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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Commander Cliff McLane und seiner Crew – und mit Tama...
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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Commander Cliff McLane und seiner Crew – und mit Tamara Jagellovsk, dem Offizier des Galaktischen Sicherheitsdienstes.
Ein mysteriöser Notruf reißt die ORION-Crew mitten aus ihrer Routinearbeit. Der schnelle Forschungskreuzer KAPELLA, der im Auftrag der »Science Patrol« operiert, hat sich selbständig gemacht und rast ohne Besatzung einem unbekannten Ziel entgegen, das zwischen den Sternen liegt. Eine aufregende Suche beginnt für Cliff und seine Leute. Sie müssen die KAPELLA-Besatzung erreichen, bevor es zu spät ist, und sie müssen das Rätsel um das verschwundene Raumschiff lösen.
Alle Romane nach der großen Fernsehserie RAUMSCHIFF ORION erscheinen als Taschenbuch im MOEWIG-VERLAG.
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Vom gleichen Autor erschienen bisher die RAUMSCHIFF-ORION-Romane: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 17 18 19
Angriff aus dem All (T 134) Planet außer Kurs (T 136) Die Hüter des Gesetzes (T 138) Deserteure (T 140) Kampf um die Sonne (T 142) Die Raumfalle (T 144) Invasion (T 146) Die Erde in Gefahr (T 152) Planet der Illusionen (T 154) Wettflug mit dem Tod (T 156) Schneller als das Licht (T 158) Die Mordwespen (T 160) Kosmische Marionetten (O 13) Die tödliche Ebene (O 14) Schiff aus der Zukunft (O 15) Verschollen im All (O 17) Safari im Kosmos (O 18) Die unsichtbaren Herrscher (O 19)
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HANS KNEIFEL
RAUMSCHIFF ORION
DER STÄHLERNE MOND
Zukunftsroman
Deutsche Erstveröffentlichung
MOEWIG-VERLAG MÜNCHEN
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Für den Moewig-Verlag nach Ideen zur großen Fernsehserie
»Raumpatrouille«, produziert von der Bavaria-Atelier GmbH,
geschrieben von Hans Kneifel
Copyright © 1969 by Arthur Moewig-Verlag Printed in Germany 1969 Umschlag: Ott + Heidmann design Gesamtherstellung: H. Mühlberger, Augsburg
Der Verkaufspreis dieses Bandes enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer
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Sah er einmal zufällig nach oben, so konnte er inmitten der blauen Fläche die unaufhörlich spiegelnden Flecken sehen. Sie glänzten wie kleine Sicheln und lebten nur sekundenlang, dann vergingen sie und tauchten an einer anderen Stelle wieder auf – es war die Sonne, die sich in den winzigen Wellen der Lagune spiegelte. Um ihn herum war angenehm warmes Wasser von einem helleren Blau als dem des Firmaments. Die Lagune durchmaß drei Kilometer und war an ihrer tiefsten Stelle genau dreiunddreißig Meter tief. Atan Shubashi hatte dies mit einem Satz komplizierter Geräte nachgemessen. Eine der unzähligen Lagunen des Planeten Thorson. Vor ihm zog gerade ein großer Schwarm jener Fische vorbei, die sie seit zwei Wochen beobachteten. Es waren große Fische von einem intensiv durchdringenden Grün, mit breiten goldenen Querstreifen, Tiere, die sich träge bewegten und mit ihren Flossen wedelten. Aus großen, dummen Augen starrten sie Hasso Sigbjörnson an und näherten ihre offenen Mäuler der preßluftgetriebenen Harpune. Diese Fische besaßen nicht nur schillernde Farben, sondern auch Fleisch von hohem Nährwert; sehr viel Fleisch, das sie binnen weniger Wochen ansetzten. Dieses Fleisch, eiweißreich und als Nahrungsmittel in verschiedenen Versionen brauchbar, war der Grund, weswegen die ORION-Crew von den zweiundzwanzig Stunden des planetaren Tages rund neun Stunden im und unter Wasser verbrachte. Submarine Schäfer... das hatte Shubashi sarkastisch dazu bemerkt. Hasso bewegte langsam, aber sehr kräftig, die Schwimmflossen und schwamm langsam dem großen Schwarm der Greenish-Fische nach. Er hatte den strikten Befehl, sich im Namen der Science Patrol um diese Fische zu kümmern. Er schwamm weiter. Hinter ihm bewegten sich Pflanzen und Tiere, die wie Pflanzen aussahen, im Sog, den die Flossen verursachten. Von einer winzigen undichten Stelle der Harpune ging ein stetiger Strom winziger Bläschen aus und wirbelte der Oberfläche entgegen, zusammen mit den größeren Blasen der Atemluft. Hasso mußte grinsen; Cliff hatte einmal in den vergangenen dreizehn Tagen den Vergleich mit den Figuren von Comic strips gebraucht. So ungefähr wirkte die ORION-Mannschaft im Augenblick. Vor ihm der Schwarm, um ihn herum das sonnendurchflutete Wasser, unter ihm der feine weiße Korallensand der Lagune – so schwamm der Bordingenieur den Fischen nach und wachte über sie. Er ließ sich treiben, warf einen wachsamen Blick in die Runde und tauchte schließlich auf. »Puhh!« machte er. Die Lagune war kreisrund und das Ergebnis von einigen Jahrtausenden fleißiger Arbeit. Korallen hatten mühsam Nahrung gesammelt, hatten sich zu gewaltigen Kolonien zusammengefunden, hatten gelebt und waren nach ihrer Zeit wieder abgestorben. Das, was sie zurückließen, war im wesentlichen nichts anderes als eine ringförmige Ansammlung von Myriaden becherförmiger Kalkhüllen. Da der Druck, den die Bauten ausübten, die Korallenringe absinken ließ, weil ferner die natürlichen planetologischen Verlagerungen den Meeresspiegel ansteigen ließen, waren die winzigen Tiere gezwungen, die Höhe ihres Lebensraumes beizubehalten. Das bedeutete für sie, daß sie sich jedesmal ein Stückchen weiter oben ansiedelten – dort herrschten die besten Lebensbedingungen. – 6 –
Hasso drehte sich auf den Rücken, warf einen schnellen Blick auf den Tiefenmesser an seinem Handgelenk: fünfzehn Meter. Er suchte über sich einen etwa rechteckigen Schatten und fand ihn schräg rechts. Langsam schwamm er nach oben. Die Thorson-Korallen wuchsen nach außen, dem offenen seichten Riesenozean des Planeten zu, außerdem nach oben, der Sonnenwärme und dem Licht entgegen. Um jede der knapp vierzehntausend größeren und kleineren Inseln des Planeten gab es eine Lagune, meist aber mehrere von ihnen. Ganz Thorson war ein Ozean mit Inseln – es gab keine Kontinente. Hasso überlegte, während er dem Gummiboot entgegentauchte. Thorson Lambda lag im Raumkubus Sieben/Ost 331. Dieser Planet war einer von jenen innerhalb der 900-Parsek-Raumkugel, die wie auch die Erde entlang einer Geraden lag. Nach den Entdeckungen auf Cassina und Nahoor hatten Schiffe der Flotte die anderen möglichen Ziele angeflogen und hatten das gleiche entdeckt wie die ORION-Crew: Erstens: Planeten, auf denen Dherrani-Kulturen ausgesetzt und gestorben waren. Die Hinterlassenschaft bestand aus verfallenen Bauwerken der verschiedensten Arten, die wertvolle, aber nun nicht mehr grundsätzlich neue Erkenntnisse und Geschichtsdaten enthielten. Zweitens: Planeten, auf denen von der Besiedlung, die vor zehn Jahrtausenden stattgefunden hatte, keine Spuren mehr vorhanden waren. Diese Planeten waren meist nur sehr entfernt erdgleich; das Leben auf ihnen war so schwer und nur mit umfangreichen Schutzmaßnahmen möglich, daß sowohl die ausgesetzten Dherrani als auch die Gebäude vergangen waren. Drittens: Planeten wie Thorson – erdgleich, warm, neben einer Sonne, die der der Erde entsprach. Hier suchte die Science Patrol nun keine Bauten oder Türme mehr, sondern nahm Spezialaufgaben wahr. Das Beaufsichtigen der Greenish-Fische war eine solche Aufgabe. Hasso tauchte auf und schüttelte das Wasser aus dem Haar. »So!« brummte er. »Pause. Weit und breit kein Cheerck zu sehen.« Er schwamm langsam auf das orangefarbene Gummiboot zu und schwang sich geschickt ins Innere. Er drosselte die Sauerstoffzufuhr seines Atemgerätes, warf das Mundstück auf den Rücken und schob die Taucherbrille auf die Stirn. Dann entledigte er sich langsam mit bedächtigen Bewegungen seiner Schwimmflossen. E r sagte halblaut zu sich selbst: »Irgendwann wird die ORION-Crew auch einmal mit künstlichen Flügeln ausgerüstet werden, um die Vögel eines Planeten zu studieren.« Er schaltete den winzigen Motor ein, drehte den Kopf herum und visierte das Ziel an. Das Boot brummte dem Ufer entgegen. Auf einem System schwimmender Hohlkörper, mit Preßluft aufgeblasen, schwamm dort das Lager der Science Patrol. Mit dem weißen Sand aus feingemahlenen Korallen war es durch einen Kunststoffsteg verbunden. Das Schiff schwebte inmitten der dunkelroten Bäume mit ihren lindgrünen Wedeln in zehn Metern Höhe, der Zentrallift war ausgefahren und berührte den Sand. Im Zentrum einer paradiesischen, sonnenüberfluteten Landschaft nahm sich der silbern leuchtende Diskus fremd und drohend aus, aber seine Aufgabe war keineswegs drohender Natur. – 7 –
Am Anlegeplatz stand Ishmee mit einer riesigen Sonnenbrille auf der Nase und einem Bikini in der Farbe des Gummibootes. Sie sah Hasso, legte die Hände als Schalltrichter an den Mund und rief: »Hast du einen Cheerck gesehen, Hasso?« Hasso streckte den Arm aus und drehte den Daumen nach unten. »Nein, nichts. Unsere Fischlein leben weiterhin ungestört.« Das Brummen des Bootsmotors hörte auf, und das Gewebe rammte leicht gegen die Plastikgitter. Hasso stieg aus und blieb neben Ishmee stehen. Er löste vorsichtig die Verschlüsse der Sauerstoffzylinder und ließ sie auf den Rost gleiten. »Immerhin«, sagte das Mädchen und reichte Hasso einen Kühlbecher voller Fruchtsaft, »sind die vergangenen zwei Wochen relativ ruhig verlaufen. Was hast du für einen Eindruck von diesem Unternehmen?« Hasso trank, dann wischte er sich den Mund ab und sagte: »Bisher den besten. Sonne, Wasser, viel körperliche Bewegung, teilweise sogar geistige Arbeit, ich denke da an die Wachstumsberechnungen der Greenish-Fische, das ist fast ein Urlaub.« Er grinste Ishmee an, und sie machte eine abwehrende Bewegung. »Laß mich ruhig ausreden«, meinte der Ingenieur. »Seit dem Tag, an dem dich Cliff von der Sandbank des Saurierplaneten auflas, stehen die Unternehmungen der ORION offensichtlich unter einem günstigen Sternbild. Ich nehme an, es ist der Große Wagen, wegen der vielen Reisen.« »Du hast recht«, erwiderte Ishmee. »Wir testen diesen Planeten, jagen ein wenig und finden heraus, daß wir für die Erde eine unerwartet große Nahrungsquelle gefunden haben. Fische, die sich praktisch von nichts ernähren, dabei in einem atemberaubenden Tempo wachsen und Fleisch ansetzen... in zwei Wochen werden wir die ersten Jungfische rund um Australien aussetzen können.« Hasso stimmte zu, aber sein Gesicht blieb etwas skeptisch. »Immer vorausgesetzt, wir können unsere Arbeiten hier ungestört erledigen. Ich traue dem Frieden nicht. Schon seit drei Tagen kein Angriff eines Cheerck mehr!« Ishmee zuckte mit den braungebrannten Schultern. »Ihr werdet sie verscheucht haben, Hasso.« Vom anderen Ende der Lagune ertönte ein schwacher Knall, gedämpft durch die Entfernung, und eine schwarze Blume entfaltete sich in der Luft. Es war ein Signal. Hasso bückte sich und schnallte sich mit einigen Griffen das Atemgerät wieder um. Er nahm Ishmee an der Hand, riß eine Reserveharpune aus einem Ständer und lief auf die weiße Schale des Kunststoffbootes zu. »Irrtum!« Der Ingenieur lachte kurz auf. »Das war ein Hilferuf von Cliff. E r schwimmt in der Nähe des Riffdurchbruchs. Ein Cheerck!« Kaum saß Ishmee, sprangen die schweren Doppelturbinen des Außenbordmotors an. Hasso warf die Leinen los, und das Boot hob sich mit dem Bug aus dem Wasser. Es raste, eine Heckwelle und Gischt hinterlassend, quer über die Lagune, dem offenen Ozean zu. Langsam verging der schwarze Rauchball in dem schwachen Wind. Hasso schob die Tauchermaske wieder über die Augen, ordnete das Mundstück, die Atemschläuche und die Ventile, legte dann die beiden Harpunen zurecht und griff nach der Steuerung des Bootes. Die Turbinen drehten langsamer, die Fahrt nahm ab, und der Bug schlug aufs Wasser zurück. Gleichzeitig mit der hochgeschossenen Rauchbombe hatte Cliff ein Subaquasignal abgestrahlt; die – 8 –
Handgelenke unterhalb des Tiefenmessers wurden von einem stumpfen Stachel berührt. Auch Atan, Mario und Helga wußten jetzt, daß einer von ihnen in Gefahr war. »Dort vorn, Hasso!« sagte Ishmee aufgeregt. Hasso riß das Boot herum, ließ die Maschinen aufheulen und jagte der bezeichneten Stelle entgegen. Dort war für eine kurze Sekunde die Schwanzfinne des Raubfisches zu sehen gewesen; er tauchte jetzt wieder ab. »Übernimm das Steuer und warte!« sagte Hasso und steckte das Mundstück zwischen die Lippen. »In Ordnung!« erwiderte das schwarzhaarige Mädchen. Hasso ließ sich seitlich aus dem Boot fallen, schaltete das Ventil auf und tauchte schräg nach unten. Dort hatte er die beiden Schatten gesehen – es war die Verlängerung einer Linie zwischen dem offenen Ozean und den riesigen runden Löchern im Korallenriff. Sie hätten es natürlich absperren können, aber die Lebensbedingungen der Greenish-Fische wären dann nicht echt gewesen. Auch Raubfische gehörten dazu. Dann hatten sich die Augen an die hellblaue Halbdämmerung gewöhnt, und Hasso sah Cliff. Er sah auch den Cheerck. Ein schwarzer, pfeilförmiger Fisch, der etwa viereinhalb Meter lang war und hinter den Kiemen einen Meter maß. Ein Wunder, was die Schwimmkünste anging; ein terranischer Delphin war ein lahmender Hering dagegen. In einem spitzen, fast schnabelähnlichen Maul saßen scharfe, weiße Zähne. Sie waren das tödliche Gebiß des Raubfisches und eine Gefahr für die Zuchtschwärme der Greenish. Cliff McLane hatte die Leine der Harpune ums Handgelenk gewickelt, der Schaft steckte quer in der unteren Schwanzfinne des Räubers. In der rechten Hand hatte Cliff das lange Schwimmesser. Der Fisch und der Kommandant umkreisten, durch die Leine miteinander verbunden, einen gemeinsamen Mittelpunkt, wie zwei Planeten eine Sonne. Hasso stieß von oben schräg vor, richtete die Harpune aus und feuerte. Vor ihm entstand ein Wirbel aus Wasser und Preßluftblasen. Dann schoß die Harpune geradeaus los, einen Strich aus kleinen Bläschen hinter sich herziehend. Hasso hatte die gefährlichere der beiden Versionen abgeschossen. Die Spitze mit den geschliffenen Widerhaken bohrte sich in die Kiemen des Räubers, der sich aufbäumte, einen Kreis um seine Querachse schwamm und dann Cliff hinter sich herzog. Er raste genau auf Hasso zu. Hasso wartete und drückte dann ein zweitesmal auf den Auslöser. Die Sprengladung innerhalb der Harpunenspitze detonierte und tötete den Fisch halb. Das Tier schwenkte ab, peitschte das Wasser und raste davon, im Zickzack dem Boden entgegen. Der Sand kam den beiden Männern, die an den Enden der Harpunenseile hingen, schnell entgegen. Mit ihm die Felsbrocken, die Lavasteine und die scharfkantigen Gewächse des Lagunenbodens, die aus dem Sand herausragten wie Gebirge, die man aus großer Höhe betrachtete. Der Cheerck fegte zwischen den Steinen hindurch, und beide Männer wichen aus, indem sie mit der anderen Hand und den großen Schwimmflossen steuerten und sich gegen den Zug des Raubfisches stemmten. Jetzt kam ein großer Schwarm der Greenish vorbei – der Räuber schoß mitten durch sie hindurch. Die Fische gerieten in Panik, flitzten hin und her, rammten den Raubfisch und die beiden Männer, schwammen sich – 9 –
gegenseitig in die Flanken und waren dann verschwunden. Das Wasser wurde trübe... der Cheerck raste weiter. Minuten dauerte die Jagd. Cliff und Hasso wurden an Atan vorbeigezerrt, dann starb der Raubfisch. E r schlug mitten in einem Aufwärtsmanöver einen Haken, zuckte mehrmals und war dann still. Aus den Kiemen sickerte Blut ins Wasser und färbte das Blau in Braun um. Hasso nickte Cliff zu, schwamm näher an den Fisch heran und zog die Harpune heraus, nachdem er die Spitze mit einem Knopfdruck abgetrennt hatte. Cliff löste sein Geschoß aus der Schwanzfinne und steckte es zurück in den Schaft, den er an der Sicherheitskordel hinter sich hergeschleppt hatte. Dann ruderten die beiden Männer langsam nach oben und trafen mit dem Boot zusammen, das Ishmee hinter der wilden Jagd her gesteuert hatte. Hasso zog sich über den Rand und fiel schwer auf einen Sitz. »Verdammt!« sagte er. »Nichts gegen Beobachtungen unter Normalbedingungen, aber der Cheerck ist kein Fisch, dem ich nachts hier in der Lagune begegnen möchte.« Cliff schob die Maske hoch, nahm das Mundstück heraus und drehte das Ventil zu. »Das war Feindschaft auf den ersten Blick«, sagte er. »Ich schwamm an der Öffnung vorbei, der Fisch kam von draußen, sah mich und griff sofort an. Ich weiß nicht, ob ich durchgehalten hätte.« In den nächsten Minuten sammelten sie Atan und Helga ein, dann, wieder in Ozeannähe, den Chefkybernetiker der Crew. Als das schwerbeladene Boot langsam auf das Lager zufuhr, trockneten sich die Schwimmer ab und setzten wegen der starken Sonne die dunklen Brillen auf. »Eine Pause... ist es nicht zu gefährlich?« fragte Hasso. »Ein zweiter Raubfisch könnte kommen!« Cliff löste langsam die langen Säume der Unterwasseranzüge; es waren Modelle ähnlich denen, die man während der kosmischen Safari getragen hatte, nur leichter und von einer leuchtenden Gelbfärbung Obwohl selbst die Reißzähne des Fischräubers das glatte Material nicht zerfetzen konnten, würde der Rachen dem Kommandanten schwerste Quetschungen verursacht haben. »Vermutlich nicht. So viele gibt es hier nicht, Hasso.« Mario beobachtete aufmerksam die Wasseroberfläche und deutete jetzt nach links. »Dort, was ist das?« fragte er halblaut. Cliff warf einen Blick in die angegebene Richtung und sagte dann zu Ishmee: »Steuere bitte dort hinüber, Ishmee. Das könnten Fische sein.« Die Maschinen brummten belastet auf und schoben die Kunststoffschale vorwärts. Dann schlug Ishmee einen Kreis ein und bremste ab. Die sechs Personen sahen jetzt deutlich, was Mario nur flüchtig wahrgenommen hatte. Es waren die grünen, goldgestreiften Greenish-Fische mit den weißen, gepunkteten Bäuchen. Zwanzig oder mehr von ihnen trieben regungslos auf der Wasseroberfläche. Cliff langte hinein und hob einen Fisch heraus. »Hier«, sagte er. »Fünf Kilogramm schwer, voller bestem Fleisch.« Helga betrachtete den schweren, kurzen Fisch mit hochgezogener Nase. »Er ist nicht verletzt«, stellte sie trocken fest. Cliff nickte. – 10 –
»Das ist es, worauf ich euch aufmerksam machen wollte! Wir werden das Tier sezieren und feststellen, woran es gestorben ist. Ich habe da eine sehr bestimmte Vermutung.« Atan lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Sollten wir nicht dazu übergehen, die Stahlnetze vor die Öffnungen im Riff zu ziehen?« »Warum?« fragte Helga. Atan zog eine Grimasse und leckte sich das Salz von den Lippen. Sie begannen unmerklich aufzuspringen und trocken zu werden. »Seit zwei Wochen operieren wir hier in diesem dreitausend Meter durchmessenden Testgebiet.« Mario sagte, eine Spur gereizt: »Das wissen wir ebenso gut wie du, Kleiner.« Atan winkte ab, ohne die Augen zu öffnen. »Ich fasse zusammen«, sagte er. »Damit du meinen Gedankengang besser verstehen kannst, lieber Freund und Erster Offizier. Wir haben bis auf mehrere Stellen hinter dem Komma die Zusammensetzung des Wassers, die Art der Nahrung, die Temperaturen und das Leben der Greenish Tag und Nacht beobachtet – die Speicher des Digitalrechners und unsere Archive sind voll von Daten. Wir können, wenn ich die Entwicklung recht überblicke, die Fische bedenkenlos auf der Erde ansiedeln.« Milde Ironie klang aus Hassos Antwort: »Wäre ich ein Fisch, würde ich es vorziehen, im Wasser angesiedelt zu werden, Atan. Ich bin sicher, daß du auch dafür bist.« »Natürlich. Ich wollte nur sagen, daß unsere Forschungen soweit abgeschlossen sind. Was uns bisher noch fehlte, waren Beobachtungen, die den Greenish-Fisch im Verhältnis zu seinem natürlichen Feind zeigen. Diese Beobachtungen haben wir jetzt eben machen können.« »Shubashi«, murmelte Cliff und steckte seinen Arm durch die Laschen der beiden Schwimmflossen, »deine Gedankengänge sind kurvenreich, aber äußerst scharfsinnig. Du denkst, was ich denke.« »Wie apart!« gab der Astrogator zurück. »Dann denkst du sicher, daß dieser Fisch zwar nahrhaft, aber außergewöhnlich dumm ist.« Cliff grinste. »Das denke ich nicht mehr, das weiß ich ziemlich genau.« »Dann denkst du zweifellos auch, daß das Erscheinen eines wütenden Cheerck die fetten, dummen Fische so erschreckt hat, daß sie an Herzschlag gestorben sind, nicht wahr?« Cliff befestigte die Leine des Schnellbootes und sprang an Land. »Du hast sicher recht, aber ich brauche Gewißheit. Ich werde mit meinen bescheidenen Kenntnissen und mit eurer Hilfe die Fische untersuchen. Sollte der eine hier keinen Aufschluß ergeben, werde ich eine ähnliche Situation provozieren. Sie haben uns jedenfalls nicht als Feinde identifiziert, sonst wäre die Lagune voller toter Fische.« Atan öffnete die Augen und machte Anstalten, ebenfalls an Land zu gehen. »Deine Weisheit, Cliff, ist wunderbar. Aber mein Hunger ist ebenfalls ziemlich intensiv. Wie geht es weiter?« – 11 –
Mario sagte:
»Wir essen, Kleiner.«
Atan senkte den Kopf, nahm Anlauf und rammte den Chefkybernetiker, so daß er
im hohen Bogen vom Steg zurück ins Wasser fiel. Ein Sprühregen vielfarbiger Tropfen überschüttete Boot, Steg und Mannschaft. »Du machst dich unbeliebt, Atan«, sagte Cliff lachend. »Wir untersuchen den toten Fisch, dann werden wir vermutlich die Gitter vor den Löchern befestigen.« Atan nickte mit einem sehr zufriedenen Gesicht. »Einverstanden. Darauf wollte ich hinaus.« Sie gingen, nachdem sie die Geräte sorgfältig an die Haken und in die Gestelle gesetzt hatten, unter die Fläche des Sonnensegels. Es war an vier Leichtmetallmasten befestigt und durch Seile gestützt. Darunter standen leichte Feldsessel, ein Tisch und verschiedene Geräte. Alles lag im Schatten, und die Brise, die landeinwärts wehte, schuf eine angenehme Kühle. Die Lagunen waren fast ausnahmslos insektenfrei. Helga setzte sich und streckte die Beine aus.
»Ich muß euch sagen – ich fühle mich außerordentlich wohl«, sagte sie.
Ishmee machte sich am großen Kühlschrank und an den Nahrungsmittelvorräten
zu schaffen. »Paßt auf, Freunde«, meinte Ishmee, zog die Brille von der Nase und musterte nacheinander die Mannschaft, »ich kümmere mich um das Essen. Es ist ohnehin alles in Fertiggerichten vorhanden.« Atan sagte mürrisch: »Das ist ganz gut so, denn wegen der vielen Tests haben wir die ersten zehn Tage ohnehin nur Fisch gegessen. Greenish-Fisch gegrillt, gekocht, gedünstet und gebacken, mit und ohne Kräutern...« »... und hoffentlich bald ohne Atans Kommentar«, meinte Mario.
