner Feinde belassen. Der Zentralkegel setzte sich in Bewegung. Du mußt jetzt schnell handeln, sonst hängt man dich ab. Die Warnung war deutlich. Atlan beschleunigte das kleine Gefährt. Er hatte schon die Stelle ausgemacht, an der er erstmals mit Sanny und Bit in den Zentralkegel eingedrungen war. Das Sperrfeld war verschwunden. Er konnte nur hoffen, daß es keine anderen Hindernisse gab. Die SCHNECKE schoß auf den Zentralkegel zu. Der kleine und einfache Bordprozessor versorgte Atlan mit den notwendigen Instruktionen. Es gab einen mechanischen und einen magnetischen Koppelmechanismus. Atlan schaltete beide Systeme ein und manövrierte die SCHNECKE an den doppelten Eingang. Auch hier fehlte jetzt die tarnende Verschalung aus glasartigem Gestein. Das kleine Gefährt koppelte an. Selbständig stellte es einen Tunnel zu dem Eingang her, so daß ein Entweichen der Atmosphäre verhindert wurde. Atlan überprüfte seine Ausrüstung. Seine ursprünglichen Waffen und Geräte hatten ihm die Roboter des Schalters nach der Gefangennahme abgenommen. Er war auf das angewiesen, was in der SCHNECKE vorhanden war. Eine Waffe glich einem Impulsstrahler. Die andere, die schon an seinem Gürtel hing, war klobiger. Über ihre Wirkung wußte Atlan nichts Genaues. Ein Dislozierungsprojektor in tragbarer Version, erklärte ihn der Extrasinn auf. Zumindest erscheint mir das logisch. Mit einem Satz war Atlan im Vorraum des Eingangs. Hier hatte sich gegenüber seinem ersten Hiersein etwas verändert. Eine Schleuse versperrte ihm den Weg. Logisch, kommentierte der Extrasinn seine kurze Verblüffung. Du betrittst kein Bauwerk mehr, das auf einer Welt mit Atmosphäre steht.
Nun hast du ein Raumschiff vor dir, das diesen Eingang gegen das Vakuum des Weltalls abschirmt. »Weltall ist gut«, murmelte Atlan und überprüfte den Schleusenmechanismus. »Ist das denn unser Weltall, in dem wir uns befinden? Ist das scheinbare Mini-Universum mit dem Verschwinden der Landschaft im Nichts auch verschwunden?« Unwahrscheinlich, lautete die Antwort. Die Sonne Super, die bestimmt nicht zum realen Universum gehört, ist immer noch an ihrer alten Stelle. »Sonne«, fauchte Atlan in einem Anfall von Sarkasmus. »Offenbar ist dieser Glutball auch nur ein Produkt des Hidden-X.« Der Extrasinn schwieg. Sekunden später hatte Atlan den Schleusenmechanismus verstanden. Hinter ihm glitt eine Wand über die Außenhülle. War er gefangen? Oder handelte es sich um eine Doppelschleuse? Wieder schwieg der Extrasinn. Nach Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, glitt die Wand, die den Weg nach innen versperrte, zur Seite. Dahinter befand sich ein weiterer Raum mit einem dritten Tor, das noch verschlossen war. Also doch eine Doppelschleuse, meinte der Logiksektor überflüssigerweise. »Sag mir lieber«, brachte Atlan hervor, »was mich dahinter erwartet.« Natürlich gab der Logiksektor darauf keine Antwort. Der Öffnungsmechanismus zu dieser Tür arbeitete nach dem gleichen Prinzip wie zuvor. Als das Schott in die Höhe glitt, erkannte Atlan die Beine von zwei Robotern. Er zögerte keine Sekunde. Der Impulsstrahler lag schußbereit in seiner rechten Hand. Als er die Kniegelenke der Roboter sah, stellte er die Waffe auf breite Fächerung. Als der Unterleib auftauchte, drückte er ab. Sofort entwickelte sich eine fast unerträgliche Hitze. Der Qualm versperrte ihm die Sicht, aber er feuerte weiter, je höher das Schott
glitt. Irgendwo in seiner Nähe lief eine Absaugeinrichtung an. Gleichzeitig drangen kühlende Luftströme von oben auf die Szene. Der Rauch war schnell verschwunden. Atlan blickte auf die Trümmer, die von den beiden Maschinen übriggeblieben waren. Er hatte schnell und richtig gehandelt. Zwei Roboter kommen selten allein, erhielt er eine Warnung des Logiksektors. »Du bist heute merkwürdig aktiv.« Der Arkonide stieß die Worte hervor und spurtete los. Sein fotografisches Gedächtnis unterstützte ihn durch die Erinnerungen an seinen ersten Aufenthalt in dieser Zone des Zentralkegels. Seine frühere Vermutung, daß sich in der angrenzenden Halle ein Energieaufbereitungssystem für eine Hochleistungswaffe befand, war zum Teil während des Anflugs mit der SCHNECKE bestätigt worden, denn dicht darüber war hinter der nun verschwundenen Verkleidung aus Mauerwerk etwas zu sehen gewesen, was einem weitreichenden Hochenergiegeschütz verdammt ähnlich gesehen hatte. Er verbarg sich zunächst zwischen den mächtigen Maschinenblöcken und sondierte die Umgebung. Es war jedoch keine Bewegung zu erkennen. Plötzlich lag ein Summen in der Luft. Atlan brauchte einen Moment, um zu erkennen, daß die Aggregate der Halle nun ihre Arbeit aufnahmen. Die Systeme wurden unter Energie gesetzt. Das bedeutet, behauptete sein Extrahirn, daß Oggar und Breiskoll den Schalter nicht überwältigen konnten. Immer deutlicher erkannte Atlan, daß es richtig gewesen war, Oggar zu folgen, als die Landschaft im Nichts verschwand. Wahrscheinlich waren Breiskoll, Sanny und Oggar in höchster Gefahr. Der untere Teil des Zentralkegels war ihm in den wichtigsten Teilen von seinem ersten Aufenthalt her gut bekannt. Dort befand
sich auch die Zentrale, von der aus der Zentralkegel wahrscheinlich beim Raumflug gelenkt wurde. Es mutete Atlan zwar etwas merkwürdig an, daß diese praktisch im Heck des Raumschiffs war. Er hatte aber inzwischen gelernt, daß fast alles, was mit Hidden-X zu tun hatte, anders war. Also muß ich mich nach unten orientieren, überlegte er. Wo man dich mit Sicherheit erwartet, antwortete das Extrahirn. »Ich werde ausnahmsweise einmal auf dich hören, Quälgeist«, sagte Atlan laut. Dann wandte er sich dem Zentrum des Zentralkegels zu. Hier vermutete er Vorrichtungen, über die er in den oberen, ihm noch völlig unbekannten Teil gelangen konnte. Oggar hatte nach dem kurzen telepathischen Kontakt mit Bjo Breiskoll nichts Genaues über dessen Aufenthaltsort gesagt. Es war durchaus möglich, daß es an der Spitze des Kegels auch eine Zentrale und dazu Einrichtungen gab, die viel wichtiger waren. Erstaunt registrierte Atlan, daß nun im Innern des Zentralkegels praktisch alle Tarnvorrichtungen aus Gestein und gläsernen Wänden verschwunden waren. Es schien, daß diese Schutzmaßnahmen auch Projektionen gewesen waren. Dafür war nun alles viel weiträumiger. Er betrat den Raum mit den großen Särgen, aber auch diese waren verschwunden. Vor ihm gähnte eine Halle, in der sich absolut nichts befand. Nicht einmal eine Beleuchtung existierte hier. Nur durch die Ausgänge zu den angrenzenden Räumen, die in der Peripherie des Zentralkegels lagen, fiel künstliches Licht herein. Er umkreiste die leere Halle an der Außenseite, um einen Weg in andere Bereiche des Zentralkegels zu finden. Der frühere labyrinthartige Charakter war vollkommen verschwunden. Alles wirkte nun zweckmäßig, technisch, aber absolut fremdartig. Wer mochte dieses Raumschiff gebaut haben? Ein Wesen, wie es Hidden-X war, tat so etwas nicht selbst. HiddenX ließ arbeiten – das war klar.
Irgendwie erinnerte das Innere des Zentralkegels Atlan nun an das merkwürdige Bild, das Lyta Kunduran hier im Zentralkegel auf einem Bildschirm gezaubert hatte. Ein wahrscheinlich monumentales Objekt aus ineinander verschachtelten Flächen und Körpern, die aus blankem Metall zu sein schienen. Das Flekto-Yn hatte Sanny die Unterschrift übersetzt. Die jetzige Heimstatt von Hidden-X? Die Vermutung lag nahe, aber es gab keinen schlüssigen Beweis. Das Extrahirn schwieg zu seinen Überlegungen. Das Niveau des Zentralkegels, auf dem er sich jetzt befand, lag noch mindestens 400 Meter unter der Spitze. Der ganze Raum, der über Atlan lag, war damit so groß, daß eine systematische Erforschung Wochen gedauert hätte. Als das halbe Rund hinter ihm lag, entdeckte er direkt vor sich einen kleinen Antigravschacht. Er war jedoch nach unten gepolt, und es ließ sich kein Mechanismus finden, mit dem sich dies hätte ändern lassen. Er beschloß, gegen den Rat des Extrahirns zu handeln und diesen Weg zu nehmen. Als er jedoch den Schacht betrat, änderte sich die Richtung der künstlichen Gravitation, und er wurde nach oben getragen. Damit kam er in Bereiche, die er nicht kannte. Er ließ sich treiben, obwohl mehrere seitliche Öffnungen des Schachtes ein Aussteigen erlaubt hätten. Narr! schimpfte der Logiksektor. Man beobachtet dich. Sonst hätte man doch nicht die Richtung des Antigravschachts umgepolt. Atlan reagierte nicht auf diese Warnung, aber er blieb wachsam. Es gab für ihn in dieser Situation nur die Möglichkeit, die direkte Konfrontation zu suchen. Alles andere wäre Zeitverschwendung und damit eine unnötige Gefährdung der Leben seiner Freunde und Helfer gewesen. Nach etwa 200 Metern, so schätzte er, endete der Schacht. Er stieg seitlich aus und blickte sich um.
In dieser Ebene gab es keine Leerräume. Alles war mit technischen Aggregaten überfüllt. Eine Stimme klang aus nicht erkennbaren Lautsprechern an sein Ohr. Es war die Stimme des Schalters, und er sprach molaatisch. Da Atlan keinen Translator mit sich führte, konnte er die Worte nicht verstehen. Das Klangbild der Worte enthielt jedoch Zuversicht und Selbstsicherheit. Das war ein weiterer Beweis dafür, daß der Schalter die Situation nach seinem Willen kontrollierte. In seiner Nähe liefen andere Maschinen an. Alles summte leise und zeugte von hoher Aktivität. Kampfbereitschaft! verbesserte ihn sein Logiksektor. Es gab jedoch keine spürbaren Hinweise darauf, daß der Zentralkegel volle Fahrt aufnahm. Wundert es dich nicht, daß man dich so einfach hier herumstöbern läßt? fragte das Extrahirn. Atlan fühlte sich durch die häufigen Bemerkungen des Logiksektors eher abgelenkt. Sein anderes »Gehirn« mochte zwar mit seinen Warnungen, Hinweisen und Bemerkungen berechtigte Bedenken anmelden, aber eine wahre Hilfe war es in dieser Lage nicht. Du irrst dich! Eine große Unsicherheit beschlich den Arkoniden. Er blieb stehen und starrte die gewaltigen Maschinen an, die diese Halle ausfüllten und auch die angrenzende, zu der ein großes Tor führte. Er war allein, sagte er sich. Vielleicht waren Bjo und Sanny gar nicht mehr am Leben. Vielleicht war Oggar ein … Nein, nicht. Nicht, wenn das stimmte, was er erfahren hatte, wenn die entführten Bewußtseinsinhalte von Sternfeuer und Cpt'Carch in diesem Androidenkörper weilten. Die Unsicherheit wollte nicht weichen. Atlan spürte, wie er einen
inneren Kampf mit sich selbst ausfocht. War er diesen Mächten überhaupt noch gewachsen? Vielleicht steckte Hidden-X in diesem Zentralkegel? Was war mit der SOL geschehen? Warum kam ihm niemand zu Hilfe? Seine Zweifel wurden durch ein Wort seines Extrasinns vernichtet. Kämpfe! Er atmete tief durch. In diesem Moment spürte er einen zerrenden Schmerz in seinem Körper. Er lehnte sich gegen das auf, was nach ihm griff, aber er fühlte, daß er keine Chance hatte. Etwas griff nach ihm, unwirklich, körperlos. Aber es war da. Die fremde Umgebung verwandelte sich in Schwaden aus Nebeln und wabernden Gestalten. Die Wände verbogen sich. Die Maschinen lachten voller Hohn auf. Er nahm den Kampf auf, aber eine eisige Kälte riß ihn aus der Wirklichkeit. Ein Gefühl bemächtigte sich seines Bewußtseins, als ob er gegen seinen Willen durch Äonen getragen wurde. »Ganz schön widerspenstig«, sagte Hapeldan und blickte Atlan aus seinen kleinen Augen an. »Ich habe die höchste Leistungsstufe des Ego-Transmitters benötigt, um dich über ein paar Etagen zu befördern. Hut ab, Herr Solaner Atlan.« Der Arkonide bemerkte, daß er räumlich versetzt worden war. Neben ihm lag Sanny auf dem Boden. Daneben stand Bjo Breiskoll in totaler Starre. Ein paar Meter weiter hockte Oggar verkrümmt auf dem Boden. Dicht vor ihm hielt Gammler seine eine Hand hoch und ballte sie vor Atlans Gesicht zu einer Faust. Ein überhebliches Lächeln lag in dem Gesicht des Roboters. Er macht immer noch Fehler, teilte der Extrasinn Atlan mit. Er hält dich für einen Solaner. Dann traf ihn der Paralysestrahl Gammlers.
