Henry Ghost
Der Würger aus dem Nirwana Occu Band Nr. 06
Version 1.0 November 2010
Das Parapsychologic Department de...
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Henry Ghost
Der Würger aus dem Nirwana Occu Band Nr. 06
Version 1.0 November 2010
Das Parapsychologic Department der Interpol Das Parapsychologic Department der Interpol Das »Parapsychologic Department« ist eine von der Interpol gegründete Spezialabteilung zur Klärung und Erforschung von Kriminalfällen, die in das Gebiet der Parapsychologie reichen. Rätselhafte und sensitive Menschen, überirdische Zeichen, okkulte Phänomene und transzendentale Erscheinungen zählen zur Alltagsarbeit dieses speziell ausgebildeten Parapsychologen. Hauptsitz des »Parapsychologic Department« ist Paris.
Joe Baxter 37 Jahre alt, schlank, hochgewachsen, muskulös, blondes gewelltes Haar, stahlblaue Augen. Ein Mann mit Intelligenz, Kraft, Ausdauer und enormer okkulter Begabung. Er ist Hauptkommissar des »Parapsychologic Department« und Hauptfigur der OCCU-Serie. Er kann in Sekunden als Medium fungieren und arbeitet bei Seancen mit dem modernen Psycho-Disc, einem Gerät, mit dem er Stimmen aus dem Jenseits auf Tonband aufnehmen kann. Er trägt niemals eine Waffe bei sich und besiegt seine Gegner nur mit medialen Kräften. Olga Dussowa 26 Jahre alt, schlank, vollbusig, langes schwarzes Haar, Russin, direkte Nachkomme der Familie des russischen Magiers Rasputin, sehr okkult begabt, kann böse Geister bannen und als Medium weit ins Jenseits vorstoßen. Sie ist Mitarbeiterin von Hauptkommissar Baxter und begleitet ihn auf allen Reisen.
Viola Oggi 29 Jahre alt, superblond, gertenschlank, ehemaliges Mannequin aus Rom, das durch eine Vision ihre mediale Begabung erkannte, versteht sich auf Kontaktnahme zum Hexen-Reich und auf geheimnisvolle römische Zaubersprüche gegen Lebensgefahr und Krankheiten. Spezial-Agentin und Mitarbeiterin von Hauptkommissar Joe Baxter. Dr. Leon Duvaleux Leitender Direktor des »Parapsychologic Department« der Interpol, 48 Jahre, graumeliert, Sohn einer Pariser Wahrsagerin, entstanden aus deren transzendentalen Verbindung mit dem Propheten Nostradamus. Beherrscht die Kunst der telepathischen Nachrichtenübermittlung mit seinem Hauptkommissar. Madame Therese Duvaleux Pariser Wahrsagerin und Kartenlegerin, weißhaarig, 72 Jahre alt, Mutter des Direktors des »Parapsychologic Department«, springt oft ein und steht dem Team mit ihren magischen Ratschlägen zur Seite.
Der Würger aus dem Nirwana Wolkenfetzen jagten über den Himmel. Das Donnergrollen am Firmament verdoppelte sich von Minute zu Minute. Die ersten Regentropfen klopften auf die staubigen Straßen des Abruzzen-Dorfes San Anario nördlich von Popoli. Drohend ragte der hohe Glockenturm der romanischen Kirche der Ansiedlung empor. Beeindruckt und erschreckt näherten sich Schritt um Schritt zweiunddreißig Urlauber aus England, die von ihrem Reisebüro hierhergebracht worden waren. »Avanti, avanti!« brüllte der schwarzlockige Reiseleiter und deutete den Frauen und Männern an, schneller zu gehen. »Gleich wird ein Unwetter niedergehen. Wir müssen vorher die Kirche erreichen.« Ein hagerer Brite fluchte: »Verdammt! Warum kann man zu dieser Kirche nicht mit dem Bus hierher fahren …?« Der Reiseleiter gab darauf keine Antwort, trieb aber die Leute weiter an. Endlich passierten sie der Reihe nach das niedere Kirchentor und ließen sich erschöpft auf den Betstühlen nieder. Im selben Augenblick setzte ein schwerer Hagel ein. »Es wird gleich vorüber sein!« besänftigte der Italiener die Touristen. Die Blitze draußen warfen im Innern der Kirche unheimliche Schatten. Der Reiseleiter nützte die Zeit, um die Kirche zu erklären. Es gelang ihm nur schwer, das Unwetter draußen zu übertönen. Nur jene Urlauber, die unmittelbar neben ihm saßen, konnten ihn deutlich hören. »San Anario«, begann er lauthals, »ist besonders bemerkenswert, weil sie rein romanisch ist und bedeutende Fresken besitzt.«
Der Reiseleiter setzte kurz ab. Dann fuhr er weiter fort: »Das Gotteshaus ist außerdem zu einigem Ruf gelangt, weil hier angeblich seit dem Jahr 1947 ein Gespenst umgehen soll: der Schwarze Mönch von San Anario.« Alle lauschten gespannt. George Preston, Kaufmann aus London, räusperte sich und fragte: »Ich habe von diesem Schwarzen Mönch gelesen. Was hat es damit für eine Bewandtnis?« »Im Jahre 1947 starb der Pfarrer der hiesigen Gemeinde unter unerfreulichen Umständen …« »Was waren das für Umstände?«, wollte George Preston weiter wissen. Der Reiseleiter war sichtlich verlegen und begann herumzustottern: »Ja, also, so genau weiß ich es auch nicht. Dem Pfarrer wurden kriminelle Handlungen zur Last gelegt. Ein Teil der Bevölkerung hielt den Gottesmann für unschuldig. Die anderen waren von seiner Schuld überzeugt. Und als weder Gericht noch Kirche etwas gegen ihn unternahmen, da griffen einige Bauern zur Selbstjustiz. Sie zündeten den Pfarrhof in und der geistliche Herr verbrannte dabei. Viele Bewohner von San Anario sind überzeugt, daß der Schwarze Mönch niemand anderer ist als der unschuldig ermordete Pfarrer, der an seinen Mitmenschen Rache übt …!« Eine alte Dame meinte: »Wieso Rache? Ist im Zusammenhang mit dem Schwarzen Mönch schon etwas geschehen …?« »Das weiß ich nicht. Ich habe nur gehört, daß das schmiedeeiserne Tor der Pfarrersgruft manchmal, wie von unsichtbarer Hand bedient, aufgeht und daß eine schwarze Gestalt in einer Kutte durch das Kirchenschiff wandelt. Ob schon etwas passiert ist, weiß ich nicht.« Bei den letzten Worten war der Reiseleiter von sichtlicher Unruhe befallen worden. Erleichtert blickte er hinaus und
meinte. »Das Unwetter ist vorbei. Wenn Sie die Kirche gesehen haben, werden wir ins Dorf zurückgehen. Ich hätte Ihnen gern die interessanten Gräber rund um die Kirche gezeigt. Auch die Gruft des Pfarrers, in der es spuken soll, hätte ich Ihnen gern vorgeführt. Aber die Erde draußen ist weich, wir würden versinken und uns beschmutzen.« Niemand hatte einen Einwand. Nur George Preston lehnte an einem Kirchenfenster und lugte hinaus. »Ist das dort zwischen den Weidenbäumen die Gruft des Schwarzen Mönchs?« Der Reiseleiter nickte flüchtig. Dann ging er ins Freie hinaus und alle folgten ihm. Sie freuten sich auf das Essen im Dorfgasthaus und der Hunger beflügelte ihre Schritte. Sie waren froh, aus der unheimlichen Kirche heraus zu sein, obwohl sie fast alle überzeugt waren, daß es sich bei der Geschichte über diesen Spuk um einen Schwindel handelte. Knarrend fiel hinter dem Reiseleiter das schwere Holztor der Kirche ins Schloß. Er schloß ab und atmete auf. Er merkte aber nicht, daß seine Gruppe nicht komplett war. George Preston stand in einer Nische hinter dem Altar und hielt den Atem an. Er war seit seiner Jugend verrückt nach Geistergeschichten. Der Bericht über den Schwarzen Mönch von San Anario faszinierte ihn. Er wollte mehr darüber erfahren. Er wußte, daß er Einiges erkunden konnte. Ein einziger Blick hatte es ihm verraten, als er durch das Fenster die Gräber ausmachte. Hier ruhten alle geistlichen Herren. Das Gitter zur Gruft stand sperrangelweit offen. Preston eilte zum Kirchentor. Er versuchte zu öffnen und fluchte. Der Reiseleiter hatte abgesperrt. Hastig steuerte er einem Fenster nach dem anderen zu. Sie ließen sich auch mit Gewalt nicht öffnen. Preston versuchte es in der Sakristei. Hier entdeckte er endlich eine Möglichkeit, ins Freie zu gelangen. Er
drückte eine unversperrte Hintertüre auf und trat ins Freie. Rasch fand er sich zurecht und beeilte sich, zur Gruft zu gelangen. Er zog das Gitter noch weiter auf und trat an den Grabstein, um die Namen der Pfarrer zu lesen. Sofort fand er, was er suchte: Der Geistliche, der 1947 gestorben war, hieß Vittorio Linno. Das war also der Schwarze Mönch von San Anario. George Preston erhob sich wieder und stieß dabei gegen den Grabstein. Er starrte zu Boden. Der Stein lag nicht exakt auf der Graböffnung. Kein Zweifel: Jemand mußte den Grabdeckel geöffnet haben. Der Kaufmann zog den Marmorstein mit aller Kraft zur Seite. Vorsichtig stieg er die Eisentreppe in das dunkle Grab hinab, in das nur das spärliche Licht von oben drang. Preston entzündete nacheinander einige Streichhölzer. Dabei ging er den schmalen Gang entlang und las die Namen der verstorbenen Pfarrer, die hier links und rechts in die Grabplatten vor den Maueröffnungen eingraviert waren. Nirgends fand er einen Grabdeckel mit dem Namen Vittorio Linno. Er verstand das nicht. Er war plötzlich mit den Füßen gegen die Bruchstücke einer Grabplatte gestoßen. Er drehte die einzelnen Teile um und konnte sie zu dem Namen Vittorio Linno zusammenfügen. George Preston blickte hoch. Direkt über der Stelle, an der die zerbrochene Platte angebracht war, klaffte in der Mauer ein Schacht mit einem schwarzen Sarg. Kein Zweifel: Das war die Grabstätte von Pfarrer Linno. Neugierig beleuchtete er den Sarg. Er fuhr zitternd zurück. Der Sargdeckel war abgehoben und bedeckte nur einen Teil des Sarges. Aufgeregt entzündete er sein letztes Streichholz und für den Bruchteil einer Sekunde konnte Preston in das Innere des Sarges blicken.
Nichts! Vor ihm stand ein Sarg ohne einen Toten. George Preston bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Ein Windstoß blies sein Zündholz aus. Woher war diese Luftbewegung gekommen? Er befand sich schließlich nicht im Freien, sondern unter der Erde. Mit raschen Schritten tastete er sich bis zum Ausstiegsloch. Er kletterte die eiserne Treppe hoch und atmete tief und erleichtert auf, als er wieder festen Boden unter sich fühlte. Er schob mit beiden Händen den Gruftstein vor, ließ dabei aber keinen Spalt offen. Dann ging er neuerlich auf die Kirche zu. Sofort fiel ihm auf: Der Weg war mit Kies belegt, überall fester Boden. Warum hatte der Reiseleiter gelogen? Keine Spur von lehmiger Erde, in der man versinken könnte. Gab es diesen unheimlichen Mönch vielleicht wirklich? Er verließ zu ganz bestimmten Zeiten seinen Sarg, seine Gruft und geisterte umher. Preston spürte ein Gruseln den Rücken hinab laufen und murmelte: »Ich muß den Schwarzen Mönch sehen. Sein Sarg ist leer. Vielleicht befindet er sich in der Kirche …!« Er begab sich zum Hintereingang der Sakristei und schlich leise und nervös ins Kirchenschiff zurück. Es war totenstill. Er hörte nur seine eigenen Atemzüge. George Preston wußte genau: Wenn er den Schwarzen Mönch sehen wollte, dann mußte er viel Geduld haben. Er ließ sich auf einer Gebetbank nieder. Er fuhr plötzlich hoch und starrte entgeistert nach vorn. Auf beiden Seiten das Altars brannten zwei weiße Kerzen. Preston wußte, daß die Kerzen vorhin nicht gebrannt hatten. Die Stille ringsum wirkte bedrückend und unheimlich. Da! Der Engländer hob lauschend den Kopf. Vom Haupttor hinter sich hörte er leise schlurfende Schritte. Sie kamen allmählich näher. Preston wagte es nicht, sich umzudrehen.
Jetzt kam die Gestalt in sein Blickfeld: Es war ein schlanker Mann, in eine schwarze Mönchskutte gehüllt. Die Kapuze verdeckte sein Gesicht völlig. Er ging langsam und aufrecht nach vorn und wandte sich dann dem Altar zu. Einen Augenblick lang dachte Preston, daß dies sicher keine Geistererscheinung wäre. Bald aber wurde er eines besseren belehrt. Von der Empore erklang plötzlich leiser Gesang. Eine Glocke begann in seinen Ohren zu dröhnen. Die Gestalt stand unmittelbar vor ihm. Noch immer vermochte Preston das Gesicht seines Gegenübers nicht zu erkennen. Er sah nur, wie der Mönch drohend seine Hände hob. Langsam bewegten sich die schwarzen Hände direkt auf den Hals des Engländers zu. George Preston schrie und spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat: »Was wollen Sie von mir?« Die Gestalt reagierte nicht. Die beiden Hände berührten den Hals des Kaufmannes. Preston starrte auf die schwarzen Finger, packte zu und ließ nicht locker. Die Mönchsgestalt trat zurück: Der Brite hatte nur zwei schwarze Handschuhe in den Händen. Die gespensterhafte Erscheinung gab jedoch nicht auf. Sie drängte sich wieder an ihn heran. Preston keuchte vor Erregung. Er sah Skeletthände, die ihn würgen wollten. In seiner Todesangst warf er sich zu Boden. Er versuchte das Gesicht der Erscheinung zu sehen. Die Gestalt beugte sich über ihn. Preston verkrallte seine Finger in der Kapuze und riß diese zurück. Ein gellender Schrei entrang sich seiner Brust. Kein Kopf, kein Skelettschädel. Der Schwarze Mönch von San Anario hatte zwar Hände, aber keinen Kopf. Grausiges Gelächter verhöhnte ihn vom Altar her. Gleichzeitig umklammerten die Finger des Gespenstes seinen Hals vollends. Er wehrte sich mit aller Macht. Jedoch kein Ton
kam von seinen Lippen. Zwischen Gebetstühlen spielte sich der Kampf zwischen dem Kaufmann und dem Schwarzen Mönch ab. Preston spürte, wie ihn die Kräfte allmählich verließen. Er stieß nur noch mit den Füßen um sich. Doch er richtete damit nichts mehr aus. Die Gestalt in der Kutte bezwang ihn und drängte ihn gegen eine Säule. Preston spürte den eisernen Griff der Totenhände, die nicht mehr locker ließen. George Preston wußte, daß er unter den Händen des Schwarzen Mönchs sterben mußte … * Nach dem Gewitter strahlte wieder die Sonne über San Anario. Die Reisegruppe saß im Gasthaus des alten Carlo Quattesti und verschlang hungrig ihre Pizzas. Rot vor Zorn kam der Wirt angelaufen und gestikulierte mit beiden Händen wild in der Luft. Er schnaubte den Reiseleiter an: »Mamma mia! Zuerst sagen Sie mir, zweiunddreißig Urlauber kommen. Und dann sind es nur einunddreißig. Ich habe jetzt zweiunddreißig Pizzas hergerichtet. Die letzte ist gerade fertig geworden. Was soll ich damit machen?« Der Reiseleiter beschwichtigte den Wirt: »Quattesti, sei doch nicht albern. Ich hab dich noch nie angeschwindelt. Es sind zweiunddreißig Engländer. Wahrscheinlich hast du einem keine Pizza gegeben. Der ist vielleicht schon verhungert und liegt unter einem Tisch;« »Ich bin doch nicht blöd!«, sagte der Gastwirt. »Ich kann doch Menschen zählen …!« Eine alte Lady beugte sich zu den beiden vor und sagte leise: »Der Herr Wirt hat recht. Wir sind nur einunddreißig. Mr. Preston fehlt. Er sitzt sonst immer beim Essen mit mir zusammen.«
»Ja, wo kann er sich denn nur aufhalten?« erkundigte sich der Reiseleiter. Die englische Lady zuckte mit den Schultern. Der Friseur Eddy Sullivan hörte zu essen auf und sprudelte hervor: »Ich hab's! Er ist vielleicht versehentlich in der Kirche eingesperrt worden. Der sitzt jetzt dort und hat einen Bärenhunger. Wir sehen nach, ob er in der Kirche ist.« An den Reiseleiter gewandt, fragte er: »Kommen Sie mit uns?« Der Italiener schüttelte den Kopf: »Nein, aber wenn Sie unbedingt glauben, daß Mr. Preston eingesperrt wurde, dann lege ich Ihrem Vorhaben nichts in den Weg. Ich gebe Ihnen die Schlüssel zur Kirche.« Er reichte Mr. Sullivan die Schlüssel und als Sullivan das Gasthaus verließ, eilte ihm der Trafikbesitzer Sam Tracy nach: »Ich komme mit. Ein wenig Bewegung nach dem Essen tut mir gut!« Gemeinsam kletterten sie den steilen Weg zur Kirche empor. »Dumme Geschichte«, brummte Sullivan. »Ein Reiseleiter muß doch aufpassen, daß er keinen Touristen verliert. Ich bin überzeugt, daß Mr. Preston eingeschlossen worden ist.« Die beiden sprachen nicht viel miteinander. Einmal murmelte Tracy: »Fauler Kerl, dieser Reiseleiter, er hätte auch mitkommen können!« Sullivan konterte: »Vielleicht fürchtet er sich vor diesem Schwarzen Mönch!« Tracy schluckte: »Mr. Preston wird doch in der Kirche nichts zugestoßen sein?« Sie hatten die Kirche erreicht. »Unsinn«, lachte Eddy Sullivan. »Ist doch alles Quatsch. Das erfinden die Leute doch nur, um den Fremdenverkehr anzuheizen.« Er zog den Schlüssel hervor und sperrte auf. Mit vereinter
Kraft drückten die beiden Männer das Tor auf. Sie traten nacheinander ein, schauten nach links und dann nach rechts. »Mr. Preston!«, rief Sullivan laut in das Kirchenschiff. Dann ging er nach vorn. Wenige Meter vom Altar entfernt schrie er gellend auf und verdeckte sein Gesicht. Sam Tracy blieb sofort wie angewurzelt stehen und wurde blaß. Er starrte auf Eddy Sullivan und dann fiel sein Blick auf die Treppe, die zum Altar führte. Den beiden Männern bot sich ein schauerlicher Anblick: George Preston lag am Fuß des Altars. Seine Augen starrten mit entsetztem Ausdruck gen Himmel. Sullivan beugte sich hinab. Es bestand kein Zweifel: George Preston war nicht mehr zu helfen. An seinem Hals waren deutlich Würgemale zu erkennen und der Kehlkopf war eingedrückt. »Mann, was ist denn das?«, fragte Sullivan und deutet auf die Brust des Toten. Das Hemd war aufgerissen. Unter dem Brustbein klaffte quer über die Haut ein tiefer Messerschnitt … Sam Tracy wankte zu einer Kirchenbank und ließ sich erschöpft niedersinken. Er zitterte am ganzen Körper: »Ich hab's ja gleich gesagt, daß es diesen Schwarzen Mönch wirklich gibt.« »Ich kann so etwas nicht glauben«, murmelte Eddy Sullivan. »Ich denke eher, er ist einem Verbrecher in die Hände gefallen. Möglicherweise geht ein Irrer um, und alle glauben, daß es sich um ein Gespenst handelt. Wir werden der Sache auf den Grund gehen …!« Er schritt zur Tür, die in die Sakristei führte, und öffnete. Sam Tracy stand auf, ging auf ihn zu: »Wir sollten so rasch wie möglich die Kirche verlassen und den Toten der Polizei melden. Das ist doch deren Sache; sich auf die Suche nach dem Mörder zu machen!« Eddy Sullivan schüttelte den Kopf. »Wir müssen das anders
sehen: In einem verlassenen italienischen Bergdorf wird einer von uns heimtückisch ermordet: Da müssen wir herauskriegen, was wirklich passiert ist, denn die italienische Polizei ist doch völlig unfähig. Die werden das nie herausbekommen!« Er sah sich in der Sakristei um und entdeckte den Hinterausgang. Sofort eilte er hin und probierte, die Klinke niederzudrücken. Er pfiff durch die Zähne: »Sieh mal an, da ist ja offen. Da kann also jederzeit der Täter ein und aus spaziert sein. Ich sag's ja: Wir müssen der Sache auf den Grund gehen.« Sullivan passierte den Hinterausgang und Tracy folgte ängstlich. Plötzlich hielt er inne und deutete zurück: »Ich hab ganz deutlich Schritte in der Kirche gehört. Vielleicht ist der Verbrecher noch da. Vielleicht hat er es jetzt auch auf uns abgesehen.« Einen Augenblick lang überlegte Sullivan, ob sie nicht in die Kirche laufen und nachsehen sollten. Das fand er schließlich dann doch nicht ratsam. Er sah sich auf dem Friedhof um und bemerkte: »Eigenartig, der Reiseleiter wollte uns nicht zur Grotte führen, weil die Erde so aufgeweicht wäre. Das ist die härteste Bodenbeschaffenheit, die ich kenne.« »Donnerwetter«, murmelte Sam Tracy und wischte sich den Schweiß von der Stirn: »Dort drüben die Eisentüre zur Gruft: Sie ist offen! Eine Gruft kann doch nicht so einfach offenstehen!« Mit raschen Schritten kamen sie näher, passierten zögernd das eiserne Tor und prallten zurück: Die Marmorplatte vor der Öffnung war beiseitegeschoben, und man konnte in die Tiefe blicken. Eddy Sullivan schüttelte den Kopf: »Seltsam: Eine Gruft steht offen da, und der Stein ist weggeschoben. Langsam, lieber Tracy, gebe ich Ihnen recht: Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Doch die Existenz des Schwarzen Mönchs bezweifle ich
immer noch.« Er versuchte, in das Dunkel der Gruft zu schauen. Da er nicht genügend sah, stieg er ein Stück die Metalltreppe hinab. Sam Tracy folgte ihm. In diesem Augenblick bemerkten die beiden über sich einen Schatten. Sie blickten vom Gang der Gruft zum Eingang empor und erstarrten: Hochaufgerichtet stand da die schwarzgekleidete Mönchsfigur. Eine Stimme lachte. »Ihr werdet die Existenz des Schwarzen Mönchs nicht mehr bezweifeln können. Hier bin ich.« Sullivan stieß einen Ruf des Entsetzens aus: »Himmel, der hat ja kein Gesicht, nur eine leere Kapuze!« Langsam stieg der Mönch die Treppe herab. Jäh drehte er sich um und zog den Marmorstein der Gruft mit einer raschen Handbewegung zu. Rundum wurde es stockfinster. Nur die Gestalt leuchtete phosphoreszierend im Raum. Sam Tracy drückte sich ganz an die Wand: »Um alles in der Welt! Was wollen Sie von uns? Wir haben Ihnen doch nichts getan. Wir wollten doch nur unseren Reisegefährten suchen, der plötzlich verschwunden war.« »Mischt euch nicht in Angelegenheiten, die euch nichts angehen. Ihr habt nichts in der Gruft zu suchen.« »Sie war doch offen.« »Ist das ein Grund, in die Tiefe zu steigen?« Sie antworteten nicht. Sie sahen nur mit Grauen, wie die Gestalt in der Dunkelheit näher und immer näher kam. Die Knochenhände leuchteten auf. Sie fuhren an Eddy Sullivans Kehle. Er röchelte und wollte sich wehren. Zu spät. Schlaff sank sein Körper zu Boden. Sam Tracy verlor die Nerven. Er brüllte los: »Was hat es für einen Sinn, Menschen grundlos zu erwürgen?« Ein höhnisches Lachen: »Ich brauche eure Seelen, aber davon versteht ihr nichts …!«