Ishmee sprach weiter:
»Ich brauche die Packungen also nur zu erhitzen – eine praktische
Verfahrensweise, die Terra da erfunden hat. Ich habe nämlich das Gefühl, daß wir nicht mehr lange unseren Science-Patrol-Urlaub genießen können.« Mario de Monti hob in einer klagenden Gebärde beide Arme in den blauen Himmel und rief: »Seit zwei Jahren höre ich immer wieder, wie unser Kommandant pausenlos Gefühle hatte. Immer waren es solche, die schließlich in irgendwelche atemberaubende Abenteuer ausarteten. Und jetzt, zu unserer Freude, hat auch seine bezaubernde Freundin vom Saurierplaneten unter anderem solche Gefühle. Wo, frage ich mich, soll das enden?« Cliff erwiderte ruhig:
»Niemand weiß es, Freunde.«
Hasso schlug ruhig vor:
»Könnten wir nicht mit der Erörterung dieser Dinge bis nach dem Essen
warten?« Helga nahm sich einen vollen Kühlbecher, stand auf und sagte kurz zu Cliff: »Ich gehe in die Kommandokanzel. Vielleicht ist ein Funkspruch eingegangen – ich sehe nach.«
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»Wenigstens unsere Helga hat im Augenblick noch terranische Interessen«, meinte der Kommandant. »Traue dich ja nicht wieder zurück mit einer schlechten Nachricht!« Helga trank den Becher halb leer und ging über den Steg, durch den knöcheltiefen weißen Korallensand und auf den stählernen Zentrallift des Raumschiffes zu. Die Haut der sechs Personen hatte inzwischen verschiedene Braunabstufungen angenommen, und der zweiwöchige Aufenthalt in frischer Seeluft und im Wasser hatte die Muskeln der Crew geschmeidig werden lassen. Sie fühlten sich topfit und fast beschämend gesund. Der Lift summte nach oben und verschwand knackend im Rumpf der ORION. Die Mannschaft half Ishmee bei der Vorbereitung und merkte nicht, daß drei Minuten vergingen, bis Helga wieder zurückkam. In diesen hundertachtzig Sekunden hatte die Funkerin festgestellt, daß ein Funkspruch eingegangen war, hatte das Band vorlaufen und dann durch das Schreibgerät ausdrucken lassen. Jetzt hatte sie einen langen Kunststoffstreifen wie ein Armband um das Handgelenk gewickelt. Sie blieb neben ihrem Feldsessel stehen. »Soso«, brummte Atan. »Mir schwant Unheil, Helgamädchen.« Helga setzte sich wortlos und wickelte betont langsam den Streifen von ihrem schmalen Handgelenk. Ihr Gesicht sprach einen beredten Text, und auf diese Weise hatte sie die Aufmerksamkeit von fünf Personen auf sich gezogen, ohne ein Wort zu sagen. Helga legte den geglätteten Streifen vor Cliff auf den Tisch und klopfte nachdrücklich mit dem abgebrochenen Nagel des Zeigefingers darauf. Cliff warf nicht einmal einen Blick darauf und fragte drohend: »Du siehst mich mit einer bestürzenden Menge von Resignation an, Helgamädchen. Was ist los?« Helga schüttelte ungläubig den Kopf und erwiderte leise: »Mario hatte recht, Cliff.« »Wie meistens«, brummte der Erste Offizier und zog den Streifen an sich. Er las die ersten Worte, dann verwandelte sich sein breites, bislang gutgelauntes Gesicht in eine Miene der Niedergeschlagenheit. »Lies!« sagte Cliff und sah auf die blaue Lagune hinaus. Mario de Monti las. »Hier Team KAPELLA. Wir befinden uns auf Gromaire im Kubus Sieben/Ost 431. Vor drei Stunden ist unser Raumschiff verschwunden. Wir bitten die Mannschaft des nächstgelegenen Testplaneten, uns abzuholen. Keine Todesfälle, außerdem halten wir es einige Wochen aus, wenn nicht der Planet explodiert. Wiederhole: Wir haben unser Schiff verloren, obwohl wir nicht wissen, wie. Bitte holt uns ab. Die planetaren Koordinaten unseres Lagers sind...« Atan kicherte nervös und sagte atemlos: »Wie werden sich unsere Lieblinge, die netten kleinen Cheercks freuen. Jetzt fliegt McLane mit seiner tüchtigen Crew wieder einen todesmutigen Einsatz, und die armen Greenish-Fischlein sind ganz allein und werden alle aufgefressen.« Hasso nickte schwer und erwiderte bedauernd: »Sie hat ihm schon sehr zugesetzt, die Sonne.« Cliff stand auf und ging nachdenklich um den Tisch herum. »Ausgerechnet!« sagte er bitter. »Ausgerechnet dann, wenn es uns gut geht, verlieren diese Idioten ihr Schiff. Was weiß ich, wie sie ihre Fernsteuerung justiert – 13 –
haben. Solch ein Kreuzer kann doch nicht einfach starten, ohne daß ein Mann an Bord ist und Schalter drückt!« Mario wedelte mit dem Funkspruch-Streifen und sagte grinsend: »Das wird es sein, Kommandant, was unsere unbekannten Freunde von der KAPELLA so sehr irritiert, daß sie mit ihrem Reservefunkgerät einen Notruf abstrahlen. Was werden wir tun?« Helga sagte hart: »So wie ich uns kenne – wir greifen ein, die Gefahr mißachtend.« Cliff gab sich innerlich einen Ruck und blieb stehen, dann sagte er laut: »Wir werden zunächst einmal in aller Ruhe essen, dann eine geziemende Pause von einigen Minuten einlegen und beraten. Unsere Kollegen auf Gromaire sind ja nicht in Lebensgefahr.« Ishmee meinte versonnen: »Das war sicher eine der besten Ideen, Cliff, die du heute hattest.« Sie begann, das Essen auszuteilen. * Man hatte eine Gruppe von drei Schiffen ausgeschickt. Sie sollten im Rahmen der »Wissenschaftlichen Patrouille« die drei Planeten untersuchen, die entlang der Geraden, aber auf der entgegengesetzten Seite, also zwischen Erde und Ostgrenze, sich um ihre Sonnen drehten. Thorson, Gromaire und Uzarsky waren jeweils nur wenige Lichtminuten von der Bahn entfernt, die das Große Schiff vor zehntausend Jahren durch die heimatliche Galaxis gezogen hatte. Auf Thorson Lambda hatte die ORION-Crew nur die Ruinen eines mächtigen Bauwerks gefunden, das aus zerschnittenen Korallenblöcken zusammengesetzt gewesen war – sonst nichts mehr, was auf die Kultur der Dherrani schließen ließ. Dafür waren jene Fische entdeckt worden, die sich nur von Plankton ernährten, im Laufe eines Monats dick und fett wurden und sich hervorragend als Zuchtfische eigneten. Sowohl die Erde als auch alle anderen Planeten, deren Ozeane diese Konzentrationen an Mineralien und die entsprechenden Temperaturen hatten, konnten durch das Aussetzen dieser Greenish-Fische ihre Nahrungsmittelversorgung binnen weniger Jahre um einen weiteren Posten unabhängig machen. »Immerhin«, meinte der Erste Offizier und schlug eine Mücke von seiner Wange weg, »stehen wir einmal wieder vor einer kniffligen Situation. Was ist wichtiger für die Erde: Die Fische, die auch für andere Planeten wichtig werden oder das verschwundene Raumschiff?« Cliff preßte seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und sagte langsam und nachdenklich: »Das weiß ich selbst nicht, Mario.« Atan warf die Reste des Plastiktabletts in den Abfallbehälter. Für sämtliche Schiffsbesatzungen galt ein ungedrucktes Verbot, nämlich, neue, relativ unberührte Planeten mit dem Zivilisationsabfall der Erde in Berührung zu bringen. »Für uns von der Crew zweifellos ist die Fischsache wichtiger«, meinte er. »Freunde!« sagte Hasso fast beschwörend, »wir haben, als wir diesen Auftrag bekamen, uns mächtig anstrengen müssen. Schließlich liegt unsere Jugend, in der wir im Carpentariagolf nach Fischen jagten, ziemlich weit zurück. Und wir haben – 14 –
es geschafft... wir sind zu submarinen Schäfern geworden. Das jetzt sofort aufzugeben, die mühsam gezüchteten Greenish-Fische den Cheercks zu überlassen, das widerstrebt mir sehr, Cliff.« E)er Kommandant nickte; dies war ein gewichtiges Argument. »Es gibt zwei Lösungen«, sagte er. »Und von diesen Lösungen erscheint mir eine besonders gut.« »Welche?« fragte Ishmee. »Ich habe die Oberleitung über dieses Projekt«, sagte Cliff zögernd. »Ich bin also letzten Endes für diese drei Schiffe verantwortlich. Ich könnte Wamsler anfunken und um einen Befehl bitten.« Das Mädchen Ishmee lehnte sich zurück, schloß die Augen und sagte deutlich: »Und wie wir Wamsler kennen, mißt er dem Verlust eines Schiffes sehr viel Bedeutung zu.« »Durchaus verständlich«, meinte Helga, »nachdem der Aashap ein Schiff gestohlen hat.« Atan beugte sich aufgeregt vor und deutete auf die ORION. »Cliff! Vielleicht hat der zweite, geheimnisvolle Aashap das Schiff gestohlen. Ich meine die KAPELLA.« »Kaum!« »Weiter, Cliff!« bat Hasso. »Ich möchte wissen, ob ich schlafen kann oder starten muß.« Cliff grinste schräg und erwiderte: »Wamsler wird also laut rufen, wir sollten sofort und mit allen Mitteln das verlorene Schiff suchen, außerdem bekommt die Mannschaft der KAPELLA einen dienstlichen Verweis. Ich halte diese Alternative nicht für richtig. Das heißt: Richtig ist sie vielleicht, aber keineswegs zweckmäßig.« Helga stand auf und half Ishmee, den Tisch abzuräumen. »Was ist die zweite Alternative, Cliff?« fragte Mario begierig. »Wir teilen uns in zwei Gruppen. Eine bleibt hier und arbeitet an dieser Lagune weiter. Die andere Gruppe startet mit dem Schiff und sucht die KAPELLA. Ist das ein Vorschlag?« »Einverstanden«, sagte Mario de Monti. Atan zuckte die Schultern und brummte: »Sicher muß ich wieder in die ORION, weil niemand anderer als ich so gut ein verlorengegangenes Schiff finden kann. Ist es so, Kommandant?« »Ja, so ist es, Astrogator«, sagte Oberst McLane. »Helga – dich brauchen wir ebenfalls«, meinte Shubashi. Ungerührt gab die Funkerin zur Antwort: »Ich habe ohnehin mit nichts anderem gerechnet. Wann starten wir, Cliff?« Der Kommandant sah auf die wasserdichte Armbanduhr und sagte: »In einer Stunde.« Cliff McLane verließ den Schatten des großen, weißen Sonnensegels und ging langsam auf den Steg hinaus. Die stahlgefaßten Kunststoffraster schaukelten leicht in den Wellen der Lagune. Die Sonne stand im frühen Nachmittag, und wenn sie sich beeilten, dann konnte die Arbeit an diesem kleinen, aber bedeutungsschweren Forschungsprojekt abgeschlossen sein, noch ehe das Raumschiff wieder startete. Cliff setzte sich an den Rand des Steges und streckte die Beine aus, ließ das Wasser – 15 –
seine Sohlen umspülen. Das Wasser war kristallklar, und er konnte fast bis auf den Boden hinuntersehen, der deutlich die Vielzahl des Lebens zeigte, das sich in der Lagune ausgebreitet hatte. Fischschwärme zogen vorbei, seltsame Tiere bewegten die Arme und schnellten sie den Fischen entgegen, die mit einem Schwanzschlag auswichen Greenish-Fische zogen vorbei, träge, dumm und mit schlaffen Bewegungen. Sie waren wirklich hervorragend als Fleischlieferanten geeignet. »Verdammt!« knurrte Cliff. »Dieser Schatten... das kann doch nur ein Cheerck sein. Wir hätten... Hasso!« Langsam und mit einem Minimum an Bewegungen von Flossen und Schwanz glitt der schwarze Schatten des Fisches näher, kletterte über die Unebenheiten des Bodens, und als Hasso mit den beiden Explosivharpunen heran war, folgte der Fisch. Er kam von rechts ins Blickfeld. »Ins Boot, Hasso!« flüsterte Cliff und stellte die Länge der Harpunenschnur ein. »Wer zuerst?« »Du!« erwiderte Cliff. Hasso zielte sorgfältig, berechnete die Lichtbrechung des Wassers und stand lautlos auf, mit beiden Beinen das Boot ausbalancierend. Dann schoß er. Das Zischen der Preßluftladung, das Eintauchgeräusch des Geschosses und der Ton, mit dem die Leine im Wasser verschwand, verschmolzen zu einem einzigen, schmetternden Schlag, der die Crew alarmierte. Eine halbe Sekunde später feuerte Cliff. Er ließ augenblicklich die Harpune fallen, griff nach der Leine und wickelte sie um einen Polder des Steges. Die Konstruktion war fest mit dem Ufer verbunden, und soviel Kräfte entwickelte der Fisch auch nicht. Die Leinen strafften sich. Dann setzte sich Hasso halb unfreiwillig ins Boot und zog ein zweitesmal am Abzug, ebenso Cliff. Die beiden Sprengladungen detonierten, und der Raubfisch starb schnell. Cliff stand auf und reckte sich. »Das war es!« sagte er mit Nachdruck. »Ishmee, Hasso und Mario bleiben hier und bringen die Netze am Riff an. Helga, Atan und ich nehmen die ORION und fliegen hinüber nach Gromaire. Einverstanden?« Cliff schob mit dem Fuß die leergeschossene Harpune zur Seite, warf einen langen Blick in die Richtung der stählernen Netze, die auf einem Haufen am Strand lagen und ging dann langsam auf das Schiff zu. Er fuhr nach oben, zog sich bedächtig um, nachdem er das Salz und den Sand von der Haut gewaschen hatte und kam wieder zurück, um sich von Ishmee und den beiden Partnern zu verabschieden. Mario schüttelte seine Hand. »Und«, sagte er, »wir werden die Todesursache des Fisches auch ohne deine Assistenz herausfinden, Kommandant«. Cliff grinste und schlug Mario gegen den Oberarm. »Ich zweifle keine Sekunde lang daran, Mario«, sagte er. »Wir sind bald zurück und lassen auf alle Fälle das schwere Hyperfunkgerät zurück.« Dreißig Minuten später hob der gewaltige, fünfzig Meter durchmessende Diskus geräuschlos ab, zog den Lift ein und stieg waagrecht in den blauen Himmel hinein; der erste Schallknall erreichte Sekunden später die drei Zurückgebliebenen. Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont. – 16 –
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Sie würden nur wenige Sekunden brauchen, um Gromaire zu finden; die genauen Koordinaten lagen in den Speichern des Digitalrechners und wurden in den Autopiloten eingespeist. Cliff McLane lag entspannt in dem zurückgekippten Kommandantensessel und fühlte, wie in der Kühle des Kommandoraumes die Haut sich spannte. Sie brauchte viel Fett. Atan schaltete den ersten seiner Schirme ein und drehte langsam seinen Sitz herum. »Eine sehr ernste Frage, Cliff«, sagte er leise. Helga Legrelle warf ihm einen scharfen, prüfenden Blick zu. »Bitte«, sagte Cliff. »Nur keine falsche Scham!« Atan lachte kurz. »Wenn ich dich richtig kenne«, begann Atan, »dann hast du doch sicher eine ziemlich scharf umrissene Idee, was der Verlust des Schiffes zu bedeuten hat?« Sorgfältig beobachtete Cliff das Bordchronometer und den zentralen Sichtschirm, dann erwiderte er: »Ja. Es kann natürlich sein, daß der dritte, noch überlebende Aashap das Schiff gestohlen hat. Ich glaube aber nicht daran, weil er so klug ist, um sich denken zu können, daß die ganze Flotte hinter ihm her sein wird. Und – wie sollte er nach Gromaire gelangen, um dort ein Schiff zu stehlen? Diese Möglichkeit scheidet für mich aus.« Helga Legrelle cremte sich das Gesicht ein. Sie tat dies mit großer Gründlichkeit und einer Creme, deren Geruch die Kommandokanzel erfüllte. Die blinde Sichtscheibe eines Verbindungsschirmes diente ihr als Spiegel. »Für mich ebenfalls, Cliff«, sagte sie. »Wir hätten Ishmee mitnehmen sollen. Im Ernst!« Atan fragte: »Wozu?« »Weil«, erwiderte Helga, »sie telepathisch begabt ist. Sie hätte uns helfen können, dieses Rätsel schneller zu lösen.« »Wir werden es auch so schaffen!« sagte Cliff. »Natürlich. Die zweite Möglichkeit ist ein Bedienungsfehler, ja?« fragte die Funkerin zurück. »Vermutlich. Obwohl ich mir nicht gut vorstellen kann, daß ein erfahrener Kommandant wie Diego Garrec sein Schiff so parken kann, daß es sich selbständig macht. Ich glaube es einfach nicht!« Cliff sprang auf und ging wütend in der Kanzel hin und her. »Das ist unmöglich!« stieß er endlich hervor. »Völlig unmöglich! Kein Kommandant bringt das zustande, es sei denn, er führt eine Reihe von Schaltungen durch. Die Bordrechenanlage würde es sonst verhindern.« Atan sagte ruhig: »Also bleibt die dritte Möglichkeit: Jemand oder etwas hat die KAPELLA entführt, ferngesteuert in den Raum hinaus geholt, an sich gerissen oder sonstwie geschaltet. Diese Möglichkeit ist mir wiederum zu phantastisch. Das würde bedeuten, daß unser lieber Kosmos voller Geheimnisse steckt, von denen sich unsere
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Kadettenklugheit kaum etwas träumen ließ... es ist mir einfach zu lächerlich, ständig das All als die Quelle aller Überraschungen anzusehen!« Cliff hob beide Hände und sagte scharf: »Beruhige dich, Atan. Wir sind in zwei Stunden vor dem Planeten und werden zuerst nach der Mannschaft suchen. Dann erfahren wir Näheres. An Raumklabautermänner können wir dann immer noch glauben.« »Einverstanden. Klammern wir dieses Problem also aus!« Die ORION VIII raste weiter durch den Hyperraum, dem zweiten Planeten einer gelben Sonne entgegen. Gromaire war ein Planet der Pampas, der Savannen; der Wildreichtum dieser Welt war erstaunlich, und auch hier untersuchte man die Möglichkeit, Zuchtstämme verschiedener Tiere auf andere Planeten zu verpflanzen, um deren Versorgung mit bestimmten Lebensmitteln von der Erde und somit von Schiffsraum unabhängig zu machen. Diese Idee stammte von der ORION-Crew, und drei Schiffe waren für diesen winzigen Abschnitt, in dem nur drei Planeten rotierten, ausgesucht und mit der doppelten Aufgabe gestartet worden – sie sollten die Reste der Dherrani-Kultur suchen und das biologische Problem studieren. Fische auf Thorson Lambda, Wild auf Gromaire, und auf Uzarsky waren es Gräser und Pflanzen. Eine Stunde später sagte Cliff: »Helga – ich brauche eine Sichtfunkverbindung zu den Leuten der KAPELLA. Kannst du es versuchen?« Helga spreizte ihre Finger und legte den Zeigefinger auf den Hauptschalter ihres Funkpultes. »Ich versuche es«, sagte sie. Sie versuchte, sich in die Lage der KAPELLA-Leute zu versetzen. Sie waren irgendwo auf einer riesigen Savanne, ohne Schiff und ohne die Hauptvorräte, mit nur dem Notwendigsten ausgerüstet. Fünf Männer, denen das Schiff plötzlich weggeflogen war. Helga konnte ahnen, wie es den fünf Mitgliedern des Teams jetzt zumute war. Dann hatte sie die Welle des Gegengerätes und nahm das Mikrophon näher zu sich heran. »Hier ORION VIII. Wir rufen das Team KAPELLA!« Sie wartete lange. Aus den Lautsprechern kam das drohende Zischen der kosmischen Statik. Sekunden vergingen langsam, schließlich hörte sie eine ferne, krächzende Stimme. »... KAPELLA. Wir hören. Bitte kommen...« Sie schaltete auf die Lautsprecher der Bordsprechanlage um, tastete einen Verbindungsschirm ein, der aber kein Bild zeigte. Nach einigen weiteren Manipulationen wurde der Ton schärfer und besser verständlich. »Wir stehen kurz vor dem Anflug auf den Planeten. Bitte geben Sie uns Ihren Standort mit genauen Positionen anhand der Normkoordinaten durch.« Helga drückte die zweite Taste; ein Bandgerät lief mit. »Danke!« sagte sie. »Haben wir bestimmte Dinge zu beachten?« Wieder fiel die Stimme hinter den akustischen Vorhang zurück und wurde undeutlich. Helga drehte den Lautstärkeregler weit auf.
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»... wir kampieren mitten auf einer riesigen Hochfläche. Seit Minuten fliehen die Tiere rings um uns in wahnsinnigem Tempo. Alle rennen sie nach Osten. Vielleicht kommt ein Gewitter!« Cliff zog das Mikrophon heran und schrie zurück: »Halten Sie aus! Bleiben Sie dort! Wir landen in Kürze... sonst verfehlen wir das Team!« Die Antwort kam wieder stark: »... versprechen es, obwohl wir nicht wissen, was diese Massenstampede bedeuten soll... Ende.« »Ende!« sagte Cliff und sah auf die Uhr. »Noch dreiundzwanzig Minuten«, murmelte er. »Schneller geht es nun wirklich nicht.« Er nahm seinen Notizblock, warf ein Quadratnetz und trug die angegebenen Koordinaten ein. Das Schiff raste dem zeitlichen Punkt entgegen, an dem es den Hyperraum verlassen und den Raum der normalen kosmischen Bezüge betreten würde. Die drei Insassen der ORION sahen sich, nachdem Helga das Funkgerät abgeschaltet hatte, lange und schweigend an. Es war kein Bild zustande gekommen; die Situation auf Gromaire schien wesentlich verworrener zu sein, als sie gedacht hatten und – gefährlicher. »Cliff«, sagte Atan nachdenklich, »die Kameraden dort scheinen in der Klemme zu sein – gelinde ausgedrückt.« Cliff steckte die Strahlwaffe ein und schnallte langsam den Gürtel mit der Gasdruckwaffe um. Das leuchtende Dreieck zuckte von Markierung zu Markierung, die Sekunden addierten sich. Cliff sagte kurz: »Zwanzig Sekunden – jetzt!« Das Bild wechselte auf dem Zentralschirm. Jetzt schwamm vor dem Schiff in einer Lichtsekunde Entfernung die Kugel des Planeten und wurde größer und größer. Cliff schaltete den Autopiloten aus und langte nach den Hebeln der Handsteuerung. »Das Funkgerät arbeitet nicht mehr zufriedenstellend«, sagte Helga, »nicht unseres, sondern das der KAPELLA-Leute.« Cliff knurrte: »Und irgendeine seltsame Tierflucht hat eingesetzt. Entweder ein Feuer oder ein Gewitter. Der Planet ist, nach den Feststellungen der Karthographen, sonst ziemlich harmlos.« Aus Helgas Stimme war deutliche Skepsis zu hören. »Das glaubten wir von anderen Welten auch, und sie wurden für uns beinahe zu tödlichen Fallen!« Das Schiff näherte sich, aus der Lichtgeschwindigkeit abgebremst, in einer absoluten Geraden dem Planeten. Cliff und Atan arbeiteten schweigend und konzentriert zusammen, wechselten leise die ermittelten Daten und brachten es fertig, innerhalb von einer Minute grob festzustellen, woher der Hilferuf gekommen war. Die ORION kippte und schnitt durch die Lufthülle, die immer dichter wurde. Aus der Kugel wurde ein Scheibenausschnitt, von den treibenden Wolken und der Grenze des Sonnenlichts in merkwürdigen Mustern verziert. Der Pol huschte unter dem Schiff vorbei, und an dem ellipsoiden Schutzschirm des – 19 –
Raumschiffes brach sich die Atmosphäre in einer weißglühenden Lichterscheinung. Das Schiff ging tiefer und näherte sich dem Äquator. Die ersten Berge tauchten auf – es waren riesige Plattformen mit steilen Hängen. »Hast du etwas im Funkgerät, Helga?« fragte Cliff. »Nein«, erwiderte sie und schüttelte den Kopf. Cliff sah auf den Höhenmesser und steuerte den Diskus noch tiefer. Er sah auf und erschrak, als er von rechts die dunkle Linie sah, die sich über das Bild schob. »Atan!« Der Astrogator schaute herüber, die Hände an den Abstimmschaltern. »Ja?« »Dort unten geht etwas Merkwürdiges vor«, sagte Cliff leise. »Von Westen nähert sich ziemlich schnell eine gelbe Linie. Was ist das? Wie schnell kommt es heran?« Atan räusperte sich und schaltete das Bild des Zentralschirmes auf seine kleineren Testschirme um und sagte dann: »Erstens: Unser Ziel liegt siebenhundert Kilometer weiter östlich. Zweitens ist diese gelbe Linie etwas Ähnliches wie ein Sandsturm, der ungeheure Massen von Material befördert, drittens hat der Sturm eine Geschwindigkeit von einhundertzehn Kilometern in der Stunde. Er braucht bis zur KAPELLA-Crew noch rund acht Stunden, wenn er nicht schneller wird.« Hell und freundlich lag die Landschaft unter dem Schiff, als Cliff die ORION in einer Neunzig-Grad-Kurve herumsteuerte und das Ziel anvisierte. Es mußte auf dem größten der Tafelberge liegen; irgendwo im Zentrum der riesigen Ebene von mehr als hundert Kilometer Durchmesser, unregelmäßig geformt und von einer steil abfallenden Wand isoliert, die ohne eine Möglichkeit, sie anders als durch Flug zu überwinden, die Tiere und Lebewesen dieses Planeten daran hinderte, sie zu erklimmen. »Dieser Steilhang«, sagte Helga. »Ich kann mir vorstellen, daß sich Fauna und Flora der Ebene bei Normalnull und der Plattform stark unterscheiden. Flora natürlich weniger, denn Samen können dort hinaufgeweht sein.« Cliff fing die ORION dicht vor einer der schwarzen Wände ab und zog das Schiff hoch. »So ist es«, sagte er, »es steht sogar im HANDBUCH.« Helga schaltete das Funkpult auf Bordsprechanlage und stand auf, kam quer durch die Kanzel und blieb hinter Cliff stehen, um das große Bild auf dem flachliegenden Zentralschirm betrachten zu können. Nur Atan suchte noch nach Metallspuren und nach den Ausstrahlungen des Funkfeuers, das laut Betriebsordnung dort stehen sollte. Bisher war das Lager der KAPELLA-Crew nicht entdeckt worden. »Wo sind sie?« fragte Cliff. Atan stöhnte und hantierte weiter mit den Vergrößerungen. »Ich sehe nichts«, erwiderte er schlechtgelaunt. »Aber sie müssen dort auf diesem Tafelberg sein. Fliege einen Kreis, Cliff!« »Gut.« Cliff bog ab, nachdem er das riesige Hochplateau einmal fast überflogen hatte und schlug einen Kreis ein, der sich immer mehr verengte – eine große Spirale, deren Mittelpunkt irgendwo dort unten in der Mitte der Fläche lag, fünf Kilometer – 20 –
unter dem dahinrasenden Schiff. Vergebens suchte Atan nach dem Glitzern von größeren Metallflächen oder nach dem Peilstrahl. Kein Feuer und keine Rauchsäule waren zu sehen. Minutenlang suchten die sechs Augen der ORION-Mannschaft auf den verschiedenen Schirmen. »Siehst du die Tiere?« fragte Helga und deutete auf eine bestimmte Stelle des Zentralschirms. »Wo?« »Hier. Ein keilförmiger Verband großer Tiere.« Jetzt sah es auch Cliff. Er vergrößerte das Bild um eine Zehnerpotenz und erkannte eine riesige Herde, die hinter sich eine Wolke von Staub hochwirbelte und scheinbar nach Osten kroch. In Wirklichkeit flohen die Tiere vor der gelben Wand weit im Westen. »Es kann doch unmöglich so sein, daß sie diese Wand sehen, Cliff!« rief Helga ungläubig. »Unmöglich, da hast du recht. Sie ahnen wahrscheinlich, was da auf sie zukommt. Anders ist es nicht zu erklären«, antwortete Cliff. Plötzlich rief Atan: »Cliff! Quadrat Archibald 17 auf deinem Schirm. Stelle die Vergrößerung zurück!« Cliff bewegte den schweren Schalter um drei Einstellungen weiter nach rechts und sah, wie sich das Bild auseinanderzog, verschwommener wurde, dann hatten sich die Linsensysteme wieder einjustiert. Gleichzeitig nahm Cliff die Auftriebskräfte für einige Sekunden weg, und die ORION sackte schwer durch und wurde wieder hart abgefangen. »Ich sehe!« Stecknadelkopfgroße Gebäude wurden sichtbar; Kunststoffglas, eine Antenne, die ihr Vorhandensein nur durch einen Lichtreflex bewies und eine dicke Qualmsäule. Cliff schwieg und steuerte das Schiff geradeaus nach unten, mit einer zu hohen Geschwindigkeit. Als die Bilder auf dem Schirm nahe genug heran waren, stoppte er das Schiff ab. »Das war knapp, Kommandant!« sagte der Astrogator und schaltete seine Geräte ab. »Ja, allerdings. Ich traue der Sache noch immer nicht. Das ist zuviel: weggeflogenes Raumschiff, Tiere in Panik, verlassenes Lager und ein Sandsturm... siehst du dort unten jemanden?« »Nein!« erwiderte Helga an Atans Stelle. Langsam und wie eine große, schweigende Wolke senkte sich das Raumschiff in einem schrägen Anflug den fünf Kuppeln des verlassenen Lagers entgegen. Das Feuer brannte unter einem mächtigen Holzstoß, auf dem frische Äste getürmt waren. Zwischen den Kunststoffiglus waren Spuren, Gegenstände und Kleidungsstücke lagen herum und wirkten wie stumme Zeugen des Aufbruchs. »Hier«, sagte Helga. »Wir sind richtig gelandet.« Cliff hielt das Schiff an und schaltete nacheinander die entsprechenden Maschinen aus. »Ja. Und trotz der beiden Hilferufe erwartet uns niemand.« Er schüttelte den Kopf. Atan sagte schnell: – 21 –
»Vielleicht sind die fünf Männer der KAPELLA ebenso vor dem Sandsturm geflohen?« Cliff nickte grimmig und erklärte halblaut: »Das werden wir in Kürze feststellen können. Und damit nicht auch uns das Schiff davonfliegen wird, ist Atan dafür verantwortlich. Es ist nicht möglich, ein Schiff zu starten, wenn die Bordmaschinen mit Hand bedient werden. Alles klar, Atan?« Langsam kam der Astrogator näher und legte seine Hand auf Cliffs Schulter. »Okay. Ich passe auf die ORION auf, und du und Helga sucht die verschwundenen Männer der Science Patrol.« Cliff und Helga steckten sich die Armbandfunkgeräte an, vergewisserten sich, daß die beiden verschiedenartigen Waffen funktionsfähig waren und nickten sich dann zu. »Wir gehen!« Der Zentrallift fuhr brummend nach unten, die Bodenplatte der Schleuse setzte auf und berührte den Untergrund. Die drei von der ORION waren endgültig auf Gromaire gelandet. * Als sie drei oder vier Schritte gegangen waren, wurden sie Zeugen eines vollkommen unerklärlichen Vorgangs. Plötzlich sah durch eine merkwürdige Veränderung des Sonnenlichts, durch irgendeinen Wandel in der Lichtbrechung der Atmosphäre alles unwirklich und gefährlich aus. Die Landschaft überzog sich mit einem schwefelgelben Licht. Bäume, Gräser und Wolken – sie alle wirkten wie die Dekorationen eines absurden Theaterstücks. Die silberleuchtenden Hüllen der Iglus verwandelten sich in dem gelbstichigen Licht in fremdartig aussehende Konstruktionen von nonterrestrischen Wesen. Cliff und Helga blieben stehen, instinktiv fuhren ihre Hände in die Nähe der Waffen. Wie eine Wolkenbank, wie die kommende Dämmerung, schob sich weit im Westen die gelbe Linie des Sturmes näher. Im Zickzack, blind und panisch vor Angst, huschte ein kaninchengroßes, gelbes Tier durch das Lager, prallte gegen einen Holzstamm und raste zwischen Helga und Cliff hindurch, ohne sie zu sehen. Das Tier stieß eine Reihe hoher, gellender Schreie aus. »Furcht?« fragte Helga. Cliff machte einige weitere Schritte und knurrte: »Panische Angst, Helga.« Wenn es ein Sandsturm war, dann handelte es sich um ein Phänomen, das sehr selten auftrat, denn hier oben waren Bäume und Büsche, Gräser und Unkraut. Sie alle wuchsen auf einer dicken Schicht Humus, die über Geröll, feinem Kies und Lehm lag. Cliff und Helga sahen dies, weil neben der ersten Hütte eine tiefe Grabung vorgenommen worden war, an deren Rand man die einzelnen Bodenschichten deutlich erkennen konnte. Sand war keiner darunter, wenigstens nicht in auffallender Menge. Das merkwürdige Licht machte alles diffus und schuf in den beiden Terranern ein Gefühl, das sich aus Spannung, Nervosität und echter Furcht zusammensetzte. – 22 –
»Was jetzt, Cliff?« erkundigte sich Helga. Sie flüsterte, obwohl kein offensichtlicher Grund dafür bestand. »Wir suchen!« ordnete Cliff an. Sie gingen an der Antenne vorbei, neben der unter einer zurückgeklappten Plexolkuppel von hundert Zentimetern Durchmesser das Funkgerät stand. Der Teil, der die Bildsendungen empfing und ausstrahlte, war abmontiert, und nur ein paar Anschlüsse und eine gedruckte Schaltung waren an der Schnittstelle zu erkennen. Tiefe Spuren führten durch den feinen Kies bis zu dem ersten Iglu. »Sie haben den Bildteil ausgebaut«, stellte Cliff fest. »Vielleicht wollten sie ihn im Schiff reparieren, und das Schiff ist ja nun nicht mehr da.« Von rechts, weit entfernt, klang ein heller Schrei herüber, der die beiden Terraner erschreckte. Helga griff nach Cliffs Arm und flüsterte: »Cliff! Was...?« Statt einer Antwort zuckte Cliff die Schultern. Er ging jetzt, einen Arm um Helgas Schultern gelegt, nach links und über den Rost des Eingangs in die Temperaturschleuse des ersten Iglus hinein. Nichts. Die beiden Raumfahrer wurden von Schweigen und einer auffallenden Unordnung empfangen, und die Unruhe nahm zu. Cliff merkte, wie seine Finger zu zittern begannen, leicht zuerst, und dann stärker und stärker. Oder war es das seltsame Licht in der Luft, das die Spannung schuf und zu Fehlreaktionen verleitete? Die Innentür schwang auf. »Hallo!« brüllte Cliff und ließ seine Augen durch den Raum schweifen. Auch hier – Leere. Niemand war da, überall lagen Werkzeuge und Kleidungsstücke herum. Einige Rationspakete waren aus den Großbehältern gerissen und geöffnet worden; sie sahen noch die Spuren der Zähne darin. »Hörst du?« fragte Helga nervös. »Was?« »Geräusche!« Cliff lachte unsicher und murmelte: »Vermutlich. Was meinst du?« »Dieses scharrende, schürfende Geräusch. Als ob jemand Kies mit einer Schaufel umherwirft.« Cliff richtete sich steil auf und drehte den Kopf. Jetzt hörte auch er dieses Geräusch. Es klang etwa so, als höbe jemand eine Grube aus, als würfe er kleine Steinchen aufeinander. Dann ein unterdrücktes Ächzen und ein Keuchen, dann wieder das charakteristische Geräusch. Helga flüsterte angstvoll: »Als ob jemand ein Grab ausschachtete.« Cliff schüttelte sich und spürte die Gänsehaut an seinen Armen und zwischen den Schulterblättern ein eisiges Gefühl. »Unsinn! Sehen wir nach.« Die einzelnen Iglus waren untereinander durch Röhren verbunden, die aus steckbaren Kunststoffstreifen bestanden. Sie ließen sich aneinander befestigen und ohne Rücksicht auf Höhenunterschiede Untergrund und Richtung verlegen. Cliff riß die runde Tür dieses Schlauches auf und blickte in den mannshohen Schacht hinein,
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durch dessen halbdurchsichtige Wände das gelbe, fahle Licht sickerte wie der Nebel des Wahnsinns. »In der Lagune fühlte ich mich wohler!« stellte er fest ließ die Schulter der Funkerin los und nahm die Gasdruckwaffe heraus. Langsam ging er voraus, Helga blieb hinter ihm. Plötzlich, wie ein Blitzschlag, summte das Armbandgerät. »Hier Cliff!« »Atan. Hast du etwas gesehen?« »Nein«, erwiderte der Kommandant. »Was kannst du von oben erkennen?« »Die breite Spur eines Expeditionsfahrzeugs, Cliff. Führt nach Süden. Sonst nichts. Das Lager ist ausgestorben.« Cliff gab zur Antwort: »Es scheint so, Atan. Bleibe weiter wachsam. Bisher sind die Iglus leer gewesen.« »Verstanden. Ende.« Das klickende Geräusch hörte Cliff schon nicht mehr, denn während er vorwärtsging, nahm jenes merkwürdige schürfende Geräusch zu und wurde lauter, intensiver, Es konnte nicht von einem Menschen erzeugt werden; aber es klang trotzdem wie das Ausheben einer Grube. »Was...?« begann die Funkerin. »Still!« Vorsichtig öffnete Cliff die Tür des Verbindungsganges. Sie schwang in das Innere des angrenzenden Iglus auf, und Cliff stieß ruckartig den Atem aus. Was er sah, schien ebenso unwirklich zu sein wie das fahle Licht außerhalb der Wohneinheiten. »Eine Grube... hier?« knurrte er. Vor ihm standen vier Männer in einer Grube, die so tief war, daß man von den Männern nur noch die Hälse und die Köpfe sah. Ihre Expeditionsspaten fuhren auf und nieder, und der Rest des Iglus war von dem Aushub erfüllt. In den Augen der beiden Männer, die in die Richtung des Kommandanten sahen, stand etwas, das von vollkommenem Irresein nicht weit entfernt schien. »He!« brüllte Cliff. Einer der Männer blickte auf und starrte ihn an, ohne zu begreifen, wer Cliff war. »Seid ihr wahnsinnig?« schrie Cliff. »Was grabt ihr hier eigentlich? Gold oder Uranblende?« Jetzt wurde auch der zweite Mann aufmerksam. Er ließ den Spaten sinken, das Geräusch der prasselnden Steine wurde lauter. Cliff ging vorsichtig einen Schritt näher und spürte unter den Sohlen seiner Stiefel die Steine. Die anderen beiden Männer schufteten weiter, als ob ihr Leben davon abhing, wie tief sie sich in den Erdboden eingraben konnten. »Hier ist er«, gurgelte einer der beiden. Cliff kannte sie alle. Er war ihnen sehr oft im Starlight-Casino oder an anderen Orten begegnet, wo sich die Raumfahrer trafen. Er kannte auch den Kommandanten – es war Diego Garrec. Dieser Mann befand sich nicht unter den vier Leuten, die einen irren Eindruck machten. »Hier bin ich«, bestätigte Cliff trocken und zog vorsichtig, in einer fast unmerklichen Bewegung, die Gasdruckwaffe aus der ledernen Schutzhülle. Die Szene kam ihm nicht geheuer vor. – 24 –
»Er ist an allem schuld. An den Pollen und an den Tieren!« schrie der zweite der beiden Männer. Auch die anderen beiden stellten das Graben ein. Sie kletterten nacheinander auf einer Expeditionsleiter, die aus einer Serie der gleichen Elemente zusammengesteckt war, aus der Grube. Außer dem Loch und dem verstreuten Aushub war nichts mehr in dem Iglu enthalten. Das war die Erklärung für die Ausrüstungsgegenstände und die Kleidungsstücke, die über das Lager verstreut waren. »Er ist schuld, dieser Go-go-Cliff. Niemand anders!« heulte einer der Männer und warf sich vorwärts. Cliff feuerte den ersten Schuß von der Hüfte ab. Die Nadel mit dem Lähmungsgift drang in den Oberarmmuskel des ersten Angreifers, der in den Knien zusammensackte und zwei Meter vor Cliff liegenblieb. Der zweite, der Cliff angreifen wollte, stolperte und der Kommandant fällte ihn mit einem Judohieb, der ihn für die nächsten Stunden besinnungslos machte. »Und Garrec ist wahnsinnig geworden und geflohen!« schrie der dritte Mann und schwang den kurzen Spaten in Cliffs Richtung. Wieder zielte und schoß der Kommandant. »Schade«, sagte er und zuckte die Schultern. Die Spannung und die Nervosität waren wie weggewischt; die Gefahr war hier und jetzt, und Cliff reagierte richtig. Die letzte Nadel traf den vierten Mann in die Brust, und Cliff sah ruhig zu, wie der Spaten davonsegelte, der seinen Kopf hätte spalten sollen und einen breiten Schnitt in das Material der Igluhaut riß, draußen mit etwas Metallischem zusammenprallte und polternd liegenblieb. »Ende!« murmelte Cliff. Helga schluckte und steckte die Waffe wieder ein. »Sie sind verrückt geworden!« sagte sie. »Sie waren verrückt!« konstatierte Cliff, »oder halb wahnsinnig vor Angst. Sie wollten sich in die Erde verkriechen. Wovor?« Die Funkerin zuckte die Schultern. »Vermutlich vor dem Sturm? Aber... auch sie konnten ihn nicht sehen!« Cliff erschrak, denn eine Überlegung hatte von ihm Besitz ergriffen. Er drehte sich herum, faßte Helga bei den Schultern und sagte eindringlich: »Du... könnte es sein, daß diesem mysteriösen Sturm... sie redeten von Pollen!... eine Phase vorangeht, die Menschen und Tiere halb wahnsinnig vor Furcht macht? Ich habe vieles erlebt, aber darüber habe ich keine Erfahrungen.« Ziemlich ruhig erwiderte die Funkerin: »Das könnte durchaus sein, Cliff. Was werden wir jetzt tun? Ich schlage vor, wir bringen die vier Bewußtlosen ins Schiff, nicht wahr?« »Ja.« Cliff bog den linken Arm ab und schaltete das Funkgerät an. Dann sagte er in das kleine, vergitterte Mikrophon: »Atan! Hier ist Cliff. Wir haben vier der Männer gefunden. Sie waren vor Angst wahnsinnig, griffen uns an, und ich mußte drei von ihnen mit der Gasdruckwaffe lähmen. Bugsiere bitte das Schiff in die Nähe des zweiten Iglus von rechts.« Atan lachte kurz und hart. »Ist das derjenige, durch dessen Wand eben ein Spaten geflogen kam?« – 25 –
Cliff erwiderte: »Genau dieser Iglu ist es, Shubashi. Schnell!« Er winkte der Funkerin, und zusammen zerrten, schoben und trugen sie die vier Männer hinaus und in die Bodenschleuse des großen Lifts. Dann fuhr der Lift nach oben, und Atan half ihnen, die vier Bewußtlosen in die beiden Gästekabinen zu tragen. Gegen die Lähmungsnadeln half nichts als vierundzwanzig Stunden Ruhe; sie würden den Männern nicht weiter schaden. Denjenigen, den Cliff niedergeschlagen hatte, weckten sie mit Hilfe von kaltem Wasser, vorsichtigen Massagen und einem kreislaufanregenden Mittel wieder auf. »Bevor er die Augen öffnet«, sagte Cliff, »eine Frage, die ich ziemlich ernst meine. Fühlt sich einer von uns unruhig, gestört oder dem Wahnsinn nahe? Auch die Angst vor etwas, das wir nicht kennen, gehört dazu!« Helga sagte: »Ich bin nur insofern unruhig, weil wir Garrec nicht gesucht haben. Holen wir das nach?« Atan deutete auf das Gesicht des Bewußtlosen, dessen Züge und Muskeln wie unkontrolliert zu zucken begannen. »Wir holen es nach, wenn dieser Mann hier etwas sagen kann nicht wahr, Kommandant?« Cliff sah den Mann der KAPELLA-Crew sorgenvoll an. »Du hast recht, Atan.« »Ich fühle mich nicht mehr unruhig, von Angst kann keine Rede sein«, sagte die Funkerin. »Das ist dann... vermutlich hängt die Länge des Aufenthaltes hier und der Schutz der Schiffswandungen damit zusammen. Jetzt – er macht die Augen auf.« Der Erwachende starrte Cliff, Helga und Atan einige Sekunden lang verständnislos an, dann schlich sich das Begreifen in die Augen. Er richtete sich auf, stieß einen leisen Schmerzenslaut aus und sank wieder zurück. »Wo... wo bin ich, Kamerad?« stöhnte er. »Auf alle Fälle in Sicherheit«, sagte Cliff. »Können Sie mich verstehen?« »Brüllen Sie doch nicht so«, sagte der andere Mann. »Ich verstehe Sie sehr gut. Sie sind Oberst – haben Sie Ihr Schiff dabei?« Cliff mußte grinsen. »Hören Sie zu«, sagte er leise, aber in scharfem Tonfall. »Wir sind die halbe Crew der ORION. Wir hörten Ihren Hilferuf wegen des verlorenen Schiffes. Daraufhin starteten wir hierher und rasten wie die Wilden durch den Kosmos. Wir trafen Sie an, zusammen mit den drei Kameraden, aber ohne Kommandant Garrec, wie Sie ein Loch in den Planeten gruben. Gibt es dafür Erklärungen?« Der Mann atmete langsam ein und aus – man sah direkt, wie die Benommenheit von ihm wich. »Ja. Zuerst... suchen Sie Garrec! Wir konnten es nicht glauben, aber er wurde zuerst wahnsinnig, und wenn ich mir alles recht überlege, muß ich gestehen, wir waren es auch. Was, sagten Sie, taten wir?« Atan sagte tonlos: »Sie gruben sich den Antipoden entgegen. Sie waren auf dem besten Weg, den planetaren Kern zu finden. Außerdem nannten Sie unseren Kommandanten ›Go-goCliff‹!« – 26 –
Der Funker der KAPELLA lachte verlegen. »Dieser Planet ist eine gute, saubere, wildreiche Welt«, erklärte er. »Aber plötzlich drehte alles durch. Die Tiere flohen. In der Luft waren Blütenpollen, die, wenn man sie in die Nasenschleimhäute bekam, eine Art Psychose erzeugten. Man wollte fliehen, und wie flieht man, wenn das Schiff weg ist?« Helga erwiderte:
»Mit einem Fahrzeug.«
Der Funker stemmte die Füße gegen den Boden und stand langsam auf.
