BASTEI
Geister
Western
Band 11
Der Teufelsreiter Ein packender Geister-Western von Gordon Spirit Seine Kleidung war...
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BASTEI
Geister
Western
Band 11
Der Teufelsreiter Ein packender Geister-Western von Gordon Spirit Seine Kleidung war schwarz wie die Finsternis, der er
entstammte.
Wie ein düsterer Todesbote zog er durch das weite Land.
Wo er auftauchte, verbreitete er Furcht und Schrecken,
und wenn er weiterzog, ließ er eine Spur von Blut und
Verderben zurück.
Er nannte sich Vasco Durango. Aber er hatte auch noch
einen anderen Namen. Jenen Namen, um den sich
Legenden rankten und den die Menschen, die ihn kannten,
nur im Flüsterton auszusprechen wagten.
Ein Name, der an ihm haftete wie ein Fluch.
Black Rider.
Der schwarze Reiter ...
Tintenschwarz senkte sich die Nacht über den Canadian
River.
Wind raschelte im Gesträuch. Hinter Felsen und
angeschwemmter Erde staute sich das Wasser zu einem
ruhigen Seitenarm. Die schlanke Gestalt schwamm in
raschen Zügen auf das Ufer zu, watete an Land, und das
Mondlicht ließ die Wassertropfen auf der glatten,
bronzefarbenen Haut wie flüssiges Silber schimmern.
Die junge Ute-Indianerin dehnte geschmeidig ihre Glieder. Aus dem nassen Haar rann Wasser über den schmalen, biegsamen Rücken. Dunkle, leuchtende Augen glitten in die Runde, dann bückte sich die junge Frau und hob das Schultertuch auf, um sich abzutrocknen. Wind fächelte über ihre Haut. Einen Moment lang überließ sie sich dem Spiel der kühlen Luft, verharrte mit geschlossenen Augen, und ihr nackter, prachtvoller Körper glich einer schönen Statue. Das Geräusch in den Sträuchern hörte sie eine Sekunde zu spät. Sie zuckte herum. Laub raschelte, die Zweige bogen sich auseinander. Eine Gestalt schnellte hoch, die Gestalt eines Menschen, und die junge Indianerin konnte nicht mehr ausweichen. Wie ein Tier sprang der Unheimliche sie an. Sie schrie auf, hob abwehrend die Arme, stolperte unter dem Anprall des schweren Körpers. Heißer Atem schlug ihr ins Gesicht. Dicht vor ihr blitzten weiße, scharfe Zähne. Verzweifelt bäumte sie sich auf, wollte den Angreifer abschütteln, aber seiner unmenschlichen Kraft hatte sie nichts entgegenzusetzen. Der verzerrte Mund des Fremden näherte sich ihrem Gesicht. Sie glaubte, er wolle sie küssen, wolle mit Gewalt ihren Körper nehmen. Sie verkrampfte sich – und in der nächsten Sekunde spürte sie jäh den Biß an ihrer Kehle. Ihr gellender Todesschrei erstarb in einem dumpfen, gurgelnden Röcheln. Die schlanken Glieder erschlafften. Leblos lag die junge Indianerin im Gras – und in der unheimlichen Stille war nur noch das gierige Schlürfen zu hören, mit dem der Mörder ihr Blut trank.
Minuten vergingen. Minuten, in denen die Erde selbst den Atem anzuhalten schien, in dem alle Geräusche erstarben und das Land förmlich erstarrte im Angesicht des gräßlichen, widernatürlichen Geschehens. Erst als kein Tropfen Blut mehr in den Adern der Toten war, ließ der Unheimliche von seinem Opfer ab, richtete sich auf und blieb schwer atmend stehen. Er wandte sich um. Mit wenigen Schritten erreichte er den Rapphengst, der in einiger Entfernung in der Dunkelheit wartete. Geschmeidig saß er auf, und Sekunden später hatte die Nacht ihn verschlungen. Vasco Durango, der Schwarze Reiter, zog über die Mesa Montosa auf den Pecos River zu ... *** Wie ein Glutball versank die Sonne hinter den GuadelupeMountains. Alissa Raintree warf das lange dunkle Haar zurück. Der Kattun des knöchellangen blauen Rocks raschelte, als sie sich abwandte. Sie hatte noch einmal nach den jungen Kätzchen in der Scheune gesehen. Jetzt ging sie mit geschmeidigen, federnden Schritten über den staubigen Ranchhof, und ein versonnenes Lächeln lag auf ihrem schönen, leicht gebräunten Gesicht. Durch die Fenster des Haupthauses fiel Licht nach draußen, warm und anheimelnd in der einbrechenden Dunkelheit. Schuppen und Stallungen des kleinen Anwesens hoben sich wie schwarze Klötze ab, im Corral scharrten unruhig die Pferde. Alissa blieb im Schatten der Veranda stehen und fragte sich, ob Mark wohl wirklich noch heute abend zurückkehren würde. Er war nach Fort Sumner hinübergefahren, um Vorräte
einzukaufen. In dem weiten, wilden Land gab es eine Menge Dinge, die ihn aufhalten konnten. Und wenn es nur der Whisky war, der in den Saloons floß. Alissa mußte lächeln beim Gedanken an Marks letzten Ausflug. Wie der Teufel war er spät in der Nacht mit dem Wagen auf den Ranchhof gebraust. Sein Gesang hatte die Hühner, den Koch und die Cowboys geweckt, und seinen Hut hatte er mit Schwung hoch oben auf die Wetterfahne des Hauses befördert. Er hing jetzt noch dort, und Alissa wußte, daß jeder im Land beim Anblick dieses Hutes an Mark Raintrees wilde Zeit erinnert wurde. Die wilde Zeit war vorbei, nur manchmal brach sich der Feuerkopf von früher noch Bahn, das ewige Kind im Mann. Mark behauptete immer, daß er für solche Eskapaden zu alt sei. Aber Alissa lachte ihn nur aus. Sie kannte ihren Mann. Und sie wußte, daß immer noch ein Stück von dem wilden Jungen in ihm stecken würde, und wenn er achtzig werden sollte. Gerade wollte sie sich abwenden – da hörte sie den Hufschlag in den Hügeln. Ein einzelner Reiter. Mark konnte es nicht sein, er war mit dem Zweispänner unterwegs. Alissa blieb stehen, kniff die Augen zusammen und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Der Hufschlag näherte sich. Ein paar Minuten vergingen – dann erschienen die Umrisse des Reiters über der Hügelkuppe. Er hielt auf die Ranch zu. Auch die Cowboys hatten ihn gehört. Die Tür der Bunk öffnete sich, und Roy Vargas, der mexikanische Vormann, kam mit seinen bedächtigen, steifbeinigen Schritten zum Haupthaus herüber. Er stand unterhalb der Veranda und stützte einen Fuß auf die Stufe, als der Fremde in den Hof ritt. Trotz des Lampenscheins aus Türen und Fenstern schien die Gestalt des späten Besuchers mit der Dunkelheit zu
verschmelzen. Sein Stetson war so schwarz wie das Hemd, die Büffellederweste, die tiefgeschnallte Halfter und die LevisHose. Pechschwarz war auch der Hengst, der mit dem Kopf schlug und die Nüstern blähte, weil er das Wasser im Brunnen witterte. Die Gestalten von Mensch und Tier hoben sich wie ein scharfer Schattenriß von dem Lichtschein aus der Bunk ab, und nur die mexikanischen Radsporen und der Griff des 45er Colts schimmerten silbern. Alissa mußte daran denken, was Mark einmal über silberbeschlagene Revolver gesagt hatte. Unnützes Spielzeug! Gefährlich in einem Land, in dem fast immer die Sonne scheint! Eine Waffe, mit der ein Mann sich verteidigen will, muß einen soliden Holzgriff haben. Der Fremde glitt aus dem Sattel und nahm den Stetson ab. Sein Haar war lackschwarz und schmiegte sich dicht an den schmalen Schädel. Dunkel glühende Augen musterten Alissas schlanke, wohlgeformte Figur und die breitschultrige Gestalt des Vormanns. »Guten Abend, Madam«, sagte der Fremde ruhig. Dem Mann in der Cowboykleidung nickte er nur zu, flüchtig und uninteressiert. »Ich habe mich verirrt, scheint mir. Ich wollte nach Stoneville und bin vom Weg abgekommen. Mein Name ist Vasco Durango.« »Ich bin Alissa Raintree. Das ist Roy Vargas, unser Vormann. Seien Sie willkommen, Mr. Durango. Wasser für ihr Pferd finden Sie im Brunnen, und ich werde den Koch anweisen, Ihnen eine kräftige Mahlzeit zu bereiten. Kommen Sie ins Haus, wenn Sie Ihr Tier versorgt haben.« »Sie sind sehr freundlich, Madam. Ich danke Ihnen.« »Nichts zu danken! Roy, zeige unserem Gast den Stall.« Vargas nickte nur, mit ausdruckslosen Augen. Er ging voran. Der Fremde setzte den Hut wieder auf und folgte ihm, und Alissa ging ins Haus, um dem chinesischen Koch Bescheid
zu sagen. Als es wenig später an die Tür klopfte, standen bereits Kaffee, Brot und eine dampfende Schüssel Chili con carne auf dem Tisch. Auf Alissas »Herein« betrat der Fremde das Zimmer. Er hatte sich am Brunnen gewaschen, sein Haar war feucht und schien noch enger am Kopf zu liegen. Die Sporen klirrten. Alissa wies auf einen Stuhl. »Lassen Sie es sich schmecken. Ich muß noch einiges erledigen, dann werde ich Ihnen Gesellschaft leisten.« Sie verschwand in der angrenzenden Küche. Als sie nach ein paar Minuten zurückkam, hatte Vasco Durango bereits gegessen und die Kaffeetasse geleert. Er lächelte, und seine dunklen Augen ließen die Frau nicht los, währen sie sich auf einen der schweren, massiven Stühle setzte. Alissa spürte den Blick wie eine Berührung. Irgend etwas lag in den dunklen Augen, das ihr unangenehm war, das sie leise warnte. Aber sie riß sich zusammen – was konnte schon geschehen? In diesem rauhen, unwirtlichen Land wies man Gäste nicht ab. Hier waren die Menschen noch aufeinander angewiesen, hier hielt man das Gastrecht hoch – und das galt auch, wenn ein Fremder eine Frau allein antraf. Alissa wollte ihn fragen, ob er über Nacht bleiben wolle – doch da hatte er bereits seinen Stuhl zurückgeschoben. »Ich muß weiter, Madam«, sagte er ruhig. »Vielen Dank, daß Sie mich aufgenommen haben. Wenn Sie mir den richtigen Weg nach Stoneville beschreiben würden ...« »Roy kann Sie bis zur nächsten Hügelkuppe begleiten. Von dort aus sehen Sie die Lichter der Stadt.« »Sehr freundlich, Madam. Danke.« Alissa nahm die Lampe vom Tisch und begleitete den Fremden auf die Veranda hinaus. Irgendwie war sie erleichtert, daß er nicht länger bleiben wollte. Sie rief nach Roy Vargas,
der sich in den Ställen zu schaffen machte, und bat ihn, dem Besucher den Weg zum Chapparall Hill zu zeigen. Ein paar Minuten später verließen die beiden Männer die Ranch. Alissa ging ins Haus zurück. Sie war froh, daß der Fremde weiterritt. Unbehaglich zog sie die Schultern hoch. Sie fror plötzlich – und es kam ihr nicht zu Bewußtsein, daß es die Erinnerung an den Blick dieser schmalen dunklen Augen war, die sie frieren ließ. Vasco Durango ... Sie kannte den Namen nicht, hatte ihn nie gehört – und dennoch schien er unheimlich in ihren Ohren zu klingen. So unheimlich wie der ganze Mann! Vielleicht lag es daran, daß er von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet war und diesen großen Rappen ritt. Ob er seine Umgebung damit beeindrucken wollte? Die riesigen Chihuahua-Sporen und der silberbeschlagene Revolver paßten dazu – und Alissa Raintree spürte eine seltsame Erleichterung bei dem Gedanken, daß der Mann vielleicht nur ein Angeber war, der sich interessant machen wollte. Sie blickte zu der großen Standuhr hinüber. Mark würde wohl doch nicht mehr kommen – vermutlich war er über Nacht in der Stadt geblieben. Die junge Frau löschte das Licht in der Halle, stieg die Treppe hinauf und betrat wenig später das große Schlafzimmer. Die Vorhänge waren geschlossen, eine Deckenlampe spendete warmes Licht. Für einen Moment blieb Alissa vor dem Spiegel stehen. Sie war eine schöne Frau: Groß, schlank, mit langem dunklem Haar, klaren Zügen und leuchtenden blauen Augen. Ein flüchtiges Lächeln glitt über ihr Gesicht, dann wandte sie sich ab, trat zum Bett und begann, die Knöpfte ihres einfachen Kleides zu öffnen. Als sie es abstreifte und begann, sich am Verschluß des
weißen, rüschenbesetzten Unterkleids zu schaffen zu machen, hörte sie die Bewegung hinter sich. Der Vorhang raschelte. Alissa glaubte, daß sie lediglich vergessen habe, das Fenster zu schließen. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst, wandte sich um – und erstarrte. Mit einem Ruck wurde der bodenlange Vorhang zur Seite gerissen. Wie ein Schatten glitt die dunkle Gestalt ins Zimmer, schwarze Augen funkelten, und Vasco Durangos Lippen verzerrten sich zu einem Lächeln. Alissa vermochte sich nicht zu rühren. Sie begriff nicht. Sie konnte sich nicht erklären, wie Durango hereingekommen war, warum sie ihn nicht auf dem Verandavorbau gehört hatte, wo Roy Vargas steckte. Ein halbes Dutzend Fragen schossen ihr gleichzeitig durch den Kopf, und in einer tieferen, verborgenen Schicht ihres Wesens spürte sie das aufkeimende Entsetzen wie einen Eishauch. Durango lächelte. »Du bist schön«, flüsterte er. »Wunderschön ...« Seine Augen schienen plötzlich heller zu werden, erstrahlten in einem düsteren, intensiven Glanz. Gelbliche Funken tanzten im Irisring, die Pupillen waren mattschwarz und unergründlich wie Brunnenschächte. Alissa spürte den Blick auf der Haut, und ein prickelnder Schauer rann über ihren Rücken. Sie versuchte, sich zusammenzureißen. »Was fällt Ihnen ein, mein Schlafzimmer zu betreten?« stieß sie hervor. »Wie kommen Sie überhaupt herein? Und wo ist Roy Vargas?« »Der Vormann?« Durango hob die Hand zu einer vagen Geste – Alissa sah, daß er lange, schmale, nervige Finger hatte. »Der Junge irrt irgendwo draußen umher. Ich habe dafür gesorgt, daß er sich später an nichts mehr erinnert.«
Wie ein Schatten glitt die dunkle »Sie haben – was?« »Ich habe dafür gesorgt, daß er sich nicht mehr erinnert. An nichts! Er wird meinen Namen vergessen, mein Aussehen – er wird vergessen, daß es mich je gegeben hat.« Alissa Raintree schluckte. Immer noch waren die dunklen, funkelnden Augen auf sie gerichtet. Ein seltsames Gefühl des Unwirklichen ergriff von ihr Besitz. Sie versuchte, dagegen anzukämpfen, und grub die Fingernägel in die Handballen. »Gehen Sie«, sagte sie scharf. »Verlassen Sie sofort das Haus, ehe ich ...« »Nein«, sagte Vasco Durango. Und dieses Nein klang so endgültig, klang so sehr nach einem unumstößlichen, vernichtenden Urteil, daß Alissa das Entsetzen wie eine unsichtbar würgende Hand an ihrer Kehle spürte. Sie wich zurück. Schritt für Schritt wich sie zurück, bis sie mit den Kniekehlen gegen die Kante des Betts stieß. Der schwarzgekleidete Fremde folgte ihr, glitt lautlos über den Teppich, und erst als er fast heran war, brach der Bann, der Alissa umfangen hatte. Sie holte Atem, sie wollte schreien – aber sie kam nicht mehr dazu. Mit einem Sprung schnellte der Fremde auf sie zu. Seine Hand preßte sich auf ihren Mund, unter dem Anprall des schweren Körpers verlor sie das Gleichgewicht und fiel rückwärts auf das Bett. Durango warf sich über sie. Alissa spürte sein Gewicht, seinen heißen Atem, bäumte sich auf und versuchte verzweifelt und vergeblich, ihn abzuschütteln. Er lachte nur. Erregung verzerrte sein Gesicht. Mit übermenschlicher Kraft hielt er Alissas Arm fest und drückte sie auf das Bett
nieder. Immer noch lag seine Hand über ihrem Mund, erstickte ihre Schreie. Ihr Herz raste, roter Nebel kreiste in ihrem Gehirn, und sie sah das Gesicht über sich nur noch undeutlich als verschwimmenden Schatten. Heiße Lippen preßten sich auf ihren Hals. Scharf und spitz spürte sie die Berührung der Zähne an der Kehle. Sie schauerte, ein lautloses Schluchzen schüttelte sie – und sie begriff erst in letzter Sekunde, was der Unheimliche mit ihr vorhatte. Zähne gruben sich in ihre Haut. Blitzschnell bissen sie zu, und Alissa spürte den jähen Schmerz und die heiße Feuchtigkeit pulsierenden Blutes. Ihr eigenes Blut! Mit schwindenden Sinnen begriff sie, daß eine Wunde in ihrer Kehle klaffte, daß dieses Untier ihr Blut soff – und tief in ihrem Innern schien das Entsetzen förmlich zu explodieren. Ein greller Blitz schnitt durch ihr Gehirn. Schwarze Wogen griffen nach ihr, schlugen über ihr zusammen, und eine gnädige Ohnmacht löschte das Grauen aus und erlöste Alissa von der Qual ihrer letzten Lebensminuten. Kein Tropfen Blut floß mehr in den Adern der jungen Frau, als der Vampir endlich von seinem Opfer abließ. Vasco Durango straffte sich. Eine seltsame Verwandlung war mit ihm vorgegangen. Sein bleiches, ausgemergeltes Gesicht wirkte glatt und jung. Die Augen leuchteten wie von einem inneren Feuer angeheizt. Mit den federnden, elastischen Schritten eines jungen Mannes durchquerte er das Zimmer und schob den bodenlangen Samtvorhang zur Seite. Das Fenster stand halb offen. Geschmeidig wie eine Katze glitt Vasco Durango über den Verandavorbau und sprang auf den Boden. Er lächelte spöttisch, als er die starre, selbstvergessene Gestalt des
Vormanns auf der anderen Seite des Hofes sah. Durango schlich durch die Lücke zwischen einem Stall und der Rückseite des Bunkhouses, und wenig später schwang er sich in den Sattel des Rapphengstes. Wie ein Schatten preschte der Schwarze Reiter durch die Nacht. Rastlos ... Getrieben von immer neuem, unstillbarem Blutdurst. Eine Bestie, die der Finsternis gehörte und doch immer wieder die Nähe der Menschen suchen mußte, weil sie Opfer brauchte ... *** Mitternacht war vorbei, als der schwer beladene Zweispänner auf den Ranchhof rumpelte. Mark Raintree saß auf dem Bock. Ein großer, breitschultriger Mann mit kantigen Zügen, schon angegrautem blondem Haar und pulvergrauen Augen. Seine kräftigen Fäuste hielten die Zügel, aber er lenkte das Gespann weich und mit dem instinktiven Verständnis des Menschen, der das Tier als Partner achtet. Neben ihm war Big Track, der krummbeinige alte Cowboy, im Sitzen eingenickte. Sein Kopf pendelte leicht, der Hut war ihm in die Stirn gerutscht und beschattete das faltige Gesicht unter dem schlohweißen Haar, und bei jedem Atemzug produzierte er ein leises Schnarchen. Raintree stieß ihn lachend in die Rippen. »He, Old Boy, wir sind da! Du kannst im Bett weiterschlafen.« Der Alte fuhr hoch. Seine leuchtend blauen, von einem Kranz winziger Lachfältchen umgebenen Augen blinzelten. »Hoppla! Da hol’ mich doch dieser und jener! Wenn das so weitergeht, glaube ich bald selbst, daß ich alt werde, Boß.« »Du und alt? Du wirst noch als Gerippe ein Eisen ins Höllenfeuer stecken, um den Teufel zu branden, mein Junge.