5. Breckcrown Hayes saß hinter den beiden SOL-Piloten Vorlan und Uster Brick in seinem mobilen Sessel. Im Augenblick hatte die SOL keine Fahrt. Sie stand in einer Entfernung von 43.800 Kilometern von der Oberfläche von Super entfernt. Vor einer Minute waren die drei Robotschiffe in die Korona von Super eingedrungen. Von nun an bestand keine Funkverbindung mehr. Hayes mußte sich auf die Programmierung verlassen, die seine Stabsspezialisten mit der Hilfe von SENECA vorgenommen hatten. Seine Augen verfolgten aufmerksam jede Reaktion in der Hauptzentrale der SOL im Mittelteil. Sein Körper war leicht nach vorn gebeugt, sein Gesichtsausdruck überdeckte mit äußerlicher Gelassenheit die innere Anspannung. Man konnte meinen, daß Hayes lässig in dem Kontursessel hockte. Aber das wäre das Urteil eines beklommenen Solaners gewesen, denn seine Haltung, seine Gestik, seine Worte, sie strahlten Ruhe aus, keine Überheblichkeit. Breckcrown Hayes war mit jedem Zoll seines Körpers ein High Sideryt, wie die SOL und die Solaner ihn brauchten. Er dirigierte, lenkte und entschied, aber er war kein Tyrann. An die Narben in seinem Gesicht hatte man sich längst gewöhnt. Es gab Chirurgen an Bord der SOL, für die es eine Kleinigkeit gewesen wäre, sie mit den Mitteln der Medizin zu beseitigen oder sie mit einer lebenden Schicht aus organischem Plasma zu überdecken. Breckcrown Hayes lehnte solches Ansinnen freundlich aber bestimmt ab. »Meine Kraterlandschaft«, pflegte er zu sagen, »ist ein Teil von mir. Deswegen sollte aber kein Solaner glauben, ich sei eine durchlöcherte Kraterlandschaft.«
Man verstand, daß er damit den Menschen Hayes, seine Gefühle, seinen Verstand und seine Verantwortung meinte. Allein die Sinnungswandlung der früheren Magniden bewies, daß der eigentlich einfache Mensch Breckcrown Hayes einen unaufdringlichen, positiven Einfluß ausüben konnte, der zur Stabilisierung der inneren Verhältnisse auf der SOL so dringend notwendig gewesen war. Seit drei Minuten waren nun drei Robotschiffe im Nahbereich der Scheinsonne Super. Weitere drei Minuten waren von SENECA dafür berechnet worden, um in die Innenzone zu gelangen. Breckcrown Hayes war ungeduldig, aber er zeigte es nicht. Er fand sogar noch Zeit, um dem Geplänkel zwischen den beiden BrickZwillingen zu folgen. »Schäbiges Ahlnatenprodukt«, schimpfte Uster Brick gerade seinen Zwillingsbruder Vorlan an. »Du bist der hirnrissigste Pilot, der mir je in meinem Leben begegnet ist. Du kannst unsere SOL nicht einmal in Ruhe auf der Stelle halten. Deine übernervösen Finger, die deine beginnende Verkalkung signalisieren, gehen mit der Tastatur um, als wäre sie ein belegtes Brötchen mit verdorbenem Senf.« Uster pflegte die härteren Worte zu benutzen. Vielleicht lag es daran, daß er mit seinen 1,64 Metern Körpergröße gegenüber Vorlan immer in einem scheinbaren Nachteil war. Sein Zwillingsbruder, dem er, abgesehen von der Körpergröße, äußerlich vollkommen glich, war meist der ruhigere Typ. Deswegen waren seine Antworten auf die scheinbaren Streitereien in der Regel kürzer, aber nicht weniger treffend. »Stimmt, Ersatzteil«, antwortete Vorlan. Gleichzeitig kontrollierte er die Meßwerte der Schubdüsen der Notsysteme der SZ-2, denn alle Maschinen der ganzen SOL standen in voller Alarmbereitschaft. Breckcrown Hayes wußte, daß er sich auf dieses Gespann von Piloten verlassen konnte. Er selbst war anfangs nur Pilot gewesen. Emotionauten gab es schon lange keine mehr auf der SOL.
Wahrscheinlich, so sagte sich der High Sideryt, lag das an den Folgen der seelischen Vereinsamung durch das Leben im Weltraum. Die Sonne Super oder Einauge, nach allem, was man bisher wußte, ein Produkt des unbekannten Hidden-X, stand unverändert auf den Bildschirmen. Die Robotschiffe mit den Waffen, die der SOL zur Verfügung standen, und die ganze Sonnensysteme zu Staub verwandeln konnten, konnten sich nicht melden. Aber in wenigen Minuten, so dachte der High Sideryt, würden an den Zielpunkten die automatischen Auslöser einen Feuerzauber entfachen, dem auch ein Produkt des Hidden-X nicht widerstehen konnte. »Wenn du mir zustimmst, Plastiktüte«, meinte Uster mit schnarrender Stimme, »dann beweist das auch deine Unfähigkeit. Ich habe dich nämlich absichtlich angelogen.« »Du kannst nichts anderes als lügen.« Vorlan korrigierte einen Programmschritt, denn eine Überprüfung der Positroniken der SZ1-Kreuzer schien ihm im Augenblick nicht erforderlich. »Warum darf dieser Untersolaner Atlan begleiten«, klagte Uster mit gespieltem Ernst, »und nicht ein fähiger, durchblickender, Kenntnis besitzender und vermittelnder Solaner, wie ich ihn repräsentifiziere.« »Interpretifiziere, Dünnbrettbohrer.« Vorlan Brick schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Und so etwas läßt man an die Kontrollen der SOL!« »Du meinst wohl die Konsolen der SOL, Bruderschmerz, Überwüchsiger«, deklamierte Uster mit wilden Gesten. »Du weißt es zwar nicht, weil die Natur dir das zugemessen hat, was dir zusteht, aber zwischen Begriffen und dem, was sich dahinter verbirgt, besteht ein Unterschied, der größer ist als der, der zwischen einem Solaner und einem Terraner …« Uster Brick brach mitten im Satz ab. Auch Breckcrown Hayes war sofort hellwach. Auf den Orterschirmen zeichnete sich ein verschwommenes Echo ab, das aus der Sonne des Hidden-X kam.
40.000 Kilometer waren eine lächerliche Entfernung für die Ortungssysteme der SOL. »Feinauflösung«, sagte Breckcrown Hayes. Bevor er eine Antwort erhielt, teilte die Ortungszentrale mit: »Objekt nähert sich der SOL. Es ist in einen Energieschrank gehüllt, der aus bekannten und unbekannten Komponenten besteht.« »Feinauflösung!« wiederholte der High Sideryt ruhig. »Hier SENECA. Wir haben einen Punkt nicht genügend berücksichtigt. Es könnte sein, daß bei einem Direktangriff auf die Sonne Einauge sich diese wehrt.« Der Kurs des Objekts, das aus der Sonnenkorona kam, wich aus der Richtung zur SOL in einem Winkel von mindestens 60 Grad ab. »Das Ding ist keine Gefahr«, meinte Lyta Kunduran, die nach den Ereignissen auf der Landschaft im Nichts wieder ihren normalen Posten als Stellvertreterin des Leiters der Hauptzentrale im Mittelteil einnahm. Aber auch ihr Chef, der Leiter der Zentrale, Gallatan Herts, ExMagnide, war anwesend. »Triebwerke auf halbe Leistung, Ausweichmanöver vorbereiten.« Die Worte des High Sideryt waren klar und deutlich. Sie hatten aber keinen übertriebenen Befehlscharakter. Die Brick-Zwillinge grinsten sich an. Ihre Hände lagen auf dem Tastenfeld der Steuerung. Und sie setzten die Anweisungen von Hayes sofort um. Die SOL nahm Fahrt auf. Sie bewegte sich von der vermeintlichen Flugrichtung des Objekts, das aus Einauge kam, fort. Lyta »Bit« Kunduran protestierte nicht, aber ihre Augen sprachen Bände. Breckcrown Hayes sah auch diese Geste. »Ihr stellt euch manches zu leicht vor.« Seine Augen lagen auf den Anzeigen der Ortung. »Linearetappe vorbereiten!« Lyta Kunduran schwieg, aber Uster und Vorlan Brick sagten wie
aus einem Mund: »Ziel?« »Die andere Seite von Super-Einauge.« »Oder Einauge-Super.« Uster Brick lachte seinem Zwillingsbruder in das Gesicht. Ihm war anzumerken, daß er sich regelrecht freute, daß wieder etwas geschah. Er programmierte die erste Hälfte der Daten, und Vorlan steuerte den restlichen Teil bei. »Idiot!« grinste Uster, weil Vorlan alles so gemacht hatte, wie es gemacht werden mußte und wie er selbst es getan hätte. »Seid nicht zu übermütig«, warnte der High Sideryt. »Ihr scheint die augenblickliche Gefahr zu unterschätzen.« Das in unbekannte Energien gehüllte und damit nur schwer ortbare Objekt aus der Sonne bewegte sich mit der relativ langsamen Geschwindigkeit von etwa 2000 Kilometern pro Minute seitlich an der SOL vorbei. Der Kurs zeigte eher von der SOL weg als auf diese zu. Gerade das war es, was Hayes so mißtrauisch machte. »Kann die Ortung nicht endlich einmal eine Feinauflösung bringen?« drängte er. »Ein verschwommenes Bild«, kam nun die Antwort direkt aus der benachbarten Ortungszentrale. »Wir können noch keine eindeutige Auswertung vornehmen. Der Kurs des Objekts zeigt auch in keine bevorzugte Richtung.« Breckcrown Hayes wollte nun eigentlich fragen, ob die Linearetappe vorbereitet war. Ein Blick auf die Kontrollanzeigen des Pilotteams ließ ihn jedoch schweigen, denn alles Notwendige war geschehen. Er dachte kurz an seine erste Ausbildungszeit als Pilot zurück. Damals war er 22 Jahre alt gewesen, aber er hatte ausgesehen wie 50. Viele hatten ihn belacht, aber er hatte sie mit seiner Gelassenheit und der schnellen Auffassungsgabe eines Besseren belehrt. Heute war er fast 43 Jahre alt, und er sah aus wie ein
Hundertjähriger. Die Narben der SOL-Würmer waren nicht der Grund dafür. Es war eine unerklärliche Laune der Natur, daß er äußerlich so schnell gealtert war. Die beiden Bricks, so merkwürdig und manchmal geradezu idiotisch sie sich untereinander verhielten, waren gute Burschen. Auf sie konnte sich Hayes bedingungslos verlassen. In Momenten der Gefahr reagierten sie wie ein bestens eingespieltes Team, das sich die notwendigen Handgriffe exakt teilte. Sie handelten dann wie ein Pilot, was nur durch ihre eineiige Zwillingsschaft erklärbar war. Ein Team, dachte Hayes. Sind wir nicht alle zusammen auf der SOL ein Team? Früher war es auf der SOL anders gewesen. Die Ereignisse seit Atlans Auftauchen hatten die Solaner zusammengeschweißt, ihnen ein neues Ziel und ein sinnvolleres Verhalten gegeben. Heute waren sie alle ein Team, Solaner, Buhrlos, Halbbuhrlos, Bordmutanten, Fremde und Extras, und auch Atlan und die wenigen, die er um sich geschart hatte. Die Ortungsanzeigen signalisierten eine Veränderung, die Hayes schon geahnt hatte. Das Objekt aus der Sonne Super wechselte seinen Kurs. Gleichzeitig merkte der High Sideryt, daß etwas nicht so geklappt hatte, wie man es geplant hatte. Die Zeit der drei Robotschiffe, zwei Korvetten und eine Space-Jet, war abgelaufen. Längst hätten im Innern der künstlichen Sonne gewaltige Antimaterie- und Arkonbomben ihr Vernichtungswerk begonnen haben müssen. Doch nichts war geschehen. »Kurs des unbekannten Objekts«, meldete die Ortungszentrale. »Es kommt genau auf die SOL zu. Seine Geschwindigkeit nimmt rasant zu. Wir können jetzt eine Feinortung durch die Energiehüllen hindurch vornehmen.«
Hayes sah ein aufgelöstes, positronisches Bild auf einem Schirm. Noch bevor einer der Spezialisten es kommentierte, erkannte er, was da auf die SOL zuraste. Es war die robotische Space-Jet, die vor wenigen Minuten mit ihren Vernichtungswaffen in das Innere von Super gelenkt worden war! Breckcrown Hayes' Gedanken überschlugen sich. Seine eigene Waffe müßte längst alle Systeme gezündet haben. Doch jetzt kam sie auf ihn zu! Nein, nicht auf ihn, verbesserte er seine Überlegungen. Auf die SOL, auf die Solaner. Wer eine solche Veränderung der Tatsachen durchführen konnte, der war mehr als gefährlich. Entweder er hatte Hidden-X in dieser Aktion zu sehr unterschätzt, oder aber die noch weitgehend völlig unbekannten Mechanismen der Sonne Super begannen sich zu wehren. Sie schlugen mit den Waffen des Gegners zurück. Hayes hatte keinen Zweifel mehr daran, daß das heranrasende Schiff in unmittelbarer Nähe der SOL seine gewaltigen Energien auslösen würde. »Sprungetappe!« Er bellte den Befehl heraus. Jetzt kam es womöglich auf jede Sekunde an. Die SOL beschleunigte mit höchsten Werten, um in kürzester Zeit in den Linearraum zu wechseln. Die Space-Jet war bereits gefährlich nah heran, als Uster Brick die Linearetappe auslöste. Die Energieortung registrierte noch die ersten Anzeichen einer gewaltigen Detonation an der Stelle, an der die SOL gerade noch gewesen war. Das Hantelschiff selbst war aber schon einen Sekundenbruchteil später verschwunden. Noch während des kurzen Fluges durch den Linearraum, der auf die andere Seite von Super führen sollte, meldete sich SENECA. »Erhöhte Vorsicht ist nach meinen Berechnungen unbedingt
geboten«, warnte die Biopositronik. »Es ist klar, daß unser Gegner eines unserer Bombenschiffe umprogrammiert und zu uns zurückgeschickt hat. Wir haben jedoch drei Schiffe losgeschickt. Wo sind die beiden anderen?« »Ja, wo sind sie denn?« Vorlan blickte seinen Zwillingsbruder fragend an, aber der zog es vor, einmal zu schweigen. Breckcrown Hayes sollte sehr schnell merken, worauf SENECA angespielt hatte. Als die SOL jenseits der Sonne wieder in dem Normalraum auftauchte, der hier als solcher fungierte, obwohl er ja in dem merkwürdigen, abgeschirmten Miniuniversum bestimmt alles andere als ein Normalraum war, erfaßte die Ortungsanlagen sogleich zwei Objekte. Trotz der unbekannten Energieschirme, in die sie gehüllt waren, ähnelten sie in hohem Maß den beiden eigenen Korvetten. Am liebsten hätte Hayes sofort die Anweisung gegeben, sich von hier zu entfernen. Er wußte aber, daß er seinem unbekannten Gegner auf die Dauer nicht ausweichen konnte. Er mußte sich mit der SOL zu einem Kampf gegen die eigenen Schiffe stellen. SENECA schaltete sich erneut ein. »Wir haben die Sonne Super und ihre Einrichtungen gewaltig unterschätzt. Man hat unsere Robotschiffe nicht nur umprogrammiert und gegen uns geschickt. Man hat sogar unser voraussichtliches Verhalten richtig berechnet und in einen Schlachtplan umgesetzt. Man hat die SOL hier erwartet.« Die beiden Korvetten hielten in scheinbar normalen Flug auf die SOL zu. Ihre tödlichen Vernichtungswaffen waren nicht erkennbar, aber jeder in der Kommandozentrale wußte, daß sie dort waren und daß sie nun gegen die SOL eingesetzt werden sollten. Die zusätzlichen Energieschirme, in die die beiden Schiffe gehüllt waren, ließen sich in ihrem Wert nur ungenau kalkulieren. SENECA vermutete jedoch, daß sie zumindest ein Gleichgewicht zwischen der SOL und den Bombenschiffen herstellten.