Tracy hob abwehrend die Hände, als er die leuchtende Figur des Mönchs vor sich sah. Sekunden später umklammerten die Knochenfinger auch seinen Hals und drückten ihn grausam zusammen. Tracy ließ die Hände sinken. Ein letzter Atemstoß entrang sich seiner Brust. Er brach tot zusammen. * Die Fäuste des Bürgermeisters schlugen gegen die Haustür des Carabinieri-Chefs Roberto Stagnetti. Bürgermeister Ottavio Falanga mußte lange warten, ehe er Schritte im Inneren des Hauses vernahm. Endlich schwang die Tür auf. »Donnerwetter, der Bürgermeister höchstpersönlich! Was verschafft mir die Ehre?« fragte der dicke Polizeichef des Ortes. Ottavio Falanga meinte unangenehm berührt: »Es wird dir gleich keine Ehre mehr sein, wenn du weißt, warum ich da bin!« Roberto Stagnetti zeigte ein saures Gesicht und deutete mit der Hand eine einladende Geste an. Dann begleitete er den Bürgermeister von San Anario in sein Arbeitszimmer. Ächzend ließ er sich in seinen Schreibtischsessel fallen: »Was ist denn geschehen, Bürgermeister?« Ottavio Falanga hieb mit solcher Wucht auf den Tisch, daß die Aktendeckel zu tanzen begannen: »Hör zu, Roberto! Da ist seit einigen Stunden eine englische Reisegesellschaft bei uns im Dorf. Peppino Travi hat sie gebracht, wie immer. Sie haben sich unsere Kirche angesehen und waren tief beeindruckt. Dann sind sie essen gegangen. Dabei haben sie entdeckt, daß einer aus ihrer Runde fehlt. Zwei Engländer sind aufgebrochen, um ihn zu suchen. Jetzt sind die auch weg …!« »Na und«, maulte der Polizeichef, »die haben sich sicher verlaufen und werden schon wiederkommen.«
Der Bürgermeister schüttelte den Kopf: »Ich sage, den Leuten ist etwas passiert wie in den letzten Jahren den insgesamt fünfundzwanzig Touristen. Ein Glück, daß wir die Angelegenheit jedesmal vertuschen und als Unfälle tarnen konnten. Aber das wird uns nicht immer gelingen. Die Angehörigen der Verschwundenen werden sich nicht mehr so einfach abspeisen lassen. Sie werden Klarheit wollen. Eines Tages werden alle davon reden, daß wir ein Monstrum in unserer Mitte haben, das die Fremden tötet. Und dann ist es mit unserem Fremdenverkehr vorbei. Roberto, du bist Polizeichef des Dorfes. Seit dem Jahr 1947 werden in unserem Dorf – und zwar in der Kirche und auf dem Friedhof – Menschen erwürgt. Du mußt etwas tun. Der Schwarze Mönch darf nicht mehr weitermorden …!« Roberto Stagnetti lachte auf: »Bürgermeister, so nimm doch Vernunft an. Wir beide haben seit meinem Amtsantritt niemals über dieses Thema gesprochen. Aber eines dürfte doch klar sein: Es ist Unsinn, vom Schwarzen Mönch zu reden. Den gibt es doch nicht.« »Und die Toten, die wir morgens in der Kirche oder zwischen Gräbern fanden? Was ist mit denen? Habe ich die erfunden?« »Es behauptet ja keiner, daß niemand umgebracht wurde. Aber das war sicher nicht der unheimliche Schwarze Mönch. Wir sind doch keine Kinder, um an solche Märchen zu glauben. Da hat sich einer aus unserer Mitte ein übles Spiel ausgedacht, ich nehme an, er ist verrückt. Aber er weiß sich geschickt zu verbergen. Ich jedenfalls glaube nicht, daß es eine Gespenstererscheinung gibt, die Frauen und Männer erwürgt. Ich bin über dieses Alter hinaus …!« Der Bürgermeister beugte sich vor: »Und was hat es dann zu bedeuten, daß alle Toten unter dem Brustbein einen Schnitt aufwiesen …?«
»Na, ein Beweis für eine Gespenstererscheinung ist das wohl noch nicht. Ich sagte ja, vermutlich ein Irrer. Oder er täuscht einen Irren vor und raubt die Touristen aus.« »Die hatten doch noch immer genug Geld bei sich!« »Das schon, aber wir wissen nicht, ob die Leute nicht wertvollen Schmuck oder noch mehr Geld bei sich trugen.« Stiefelschritte polterten auf der Holzdiele und näherten sich dem Arbeitszimmer des Polizeichefs. Er hatte die Haustür nicht versperrt. Die Tür schwang auf. Zwei diensthabende Carabinieri salutierten und traten ein. Einer der beiden meldete mit aufgeregter Stimme: »Chef, es ist etwas Schreckliches passiert!« Der Bürgermeister und Roberto Stagnetti sprangen auf und schauten die Männer erwartungsvoll an. Der Carabinieri berichtete: »Wir haben überall nach den verschwundenen Touristen gesucht. Natürlich auch in der Kirche. Wir mußten das Tor aufbrechen. Auf der Innenseite des Schlosses steckte der Schlüssel.« Der Bürgermeister wurde blaß: »Und was war in der Kirche?« »Vor dem Altar lag der Engländer namens Georg Preston. Erwürgt. Auf seiner Brust unter dem Brustbein klaffte eine Schnittwunde.« Hastig erkundigte sich der Bürgermeister: »Und was ist mit den anderen beiden Touristen?« »Wir haben sie auch gefunden!« »Wo?« »In der Gruft der verstorbenen Pfarrer!« »Wo? In der Gruft? Das ist doch nicht möglich!« Der Carabiniere nickte und schilderte die Aktion: »Nachdem wir den Toten in der Kirche gefunden hatten, suchten wir die Sakristei und den Friedhof ab. Wir fanden keine verdächtigen Spuren. Um aber den Fluchtweg des Täters ergründen zu
können, holten wir unsere beiden Fährtenhunde. Wir setzten sie an der Leiche des Engländers an. Da passierte etwas Seltsames. Die Tiere nahmen Spur auf und führten uns direkt zur Gruft. Da standen wir nun ratlos. Als die Vierbeiner von ihrem Gebell nicht abließen, entschlossen wir uns, auf alle Fälle die Gruft zu öffnen.« »Und was war dann?« »Wir erschraken, als wir in die Gruft hineinleuchteten. Da fanden wir nämlich die beiden anderen Engländer. Ebenfalls tot, erwürgt. Und wieder mit dem Schnitt unter dem Brustbein.« Der Polizeichef donnerte los: »Wie ist das möglich? Wie gelangen zwei Ermordete in eine verschlossene Gruft?« Bürgermeister Ottavio Falanga flüsterte erschüttert: »Das ist doch keine Frage. Das war der Schwarze Mönch. Er hat wieder zugeschlagen. Und wenn er weitermordet, vernichtet er uns alle. Er wollte beweisen, daß hier kein Mensch, sondern ein übernatürliches Wesen am Werk war.« Polizeichef Roberto Stagnetti erhob sich, ging ans Fenster und starrte schweigend hinaus. Abrupt drehte er sich um und seufzte: »Ich glaube noch immer nicht daran, Bürgermeister. Aber wenn es wahr ist, dann bin ich am Ende meiner Weisheit.« Ottavio Falanga sah ihn bittend an: »Glaube mir es kann nur der Schwarze Mönch gewesen sein. Wir sind den höheren Mächten ausgeliefert.« »Was sollen wir unternehmen?« »Wir haben nurmehr einen einzigen Ausweg: Fachleute zu Rate zu ziehen, die etwas von der Materie verstehen. Ich telegraphiere heute noch nach Rom und setze mich mit Interpol in Verbindung.« *
Die dampfende Muschelsuppe roch verführerisch. Viola Oggi leckte sich genüßlich die Lippen, rieb sich die Hände und lachte: »Endlich wieder einmal daheim bei einem vertrauten, köstlichen Essen!« Sie langte kräftig zu und fragte erstaunt: »Olga, du ißt nichts?« Olga Dussowa schüttelte den Kopf: »Ich muß auf meine Linie achten, mein Täubchen. Ich habe in letzter Zeit ein wenig zugenommen. Das muß wieder runter.« »Und du, Joe? Warum bestellst du dir keine Muschelsuppe?« Joe Baxter rümpfte die Nase: »Ich muß immer daran denken, in welchen schmutzigen Gewässern diese Muscheln leben. Da verliere ich rasch die Freude an dieser Mahlzeit. Außerdem haben wir keine Zeit. Wir sind durch den Nebel um zehn Stunden zu spät in Rom gelandet.« Viola Oggi schmunzelte: »Da wird Mamma Rosa, die Wirtin des gemütlichen Restaurants, keine Freude haben, wenn die Leute, die ich mitbringe, nichts konsumieren.« Joe Baxter hob die rechte Hand wie zum Schwur: »Olga, du hast mein Versprechen, daß wir das Gelingen unseres nächsten Falles hier ausgiebig feiern. Und zwar auf meine Rechnung.« Olga Dussowa fragte spitzbübisch: »Weißt du denn schon so genau, daß wir den nächsten Fall nicht schaffen, weil du so großzügige Versprechen abgibst?« Die dicke Mamma Rosa kam an den Tisch und goß Joe Baxter unter einem Wortschwall Wein nach. Viola bemerkte boshaft: »Unser lieber Joe will trinken. Da wird sich ganz bestimmt gleich der Chef aus Paris bei ihm melden. Der will ihn scheinbar von der Alkoholsucht retten.« Baxter lachte sauer und griff zum Glas. Er machte einen Schluck und wartete. Tatsächlich: Da kamen sie schon, die telepathischen Signale,
die sensitiven Gedanken von Direktor Dr. Leon Duvaleux, dem Leiter des Parapsychologic Department der Interpol in Paris. Baxter murmelte: »Viola, wie recht du hast. Du hättest wetten sollen, und zwar um viele Muschelsuppen.« Baxter stellte das Glas zurück und entspannte sich. Er schloß die Augen und vergaß das kleine italienische Restaurant. Er dachte nicht mehr an seine beiden Assistentinnen Viola und Olga. Er war aufnahmebereit für die Botschaft von Dr. Duvaleux. »Hallo, Baxter! Ich bin froh, daß Sie endlich in Rom angekommen sind. Mein siebenter Sinn hat mich wieder einmal nicht im Stich gelassen. Es war richtig, Sie und die Damen hierher zu dirigieren.« »Dr. Duvaleux, wir warten auf Ihre Instruktionen. Was ist im Augenblick zu tun?« »Ganz einfach, Baxter: Sie lassen sich vom Interpolbüro im Rom einen Dienstwagen geben und fahren mit Viola und Olga in die Abruzzen. Ihr nächstes Ziel ist die Stadt Popoli. Von dort halten Sie sich dann nördlich und gelangen direkt in das Dorf San Anario. Dort ist im Augenblick die Hölle los. Nach insgesamt fünfundzwanzig Morden, die seit 1947 allesamt als Bergunfälle getarnt werden konnten, sind jetzt drei englische Touristen grausam ins Jenseits befördert worden. Alles spricht dafür, daß hier der Geist eines verstorbenen Pfarrers umgeht und Unheil anrichtet. Sie nennen das Wesen den Schwarzen Mönch von San Anario …!« Joe Baxter schaltete schnell: »Und wir sollen diesen Schwarzen Mönch zur Raison bringen und die ganze Affäre möglichst schnell aufklären?« »Brav, Baxter. Allerdings muß ich Sie im vorliegenden Fall bitter enttäuschen. Wir haben nicht die geringsten Anhaltspunkte, ob es sich wirklich um einen parapsychologischen Fall handelt oder ob noch andere
Wesenheiten oder gar Hexen und Dämonen ihre Macht im Spiel haben. Das müssen Sie mit Ihren Damen herausbekommen.« »Ich hab verstanden«, entgegnete Joe Baxter. »Ein überaus riskantes Unternehmen.« »Das ist es allerdings. Doch bei Ihnen ist die Sache in besten Händen!« Dr. Leon Duvaleux brachte die Unterhaltung zu einem jähen Ende: »Also dann, bis später, Baxter. Und grüßen Sie mir die Damen!« Rasch fand Baxter wieder in die Realität von Mamma Rosas Restaurant zurück. Fragend sahen Olga Dussowa und Viola Oggi ihren Vorgesetzten an. Er rieb sich mit beiden Händen die Augen und blickte dann frisch und munter in die Runde: »Viola, iß deine Muschelsuppe fertig. Wir fahren in die Berge …!« Viola maulte: »Aber ich wollte doch noch in Rom meine Bekannten besuchen.« »Das muß warten Olga-Kind. Jetzt geht's zum Schwarzen Mönch von San Anario.« Viola machte große Augen: »Was kann der Bursche?« »Morden, mein Liebes, in erster Linie morden. Und wenn wir uns nicht sehr geschickt anstellen, dann werden wir sein einschlägiges Können auch bald am eigenen Körper verspüren …« »Das sind ja feine Aussichten«, murmelte Olga und griff sich ans Herz. Joe Baxter korrigierte sie: »Greif dir lieber an den Hals, schöne Olga. Der Schwarze Mönch von San Anario erwürgt nämlich jeden, der ihm über den Wegläuft …!« *
In der Lehmhütte am Ortsausgang von San Anario war es finster. Ernesto Travi lag auf seiner Strohmatte in tiefem Schlaf. Er hatte viele Stunden mit seinen Schafen auf der Weide verbracht und war müde. Jäh fuhr er um Mitternacht hoch, als die Tür aufgerissen wurde und ihm jemand mit einer Öllampe ins Gesicht leuchtete. Von festen Händen wurde der alte Mann in seinem Bett aufgerichtet. »Was ist los? Wer ist da?«, krächzte er. »Ich bin's, Peppino!« kam die Antwort. Es war Peppino Travi, der Reiseleiter. »Was ist, Peppino?« Der alte Mann atmete auf. Sekunden später aber kroch ihm die Angst über den Rücken, als er seinen Neffen sagen hörte: »Onkel Ernesto, ich halte das nicht mehr aus! Warum um alles in der Welt tust du das? Warum mußt du immer wieder töten: Es sind alles unschuldige Menschen?« Ernesto Travi zitterte am ganzen Leib und wollte sich von seinem Neffen losreißen: »Peppino, hör mir zu. Bist du verrückt? Ich bringe keine Menschen um. Laß mich in Frieden mit deinen Geschichten.« »Onkel«, schrie Peppino erregt, »du schlüpfst in das Gewand des sagenhaften Schwarzen Mönchs. Du gehst wie ein Gespenst um. Aber warum mordest du dabei?« »Peppino, ich weiß nicht, was du da sprichst. Ich kann mir nur vorstellen, daß du deinen alten Onkel ins Irrenhaus bringen willst. Aber es lohnt sich nicht: Ich besitze nichts, was du erben könntest. Wer hat dich auf die Wahnsinnsidee gebracht, daß ich der Schwarze Mönch bin?« »Ich bin selbst dahintergekommen, Onkel. Ich habe bei dir Gegenstände gesehen, die ich zuvor bei meinen Reisenden
beobachtet hatte. Du steckst hinter dem angeblichen Spuk des Schwarzen Mönchs.« »Nein, nein, nein!«, brüllte der alte Mann verzweifelt und rang mit seinem Neffen. Doch Peppino Travi ließ seinen Onkel nicht los. »Und wie erklärst du mir, daß du vor zwei Jahren im Besitze eines Opernglases warst, das einem französischen Lehrer gehörte, der mit mir reiste und in der Kirche von San Anario erwürgt wurde?« »Das war reiner Zufall. Ich kam an der Kirche vorbei und sah den erwürgten Mann da liegen. Da nahm ich das Opernglas einfach an mich. Warum wirfst du mir das vor? Du hast es dir doch genommen und verkauft?« »Onkel«, keuchte Peppino, »das habe ich getan, um dich zu entlasten und vor dem Zuchthaus zu retten. Ich nehm dir nicht ab, daß du nur einen Toten beraubt hast. Mach mir doch nicht weiß, daß es ein echtes Wesen gibt, das da herumgeistert und Menschen tötet …« »Es ist sicher so«, murmelte der alte Mann und sank erschöpft aufs Bett zurück. »Laß mich doch endlich in Frieden.« »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich mich nicht mehr vor dich stellen kann, Onkel Ernesto. Diese drei Morde werden ein riesiges Polizeiaufgebot zur Folge haben. Man wird den Mörder suchen und finden. Dann ist es aus mit dir. Und ich kann dich nicht mehr beschützen.« »Aber ich war doch nicht der Mörder …!« Ernesto Travi rang sich die Worte ab und schloß dann die Augen. Peppino sagte nichts mehr. Er drehte sich um und ging aus dem Haus. Er warf die Tür ins Schloß und durchquerte den Garten bis zur Straße. Als er dort ankam, vernahm er ein höhnisches Lachen aus dem Haus des Onkels. Erschrocken
drehte er sich um und näherte sich wieder der Tür. Plötzlich schwang diese auf. Deutlich hob sich im Türrahmen vor dem erleuchteten Innenraum eine Gestalt ab: der Schwarze Mönch von San Anario! Er hob beschwörend seine Arme und zeigte seine Knochenfinger. Er schüttelte sein Haupt, so daß die Kapuze zurückfiel und gähnende Leere zu sehen war: ein Körper ohne Kopf. Verzweifelt stürzte Peppino Travi auf ihn und schrie: »Onkel Ernesto, mach die Türe zu! Laß diesen Unsinn! Du mußt dich mir nicht in dieser schrecklichen Gestalt offenbaren. Ich weiß doch, daß du es bist.« Ein höhnisches Lachen war die Antwort. Fassungslos sah Peppino vor sich hin und murmelte: »Donnerwetter, Onkel, was ist das für ein Trick mit dem Kopf?« Im selben Augenblick langten die Knochenhände nach ihm, rissen ihn zu Boden und umklammerten mit eiserner Kraft seinen Hals, so daß dem jungen Italiener augenblicklich die Luft wegblieb. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Er glaubte, daß seine Brust explodieren müßte. Immer wieder suchte er die Augen seines Onkels. Doch es gab kein Gesicht. Und plötzlich erkannte Peppino, daß er seinem Onkel unrecht getan haben mußte. Seine Glieder wurden schwach. Die knochigen Hände ließen ihn zu Boden sinken. Die Gestalt in der Mönchskutte stieg über ihn hinweg und verschwand in der Nacht. Ernesto Travi saß zitternd auf seinem Bett. Er hatte die schreckliche Szene mitangesehen. Jetzt taumelte er zur Tür und warf sich über seinen Neffen. Er richtete ihn auf. Es gab keine Hilfe mehr. Der Reiseleiter Peppino Travi war tot. An seinem Hals klafften tiefe Würgemale. Seine Brust war blutüberströmt. Der
Onkel sah die Schnittwunde quer unter dem Brustbein. Ernesto Travi faltete seine Hände zum Gebet. Tränen rannen ihm über die Wangen: »Peppino, warum hast du die unheimlichen Mächte so herausgefordert? Warum hast du mich für einen Mörder gehalten? Jetzt ist alles aus …!« * Joe Baxter parkte den Wagen mitten auf dem Dorfplatz von San Anario. Er atmete kurz durch, stieg aus und half Olga sowie Viola ins Freie. Dann streckte er sich, blickte sich um und stellte fest: »Ein romantischer Ort. Viel schöner, um Urlaub zu machen, anstatt Mordfälle aufzuklären!« Viola raunte ihrem Vorgesetzten zu »Sollten wir uns vielleicht als Touristen ausgeben, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen? Man wird uns dann ganz bestimmt eher etwas erzählen.« Baxter lachte: »Wofür sollen wir uns ausgeben? Ich könnte höchstens sagen, daß ich ein Modephotograph wäre. Und daß ihr meine beiden Mannequins seid.« Viola war begeistert: »Das wäre doch großartig!« »Unsinn«, konterte Baxter. »Den Schwarzen Mönch können wir damit nicht täuschen. Und die Leute würden eines Tages doch dahinterkommen und dann noch weniger Vertrauen zu uns haben …!« Ein Bauer kam mit seinem Esel vorbei. Baxter winkte ihn zu sich heran: »Wo finde ich euren Polizeichef?« Der Italiener brummte: »Der hat keine Zeit. Heute nacht hat es bei uns wieder einen Toten gegeben.« Baxter pfiff zwischen den Zähnen. Dann meinte er: »Also ein vierter? Ist er auch ermordet worden?« Der Bauer wandte sich ab: »Ich weiß nichts darüber. Fragen
Sie Signore Stagnetti selbst.« Er eilte davon und trieb dabei den Esel vor sich her. »Na«, meinte Baxter, »leicht werden uns die hier die Arbeit nicht machen. Also dann, ans Werk.« Olga fragte spontan: »Was kann ich tun?« Joe entschied schnell: »Ich knöpfe mir diesen Polizeichef vor. Viola, du nimmst die Kirche oben auf dem Hügel in Augenschein. Und du, Olga, suchst den Pfarrer auf. Der muß ja schließlich über seinen Vorgänger und den Schwarzen Mönch eine Menge wissen. Das Gespenst soll ja schließlich ein Kollege von ihm hier sein.« Sie trennten sich wortlos. Als sie bereits etliche hundert Meter auseinander waren, drehte sich Baxter um und rief den beiden Assistentinnen zu: »Und seid vorsichtig. Nach alldem, was wir über San Anario wissen, stirbt man hier sehr leicht, wenn man nicht Augen und Ohren offen hält …!« * Das Haus des Polizeichefs stand leer. Ein kleiner Junge führte Baxter durch die Ortschaft zum primitiven Hirtenhaus des alten Ernesto Travi. Zwei bewaffnete Carabinieri hielten den Eingang zum Garten des Mannes besetzt. Vor der Tür der Hütte stand Roberto Stagnetti und machte sich Notizen. Baxter beobachtete die Szene aus einigem Abstand, hörte sich aber alles mit an. Der Polizeichef fuhr den alten Ernesto Travi an: »Schluß mit dem Unsinn. Ich glaube Ihnen die Geschichte von der unheimlichen Gestalt nicht, die da plötzlich aufgetaucht sein soll. Für mich ist der Fall klar: Sie haben Ihren Neffen Peppino erwürgt. Seit Stunden frage ich mich, was wohl Ihr Motiv gewesen sein könnte. Jetzt ist mir das Motiv ebenfalls
vollkommen klar geworden.« Ernesto Travi fragte fassungslos: »Und warum sollte ich ihn umgebracht haben?« Roberto Stagnetti antwortete triumphierend: »Weil Sie seit Jahren den Schwarzen Mönch gespielt haben. Und Peppino ist Ihnen auf die Schliche gekommen. Da sahen Sie als einzigen Ausweg einen neuen Mord.« Ernesto unterbrach die Darstellung des Polizeichefs mit der Beteuerung: »Ich bin unschuldig, Signore Stagnetti, ich habe meinen Neffen nicht getötet. Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemanden getötet. Ich bin ein alter, einfacher Hirte und zufrieden mit dem, was ich habe.« »Du bist ein alter Narr«, schrie ihn Roberto Stagnetti an und winkte zwei Carabinieri her, die draußen auf der Straße beim Jeep gewartet hatten. Als sie auf den Hirten zutraten, sagte der Polizeichef: »Ernesto Travi, Sie sind unter dem Verdacht des vielfachen Mordes verhaftet. Sie werden noch heute ins Untersuchungsgefängnis nach Popoli gebracht.« Ernesto wollte etwas zu seiner Verteidigung sagen, wollte seine Unschuld beteuern. Der Polizeichef wandte sich ab. Er erblickte Joe Baxter draußen vor dem Garten am Zaun, musterte ihn mißtrauisch und fragte dann: »Was wollen Sie da? Wer sind Sie? Gaffen Sie nicht so neugierig meiner Amtshandlung zu …!« Joe Baxter schwang sich mit einem Sprung über den Gartenzaun, stand neben Roberto Stagnetti und streckte ihm die rechte Hand entgegen: »Hallo, Signore Stagnetti. Sie sind hier also der Polizeichef. Ich bin Joe Baxter, Hauptkommissar des Parapsychologic Department der Interpol aus Paris …!« Ein Seufzen entrang sich der Brust des Polizeichefs: »Sie haben mir gerade noch gefehlt! Ich bin hier für alles, was auf dem kriminellen Sektor geschieht, verantwortlich, und der