Dafür verwette ich den Hut da oben auf der Wetterfahne!« »Das kannst du auch. Weil ich nämlich lieber den Teufel am Schwanz ziehe als womöglich in einem Engelschor mitzusingen. Moment mal!« Mit einer überraschend elastischen Bewegung sprang er vom Wagen und zog das Tor der Remise auf. Die beiden Männer brauchten nur wenige Minuten, um die Pferde auszuschirren und zu versorgen. Erst als sie die Tiere in den Corral führten, bemerkten sie, daß Roy Vargas, der Vormann, in der Nähe des Gatters stand. Mark Raintree schloß das Tor wieder. Seine dichten Brauen hatten sich gehoben. »Hallo, Roy! Stimmt was nicht, oder bist du unter die Nachtwandler gegangen?« Vargas fuhr zusammen. Sein Gesicht wirkte unnatürlich bleich – und Raintree begriff, daß der Vormann die Ankunft des Zweispänners offenbar überhaupt nicht bemerkt hatte. »Bist du krank?« erkundigte er sich jetzt ernsthaft. »Fehlt dir etwas?« Roy Vargas fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Ich weiß nicht, ich ...« Er schüttelte den Kopf wie ein Betrunkener, der den Nebel in seinem Gehirn loswerden will. »Mir ist komisch. Verdammt komisch! Dabei war es nur ein einziger Whisky – und nicht mal ein großer.« »Vielleicht hat dir jemand was ins Glas geschüttet. Hau dich in die Falle, mein Junge, abgeladen wird sowieso erst morgen.« Der Vormann nickte nur. Mit unsicheren Schritten stolperte er auf die Bunk zu. Raintree sah ihm nach, dann schüttelte er grinsend den Kopf und wandte sich ab. »Wie ist es, Big Track?« fragte er. »Wollen wir noch einen anständigen Tropfen durch die Kehle gießen?« »Das fragst du einen trainierten Whiskyvertilger, Boß? Ich sage immer, die beste Garantie für die Gesundheit ist ‘ne
vernünftige Mischung von Blut und Alkohol in den Adern.« »Stimmt auffallend.« Mark schielte zu dem Hut auf der Wetterfahne hinauf und dachte an die wilde Zeit, wo ihn der alte Big Track manchmal sternhagelvoll auf der Ladefläche des Wagens nach Hause gefahren hatte. Ein Mann brauchte das. Eine gute Frau, einen prächtigen Sohn wie den kleinen Billie, gutes Land, gutes Vieh und ab und zu ein fürchterliches Besäufnis. Drei, viermal im Jahr, überlegte er, während er die Tür öffnete und Licht machte. Am Unabhängigkeitstag, am Geburtstag des Präsidenten, am Geburtstag General Lees natürlich und an seinem eigenen. Er gähnte behaglich, wies auf einen der schweren Ledersessel und öffnete den Schrank, um Whisky und Gläser zu holen. Sie leerten die halbe Flasche, aber nach dem ersten rasch hinuntergestürzten Glas tranken sie langsam, bedächtig – wie Männer trinken, die einen harten Tag lang gute, handfeste Arbeit geleistet haben. Big Tracks weißes Haar schimmerte im Lampenlicht. Niemand sprach, in dieser behaglichen Stille waren Worte überflüssig, und nach einer Weile erhob sich der alte Cowboy und stülpte sich den Hut wieder auf den Kopf. Der Rancher ging mit hinaus, um sich mit dem eiskalten Brunnenwasser den Staub von der Haut zu spülen. Auch das gehörte zu den Dingen im Leben, die so und nicht anders sein mußten – das neumodische Badezimmer im Haus war etwas für Frauen und Kinder. Raintree warf sich das Hemd über die Schulter, und als er ins Haus zurückging und die Treppe hinaufstieg, spürte er eine angenehme, wohltuende Müdigkeit tief in den Knochen. Im Schlafzimmer brannte noch Licht, fiel in einem dünnen Streifen durch den Türspalt. Raintree lächelte. Er liebte es, wenn Alissa auf ihn gewartet hatte, wenn sie die Arme in dieser Art nach ihm ausstreckte, als sei er ein halbes Jahr fortgewesen. Sie war eine wunderbare Frau. Und sie war eine
der wenigen Frauen, die verstanden, was ein Mann brauchte. Sie wußte, daß ein Mann den Unabhängigkeitstag und die Geburtstage George Washingtons und General Lees feiern mußte, einmal alle zwei Jahre an der Spitze einer rauchigen Trailmannschaft in eine wilde Rinderstadt reiten und ... Er hatte die Tür geöffnet. Einen Schritt machte er in den Raum hinein – und blieb stehen, als sei er gegen eine Wand aus Glas gelaufen. Alissa lag auf dem Bett. Sie lag reglos da. Ihre Glieder waren verkrampft, eine gräßliche Wunde klaffte an ihrer Kehle, und die wunderschönen blauen Augen blickten gebrochen zur Decke. Mark Raintree brauchte Sekunden, um das Grauen zu fassen. Und der Schrei, der dann durch das große Haus hallte, hatte nichts Menschliches mehr ... *** Niemand schlief mehr in dieser Nacht auf der RaintreeRanch. Es war Roy Vargas, der wie der Teufel in die Stadt jagte, um den Sheriff und den Doc zu holen. Mark Raintree wirkte wie versteinert – er saß am Bett seiner toten Frau und schien nichts wahrzunehmen. Aber Vargas, Big Track und die anderen hatten die Bißwunde an Alissas Hals gesehen, die verletzte Schlagader und das Laken, auf dem es entgegen aller Wahrscheinlichkeit nur wenig Blutspuren gab, und sie spürten alle, daß hier irgend etwas nicht stimmte. Der Doc und der Sheriff spürten es ebenfalls. Kopfschüttelnd untersuchte der alte Arzt die Tote, murmelte etwas von einem blutleeren Körper, von einem Fall, der ihm noch nie vorgekommen sei, aber auch er hatte keine Erklärung
für das Rätsel. Der Sheriff befragte die Cowboys. Ein paar von ihnen hatten gesehen, wie ein Fremder in den Hof ritt. Sie behaupteten, Roy Vargas sei hinausgegangen, um nachzusehen – aber der mexikanische Vormann konnte sich an nichts erinnern. Im Morgengrauen verließen der Sheriff und der Doc die Ranch und ritten in die Stadt zurück. Mark Raintree saß immer noch wie versteinert neben Alissa. Seine grauen Augen waren weit und ausdruckslos. Er starrte ins Leere. Big Track stand an der Tür, bleich und besorgt, und er zuckte zusammen, als Raintree plötzlich mit einem Ruck den Kopf hob. »Ein schwarzgekleideter Reiter auf einem Rappen«, wiederholte er langsam die vage Beschreibung der Cowboys. Big Track wurde klar, daß der Rancher jedes Wort gehört hatte. Der weißhaarige Cowboy nickte. »Aber warum?« fragte Raintree mit der gleichen klanglosen Stimme. »Warum so? Er hat ihr nicht Gewalt angetan, und er hat nichts gestohlen. Warum also? Was hat er von ihr gewollt?« Big Track zögerte. In seinem braunen, zerfurchten Gesicht hatten sich die Falten vertieft. »Vielleicht – ihr Blut«, sagte er langsam. »Blut?« echote Raintree verständnislos. »So etwas gibt es, Boß.« Die Stimme des alten Mannes klang rauh. »Wesen, die weder tot noch lebendig sind, die sich von Menschblut ernähren und ...« »Unsinn! Das sind doch Ammenmärchen, das ist finsterer Aberglaube.« Big Track hob die Schultern. »Wo ich geboren bin, denkt man anders darüber«, sagte er ruhig. »Der Balkan und die Karpaten sind das Stammland der Vampire. Mein Vater war ein Kerl, der Tod und Teufel nicht
fürchtete, aber er ging nie ohne silbernen Dolch aus dem Haus. Und mein Großvater ist noch dem Grafen Dracula begegnet, er hat oft davon erzählt, als ich noch ein kleiner Junge war.« »Dracula?« wiederholte Raintree. »Der König der Vampire, ja. Es hat sie immer und überall gegeben, Boß, zu allen Zeiten. Warum also nicht hier bei uns, im Westen?« Mark Raintree rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Noch einmal blickte er in Alissas weißes Gesicht, sehr lange, dann stand er auf. Mit schleppenden Schritten verließ er das Zimmer. Big Track folgte ihm – und stellte erleichtert fest, daß sich Raintrees Schultern wieder gestrafft hatten. »Vampir oder nicht«, sagte der Rancher rauh. »Diese Bestie wird bezahlen!« »Boß, ich ...« Raintree winkte ab. Er hatte das Geräusch nackter Füße gehört, jetzt öffnete sich eine Tür am Ende des Ganges. Der blonde Wuschelkopf des kleinen Billie tauchte auf, der von den schrecklichen Ereignissen der Nacht nichts mitbekommen hatte. »Hallo, Daddy!« Er blinzelte verschlafen. »Ich hab’ mich schon ganz allein angezogen. Gibt es denn heute gar kein Frühstück?« Raintree lächelte schmerzlich. Er beugte sich zu dem Jungen herunter und hob ihn hoch. »Du hast die Schuhe vergessen«, sagte er sanft. »Komm, wir machen es gemeinsam.« »Und dann gibt es Frühstück?« »Du wirst heute morgen drüben bei den Mansons frühstücken. Big Track bringt dich hinüber. Du sollst ein paar Tage dort bleiben, magst du?« Der Kleine strahlte. »Oh, fein! Dann kann ich mit Tim und
Sandie spielen. Kommt Mamy auch mit?« Mark Raintrees Kehle war wie zugeschnürt. Sein Kiefer schmerzte vor Anspannung. »Nein, Billie«, sagte er rauch. »Mamy wird nicht mitkommen. Mamy ist – sie ist sehr krank, weißt du?« Billies Augen wurden groß. »Oh! Darf ich zu ihr und ...« »Nein, mein Junge. Nicht jetzt! Du wirst mit Big Track zu den Mansons hinüberfahren und schon brav sein, ja?« »Ja, Daddy.« Der Junge wandte sich gehorsam ab und schob seine kleine Hand in die rauhe, schwielige Pranke des Cowboys. Aber seine Augen waren voller Angst – und der Rancher wußte, daß das Kind die Wahrheit bereits ahnte. Mark Raintree stand am Fenster, als der leichte Einspänner mit Big Track und dem Kind nach Westen in die Richtung der Nachbarranch rollte. Raintrees Gesicht glich einer Maske, hart und weiß wie Marmor. Immer noch wirkte er erstarrt, versteinert – aber irgendwo auf dem Grund der grauen Augen begann ein verheerendes Feuer zu glühen. Morgen würde er Alissa begraben. Unter den drei Cottonwood-Bäumen am Hang – dort, wo auch das Grab seines Vaters und das seines Bruders lag. Und übermorgen würde er reiten, würde der Spur folgen und einen langen Trail beginnen, an dessen Ende die Stunde der Rache lag ... *** Im Long-Branch-Saloon wandten sich ein Dutzend Köpfe, als der große, hagere Mann die Schwingtür aufstieß. Für einen Moment wurde es so still, daß das Klirren der silbernen Chihuahua-Sporen zu hören war. Der Fremde trug
Schwarz, von dem breitrandigen Stetson bis zu den staubgepuderten Stiefeln. Der Blick seiner dunklen stechenden Augen glitt in die Runde, und er schritt langsam auf die Theke zu, während im »Long Branch« die Gespräche wieder einsetzten. Charlot de Forest hatte eine Gruppe angetrunkener Cowboys mit Whisky-Nachschub versorgt. Das rothaarige Mädchen steckte in der typischen Flitter-Kostümierung des Saloon-Girls: Ein grünes, paillettenbesetzes Kleid in der Farbe ihrer Augen ließ viel nackte Haut sehen, die Perlen ihrer Ohrringe klirrten leise, ein dünnes Kettchen mit einem Medaillon lag um den schlanken Hals. Aber Charlot war jünger und hübscher als die meisten Frauen in diesem Beruf, weniger stark geschminkt, frischer und natürlicher. Sie wußte es, und sie hatte immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, eines Tages einen reichen Mann kennenzulernen, der sie aus diesem Milieu herausholte. Der Blick, mit dem sie den schwarzgekleideten Fremden maß, war neugierig und abschätzend. Das bleiche, längliche Gesicht des Burschen hatte etwas Abstoßendes, aber Charlot träumte längst nicht mehr von dem schönen jungen Märchenprinzen. Sie empfing den neuen Gast mit routiniertem Lächeln und griff nach einer der besseren Flaschen unter der Theke, als er mit seiner metallischen Stimme Whisky bestellte. Das erste Glas trank er in einem Zug. Charlot blieb in seiner Nähe und beobachtete ihn. Schließlich gab sie sich einen Ruck und eröffnete die Unterhaltung. »Sie sind fremd hier, nicht wahr?« fragte sie. Er sah sie an. »Ja, allerdings.« Einen Moment lang ruhten seine dunklen Augen mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens, dann strafften sich seine Schultern. »Ich hätte nicht erwartet, eine Frau wie Sie in einem so trostlosen Nest zu treffen. Mein Name ist Vasco Durango.«
»Ich bin Charlot de Forest. Möchten Sie noch einen Whisky?« »Wenn Sie mir die Freude machen, mit mir zu trinken ...« Charlot füllte die Gläser. Die Sache ließ sich gut an, fand sie. Sie prostete dem Fremden zu – und stellte mit leiser Besorgnis fest, daß einer der betrunkenen Cowboys unverwandt zu ihr herübersah. Es war Jack Keno, der blonde Hüne, der ihr seit Wochen den Hof machte. Sie hatte sich seine Aufmerksamkeiten gefallen lassen, weil kein anderer passabler Mann in der Nähe gewesen war. Jetzt bedauerte sie es. Keno schien sich einzubilden, irgendwelche Rechte auf sie zu haben. Sichtlich wütend schob er die Kinnlade vor, stieß sich von der Theke ab und kam mit wiegenden, schon etwas unsicheren Schritten herüber. »He«, grollte er. »Das ist mein Girl! Laß die Finger von ihr, verstanden?« Vasco Durango hob die dünnen Brauen. Charlot schluckte und warf ihm einen beschwörenden Blick zu. »Vorsicht«, flüsterte sie. Reizen Sie ihn nicht. Er ist gefährlich.« Durango lächelte nur. Aufreizend langsam schwang er herum und musterte den Hünen. »Reden Sie mit mir?« fragte er. »Allerdings«, knurrte der Cowboy. »Ich rede mit dir, du Bastard!« »Paßt Ihnen etwas nicht?« Keno rollte die Augen. Die lässige Ruhe des anderen reizte ihn. Er knurrte wie ein hungriger Wolf, während er noch einen Schritt näher kam. »Mir paßt ‘ne ganze Menge nicht an dir, Satteltramp«, knurrte er. »Deine verdammten Sporen machen zu viel Krach.
Deine dämlichen Angebercolts gefallen mir nicht, dein Hut gefällt mit noch weniger, und am allerwenigsten gefällt mir deine Visage.« Er ballte angriffslustig die Fäuste. Im Saloon war es still geworden – die Gäste hatten begriffen, daß sich eine Schlägerei anbahnte, und verfolgten die Entwicklung der Dinge mit erwartungsvoller Neugier. Vasco Durango lehnte immer noch mit dem Rücken an der Theke und rührte sich nicht. »Dein Pech«, sagte er. »Wenn ich dir nicht gefalle, kannst du ja in eine andere Richtung sehen.« »Ich seh’ in die Richtung, die mir paßt. Außerdem lasse ich nicht zu, daß jemand meinem Girl Whisky spendiert und ...« »Ich bin nicht dein Girl!« fuhr Charlot dazwischen. »Verschwinde, Keno! Laß uns in Ruhe!« »Den Teufel tue ich!« Der Hüne starrte Durango an. »Und nun hör’ zu, du Bastard! Du wirst jetzt den Hut abnehmen, dein Eisen abschnallen und die verdammten Sporen. Und dann wirst du dir den Whisky, den du meinem Mädchen spendiert hast, selbst in den Hals schütten, verstanden?« »Und wenn ich das nicht tue?« »Dann kannst du schon mal deine Knochen numerieren, weil ich sie dir nämlich einzeln brechen werde«, sagte Jack Keno drohend. Der schwarzgekleidete Fremde hob die Achseln. »Ich habe keine Lust, mich zu prügeln«, sagte er. »Auch gut! Dann verschwinde! Verzieh dich, aber ein bißchen plötzlich!« Durango schüttelte den Kopf. »Irrtum«, sagte er gelassen. »Du wirst verschwinden.« »Ich ...« Der Hüne verstimmte abrupt. Gerade hatte er eine Bewegung gemacht, um sich auf den
Fremden zu stürzen und ihn einfach zu überrennen – jetzt stockte er. Durangos Blick hatte ihn getroffen. Ein kalter, gleißender, eigentümlich intensiver Blick aus funkelnden Augen, der dem wütenden Hünen wie eine Sonde unter die Haut ging. Er schluckte hart. Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Kiefer mahlte. Noch einmal machte er eine Bewegung – und wieder schien ihn irgendeine unsichtbare Macht zu stoppen. Durangos Blick bohrte sich in die Augen seines Gegenübers. Der Cowboy verharrte reglos, als lausche er auf etwas. Zwei Dutzend Gäste im »Long Branch« warteten darauf, daß sich Jack Keno auf den schwarzgekleideten Fremden stürzte, um ihn zu zermalmen – und zwei Dutzend Gäste erlebten, wie sich der wildeste Schläger der Stadt plötzlich in ein sanftes Lamm verwandelte. Der Hüne wich zurück. Dein Gesicht verzerrte sich, die wulstigen Lippen zuckten. Zwei, drei Schritte macht er, dann warf er sich jählings herum, rannte zur Tür und stürzte aus dem Saloon, als ob der Teufel selber hinter ihm her sei. Die Spannung entlud sich in einem tiefen Aufatmen. Erregtes Gemurmel setzte ein. Sekunden später redeten und schrien alle durcheinander. Jack Keno hatte gekniffen! Er hatte gekniffen vor einem hageren, nicht mehr jungen Mann, der ihm körperlich mit Sicherheit unterlegen gewesen wäre – und das war für diesen Abend die perfekte Sensation im »Long Branch«. Vasco Durango wandte sich wieder der Theke zu, als sei nichts geschehen. Charlot starrte ihn mit offenem Mund an. Er lächelte. Immer noch lag dieser eigentümliche Glanz in seinen Augen, und das Mädchen spürte einen prickelnden Schauer über ihren Rücken rinnen.
»Was haben Sie mit ihm gemacht?« flüsterte sie. »Er ... er ist der gefährlichste Schläger von Roswell. Er ist noch nie einem Kampf ausgewichen.« Durango machte eine wegwerfende Geste. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Stimme klang leise und vollkommen ruhig. »Ein kluger Mann sieht sich einen Gegner erst an, bevor er sich mit ihm anlegt«, sagte er. »Und Jack Keno ist ein kluger Mann, wie mir scheint ...« *** Alissa Raintree war im Schlafzimmer aufgebahrt worden. Zwei Kerzen brannten am Kopfende des Bettes und warfen ihren flackernden Schein über das schöne, weiße Gesicht. Die Vorhänge waren dicht geschlossen und sperrten die Finsternis aus, und ein leichter, trockener Wind sang jenseits des Fensters. Unten in der Halle schlug die Standuhr Mitternacht, als die rätselhafte Verwandlung einsetzte. Zuerst war kaum etwas zu sehen. Das Totengesicht bewegte sich nicht, nur der Ausdruck der schönen Züge schien sich von innen her zu wandeln. Die Haut wurde noch blasser, und wenn jetzt jemand in das Zimmer gesehen hätte, wäre ihm vielleicht aufgefallen, daß an die Stelle des Friedens in dem reglosen Antlitz eine kalte, beinahe feindselige Starre getreten war. Sekunden später bewegten sich die gefalteten Hände. Erst unmerklich, dann immer schneller begannen die Fingernägel zu wachsen, verfärbten sich dunkel und krümmten sich zu Krallen. Die Lippen erglühten rot, als sei wieder Blut in sie zurückgekehrt. Ganz langsam öffnete sich der Mund, unruhig bewegte sich die Zunge – und über die Unterlippe
schoben sich die Spitzen scharfer, schimmernder Eckzähne. Der letzte Schlag der Standuhr in der Halle war noch nicht verklungen, da hatte sich die tote Alissa Raintree in ein Wesen verwandelt, das weder der irdischen noch der jenseitigen Welt angehörte und das dazu verdammt war, Furcht und Schrecken in die Welt zu bringen. Ihre Augen öffneten sich – Augen, die kalt und leblos wie blaues Glas wirkten. Sie sah sich um, ließ den Blick durch das Zimmer gleiten, über den geschlossenen Fenstervorhang und die Kerzen am Kopfende des Bettes, und die roten Lippen krümmten sich zu einem unsagbar verächtlichen Lächeln. Die verschlungenen Finger lösten sich voneinander, die Tote stützte sich hoch. Mit den starren, mechanischen Bewegungen einer Marionette stand sie vom Bett auf, durchquerte das Zimmer und schob den Vorhang zur Seite. Mondlicht lag über den Hügeln. Zwischen den Vorhängen ballte sich die Dunkelheit dicht und undurchdringlich wie schwarze Watte, aber in der Luft schien ein feiner Silberschleier zu hängen. Sterne funkelten am Himmel gleich Brillanten auf dunklem Samt. Alissa hob den Kopf, blickte zu der fernen, bleichen Scheibe des Mondes hinauf, und ihre Nasenflügel bewegten sich unruhig wie bei einem Tier, das Witterung aufnimmt. Ihre Zunge fuhr über die unnatürlich roten Lippen. Sie senkte den Blick, starrte in den Ranchhof hinunter. Eine Stallaterne baumelte über der Tür der Bunk. Dort unten waren Menschen. Ahnungslose Menschen, schlafend und blind gegen die Gefahr. Menschen, in deren Adern heißes Blut pochte und ... Blut! Schon der Gedanke genügte, um in Alissas Augen ein fanatisches Feuer zu entfachen. Ihre Lippen zuckten, zogen
sich von den scharfen, gekrümmten Zähnen zurück. Ein leises Fauchen kam aus ihrer Kehle. Mit einem Ruck wandte sie sich ab, ließ den Vorhang zurückgleiten und ging wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen durch das Zimmer. Menschen! Sie mußte Menschen finden! Pochende Halsschlagadern, warmes, süßes Blut! Sie brauchte es. Die Gier saß wie ein Stachel in ihrem Fleisch, schüttelte sie, trieb sie unwiderstehlich weiter. Ihre Rechte streckte sich aus, fand den Drehknauf, und mit einem leisen Knarren schwang die schwere Tür zurück. Flur und Treppenhaus lagen im Dunkeln – aber das Wesen, in das sich Alissa Raintree verwandelt hatte, brauchte kein Licht. Lautlos glitt sie vorwärts, ihre Füße berührten kaum den Boden. Die Augen leuchteten, als brenne unter ihnen ein verzehrendes Feuer. Schritt für Schritt bewegte sie sich weiter, erreichte die Treppe und stieg in die Halle hinunter. Die Standuhr tickte. Von irgendwoher klang das Brüllen von Rindern herüber, die Pferde scharrten unruhig im Corral. Draußen auf dem Hof schlug der Hund an – als wittere die Kreatur das gräßliche, widernatürliche Wesen, das im Haus erwacht war. Alissa erreichte die Halle, wollte sich zur Tür wenden – und hörte im nächsten Moment das leise, klappernde Geräusch aus der Küche. Sen Li, der chinesische Koch, verstand sich nicht nur auf die Zubereitung, sondern auch auf die Dezimierung aller möglichen Delikatessen. Mitternacht war die bevorzugte Zeit für ihn, um ungestört in der Küche zu hantieren und die fernöstlichen Genüsse zu zaubern, denen er die Figur einer wandelnden Kugel verdankte. Alissas Lider zogen sich zusammen. Erinnerung formte sich in ihren Augen, Bilder aus
ihrem vergangenen Leben tauchten auf, und das weiße Gesicht verzerrte sich zu einem Ausdruck des Triumphes. Sie wechselte die Richtung. Wie ein lautloser Schatten huschte sie in den kurzen Flur, der die Halle mit der riesigen Küche verband. Rechts lag das Zimmer Sen Lis, links das des taubstummen Küchenmädchens – doch die halboffene Tür am Ende des Ganges verriet, daß sich der Chinese in seinem ureigensten Reich aufhielt. Der schwache Duft nach exotischen Gewürzen hing in der Luft. Sen Li hantierte mit einem Fleischmesser. Er wandte der Tür den Rücken zu, sein dünner Zopf wippte bei jeder Bewegung, und er murmelte vor sich hin, während er Scheiben von einem Bratenrest schnitt und in die Soße warf, die auf dem Ofen brodelte. Alissas Blick haftete auf dem feisten Nacken des Kochs. Sie glaubte, das Pochen der Halsschlagader zu sehen. Unruhig zuckten ihre Lippen, bewegten sich die Nüstern. Lautlos und unaufhaltsam schritt die Untote auf den ahnungslosen Mann zu, und Sen Li spürte die Gefahr erst in letzter Sekunde. Er wandte sich um. Klirrend entfiel das Fleischmesser seiner Rechten. Er sah die wandelnde Leiche, er sah den Ausdruck der Gier, mit dem Alissa ihre Lippen von den drohenden Eckzähnen zurückzog – und mit dem Instinkt eines Mannes, für dessen Rasse Geister und Dämonen noch zum Alltag gehörten, begriff der Chinese weit schneller, als irgendein anderer auf der Ranch es vermocht hätte. Eine Sekunde lang konnte er sich nicht rühren, dann entlud sich die Spannung in einem kreischenden, sich überschlagenden, durch Mark und Bein dringenden Schrei ... ***
Mark Raintree hatte noch nicht geschlafen. Ruhelos lief er in dem kleinen Zimmer auf und ab, in dem er früher immer übernachtet hatte, wenn er einen mächtigen Rausch ausschlafen mußte und Alissa nicht stören wollte. Bei dem Gedanken daran preßte er bitter die Lippen zusammen. War es wirklich erst gestern gewesen, daß er sich auf den Whisky gefreut hatte, mit dem er General Lees Geburtstag begießen wollte, daß er die Erinnerung an die Zeit der wilden Longhorn-Treiben genoß und an jene denkwürdige Nacht, als sein Hut auf der Wetterfahne gelandet war? All das schien ihm eine Ewigkeit zurückzuliegen, schien zu einer anderen Welt zu gehören. Er war nicht mehr der wilde Mark Raintree, der das Leben liebte und der immer ein bißchen mehr vertrug als die anderen. Sein Leben war vorbei. Irgend etwas in ihm war mit Alissa gestorben, das spürte er, und er wußte, daß er nie mehr so sein würde wie früher. Er würde sich rächen, würde diese Bestie stellen und töten. Was danach war – er hatte sich noch keine Gedanken darüber gemacht. Um Billies willen mußte er zurückkommen. Das Kind brauchte ihn, brauchte ihn jetzt, nach Alissas Tod, umso nötiger. Er würde auf die Ranch zurückkehren, er würde versuchen, Billie ein guter Vater zu sein und ... Seine Gedanken stockten. Schrill und gellend zerriß der Schrei die Stille – und Mark Raintree fuhr so heftig herum, daß er fast einen Stuhl umwarf. Er rannte zur Tür. Seine Hand lag schon auf der Klinke, als er sich besann. Mit zwei Sprüngen hastete er noch einmal ins Zimmer zurück, nahm seinen Gurt von der Stuhllehne und schnallte ihn um, während er erneut die Tür erreichte. Der Schrei unten im Haus schien nicht enden zu wollen, war so schrill und voller Entsetzen, daß Mark Raintree ein eiskalter
Schauer über den Rücken rann. Seine Zähne preßten sich aufeinander. So schnell er konnte, jagte er die Treppe hinunter, erreichte die Halle, und immer noch gellte in seinen Ohren der gräßliche Schrei. Er kam von rechts, aus Richtung der Küche. Mark Raintree zog den Revolver aus der Halfter. Schwer und beruhigend lag der 45er in seiner Hand. Mit zwei Schritten erreichte er die Verbindungstür zu dem kurzen Flur, riß sie auf – und blieb stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Die Küchentür stand offen. Undeutlich konnte er den dicken Koch sehen, der beide Hände vor das Gesicht geschlagen hatte, und jetzt wußte er auch, daß es Sen Li war, der geschrien hatte. Die Stimme des Chinesen versagte, er brachte nur noch ein undeutliches Krächzen hervor. Nackter Wahnsinn flackerte in seinen Augen – aber das war es nicht, was Mark Raintree erschreckte. Er sah die Gestalt in der Tür. Eine hohe, schlanke Gestalt in einem weißen Totengewand. Langes dunkles Haar, das über den Rücken fiel und ... Nein, dachte er. Nein, das gibt es nicht, das ist nicht wahr. Es durfte nicht wahr sein! Er hatte eine Halluzination, sah irgendein Trugbild, das ihm seine überreizten Nerven vorgaukelten. Es konnte nicht Alissa sein, die dort stand. Alissa war tot. Alissa lag starr und kalt im Kerzenschein, Alissa hatte ... Die Erscheinung bewegte sich. Zwei, drei gleitende Schritte machte sie in die große Küche hinein. Sen Lis Augen verdrehten sich. Mit einem dumpfen Gurgeln griff er sich an die Kehle – und Mark Raintree wurde schlagartig klar, daß dies alles keine Halluzination sein konnte, da der Chinese es ebenfalls sah.