»Das war es, was Kommandant Garrec tat. Er schwang sich in unseren
Expeditionswagen und raste mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit nach Süden davon.« Atan und Cliff sahen sich an. »Die Spur!« sagte der Astrogator. »Richtig. Die Spur«, bestätigte Cliff. »Und wir sahen eine Weile den Tieren zu, und irgendwie funktionierte unser Verstand noch ein bißchen. Wir sagten uns, daß diese Tiere vor den Pollen flohen. Sie mußten einen Grund haben. Die Pollen kommen nicht von senkrecht oben, sondern von einem anderen Gebiet des Planeten. Wie kommen Sie? Mit einem Wind. Ein Wind allein ist keine Gefahr. Also ein Sturm. Wir sahen unser Lager und konnten uns ausrechnen, wie wenig Chancen wir gegen einen einigermaßen richtigen Sturm mit diesen Konstruktionen hätten. Was sollten wir tun?« Cliff wartete noch immer.
»Ja, was sollten Sie tun?«
Niedergeschlagen erwiderte der Raumfahrer des anderen Schiffes, der sich
ständig sein Genick rieb und langsam zu sich kam, langsam wieder normal und vernünftig wurde: »Wir sahen einem kleinen, mausartigen Tier zu, das sich wie ein Bohrer in die Erde eingrub. Ein Rest von Vernunft schien uns zu sagen, wir sollten es dem Tier nachmachen. Also griffen wir nach unseren Spaten und begannen zu graben. Dabei scheinen Sie uns überrascht zu haben, Kommandant?« Helga sagte:
»So kann man es nennen. Übrigens waren Sie gar nicht begeistert von der
Aussicht, gerettet zu werden.« Der Angeredete schlug die Hände vors Gesicht und fragte, sehr erschrocken: »Haben wir Sie etwa angegriffen, Kommandant?« Ruhig erwiderte Cliff McLane: »Sie haben. Ihre drei Kameraden haben eine Lähmungsnadel im Körper, aber Sie standen günstig – Sie bekamen einen Handkantenschlag. Ist es schlimm?« Wahrheitsgemäß versicherte der Funker der KAPELLA: »Wahnsinn wäre schlimmer gewesen, Kommandant. Darf ich Ihnen helfen, meinen Kommandanten zu suchen?« »Ja. Wieviel Energiereserve hat dieser Wagen?« Der andere Mann zuckte mit den Schultern und sagte: »Wir haben ausgerechnet, daß Garrec nicht weiter als hundert Kilometer gekommen sein kann, selbst wenn er gefahren ist wie der Leibhaftige selbst.« Cliffs angespannte Haltung beruhigte sich wieder. Er half dem Funker auf und brachte ihn nach oben in die Kommandokanzel. Er schaltete die Maschinen an und – 27 –
schrieb im Geiste die gesamte Ausrüstung des KAPELLA-Teams ab, als er die Meldung von Atan Shubashi hörte: »Cliff – in drei Stunden ist der Sturm hier. Er hat inzwischen eine Geschwindigkeit von hundertdreißig Stundenkilometern entwickelt. Wenn er von dem Hang des Hochplateaus nicht gebrochen wird, wird's hier ganz hübsch windig.« Cliff startete das Schiff und zog den Lift ein. »Das bedeutet, daß wir den durchgedrehten Garrec innerhalb von zweidreiviertel Stunden finden müssen. Und dann: nichts wie senkrecht nach oben gestartet.« Atan lachte und schlug vor: »Versuchen wir also, anhand der Vergrößerungen des Zentralschirms die Spur des Geländewagens zu verfolgen. Schließlich gibt es hier keine betonierten Pisten.« Langsam bewegte sich das Diskusschiff nach Süden, der breiten Spur der vier Geländereifen nach. Jetzt sah man auch keine fliehenden Tiere mehr. Aber das Licht wurde gelber und gelber, und es war, als halte der gesamte Planet vor dem gewaltigen Pollensturm den Atem an. Was waren das für Pollen, die Angstsyndrome verursachten, die Tiere fliehen ließen und die Menschen wahnsinnig machten? Stammten sie von den Blumen des Bösen? »Unsinn«, murmelte Cliff vor sich hin. »Keine Baudelaire-Blumen auf diesem Planeten.« »Was sagst du?« fragte Atan. »Nichts«, sagte Cliff. »Das verstehst du nicht. Es hat nichts mit Raumschiffen, dafür viel mit Literatur zu tun.« Helga schloß: »Aber nichts mit Pieter-Paul Ibsen!«
– 28 –
3
Und das war es, was weder das KAPELLA-Team noch die drei Leute in der ORION wußten: Die Flora zwischen dem Unterland und den Tafelbergen, die den gesamten Planeten ausfüllte, war verschieden. So stark verschieden, daß sie fast in zwei feindliche Lebensformen zerfiel. Jedes Jahr einmal erhob sich ein Monsunwind, der einmal den Ball des Planeten umkreiste und dann gebrochen war. Er trug die Pollen der Graspflanzen mit sich und schüttete sie über den Planeten aus. Er bedeckte den Strand der Ozeane damit, verursachte eine planetenweite Panik und war schuld daran, daß sich Tiere und Menschen wie in panischer Furcht in den Boden gruben oder ihr Heil in der Flucht suchten. Um nicht den Planeten aussterben zu lassen, hatte die Natur verschiedene Maßnahmen entwickelt, die sich in den Jahrtausenden der Evolution eingespielt hatten. Vor dem eigentlichen Sturm trug ein milder Wind die Spuren der Pollen über die Landschaft. Das war die Warnung. Die winzigen, fast unsichtbaren Pollen setzten sich in den Schleimhäuten fest, ihre Wirkstoffe wurden aufgelöst und in den Blutkreislauf geschwemmt. Mit ihm erreichten sie das Hirn, und die ersten Impulse der Angst stellten sich ein. Daraufhin war vermutlich die Sucht, eine Grube auszuheben, bei den Terranern entstanden. Und Kommandant Diego Garrec war mit dem Fahrzeug geflohen... in einer sinnlosen Anwandlung, denn wohin er immer floh, wenn nicht unter die Erde, überall würde ihn der ausbrechende Sturm erreichen. »Er muß wirklich wie ein Wahnsinniger gefahren sein«, sagte Atan, der die Linsen und Radarschirme seiner Suchgeräte nach vorn, in die Richtung, die das Schiff eingeschlagen hatte, spielen ließ. »Noch immer kein Ende der Spur abzusehen. Ich suche weiter.« Die ORION flog mit einer Geschwindigkeit von hundert Stundenkilometer im Zickzackkurs der Reifenspur des Fahrzeugs nach. Cliff sah, wie die Spur völlig gerade verlief und erhöhte kurzfristig die Geschwindigkeit. »Wann ist der Kommandant geflohen?« fragte er den Funker des anderen Schiffes. Alged musterte Cliff von der Seite und schüttelte unmerklich den Kopf. Diesen Mann hatten sie Go-go-Cliff genannt! »Vor etwas mehr als hundertzwanzig Minuten, Kommandant.« »Dann werden wir ihn gleich finden müssen«, erwiderte Cliff. Helga Legrelle, die im Augenblick absolut beschäftigungslos war, schaltete sich in die Unterhaltung ein. Wie auch Cliff und Atan hatte sie sich pausenlos Gedanken darüber gemacht, auf welche Art und warum das Schiff verschwunden war. Die Ereignisse der letzten Minuten hatten sie vorübergehend abgelenkt – jetzt wurde das alte Problem wieder dringend. »Alged... eine Frage!« Der Funker drehte sich zu ihr herum und zog die Brauen hoch. »Ja, bitte.« »Was können Sie uns über den Verlust der KAPELLA sagen?« Der Mann zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß buchstäblich nicht mehr, als daß das Schiff weg ist. Einfach weg.« – 29 –
Cliff murmelte: »Vielleicht wissen Sie mehr, als Sie glauben. Bitte erzählen Sie chronologisch genau, was sich abgespielt hat.« Alged holte Luft und sagte: »Wir waren gerade dabei, verschiedene Arbeiten auszuführen. Einer von uns katalogisierte verschiedene Wildarten, der andere arbeitete an den Temperaturkurven, ich selbst holte mir den Werkzeugkasten von Bord und begann, den Bildteil des Hypersenders auszubauen; er war defekt, einige Schaltblöcke mußten ersetzt werden. Ich hatte kaum zehn Meter zwischen mich und das Schiff gebracht, als es startete. Als ob es an einem langen Seil hing und hinaufgezogen wurde. Ach ja, die Zentralliftschleuse schloß sich automatisch hinter mir.« Blitzschnell fragte Cliff: »Und der Zentrallift?« »Er blieb ausgefahren.« Helga dachte nach. Als ob das Schiff an einem Seil nach oben gezogen wurde... unbewußt hatte der Funker etwas gesagt, das hinweisend wirkte. Jemand oder etwas hatte das Schiff vom Boden entfernt. Die weiteren Fragen des Kommandanten gaben mehr Aufschluß. Ohne die Augen vorn Bild des Zentralschirms zu nehmen, fragte Cliff halblaut: »Schalten Sie ein Versehen der Mannschaft aus, Alged?« »Ja, vollständig«, antwortete der Funker, der sichtlich nervöser wurde, weil der flüchtige Kommandant der KAPELLA noch immer nicht aufgetaucht war. »Keiner von uns ist solch ein Laie, daß die Kapella wegen eines Schaltfehlers gestartet wäre. Und dazu noch senkrecht nach oben und dann, etwa in zehn Kilometer Höhe, scharf nach rechts abweichend.« »Und was war nachher?« »Nachher strahlte ich einen Funknotruf ab. Ich richtete ihn nach Thorson Lambda aus, weil wir die ORION dort wußten.« »Gut.« Das Schiff flog weiter, und plötzlich beugte sich der Kommandant vor. Auf dem Schirm war deutlich zu sehen, wie die sonst schnurgerade Spur plötzlich in einem Schlangenmuster durch die Steppe führte. Die Windungen wurden immer stärker, und am Ende einer Kurve lag der Wagen – umgestürzt. »Wir sind da, Atan!« sagte Cliff und steuerte das Schiff dicht neben den Wagen. Die Maschinen wurden abgeschaltet, und Cliff arretierte sie zusätzlich mit dem Notschalter. »Helga und Alged, ihr bleibt bitte hier. Atan und ich suchen Garrec!« Die Funkerin stand auf und blieb neben dem Kommandantensessel stehen. »Einverstanden, Cliff.« Das Raumschiff befand sich in einer Höhe von zehn Metern über einer großen Fläche, die eben wie eine Tischplatte und mit hohem, vergilbtem Gras bewachsen war. Mitten in diesem Gras, am Ende der gekrümmten Spur, lag der umgestürzte, sonst aber unzerstörte Expeditionswagen; eine Schale mit vier Spinnenbeinen, an denen die Niederdruckreifen saßen. Im Gras war keine zweite Spur zu sehen, kein Körper, kein rennender Raumfahrer – nichts. »Los!« sagte Cliff. »Hinunter. Wenn der Sturm uns hier überrascht...« – 30 –
Atan und er setzten die dunklen Brillen auf und fuhren mit dem Zentrallift aus dem Schiff. Jetzt hatte der Wind sich völlig gelegt, und die Hitze in Verbindung mit dem gelben, gefilterten Licht schuf eine beklemmende Spannung. Weit im Westen war die gelbe Wand der Sturmfront bereits mit dem bloßen Auge zu sehen. Cliff drehte sich langsam nach allen Seiten und suchte das Gras ab. Nicht eine Gräserspitze bewegte sich. Die Landschaft lag wie tot unter der verhangenen Sonne des Mittags. »Verdammt!« flüsterte Atan. Cliff sagte: »Vorsicht, Atan. Garrec ist vor Angst fast krank. Es ist nicht vorauszusehen, was er tun wird. Falls er noch lebt.« Sie gingen in zwei verschiedene Richtungen auseinander. Etwa hundert Meter weit, dann bogen sie nach rechts ab. Der Kreis, den ihre Spuren beschrieben, wurde zu einer engen Spirale. Von oben war das Gras niedrig und weich erschienen. Jetzt merkten die beiden Männer, daß es fast mannshoch und hart war wie steifer Kunststoff. Sie setzten ihre Schritte vorsichtig und stets so, daß die Grashalme vor ihnen umgetreten wurden. »Nichts, Cliff?« schrie Atan vom anderen Ende der Fläche. »Nein.« Die große Fläche war vollkommen einsam und still, bis auf die Bewegungen, die durch die beiden Männer hervorgerufen wurden. Langsam erfaßte auch Cliff ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, und dank der fliegenden Pollen nahm auch die Angst zu, die Furcht vor dem Sturm, vor der Verlassenheit des leeren Planeten, die Furcht vor dem Tod im Pollensturm. Die zwei Raumfahrer gingen weiter. Sie traten eine Gasse in die Gräser, achteten sorgfältig auf die Fläche vor ihnen und suchten nach Bewegungen, irgendwelchen Bewegungen, die ihnen verraten sollten, wo sich Kommandant Garrec befand. »Er ist geflohen, ohne Zweifel!« murmelte Cliff. Ihm gegenüber, über den umgestürzten Wagen hinweg, ging Atan in die entgegengesetzte Richtung. Nichts anderes rührte sich. Nicht einmal ein Vogel oder ein winziges Tier... alles schien sich vor dem kommenden Sturm verkrochen zu haben. Das war das Stichwort. Verkrochen! »Atan!« rief Cliff laut, »achte besonders auf Löcher im Boden oder auf ähnliche Schlupfwinkel.« »Wird gemacht, Chef!« Die Spirale wurde enger und enger. Schließlich standen die beiden Männer nur noch Meter von dem Wagen entfernt, und sie spürten, wie die Angst sie langsam und sicher in den Griff bekam. Auch sie begannen sich jetzt vor der endlosen Weite des Hochplateaus zu fürchten – alle Begriffe wurden durch die Wirkung der Pollen in ihrer Gefährlichkeit um hohe Beträge erweitert. Cliff sah den Astrogator an und zuckte mit den Schultern. »Nichts!« stellte er ruhig fest. Atan legte den Finger an die Lippen und deutete auf den umgestürzten Wagen. »Vielleicht dort?« fragte er.
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Cliff ging vorsichtig darauf zu, schob mit dem Unterarm die Gräser zur Seite und sah die Metallkonstruktion genau an. Während des Sturzes hatte sich die Schale der Ladefläche von der Unterlage gelöst und war mit einer Kante in den Boden gerammt worden. Sie lag jetzt da, mit der Unterseite nach oben. Cliff glaubte nicht, was sich förmlich anbot und nahm die Waffe in die andere Hand, hob mit der Rechten die Schale an. Er starrte auf die Sohle eines Raumfahrerstiefels. »Atan!« Wie ein Blitz war der kleine Astrogator heran. Zusammen hoben sie die Schale hoch, und vor ihnen lag Kommandant Garrec, zusammengekrampft wie ein Kind im Mutterleib. Er bedeckte mit beiden Händen das Gesicht und schien jede Beziehung zur Umwelt verloren zu haben. »Schnell – hochheben und ins Schiff!« Sie steckten die Waffen ein, hoben den schweren Körper hoch und versuchten, die Hände vom Gesicht zu lösen; vergeblich, denn die Armmuskeln waren vor Angst völlig verkrampft. Atan und Cliff trugen Garrec zum Lift zurück, drückten den Knopf und kamen im Ringkorridor an. Helga und Alged, die ihnen zugesehen hatten, erwarteten sie bereits und halfen ihnen, Garrec in der Kapitänskabine abzusetzen. »Die KAPELLA-Mannschaft ist komplett«, sagte Helga. »Wie ist es euch ergangen, Cliff?« Cliff schüttelte sich und kühlte sein Gesicht mit einem imprägnierten, stark riechenden Tuch ab. »Dort draußen herrscht jetzt die Furcht über Gromaire«, sagte er unruhig. »Wir sollten zusehen, daß wir die Planetenoberfläche verlassen.« Atan meinte: »Einem Start steht nichts im Weg, Kommandant.« Alged hatte sich inzwischen beruhigt und wirkte wieder normal. Er deutete auf den Zentralschirm und fragte ungläubig: »Und was geschieht mit unserem Lager?« Cliff erwiderte lakonisch: »Es wird vermutlich dem Sturm zu Opfer fallen, Alged.« »Aber...!« Cliff ließ den Zentrallift hochfahren, schloß die Schleusen und ging an die Steuerung. »Besser das gesamte Lager als einer der Männer«, sagte Cliff unerbittlich und leitete den Start ein. Die ORION hob geräuschlos ab, gewann schnell Höhe und blieb fünftausend Meter über dem Hochplateau stehen. Durch die Vergrößerung der Schirme sahen sie, wie die ersten Sturmfinger das Lager erreichten und es in eine Staubwolke hüllten, dann flogen die umherliegenden Ausrüstungsgegenstände weg, schließlich knickte die Antenne ein. Zum Schluß hoben sich die Iglus vom Boden und rollten davon, wurden aufgerissen und segelten wie riesige silberne Schmetterlinge durch den gelben Staub der Pollen nach Osten. Eine dichte Wolkenwand, in der es unaufhörlich blitzte, verdeckte den Boden. Die ORION VIII flog in den freien Raum hinaus. Helga sah Cliff lange an und sagte schließlich: »Ich weiß, was wir jetzt tun sollten. Aber in welcher Reihenfolge wirst du es angehen?« – 32 –
Cliff drosselte die Geschwindigkeit der ORION, mit der das Schiff der Sonne entgegendriftete und grinste. Er schien wieder einmal einen Plan zu haben. »Ich werde jetzt erst einmal zwei Tage warten«, sagte er. »In diesen zwei Tagen werden wir alles hören, was uns die vier wiedererwachten Männer berichten können. Und Atan wird mit mir zusammen eine Reihe von Berechnungen machen. Zuerst aber...« Helga erinnerte sich daran, was sie zwei Wochen lang an der Lagune miterlebt hatte und sagte schnell: »Selbstverständlich. Ich werde sehen, daß ich ein gestochen scharfes Bild von Ishmee auf die Schirme bekomme.« Alged, dem die tiefere Bedeutung des Dialogs verborgen bleiben mußte, sah verständnislos von einem zum anderen, dann zuckte er mit den Schultern und fuhr nach unten, um nach seinen Kameraden und nach Garrec zu sehen. Binnen Sekunden stand die Verbindung zwischen Thorson und Gromaire. »Hallo!« sagte Cliff und sah in das Gesicht Hasso Sigbjörnsons. »Wie geht es den Cheercks?« Hasso lachte und sagte: »Sie ärgern sich. Sie können nicht mehr in die Lagune, und diejenigen, die wir noch drinnen fanden... unsere Harpunen sind ziemlich gut. Und die Fische, die wir sahen, sind wirklich an Herzschlag gestorben.« »Euch geht es also gut«, bemerkte Cliff. Er sah Mario und Ishmee näher kommen. »Allerdings. Das Schiff schon gefunden?« Mit leichtem Bedauern antwortete der Kommandant: »Nein, noch nicht. Aber dafür die demoralisierte Mannschaft. Ein genauer Bericht folgt später; soweit ist alles in Ordnung. Ich werde warten, bis die Männer wieder auf dem Posten sind und werde zwischenzeitlich einige Berechnungen anstellen. In drei Tagen sind wir wieder in der Lagune.« Hassos Kopf glitt nach links aus dem Bild, und Ishmee nahm die Sonnenbrille ab. Wie immer waren ihre Augen prüfend und kritisch, und aus ihrer Stimme klang ein leiser Zweifel. »Die Gefahren sind vorbei, ja, Cliff?« Cliff lächelte sie an und sagte: »Ja. Aber die Unsicherheit bleibt.« »Denke an die Dinge, die wir während des letzten Fluges erfahren haben, über die wir an Bord diskutiert haben... sie können wichtig sein!« Cliff hörte auf den Klang ihrer Stimme; er beobachtete ihr Gesicht. Er ahnte, was sie ihm sagen wollte. Ishmee jedenfalls schien nicht unter dem Einfluß kommender Gefahren zu stehen. Cliff streckte seine Hand aus und berührte die Austaste. »Genau diese Dinge sind es, an die ich denke!« versicherte er. »In siebzig Stunden, Liebling.« Sie nickte, und die Verbindung wurde getrennt. »Wir haben uns eine lange Pause mehr als verdient«, sagte Cliff. »In zehn Minuten in der Bordküche, Freunde!« Kurz darauf erschienen sie geduscht und umgezogen und begannen, ein Essen für vier Personen vorzubereiten. – 33 –
*
Atan drehte seinen Sessel, hob mit einer Hand den wuchtigen Kaffeebecher und mit der anderen einen Stapel jener Folienabschnitte, die aus dem Ausgabeschlitz des Digitalrechners gerutscht waren. Er schob sie Cliff über den Zentralschirm herüber. »Das sind die Positionen, Cliff.« Cliff zählte nach; es waren die ausgedruckten Koordinaten von insgesamt neunzehn Planeten, die Erde dazugezählt, ergab es zwanzig. »Zwanzig Planeten«, sagte er und legte das Speziallineal an die Sternkarte an. Sie war eine zweidimensionale Projektion der 900-Parsek-Raumkugel. Cliff zog mit dem weißen Markierstift einen Strich. »Eins, zwei... zwanzig«, sagte er dann, als er an dem anderen Ende der Kugel angekommen war. Die Markierungen befanden sich entweder direkt auf oder fast an der Linie. Helga schaute den Kommandanten in schweigender Überraschung an. »Dieser Punkt fünfzehn scheint es dir angetan zu haben?« Cliff hob die breiten Schultern und beugte sich über die Karte. »Um so mehr, als dieser fünfzehnte Punkt die fünfzehnte Station des Großen Schiffes war – damals, vor zehntausend Jahren. Und heute heißt dieser Punkt...« Alged, der die Vorgänge mit stärkstem Interesse verfolgt hatte, begriff schlagartig, worauf der Kommandant hinauswollte. »Dieser Punkt heißt Gromaire und ist der zweite Planet der gelben Sonne hier!« Cliff antwortete ruhig: »Richtig, Alged.« Cliff zeichnete, von einem Punkt der Geraden ausgehend, eine Ellipse, deren Linie haarscharf an der Sonne vorbeiführte und wieder zurückschwang zur Geraden. »Ein Test«, sagte er. »Was ist das?« Atan überlegte eine Minute lang, dann sagte er achselzuckend: »Das könnte die Projektion eines Schiffes auf einer außergewöhnlich weiten Hohmann-Ellipse sein; dieses Schiff würde dann von der Geraden gestartet worden sein und antriebslos um die Sonne hier fliegen... Cliff! Das könnte die Lösung sein!« »Vorsicht!« warnte Cliff. »Könnte – nicht muß!« »Entwickle deine Theorie, Cliff«, sagte die Funkerin. »Angenommen, das Große Schiff hat eine Menge von Beibooten, die aber bald erschöpft sind. Diese Beiboote, die einen Teil der aussterbenden Rasse absetzen, müssen wiederverwendet werden. Was liegt näher, als die Boote mit einer Menge von Kapseln auszustatten, die beim Umfliegen eines Planeten abgeworfen werden können? Oder diese Ellipse könnte ganz einfach die programmierte Fluglinie sein, die mit einem Minimum an Treibstoff oder Energie auskommt!« Schweigend durchdachten sie die verschiedenen Möglichkeiten, während sich unter ihnen die drei Männer langsam von den Lähmungsnadeln und den Folgen des Anfalls erholten.
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»Das würde bedeuten, daß das Große Schiff hier vorbeigekommen ist und ein Beiboot ausgeschickt hat. Vielleicht ein solches, das vom Schiff aus gestartet und gesteuert wird?« Cliff wies mit spitzem Zeigefinger auf den Astrogator und knurrte: »Gesteuert und gestartet... und wenn dieses Beiboot, das man jetzt wieder abholen wollte, nicht mehr da ist?« »Dann«, meldete sich Helga Legrelle, »tut es zur Not auch ein anderes Schiff!« Und Alged schloß dumpf: »Die KAPELLA, Sir?« Cliffs Gesicht war sehr ruhig und gleichzeitig angespannt. Der Kommandant nickte voller Zustimmung: »Richtig. Die KAPELLA. Ich wiederhole aber: Dies ist eine These, die während der letzten Stunden hier entwickelt wurde. Sie kann stimmen, aber sie kann sich auch als vollkommen haltlos herausstellen. Wir müssen das Schiff finden, die KAPELLA, dann können wir mehr sagen. Unbewiesene Theorie, nichts weiter.« Atan blieb mit aufgestützten Armen lange vor dem Zentralschirm stehen, auf dem die Karten und die Berechnungen ausgebreitet waren. Der Astrogator kniff die Lippen zusammen und schien irgendwie verlegen. »Raus mit der Sprache, Partner«, sagte Cliff. »Du traust der Sache nicht?« Atan stieß ein kurzes Gelächter aus. »Wenn ich jemandem nicht traue, so bist du das, Cliff. Ich habe seit meinem ersten Einsatz auf der ORION solche unbewiesenen Theorien von dir fürchten gelernt. Du und die Theorien – das kostet Nerven und Haare.« »Warten wir«, meinte der Kommandant ungerührt. »Schalten wir sämtliche Warnsysteme ein und versuchen wir, mit all diesen klugen Gedanken im Kopf einzuschlafen. Wir driften im freien Raum, und die Männer dort unten werden von selbst wach.« »Vernünftige Idee«, sagte Alged. Sie verließen, nachdem sie minutenlang die verschiedenen Systeme durchgetestet hatten, den Kontrollraum und schliefen ein, trotz der Gedanken oder gerade deswegen. Sie waren allein. Hier, im siebenten Entfernungskreis des östlichen Abschnittes, ein Staubkorn in der gewaltigen Schwärze des Alls, verloren und geschützt zugleich. Sonnen und Planeten, interstellare Materie und Meteore, Gasschleier und magnetische Linien... das war ihre Umgebung. Und irgendwo weit von ihnen gab es die fiktive Bahn, die ein sagenhaftes Großschiff vor rund zehn Jahrtausenden gezogen war, die Splitter einer zerbröckelnden Kultur verstreuend wie ein kosmischer Sämann. Und wiederum irgendwo vor ihnen konnte das verlorengegangene Schiff durch die Schwärze rasen, seltsamen Befehlen gehorchend, gesteuert von den letzten Wesen im Großen Schiff oder einer anonymen Maschine – oder gar nicht. * Zuerst: langes Schweigen. Atemzüge, das Ticken der Thermostaten, der Regler und der überwachenden Anlagen. Dann: Ruhe. – 35 –
Und Stunden später: ALARM! Offensichtlich hatte Atans Unterbewußtsein daran gedacht, während sich der Körper entspannte. Der Astrogator war schlagartig wach, verließ sein Lager mit einem Sprung und raste halbbekleidet durch den Ringkorridor, fuhr mit dem Lift ins Oberschiff und stürzte an seine Schirme. Was er sah, ließ ihn beinahe schreien. Radarimpulse. Während er die Werte auf dem Schirm abzulesen versuchte, verglich er den Winkel, aus dem das unbekannte Objekt kam, mit den von Cliff und ihm errechneten Werten. Das Objekt kam mit Lichtgeschwindigkeit näher, aber es veränderte seine Position auf dem Schirm nur wenig, weil es im spitzen Winkel auf die ORION zuschoß. Atan setzte die Aufzeichnungsgeräte in Tätigkeit, als Cliff plötzlich neben ihm stand. »Radarkontakt?« Atan drückte mehrere Knöpfe und sah die Kurve an, die über ein Oszilloskop flimmerte. »Ja. Und zwar mit einem terranischen Raumkreuzer.« Cliffs Blick ging zwischen den einzelnen Schirmen hin und her. Dann sagte e r halblaut: »Was meinst du, Atan, wird dieses Schiff jetzt tun?« »Zunächst einmal an uns vorbeirasen wie ein Meteor, nur schneller.« »Haha«, machte Cliff. »Wird es auf Gromaire landen?« »Der Flugbahn nach ist es möglich, aber auch das ist eine ›unbewiesene Theorie‹, Kommandant.« Cliff knurrte: »Danke, Astrogator.« Er ließ sich das Bild auf den Zentralschirm umlegen, maß die einzelnen Abstände aus und identifizierte die Echos von Sonne und Planet. Dann sah er den Impuls, von rechts kommend, quer über das Bild huschen und unvermittelt seine Geschwindigkeit abbremsen. Eine zweite Messung, und Atans Kommentar kam. »Die KAPELLA bremst ab. Sie will vermutlich landen.« Der Impuls näherte sich immer mehr der kugelförmigen Silhouette des Planeten, wurde langsamer und verschmolz endlich mit dessen Rand. Cliff ging zu Atan hinüber, der ihn schweigend anstarrte und ein Gesicht machte, als habe er Eisenspäne zwischen den Zähnen. »Wir tun viel und werden gut dafür bezahlt«, murmelte Atan protestierend, »aber verglichen mit dem, was wir wirklich leisten, sind wir geradezu beschämend unterbezahlt. Jetzt, ohne Musik zum Wecken und ohne Frühstück, dürfen wir wieder zum Planeten der furchtbaren Pollen fliegen, nur um unsere fünf Freunde in ihr Schiff zu setzen. Ist das gerecht, Cliff?« Mit einer pathetischen Gebärde meinte der Kommandant: »Atan – das All fragt nicht nach Recht oder Ungerechtigkeit. Wir starten in sechzig Minuten.« Als sie ihren Rundgang anfingen, sahen sie zu ihrer endlosen Erleichterung, daß die fünf Männer des KAPELLA-Teams wieder aufgewacht, ausgeschlafen und normal waren. Sie konnten sich an fast nichts mehr erinnern, und Cliff mußte ihnen eine lange Geschichte erzählen. – 36 –
Dann starteten sie hinunter zum Planeten Gromaire. * Zuerst war der Sturm gekommen. Er hatte alles, was ihm nicht widerstehen konnte, von dem Hochplateau gefegt: Das Lager, abgestorbene Bäume, trockenes Gras, tote und lebende Tiere, Sand und Erdreich. Auf diese Weise schuf die Natur einen Ausgleich; das unbarmherzige Gesetz des Lebens vernichtete alles Schwache und Kranke. Zurückgeblieben war eine dicke Schicht von gelben Pollen, die sich überall ansetzten, als der Sturm nachließ und an den felsigen Hängen gebrochen wurde. Dann war das Gewitter rund um den Planeten gezogen. Das Feuer, das durch einschlagende Blitze verursacht worden war, löschte der Regen, der wie ein sintflutartiger Guß herunterbrach. Er schwemmte auch die Pollen ins Erdreich, wo sie sich auflösten und einen außerordentlich wirksamen Dünger abgaben. Der fahle Schimmer war von der Landschaft gewichen, und alles sah sauber und klar aus, mit neuerwachten Farben und einer strahlenden Helligkeit. Die Sonne erhob sich eben über den Horizont, als das zweite Schiff landete. Unversehrt und glänzend schwebte die KAPELLA nur wenige Meter neben ihrem vorherigen Standort, mit ausgefahrenem Zentrallift, aber mit geschlossener Schleuse. »Es ist wirklich unglaublich!« sagte Cliff. Diego Garrec stand bei ihm und betrachtete das Schiff auf dem Zentralschirm, als sähe er zum erstenmal in seinem Leben einen Schnellen Raumkreuzer. »Ich bin auf die Anzeige der Uhren und Entfernungsmesser neugierig«, sagte e r langsam. Cliff sah ihm in die Augen. »Ich auch. Sie wissen inzwischen, was Sie Wamsler und dem GSD erzählen werden?« Diego nickte. »Ja. Im wesentlichen die Wahrheit.« »Die Wahrheit, ja. Gehen wir hinüber. Haben Sie den Schlüssel für die Schleuse?« »Der liegt mit den Resten des Lagers irgendwo jenseits des östlichen Abhanges«, sagte er peinlich berührt. »Atan ist Spezialist für widerspenstige Schlösser!« murmelte Cliff. »Ein Geheimnis der ORION-Crew, das Sie bitte für sich behalten wollen, ja?« Diego verbeugte sich kurz: »Selbstverständlich, Kommandant McLane.« Mit einem Handkoffer aus der Werkzeugkollektion Hasso Sigbjörnsons ausgerüstet, machte sich Shubashi an die Arbeit, während die fünf Mitglieder des KAPELLA-Teams das Schiff verließen, wo sie ihre persönliche Ausstattung aus Bordvorräten ergänzt hatten. Minuten später glitt die Schleusentür zurück, und Atan sah mit einem breiten Grinsen den Kommandanten an. Cliff schüttelte die Hand Diego Garrecs. »Sagen Sie bitte Villa und Wamsler, sie möchten per Richtfunk Thorson Lambda anfunken und mir sagen, was ich tun soll. Meinen Plan kennen Sie ja, berichten Sie
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ihn den beiden Chefs. Und – kommen Sie wieder zurück, schon allein deswegen, um die Geheimnisse des Pollensturms zu lösen.« »Klar, Cliff. Wir werden alles tun. Wie geht es den Partnern auf Uzarsky?« Cliff zuckte die Achseln. »Bis jetzt gut, sonst hätten sie wahrscheinlich auch Notrufe ausgestrahlt wie Sie.« Nacheinander gingen die Männer ins Schiff, und der Kommandant folgte. Er sah sich sorgfältig um, während die Besatzungsmitglieder ausschwärmten, um Maschinen und Geräte zu untersuchen. Der Flug des leeren Schiffes schien nichts verändert zu haben. Sie kamen in den Kommandoraum und gingen an die Instrumente und Uhren des Kommandantenpultes heran. »Zeitmessung – normal«, sagte Diego. »Wenn Sie insgesamt sechzig Stunden seit dem Start als normal ansehen, dann ja«, erwiderte Cliff und wies auf die deutlichen Zacken auf dem sonst geraden Strich des Instruments. »Sechzig Stunden... das könnte stimmen.« Diego klappte die Schutzhülle vom Entfernungsschreiber zurück und sah nach. »Insgesamt sechzehn Lichtminuten«, sagte er. Cliff kratzte sich im Nacken, nahm dann ein Blatt und notierte sich die Werte. »Irgendwie ein Mißverhältnis, finden Sie nicht auch?« »Ja«, sagte Diego. »Aber ich kann nicht mehr sagen.« In einer Zeit von neunundfünfzig Stunden und vierzig Minuten hatte das Schiff sechzehn Lichtminuten zurückgelegt. Es hatte nur einmal unterwegs angehalten, wie der Schreiber auswies, fünfzig Stunden lang. Wo war es diese fünfzig Stunden gewesen? »Keine Ahnung!« sagte Cliff. »Sehen wir die Richtung nach!« Sie untersuchten ein weiteres Instrument, und Cliff fand die Theorie bestätigt, die Atan, Helga und er entwickelt hatten. Das Schiff war in einer Ellipse zu einem Punkt auf der Geraden geflogen, acht Lichtminuten entfernt. War dort das Große Schiff? Da Cliff keineswegs vorhatte, zu schnelle Entschlüsse als Nachrichten verbreiten zu lassen und da nur wenige Raumfahrer von der Geschichte der Dherrani, Turceed und Aashap wußten, zog er es vor, zu schweigen. Aber er notierte sich alles, was er feststellen konnte. Schließlich kamen die vier anderen Männer zurück und sagten, sie hätten nichts gefunden, was sie von einem schnellen Start in Richtung Erde abhalten könne. »Ich gehe von Bord und fliege wieder in unsere gemütliche Lagune zurück«, sagte der Kommandant und schüttelte die Hände, dann verließ er das Schiff und ging in die ORION zurück. Die Schiffe starteten gleichzeitig, schwebten waagrecht hoch und entfernten sich außerhalb der Lufthülle des Planeten in verschiedene Richtungen. Helga sagte, nachdem der Kurs festlag: »Dein Gesicht, Cliff, spricht nicht nur Bände, sondern eine mikrographierte Enzyklopädie!« »Und das mit bestem Recht«, gab Cliff gutgelaunt zurück. »Sage nur nicht, du wüßtest alles über das Große Schiff!« staunte Atan. »Noch nicht. Aber aus unserer Theorie wird allmählich ein Verdacht.«
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Atan kam um die Tische herum, hielt sich an der Strebe fest, an der vor Zeiten Leutnant Tamara Jagellovsk gelehnt hatte und nahm die Hand vom Metall, als ihn Cliffs starrer Blick traf. Cliff lächelte entschuldigend und lehnte sich bequem zurück. »Cliff!« begann der Astrogator, »du willst uns doch nicht erzählen, daß an der Überlegung, dieses Generationenschiff aus der Vergangenheit und, wie es scheint, auch aus einer anderen Galaxis, wäre an der festgestellten Position, wirklich etwas Wahres ist?« Ebenso ernst erwiderte der Kommandant: »Ich halte es für unwahrscheinlich. Aber erinnere dich: Was haben wir alles erlebt, was wir vorher auch für verdammt unwahrscheinlich gehalten haben? Dieses Schiff ist wahrscheinlich leer und rast nun wie ein kosmischer Ahasver durch den Raum und vollzieht alles, was die Maschinen sich einmal merken mußten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dort, etwa acht Lichtminuten entfernt, das Schiff wirklich wartet, ob die ausgesetzte Rasse ein volles Raumschiff zurückschickt.« Helga drehte sich Cliff nun voll zu und lächelte ungläubig. »Da muß doch mehr dahinter sein, Cliff. Ich kenne den Kurs, und er führt nach Thorson, nicht an die Position, die das Große Schiff innehaben müßte.« »Nichts steckt dahinter, Helgamädchen. Wir fliegen nicht mit einer Drei-MannBesatzung dorthin, nicht ohne den Segen des GSD und unseres lieben Marschall Wamsler.« »Kein Funk?« Cliff schüttelte den Kopf. »Nein. Es dauert rund sieben Tage, bis die KAPELLA landet. Diese sieben Tage werden wir an unserem planetaren Swimmingpool verbringen und uns einen fetten Urlaub machen.« »Das«, sagte Helga, »ist für mich der schönste Schluß nach diesem verrückten Pollensturm-Abenteuer.« Cliff warnte leise: »Wir fangen erst richtig an, Helga. Keine voreiligen Schlüsse!« Er sollte recht behalten mit dieser Äußerung, aber in einem Maße, das er jetzt nicht übersehen konnte. Die ORION ging in den Hyperraum und fegte Thorson Lambda entgegen...