Bürgermeister redet mir immer wieder drein. Ich möchte von Anfang an betonen, daß ich Sie niemals angefordert habe. Ich werde mit den Problemen im Ort selbst fertig. Ich brauche keine Hilfe aus dem Ausland.« Joe Baxter verneigte sich höflich: »Das ehrt Sie, lieber Signore Stagnetti. Doch Sie verkennen, wie so viele Ihrer Kollegen auf der ganzen Welt, die Gefährlichkeit der Situation. Das Parapsychologic Department ist für Fälle da, die über Ihre Kompetenzen hinausreichen und die anders gelagert sind als normale Verbrechen. Hier geht es um den Bereich des Übersinnlichen.« Stagnetti machte mit der Hand eine wegwerfende Bewegung: »Das ist ja gerade der Grund, warum ich mich so ärgere. Es gibt keine ›übersinnlichen‹ Aufgabenbereiche. Ich glaube nicht an Gespenster und sonstige übersinnliche Wesen.« Baxters Stimme wurde schneidend: »Und wie wollen Sie den Fall des Schwarzen Mönchs aufklären? Das ist doch eindeutig eine parapsychologische Angelegenheit.« »Niemals«, gab der Polizeichef zurück und zeigte auf den Jeep, der gerade mit dem verhafteten Ernesto Travi wegfuhr: »Ich habe den Fall gerade völlig geklärt. Da gibt es keine jenseitigen Mächte. Der Schwarze Mönch war die Erfindung eines alten Trottels. Nicht mehr und nicht weniger. Sie sehen, Signore Baxter, Sie sind den langen Weg umsonst hergekommen. Hier wartet keine Aufgabe mehr auf Sie.« »Und Sie unterliegen da keinem Irrtum?« fragte Baxter scharf. Die Überheblichkeit dieses Dorfpolizisten ärgerte ihn. »Sie wissen ganz genau, daß es keinen Schwarzen Mönch gibt?« »Ich bin ganz sicher. Und darum darf ich Sie mit aller Höflichkeit bitten, sich nicht in meine Angelegenheiten zu mengen und bei nächster Gelegenheit wieder zurückzureisen.« »Ich danke Ihnen für die Offenheit«, lachte Baxter. »Aber ich
habe den Auftrag aus Paris, mich über die historischen Hintergründe des Schwarzen Mönchs zu informieren. Ich werde Ihre Arbeit dabei nicht stören.« Baxter wollte sich eben mit einer höflichen Verneigung abwenden und gehen, als er einen Schrei vernahm. Er blickte in die Richtung, aus der der Lärm kam: Vom Hügel, auf dem die Kirche San Anario stand, kam ein junger Mann gerannt. Sein Gesicht war totenbleich. Seine Augen spiegelten Entsetzen. Er schwang sich über den Zaun des Gartens und lehnte sich erschöpft gegen die Wand des Hauses. »Was haben Sie denn?«, fragte Baxter. Er antwortete nicht, sah den Polizeichef an und preßte mühsam stotternd hervor: »Der Schwarze Mönch ist wieder erschienen … Die Engländer drängten nach den drei Ermordungen auf baldige Abreise. Durch den Tod des Reiseleiters gerieten sie in Panik. Kurz vor der Abfahrt des Busses hatte eine der alten Damen entdeckt, daß sie ihre Handtasche mit wichtigen Papieren in der Kirche vergessen hatte. Sie eilte den Hügel hinauf, um sie zu holen, doch sie kam nicht weit der … Wir haben sie vorhin hinter dem Gotteshaus gefunden.« »Ist sie tot?« »Ja, erwürgt. Auch sie hat den Schnitt auf der Brust wie alle anderen. Kein Zweifel: Es muß der Schwarze Mönch gewesen sein.« Roberto Stagnetti sagte nichts mehr und wandte sich ab. Joe Baxter tippte ihm auf die Schulter: »Vielleicht, lieber Leutnant, ist es doch besser, wenn wir den Fall gemeinsam weiter bearbeiten. Es könnte sein, daß die tote Britin ein Opfer Ihrer Sturheit ist.« »Wie meinen Sie das?«, brauste Roberto Stagnetti auf. »Ganz einfach: Sie wollten nicht an den Schwarzen Mönch glauben. Da hat er Ihnen kurzerhand den Beweis für seine
Existenz geliefert. Ich denke, Ernesto Travi können Sie wieder freilassen …!« * Lady Briscott aus London sah furchtbar aus. Durch den Würgegriff ihres Mörders war aus Ohren und Nase Blut herausgetreten und hatte ihr ganzes Gesicht besudelt. Sie lag zwischen zwei Gräbern hinter der Kirche. Viola Oggi war gekommen, um sich das Revier des Schwarzen Mönchs anzusehen. Sie hatte nicht damit gerechnet, schon wieder mit einer Leiche konfrontiert zu werden. Erschüttert standen einige Dorfbewohner davor und bekreuzigten sich. Dann eilte ein junger Italiener ins Dorf, um von dem neuerlichen Mord zu berichten. Viola Oggi schritt den Kiesweg zurück und betrat die Kirche von San Anario. Keine Menschenseele. Langsam passierte sie den Mittelgang und näherte sich dem Altar. In diesem Augenblick fühlte sie ganz genau, daß sie beobachtet wurde. Sie streckte ihre Finger aus, um mit deren Spitzen die Spannungen im Raum erfassen zu können. Sie schauerte zurück. Sie fühlte sich von einer überirdischen Macht beobachtet. Sie kniete nieder und lauschte nach allen Seiten. Ganz plötzlich vernahm sie das Rascheln von einem Gewand. Sie drehte sich um und sprang hoch. Wenige Meter vor ihr stand eine dunkle Mönchsgestalt. Eine Gestalt ohne Kopf. Die Kapuze der Kutte hatte keinen Inhalt. Viola fühlte unbändige Abwehrkraft in sich und wußte: Ihr unheimlicher Gegner war jetzt nicht fähig, sie zu töten. Daher sah sie den kommenden Minuten mit Fassung entgegen. Der Schwarze Mönch drohte ihr mit erhobener Hand. Dann
kam er langsam näher. Viola Oggi versuchte, das geheimnisvolle Geschöpf zu hypnotisieren. Es war unmöglich. Viola faßte sich und sprach laut: »Schwarzer Mönch: Wir sind gekommen, um deinem Spuk ein Ende zu bereiten. Gib auf …!« Ein höhnisches Gelächter hallte von allen Wänden des Gotteshauses und echote in Violas Ohren. »Ich gebe niemals auf. Und ich werde alle, die sich mir in den Weg stellen, vernichten!« Viola wollte gerade wieder etwas sagen, da wurden die Arme des Schwarzen Mönchs immer länger und länger. Viola Oggi drängte zurück. Da stieß sie mit dem Rücken gegen eine Bank. Zugleich hatten die Hände des Schwarzen Mönchs sie erreicht, packten zu und zerrten sie zu sich heran. Viola Oggi versuchte sich zu wehren, sie war jedoch körperlich zu schwach. Sie versuchte nochmals ihre Hypnose einzusetzen. Doch sie mußte wiederum erkennen, daß sie es mit einem willensstarken Wesen zu tun hatte. Außerdem war es schwer, mit der Hypnose an irgendeinem Punkt zu beginnen. Der Schwarze Mönch verfügte über keinen Kopf, keinen Hals: nur über ein Skelett, das in eine Kutte gehüllt war. Viola war am Ende ihrer Kräfte. Sie wurde von der Erscheinung festgehalten, in die Höhe gehoben und durch die Kirche getragen. Sie wollte schreien, doch kein einziger Ton entrang sich ihren Lippen. Der Schwarze Mönch eilte mit seinem Opfer in die Sakristei und stieß die Hintertür auf. Er eilte mit ihr durch den Friedhof und kam direkt an der Leiche der Engländerin vorbei. Viola sah die Menschen, die noch immer neugierig davor standen. Sie war überzeugt, daß einer von ihnen aufschauen und die schauerliche Szene mitansehen würde. Mit letzter Kraft schrie Viola: »Hilfe! Schaut her, was mit mir
geschieht! Helft mir doch!« Eine Stimme aus dem Inneren der Kutte klärte sie auf: »Niemand kann uns sehen. Niemand kann dein Geschrei hören …!« Sie hatten inzwischen die Gruft erreicht. Das Gittertor stand abermals offen. Auch die Gruftplatte war weggeschoben. Noch einmal versuchte Viola sich verzweifelt zu wehren. Sie spürte, wie ihre positiven Kräfte den Schwarzen Mönch bekämpften. Er aber schüttelte ihre Einflußkraft ab. Viola Oggi fühlte sich plötzlich machtlos. Der Schwarze Mönch hielt sie mit festem Griff umfangen. Er stieg mit ihr die eiserne Treppe in die Gruft hinab. Auf der letzten Stufe hielt er an, wandte sich zurück und schob den Gruftstein vor den Einstieg. Viola griff nach dem Stein, um sich daran festzuklammern. Sie schrie auf, als der Marmor sich mit seinen scharfen Kanten in ihre Handgelenke preßte. Viola fühlte eine unbändige Schwäche in Geist und Körper. Widerstandslos ließ sie sich von dem Schwarzen Mönch in den Korridor der Gruft tragen. Sie fühlte nur, daß sie gehoben wurde. Sie spürte einen jähen Ruck. Sie hörte den hölzernen Deckel des Sarges. Ihr Körper prallte gegen etwas Glattes und Hartes. Sie wollte sich aufraffen, mit den Händen nach der Gestalt greifen, sie spürte jedoch über sich ein Hindernis. Im gleichen Augenblick vernahm sie Schläge über sich, die gegen Holzbretter geführt wurden. Sie wurde eben in einen Sarg in der Gruft von San Anario eingeschlossen. In einen Sarg, der wohl nie mehr von Menschenhand geöffnet wurde. Viola Oggi hörte noch, wie der Sargschacht mit einer Steinplatte verschlossen wurde. Die Italienerin sank zurück. Ihre Hände schmerzten und ihr Gehirn fieberte. Es gab keinen Ausweg aus dem Gefängnis. Die positiven Kräfte hatten zwar verhindert, daß der Schwarze
Mönch Viola erwürgte wie alle bisherigen Opfer. Doch er hatte einen anderen viel grausameren Weg gefunden, sich eine gefährliche Gegnerin vom Hals zu schaffen. Viola Oggi wußte: Sie mußte hier in dem Sarg langsam sterben, wenn sie nicht vorher ihren Verstand verlor … * Eine kleine dicke Italienerin steckte den Kopf zur Tür heraus. Olga Dussowa nickte freundlich und erkundigte sich: »Wohnt hier der Pfarrer?« Die Frau schüttelte den Kopf: »In San Anario wohnt seit vielen Jahren kein Pfarrer mehr. Alle Wochen kommt aus Popoli der Pfarrer zu uns herüber und liest die Messe.« Erstaunt konterte Olga Dussowa: »Aber die Leute haben uns gesagt, daß hier der Pfarrhof ist.« »Das stimmt«, nickte die Italienerin. »Hier ist der Pfarrhof. Aber es wohnt schon lange kein Pfarrer mehr hier. Nur noch ich. Ich verwalte das Haus. Ich bin die Tochter der letzten Pfarrersköchin.« Olga wurde neugierig: »War Ihre Mutter die Köchin jenes Geistlichen, der im Jahr 1947 starb?« Sie nickte: »Ach so, Sie wissen bereits Bescheid über die Affäre mit dem Schwarzen Mönch. Ja, meine Mutter war seine Haushälterin. Sie ist vor zwei Jahren verstorben. Sie hat mir oft von jenen ungeheuerlichen Vorfällen in San Anario erzählt.« Olga drängte: »Könnten Sie mir davon nicht Einiges weitergeben?« Befremdet erwiderte die dicke Italienerin: »Ich habe keine Veranlassung dazu. Außerdem habe ich meiner Mutter versprochen, so wenig wie möglich darüber zu reden. Das ist doch alles für Sie uninteressant.« Olga erwiderte: »Es würde mich alles sehr interessieren. Ich
werde mich dafür Ihnen gegenüber auch erkenntlich zeigen …!« Olga drückte der Frau ein Paket Lire-Noten in die Hand. Sie dankte freundlich und führte die langhaarige Russin in die Wohnstube. Dort setzten sich beide nieder. »Was wollen Sie wissen?« erkundigte sich die Tochter der ehemaligen Pfarrers-Köchin. Olga freute sich über ihren erkauften Erfolg und begann: »Was für ein Wesen soll denn dieser Schwarze Mönch sein?« »Es ist unser Pfarrer Vittorio Linno!« »Warum geistert er umher?« »Er hatte sich angeblich einige böse Dinge zuschulden kommen lassen. Darum wurde er von Männern im Dorf umgebracht. Polizei und Kirche wollten die Angelegenheit damals beiseiteschieben.« »Was waren das für Verbrechen, die man dem Pfarrer zur Last legte?« Die Italienerin schaute abrupt weg und flüsterte: »Ich weiß es nicht!« »Aber das hat doch sicher jeder im Ort gewußt.« »Wenn ich Ihnen doch sage: Ich weiß es nicht …!« Olga Dussowa versuchte es mit einer anderen Frage: »Warum mordet der Schwarze Mönch von San Anario ihrer Meinung nach?« »Unser Pfarrer war sicher unschuldig. Ein anderer hat die Verbrechen begangen. Deswegen findet seine Seele keine Ruhe. Jetzt rächt er sich für die Lynchjustiz.« Sie erhob sich: »Ich habe genug gesagt, fremde Frau.« Olga Dussowa bedankte sich und setzte hinzu: »Eines aber will ich noch wissen: Was war Vittorio Linno für ein Mensch?« Das Gesicht der Italienerin verklärte sich: »Ein wunderbarer Mann. Wir alle liebten ihn, und er liebte uns. Wenn Sie es ehrlich von mir wissen wollen: Der konnte keiner Fliege etwas
zuleide tun. Der wurde, unschuldig getötet. Darum sehe ich ein, daß er ein böses Gespenst geworden ist.« Olga Dussowa ließ sich zur Tür bringen. Auf der Straße wandte sie sich noch einmal um und fragte: »Und Sie wollen mir nicht verraten, was in San Anario wirklich geschehen ist? Und warum es geschehen ist?« Die Italienerin schüttelte den Kopf: »Jeder aufrechte Bewohner von San Anario wird dieses Geheimnis dem Pfarrer zuliebe mit ins Grab nehmen …!« * »Verdammt, verdammt, verdammt!« Joe Baxter trommelte mit seinen Fingern auf die Tischplatte. Er saß in dem kleinen bäuerlichen Fremdenzimmer im Gasthof des weißhaarigen Carlo Quattesti. Olga Dussowa, eben von der Tochter der Pfarrersköchin zurückgekehrt, lehnte am Fensterbrett und manikürte sich ihre Fingernägel. »Nicht ärgern, Joe«, beruhigte Olga ihren Vorgesetzten. »Es hat keinen Sinn. Wir werden auch diesen Fall klären!« Baxter erhob sich und durchmaß das Fremdenzimmer mit energischen Schritten: »Wir müssen alles ganz genau durchdenken.« Er blickte auf die Uhr: »Wo nur Viola bleibt? Sie wollte doch sofort nach der Besichtigung der Kirche wieder zurückkommen!« Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. Olga nahm neben ihm Platz: »Joe, ich verstehe nicht, warum die Menschen uns über Pfarrer Linno nichts erzählen wollen.« »Das ist mir auch nicht ganz klar. Daß die Tochter der Pfarrersköchin lieber schweigt, kann ich begreifen. Wer weiß, was die alles von den wahren Hintergründen mitbekommen hat. Aber auch der Bürgermeister, der Polizeichef, die Bauern.
Alle weigern sich, uns etwas aus dem Jahr 1947 zu erzählen. Verdammter Mist!« »Joe?« »Ja?« »Glaubst du, daß es den Schwarzen Mönch wirklich gibt, und daß er es ist, der diese schrecklichen Bluttaten verübt?« »Mein Gefühl sagt mir, daß diese unheimliche mordende Gestalt tatsächlich ihr Unwesen treibt. Aber irgend etwas ist an der Geschichte faul. Vielleicht wird es lange dauern, bis wir den wahren Sachverhalt herausbekommen. Aber, ich schwöre dir, Olga: Wir kriegen das heraus.« Olga Dussowa lehnte sich zurück und überlegte laut: »Fassen wir zusammen, was wir im ersten Anlauf herausbekommen konnten: Da lebt ein Pfarrer namens Vittorio Linno in San Anario. Ein angesehener und allseits verehrter geistlicher Herr. Eines Tages geschehen in dem Dorf unkorrekte Dinge, entweder Betrügereien oder andere Verbrechen. Der Verdacht fällt auf den Pfarrer. Niemand will es glauben. Die Polizei wagt gar nicht, gegen den Pfarrer vorzugehen. Auch die Kirche will sich aus der Geschichte heraushalten. Das ruft die wenigen, die an die Schuld des Pfarrers glauben, auf den Plan. Sie lynchen den Geistlichen. Ein paar Monate nach seinem Tod erscheint zum ersten Mal der Schwarze Mönch und beginnt zu würgen. Und dies tut er im Laufe der Jahre zahllose Male. Es gibt eine kurze Pause. Und jetzt schlägt er erneut zu. Diesmal gleich binnen weniger Tage vier Mal …!« Joe Baxter nickte, erhob sich und trat ans Fenster. Dann wandte er sich zu Olga: »Soweit ist alles für uns klar. Nur wie wurde denn der Pfarrer hingerichtet?« »Ich weiß es nicht«, entgegnete Olga Dussowa. »Das will ja auch keiner sagen.« Sie trat ans Fenster und zeigte hinaus: »Dort hinter dem heutigen Pfarrgebäude befand sich ein
hölzerner Pavillon. Die Leute machen einen großen Bogen um einen Haufen verkohlter Balken, über die bereits das Unkraut wuchert. Keiner hat je davon gesprochen: Aber ich vermute, dieser Pavillon ist im Jahr 1947 niedergebrannt und der Pfarrer Vittorio Linno kam in den Flammen um.« Joe sah Olga bewundernd an: »Alle Achtung, gut kombiniert! Ich möchte wetten, daß du recht hast. Das bringt mich auf eine Idee. Wir werden heute nacht zu den Resten des abgebrannten Pavillons gehen und die Geschehnisse jener verhängnisvollen Nacht Wiederaufleben lassen. Du mußt bis zum Abend deine Konzentration stärken, damit die Aktion leichter gelingt. Und ich bitte den alten Guru Jogami in Paris, daß er uns mit seinen sensitiven Kräften unterstützt …!« Olgas Miene verfinsterte sich: »Joe, jetzt werde ich langsam nervös, weil Viola noch immer nicht da ist. Warum setzt sie sich nicht mit uns in Verbindung?« Joe Baxter schüttelte den Kopf: »Sie sollte längst hier sein. Wir müssen sie suchen. Wir dürfen keine Minute verlieren, denn der Schwarze Mönch kennt keine Gnade!« * Jeder einzelne Gedanke schmerzte Viola Oggi. Allmählich fand sie wieder zu sich und sie begriff, daß das Erlebnis mit dem Schwarzen Mönch kein böser Traum, keine Einbildung gewesen war. Sie saß in der Falle. Das Wesen hatte sie in einen Sarg gesperrt. Die letzte Chance, die ihr als Mitarbeiterin des Parapsychologic Department zur Verfügung stand, konnte sie nicht nützen. Durch die Verletzungen an den Händen, die sie sich am Marmorstein der Gruft zugefügt hatte, war sie zu geschwächt, um eine Entmaterialisierung ihres Körpers durchzuführen. Das wäre für sie die einzige Möglichkeit
gewesen, dem Sarg und der Gruft zu entrinnen. Vorsichtig tastete Viola Oggi die Wände des Sarges ab. Mit üblichen übersinnlichen Methoden gab es kein Entrinnen. Die Luft im Sarg wurde immer drückender. Viola Oggi konnte nur mehr unter schier unerträglichen Schmerzen atmen. Ihr Gaumen war wie ausgetrocknet und die Augen brannten. Viola Oggi fand trotzdem für wenige Sekunden Konzentration. Und in dieser kurzen Zeit erkannte sie eine Möglichkeit für ihre Rettung: die Gehirn-Wanderung. Sie wartete viele Stunden, bis sich wieder Konzentration einstellte. Sie hypnotisierte ihre Gehirnzellen und teilte ihr Denkvermögen in sensitive Moleküle. Nun hatte sie durch ihre eigene Kraft die Grundstoffe für das Denken und jene für das Träumen getrennt. Das Denken des normalen Tagesablaufes vermochte sie nicht von ihrem Körper zu entfernen. Doch jene Impulse des Kleingehirns, die den Traum im Schlaf erzeugen, konnten verschickt werden. Viola Oggi baute einen künstlichen Traum und trug ihm auf, so rasch als möglich Hauptkommissar Joe Baxter im Schlaf zu erscheinen. Die Italienerin suggerierte ihren Gehirnimpulsen ein: Ruft Joe Baxter zu Hilfe. Und kommt mit ihm zu mir zurück, damit meine Gehirnimpulse wieder eins werden können. Sie sagte sich diese Sätze an die hundert Mal vor. Dann spürte sie allmählich, wie ihre Gedankenschwingungen nicht mehr vorhanden waren. Sie hatte sich einen Weg durch dicke Steinwände ins Freie gesucht. Viola Oggi wußte es ganz genau: Nun erhob sich von der Gruft ein kleiner roter Schmetterling und flog auf direktem Weg zu Joe Baxter, um dort zu warten, bis er schlief. Eine monotone Stimme erfüllte den Sarg: »Spare deine
Kräfte. Du kommst hier nicht heraus. Auch, wenn du über höhere Fähigkeiten als die übrigen Menschen in San Anario verfügst. Deine Seele und deine Gedanken sind an diesen Sarg gefesselt wie dein Körper. Du wirst hier elend zugrunde gehen. Und niemand wird auf die Idee kommen, daß du hier sein könntest. Warum mengst du dich in Angelegenheiten, die dich nichts angehen!« Viola Oggi registrierte die Stimme des Schwarzen Mönchs mit Genugtuung. Er hatte also nicht gemerkt, daß sie einen Teil Ihrer Gehirnfähigkeiten aus dem Sarg geschickt hatte. Allerdings wußte Viola Oggi: Wenn es dem Schwarzen Mönch gelungen war, ihre Traumimpulse aus dem Kleinhirn abzufangen und zu vernichten, dann stand ihr ein grauenhaftes Ende im Sarg bevor … * Todmüde kamen Joe Baxter und Olga Dussowa bei ihrer Fremdenpension an. Polizeileutnant Roberto Stagnetti verabschiedete sich von ihnen. Kleinlaut meinte er: »Es tut mir sehr leid, daß unsere Suche in und um San Anario keinen Erfolg hatte. Ich hoffe, daß wir morgen mehr Glück haben.« »Wenn Signora Oggi etwas zustößt, dann mache ich Sie verantwortlich, weil Sie die Sache mit dem Schwarzen Mönch auf die leichte Schulter genommen haben!« Roberto Stagnetti wollte noch etwas sagen. Joe Baxter aber wandte sich ab und ging mit Olga Dussowa ins Haus. Sie betraten den Korridor. Olga verabschiedete sich und verschwand in ihrem Zimmer. Dann zog sich Joe zurück. Er kleidete sich rasch aus und sank ins Bett. Ehe er die Nachttischlampe ausknipste, starrte er auf das Möbelholz seines Bettendes. Da saß ein kleiner, roter Schmetterling und wippte aufgeregt mit den Flügeln.