Der Rancher hatte das Gefühl, als gefriere das Blut in seinen Adern. Er starrte Sen Li an. Starrte auf den Rücken der unheimlichen Gestalt, die sich dem angstschlotternden Chinesen näherte. Langsam hob die Erscheinung die Arme, Finger mit langen, scharfen Nägeln krümmten sich zu Krallen – und erst als diese Krallen plötzlich vorschossen, begriff Mark Raintree ganz, daß sich vor seinen Augen etwas unvorstellbar Grauenhaftes anbahnte, das er verhindern mußte. Sen Li heulte auf. Wie ein Raubtier sprang das unheimliche Wesen ihn an. Krallen drangen in sein Fleisch, spitze Zähne näherten sich seiner Kehle – und gleichzeitig schüttelte Mark Raintree die Lähmung ab. »Halt!« brüllte er mit voller Lungenkraft, stieß sich ab und rannte auf die Tür zu. Die Gestalt im weißen Totenkleid erstarrte. Eine halbe Sekunde lang blieb sie reglos stehen, hoch aufgerichtet, dann schleuderte sie den stöhnenden Chinesen wie ein Stoffbündel zur Seite. Mit einem dumpfen Knurrlaut fuhr das Wesen herum – und erneut prallte Mark Raintree zurück wie vom Blitz getroffen. Er sah Alissa. Sie war es – und gleichzeitig war sie es nicht. Alissas Augen – doch sie hatten sich in kaltes blaues Glas verwandelt. Alissas Gesicht – aber über die blutroten Lippen ragten spitze Eckzähne, und ein Ausdruck mörderischer, wahnwitziger, unmenschlicher Gier verzerrte die ebenmäßigen Züge. Dies war nicht Alissa, konnte nicht Alissa sein. Dies war überhaupt kein Mensch – und die Erkenntnis, daß er einem Geist, einem dämonischen, übersinnlichen Wesen gegenüberstand, traf den breitschultrigen Rancher mit der Gewalt eines Blizzards.
Die Bestie kam auf ihn zu. Langsam, geduckt, wie ein Raubtier, das seine Beute beschleicht ... Immer näher glitt das Wesen heran, die Finger gekrümmt, die Lippen zuckend wie in satanischer Vorfreude, und der Rancher wich Schritt für Schritt in den Flur zurück. Aus den Augenwinkeln sah er, daß der chinesische Koch hochtaumelte, sich herumwarf und auf die Hintertür zurannte, als seien tausend Teufel hinter ihm her. Irgend etwas wurde polternd umgeworfen, doch der Vampir achtete nicht darauf. Seine Zähne bleckten sich, und ein leises, wölfisches Knurren kam tief aus der Kehle. Mark Raintree spürte das Grauen wie ein Bleigewicht im Magen. Der Revolver in seiner Hand war schußbereit, aber er zögerte noch abzudrücken. Irgendwie kam er nicht los von der Vorstellung, daß Alissa vor ihm stand – es war ihr Körper, ihr Gesicht, es waren ihre Augen, auch wenn sie sich auf gräßliche Weise verwandelt hatte. Er wich noch weiter zurück, erreichte die Halle und kämpfte verzweifelt gegen die Panik an, die sein Bewußtsein zu überschwemmen drohte. »Alissa«, flüsterte er. »Alissa, so hör’ doch ...« Das Wesen lachte. Krächzend und höhnisch gellte das Gelächter in Raintrees Ohren. Er sah, wie sich die Bestie duckte, wie die schrecklichen Krallenhände auf ihn zufuhren – und in dieser Sekunde riß seine Beherrschung. Er schoß. Dumpf brüllte der Revolver auf, überlaut in dem engen Raum. Raintree wußte, daß er getroffen hatte, genau ins Herz getroffen – doch das schwere 45er Geschoß schien durch den Körper der unheimlichen Gestalt wie durch eine Luftspiegelung hindurchzugehen.
Irgendwo im Flur schlug die Kugel in die Wand. Raintree feuerte abermals, zielte diesmal auf eine Stelle zwischen den blauen, leblosen Augen, doch das Ergebnis war das gleiche. Keine Wunde, kein Blut – nichts! Das Gesicht des Wesens verzerrte sich in teuflischem Triumph, abermals kam das gräßliche Gelächter aus seiner Kehle, und als es jetzt vorwärtsschnellte, konnte der Rancher nicht mehr ausweichen. Er ließ den Revolver fallen. In letzter Sekunde riß er abwehrend die Hände hoch, und die scharfen Krallen trafen nicht sein Gesicht, sondern zerfetzten nur sein Hemd und die Haut an seinen Armen. Er taumelte unter dem Anprall. Blindlings holte er aus, versuchte, sich mit einem Faustschlag Luft zu verschaffen, doch die Untote wich blitzartig aus, und erneut zuckten die scharfen Krallen auf das Opfer zu. Mark Raintrees Lederweste wurde wie von Messern zerschnitten. Glutheißer Schmerz zurchzuckte ihn. Blindlings schlug er die Arme beiseite, die erneut nach ihm griffen, das Lachen der Bestie gellte in seinen Ohren, und wie ein Peitschenhieb traf ihn die Erkenntnis, daß er hier um sein Leben kämpfte. Das Grauen verwandelte sich in wilde, verbissene Wut. Sein Kopf flog herum. Zwei Yard von ihm entfernt stand einer der massigen Eichenstühle. Mit einem Sprung erreichte Raintree das schwere Möbelstück, riß es hoch und schleuderte es dem Angreifer entgegen. Hart prallte es gegen die Gestalt in dem Totenkleid, und ein fauchender Schrei kam über die Lippen des Vampirs. Raintree wollte triumphieren, nachsetzen – doch die lebende Leiche schien von dem Anprall überhaupt nichts gespürt zu haben. Die Krallenhände packten zu. Wie ein Stück Papier wurde der schwere Stuhl
hochgewirbelt und flog durch die Luft. Raintree war zu überrascht, um noch etwas dagegen unternehmen zu können. In letzter Sekunde warf er sich zur Seite, der Stuhl streifte ihn an Schulter und Hüfte, wirbelte ihn herum und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er stürzte auf den Teppich. Kreischend warf sich die Bestie über ihn. Eiskalt war der Körper, der ihn zu Boden preßte. Die Krallenhände umspannten seine Arme wie Stahlklammern, mit übermenschlicher Kraft, der er nichts entgegensetzen konnte, und der Mund mit den gräßlichen Eckzähnen näherte sich seiner Kehle. Verzweifelt bäumte er sich auf. Schon spürte er den fauligen Atem der Bestie. Gleichzeitig hörte er hastige Schritte, die Haustür flog auf, und der Vampir, der schon seine Zähne in den Hals des Opfers hatte schlagen wollen, riß mit einem wütenden Knurrlaut den Kopf hoch. Für den Bruchteil einer Sekunde lockerte sich der Griff – und Mark Raintree nutzte die Chance. Seine Haut ging in Fetzen, als er sich aus dem Griff wand. Mit einer wilden Bewegung schüttelte er den Leib der Untoten ab, wälzte sich herum und taumelte auf die Füße. Blutrote Schleier tanzten vor seinen Augen. Undeutlich sah er die hagere, gebeugte Gestalt von Big Track – und den Vampir, der sich mit einem mächtigen Satz auf das neue Opfer werfen wollte. Der weißhaarige Cowboy handelte blitzschnell. Raintree begriff nicht, was geschah. Er sah nur, daß Big Track mit einem Sprung den Kamin erreichte und etwas von der Wand zerrte. Der Alte wirbelte herum – und der Vampir stieß einen langgezogenen, wimmernden Schrei aus. Big Track kam durch die Halle. Raintree erkannte das einfache hölzerne Kruzifix in der
Hand des Alten – und sah fassungslos, wie der Vampir zurückwich. Die Bestie fürchtete das Kreuz, kein Zweifel! Und Big Track schien das genau zu wissen – denn er ging aufrecht, furchtlos und ohne das geringste Zögern auf die Untote zu. Eine Sekunde lang verharrte die Bestie zitternd an der Wand – dann warf sie sich herum. Mit drei langen Sprüngen erreichte sie die Treppe und hetzte hinauf. Das weiße Totenkleid flatterte. Noch einmal war der wimmernde Klagelaut zu hören, der Vampir jagte in wilder Flucht weiter und war Sekunden später in der Dunkelheit verschwunden. Eine Tür schlug. Mark Raintree wußte, daß es die Tür des Schlafraums war, und starrte den weißhaarigen Cowboy an. »Sie wollte mich umbringen!« flüsterte er. »Mein Gott, Alissa wollte ...« »Das war nicht Alissa, Boß. Das war auch nicht Alissas Geist oder ihre Seele oder wie man das nennen will. Wer von einem Vampir getötet wurde, ist verdammt dazu, selbst ein Vampir zu werden. So war das schon immer.« Raintree schluckte. Einen Moment lang zuckte es in seinem Gesicht, flammte Protest in seinen Augen auf, dann schwang er entschlossen herum und stürmte über die Treppe nach oben. Big Track folgte ihm, und er hielt immer noch das Kruzifix in der ausgestreckten Hand, als sein Boß die Tür des Totenzimmers aufriß. Alissa lag auf dem Bett wie zuvor. Die Kerzen am Kopfende flackerten leicht. Die Hände der Toten waren gefaltet, die Fingernägel genauso normal wie die Zähne, und auf dem bleichen, stillen Gesicht lag ein Ausdruck tiefen Friedens. Raintree schluckte.
Er starrte den weißhaarigen Cowboy an. Big Track preßte die Lippen zusammen. »Das ist eine Täuschung, Boß«, sagte er leise. »In Wahrheit hat sich nichts geändert. Wir müssen sie töten – endgültig töten.« Raintree schluckte. Sein kantiges, energisches Gesicht war bleich. »Wie meinst du das?« »Wir müssen ihr einen Pfahl ins Herz treiben. Nur so kann sie Ruhe finden. Nur so ...« »Aber das ist Wahnsinn!« fuhr Raintree auf. »Das ist ...« »Boß, du hast doch selbst gesehen ...« »Ich weiß nicht mehr, was ich gesehen habe«, murmelte Mark Raintree. »Ich – ich habe durchgedreht, die Nerven verloren.« Der Rancher grub die Zähne in die Unterlippe. Jetzt, da das Schreckliche vorbei war, meldete sich sein klarer, realistischer Verstand und rebellierte gegen das, was seine Augen gesehen hatten. »Vielleicht war es eine Halluzination. Es gibt auch Halluzinationen, die von mehreren Menschen gesehen werden. Wir – wir werden sie begraben.« Big Track biß sich auf die Lippen. »Boß, das nützt nichts. Wir müssen sie töten. Wir müssen ihr einen Pfahl ins Herz stoßen und ...« »Nein!« Raintree schüttelte den Kopf, sein Blick hing an Alissas schönem, stillem Gesicht. »Das kannst du nicht im Ernst wollen, Big Track. Morgen werden wir sie begraben, und dann ist alles vorbei.« »Nein, Boß! Nichts wird vorbei sein! Sie wird wieder aus ihrem Grab kommen und ...« »Unsinn!« Raintree biß die Zähne zusammen, und seine breiten Schultern strafften sich. »Es gibt irgendeine natürliche Erklärung für das, was hier geschehen ist. Halluzinationen, Luftspiegelungen – was weiß ich. Aber niemand kommt aus seinem Sarg heraus, wenn er erst einmal tot und begraben ist.«
Big Track öffnete den Mund, wollte noch etwas sagen – aber er verzichtete darauf. Er kannte den Rancher. Und er wußte, daß schon einiges passieren mußte, um diesen Mann von etwas abzubringen, was er sich einmal in seinen harten Schädel gesetzt hatte. »Wie du meinst, Boß«, sagte er rauh. »Aber versprich mir wenigstens, daß du noch einen Tag länger hierbleibst, bevor du den schwarzen Reiter verfolgst. Eine Nacht mußt du am Grab Wache halten. Du mußt! Denn wenn du es nicht tust, wirst du mitschuldig an allem sein, was noch geschehen kann.« Für einen Moment blieb es still. Mark Raintree rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. »Okay«, sagte er gepreßt. »Eine Nacht! Und jetzt laß uns sehen, was mit dem Koch los ist.« Sie fanden ihn nicht. Ein Pferd fehlte, Spuren führten nach Norden – das war alles. Sen Li, der chinesische Koch, hatte in panischem Entsetzen die Flucht ergriffen, ohne auch nur seine ersparten Dollars mitzunehmen oder irgend etwas von seinen persönlichen Besitztümern. Er wurde nie wieder in der Nähe der Raintree-Ranch gesehen ... *** Charlot de Forest bewohnte ein Zimmer über dem »Long Branch Saloon«. Sie war müde, als sie in dieser Nacht ihren Dienst beendet hatte, aber eine seltsame Unruhe hielt sie davon ab, schlafen zu gehen. Ihre Augen brannten vom Rauch, sie hatte genug getrunken, um nicht mehr ganz nüchtern zu sein – doch daran
lag es nicht, das passierte ihr schließlich nicht zum ersten Mal. Irgend etwas war anders als sonst. Charlot hatte das Gefühl, etwas vergessen zu haben, etwas Wichtiges erledigen zu müssen, und die Tatsache, daß ihr einfach nicht einfallen wollte, was es war, erfüllte sie mit quälender, bohrender Nervosität. Unsinn, dachte sie. Einbildung ... Rasch ging sie zum Fenster, öffnete es und sog tief die klare, kühle Nachtluft ein. Der Mond hing als blasse Scheibe am Himmel. Irgendwo heulten Coyoten, hinter den dunklen Häusern mit ihren falschen Fassaden war die Weite des Hügellandes zu ahnen. Irgendwo dort draußen mußte er warten. Er! Ganz deutlich glaubte Charlot, das schmale, scharfgeschnittene Gesicht vor sich zu sehen, die jettschwarzen Augen, und von einer Sekunde zur anderen wußte sie, was sie vergessen hatte. Er wartete auf sie. Draußen in den HÜgeln! Er wartete, sie mußte zu ihm gehen und ... Ihre Gedanken stockten. Kopfschüttelnd wurde sie sich bewußt, daß ihre Phantasie verrückt spielte. Niemand wartete auf sie. Der Fremde hatte den Saloon verlassen, ohne etwas zu sagen, ohne auch nur anzudeuten, daß er sie wiedersehen wolle. Die Vorstellung, daß er irgendwo auf sie wartete, war völlig absurd, entbehrte jeglicher Grundlage, und Charlot verstand nicht, wie sie überhaupt darauf gekommen war. Sie schloß das Fenster, wollte, zum Bett gehen – und fand sich im nächsten Moment an der Tür wieder. Warum nicht, dachte sie. Ein kleiner Spaziergang, ein bißchen frische Luft – das konnte nichts schaden. Rasch griff sie nach dem großen
Wolltuch, das an einem Garderobenhaken an der Wand hing, schlang es sich um die Schultern und trat auf den Flur hinaus. Sie verließ das Haus durch die Hintertür. Irgend etwas brachte sie dazu, nicht den normalen Weg über die Main Street zu nehmen. Mühsam tastete sie sich durch die engen, mit Gerümpel vollgestopften Höfe. An Mietstall und Schmiede vorbei erreichte sie das Ende der Stadt, und dort tauchte sie in den Schatten von Bäumen und Sträuchern. Ihr Ziel war der Creek. Oder besser die Hütte am Creek, die einmal einer alten, als Hexe verschrieenen Negerin gehört hatte und in der niemand mehr wohnen wollte. Ruhig und ohne das geringste Zögern ging Charlot de Forest auf das alte Haus zu, und erst als sie fast die Tür erreicht hatte, kehrte noch einmal ihre klare Überlegung wieder. Abrupt blieb sie stehen. Was wollte sie hier? Wie war sie überhaupt hierhergekommen? Warum lag sie nicht in ihrem Bett, warum ... Die Tür der Hütte bewegte sich. Knarrend schwang sie auf – und eine hagere, hochgewachsene Gestalt erschien im Rahmen. Charlot rührte sich nicht. Eben noch hatte sie umkehren wollen, zurückgehen – jetzt ergriff erneut das Gefühl des Unwirklichen von ihr Besitz. Er war da! Er hatte also doch auf sie gewartet. Charlot starrte ihn an, und es erschien ihr plötzlich ganz selbstverständlich, daß sie hier war und daß Vasco Durango mit einem leisen Lächeln auf sie zutrat. »Du bist gekommen«, sagte er dunkel. Charlot nickte. »Ja«, flüsterte sie. »Ja, ich bin gekommen ...« »Ich wußte es. Ich habe es in deinen Augen gelesen. Du bist
schön, Charlot, wunderschön. Du wirst eine würdige Geliebte für mich sein.« »Ja«, flüsterte sie. »Ja ...« Er kam näher. Seine Augen strahlten in düsterem Glanz, ließen das Mädchen nicht los, und Charlot de Forest hatte das Gefühl, die Welt versinke um sie. Sie zitterte. Reglos verharrte sie, wartete, und ein Schauer überlief sie, als Durango die Hände hob und ihre Schultern berührte. »Du wirst mir gehören«, raunte seine dunkle, beschwörende Stimme. »An meiner Seite wirst du ein Reich der Finsternis gründen, an meiner Seite wirst du herrschen. Blut wird unsere Nahrung sein, und wir werden über ein Heer von Untoten gebieten. Dich, Charlot, habe ich auserwählt zu meiner Gefährtin. Sieben Männer wirst du für mein Reich gewinnen, und diese sieben werden die Führer von sieben Armeen sein. Dieses Land wird uns gehören, Charlot, uns beiden. Du wirst die Bluttaufe erhalten und die große Probe ablegen. Willst du das?« Charlot de Forests Augen waren weit und starr. Sie sah durch alles hindurch, schien in irgendeine unvorstellbare Ferne zu blicken, die nur sie allein wahrnehmen konnte. »Ja«, murmelte sie. »Ja, das will ich, mein Gebieter.« Ein triumphierendes Lächeln flog über Vasco Durangos Gesicht. Seine Rechte löste sich von Charlots Schulter. Langsam und ruhig knöpfte er sein Hemd auf, streifte es zur Seite – und dann gruben sich die langen, gekrümmten Nägel tief in sein eigenes Fleisch. Mit einem Ruck riß er sich die Brust auf. Blut strömte aus der Wunde, hellrot und pulsierend. Charlot fuhr zusammen, wollte zurückweichen – doch in der gleichen Sekunde zuckte Durangos Rechte schon wieder vor.