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Cliff McLane lag entspannt in dem großen Faltsessel und blickte auf den farbenprächtigen Sonnenuntergang. Ishmee kam mit einem Tablett und zwei Gläsern und setzte sich schweigend neben den Kommandanten. Cliff bewegte sich nicht sofort; er starrte durch die dunklen Gläser der Brille in die verhangene Sonnenscheibe. Solange Mario de Monti sich auf dem Steg befand, folgte ihm Cliffs Blick. Als die Turbinen des kleinen, schnittigen Bootes aufbrummten, nickte Cliff. Er trank ruhig einen Schluck, schaute Ishmee kurz von der Seite an und spähte wieder auf die Lagune hinaus. Von der Schleuse der ORION her kam ein dumpfes Geräusch, dann schwebte an einem Antigravpolster eine schwere Last zu Boden und preßte sich tief in den Sand. »Du überlegst?« fragte das Mädchen. »Ich denke«, sagte Cliff leise. »Merkwürdig. So wenige Menschen denken, wo doch das Denken so einfach ist.« Ishmee lachte leise und verhalten. Die Gesichtszüge Cliffs blieben scharf; er glich jetzt einem jungen Mann, der sich auf eine einzige Aufgabe konzentriert. Abweisend, schweigend und mißtrauisch der eigenen Phantasie gegenüber. »Es ist nicht besonders schwer«, gab Ishmee zu, »aber die Richtung zu bestimmen, das ist das eigentliche Problem.« Cliff begann: »Die Richtung, in der sich meine Gedanken bewegen, zugegebenermaßen etwas kraus und wirbelnd, ist...« Sie lächelte wieder. »... ist das Große Schiff. Du bist nämlich überzeugt, daß eure These richtig ist, weigerst dich aber, diese Richtigkeit anzuerkennen, weil sie zu phantastisch ist. Sei beruhigt – sie ist nicht phantastischer als der stählerne Turm auf Cassina. Nicht phantastischer als unser Zusammentreffen auf der Kiesbank des Saurierplaneten. Wofür ich dem Schicksal dankbar bin.« Cliff nahm ihre Hand und küßte die Fingerspitzen. »Das mit dem Großen Schiff«, sagte er bedächtig, »ist so ähnlich wie eine Geschichte, die ich vor einigen Wochen im Starlight-Casino hörte. Eine merkwürdige Story, die zeigte, wie eng Tatsachen und Wünsche, unausgesprochene Vorstellungen und glatte Unmöglichkeiten miteinander verbunden sind. Sie greifen ineinander wie schrägverzahnte Räder.« Helga Legrelle kam aus dem Schiff und trug eine dünne Mappe mit schriftlichen Unterlagen und Fotos bei sich; die Crew war mit den Arbeiten über die Versetzbarkeit der Greenish-Fische so gut wie fertig. »Erzählst du gerade die ›Jet-Story‹?« fragte die Funkerin. »Eben dieselbe«, bestätigte der Kommandant. »Bitte!« sagte Ishmee. »Die Raumfahrergeschichten sind stets ein solches Garn, daß ihnen ein gewisser Wahrheitsgehalt nicht absprechbar ist.« »Dieses Garn ist sehr wahr!« bestätigte Helga. »Ein Mädchen, das mit einem Raumfahrer liiert ist, erzählte der Freundin eines früheren Partners, daß ein anderer Raumfahrer, dem sie herzlich zugetan ist, sie auf seine Kosten jedes Weekend vom antipodischen Punkt der Erde zu ihm fliegen läßt; – 40 –
das sind, Urlaub ausgenommen, rund fünfzig Flüge mit den Linienmaschinen. Als der Erzähler an diesem Punkt angelangt war, unterbrach ihn ein brüllendes Gelächter.« »Warum?« fragte Ishmee, während Helga ein sarkastisches Grinsen zeigte. »Weil jedermann denjenigen Jet-Raumfahrer kannte. Der Mann ist von einem Geiz, der innerhalb der Flotte bekannt und verschrien ist. Die Tausende, die dieses Verfahren kosten würde, sind erstens nicht in seinem Budget, zweitens würde er sie nie für derlei Zwecke ausgeben.« »Ich verstehe zwar nicht ganz, was diese Story mit dem Großen Schiff zu tun hat, aber der Vollständigkeit halber sei noch hinzugefügt, daß der bewußte Mann, der das Mädchen angeblich transportieren ließ, keineswegs Lust zu einer engeren Bindung hat.« Cliff bedachte Ishmee und Helga mit einem langen Blick, dann nahm er die Brille ab. Die olivfarbene Dunkelheit näherte sich vom Horizont. »Diese Geschichte hängt mit meinen Überlegungen zusammen. Ich wünsche mir, daß dieses Schiff dort sein möge, sehe gleichzeitig die Unmöglichkeit ein, daß es dort ist und entwickle komplizierte Theorien, um diese Unmöglichkeit zu untermauern.« Helga schüttelte fassungslos den Kopf und murmelte: »Wamsler schütze uns – Cliff reflektiert schon wieder.« »Mitnichten«, erklärte Cliff und stand auf, »ich denke lediglich.« Sie fuhren herum, als ein schrilles Summen die Stille zerschnitt wie ein Blitz; das Bildfunkgerät hatte sich gemeldet. »Große Dinge werfen ihre Funksprüche voraus«, orakelte Ishmee. »Es wird Wamsler sein, Cliff, der allen deinen Überlegungen ein Ende setzt.« Cliff ging zum Gerät und sagte über die Schulter nur ein einziges Wort: »Hoffentlich!« Ton und Bild kamen gleichzeitig, die Relaissatelliten schienen hervorragend zu funktionieren. Cliff drehte die Lautsprecher weit auf, und die Stimme des Raummarschalls Winston Woodrov Wamsler hallte über die ruhige Lagune. »Wie ich sehe, mein Junge, sind Sie bester Stimmung, wenn es auch etwas dunkel ist. Schönen Urlaub verlebt, ja?« Cliff legte den Kopf schräg und erwiderte ruhig: »Wir waren gezwungen, Marschall, unsere harte Arbeit im Freien zu tun. Und im Freien schien hier auch die Sonne. Ich bin für die Bräune unserer samtenen Haut also nicht verantwortlich. Möchten Sie einen Tätigkeitsbericht?« Wamsler grinste und schüttelte den Kopf. Er nahm seine Augen, die an Cliff vorbei starrten, nicht von den beiden Mädchen in den Bikinis. »Keineswegs. Wir haben sämtliche Angaben der KAPELLA-Crew kontrolliert und nachgerechnet. Dann haben wir das Problem der Zentralen Rechenanlage vorgelegt. Sie hat eine Minute gebraucht und wies uns mit achtundneunzigprozentiger Sicherheit nach, daß die KAPELLA tatsächlich von einem unbekannten großen Flugkörper ferngelenkt worden ist.« Cliff antwortete steif: »Meine Logik, Marschall, ist nicht unbedingt mit der Logik der Maschinen identisch.«
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»Ihre Logik, Cliff McLane, interessiert uns alle im Augenblick nicht besonders. Nichts gegen sie, aber wir können die Maschine nicht außer acht lassen. Entweder ist dort, acht Lichtminuten von Gromaire entfernt, ein fremdes Schiff, oder es ist keines. Das zu beweisen, gelingt weder der Zentralen Rechenanlage noch Ihnen. Wir müssen uns an Ort und Stelle begeben.« Cliff starrte Wamsler kurz an und wandte seine Aufmerksamkeit dann dem Hintergrund des Bildes zu. Dort sah er Diego Garrec und seinen Ersten Offizier, die mit gewissen Leuchtpunkten markierte Gerade durch die Projektion der Raumkugel und seinen Liebling Spring-Brauner. »Mit ›uns‹ meinen Sie doch sicher niemand anderes als die ORION-Crew?« erkundigte er sich, von bösen Ahnungen erfüllt. Höflich erwiderte der Marschall: »In der Tat. Sind Sie mit den Arbeiten an der Lagune fertig?« Cliff schüttelte den Kopf und murmelte: »Nein. Wir brauchen noch vierundzwanzig Stunden, Marschall. Aber was immer wir noch herausfinden werden... Sie können ein Team schicken, das eine Portion Fische fängt – mit dem Kescher, nicht mit Dynamitpatronen! – und sie nach Terra bringt. Wird es in der Flotte jemanden geben, der diese Technik beherrscht?« »Selbstverständlich«, sagte Wamsler. »Ich soll Ihnen und Ishmee einen schönen Gruß ausrichten.« »Von...?« »Von Skuard. Er arbeitet mit Rettir und anderen an dem Material, das Sie während Ihres letzten Einsatzes gesammelt haben. Und jetzt der Einsatzbefehl: Bitte fliegen Sie, nachdem Sie die Arbeiten auf Thorson Lambda erledigt haben, zu den ermittelten Koordinaten. Suchen Sie dort nach der Ursache dieses merkwürdigen Phänomens, das uns beinahe die KAPELLA gekostet hätte. Ich schicke das Team, ich schicke auch die KAPELLA wieder mit verbesserter Ausrüstung zurück nach Gromaire.« »Verstanden, Marschall«, sagte Cliff. »Ist etwas Neues über unseren unsichtbaren Freund bekannt?« Wamslers Stirn bekam ein Muster aus sorgenvollen Falten. »Nein. Alles ist verdächtig ruhig.« Cliff konterte: »Diese Ruhe ist verdächtig, Marschall!« »Kommandant«, murmelte Wamsler, »wenn Sie in die Sicherheitsabteilung unseres gemeinsamen Freundes Oberst Henryk Villa sehen könnten, würde Ihnen schwindlig werden vor lauter Bewegung. Der GSD rotiert förmlich. Sie suchen überall, und mit einem personellen Aufwand, der selbst mich erstaunt hat.« Cliff fragte: »Bisher ohne Erfolg?« Er sah an Wamsler vorbei und betrachtete voller Sorgen die schimmernde Lichterkette, die sich durch die Kugelprojektion zog. »Bisher ohne Erfolg, ja... und noch etwas, mein Junge.« »Ja?« »Diese Sitzung mit der KAPELLA-Crew blieb geheim, nur Villa und Skuard wissen davon. Die Rechnerei mit der Zentralen Anlage war ebenfalls ohne
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Publikum. Und unsere Unterhaltung kann auch nicht mitgehört werden. Bitte, halten Sie auch, was Sie versprechen.« Cliff mußte wider Willen lachen. »Was verspreche ich, Sir?« »Sie versprechen mir jetzt, ab Ende dieser Unterhaltung über das Projekt Großes Schiff Stillschweigen um jeden Preis zu halten. Übrigens: In Ihren Bungalow ist eingebrochen worden.« Cliff zuckte zusammen und schnappte nach Luft. »Waas?« rief er. »Ja. Soviel wir feststellen konnten, ist nichts gestohlen worden.« Wamsler senkte die Stimme. »Im Interesse der Erde hat Tamara Jagellovsk den Bungalow nachher untersucht und sagte aus, daß ihres Wissens nach nichts entwendet wurde. Sie meinte, jemand habe sich nur über die Natur des Besitzers dieser Wohnstätte informieren wollen. Die Robots waren ausgeschaltet worden.« Cliff preßte die Lippen aufeinander, dann knurrte er zwischen den Zahnen: »Das sind wirklich merkwürdige Methoden, mich zu testen. Steckte da Villa dahinter, Marschall?« »Nein, auf keinen Fall. Es war jemand, den wir nicht kennen.« »Gut«, sagte Cliff. »Ich werde tun, was Sie wünschen und werde meine Lippen versiegeln.« Cliff drehte sich um, während das Bild verblaßte und ein scharfes Knacken durch die Lautsprecher fuhr. Unbemerkt war Mario nähergekommen; Cliff hatte während des Gesprächs die Turbinengeräusche überhört. Der Erste Offizier schlug Cliff krachend auf die Schulter und rief gutgelaunt: »Nun, Go-go-Cliff, die schönen Tage von Thorson sind zu Ende, nicht wahr?« Cliff holte aus und ballte die Faust. »Wenn du das noch einmal zu mir sagst, verspreche ich dir ein neues Gebiß. Dieser Ausdruck scheint dich zu faszinieren?« Mario wollte sich ausschütten vor Lachen. »Mich fasziniert alles, was mit dir zusammenhängt, Cliff. Besonders das, was sich später als komisch herausstellt.« Helga schaltete die zahlreichen Punktleuchten ein, und die Lichtmuster auf dem Sonnensegel spiegelten sich in dem dunklen Wasser. »Demokratie besteht darin«, sagte Cliff mürrisch, »daß man den anderen ausreden läßt. Meine Damen und Herren – wir starten morgen dorthin, wo die Zentrale Rechenanlage glaubt, daß das Große Schiff schwebt.« Ishmee lächelte Helga an, dann legte sie ihren Arm um Cliff und sagte mit falscher Ruhe: »Es ist erstaunlich, wie du trotz meiner Gegenwart immer wieder versuchst, zu lügen. Außerdem nimmt es dir keiner der Mannschaft ab, daß du wirklich nicht dorthin willst.« Cliff lächelte schmerzlich und murmelte: »Leider hast du vollkommen recht. Aber du wirst gleichzeitig erkannt haben, daß ich trotz allem noch immer sehr skeptisch bin.« Wahrheitsgemäß erwiderte Ishmee: »Das stimmt. Was tun wir heute noch?« – 43 –
Mario de Monti hatte eine Flasche in den Armen und streichelte sie vorsichtig. »Wir feiern den Abschied von unserer stillen, cheerckverseuchten Lagune, Freunde!« Sie feierten zwar, aber während der langen und heftigen Diskussionen arbeiteten sie teilweise an dem Programm der Greenish-Fische weiter und berieten darüber, was es wirklich sein konnte, das dort auf sie wartete. »Wenn es das Große Schiff ist«, sagte Cliff warnend, »dann wartet zugleich mit ihm auch die akute Gefahr auf uns.« »Gefahr, warum?« fragte Hasso. Cliff deutete hinauf zu den Sternen, die in der warmen Luft flimmerten und pausenlos ihre Positionen zu wechseln schienen. »Weil unser unsichtbarer Freund in Kürze herausgefunden hat, was dort vorgeht. Und dann haben wir die gleiche Situation wie auf Nahoor – nur wird er klüger und noch viel vorsichtiger sein als sein Partner, der den Freitod vorzog.« Ishmee sagte schaudernd: »Und... er wird gefährlicher sein, Cliff?« Sie hatte recht. Cliff warf gegen Mitternacht einen langen Blick auf die Lagune. Die Luft hatte sich abgekühlt; die Sterne waren klar. Mit hellen, platschenden Geräuschen fielen Fische wieder zurück ins Wasser und zerstörten die schwarze, halb spiegelnde Fläche. Kleine Vögel wurden von einem anderen Tier aufgestört und wechselten von einem Baum zum anderen; unsichtbare Wesen stoben durch die Blätter davon wie Dämonen. Das Sternenlicht sickerte durch die Blätter wie durch ein dunkles, grünes Sieb, das sich im leichten Wind vom Ozean her verschob, bewegte, rührte... es waren vertraute Dinge geworden, und niemand hatte Grund, sich zu fürchten. Aber jenseits der Lufthülle, draußen im freien Raum, schien eine riesenhafte Masse zu schweben, ein Schiff, von dem unverhüllte Drohung ausging wie ein Strahl. Die Vergangenheit einer halben Galaxis und die Seelen eines ausgestorbenen Riesenvolkes schwebten dort. Und diese Überlegung ließ die beiden Mädchen und die vier Männer erschauern. Schließlich, es war schon sehr spät, sagte Cliff McLane fast flüsternd: »Freunde – wir starten morgen nachmittag dorthin.« Sie nickten schweigend. * Rings um sie waren die Sterne: ein alltägliches, vertrautes Bild. Sie formierten sich zu den alten Sternbildern, sie bildeten die Milchstraße, und sie stachen von den Schirmen wie winzige Löcher in schwarzen Scheiben. Der runde Zentralschirm zeigte in einer gestochen scharfen Wiedergabe das Bild des Weltraums, der direkt vor der Orion VIII lag – in der Richtung, in der sich das große Schiff befinden mußte, wenn es wirklich noch existierte. Der Schirm der Bordsprechanlage flammte auf und zeigte das Gesicht Hasso Sigbjörnsons, der mit unerschütterlicher Ruhe den Maschinenraum bewachte. »Cliff?« »Was gibt es, Hasso?«
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Außer den wenigen Kommandos, die hin und wieder gewechselt wurden, waren nur die gewohnten Geräusche in der Kommandokanzel zu hören. Die Atemzüge, das Wispern der Klimaanlage, die Schaltergeräusche und einige tickende, summende und sirrende Instrumente. »Ich habe hier ein Phänomen zu beobachten. Das Schiff ist absolut ohne Fahrt; du hast eben den Eigenimpuls abgestoppt und die Maschinen gegenlaufen lassen. Und um diese Nullposition halten zu können, müssen die Maschinen arbeiten.« Cliff kontrollierte einige Uhren und erwiderte dann scharf: »Du hast recht. Das bedeutet, daß wir von irgend etwas angezogen werden. Das ist der nämliche Effekt wie auch bei der KAPELLA.« Vom Eingabeelement des Digitalrechners her sagte Mario de Monti fast vorwurfsvoll: »Und was gedenkt der Kommandant zu tun?« Cliff antwortete blitzschnell: »Der Kommandant gibt dem Maschinenraum den Befehl, die Bewegung des Schiffes mit der Maschinenleistung so zu koordinieren, daß wir tatsächlich an einer Stelle treiben.« »Maschinenraum an Kommandanten: Verstanden!« sagte Hasso. Cliff sprach ins Mikrophon, damit das Logbuch auch jedes Wort und jede Reaktion für die terranischen Behörden speicherte. »Atan?« »Ich habe den Radarschirm auf diese Position gerichtet.« Cliff musterte das Bild auf dem Schirm und deutete für sich auf den Punkt, der in Frage kam. »Anzeige?« Atan sagte: »Ein großes, aber verschwimmendes Echo genau im ermittelten Gebiet.« »Das bedeutet«, sagte Cliff langsam, »daß dieser Gegenstand seit dem Start der KAPELLA unverrückbar dort schwebt, was immer er auch ist.« Atan bestätigte das sofort: »Nichts anderes kann es bedeuten, Cliff. Ich habe Ortsbestimmungen nach drei verschiedenen Systemen gemacht – immer wieder kam diese Position heraus.« Seit dem Augenblick, in dem Cliff das Schiff hier geparkt hatte, herrschte in der Kommandokanzel die Spannung des erregenden Abenteuers. Denn ein solches stand ihnen bevor; das wußten die sechs Menschen. Ishmee mit ihrer Fähigkeit, die Ausdrucksstärke und die Richtung von den Gedanken anderer festzustellen, fühlte sich besonders unbehaglich – wie ein neuer Gast, der in eine Gesellschaft hineinkam, die sich erbittert gestritten hatte und nun eisern schwieg. »Gut. Helga, hast du die Kamera fertig?« Auf dem Arbeitstisch neben dem Funkpult hatte die Funkerin die schwere Fernsehkamera ausgebreitet. Sie kontrollierte die einzelnen Blöcke der Apparatur und steckte sie zusammen. Leitungen, Objektive und Aufzeichnung waren tadellos in Ordnung. »Ich bin in fünf Minuten mit den Tests fertig, Cliff.« Cliff wandte sich an den Ersten Offizier. »Mario! Gehe bitte hinunter in den Startschacht der LANCET Eins und bereite alles auf einen Start vor. Wir brauchen dieses Gerät mit abgeschalteten Maschinen, – 45 –
aber mit einem starken, eingeschalteten Sender, der einen Dauerpeilton abgibt, den wir lange und klar empfangen können.« Mario zog seine Stirn kraus. »Höre ich recht? Ohne Maschinenkraft?« Etwas ärgerlich erwiderte der Oberst: »Natürlich ohne Maschinen. Die KAPELLA ist ebenfalls ohne Antrieb geflogen. Und wie!« »Ich verstehe. Bereiten wir also ein Fly-out vor.« Mario erhob sich mit gespieltem Ächzen von seinem Sessel und trat in den kleinen Lift. Die geschwungene Tür schloß sich hinter ihm. »So!« sagte Cliff grimmig. »Ehe wir uns alle in Gefahr begeben, opfern wir lieber eine LANCET.« Er berechnete kurz verschiedene Winkel und drehte das Raumschiff so, daß die ausgeschleuderte LANCET direkt in den Sog geraten würde, der von dem fremdartigen Objekt dort ausging, sieben Lichtminuten entfernt. »Atan! Ist für eine optische Verfolgung alles fertig?« Der Astrogator hatte seine Schirme justiert und kauerte voller Spannung an seinem Platz. Er hob kaum den Kopf, als er antwortete. »Ja, natürlich. Merkwürdig ist nur, daß das große Echo so verwaschen ist. Auf diese lächerliche Entfernung bekomme ich sonst alles klar herein.« »Auch das werden wir in Kürze geklärt haben.« Helga stand auf und schleppte die schwere Kamera und die Befestigungsstreben mit sich. Einige lose Leitungen baumelten aus dem schwarzen, chromfunkelnden Gerät heraus und schleiften auf dem Kabinenboden. »Ich gehe hinunter zu Mario und der LANCET.« »Einverstanden.« Cliff schaltete den Schirm ein, der ihn mit der Startkammer des LANCETSchachtes verband. Mario hantierte hier und testete zum zweitenmal das Gerät durch. Die Schleuse stand noch offen, und jetzt kam Helga ins Bild. Das Mädchen kletterte die ausgefahrene Leiter hinauf und befestigte die Fernsehkamera so, daß sie mit einer Fernschaltung fünf Positionen einnehmen konnte – entweder zu vier verschiedenen, den Himmelsrichtungen entsprechenden Bullaugen hinaussehen oder senkrecht nach oben. Die Leitungsschnüre wurden mit den Geräten verbunden, der Bildsender wurde eingeschaltet, und Mario kontrollierte noch einmal die kleine Energieerzeugungsanlage. »Fertig!« meldete sich Helga aus dem Beiboot. »Danke!« Cliffs Stimme kam aus den Lautsprechern des Funkgerätes. »Bildübertragung – letzter Test.« Ein mehr als ein Quadratmeter großer Schirm erhellte sich. Die Kamera wurde eingeschaltet und zeigte, was sie sah: nichts anderes als das Innere des Startschachtes mit den stählernen Führungsschienen. Die erste Schaltung – das Gerät schwenkte um neunzig Grad, ein zweitesmal, ein drittesmal, dann nahm die Kamera die erste Position wieder ein, schwenkte nach oben und betrachtete die Segmente des Schleusenverschlusses. »Test beendet, das Bild ist sehr scharf«, sagte Cliff. »Kamera läßt sich hervorragend steuern.« – 46 –
Helga verließ die LANCET, fuhr die Leiter ein und schloß die Schleuse sorgfältig. »Kontrollraum: fertig!« sagte Mario und sah zu, wie Helga den Startschacht verließ und sich neben ihn an die Armaturen stellte. »Cliff! Wir können die LANCET abfeuern.« Der Kommandant betrachtete sorgfältig die Uhren und Zeiger, warf einen Blick auf das Bordchronometer und sagte schließlich: »Start minus fünf Sekunden. Ich zähle...« »Null!« Die LANCET schoß senkrecht in den Raum hinaus und wurde mit vier g beschleunigt. Sie flog ein Stück weit mit eigener Kraft, beziehungsweise vom Druck der hochschnellenden Führungsblöcke geschoben, dann wurde langsam aus der Geraden eine Kurve, die nach dreißig Sekunden einen Winkel von neunzig Grad ausfüllte und ihrerseits in eine Gerade überging. Dann schoß die LANCET in einer immer schneller werdenden Geschwindigkeit geradeaus, dem fernen Ziel entgegen. Im Augenblick des Starts hatte Cliff die Kamera auf den großen, rechteckigen Sichtschirm geschaltet und starrte nun atemlos auf das Bild. »Ehe wir alle vor Spannung bersten«, knurrte er leise, »Helga, gehe bitte in meine Kabine. Dort liegt im Kartenschrank eine unangetastete Flasche Archer's tears. Diese bringe uns, zusammen mit Gläsern und Eis. Das dürfte ein historischer Moment sein.« Helga nickte. »Ich fliege!« sagte sie. Das Bild auf dem Schirm war, sah man davon ab, daß es von Bord einer sozusagen ferngesteuerten LANCET übertragen wurde, ereignislos – es zeigte nichts anderes als die Sterne. Cliff betätigte den Schalter, und die Kamera huschte über die Innenfläche der LANCET, bis sie zu einem anderen der halbkugeligen Bullaugen hinausblickte. Auch dort sah das Kameraauge nichts anderes als die Sterne. »Länger als sechs Minuten brauchen wir nicht zu warten«, sagte Cliff und lächelte, als er Helga mit Flasche und Gläsern sah. Seltsamerweise rührten die sechs Personen die Getränke nicht an, während die Minuten vergingen. Schließlich fragte Cliff, das Glas noch immer in der Hand, in deren Wärme das Eis zu kleinen Splittern geschmolzen war, den Astrogator. Seine Stimme war fast unnatürlich leise. »Hast du diese verdammte LANCET noch auf dem Schirm, Atan?« »Natürlich. Vollkommen klar, Kommandant.« Zeitliche Distanz: sechs Minuten dreißig Sekunden. Cliff bewegte wieder den Schalter. Jetzt starrte die Kamera senkrecht nach oben. Und jetzt begann sich auf dem Bild auch etwas anderes abzuzeichnen als nur die fernen Sterne. Es war ein silberner, undeutlicher Schimmer von rechts, der immer deutlicher wurde und sich als Halbkugel entpuppte, von Gromaires Sonne ausgeleuchtet. Diese Halbkugel schien aus einem Material zu bestehen, das auf den ersten Blick starke Ähnlichkeit mit zerknitterter Silberfolie hatte. »Eine Halbkugel, also vermutlich eine Kugel. Warten wir weiter!« preßte Ishmee hervor. – 47 –
Plötzlich, nach einer weiteren Schaltung der Kamera, wurde das Bild klar und deutlich. »Atan!« »Bitte?« »Die Entfernungsdifferenz zwischen der LANCET und dem Objekt?« Atan erwiderte halblaut: »Vierzehn Lichtsekunden, zwölf... zehn... das Ding fliegt fast mit der vollen Lichtgeschwindigkeit, ist also stark beschleunigt worden.« Mario warf ein: »Die KAPELLA hat dort bei dieser Kugel rund fünfzig Stunden gewartet. Sollen wir etwa auch diese lange Zeit hier auf den Schirm starren?« Cliff sagte in unüberhörbarer Schärfe: »Abwarten!« Das Bild wurde deutlicher, größer und klarer. Jetzt erkannte man auch den Rest des Objekts, auf dem zwar kein Sonnenlicht, sondern die Helligkeit der spiegelnden Halbfläche lag. Es war eine gigantische Kugel, so groß wie ein kleiner Mond. Dann fiel der winzige Schatten der LANCET darauf und huschte über die Flächen. Wieder drehte sich die Kamera. »Das Große Schiff!« flüsterte das Mädchen mit dem kurzgeschnittenen schwarzen Haar. »Ja. Das muß es sein!« bestätigte Cliff. Die LANCET wurde langsamer; wäre ein Mensch an Bord gewesen, so hätte er die mehrfache Schwerkraft gespürt, denn von dieser Geschwindigkeit heruntergebremst arbeiteten die Absorber nicht mehr hundertprozentig voll. Das Schiff selbst schien leer zu sein, tot. Dann entdeckte die Kamera ein rundes Loch in der Fläche, und gleichzeitig war die LANCET so nahe heran, daß die Kamera die Einzelheiten der Oberfläche identifizierte und auflösen konnte. »Ein Rastermuster.« Die Hülle des Schiffes bestand aus einer unendlichen Menge von kleinen erhabenen Vierecken, die vierfach gebrochen waren, wie abgestumpfte Pyramiden. Die Lichtreflexe wirkten, als ob sich das Sonnenlicht an unzähligen Facetten eines Insektenauges oder eines zerbrochenen Spiegels bräche. Ganz langsam umrundete die LANCET das Schiff, und als sie sich der riesengroßen runden Öffnung – vermutlich einer offenen Beibootschleuse – näherte, sahen die sechs Menschen in der ORION das kurze Aufblitzen. Es schien, als wären es Linsen oder stählerne Fühler gewesen oder eine andere Art von Optiken oder Testgeräten. Cliff fuhr ein eiskalter Schauer über die Haut, als Ishmee zu flüstern begann. »... und sie baueten ein Schiff, setzten darein allerlei Völker und schifften sich ein nach den Inseln. Und als sie zum zwölfmal zwölften Male gelandet waren, verließen die vom Stamme Aashap das Schiff...« »Du magst recht haben«, erwiderte Cliff, »aber ich glaube nicht, daß unser Beiboot fünfzig Stunden um das Große Schiff kreist. Seht auf das Bild. Die Kamera erfaßt jetzt schon wieder die Hell-Dunkel-Grenze des kugelförmigen Körpers.« »Ich sehe!« Wenn diese Kugel ein Raumschiff war, dann mußte die Rasse der Dherrani in der Technik der Raumfahrt ebenso, wenn nicht mehr erfahren sein wie die Terraner. Keiner der sechs Menschen konnte außer der runden Schleusenöffnung etwas – 48 –
erkennen, das auf Antriebselemente schließen ließ. Keine Vorsprünge, keine erleuchteten Bullaugen, keine Fenster, keine Ausleger oder Plattformen, keine Antennen – nichts. Dieses Raumschiff sah aus wie ein mathematisch runder Mond mit einer silbernen Hülle. Sie bestand vermutlich aus einem Spezialstahl, und die Kamera erfaßte auch keine einzige Meteoraufschlagstelle. »Das ist eigentlich fast ein Wunder...«, murmelte Cliff. Mario fragte unruhig: »Was ist ein Wunder?« »Daß wir keine Spuren von Meteoren sehen können. In zehn oder mehr Jahrtausenden muß dieses Schiff mit einer gewaltigen Menge von Meteoren zusammengestoßen sein. Oder sind die Maschinen etwa in der Lage, diese Zeit lang zu laufen und ein Abwehrfeld intakt zu halten?« »Hüte dich davor«, warf Ishmee zögernd ein, »in terranischen Maßstäben zu denken. Dieses Schiff ist nicht von Terranern gebaut. Andere Technik, andere Verfahren, anderes Konzept. Da dieses Schiff jetzt zurückgekehrt ist, um die Boote wieder einzusammeln, muß es für eine halbe Ewigkeit gebaut worden sein.« Hasso ließ seinen Blick nicht von dem Sichtschirm. »Du hast recht, Ishmee!« sagte er ruhig. Plötzlich rief Atan laut und aufgeregt: »Cliff! Die LANCET beschleunigt wieder. Sie ist gerade aus dem Schatten des fremden Schiffes herausgetreten und kommt wieder auf uns zu. Es ist die gleiche Bahn, wie ich sie auch bei der KAPELLA ausgerechnet habe.« Cliff schwang seinen Sessel herum und legte den schweren Schalter um, der die gesamte Schiffsmaschinerie auf Handsteuerung umstellte. »Das ist ein Signal für uns, schnell zu handeln. Sonst landet das Schiff die LANCET wieder auf Gromaire, und schließlich wollen wir Diego und seine Mannen nicht erschrecken.« »Sie nimmt Geschwindigkeit auf.« Das war Atan. Cliff zog den Fahrthebel zu sich heran und beschleunigte die ORION aus dem Stand. Durch die Schiffszelle ging ein Dröhnen und Vibrieren, als die mächtigen Maschinen mit Vollast zu arbeiten begannen. Das Schiff raste los, fast auf Kollisionskurs mit der LANCET. Das Manöver, das Cliff zu fliegen vorhatte, war klar. Er wollte die Geschwindigkeiten angleichen und die LANCET mit annähernd Lichtgeschwindigkeit einschleusen. Mario schüttelte seinen breiten Schädel, stellte sich in den Lift und knurrte mißmutig, aber zum Teil auch bewundernd: »Das ist wieder so eine typische McLane-Eskapade. Wenn das Wamsler wüßte. Die letzten Haare würden ihm vor Schreck ausfallen.« Cliff deutete wortlos nach unten. Mario maulte: »Ich gehe ja schon. Vergiß bitte nicht, daß die LANCET mit der Oberschale zuerst ankommt.« Cliff grinste verwegen und erwiderte: »Ich bin nämlich erst gestern an Bord dieses feinen Schiffes gekommen und habe keine Ahnung, wie gut die Crew ist. Versöhnt dich das?«
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Die letzten Worte sprach er ins Leere; Mario war bereits unten im Ringkorridor und ging mit schnellen Schritten auf die LANCET-Landekammer zu. Er setzte sich in den Bedienungssessel und schnallte sich an. Jetzt ging alles in Sekundenschnelle vor sich und war obendrein mehr als Millimeterarbeit. Die ORION raste der LANCET entgegen. Zwanzig Lichtsekunden vor dem Zusammenstoß flog Cliff eine enge Schleife, stellte das Schiff auf den Kopf und raste die errechnete Bahn zurück, dem Planeten Gromaire entgegen. Langsam wuchs die Geschwindigkeit. Die LANCET überholte die ORION VIII und schoß lautlos an ihr vorbei. Kurioserweise übertrug die Kamera das Bild des Diskusschiffes in den Kommandoraum eben dieses Schiffes. Die ORION raste dicht entlang der LANCET-Bahn. ... und wurde schneller. Sekunden verstrichen, in denen nichts zu hören war als das Summen der belasteten Maschinen, die ihre Energie in den Raum hinausschleuderten und das Raumschiff beschleunigten. Dann kam das Beiboot wieder näher. Cliff wußte, daß die LANCET um eine Spur langsamer flog als das Raumschiff. Diese Differenz mußte er ausnützen. Fünf Sekunden... zehn. Das Schiff überholte die LANCET und korrigierte seinen Kurs, bis es genau in der Bahn war. »Mario?« »Schleuse offen, Zugstrahl eingeschaltet, aber noch nicht ausgerichtet. Ich kann das Boot noch nicht erfassen.« »Ich lenke um.« »Danke.« Dann schob sich, Zentimeter um Zentimeter, das Schiff in die genaue Flugbahn des Beibootes. Die Männer ertappten sich, wie sie zu zittern begannen. Bei dieser teuflischen Grenzgeschwindigkeit hatten Kollisionen verheerende Wirkungen. Die Zielöffnung, vergleichbar mit dem Fadenkreuz des Overkillgerätes, wanderte langsam und hielt an, als die LANCET genau über der Schleuse schwebte. Dann sagte Mario: »Ich schalte jetzt!« und ergriff das kugelförmige Boot mit dem Zugstrahl. Gehorsam, als liefe sie auf Schienen, fiel die LANCET in den Schacht zurück und wurde in den Führungsschienen abgefedert. Aufseufzend schloß Mario de Monti die Schleuse und lehnte sich erschöpft zurück. Er schwitzte am ganzen Körper. »Kommandant an alle: Aktion beendet.« Die ORION verließ den Kurs, schlug wieder einen Kreis mit einem großen Durchmesser ein und jagte antriebslos wieder dem Großen Schiff entgegen, aber weitab von der errechneten Ellipse, die das Schiff wieder an den silbernen Mond annähern würde dank der ausgeübten Zugkräfte. »Maschinenraum an Kommandant. Maschinen stillegen?« Cliff nickte Hasso zu und sagte: »Ja. Stillegen.«
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Dann berührte er einige Schalter, lehnte sich zurück und sah Ishmee in die Augen. Das Mädchen zitterte von der nervlichen Anspannung und von dem Strom der Gedanken, die auf sie eingeflossen waren. Cliff stand auf und setzte sich neben sie. »Jetzt ist alles vorbei«, sagte er tröstend und legte seinen Arm um ihre Schultern. »Nichts ist vorbei!« antwortete sie laut. »Alles wird erst anfangen. Du denkst ja bereits daran, in das Schiff einzudringen.« Ruhig erwiderte der Kommandant: »Das denke ich. Aber ich werde nichts riskieren. Außerdem werde ich nicht ohne ausdrücklichen Befehl versuchen, das Große Schiff zu betreten.« Furcht und Unsicherheit lagen in ihren Augen. »Du glaubst doch nicht entfernt daran, daß Wamsler, wenn du ihn fragst, nein sagt?« Cliff zuckte mit den Schultern. Darauf gab es keine Antwort.