»Seltsam«, murmelte Joe Baxter, »ein roter Schmetterling. Noch nie gesehen. Wußte gar nicht, daß es so etwas gibt …!« Nach dieser Feststellung schlief er rasch ein und verfiel in den üblichen Halbschlaf, dann in den Tiefschlaf. Sein Unterbewußtsein stellte sich bereits auf die erste Traumphase ein. Bald fand sich Joe Baxter auf einer Alm. Jäh stockte das nächtliche Erlebnisbild. Halb verzerrt rückte die Landschaft in den Hintergrund. Und da war plötzlich der rote Schmetterling: klein, aber auffallend. Er setzte sich auf Baxters Brust und begann zu wachsen. Immer riesiger wurden die roten Flügel. Bis sie den Schwingen eines Adlers glichen. Augenblicklich explodierten sie. Joe Baxter erschrak: In den Schmetterlingsflügeln bildete sich ein langer düsterer Korridor. Eine unsichtbare Hand zerrte Joe Baxter mit sich. Er stand vor einer Mauer mit Grabschächten. Direkt vor ihm die Grabplatte mit der Aufschrift: »Vittorio Linno, gestorben am 15. April 1947.« Erstaunt las Baxter immer wieder diesen Namen. Da hob sich die Platte – wie von unsichtbarer Hand betätigt – ab und stürzte zu Boden. Baxter erkannte einen dunklen Sarg. Und er hörte ein Klopfen am Sargdeckel. Plötzlich zersplitterte das Holz. Baxter konnte ins Innere des Sarges sehen. Und da erschrak er: Vor ihm lag eine Leiche: blutlos und blaß. Niemand anderer als Viola Oggi. Joe Baxter schrie auf. Er begann sich im Kreis zu drehen. Er stolperte davon. Plötzlich stand er vor dem schmiedeeisernen Gitter einer großen Gruft. Und dann sah er die Kirche von San Anario. Joe Baxter erwachte jäh und setzte sich verwirrt im Bett auf. Er begriff den Traum und wußte dennoch nichts damit anzufangen. Er schüttelte den Kopf, knipste die Nachttischlampe an und murmelte vor sich hin: »Dummer
Traum. Und das alles nur, weil ich mir Sorgen um Viola Oggi mache.« Er langte wieder zur Lampe, um sie auszuknipsen. Da sah er abermals den roten Schmetterling, der zitternd und nervös umherflatterte. Joe Baxter schlief wieder ein und erreichte die zweite Traumphase. Wieder war der Schmetterling auch im Schlaf erleben dicht vor ihm. Der erste Traum wiederholte sich haargenau. Diesmal erwachte Baxter nicht. Er ruhte weiter und passierte die dritte und vierte Traumphase. Jedesmal war da die Gruft, die Kirche und Viola Oggi im Sarg. Joe Baxter schlug die Augen auf. Vom ersten Moment an, da er wach war, gab es für ihn keinen Zweifel: Er hatte nicht einfach nur geträumt. Viola Oggi hatte ihn alarmiert. Sie brauchte Hilfe. Rasch schwang sich Joe Baxter aus dem Bett. Zu seinen Füßen lag regungslos der rote Schmetterling. Baxter hob ihn auf, legte ihn in sein Taschentuch ein und steckte ihn zu sich. Dann kleidete er sich im Eiltempo an, verließ sein Zimmer und weckte Olga. Sie begriff sofort, daß es um Violas Leben ging. Sie hasteten die Treppe herunter, setzten sich in den Wagen, der vor der Fremdenpension parkte, und fuhren zum Haus des Polizeichefs. Der Mond stand bereits hoch am Himmel. Die Fäuste von Joe Baxter und Olga Dussowa dröhnten gegen die Tür des Hauses. Nach einigen Minuten wurde das Fenster geöffnet. Roberto Stagnetti brüllte ins Freie: »Was soll das, so spät am Abend?« Baxter antwortete: »Wir sind es: Baxter und Signora Dussowa.« »Was wollen Sie von mir?«
»Wir wissen, wo Viola Oggi ist. Sie muß sofort befreit werden.« »Wo steckt sie denn?« »In der Gruft!« Stagnetti stieß ein Lachen aus: »Sie haben wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, mein Bester. Um den Grabstein wegzuheben, benötigt man die Hilfe von 20 Männern. Wie sollte denn Signora Oggi in die Gruft gelangen? Und wer sagt Ihnen denn, daß Sie dort ist?« »Sie muß auf geheimnisvolle Weise hineingekommen sein. Ich glaube, der Schwarze Mönch hat da seine Hände mit im Spiel. Sie selbst hat mich verständigt …!« Stagnetti zog ein dummes Gesicht. Er konnte den Worten des Hauptkommissars nicht mehr folgen: »Wie kann Sie Ihnen das selbst gesagt haben?« »Sie schickte mir einen Traum!« »Einen Traum?« »Natürlich: Wir vom Parapsychologic Department haben gelernt, wie wir Träume beeinflussen, steuern und suggerieren können. Ich nehme an, daß der Alarmtraum Violas einzige letzte Chance war, um mit uns in Verbindung zu treten. Also, Signore Stagnetti: Ich brauche kräftige Männer, die mit uns die Gruft öffnen und im Sarg des verstorbenen Pfarrers Vittorio Linno nachsehen …!« Jetzt riß dem Polizeichef die Geduld. Er ballte seine Hände zu Fäusten und rief: »Baxter, Sie sind wohl verrückt geworden? Sie wecken mich spät abends auf und wollen mit mir gemeinsam Leichenschändung betreiben.« Baxter gab nicht auf: »Aber wenn es doch um ein Menschenleben geht.« »Quatsch. In einer zugemauerten Gruft kann es niemals um ein Menschenleben gehen. Sie wollen unbedingt in die Gruft, weil Sie sich eine Klärung des Geheimnisses um den
Schwarzen Mönch erhoffen.« Roberto Stagnetti drehte sich fluchend um und knallte das Fenster zu. Dann erlosch im Raum das Licht. Olga Dussowa meinte erbost: »So ein Dummer und unhöflicher Mensch. Von dem können wir keine Hilfe erwarten. Was tun wir jetzt, Joe?« Baxter wandte sich zum Gehen, und zwar in Richtung Kirche. »Wir werden die Gruft eben allein öffnen!« Olga sah ihn unsicher an: »Soll das ein Witz sein? Das geht doch nicht. Wir beide haben zu wenig Kraft dazu.« »Sag einmal, meine Hübsche: Wozu haben wir einen festen Willen, Hypnoseschulung und den guten Guru Jogami in Paris …?« Schweigend stapften sie den Weg zur Kirche hinauf. Das Friedhofstor war nicht versperrt. Sie fanden rasch den Weg zur Gruft. Olga fragte leise: »Und wenn der Traum doch Täuschung war?« Joe Baxter schüttelte den Kopf: »Nein, nein, in solchen Dingen irre ich mich niemals. Das war ein Hilferuf Violas. Also los …!« Er trat an das hohe Gittertor, das zur Grufteinfriedung gehörte. Gemeinsam mit Olga legte er seine Hände auf das versperrte Schloß. Die beiden sahen einander an. Und dann konzentrierten sie sich ganz darauf, dieses Schloß allein mit der Kraft ihrer Gedanken zu öffnen. Zuerst merkten sie den Widerstand. Aber langsam, ganz langsam setzte sich durch die Kraft von Joes und Olgas Willen der Mechanismus des Torschlosses in Bewegung. Baxter atmete auf. Er nahm Olgas Hand und lachte: »Wir haben die erste Hürde geschafft.« Er stieß das Gittertor auf. Jetzt standen sie unmittelbar vor
der Marmorplatte die im Boden eingelassen war und den Weg verschloß. Joe kniete sich vor die Platte. Olga tat das gleiche auf der gegenüberliegenden Seite des Marmors. Sie legten ihre Hände auf das kalte Gestein. Baxter konzentrierte sich ganz auf das Büro seines Chefs in Paris. Er hatte Erfolg. Schon nach wenigen Sekunden meldete sich Dr. Duvaleux: »He, Baxter. Was ist los? Ich nehme an, Sie brauchen mich!« »Wir haben keine Zeit, Chef. Es geht um Viola Oggis Leben. Sie müssen Guru Jogami bitten, daß er uns seelische und geistige Kraft sendet. Wir beginnen einen Kampf gegen den Schwarzen Mönch, ohne zu wissen, mit welcher okkulten Macht wir es dabei zu tun haben.« Dr. Duvaleux antwortete spontan: »Keine Angst, Baxter, ich rufe sofort in unserer Zentrale an. Guru Jogami soll sich auf euch konzentrieren. Ihr könnt in wenigen Minuten mit seiner Hilfe rechnen.« »Danke, Chef.« Dann war die telepathische Verbindung unterbrochen. Olga Dussowa sah erwartungsvoll zum Hauptkommissar. »Los!« flüsterte Joe Baxter. Gleichzeitig starrte er mit Olga auf die Marmorplatte. Sie versanken in einen hypnoseartigen Zustand. Die schwere Marmorplatte hob sich merklich und schwebte über dem Grufteingang und sank mit einem Aufprall zu Boden, direkt neben dem Grufteinstieg. Joe Baxter brauchte einige Zeit, um wieder in die Realität zurückzufinden. Er holte tief Luft und schloß die Augen. »Geschafft!«, jubelte Olga Dussowa und stieg sofort auf der eisernen Treppe in die Gruft. Joe Baxter folgte ihr rasch und holte seine Taschenlampe hervor und knipste sie an. In diesem
Moment erinnerte er sich an den Traum. Hier war er einige Stunden vorher in seinem Traumerlebnis gestanden. Langsam ging er die in die Wand eingelassenen Grabplatten ab. Dann fand er eine mit der Aufschrift: »Vittorio Linno, gestorben 15. April 1947.« »Hier ist es!« flüsterte er und zog Olga zu sich herab. Er gab Olga die Lampe und tastete mit beiden Händen die Grabplatte ab. Sie wies deutlich Sprünge auf. Olga meinte beeindruckt: »Sieht aus, als wäre sie schon einmal in Stücke gebrochen und wieder zusammengeflickt worden. Aber das ist doch wohl bei einer Steinplatte kaum möglich.« Joe Baxter konterte: »In dieser Gruft ist alles möglich!« Er drehte mit den Händen an der Platte. Endlich bewegte sie sich. Das war der Beweis dafür, daß sie oft entfernt wurde. Jetzt hielt Baxter das ganze Stück in Händen und legte es zu Boden. Olga leuchtete in den Grabschacht hinein: »Da also liegt Vittorio Linno!« »Der liegt sicher nicht drinn. Ich bin überzeugt, daß es unsere Viola ist«, wandte Joe Baxter ein. Dann zerrte er den hölzernen Sarg ein gutes Stück aus dem Schacht heraus und untersuchte den Deckel. Er war angenagelt. Joe Baxter versuchte erneut Guru Jogami in Paris zu erreichen: »Hilf uns wieder, daß wir Viola schneller retten können …!« Baxter tippte gegen den Sargdeckel. Er ließ sich ohne das geringste Hindernis abheben. Olga Dussowa leuchtete ins Innere des Sarges und schrie kurz auf. Sie hatte zwar Nerven wie Stahl, doch der Anblick der weißen und starren Viola Oggi war für sie zuviel. Sie wankte zurück, als Joe Baxter erschüttert feststellte: »Wir sind zu spät gekommen. Sie ist tot …!«
* Madame Therese Duvaleux zitterte am ganzen Körper. Ihre schmalen Hände vibrierten auf den Sesselstützen. Sie schlug die Augen auf und starrte in das Licht der Kerzen, die auf ihrem Tisch standen. Dann hob sie die Hände zur Stirn und bedeckte mit den Innenflächen ihre müden und abgespannten Augen. »Mutter! Wie fühlst du dich?«, fragte Dr. Leon Duvaleux leise. Er erhob sich, kam näher und legte der alten Frau beide Hände auf das weiße Haar. Ein leises Lächeln überzog ihr Gesicht: »Mir geht es gut. Danke, Leon. Geistige Versenkungen sind eben anstrengend.« »Was hat dein Ausflug ins Grenzreich des Jenseits ergeben?« erkundigte sich Dr. Leon Duvaleux. Sie erhob sich sacht von ihrem Sessel und schritt im Zimmer auf und ab. Dann berichtete sie langsam: »Ich habe die Spur des verstorbenen Pfarrers Vittorio Linno verfolgt. Ich werde aus der Geschichte nicht klug. Im Fegefeuer kennt man ihn nicht und auch die Hexen wissen nichts von seinem Verbleib. Selbst im Reich der bösen Dämonen hat man mir keine Antwort geben können. Ich war verzweifelt. Dann wandte ich mich an himmlische Informanten. Und da erlebte ich eine Sensation.« Dr. Leon Duvaleux sprang auf. »So sprich schon, Mutter!« »Vittorio Linno starb nach den Aussagen von jenseitigen Engeln als guter Christ. Er verließ rasch seinen Körper und gehört dem Nirwana an …!« Dr. Leon Duvaleux schüttelte fassungslos den Kopf: »Er gehört dem Nirwana an? Das heißt, daß Vittorio Linno nach seinem Tod für würdig befunden wurde, im Zustand höchster
himmlischer Seligkeit zu existieren?« Madame Therese Duvaleux nickte zustimmend: »Er ist zum Geistwesen geworden, das in der höchsten Potenz – ausgestattet mit Güte und Weisheit – immerwährend sein darf und nur einen Wunsch hat: den noch lebenden Wesen Wohl und Glück zu bringen.« »Mutter, Mutter, du mußt einen Fehler gemacht haben. So eine Erkenntnis ist im Falle von Vittorio Linno unmöglich. Bedenke doch: Die Wesenheit dieses Verstorbenen geht derzeit als böser Schwarzer Mönch auf Erden um und hat bereits siebenundzwanzig Menschen ermordet. Das ist doch kein Ausdruck von höchster himmlischer Seligkeit. Ein Mann, der in seinem Leben Verbrechen begangen hat und gelyncht wurde, der kann doch nicht in Nirwana existieren. Und eine Wesenheit, die im Nirwana existiert, kann doch nicht morden. Das Nirwana ist die Vollendung des Jenseits, der Hort der Heiligen.« Leise gab Madame Duvaleux zu bedenken : »Dann war dieser Pfarrer Linno also unschuldig und wurde zu unrecht gelyncht.« Dr. Duvaleux blickte ratlos vor sich hin: »Auch das ist noch keine zufriedenstellende Erklärung, Mutter. Eine Wesenheit des Nirwana würde niemals als böser Geist zur Erde zurückkehren und anderen Menschen etwas zuleide tun. Vittorio Linno kann nicht im Nirwana sein. Es ist einfach nicht möglich, daß ein Würger aus dem Nirwana kommt …!« Madame Therese Duvaleux seufzte: »Ich beneide Joe Baxter und seine beiden Damen nicht um ihre schwere Aufgabe!« * Gläsern und starr blickten Viola Oggis Augen gerade aus. Joe Baxter befühlte ihre kalte Haut. Olga Dussowa lehnte still an
der Wand des Korridors. Leise sagte sie: »Und ich hatte so sehr gehofft, daß wir rechtzeitig da sein würden!« Baxters Gehirn arbeitete auf Volltouren. Er überlegte, was zu tun war. Langsam glitten seine Fingerspitzen über die Haut Viola Oggis. Zum Schluß berührten sie das Gesicht. Kaum hatte Baxter die Augen abgetastet, da spürte er ein Zucken in den Fingern. Die Augen Violas hatten sich geringfügig bewegt. Joe Baxters Gesicht erhellte sich. Und sofort fiel ihm ein: Natürlich, der rote Schmetterling war die Lösung. Es gab im Leben keine roten Schmetterlinge, nur im Traum. Und da sich das Tier vor seinem Einschlafen zu ihm gesetzt hatte, war es ein Bestandteil des darauffolgenden Traumes, der gleich viermal abrollte. Fazit: Viola Oggi hatte diesen Traum in der Form des roten Schmetterlinges geschickt. Joe Baxter kombinierte, daß es auch Olga hören konnte: »Ich glaube, es gibt für Viola noch eine Chance. Sie ist nicht tot. Sie ist nur nicht fähig zu leben, weil sie unvollkommen ist.« »Unvollkommen?« fragte Olga neugierig. »Natürlich: unvollkommen. Sie wurde vom Schwarzen Mönch in eine Falle gelockt. Es gab für sie keinen Ausweg mehr. Sie war im Sarg festgehalten und eingeschlossen hinter diesen dicken Steinmauern. Da spaltete sie ihre Gedanken und sandte mir Traumimpulse aus dem Kleinhirn. Sie kamen als roter Schmetterling zu mir, jetzt aber sind diese Kleinhirnimpulse nicht wieder in Viola. Ohne Kleinhirnaktivität aber kann sie nicht existieren.« »Was können wir da tun?« wollte Olga Dussowa wissen. Joe Baxter meinte: »Wir geben ihr die Kleingehirn-Aktivitäten wieder zurück.« Triumphierend griff er in sein Sakko und holte sein Taschentuch heraus. Vorsichtig nahm er den toten roten Schmetterling zwischen Zeigefinger und Daumen und hielt ihn über den Kopf von Viola. Da zerfiel der Schmetterling in roten
Staub. Und dieser Staub sank auf Viola Oggis Stirn und verschwand in den Poren. Zugleich entrang sich der Brust der Italienerin ein befreiendes Seufzen. Das Leben hatte in ihren Körper wieder Einzug gehalten. Joe und Olga zogen den Sarg ganz aus dem Schacht und hoben Viola heraus. Sie schoben den leeren Sarg zurück und legten Olga auf den Steinboden. Langsam wurde ihre Haut wieder warm. Joe Baxter massierte sie in rhythmischen Wiederbelebungsbewegungen. Nach zehn Minuten schlug sie die Augen auf. Sie lächelte, als sie Joe Baxter und Olga Dussowa erkannte, und hob wie zum Gruß die Hand. Nach weiteren zehn Minuten intensiver Massage wirkte sie wieder frisch. Sie setzte sich auf und meinte: »Das war knapp, meine Lieben. Ich glaube, ich war schon mehr drüben als auf Erden. Gut, daß mir die Sache mit dem Traum eingefallen ist.« Joe Baxter wollte etwas sagen. Doch alle drei blickten zum Eingang der Gruft. Ein dröhnendes, unwirkliches Lachen klang die Einstiegöffnung herab. Da stand hochgewachsen der Schwarze Mönch und das gesichtslose Ungetüm. Baxter trat einen Schritt nach vorn. Da donnerte ihm eine Stimme entgegen: »Die Mühe um eure Kollegin hättet ihr euch sparen können. Ihr seid in meiner Hand. Ich mag nicht, wenn man mir nachschnüffelt. Ihr werdet jetzt alle drei gemeinsam sterben.« Baxters Stimme überschlug sich, als er schrie: »Wage es ja nicht, dich uns zu nähern …!« »Das tue ich nicht«, krächzte die Stimme. »Ihr werdet in dieser Gruft verenden.« Der Schwarze Mönch trat vom Eingang zur Gruft zurück.