Wie eine Stahlklammer schloß sich seine Hand um den Nacken des Mädchens, preßte mit einer blitzhaften Bewegung ihr Gesicht gegen seine Brust. Für den Bruchteil einer Sekunde brach der Bann, zerriß der Vorhang, der sie von der Wirklichkeit trennte, und sie wollte mit einem irren Schrei zurückweichen. Vasco Durangos Arme hielten sie unerbittlich umklammert. »Trink«, raunte er dicht an ihrem Ohr. »Trink mein Blut, Geliebte! Dies ist deine Taufe! Die Taufe der Vampire! Du bist mein ...« Charlot de Forests Widerstand erlahmte. Die Wirklichkeit versank, tief in ihr erwachte eine dunkle, rauschhafte Gier, und ein seltsamer Zustand zwischen Wachen und Träumen schien ihr Bewußtsein hinwegzutragen. Irgendwann war es vorbei. Charlot kam wieder zu sich, als sie durch die dunklen Höfe zurück zur Hintertür des »Long Branch« eilte. Sie taumelte, verwirrt und innerlich ausgebrannt und ernüchtert wie nach einer orgiastischen Nacht. Sie fror, sie fühlte sich todmüde, und was geschehen war, hatte sie nur noch undeutlich und verschwommen im Gedächtnis. Rasch schlüpfte sie durch die Tür und lief die Treppe hinauf. Erst jetzt kam ihr zu Bewußtsein, daß ihr Schultertuch nicht mehr da war, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wo sie es verloren hatte. Ihre Gedanken verwirrten sich, schienen auf irgendeine Weise immer wieder vor der Erinnerung, vor einer bestimmten Erkenntnis zurückzuweichen. Charlot schloß die Tür ihres Zimmers hinter sich, lief zum Waschtisch hinüber und hob den Wasserkrug an die Lippen, um einen Schluck zu trinken. Als sie den Krug absetzte, fiel ihr Blick auf den Spiegel. Sie sah sich selbst. Ein unnatürlich bleiches Gesicht, mit feinen Schweißperlen
bedeckt. Und sie sah den seltsamen rötlichen Flecken auf ihrer Stirn, der bestimmt noch nicht dagewesen war, als sie das Zimmer verlassen hatte, der sich scharf von der bleichen Haut abhob und wie ein Feuermal brannte ... *** Niemand außer Mark Raintree, Big Track und dem chinesischen Koch hatte etwas von den schrecklichen Ereignissen der Nacht bemerkt. Der Koch blieb verschwunden, Raintree und Big Track schwiegen – die anderen Cowboys waren ahnungslos. Lediglich Roy Vargas, der mexikanische Vormann, machte immer noch einen abwesenden Eindruck, aber in der Hektik des Tages fand niemand Zeit, sich darum zu kümmern. Sie hatten Alissa begraben. Der Reverend war aus der Stadt gekommen, Nachbarn, Freunde, Bekannte. An Mark Raintree war das alles wie ein Alptraum vorbeigerauscht. Jetzt, kurz vor Mitternacht, lag das Anwesen wie ausgestorben. Nur der Rancher und der alte Big Track saßen in den Schaukelstühlen auf der Veranda. Raintree rauchte, starrte schweigend hinaus in die Dunkelheit, und der weißhaarige Cowboy kauerte neben ihm und war dabei, mit einem Bowiemesser einen handlichen, etwa armdicken Pfahl zuzuspitzen. »Noch zehn Minuten«, sagte er leise. »Du wirst sehen, daß ich recht behalte, Boß.« Er bückte sich und hob etwas von dem frisch gepflückten Knoblauch auf, dessen Halme er zu einer Art Kranz zusammengewunden hatte. »Nimm es, Boß, auch wenn du mich für kindisch oder übergeschnappt oder was sonst noch hältst. Ich möchte kein zweites Grab schaufeln müssen.« Mark Raintree ließ die Kippe seines Zigarillos fallen und
drückte sie mit dem Stiefel aus. Einen Moment lang musterte er skeptisch den Knoblauchkranz, dann zuckte er die Achseln. Mit leicht verzerrtem Gesicht griff er zu, streifte sich die betäubend riechende Girlande über den Kopf und ließ sie unter sein Hemd gleiten. Big Track reichte ihm das Kruzifix. Raintree wog es in der Hand und schüttelte den Kopf. »Ein Kruzifix und ein Knoblauchkranz«, sagte er rauh. »Das Kreuz, und dazu irgendwelcher Hokuspokus. Das ist – beinahe eine Lästerung.« »Nein, Boß.« Big Tracks Stimme klang ruhig. »Das ist es nicht. Es ist bestimmt keine Lästerung, mit allen wirksamen Mitteln gegen die Macht der Hölle zu kämpfen. Komm jetzt! Es wird Zeit.« Er stand auf. Der Rancher folgte ihm widerstrebend. Je mehr Zeit verging, desto ferner und unwirklicher kamen ihm die Ereignisse der vergangenen Nacht vor. Er wollte einfach nicht daran glauben. Den ganzen Tag über hatte er gegrübelt, hatte nach irgendeiner natürlichen Erklärung für die unheimlichen Geschehnisse gesucht – aber als er neben Big Track über den staubigen Hof ging, mußte er zugeben, daß er keine auch nur einigermaßen befriedigende Erklärung gefunden hatte. Er biß die Zähne zusammen. Sein Blick flog über die einfachen, verwitterten Holzkreuze unter den Cottonwood-Bäumen, über die eingesunkenen Grabstätten und dem frischen Erdhügel. Das Mondlicht lag wie ein silberner Schleier über dem kleinen, eingezäunten Geviert, ein leichter Wind raschelte. Die Nacht war so friedlich und klar, daß Raintree der Gedanke absurd erschien, irgend etwas Schreckliches, Übersinnliches könne sich ereignen. Er lehnte sich an einen der mächtigen Cottonwood-Stämme. Seine Gedanken waren bei Alissa. Bei dem Fremden, der sie
ermordet hatte und den er verfolgen und stellen würde. Die Spur führte nach Süden, zum Rio Pecos. Ganz gleich, wohin sich der schwarze Reiter wendete – Mark Raintree würde sich wie ein Bluthund auf seine Fersen heften, würde ihm notfalls bis in die Hölle folgen und ... Vom Haus trugen gedämpft die Schläge der Standuhr herrüber. Mitternacht! Big Track straffte sich. Sein Gesicht unter dem schlohweißen Haar glich einer Maske. Mark Raintree warf dem alten Cowboy einen Blick zu, zog skeptisch die Unterlippe zwischen die Zähne, und wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen wanderten seine Augen zu dem frischen Grabhügel hinüber. Blumen schimmerten bleich im Mondlicht. Dazwischen lag dunkel und still die braune Erde, das einfache Holzkreuz erhob sich und ... Mark Raintree fuhr zusammen. Täuschte er sich, oder hatte er tatsächlich eine Bewegung an der Oberfläche des Erdhügels bemerkt? Unsinn, dachte er. Verrückte Einbildung! Ich habe mir zu viele von Big Tracks Ammenmärchen angehört, ich ... Seine Gedanken stockten. Ein Ruck ging durch seine Gestalt. Von einer Sekunde zur anderen weiteten sich seine Augen – und diesmal war er sicher, daß er keiner Täuschung erlag. Die Erde bewegte sich. Wie von einer unwiderstehlichen Urgewalt wurde der Grabhügel hochgedrückt, das Kreuz kippte um, und schwarz gähnte das Viereck des offenen Sarges. Eine bleiche Hand stemmte sich gegen den Deckel und schob ihn vollends zur Seite. Eine zweite Hand erschien, weiße Finger krallten sich um den Rand des Sarges, und dann erhob sich in
gespenstischer Lautlosigkeit die Gestalt der Toten. Das weiße Gewand bauschte sich um den schlanken Körper, das schwarze Haar fiel glatt auf die Schultern. Geisterhaft waren die Züge, verzerrt zu einer Fratze, und auch die Fingernägel hatten sich wieder zu scheußlichen Krallen gebogen. Ein leises, gieriges Fauchen kam aus dem Mund der wandelnden Leiche. Scharfe Eckzähne schoben sich über die Unterlippe, die leblosen, glasigen Augen glitten umher – und ein Krampf lief durch die Gestalt, als der seltsame Totenblick auf die beiden Männer unter den Cottonwood-Bäumen fiel. Mark Raintree stand wie erstarrt. Diesmal war er vorbereitet, diesmal brauchte sein Geist nur Sekunden, um das Grauen zu fassen. Er hatte die Erinnerung an die vergangene Nacht zu verdrängen versucht, hatte die Tatsachen nicht wahrhaben wollen, sich dagegen gewehrt mit der ganzen Kraft seines nüchternen Verstandes. Aber jetzt, Auge in Auge mit der schrecklichen Erscheinung, begriff er endgültig, daß Big Track recht hatte. Eine verwandelte Alissa stand vor ihm. Sie war eine Bestie, ein Geschöpf der Hölle, war dazu verdammt, immer wieder aus dem Grabe aufzustehen, um Furcht und Schrecken zu verbreiten, Opfer zu suchen für ihre mörderische Gier – und Mark Raintree wußte in diesen Sekunden glasklar, das er alles tun mußte, was in seiner Macht stand, um Alissas Seele den Frieden zu geben, den sie aus eigener Kraft nicht mehr erlangen konnte. Seine Muskeln spannten sich, sein Kiefer schmerzte vor Anspannung. Aus schmalen Augen beobachtete er das unheimliche Wesen. Die Untote bleckte die Zähne. Geifer rann aus dem Mundwinkel über die weiße Haut, das vertraute und gleichzeitig so erschreckend fremde Gesicht verzerrte sich zur Fratze. Jäh schossen die Krallenhände vor – und zuckten
zurück, als Mark Raintree mit einer blitzhaften Bewegung das Kreuz hob. Er hatte mechanisch gehandelt, rein instinktiv – jetzt preßte er die Lippen zusammen. Sein Blick suchte Big Track. Der weißhaarige Cowboy nickte, und Raintree gab sich einen Ruck und ging langsam, mit erhobenem Kruzifix, auf die geisterhafte Erscheinung in dem wallenden Totenkleid zu. Der Vampir wich aus. Geschmeidig glitt er nach rechts, wollte in den Schatten zwischen den mächtigen Stämmen tauchen, aber da riß Big Track den zugespitzen Pfahl hoch. Panik flackerte in den Augen der Bestie auf – wie ein Feuer, das unter einer Schicht von blauem Glas brennt. Raintree hielt das Kruzifix weit vor sich in der ausgestreckten Hand, bewegte sich langsam weiter, und gleichzeitig versuchte Big Track, den Pfahl in die richtige Position zu bringen. Der Vampir reagierte wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. Mit einem fauchenden Schrei sprang er den weißhaarigen Cowboy an. Der Pfahl wurde zur Seite geschleudert, wirbelte durch die Luft. Big Track taumelte, sein Fuß verhakte sich hinter einem Stein, und er fiel schwer auf den Rücken. Die Bestie wollte sich auf ihn werfen – doch kaum berührten die Krallen den Körper des alten Mannes, als sich der Kehle des Vampirs ein gräßlicher Schrei entrang. Wild bäumte sich das Untier auf, zuckte zurück, warf sich zur Seite. Big Track wälzte sich keuchend über den Boden. Dunkel begriff Mark Raintree, daß es der Knoblauchkranz sein mußte, der den alten Mann gerettet hatte – und daß dies eine Chance war, die vielleicht nie wiederkam. Der Vampir krümmte sich am Boden. Fauchende, heulende Laute kamen aus dem aufgerissenen Rachen, die Krallenhände schlugen. Undeutlich hörte Raintree,
daß die Tür der Bunk schlug, daß Stimmen durcheinanderschrien – aber er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern. Er handelte, ohne zu denken – mit dem Instinkt des Kämpfers, der sein Leben in einer Wildnis voller Gefahren verbracht hatte. Mit einem langen Hechtsprung schnellte er sich quer über das offene Grab hinweg. Der zugespitzte Pfahl war jenseits des Erdhügels auf den staubigen Boden gefallen. Raintree riß ihn hoch, kehrte die Spitze nach vorn. Erneut sprang er über das offene Grab hinweg – und dicht vor ihm versuchte der fauchende, rasende Vampir, wieder auf die Beine zu kommen. Er schaffte es nicht. Die Augen in dem verzerrten Gesicht begannen zu flackern, als sei die blaue Glasschicht plötzlich zerbrochen. Todesangst schüttelte den schlanken Körper. Ein klagender, fast menschlicher Schrei brach sich Bahn – und für den Bruchteil einer Sekunde verharrte Mark Raintree wie gelähmt mitten in der Bewegung. Er sah Alissa. Wie eine Vision schob sich das schöne, stille Antlitz seiner Frau vor das Bild des Grauens. Der entsetzliche Gedanke, daß es Alissas Fleisch war, das er durchbohren wollte, daß er den Pfahl in Alissas toten Körper trieb, wühlte in seinem Hirn wie ein glühendes Messer. Aber dann sah er den Triumph in den flackernden Augen aufzucken, sah, wie sich die Muskeln dieses toten Leibes spannten, und der Bann, der ihn fesselte, zerbrach wie Glas. Mit einer wilden Bewegung warf er sich nach vorn. Die Bestie konnte nicht ausweichen. Raintree hatte auf ihr Herz gezielt. Mit mörderischer Wucht bohrte sich die Spitze des Pfahls in den toten Körper, wurde tief ins Fleisch getrieben
und nagelte den zuckenden, sich aufbäumenden Leib förmlich am Boden fest. Schwarzes Blut quoll aus der Wunde. Der Vampir riß den Mund auf, sein langgezogenes, schauerliches Heulen klang weit über die Hügel. Raintree sprang zurück, keuchend, verkrampft vor Entsetzen, und starrte aus flackernden Augen die Bestie an, die sich im Todeskampf wand. Zwei drei Sekunden dauerte es – dann erschlafften die Glieder. Die verzerrten Züge der Untoten glätteten sich. Wie ein Spuk verschwanden die spitzen Eckzähne, die Krallen zogen sich zurück – und die schreckliche Vampirfratze verwandelte sich wieder in das Totenantlitz eines Menschen. Alissa ... Sie war frei von dem Fluch, sie hatte ihren Frieden gefunden. Lange sah Mark Raintree auf seine tote Frau hinab, reglos und versunken, und nicht ein einziges Wort störte das tiefe Schweigen ... *** Um die gleiche Zeit schwang sich Vasco Durango auf das große schwarze Pferd, um Roswell zu verlassen. Charlot de Forest blickte zu ihm auf, mit Augen, in denen ein seltsamer, fremder Glanz lag. Ihr Gesicht war voller Trauer, und die roten Lippen lächelten wehmütig. »Mußt du wirklich weiterziehen, mein Gebieter?« fragte sie leise. Durango verharrte hoch aufgerichtet. »Wir werden uns wiedersehen«, sagte er ruhig. »Du kennst deine Aufgabe.« »Ja«, flüsterte Charlot. »Ja, ich kenne sie ...«
Er hob grüßend die Rechte. Auf der Hinterhand nahm er den Rapphengst herum. Das Tier trabte an, verfiel dann in leichten Galopp, und Sekunden später war die hohe Gestalt des Reiters in der Dunkelheit verschwunden. Charlot starrte ihm noch nach, als sie ihn längst nicht mehr sehen konnte. Ihre Augen brannten. Die Mundwinkel zuckten, das Mal an ihrer Stirn leuchtete rot. Sie hatte sich daran gewöhnt, dieses Mal im Spiegel zu sehen. Ganz zuerst war sie erschrocken zurückgewichen. Jetzt aber wußte sie, daß sie das Zeichen Durangos trug, das Zeichen ihres Geliebten und Gebieters, und der Anblick des roten Fleckens erfüllte sie jedesmal mit einem fiebrigen Schauer der Erregung. Sie atmete tief durch. Als sie sich umwandte, hatte sich der Ausdruck ihrer Augen geändert, hatte die Trauer einem verhaltenen Funkeln Platz gemacht. Charlot wandte sich ab, ging über die Main Street und steuerte mit wiegenden Hüften auf den Eingang des »Long Branch« zu. Es war Zufall, daß sich gerade zu dieser Zeit ein Cowboy von einer der umliegenden Ranches auf dem Stepwalk gegenüber lümmelte, und es war Zufall, daß der Junge tief genug ins Glas geschaut hatte, um sein Glück bei dem schönen rothaarigen Girl zu versuchen. Eilig überquerte er die Straße. Er schwankte leicht, als er Charlot in den Weg trat. Seine hellen Augen blickten glasig, und er produzierte das, was er für ein charmantes Lächeln hielt. »Hey, Miß«, sagte er mit einer leichten Verzögerung in der Stimme. »Sind wir uns nicht schon mal irgendwo begegnet?« Charlots Augen wurden schmal, sehr schmal. Ihre Lider senkten sich. Trotzdem gelang es ihr nur unvollkommen, das
triumphierende Funkeln in ihrem Blick zu verbergen – doch der Cowboy war zu betrunken, um etwas davon zu merken. Das Girl drehte sich kokett in den Hüften. »Sicher, Sonny«, meinte sie. »Das war im Saloon, glaube ich. Weißt du, daß du mir sofort gefallen hast, Darling?« Der Cowboy wußte kaum, wie ihm geschah. »Oh! Wirklich?« »Wirklich, Sonny! Wie wär’s? Willst du mich nicht nach Hause begleiten?« Das war genau das, was der Junge nur zu gern wollte. Er nickte eifrig. Charlot schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, hakte sich bei ihm ein – und ihm wurde gar nicht bewußt, daß sie ihn zielsicher in den dunkelsten Hinterhof führte. Als sie stehenblieb, die Arme um seinen Nacken schlang, glaubte sich der ahnungslose Cowboy im siebenten Himmel. Er ahnte keine Gefahr. Er war selig. Keuchend, wie berauscht preßte er das Mädchen an sich, sog den Duft ein, der aus dem schimmernden roten Haar aufstieg, spürte den Druck der festen Brüste, der langen, straffen Schenkel – und Sekunden später die spitzen Zähne, die sich wie die Fänge eines Raubtiers in seine Kehle bohrten. Das Entsetzliche kam zu plötzlich, um es zu erfassen. Der Cowboy fuhr zusammen, bäumte sich auf – doch das war eher Überraschung als Schrecken. Schon schwanden ihm die Sinne. Seltsam fern drang der brennende Schmerz in sein Bewußtsein, und er versank in gnädiger Schwärze, noch ehe das Grauen sein Gehirn erreichen konnte ... *** Sie brachen im Morgengrauen auf.
Der kleine Billie würde in der Obhut der Nachbarn bleiben,
bis sein Vater zurückkam, und auf Roy Vargas, den Vormann, konnte sich der Rancher genauso verlassen wie auf sich selbst. Big Track ritt mit. Denn Mark Raintree hatte inzwischen begriffen, daß er nicht der Fährte eines Menschen, sondern eines Höllenwesens folgte, und er ahnte, daß er die Erfahrung des weißhaarigen alten Mannes und sein Wissen um die verborgenen Dinge brauchen würde. Die Spur führte am Rio Pecos entlang nach Süden. Gegen Mittag erreichten sie eine einsame Farm, wo sie zum erstenmal nach ihrem Gegner fragten. Immer noch kannten sie den Namen des Verfolgten nicht. Ein schwarzgekleideter Reiter auf einem Rapphengst; das war alles – doch diese knappe Beschreibung genügte. Der schwarze Reiter war vorbeigekommen, weiter nach Süden geritten. Ein paar Meilen entfernt fanden die Verfolger auch die Spur wieder, die sie auf dem öden, steinigen Gelände verloren hatten. Immer noch führte sie nach Süden, schien die Schleifen des Rio Pecos nachzuzeichnen, und erst am Nachmittag, kurz vor einem winzigen, trostlosen Nest mit dem Namen Chisos Town, verlor sie sich wieder. Da der Schwarze Reiter kein Packpferd und demnach auch keine größeren Vorräte bei sich hatte, verstand es sich dennoch von selbst, daß er durch Chisos Town geritten war. Mark Raintree und Big Track erreichten die Ansammlung windschiefer Holzbauten gegen Abend. Es gab nicht einmal ein Hotel in der sogenannten Stadt, das wußten sie beide, aber zumindest gab es einen Saloon, in dem ein fetter blonder Wirt und seine geistesgestörte Tochter nach Meinung aller Eingeweihten das wäßrigste Bier und den schlechtesten Whisky von ganz New Mexico servierten. Trotzdem nahmen Raintree und sein Begleiter jeder ein Bier und einen Whisky, als sie den stinkenden Schuppen betraten. Als Fremde wurden sie entsprechend bestaunt und belauert.
Es kam selten vor, daß sich Besucher nach Chisos Town verirrten – der Ort verdankte seine Existenz dem vor Jahren einmal aufgekommenen Gerücht, daß hier eine Bahnlinie vorbeigeführt werden solle, und nur einige Unentwegte oder völlig in Lethargie Versunkene waren bis heute geblieben. Frauen gab es wenige, Abwechslung kaum, und die Gespräche im Saloon bildeten die einzige Unterhaltung. Daß in den Gesprächen an diesem Tag eine seltsame Erregung mitschwang, merkten die beiden ungleichen Männer schon beim Eintreten. Sie stellten keine Fragen – nicht sofort. Sie tranken, gingen dann zu einem der Tische hinüber und würgten die fettigen, lauwarmen Bohnen mit rotem Pfeffer hinunter, die das geistesgestörte Mädchen servierte. Und als sie sich danach wieder an die Theke stellten und ein weiteres Bier tranken, verstummten die Gespräche der übrigen Gäste nicht mehr. Nach und nach erfuhren Raintree und Big Track, daß es um einen Mord ging, der drüben in Roswell geschehen war, einen Tagesritt entfernt. Auf Umwegen war die Kunde bis hierher gedrungen. Ein Vampir habe dem Opfer die Kehle zerrissen und das Blut aus den Adern gesogen, hieß es. Der Bursche, der das behauptete, war stark angetrunken und gefiel sich darin, den Bericht phantastisch auszuschmücken. Spinnerei, ein Ammenmärchen – das behaupteten die meisten anderen Gäste, aber Raintree und sein Partner wußten es besser. Sie wechselten einen Blick. Raintree biß sich auf die Lippen, leerte sein Whiskyglas in einem Zug, obwohl das Zeug scheußlich schmeckte. Er schob das Glas über die Theke, verlangte einen neuen Drink und sah dem fetten Wirt in die Augen. »Wir suchen einen Bekannten«, sagte er. »Müßte eigentlich hier durchgekommen sein. Ein großer, hagerer Mann in
Schwarz, auf einem Rapphengst.« Der Wirt schluckte. Eine unbestimmte Furcht erschien in seinen wäßrigen Augen – es gab offenbar kaum jemanden, dem jener seltsame Fremde nicht auf Anhieb unheimlich war. Der Wirt hob die feisten Schultern, er schien zu zögern, und erst nach einer Weile bequemte er sich, eine Auskunft zu geben. Ja, der Schwarzgekleidete sei hiergewesen. Vorräte habe er gekauft, dann sei er weitergeritten – das war alles, was die Leute von Chisos Town über ihn wußten. Aber alle schienen den gleichen Eindruck des Unheimlichen, Bedrohlichen von ihm bekommen zu haben, denn wie aus einem Instinkt heraus sprachen sie nur widerwillig von ihm und im Flüsterton, als fürchteten sie, zuviel zu sagen. Mark Raintree und Big Track zogen weiter, obwohl der Wirt ihnen anbot, sie ausnahmsweise in seinen Privaträumen zu beherbergen. Zwei Meilen vor der Stadt schlugen sie ihr Camp auf. Den Pferden hobbelten sie die Vorderläufe aneinander, daß sie grasen konnten, aber nicht ausbrechen, dann wickelten sie sich im Schutz einer Mulde zwischen weißen Felsblöcken in ihre Decken. Kein Wort fiel mehr zwischen ihnen. Beide wußten, was vor ihnen lag, und ihre Gedanken waren weit fort, als sie in den schwarzen, sternengespickten Himmel blickten, der sich über ihnen spannte. Mark Raintree dachte an Alissa. Big Track aber tastete sich zurück an der endlosen Kette der Erinnerung, suchte im Bodensatz der Erfahrung nach all den Legenden, Sagen und Geheimnissen die er kannte, und hatte das Gefühl, sehenden Auges in einem uralten Traum zu versinken ... ***
Roswell kam lange nicht zur Ruhe in dieser Nacht. In den Saloons saßen die Kameraden des ermordeten Cowboys und schrien nach Rache, obwohl sie nicht einmal ahnten, an wem sie sich hätten rächen können. Der Whisky floß in Strömen, die Stimmung war großartig. In diesem wilden Land lagen Leben und Sterben noch dicht beieinander, Geburt und Tod wurden so selbstverständlich hingenommen wie Sonne und Regen. Der Mord an einem Freund, die Rache an dem Mörder – das waren Dinge, die geschahen, die zum Alltag gehörten, die ihren naturgegebenen Lauf nehmen mußten – und die das Leben und das Weltbild eines Mannes nicht durcheinanderzubringen vermochten. Außerhalb der Saloons aber, in finsteren Winkeln, in abgedunkelten Zimmern, im Schatten der Stepwalks, begann das Gerücht zu raunen. Ein alter, zahnloser Mescalero hatte als erster davon gesprochen, daß der Schwarze Reiter zurückgekehrt sei. Ein paar Frauen, die es hörten, schauerten angstvoll zusammen, und Männer, die in der Nähe waren, lachten unsicher. Der Schwarze Reiter – was sollte das schon sein? Eine Spukgestalt, Ausgeburt des Aberglaubens – Schauermärchen, mit denen man Kinder erschreckte. Der Mescalero aber erzählte, daß der Schwarze Reiter vor langer Zeit sein Volk heimgesucht habe und daß es eine alte Prophezeiung gab, nach der er in verwandelter Gestalt zurückkehren werde. Denn tief verborgen in den Sacramento Mountains, im heiligen Tal der Mescaleros, warte immer noch die Geisterarmee seiner Opfer auf ihn. Die Stimme des alten Apachen klang dunkel und beschwörend, ein seltsamer Glanz lag in seinen Augen – und die meisten Zuhörer konnten nicht verhindern, daß ihnen ein Schauer über den Rücken rann. Ein paar Minuten später erzählte man sich die seltsame
Geschichte auch an anderen Ecken der Stadt. Das Gerücht war einmal da, jetzt wuchs es, wurde größer, deutlicher, nahm Konturen an. Plötzlich gab es auch noch andere Männer, die einmal etwas von einem Schwarzen Reiter gehört haben wollten, dessen Auftauchen Unglück über eine Stadt bringe, der morde und Blut saufe. Die Mescaleros hätten schon immer von ihm erzählt, hieß es. Auch im abergläubischen Geschwätz der Neger komme er vor. Nein, natürlich glaubte keiner der modernen, fortschrittlichen Bürger von Roswell daran. Aber alle erzählten es weiter, alle sprachen darüber – und dann, gegen Mitternacht, erreichte das Gerücht die Saloons, und Männer erinnerten sich, daß vor zwei Tagen tatsächlich ein seltsamer schwarzgekleideter Fremder auf einem Rappen in die Stadt geritten sei. Jetzt hatte das Gerücht ein Gesicht. Es flüsterte, raunte. Der Schwarze Reiter, raunte es. Der Schwarze Reiter ist zurückgekommen ... Black Rider ... Nur bis hinauf zu dem Stiefelhügel über der Stadt drang es nicht, das Gerücht. Hier oben herrschte Stille, Frieden. Finsternis. Ein paar Bäume rauschten, Wind strich durch das wilde Gras, verwitterte Kreuze ragten schwarz in die Höhe. Wie ein silberner Schleier lag das Mondlicht über dem Friedhof, und ein nächtlicher Passant hätte sogar die Inschriften auf den Kreuzen und Grabsteinen lesen können. Jesse Hollson, hanged mistake – aus Versehen gehenkt. Tom Carter – er brach sich das Genick, als er mit Two Finger-Bill um die Wette getrunken hatte. John Thomas Callaher, aus dem Hinterhalt erschossen von einem Mörder, dessen Name nicht wert ist, genannt zu werden ... Das Grab des toten Cowboys war noch frisch. Ein Kreuz mit einer breiten Querlatte steckte in dem braunen Erdhügel, und in
das Holz hatten seine Kameraden nicht nur seinen Namen geschnitzt, sondern – wie üblich in diesem Land – in wenigen Worten auch die Umstände, die zu seinem Tode geführt hatten. Bat Gunnison, stand da unter der Jahreszahl. Die Hölle hat ihn verschlungen ... Nach Meinung der meisten Bürger war das zutreffend. Sie glaubten, daß irgendeine dunkle Macht den armen Jungen getötet habe. Aber sie glaubten auch, daß Bat Gunnison tot und begraben sei, daß er in einem besseren oder schlechteren Jenseits weile – und niemand war in der Nähe, um zu beobachten, wie die Hölle ihr Opfer wieder ausspie. Die braune Erde bewegte sich. Mit einem heftigen Ruck wurde die Scholle aufgerissen, weiße Hände drückten den Deckel des einfachen Sarges hoch. Langsam, mit ruckhaften, unsicheren Bewegungen richtete sich der Tote auf, stieg aus dem Sarg und ließ den starren Blick schweifen. Nichts regte sich zwischen den Gräbern. Der tote Bat Gunnison nickte zufrieden. Er brauchte nicht zu überlegen – was er tun mußte, hatte sich tief in sein Gehirn eingegraben, ohne daß es ihm bewußt war. Langsam ging er zwischen den Reihen der Gräber hindurch, verließ den Friedhof und schritt wie von unsichtbaren Fäden gezogen den Hang hinauf. Jenseits des Hügels wartete ein Pferd in einer Senke. Bat Gunnison löste die Zügel von dem Baumstamm, um den sie geschlungen waren. Geschmeidig schwang er sich in den Sattel und trieb den Braunen mit einem Schenkeldruck an. Gehorsam setzte sich das Tier in Bewegung, und wenig später hatte das dunkle Hügelland die reitende Leiche aufgenommen. Gunnisons Ziel war eine verlassene Ranch in fünf Meilen Entfernung. Eingebettet in eine Mulde lag der Gebäudekomplex im
Mondlicht, Schuppen und Ställe hoben sich wie durcheinander gewürfelte schwarze Klötze ab. Unkraut überwucherte den staubigen Ranchhof, das Haupthaus war verfallen, der Verandavorbau eingestürzt, und das einzige Zeichen von Leben bildete das Scharren und Schnaufen einiger Pferde im Corral. Als der geisterhafte Reiter den Braunen durchparierte, schwang knarrend die Tür auf. Charlot de Forest trat auf die halb zerstörte Veranda hinaus. Ihr rotes Haar leuchtete im Mondlicht, die grünen Augen funkelten. Grüßend hob sie die Hand, und der tote Cowboy saß ab und erwiderte die Geste. »Ich bin gekommen«, sagte er rauh. »Ich bin gekommen, wie du es befohlen hast ...« Charlot nickte. Wie ein dunkler Flecken hob sich das Mal auf ihrer Stirn ab. »Du bist der erste«, sagte sie ruhig. »Der erste einer Armee! Der Schwarze Reiter ist unser Gebieter. Wirst du ihm folgen?« Der lebende Tote senkte den Kopf. »Ich werde ihm folgen«, bestätigte er mit monotoner, klangloser Stimme. »Ich werde gehen, wohin immer er mich ruft. Ich werde für immer seinen Befehlen folgen.« »Gut«, lächelte Charlot. »Sehr gut, mein Freund. Du bist der erste, aber von heute an werden wir jede Nacht einen neuen Gefolgsmann für unseren Herrn holen. Sieben Männer werdet ihr sein. Und wenn die Zahl voll ist, werden wir ins heilige Tal der Mescaleros reiten, um von dort aus die Herrschaft über das Land anzutreten.« »Ja«, flüsterte Bat Gunnison. »Ja ...« »Bist du bereit! Wirst du mit mir kommen, um das nächste Opfer zu suchen?« »Ich bin bereit«, sagte der Tote dumpf. Charlot de Forest lächelte zufrieden.