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Das Bild flimmerte eine halbe Sekunde lang, dann gab es wieder den gewohnten dreidimensionalen Effekt. Wamsler, der in seinem knarzenden Ledersessel hockte wie in früheren Zeiten, war zwar noch immer schlank und gebräunt, aber aus seinem Gesicht sprachen die Spuren des schweren Routinedienstes, in dem sich dieser Mann wie viele in seiner Position aufrieb. Er hörte zu, was Cliff, unterstützt von Helga und Atan, ihm berichtete. »So etwas Ähnliches haben wir erwartet«, sagte er und berührte das Videophon, das vor ihm stand. Es drehte sich um vierzig Grad und zeigte nach der Teilansicht des Büros den Oberkörper des GSD-Chefs. »Sie haben ausgezeichnet gearbeitet, Oberst!« sagte Villa halblaut. Cliff schüttelte unmerklich den Kopf. »Ohne meine Mannschaft wäre es auf keinen Fall gelungen«, sagte er, und es klang sehr ernst. »Was werden Sie jetzt unternehmen?« fragte Villa. »Ich bin noch nicht sicher«, sagte er. »Ich sollte am besten hier sieben Tage lang warten, bis ein Team aus GSD-Leuten und Fachwissenschaftlern hier eintrifft. Und Skuard 8439 brauchen wir auch. Unbedingt.« »Ich empfehle Eile«, drängte der Raummarschall. »Ich empfehle Vorsicht«, konterte Cliff hart. »Ich möchte die ORION nicht der Gefahr aussetzen, dort von diesem Schiff angezogen und irgendwie zerstört zu werden. Die Maschinen des Großen Schiffes haben die KAPELLA nach einem Test von fünfzig Stunden Dauer als nicht geeignet entlassen, die LANCET haben sie sofort identifiziert – andere Möglichkeiten der Auslegung gibt es nicht.« Wamsler trommelte mit seinen muskulösen Fingern auf der Tischplatte eine Melodie; den unverwechselbaren Takt zu einem Stück von Tomas Peter. »Sind Sie mit einem Kompromiß zufrieden?« fragte er dann, sehr unsicher und ohne den Befehlston zu benutzen. »Unter Umständen, Marschall.« Wamsler zählte an den Fingern ab. »Wir schicken ein GSD-Schiff, das in Ihrer Nähe arbeitet, so fort zu der neuen Position. Dann setzen wir hier eine kleine Flotte mit Fachleuten und Ishmees Bruder in Marsch. Und während dieser Frist versuchen Sie, diesen Leuten den Weg zu ebnen. In dem Augenblick, in dem Gefahr droht, ziehen Sie sich blitzschnell zurück.« Sigbjörnson grinste und warf ein: »Falls wir uns dann noch bewegen können. Blitzschnell... ich weiß nicht. Im Raum gelten da besondere Gesetze, Marschall.« Hasso sprach mit der unerschütterlichen Sicherheit eines Mannes, der im Dienst der Raumflotte ergraut war und der, weil er wirklich nur noch aus reiner Passion und Cliff McLane zuliebe mitflog, so gut wie nicht zu entlassen oder zu bestrafen war. Er kostete den Ruf aus, den sich die ORION-Mannschaft in langen Jahren der Zusammenarbeit erworben hatte. Ehrlich und unter Strapazen erworben hatte. »Nehmen Sie mich nicht zu wörtlich, Hasso!« bat Wamsler. »Werden Sie es versuchen, Cliff?« Mein Junge, dachte der Kommandant, fehlt noch in seiner Bitte. – 52 –
»Versuchen werde ich es. Aber ich ziehe mich wirklich so schnell, wie es geht, aus dem Schiff oder der jeweiligen gefährlichen Situation zurück. Ich riskiere immerhin den intakten Verstand von Ishmee, und der ist mir lieber als viele Dinge, die ich in diesem teuren Ferngespräch nicht unbedingt genau zur Sprache bringen möchte. Gut. Ich nehme den Kompromiß an.« Wamsler atmete aus und brummte:
»Sir Arthur sei Dank! Wir tun hier, was wir können. Und...«
Cliff rang sich ein müdes, verstehendes Lächeln ab und vollendete:
»... und auf alle Fälle absolute Geheimhaltung!«
Wamsler nickte schwer und sorgenvoll.
»Ich höre, daß wir uns verstanden haben, mein Junge! Danke Ihnen allen!«
Dann wurde das Bild unstabil, und die Verbindung brach ab.
»Freunde!« sagte Cliff leise, »wollen wir uns gleich darauf stürzen oder haben
wir etwas Besseres vor? Immerhin wird uns hier kein Aashap mit einem gestohlenen Schiff stören.« Helga klopfte mit dem lackierten Nagel ihres rechten Zeigefingers auf die Armbanduhr und sagte laut: »Wir haben etwas Besseres vor, Kommandant. Essen.« Cliff lächelte und erwiderte: »Einverstanden. Und dann diskutieren wir in aller Ruhe die Probleme durch, die uns dort in rund sieben oder acht Lichtminuten erwarten können. Ich hoffe, daß wir als die Nachfolger der Dherrani mit gedämpftem Trommelwirbel und rotem Teppich empfangen werden.« Mario hob die Hand und schloß:
»Und ich bin auf der Seite von Ishmee, die nach meiner Ansicht mit Recht dort
im Großen Schiff gewisse Gefahren erwartet.« Mario de Monti, der alles andere als ein Feigling war, sollte recht behalten. Acht Lichtminuten... * »Alles was wir dazu brauchen«, sagte Mario de Monti lässig, »sind zwei Scheinwerfer, eine Fernsehkamera, ein langes Seil und ein wenig Risikobereitschaft. Und gute Nerven.« Mario saß am Ende des Tisches und wippte mit seinem Stuhl. Er betrachtete nachdenklich seinen leeren Teller und grinste dann unvermittelt. In seinem Gesicht war die Freude über die bevorstehenden Aktionen deutlich abzulesen. Atan schlug vor:
»Und etwas Glück, das ist es, was wir obendrein brauten.«
Cliff beobachtete Ishmee von der Seite und wußte, daß das Mädchen sich
ängstigte; es war nicht die direkte Furcht vor einer greifbaren Gefahr, sondern addierte Ahnungen, ein reichliches vages, aber unheilvolles Gefühl. Es half nichts, sie mußten versuchen, das Große Schiff zu entern. »Wer geht?« fragte Cliff. Gleichzeitig mit den anderen drei Männern hob auch er die Hand. Dann sah e r sich um und grinste. »Wir werden es auslosen müssen«, sagte er. – 53 –
Mario zuckte mit den Schultern, aber dieses merkwürdige Funkeln ging nicht aus seinen Augen. »Einverstanden. Wir nehmen den Digitalrechner, programmieren vier Kennwörter und lassen die Maschine eine Minute lang drucken, mit zugeschaltetem Zufallszahlengenerator. Das ergibt eine hübsche Menge von Namen, die dann addiert werden. Wer die meisten Namen hat, geht. Klar?« Hasso dachte darüber nach, ob es bei diesem System für Mario eine Möglichkeit gab, den Digitalrechner zu seinen Gunsten zu schalten, mußte es aber verneinen. E r stand auf und deutete mit dem Daumen zur Tür. »Gehen wir!« sagte er. Cliff, Hasso, Mario und Atan fuhren hinauf in die Kommandokanzel, während die beiden Mädchen in der Kombüse zurückblieben und sich fast betroffen ansahen. Helga legte tröstend ihre Hand auf Ishmees Arm und sagte leise: »Daran wirst du dich gewöhnen müssen Sie sind wie die Jagdhunde, wenn sie einmal eine Fährte aufgenommen haben.« Ishmee lächelte versonnen. »Aber im Gegensatz zu den Hunden hört man sie nicht. Sie bellen nicht.« Voller Ernst erwiderte Helga: »Wenn es kritisch wird, beißen sie aber. Und wehe dem, der zwischen ihre Kiefer gerät.« Die vier Männer umstanden den Analogschirm, und dann setzte sich Mario entschlossen hin, schaltete die Maschinerie ein und sagte: »Mein Kodewort ist Yodo.« Cliff sagte in das Rattern der Tasten hinein: »Ashe.« Atan blieb bei Atan, und Hasso sagte endlich: »Düül!« »Komisch!« knurrte Mario und druckte die vier Buchstabengruppen aus. Dann schaltete er den Zufallszahlengenerator ein, stellte die Dauer des Schreibevorgangs auf sechzig Sekunden ein, schob das selten benutzte Programm ein und ließ seinen Finger über dem Startknopf schweben. »Bereit, Männer?«
»Bereit!« sagte Cliff und grinste.
Der Knopf wurde gedrückt, und die Maschine wiederholte gehorsam in
wahnsinniger Eile die vier Buchstabengruppen. Sie schrieb sie hintereinander aus, wechselte sie in einem nicht zu identifizierenden Rhythmus ab, und der breite Papierstreifen faltete sich in den Fangkorb ein. Die Minute verging unter dem hämmernden Rasseln des Schreibelements, und die Spannung kletterte in den Männern. »Ende!« sagte Mario und deutete auf die Taste.
»Ich drücke jetzt die Additionstaste.«
Auf dem Schirm erschienen binnen Sekunden die Buchstabengruppen und
dahinter die Zahlen. Atan 2401
Düül 2703
Ashe 0998
Yodo 3898
Mario drehte sich um und musterte seine Partner. – 54 –
»Und dabei ist alles mit rechten Dingen zugegangen. Wir alle verstehen genug von einem Digitalrechner, um dies zu wissen. Ich werde mich also todesmutig in das fremde Schiff stürzen.« Mit unbewegter Miene erwiderte der Kommandant: »Und wenn du dich zu dem großen Unternehmen rüstest, Mario, vermeide es bitte, in der Nähe von Ishmee vorbeizukommen.« Mario tat erstaunt. »Warum?« Unter dem Gelächter der anderen sagte Cliff: »Weil Ishmee in der Lage ist, festzustellen, wann jemand lügt und wann nicht.« Mario schaltete schweigend den Digitalrechner aus, stand ebenso schweigend auf und fuhr lautlos nach unten, um sich anzuziehen. Die anderen Männer verteilten sich auf ihre Plätze und stellten bereit, was der Einsatz verlangte. Zehn Minuten später bremste die ORION VIII in unmittelbarer Nähe des Großen Schiffes ab, war aber aus einem anderen Winkel gekommen als die LANCET und die KAPELLA. Vor dem Schiff war die Kugel – silberglänzend, riesig und kalt in ihrer reflektierenden Haut. Cliff konnte sich nicht von dem Bild losreißen. »Eine erste Schätzung«, sagte Atan. »Dieser silberne oder stählerne Mond ist mindestens fünfzehnhundert Meter im Durchmesser.« Die ORION durchmaß fünfzig Meter. »Eineinhalb Kilometer!« sagte Mario, der im schweren Raumanzug, das Rückstoßaggregat befestigt, eben die Kommandokanzel betrat. »Fertig, mein Freund?« fragte Cliff. »Ja. Kamera und Scheinwerfer liegen unten in der Zentralschleuse.« Cliff ließ die ORION sehr langsam in die Nähe des Loches treiben, das zwar im vollen Sonnenlicht lag, aber dessen Innenraum nichts anderes zeigte als tiefes Schwarz. Die Kante des Schiffes war nur noch wenige Meter von der Öffnung des Großes Schiffes entfernt, und wie eine riesenhafte Mauer oder eine Felswand ragte die silbernschimmernde, vielfach gebrochene Fläche des stählernen Mondes auf allen Seiten über den Bildrand hinaus. »Hasso, ich übergebe dir das Schiff. Bitte halte es, so gut du kannst, auf dieser Position. Ich bleibe mit Mario und dir per Funk verbunden, das Logbuch schreibt mit, und die Bilder aus Marios Kamera werden auf den Testschirm hier«, er deutete auf den Schirm, der schon die LANCET-Aufnahmen gezeigt hatte, »und auf einen kleinen tragbaren Monitor in der Schleuse übertragen. Ich ziehe mir jetzt den Anzug an.« Helga sagte: »Viel Glück, Cliff!« »Danke, Mädchen. Wir werden es brauchen. Hoffentlich nicht zuviel.« Ishmee saß schweigend in dem Sessel neben der Funkerin und sah den beiden Männern nach, die mit dem Lift nach unten fuhren. Cliff zog sich den leichten Schutzanzug über, kontrollierte die Versorgung und kletterte mit Mario zusammen in die Schleuse. Mario grinste und befestigte den tragbaren Scheinwerfer an dem breiten Instrumentengürtel. »Die Nacht, in der wir in der ORION das Große Schiff betraten«, sagte er kurz. – 55 –
Cliff drehte die Flügelschrauben fest, mit denen der Monitor und der große Scheinwerfer neben der Schleusenöffnung angebracht waren. »Was wir für die Erde erleben, zahlen wir mit unserer Einsatzbereitschaft. Ist die Funkverbindung klar, Helgamädchen?« Die Antwort kam durch die gepolsterten Kopfhörer in Cliffs und Marios Raumhelm. »Logbuch nimmt auf, ich höre, und die BSA ist aufgeschaltet. Alles klar.« »Danke.« Mario und Cliff sahen sich durch das transparente Material der Helmscheiben an. Dann nickten sie. »Los!« Der Zentrallift fuhr nach unten aus und hielt an, als er die Weite von zehn Metern erreicht hatte. Aufmerksam beobachteten die ORION-Leute das Spiel der Leuchtanzeigen, dann drückte Cliff den Schalter. Die Schleusentür rollte langsam auf, die Verbindung zum Schiffsinnern war dicht. Der Monitor erwachte zum Leben, als Mario die kleine Kamera einschaltete. Vor ihnen: der leere Weltraum. »Hasso! Drehe das Schiff langsam um die Zentralachse. Die Schleuse ist nicht zum Fremden ausgerichtet.« »Verstanden.« Die ORION begann sich zu drehen, wie ein Kreisel, langsam und in steter Bewegung. Plötzlich wechselte die Dunkelheit des Alls in die silberne Helligkeit. Kurz bevor sich die Öffnung der ORION-Schleuse dem großen, runden Loch in der silbernen Wand gegenüber befand, sagte Cliff scharf: »Halt, Hasso!« Die Drehung des Raumschiffes schwang aus und hörte auf. Jetzt sah Cliff theoretisch genau ins Zentrum der Öffnung hinein – praktisch sah er nichts. »Gesundes Leben, tägliche Bewegung!« murmelte Mario und schwang sich, die Kamera in einer Hand und die andere Hand an der Steuerung des Anzugs, aus der Schleuse. Er war geradeaus gesprungen, jetzt zündete das winzige Triebwerk und schob ihn vorwärts, der Scheibe aus pechschwarzer Dunkelheit entgegen. »Für Stunden, in denen wir zittern«, knurrte Cliff und schaltete den schweren, beweglichen Scheinwerfer an. Ein breiter Balken aus Licht schnitt durch den Raum und wurde von der Schwärze absorbiert. Der Chefkybernetiker schwebte gerade entlang des Lichtes, einmal geriet er für kurze Zeit in den Kegel und verwandelte sich in ein Bündel weißer Reflexe. Cliff beobachtete den Monitor, der nichts zeigte außer dem, was er mit den eigenen Augen sah und dem Scheinwerfer. Langsam gewöhnten sich die Augen an die grellen Unterschiede zwischen Weiß und Schwarz; es gab keine Grauabstufungen. »Das Schönste an diesen Raumanzügen ist«, sagte Mario über Funk, »daß man sich in ihnen wohlfühlt und trotzdem korrekt aussieht.« Cliff kannte dieses Syndrom; es war der Versuch, in Momenten höchster Spannung sich durch unpassende Bemerkungen, weitab des Themas, abzureagieren. Er grinste in seinem Raumhelm und erwiderte: »Wie weit bist du?« »De Monti macht den großen Flug«, erwiderte Mario. »Ich schwebe gerade über der Schnittlinie. Hier ist es dunkel, Chef.« – 56 –
Cliff sah geradeaus die Umrisse von riesigen Rampen, Plattformen und Verstrebungen. Mehr konnte er nicht erkennen, aber als Mario seinen Gürtelscheinwerfer anknipste und die Fernsehkamera in die Richtung des Lichtkegels drehte, erschienen die ersten Bilder auf dem Monitor und, stark vergrößert, auch oben in der Kommandokanzel. »Tadellos, Cliff. Gut so, Mario!« sagte Hasso. »Besonders geeignet für todesmutige Raumfahrer«, witzelte Mario. »Das scheint hier eine Art Start- oder Landeeinrichtung zu sein. Ich sehe, wenn ich mich umdrehe, keine Möglichkeit, dieses riesige Loch zu schließen. Es war also immer so, wie wir es vorfanden.« »Danke. Verstanden«, sagte Cliff. Mario schwieg jetzt und koppelte die Kamera mit dem Scheinwerfer zusammen. Er leuchtete, sich aus dem Strahl von Cliffs Scheinwerfer entfernend, nacheinander die einzelnen Passagen des Innenraumes aus. Das Verbindungsseil hing in lockeren Windungen zwischen den beiden Raumschiffen durch; dem Zwerg und dem eiskalt leuchtenden Giganten. Es gab dort Rampen, die zu rechteckigen Schleusentüren führten. Es gab Halterungen für Boote, die vermutlich rund oder wenigstens sehr abgerundet gewesen waren. Sie wurden vermutlich wie die LANCET von schweren Magneten gehalten. Beleuchtungskörper waren an den stählernen, glatten Wänden befestigt und blickten im Gegenlicht des Scheinwerfers wie tote Insekten ins Objektiv. »Das Große Schiff setzt neue Maßstäbe für die Raumfahrt«, sagte Mario. »Eine verwirrende Anlage.« Es gab Plattformen, die sich wie Terrassen aus Spannbeton aus den Wänden bogen und untereinander verbunden waren. Parallelen zu dem stählernen Turm und den gläsernen Labyrinthen der verschiedenen Kulturenreste boten sich geradezu an. Cliff ließ den Kegel des schweren Scheinwerfers leicht herumschwenken und erfaßte kurz den Ersten Offizier, der auf einer der Rampen stand und automatisch den Arm hob, als ihn das Licht traf. »Du kannst aufrecht stehen, Mario?« fragte Cliff. »Hier ist rund ein g Schwerkraft«, erwiderte Mario sofort. »Unser geheimnisvolles Schiff zeigt, was in seiner technischen Anlage steckt.« »Beispielsweise Rampen«, sagte Cliff. Mario leuchtete und filmte, während er kommentierte, was er sah und wohin er ging. »Ich bewege mich jetzt über eine Treppe hinauf, deren Stufen durchaus für uns Terraner eingerichtet sein könnten oder für eine Rasse, die uns sehr ähnlich ist. Noch immer einfache Schwerkraft.« Cliff konnte sich mit einiger Phantasie vorstellen, wie vor undenkbaren Zeiten die Raumfahrer dieses Schiffes über diese Stufen zu dem kugelähnlichen Beiboot gegangen waren, in der Beleuchtung der zahlreichen Scheinwerfer und ausgerichteten Betriebslampen. Mario kletterte aufwärts und blieb vor einem geschlossenen Schott stehen, filmte es lange und sagte dann: »Wie kommt man, bitte, hier hinein?«
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Cliff versuchte, das komplizierte Werk der Hebel, Gestänge und Verbindungen zu entwirren, das mit starken Schatten auf dem Monitor zu sehen war. Über Funk machte Hasso einen Vorschlag. »Hier Hasso. Mario?«
»Ich höre!«
»Wenn du den dritten Hebel von rechts unten nach vorn schiebst dann müßte sich
etwas tun.« »Raumfahrer! Astronauten! Forscher – zugreifen und ziehen!« erwiderte Mario und griff nach dem Hebel. Es war ein stabförmiges Werkstück mit einer Kugel an einem und einem schweren Keilstück am anderen Ende. Millimeterweise bewegte sich der Hebel. Als er sich um etwa zehn Grad gedreht hatte, schrie Mario heiser auf. Der Landeraum war voller Licht. Die Scheinwerfer und die Punktleuchten, nicht alle, aber genügend von ihnen, schalteten sich automatisch ein. Es war, als habe jemand darauf gewartet, bis Mario anklopfte, um die Beleuchtung der Haustür einzuschalten. »Halt, Mario!« sagte Cliff.
Mario ließ den Hebel los, als habe er einen elektrischen Schlag bekommen.
»Warum, Cliff?« fragte Hasso aus der Kommandokanzel.
»Weil wir die neue Generation der Raumfahrer darstellen. Hart, schnell und
wachsam. Hat jemand das Licht angeschaltet, oder war es etwas? Das sollten wir klären, ehe Mario noch einen Schritt weitergeht.« Ishmee sagte: »Cliff – ich kann euch helfen!« »Ja?« »Ich versuche schon seit einiger Zeit, innerhalb dieses Riesen irgendwelche Impulse festzustellen. Ich bin fast sicher. Drinnen lebt kein Dherrani oder Aashap mehr. Wenn Mario etwas findet, dann sind es nur zu Staub zerfallene Skelette. E r kann ruhig weitergehen.« Cliff hob die Hand, um sich die Stirn abzuwischen, aber der Handschuh schlug gegen die Scheibe des Raumhelms und erzeugte in den Funkgeräten ein dumpfes Krachen. »Was war das?«
Cliff erwiderte schnell:
»Ich habe gegen meine Stirn geschlagen. Ishmee?«
Sie atmete geräuschvoll ein.
»Ja?«
»Danke für den Hinweis. Du bist ein süßer Happen, Mädchen.«
»Verbindlichen Dank!« sagte sie wütend.
Cliff grinste und überlegte kurz, dann schaltete er den Scheinwerfer neben sich
aus und sagte zu Mario: »Öffne das Schott, aber gehe zur Seite. Vielleicht erschlägt dich der Mechanismus infolge der explosiven Dekompression.« »Ich entdeckte gerade die Vorteile einer neuen Wagemut-KlugheitKombination«, antwortete Mario de Monti ruhig. »Ich stehe bereits in entsprechender Position.« Er zerrte weiter an dem Hebel. – 58 –
»Ein Hebel, von dem man nicht mehr wegkommt!« kommentierte Shubashi, der dicht vor dem großen Schirm saß. Er kroch förmlich in das Bild hinein und sah zu, was Mario unternahm. Der Hebel bewegte sich nur langsam. Mario mußte seine ganze Kraft aufwenden, und es wäre unmöglich gewesen, in der Schwerelosigkeit den Hebel zu drehen. Wo aber Maschinen liefen, die künstliche Schwerkraft erzeugten, wo es eine Schaltung gab, die bei einer bestimmten Hebelstellung das Licht dieses metallenen Landeplatzes einschaltete – wenn auch viele der Scheinwerfer im Laufe von zehn Jahrtausenden ausgefallen waren –, dort konnte es noch andere Überraschungen geben. »Fangen wir das Leben ein«, sagte Mario. »Achtung!« Der Hebel schlug an. Mario zog sich zurück, und die Tür schob sich langsam auf. Jetzt sah er, daß die von einem starken hydraulischen Federelement gehalten und abgebremst wurde; die Luft, die in dem dahinterliegenden Raum gewesen war, entwich in einer weißen Wolke, die sich sofort auflöste. Cliff fühlte plötzlich eine große Erleichterung. Er warf einen Blick auf das Halteseil, dann lehnte er sich gegen die Wand der kleinen Schleuse und musterte die neuen Bilder auf dem Monitor. Auch hinter dem Schott, einer runden Platte von etwa vier Metern Durchmesser, die unten auf dem Niveau der Plattform abgeschnitten war, brannten jetzt einzelne Beleuchtungskörper. Sie waren kleine Vierecke in der Decke. An den Wänden liefen Leitungen mit schweren Isolationen und Röhren entlang, mächtige Schalter, die abgegriffen waren – das Schiff wurde damals wirklich für eine Ewigkeit gebaut. Mario filmte alles, dann trat er vor und sagte halblaut: »Die Luft entweicht, und Mario de Monti kommt.« Er ging in den Korridor hinein. »Der Korridor ist eine Schleuse, die ungefähr hundert Menschen faßt«, sagte er dann. »Einige schwere Türen zweigen hier ab. Soll ich sie öffnen?« Cliff dachte langsam und methodisch und versuchte sich vorzustellen, was ein heimkehrender Raumfahrer wohl tun würde, und er kam zu einem Entschluß. »Nein. Gehe geradeaus weiter, Mario. Und nach genau dreißig Minuten kommst du wieder zurück.« »Gut. Kröne den Tag mit einer neuen Entdeckung!« erwiderte der Chefkybernetiker und ging geradeaus, bis er an ein anderes Schott stieß. »Noch fünfundzwanzig Minuten, Mario.« »Ich verstehe.« Langsam ging der Erste Offizier vorwärts. Die Welt, die er jetzt betrat, war grundsätzlich neu, aber nicht so verwirrend, daß er atemlos hätte staunen müssen. Einige bemerkenswerte Dinge waren bald deutlich zu erkennen: Das Schiff war wirklich für eine sehr lange Zeit gebaut. Jeder Schalter und jede Leitung waren doppelt angebracht. Es gab nur sehr wenige bewegliche Teile, und diese waren derart stark und dauerhaft gebaut, daß es Mario und seine Freunde, die seinen Weg auf den beiden Schirmen verfolgten, nicht wunderte, daß dieses Schiff noch in Teilen funktionierte. Es gab noch versiegelte Schalter. Das bedeutete, daß die erste Ausführung sich während der Zeit von zehn Jahrtausenden nicht abgenützt hatte. – 59 –
Überall sprangen die Lichter an. Marios Luftdruckmesser zeigte in einigen kleineren Räumen ein deutliches Phänomen: »Cliff! Eine wichtige Beobachtung!« »Ich höre zu, Mario. Zwanzig Minuten.« »Ich habe eben diesen Raum betreten und hinter mir die kleine Schleuse geschlossen. Die Dichtleisten sind übrigens nicht aus einem federnden Material, sondern die Türen sind so genau gearbeitet, daß sie völlig plan schließen. Diese Dichtstreifen sind aus einer Art von biegsamem Metall. Ich kann natürlich keine Analyse machen. Und... ich bin jetzt drei Minuten hier. In dieser Zeit ist der Zeiger des Luftdruckmessers gewandert. Im Augenblick herrscht ein Druck von Null Komma sechs Atmosphären.« »Sieh nach der Wärme!« »Die Luft ist etwa fünfzehn Grad warm, Cliff.« Also wurden beim Betreten eines Raumes automatisch die üblichen Druckverhältnisse und die benötigte Wärme hergestellt. Die Teile des Schiffes, die jene langen Jahre unbeschädigt überstanden hatten, schienen zahlreicher zu sein, als man annehmen durfte. »Wie oft ist das schon passiert?« »Viermal!« Mario ging hier durch Räume, die hauptsächlich als Aufenthaltsräume gedient haben mochten. Sie besaßen eine technische Einrichtung, deren Funktion nur teilweise zu erkennen war, und sämtliche Maße waren durchaus menschenähnlich; Sitze und Tische, Arbeitspulte und Bedienungselemente. Leere, aber kleine Lagerräume lösten die Aufenthaltsbezirke ab. Dann wieder Korridore, deren eingebaute Schränke und Fächer leer waren. Die ausgesiedelten Dherrani hatten alles mitgenommen, was sie zum Bau einer neuen Kultur und zum Überleben der ersten Jahre gebraucht hatten – und doch gab es kaum mehr welche von ihnen. Die Sitze waren ohne weiche Einlagen und zeigten nur die Metallkonstruktionen. Schließlich, nach einigen Kurven, Ecken und weiteren Schleusen, erreichte Mario de Monti einen kleinen, runden Raum, dessen eine Wand einen Kreis aus Glas zu enthalten schien. »Das Licht ist aufgeflammt, dann aber erhellten sich einzelne Uhren und Skalen, und die Raumbeleuchtung wurde wieder gedrosselt. Dafür wird diese gläserne Fläche durchsichtiger und durchsichtiger... Cliff! Ich kann die ORION sehen. Sie treibt direkt links von mir.« »Verstanden!« sagte Cliff und schaltete den Scheinwerfer wieder ein. Der spitzgefächerte Strahl schwenkte herum und berührte den Rand des Loches, glitt weiter und hielt an. »Getroffen!« stellte Mario fest. »Das Licht blendet mich.« »Ausgezeichnet«, antwortete der Kommandant. »Ich finde, du hast deinen Spaziergang lange genug ausgedehnt. Los, zurück ins Schiff!« »Einverstanden.« Mario de Monti ging langsam aus dem Beobachtungsraum hinaus, durch die kleinen leeren Räume und über die Korridore. Dann schloß er die Schleuse hinter sich und hakte das Ende des Halteseils wieder an den Gürtel. Mario stellte sich in – 60 –
Positur, legte seine Hand auf die Steuerung und warf sich dann vorwärts. Gleichzeitig mit dem Zünden des Triebwerks begann der Kommandant die Leine einzuholen. Mario drehte sich, als er der ORION-Schleuse nahe genug gekommen war, auf den Rücken und riß kurz am Seil, überschlug sich und bremste im richtigen Moment seine Geschwindigkeit ab. »Herzlich willkommen«, sagte Cliff. »Wir bauen an der Welt von Morgen.«
Mario grinste ihn hinter der Scheibe erleichtert an und erwiderte:
»Mit einem Schiff von gestern.«
Sie verstauten die Gegenstände, schlossen die Schleuse und warteten auf den
Luftaustausch. Dann rissen sie sich gegenseitig die Helme herunter und fuhren hinauf ins Schiff. »Gut gemacht, Mario!« sagte Cliff mit Nachdruck. Die Männer zogen sich im Ringkorridor aus und verstauten die Anzüge. Dann fuhren sie mit dem kleinen Lift in den Kommandoraum. »Tadellos, Mario! Deine Schwindelei hat Sinn gehabt. Du warst großartig!«
Mario sagte wegwerfend:
»Von Qualität reden wir nicht lange – wir garantieren dafür!«
Ishmee sah ihn kopfschüttelnd an und fragte sich so laut, daß jeder ihre Worte
verstehen konnte: »Ich weiß nicht, was ich an dir mehr bewundern soll, Mario. Deine Kaltblütigkeit oder deinen Hang zu offensichtlichen Lügen!« Mario legte den Arm um sie und sagte lachend: »Bewundere meine Kaltblütigkeit, du süßer Happen. Freundin von Go-go-Cliff!« Cliff lehnte sich gegen das Funkpult und sah von einem zum anderen. Dann seufzte er erleichtert und meinte halblaut: »Ich brauche niemandem mehr zu sagen, was wir gefunden haben. Das Große Schiff ist leer. Es wartet auf Menschen. Auf uns. Die KAPELLA und die LANCET waren leer, und wir sind die Erben der Dherrani. Nach einer kurzen Pause werde ich die ORION in diesen offenen Hangar steuern.« Helga klopfte gegen die Uhren des Funkpults und erwiderte schnell:
»Tapfer sein allein genügt oft nicht, Cliff. Tue mehr für die ORION. Informiere
unseren Chef.« Cliff nickte. »Auch das, Helgamädchen – nach einer Pause.« Diese Pause hatten sie sich verdient. * »Natürlich ist es vollendeter Unfug«, sagte Cliff und deutete auf den eingeschalteten Zentralschirm, »auch nur annehmen zu wollen, daß wir allein in der Lage sind, mehr als einen winzigen Teil des Schiffes zu enträtseln. Dazu brauchen wir Tausende.« »Wissenschaftler, Techniker, Historiker und Turceed«, bestätigte der Astrogator.