Und mit einem Ruck polterte die schwere Marmorplatte wieder über die Öffnung. Es war stockfinster in der Gruft. Olga flüsterte Joe zu: »Wir schaffen es, wie vorhin …!« Baxter öffnete die Lippen für einen Kommentar. Da vernahm man die Stimme des Schwarzen Mönchs im Raum: »Macht euch keine Hoffnungen. Die Marmorplatte wurde so aufgesetzt, daß sie keine Macht der Welt hinwegheben kann. Euch muß man mit bedeutenden Kräften begegnen.« Die Stimme verebbte. Baxter nützte die Situation, um einen Gedanken nach Paris zu senden: »Guru Jogami, bist du da?« Baxter fühlte die Antwort: »Ich bin für euch noch im Einsatz. Macht euch keine Sorgen. Ihr könnt über unbegrenzte Kraft verfügen. Wofür braucht ihr sie?« Baxter antwortete: »Wir müssen uns entmaterialisieren.« Baxter streckte Arme und Beine und befahl Olga: »Komm her und hilf Viola auf die Füße.« Viola fragte er: »Wirst du genug Energie aufbringen, um eine Entmaterialisierung vorzunehmen? Ich versuche erst gar nicht, die Gruftplatte wegzuheben und wegzudenken. Der Schwarze Mönch hat sicher etwas unternommen, damit uns das nicht gelingt. Also müssen wir uns in unsere Moleküle auflösen und gemeinsam durch die Gruftmauern wandern. Und merkt euch: Bei der Rematerialisierung konzentrieren wir uns auf mein Fremdenzimmer im Gasthof.« Viola nickte. »Ich bin kräftig genug. Und wenn ich es auch nicht wäre: Es muß sein, sonst ist es aus mit uns.« Sie stellten sich in der Gruft im Kreis auf. Sie nahmen einander bei den Händen und hielten sich ganz fest. Auf Baxters Kommando dachten sie jeder nur an sich selbst. Sie konzentrierten sich auf ihre Körperbestandteile. Die Hände gaben die elektrische Kraftanspannung weiter, die Baxter von
Guru Jogami aus Paris empfing. Nach und nach trennte sich jedes Molekühl vom Körper Baxters, Violas und Olgas und wurde durch eiserne Willenskraft in Materie verwandelt. Baxter spürte, wie er selbst leichter wurde, wie sich sein materielles Sein in Nichts auflöste und sich auf die Reise machte. Diesmal war es besonders schwer: Baxter brauchte viel mehr Kraft als sonst, und er spürte, daß es Viola Oggi und Olga Dussowa ebenso ging. Er fühlte genau, woran das lag: Der Schwarze Mönch arbeitete mit seinen Willenskräften gegen die Entmaterialisierung. Doch in Anbetracht von Guru Jogamis Kraftquellen blieb er der schwächere Teil. Der Schwarze Mönch haßte Joe Baxter und seine Assistentinnen von nun an noch mehr. Und er hatte nur einen Willen: die drei auf grausamste Weise zu vernichten. In seinem Zimmer fanden sich Baxton, Olga und Viola wieder und begannen das gewohnte Spiel. Baxter sammelte mit intensiven Gedanken seine Moleküle wieder ein und fügte sie Stück an Stück. Bis er sich endlich wieder als materienhaftes Wesen fühlte. Alles drehte sich um ihn. Dann wurde es schwarz um ihn. Er öffnete die Augen: Da stand er, Hand in Hand mit Olga und Viola. Sie sahen alle drei mächtig hergenommen von diesen überirdischen Transfer aus. Was sie aber zuerst sahen, als sie sich wieder vollkommen menschlich fühlten, ließ sie maßlos erstaunen. Da stand der Polizeichef Roberto Stagnetti in Baxters Zimmer und durchwühlte gerade die Koffer des Hauptkommissars. Als die drei Gestalten wie durch Zauberei plötzlich im Raum standen und ihn anstarrten, fuhr er zornig herum und zischte: »Was machen Sie da? Wie kommen Sie hier herein? Es war doch abgesperrt?« Da lachte Baxter: »Die Frage, was wir hier machen, erscheint
mir außerordentlich seltsam. Schließlich ist das mein Zimmer, das ich für Geld gemietet habe. Vielmehr würde mich interessieren, was Sie hier tun. Und von wegen zugesperrt. Das stört uns nicht. Wir können auch Gruftdeckel entfernen …!« Roberto Stagnetti schluckte und trat einige Schritte zurück. Die drei vom Parapsychologic Department waren ihm nicht recht geheuer. Baxter ging dicht auf ihn zu und sah ihn scharf an: »Ich glaube, es überschreitet die Kompetenzen eines Polizeichefs, daß er das Gepäck eines Kollegen durchwühlt! Wie wollen Sie sich für diesen Vorfall rechtfertigen?« Roberto Stagnetti stotterte verlegen: »Ich hatte den Verdacht, daß Sie gar nicht der erwartete Mann aus Paris sind. Ich dachte eher an Kirchenräuber, weil sie gar so scharf darauf waren, die Kirche und die Gruft zu sehen.« Baxter überging diese Worte, ließ sich in einen Sessel fallen und meinte lakonisch: »Und damit Sie es wissen: Viola Oggi, die Sie hier sehen, wäre um ein Haar in der Gruft gestorben.« »Sie waren in der Gruft?« Roberto Stagnetti faßte es kaum. Die Knie zitterten ihm. Dann flüsterte er: »Hut ab vor dem Parapsychologic Department. Ihr könnt mehr, als ich dachte.« Dann steckte er Joe Baxter die Hand entgegen und meinte: »Ich glaube, wir sollten das Kriegsbeil begraben und nun gemeinsam zu arbeiten beginnen, um die mysteriöse Affäre des Schwarzen Mönches endlich aufklären zu können!« Joe Baxter holte tief Atem und meinte dann ernst: »Fassen Sie es nicht als Überheblichkeit auf, Leutnant. Doch ich brauche für meine Arbeit keine Hilfe. Ein regulärer Polizist könnte bei diesen Ermittlungsverfahren vielleicht sogar störend im Wege stehen. Das Parapsychologic Department hat seine eigenen Methoden: ohne Waffe aber mit dem siebenten Sinn.« Er wandte sich zum Fenster und sprach, ohne den Polizeichef anzusehen: »Außerdem habe ich den Eindruck, daß ganz San
Anario ein schlechtes Gewissen hat. Die Leute wollen etwas verbergen. Sie sind auch nicht anders, lieber Leutnant. Ich weiß nicht recht: Entweder habt Ihr panische Angst vor dem Schwarzen Mönch, oder Ihr seid seine Verbündeten. Ihr habt jahrelang seelenruhig zugesehen, wie er gemordet hat. Daß er es weiterhin tut, werde ich mit meinen Mitarbeiterinnen zu verhindern wissen …!« * Ein kühler Nachtwind fegte über San Anario hinweg. Der Mond ließ das Pfarrhaus grünlich-bleich erscheinen. Die Brandreste des hölzernen Pavillons dahinter wirkten wie schwarze Gespenster. Joe Baxter, Olga Dussowa und Viola Oggi bahnten sich zwischen Disteln und Farnen einen Weg zu dem Pavillon. Dann standen sie inmitten der verkohlten und zum Teil schon vermoderten Balken. Die drei hatten sich durchs Fenster aus ihrem Fremdenzimmer abgeseilt. Niemand sollte etwas von diesem nächtlichen Ausflug erfahren. Baxter entdeckte einen großen Steinquader und setzte sich nieder. Er winkte Olga und Viola herbei. Dann blickte er auf die Uhr und erklärte: »Es ist zehn Minuten vor Mitternacht. Olga, mach dich bereit. Denk an deinen Vorfahren Rasputin. Er konnte sich in Selbsthypnose mehrere Jahrhunderte zurückversetzen und brachte aus dieser Zeit untrügliche Beweise mit. Heute bist du an der Reihe, liebe Olga …!« Olga Dussowa warf ihre schulterlangen, schwarzen Haare stolz zurück und nickte. Sie war bereits auf ihre Mission vorbereitet. Sie streifte ihre Kleidung ab und legte sich auf einen der Holzbalken. Sie hatte die Gegenwart symbolisch abgelegt und mußte nun auch seelisch Abschied davon
nehmen und zurückzuwandern in eine Zeit, in der sie niemals gelebt hatte. Die junge Russin streckte ihren Körper und spürte die Sehnsucht in sich, Jahre zurückzugehen, um mitzuhelfen, ein Rätsel aufzuklären. Baxter stellte sich vor sie und legte ihr seine Hände übers Gesicht. Dann murmelte er monoton: »Am 15. April 1947 starb in diesem Pavillon Pfarrer Vittorio Linno. Lasse die Tage wieder auferstehen und werde eine von jenen Frauen, die damals alles miterlebten. Du mußt erfahren, was damals geschah …« Noch hielt Olga die Augen offen. Sie sah Joe ernst an und fragte: »Soll ich mit dem Pfarrer Kontakt aufnehmen?« Joe nickte: »Du sollst alles tun, um zu erfahren, was an jenem 15. April tatsächlich geschehen ist. Wir brauchen Details für unsere weitere Arbeit.« Jetzt schloß Olga die Augen und war bereit für die Zeitreise. Joe Baxter starrte auf Olgas Stirn und versetzte sie in Hypnose. Er sprach dabei immer wieder von jenem 15. April 1947. Sie nickte zuerst, dann schloß sie ihre Lippen und hielt den Kopf starr. Sie war nicht mehr bei Joe und Viola. Ihr Sein verließ ihren Körper und durcheilte die vergangenen Jahrzehnte. Joe Baxter sprach immer wieder laut und eindringlich das Datum, das er auf Vittorio Linnos Gruftplatte gelesen hatte. Die Zahl prägte sich im Unterbewußtsein in Olgas seelische Existenz ein. Sie wußte, daß sie bei dieser Jahreszahl haltmachen und zu arbeiten beginnen würde. Und dann öffnete sie die Augen. Vor sich sah sie einen riesigen Trichter, in den sie hineinstürzte. Sie schrie auf, erlebte in rasantem Tempo alle erdenklichen Farben und fiel dann erschöpft in eine Tiefe, die nie ein Ende zu haben schien. Irgendwo zwitscherten Vögel, sangen Frauen und bellten Hunde.
Dann ein Aufschrei aus zahllosen Kehlen. Olga fühlte sich jünger, aber ihr Kopf schmerzte so, als hätte ihr jemand mit einem harten Gegenstand einen Schlag versetzt. * Erschrocken riß Olga Dussowa die Augen auf und blickte um sich. Es war Nacht. Sie stand auf dem Dorfplatz vor dem hölzernen Pavillon hinter dem Pfarrhaus. Der Pavillon sah mit seinen holzgeschnitzten Dachfirsten und den niedrigen Fenstern prächtig aus. Im Inneren brannte das Licht einer Öllampe. Olga stand inmitten einer Menge von Frauen und Männern. Ihr Kopf schmerzte entsetzlich. Sie griff sich mit der Hand ins Haar und blickte entsetzt auf ihre Finger. Sie waren blutbesudelt. »Ihr dreckigen Schweine!« schrie Olga und wußte, daß sie gar nicht mehr Olga war, sondern ein schwarzhaariges Mädchen von San Anario im Jahre 1947. Sie ärgerte sich, weil ihr jemand versehentlich einen Stein an den Kopf geworfen hatte. Innerlich aber war sie auch böse, weil die Leute unentwegt Steine aufhoben und in den Pavillon des Pfarrers warfen. Olga liebte den Pfarrer. Sie verehrte ihn seit ihrer frühesten Kindheit. Und sie litt darunter, wie die Bevölkerung des Dorfes ihn seit Wochen mit Haß und Verleumdungen verfolgte. Jetzt stand sie inmitten einer erbosten Menge und wartete darauf, was wohl geschehen würde. Einer der Bauern trat vor. »Komm heraus, Pfarrer Linno, wenn du Mut hast. In unseren Augen bist du ein Verbrecher. Wenn dich die Kirche nicht verurteilt und wenn die Polizei Angst vor dir hat – wir fürchten uns nicht. Wir werden dir deine gerechte Strafe zuteil werden lassen.«
Der Pfarrer kam ans Fenster. Er mußte sich aber sofort wieder verstecken, denn ein Steinhagel regnete in den Pavillon. Jetzt trat ein weißhaariger alter Hirte hervor und schrie: »Pfarrer Linno! Sei ein Mann! Stelle dich den Bürgern von San Anario zu einem Volksgericht. Auch ein Pfarrer muß büßen, wenn er gefehlt hat. Und du hast über alle Maßen gefehlt!« Ein Raunen ging durch die Menge. Dann erschien der Pfarrer am Fenster des Pavillons. Hochaufgerichtet stand er da. Olga glühte vor Erregung. Sie dachte: Jetzt wird er Ihnen in einer flammenden Rede seine Unschuld beweisen. Sie werden sich entschuldigen müssen und mit gesenkten Häuptern weggehen. Aber der Pfarrer sagte nichts. Er wartete nur, bis es in der Menge ruhig wurde, und dann rief er: »Geht nach Hause und redet keinen Unsinn!« Nach diesen Worten ging er wieder ins Innere des Raumes. Jetzt schrien die Frauen und Männer böse und warfen neuerlich Steine. Wieder trat einer der alten Männer zur Anklage vor: »Pfarrer Linno! Du bist vor unseren Augen vom rechten Weg abgekommen und hast die Frechheit, weiter als unser Pfarrer zu fungieren.« Dann schrien alle Anwesenden, wie im Chor: »Du hast Mariella Farfisa geschändet und den Bankdirektor Enrico Londola bestohlen! Du hast deine Haushälterin halbtot geschlagen und die wertvolle Monstranz von San Anario verkauft! Du bist in unseren Augen ein Verbrecher …!« Eine Frau mit wild zerzausten Haaren hatte eine Fackel in der Hand und holte mit raschem Griff aus, um das brennende Holz in den Pavillon zu werfen. »Nein, nein! Tun Sie es nicht!« bettelte Olga schluchzend. »Laßt mich zu ihm gehen. Vielleicht bereut er zutiefst oder er
kann seine Unschuld beweisen.« »Bleib da«, herrschte ein Bauer das schwarzhaarige Mädchen an. »Er wird dich schlagen oder töten, wie er es auch mit anderen von uns getan hat. Er verdient kein Mitleid. Er ist kein Pfarrer, sondern ein Teufel.« Olga schrie verzweifelt auf und stolperte zum Haus. Man warf ihr Steine nach und bespuckte sie. Doch sie nahm alles hin, weil sie hoffte, daß sie die Unschuld des Pfarrers beweisen könne. Endlich hatte sie die Tür zum Pavillon erreicht. Sie klopfte. Niemand öffnete. Darauf drückte sie die Klinke herab und taumelte halb ohnmächtig vor Angst in den Raum. Mit letzter Kraft warf sie die Tür zu. Sie fiel vor dem Pfarrer in die Knie und weinte: »Beweisen Sie denen da draußen Ihre Unschuld. Man wird Ihnen glauben müssen. Ich weiß ganz genau, daß Sie unschuldig sind. Aber tun Sie doch etwas. Lassen Sie die schreienden Menschen da draußen nicht noch mehr in Zorn geraten.« Olga blickte zum Pfarrer auf und erschrak. Es war ihr, als wäre er nicht mehr der Pfarrer, den sie noch vor ein paar Wochen bei der Messe beobachtet hatte. Seine Augen, die immer so gütig waren, blickten sie kalt an. Er wirkte so fremd, so unmenschlich. Wie er so dastand, sah er tatsächlich einem Verbrecher ähnlich. Doch Olga wollte das nicht wahrhaben. Sie murmelte vor sich hin: »Die anderen haben einen verbitterten bösen Mann aus Ihnen gemacht. Aber es wird wieder alles gut.« Plötzlich stand der Pfarrer dicht vor ihr. Olga sah ihm in die Augen. Immer wieder überfielen sie die Gedanken: Er ist es, natürlich! Und doch sieht er aus wie ein anderer. Der Pfarrer faßte nach dem Mädchen und zerrte es hoch. »Ich weiß, daß die da draußen mich lynchen wollen. Aber sie werden es nicht wagen, Hand an einen Priester zu legen. Du
wirst mir helfen, die Stunden gut zu überstehen.« Olga nickte: »Ich werde alles tun, wenn ich Ihnen damit helfen kann!« Da zerrte er sie an sich heran und wollte sie küssen. Sie riß sich los: »Ist der Teufel in Sie gefahren, daß Sie sich so benehmen? Ich habe an Ihre Unschuld geglaubt. Es fällt mir plötzlich schwer.« »Halt deinen Mund«, brüllte der Pfarrer, langte mit seinen Fingern nach ihrem Hals und drückte brutal zu. Olga hatte das Gefühl, daß sie durch die Hände dieses Mannes sterben müßte. Plötzlich blitzte ein Licht im Raum auf. Eine brennende Fackel kam durchs Fenster geflogen und traf direkt den Pfarrer. Er schrie auf und ließ den Hals des Mädchens los. Olga nützte die Situation aus und hastete zur Tür. Sie flüchtete ins Freie und sank draußen hinter einem Gebüsch ins Gras. Außer Atem beobachtete sie die grausige Szene, die sich vor ihren Augen abspielte. Die Bauern hatten den Pavillon bereits völlig umstellt. Nun warf einer nach dem anderen eine Fackel in das Haus. Das Holzhaus war äußerst trocken und fing sofort Feuer. Binnen weniger Sekunden loderten die Flammen in die Höhe. Aus dem Pavillon gellten Schreie. Mit letzter Kraft bäumte sich der Pfarrer vor einem Fenster auf und hob beide Hände. »Löscht den Pavillon. Rettet mich! Ich verbrenne!« Ein letzter Schrei war über den Dorfplatz zu vernehmen. Es roch plötzlich nach verbranntem Menschenfleisch. Noch ein letztes Mal versuchte sich der Sterbende aufzurichten. Man sah seine Hände auf dem Fensterbrett. Doch die Kräfte verließen ihn völlig. Er brachte nur noch ein paar Worte hervor: »Ich werde wiederkommen und jeden töten, der sich mir nähert …!« Nurmehr das Prasseln der Flammen war anschließend zu
hören. Der Pavillon fiel in sich zusammen und wurde für den Pfarrer zum Grab. Die Männer und Frauen standen zufrieden herum und sahen dem Geschehen zu. Einer der Bauern raunte seinem Nachbarn zu: »Er hat seine gerechte Strafe empfangen.« »Ihr seid ganz gemeine Mörder«, rief Olga und richtete ihren von Brandwunden übersäten Körper auf. Sie zeigte auf die Dorfbewohner und flüsterte: »Ihr alle seid zu Mördern geworden, denn er war unschuldig. Er kann gar nicht schuldig gewesen sein. Dazu war er all die Jahre ein zu herzensguter Mensch …!« Sie schleppte sich nach Hause, warf sich aufs Bett und betete für den toten Pfarrer. Sie spürte nicht mehr die Brandwunden am Körper. * Lautes heftiges Schluchzen erschütterte ihren Körper. Die Finger verkrallten sich in den verkohlten Holzbalken. »Olga! So beruhige dich doch!« Baxter legte seine Hände auf ihr Gesicht und versuchte sie zu beruhigen. Jetzt schlug Olga die Augen auf. Im ersten Moment fand sie sich nur schwer zurecht. Erstaunt schaute sie sich um. Dann fiel ihr ein: Sie hatte das böse Erlebnis des 15. April 1947 hinter sich. Etwa zehn Minuten lag sie da. Schweiß trat aus ihren Poren. Ihr Körper mußte sich erholen. Endlich öffnete sie ihre Lippen. »Ich kann euch nur sagen: Das war furchtbar. Ich war Augenzeugin dieser Selbstjustiz. Die haben damals den Pfarrer tatsächlich in dem Pavillon bei lebendigem Leib verbrannt.« Joe Baxter erkundigte sich: »Und was hattest du von dem Pfarrer für einen Eindruck.«
»Ehrlich gesagt: Er muß ein wunderbarer Mann gewesen sein, denn ich war von ihm tief beeindruckt. Doch als er dann vor mir stand, da war meine ganze Verehrung weg. Ich hatte das Gefühl, als wäre er plötzlich nicht mehr er selbst.« Baxter murmelte: »Wäre ja nicht das erste Mal, daß Dämonen von einem Menschen Besitz ergriffen haben. Vielleicht wurde auch der Pfarrer von Dämonen heimgesucht …!« Viola mengte sich in das Gespräch: »Wie aber reimt sich das damit zusammen, daß uns Madame Therese Duvaleux mitteilt, der Pfarrer Vittorio Linno bewege sich im Nirwana?« Olga sprudelte nur so hervor: »Dann also war er wirklich unschuldig, wie ich es immer wieder gesagt habe. Die Verbrechen, die man ihm vorwarf, hat er nicht begangen …!« Jetzt schaltete sich wieder Joe ein: »Also los, Olga! Was warf denn die Bevölkerung dem Pfarrer nach so vielen Jahren vor?« Olga nickte und erinnerte sich an das Jahr 1947 und erklärte leise: »Es ist das Register eines Kapitalverbrechers.« »Also, sag schon …!« Olga räusperte sich und zählte alles auf: »Die Leute schrien, er habe eine Frau namens Mariella Farfisa geschändet. Außerdem soll er einen Bankdirektor namens Enrico Londola bestohlen haben. Seine Haushälterin erhielt von ihm Prügel, daß sie fast starb. Und eines Tages verschwand die wertvolle Monstranz von San Anario. Sie sagten alle, daß er sie verkauft hätte …!« Joe klatschte in die Hände: »Donnerwetter, das ist nicht wenig, was der Pfarrer getan haben soll …!« Olga kleidete sich an und murmelte: »Ich weiß es ganz sicher: Er war es nicht.« Joe setzte sich zu ihr: »Du hast gute Arbeit geleistet, Olga. Wir gehen jetzt nach Hause und schlafen uns aus. Morgen gehen wir an die Arbeit.« Erstaunt fragte Viola: »Also, ich hab keine Anhaltspunkte für
weitere Recherchen entdeckt. Was können wir denn jetzt tun?« Baxter strafte Viola mit einem Blick: »Anfängerin! Olga hat uns die angeblichen Verbrechen von Vittorio Linno aus dem Jahr 1947 verraten. Niemand im Ort wollte uns davon erzählen. Wir nehmen uns jetzt die Betroffenen vor und befragen sie. Die müssen ja irgendwie Stellung nehmen. Ehe wir den Geist des Schwarzen Mönchs befreien und dem Morden ein Ende bereiten, müssen wir genau wissen, wie die Verbrechen, die man dem Pfarrer zur Last legte, geschehen sind und wer als Täter in Frage kommen könnte.« Langsam setzten sie sich zu Fuß zu ihrer Fremdenpension in Bewegung. Niemand in San Anario hatte sie beobachtet, als sie dem abgebrannten Pavillon einen Besuch abstatteten. Olga verabschiedete sich gleich. Sie sah sehr müde und angegriffen aus. Sie begab sich in ihr Zimmer, um dort ein wenig zu schlafen. Joe meinte zu ihr: »Wenn ich mit Viola Leute befragen gehe, dann bleib du im Hotel und ruh dich aus …!« Olga schüttelte den Kopf: »Nein, ich gehe morgen auf jeden Fall mit euch. Ich habe einen ganz bestimmten Plan. Ich wäre beinahe von dem angeblichen Pfarrer gewaltsam zu Zärtlichkeiten gezwungen worden. In diesem Augenblick entdeckte ich etwas, was vielleicht den Fall klären könnte …!« »Was war das, was du da entdeckt hast?« »Ich kann es noch nicht sagen. Aber, bitte, laßt mich mit Mariella Farfisa sprechen, die von ihm angeblich geschändet worden sein soll …« * »Was wollen Sie von mir?« Die vollschlanke Frau mit den ungepflegten langen Haaren sagte es ausgesprochen unfreundlich und sah Olga Dussowa
dabei nicht viel freundlicher an. »Warum kommen Sie und fordern Einlaß?« Olga erklärte freundlich: »Ich bin Mitarbeiterin einer Polizeitruppe auf internationaler und parapsychologischer Basis. Wir sollen hier in San Anario das Rätsel des Schwarzen Mönchs klären. Ich helfe mit, die Verbrechen zu untersuchen, die damals Vittorio Linno zur Last gelegt wurden …« Die Italienerin seufzte und ließ Olga ein. »Ach, diese uralte Geschichte. Warum gehen Sie nicht zu jemand anderem in San Anario? Ich habe doch damit nichts zutun …« Olga betrat die bescheidene Wohnstube, sah die Frau lange an und meinte: »Das verstehe ich nicht. Ich dachte, Sie waren ein Opfer von Vittorio Linno. Ich habe gehört, Sie wurden im Jahre 1947 von ihm Ihrer Unschuld beraubt.« Die Italienerin lief rot bis hinter die Ohren an. »Wer hat Ihnen das erzählt? Sie sind doch fremd hier. Sie können das doch gar nicht wissen. Wir haben unter uns ausgemacht, daß keiner einem Außenstehenden etwas erzählt.« Olga lachte gequält: »Das haben wir bemerkt, als wir hierher kamen. Doch wir haben es auf einem besonderen Weg erfahren.« Die Italienerin setzte sich nieder, stützte den Kopf auf beide Hände und begann leise: »Vielleicht ist es gut, daß Sie alles wissen. Vielleicht habe ich darauf gewartet, mich mit einer Frau darüber aussprechen zu können. Ich wurde hier in San Anario geboren und war die Tochter des Lehrers. Wir wohnten direkt neben dem Pfarrhof.« Sie sah Olga hilfesuchend an: »Sind Sie religiös?« Olga nickte. »Dann werden Sie mein Dilemma verstehen. Ich kann heute noch manche Nächte nicht schlafen, weil ich die Geschehnisse von damals nicht verstehe.« Olga setzte sich zu Mariella Farfisa: »Erzählen Sie allles von