»Die Korvetten beschleunigen«, erklang es von den Ortern. »Kollisionskurs mit der SOL.« Breckcrown Hayes war aus seinem Sessel aufgestanden. »Bei 5000 Kilometern Abstand Feuer aus den Transformgeschützen«, ordnete er an. »Wir können es uns nicht leisten, hier erst noch mit schwächeren Waffen zu experimentieren. Die Sache ist zu heiß. Fluchtetappen vorbereiten.« Die Brick-Zwillinge hoben kurz eine Hand zum Zeichen, daß sie verstanden hatten. Auf den Hauptbildschirmen stellte SENECA die ganze Situation in einer positronischen Grafik dar. Ganz rechts stand die Sonne Super, dicht daneben in weißer Farbe die SOL. Um sie herum lief ein hellblauer Kreis, die von Hayes festgelegten 5000-Kilometer-Grenze. Von links näherten sich aus zwei verschiedenen Richtungen in einem spitzen Winkel die beiden Korvetten. Uster Brick beschleunigte die SOL, so daß man notfalls ohne Zeitverlust in den Linearraum gehen konnte. Sofort paßten die beiden Robotschiffe ihren Kurs einem vorausberechenbaren Zielpunkt an. Ihre Bahnen wurden zu leicht gekrümmten Kursen. Fast gleichzeitig berührten sie die blaue Feuerlinie. »Putzt sie weg!« rief der High Sideryt. In dem gewaltigen Rumpf der SOL dröhnten die Transformgeschütze auf. Sekunden später flammten an den Orten der beiden Korvetten Kilometer durchmessende Flammenhöllen auf. Sie machten für Sekunden jede Ortung unmöglich. Doch dann schossen aus den entfesselten Energien zwei kleine Körper hervor. »Die Korvetten. Unversehrt«, stellte Lyta Kunduran entsetzt fest. Hayes durfte wiederum keine Sekunde verlieren. »Ab in den Linearraum«, rief er den Bricks zu. Die Bildschirme erloschen, als die SOL in das andere Medium
tauchte. Die Freude über die gelungene Flucht währte nur Sekunden. »Ich habe zwei Objekte auf dem Halbraumspürer.« Curie van Herling, die Chefin des Funk- und Ortungspersonals meldete sich persönlich. »Es sind zweifelsfrei unsere beiden Korvetten.« Erst jetzt erkannte der High Sideryt die ganze Tragweite seiner Maßnahme. Er hatte einem Gegner den Kampf angesagt, und dieser versuchte ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Selbst der Linearraum stellte für die Korvetten kein Hindernis dar. Freilich, die SOL war schneller, aber nicht wendiger als die Bombenschiffe. Das Entscheidende war jedoch, daß Hayes überhaupt nicht wußte, wohin er noch fliehen sollte. In der Kommandozentrale sah er nur ratlose Gesichter. Und SENECA schwieg, was mehr als tausend Worte sagte. Die Korvetten folgten der SOL in einer Relativentfernung von etwa einer Lichtsekunde. Sie flogen weit auseinander, und Hayes zweifelte nicht daran, daß sie die SOL genau orten konnten. Was hatte Atlan vermutet? Gegen Hidden-X hat nur das Einfache Erfolg, denn es verblüfft dieses Wesen, seine Diener und seine Produkte. Wo war das Einfache, das Verblüffende? Es gab eine Lösung, dessen war sich der High Sideryt sicher. Aber wenn selbst SENECA sich in ratloses Schweigen hüllte …?
6. Hapeldan gewann seine Sicherheit allmählich zurück. Noch war er nervös und gehetzt. Sein Plan, der im Ursprung der Plan seines Herrn war, war ganz anders verlaufen, als er es sich ausgemalt hatte. Am schlimmsten hatte ihn getroffen, daß sein wichtigstes Werkzeug, der Roboter Gammler, für einige Zeit ausgefallen war. Er
machte Hidden-X dafür verantwortlich, aber er hütete sich, Wut zu empfinden oder über den Sinn dieser Maßnahme intensiv nachzudenken. Nun funktionierte Gammler wieder. Er hatte Atlan niedergestreckt. Hapeldan atmete auf und blickte sich in seiner Nebenzentrale, die sich im Kopf des Zentralkegels auf einer Seite befand um. Normalerweise diente dieser Raum nur dazu, um die Feinheiten und raschen Veränderungen in dem Vlaahalaan durchzuführen. Diese Aufgabe war nun entfallen. Die Landschaft im Nichts existierte nicht mehr. Noch war Hapeldan davon überzeugt, daß der Plan aufgegangen war. Nach seiner Ansicht trieben die Leichen von vielen tausend Solanern im Leerraum. Bei der Übernahme der SOL, die mit den Möglichkeiten des Zentralkegels durchgeführt werden sollte, erwartete er keinen ernsten Widerstand mehr. »Warum hast du vorhin meinen Befehlen nicht mehr gehorcht«, schnauzte er den Roboter an. Nun, da er keine Maske mehr besaß, die ihn wie einen alten Terraner hatte aussehen lassen, wirkte er mit seiner geringen Körpergröße wie ein lächerlicher Zwerg neben dem schlaksigen, einarmigen Roboter. »Es war der Befehl des Herrn.« Gammler reagierte gelassen. »Ich durfte nichts weiter tun, als ihm alle verfügbaren Informationen überspielen. Jetzt ist die Verbindung allerdings unterbrochen.« »Hidden-X ist wieder einmal zornig auf mich.« Der Schalter grinste frech. »Doch das soll mir egal sein. Ich habe meinen Auftrag erfüllt.« »Das hast du nicht«, behauptete Gammler. »Und Hidden-X weiß das inzwischen.« Hapeldan stemmte seine Ärmchen in die Hüften. »Das mußt du mir genauer erklären.« »Gern.« Gammler war jetzt ungewöhnlich ernst. Auch er hatte seine Maskerade abgelegt. »Die Solaner haben dich nach allen Regeln der Kunst hereingelegt. Ich habe inzwischen ein paar
Feinmessungen vorgenommen. Es waren gar keine Solaner, die auf das Vlaahalaan kamen. Es waren Roboter.« »Das stimmt nicht«, fauchte Hapeldan. »Ich selbst habe die ersten Solaner heimlich überprüft.« »Das ist richtig. Immer dann, wenn du selbst aufgetaucht bist, haben sich in deiner Nähe ein paar echte Lebewesen aufgehalten. Sie haben das sehr geschickt gemacht. Auch ich wurde getäuscht, bis Hidden-X eine genaue Analyse verlangte. Da war es aber zu spät. Irgendwie haben die Solaner sogar von der Abschaltung des Vlaahalaans erfahren und ihre wenigen echten Menschen rechtzeitig an Bord geholt.« Hapeldan sackte in sich zusammen. »Der ist an allem schuld«, schrie er plötzlich auf und deutete auf Atlan. Er zerrte eine Waffe hervor und legte auf den Arkoniden an. Was dann geschah, begriff Hapeldan erst später. Wie ein Geschoß schnellte Oggar aus seiner geduckten Haltung. Mit zwei Handbewegungen, die so schnell waren, daß Hapeldan sie kaum verfolgen konnte, wurde ihm zum einen die Waffe aus der Hand geschlagen und zum anderen er selbst in eine Ecke der Zentrale geschleudert. Seine Hilfeschreie gellten durch den Raum. Noch bevor Oggar weiter reagieren konnte, griff Gammler ein. Ein Befehl aus seinem Körper aktivierte Energiefallen, die sich als rote Fesselfelder über Oggar und die Paralysierten legten. Hapeldan kam keuchend aus der Ecke hervor. »Wie war das möglich?« stöhnte er. »Wir wissen fast nichts über Waggaldan«, antwortete Gammler. »Ich habe ihn nie zuvor gesehen. Jedenfalls scheint die Paralyse nicht auf ihn gewirkt zu haben. Er hat uns getäuscht.« »Schon wieder.« In dem Gesicht des Schalters schwollen die Zornesadern an. »Und der da?« Er deutete auf Bjo Breiskoll.
»Wenn die Messungen nicht lügen«, entgegnete der Roboter. »Dann verfügt dieser Solaner über psionische Kräfte. In ähnlichem Maß scheint dies auch für die Molaatin zu gelten.« »Das ist gut.« Hapeldan rieb sich die Hände. »Es bedeutet zwar, daß wir die Solaner nicht auslöschen konnten. Noch nicht. Aber wie es mir scheint, haben wir ihre vier gefährlichsten Personen in unsere Gewalt bekommen. Das wird den Herrn gnädig stimmen. Es wird einfach sein, nun die SOL doch noch ohne Kampf in Besitz zu nehmen.« Gammler reagierte nicht direkt auf diese Aussage. »Es besteht keine Verbindung zu Hidden-X«, meinte er nur. »Das macht nichts. Ich muß den Zentralkegel startklar machen. Dazu muß ich in die Hauptzentrale. Du bleibst hier und bewachst die Gefangenen. Verstanden?« Der Roboter bestätigte das. Kurz darauf verließ Hapeldan den Raum. Gammler überprüfte noch einmal die Fesselfelder. Dann stellte er sich abwartend vor einen Bildschirm, auf dem er den Weg des Schalters durch den Zentralkegel verfolgte.
* Atlan beruhigte sich wieder, zumal er merkte, daß die Wirkung des Paralyseschusses durch die kompensierenden Impulse seines Zellaktivators schnell abklang. Das war haarscharf gewesen. Ohne Oggar wäre er jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach ein toter Mann. Schon kurz nachdem Hapeldan die Schaltzentrale verlassen hatte, konnte er einen Teil seines Körpers wieder bewegen. Freilich hinderte ihn das Fesselfeld daran, normale Bewegungen durchzuführen. Es drückte wie eine zentnerschwere Last gegen jede Partie. Aber das Leben kehrte in seine Gliedmaßen zurück.
Seine Augen glitten durch den Raum. Breiskoll und Sanny lagen völlig still. Bei ihnen wirkte die Paralyse noch voll. Oggar jedoch begann sich langsam zu bewegen. Sein Kunstkörper mußte über ungeheure Kräfte verfügen, denn es gelang ihm tatsächlich, das Energiefeld zu verformen. Schließlich wurde Gammler aufmerksam. Er kam auf Oggar zu und überprüfte die Wirkung des Fesselfeldes. Dann ging er zu einem Schaltpult und nahm dort mehrere Handgriffe vor. Nun begann sich das Energiefeld um das Multibewußtsein zu verstärken. Noch immer wand sich die Gestalt. Das erforderte Gammlers ganze Aufmerksamkeit. Er will ihn ablenken, wisperte Atlans Extrasinn. Wovon? überlegte der Unsterbliche. Von dir, du Narr. Unter Aufbringung aller Kräfte gelang es Atlan, seine rechte Hand an den Griff des Impulsstrahlers aus der SCHNECKE zu bringen. Da sein Körper über der Hand lag, wirkte sich hier das Energiefeld weniger stark aus. Es preßte ihn zwar auf die kalten Stahlplatten des Bodens, aber es gab ihm einen geringen Spielraum für seine Hand. Er mußte rein nach dem Gefühl handeln, denn er konnte die Waffe selbst nur fühlen, nicht jedoch sehen. Schließlich glaubte er, sie so zu halten, daß sie auf eine Stelle zeigte, die zwischen Oggar und dem Platz lag, an dem sich Gammler zuvor aufgehalten hatte. Er war sich nicht sicher, ob sein rechtes Bein noch in der Schußrichtung lag, da durch die Nachwirkungen der Paralyse und die gewaltsame Starre durch das Fesselfeld sein Nervensystem noch unregelmäßig arbeitete. Er versuchte, einen Zeh in dem rechten Stiefel zu bewegen, was ihm schließlich auch gelang. Dadurch war er sich sicher, daß sein Bein nicht in der Schußrichtung lag. Jetzt mußte er nur warten, bis Gammler sich zufällig an jenem Ort vorbeibewegte, auf den die schußbereite Waffe gerichtet war. Das
Fesselfeld würde den Feuerstoß sicher dämpfen, aber verhindern konnte es ihn kaum. Es war, als ob Oggar seine Gedanken erraten hätte. Vielleicht war das Multibewußtsein sogar in der Lage, Sternfeuers telepathische Kräfte so zu verstärken, daß es seine Überlegungen empfing, obwohl dies auf Grund der Mentalstabilität eigentlich unmöglich war. Er versuchte, seine Gedanken zu öffnen. Laß ihn an seinen alten Platz zurück, Oggar! Tatsächlich sackte der Kunstkörper in sich zusammen. Gammler schritt gemächlich zu dem Schaltpult zurück. Kurz bevor er in Atlans Schußrichtung kam, blieb er plötzlich stehen, um sich noch einmal nach dem vermeintlichen Waggaldan umzusehen. Genau in diesem Augenblick erklang die Stimme des Schalters. Er gab über eine Interkomeinrichtung eine Anweisung an Gammler. Atlans Nerven wurden erneut auf eine Zerreißprobe gestellt. Seine Kräfte drohten zu erlahmen. Der Arm wurde unter der Anspannung fast steif. Aber er hielt durch. Als Gammler einen weiteren Schritt machte, krümmte er den Finger am Abzug durch. Er konnte nicht sehen, was geschah, aber er stellte fest, daß sich der Raum mit Qualm füllte. Hapeldans schrille Worte klangen durch das Getöse des Feuerstoßes. Atlan wollte den Finger vom Abzug lösen, aber es gelang ihm nicht. Die Anstrengung war zu groß gewesen. Seine Hand gehorchte den Befehlen des Gehirns nicht mehr … Explosionen dröhnten auf, denn der Flammenstrahl fraß sich in das gegenüberliegende Schaltpult. Trümmer polterten zu Boden, und elektrische Entladungen zuckten durch den Raum. Plötzlich verschwand Atlans Fesselfeld. Nun erst löste er den Finger vom Abzug des Impulsstrahlers.