Mit einer geschmeidigen Bewegung wandte sie sich ab, glitt zum Corral hinüber und öffnete das Tor. Geschickt fing sie einen hochbeinigen Fuchswallach ein, sattelte ihn und schwang sich auf seinen Rücken. Wenige Minuten später ritten der tote Cowboy und das Mädchen mit dem Teufelsmal auf der Stirn die Hügel zurück in Richtung Roswell ... *** Der Sheriff von Roswell hieß Barry Turner und war ein großer, massiver Mann mit eisengrauem Haar und einem mächtigen Schnurrbart. Er wirkte nervös, mißtrauisch und überarbeitet. Seine hellen Augen musterten Mark Raintree und den alten Cowboy durchdringend, ehe er auf einfache Holzstühle in seinem Office wies. Die beiden Männer setzten sich. Der Rancher fixierte den Mann mit dem Stern. »Mein Name ist Raintree«, sagte er ruhig. »Meine Frau wurde ermordet, und ich reite auf der Fährte des Mörders. Wie ich höre, ist hier ein Mann auf ganz ähnliche Weise umgebracht worden.« Sheriff Turner kniff die Lider zusammen. Ein Kranz winziger Fältchen erschien um seine Augen. »Sie meinen Bat Gunnison?« »Ich kenne den Namen nicht. Aber ich nehme an, daß er es ist.« Der Sternträger lehnte sich zurück. Sein Gesicht verschloß sich, er preßte die Lippen zusammen. »Es stimmt, daß es um Gunnisons Tod eine Menge Gerede gegeben hat«, sagte er gedehnt. »Der Doc behauptete, jemand
habe dem armen Kerl das Blut aus den Adern gesaugt, aber jedermann weiß, daß das Hirn dieses verdammten Knochenflickers so voll mit Whisky ist, daß er einen müden alten Gaul für einen Drachen halten würde. Ein Hund muß Gunnison angefallen haben, das ist alles.« »Sind Sie sicher, Sheriff?« Barry Turner stieß hörbar die Luft durch die Nase. »Verdammt sicher«, fluchte er. »Sie finden Bat Gunnison zwei Yard unter der Erde auf dem Stiefelhügel, falls es Sie interessiert. Aber wenn Sie mir hier die Leute mit Gespenstergeschichten verrückt machen wollen, kriegen Sie es mit mir zu tun, darauf können Sie sich verlassen.« Mark Raintree hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ist in letzter Zeit ein Fremder hier durchgekommen?« fragte er. »Eine ziemlich auffällige Erscheinung, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und auf einem Rapphengst reitend?« Turner verzog das Gesicht. »Allerdings, so ein Kerl war hier. Vorgestern nacht kam er an, und gestern nacht ist er weitergezogen. Er war schon fort, als Gunnison starb – nur damit Sie keinem Mißverständnis erliegen.« »Steht das fest, Sheriff?« »Ja, verdammt nachmal! Das steht fest! Ein paar Leute sahen ihn aus der Stadt reiten, und ich habe mit meinem Deputy die Spur verfolgt. Wir hätten es gemerkt, wenn der Bursche noch einmal nach Roswell zurückgekommen wäre.« Raintree runzelte die Stirn. Was der Sheriff da sagte, klang einleuchtend. Aber es mußte ja nicht der Schwarze Reiter selbst gewesen sein, der für den Tod des jungen Cowboys verantwortlich war – an Alissa hatte er gesehen, daß sich auch die Opfer des Unheimlichen in blutgierige Bestien verwandelten. »Und sonst hat es keinen Toten gegeben, Sheriff? Keinen Menschen, der plötzlich spurlos verschwunden ist?«
»Ein Animiergirl aus dem ›Long Branch‹ hat die Stadt verlassen. Aber die war sehr lebendig, dafür lege ich meine Hand ins Feuer!« »Können Sie uns sagen, wie sie heißt?« »Charlot de Forest. Rothaarig, grünäugig, ein Bild von einer Frau. Warum wollen Sie das wissen?« Erneut zuckte Raintree die Achseln. »Vielleicht hängt ihr Verschwinden doch mit dem Mord an dem Cowboy zusammen. Und wenn sie nur etwas beobachtet hat und vielleicht aus Furcht vor dem Mörder geflohen ist! Sie wissen nicht, wohin sie gegangen sein könnte?« »Keine Ahnung. Und ich habe auch keine Veranlassung, nach ihr zu suchen. Sonst noch Fragen?« Mark Raintree schüttelte den Kopf. Er bedankte sich für die Auskünfte, dann verließ er mit Big Track das Office. Die beiden Männer waren sehr nachdenklich, als sie ihre Pferde quer über die Main Street führten, um sie im Mietstall unterzubringen. Raintree rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. Seine Lippen lagen hart aufeinander. »Ich begreife das nicht«, sagte er heiser. »Alles spricht dafür, daß der Schwarze Reiter den Cowboy umgebracht hat. Aber andererseits scheint er doch als Täter auszuscheiden, einen weiteren Toten hat es nicht gegeben und ...« »Es muß nicht unbedingt ein Toter gewesen sein, Boß«, fiel ihm Big Track ins Wort. Raintree hob die Brauen. »Nicht? Aber du sagst doch ...« »Manchmal finden selbst Vampire Gefallen an einem Menschen, Boß.« Big Tracks Stimme klang dunkel, nachdenklich. »Solche Menschen zwingen sie dann, ihnen lebendig in ihr Reich zu folgen. Die Taufe der Vampire – so nennt man das. Wenn ein Mensch das Blut eines Vampirs trinkt, ist er verdammt für immer.«
»Das Blut eines Vampirs?« echote Raintree mit einem leisen Schauer. Big Track nickte. »Ja, Boß, so ist das. Wer diese Taufe hinter sich hat, verwandelt sich bei lebendigem Leibe in ein blutsaufendes Ungeheuer. Und es gibt nur eine Möglichkeit, das Opfer zu retten – den Tod des Vampirs, dessen Blut es trinken mußte.« Mark Raintree zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Und du hältst es für möglich, daß diese Charlot de Forest ...« Er stockte abrupt. Auch Big Track verhielt seine Schritte. Schwarz gähnte vor ihnen der breite Durchgang, der auf die Rückseite des Mietstalls führte – und beide hörten das seltsame Scharren und Schaben auf dem Hof. Big Track runzelte die Stirn. Er wollte etwas sagen – doch er kam nicht dazu, denn in der gleichen Sekunde zerriß der Schrei die Stille. Ein kurzer, erstickter Schrei. Er erstarb in einem Gurgeln, verstummte wie abgeschnitten ... Die beiden Männer sahen sich an. Raintrees Rechte berührte instinktiv den Kolben des Revolvers, und wie auf ein geheimes Kommando setzten er und Big Track sich in Bewegung. Geduckt huschten sie an der Schmalseite des Mietstalls vorbei und erreichten die Hausecke. Ein umzäunter Hof lag vor ihnen. Gerümpel, Heuschober, durcheinandergewürfelte Schuppen und ... Raintree prallte zurück. Das Bild, das sich ihm bot, verschlug ihm für einen Moment den Atem. Der Mann, der geschrien hatte, lag rücklings im Staub. Er lag still da, schlaff, mit verdrehten Augen – kein Zweifel, daß ihm nicht mehr zu helfen war. Ein Schatten kauerte auf
seiner Brust. Wie ein Raubtier hatte sich der Mörder über ihn geworfen, und als die Wolke weiterzog, die sekundenlang den Mond verdeckt hatte, konnte Raintree erkennen, daß der Mörder gar kein Mann war. Ein rothaariges Mädchen beugte sich über den Toten und trank sein Blut. Der schlanke Körper zuckte. Immer heftiger wurde das Keuchen. Gierig bewegten sich die Hände – und Raintree hatte das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. Er vergaß alle Vorsicht. Mit drei Schritten war er heran, packte die Schulter des Mädchens – und wußte sofort, daß er keine Tote berührte, sondern warmes, lebendiges Fleisch. Hart zerrte er die Rothaarige hoch. Mit einem wütenden Fauchen kam sie herum, das Gesicht blutverschmiert und verzerrt, doch keine übermenschliche Kraft lag in der Bewegung, mit der sie sich loszureißen versuchte. Mark Raintree hielt eisern fest. Wilder Triumph war in ihm. Dies Girl war ein lebender Mensch. Er würde sie überwältigen können, sie würde ihm Rede und Antwort stehen müssen und ... »Boß!« peitschte Big Tracks warnende Stimme durch die Stille. Raintree fuhr herum und riß das Girl mit. Seine Hand krallte sich hart in ihre Schulter. Wie einen Schatten sah er die hochgewachsene, breitschultrige Gestalt auf sich zufliegen, erkannte die Cowboyweste, den Stetson, die toten Augen – und wußte genug. Big Track versuchte, den Angreifer von der Seite anzuspringen, aber der alte Mann wurde von einem Sensenhieb getroffen und wie ein Stoffbündel durch die Luft geschleudert. Raintree biß die Zähne zusammen. Blitzschnell wirbelte er herum, ließ das Mädchen los – und stieß sie mit einem Ruck
ihrem geisterhaften Partner entgegen. Für einen Moment entstand Verwirrung. Charlot schrie auf, als der Tote sie mit beiden Fäusten vor die Brust stieß und zurückwarf. Das Girl ging zu Boden. Langsam, mit den mechanischen, abgehackten Bewegungen einer Marionette marschierte der unheimliche Angreifer weiter auf Raintree zu, und der Rancher wußte mit verzweifelter Klarheit, daß er seinem Gegner nichts entgegenzusetzen hatte. Er wich zurück. Ein teuflisches Grinsen verzerrte Bat Gunnisons Züge. Seine Muskeln spannten sich, blitzartig schnellte er vorwärts, und die Bewegung kam so schnell, daß der Rancher nicht mehr ausweichen konnte. Mit der Gewalt eines Vorschlaghammers traf die Faust des Untoten seinen Magen. Er krümmte sich zusammen. Ein krachender Hieb zum Kinn riß ihn wieder hoch. Rückwärts prallte er gegen die Holzwand des Mietstalls, und wie durch einen Schleier sah er den Unheimlichen mit gebleckten Zähnen und gekrümmten Krallen auf sich zukommen. Raintree warf den Kopf herum. Undeutlich bemerkte er, daß Big Track wieder auf die Füße taumelte. Der Rancher sah sich um, suchte verzweifelt nach einem Ausweg, einer Waffe – und dabei fiel sein Blick auf die Lampe, die neben der Hintertür des Stalls an einem Haken baumelte. Feuer! Vielleicht war das die Lösung, vielleicht ... Er hörte auf zu denken und handelte. Mit einem Panthersatz wollte der Vampir ihn anspringen, doch Raintree wich in letzter Sekunde aus. Fauchend vor Wut prallte Gunnison gegen die Wand, und der Rancher erreichte mit zwei Schritten die Hintertür und riß die Lampe vom Haken. Der Vampir stieß einen heulenden Schrei aus.
Auch die Stimme des Mädchens mischte sich ein, schrill vor Entsetzen. Raintree sah, daß sich Charlot auf Big Track stürzen wollte, daß sie gierig die Zähne bleckte – und daß der alte Cowboy im letzten Moment die Hände hochriß und die Unterarme übereinanderschob zum magischen Zeichen des Kreuzes. Erneut heulte Charlot auf. Ihre Stimme hatte nichts Menschliches mehr. Taumelnd warf sie sich herum, wandte sich zur Flucht – und Raintree konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die lebende Leiche. Bat Gunnisons Blick hing wie gebannt an der KerosinLampe. Er atmete heftig. Schritt für Schritt wich er zurück – und als Raintree eine Bewegung machte, als wollte er die Lampe schleudern, warf auch der Untote sich herum. Wie von Furien gehetzt jagte er an der Schmalseite des Mietstalls vorbei. Die Dunkelheit nahm ihn auf, und Sekunden später hallte das Trappeln von Hufen herüber, das sich rasch entfernte. Big Track atmete tief. Schweiß rann über sein Gesicht und färbte die Bandana dunkel. »Du hättest die Lampe werfen sollen, Boß«, sagte er rauh. »Vielleicht gäbe es dann jetzt einen Vampir weniger.« »Feuer kann sie vernichten?« Der alte Cowboy nickte. »Feuer, ein zugespitzter Pfahl, silberne Kugeln und silberne Dolche. Wenn man das weiß und sich danach richtet, kann man ihnen entgegentreten wie jedem anderen Gegner.« Raintree biß sich auf die Lippen. Er starrte die Lampe an. »Und was wäre passiert, wenn ich nicht getroffen hätte?« fragte er rauh. »Stimmt auch wieder! Dann wären wir jetzt vielleicht schon auf der anderen Seite des großen Flusses und ...«
Er verstummte. Schritte näherten sich und aufgeregt durcheinanderredende Stimmen. Das Geschrei war gehört worden, und jetzt kamen die Leute von Roswell, um nach dem Rechten zu sehen. Sheriff Barry Turner stürmte mit gezogenem Colt in den Hof. Sein Blick flog umher. Er sah den Toten, der mit zerfetzter Kehle auf dem Rücken lag, und wechselte die Farbe. »Der Stallmann«, stieß er durch die Zähne. »Buck Bones! Was ist geschehen zum Teufel?« »Charlot de Forest und Bat Gunnison«, sagte Raintree ruhig. Der Sheriff starrte ihn an. Inzwischen waren auch andere Männer herangekommen, und erregtes Gemurmel erfüllte die Luft. Barry Turner biß die Zähne zu hart aufeinander, daß sie knirschten. »Bat Gunnison ist tot«, fauchte er. »Tot und begraben, Mann!« »Möglich«, sagte Raintree gelassen. Und mit einem Blick auf die erregten Menschen: »Wollen wir in Ihr Office gehen?« Turner zögerte einen Moment, dann nickte er. Ein paar knappe Befehle sorgten dafür, daß Buck Bones weggebracht und der Sargmacher verständigt wurde. Außerdem legte der Gesetzeshüter den Leuten nahe, in ihren Häusern zu bleiben – wegen des wilden Tiers, das sich offenbar in Roswell herumtrieb, wie er sich ausdrückte. Den Männern stand die Furcht im Gesicht geschrieben. Der Auflauf zerstreute sich rasch, und als Mark Raintree und Big Track dem Sheriff wenig später in sein Office folgten, lag die Main Street wie ausgestorben. Der Rancher erzählte, was passiert war. Er faßte sich kurz. »Wenn Sie mir nicht glauben, kommen Sie mit zum Boothill«, schloß er. »Wir werden sehen, ob Bat Gunnison noch in seinem Grab liegt oder nicht.« So geschah es.