»Und viel Zeit.«
Cliff überließ die Berechnung des Kubikraumes einer Kugel von eineinhalb
Kilometern Durchmesser dem Astrogator. Er wußte nur eines – dieses Schiff war nicht für Landungen auf einem Planeten gebaut. Erstens würde es den Landegrund – 61 –
verwüsten, und zweitens war die Statik so bemessen, daß sich die Kugel in ein Ding verwandeln würde, das einem dünnen Luftballon voller Wasser glich, den man auf eine Tischplatte legte. »Wir werden in Zweimanngruppen kleine Vorstöße unternehmen«, schlug Hasso vor. »Das ist sicherer und für uns eine Kleinigkeit. Damit ebnen wir den nachkommenden GSD-Leuten und den Technikern den Weg. Wir können Schilder malen: Zum Kommandoraum, vierter Stock, links, Zimmer D 2563. Oder ähnlich.« »Ich bewundere deine konstruktive Phantasie, Hasso«, sagte der Kommandant. »Aber genau das werden wir tun. – Helga!« »Oberst McLane?« »Bitte ein Gespräch mit Wamsler. Bildfunk, sofern keine Störungen auftreten.« Helga drehte ihren Sessel und begann zu arbeiten. »Selbstverständlich.« Minuten später sagte das Mädchen in Wamslers Vorzimmer, die durch einen Schaltfehler kurz zu sehen war: »ORION für Marschall Wamsler, bitte.« Atan grinste und rief laut: »Wamsler für Männer, die für jedes Abenteuer zu haben sind!« Im gleichen Moment erschien der Marschall auf dem Bildschirm, und sein Gesicht sah nach einem Vierteljahr Gewitter aus. »Haben Sie etwas gefunden, Oberst McLane?« fragte er streng dienstlich. »Ja!« sagte Cliff und berichtete ihm alles.
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6
Sie gingen, beinahe vergleichbar mit Ameisen auf dem Boden eines Großbüros, durch eine Halle, die unter ihren Schritten erwachte. Die Unterarme der Raumanzüge waren mit Meßinstrumenten gespickt, und das Geräusch der Schritte wurde lauter und lauter, je mehr Gas in den Raum gepumpt wurde. »Es hat wirklich den Eindruck, daß dieses Schiff nur auf uns gewartet hat«, sagte Cliff zu Hasso. »Nicht auf uns«, erwiderte der Bordingenieur, der aufmerksam die Wände und den Boden betrachtete, »sondern auf Lebewesen, die aussehen und sich benehmen wie die legendären Dherrani.« »Du hast recht, Hasso. Auf die Erben.« Jetzt hallten ihre Schritte, und seit dreißig Minuten gingen sie geradeaus in das Schiff hinein. Hier, genau auf der Ebene, die dem Äquator entsprach, schien sich vor Zeiten ein gewaltiges Lager befunden zu haben. Jetzt waren nicht einmal mehr Spuren vorhanden. »Ihre Erben aber konnten sich die Dherrani nicht aussuchen«, sagte Cliff sehr skeptisch. Hasso erwiderte: »Aber die Art, in der sie sich bewegen. Ich bin sicher, daß andere Rassen hier von irgendwelchen Maschinen, Geschützen, Sperren oder ähnlichen Dingen zurückgeworfen worden wären.« Die zwei Männer waren jetzt in der Mitte dieser Halle. Ob dies zugleich die Mitte des Schiffes war, konnten sie nicht sagen. Cliff bückte sich und zog mit der dicken Spezialkreide einen Strich und machte daraus einen Pfeil. Die Kreide war fettunterlegt und orangenfarben, und in der Dunkelheit leuchteten gebundene Phosphorpartikeln darin. »Hier. Ein Bedienungselement«, sagte Hasso und deutete zwei Meter weiter auf eine Vertiefung des Bodens, in der einige wuchtige Schalter zu sehen waren. Cliff malte einen Kreis darum. »He! Das ist ein Lastenlift, Kommandant!« murmelte Hasso überrascht. Mit einem schnellen, entschlossenen Ruck hatte Cliff den Hebel umgelegt und richtete sich jetzt auf, angespannt und wachsam. Was würde passieren? Durch die metallenen Bodenplatten ging ein leichtes Vibrieren, dann senkte sich die Platte um etwa einen Meter. Ein Kreis mit rund zwanzig Metern Durchmesser senkte sich ab und hielt wieder an, sehr vorsichtig, aber so, als würden die Maschinen sich erst freilaufen müssen. Ein Licht kam von links, und die Männer fuhren herum. »Bedienungstafel!« In einer der breiten Führungslinien waren fünfzehn glühende Scheiben angebracht. Das konnte nichts anderes sein als eine Tastatur, die wie die Bedienungsknöpfe eines Lifts wirkte. Cliff drückte den untersten Knopf hinein. »Bewegung ist Leben«, sagte er lakonisch. »Wir leben, als bewegen wir uns.« Die Plattform setzte sich in Bewegung. Zuerst zitterte sie etwas, dann wurden die Schwingungen höherfrequent. Schließlich ging die ruckende Bewegung in ein sanftes Gleiten über.
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»Wenn wir richtig überlegt haben, müßten wir eine Distanz von rund siebenhundert Meter überwinden und auf der untersten Polgegend der Kugel ankommen«, sagte der Kommandant. »Wir werden die Maschinen sehen!« »Möglich.« Der Lift glitt jetzt fast geräuschlos abwärts. Auf der Erde hatte Wamsler unter strengster Geheimhaltung eine Expertenkommission zusammengerufen, einige besonders fähige Kommandanten zu sich gebeten und ihnen geschildert, welcher Aufgabe sie die Männer entgegenflogen. Er hatte ihnen die Beobachtungen der ORION-Crew wiederholt, und man hatte erkennen müssen, daß es in der 900-Parsek-Kugel Dinge gab, zu denen man bisher keine Beziehung gehabt hatte. Inzwischen waren zwanzig Raumschiffe mit ihren Mannschaften und Gästen an Bord unterwegs zum Großen Schiff. »Bisher noch keine einzige Schrift entdeckt, Hasso!« beklagte sich Cliff. Der Ingenieur schüttelte den Kopf unter der durchsichtigen Fläche und erwiderte lächelnd: »Und somit keinen Grund, Ishmee einzusetzen. Sie sitzt neben Helga und dreht die Daumen.« Cliff war damit beschäftigt, zwischen den einzelnen Decks etwas zu entdecken, was ihn interessierte, aber alles, was er sehen konnte, waren einzelne schattenhafte Formen. Er konnte nicht sagen, was sich dahinter verbarg. »Lydia kommt auch«, sagte er zusammenhanglos. »Wer kommt?« erkundigte sich Sigbjörnson. »Lydia!« rief Cliff, erinnerte sich schlagartig, daß man an Bord des Schiffes mithören konnte und wechselte schnell den Funkkanal. »Lydia van Dyke!« sagte er. »Ein fester Bestandteil meiner Vergangenheit!« Hasso zuckte die Achseln und sagte: »Sobald man einmal zehn Jahre alt ist, hat man automatisch Vergangenheit. Ich werde dieses Problem für dich lösen. Glaubst du, daß Ishmee...?« Cliff blickte auf die Leuchtanzeige und sah, daß nur noch drei Ebenen sie von der Polgegend trennten. »Nein!« erwiderte er scharf. »Ich habe es getestet. Ishmee wird zwar wissen, daß ich an jemanden denke, der mir einmal irrsinnig sympathisch war, aber ihre Fähigkeit geht nicht so weit, daß sie den Namen desjenigen erfahren kann.« »Derjenigen«, korrigierte Hasso mild. »Auch richtig. Wir sind gleich da.« Nach ungefähr sechzig Sekunden hielt der Lift, und als Licht aufflammte, sahen die beiden Männer acht Rampen, die hier ihren Anfang nahmen. Sie führten schräg aufwärts, irgendwohin, und sie waren von mildem, gelbem Licht erfüllt. Hasso lachte auf, etwas verzweifelt, und sagte laut: »Springen wir hinein in die Geheimnisse des Großen Schiffes. Welchen Aufgang wählen Sie, mein Herr?« Cliff verbeugte sich und erwiderte unschlüssig: »Euer Liebden mögen bestimmen. Ich folge.« Hasso schloß die Augen, drehte sich mehrmals und streckte dabei den Arm aus. Er schlug Cliff beinahe einmal zu Boden, dann blieb er stehen, deutete irgendwohin und öffnete die Augen wieder. »Dorthin. Eines ist so gut wie das andere.« – 64 –
Cliff grinste und ging neben Hasso auf diese Rampe zu. Er hielt den Handscheinwerfer fest, ohne ihn benützen zu müssen. Fast überall dort, wo sich die Männer aufgehalten hatten, war das Schiff erwacht. Licht, Luft und Wärme waren die Folgen gewesen. Von Luft mußten große Vorräte an Bord sein, Licht und Wärme konnten nur von sehr großen, soeben angelaufenen Maschinen erzeugt werden. Gab es Maschinen, die nach zehn Jahrtausenden dazu in der Lage waren? Woher wurde dies alles gesteuert? Fragen, nichts als Fragen. »Das ist die Rampe, die ich mir schon immer gewünscht habe«, sagte der Kommandant laut und lief schnell die Schrägfläche hoch. »Wieder ein Schritt nach vorn!« Sie vollendeten zwei Umrundungen, also zweimal dreihundertsechzig Grad, dann prallten sie gegen eine Glaswand. Sie schalteten die Scheinwerfer ein, suchten das Schott und fanden ein System parallel zueinander stehender Glasflächen, wie ein antikes Tempeltor mit Säulen von rechteckigem Grundriß. Hinter diesem Glas, aus dem auch die Einrichtung der Kugeln auf Nahoor bestanden haben mochte, herrschte das Dunkel. »Diesmal fehlt mir das ganze ORION-Gefühl!« knurrte Cliff. Er ging, durch die Breite einer Säule von Hasso getrennt, der Dunkelheit entgegen. Drei Schritte, vier... fünfzehn. Er blieb stehen und richtete den Lichtkegel nach oben, beschrieb mit seinem Handgelenk einen Kreis und sah das Licht durch eine watteähnliche, neblige Masse diffundieren. »Warte« flüsterte Hasso. Cliff schaltete probeweise den Handscheinwerfer aus und fühlte fast körperlich, wie ihn die Dunkelheit zugleich mit dem Nebel von allen Seiten einkesselte und ihm den Atem abzuschnüren drohte. Hoch über ihm erschien plötzlich ein winziger Lichtpunkt. Ein zweiter. Klein wie eine Stecknadel – nein, kleiner, aber von einer winzigen, harten Leuchtkraft. Mehrere, ganze Systeme, die sich zu runden Formationen gliederten. Cliff schloß die Augen und öffnete sie wieder und hörte den Ingenieur vor Schrecken keuchen, als stünde er ohne Raumanzug neben ihm. Was sich dort vor ihren Augen aus dem Nebel herauskristallisierte, waren die dreidimensionalen Projektionen winziger Milchstraßensysteme. Galaxien. Zehn, dreißig oder mehr. Der ehemals leere, dunkle Raum flirrte und flimmerte und ähnelte plötzlich dem All, das sie als Raumfahrer kannten. »Der intergalaktische Raum!« stellte Hasso fest und fluchte unterdrückt. »... und schifften sich ein nach den Inseln...«, deklamierte Cliff versonnen. Schließlich schien das Bild vollkommen zu sein. Es waren rund zweihundert Galaxien in den verschiedensten Formen. Feuerräder, Spiralen, offene und geschlossene Spiralen und Linsen, Diskusse und all die Zwischenformen. Sie drifteten unmerklich um ein Zentrum, das außerhalb dieses Raumes lag, und die Abstände zueinander waren verschieden groß. Cliff und Hasso standen da und konnten sich nicht rühren. »Ich werde wahnsinnig!« sagte schließlich Hasso. »Ein intergalaktisches Fahrzeug. Und ausgerechnet wir müssen es finden...« Cliff zwang sich zur Ruhe und sagte: »Drehe dein Funkgerät leiser, Hasso. In meinen Kopfhörern pfeift es.« Hasso schwieg einige Sekunden lang, aber das Pfeifen wurde lauter. Endlich antwortete er: – 65 –
»Das ist keine Übersteuerung, Cliff.« Das Pfeifen wurde lauter und veränderte laufend seine Tonhöhe. Als es in der Nähe von sechzehntausend Hertz angekommen war, gab es kurz ein stechendes Geräusch im Schädel, dann ertönten einige scharfe Töne, die elektronischer Musik ähnelten. Boiiing! Cliff drehte den Kopf und war versucht, die Finger in die Ohren zu stecken. Boiiing! Ein roter Punkt wuchs in einer der Milchstraßen, bewegte sich und raste plötzlich los wie ein Neutron. Der Punkt bewegte sich auf einer absoluten Kreisbahn von einer Galaxis zur anderen, durchraste diese und kehrte zurück, wurde schneller und schneller, und dann ging der Punkt in einen roten, feinen Streifen über, der konstant blieb. Das dauerte etwa dreißig Sekunden, dann verschwand das Lichtzeichen so plötzlich, wie es erschienen war. »Unsere Galaxis – hier!« Boiiing! Ein letzter Ton. Cliff stand direkt unter der heimatlichen Milchstraße. Er konnte die beiden Magellanschen Wolken sehen und den Halo, der die Milchstraße umgab. Der Kommandant und der Bordingenieur, in der Raumfahrt erfahrene Männer, waren von den Aspekten, die sich hier eröffneten, wie geblendet und unfähig, etwas Sinnvolles zu sagen. »Hasso?« Cliff hörte seine eigenen hastigen Atemzüge. »Ja?« »Gehen wir. Wir haben genug gesehen. Wenn ich noch eine Minute hier bleibe, kann ich für nichts mehr garantieren. Ich muß erst mit mir allein sein und über alles nachdenken.« »Einverstanden.« Sie gingen schweigend die Rampe wieder zurück, und Cliff malte, als sie unten angekommen waren, die Schriftzüge OBSERVATORIUM – INTERGALAKTISCHE PROJEKTIONEN an die Wand und zeichnete einen Pfeil, der nach oben wies. Schweigend stiegen sie auf die Plattform und setzten sie in Gang. Hasso murmelte plötzlich: »Weißt du, was das zu bedeuten hatte?« Cliff würgte etwas, das seine Kehle blockierte, mit Mühe hinunter und sagte: »Etwa.« »Das war der Weg, den die Dherrani gegangen sind. Sie kamen aus der bezeichneten Galaxis und rasten durch unsere hindurch. In Wirklichkeit ist die Gerade, die wir stets berechneten und kennen, ein Kreisausschnitt.« Cliff setzte sich auf den Boden und sah ohne viel Interesse zu, wie sich die Plattform nach oben bewegte. »Und weil neunhundert Parsek in diesem Kreis nur ein winziger Bruchteil eines Grades sind, erscheint uns die gekrümmte Strecke gerade. Ich verstehe – natürlich. Für heute habe ich genug von diesem Superschiff!« Die Plattform hielt an. – 66 –
Die Männer gingen nachdenklich und schweigend durch die verlassenen, leeren Gänge, unter dem Licht einer fremden Kultur, die es einmal fertiggebracht hatte, die Entfernung zwischen den Galaxien zu überbrücken und trotzdem, aufgesplittert auf viele Planeten, untergegangen war. »In diesem Zusammenhang«, begann Cliff, als er an diesen Punkt seiner Überlegungen gekommen war, »fällt mir noch etwas Wichtiges ein. Das sollten wir nicht übersehen.« »Ja?« Sie betraten den Korridor, den als erster Mario de Monti gesehen hatte, nachdem er den bewußten schweren Hebel gezogen hatte. Die kleine Schleuse nahm sie auf und entließ sie wieder in das Vakuum. Dreißig Meter vor ihnen schimmerte das Licht aus der Schleuse des Schiffes. »Dieses Große Schiff hat vermutlich im Zeitraum von zehntausend Jahren einen Kreis beendet. Wenn wir annehmen, daß es die gleiche Zeit gedauert hat, die Rassen auszusäen, wie, sie wieder einzusammeln...« Hasso verbesserte: »Oder zu versuchen, sie einzusammeln...« »... dann haben wir die Gewißheit, daß niemand mehr lebt außer dem einen Aashap und den Turceed, und uns, den Terranern, die aber nur Erben oder Nachfolger sind.« Hasso erwiderte, indem er hinter Cliff die Zentralschleuse zufahren ließ: »Ich bin überzeugt, Cliff, daß diese deine Gedanken und Überlegungen richtig sind.« Die schützende Hülle der ORION VIII nahm die Männer auf. * Drei Tage später: Die ORION-Crew war im Verlauf der zweiundsiebzig Stunden viele Male in das Große Schiff vorgestoßen. Mit farbigen Markierungen waren einzelne Wege bezeichnet worden – so zogen sich über Treppen, Rampen und Stege, durch Hallen oder kleinere Räume gewisse Pfade. Stück für Stück der verbliebenen Einrichtung war gesehen und teilweise erlebt worden. Vieles erkannten die Raumfahrer nicht, vieles würde selbst den Spezialisten der Erde lange rätselhaft bleiben. Nachdem kurz nach der Entdeckung des ›Observatoriums‹ das GSD-Schiff eingetroffen war, beteiligten sich sieben Personen mehr an den Vorstößen. Ein seltsamer Zufall hatte Ishmee und Cliff hierher geführt. Hier, das bedeutete einen kugelförmigen Raum, der mit einer übermannshohen Röhre mit einer Zelle verbunden war. Drei Wände der Zelle bestanden aus glasabgedeckten Instrumenten und Leuchtanzeigen. Und – hier gab es zum erstenmal Buchstaben zu sehen, Wörter, Hinweise. »Es scheint ein Raum zu sein, der einer wichtigen Person an Bord dieses Schiffes gehört hatte«, sagte Cliff und verriegelte das Schott hinter sich. »Ich sehe nach, ob ich etwas finde, das übersetzt werden kann«, erwiderte Ishmee. Im unteren Drittel des Kugelraumes befand sich eine Platte, die aus dem durchsichtigen Glasmaterial bestand. In ihr waren einzelne Schaltungen und – 67 –
Leitungen eingegossen. Die Oberfläche war fein gerastert, so daß man ausgezeichnet gehen konnte. An der stark gerundeten Wand war, gegenüber dem Eingang, ein abgeschrägtes Pult angebracht, vor dem ein stählerner Sessel stand, dessen Sitzfläche eine dicke Staubschicht bedeckte. Während Cliff und Ishmee den Raum betrachteten, war die Beleuchtung dunkler geworden. Licht und Atemluft schufen einen Eindruck, der an die ORION erinnerte, aber die Wand, deren Aussehen sich laufend veränderte, machte diesen Eindruck wieder zunichte. Bis auf den Ausschnitt des verbindenden Ganges wurde der Wandbelag durchsichtig. Wenigstens gab es diesen Effekt. Einzelne Sterne tauchten auf, dann, nach wenigen Minuten, sah sich Cliff mitten in den Weltraum versetzt. »Ishmee!« Sie kam aus dem Verbindungsgang heraus und blieb stehen. Gedankenverloren klappte sie das Sichtvisier des Raumhelmes hoch. »Dieser Raum gehörte dem Kapitän«, sagte sie ruhig. »Genauer – zwei Kapitänen. Rodeen I und Rodeen II, Vater und Sohn.« Cliff sah zu, wie sie über den mattleuchtenden Steg näherkam und erinnerte sich an einzelne Zeilen des BUCHES der Turceed. »Das schien eine Art Kommandokanzel gewesen zu sein«, sagte er. »Kann das stimmen?« Ishmee studierte aufmerksam die Beschriftungen des Pultes. »Ja. Das ist es«, sagte sie. »Hier stehen die Bezeichnungen der einzelnen Schalter und Instrumente. Dort hinten, in der rechteckigen Zelle, befindet sich das, was Mario sein ›Eingabeelement‹ nennen würde.« »Wir werden später, mit Hilfe der Spezialisten, dies alles hier untersuchen«, erwiderte Cliff und öffnete ebenfalls seinen Raumhelm. Die Atemluft war kühl und sauerstoffreich, aber sie roch so, wie die Luft eines zehn Jahrtausende alten Schiffes riechen mußte. »Hier haben die Rodeens gearbeitet«, erklärte das Mädchen weiter. »Aber wo haben sie gewohnt?« Cliff deutete auf eine kreisrunde Aussparung im rechten Teil des Pultes. Dahinter waren die Sterne. Sie strahlten hell und bewegten sich nicht, aber Cliff sah links in einiger Entfernung den silberschimmernden Diskus des GSD-Schiffes regungslos schweben. Gerade jetzt wurde eine LANCET ausgeworfen, die Kurs auf die Metallkugel nahm. »Ich sehe nach.« Cliff setzte sich auf die harte Fläche des Sessels und sah zu, wie Ishmee den Text der Beschriftung studierte, die unterhalb der runden, einem Radarschirm ähnlichen Platte stand. Das Große Schiff schwebte weiterhin unbeweglich rund acht Lichtminuten von dem Planeten Gromaire entfernt und schien zu warten, ob nicht doch noch ein Raumschiff der Dherrani starten würde. Es mußten augenblicklich elektronische oder ähnlich arbeitende Bauteile in Betrieb sein, denn Cliff erinnerte sich an die Linsensysteme, die innerhalb des Hangars ausgefahren gewesen waren, und außerdem erforderte die Fernsteuerung von zwei Raumkörpern in einer langgestreckten Ellipse, die Ausrichtung der Zugkräfte, einfach eine solche Mechanik. »Was steht dort?« fragte er mürrisch. Ishmee erklärte: – 68 –
»Schiffsbeobachtung – innen.« »Aha!« murmelte Cliff. »Eine Art Fernseh-Videophon-Verbindung zwischen hier und den übrigen Räumen des Schiffes. Sicher sind sämtliche Gegengeräte ausgebaut und auf die diversen Planeten mitgenommen worden.« »Es käme auf einen Versuch an.« »Etwas riskant«, sagte Cliff. »Vielleicht...?« Er zögerte lange, dann drückte er den breiten Schalter unterhalb des Bildschirms in das Pult. Der Schirm erhellte sich zuckend, eine Serie von Störungen zog über die leicht konvex gebogene Scheibe, dann blieb die Fläche weiß. Ishmees Hand deutete auf vier Tasten unterhalb der Ein-Aus-Taste. »Das sind die Dherrani-Symbole für ›Zahl‹. Vielleicht funktioniert die Wahlapparatur ähnlich wie ein terranisches Videophon?« Cliff zuckte die Schultern. »Vielleicht. Nehmen wir einmal an, daß unsere Technologie einen vorläufigen Abschluß gefunden hat, wenigstens innerhalb bestimmter Grenzen. Dann wäre es richtig, die erste Taste fünfmal zu drücken, wenn man die Ziffer fünf wünscht.« Er drückte wahllos die einzelnen Tasten nieder, verschieden oft. Aber er merkte sich die Zahlen. 2-3-6-1. »Raum zweitausenddreihunderteinundsechzig«, sagte er leise. Auf dem Schirm erschien ein Modell der Kugel, das war auf einen Blick klar. Es war eine Zeichnung oder die perspektivische Analogprojektion eines Komputers. Die winzigen Räume zeigten sich so, wie sie von hier aus, also einem Platz an der Kugelaußenseite, aussehen mußten Perspektivisch verzerrt und in verschiedenen Farben. Hintereinander gestaffelt – es war ein Tohuwabohu aus Linien, Ecken, Farben und Helligkeiten. Ein Raum begann jetzt in einem kristallenen Licht zu blinken, dann löste sich die Projektion auf, und Cliff sah in den Raum hinein. Es war, durch einen blinden Zufall, der breite Korridor hinter der Schleuse, die Mario als erster betreten hatte. Cliff lachte kurz. »Warum lachst du?« fragte Ishmee. »Weil ich mir vorstelle, wie sich hier ein Technikerteam einnistet und sämtliche Kombinationen von 0001 bis 9999 ausprobiert und eine riesige Liste aufstellt. Die beiden Rodeens hatten die Nummern offensichtlich im Kopf.« »Offensichtlich.« Ishmee lehnte sich an das Pult und sah Cliff prüfend an. »Kommandant Cliff Allistair McLane?« fragte sie leise. Langsam drehte sich Cliff herum und erwiderte ihren Blick. »Ja?« Nach einem forschenden, schnellen Rundblick über die Sterne und die weitab liegende Sonne wandte sich Ishmee wieder dem Kommandanten zu. »Seit drei Tagen bewegen dich Gedanken, die mir nicht besonders gefallen. Diese Gedanken und Überlegungen sind, wenn ich es etwas überspitzt ausdrücken darf, die eines sehr unsicheren Mannes. Aus welchem Grund bist du derart unsicher, Cliff? Ich kenne dich anders seit unserer ersten Begegnung.« Cliff schüttelte leicht den Kopf und grinste ironisch.