Mit einem Satz war er auf den Beinen. Gammler lag als ein Haufen aus zerschmolzenem Metall auf dem Boden. Der erste Feuerstoß mußte ihn voll getroffen haben. Oggar, Breiskoll und Sanny lagen noch in den schimmernden Energiefeldern. Du hast Glück gehabt, behauptete der Logiksektor, denn du hast genau den Teil der technischen Einrichtung zusätzlich getroffen, der dein Energiefeld steuerte. Der Arkonide versuchte sogleich, auch seine Freunde von den Fesselfeldern zu befreien. Irgendwo mußte es hier eine entsprechende Schaltvorrichtung geben, auch wenn er damit rechnen mußte, daß Gammler die Einschaltung über ein Fernkommando vorgenommen hatte. Die Schaltfelder in dieser technischen Zentrale waren jedoch so fremdartig, daß Atlan die Funktionen nicht erkannte. Seine Augen flogen über die Konsolen, aber es war eine unlösbare Aufgabe. Endlich glaubte er weitere Bedienungsfelder entdeckt zu haben, die dem von ihm unbeabsichtigt zerschmolzenen glichen. Bevor er sich jedoch an eine nähere Untersuchung wagen konnte, hörte er ein Geräusch hinter sich. Der Schalter kam mit zwei Robotern des Typs, den Atlan bei seinem ersten Besuch im Zentralkegel kennengelernt hatte, in die Zentrale. Der Aktivatorträger zögerte keinen Sekundenbruchteil. Sein Energiestrahl traf ganz kurz hintereinander die Oberkörper der Roboter. Sie sanken zu Boden. Dann zielte er auf Hapeldan, doch der kleine Molaate hüllte sich in ein grünes Energiefeld. Er mußte sich aus seinem Zentralkegel eine entsprechende Schutzvorrichtung besorgt haben. Der Schalter grinste überheblich und zeigte kleine, gelbliche Zähne. Eine unbekannte Waffe lag in seiner Hand. Sie wirkte groß und klobig für die kleinen Gliedmaßen des Molaaten, aber Atlan unterschätzte die Gefahr nicht.
Mit einem Satz verschwand er zwischen den teilweise noch glühenden Teilen des Schaltpults, das er zerschossen hatte. Im gleichen Augenblick sprach Hapeldans Waffe. Neben Atlan verging in Sekundenschnelle ein anderes Aggregat, das er als Deckung benutzte. Mit einem erneuten Hechtsprung verschwand der Arkonide aus der Sichtweite des Schalters und verbarg sich in einem schmalen Gang hinter den Bedienungspulten. Der nächste Schuß Hapeldans schlug über ihm in die Decke. Glühende Metallteile stürzten zu Boden, und Atlan mußte sich erneut in Sicherheit bringen. Er steckte den nutzlosen Impulsstrahler ein und zog die schwere Waffe aus dem Gürtel, in der sein Extrasinn einen tragbaren Dislozierungsprojektor vermutet hatte. Die Wirkung dieser Waffe war Atlan aus eigenem Erleben bekannt, als der HORT Oggars, der über eine große bordgebundene Version verfügte, erstmals in der Nähe der SOL aufgetaucht war. Der Energiestoß selbst war mit den normalen Sinnen nicht feststellbar. Es zeigten sich nur die Auswirkungen bei den Betroffenen. Hier trennte sich im Moment des Beschusses sofort das Bewußtsein vom Körper. Letzterer verfiel in eine scheintodähnliche Starre, während das losgelöste Bewußtsein eine unbestimmte Zeit lang, mindestens jedoch so lange, wie der Dislozierungsprojektor feuerte, in der Nähe durch den Raum geisterte. Durch einen Spalt zwischen zwei Aggregaten pirschte sich Atlan vorsichtig nach vorn. Er mußte erst sehen, wo der Schalter stand, der weiter ziemlich wahllos herumfeuerte und weitere Teile der Einrichtung zerstörte. Du mußt dich beeilen, drängte sein Extrasinn. Dem verrückten Schalter ist es zuzutrauen, daß er in seiner Wut auf die wehrlosen Paralysierten schießt, weil er dich nicht erwischt. »Du hast gut reden« antwortete Atlan lautlos. »Woher weiß ich, ob
dieses Ding den Energieschirm des Schalters durchdringt?« Er erhielt keine Entgegnung. Da er aber inzwischen den inneren Rand der Schaltpulte erreicht hatte, konzentrierte er sich ganz auf seine Aufgabe. Ein kurzer Blick um die Ecke verriet ihm, wo Hapeldan sich aufhielt. Er sah ihn zwar nicht direkt, aber sein Energieschirm warf sein grünes Licht an die Decke. Atlan brachte die schwere Waffe in Anschlag. Er benötigte beide Hände dafür. Dann suchte er sich vorsorglich eine andere Deckung auf der gegenüberliegenden Seite aus. Er schnellte nach vorn und fand in Sekundenbruchteilen seinen Gegner. Der entdeckte ihn im selben Moment. Bevor der Schalter seine Waffe herumreißen konnte, betätigte Atlan die Kontaktplatte des Projektors. Ein feines Summen war zu hören und verriet ihm, daß die Waffe arbeitete. Er rannte quer durch den Raum, sprang dabei über Oggar hinweg, der wieder mit seinem Fesselfeld rang, und duckte sich hinter einen breiten Stahlschrank. Erst jetzt registrierte er zufrieden die Wirkung seiner Waffe. Hapeldan war nicht mehr dazu gekommen, einen Feuerstoß auszulösen. Er lag in merkwürdig verkrümmter Haltung auf dem Boden. Atlan trat von hinten an ihn heran, da hier das Energiefeld nicht wirkte. Er fand ein kleines Kästchen an einem der vielen Gürtel des Molaaten. Mit einem Handgriff schaltete er das Gerät ab. Der Energieschirm erlosch. Dann entfernte er alle Ausrüstungsgegenstände Hapeldans, denn er mußte damit rechnen, daß dessen Bewußtsein nur darauf lauerte, wieder in den Körper zu gelangen und den Kampf fortzusetzen. Er klemmte sich den Schalter unter einen Arm, um ihn als Schutzfaktor zu benutzen, wenn weitere Roboter des Zentralkegels auftauchen sollten. Auch den kleinen Schutzschirmgenerator nahm er an sich.
Erneut untersuchte er die Schaltpulte, um endlich seine Freunde zu befreien. Hapeldan blieb reglos. Dennoch rechnete der Arkonide ständig damit, daß dessen Bewußtsein längst in den Körper zurückgekehrt war und nun auf seine Chance wartete. Atlan entdeckte einen Mechanismus, der die Eingänge zu der Zentrale verriegelte. So war er für einige Zeit jedenfalls vor weiteren Robotern sicher. Allmählich durchschaute er die Funktionen der Einheit, die die Fesselfelder steuerte. Er nahm eine erste Probeschaltung vor. Eine schwankende Energieglocke bildete sich im Raum. Rasch desaktivierte er sie wieder. Sekunden später vollführten seine Hände die richtigen Handgriffe. Die Energiehüllen um Bjo Breiskoll, Sanny und Oggar verschwanden. Nur das Multibewußtsein erhob sich auf seine Beine. »Danke!« Atlan glaubte, daß Sternfeuer zu ihm sprach. »Ich muß mich bedanken«, antwortete er. »Ohne euch wäre ich erstens ein toter Mann und hätte zweitens Gammler nicht ausschalten können.« »Bjo und Sanny leiden noch unter der Paralyse«, erklärte Oggar. »Ich spüre aber aus ihren Gedanken, daß die Wirkung am Abklingen ist.« »Wo steckt Hapeldan?« Atlan konzentrierte sich auf die wesentliche Frage. »Sein Bewußtsein muß noch irgendwo sein. Könnt ihr es spüren?« »Ich spüre nichts«, gab Oggar zu. Diesmal sprach eindeutig das fremde Wesen aus Pers-Mohandot. »Als der Dislozierungsprojektor ihn traf, war ich so überrascht, daß ich ihn nicht verfolgen konnte. Du mußt aber wissen, Atlan, daß ich mich im Notfall von meinem Körper trennen kann.« Atlan mußte sich erst daran gewöhnen, daß das Multibewußtsein in der Regel von sich in der Einzahl sprach. Nur ab und zu kam ein Anteil allein spürbar in den Vordergrund.
»Carch spricht«, meldete sich der Extra. »Hapeldan ist ganz in unserer Nähe. Das weiß ich.« Die beiden Männer blieben wachsam, aber es ereignete sich nichts Verdächtiges. Eine Weile später löste sich die Starre von Bjo Breiskoll und Sanny. »Sehr gut«, stellte Atlan fest. »Jetzt sind wir alle wieder aktionsfähig. Wie soll es weitergehen, meine Freunde?« »Das werde ich dir sagen«, behauptete die Molaatin. »Ich hatte genügend Zeit, um ein paar dringend erforderliche Berechnungen durchzuführen.«
* Der Schock war für Hapeldan unermeßlich groß. Sein Bewußtsein taumelte durch den Zentralkegel. Es spürte die Energien des Schiffes, es ahnte den Ort, wo seine Feinde waren, und es litt unter der grenzenlosen Leere der Körperlosigkeit. Er lernte jedoch, sich gezielt zu bewegen. So suchte er den Weg zurück zu der Schaltzentrale. Auch ohne körperliche Sinne erblickte er seinen Leib. Ein unstillbarer Drang verleitete ihn dazu, sich wieder in diesen zu stürzen, aber noch hielten die Energien aus Atlans Waffe ihn davon ab. Je näher er dem Körper kam, desto größer wurde der Widerstand. Hapeldans Bewußtsein torkelte durch die Zentrale. Nebenbei registrierte er Atlans Aktivitäten. Der Arkonide versuchte, seine Freunde von den Fesselfeldern zu befreien. Hapeldan drang in die Aggregate ein, um das Vorhaben seines Feindes zu stören oder unmöglich zu machen. Er empfand körperliche Finger an sich, aber als er zupacken wollte, griffen diese Finger in die Leere, denn sie selbst waren völlige Leere.
Ärgerlich glitt das Bewußtsein des Schalters wieder zurück. Es kehrte zwar allmählich eine gewisse Ruhe in ihm ein, aber deswegen fühlte er sich nicht weniger hilflos. Was er brauchte, war sein Körper, aber der war durch die verbliebenen Energien noch unerreichbar. Außerdem hatte Atlan die Möglichkeit, ihn schnell erneut zu vertreiben, bevor er etwas erreicht hatte. Der kluge Solaner hatte zudem alle Hilfsmittel und Waffen von Hapeldans Gürtel entfernt. Er brauchte seinen Körper, das stand fest. Oder, überlegte das Bewußtsein, genügte nicht auch ein anderer Körper? Einer, der nicht in die Energien gehüllt war, die ihm den Zugang versperrten? Hapeldan faßte einen kühnen Entschluß. Die Fesselfelder stellten für ihn in seiner jetzigen Form kein Hindernis dar. Breiskoll oder Sanny, das war die Frage. Die Antwort hatte er parat. Er beschleunigte und stürzte sich auf den paralysierten Körper. Er entdeckte das andere Bewußtsein, das unter der Paralyse litt. Dieser Umstand machte es ihm leicht, es sofort zu unterjochen. Als er den Körper in seinem Besitz hatte, wartete er geduldig, bis Atlan die Fesselfelder beseitigen konnte und sich die Paralysestarre auflöste. Inzwischen entnahm er seinem Opfer das notwendige Wissen. Dann hörte er Atlans Frage und antwortete: »Das werde ich dir sagen. Ich hatte genügend Zeit, um ein paar dringend erforderliche Berechnungen durchzuführen.«
7. »Diese sinnlose Flucht ohne Ziel bringt uns nur immer weiter weg von Atlan und den anderen, die auf der Landschaft im Nichts waren«, stellte Lyta Kunduran fest.