Anfang an.« Langsam sagte die Italienerin: »Jahrelang war er für uns alle der beste Mensch der Welt. Er tat nur Gutes und konnte keiner Fliege etwas zuleide tun.« Sie hielt inne und holte tief Luft, ehe sie weiterberichtete: »Einmal in der Woche kam der Pfarrer bei meinem Vater vorbei, besprach mit ihm schulische Angelegenheiten und brachte mir Süßigkeiten, die er in Popoli eingekauft hatte. Ich freute mich riesig darüber. Er behielt diese Gewohnheit auch bei, als ich schon sechzehn Jahre alt war.« »Du mußt ein schönes Mädchen gewesen sein«, stellte Olga fest und sah an Mariella herab. »Die Leute sagten das allgemein. Manche Männer riefen mir auch Bemerkungen nach.« »Und der Pfarrer?« »Der war immer über solche Dinge erhaben. Er benahm sich nett und vorbildlich mir gegenüber. Bis an jenem Wintertag, an dem mein Vater in der Schule eine Besprechung hatte. Mutter lag krank im Bett. Ich las im Wohnzimmer ein Buch. Da läutete es an der Tür. Es war der Pfarrer. Im ersten Moment wirkte er wie immer. Doch schon nach wenigen Minuten erkannte ich, daß er sich sehr verändert hatte. Seine Bewegungen waren hektisch, er näherte sich mir und machte Bemerkungen, die mich aus dem Gleichgewicht brachten. So hatte ich den Pfarrer noch nie reden hören. Immer wieder starrte ich ihn an. Doch es gab keinen Zweifel: Er stand wirklich vor mir.« Sie erhob sich und ging nervös im Raum auf und ab. Der Bericht ging ihr heute noch unter die Haut. »Plötzlich stand er hinter mir und faßte mich an. Ich wollte mich losreißen. Er aber lachte nur. Seine Hände umklammerten mich wie Eisenspangen. Dann zerrte er mich in das Schlafzimmer. Dort hat er mich vergewaltigt.« Sie begann zu weinen, als ob alles erst kurz vorher geschehen
wäre. Olga trat zu ihr und strich ihr mit den Händen zart über den Kopf: »Beruhigen Sie sich …!« Sie nickte und fuhr fort: »Er benahm sich wie ein Tier, dann ließ er mich liegen und ging. Vorher sagte er, ich dürfe niemandem etwas davon erzählen. Doch meine Mutter hatte vom Krankenbett aus einiges mitbekommen. So wußte bald jeder im Dorf, was geschehen war.« »Was ich Sie jetzt frage, Mariella, ist von besonderer Bedeutung: War der Unhold, der zu Ihnen kam, tatsächlich der Pfarrer, den sie einst so verehrt hatten?« Sie sah aus verweinten Augen auf: »Ich wollte, daß er es nicht gewesen wäre. Doch ich habe ihm ins Gesicht gesehen: Kein anderer kann so aussehen wie Vittorio Linno.« Sie faltete die Hände. Plötzlich richtete sie ihren Kopf hoch und starrte zur Zimmertür. Ihre Augen wurden immer größer. Sie deutete vor sich hin und keuchte: »Um alles in der Welt, da, da! Er ist gekommen! Was will er von mir?« Olga Dussowa blickte zur Tür. Sie knarrte in den Angeln. Doch niemand war zu sehen. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen!«, sagte Olga. Mariella Farfisa kreischte entsetzt: »Da, sehen Sie ihn nicht? Er ist gekommen: der Schwarze Mönch von San Anario.« Sie sprang auf und rannte in die hinterste Ecke des Zimmers. Sie zitterte am ganzen Körper. »Gnade, Gnade, Schwarzer Mönch: Du hast mir schon einmal Böses angetan. Tu's nicht wieder. Ich habe deinetwegen genug durchgestanden in meinem Leben. Bitte, geh!« Olga sah noch immer nichts. Sie eilte auf Mariella zu, faßte sie an und meinte: »Es ist doch niemand hier.« Da erhielt Olga einen jähen Stoß, daß sie zur Seite flog und hart auf dem Boden aufprallte. Ganz benommen vom Sturz
konzentrierte Olga alle ihre Kräfte: Und da erkannte auch sie die Gestalt: Dicht vor Mariella stand hochaufgerichtet der Geist in der Kutte. Er hatte Olga zur Seite gestoßen. Olga erhob sich. Sie sah den Schwarzen Mönch nicht mehr. Aber Mariella glaubte ihn noch vor sich. Näher und näher kam er. Die Italienerin griff sich kreischend an den Hals. Sie wurde von unsichtbaren Händen gewürgt. Sie wollte etwas rufen. Aber es gelang ihr nicht mehr. Ihre Augen traten hervor und ihr Körper fiel schlaff zu Boden. Ein Windstoß zog durch den Raum. Die Tür fiel ins Schloß und Olga spürte, daß kein fremdes Wesen mehr im Raum war. Sie stürzte zu Mariella: Die Italienerin lag mit weit geöffneten Augen da und hatte ihre starren Hände abwehrend von sich gestreckt. Olga drückte der Frau die Augen zu. Erwürgt. * Direktor Enrico Londola, ein weißhaariger Mann mit wachen Augen, saß inmitten seines komfortablen Büros im zweiten Stock der Sestella-Bank in Popoli auf dem Drehsessel und rauchte vergnügt seine Zigarre. Joe Baxter war von San Anario mit seinem Dienstwagen hierher gefahren, um mit dem Mann sprechen zu können. Enrico Londola blies den Rauch der Zigarre vor sich her, lehnte sich zurück und fragte: »Und Sie glauben, daß ein Zusammenhang zwischen dem Schwarzen Mönch und dem Tod des Pfarrers Vittorio Linno besteht?« »Diese Verbindung ist so gut wie sicher. Es gibt dabei nur sehr viele Ungereimtheiten, die wir unbedingt noch klären müssen!« konterte Joe Baxter und kam damit zum eigentlichen
Grund seines Besuches. »Verehrter Direktor Londola. Auch Sie hatten ja, soviel ich gehört habe, mit dem Pfarrer von San Anario ein ungewöhnliches Erlebnis.« Der Bankdirektor nickte: »Das war wirklich ganz eigenartig. Ich kannte den geistlichen Herren sehr gut, weil ich ein Sommerhaus in San Anario besitze. Oft saß ich mit ihm beim Wein zusammen und führte interessante Gespräche mit ihm. Er kam gern, aber eines Tages sagte er ab. Unsere regelmäßigen Wochenendtreffen fielen damit ins Wasser.« »Gab der Pfarrer irgendeine Begründung dafür an?« »Nicht im geringsten. Er war, wenn wir uns auf dem Dorfplatz oder in der Kirche trafen, etwas kühler als früher. Ich dachte jedesmal, wenn ich ihn sah nach, ob ich wohl etwas Falsches gesagt haben könnte.« Direktor Londola drückte seine Zigarre im Aschenbecher aus, sah zur Zimmerdecke und erinnerte sich: »Und dann stand er eines Morgens hier im Zimmer. Ich war sehr erstaunt und begrüßte ihn neugierig. Er erzählte mir, daß er einen Kredit aufnehmen müßte, um die Kirche zu restaurieren. Aber ich hatte den Eindruck, es sei ihm gar nicht ernst damit. Er kam mir überhaupt ganz anders vor. Wir verabschiedeten uns nach etwa einer Stunde.« »Und was geschah dann?« »Als er weg war, bemerkte ich, daß die beiden Banknotenpäckchen von meinem Schreibtisch verschwunden waren. Ich wollte zuerst nicht glauben, daß er sie mitgenommen haben könnte. Aber wir sind sehr korrekt in unserer Bank. Wir haben alle Möglichkeiten überprüft. Es blieb nur eine übrig: Vittorio Linno mußte das Geld gestohlen haben. Ich sandte ihm sofort einen meiner verläßlichsten Beamten im Wagen nach San Anario nach. Der machte den Pfarrer überaus höflich und diplomatisch darauf aufmerksam, daß er wohl aus
Versehen Geld mitgenommen habe. Aber Vittorio Linno wurde böse und drohte mit dem Gericht. Ich verständigte daraufhin die Polizei. Aber bei den ersten Vernehmungen bemerkte ich schon, daß man es für unmöglich hielt, daß ein Geistlicher Geld stiehlt.« Joe Baxter fragte: »War es Ihrer Meinung nach tatsächlich Vittorio Linno, der die Tat begangen hat?« »Natürlich, da gibt es keinen Zweifel …!« erklärte der Bankdirektor. Baxter verabschiedete sich von ihm und dankte ihm für die Auskunft. Der Direktor brachte ihn zur Tür seines Bürozimmers. Baxter verneigte sich und eilte zum Lift. Als er diesen besteigen wollte, ertönte ein Schrei und ein Stöhnen aus dem Zimmer des Direktors. Dann hörte man einen Hilferuf und einen dumpfen Fall. Baxter ahnte Böses. Er wandte sich um und rannte in das Büro. Es sah darin furchtbar aus. Der Schreibtisch war umgestoßen. Die Aktenordner lagen verstreut auf dem Teppich. Und inmitten der Unordnung lag Direktor Enrico Londola. Jemand hatte ihn erwürgt. Durch sein weißes Hemd sickerte Blut. Joe Baxter riß den Stoff auseinander. Unter dem Brustbein quoll frisches Blut aus einer Schnittwunde … * Die Tochter der verstorbenen Pfarrersköchin sandte einen Fluch zum Himmel und gestikulierte mit den Armen in der Luft: »Warum stört man mich schon wieder? Was wollen Sie? Da war doch erst vor drei Tagen eine dunkelhaarige junge Frau da, die mich nach dem Pfarrer fragte …!« Viola Oggi lächelte: »Ja, das war meine Kollegin. Wir sind beide von der Interpol.«
»Ich habe nichts verbrochen. Bei mir hat die Polizei nichts zu suchen.« Sie wollte Viola gerade die Türe vor der Nase wieder zuwerfen, als Viola den Fuß geschickt zwischen Türe und Türrahmen stellte. »Ich will Ihnen doch nichts Böses, liebe Frau. Ich brauche eine Auskunft. Vielleicht helfen Sie durch Ihre Aussage mit, daß wir dem Spuk mit dem Schwarzen Mönch ein Ende bereiten können.« Die Verwalterin des Pfarrhauses ließ sich überreden. Sie öffnete die Tür. Viola wehrte mit den Händen ab: »Ich will gar nicht in die Wohnung. Ich nehme Ihre Zeit nur ganz kurz in Anspruch.« »Was wollen Sie wissen?« fragte die Frau mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ihre Mutter war doch die Haushälterin und Köchin des Pfarrers Vittorio Linno?« »Ja, und?« »Sie hat Ihnen doch sicher oft von dem Pfarrer erzählt?« »Natürlich. Er war ein wunderbarer Mensch. Bis er sich dann so veränderte.« Viola Oggi nickte: »Ja, ich habe gehört, er hätte Ihre Mutter so geschlagen, daß er sie beinahe umgebracht hätte?« Zornig blickte die Haushälterin auf: »Das wissen Sie auch schon? Na, dann brauche ich ja auch nicht mehr zu schweigen. Wenn die anderen nicht dicht halten können.« Sie ließ sich auf eine Holzbank nieder und berichtete: »Als mein Vater starb, zog meine Mutter mit mir in die Pfarrei. Sie verdiente hier gut. Pfarrer Linno war ein Engel. Eines Tages aber spielten sich in seinem Haus rätselhafte Dinge ab. Nachts empfing er plötzlich in seinem Zimmer Besuch.« »Wer kam zu ihm?« »Das weiß ich bis heute nicht. Mutter sagte nur, er wäre so vorsichtig, daß niemand diesen Besuch zu Gesicht bekommen
sollte. Jedenfalls dauerte das viele Tage. Plötzlich war dann der Pfarrer wie verhext. Er drangsalierte meine Mutter und mich. Und als sie eines Abend, ohne ihn zu fragen, alte Wäschestücke vom Dachboden holen wollte, da wurde er rabiat. Er schlug meine Mutter zum ersten Mal. Und dann kam der Tag, als sie in den Keller wollte, um dort sauber zu machen. Er wollte es ihr verbieten. Sie wurde böse, weil sie sich wie eine Sklavin tyrannisiert fühlte. Da hieb er mit solcher Wucht auf sie ein, daß sie schwer verletzt liegenblieb. Ich hatte dem Mann nie zuvor solche Kräfte zugetraut.« Viola fragte lauernd: »Ja, war er es denn wirklich, der sich plötzlich so benahm?« Die Tochter der Pfarrersköchin warf ein: »Er sah genauso aus. Aber ich habe da in mir einen Verdacht. Ich habe bisher nie darüber geredet.« Neugierig fragte Viola Oggi: »Was ist das für ein Verdacht?« Die Frau neigte sich vor, um zu reden. Doch sie kam nicht dazu. Ein jäher Wind riß das Fenster hinter ihr auf. Sie erschrak und fuhr herum. Dann kreischte sie entsetzt auf: »Himmel, nein, nur das nicht! Bitte nicht!« Sie rang mit einem unsichtbaren Wesen. Sie keuchte und wurde langsam gegen die Wand gedrängt. Viola Oggi griff nach ihr. Da erhielt sie einen Schlag ins Gesicht und stürzte gegen den Tisch. Für Sekunden war sie benommen. Als sie wieder klar denken konnte, lag die Italienerin zu ihren Füßen. Erwürgt, mit einer klaffenden Messerwunde in der Brust … * »Verdammt noch mal! Sie machen alles noch viel Schlimmer! Seit Sie in San Anario angekommen sind, gibt es nur noch mehr Tote. Ich werde Gott auf den Knien danken, wenn Sie mit Ihren
Damen unser Dorf verlassen …!« Dem Bürgermeister standen die Schweißtropfen auf der Stirn. Er stand inmitten seiner Amtsstube und redete auf Joe Baxter ein. Der aber ließ sich von seiner eigentlichen Aufgabe nicht abbringen. »Also, in Gottes Namen, damit Sie Ruhe geben«, seufzte der Bürgermeister und setzte dann warnend hinzu: »Aber unter einer Bedingung: Alles, was geschieht, geht auf Ihre Verantwortung. Ich lasse mir nachher nichts in die Schuhe schieben.« Er deutete zum Fenster. Baxter trat hinzu. Sie blickten hinaus. Vor ihnen lag der steile Hügel mit der wunderbaren Kirche von San Anario. Eben kletterte ein kleiner, zierlicher Mann mit schwarzem Spitzbart den schmalen, steinigen Weg empor. Neben ihm lief ein Esel mit einem großen Ledersack her. »Wer ist dieser seltsame Mann?«, fragte Joe Baxter. Der Bürgermeister murmelte: »Das ist Francisco Sella. Er kommt alle zwei Wochen zu uns und putzt und pflegt die Kostbarkeiten in unserer Kirche. Er ist Schmuckhersteller in Popoli.« Baxter wollte wissen: »Was hat er mit der Geschichte zu tun?« Ottavio Falanga sagte es ihm: »Ihm verkaufte der Pfarrer die wertvolle Monstranz …!« * Das kleine Männchen, das um die 60 Jahre alt sein mochte, stand vor dem Altar der Kirche und putzte mit einem Tuch die Kerzenleuchter. »Signor Sella, guten Tag!« Joe Baxter stellte sich an seine Seite und verneigte sich. Francisco Sella zuckte erschrocken zusammen. Er musterte
den Hauptkommissar: »Woher kennen Sie mich? Was wollen Sie von mir?« Baxter lächelte: »Der Bürgermeister hat mir gesagt, wer Sie sind. Ich brauche Ihre Hilfe. Ich bin Beamter des Parapsychologic Department. Ich möchte dem Schwarzen Mönch den Garaus machen.« Erschrocken blickte Francisco Sella auf: »Da kann ich nichts dazu beitragen. Ich bin jedesmal froh, wenn ich heil aus der Kirche komme.« Baxter trat ganz nahe an ihn heran: »Signor Sella, wie kam es, daß der seinerzeitige Pfarrer von San Anario Ihnen die goldene Monstranz der Kirche zum Verkauf anbot?« Sella begann zu stottern: »Ja, das war eine sehr sonderbare Geschichte. Ich kannte den Pfarrer sehr gut. Er unterhielt sich immer lange mit mir, wenn ich hierherkam, um die Kostbarkeiten zu putzen. Eines Tages aber suchte er mich in Popoli in meinem Laden auf. Ich staunte über sein Erscheinen. Noch mehr aber staunte ich, als er die Monstranz hervorzog und erklärte, daß ich ihm Geld dafür geben sollte.« Baxter fragte streng: »Wie konnten Sie dieses Kirchengut annehmen?« »Ich wußte ja nicht, daß es unrechtmäßig aus dem Dorf geschafft war. Signor Linno schwor mir, daß er dies im Einverständnis mit der gesamten Bevölkerung tue, weil das Dach der Kirche repariert werden müsse, aber kein Geld dafür vorhanden sei. Also nahm ich die Monstranz an.« »Fiel Ihnen dabei etwas Besonderes am Pfarrer auf?« »Das schon. Er wirkte so anders als sonst: hastig und arrogant. Ich dachte mir: Der hat sich aber verändert.« »Aber es war nicht vielleicht ein anderer, der zu Ihnen kam?« Francisco Sella wehrte mit den Händen ab: »Nein, nein, das hätte ich doch bemerkt. Ich kannte Vittorio Linno schon sehr lange. Es gibt keinen Zweifel, er war es, wenn es auch keiner
von uns wahrhaben wollte. Ich habe mir schon oft gedacht: Vielleicht litt er unter einer fortschreitenden geistigen Umnachtung, die ganz plötzlich durchgebrochen ist.« Kaum hatte der Mann die letzten Worte ausgesprochen, da brauste ein Wirbelwind durch das Kirchenschiff und gegen die Fenster. Ein Pfeifton echote gegen den Altar. Und dann waren da schlurfende Schritte zu vernehmen, die unabänderlich näher kamen. Joe Baxter und Francisco Sella standen da, sagten nichts und warteten ab. Die Schritte kamen näher. Sie hielten dicht vor Sella. Baxter wollte etwas sagen. Ein Schrei erfüllte die Kirche. Vor Ihnen stand der Schwarze Mönch und hob die Hände. Eine Stimme, die aus der Kapuze der Kutte kam, war deutlich zu hören: »Ihr laßt mir keine Ruhe. Ich hasse euch. Niemals wird es euch gelingen, den Schwarzen Mönch von San Anario zu vertreiben. Eher werdet Ihr alle sterben müssen, denn ich brauche viele Seelen, damit ich meine Ruhe finden kann!« Ehe das letzte Wort aus der Kapuze gesprochen war, griffen die Totenhände blitzschnell zu und umkrallten den Hals des erschrockenen Francisco Sella. Er stöhnte auf. Joe Baxter erfaßte die Situation. Er wußte, daß Sella in Todesgefahr war. Es kam auf den Versuch an, diesem Schicksal zu entrinnen. »Das Kreuz am Altar!«, schrie Baxter und deutete auf das silberne Kreuz, das Sella vorhin geputzt und beiseite gestellt hatte. Der kleine, alte Mann schaltete schnell. Mit letzter Kraft faßte er nach dem Kreuz und umklammerte es verzweifelt. Damit rettete er sein Leben. Die Hände des Schwarzen Mönchs, die um den Hals des Antiquitätenhändlers gelegt waren, zitterten mächtig. Der
Gestalt entrang sich ein Schrei. Für Sekunden erzitterte der Boden der Kirche, daraufhin wurde die Gestalt des Schwarzen Mönchs allmählich in Nichts aufgelöst. Verängstigt stand Francisco Sella da und hielt das Kreuz, küßte es und wagte es nicht, es aus der Hand zu geben. Er setzte sich auf die Stufe vor dem Altar und flüsterte zu Baxter: »Ich habe Ihrer Geistesgegenwart mein Leben zu verdanken.« Baxter fügte hinzu: »Und ich bin um eine Erfahrung reicher geworden …« »Und die wäre?« »Der Schwarze Mönch ist ein Wesen, das auf Seiten des Teufels und der bösen Dämonen steht. Vielleicht handelt es sich sogar um einen Dämon selbst. Jedenfalls geht in San Anario ein Satan in der Soutane um. Sonst hätte das Kreuz auf ihn nicht so eine vernichtende Wirkung gehabt.« »Soll das bedeuten, daß Pfarrer Linno vor seinem Tod oder nach seinem Tod ins Reich der Dämonen übergelaufen ist und sich nicht mehr zu seiner religiösen Aufgabe bekannte?« Baxter schüttelte den Kopf: »Das ist kaum möglich. Ich schätze vielmehr, daß der Pfarrer von Dämonen bezwungen und von ihnen als Marionette benutzt wurde. Ich werde das letzte Geheimnis von Vittorio Linno schon noch lösen!« »Das kann Sie Ihr Leben kosten«, wandte Francisco Sella ein. Baxter nickte:»Ich weiß …!« * Es hatte geregnet und war kühler geworden. Joe Baxter, Viola Oggi und Olga Dussowa waren die einzigen Besucher des Eissalons »Patazzi« in Popoli. Baxter hatte seine beiden Mitarbeiterinnen zu einer Aussprache nach Popoli geholt, weil es an der Zeit war,
Abstand von San Anario zu gewinnen, um endlich in der Angelegenheit des Schwarzen Mönchs vorwärtszukommen. »Fassen wir zusammen«, begann Baxter und zog über die durchgeführten Recherchen Bilanz. »Wir haben mit Mariella Farfisa gesprochen. Wir haben den Bankdirektor Enrico Londola interviewt. Wir haben die Tochter der mißhandelten Pfarrersköchin aushorchen können und sind mit Francisco Sella ins Gespräch gekommen. Sie alle waren damals vor 1947 unmittelbar von jenen Verbrechen betroffen, die ein Teil der Bevölkerung dem Pfarrer zuschrieb.« Olga mengte sich ein: »Ja, ich finde, es war gut, daß wir mit den Leuten noch reden konnten, bevor sie starben …« Joe warf ein: »Du siehst die Sache falsch. Die Menschen mußten sterben, weil sie uns Einzelheiten verrieten. Sie wurden dem Schwarzen Mönch durch ihre Aussagen gefährlich. Vielleicht wußten sie sogar noch mehr: Doch darüber zu grübeln hat jetzt keinen Sinn mehr. Der einzige, der Glück hatte, ist Sella. Doch er ist nach wie vor in großer Gefahr. Er schwor mir, niemals ohne Kreuz umherzugehen.« Viola stellte dagegen behaglich fest: »Wir wissen, daß tatsächlich der Pfarrer all die Dinge verbrochen hat, über die im Dorf keiner etwas erzählen wollte.« Olga lachte übermütig: »Na also, da sei dir mal nicht so sicher. Unser lieber Joe ist da ganz anderer Meinung.« »Dann schieß los, Joe! Erzähle uns, wie du über den Fall denkst.« »Die Leute geben zwar zu, daß Vittorio Linno die krummen Dinge gedreht hat. Aber sie geben auch zu, daß er ihnen ganz verändert vorkam. Das ist ein wertvoller Anhaltspunkt.« Olga meinte erzürnt: »Solche Unsicherheiten helfen uns aber nicht viel weiter.« Joe erklärte: »Darum bin ich dahintergekommen, daß wir eine große Verpflichtung haben: Wir müssen mit Vitto Linno
selbst sprechen …!« »Wo und wie willst du Kontakt mit ihm aufnehmen? Wir wissen doch nicht genau, wo er ist …!« gab Olga zu bedenken. Joe konterte: »Madame Duvaleux hat uns verraten, daß er mit Sicherheit im Nirwana existiert. Also steht es uns zu, uns dort zu erkundigen. Ich werde ins Nirwana reisen und dort Auskunft einholen.« Viola sah erschrocken drein: »Joe, aber wir waren noch niemals im Nirwana. Dr. Duvaleux hat gesagt, daß dies keinem sterblichen Wesen gelingen kann, selbst wenn es transzendente Macht besitzt.« »Ich muß es riskieren«, seufzte Baxter. »Es ist unsere einzige Chance. Ich muß wissen, was Vittorio Linno zu den Anschuldigungen sagt. Solange wir im Dunkeln tappen, kann ich mir in diesem Fall nicht das Geringste zusammenreimen. In Rom gibt es eine indische Schule. Sie wird von der jungen Thari Kwan geleitet. Sie hat mediale Fähigkeiten und wird mir die Möglichkeit bieten, meine Seele vorübergehend ins Nirwana zu senden.« Olga fragte besorgt: »Was kann dir dabei passieren?« Baxter antwortete nachdenklich: »Wer einen einzigen Fehler auf dem Weg ins Nirwana macht, der wird niemals von seinem rastlosen Dasein erlöst …!« * Monoton klangen die Trommeln durch den Salon in der römischen Altstadt. Ein Neger klopfte den Takt auf das Rhythmusinstrument. Auf den Parkett bewegten sich sieben indische Mädchen mit Hauben und knöchellangen Kleidern im Takt. Sie hatten goldene Metallhülsen auf die Fingerspitzen gesteckt und zeichneten damit Figuren in die Luft.