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»Offensichtlich entspricht das, was du in den letzten Tagen merkst, nicht dem Idealbild des Raumfahrers: Männlich, gelassen, schnell und hart und was derlei Adjektive noch mehr sind. Leider kann ich diesem Standard nicht immer genügen. Seit drei Tagen kenne ich dieses Schiff, und seit der gleichen Zeit überlege ich, was die Folgen sein werden.« Ohne das Gesicht zu verziehen, fragte das schwarzhaarige Mädchen: »Was sind die Folgen des Großen Schiffes?« Cliff zog die schweren Handschuhe des Raumanzugs aus und warf sie achtlos auf das Pult. »Meiner Meinung nach sind die Folgen schwerwiegender, als wir alle heute denken. Bisher, von zwei oder mehr Ausnahmen abgesehen, sind die Grenzen der 900-Parsek-Raumkugel zugleich die Grenzen der Expansion. Die Erde hat diesen Raum nicht einmal richtig kartographiert, ganz davon zu schweigen, daß sie die erdähnlichen Planeten innerhalb dieser Kugel kennt. Siehe die jüngsten Beispiele. Wir fanden auf katalogisierten Planeten Dinge, die man einfach nicht hätte übersehen dürfen. Ab jetzt wird alles anders.« »Was meinst du damit, Cliff – genau?« Cliff deutete mit einer schnellen, wütenden Bewegung hinaus auf die Sterne. »Dieses Schiff ist die metallgewordene Versuchung. Es wurde dazu gebaut, zwischen den Galaxien zu verkehren. Es besteht die deutliche Gefahr, daß die Erde, noch ehe der Planet selbst richtig ausgebaut ist und alle die Dinge optimal gelöst sind, die noch anstehen, versuchen wird, eine andere Milchstraße zu besuchen. Und das ist nach Ansicht eines jeden, der den Weltraum einigermaßen gut kennt, die Gefahr daran. Maßlosigkeit, übertriebener Ehrgeiz, falsche Ansprüche – seit jeher negative Tugenden Terras, haben hier mit diesem Schiff den Anfang.« Cliff schwieg und starrte erbittert die Sterne an. Seit Jahren flog er zwischen den Sternen und kannte die Gefahren wie kaum ein anderer. Wenn die Erde ihren mühsam errungenen und noch mit viel mehr Mühe kontrollierten Raum verließ, würde die Aufbauarbeit in den Kolonien sinnlos gewesen sein. »Du scheinst nicht die beste Meinung von Terra und den Terranern zu haben«, sagte Ishmee zurückhaltend. »Es ist immer besser, die eigene Verwandtschaft zu kennen, als sich über sie zu viele Illusionen zu machen.« Cliff lächelte unbehaglich. »Kannst du etwas dagegen tun?« fragte Ishmee. Er breitete halb hilflos, halb nachdenklich die Arme aus. »Kann ich etwas dagegen tun?« fragte er sich. »Vielleicht?« Ishmee bemerkte ruhig: »In deinen Ausführungen der letzten Stunden taucht das Wort Vielleicht zu häufig auf. Hat das tiefere Gründe?« »Natürlich. Meine Unsicherheit angesichts der eben ausgeführten Gedanken und Überlegungen. Ob ich etwas tun kann – ich glaube, ja.« »Was?« »Ich werde versuchen, Wamsler, Villa, Kublai-Krim und die anderen mit einem Gleichnis zu überzeugen. Erst dann, wenn die eigene Stadt mit sicheren Mauern und entsprechend krisenfest ausgerüstet ist, kann man daran denken, Expeditionen
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auszurüsten. Und die Mauer um die 900-Parsek-Kugel ist löchrig wie ein grobmaschiges Sieb.« »Ich werde dir helfen«, versprach sie. Cliff griff nach ihrer Hand und streichelte sie. »Du? Wie soll das vor sich gehen?« Sie stemmte die Arme in die Seiten und sagte etwas lauter als bisher: »Von einigen deiner Vorgesetzten weiß ich es, von den anderen kann ich es nur ahnen. Aber sie sind überzeugt, daß die Turceed stets die absolute Wahrheit sagen. Wenn mehr als fünftausend Turceed sagen, daß dieses Schiff nicht, mit Terranern bemannt, den bisher überschaubaren Bereich verlassen soll, wird es ihnen zu denken geben. Meinst du nicht auch?« In Cliffs Antwort schwang ein leichtes Bedauern mit. »Es ist möglich, wenn auch etwas unwahrscheinlich, Ishmee. Trotzdem freut es mich rasend, daß du darüber nachdenkst.« Es war nicht so sehr die Furcht vor etwas Neuem, das in das Leben der Terraner und der wenigen autarken Kolonien eindringen würde, sondern die Angst, das mühsam errungene Alte, also die sinnvolle Synthese zwischen Expansionsdrang und freiwilliger Zurückhaltung, würde aufgegeben werden und ebenso verfallen wie die Dherrani-Kultur. Das zu beobachten, hatte McLane oft genug Gelegenheit gehabt. »Manchmal sind meine Gedanken wirklich nichts anderes als deine Gedanken, Cliff«, sagte Ishmee ruhig. Cliff stand auf und streifte langsam seine Handschuhe über. »Lassen wir für den Moment diese negativen Überlegungen«, sagte e r entschlossen und berührte das Scharnier des Raumhelmes. »Richtig. Was tun wir jetzt?« »Wir versuchen, mit Mario de Monti und Atan Shubashi zusammen die Elektronik oder eine andere -onik dieses Schiffes anzukurbeln. Vielleicht haben sie für uns eine kleine Begrüßungsrede oder ähnliche Überraschungen parat. Los, suchen wir den guten Mario!« Sie schlossen die Raumanzüge und gingen hinaus. * Als sie das Schott der Schleuse verschlossen und den entsprechenden Text an die runde, gewölbte Fläche geschrieben hatten, erwachte hinter ihnen ein winziger Block des Pultes. Es waren drei Bausteine, die seit Jahrtausenden unter Strom gehalten worden waren. Einer hatte festgestellt, daß gewärmte Atemluft in den Raum gepumpt wurde. Das setzte voraus, daß irgendwo ein anderes Schaltelement die Nähe von dherraniähnlichen Wesen festgestellt hatte. Der zweite Baustein registrierte die Ströme, die Cliff mit seinem Schalterdruck ausgelöst hatte. Der dritte Baustein aber war der wichtigste: Eine Membrane fing die gesprochenen Worte auf. Blitzschnell wurden die Schallschwingungen gespeichert. Dann öffnete ein anderes Relais einen Stromkreis, leitete Energie in einen winzigen Komputer, der – 71 –
zu arbeiten anfing. Die Arbeit bestand darin, daß nach vier verschiedenen Verfahren die aufgenommenen Sprachimpulse getestet wurden. Frequenzumfang. Lautstärke. Generelle Tonhöhe. Ähnlichkeit mit bestimmten Faktoren der Dherrani-Sprache. Innerhalb von dreißig Sekunden hatte die winzige Maschinerie herausgefunden, daß sich zwei Menschen, einer mit einer hellen und ein anderer mit einer dunkleren Stimme unterhalten hatten. Die Unterhaltung war in der normalen Tonhöhe und der gewohnten Lautstärke abgehalten worden. Die Ähnlichkeit mit Grundelementen der Dherranisprache war unverkennbar, wenn auch zahlenmäßig sehr begrenzt. Die Rechenmaschine verglich die neugewonnenen Daten mit den gespeicherten Sollwerten und rechnete, und dann kam sie zu einem Schluß. Die Besucher waren Nachfolger oder Erben der Dherrani, der Erbauer dieses Schiffes und der Überwachungsautomatik. Von da ab überstürzten sich die Ereignisse förmlich. Das Kodewort wurde gefunden und abgestrahlt. Gleichzeitig über unendlich viele Leitungen. Im Unterschiff, also in Sektoren rund um die untere Polgegend, liefen dröhnend die ersten Maschinen an Generatoren heulten auf und lieferten Energie. Turbinen saugten die Luft, die aus riesigen Vorratsbehältern stammte, an und heizten sie auf. Wärmeplatten begannen zu knistern, Lichter leuchteten auf, und es war, als würden unsichtbare Hände eine Wohnung säubern, die in wenigen Minuten ein Gast betreten würde. Wärme durchflutete auch die große Rechenmaschine des Schiffes. Sie begann zu arbeiten, und das Programm, das vor zehn Jahrtausenden eingespeist worden war, enthielt sämtliche Möglichkeiten. Das leere Schiff wurde binnen einer einzigen Stunde restlos kontrolliert. Die Rechenmaschine war überzeugt, daß die ehemaligen Herren und Besitzer zurückgekommen waren. Im siebenten Entfernungsbereich der Raumkugel schwebte das Große Schiff. Es war von technischem Leben erfüllt und bereit, jeden Wunsch, der in seinen Möglichkeiten lag und von den neuen Besitzern, den Nachfolgern oder den Erben ausgesprochen wurde, voll zu erfüllen. Dabei würde es keinen Unterschied machen zwischen einem Turceed, einem Terraner oder – einem Aashap. * Hasso Sigbjörnson sah von den provisorischen Plänen auf, die auf dem Zentralschirm in der ORION-Kanzel lagen und von handschriftlichen Eintragungen übersät waren. »Ich bin, trotz der üblichen dummen Reden, gegenüber allem sehr skeptisch, auch gegenüber den Gedanken, die Cliff seit seiner Kadettenzeit geäußert hat. Diesmal bin ich uneingeschränkt seiner Meinung. Das Schiff ist bereit, sich seinen neuen Herren unterzuordnen. Eine Metallmasse von der Größe eines großen Asteroiden ist aber keine LANCET. Die Gefahr ist die, von der Cliff gesprochen hat. Jeder der drei Rassen kann dieses Schiff mißbräuchlich benutzen.« Atan Shubashi schlug mit der Faust auf den Rand des Instrumentenpaneels und sagte erbittert: – 72 –
»Dieser GSD mit allen seinen Leuten wird es doch wohl fertigbringen, neben die wichtigsten Räume einen Doppelposten mit gezückter HM 4 aufzustellen. Oder sollte das nicht möglich sein?« »Kaum, Atan!« korrigierte Mario de Monti. »Warum nicht?« »Weil«, erklärte der Erste Offizier mit der Erfahrung, die er sich reichlich im Umgang mit terranischen Organisationen verschafft hatte, »nämlich in genau drei Tagen dieses Schiff sozusagen wimmeln wird. Bildhübsche Technikerinnen mit sämtlichen Arten von Aufzeichnungsgeräten, hagere Burschen vom GSD, Techniker und Wissenschaftler, Historiker und alles, was in diese Sparte fällt. Das Schiff wird voller Leben sein, voller Funksprechgeräte, voller rennender und schaltender, versuchender und testender Leute. Es kann sich Oberst Villa höchstpersönlich ins Schiff stellen und mit Argusaugen über alles wachen – Pannen sind nicht ausgeschlossen.« Helga Legrelle schob einen Teil der Pläne zur Seite und sah, was die Linsensätze an der Außenseite der ORION zeigten; es war der voll ausgeleuchtete Raumhangar des Großen Schiffes. »Vergeßt nicht; der Aashap hat die gleichen Chancen wie Ishmee oder Cliff.« Cliff lachte; es war ein Gelächter ohne eine Spur von Humor – ein Lachen am Rand der Hysterie. »Vergessen?« fragte Cliff und starrte Helga fassungslos an. »Vergessen? Ich? Das ist auf seine Art das Lustigste, was du seit langem gesagt hast. Weißt du, was ich tun werde?« Ruhig fragte Ishmee: »Was wirst du tun, Cliff?« Cliff stand auf und winkelte die Arme an, spreizte die Finger und sagte leise, fast heiser: »Ich werde mit Handscheinwerfer und Gasdruckwaffe, mit entsicherter HM 4 und angespannten Nerven durch das Schiff schleichen. Ich kenne das Gesicht eines Aashap ziemlich genau. Wenn ich ihn finde, wird es einen Kampf geben. Wenn er siegt, gehört ihm das Schiff, kann er über die Möglichkeiten dieses riesigen Schiffes verfügen.« Atan fragte: »Was würde er dann tun?« Ishmee erwiderte schnell: »Wir müssen umdenken, Freunde. Wir müssen versuchen, alles mit den Augen und, was noch wichtiger ist, mit dem Verstand des letzten Aashap zu sehen. Wir können nichts anderes tun als wachsam sein.« Cliff nickte grimmig. »Genau das werden wir tun.« Atan Shubashi sprach aus, was sie alle dachten. »Vermutlich wird das alles andere als einfach sein, Freunde.« Jetzt hatten sie noch Zeit, sich auf die kommenden Tage vorzubereiten. Wenn einmal die Schiffe angekommen waren, gab es zu viele Menschen; man würde keine Kontrolle mehr ausüben können. Unerwartet war aus dem aufregenden Fund eine neue Gefahren quelle geworden.
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7
Norman Sayer, der Leiter des Teams des Galaktischen Sicherheitsdienstes, blieb vor Cliff stehen und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Ich bin gern bereit, Oberst, mich mit Ihnen zu unterhalten. Aber ich muß Ihnen deutlich sagen, daß ich nicht alle Schiffe und in ihnen alle Besatzungen gleichzeitig kontrollieren kann. Immerhin haben wir genau zweiundzwanzig Schiffe hier an der silbernen Kugel.« Cliff blieb höflich, aber bestimmt. Er fragte relativ ruhig: »Wer hat die Leitung dieses Unternehmens offiziell übertragen bekommen, Leutnant?« Sayer preßte die Kiefer aufeinander und murmelte: »Sie, Oberst McLane.« Cliff erwiderte mit großer Gelassenheit: »Also frage ich Sie nochmals kraft meiner Autorität: Wo ist Skuard, der an Bord eines Schiffes war, hier aber offensichtlich nicht angekommen ist?« Der andere Mann zuckte die breiten Schultern. »Ich weiß es nicht!« »Denken Sie nach!« empfahl ihm Cliff. »Ich habe eben mit dem Commander des Schiffes ZENTAUR gesprochen. An Bord dieses Schnellen Kreuzers war eine gemischte Mannschaft von drei Historikerinnen und drei Historikern, deren Chef Skuard ist. Skuard selbst, Ishmees Bruder, war vom Start an in seiner Kabine und hat mit seinen Leuten zusammen an den Unterlagen gearbeitet. Zehn Minuten nach der Ankunft und nach dem Verankern auch dieses Schiffes hier im Außenhangar verschwand er.« Etwas ironisch fragte Sayer zurück: »Die Auswahl an Reisezielen ist für ihn relativ gering, Oberst. Er ist vermutlich im Schiff?« »Im Schiff? In welchem Schiff, Leutnant?« Sie standen beide in der ersten Schleuse, hatten die Sichtklappen der Helme hoch geschoben und diskutierten. Es war das eingetreten, was die Crew immer befürchtet hatte – die Aktion war unübersichtlich geworden. Zu viele Menschen, zu viele Bewegungen, die Kontrolle litt automatisch darunter. »Im Großen Schiff, Oberst.« Cliff sah auf die Uhr und meinte: »Ich werde jetzt einen kleinen Rundgang machen. In einer Stunde treffen wir uns im Steuerraum des Schiffes. Des Großen Schiffes. Bis dahin möchte ich von Ihnen oder von einem Ihrer Männer wissen, wo sich Skuard 8439 aufhält. Ist das klar?« Der Leutnant machte ein skeptisches Gesicht, erwiderte aber: »Wir alle werden tun, was wir können, Oberst McLane.« Cliff grinste kurz und empfahl ihm: »Versuchen Sie einmal ausnahmsweise, die Hälfte von dem, was Sie tun können, mehr zu tun!« Dann verließ er die Schleuse und ging den Korridor weiter vorwärts, bis er in den ersten rechteckigen Raum kam. Dort stand diskutierend eine Gruppe von Technikern, die ihre Geräte, Tische und Essensrationen ausgebreitet hatten. »Kommandant!« rief einer. – 74 –
Cliff blieb stehen.
»Ja?«
»Das ist ein Grundproblem. Wo sind die Toiletten?«
Cliff deutete nach rechts.
»Dort hinten. Folgen Sie den Pfeilen. Das Wasser im Schiff ist bereits getestet
worden: Es schmeckt scheußlich abgelagert, ist aber ohne Krankheitskeime.« »Danke!« Cliff ging weiter. Während er noch vor zwei Tagen versucht hatte, möglichst viele Geheimnisse und Bedienungsvorschriften des Schiffes kennenzulernen, konzentrierte er sich jetzt auf die Suche nach Möglichkeiten, wo sich jemand verstecken konnte. Und zwar so verstecken, daß er tagelang unsichtbar bleiben und von diesem Platz aus operieren konnte. Es ging schließlich um dieses Schiff und die Herrschaft darüber. Cliff ahnte zwar, daß die gleichen Gedanken den Turceed dazu gebracht hatten, schnell entschlossen einen ähnlichen Weg einzuschlagen, aber er wußte es nicht. Rätselhaft blieb, warum sich Skuard nicht wenigstens mit Ishmee in Verbindung gesetzt hatte. Ishmee! Das war das Stichwort!
Cliff blies sich das Haar aus der Stirn und bog den Arm an dann schaltete er das
Funkgerät an. »Hier McLane. Ich rufe Ishmee an Bord der ORION!« Es dauerte Sekunden, bis sich das Mädchen mit den goldfarbenen Augen meldete. »Cliff? Hier Ishmee.« »Hör zu, Liebling«, murmelte Cliff, der verloren in der Mitte eines riesigen leeren Lagerraumes stand, »diese Gabe, mit der du ständig meine Aufrichtigkeit testest – ist sie noch wirksam?« Ihr leises Lachen wurde hörbar, aber der winzige Lautsprecher verfälschte die Qualität. »Besser denn je, Kommandant!« »Etwas Ernstes. Bist du in der Lage, innerhalb des Großen Schiffes die Gedanken oder die Gefühlsausstrahlung deines sehr verehrten Herrn Bruders auszumachen?« »Ich glaube nicht, Cliff. Zu viele Menschen.« »Dann zieh einen Raumanzug an und versuche es im Schiff. Bis jetzt haben wir zwar noch keinen Raum entdeckt, in dem nicht Licht, Luft und Wärme wären, aber das Risiko ist noch zu groß. Wenn du etwas entdeckt hast, rufe zurück, ja?« »Selbstverständlich, Cliff.« Ein Knacken. Cliff sah wieder auf die Uhr. Man hatte sich sofort darauf geeinigt, innerhalb des Großen Schiffes die terranische Normalzeit gelten zu lassen. Trotz der vielen Menschen, die an allen Enden versuchten, die Mechanik und die Steuerung dieses Riesen zu begreifen, war das Schiff totenstill und verlassen. Eine überschlägige Schätzung hatte ergeben, daß dieses Schiff in der Lage war, mindestens hunderttausend Menschen zu transportieren, vorausgesetzt, es nahm während gewisser Halte Frischwasser, Luft und Nahrungsmittel auf. Und alle die Planeten, in deren Nähe es angehalten hatte, wirkten als gigantische Versorgungsdepots. Aber das alles würde man im Erinnerungssektor des monströsen Rechengehirns finden. Auch daran arbeiteten die Fachwissenschaftler. Noch fünfundfünfzig Minuten. – 75 –
Cliff ging weiter und durchquerte den Lagerraum, folgte einem Hinweispfeil, der von der Gruppe Helga-Atan angebracht worden war und gelangte in einen kleinen Lift, der ähnlich funktionierte wie der im stählernen Turm; Zahnschienen, Zahnräder und Motor, Führungsleisten für die Energiezufuhr. Cliff öffnete die Tür, als von links ein Lichtstrahl aufzuckte.
»Halt! Wer sind Sie?«
Cliff drehte sich herum, wurde kurz geblendet, dann senkte sich die Lampe.
»McLane. ORION!« sagte er laut.
Zwei GSD-Leute kamen näher und sahen ihn scharf an, erkannten die Uniform
und die glitzernden Punkte des Identifikationsschildes und waren beruhigt. Cliff fragte: »Wen suchen Sie – wenn Sie jemand suchen?« Einer der Männer räusperte sich und erklärte kurz: »Skuard. Und sonst passen wir auf und versuchen, uns jedes Gesicht zu merken. Das wird hier langsam unübersichtlich. Wohin fahren Sie, Kommandant?« Cliff erwiderte: »Nach oben, in die Werkstätten. Ich suche übrigens auch nach Skuard. Sollten Sie ihn treffen oder finden – er möchte sich sofort mit mir in Verbindung setzen, ja?« Die Männer gaben den Lifteingang frei. »Selbstverständlich, Oberst!« »Gut.« Cliff fuhr zwanzig Ebenen hinauf und hielt dann die zylindrische Kabine an. E r sprang hinaus und sah sich einer sehr großen, aber ziemlich niedrigen Halle gegenüber, die von dem Licht der Tiefstrahler und der zahlreichen Spezialbeleuchtungen an den Werkbänken, an den teilweise vollrobotischen Maschinen und an den Koordinationsplätzen in kreideweiße Helligkeit getaucht war. Auch hier arbeiteten viele Menschen; sie waren jetzt auch damit beschäftigt, provisorische Schaltungen herzustellen und den Weg des Energieflusses durch die zahlreichen durchsichtigen Blöcke zu verfolgen. Es gab ausgesprochen wenig bewegliche Teile. Das Schiff war das Beispiel dafür, daß der Versuch, Maschinen mehr als zehn Jahrtausende funktionsfähig zu halten, gelingen konnte. Eine Technikerin trat auf ihn zu und gab ihm einen Zettel.
»Sie sind Oberst McLane, nicht wahr?« fragte sie.
»In der Tat«, antwortete Cliff. »Ich bin es, fürchten Sie sich nicht:«
Das Mädchen lächelte ihn geschäftsmäßig an und winkte ihm.
»Kommen Sie bitte!« sagte sie.
»Gern. Wohin?«
Sie ging hüftenschwingend vor ihm her bis zu dem Platz vor einem Gerät, mit
dessen Hilfe man offensichtlich einen Teil der hier abgebrachten Maschinen kontrollieren konnte. Dort stand ein Ding, das Ähnlichkeit mit einem vollautomatischen Schreibgerät hatte. Aus dem Ausgabeschlitz sah ein Stück vergilbten Materials hervor wie uraltes Pergament. »Eben hat dieses Gerät hier zu rattern angefangen, Oberst. Noch keine drei Minuten her«, sagte das Mädchen. »Warum wurde ich nicht früher verständigt?« Sie zuckte die wohlgeformten Schultern unter der engen Arbeitskleidung und erwiderte trocken: – 76 –
»Lesen Sie, Kommandant!« Cliff riß das Blatt heraus und las es, beziehungsweise machte er den Versuch dazu. »Etwas farbschwach!« stellte er fest. Auch dieses Gerät war eben erst nach langer Zeit in Betrieb gesetzt worden. Jemand hatte die Gegenapparatur eingeschaltet und genau zehn Symbole geschrieben. Die Druckerschwärze, das Farbband oder die Chemikalie, die eine Schwarzfärbung der Lettern hervorrief, war ausgetrocknet oder verdunstet, aber die heftigen Einschläge waren sichtbar. Cliff hielt das Licht parallel zum Blatt und erkannte in den Schatten Buchstaben der Dherrani-Kultur, die er bereits mehrmals gesehen hatte. Wo? Er versuchte sich zu erinnern. Schließlich schlug die Erkenntnis förmlich ein. Skuard 8439 stand da – in den Buchstaben Dherranis. Cliff grinste das Mädchen flüchtig an und faltete den Zettel zusammen, der knisternd brach. »Skuard!« flüsterte er, als er den Raum wieder verließ. »Das ist ein Hinweis. Ich weiß schließlich, daß er Nummer achttausendvierhundertneununddreißig ist. Also befindet sich der Bursche doch an Bord.« Er ging zurück in den Lift und fuhr hinunter auf die Ebene, in der die meisten Menschen sein würden. Die Nummer! »Was bedeutet die Nummer?« fragte er sich. Sie mußte mit dem Schiff in Zusammenhang gebracht werden, sonst hätte der Turceed nicht diese Art der Verständigung gebraucht. Wo gab es solche Nummern? Cliff zuckte zusammen, als er sich die kugelförmige Kabine der beiden Rodeens ins Gedächtnis rief. Die Zahlenwählapparatur unterhalb der runden Scheibe. »Ausgezeichnet!« sagte er und fühlte direkt körperlich, wie seine leidlich gute Laune zurückkam. Mit Männern wie Skuard, die derart schnell arbeiteten, war es nicht schwer, den Versuch des Aashap vor der Ausführung zu verhindern. Minuten später scheuchte er fünf Komputerfachleute, drei Techniker und ein Mädchen, das das Protokoll aufnahm, aus dem Kugelraum. Er setzte die Videophonanlage in Betrieb und tippte die erste Taste achtmal, die zweite viermal und so fort. Das Bildschema begann an einer kleinen, runden Stelle auf der anderen Seite der Kugel zu blinken, schließlich kam der Raum auf den Schirm. »Skuard!« sagte Cliff überrascht. Der Turceed stand in seinem silbernen, inzwischen überholten und teilweise mit terranischen Aggregaten ausgestatteten Raumanzug mitten in einem kleinen, ebenfalls kugelförmigen Raum. »Cliff! Sei gegrüßt!« Der Turceed grinste breit – offensichtlich ging es ihm keineswegs schlecht. »Das sage ich aus guter Erfahrung«, erwiderte Cliff. »Ohne Grund hast du dich nicht so nachhaltig versteckt. Weißt du, daß dich zweiundzwanzig geschulte GSDMänner suchen?« Skuard kicherte kurz und sagte: »Du siehst, mit welchem Erfolg.« »Das sehe ich, ja. Was ist los?« – 77 –
Skuard schüttelte den Kopf und führte aus: »Erstens verrät mir deine kurze, aber erschrockene Begrüßung, wie sehr du mich vermißt hast. Zweitens grüße Schwesterchen schön von mir – bist du noch mit ihr zufrieden?« »Leidlich!« konterte der Kommandant vergnügt.
»Wenn nicht«, sagte Skuard, »dann sage es mir. Ich tausche sie um. Ich habe
noch mehrere nette Verwandte.« »Komme zur Sache«, sagte Cliff. »Was ist der Grund deines Verschwindens?« Wieder lachte Skuard. »Du kommst nicht auf das Naheliegende«, sagte er. »Ich habe seit deinem Abflug nach Thorson Lambda nichts anderes getan, als das Material aus dem Turm und aus den Kugeln zu sichten und die wenigen Dinge, die wir im hohlen Berg gefunden haben. Und dabei bin ich auf einige grundlegende Einsichten gekommen. Überall gibt es Geheimnisse. Und wenn dieses Schiff restlos untersucht sein wird, wird es immer noch Geheimnisse geben. Ich stehe in einem solchen Geheimnis, Cliff.« Der Oberst lachte heiser.
»Rodeen, ja?«
»Nein. Skuard IV«, sagte Skuard.
Cliff schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ich habe in den alten Büchern, Filmen, Unterlagen, Schilderungen und
Hinweisen gesucht und gefunden, daß der eigentliche Verantwortliche dieses langen Einsatzes ein Mann namens Skuard war. Der erste allerdings. Dieser Mann war überall und nirgends gleichzeitig Er fand in diesem Schiff ein System vor, das vollkommen versteckt neben den anderen Verbindungssystemen einherläuft. Diese Hinweise habe ich gefunden, beachtet und die Erkenntnisse sofort in die Tat umgesetzt. Erinnerst du dich an das Zeichen, das wir auf den Metalltafeln fanden?« Cliff erinnerte sich schlagartig.
»Den ausgefüllten Ring mit dem Stern daran?« fragte er.
»Richtig. Den meine ich. Aber... es tut mir leid, es dir sagen zu müssen: Der
überlebende Aashap kann diese Zeichen und dessen Bedeutung auch kennen. Deswegen habe ich mich versteckt. Wenn er versucht, sich ins Schiff zu schleichen, begibt er sich in ein Gebiet, das ich gerade teste. Ich bin hier besser als er. Bisher habe ich noch nichts gemerkt.« »Soll ich dir helfen?« fragte Cliff. »Nein. Ich habe für die nächsten zehn Tage die komplette Ausrüstung hier. Ich werde Sperren bauen, die du auch sehen wirst. Und ich setze mich mit dir über die Schiffskommunikation in Verbindung. Kennst du die Nummer?« Cliff wiederholte sie. »Richtig. Das war der – ist der – Geheimraum von Skuard IV. Ich bin hier immer zu erreichen. Unterrichte jetzt die Crew und Ishmee; ich lebe noch, bin gesund und freue mich des Daseins.« Cliff sah, wie Skuard grüßend die Hand hob. »Halt!« sagte er. »Wie finde ich die Ein- und Ausgänge zu diesem geheimen Gangsystem?« »Du achtest auf das Zeichen und berührst jeweils den achten Strahl des stilisierten Sterns.« Cliff war noch nicht zufrieden. – 78 –
»Und wo finde ich diese Zeichen?«
Skuard grinste diabolisch.
»Überall dort, wo du sie keineswegs vermutest. An glatten Wänden, mitten auf
dem Boden, in Ecken von Schrankapparaturen und so weiter. Drinnen sind überall Pfeile angebracht, die den kürzesten Weg zum Kugelraum zeigen. Ich habe es hier sehr bequem – bis auf das Skelett von Skuard, der ruhig in seinem Raumanzug sitzt und mir mit gelben Zähnen zulächelt. Apart, Cliff.« Cliff grüßte zurück und sagte:
»Sehr apart. Ich gehe jetzt in die ORION zurück!«
»Schön. Bis gleich!«
Cliff traf unterwegs den schneidigen GSD-Leutnant und verwickelte ihn in eine
kurze Diskussion über die allgemeinen Fähigkeiten der Geheimdienstler, ließ ihn ziemlich verärgert zurück und stürmte schließlich in die ORION, als habe er eine neue Galaxis dicht neben Thorson entdeckt. »He!« schrie Hasso. »Bist du von Sinnen, Oberst?«
Cliff schlug ihn auf die Schulter und brüllte zurück:
»Mitnichten! Ishmee!«
Ishmee war in der Kombüse und kümmerte sich um das Essen. Cliff erhielt von
Atan diese Auskunft und fuhr hinunter, lehnte sich gegen das Schott und sagte sarkastisch: »Ein McLane denkt nun mal besser als andere Männer. Das wollte ich dir nur sagen, Liebling!« Sie drehte sich herum und sagte mit gespielter Verachtung: »Go-go-Cliff!« Cliff lächelte schmelzend und erklärte mit großer Gebärde: »Ich soll einen Gruß von Skuard ausrichten.« Sie flüsterte: »Er ist da?« Cliff schaltete den Radarherd ab und einige andere Schalter, dann zog er Ishmee mit sich nach oben, in die Kommandokanzel. Dort berichtete er genau, was er eben erlebt hatte, gab die Kennzahl an und schilderte die Möglichkeiten, dieses Geheimversteck zu benützen. Mario sagte, als Cliff geendet hatte, mit tiefen Falten in der breiten Stirn: »Das ist das einzige Mittel, um mit dem unsichtbaren Gegner fertigzuwerden«, dann klopfte er beziehungsvoll gegen die Gasdruckwaffe in seinem Gürtel, »und wir werden es wahrnehmen.« Cliff nickte und sagte scharf: »Ich habe die Leitung. Um eine weitere Gefahrenquelle auszuräumen, werden wir versuchen, das Große Schiff in einen Erdorbit zu steuern. Von dort aus können unsere Wissenschaftler die ganze Sache besser kontrollieren. Und während dieser Überführung wird sich unser Freund zeigen, wenn er an Bord ist.« Atan fragte erschreckt:
»Du meinst...?«
»Ja, ich meine«, erwiderte Cliff ernst. »Er ist ein Meister der Maske. Vielleicht
taucht er als eine harmlose Person auf, vielleicht als Wissenschaftler, was wahrscheinlicher ist, da die Wissenschaftler sich ungehinderter bewegen können. Ich bin überzeugt, daß er als Wissenschaftler an Bord kommt – oder schon an Bord – 79 –
ist. Vielleicht werden wir das erst erfahren, wenn das Schiff im Erdorbit ist, vielleicht erst später.« »Wann wirst du den Flug starten?« Cliff preßte zweifelnd die Lippen aufeinander. »Ich warte auf das Urteil der Fachleute. Sie nehmen gerade die Steuerkabine auseinander. Ich bin heute noch in diesem Geheimgang und versuche, die Aktion mit Skuard zusammen zu starten.« »Gut. Aber zuerst bleiben wir hier. Ich will mich nicht umsonst angestrengt haben.« Cliff küßte sie altväterlich auf die Stirn und zog dann Ishmee mit sich. »Bei all deinen sonstigen, von uns allen hochgeschätzten Begabungen, hast du auch noch das lobenswerte Talent, die Schiffsrationen derart delikat zu erhitzen, daß wir dich schon allein deshalb sehr vermissen würden, wenn dich Skuard austauschen würde.« Ishmee funkelte ihn drohend an und versicherte glaubwürdig: »Das werde ich Brüderlein heimzahlen, verlaßt euch drauf!« Niemand an Bord zweifelte daran. * Er glaubte, man müsse den Herzschlag durch das leichte Material des Schutzanzugs hören. Das Visier des Raumhelmes war weit hochgeklappt, und er atmete die sterile, sauerstoffreiche Schiffsluft. In der Rechten hielt er die entsicherte Gasdruckwaffe und blieb jetzt stehen, im tiefen Schatten einer Stahlröhre, die den Raum abstützte. Diese Röhre war doppelt mannsdick und in Schulterhöhe blankpoliert von zahllosen Dherrani. Stille, Licht und keine Bewegungen. Niemand durfte ihn sehen. Dort, wo du die Zeichen keineswegs erwartest. Cliff versuchte, mit den Augen die Dunkelheit in den Winkeln der ehemaligen Lagerhalle zu durchdringen. Nach seinem Ermessen, und auch das vage Gefühl sagte es ihm, war außer ihm niemand in diesem Raum, dessen Kantenlänge nicht weniger als hundert Meter betrug. Wo war das Zeichen? Er drehte den Kopf, sah etwas aus den Augenwinkeln und erstarrte. Direkt in Augenhöhe befand sich das Zeichen, nur etwa handtellergroß. Es war so unauffällig wie ein Markenzeichen oder ein Typenschild angebracht, erhaben, als wäre es mit dem Stahl gegossen worden. »Wie schön!« murmelte Cliff fast unhörbar. Er zählte ab und mußte abermals grinsen. Skuard hatte gesagt, er solle den achten Strahl des Sterns berühren. Der Stern hatte sechzehn Strahlen, so daß es gleichgültig war, ob er im Uhrzeigersinn oder in der anderen Richtung zu zählen begann. E r preßte seinen Finger gegen den stabförmigen Ausläufer und trat einen Meter zurück. Dadurch geriet er in den Bereich der Deckenbeleuchtung, und unwillkürlich duckte er sich. Und – diese Bewegung rettete ihm das Leben.
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Aus der Ecke hinter ihm zischte ein Strahl, traf neben dem Zeichen auf die Stahlsäule und zersplitterte in tausend Funken. Cliff warf sich herum, hechtete zur Seite und bewegte sich im Zickzack in den Schatten der Säule zurück, verbarg sich halb hinter ihr. Dann sah er die undeutliche Bewegung, zielte und schoß dreimal. Das irrsinnige, nervenschmerzende Kreischen der Querschläger erfüllte die Halle mit seinem Lärm und rief vielfältiges Echo hervor. Dann sah Cliff ein leuchtendes Rechteck. Wieder hob er die Gasdruckwaffe und richtete sie auf dieses helle Rechteck. Die Gestalt dort, etwa achtzig Meter entfernt, bewegte sich blitzschnell und warf sich vorwärts. Cliff drückte den Auslöser und schoß das halbe Magazin leer, aber wieder war nur das Heulen der abgelenkten Stahlnadeln zu hören. Die Silhouette des Mannes dort drüben huschte in das Licht hinein, sprang zur Seite und war verschwunden. Die vier Schüsse, die Cliff hinterherschickte, prallten an der stählernen Wand ab. »Verdammt! Der Aashap!« knurrte Cliff. Er war dem Tod näher gewesen als je zuvor. Inzwischen hatte sich die Säule in einer Länge von knapp zwei Metern halbiert. Der konvexe Teil war nach innen, entlang der Innenwandung des stehenden Teils, geglitten. Eine fahle Helligkeit erfüllte diesen Teil des geheimnisvollen Weges zwischen den einzelnen Schiffsbezirken. Cliff bückte sich und sah die Zahnung einer der gewohnten Liftanlagen, dann stellte er sich schnell entschlossen auf die Metallplatte innerhalb der Röhre. »Wo ist der Pfeil?« fragte er sich. Er war da, neben einem Knopf, oberhalb eines zweiten. Cliff zuckte die Schultern und dachte an die Strahlwaffe, mit deren Hilfe er sich durch den Stahl schneiden konnte, wenn dieser seit Jahrtausenden nicht gebrauchte Lift steckenblieb und war beruhigt. »Los!« Er drückte den Knopf neben dem Pfeil. Der Pfeil zeigte nach oben. Langsam und knarrend schloß sich die Säule wieder, und als das ausgefahrene Teil einrastete, bewegte sich auch der Lift. Er bewegte sich nicht nur, er raste los. Cliff federte den Andruck mit den Knien ab und preßte die Ellenbogen an den Körper. Die Innenwände der Stahlröhre glitten rasend schnell an ihm vorbei nach unten, einige Sekunden lang. Dann bremste der Lift ab, und Cliff spürte, wie er in dem künstlichen Schwerkraftfeld des Großen Schiffes fast in die Höhe katapultiert wurde. »Ein schnelles Transportmittel hatte dieser alte Skuard!« murmelte er. Es öffnete sich eine geschwungene Tür. Cliff hatte genügend Gründe, wachsam und blitzschnell zu sein. Er sprang tief am Boden aus dem Lift, drehte sich einmal schnell um und richtete die entsicherte Waffe aus. Noch immer scheute er davor zurück, die Strahlwaffe zu benützen; sie war absolut tödlich, und Cliff zog die anderen Methoden vor. Er wollte keine Toten. Tote reden nicht, mit Toten kann man nicht einmal den Versuch machen, zu diskutieren. Er stand jetzt in einem schwach erleuchteten Gang, der nicht breiter als vierzig Zentimeter war. Röhren, Leitungen und die Rückseiten von Wänden mit den breiten – 81 –
Nietenköpfen waren zu sehen, und von den kleinen Leuchten in der Decke waren die Hälfte außer Betrieb. Cliff suchte einen Hinweis und fand den kleinen Pfeil in der Höhe seiner Augen. Er schob sich, die Schulter nach vorn, durch den Gang, etwa zweihundertfünfzig Meter weit. Dann wieder ein Lift. Ein Schrägschacht mit Treppen folgte, eine Sperre aus Strahlen, die Cliff entdeckte, weil sie nach terranischem Muster angelegt war. Er bewegte einen äußerst geschickt angebrachten Schalter und kippte den Gegenschalter wieder und war halb überzeugt, daß auch der Aashap diese Falle entdecken konnte, wenn er nicht blind durch dieses Gangsystem rannte. Cliff sicherte nach allen Seiten, aber diesmal war er sicher, daß ihn niemand verfolgte. »Aber wo steckt Skuard?« flüsterte er. Ein Arm schlang sich um ihn, eine Waffe bohrte sich in seine Wange, und Skuards vertraute Stimme sagte kurz: »Hier.« Cliff senkte die Waffe und drehte sich Zentimeter um Zentimeter herum, sah in die harten, goldfarbenen Augen des Turceed und grinste unbehaglich. Skuard nahm den Strahler herunter, nickte Cliff schweigend zu und deutete dann in eine Abzweigung hinein, die der Oberst übersehen hatte. »Hier!« Sie gingen etwa zehn Meter, dann hielt der Turceed an. »Die älteste Warnanlage der Schöpfung«, sagte er. »Siehst du etwas?« Cliff starrte zu Boden und an die Wände, aber den dünnen, durchsichtigen Faden, der sich im Zickzack durch den schmalen Gang spannte, bemerkte er nicht. E r bemühte sich, die Bewegungen des Turceed nachzuahmen und schaffte es, keinen der Fäden zu zerreißen. Dann waren sie in dem warmen, kleinen Kugelraum, dem verborgenen Reich des Verantwortlichen, der vor Jahrtausenden den langen Flug geleitet hatte. »Wenn einer der Fäden reißt, und er reißt sehr leicht, dann löst er einen Alarm und eine genau justierte HM 4 aus, die alles, was sich in Gürtelhöhe im Gang befindet, vernichtet!« erklärte Skuard leichthin und schüttelte Cliff die Hand, als brauche er den Arm sehr notwendig. »Willkommen im Zimmer meiner Ahnen«, sagte er und grinste. Cliff sah sich um. »Nett hast du's hier«, bemerkte er trocken. »Wo ist die Hausbar?« Skuard sah ihn prüfend und lange an, dann fragte er kurz: »Hast du in der letzten Zeit ein unangenehmes Erlebnis gehabt, außer der Unterhaltung mit Ishmee, meine ich.« Cliff nickte. »Der namenlose, aber nichtsdestoweniger sehr aktive Aashap hat auf mich geschossen.« »Ich dachte es mir. Was wirst du tun?« Cliff sah staunend, daß sich dieser Raum erstaunlich gut gehalten hatte. Nur wenige der nicht zahlreichen Einrichtungsgegenstände zeigten ausgesprochene Alterserscheinungen. Cliff setzte sich und streckte die Beine aus. – 82 –
»Ich werde versuchen, mit deiner unwesentlichen Hilfe einen schönen Plan zusammenzustellen und dann alles daran setzen, dieses Schiff möglichst schnell in Erdnähe zu fliegen. Während wir hier reden, beschäftigen sich schätzungsweise hundert Techniker mit allem, was dazugehört, diesen Koloß zum Fliegen zu bewegen. Ich setze meine Hoffnungen auf Mario, der mit dem schiffseigenen Komputer herumexperimentiert. Es sollte ihm gelingen, das entsprechende Programm zu entwickeln.« Skuard erwiderte: »Ist dir etwa in den letzten Stunden dieser Mann begegnet?« Er gab Cliff ein Foto, das deshalb unscharf war, weil es bei schlechten Lichtverhältnissen von dem Schirm, einem runden, konkaven Ding in der Kugelwandung, abgenommen wurde. Cliff sah einen Mann, groß, breitschultrig, mit einem scharf ausrasierten Bart und hellen Augen, der die Kombination eines Spezialelektrikers trug. Cliff durchforschte sein Gedächtnis und sagte: »Dreimal.«
Skuard warf das Foto achtlos in eine Ecke und murmelte:
»Vermutlich ist das der Aashap. Oder eine gut nachgemachte Marionette. Du
weißt, wir alle, Turceed wie Aashap, sind medizinisch und ›human‹-biologisch ziemlich gut. Vielleicht hat der Aashap diesen Mann nur vorgeschoben. Ich beobachte ihn dauernd in sämtlichen Räumen des Schiffes. Er bringt die Elektrik in Ordnung, aber er sieht sich zu oft und zu genau um. Ich fürchte, das ist der Mann, der uns einige böse Überraschungen bereiten wird.« Cliff erwiderte dumpf:
»Und der auf mich geschossen hat.«
Skuard nickte.