»Du hast recht«, stimmte der High Sideryt zu. »Außerdem führt sie zu keinem greifbaren Ergebnis. Noch können wir uns die Korvetten vom Leib halten, aber ewig können wir ja nicht in dem Linearraum bleiben.« »Es sieht so aus«, beteiligte sich SENECA an dem Gespräch der ziemlich ratlosen Solaner, »daß es keinen Ort gibt, an dem wir vor unseren Verfolgern sicher sind.« Breckcrown Hayes lächelte verhalten. »Es gibt einen Ort«, behauptete er. »Und dort werden wir die Entscheidung suchen.« Fragende Blicke richteten sich auf ihn. »SENECA«, fuhr der Mann mit den roten Narben fort. »Du bist doch im Besitz aller Flugdaten und Kursmanöver der letzten Stunden?« »Die weiß ich.« »Dann berechne einen Kurs aus verschiedenen Wechseln zwischen Linear- und Normalraum, der uns schnell wieder zurück zur Sonne Super führt.« »Ist durchgeführt«, teilte die Biopositronik mit. »Darf ich wissen, was du beabsichtigst?« »Du hast festgestellt«, antwortete Hayes gelassen, »daß unser Gegner unsere Maßnahmen recht genau vorherberechnet hat. Deshalb werden wir nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wir tun genau das, womit er nicht rechnet. Außerdem bringen wir uns an einen Ort, wo die Robotschiffe sich hüten, ihre gefährliche Ladung zu zünden und wo wir direkt auf unseren Gegner treffen.« »Ich verstehe«, sagte SENECA. »Du willst dich mit der ganzen SOL in die Sonne Super wagen.« »So ist es.« Breckcrown Hayes' kühn anmutender Plan entlockte manchem der Anwesenden einen erstaunten Ausruf. Es widersprach jedoch niemand dem Entschluß des High Sideryt. Zum einen genoß er das Vertrauen der Solaner, zum anderen stellte sich bei den
beginnenden Diskussionen schnell heraus, daß das Vorhaben ein paar vielleicht entscheidende Vorteile barg. Die Auslösung der Bombenschiffe im Innern von Super würde unweigerlich auch die Kunstsonne des Hidden-X zerstören. Es war unwahrscheinlich, daß dieses das riesige Objekt opfern würde. Die beiden Piloten hatten inzwischen die von SENECA berechneten Kursdaten übernommen. Sekunden später glitt die SOL in den Normalraum. Auch hier, wo man sich etwa 100 Lichtjahre von Super entfernt befand, zeigte der Raum die typischen Merkmale des scheinbaren Mini-Universums ohne Sterne und Materie. Super gab jedoch noch hier einen deutlichen Hyperimpuls auf den Ortern ab. Optisch war die Sonne nicht zu beobachten, was zu dem zwingenden Schluß verleitete, daß sie vor 100 Jahren noch nicht existiert hatte. »Das ist auch der Grund«, stellte Curie van Herling fest, »daß wir Super nach dem Verschlagen in diesen Raum zunächst nicht sehen konnten. Ihre normalen Lichtstrahlen waren vielleicht nur ein paar Tage oder Wochen alt. Sie konnten dieses wohl künstliche MiniUniversum noch gar nicht durcheilt haben.« So interessant diese Erklärung für viele auch war, Hayes konzentrierte sich ganz auf die anstehenden Aufgaben. Die beiden Korvetten waren wenige Sekunden nach der SOL aus dem Linearraum gekommen. Sie hefteten sich sofort auf den Kurs des Generationenschiffs und folgten ihm wie zwei hartnäckige Spürhunde. SENECA hatte den Kurs so gewählt, daß während der ersten drei Teiletappen nicht erkennbar war, daß das Ziel Super hieß. Der wechselnde Flug aus Linear- und Normaletappen erweckte den Anschein, als verfolge die SOL lediglich das Ziel, die Verfolger abzuschütteln. Da es aber nirgendwo einen Stern gab, in dessen schützende Korona man blitzschnell hätte verschwinden können, war das ganze
Manöver eigentlich sinnlos. Über kurz oder lang würden die Robotschiffe dies womöglich merken. Eine weitere Unsicherheit bestand für Hayes darin, daß es keinen Hinweis darauf gab, wer die Schiffe umprogrammiert hatte und wie das geschehen war. Kontrollierte Richtungsänderungen waren nur im Normalraum möglich. Als die SOL eine größere Distanz zwischen sich und die Verfolger gebracht hatte, schwenkte sie innerhalb von zwei Sekunden unter Höchstbelastung der Andruckneutralisatoren so aus der Flugrichtung, daß die nächste längere Linearetappe sie in die unmittelbare Nähe von Super bringen konnte. Hayes hoffte darauf, daß die Verfolger diesen kleinen Trick nicht sofort durchschauten. Tatsächlich dauerte es ungewöhnlich lange, bis sich die schon gewohnten Echos auf dem Halbraumspürer abzeichneten. Zwölf Minuten später trat die SOL in unmittelbarer Nähe der Hidden-X-Sonne in den Normalraum. Sofort arbeiteten die Ortungsanlagen auf Hochtouren. Mehrere Aufgaben mußten in kürzester Zeit erledigt werden. Es galt vor allem eine Öffnung im Innern der Sonnenkorona auszumachen, durch die die SOL ohne Schwierigkeiten fliegen konnte. Außerdem sollte festgestellt werden, was mit den Resten der Landschaft im Nichts geschehen war und was mit Atlan und seinen Helfern passiert sein konnte. Letzteres ließ sich am schnellsten ermitteln. Von der Landschaft im Nichts zeigte sich erwartungsgemäß keine Spur. Der Zentralkegel stand noch immer nur wenige hundert Kilometer von dem Ort entfernt, an dem man ihn zuletzt beobachtet hatte. Die Funksender schickten ihre Hyperwellen in den Raum, um eine Antwort von Atlan oder Oggar zu bekommen, aber alles blieb ruhig.
»Wir müssen dieses Problem noch zurückstellen«, erklärte der High Sideryt und deutete auf das Ortungsbild, wo die beiden verfolgenden Korvetten soeben aufgetaucht waren. »Das Energiebild von Super hat sich verändert«, meldete die Ortungszentrale. »Wir können die Öffnungen nicht mehr feststellen.« Hayes biß sich auf die Lippen. »Wir kommen auch ohne Loch da hinein«, behauptete Vorlan Brick, und Uster pflichtete ihm bei. »Ihr meint«, vermutete Hayes, »ihr wollt die Sonnenhülle im Linearraum überwinden?« Die Zwillinge nickten einträchtig. »Wir wissen, daß ein Operieren in diesem Quasi-Universum nur mit dem Normalantrieb und mit dem Linearantrieb möglich ist«, äußerte Gallatan Herts seine Bedenken. »Alles andere funktioniert nicht oder unkontrollierbar. Es ist aber nicht gesagt, daß diese Bedingungen auch für die Sonne Super gelten.« »Solania ist im Normalflug in sie hineingeraten«, antwortete Uster. »Und wieder hinaus«, ergänzte Vorlan. »So groß ist der Unterschied zwischen Normal- und Linearraum auch wieder nicht«, schloß Uster. »Das mag aus der Sicht von Raumpiloten so aussehen.« Auch Breckcrown Hayes hatte Bedenken. »Hyperphysikalisch sind das aber zwei Welten.« »Ihr habt noch 40 Sekunden für eine Diskussion.« SENECA wirkte sehr besorgt. »Die Wahrscheinlichkeit, daß der kleine Linearsprung klappt, ist bestimmt größer als 50 Prozent. Genau berechnen kann ich das nicht, da keine präzisen Daten vorliegen. Ich weiß aber mit hundertprozentiger Sicherheit, daß die SOL in einer halben Minute nicht mehr existiert, wenn nicht etwas geschieht.« »Gebt Gas!« stieß Breckcrown hervor. Die SOL beschleunigte sofort. Die Programmierung führten die Zwillinge selbständig durch. Vorlan korrigierte den
augenblicklichen Kurs der SOL noch ein wenig, so daß man ganz sicher nahe dem Zentrum von Super auftauchen würde. »Alle Schutzschirme einschalten«, ordnete Hayes an. Wieder verschwand die Umgebung. Für die enorm kurze Etappe benötigte das Hantelschiff 174 Sekunden. Für die Stabsspezialisten entstand der Eindruck, als seien die Bildschirme nur für einen Moment abgeschaltet worden. Doch was sie nun zeigten, war etwas völlig Neues. Die optische Beobachtung und die Ortungseinrichtungen arbeiteten Hand in Hand. Es dauerte keine zwei Sekunden, dann zeigten die Bilder in der Hauptzentrale das Innere von Super. »Es gibt Änderungen gegenüber meinem Aufenthalt«, meldete sich Solania von Terra sogleich über Interkom. »Alles wirkt dunkler und düsterer. Die Anzahl der Öffnungen hat sich reduziert. Auch scheinen die Löcher nun kleiner zu sein.« Die Innenwand der künstlichen Sonne präsentierte sich als eine düsterblaue Kugelschale. Sie war spiegelblank. Erst nach mehreren Sekunden erfaßte die Ortung ein halbes Dutzend kleiner Ausbeulungen, die sich nach innen erstreckten. Sie hatten unregelmäßige Formen und durchmaßen in etwa 200 bis 300 Meter. Ihnen schenkte die Ortung nun besondere Aufmerksamkeit. Aber auch nach den verfolgenden Robotkorvetten wurde Ausschau gehalten. Noch waren sie nicht aufgetaucht, was Hayes neue Zuversicht gab. Die über 13 Millionen Kilometer durchmessende Hohlkugel, in der man sich nun befand, weckte mit ihrem gespenstischen Aussehen Ängste bei den beobachtenden Solanern. Die sechs erkennbaren Löcher leuchteten wie einzelne Sterne im Innern dieser Sphäre. Nur das Licht, das durch sie aus der Sonnenkorona hereinfiel, erhellte die Szene. Da es sich aber mannigfaltig in dem Kugelspiegel brach, war mit dem bloßen Auge auch die so weit entfernte Hülle noch erkennbar. »Die Korvetten!«
Sie kamen hintereinander durch eine der sechs Öffnungen. Nur zögernd näherten sie sich der SOL. Die unbekannten Energieschirme, die sie draußen besessen hatten, waren verschwunden. »Wir können sie nicht vernichten, ohne uns selbst umzubringen«, stellte Hayes fest. »Aber wir können den Nickelspiegel angreifen und zerstören«, behauptete SENECA. »Eine riskante Sache«, wehrte Hayes ab. »Wenn Hidden-X merkt, daß wir sein Werk zerstören, braucht es uns nicht mehr zu schonen. Dann genügt ein Impuls, und die Korvetten zünden. Was dann geschieht, brauche ich wohl nicht zu erklären.« Federspiel kam aufgeregt in die Hauptzentrale. »Es baut sich etwas auf«, teilte er mit. »Eine Mentalstrahlung, die ständig zunimmt. Bald werdet auch ihr sie spüren. Ich vermute, daß sie uns wahnsinnig machen soll.« »Verdammt!« entfuhr es Hayes. »Wir hätten damit rechnen müssen. Auch Brooklyn hat so etwas beobachtet. Das Mnemodukt aus Oggars Körper hat ebenfalls von einer solchen Erscheinung gesprochen.« »Wir können jederzeit wieder von hier verschwinden«, meinte Vorlan Brick. »Das glaubst du.« Curie van Herling war aus der Ortungsstation in die Zentrale gekommen. »Nach unserem Eindringen hat sich das energetische Bild von Super verändert. Wir haben eine paratronähnliche Komponente festgestellt, die eine Flucht nach draußen unmöglich macht.« Breckcrown Hayes stand unbeweglich in der Mitte der Stabsspezialisten. Hinter seinem Gehirn arbeitete es angestrengt. »Jetzt wird es eng«, murmelte er einmal. Sein Blick glitt immer wieder über die Anzeigen der Ortungsergebnisse und Meßwerte, sowie auf die Bilddarstellungen. Er beugte sich leicht nach vorn. Seine Haltung nahm etwas
Lauerndes an. Oder war es die Haltung eines von seinen Häschern in die Enge getriebenen Opfers? »Solaner«, erklärte er dann erstaunlich gelassen. »Ohne Risiko kommen wir hier nicht heraus. SENECA, wie lange halten unsere Schutzschirme stand, wenn die beiden Korvetten ihr Material zünden?« »Wenn wir eine günstige Entfernung wählen, die über 10.000 Kilometer liegen muß, mindestens zehn Sekunden. Wahrscheinlich zwölf.« »Wie dick ist die Nickelschicht und die dahinter befindliche Sonnenmaterie?« »Es liegen keine exakten Werte vor. Das Nickel dürfte jedoch etwa 20 Kilometer dick sein. Dahinter befindet sich Sonnenplasma, das aus dem Spiegel heraus mit Energie versorgt und angeheizt wird. Dessen Dicke liegt bei einigen 1000 Kilometern. Vermutlich sind alle Schichten an den sechs Öffnungen dünner. Es wurde jedoch soeben festgestellt, daß sich die Öffnungen zu schließen beginnen.« Breckcrown Hayes begann, den Stabsspezialisten und SENECA seinen Plan zu erklären. Noch bevor er alles gesagt hatte, brachen die ersten Solaner unter dem wachsenden Mentaldruck zusammen. Gallatan Herts hatte vorsorglich Roboter ohne organisches Plasma bereitgestellt, die nun eingriffen. Sie schafften die Betroffenen weg und übernahmen deren Aufgaben, soweit keine mentalstabilen oder widerstandsfähigen Solaner zur Verfügung standen. »Die Zeit drängt«, sagte der High Sideryt. »Es muß klappen.« »Ich bleibe bei euch«, teilte SENECA mit, »aber ich habe aus Gründen der Vorsicht die Verbindungen zum Plasmateil vorläufig unterdrückt. Ich kann nicht ausschließen, daß der Mentaldruck auch mich befallen würde.« Hayes kam es vor, als würde SENECAS Stimme mit einem Mal blechern klingen, aber das war wahrscheinlich reine Einbildung. Was nun geschah, spielte sich innerhalb von 32 Sekunden ab.
Diese 32 Sekunden entschieden über die weitere Existenz der SOL und über den Ausgang des Kampfes mit der Hidden-X – Sonne Super. Die Auswertung der Rückmeldung aus dem Spiegel, der allein noch von dem Vlaahalaan übriggeblieben war, zeigte Hidden-X ganz deutlich, wie anfällig selbst die besten automatischen Systeme waren. Aber auch der Schalter hatte versagt. Von ihm ging schon seit mehreren Zeiteinheiten keine Nachricht mehr ein. Hidden-X nahm an, daß sein Zentralkegel von dem Umlenkspiegel in Bezug auf die Kommunikation abgeschnitten worden war. Hidden-X fand sich schnell damit ab, daß der Schalter versagt hatte. Wenn es seine Todesnachricht empfangen würde, wäre es eine Erleichterung gewesen. Wenn der Schalter aber noch am Leben war, so mußte er sich etwas einfallen lassen, um die früher erwiesene Gnade erneut zu erhalten. Die Dinge hatten sich anders entwickelt, als es seine Absicht gewesen war. Das war nicht weiter tragisch für das mächtige Wesen, denn es hatte noch andere Möglichkeiten in der Hinterhand. Die Vorbereitungen für den letzten Einsatz gegen die SOL waren abgeschlossen. Ob es seinen neuen Plan in die Tat umsetzen würde, hing allein davon ab, wer aus dem Kampf der SOL gegen den Spiegel des Vlaahalaans als Sieger hervorgehen würde. Wenn die SOL nicht sein Werkzeug werden konnte, dann sollte sie auch niemand anders dienen! Das Flekto-Yn arbeitete zu seiner Zufriedenheit, obwohl es noch nicht zur Gänze fertiggestellt war. Die fehlende Zeit wollte Hidden-X ohne Störungen von draußen nutzen. Dann würden auch die kleinen Baumeister ausgelaugt sein. Und danach? Es gab noch viel zu tun, um all das in seinen Machtbereich zu bekommen, wovon es träumte. Die Experimente von Xinx-Markant und Bars-2-Bars waren noch
nicht abgeschlossen. Es würde diese Hilfsmittel benötigen, um mit seiner Macht an die Grenzen des Seins vorzustoßen. Vielleicht würde es in einer fernen Zeiteinheit seinem Schöpfer begegnen und ihm gegenübertreten. »Sieh da!« würde es dann sagen. »Du hast mich aus einer Laune heraus geschaffen, Seth-Apophis. Aber du hast mich lange Zeit vergessen, bis ich mich ganz von dir lösen konnte. Du bist nicht mehr mein Herr, denn ich bin mächtiger als du.« Während dieser Träume und Gedanken liefen die Informationen aus dem Vlaahalaan ein. Hidden-X lachte innerlich. Es begann, sich über die Solaner zu amüsieren. Noch nie hatte ein Volk so sehr zu seiner Unterhaltung beigetragen, wie dieses. Diese Tatsache ließ es verschmerzen, daß es von den Solanern Niederlagen hatte einstecken müssen. Die Roxharen waren ihm entrissen worden. Aus dem Ysterioon hatte man ihn vertrieben, ja beinahe ausgelöscht. Die SOL hatte es nicht für sich gewinnen können. Der Schalter, sein fähigster und treuester Vasall, war wahrscheinlich gefallen. Seine geistigen Fühler tasteten durch das Flekto-Yn, wo in riesigen Räumen das Potential für den entscheidenden Schlag angesammelt worden war. Es war ein körperloses Potential. Es war reine Energie, mehrfach transformiert durch seinen Willen. Eine gewaltige Leistung, die sich in ihrer Art mit keiner seiner früheren Taten vergleichen ließ. Noch stand der Spiegel des Vlaahalaans, aber seine Ahnungen besagten, daß die Solaner auch diese schier unüberwindbare Hürde meistern würden. Es begann zu hoffen, daß es so geschehen würde, aber es griff nicht selbst ein. Nur wenn die Solaner sich befreien konnten, hatte es einen Grund und damit die Möglichkeit, seine wirkliche Macht
z
u demonstrieren. Sie sollten sie zu spüren bekommen, die Solaner. Und ein Mann sollte sie ganz besonders erfahren. Der Mann, der aus den Solanern das gemacht hatte, was sie jetzt waren. Namen bedeuteten Hidden-X viel, aber der Name dieses Mannes war für es nichtssagend. Dennoch würde er ihn nie vergessen. Unauslöschbar würde er den Geist dieses Mannes zerstören. Keine weltliche Kraft würde ihn befreien können. Die Solaner würden es erleben, was mit ihm geschah. Abgesandter der Kosmokraten! Pah! dachte Hidden-X voller Hohn. Dein Name wird DER VERRÜCKTE sein. Die Solaner werden dich hassen, denn du hast sie ins Unglück gerissen. Aber noch steht der Spiegel das Vlaahalaans. Und noch ist dein Name ATLAN. Hidden-X begann mit einer passiven Komponente seines Ichs aufmerksam die Vorgänge um das Vlaahalaan und die SOL zu beobachten. Es kümmerte sich jetzt um nichts anderes. Die kleinen Baumeister spürten die Erleichterung, denn der mentale Zwang erlosch für eine kurze Zeit. Sie konnten sich endlich wieder einmal um die benommenen und vor sich hin dämmernden Bepelzten kümmern. Lange würde die Ruhe nicht währen. Sie wußten es aus der Erfahrung. Und an eine Flucht war nicht zu denken.