Sie übten einen Tempeltanz und schienen glückselig dabei zu sein. Abrupt brach die Musik ab. Die Tänzerinnen hielten inne. Thari Kwan erhob sich von einem seidenen Polster in der Mitte des Raumes. Sie trug einen bodenlangen glitzernden Rock und ein besticktes Hemd. Sie kam mit wiegendem Schritt direkt auf Baxter zu, verneigte sich vor ihm und flüsterte: »Mr. Baxter, ich preise mich und den Tag glücklich, weil du zu mir nach Rom gekommen bist, wie du es einmal vor langer Zeit versprochen hast.« Baxter zog das schöne Mädchen mit den Mandelaugen zu sich hoch und küßte es auf die Stirn. Dann bat er: »Ich bin in einer dringenden Mission hier. Ich hätte mir noch gerne viele Stunde die Tänze deiner Mädchen angesehen. Aber die Zeit drängt!« Sie klatschte in die Hände. Die Tänzerinnen verneigten sich zu Baxter hin und verschwanden in tänzelnden Schritten. Thari Kwan nahm Baxter an der Hand und führte ihn in ihr Privatgemach. Dort ließen sie sich nieder. Eine Mulattin brachte dampfenden Tee. »Was führt dich zu mir?«, wollte Thari Kwan wissen. Baxter erzählte ihr alles, was er über seinen neuesten Fall wußte. Und dann eröffnete er ihr: »Es gibt keinen anderen Ausweg. Ich muß ins Nirwana.« Sie nickte: »Ich verstehe. Und ich soll dir helfen.« Baxter rückte näher und ergriff ihre zarte Hand: »Warum kannst du eigentlich Kontakt mit dem Nirwana aufnehmen?« Sie lächelte: »Ich stamme aus einer religiösen Familie. Mein Vater, meine Mutter, meine beiden Großväter und Großmütter und all die anderen Vorfahren lebten nach einem moralischen Eid. Sie liebten einander nur, wenn Sie sich vermehren wollten.
Und sie lebten ihren Mitmenschen ein Leben in der höchsten Form vor. Daher wurden sie ausersehen, ins Nirwana einzugehen, wo sie mit der Seligkeit belohnt worden sind. Wer aber in der Gunst steht, so viele Verwandte im Nirwana zu besitzen, der darf die Pforten des irdischen Gefängnisses sprengen und Kontakt zu diesem jenseitigen Ort aufnehmen. Jetzt kennst du mein Geheimnis.« Baxter war fasziniert. Er starrte Thari Kwan lange an und sagte fast tonlos: »Du bist die wunderbarste Frau der Welt!« Sie begegnete seinen Blicken und murmelte: »Baxter, ich liebe dich. Glaubst du, daß du mich auch lieben könntest?« Er nickte. Sie umarmte ihn: »Mißverstehe mich nicht, Baxter. Aber ich liebe dich tatsächlich. Und ich will dir gleichzeitig helfen. Darum gebe ich mich dir hin …« Verwirrt sah Joe Baxter die Inderin an. Sie streichelte sein Gesicht: »Wer ins Nirwana eingehen will, muß den Menschen, der Kontakt zum Jenseits sucht, seelisch und körperlich lieben und mit ihm eins sein.« Joe Baxter umarmte Thari Kwan, küßte sie und pries insgeheim die Gesetze des Nirwana … * Der Abend hatte sich über Rom gesenkt. Baxter lag ausgestreckt in ein wallendes Kleid gehüllt, die Hände gefaltet, auf einem Teppich inmitten des Tanzsaales von Thari Kwans Schule. Die Inderin stand vor ihm und ließ ihre Hände über seinem Körper kreisen. »Schlaf ein, doch halte deine Seele wach, damit sie mit meinen Gedanken ins höchste Sein des Jenseits eingeht, wo jene Wesen ihre Ruhe finden, die zu den besten Menschen
zählten …!« Baxter befand sich in einer glücklichen Stimmung. Er hatte einen schönen Tag mit Thari Kwan hinter sich. Er war fest entschlossen, dieses Mädchen mit nach Paris zu nehmen und zu heiraten. Er fühlte, wie sie zu ihm paßte, wie gut ihre Seelen und ihre Körper harmonierten. Darum vertraute Baxter der Inderin voll und ganz für die bevorstehende Reise ins Nirwana. In ein Reich, in dem er einen Würger suchte, den es dort eigentlich gar nicht geben konnte. Alles drehte sich um Baxter. Thari Kwans Gesicht wurde immer größer. Baxter fühlte sich wie ein Vogel mit großen Schwingen. Er hob sich hoch über seinen Körper hinaus. Allein durch ihre Hypnose war Baxters Seele vom Körper getrennt worden. Der Hauptkommissar konzentrierte sich auf seine Reise: »Ich muß ins Nirwana!« Um sein Sein wurde es immer heller. Baxter glaubte, durch einen Lichttunnel zu gleiten. Er suchte nach einem erkennbaren, sichtbaren Objekt. Er fand keines. Die Reise durch den Lichttunnel schien kein Ende zu nehmen. Plötzlich hörte Baxter die Stimme von Thari Kwan: »Halte aus! Wer ins Nirwana kommt, darf die Geduld niemals verlieren.« Baxter hämmerte sich diese Sätze ein. Er schwebte dahin und hoffte, ans Ziel zu kommen. Plötzlich verfinsterte sich rund um ihn die Sphäre. Er stürzte in die Tiefe, wurde aufgefangen und um so höher emporgetragen. Ein Gefühl des letzten Glücks, der erfüllten Sehnsucht ergriff von Baxter Besitz. Er fand sich inmitten positiver Wesen. Baxter hatte es geschafft: Die begnadete Thari Kwan hatte ihn
ins Nirwana gebracht. Er harrte aus und wagte nicht, ringend eine Gedankenreaktion rund um sich auszulösen. Er wollte keinen Fehler begehen. Er wußte, wie gefährlich das im Nirwana werden konnte. Da schwebte ihn ein fremder Gedanke an. Der erste Kontakt des Nirwanas zum menschlichen Besucher: »Warum störst du die Seligen in ihren friedlichen Sphären? Was führt dich in ein Reich, in dem du keine Existenzberechtigung hast?« »Ich habe eine wichtige Mission durchzuführen, die weitere Morde auf Erden verhindern, einer rastlosen Seele Frieden bringen und einem ganzen Dorf helfen soll …!« Verschiedene Gedanken fielen über ihn her: »Wir sind da, um zu helfen. Was willst du von uns wissen?« Baxter amtete auf. »Ich möchte anfragen, ob die Wesenheit eines gewissen Vittorio Linno im Nirwana zugegen ist!« »Er ist bei uns …!« Baxter fühlte seine Seele hinweggezogen. In Windeseile zerrte ihn eine unsichtbare Kraft davon. Zugleich umfing ihn eine Stimme: »Du suchst mich und zweifelst, daß ich im Nirwana bin? Was willst du von mir?« Langsam fragte Baxter: »Du bist Vittorio Linno?« »Ja!« Baxter fand nun Mut mehrere Fragen zu stellen. »Wie ist es möglich, daß du im Nirwana weilst?« »Weil ich würdig bin, hier zu sein!« »Auf Erden sagt man dir schreckliche Dinge nach? Wie stehst du dazu?« »Mir sagt keiner schreckliche Dinge nach. Ich habe dieses Glück durch ein ehrsames Leben verdient …!« »Und dein böses Ende?« »Böses Ende? Ich verstehe dich nicht …?« »Man hat dich doch verbrennen lassen!«
»Wer hat dir das erzählt? Ich starb friedlich und ruhig. Ich trank ein Glas Wein und schlief für immer ein. Wie es zu meinem Hinüberscheiden kam, weiß ich nicht. Hier bin ich am Ziel meines Seins, glücklich und erfüllt. Und wenn der Wein vergiftet war und meinen Tod herbeiführte, so ist das mir egal. Ich kenne keinen Haß und keine Rache.« Es paßte gar nichts mit seinen irdischen Erkundigungen zusammen. Ein ruhiger Tod nach einem Glas Wein? Was war mit dem Brand im Pavillon, mit dem Verbrennungstod des Pfarrers? Hatte sich Olga Dussowa bei ihrer Zeitreise geirrt? »Ich … ich kenne mich nicht mehr aus«, gestand Baxter stammelnd. »Das ist doch egal …!« Baxter konzentrierte sich auf seine Aufgabe und fragte eindringlich: »Was ist an diesem 15. April 1947 geschehen …?« Leise kam die Antwort: »Das weiß ich nicht. Damals war ich doch längst tot.« »Wann bist du gestorben und ins Nirwana eingegangen?« »Am 2. Februar 1947 …« Baxter wurde schwindelig. Da lag irgendwo ein ungeheurer Fehler in der Kontaktnahme zum Nirwana. Aber wo lag dieser Fehler? »Bist du wirklich Vittorio Linno oder jenes edle Sein, das aus ihm hervorgegangen ist?« »Natürlich. Es stimmt mich traurig, daß du meinen Antworten voller Mißtrauen begegnest. Merke dir: Ich bin im Nirwana. Und wer hier sein darf, war niemals schlecht. Nimm dies mit als Lehre zur Erde!« Baxter verlor die Besinnung. Plötzlich hatte er Angst, niemals mehr zur Erde zurückkehren zu können …
* Die Angst, die ihn umfangen hatte, war mit einem Mal vorbei. Dann erblickte Baxter vor sich wieder zwei große glitzernde Seen. Sie wurden immer kleiner. Es waren die herrlichen Augen von Thari Kwan. »Joe«, flüsterten ihre Lippen. Dann beugte sie sich zu ihm herab und küßte ihn. Baxter erwachte aus seiner Reise ins Nirwana. »Hattest du Erfolg? Konnte ich dir helfen?«, fragte Thari Kwan. Er nickte und streichelte ihre Hände. »Ich muß dir alles erzählen …!«, begann er und sah Thari Kwan dankbar an. Sie schüttelte den Kopf: »Du brauchst mir nichts zu erzählen. Ich habe deine Reise miterlebt. Ich weiß alles.« Sie machte eine kurze Pause: »Ich weiß sogar mehr als du.« Erstaunt sah Baxter die Inderin an: »Was soll das bedeuten?« Sie sah ernst vor sich hin: »Als du bereits das Nirwana nicht mehr wahrgenommen hast, da haben dir Stimmen noch eine Botschaft nachgerufen. Ich konnte sie aufnehmen.« Baxter sah sie erwartungsvoll an: »Was war das für eine Botschaft? Was ich dort erfahren habe, brachte mich durcheinander.« »Die Stimmen riefen: Geh zum Pavillon von San Anario. Dort findest du die Antwort. Aber störe uns nicht mehr.« Joe schüttelte den Kopf: »Ich verstehe das alles nicht. Zuerst schwört mir das Wesen im Nirwana, daß es Vittorio Linno ist, dann erzählt es mir von einem anderen Todestag und einer anderen Todesart und schließlich sendet es mich zum Pavillon, wo Vittorio Linno am 15. April 1947 verbrannt wurde.« Das Telefon klingelte, Kommissar Callini meldete sich und wollte Baxter sprechen.
»Ist etwas passiert?« »Etwas Entsetzliches, Baxter. Bevor Sie zu Thari Kwan hierherkamen, haben Sie mir am Telefon gesagt, daß sich Viola Oggi und Olga Dussowa im Hotel ›Riccordate‹ ein Zimmer genommen haben und sich dort für einen Abendbummel hübsch machen …« »Ja, und …?« »Ich wollte den Damen meine Aufwartung machen und bin hingefahren.« Ungeduldig forderte ihn Baxter auf: »Mann, so erzählen Sie schneller. Ist etwas mit meinen beiden Assistentinnen geschehen …?« »Signora Oggi ist tot.« Baxters Knie begannen zu zittern. »Viola ist tot?« »Ja, sie liegt in ihrem Zimmer. Erwürgt. Unter dem Brustbein klafft ein Messerschnitt.« Heiser fragte Baxter: »Und Olga?« »Signora Dussowa ist spurlos verschwunden …!« * Dr. Leon Duvaleux hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Er kam nach Hause, duschte und aß eine Kleinigkeit. Dann legte er sich zu Bett. Doch er konnte nicht einschlafen. Immerfort sah er das Gesicht seiner Mutter vor sich. Sie machte sich Sorgen. Er fühlte das. Und er wußte, daß sie sich um ihn und seine Mitarbeiter sorgte. Sofort erhob er sich wieder, kleidete sich an und eilte aus dem Haus. Als er zur Rue de Garvens fuhr, da war außer seinem Wagen kaum ein Fahrzeug unterwegs. Endlich hatte er
das Domizil seiner Mutter erreicht. Binnen weniger Minuten stand er vor der Wohnung. Noch ehe er klingeln konnte, öffnete sich die Türe. Madame Therese Duvaleux umarmte ihren Sohn herzlich: »Mein lieber Junge. Ich hab's ja gewußt, daß du meine Sorge fühlst.« »Was ist geschehen, Mutter?« »Komm mit!« Sie führte Dr. Duvaleux in ihren Salon. Auf einem Tisch hatte sie die Karten aufgelegt. Sie setzten sich. Therese Duvaleux deutete auf die Karten. »Ich werde nicht klug aus diesen verdammten Dingern. Ich wollte für Euch in die Seele dieses Vittorio Linno schauen. Aber ich stoße auf Schwierigkeiten: Immer wieder liegen zwei Karten vor mir. Immer wieder tauchen, zwei Vittorio Linnos auf. Es ist wie verhext.« Sie seufzte: »Da schau her, schon wieder zwei Linnos. Diesen Kerl kann es doch wohl nicht doppelt gegeben haben.« Dr. Duvaleux blickte auf den Tisch und dachte nach. Dann fragte er: »Hast du eine Lösung für dein seltsames Ergebnis.« Sie nickte: »Ich vermute, daß der Pfarrer von San Anario ein Doppelleben geführt hat. Dieses könnten die beiden Karten dokumentieren. Eine Zeitlang war er der gute brave und fromme Mann. Dann wieder war er ein Unhold.« Dr. Duvaleux nickte: »Vielleicht hast du recht. Auch Baxter weiß im Augenblick nicht weiter. Er hat mir seine Sorgen heute Abend übermittelt. Ich glaube, in dieser Affäre führt uns eine geheimnisvolle Macht irre.« Das Gesicht Dr. Leon Duvaleux's erhielt plötzlich eine seltsame Angespanntheit. »Was ist, Leon?«, fragte die Mutter. Leise antwortete er: »Entschuldige mich einen Augenblick! Ich spüre die Gedanken Baxters. Baxter will mir etwas
Dringendes sagen.« Sie nickte. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloß die Augen. »Baxter, was ist los? Wo sind Sie?« »Hallo, Chef. Ich bin in Rom. Ich war bei Thari Kwan und habe Kontakt mit dem Nirwana aufnehmen können!« »Alle Achtung! Was rausgekriegt?« »Nur Verwirrendes. Aber wir werden es entwirren. Doch das ist im Augenblick nicht so wichtig. Ich befinde mich in unserem Hotelappartement in Rom: Viola Oggi liegt tot vor mir.« »Tot? Wie ist denn das passiert?« »Sie lag erwürgt auf dem Teppich. Und in der Brust hat sie eine Schnittwunde. Ich erkläre Ihnen später alles ganz genau …!« »Was ist mit Olga?« »Von ihr fehlt jede Spur …!« * Der Polizeiarzt Dr. Giovanni Vanta erhob sich und sah Baxter betroffen an: »Sie ist seit etwa einer Stunde tot.« Kommissar Callini sah ebenfalls verstört drein: »Wie ist diese schreckliche Tat geschehen? Das Hotelappartement war doch abgeschlossen. Wir mußten erst die Türe vom Direktor aufsperren lassen, nachdem wir erfahren hatten, daß die Damen nicht ausgegangen waren und sich auch nicht meldeten.« Joe Baxter schloß die Augen und sagte: »Ich kann mir denken, wer dahinter steckt. Der Mörder von Viola Oggi brauchte keine geöffnete Tür. Das war der Schwarze Mönch. Er hat ja seine Handschrift hinterlassen.« Er ging unruhig auf und ab.
»Ich möchte nur wissen, was mit Olga passiert ist …!« Plötzlich stoppte Baxter und fragte den Arzt: »Und Sie haben keine Bedenken? Viola Oggi ist wirklich tot?« Erstaunt antwortete der Doktor: »Was soll die Frage? Natürlich ist sie tot. Kein Puls. Kein Herzschlag!« Baxter blitzten die Worten aus den Lippen: »Auch kein Atem?« »Unsinn!«, lachte der Arzt. »Wenn es keinen Puls und keinen Herzschlag gibt, dann bleibt der Atem von selbst aus.« »Ja vielleicht bei Ihnen«, brauste Baxter auf. »Aber nicht bei geschulten Mitarbeitern des Parapsychologic Department.« Er kniete nieder und legte sein Ohr an Violas Mund. »Was machen Sie denn da?«, wollte der Doktor wissen. Baxter deutete ihm unwillig an, still zu sein. Dann schaute er auf Violas Gesicht und flüsterte: »Viola! Ich rufe dich. Wenn dein Sein aus deinem Körper geschlüpft sein sollte, so gib mir einen Beweis deiner Existenz. Alle Anzeichen deuten auf deinen Tod hin. Ich kann es jedoch nicht glauben.« Die Umstehenden sahen Baxters Treiben fassungslos zu. Langsam legte Baxter eine Hand auf Viola Oggis Mund und wartete. Es dauerte nicht lange, da erhellte sich seine Miene und er flüsterte: »Sie lebt. Sie sendet mir eine Nachricht. Sie kann nicht sprechen, weil ihre Wesenheit sich aus ihrem Körper entfernt hat.« »Joe, ich lebe. Ich entfernte mein Sein aus meinem Körper, weil ich Olga befreien wollte. Olga wurde gegen ihren Willen von Dämonen weggebracht. Es war ein Auftrag des Schwarzen Mönchs. Ich nahm seine Spur auf. Ich bin wieder in einer Falle. Vielleicht komme ich bald wieder zurück zur Erde. Noch bin ich nicht verloren. Noch kann mein Körper als lebendig betrachtet werden …« Baxter beugte sich zu Viola herab und flüsterte ihr ins Ohr:
»Viola! Er hat dich bereits gewürgt und hat dich in die Brust geschnitten …!« »Er stand plötzlich im Zimmer, nachdem ich gerade meine Seele aus dem Körper gehoben hatte, um Olga zu helfen. Er würgte mich. Ich fiel zu Boden. Er spürte erst später, daß meine Wesenheit bereits meinen Körper verlassen hatte. Mir halfen meine positiven Geister, seine vernichtende Kraft abzuwehren. Darum hat mir auch der Schnitt in die Brust nichts getan. Ich weiß jetzt, warum der Schwarze Mönch all seine Opfer in die Brust schneidet. Er besitzt einen Dämonenspruch, mit dessen Hilfe er sich aus der Brust die Seelen der Ermordeten holen und für sich bannen kann. Er hofft, daß er mit einem Heer von Seelen eines Tages Gnade vor den Gesetzen des Jenseits finden und Ruhe bekommen wird. Er ist böse, doch er sehnt sich danach, eines Tages nicht mehr als Schwarzer Mönch auf Erden zu wandeln …« »Was ist geschehen?« fragte der Polizeiarzt fassungslos. Baxter atmete tief ein. »Signora Oggi lebt. Betten Sie ihren Körper aufs Sofa, und decken Sie ihn zu. Verarzten Sie die Wunde auf der Brust. Ich denke, der Schnitt muß genäht werden …« »Ja, wenn das so ist, bin ich dafür, daß wir Signora Oggi in die Klinik mitnehmen und ihr dort einen Platz geben. Wir können dann auch die Würgespuren behandeln. Hat sie gesagt, wann sie wieder zu sich kommt?« Baxter schüttelte den Kopf. »Ihre Wesenheit befindet sich in einer anderen Welt.« * Olga Dussowa fühlte sich elend. Sie war nicht mehr sie selbst. Und doch wußte sie genau, daß der Schritt zur körperlichen Olga nicht weit war.