»Wir müssen schnell handeln, Cliff!«
Sie hatten keine andere Wahl. In der nächsten Stunde entwarfen sie einen Plan,
dessen Richtigkeit sie kontrollierten, indem sie das Netz der geheimen Abhöranlagen des Verantwortlichen benützten und die Fortschritte sahen, die in allen Abteilungen gemacht wurden. Und die ganze Zeit über sah sie der Tote hinter den gelben Gläsern des Raumanzuges aus leeren Augenhöhlen an, und wenn das Licht auf den Totenschädel fiel, so war es, als nicke er beifällig. Cliff begann sich langsam wohlzufühlen, besonders dann, als Skuard einen Becher Kaffee in einem winzigen Radarherd erhitzte, den schon Skuard I benutzt hatte. Beide wußten sie: Das große Schiff würde die Erde ein Jahrzehnt beschäftigen, ehe das letzte Geheimnis der ausgestorbenen Rasse enthüllt war. Das erfüllte Cliff mit einer gewissen Freude – der erwartete Aufbruch in die andere Galaxis würde noch lange auf sich warten lassen. Dann verabschiedeten sich die Männer mit einem harten Händedruck.
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8
Mario de Montis große Stunde kam am Mittag, Schiffszeit, des fünfzehnten Tages nach seinem ersten Eindringen in den Mond aus Stahl. Zuerst starteten der Reihe nach sämtliche Schiffe der Erde. Sie machten von den magnetischen Halterungen los, bugsierten vorsichtig und in Millimeterarbeit durch den riesigen Hangar und schwebten dann durch das Loch in der Schiffswand hinaus in den Raum. Dort verteilten sie sich an verschiedene, strategisch wichtige Stellen. An Bord waren jeweils nur zwei Mann der Besatzung – der Kommandant und der Astrogator. Der Rest der Terraner, mit den leichten Raumanzügen und genügend Nachschubmaterial ausgerüstet, war innerhalb des Dherrani-Schiffes verblieben. Mario de Monti saß in dem Sessel, den eine Handwerkermannschaft schnell wieder mit einer neuen Auflage versehen hatte und beobachtet das Lichterspiel der großen Wand vor ihm. Cliff stand neben ihm, ahnungsvoll die Hand auf dem Kolben der Gasdruckwaffe. »Alles bereit, Mario?« Er grinste innerlich, weil er wußte, daß Skuard pausenlos damit beschäftigt war, die Vorgänge im Innern des Schiffes zu überwachen. »So gut wie fertig, Cliff.« Neben Mario lagen die Aufzeichnungen. Er hatte mit Unterstützung der Techniker ein Programm entworfen, das in der Lage sein sollte, die Schiffsmaschinen anzuwerfen und das schwere Stahlding in Fahrt zu bringen. Die Richtungsstrahler waren überprüft worden, man hatte nach einigen Probeläufen festgestellt, daß sie funktionierten und den gewünschten Effekt erbrachten. »Los!« Mario drückte den ersten Schalter. Ein breites Band fädelte sich ein und lief in die Abtaster des Eingabeelements. Das Band bestand aus terranischen Schiffsbeständen und war mühsam auf die Normen dieses Komputers gebracht worden. Lange Sekunden vergingen. Dann knisterte das Funkgerät, und eine harte Stimme sagte: »Antrieb läuft an. Bis jetzt störungsfrei. Schubleistung steigt in der ermittelten Kurve.« Mario sah auf den Sekundenzeiger der Armbanduhr und fuhr dann das zweite Programm ab. »Richtungsstrahler ein!« murmelte er. Wieder gab das Funkgerät einen Satz von sich. Es war ein Schiffskommandant, der die silberne Kugel anvisierte und zwei andere Schiffe sowie die Sonne als Referenzpunkte benützte. »Hier ZENTAUR. Das Schiff beginnt sich zu bewegen. Mehrere Meter sind es schon. Errechneter Kurs.« Cliff und Mario grinsten sich an. »Ausgezeichnet.« Das Licht über ihren Köpfen, ein ziemlich schwerer Scheinwerfer, den man anstelle der nicht funktionierenden Deckenbeleuchtung angebracht hatte, begann zu flackern und ging schließlich aus.
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Cliffs Knie berührte kurz und unauffällig den Oberschenkel des Ersten Offiziers. Während der Komputer die Maschinenleistung mit der erforderlichen Energiemenge koordinierte und die Richtungsstrahler einsetzte, brüllte Mario nervös: »Schweinerei! Ich brauche mehr Licht!« Cliff fuhr herum und wandte sich an Atan Shubashi. »Atan, bitte hole den Elektriker. Er hat diesen Scheinwerfer angebracht. Er soll ein neues Element einbauen.« »Okay, Chef!« brummte der Astrogator, der wie alle anderen Terraner im Schiff keine Ahnung hatte, daß Cliff mühevoll die Kontakte abgefeilt und sie auf alt präpariert hatte. »Licht!« schrie Mario noch einmal. »Beruhige dich!« sagte der Oberst. »Unser Chefelektriker wird gleich hier sein.« Wieder kam Leben in die Lautsprecher. »Hier noch einmal ZENTAUR. Das Schiff bewegt sich planmäßig. Inzwischen haben wir eine Strecke von einhundert Kilometer gemessen. Die Geschwindigkeit steigt ebenfalls an, und die Abweichung vom errechneten Zielkurs beträgt...« Es folgten die langen Reihen der Koordinaten. Mario tippte sie auf der inzwischen entschlüsselten Tastatur mit. »Danke!« Sie hatten alle Hände voll zu tun, um gleichzeitig die verschiedenen Funktionen der Schiffssteuerung zu überwachen. Das Große Schiff flog jetzt, von Sekunde zu Sekunde schneller werdend, die Gerade zurück, auf der es das zweitemal durch das System gekommen war. Das Ziel war die Erde, und sie war auch in den Speichern des Komputers als eines von vielen Zielen vermerkt gewesen. Cliff, Mario und die Fachleute hatten die Steuerung so umprogrammiert, daß das Schiff sämtliche Manöver in umgekehrter Reihenfolge durchführen mußte, um nach einigen Tagen Flug wieder in Erdnähe zu kommen. Dort mußte dann – und auch diese Zahlen waren bereits ausgerechnet – ein Vierundzwanzig-Stunden-Orbit eingeschlagen werden, so daß die Kugel aus Stahl als zweiter Mond, auch am Tage sichtbar, über Australien schwebte. »Hier ist er!« rief jemand von hinten, der vor dem Schaltpult des toten Kapitäns stand und die Sterne mit den terranischen Schiffen im Vordergrund betrachtete. »Wer kommt?« knurrte der Astrogator. »Der Elektriker.« Ein fast zwei Meter großer, breitschultriger Mann mit dunkelblauen Augen und langem, pechschwarzem Haar schob sich durch die Menge der Wartenden. Er trug die Werkzeugtasche unter dem Arm und blieb vor Cliff stehen. »Sie brauchen mich, Oberst?« fragte er. Cliff dachte daran, daß es wahrscheinlich dieser Mann gewesen war, der auf ihn geschossen hatte und erwiderte ruhig: »Wir brauchen den Scheinwerfer hier am Pult. Bitte wechseln Sie das Element aus. Es sollte schnell gehen!« Der Riese nickte schweigend, sah der Reihe nach die Versammelten an und erwiderte dann mit einer unglaublich tiefen Stimme: »Wird gemacht, Chef.«
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Cliff beobachtete ihn scharf, und Skuard tat dies mit Hilfe der Spionapparatur auch. Zusätzlich hatten sie Ishmee im Nebenraum postiert, und das Mädchen konzentrierte seine Fähigkeit, die Art der Gedanken lesen zu können, auf diesen Mann. Sollten sich Skuard und Cliff getäuscht haben, dann würde sie unter Umständen auch einen anderen Mann identifizieren können – denn jetzt mußte der Aashap hier in der Nähe sein, wenn er sich des Schiffes bemächtigen wollte. Cliff lehnte an der Wand und wechselte seinen Blick zwischen de Monti und dem Elektriker. Mario arbeitete schweigend, und er sah bald, daß ihm das Schiff gehorchte. Sie hatten die Bewegungsachse derart festgelegt, daß die Kabine des Kommandanten gleichzeitig die »Spitze« des Schiffes darstellte. Der Mann arbeitete wie ein Schlafwandler; jeder Griff saß, keine Bewegung war überflüssig. Gleichzeitig beobachtete er seinerseits den Chefkybernetiker. Cliff hatte für die Reparatur, die er probeweise einmal selbst durchgeführt hatte, drei Minuten gestoppt – nach genau sieben Minuten war der Elektriker fertig. »Danke«, sagte Cliff und nickte ihm zu. »Gehen Sie bitte hier hinaus – es ist ohnehin zu eng.« »Klar. Ich verstehe!« Der Mann nahm seine Tasche, steckte die Werkzeuge zurück und verließ den Raum. Cliff sah auf die Uhr, wartete, bis er von Atan das verabredete Zeichen erhielt, daß sich das Schott geschlossen hatte und sagte dann hart, aber ziemlich leise: »Alle Anwesenden schließen die Visiere und schalten auf Anzugsysteme um. Mario?« Mario drehte den Kopf, ließ das Visier knackend zuschnappen und zwinkerte. Dann stand er auf und warf einen kurzen Blick auf das Pult. Hinter ihnen drängten sich die Terraner aus der Komputerzelle – Cliff beobachtete den Boden und fand, was er suchte. »Raus!« rief er. »Alle! Schnell!« Er hob einen liegengelassenen Schraubenzieher und die Verpackung des Elements auf, packte sie vorsichtig mit dem Handschuh und spürte, daß die Packung keineswegs leer war, sondern mehr wog als mit dem Element. Er sprang hinaus in den Verbindungsgang, verriegelte das Schott hinter sich und raste dann, beide Gegenstände in den Händen, hinaus in die leere Lagerhalle. Dort warf er beides weit von sich. Die anderen Terraner standen entlang der Wände und hatten die Hände an den Waffen. »Achtung!« kam es aus den Außenlautsprechern von Cliffs Anzug. Der Schraubenzieher begann zu qualmen, drei Sekunden lang, dann drang ein dünnes Gas aus, violett, das sich sofort verteilte, schwer auf dem Boden liegenblieb und nur zögernd von der Luftumwälzanlage aufgesogen wurde. Aus dem schweren Paket des Verpackungsmaterials kam ein mißtönendes Schnarren, dann fühlte Cliff, wie ein Meßinstrument an seinem Arm wild auszuschlagen begann. Die Zeigerbewegung dauerte nur eine Minute, dann zuckte der Zeiger wieder in die Ruhelage zurück. Mario fragte: »Was war das?« – 86 –
Cliff deutete auf zwei Männer, die sich mit einem schweren Gasanalysegerät in der Nähe der ausgebrannten Hülse zu schaffen machten. Cliff und Mario hatten dafür gesorgt, daß diese Geräte hier »zufällig« herumstanden; sie hatten sich lange überlegt, wie sie anstelle des Aashap vorgegangen wären. Die Falle war zugeschnappt, aber die Beute war davongelaufen, ehe ein Entrinnen unmöglich wurde. Cliff sagte wütend: »Das erste war ein Gas, das uns alle umgebracht hätte. Schwer und schnellwirkend. Das zweite war ein ungeheuer starkes Magnetfeld, das sämtliche Speicher des Eingabeelements augenblicklich gelöscht, die Bänder verwüstet und den Schiffskurs instabil gemacht hätte. Wir dürfen uns gratulieren. Vermutlich ist in dem Scheinwerfer eine Bombe eingebaut.« »Vermutlich. Cliff – ich muß zurück. Das Schiff beschleunigt jetzt sicher wie wild.« »Einverstanden. Wir gehen zurück.« Als sie die erste Schleuse betraten, stand Ishmee neben ihnen. Auch sie hatte den Raumhelm geschlossen und hielt jetzt vier Finger hoch, deutete auf den Knopf der Funkkanalwahl. »Kanal Vier, Mario«, sagte Cliff. Jetzt gingen sie durch die Schleuse, in den Korridor und in die Kugel mit dem Steuerpult hinein. Cliff fragte gespannt: »Was hast du festgestellt, Ishmee?« Sie erwiderte: »Nichts. Genauer: Ich habe festgestellt, daß dieser Mann, der große Elektriker, offensichtlich keine eigenen Gedanken hat. Er scheint zu handeln wie ein Roboter.« Mario und Cliff sahen sich an. »So. Ein Robot. Ob er denkt oder nicht, er ist unser Mann«, sagte der Oberst. »Vorsichtig beim Öffnen des Verbindungsschottes.« Wären sie vor dem Komputerpult jenseits des Verbindungsganges stehengeblieben, würde jetzt keiner von ihnen mehr leben. »Innerhalb kurzer Zeit der dritte Mordanschlag auf mich!« stellte Cliff fest. Jetzt, da er den Gegner und seine Absichten kannte, war er ruhiger geworden und sicherer. Der Kampf schien unausweichlich näherzukommen. »Mist, verdammter!« schimpfte Mario. Der Sitz und der Platz, an dem sich Cliff aufgehalten hatte, waren von den Spuren der Strahlungen verwüstet. Ungeheure Hitze hatte hier getobt, auf engstem Raum. Stahl war ausgeglüht, die Bezüge waren in Rauch aufgegangen, aber nur der Lack auf der Oberseite des Programmierpults hatte gelitten; er war verfärbt. »Nun«, sagte Mario mühsam beruhigt, »werden wir im Stehen steuern.« Cliffs Gesicht war unter der Sonnenbräune weiß geworden vor Wut und Angespanntheit; er sah Ishmee in die Augen und legte seine Hand kurz, aber hart auf Marios Schulter. Dann sagte der Kommandant halblaut: »Sobald das Schiff in Fahrt ist und nicht mehr entführt werden kann, beginnt die Jagd.« Mario kannte diesen Tonfall in Cliffs Stimme. Er hatte ihn immer dann gehört, wenn McLane entschlossen war, ohne Rücksicht etwas durchzuführen, das ihn Kopf und Kragen kosten konnte. Mario de Monti schloß bei sich eine Wette ab: Sie – 87 –
würden trotz der gewaltigen Ausdehnung des Schiffes den Elektriker finden. Noch bevor das Schiff im Erdorbit war. »Es dauert noch mindestens zehn Stunden, wenn ich die Angaben des Komputers richtig interpretiere«, sagte Mario. »Dann aber, das verspreche ich dir, werde ich mitjagen. Und die ORION-Leute waren schon immer recht gute Jäger.« Er deutete kopfschüttelnd auf den Sitz. Die dickeren Metallteile waren inzwischen schwarz, aber an einigen Verbindungsstellen sah man noch die Röte; das Metall glühte. Der stechende Geruch, der davon ausging, wurde von der Klimaanlage abgesaugt. Die Helmscheiben beschlugen sich leicht auf der Außenseite. Nach und nach kamen die anderen Terraner wieder zurück und brachten auf Cliffs Anforderung ein neues Funkgerät mit. Das alte war in dem Strahlenhagel explodiert. Unaufhörlich beschleunigte das Große Schiff. Diesmal mit einer irdischen Mannschaft. Die Nachfolger und Erben hatten ihr Erbe angetreten und arbeiteten hart, um es zu ihrer Heimatwelt zurückzubringen. * Cliff, Hasso und Ishmee durchstreiften das Schiff. Sie inspizierten die Gruppen, die an den wichtigen Maschinen standen und deren Funktionieren überwachten und von Zeit zu Zeit kleinere Reparaturen ausführten – nur an solchen Geräten, deren Funktion sie hundertprozentig kannten. Cliff vergewisserte sich, ständig die geladene Waffe in der Hand, daß sich jener riesenhafte Mensch, dessen Gedankenströme nicht feststellbar waren, nicht in seiner Nähe befand. Die einzelnen Gruppen wurden, soweit es notwendig wurde, aufgelöst und auf die einzelnen Schiffe verteilt. Das Riesenschiff beschleunigte jetzt die dreiundzwanzigste Stunde; wie Insekten, die zu ihrem Nest heimkehrten, schwirrten die Diskusschiffe in den Hangar, übernahmen die Leute und rasten davon, der Erde entgegen. Das erste Schiff, in dem sich Helga Legrelle mit sämtlichen Unterlagen befand, war als Kurierschiff für Wamsler und Villa gedacht. Nur ausgesuchte Leute waren an Bord. Als die silberne Kugel in der sechsunddreißigsten Stunde die Lichtgeschwindigkeit überschritt, waren nur noch zehn GSD-Männer, McLane, Ishmee, Mario, Hasso und, immer noch unsichtbar, Skuard an Bord. Und... der roboterhafte Elektriker, der kein Elektriker war. * Cliff, im leichten Raumanzug, stand vor der runden Scheibe und hatte die Nummer jenes Raumes getippt, in dem sich Skuard verborgenhielt. Die Scheibe erhellte sich und zeigte den grinsenden Skuard, im Hintergrund das Gerippe im Raumanzug. »Skuard – hast du in der Apparatur des Kugelraumes entdeckt, daß die Kapitänsräume durch den geheimen Gang zu betreten sind?« Skuard hob die Strahlwaffe hoch und erwiderte lakonisch: »Bravo, Cliff!« Cliff runzelte die Stirn. – 88 –
»Warum dieses, Gevatter Skuard?« »Ich hätte nicht gedacht, daß du so schlau wärest, darauf zu kommen. Entschuldige... aber ich habe lange genug Gelegenheit gehabt, die Tücken dieses Schiffes zu studieren. Ich traf sogar zweimal mit dem Mann zusammen, der euch beinahe ins Jenseits geschafft hätte. Ich ließ ihn in dem Glauben, ich wäre nicht da. Er sah mich nicht. Ja. Ich kann diesen Kugelraum betreten, und zwar von der Decke des Verbindungsganges aus. Aber ich habe diesen Eingang unkenntlich gemacht und überdies mit einer tödlichen Falle gesichert. Du kannst beruhigt deine Leute abziehen. Ist es soweit, Cliff?« McLane nickte. Er war kein Freund von mörderischen Jagden durch halbverlassene Schiffe, von Wunden und von Tod, aber er wollte den Elektriker finden. Nach Möglichkeit lebend. »Stecke die Strahlwaffe zurück, Skuard. Verwende sie nur dann, wenn es um dein Leben geht. Wir versammeln uns im oberen Polraum und gehen nach unten durch. Richte deine Mitwirkung nach diesem Plan, ja?« »Einverstanden. Funktioniert die Steuerung?« Cliff grinste siegessicher. »Du beleidigst Mario. Er schwört sämtliche möglichen Eide, daß dieses Schiff in Erdnähe aus dem Hyperraum kommt und auf einer Geraden, die durch bereits vorprogrammierte Kursänderungen in eine stabile Bahn übergeht, so daß wir über Groote Eylandt stehenbleiben.« »Gut. Wann startet ihr?« Cliff warf einen Blick auf die Uhr und sagte: »Wenn ich oben bin. Oben immer in bezug auf die einwirkende Schwerkraft an Bord dieses Monstrums.« »Gut. Los!« Der Schirm verblaßte. Cliff verriegelte die Schotte, besonders das große in den leeren Lagerraum und sagte zu den beiden GSD-Leuten: »Jeder, der hier hereinwill, ist potentieller Feind, der, wie wir sahen, vor Mord nicht zurückschreckt. Sie wissen, was zu tun ist?« Die Männer, die jetzt noch offene Visiere hatten, nickten grimmig. »Das wissen wir sehr genau, Kommandant. Viel Glück!« »Danke.« Cliff stellte sich in einen der Lifts und fuhr nach oben, zur letzten Station. Kurz darauf stand eine Gruppe von zwölf Terranern zusammen und überprüfte die letzten Handgriffe. Sie allen waren durch ein Funknetz über die Armbandgeräte und über die Helmsysteme verbunden; sollten die Helme geschlossen werden müssen, fielen die Armbandgeräte aus. Drei der GSD-Leute trugen die verkleinerten Pläne der einzelnen Ebenen bei sich, in denen jeder Weg verzeichnet war, durch den man dieses Stockwerk betreten oder verlassen konnte. Die Gesichter der Männer waren verkniffen und nervös, aber nicht ängstlich. Cliff hob die Hand. »Lebend!« sagte er drängend. »Auch wenn die Gefahr besteht, daß sich unser Freund in einer aussichtslosen Lage selbst umbringt, wie schon geschehen.« »Verstanden.« Cliff deutete auf die drei GSD-Männer und ordnete an: – 89 –
»Sie verteilen sich automatisch an die Plätze, an denen Lifts, Treppen, Rampen oder ähnliche Verbindungen sind.« »Klar, Oberst!« Cliff entsicherte die Gasdruckwaffe und sagte entschlossen: »Los!« Sie durchsuchten den obersten Raum, der damals als Observatorium, Gesellschaftsraum und wissenschaftliches Zentrum bestanden hatte, bis zum letzten Winkel. Dann verteilten sie sich auf die einzelnen Ausgänge, und auf ein Zeichen des Kommandanten begann der Abstieg ins nächsttiefere Deck. Langsam, Schritt für Schritt, bewegten sich die Männer. Cliff behielt Ishmee in der Nähe und blickte sie von Zeit zu Zeit fragend an. Sie schüttelte jedesmal den Kopf. Sie konnte zwar keine Gedanken bei diesem Mann feststellen, aber sie merkte es, daß er keine hatte. Und das half bei der Suche genauso viel. »Nichts.« Das zweite Deck. Es war in verschiedene Bereiche abgeteilt, hauptsächlich leere Aufenthaltsräume der gestorbenen und in alle Winde verwehten Besatzung, die jeweils diese Räume ausgeleert hatte bis auf die Nieten im Metall. Nur noch glatter Boden, der die Spuren der Benützung zeigte. Von links nach rechts arbeiteten sich die Suchmannschaften durch die Räume, während die Ausgänge besetzt blieben. Wieder nichts. Ein neuer Abstieg begann, diesmal waren es fünf Durchgänge. Acht Stunden später hatten sie noch immer nichts gefunden. Sie standen jetzt in einem gewaltigen Raum, der, wie vor Tagen ermittelt worden war, quer durch die gesamte Kugel reichte. Seine Wände waren gleichzeitig die Außenwände. Nur die mächtigen Träger, die Liftsäulen und einzelne Durchlässe für Energie und Luft unterbrachen den zylinderförmigen Ausschnitt. Hier war es taghell; vor vielen Jahrtausenden hatte man hier die reichlich primitiven Verbindungsboote zusammenmontiert. Das war aus den Aufzeichnungen hervorgegangen, die in langer Arbeit von den Wissenschaftlern und Linguisten entschlüsselt wurden. Die Boote dienten nur einem einzigen Zweck: Sie flogen dreimal zwischen Planet und Schiff hin und her, setzten die Mannschaften und das Material ab, wurden teilweise auseinandergenommen, da bestimmte Bauteile gleichzeitig Basismaterial für die planetaren Bauten darstellten – und nur die Antriebszelle kehrte zum Schiff zurück. Um sie herum wurde, den Erfordernissen des entsprechenden Planeten gehorchend, ein neues Schiff gebaut. »Die Hälfte haben wir«, sagte Cliff. »Wieviel durchgehende Verbindungen?« Einer der GSD-Leute sagte: »Sechs. Alle anderen sind nur mit Hilfe des Steuerkomputers zu öffnen.« »Gut. Je zwei Mann bleiben in unmittelbarer Nähe eines jeden Durchganges. Eine Stunde Pause – die Verpflegung haben wir ja dabei. Es sind zwar nur Konzentratwürfel, aber – was tut's?« Er selbst ging zu einer Liftsäule, neben der ein Luftschacht entlanglief, setzte sich auf den Boden und öffnete die breiten Kombitaschen seines Anzugs. Ishmee fand einen Kunststoffwürfel, den die terranischen Techniker zurückgelassen hatten und setzte sich. »Manche Dinge«, bemerkte der Kommandant tiefsinnig, »enthüllen ihre wahre Größe erst dann, wenn man sie zu Fuß ausmißt. Dieses Schiff beispielsweise.« – 90 –
Ishmee teilte die Thermosbecher mit Kaffee aus; winzige Dinger aus Kunststoff, mit Schaum ausgefüllt, die ausgesprochen schlechte Wärmeleiter waren. Der Kaffee war noch ziemlich heiß. »Bitte.« »Danke«, sagte Cliff. »Paß auf, wir finden unseren Freund im unteren Polraum. Vermutlich klammert er sich an eine Strebe im Außenhangar.« Ishmee lächelte tröstend und erwiderte: »Skuard läßt uns nicht im Stich, Cliff.« »Wir werden lange zu erzählen haben, wenn diese Aktion vorbei und das Schiff in Erdnähe ist«, antwortete Cliff, trank den Kaffee aus und schloß die Augen. E r lehnte sich an den Lift und versuchte, einige Minuten an nichts zu denken – die einzige Möglichkeit vorübergehender Entspannung, die jetzt und hier möglich war. Noch ehe der Geschmack des Konzentratwürfels von der Zunge verschwunden war, schlief Cliff ein. Zwei Minuten später erwachte er wieder – etwas hatte sich bewegt. Cliff schloß die Hand um die Waffe und bewegte den Kopf; direkt neben ihm öffnete sich eine Klappe des Luftschachtes. Die Strahlwaffe, die sich auf den Kommandanten richtete, schimmerte im Raumlicht auf. Derjenige, der jetzt neben Cliff aus dem Schacht trat, schien zu glauben, daß Cliff noch schlief; er richtete die Waffe auf Ishmee, die hinübersah zu den anderen Gruppen. Cliff spannte seine Muskeln an und überlegte fieberhaft. Er schaute zwischen den halbgeschlossenen Lidern auf den Elektriker, der sich lautlos bewegte – diese Bewegungen hatten ein deutliches Ziel. Ishmee! Dicht vor Cliffs Augen befand sich der Griff der Strahlwaffe. Der Oberst sah, wie sich der Daumen auf dem Auslöser langsam senkte, im gleichen Augenblick drehte sich Ishmee um und öffnete den Mund, um Cliff etwas zu sagen. Cliff handelte schlagartig. Er riß den Arm mit der Waffe hoch, und der Lauf der Gasdruckpistole traf mit einem schmetternden Geräusch die schlanke Röhre der HM 4. Gleichzeitig brach der Feuerstrahl aus dem kleinen Projektor, krachte durch die Halle und schnitt einen glühenden Halbkreis in Decke und Träger. Cliff warf sich vorwärts, umklammerte das Handgelenk des Mannes und drehte die Waffe um, dann schoß er dreimal. Die Nadeln blieben stecken ohne eine Wirkung zu zeigen. Der Elektriker schien riesige Kräfte zu besitzen. Er schwang seinen Arm im Kreis, und der Oberst wurde vom Boden gerissen und an die Verkleidung des Luftschachtes geschleudert. Genau in dem Moment, da ihn die Schmerzen angriffen, sah er, wie Skuard mit gezogener Waffe aus dem Luftschacht sprang und schoß. Die HM 4 explodierte in der Hand des Riesen. »Stehenbleiben!« schrie Skuard. Von allen Seiten kamen jetzt die GSD-Männer. Die Waffen in ihren Händen deuteten auf den Mann, der sie verständnislos anblickte. Er schien nicht einmal seine blutende, halbzerfetzte Hand zu bemerken, sondern ging langsam, mit herabhängenden Armen auf den Turceed zu. Skuard blieb stehen und warf einen schnellen Blick zu Ishmee, die Cliff auf die Beine half. Zwei Meter vor Skuard brach der Riese wie ein gefällter Baum zusammen.
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Skuard sprang zurück. Dröhnend schlug der riesige Terraner auf den Boden, zuckte einmal wild mit dem Oberkörper, dann brach ein langer, röchelnder Schrei aus seinen Lungen. Cliff hinkte gekrümmt näher und richtete sich auf; er atmete pfeifend durch die Nase. »Tot?« fragte er heiser. »Ich vermute«, sagte Skuard. »Ich habe ihn verfolgt. Er hielt sich immer in der Nähe des Suchteams auf.« Jetzt hatte sich der Kreis der Terraner geschlossen. Sie umstanden den Mann und wagten nicht, laut zu sprechen. Tod hat etwas Endgültiges, und manchmal waren Worte sinnlos. Bitter bemerkte Skuard: »Und – es ist kein Aashap.« Cliff sah überrascht hoch. »Was?« »Nein«, sagte Skuard. »Ich habe ihn lang genug beobachtet. Es ist ein Mensch, dessen Hirn vermutlich manipuliert worden ist. Wenn wir ihn untersuchen, dürften wir auf unangenehme, aber interessante Einzelheiten stoßen.« Keuchend und unter Schmerzen richtete sich der Kommandant auf und sagte mühsam: »Die Jagd ist vorbei. Wir bringen die Leiche in die Kühlkammer der ORION – in den Hangar. Mario?« »Ja?« »Du bist für das Schiff verantwortlich, genauer: für die richtige Bahn. Ich gehe jetzt an Bord und lasse mir eine Spritze verpassen. Siehst du die Beule dort – das ist Stahlblech!« Er fühlte sich völlig erledigt. Das Große Schiff raste im Hyperraum weiter, der Erde entgegen. Der zweite Anschlag des letzten Aashap, des letzten Unsterblichen, war ohne Folgen vorübergegangen. Wie diese menschliche Marionette an Bord gekommen war, würde noch untersucht werden müssen. * Tage später: Wamsler, Cliff und Ishmee standen neben dem Swimming-pool in Cliffs Park; sie hatten die Köpfe in den Nacken gelegt und sahen hinauf zu den Sternen. Dort war die scharfe Linie der Mondsichel, und der zweite Begleiter der Erde, das Große Schiff, stand voll im Sonnenlicht. Wamsler sagte: »Hervorragend, dieser de Monti. Genau über Groote Eylandt. Wir werden ihn befördern müssen!« »Tun Sie das!« erwiderte Ishmee. »Was haben die Untersuchungen ergeben?« Wamsler senkte den Kopf und sah unter seinen buschigen Brauen das Mädchen an. »Dieser letzte Unsterbliche wird uns noch viel Freude machen« versicherte er bitter. »Die Mediziner haben ein Meisterwerk entdeckt.« – 92 –
»Ich höre«, sagte Cliff hart. »An ein Netz von Ganglienzellen war eine Explosivladung angeschlossen. Sie wurde ausgelöst, wenn das Kommando ›hoffnungslose Situation‹ gegeben wurde. Das Gift ließ den Kreislauf zusammenbrechen. Der Mann war Terraner, beschäftigt hier auf der Insel. Der Unsichtbare hat ihn mit Mitteln, die wir nicht kennen, zum willenlosen Sklaven gemacht.« Cliff nickte dem Raummarschall zu. »Bis sämtliche Geheimnisse des Großen Schiffes gelöst sind, wird noch viel Zeit vergehen. Wie sichern Sie sich gegen ähnliche Aktionen ab, die jetzt, da ein regelrechter Fährendienst eingerichtet ist, noch leichter zu bewerkstelligen sind?« Wamsler sagte ruhig: »Oberst Villa und sein Stab haben ihr Quartier im Schiff aufgeschlagen. Jeder, der an Bord will, wird förmlich auseinandergenommen. Und – man operiert mit Sperren vor verschiedenen Schiffsbezirken.« Cliff deutete auf den erleuchteten Wohnraum und sagte halblaut: »Kommen Sie, Marschall. Das Essen ist fertig. Wir haben uns, zusammen mit den Küchenrobotern, jede nur erdenkliche Mühe gegeben.« Wamslers Grinsen verscheuchte einen Teil der ahnungsvollen Gedanken von Ishmee und Cliff. »Was gibt es?« fragte Wamsler begierig, »etwa schon Greenish-Fische von Thorson Lambda?« »Nein«, sagte Ishmee. »Noch nicht. Die Fische wachsen erst – irgendwo dort unten am Strand.« »Was gibt es wirklich?« fragte Wamsler unerschütterlich. Cliff grinste und erwiderte: »Steak mit Beilagen, nach Art der ORION-Crew.« Sie gingen ins Haus, in dem der Tisch festlich gedeckt war. Musik von Tomas Peter war zu hören, lautlose Roboter halfen servieren. Aber die ruhige, entspannte Atmosphäre konnte nur vorübergehend täuschen; über allem lauerte nach wie vor die Gestalt des Unsterblichen, der gegen die Erde kämpfte, gegen die Erben. Und dieser Erbfolgestreit würde mit den tödlichsten Mitteln ausgetragen werden, die es gab. Mit den Waffen des Geistes.
ENDE
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