8. »Wir müssen den Zentralkegel lahmlegen«, behauptete Sanny weiter. »Er stellt mit seinen technischen Einrichtungen etwas dar, was sogar für die SOL den Untergang bedeuten könnte.« »Du verstehst etwas von technischen Einrichtungen?« Atlan konnte nun, wo sich das Blatt wieder zu seinen Gunsten gewendet
zu haben schien, sogar lächeln. »Ich verstehe sie nicht«, beeilte sich die Paramathematikerin. »Ich habe das nur berechnet. Der Zentralkegel war nicht nur eine ergänzende Einrichtung, um das … um die Landschaft im Nichts zu steuern. Er stellt auch ein hochgefährliches Instrument des Schalters dar. Er ist ein vollkommenes Raumschiff mit starker Bewaffnung.« »Ähnliche Folgerungen habe ich auch schon gezogen«, antwortete Atlan nachdenklich. Oggar hatte inzwischen seine Bewaffnung zusammengesucht und überprüft. »Ich kenne dich praktisch nicht, Sanny«, sagte er zu der Paramathematikerin. »Was mich an dir verwundert, ist, daß ich keinen klaren Gedanken von dir erfassen kann.« »Ich kann das auch nicht.« Bjo Breiskoll bewegte ständig seinen Körper, um die letzten Lähmungserscheinungen zu beseitigen. »Sie besitzt eine psiähnliche Komponente in ihrem Bewußtsein. Aber wir wissen, daß sie loyal ist und auf unserer Seite steht.« Das Multibewußtsein antwortete nicht. »Herumdiskutieren hilft uns nicht weiter«, drängte der Arkonide. »Sanny soll uns zeigen, wo die neuralgischen Punkte des Zentralkegels sind. Ich zweifle nicht daran, daß sie die Wahrheit sagt. Auf ihre merkwürdigen Berechnungen konnten wir uns immer verlassen.« Dann deutete er auf den starren Körper Hapeldans. »Ich frage mich, wo dessen Bewußtsein ist und was es gegen uns ausrichten kann.« »Es ist in der Nähe«, erklärte Bjo Breiskoll. »Aber ich kann es nicht orten.« Oggar bestätigte diese Vermutung. »Ich zeige euch, wo die Energieanlagen sind«, bot sich Sanny an. »Die dürften ein wichtiger Punkt sein. Wenn wir sie zerstören können, ist der Zentralkegel erst einmal außer Gefecht.« Atlan schritt zu dem Kontrollpult, von dem aus er die Türen der
Zentrale verriegelt hatte. An seinem Gürtel hing griffbereit der Impulsstrahler und der tragbare Dislozierungsprojektor. »Ich hätte auch gern eine Waffe«, teilte Sanny den anderen mit. »Woher nehmen und nicht stehlen«, meinte Bjo Breiskoll leichthin. Atlans Hand ruhte über der Taste, die die Eingänge entriegeln sollte. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn. Aber er schüttelte den Kopf und drückte den Sensor nieder. Über eine Leiter stiegen sie auf das nächste Niveau hinab. Hier gab es mehrere Öffnungen für Antigravschächte, die nach oben und nach unten führten. Sanny eilte zielstrebig voran. Ohne auf die anderen zu warten, bestieg sie den nächsten Schacht, dessen Polung in die Tiefe zeigte. Atlan und Bjo folgten ihr. Oggar bildete den Schluß. Die Seitenwände wurden transparent. Zur Außenseite hin erblickte der Arkonide ein großes, kugelförmiges Gebilde. »Eine Speicherbank«, erläuterte Sanny. Woher weiß sie das? fragte der Extrasinn. Atlan konnte keine Antwort darauf geben. Er betrachtete die Innenseite, die ebenfalls lichtdurchlässig war. Hier standen riesige Kästen, die wie überdimensionale Särge aussahen. »Und was ist das?« fragte Breiskoll die Molaatin. Diesmal zuckte Sanny mit den Schultern. »Im unteren Teil waren die Särge nach meinem zweiten Eindringen verschwunden«, meinte Atlan beiläufig. »Ich kann mit den Dingern auch nichts anfangen.« »Was?« schrie Sanny und sprang auf dem nächsten Deck aus dem Antigravschacht. Die anderen folgten ihr bereitwillig. Sie befanden sich in einem sehr flachen Raum. Atlan mußte sich bücken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Auch Oggar und Breiskoll mußten ihre Körper neigen. »Ich habe nur gesagt«, erklärte Atlan, »daß ich mit den Särgen nichts anfangen kann. Wo sind wir hier? Das sieht mir fast nach den
privaten Gemächern Hapeldans aus.« »Und was hast du davor gesagt?« bohrte die Molaatin weiter. »Daß im unteren Teil des Zentralkegels die Särge verschwunden sind, die ich bei meinem ersten Besuch hier gesehen habe. Bedeutet das etwas Wichtiges?« Die Paramathematikerin wirkte aufgeregt und nachdenklich zugleich. »Allerdings«, behauptete sie. »Dann hat ja … dann ist ja …« Sie brach ab. »So kenne ich dich gar nicht«, versuchte Atlan die kleine Molaatin zu trösten. Als seine Hand ihre Schulter sanft berührte, zuckte Sanny wie unter einem Hieb zusammen. »Was ist los, Kleines?« fragte Atlan freundlich. »Merkwürdig«, sprach Oggar da zwischen. »Ich meine noch immer, Hapeldans Nähe zu spüren. Es ist, als ob er uns Schritt und Tritt begleitet.« Breiskoll nickte zustimmend. Gefahr! signalisierte das Extrahirn. Der Schalter steckt in einem deiner Begleiter. Atlan blickte sich nervös um. Sanny untersuchte interessiert eine Schalttafel, die in ihrer Körpergröße angebracht war. Oggar und Breiskoll sahen in ihren gebückten Haltungen aus, als wären sie Raubkatzen, die zum Sprung ansetzten. In diesem Augenblick verschwand die künstliche Gravitation. Alle vier wurden in die Höhe gewirbelt und prallten gegen die nahe Decke. Sanny fing sich am schnellsten. Sie stieß sich vom Boden ab und glitt auf Atlan zu. Der suchte selbst noch nach einem Halt, denn nun gingen unregelmäßige Gravitationsstöße durch den Zentralkegel. Paß auf! Es ist Sanny! schrie sein Logiksektor. Aber es war zu spät.
Die wendige Molaatin hatte schon mit Hilfe ihres Körperschwungs den Dislozierungsprojektor aus Atlans Gürtel gerissen. Fast gleichzeitig setzte die Schwerkraft wieder völlig aus. Dadurch war sie in der Lage, die schwere Waffe, die halb so groß wie sie selbst war, zu handhaben. Sie schoß jedoch nicht sofort, sondern glitt noch ein Stück von den anderen weg. Atlan wirbelte in der Luft herum, um besser zu sehen, was sie vorhatte. Doch er kam zu keiner Gegenwehr. Plötzlich setzte die Gravitation mit mindestens zehnfacher Wucht wieder ein. Er wurde wie von einer unnachgiebigen Faust zu Boden gequetscht. Neben ihm polterten Oggar und der Katzer auf die Metallfläche. »Ich siege immer«, schrie Sanny, und Atlan hatte keinen Zweifel mehr daran, daß der Schalter aus ihr sprach. »Ich siege, weil ich für Hidden-X kämpfe.« Die Zone, in der sich Hapeldan mit Sannys Körper befand, blieb weiterhin schwerelos. Atlan registrierte diese Einzelheiten, während er gegen den Druck ankämpfte und Hapeldans Körper, den er noch immer mit sich trug, mit beiden Händen packte. Als Sanny-Hapeldan den Projektor auslöste, riß er mit einer letzten Kraftansprengung den Körper des Molaaten in die Schußrichtung. Er hoffte verzweifelt, daß das noch etwas half. Sekunden später schwebte er in einem diffusen Nichts. Sofort erkannte er, daß der Dislozierungsstrahl ihn von seinem Körper getrennt hatte. Er versuchte, etwas zu erkennen oder Oggar und Breiskoll zu spüren, aber um ihn herum war nur gähnende Leere. Nach einer Weile drang ein Gekicher in sein Bewußtsein. Er erkannte Hapeldan. Dann folgte ein Fluch auf molaatisch, dem Atlan entnahm, daß es dem Schalter verwehrt war, in seinen eigenen Körper zu gelangen. Ich bin auch jetzt bei dir. Die Stimme des Extrasinns klang leise in ihm. Wenigstens hast du verhindert, daß Hapeldan in seinen Körper
gelangen kann, denn der hat bestimmt die stärkste Dosis abbekommen. Für Atlan war das ein schwacher Trost. Er fühlte sich unendlich einsam. Auch hatte er keinen Bezugspunkt, der ihm erlaubt hätte, sich zu orientieren.