Schweigend ritten die drei Männer durch die Nacht, schweigend saßen sie auf dem Friedhof ab – und Barry Turner blieb wie erstarrt stehen, als er das leere, offene Grab zu seinen Füßen erblickte. »Nein«, flüsterte er. »Nein, das gibt es nicht! Das kann nicht wahr sein, das ...« »Glauben Sie ernsthaft, daß sich irgend jemand einen Spaß daraus gemacht hat, die Leiche wieder auszugraben, Sheriff?« fragte Raintree leise. Der Sternträger von Roswell antwortete nicht. Er schwieg immer noch, als sie längst wieder das Office erreicht hatten. Bleich und wie erstarrt saß er hinter seinem Schreibtisch und atmete schwer. »Und was sollen wir tun?« fragte er schließlich heiser. »Was kann man gegen diesen ... diesen Spuk unternehmen?« Der breitschultrige Rancher lehnte sich zurück. Seine Augen waren grau wie die Felsen der Rocky Mountains. Und genauso hart. »Warten«, sagte er ruhig. »Morgen wird Buck Bones begraben. Und wenn auch er wieder aus seinem Sarg aufsteht, werden wir da sein ...« *** Vasco Durango hatte den Tag im schützenden Dunkel einer verfallenen Hütte verbracht. Das Tageslicht war sein Feind – er ritt nur in den Nächten. Erst als die Sonne sank und die Dämmerung ihren blauseidenen Schleier über das Land breitete, erwachte er aus seinem todesähnlichen Schlaf, erhob sich geschmeidig und reckte die Glieder. Seine Lider zogen sich zusammen, als er vor die Hütte trat. Noch war es nicht völlig dunkel. Im Westen hoben sich die
Gipfel der Sierra Blanca und der Sacramento Mountains schwarz von einem tiefroten Himmel ab, der Widerschein schien die hochgewachsene Gestalt in Glut zu tauchen. Durango zögerte einen Moment, dann löste er den Zügel seines Rappen vom Holm, saß auf und ritt langsam und mit engen Augen ins Abendrot. Auf der Kuppe des nächsten Hügels verharrte er. Die Hütte unten in der Senke hatte er schon gestern entdeckt. Rauch quoll aus dem Schornstein und zerfaserte zu dünnen Wölkchen, Hühner gackerten, ein paar Pferde und Rinder und die kleinen Flächen bebauten Landes zeigten, daß dort Siedler dabei waren, eine Farm aufzubauen. Durango hatte sich die Leute auch schon angesehen, ohne sich allerdings selbst zu zeigen. Seine Lippen zogen sich zurück, die scharfen Eckzähne schimmerten. Als er absaß, das Pferd an einem Steinzacken festband und im Schutz der Büsche den Hang hinunterglitt, hatte sich sein Gesicht zu einer teuflischen Maske verhärtet. Nur zwei Yard von dem silbrigen, schnell fließenden Creek entfernt blieb er im Gebüsch kauern. Er wartete. Wartete in schweigender, endloser Geduld – ein Raubtier, das seine Beute belauert. Der Blick der dunklen, stechenden Augen ruhte auf der Hütte, unverwandt starrte er hinüber, und tief in seinen Pupillen schienen gelbliche Funken aufzuspringen, als nach einer endlosen Stunde die Tür des Holzhauses geöffnet wurde. Ein Mädchen trat ins Freie. Sie war jung – nicht älter als sechzehn oder siebzehn Jahre. Über dem schlichten blauen Kattunkleid trug sie eine rot und weiß gewürfelte Schürze, unter der sich eine schmale Taille, knospende Brüste und runde Hüften abzeichneten. Hellblondes Haar fiel ihr über die Schultern – wie Weizen, auf den die
Sonne scheint. Das Gesicht bildete nur ein blasses Oval in der Dunkelheit, und selbst aus der Entfernung war das klare, leuchtende Blau ihrer Augen zu sehen. Sie trug einen Krug im Arm. Vasco Durango wußte, daß sie Wasser holen wollte, und seine Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln. Reglos wartete er, bis das Mädchen den Creek erreichte. Nur wenige Schritt trennten ihn jetzt noch von ihr. Sie beugte sich nieder, hielt den Krug ins Wasser. Ihre Hände waren schmal und ein wenig gerötet von der harten Arbeit, die sie tagtäglich verrichtete, und das goldblonde Haar teilte sich und gab einen weißen, verletzlichen Nacken frei. Sie kam nicht dazu, sich wieder aufzurichten. Behutsam schob Vasco Durango die Zweige vor seinem Gesicht beiseite. Nur ein winziges Knacken entstand. Das Mädchen hob den Kopf. Ihre blauen Augen richteten sich fragend auf den Fremden – doch noch ehe sich in ihrem Gehirn Schrecken und Furcht formen konnten, hatte Durango bereits den Creek übersprungen und landete federnd im Gras. Das Mädchen ließ den Krug los und taumelte hoch. Ihre Augen wurden weit. Die Lippen öffneten sich, sie wollte einen Schrei ausstoßen, aber sie schaffte es nicht. Wie ein Puma sprang Durango sie an. Seine Hand preßte sich auf ihren Mund und erstickte ihre Stimme, mit seinem ganzen Gewicht warf er sie ins Gras und nagelte sie am Boden fest. Ihr Körper zuckte, bäumte sich vergeblich auf. Entsetzen flackerte in den blauen Augen. Vasco Durango sah den schlanken, leicht gebräunten Hals dicht vor sich, sah das leichte, erregte Pulsieren der Schlagader, und für einen Moment überfiel ihn die namenlose Gier wie ein Rausch. Er beherrschte sich. Wie ein eiskalter Strom flutete der Wille in seinen nach Blut schreienden Körper zurück. Immer noch preßte er die Rechte
über die Lippen des Mädchens. Mit der Linken holte er aus. Ein kurzer, harter Schlag traf die Schläfe des Opfers, das Girl erschlaffte, und Vasco Durango schleifte den leblosen Körper ins Gebüsch. Zehn Minuten später hatte er das blonde Mädchen gefesselt und geknebelt und hob sie vor sich in den Sättel. Er würde sie nicht töten. Nicht sofort ... Denn dieses Girl sollte nicht seinen Hunger stillen, seine Gier befriedigen – dieses Mädchen hatte er als Opfer vorgesehen, das ihm den Weg ins heilige Tal der Mescaleros öffnen würde. Stetig und unaufhaltsam zog der Schwarze Reiter weiter nach Westen – ein drohender Schatten in der Nacht, die seine Freundin war ... *** Mark Raintree und Big Track hatten den Tag damit verbracht, sich auf den Kampf vorzubereiten, auf den sie gefaßt sein mußten. Der Büchsenmacher von Roswell war ein graubärtiger, krummbeiniger Oldtimer, der in seinem Leben schon zu viel gesehen hatte, um sich noch über irgend etwas zu wundern. Er nickte nur zu dem Ansinnen, eine größere Menge von silberner Munition für 45er Revolver und Winchestergewehre herzustellen. Nach dem Zweck fragte er mit keiner Silbe. Am späten Nachmittag war er mit der Arbeit fertig, und als seine beiden Kunden die Werkstatt verließen, wünschte er ihnen das Glück, das sie – wie sie wußten – nur zu nötig brauchen würden. Bei einem alten Chinesen, der am Stadtrand wohnte, hatten sie zwei fantastisch gearbeitete silberne Dolche gekauft. Außerdem trugen sie jeder ein Kreuz um den Hals, und all
diese Maßnahmen machten selbst nach Big Tracks Meinung die stark riechenden Knoblauchranken überflüssig. Gemeinsam hatten sie an der Beerdigung Buck Bones’, des Stallmanns, teilgenommen. Nichts hatte sich ereignet. Alles war ganz normal gewesen, wie immer bei solchen Gelegenheiten – abgesehen vielleicht von der Tatsache, daß nur wenige Bürger auf den Boothill gekommen waren. In Roswell ging das Grauen um. Wie ein monströses, ins Gigantische aufgeblähtes Tier schlich das Gerücht durch die Straßen, schien mit tausend boshaften Mündern zu flüstern, lauschte mit tausend Ohren auf Neuigkeiten, die es weiter aufblähen konnten, und die Menschen zogen es vor, in ihren Häusern zu bleiben. Die Mainstreet lag wie ausgestorben, als Mark Raintree und Big Track etwa eine Stunde vor Mitternacht erneut zum Friedhof gingen. In den Saloons herrschte Betrieb, doch sämtliche Fensterläden waren verrammelt, und an die Schwingtüren hatten besorgte Bürger Hufeisen gehängt, Alraune-Wurzeln, alle möglichen anderen Glücksbringer und in einigen Fällen auch Knoblauchranken. Drinnen, in der Geborgenheit von Stimmengewirr, menschlicher Nähe und Wärme, lachten die Männer vermutlich darüber und taten das ganze als Spielerei ab, doch die Wahrheit sah so aus, daß kaum einer da war, der tief in seinem Innern nicht zumindest zweifelte. Zwei Tote hatte es gegeben. Beide gestorben durch einen Biß in die Kehle, beide bis zum letzten Tropfen ihres Blutes beraubt! Und wenn es auch vielleicht eine harmlose Erklärung für das Verschwinden von Bat Gunnisons Leiche gab, wenn auch niemand von Vampiren sprechen mochte, so schlich doch zumindest irgendwo ein wildes Tier herum, ein Wolf oder eine Raubkatze, und diese Tatsache diente als Alibi für sämtliche Vorsichtsmaßnahmen.
Mark Raintree und Big Track spürten die Blicke, die ihnen folgten, als sie aus der Stadt ritten. Sie gingen vorsichtig zu Werke, saßen schon in einiger Entfernung von den ersten Grabstätten ab. Die Pferde versteckten sie im Gebüsch in einer Mulde. Eigentlich war Sheriff Turner entschlossen gewesen, sie zu begleiten – aber sie hatten ihn schließlich davon überzeugen können, daß er zurückbleiben mußte, weil die Sicherheit seiner Stadt auf dem Spiel stand. Zu Fuß schlichen sie weiter, glitten geduckt zwischen den alten Gräbern hindurch und gingen schließlich hinter einem großen marmornen Gedenkstein in Deckung, den die dankbaren Bürger vor Jahren dem Gründer der Stadt gesetzt hatten. Von hier aus konnten sie das leere Grab von Bat Gunnison sehen – und den braunen Erdhügel, der den einfachen Fichtensarg des Stallmanns deckte. Eine Stunde verging. Vom Kirchturm der Town begann es Mitternacht zu schlagen. Dünn und seltsam hoch wehten die metallischen Töne herüber und die beiden Männer starrten wie gebannt das frische Grab an. Sie waren nicht überrascht, als sich mit dem letzten Glockenschlag die Erde bewegte. Das Bild ähnelte dem, das sie schon einmal auf der Raintree-Ranch gesehen hatten. Das Aufbrechen des Grabhügels, der Sargdeckel, den bleiche Totenhände hochdrückten – das hatten sie erwartet, obwohl es sie von neuem mit Grauen erfüllte. Die Szene aus der Vergangenheit schien sich zu wiederholen. Nur daß es diesmal nicht Alissa war, die aus dem Grab aufstand, sondern die dürre, gebeugte Gestalt des Stallmanns. Buck Bones reckte seine Glieder. Mit glasigen Augen sah er sich um. Die Lippen zogen sich
von den scharfen Eckzähnen zurück, langsam, wie prüfend, krümmte und streckte er die Krallenfinger. Einen Moment lang verharrte er reglos, mit geneigtem Kopf, als lausche er auf etwas, das nur er allein hören könne – dann wandte er sich um, suchte sich einen Weg zwischen Kreuzen und Gräbern und ging mit zielsicheren Schritten den Hang hinauf. Mark Raintree und Big Track folgten ihm erst, als eine Buschkette die dürre Gestalt ihren Blicken entzog. Jenseits der Hügelkuppe sahen sie den Untoten wieder. Er bewegte sich zwischen niedrigen Sträuchern. Sein Ziel schien eine Baumgruppe in einer kleinen Senke zu sein – und Raintree und sein Begleiter hörten deutlich das leise Schnauben eines Pferdes. Sie warteten, bis sie sicher waren, daß der tote Buck Bones sich tatsächlich in den Sattel schwang. Zwei, drei Minuten vergingen – dann prasselte Hufschlag. Wie eine schwarze Silhouette lösten sich Pferd und Reiter aus dem Schatten der Bäume. Buck Bones’ dürre Gestalt hockte vornübergebeugt auf dem Rücken des Tiers, und er nahm die Richtung, die quer durch die Hügel nach Norden führte. Ohne Hast kehrten Mark Raintree und Big Track zu dem Platz zurück, wo sie ihre Tiere gelassen hatten. Bis auf Hörweite durften sie ohnehin nicht an ihren unheimlichen Gegner herankommen. Sie würden seiner Spur folgen – und als sie wenig später ebenfalls nach Norden ritten, hofften sie, daß sie am Ende dieser Spur der Lösung des Rätsels ein wenig näher gekommen sein würden ... *** Die Schluchten und Täler der Sacramento Mountains nahmen den Schwarzen Reiter auf. Immer wilder, karger, einsamer wurde die Natur ringsum.
Leiser Wind streifte durch die Baumkronen und wirbelte zwischen den kahlen Felsen der Hochplateaus den Staub auf. Ein makelloser Sternenhimmel spannte sich über der zerklüfteten Bergwelt, das Silberlicht des Mondes verwandelte die Landschaft in eine fremde Traumkulisse, und das Land der Mescalero-Apachen schien in tiefem Frieden zu liegen. Aber Vasco Durango wußte, daß dieser Eindruck täuschte. Von Zeit zu Zeit bemerkte er wie glühende Punkte den Widerschein von Feuern. Die huschenden Bewegungen ringsum ahnte er mehr, als daß er sie sah. Er wußte, daß die Mescaleros ihn längst entdeckt hatten, daß sie da waren, daß scharfe Augen ihn beobachteten – doch die Indianer spürten stärker und deutlicher als jeder weiße Mann den Eishauch des Unheimlichen, der von dem Schwarzen Reiter ausging, und sie wagten es nicht, ihn anzugreifen. Unbehelligt folgte Vasco Durango seinem Weg durch die Berge. Das blonde Mädchen vor ihm war längst wieder zu sich gekommen. Einmal hatte sie versucht, sich aufzubäumen, sich trotz der Fesseln loszureißen und aus dem Sattel zu werfen, doch ein paar erbarmungslose Faustschläge hatten ihr schnell klargemacht, daß es sinnlos war. Apathisch kauerte sie im Sattel, das blonde Haar wehte im Nachtwind, und ab und zu bebten die schmalen Schultern unter einem unhörbaren Schluchzen. Kurz nach Mitternacht sah Durango die seltsam geformten, schroff in den Himmel ragenden Felsenzacken, die von den Indianern »Manitus Zorn« genannt wurden. Wie eine Mauer schienen sie den Weg durch den Canyon zu versperren. Durangos Blick erfaßte die seltsamen Zeichen und Symbole, die in den Stein gemeißelt waren. Er parierte das Pferd durch, hob langsam die Rechte und murmelte mit leiser Stimme eine Beschwörung in einer fremden Sprache.
Ein Windstoß fegte über die Flanke des Canyons. Fauchend fuhr er durch die Felsentrümmer – es klang wie ein Stöhnen. Von irgendwoher trug ein dumpfes, tiefes Grollen herüber, als erhebe die Erde selbst ihre Stimme, um alle natürlichen Wesen vor der Ausgeburt der Hölle zu warnen. Durangos Gesicht hatte sich gespannt. Langsam ritt er weiter, direkt auf die Felsen zu. Zwischen zwei hochragenden Gesteinzacken klaffte ein tiefer Spalt. Dunkelheit nahm den Reiter auf, für Sekunden war die Schwärze um ihn dicht und undurchdringlich – dann traten die Felsen auseinander und gaben den Blick auf ein weites, von schroffen Steilhängen umgebenes Tal frei. Wind sang in den Büschen. Silbern schimmerte die Oberfläche eines kleinen Sees, der Creek, der ihn speiste, rauschte und raunte tief verborgen im wilden Gras. Wie ein Finger erhob sich in der Mitte des Kessels ein einzelner Felsen, und an seinem Fuß zeichneten sich schwarz die Umrisse eines von Menschenhand behauenen Steinquaders ab. Das Tal der toten Häuptlinge! Das heilige Tal der Mescaleros, das keines Menschen Fuß mehr betreten hatte, seit ein schrecklicher Fluch über ihm lastete. Vasco Durango atmete tief durch, packte die Zügel fester und ritt langsam durch das fahle Mondlicht auf den steinernen Altar zu. Geschmeidig glitt er vom Pferd und hob das gefesselte Girl aus dem Sattel. Die blauen Augen des Mädchens waren groß und weit, verzweifelt warf sie den Kopf herum, um zu ergründen, wo sie sich befand und was mit ihr geschehen würde. Vasco Durango zog sein Messer aus dem Gürtel, durchtrennte mit ein paar raschen Schnitten die Stricke an Händen und Füßen seines Opfers und befreite es auch von dem Knebel.
Das Mädchen taumelte. Es wäre gestürzt, wenn Durango es nicht festgehalten hätte. Tränen brannten in seinen Augen, das hübsche Gesicht war eine Maske der Furcht, und die Lippen zuckten. »Wo bin ich?« flüsterte sie mit bebender Stimme. »Was haben Sie mit mir vor? Wer sind Sie überhaupt, wer ...« Vasco Durango lächelte. »Dies ist das heilige Tal der Mescaleros«, sagte er dunkel. »Und du wirst das Opfer sein, das die Welt der Dämonen und Geister verlangt, dein Blut wird die Pforten öffnen. Du wirst sterben ...« Das Mädchen schauerte. Weiß wie ein Blatt Papier leuchtete ihr Gesicht in der Dunkelheit. Sie starrte den schwarzgekleideten Reiter an. Seine Worte klangen zu schrecklich, zu unwirklich, um sie sofort in ihrer vollen Tragweite zu begreifen, und das Girl hatte das verzweifelte Gefühl, sich in einem Alptraum zu befinden, aus dem sie jeden Moment erwachen mußte. »Aber ich habe Ihnen doch nichts getan!« flüsterte sie. »Ich kenne Sie nicht, ich ...« Vasco Durango lachte nur. Wie eine Eisenklammer lag seine Hand um den Arm des Opfers. Mit einem jähen Ruck schob er das Mädchen vorwärts, auf den hochragenden Felsen zu – und warf sie brutal mit dem Rücken auf den dunklen Steinquader. Das Girl war zu überrascht, um sich zu wehren. Kalt spürte sie den Stein im Rücken, immer noch hielt die unerbittliche Faust sie umklammert. Verzweifelt warf sie den Kopf herum, starrte mit aufgerissenen Augen zu dem unheimlichen Fremden hoch – und sah das Messer, dessen funkelnde Klinge sich ihrem Gesicht näherte. Laut und gellend brach sich der Schrei des Mädchens zwischen den Bergflanken.
Jählings verstummte er. Die schlanke Gestalt erschlaffte. Blut schoß aus der Wunde an der Kehle, hell und pulsend, lief über den weißen Hals und ergoß sich auf den Opferstein, der den Lebenssaft förmlich zu trinken schien. Leblos wie bleiche Schlingpflanzen hingen die Arme des Mädchens zu beiden Seiten des Felsblocks herab, gebrochene Augen sahen hinauf in den sternenbesäten Nachthimmel, und der Blutstrom versiegte allmählich. Vasco Durango war einen Schritt zurückgetreten. Gier schüttelte ihn, der Geruch des Bluts hatte die rasende Bestie in ihm geweckt – aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. Zuviel stand auf dem Spiel, zu hoch war der Einsatz und zu lockend der Gewinn. Durango hob die Hände, breitete die Arme aus, und seine Stimme erhob sich und übertönte das Singen des Windes. Er rief Beschwörungen. Magische Formeln aus uralter Zeit, aus der Tiefe seines dämonischen Gedächtnisses. Laut hallten die Worte, drängend, beschwörend – und er verstummte erst, als er die Bewegung zwischen den Büschen wahrnahm. Etwas schien weiß herüberzuschimmern. Ein heller Flecken zunächst nur. Dann der Umriß einer mächtigen Gestalt ... Zweige brachen, dichtes Gesträuch schob sich auseinander, und langsam, majestätisch, den zottigen Schädel gesenkt, trat ein riesiger Büffel heraus auf die Lichtung. Ein weißer Büffel! Heiliges Tier für alle Prärieindianer ... Sekundenlang verharrte der gigantische Körper reglos. Nur die Nüstern bebten. Im Mondlicht schimmerten die gebogenen Hörner mit den nadelscharfen Spitzen, und die Augen schienen den schwarzgekleideten Eindringling mit einem seltsam
wissenden Ausdruck anzustarren. Durango hob die Hand, schrieb magische Zeichen in die Luft. Noch einmal wiederholte er mit lauter Stimme die Beschwörung – und diesmal schien die Luft selbst um ihn herum lebendig zu werden. Gestalten tauchten auf. Schatten zuerst nur, Inseln der Finsternis im silbernen Mondlicht – dann schälten sich immer deutlicher menschliche Konturen heraus. Bronzefarbene Körper glänzten, Federschmuck wehte im Nachtwind, dunkle Augen glühten in starren Gesichtern – und wie aus dem Nichts erstand vor Vasco Durangos Augen die geisterhafte Armee der toten Häuptlinge. Eine hagere, drahtige Gestalt trat vor den Steinblock, auf dem immer noch die ausgestreckte Gestalt des toten Mädchens lag. Schlohweißes Haar fiel über die bronzefarbenen Schultern. Unzählige Runzeln und Linien zerfurchten das dunkle Gesicht, aber die Augen waren klar und hart auf den Eindringling gerichtet. »Wer bist du, Fremder?« fragte der Geist. Er bediente sich der Sprache seines Volkes, doch für Durango verwandelten sich die Worte. »Du hast unsere Ruhe gestört. Du hast uns aus den Ewigen Jagdgründen hierhergerufen und uns gezwungen, vor dir zu erscheinen. Wer bist du?« Vasco Durango hatte die Arme über die Brust verschränkt. Er stand reglos da, genauso starr und versteinert wie der alte Indianer. »Ihr kennt mich«, sagte er ruhig. »Ich bin der Schwarze Reiter, dem vor langer Zeit ein Fluch Macht über euch gab. Ich bin zurückgekommen ...« Der Häuptling reckte sich. Sein prachtvoller Federschmuck wehte im Wind, reichte ihm tief in den Rücken. »Noch ist der Fluch nicht erfüllt«, hallte seine Stimme.
»Unschuldiges Blut floß auf den heiligen Stein und zwang uns hierher, aber deine Macht ist begrenzt. Wir sind bestimmt, dem Herrn der sieben Armeen zu dienen. Sieben Tage werden vergehen. Siebenmal wird Blut fließen, und sieben lebende Tote werden sich im heiligen Tal der Mescaleros versammeln. So lautet die Prophezeiung. Wenn du sie erfüllst, werden wir dir dienen. Gelingt es dir nicht, wirst du hinweggefegt von dieser Erde, und wir gewinnen den ewigen Frieden zurück. Sieben Tage, Fremder! Möge sich die Hölle selbst auftun, um dich zu verschlingen ...« »Sieben Tage«, wiederholte Vasco Durango flüsternd. Seine Augen funkelten, schienen sich in unvorstellbare Fernen zu richten. »Sieben Tage, sieben Männer und sieben Armeen! Ich werde herrschen ... herrschen ...« *** Wie eine Ansammlung durcheinandergewürfelter Klötze lag die verlassene Ranch im Mondlicht. Mark Raintree und Big Track verhielten auf der Hügelkuppe. Unten im Tal sahen sie gerade noch, wie der tote Buck Bones absaß, den Zügel um einen zerbrochenen Balken schlang und im Schatten des halb verfallenen Veranda-Vorbaus verschwand. Kein Zweifel, daß dieses uralte Haus sein Ziel war – und kein Zweifel, daß hier noch andere auf ihn warteten, wie die Pferde in dem kleinen Corral bewiesen. Mark Raintree kniff die Augen zusammen. »Acht«, sagte er leise. »Acht Pferde! Ob das etwas zu bedeuten hat?« Big Tracks Augen schienen in die Weite zu gehen. Im Mondlicht schimmerte sein weißes Haar wie gesponnenes Silber. »Der Herr der sieben Armeen«, murmelte er.
»Wie war das?« Der alte Cowboy schrak auf. Er schien wie aus einem Traum zu erwachen. »Eine der vielen Mescalero-Legenden«, sagte er langsam. »Da gibt es angeblich eine uralte, dunkle Prophezeiung mit einem Text, der ziemlich unverständlich ist. Von einem Herrn der sieben Armeen ist die Rede, der angeblich die Geister der toten Indianer aus den ewigen Jagdgründen zurückholen und zum Sieg führen wird, und von sieben Heerführern, die sich im heiligen Tal der Mescaleros versammeln sollen, wenn es an der Zeit ist.« Er schüttelte den Kopf und preßte die Lippen zusammen. »Als ich noch jung war, gab es eine Gruppe MescaleroApachen unter der Führung eines verrückten Medizinmanns, die versuchten, diesen Herrn der sieben Armeen mit allen möglichen Zauberkunststücken und magischen Riten zu beschwören. Eine Menge Blut floß bei diesem Kult, und da es das Blut von weißen Mädchen war, wurde die Gruppe von der Armee bis auf den letzten Mann aufgerieben. Der Kult verschwand dann. Ich denke, daß die seltsame Prophezeiung auch noch von anderen Medizinmännern überliefert wurde, aber sie ist nie mehr in Erscheinung getreten. Jedenfalls nie mehr so, daß irgendein Weißer davon erfuhr«, setzte er hinzu. Raintree schluckte. »Und du glaubst im Ernst, daß da etwas dran ist?« Big Track hob die mageren Schultern. »Ich weiß es nicht, Boß. Ich weiß nur, daß es ein verdammter Fehler ist, die Legenden und Überlieferungen der Indianer als Hokuspokus abzutun. Wo Rauch über die Prärie steigt, da ist auch ein Feuer. Ich sehe Pferde für das Mädchen und sieben Männer, ich sehe, daß dieser schwarze Kerl allem Anschein nach zumindest keinen Bogen um die MescaleroReservation schlägt, und ich mache mir meine Gedanken.«
Für einen Moment blieb es still. Mark Raintree biß die Zähne zusammen. Der Nachtwind streifte sein Gesicht, irgendwo heulten Coyoten. »Mit den Mescalero-Legenden und den Geistern der toten Indianer können wir uns später herumschlagen«, sagte er rauh. »Jetzt geht es um zwei lebende Leichen, die wir endgültig töten müssen, und um ein Mädchen, das einem Vampir verfallen ist. Unsere Aufgabe liegt dort unten. Wir werden vorerst genug damit zu tun haben ...« »Stimmt, Boß! Zerbrechen wir uns lieber nicht den Kopf über die Zukunft, bevor wir wissen, ob wir nicht so oder so über den Fluß gehen. Lassen wir die Pferde hier oben?« Raintree nickte. »Das dürfte besser sein. Je später sie uns bemerken, umso größer unsere Chancen.« Der alte Cowboy stimmte zu. Rasch saßen sie ab, führten die Pferde ein Stück zurück hinter die Hügelkuppe und banden sie mit den Zügeln an niedriges, festes Krüppelholz. Zu Fuß huschten sie zurück, warfen noch einen prüfenden Blick auf die verfallene Ranch in der Senke und begannen dann, sich im Schutz des niedrigen Buschwerks den Hang hinunterzupirschen. An der Rückseite des ehemaligen Bunkhouses wucherten die Sträucher bis dicht an die Holzwand heran. Die beiden Männer duckten sich. Wie ausgestorben lag der Gebäudekomplex vor ihnen, nur die Pferde scharrten und schnaubten. Raintrees Blick tastete über das Haupthaus, bohrte sich in die Schwärze der Fensterlöcher, suchte vergeblich nach irgendeinem Lebenszeichen und kehrte schließlich zu Big Track zurück. Die Augen des alten Mannes hatten sich zu schmalen, glitzernden Sicheln verengt. »Es hilft nichts«, sagte er leise. »Wir müssen hinein, Boß.« Raintree nickte nur.
Mechanisch zog er den Colt aus der Halfter – jenen Colt, der jetzt nicht mit normaler 45er Munition geladen war, sondern mit silbernen Kugeln. Vorsichtig schob er sich weiter, bog um die Ecke der Bunk und löste sich nach kurzem Zögern aus dem Schatten. Seine Kopfhaut kribbelte, als er geduckt und vollkommen deckungslos über den Hof huschte. Big Track war dicht hinter ihm. Nichts geschah, unbehelligt erreichten sie den eingestürzten Verandavorbau und suchten sich mühsam einen Weg durch das Gewirr von Latten und Balken. Die Tür war nur angelehnt. Raintree lauschte, doch nichts regte sich. Er spürte die Berührung des Kreuzes auf seiner Brust, das Gewicht des Colts in der Rechten, und grub die Zähne in die Unterlippe, da trotz allem eine dunkle Furcht in ihm aufzusteigen drohte. Mit der Linken gab er der Tür einen leichten Stoß. Knarrend schwang sie zurück, der Geruch nach Moder und Staub wehte den beiden Männern entgegen. Raintree gab sich einen Ruck und trat geduckt über die Schwelle. Vor ihm lag die Halle im ungewissen Mondlicht. Bleich flutete der Widerschein durch die Fenster, Stäubchen tanzten in der hellen Bahn wie Silberfunken. Fingerdick lag der Staub auf Möbeln und Schränken, das Muster des Teppichs war nicht mehr zu erkennen und ... Etwas knarrte. Mark Raintree fuhr zusammen, wirbelte herum – und begegnete dem leisen, spöttischen Lächeln von Charlot de Forest. Das Mädchen saß auf einem Schaukelstuhl in der Nähe des Fenster. Das Knarren rührte von dem alten, ausgetrockneten Holz her. Charlots rotes Haar schimmerte, das Mal brannte auf ihrer Stirn, und in den schönen grünen Augen lag ein seltsames Licht.
Raintree starrte sie an. Aber er machte nicht den Fehler, sich nur auf das Girl zu konzentrieren, er lauschte gleichzeitig gespannt nach allen Seiten. Das Geräusch hinter ihm rührte von Big Tracks Schritten her. Über die Schulter hinweg sah er, daß der alte Cowboy nach links huschte, zur Wand hin, um die Halle überblicken zu können. Rechts von Raintree führte eine brüchige Treppe nach oben, endete an einer breiten Galerie, die die Zimmer des oberen Stockwerks verband, und dort ... Wie ein Schatten sah er die Gestalt, die sich auf die Balustrade schwang. Buck Bones, der tote Stallmann! Augen glühten, ein heiserer Schrei brach über die Lippen des Unheimlichen. Wie ein Raubtier stieß er sich ab, ließ sich einfach von der Galerie fallen und versuchte, seinen Gegner unter sich zu begraben. Mark Raintrees Hand zuckte zum Colt. Blitzartig zog er die Waffe – und begriff im nächsten Sekundenbruchteil, daß es zu spät war. Mit einem verzweifelten Satz versuchte er, sich zur Seite zu werfen, aber er hatte den entscheidenden Moment verpaßt und schaffte es nicht mehr. Buck Bones prallte gegen ihn. Wie eine Lawine stürzte der schwere Körper über den Rancher und riß ihn zu Boden. Noch im Fallen versuchte er, sich zu drehen, doch er war nicht schnell genug. Der Vampir warf sich auf ihn. Mörderische Krallenhände drückten Raintrees Arme gegen den Bretterboden, heißer Atem schlug ihm ins Gesicht, und die gräßlichen Vampirzähne näherten sich seiner Kehle. Mark Raintrees Beherrschung riß. Wie wahnsinnig bäumte er sich auf und versuchte, den Klammergriff der Klauen zu sprengen.
»Nein!« brüllte er. »Nein, nein ...« Und mitten in seinen verzweifelten Schrei hinein peitschte der Schuß. Big Track hatte gefeuert. Dicht vor sich sah der Rancher die gräßliche Fratze, sah den Ruck, der durch die Gestalt ging, und das kleine, häßliche Loch zwischen den Totenaugen. Der Schädel des Vampirs zuckte zurück. Der Körper hätte jetzt erschlaffen müssen, endgültig sein unnatürliches, dämonisches Leben aushauchen – aber aus dem Rachen kam nur ein gellendes, teuflisches Gelächter. Für Sekunden füllte sich Mark Raintrees Hirn mit dem roten Fiebernebel des Grauens. Er begriff nicht, daß die Silberkugel das Herz des Vampirs hätte treffen müssen, um ihn zu töten. Er begriff überhaupt nichts. Seine Gedanken verwirrten sich, die Todesangst in ihm schien förmlich zu explodieren – und es war diese Angst, die ihm im entscheidenden Moment eine fast übermenschliche Kraft verlieh. Mit einem letzten, verzweifelten Aufbäumen schaffte er es, den Gegner abzuschütteln. Ein wütendes Fauchen kam aus dem Rachen der Bestie. Raintree warf sich herum, wälzte sich um sein Leben. Der Untote federte hoch, kam auf die Füße, um sein Opfer von neuem anzuspringen, und im gleichen Sekundenbruchteil peitschte der zweite Schuß durch den Raum. Diesmal hatte Big Track auf das Herz der Bestie gezielt. Und er traf auch. Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Buck Bones zusammen. Das wütende Fauchen schlug um in nervenzerfetzendes Geheul. Schwankend wie ein Schilfrohr hielt sich der Vampir auf den Beinen, griff nach der Wunde an seiner Brust, zerfetzte Hemd und Haut mit den scharfen Krallen. Sein Heulen wurde leiser, erstarb in einem schwachen Wimmern. Wie ein gefällter Baum stürzte der Untote zu Boden, die Glieder erschlafften, und die Schreckensgestalt
begann sofort, sich zu verändern. Mark Raintree fand keine Zeit, die Verwandlung des Vampirs in den Leichnam eines Menschen zu beobachten. Der Rancher warf sich herum, kam auf die Knie. Daß eine Kugel ins Herz den Unhold getötet hatte, daß das Kreuz allein nicht stark genug gewesen war, ihn selbst vor dem Angriff zu schützen – all das wirbelte nur bruchstückhaft durch sein fieberndes Hirn. Er rang verzweifelt nach Atem, starrte zu Big Track hinüber – und sah gerade noch, wie sich der zweite Vampir aus der Deckung eines alten Schrankes löste. Bat Gunnison! Bat Gunnison mit einem Colt in der Faust – und der Finger seiner bleichen Totenhand krümmte sich über dem Abzug. Der Schuß peitschte. Gunnison hatte auf Big Track gezielt. Ein Ruck ging durch die Gestalt des weißhaarigen Cowboys. Er wurde nur gestreift, eine blutige Schramme zog sich über seine Schläfe, aber die Wucht des Geschosses reichte aus, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen und zurückzuwerfen. Raintrees Blick zuckte umher. Er sah den Colt, den er bei dem Zusammenprall verloren hatte, warf sich zur Seite und schlug die Finger um die Waffe. Sein erster Schuß ging fehl. Er feuerte ein zweites Mal, Bat Gunnison wirbelte wie von einer Bogensehne abgeschnellt um die eigene Achse. Die Kugel fuhr ihm in die Schulter, riß ihn halb herum – doch er schien den Schmerz nicht zu spüren. Blitzschnell stemmte sich Raintree auf die Knie, zielte mit ausgestrecktem Arm, und gleichzeitig hörte er hinter sich eine jähe Bewegung. Er hatte das Gefühl, sich schon seit einer halben Ewigkeit in dem unheimlichen Haus zu befinden, aber in Wahrheit hatte der Kampf nur wenige Sekunden gedauert. Sekunden, in denen Charlot de Forest wie erstarrt in dem
Schaukelstuhl saß. Jetzt endlich handelte sie, gelang es ihr, die Lähmung abzuschütteln, und mit einem unmenschlichen Fauchen sprang sie dem immer noch am Boden knienden Rancher ins Genick. Sie prallte gegen ihn, noch ehe er abdrücken konnte. Wider Willen schrie er auf. Charlots Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch, fauchend und geifernd versuchte sie, ihm die Zähne in den Nacken zu schlagen. Panik drohte ihn zu überwältigen. Alles in ihm drängte danach, sich blindlings herumzuwerfen und um sich zu schlagen – aber der stählerne Kern in seinem Innern befähigte ihn, die Beherrschung zu behalten. Er sah Bat Gunnison. Er sah die runde, drohende Mündung des Colts, sah den Finger, der sich erneut über dem Abzug krümmte – und er wußte, daß alles vorbei war, wenn er jetzt die Nerven verlor. Er zielte. Charlots heißen Atem, die Krallen, die ihn verletzten, die tastenden Zähne, die die Halsschlagader suchten – das alles ignorierte er. Er zielte, er schoß – und er war um die entscheidende Winzigkeit schneller. Bat Gunnison wurde mitten ins Herz getroffen. Der Untote kam noch zum Schuß, doch er hatte im letzten Moment die Waffe verrissen. Dumpf dröhnte der Colt, die Kugel fauchte durch die Luft, streifte Charlot am Kopf und warf sie zurück, noch ehe sie ihre Zähne in den Hals des Opfers schlagen konnte. Spitz und gellend übertönte der Schrei der Frau den rollenden Nachhall der Schüsse. Mark Raintree spürte, wie sich der mörderische Griff lockerte. Mit einem Ruck riß er sich endgültig los. Auf den Knien kreiselte er herum, sah die Frau, die sich über den Boden wälzte, um wieder hochzukommen, und warf sich mit einer
blinden, instinktiven Bewegung auf sie. Charlot raste, kämpfte wie eine Tigerin. Geifer rann aus ihrem Mund, die Lippen klafften weit auseinander, die Vampirzähne glitzerten. Schon spürte Raintree, wie seine Kräfte nachließen, sah rote Feuerräder vor seinen Augen kreisen – da tauchte Big Track neben ihm auf, holte weit aus und schmetterte dem rothaarigen Mädchen die Faust gegen die Schläfe. Sie erschlaffte. Die Augen verdrehten sich, der Kopf rollte kraftlos zur Seite. Charlot de Forest war bewußtlos – und Big Track beeilte sich, sie an Händen und Füßen zu fesseln, während Raintree am Boden kauern blieb und wartete, bis sich sein Atem beruhigte. »Himmel«, flüsterte er. »Das wäre beinahe schiefgegangen ...« Big Track nickte. Sein weißes Haar war verwirrt, und Blut rann in einem dünnen Rinnsal von dem Kratzer an seiner Schläfe über die Wange. »Das Kreuz«, sagte er leise. »Wir haben es unter dem Hemd verborgen getragen. Vielleicht muß es sichtbar sein, um zu wirken.« »Vielleicht. Ich glaube ...« Er verstummte. Charlot de Forest regte sich wieder. Ein Stöhnen kam über ihre Lippen. Unruhig bewegte sie den Kopf hin und her, und Sekunden später hoben sich ihre Lider. Sie sah sich um. Fast eine halbe Minute brauchte sie, um die Situation zu begreifen – und dann erschien in ihren grünen Augen ein so abgrundtiefer, verzehrender Haß, daß Mark Raintree einen kalten Schauer über seinen Rücken rinnen fühlte. Einen Moment lang zögerte er, dann riß er sein Hemd auf.
Matt blinkte das Metall des silbernen Kreuzes im Mondlicht. Es schien zu strahlen, zu einem seltsamen Leben zu erwachen. Charlot sah es, zuckte zurück und ihr Gesicht verzerrte sich wie unter körperlichen Qualen. »Nein«, stöhnte sie. »Nein, nicht! Tu es weg! Tu es weg ...« »Wo ist der Schwarze Reiter?« fragte Mark Raintree hart. »Ich weiß nicht. Ich kenne keinen Schwarzen Reiter! Laß mich in Ruhe, ich ...« Mark Raintree nahm das Kreuz von seinem Hals, packte es an der dünnen Kette und nähert es Charlots verzerrtem, entsetztem Gesicht. »Nein!« heulte sie. »Nein ...« Ihr Körper wand sich in Zuckungen. Ein gräßlicher Schmerzensschrei brach über ihre Lippen – und Mark Raintree zog rasch das Kreuz zurück. Erschöpft sank Charlot wieder auf den Boden. Schweiß bedeckte in dicken Perlen ihre Haut, die Lippen zuckten. Sie starrte die beiden Männer an, und jetzt war kein Haß mehr in ihren Augen, sondern nur noch nackte, erbärmliche Angst. »Wo steckt der Vampir?« wiederholte Raintree seine Frage. »Wohin ist er geritten?« »Ich weiß nicht, ich ...« Wieder näherte sich das Kreuz ihrem Gesicht. Und diesmal begann sie, wie ein Kind zu wimmern. »Nein, nicht! Ich will alles sagen, alles! Tu es weg, bitte, tu es weg ...« Raintree zog das Kreuz zurück. Nur ein kleines Stück. »Antworte!« befahl er. »Wo ist der Vampir?« Charlot schloß die Augen. Sie zitterte an allen Gliedern. »In den – Sacramento Mountains«, brachte sie mühsam heraus. »Er ist – ins – heilige Tal der Mescaleros geritten. Dort – will er auf mich warten ...« »Auf dich – und auf die sieben Toten, die sich dort
versammeln sollen?« fragte Big Track ruhig. »Ja«, flüsterte Charlot. »Ja ...« »Die sieben Führer zukünftiger Geisterarmeen? Damit sich die Prophezeiung erfüllt? Damit der Herr dieser sieben Männer auch die Herrschaft antreten kann über Generationen toter Mescaleros? Damit die Geister der Apachen zurückkehren und den weißen Mann wieder aus ihrem Land vertreiben?« »Ja«, flüsterte Charlot wieder. »So ist es. Ja, ja ...« Big Track atmete tief auf. Seine Schultern strafften sich, und sein Blick suchte den Rancher. »Was machen wir mit ihr?« fragte er leise. Raintree furchte die Stirn. »Kann sie erlöst werden? Gerettet?« »Wenn wir den Vampir töten – ja.« Mark Raintree nickte schwer. »Wir müssen es versuchen«, entschied er. »Sie ist unschuldig, sie ist nur ein Opfer, und sie ist immer noch ein lebendiger Mensch, auch wenn sie sich in ihrem jetzigen Zustand wie eine Bestie gebärdet. Wir nehmen sie mit ins heilige Tal der Mescaleros ...« *** Link Harriman, der Händler, lenkte den Zweispänner durch die Dunkelheit. Er fluchte vor sich hin, weil ihn die Nacht überrascht hatte. Sein Ziel war die Mescalero-Reservation – er lebte von dem Handel mit den Indianern. Ein gebrochenes Wagenrad hatte ihn aufgehalten, und jetzt sah er sich vor der Notwendigkeit, entweder die ganze Nacht durchzufahren oder an irgendeinem geschützten Platz sein Camp aufzuschlagen. »Bloody Devil!« stieß er durch die Zähne, »Heaven, Thunder, Damnation and ...«
Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Hufschlag näherte sich. Link Harriman griff in die Zügel, ließ die Pferde halten und sah mit zusammengekniffenen Augen dem Reiter entgegen, der durch das breite, flache Tal kam. Mondlicht hing wie ein bleicher Silberschleier in der Luft. Deutlich war der große Rapphengst zu sehen, die hochgewachsene Gestalt, die düstere schwarze Kleidung. Link Harriman preßte die Lippen zusammen – und wie mit einem einzigen grellen Blitzschlag fiel ihm alles ein, was er in Roswell an wilden Gerüchten gehört hatte. Black Rider! Der Schwarze Reiter ... Link Harriman hatte schon Handel mit den Indianern getrieben, als sie noch längst nicht bereit gewesen waren, einigermaßen friedlich in der Reservation zu bleiben. Damals endeten die Begegnungen zwischen Weißen und Mescaleros meist mit Toten. Link Harriman lebte noch, weil er ein Mann schneller Entschlüsse war – und weil er einen ausgeprägten Sinn besaß für alle möglichen Gefahren. Die Gefahr, die von dem Reiter in Schwarz ausging, spürte er ganz deutlich. Er begriff, daß es besser war, dieser unheimlichen Gestalt nicht zu begegnen. Und er brauchte nicht einmal eine Sekunde, um dieser Erkenntnis die Tat folgen zu lassen. »Ho!« brüllte er, ließ die Zügel klatschen und riß das Gespann herum. Der Schwarze Reiter war zu überrascht, um schnell genug zu reagieren. Als er dem Rapphengst die Sporen in die Weichen schlug, hatte Link Harriman bereits den Wagen gewendet. In vollem Galopp jagten die Pferde dahin. Harriman hielt die Zügel in der Linken, in der Rechten den Colt, und begann schnell und
zielbewußt, auf den Rapphengst zu feuern. Schrill und schmerzvoll wieherte das Tier. Ein fauchender Schrei schlug an die Ohren des Mannes auf dem Kutschbock. Seine Lippen lagen hart aufeinander, und eine Mischung aus Wut und wildem Triumph erfüllte ihn als er in mörderischem Tempo auf seiner eigenen Spur zurückjagte ... *** Mark Raintree und Big Track hörten die Schüsse, deren Echos sich rollend zwischen den Bergflanken brach. Sie waren dem Lauf des Rio Hondo bis Ruidoso gefolgt, hatten einen Bogen um das winzige, verlorene Nest geschlagen und befanden sich bereits im Gebiet der Apachen. Ihre Sinne waren aufs Äußerste gespannt. Well, es herrschte Frieden zwischen Mescaleros und Weißen. Aber die beiden ungleichen Männer waren erfahren genug, um zu wissen, daß es sich für einen Mann ihrer Rasse auch im Frieden nicht ohne weiteres empfahl, mitten durch Indianerland zu reiten. Sie hielten an, als sie das Rattern der Räder in der Ferne hörten. Charlot de Forest kauerte apathisch auf ihrem lohfarbenen Pferd. Raintree lenkte seinen Grauen vor den Fuchswallach, um das Mädchen notfalls schützen zu können. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen und spähten angestrengt in den Schatten des Tals, wo Hufgeprassel und ratternde Räder immer näher kamen. Staub wölkte auf, silbern im Mondlicht. Undeutlich schälten sich die Umrisse eines beladenen Zweispänners aus dem Dunst. Schwer holperte das Fahrzeug über den unebenen Boden, die Peitsche knallte über die Rücken der jagenden Pferde, und auf dem Bock kauerte sich eine dunkle Gestalt zusammen.
Raintree ließ die Rechte sinken, bis sie fast den Revolverkolben berührte. Der Lärm fing sich jetzt zwischen den Bergflanken wie Donnerrollen. Immer noch gab der Mann auf dem Kutschbock den Pferden die Peitsche, der Fahrtwind ließ den breitkrempigen Hut auf seinem Rücken tanzen, und er hatte den Kinnriemen zwischen die Zähne genommen, damit er ihm nicht in die Kehle schnitt. Als er die Reitergruppe gewahr wurde, riß er jäh und heftig an den Zügeln. Zuerst sah es so aus, als wolle er den Zweispänner wenden, einen Ausweg suchen – doch dann begriff er offenbar, daß es sinnlos war. Mit eiserner Hand bändigte er die rasenden Tiere, brachte den Wagen dicht vor Raintree, Big Track und dem Girl zum Stehen und spuckte den ledernen Kinnriemen aus. Kleine, scharfe Augen funkelten unter widerborstigem grauem Haar, Schweiß und Staub verklebten den Vollbart, der die untere Hälfte des Gesichts verdeckte. Der Alte leckte sich über die Lippen, und Raintree entging nicht, daß die braune, zerfurchte Rechte dicht neben dem Kolben der Winchester schwebte, die auf dem Kutschbock lag. »Howdy«, sagte der Rancher ruhig. »Sie haben es eilig, scheint mir.« Der Atem des anderen rasselte. »Yeah«, knurrte er nur. »Sind Sie dem Teufel begegnet?« Es sollte spöttisch klingen, scherzhaft – aber das glückte nicht mehr nach allem, was geschehen war. Link Harriman spürte es – und er begriff instinktiv, daß er hier Verbündete vor sich hatte. »Yeah«, krächzte er heiser. »Ich habe ihn gesehen.« »Den Teufel?« »Schlimmer. Den Schwarzen Reiter.« Raintrees Brauen zuckten hoch. »Woher wissen Sie ...«
»Jedes Kind weiß, was in Roswell passiert ist. Und ich treibe nicht erst seit gestern Handel mit Mescaleros, Mister! Ich kenne die Apachen, ich kenne ihre Legenden, und ich weiß verdammt genau, daß man diese Dinge ernst nehmen muß.« Er stockte, und in seinem Blick erschien erneut hellwaches Mißtrauen. »Mein Name ist Link Harriman. Ich handele, wie gesagt, mit den Mescaleros, und ich habe einen verdammt guten Grund, mich ich dieser Gegend herumzutreiben. Was ich von euch bisher noch nicht behaupten kann.« Wider Willen mußte der Rancher lächeln. »Ich heiße Mark Raintree, das ist Big Track. Wir haben ebenso gute Gründe wie Sie, vielleicht noch bessere. Wir sind auf der Fährte des Schwarzen Reiters.« Link Harrimans Augen wurden noch schmaler. Seine Schultern sanken herab. Hörbar stieß er die Luft aus. »Wollen Sie sagen, Sie reiten ins heilige Tal der Mescaleros?« fragte er rauh. Seltsam, dachte Mark Raintree. Viele Menschen schienen von dem Fluch zu wissen – viel mehr jedenfalls, als er geahnt hatte. Und dennoch hatte niemand bisher den Versuch gemacht, sich dem Verhängnis entgegenzustellen. Laut sagte er: »Yeah, genau das haben wir vor. Sie können mitkommen, wenn Sie wollen – bis zum Dorf, oder was immer Ihr Ziel ist.« Link Harriman furchte die Stirn. Seine Gedanken kreiselten. Er lebte vom Handel mit den Mescaleros. Er konnte die Reservation nicht für alle Zukunft meiden, daran änderten auch ein Dutzend Schwarzer Reiter nichts. Und da er ein entschlossener und ziemlich mutiger Mann war, entschied er, daß es keinen Unterschied machte, ob er der Gefahr heute, morgen oder in zwei Wochen gegenübertrat.