* Sekunden aus der Geschichte der SOL, die in mancher Beziehung bedeutsamer waren als die 200 Jahre davor … Die eiskalte Logik SENECAS, der jetzt ohne die Biokomponente arbeiten mußte, war der koordinierende Faktor. Sie gab den Rahmen vor, in dem alles ablaufen mußte. Die Zeitspanne war für das gewaltige Vorhaben so gering, daß es nur zwei Möglichkeiten gab. Entweder es klappte alles, oder es ging alles schief. Letzteres hätte den Untergang der SOL bedeutet. Für Ersatzmanöver oder Zwischenentscheidungen ließ das zeitliche Raster keinen Platz mehr. Der nächste wichtige Faktor waren die Menschen, die Solaner. Hier waren gleichberechtigt die Piloten der SOL, Vorlan und Uster Brick, sowie die Männer und Frauen an den Geschützen zu nennen. Das ganze Manöver mußte auf Anhieb klappen, denn Zeit für eine Vorübung war nicht vorhanden. Breckcrown Hayes wußte, daß er von einem großen Teil seiner Solaner jetzt das Äußerste verlangte. Nicht weniger wichtig war bei dem Ablauf der Geschehnisse die Arbeit der Ortungszentrale, denn von dort wurden die Zielkoordinaten an die Transformzwillingskanonen und die Desintegratorkuppeln überspielt. Die Solaner in den Feuerleitzentralen und den Geschützständen mußten entscheiden, wann der Zeitpunkt gekommen war, an dem ausreichende Informationen für die Waffensysteme vorlagen. Maschinen, Menschen und Positroniken mußten vollkommen
zusammenspielen, um den letzten Weg zur Rettung zu öffnen. Die Bereitschaftsmeldungen aus allen Teilen der bis in die letzte Zelle alarmierten Sol liefen schnell hintereinander in der Hauptzentrale ein. Aber auch weitere Ausfallmeldungen erreichten Hayes' Ohren, denn immer mehr Solaner konnten dem ungeheuren Mentaldruck nicht länger widerstehen. »Ab!« ordnete der High Sideryt an, als 80 Prozent der Bereitschaftsmeldungen vorlagen. Die kleinen Ausbuchtungen in der Innenwand der Hohlkugel aus Nickel waren ausnahmslos vermessen worden. Auf jede zeigten mindestens zwei Geschütze. Zwei weitere waren in Bereitstellung, um das Feuer aufzunehmen, wenn sich die SOL in eine Rotationsbewegung um ihre Längsachse versetzte. Die wichtigsten Desintegratorgeschützkuppeln zeigten mit ihren Energieprojektoren auf einen hellen Fleck der Innenwand von Super. Hier wollte man den gewaltsamen Durchbruch wagen, weil nach SENECAS Berechnungen die Wandung hier am dünnsten war. Der Kurs der SOL wurde korrigiert. Das Hantelschiff richtete sich so aus, daß es in kürzester Zeit und bei voller Beschleunigung diesen Ort erreichen konnte. Die Geschütze auf der Polseite der SZ-2, die in der vorgesehenen Flugrichtung das Heck der SOL bilden sollte, waren ausnahmslos auf die beiden Korvetten ausgerichtet, die die hochbrisanten Bomben an Bord hatten. Die gesamte Zielerfassung und das Ausrichten des Generationenschiffs benötigte vier Sekunden. In dieser Zeitspanne wurden auch die 32 NUG-Kraftwerke auf 120 Prozent Leistung hochgefahren. Diese Überlast barg ein gewisses Risiko für Ausfälle. Nach SENECAS Berechnungen über den Energiebedarf war dies jedoch erforderlich, um die Erfolgschancen des Unternehmens auf über 50 Prozent anzuheben. Die Energie von rund 307 Billionen Megawatt wurde für eine
Zeitspanne von 28 Sekunden als ständig vorhandene Leistung bereit gestellt. Sie teilte sich auf die Schutzschirme, den Antrieb und die Geschütze auf. (Ein lächerlicher Rest von 0,0021 Promille diente der Aufrechterhaltung der übrigen Systeme, wie der Beleuchtung oder der Klimakontrolle). An ein Ausschleusen der Beiboote war bei der kurzen Zeit, in der alles ablaufen mußte, nicht zu denken. »Fahrt!« kam die zweite Anweisung von Breckcrown Hayes. Er kontrollierte nicht die Durchführung der Order, denn seine Augen hingen an dem großen Display. Dort zeigte SENECA aus allen vorhandenen Daten in einer Dringlichkeitsfolge ständig die Werte an, die der High Sideryt für seine Befehle als Grundlage benötigte. Die SOL beschleunigte praktisch aus dem Stand mit den höchsten Werten, und die lagen bei der leichten Überlastung der Triebwerksektionen bei rund 700 Kilometer pro Sekunde im Quadrat. Ihr Ausgangspunkt lag auf der halben Strecke zwischen dem Mittelpunkt von Super und der Außenwand aus blankem Nickel, wo die helle Stelle schimmerte, durch die das Leuchten der künstlich angeheizten Korona nach innen drang. Rund 325.000 Kilometer mußte sie zurücklegen und dabei aus der vollen Fahrt gezielt feuern. Wenn alles klappte, würde das Hantelschiff in knapp 22 Sekunden die Hülle der Hohlsonne erreichen. Erst in der zweiten Hälfte dieser lächerlichen Zeitspanne durften die Robotkorvetten ihre Bomben auslösen, sonst wäre das Unternehmen gescheitert. Die Hyper-Energiewellen der Antimaterie-Explosionen würden die SOL selbst dann noch einholen, denn sie bewegten sich überlichtschnell. Mit dem Erreichen der Nickelwand würde die Geschwindigkeit der SOL etwa 15.400 Kilometer pro Sekunde betragen. Diese Fahrt
würde ausreichen, um in den Linearraum zu wechseln. Davon hatte Breckcrown Hayes jedoch abgesehen, weil er befürchten mußte, daß die zuletzt geortete Paratronkomponente in der Hülle von Super die SOL zerstört hätte. Innerhalb der 22 Sekunden Flug mußten die internen Abwehreinrichtungen der Hidden-X-Sonne so zerstört sein, daß der Durchbruch im Normalraum klappen müßte. Es kam dem High Sideryt vor, daß die Sekunden unendlich langsam vergingen, obwohl der Zeitfaktor der kritischste Punkt des ganzen Planes war. Diese Empfindung rührte daher, daß Hayes unter der Anspannung viel schneller dachte und reagierte, als es unter normalen Bedingungen der Fall gewesen wäre. Sein Verstand und seine Aufmerksamkeit waren bis an die Grenze des Menschenmöglichen aktiviert. Sechs Sekunden nachdem die Triebwerke aufgeheult waren, kam sein erster Feuerbefehl. Zu dem Dröhnen der Kraftwerke und dem schrillen Singen des Antriebs kam das bellende Donnern der Geschütze. Lange, glühende Bahnen zogen sich durch das Innere der Hohlkugel. Die fast totale Reflexion des Nickelspiegels verwandelte den Raum unter dem Einfluß der entfesselten Energien und der darauf folgenden Detonationen in eine gleißende Hölle. Solaner, die mit diesem Effekt nicht gerechnet hatten, schrien in Todesangst auf. Die übergroße Helligkeit und die wabernden Gluten verleiteten diese Menschen dazu zu glauben, daß sie sich nun wirklich im Innern einer echten Sonne befanden. SENECAS Stimme übertönte die Schreie der Solaner. »Ruhe! Alles klappt nach Plan!« Hayes empfing die Erfolgsmeldung aus der Ortung, als die zehnte Sekunde nach den Start angebrochen war. Gleichzeitig spürte er, daß der Mentaldruck abflaute. Die Vermutung, daß die Ausbeulungen in der Nickelkugel die Zentren der Abwehrtätigkeit von Super waren, wurde dadurch
bestätigt. Noch zwei Sekunden, dann war man in Sicherheit vor den Hyperschockwellen der Antimateriebomben der Korvetten. Diese zwei Sekunden kamen dem High Sideryt, der alles nach dem Zeitplan exakt verfolgte, nicht nur wie eine Ewigkeit vor. Sie trieben ihm auch den Schweiß auf die Stirn, und sein Puls jagte in einer Frequenz, die jedem Hochleistungssportler Ehre gemacht hätte. Längst hatten die Automatiken die Sichtblenden über die Luken und die optischen Außensensoren gefahren. Die angespannte Stimmung dämpfte sich dadurch jedoch nicht. Noch war man zu weit von dem eigentlichen Ziel entfernt, und das hieß Durchbruch nach draußen und die Vernichtung von Super. Nach SENECAS Berechnungen würde sich dann auch die Abkapselung des künstlichen Mini-Universums, in dem man sich befand, auflösen. Die Eigenrotation der SOL hatte in den vergangenen Sekunden die zweite vorbereitete Geschützsalve feuern lassen können. Mit der dreizehnten Sekunde nach dem Start erhielt Hayes die Meldung auf sein Multidisplay, daß alle erkannten Ausbeulungen getroffen worden seien. Eine großartige Leistung, dachte der High Sideryt für einen Sekundenbruchteil. Aber schon konzentrierte er sich wieder auf die nun kommende kritische Phase. Die SOL jagte mit unverminderter Beschleunigung auf die Nickelwand zu. Optisch war die Durchbruchstelle durch die alles überlagernde Helligkeit, die keinen Ausgang für die Lichtquanten fand, nicht mehr auszumachen. Man mußte sich ganz auf den einmal eingeschlagenen Kurs, die Piloten, die Automatiken und die Ortersysteme verlassen. Sechs Sekunden vor der Wand bellte die Stimme von Curie van Herling aus den Lautsprechern. »Reaktion!« Das bedeutete, daß die Robotkorvetten nun ihre hypergefährliche
Fracht gezündet hatten. Für diesen Fall hatte Hayes vorgesehen, daß SENECA die notwendigen Maßnahmen durchzuführen hatte. Jetzt kam es auf Sekundenbruchteile an, und da war eine Biopositronik mit den Qualitätsmerkmalen SENECAS auch dann noch besser als ein Solaner, wenn sie ihre biologische Komponente unterdrückt hatte. Abgesehen davon glaubte Breckcrown Hayes, daß SENECA den Wegfall der betäubenden Mentalstrahlung auch längst bemerkt hatte und sich im vollen Umfang wieder aktiviert hatte. In einem weiteren Schrecksekundenbruchteil überlegte Hayes, was geschehen würde, wenn jetzt eine der früheren Störungen der Hyperinpotronik auftreten würde. Der High Sideryt dachte den Gedanken nicht zu Ende, denn die angezeigten Werte signalisierten schon die Durchführung der geplanten Aktion. SENECA hatte alle Energien aus den Transformern zu den Geschützen genommen und für die mehrfachen Schutzschirme bereitgestellt oder diese damit überladen. Nur die Waffensysteme auf der oberen Halbkugel der SZ-1, der »Spitze« der SOL in Flugrichtung, waren davon ausgenommen. Schrille Klänge drangen durch das mächtige Schiff, als die ersten Hyperschockwellen es erreichten. Die Menschen begannen zu taumeln, aber Breckcrown Hayes wußte, was er zu tun hatte. »Feuer Zwo!« Er glaubte für einen Moment, daß ein anderer brüllte, aber er war es selbst. Sämtliche Geschütze der oberen Hälfte der SZ-1 spien zugleich ihre Energien auf einen einzigen Punkt. Die Positroniken der Impulsgeschützkuppeln, der Desintegratorstrahler und der Transformzwillinge richteten in Anpassung an den rasenden Flug die Systeme automatisch nach, so daß auch die folgenden Salven immer wieder die gleiche Stelle, eine Zone in der Nickelwand, die etwa zehn Kilometer durchmaß, trafen.
Vor der SOL entstand ein energetisches Spektakel, das jedes Vorstellungsvermögen übertraf. Die zurückgeworfenen Energien bremsten den Flug des Hantelschiffs etwas ab. »150 Prozent Antrieb! 200 Prozent Schirmenergie auf die SZ-1!« Für eine kurze Zeit sollten die Systeme des Schiffes diese Werte ertragen, dachte Hayes. Und er dachte für einen nochmaligen Sekundenbruchteil: Wie alt ist unsere SOL eigentlich? Kann ich ihr das zumuten? Eine letzte Sekunde, bevor das Schiff die Gluthölle der tobenden Energien aus Hyperkomponenten und geballter Normalstrahlung erreichte, kamen die entscheidenden Anteile der Explosionen der Antimateriebomben aus den umfunktionierten Korvetten an. Sie besorgten den kleinen Rest an Zerstörung, den sonst die hochgespannten Schirme der SZ-1 hätten auffangen müssen. Plötzlich gähnte vor der SOL ein mehrere Kilometer durchmessendes Loch in der Hülle der Hidden-X-Sonne. Unter dem Strahlungsdruck der Energiewaffen fetzten die Schwaden aus verdampften Nickel und künstlich angeheiztem Sonnenplasma auseinander. Breckcrown Hayes hatte kaum Zeit, um den dahinter sichtbar werdenden leeren Raum mit richtiger Freude zu empfinden. Selbst jetzt, wenige Sekunden vor dem endgültigen Triumph über ein Produkt von Hidden-X reagierte er nach dem einmal festgelegten Plan. »Feuer 3!« gellte seine Stimme durch die Hauptzentrale, und die Interkomverbindungen übertrugen sie lichtschnell zu SENECA und den Männern und Frauen an den Geschützen. Die SOL tauchte in das entstandene Loch. SENECA gab auf Grund von Hayes' Befehl die Energien der NUGKraftwerke wieder für alle Stationen frei. Es war der letzte Feuerschlag in diesem Gefecht. Die Solaner hielten auf alles, was wabernde Korona oder blinkendes Nickel war. SENECA drosselte die überlasteten Systeme wieder auf normale
Werte, aber die reichten aus, um dem Zerstörungswerk, das die beiden Robotkorvetten angerichtet hatten, den Rest zu geben. Die Sonne Super zerbrach. Ihre Trümmer stürzten zugleich ineinander und flogen auseinander. Das Werk war vollendet. Die SOL ließ sich außerhalb der tobenden Energien treiben. Es bestand völlige Sicherheit. »31,71 Sekunden haben wir gebraucht«, erklärte Vorlan Brick todernst. »Die restlichen 0,29 Sekunden schenke ich dir zum Geburtstag, mein lieber Uster.« Der gab keine Antwort. Uster Brick war in seinem Pilotensessel zusammengesunken. Noch bevor er erschöpft die Augen für einen Moment schloß, lag Vorlan halb über ihm. Auch Breckcrown Hayes konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, sein Automatiksessel fuhr ihm sanft in die Kniekehlen, so daß er sich zwangsweise setzen mußte. Seine Hände zitterten, aber er sah, wie Gallatan Herts, Stabsspezialist und Leiter der Hauptzentrale im Mittelteil, in die Steuerung griff. »Danke«, sagte SENECA. »Aber das bißchen schaffe ich auch.« Lyta Kunduran waren die Anspannungen noch eher anzusehen. Dennoch brachte sie ein Lächeln hervor. »Hier Wajsto Kölsch von der SZ-1.« Die Stimme des Subkommandanten zitterte vernehmlich. »Hier ist alles klar.« »Hier auch«, kam es knapp aus dem Kanal zur SZ-2. Brooklyn, wie sich Solania von Terra früher genannt hatte, die diese Solzelle führte, beschränkte sich auf diese zwei Worte. »Bei mir geht es drunter und drüber.« Diese klagende Stimme, aus der aber auch die Freude über den Erfolg sprach, gehörte Ursula Grown, der Cheftechnikerin der SZ-1. »Ich habe 17 Prozent Ausfälle der Aggregate wegen Überlastung.«
»Das sieht mir ja sehr nach einer Ex-Magniden-Runde aus, die noch fit ist.« Gallatan Herts, das frühere Ekel blickte den High Sideryt fast schelmisch an. Draußen schwiegen die Geschütze. Super, oder besser gesagt: die Reste des Hidden-X-Produkts, war nur noch ein zerfledderter Haufen Schrott aus glühenden und strahlenden Materiefetzen. »Ex-Magniden-Runde?« fragte eine andere Stimme über Interkom an. Jeder erkannte, daß sie Curie van Herling gehörte, die von Breckcrown Hayes als Stabsspezialistin für das Funk- und Ortungspersonal eingesetzt worden war. »Dann muß ich meinen Senf auch noch dazugeben. Ich habe eine Ortung auf den Schirmen. Es ist der Zentralkegel der Landschaft im Nichts. Und ich habe noch etwas. Wir sehen die Sterne wieder, ich meine die Sterne unseres Universums. Wir sind draußen, nicht nur aus Super, auch aus dem Mini-Universum. Und ich orte noch ein Objekt, das sich schnell nähert. Es kommt vom Rand der Kugelgalaxis Ploohnei, von der wir inzwischen wissen, daß sie Pers-Mohandot heißt. Wenn mich meine gespeicherten Daten nicht täuschen, dann ist das das Schiff dieses Oggar. Zum Schluß möchte ich euch noch eins sagen. Denkt an Atlan und seine Mitstreiter. Sie können, wenn sie noch leben, nur in dem Zentralkegel sein, und zu dem beträgt die Entfernung im Augenblick nur 22 Millionen Kilometer.« »Atlan?« Breckcrown Hayes erkannte nicht, wer den Namen wiederholte. Er sah, wie sich die Brick-Zwillinge wieder aufrafften und die Steuerung der SOL übernahmen. Dann sah er die Bilder der Ortung. »Es ist klar.« Der High Sideryt erhob sich aus seinem Sessel. »Es ist klar, daß wir etwas unternehmen. Zuvor möchte ich aber etwas anderes sagen. Ich danke euch.« Die Blicke, die ihn trafen, sagten mehr als tausend Worte. Für Breckcrown Hayes vergingen ein paar schweigende
Sekunden, und er genoß es, daß ihn diesmal die Zeit nicht in eine Zwangsjacke preßte. Seine Gedanken faßten aber schnell das nächste Ziel auf. Dieses Ziel hieß Atlan, Breiskoll, Sanny … und Oggar. »Macht einen Kreuzer startklar. Und fünf Lightning-Jets für die Vorerkundung.« In den nächsten Minuten erfuhr der High Sideryt durch die eingehenden Berichte und Meldungen aus allen Teilen der SOL, wie seine Solaner förmlich aufatmeten. Die Schlacht war geschlagen, und man hatte einen vollen Erfolg zu verbuchen. Es war jedoch eine verhaltene Freude, die in den Mitteilungen mitschwang, denn mehr als einmal sprach die Sorge aus den Worten der Solaner. In erster Linie ging es dabei um den Mann, der den Solanern ein wahrhaft neues Lebensgefühl, ein Ziel, einen Daseinssinn und ein neues Selbstbewußtsein gegeben hatte. Es war die Sorge um den verschollenen Atlan. Um Atlan, den Arkoniden, der in den Augen der meisten Solaner nicht nur ein Arkonide war. Er war mehr. Er war auch ein Solaner.