Noch zögerte er allerdings. Sein Blick hing an dem gefesselten rothaarigen Mädchen. »Was ist mir der Lady?« fragte er mit wieder erwachendem Mißtrauen. »Sie ist ein Opfer des Schwarzen Reiters«, sagte Raintree ruhig. »Er hat sie gezwungen, sein Blut zu trinken, und sie wird erlöst sein, wenn wir den Vampir töten.« Harriman schnaufte. »Und Sie trauen sich wirklich zu ...« »Du fragst zu viel, mein Sohn«, schaltete Big Track sich ein. Der weißhaarige Cowboy hatte die Augen zusammengekniffen, und seine Haltung spiegelte ungeduldige, fast fiebrige Spannung. »Laß dir in Roswell erzählen, was mit den beiden Untoten los ist, die dort ihre Gräber verlassen hatten. Oder komm mit – aber entscheide dich endlich!« Link Harriman grinste. Dies war die Sprache, die er verstand. Er nickte schwer. »Okay«, sagte er. »Ich werde mitkommen. Wenn dieser sogenannte Vampir die Indianer aufgewiegelt hat, werden wir es früh genug merken. Und zu dritt haben wir dann vielleicht die besseren Chancen ...« Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er, den Zweispänner zu wenden. Mit dem traumwandlerischen Geschick des altgedienten Treckmanns lenkte er die Tiere. Die Deichsel knarrte, die Räder griffen – und während der Wagen den Bogen vollendete, ritt Charlot de Forest dicht an dem graubärtigen Händler vorbei. Er spürte ihren Blick – spürte ihn wie eine glühende Berührung. Unwillkürlich hob er den Kopf. Charlots grüne Augen begegneten den seinen. Augen, die wie Smaragde glänzten, die tief und unergründlich waren, lockend und voller Versprechungen – und deren kalter, eigentümlicher Glanz Link Harriman bis in die Seele zu dringen schien und sein normales,
vernünftiges Denken auslöschte. Niemand außer Charlot selbst wußte, daß der IndianerPedlar unter einem unheimlichen Bann stand, als sie gemeinsam weiter durch die Dunkelheit der SacramentoMountains zogen ... *** Zwei Stunden vor Mitternacht legten sie eine Rast ein, weil die Pferde Ruhe brauchten. Ein schmaler Einschnitt am Rand des Hauptcanyons nahm sie auf. Wasser plätscherte, dichtes, weiches Gras wucherte bis an die steilen Felswände. Raintree und Big Track saßen ab, hoben Charlot aus dem Sattel und lockerten den Tieren die Bauchgurte, während Link Harriman den Zweispänner so in den Einschnitt dirigierte daß auch seine Pferde grasen konnten. Mark Raintree sah sich aus schmalen Augen um. Schwarz hoben sich die Kanten der Steilhänge im Mondlicht ab, auf dem Grund des Canyons ballte sich die Dunkelheit dicht und undurchdringlich wie schwarze Watte. Alles schien ruhig – aber auch Raintree kannte die Apachen gut genug, um zu wissen, daß diese Ruhe keine Gewähr dafür war, daß sich niemand in der Nähe aufhielt. Er verständigte sich durch einen Blick mit Big Track, wandte sich ab und machte sich daran, ein paar von den aufeinandergetürmten Felsbrocken zu erklimmen. Die Steintrümmer, von unbekannten Gewalten durcheinandergewirbelt, bildeten einen natürlichen Aussichtspunkt am Rande des Canyons. Aufmerksam glitten Raintrees Augen umher, immer wieder verharrte er und lauschte, weil es durchaus möglich war, daß auch irgendein Mescalero diesen günstigen Platz gewählt hatte. Dem Kampf mit dem Schwarzen Reiter sah der Rancher ruhig entgegen.
Aber er wußte – und hatte von Anfang an gewußt –, daß es ein riskantes Unternehmen war, als Weißer das heilige Tal der Mescaleros betreten zu wollen, und daß sie aufpassen mußten, wenn ihre Mission nicht scheitern sollte, ehe sie richtig begonnen hatte. Als der Schuß fiel, glaubte Mark Raintree zuerst an einen Angriff der Indianer. Sein Kopf flog herum. In dem engen Canyon klangen Knall und Echo seltsam verzerrt, ließ sich nicht auf Anhieb feststellen, woher das Geräusch kam. Raintree versteifte sich, seine Hand flog zur Hüfte – und im gleichen Moment hörte er Big Tracks erstickten Schrei. Die Gefahr lauerte unter ihm! Geschmeidig glitt er zur Seite, drehte sich so, daß er in den Canyon sehen konnte – und erstarrte. Charlot de Forest war frei. Ihr rotes Haar wehte, leuchtete im Mondlicht. Geduckt huschte sie durchs Gras und schwang sich mit einem raubtierhaften Sprung auf den Kutschbock des Zweispänners. Link Harriman mußte ihr die Fesseln gelöst haben. Er hatte auch auf Big Track geschossen. Der weißhaarige Cowboy lag verkrümmt am Boden und hielt sich die Schulter – und Harriman schlug gerade das Gewehr an, um seinem Opfer endgültig den Rest zu geben. Raintrees Zähne knirschten aufeinander. Ob der Indianer-Pedlar ebenfalls zu der Höllenbrut gehörte, ob ihn das rothaarige Girl irgendwie in ihren Bann geschlagen hatte – der Rancher wußte es nicht. Aber er sah, daß Harriman den Finger krümmte, daß Big Track fast wehrlos war – und daß nur noch Bruchteile von Sekunden blieben, um das Leben des alten Freundes zu retten. Mark Raintree hatte keine Wahl, konnte keine Rücksicht nehmen.
»Harriman!« brüllte er, und gleichzeitig griff er zum Colt. Der Pedlar wirbelte um die eigene Achse. Blitzschnell riß er das Gewehr herum, schwang den Lauf hoch – und es bestand nicht der geringste Zweifel daran, daß er den Rancher auf dem Felsen wie einen tollen Hund abknallen wollte. Mark Raintree schoß. Grell leckte eine Feuerzunge aus dem Lauf seiner Waffe, und unter ihm schien der Hieb einer unsichtbaren Riesenfaust den Indianer-Pedlar vor die Brust zu treffen. Link Harriman taumelte. Die Winchester entglitt seinen kraftlosen Fingern, er fiel auf die Knie, und sein Todesschrei brach sich zwischen den Wänden des Canyons, während Charlot de Forest mit einem scharfen, hetzenden Ruf die Pferde antrieb. Schwankend und rumpelnd setzte sich der Zweispänner in Bewegung. Die Pferde streckten sich. Klatschend pfiff die Peitsche über ihre Rücken, trieb sie zu mörderischem Tempo an. Charlots wildes, triumphierendes Fauchen trug bis zu Mark Raintree herauf – und er begriff glasklar, daß er innerhalb der nächsten Sekunden handeln mußte. Handeln nicht nur, um ahnungslose Menschen vor diesem Wesen zu retten, das halb Mensch und halb Bestie war, sondern auch um ihrer selbst willen. Sie durfte nicht entkommen. Dunkel wußte er, daß sie den Schwarzen Reiter warnen und alles gefährden würde – und daß dann sie selbst und viele andere durch keine Macht der Welt mehr zu retten waren. Mark Raintree fühlte sich eiskalt, als er den Colt hob. Noch war die Entfernung kurz genug für einen sicheren Revolverschuß. Der Rancher zögerte einen Moment, kämpfte mit sich – und entschloß sich dann, nicht die Pferde, sondern das Mädchen aufs Korn zu nehmen.
Wenn er ihre Schulter traf, würde sie vom Bock gefegt werden und auf dem Boden landen. Wenn er aber eins der Tiere verletzte, war die unvermeidliche Folge eine Katastrophe – und die fast hundertprozentige Gewißheit, daß Charlot de Forest schwer verletzt oder tot unter die Trümmer des Wagens geriet. Raintree zielte, hielt den Atem an – und feuerte. Hell peitschte der Schuß, das Echo brach sich im Canyon. Raintree starrte hinab, sein Kiefer schmerzte vor Anspannung – und wie durch ein Vergrößerungsglas sah er, daß die rechte Schulter des rothaarigen Mädchens nach vorn ruckte. Ihr Schrei gellte auf. Eine Sekunde hielt sie sich schwankend auf dem Bock, dann verlor sie das Gleichgewicht. Zusammengeduckt wie eine Kugel rollte sie durch den Staub, die Pferde brachen seitlich aus, jagten in wilder Panik weiter und schienen wenig später mit dem bleichen Mondlicht zu verschwimmen. Mark Raintree ließ sich bereits an den Felsen hinabgleiten. Big Track war schon wieder auf den Beinen, aber er schwankte leicht. Unsicher folgte er Raintree in den Canyon hinaus. Charlot lag reglos im Mondlicht. Sie war im Sturz mit dem Kopf gegen eine Wurzel geschlagen und ohnmächtig geworden, aber ansonsten bestand ihre einzige Verletzung aus einer tiefen, aber ungefährlichen Fleischwunde am rechten Oberarm. Big Track hatte es schlimmer erwischt, das sah der Rancher sofort. Die Kugel saß hoch in der Schulter und mußte heraus, bevor sich der Schußkanal entzündete. Der alte Cowboy lehnte sich gegen einen Felsen und grinste verzerrt. »Du wirst Doc spielen müssen«, sagte er heiser. »Ich hoffe, du hast es noch nicht verlernt, Boß.« Raintree versorgte zuerst Charlots Wunde und fesselte das Mädchen wieder. Dann fachte er rasch ein kleines Feuer an,
holte die Whiskyflasche aus der Satteltasche – das einzige Desinfektionsmittel – und machte sich daran, die Klinge seines breiten Bowiemessers in den Flammen auszuglühen. Eine halbe Stunde später war es vorbei. Big Track erwachte aus der gnädigen Bewußtlosigkeit, die ihn umfangen hatte. Er stöhnte gepreßt, bewegte die Schulter, spürte den provisorischen Verband und nickte zufrieden. »Und jetzt, Boß?« fragte er rauh. Mark Raintree kauerte am Feuer. Zuckender Flammenschein huschte über seine Gestalt und zeichnete tiefe Schatten in sein Gesicht. Er dachte an den Schwarzen Reiter. Und an das Unheil das diese Bestie über die Menschheit bringen würde, wenn man ihr nicht Einhalt gebot. »Kannst du es eine Weile allein mit dem Girl hier aushalten, old Boy?« fragte er rauh. »Klar doch«, sagte der weißhaarige Cowboy gelassen. »So leicht kippt der alte Big Track schon nicht aus den Stiefeln.« »Und die Mescaleros? Wir haben ihren Pedlar erschossen, das könnten sie uns übelnehmen.« Big Track grinste verzerrt. Seine Lippen waren bleich. »Na und? So ist das Leben, mein Sohn. Einen blutgierigen Vampir kann man nun mal nicht vom bequemen Lehnstuhl aus jagen.« Raintree biß die Zähne zusammen. Alles in ihm sträubte sich dagegen, den Freund hier zurückzulassen. Aber er wußte, daß er keine Wahl hatte. Der Schwarze Reiter wartete nicht. »Gib auf dich acht, Partner«, sagte er leise und rauh. »Gleichfalls, mein Sohn«, klang die Stimme des weißhaarigen Cowboys. Sekunden später schwang sich Mark Raintree in den Sattel des Grauen und zog weiter nach Westen, dem heiligen Tal der Mescaleros entgegen ...
* * *
Es war Mitternacht, als sich die seltsame Gesteinsformation vor ihm auftürmte und den Weg durch den Canyon zu versperren schien. Er kannte die Felsen aus vielen Schilderungen. »Manitous Zorn« hießen sie bei den Apachen. Und so wirkten sie auch: Schwarz gezackt, abweisend, voll düsterer Drohung. Wenn die Berichte stimmten, mußte es einen schmalen Durchgang geben – aber Mark Raintree entdeckte den klaffenden Felsspalt erst, als er bereits auf Armeslänge heran war. Prüfend tastete Raintrees Blick über die in den Stein gemeißelten Zeichen und Symbole. Er verstand sie nicht, wußte sie nicht zu enträtseln. Dunkel begriff er, daß sie eine Art Warnung bedeuteten und daß er in einen verbotenen, gefährlichen Bereich vordrang – doch gleichzeitig war ihm klar, daß er gar keine andere Wahl hatte. Der Graue scheute, wollte zur Seite ausbrechen. Mit eiserner Faust bändigte Raintree den Hengst und lenkte ihn durch den Felsspalt. Für eine endlose Minute war die Dunkelheit erschreckend dicht, sah er nur hoch über sich einen schmalen Streifen bleichen Mondlichts, dann traten die Steinwände auseinander, und vor seinen Augen öffnete sich ein weites Tal. Erneut scheute der Graue – und diesmal brachte Raintree das Tier zum Stehen. Er sah sich um. Ein seltsames Raunen und Rauschen hing in der Luft, wie von wispernden Stimmen. Nebelfetzen, vom Mondlicht versilbert, schwebten in der Luft und umtanzten den hochragenden Steinfinger in der Mitte des Talkessels. Raintree sah genauer hin, erfaßte den dunklen, altarartigen Steinquader – und hatte das Gefühl, als gefriere das Blut in seinen Adern.
Eine Tote lag auf dem Stein. Ein blondhaariges, junges Mädchen mit einer klaffenden Wunde in der Kehle ... Sie lag schlaff da, die Augen zum Sternenhimmel gerichtet, seltsam wehrlos und ausgeliefert wie das Opfer für eine schreckliche Gottheit – und Mark Raintree spürte, wie ihm würgender Zorn in die Kehle stieg. »Bestie!« schrie er. »Du Bestie! Komm her!« Und dumpf kam das Echo zurück, hallte vielstimmig von den hohen Felswänden: »Komm her ... komm her ... her ...« Nichts rührte sich. Niemand antwortete. Mark Raintree biß die Zähne aufeinander, saß ab und nahm den Colt mit den silbernen Kugeln in die Rechte. Langsam schritt er auf den gräßlichen Altar zu. Seine Sinne waren gespannt, und das Herz hämmerte heftig gegen die Rippen. Unablässig glitt sein Blick umher – und immer öfter glaubte er, im silbrigen Dunst die huschende Bewegung von Gestalten zu erkennen. Geister? Dämonen? Er wußte es nicht. Aber er wußte, daß er nicht mehr zurückkonnte, daß er diesen Kampf bis zum Ende ausfechten mußte – und daß er es auch gar nicht anders wollte. Drei Schritte vor dem Opferstein blieb er stehen wie erstarrt. Er hatte den Büffel gesehen. Jenen mächtigen weißen Büffel, der reglos wie eine riesige Statue zwischen den Sträuchern stand, leise schnaubend; wild und von majestätischer Schönheit, und dessen Augen ihm mit einem beinahe menschlichen Blick entgegensahen. Mark Raintree hob den Colt. Es war eine instinktive, nur halb bewußte Bewegung, er tat es, ohne zu denken – und noch ehe sein Hirn einen Entschluß
zum Handeln formen konnte, wurde es um ihn von einer Sekunde zur anderen lebendig. Gestalten schälten sich aus dem Nebel. Halbnackte Gestalten, bronzehäutig und muskulös. Dunkle Augen schimmerten, Federschmuck bewegte sich im Wind, gutturale Stimmen murmelten. Mark Raintree begriff, daß er den Geistern der toten Häuptlinge gegenüberstand, seine Muskeln verkrampften sich – und dann ging alles blitzschnell. Er hatte keine Chance. Lautlose Schatten sprangen ihn an. Fäuste griffen nach ihm und packten ihn von allen Seiten. Blitzschnell wurde ihm der Colt entwunden. Finger tasteten ihn ab, zerrten den Silberdolch und das Bowiemesser aus den Scheiden, zerrissen das dünne Kettchen um seinen Hals, an dem das Kreuz hing. Er bäumte sich auf. Angst schoß in ihm hoch, das verzweifelte Bewußtsein der Wehrlosigkeit. Er erwartete, daß die unheimliche Geisterarmee ihn niederwerfen würde, töten, vernichten – aber statt dessen wurde er jählings losgelassen, und die bronzehäutigen Gestalten wichen in gespenstischer Lautlosigkeit zurück. Mark Raintree hielt sich schwankend auf den Beinen. Vor ihm, drei Schritte entfernt, stand hoch aufgerichtet wie eine Statue ein Häuptling in vollem Kriegsornat. Bis tief in den Rücken reichte der wehende Federschmuck, und aus dem zerfurchten, eingefallenen Gesicht leuchteten die dunklen Augen in überraschender Klarheit. Mark Raintree kannte den Mescalero-Dialekt nicht. Aber als die geisterhafte Erscheinung sprach, verstand er die Worte dennoch. »Wer bist, du Fremdling, der du eindringst in unser heiliges Reich?« fragte die dunkle, volltönende Stimme. »Ist es nicht genug, daß die Machte der Finsternis unsere ewige Ruhe störten? Was willst du?«
Mark Raintree biß die Zähne zusammen. Er starrten den toten Häuptling an. Und irgendeine Kraft in der verborgendsten, unauslotbaren Tiefe seines Innern ließ ihn instinktiv die Wahrheit erkennen und die richtigen Worte wählen. »Ich bin Mark Raintree«, sagte er ruhig. »Ich reite auf der Fährte des Mannes, der gekommen ist, um Unheil über die Menschen zu bringen, über alle Menschen, rote und weiße ...« Die Augen des Häuptlings waren weit und klar. »Du sprichst von Vasco Durango, dem Herrn der sieben Armeen?« Raintree straffte sich. »Ich kenne den Namen nicht«, sagte er ruhig. »Ich weiß, daß er der Schwarze Reiter genannt wird. Aber ich weiß auch, daß er niemals der Herr der sieben Armeen sein und das stolze Volk der Mescaleros versklaven wird. Sieben Tote sollten sich im heiligen Tal versammeln, doch nicht einer wird erscheinen. Zwei Tage sind vergangen, und zwei der künftigen Heerführer habe ich vernichtet. Ich werde auch den Schwarzen Reiter vernichten. Gebt mir den Weg frei!« Für einen Moment blieb es still. Unheimlich still. »Du willst mit ihm kämpfen?« fragte die dunkle Stimme des Häuptlings. »Ich will mit ihm kämpfen«, bestätigte Raintree ruhig. »So sei es! Kämpft Mann gegen Mann, kämpft mit den gleichen Waffen! Noch ist die Macht des Schwarzen Reiters begrenzt, aus dem heiligen Tal der Mescaleros kann er nicht mehr fliehen. – Den Dolch!« Scharf wie ein Peitschenhieb klangen die letzten Worte. Etwas flirrte in der Luft, schlug hart auf den Boden, und Mark Raintree sah den silbernen Dolch vor seinen Füßen liegen. Er bückte sich, hob ihn auf. Die Geisterarmee der Mescaleros wich zurück. Eine Gasse öffnete sich – und am Ende dieser Gasse stand hoch
aufgerichtet Vasco Durango, der Schwarze Reiter ... Mark Raintree atmete tief durch. Er hatte begriffen. Er wußte, daß er kämpfen mußte und daß die Geister der Mescaleros auch Vasco Durango zu diesem Kampf zwangen – einem Kampf um Leben und Tod, einem Kampf mit gleichen Waffen. Ein schmales Messer funkelte zwischen Durangos Finger. Die Klinge drehte sich, warf das Mondlicht zurück, spielerisch bewegte der Vampir sie hin und her, und seine schwarzen Augen glitzerten triumphierend. Mark Raintree schritt langsam durch die Gasse der toten Indianer. In ihm war alles eiskalt. Er wußte daß er siegen mußte. Siegen, um unvorstellbares Unheil zu verhindern! Dicht vor der unheimlichen Gestalt des Schwarzen Reiters blieb er stehen, seine Muskeln spannten sich, und er wartete auf den Angriff. Durango lächelte. Geschmeidig tänzelte er zur Seite. Blitzschnell fintierte er, ließ die blitzende Klinge vor und zurück zucken. Raintree wich aus. Lauernd, abwartend umkreisten sich die Gegner, und ihre Waffen funkelten gespenstisch im Mondlicht. Durangos Lippen zogen sich zurück. Zähne wurden sichtbar. Spitze Vampirzähne ... Mark Raintree dachte an seine Frau, wie in einer Vision sah er die gräßliche Wunde an Alissas Kehle – und tief in ihm schien eine unsichtbare Barriere zu zerbrechen. Zorn erwachte in ihm. Zorn wie ein wildes, vernichtendes, eiskaltes Feuer ... Blitzschnell sprang er vor. Er sah das heranzuckende Messer – aber er wich nicht aus. Triumph verzerrte Durangos Gesicht, als die Klinge in den Arm des Ranchers drang. Heißglühender Schmerz loderte durch Raintrees Körper. Heiß
sprudelte Blut, rote Schleier tanzten vor seinen Augen – und mitten im Chaos von Schmerzen, Fiebernebel und Raserei holte er aus, drehte den Oberkörper weg, um Platz zu gewinnen, und stieß zu – mit allem Zorn und mit aller Kraft, die noch in ihm war. Bis zum Heft drang der silberne Dolch in die Brust des Vampirs. Jäh brüllte Durango auf. Raintree taumelte zurück und riß die silberne Klinge aus der Wunde. Schwarzes Blut quoll hervor. Der Körper des Vampirs wand sich, zuckte. Mit einem tierischen Ächzen brach er auf die Knie, fiel schwer vornüber, und nur noch ein konvulsivisches Beben rann durch seine Glieder. Raintree stand taumelnd da, hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Immer noch steckte das Messer des Untoten in seinem Oberarm. Er zog es heraus, ließ es achtlos fallen. Mühsam versuchte er, den Nebel vor seinen Augen zu durchdringen – und fuhr zusammen, als er die gespenstische Veränderung sah, die mit Vasco Durango vorging. Der Körper des Vampirs schrumpfte zusammen. Die Haut löste sich auf, das Fleisch schien sich von den Knochen zurückzuziehen – binnen Sekunden lag nur noch ein bleiches Gerippe am Boden. Und selbst das Skelett löste sich auf. Bleiches Gebein zerbröckelte, wurde grau, dann schwarz, und zwei Herzschläge später war Vasco Durango, der Schwarze Reiter, zu Staub zerfallen. Wie ein tiefes Aufatmen ging es durch das heilige Tal. Bronzefarbene Gestalten wichen zurück, verneigten sich, wurden eins mit Mondlicht und Nebel. Nur der alte Häuptling mit dem wehenden Federschmuck verharrte noch. Dunkel wie das Raunen des Windes klang seine Stimme, und er hob die Rechte zur Geste der Freundschaft.
»Zieh in Frieden, Fremder«, sagte er ruhig. »Du hast die Seelen der toten Mescaleros den ewigen Jagdgründen zurückgegeben, du hast den Bannfluch der Finsternis zerbrochen und den Dämon besiegt, der uns ewige Verdammnis gebracht hätte. Nimm den Dank des Volkes der Mescaleros mit auf deinen Weg! Wandle im Schutz des Großen Geistes ...« Sein Kopf neigte sich in einer Geste der Ehrfurcht. Lautlos trat er einen Schritt zurück – und mit dem nächsten Herzschlag war auch der letzte der toten Häuptlinge im flirrenden Zwielicht verschwunden ... *** Eine knappe Stunde später erreichte Mark Raintree das Camp in dem kleinen Seitencanyon. Big Track kauerte mit angeschlagenem Gewehr auf einem Stein – die Verletzung konnte ihm offenbar nicht viel anhaben. Charlot de Forest lag immer noch gefesselt am Boden. Aber ihr Gesicht wirkte jetzt blaß, erschöpft, erbarmungswürdig jung, ihre grünen Augen blickten wieder menschlich – und das teuflische Mal an ihrer Stirn war verschwunden ... Mark Raintree nahm ihr die Stricke ab. Sie schluckte, sah ihm voller Furcht und Verwirrung in die Augen. »Wo bin ich?« flüsterte sie. »Ich kenne Sie nicht! Was wollen Sie von mir? Warum war ich gefesselt? Was ist geschehen?« Mark lächelte ihr zu. »Später«, sagte er sanft. »Später werden Sie alles erfahren. Lassen Sie es vorerst damit genug sein, daß alles überstanden ist.« Ihre Augen flackerten.
Sie wollte in ihn dringen, weiterfragen – doch ihre Kraft reichte nicht mehr dazu. Mit einer erschöpften Bewegung ließ sie den Kopf an seine Brust sinken, und ihre Schultern bebten unter einem tiefen, befreienden Schluchzen ... –ENDE–