9. Oggars Multibewußtsein drohte zu zerfallen. Der Pers-Oggare spürte, daß unter dem Einfluß der Energiefelder des Zentralkegels die Trennung von Körper und Geist nicht so problemlos verlaufen war, wie es normalerweise der Fall hätte sein müssen. Am meisten irritierte ihn, daß er die Bewußtseinsinhalte von Atlan, Bjo Breiskoll und Sanny, aber auch den von Hapeldan, überhaupt nicht spürte. Ebenso versagte Sternfeuers telepathische Fähigkeit. Die drei Körperlosen klammerten sich verzweifelt aneinander, denn jeder von ihnen wußte, daß sie nur gemeinsam stark waren.
Der Schalter hatte sie überlistet. Es war ihm auf fast unerklärliche Weise gelungen, sich in Sanny zu verbergen. Oggar streifte ziellos durch eine merkwürdige Dimension. Er nahm absolut nichts wahr, auch nicht die Materie des Zentralkegels, die er hätte spüren müssen. Dann spürte er, daß sein körperloses Multi-Ich nicht mehr den Weg verfolgte, den er wollte. Er wurde von energetischen Ausläufern hin und her gewedelt. Es dauerte eine unbestimmte Zeit, bis diese Wehen abklangen. »Ich spüre …«, wisperte Sternfeuer und brach wieder ab. »Was?« drängte Cpt'Carch. Wieder drohte der Verbund zu zerbrechen. Oggar selbst zerrte mit einer Gewaltleistung seine Partner an sich heran. »Ich glaube, daß Insider in der Nähe ist.« Diesmal klang die Stimme der Solanerin lauter. Oggar und der Cpt'Carch spürten aber die Unsicherheit, die mitschwang. »Insider?« staunte der Pers-Oggare. »Das würde bedeuten, daß auch der HORT in der Nähe ist. Weiter müßte dann die Sperre zu diesem künstlichen Raum entfernt worden sein.« »Oder der Raum selbst«, meinte Cpt'Carch. »Richtig. Wir orientieren uns in einer falschen Bezugsebene. Kommt.« Oggar ließ von Sternfeuer und Carch ab. Sein Bewußtsein trieb durch die vorhandene Dimension und paßte sich ihr automatisch an. Schon Sekunden später hatte er den HORT erspäht. Sein Gesichtskreis erweiterte sich. Er erblickte mit seinen körperlosen Sinnen die SOL und die Trümmer der Sonne Super. Sogleich steuerte er auf sein Raumschiff zu. Jetzt gehorchte sein Bewußtsein den eigenen Befehlen wieder. Auch dafür hatte Oggar eine Erklärung. Es mußten die Ausläufer der Hyperenergien der Explosion von Super gewesen sein, die die Orientierungsschwierigkeiten
verursacht hatten. Außerdem hatte er sich automatisch im körperlosen Zustand den abnormalen Verhältnissen des scheinbaren Mini-Universums angepaßt. Er drang in das Mnemodukt I ein, in dem es eine Notstation für sein Bewußtsein gab, in der er es für begrenzte Zeit aushalten würde. Eine schnelle Kontrolle ergab, daß der HORT auf die SOL Kurs nahm. Er beeilte sich, um mit der internen Kommunikation des Mnemodukts Kontakt mit Insider aufzunehmen.
* Der Schalter spielte seine letzten Trümpfe aus. Hidden-X hatte ihn zwar durch die Entfernung der in den Särgen versteckten Waffen geschwächt und verwirrt, sein Zentralkegel besaß aber noch andere Möglichkeiten, die er auch im körperlosen Zustand nutzen konnte. Als er mit Sannys Körper in seiner persönlichen Unterkunft die Positroniken präparierte, hatte er die Weichen gestellt. Seine nun erwachenden Reserveroboter mußten den endgültigen Sieg herbeiführen. Er selbst hielt sich im körperlosen Zustand in der Nähe der reglosen Gestalten auf, um bei der ersten Gelegenheit wieder in seinen angestammten Leib zu schlüpfen. Es gelang ihm sogar, in dem ungewohnten Zustand zu beobachten, wie seine Roboter die erstarrten Körper seiner Gefangenen in sichere Obhut nahmen. Nun wagte er den Vorstoß in seinen Körper, denn die Wirkung des Dislozierungsprojektors war weitgehend abgeklungen. Er fand sich auch sofort zurecht. Es galt schnell zu handeln, denn in Kürze würden auch seine Gefangenen in ihre Körper finden. Von ihnen drohte Hapeldan
jedoch nun keine Gefahr mehr, denn auf die Roboter konnte er sich verlassen. Er wählte den schnellsten Weg zu seiner Hauptzentrale im Fuß des Zentralkegels, indem er sich des Ego-Transmitters bediente. Hier erwarteten ihn zwei Überraschungen, die seine Pläne verwirrten. Die Sonne Super war nicht mehr vorhanden. Das ganze Vlaahalaan hatte sich aufgelöst, und die Sterne des normalen Universums leuchteten wieder. Der Schalter erkannte, daß den Solanern das Unmögliche gelungen sein mußte. Sie hatten die Kunstsonne des Meisters zerstört. Die zweite Überraschung war ein Raumschiff aus zwei übereinandergesetzten Diskusscheiben, das sich dem Zentralkegel schnell näherte. Bei den Solanern hatte er diesen Schiffstyp nie gesehen, also mußte es sich um jemand anders handeln. Er aktivierte alle Abwehrsysteme des Zentralkegels und gab den Positroniken die entsprechenden Anweisungen. Nun würde sich sein Schiff automatisch gegen jeden Feind wehren. Die Auslösung der Hochenergiegeschütze behielt er sich vor. Auf dem Ortungsbild erkannte er jetzt auch die weit entfernte SOL. Das rundete sein Bild von den Eindrücken ab. »Ihr werdet mich kennenlernen«, stieß der Molaate hervor. Seine Hand lag auf den Auslösesensoren der Waffensysteme. Doch er kam nicht mehr dazu, den entscheidenden Befehl zu geben. Etwas Unsichtbares fiel über ihn her und bemannte sich seines Bewußtseins. Der Kampf dauerte nur Sekunden, dann war er nicht mehr Herr seines Körpers. Er spürte erst ein fremdes Wesen in sich, dann zwei, dann drei. Er hörte seine Befehle, die seinen Wünschen widersprachen und die Roboter aufforderten, die Gefangenen freizulassen. Mit aller Gewalt lehnte sich Hapeldan gegen die drei Bewußtseinsinhalte auf, die jedoch zu einem Block verschmolzen,
der eine unbesiegbare Einheit darstellte. Nun erst erkannte er seinen Gegner. Es war das Wesen in Waggaldans Körper, daß man nun Oggar nannte. Der Schalter fühlte seine letzte Stunde gekommen, als sein Widersacher endlich von ihm abließ und in seinen eigenen Körper auswich. Hapeldan torkelte durch seine Zentrale und brüllte Feuerbefehle heraus. Von dem Kampf, der sich zwischen dem Zentralkegel und dem HORT entwickelte, bekam er zunächst nicht viel mit. Er überließ ihn der Automatik. Als ein kleines Beiboot von dem Kegel ablegte, ortete er darin eng zusammengepfercht vier Wesen. Nun wußte er endgültig, daß er der Verlierer war. Noch immer sprachen die Waffen, aber keine Seite bekam ein entscheidendes Übergewicht. Dem kleinen Beiboot gelang es, sicher in den Doppeldiskus zu steuern. Hapeldan versuchte den Ego-Transmitter einzusetzen, um seine verlorene Beute, mit der er sich vor Hidden-X rechtfertigen wollte, zurückzuerobern, aber in diesem Moment spürte er, mit welcher Waffe sein Feind nun zuschlug. Wieder trennte sich sein Geist von seinem Körper. In einer letzten Willensanstrengung schrie er einen Befehl heraus: »Flucht!« Der Zentralkegel beschleunigte mit höchsten Werten.
* Sie befanden sich alle wieder in ihren Körpern und an Bord der SOL. Oggar drängte, denn er wollte sofort die Verfolgung des Schalters aufnehmen. Er hielt den giftigen Molaaten weiter für ein
gefährliches Werkzeug des Hidden-X, das man unter allen Umständen ausschalten mußte. Die beiden Mnemodukte und SENECA tauschten die wichtigsten Fakten aus. »Wir sehen uns wieder, Atlan!« Mit diesen Worten verschwand das Multibewußtsein. Federspiel blickte ihm traurig nach, denn nun wurde er wieder von seiner Zwillingsschwester auf eine unbestimmte Zeit getrennt. Der telepathische Kontakt zwischen den beiden hatte Federspiel jedoch weitgehend beruhigt. Er wußte nun, daß seine Schwester nicht für immer bei Oggar bleiben würde. Atlan stand neben Breckcrown Hayes, als der Hort nur noch ein Echo auf den Fernortern darstellte und dann ganz verschwand. »Wir haben einen Verbündeten«, sagte der Arkonide, »in dem zwei von unseren Leuten stecken. Gegen Hidden-X braucht man starke Freunde.« Hayes nickte und beobachtete, wie die letzten Roboter, die auf der Landschaft im Nichts die Solaner gespielt hatten, an Bord genommen wurden. »Unser nächstes Ziel?« fragte er den Arkoniden. Atlan öffnete den Mund, aber kein Wort kam über seine Lippen.
* Als der Schalter floh, war das Interesse von Hidden-X an dem laufenden Geschehen endgültig abgeklungen. Mit dem Wegfall des Nickelspiegels ergaben sich außerdem Schwierigkeiten in der Informationsübermittlung. Die Wesenheit tastete sich durch das Flekto-Yn und rief die bereitgehaltenen Energien auf. Dann konzentrierte Hidden-X sie auf den großen Spiegel des Flekto-Yns, von wo aus sie ohne Zeitverlust an ihr Ziel flossen.
Die Große Energie richtete sich auf die SOL. In ihr befand sich eine kleinere Komponente, die seine persönlichen Rachegefühle befriedigen sollte. Atlan sollte keinen schnellen Tod erleiden. Deshalb fügte Hidden-X eine spezielle Komponente ein, die in Atlans Bewußtsein das Valrik erwecken würde. Sicher würde es irgendwann in der nahen Zukunft Zeit haben, sich darum zu kümmern, was aus der Hyperschockwelle geworden war, wie die SOL stranden mußte und Atlan im Wahn verging.
* Der Arkonide faßte sich an den Kopf und sackte wie ein Toter zu Boden. Bevor Hayes etwas unternehmen konnte, glaubte er, daß seine Trommelfelle platzten. Ein unbeschreiblich schriller Ton tobte durch die SOL. Alle Anzeigen für Hyperenergien spielten total verrückt. Das mächtige Generationenschiff wurde bis in die letzte Zelle erschüttert. Automatische Alarme lösten sich aus, aber auf den Orterbildern war kein Feind erkennbar. Die Stabsspezialisten in der Hauptzentrale rannten kreuz und quer. Dabei stießen sie spitze Schreie aus und versuchten, irgendwo festen Halt zu finden. Hayes hatte das Gefühl, daß sich die SOL ohne ausgleichende Wirkung der Andruckneutralisatoren im Raum überschlug. Er rettete sich in seinen Kontursessel, dessen Automatikverschlüsse ihn dort festhielten. Die Sterne auf den Bildschirmen wurden zu langen Strichen und wirren Farbmustern. Andere, völlig fremdartige Farben tauchten in Schlieren und Wolken auf. Noch immer dröhnte der schrille Ton durch das Schiff. Er schien
aus jeder Wand und jedem Gerät zu kommen. »SENECA!« rief der High Sideryt, aber die Biopositronik gab keine Antwort. Es war keine Minute vergangen, da lagen die Solaner als wimmernde Wesen auf dem Boden und in den Ecken. Nur Hayes beobachtete angeschnallt noch, was sich ereignete. Die Sterne auf den Bildschirmen verschwanden endgültig. Die SOL taumelte weiter auf einem nicht bestimmbaren Kurs. Atlan lag regungslos und starr vor dem High Sideryt. Schwärze füllte dann die Bildschirme aus, und allmählich schwoll der schrille Ton ab. Das Ächzen des Schiffes ließ nach. Die meisten Solaner um Hayes waren nun schnell wieder auf den Beinen. »Hidden-X hat zugeschlagen«, meldete SENECA. »Eine andere Erklärung gibt es nicht.« Breckcrown Hayes löste die Verschlüsse seines Sessels und stand auf. Die Stabsspezialisten scharten sich um den einzigen Mann, der weiterhin auf dem Boden lag, um Atlan. Sie achteten noch nicht auf die einzelnen Sterne, die sich langsam aus dem endlosen Schwarz auf den Bildschirmen schälten und einen fremdartigen Eindruck vermittelten. Ein Medoroboter untersuchte den reglosen Arkoniden. »Ich kann nichts feststellen«, erklärte die Maschine, »was nach einer Erkrankung oder Verletzung aussieht. Allerdings hat es den Anschein, daß dieser Mann energetisch aufgeladen ist.« Hidden-X, dachte der High Sideryt, was hast du getan?
ENDE
Ein gewaltiger Hyperenergiestoß hat die SOL getroffen. Das Schiff taumelt durch das All und landet im schwarzen Nichts … So beginnt nach dem Ende der Landschaft im Nichts die Irrfahrt der SOL durch ein fremdes Universum. Wie es weitergeht mit dem Generationenschiff und seiner Besatzung, das erzählt Kurt Mahr im nächsten Atlan-Band. Der Roman trägt den Titel: KOMETENALARM