Sie fühlte, dachte und konnte sprechen. Doch sie war nicht in der Lage, mit diesen Fähigkeiten etwas zu unternehmen. Sie sah ihren Körper, ihre Haare. Und zugleich wußte sie, daß sie nichts davon greifen konnte. Der Schwarze Mönch war in ihr Hotelzimmer in Rom eingedrungen und hatte begonnen, sie mit einer gefährlichen und schnellwirkenden Formel gegen ihren Willen zu entmaterialisieren. Sie hatte zusehen müssen, wie sich ihr Körper in kleinste Teilchen auflöste und auf Befehl des Schwarzen Mönches davonschwebte. Sie wußte nicht, wo sie jetzt war. Da hörte sie eine höhnische Stimme über ihr: »Wie gefällt es dir bei uns?« »Wo bin ich?« war die erste Reaktion Olgas. »Du bist im Reich der Dämonen. Wir alle haben auf Erden gelebt und schlimmes verbrochen. Uns kann niemand verzeihen. Wir sind sogar Ausgestoßene der Hölle.« »Bist du der Schwarze Mönch?« »Ja«, antwortete ihr Gesprächspartner. »Ich bin die Wesenheit des Schwarzen Mönchs. Ich kann mich auf der Erde sichtbar machen. Und ich habe die Macht, Menschen zu entmaterialisieren und zu mir zu holen.« »Warum hast du gerade mich zu dir geholt?« »Ich habe dir etwas zu sagen. Rasputin, dein Vorfahre, arbeitet mitunter mit Dämonen zusammen. Darum akzeptiere ich dich. Dieser Baxter und seine Begleiterin sind mir zuwider.« »Viola ist ein netter Kerl. Sag nichts gegen sie!« »Nimm Abschied von ihr. Ich wollte sie gleich töten, als ich dich aus dem Hotel zu mir holte. Doch sie wehrte sich mit Erfolg. Ich habe Ihre Seele geraubt und halte sie fest. Ich denke mir eine besondere Art ihres Unterganges aus!« »Du darfst ihr nichts tun!« »Ihr steckt eure Nasen in Dinge, die euch nichts angehen. Ihr
schnüffelt in meinem Vorleben herum. Und das gefällt mir nicht.« Jetzt sah Olga eine Chance, etwas aus dem Schwarzen Mönch herauszubekommen. »Du bist doch der Geist des Pfarrers Vittorio Linno?« Der Schwarze Mönch hauchte ein »Ja!« und verfiel dann in sein höhnisches Lachen. Immer wieder wiederholte er Olgas Worte: »Du bist doch der Geist des Pfarrers Vittorio Linno …!« Er rief es den anderen Dämonen zu. Alle fielen in das Lachen ein. Olga erschrak zuerst. Olga Dussowa erkannte eine Chance, sich selbst aus dem Reich der Dämonen zu befreien. Sie wiederholte ihren Satz noch einmal und rief abermals ein riesiges Gelächter hervor. Dann war der Augenblick für ihr Handeln gekommen. Sie richtete ihre ganze Aufmerksamkeit allein auf ihre gewaltsam entmaterialisierten Moleküle. Sie ließ den unbändigen Wunsch in sich wachsen, aus dieser höllischen Sphäre herauszukommen: »Meine Moleküle sollen sich irgendwo anders wieder zu meinem Körper zusammenfinden.« Sie merkte, wie ihre Bestandteile wieder ihr allein gehorchten. Der Bann der Dämonen war gebrochen. Das mußte sie ausnützen. Immer noch dröhnte das Gelächter der bösen Wesen rundum. Jetzt konzentrierte sich Olga Dussowa ganz auf den Gedanken: »Irgendwo anders muß Olga wieder entstehen. Wo, ist im Augenblick egal. Es muß nur rasch sein …!« Bei diesem Gedanken wurde Olga von einem unheimlichen Wirbelwind erfaßt. Sie wollte aufschreien, brachte aber keinen menschlichen Ton hervor. Im Eiltempo fühlte sie sich von unsichtbaren Kräften davongetragen. Und sie wußte, daß es ihre eigene Willenskraft
war, die ihr half. Olga schwebte nieder und stürzte schließlich in ein dunkles Tief, das kein Ende zu haben schien. Sie wußte nicht, ob sie noch Kontakt mit den Dämonen und ihrem Reiche hatte oder ob sie sich bereits der Erde genähert hatte. Jetzt spürte sie: Das reale Leben war wieder in greifbarer Nähe. Noch aber wußte Olga nicht, was das für ein Leben sein würde, das sie in einer neuen Umgebung erwartete. * Violas Wesenheit, die sich vom Körper getrennt hatte, um den Schwarzen Mönch zu verfolgen und Olga zu befreien, war in eine Falle gegangen. Trotz ihrer abwehrenden Sprüche befand sie sich nun in einem Gefängnis, einer Bannzone ohne Wände, aus der sie nicht aus eigenem Antrieb entweichen konnte. Wann immer sie entfliehen wollte, um auf Erden in ihren Körper zurückzuschlüpfen, ertönten Glocken und trieben sie zum Wahnsinn. Viola hatte nur noch eine Möglichkeit, sich zu retten. Doch dieser Weg war gefährlich. Sie mußte eine dämonische Wesenheit für sich gewinnen, mit ihr die Reise zu ihrem Körper unternehmen und diese böse Wesenheit allmählich aus ihrem Körper wieder auszutreiben. Doch es gab keine andere Wahl. Verzweifelt dachte Viola nach, mit welchem bösen Menschen sie einmal in ihrem Leben Kontakt gehabt hatte. Und dann fiel es ihr ein: Sie war zwölf Jahre alt gewesen, als ein Bankräuber sich in die Wohnung ihrer Eltern und dort vor der Polizei verbarrikadiert hatte. Die kleine Viola mußte ihm als Geisel dienen. Er war verhältnismäßig nett zu der Kleinen gewesen. Angestrengt dachte Viola nach: Er hatte Arturo Vera geheißen.
Sie strengte all ihre Sinne an und hauchte nur den einen Gedanken: »Arturo Vera! Bist du da?« Eine ächzende Stimme antwortete: »Ich bin die Wesenheit Arturo Veras. Du bist hier kleine Viola? Was willst du?« Viola Oggi umwarb den Dämon. »Ich will wieder zur Erde. Willst du mich nicht begleiten?« Die Stimme sagte: »Aber dann muß ich in deinem Körper mit dir leben. Denn meiner ist längst den Weg aller Sterblichen gegangen.« »Ich bin einverstanden«. Das Dämonengefängnis öffnete sich. Viola war frei. Doch an ihrer Seite schwebte untrennbar die Wesenheit des Bankräubers Arturo Vera. Sie schwangen sich in die Freiheit. Zwei Wesenheiten kehrten zu einem Frauenkörper zurück, der in einem Krankenhaus in Rom lag und von Ärzten sorgsam betreut wurde … * Olga schlief. Sie spürte, wie eine Hand ihren Körper streichelte. Sie rekelte sich auf einem weichen Untergrund und fühlte sich wohl. Erst, als zwei Männer ihre Füße zu küssen begannen, da riß sie die Augen auf und sah sich erstaunt um. Sie befand sich in einem großen Saal, der über und über mit Polstern und Fellen ausgelegt war. In der Mitte befand sich ein Wasserbecken mit sprudelnden Quellen. Um sie herum lagen andere Mädchen in allen nur möglichen Haut- und Haarfarben. Es waren verführerisch gekleidete, schöne Mädchen. »Was wollen Sie?« fragte Olga die beiden Männer, die vor ihr knieten.
Der eine sagte in französischer Sprache: »Du bist neu hier. Wir haben viel Geld für dich bezahlt. Wir wollen uns jetzt von dir verwöhnen lassen …!« Olga verstand nicht, was hier gespielt wurde. Sie blickte sich wieder um und beobachtete die anderen Mädchen. Jede hatte einen Kavalier neben sich. »Wo bin ich hier eigentlich?« erkundigte sich Olga bei einem der Männer. Seine Augen weiteten sich. Dann lachte er schmutzig. »Also, Püppchen. Das nehmen wir dir nicht ab. Du bist doch hier in der Pension Eliette zu Hause? Oder hat man dich erst bei Nacht und Nebel hergeschafft? Woher stammst du denn?« »Aus Rußland«, antwortete Olga. Sie begriff allmählich. Dieses herrliche Haus, in dem sie da gelandet war, hieß Pension Eliette und war nichts anderes als ein Freudenhaus im orientalischen Stil. Man hatte ihr ein besticktes Seidenjäckchen und ein Spitzenhöschen angezogen. Sie sah bestimmt reizvoll aus. Doch Freudenmädchen war für Olga kein angenehmer Beruf. Sie sprang auf, stieß die beiden Männer zur Seite und lief zu einem anderen Mädchen, das allein da lag und gegen die Zimmerdecke schaute. »Hallo, Schöne«, meinte Olga. »Daß wir in der Pension Eliette sind, habe ich inzwischen begriffen. Aber in welchem Land befinden wir uns?« Das Mädchen schaute auf und meinte lächelnd: »Ich denke, wir sind in Tunis. So genau weiß ich das nicht mehr. Ich bin jetzt drei Jahre da. Damals hat er mich hergebracht, mein Freund. Ich wehrte mich und weinte. Doch heute macht es mir Spaß.« Sie lachte frivol und warf sich zurück. Olga erkannte sofort: Das Mädchen stand unter
Drogeneinfluß. Es war anzunehmen, daß sie die Wahrheit gesagt hatte. Olga befand sich also nach ihrer Flucht aus der Gewalt des Schwarzen Mönches in Tunis. Plötzlich sagte ihr eine innere Stimme: »Bleib hier in diesem Haus und spiele das Theater mit. Du kannst hier die Antwort auf viele Fragen finden, die für euch wichtig sind …!« Olga schwang ihre Hüften, lächelte den Männern zu, die gerade in den Saal traten. Dann legte sie ihre Kleider ab und begab sich in das Wasserbecken, um zu schwimmen. Sie war fest entschlossen, es sich hier gut gehen zu lassen und die Kavaliere so an der Nase herumzuführen, so daß sie unbehelligt blieb und dennoch dem Besitzer des Hauses nicht als Spionin auffiel. Sie wußte, daß es gefährlich war. Denn gerade in Tunis war mit Mädchenhändlern nicht zu spaßen. * Joe Baxter hatte den Fuß fest am Gaspedal. Er kurvte in einem Höllentempo durch Rom. An seiner Seite saß Kommissar Callini und sprach kein Wort. Als sie das Krankenhaus erreicht hatten, stiegen sie hastig aus und beeilten sich auf die Station V zu gelangen. Auf dem Korridor erwartete sie schon Schwester Beatrice. Baxter begrüßte sie und fragte: »Seit wann ist sie wieder bei sich?« »Seit dem Augenblick, als wir sie im Interpol-Büro angerufen haben.« »Wie geht es ihr?« »Gut, sehr gut! Kommen Sie nur weiter!« Die beiden Männer folgten der Schwester ins Krankenzimmer.
Viola Oggi lag mit rosigem Gesicht da und lächelte. »Joe, ich bin ja so froh, daß ich wieder bei euch bin!« »Ich auch, mein Viola-Kind!« meinte er und froh setzte er sich zu ihr ans Bett. Sie sah ihn mit offenen, freundlichen Augen an. Plötzlich fragte sie: »Was ist mit Olga?« Joe seufzte: »Leider bisher noch immer keine Spur. Bist du kräftig genug, mit mir weiter an unserem Fall zu arbeiten? Die Zeit drängt. Dr. Duvaleux hat uns beauftragt, sofort nach San Anario zurückzufahren.« Violas Augenfarbe veränderte sich zusehend. Ihre Lippen kräuselten sich, als sie abweisend sagte: »Ist denn dieser Fall so wichtig? Wir hatten genug Ärger damit. Lassen wir den Schwarzen Mönch in Ruhe. Suchen wir Olga und fahren wir nach Paris.« Erstaunt fragte Baxter: »Und unser Chef? Unser Auftrag?« Sie lachte fremd und verächtlich: »Quatsch. Dr. Duvaleux soll uns doch den Rücken herunterrutschen. Wir kündigen einfach.« »Viola! Was redest du da für Unsinn? So etwas bin ich von dir gar nicht gewohnt …!« Baxter war ganz aus der Fassung geraten. Auch das Gesicht seiner Mitarbeiterin hatte sich geändert. Sie sah Ihn so fremd an. Baxter beschlich ein unheimliches Gefühl. Das war zwar Viola, aber sie hatte sich verändert. Sie stand unter einem fremden Einfluß. Joe sah sie ernst an: »Viola, du bist mir untergeordnet! Ich fordere dich auf, sofort mit mir nach San Anario zu kommen!« Sie lachte, hob die Hand und schlug Baxter ins Gesicht. »Idiot. Ich mache jetzt, was ich will. Und wenn du mich zwingst, dann lege ich dich einfach um!« Kommissar Callini lehnte kreidebleich an der Wand. Baxter raunte ihm zu: »Erschrecken Sie nicht. Sie steht unter dem Einfluß eines Dämons. Das kenne ich. Das kriegen wir
schon wieder hin.« Er trat hart ans Bett, zerrte Viola heraus und schleifte sie an ihren Haaren in eine Ecke. Sie wehrte sich, kratzte und biß wie eine Hexe um sich. Baxter hielt sie mit eisernem Griff fest und ohrfeigte sie. Dann begann er laut und deutlich all jene römischen Gebete, mit denen Viola so oft ihren Mitmenschen böse Geister ausgetrieben hatte, herzusagen. Sie begann vor Schmerz zu schreien. Jedes Wort tat ihr weh. Das bewies Baxter, daß er richtig getippt hatte. Er mußte den Dämon in ihr vernichten. Viola lag schwer atmend da. Sie rührte sich nicht. »Sie ist ganz erschöpft«, murmelte er zu Kommissar Callini. Dann wandte er sich um, weil er sich ein wenig niedersetzen wollte. Da hechtete Viola mit einem Sprung von hinten an ihn heran und riß ihn zu Boden. Die Benommenheit Baxters nützte sie aus, schwang sich zum Bett und brach mit ungeheuren Kräften eine Metallschiene vom Bettende ab. »Jetzt krepierst du«, keuchte sie und wollte zustoßen. Baxter gelang es, sich im letzten Augenblick zur Seite zu wälzen und Viola einen Stoß zu geben. Sie stach dennoch zu. Sie traf Baxter in das Muskelfleisch des linken Armes. Plötzlich schrie Viola auf, warf sich zu Boden und hielt sich die Augen zu: »Himmel und jenseitige Kräfte! Verzeiht mir!« Dann kroch sie zu dem verletzten Joe Baxter, legte ihre Hände sorgenvoll an seine Wunde und weinte: »Das war ich nicht, Joe. Das war der böse Dämon in mir. Verzeih mir.« Baxter atmete schwer. »Wie kommt dieser Dämon in deinen Körper?« »Es war alles so schrecklich. Ich hatte nur diese Chance, der Macht des Schwarzen Mönchs zu entkommen! Ich mußte mich dieses bösen Geistes bedienen.« Kaum hatte sie es ausgesprochen, da erfüllte ein Heulen das
Krankenzimmer. Viola Oggi schüttelte sich. Doch sie war wieder froh. Der Dämon hatte das Weite gesucht. * Die Sonne brannte auf San Anario. Baxter und Viola standen mitten im abgebrannten Pavillon hinter dem ehemaligen Pfarrhaus. Sie hoben Balken empor, schauten in Erdlöcher und stiegen über Unkraut, um den Ort des Geschehens zu inspizieren. Schwere Schritte näherten sich der Ruine. Bürgermeister Ottavio Falanga stand da und schrie unhöflich: »Verschwinden Sie von der Brandstelle. Warum schnüffeln Sie immer noch herum? Sie finden ja doch nicht die Lösung des Geheimnisses um den Schwarzen Mönch …!« Scharf antwortete Baxter: »Ich suche hier etwas im Auftrag der Interpol. Daran können Sie mich nicht hindern. Im Gegenteil: Sie sind verpflichtet, mir Hilfe zu leisten.« »Was wollen Sie denn wissen?« »Ist in San Anario am 2. Februar 1947 jemand gestorben?« »Das kann ich so nicht beantworten. Kommen Sie mit in meine Amtsstube. Wir werden im Register nachgehen …!« Mit raschen Schritten begaben sich der Bürgermeister, Joe Baxter und Viola Oggi hinüber zum Haus Falangas. Der Bürgermeister klemmte sich hinter seinen Schreibtisch und kramte in alten Akten. Baxter stand an einer Kommode und wartete. Viola Oggi blätterte in alten Bauplänen, die in einer Mappe lagen. Da meinte der Bürgermeister: »Tut mir leid, Baxter. Am 2. Februar 1947 ist bei uns kein Todesfall gewesen. Wieso fragen Sie?«
Nachdenklich antwortete Joe Baxter: »Weil mir ein Wesen im Nirwana mitgeteilt hat, daß Pfarrer Vittorio Linno an diesem Tag in San Anario starb. Und zwar nach dem Genuß eines Glases Wein.« Der Bürgermeister lachte: »Völliger Blödsinn. Sie wissen ja inzwischen längst, wie es war!« »Wurden nach dem Brand des Pavillons die sterblichen Überreste des Pfarrers gerettet?« »Natürlich. Seine verkohlte Leiche wurde in der Pfarrers-Gruft beigesetzt.« »Hoffentlich ist sie auch wirklich dort«, bemerkte Baxter sarkastisch. »Schau mal«, jubelte Viola. »Der Pavillon hat einmal herrlich ausgesehen. Ein wahres Prunkstück.« »Wieso weißt du das?« fragte Baxter und trat an die Kommode. Viola antwortete: »Da liegt eine Zeichnung und eine Planskizze des Pavillons.« Baxter schaute zum Bürgermeister hinüber: »Darf ich mir das auch anschauen?« »Natürlich!« Joe Baxter vertiefte sich weniger in die Zeichnung, als in den Plan, den seinerzeit der Baumeister des Pavillons bei der Bürgermeisterei eingereicht hatte. Und dann fesselte ihn ein Detail dieses Plans. Er pfiff durch die Zähne und deutete auf eine gestrichelte Linie auf dem Fußboden des Pavillons. »Sagen Sie einmal, Bürgermeister, was soll denn das bedeuten?« Ottavio Falanga schmunzelte: »Darauf war unser Pfarrer besonders stolz. Das war eine Falltür im Pavillon. Sie führte in ein Kellerfach. Hier bewahrte er seine besten Weine auf.« Baxter fragte erregt: »Wie war denn diese Falltür verschlossen.«
Der Bürgermeister antwortete, ohne lange zu überlegen: »Gar nicht. Die hob man einfach auf.« Baxter warf die Pläne hin: »Kommen Sie mit, Bürgermeister! Ich habe da einen entsetzlichen Verdacht. Ich war doch vorhin beim Ruinenplatz, wo einst der Pavillon stand. Der Fußboden ist ziemlich gut erhalten. Ich bin auch über die Falltür gestiegen. Ich hielt die Stelle nur für einen ausgebesserten Fußboden. Und wissen Sie, warum: Die Falltür ist nämlich zugenagelt. Jetzt aber frage ich mich: Warum hat der Pfarrer eines Tages plötzlich diese Falltür zugenagelt? Da mußte er doch was versteckt haben …!« Ohne die Reaktion des Bürgermeisters abzuwarten, rannte Baxter aus dem Haus. Viola folgte ihm und der Bürgermeister keuchte hinterdrein. Baxter war als erster zur Stelle. Aus seinem Auto holte er die Werkzeugtasche. Er zerschlug die morschen Bretter der Falltür und hob sie von der Öffnung. Ein Schrei entrang sich Viola Oggis. Der Bürgermeister faltete die Hände und jammerte: »Mamma mia! Das ist doch nicht möglich …!« In der Vertiefung hinter der Falltür lag zusammengekauert ein menschliches Skelett, bekleidet mit den Resten eines Priestergewandes. In der Knochenhand des Toten lag ein Gebetbuch. Baxter nahm es vorsichtig an sich und schlug es auf. Zwischen den ersten Seiten fiel ein Foto heraus. Baxter hob es auf und zeigte es dem Bürgermeister: »Kennen Sie den Priester auf diesem Bild?« »Ja«, hauchte der Bürgermeister entsetzt. »Das war unser Pfarrer Vittorio Linno?« Dann trat er noch näher und fragte: »Wer aber um alles in der Welt ist dieser Tote? Und wie kam der unter die Falltür?« *
Als das Skelett von Beamten aus Rom nach Popoli zur näheren Untersuchung abtransportiert wurde, beauftragte Baxter die Männer: »Gehen Sie zum Friedhof, öffnen Sie die Gruft und sehen Sie nach, ob sie im Sarg des Vittorio Linno sterbliche Reste finden!« »Warum zweifeln Sie daran?« fragte der Bürgermeister erstaunt. Baxter antwortete: »Weil ich schon einmal in diesen Sarg hineingeschaut habe. Damals war er leer …!« Dem Bürgermeister blieb vor Staunen der Mund offen. Eine halbe Stunde später hatten es die Männer aus dem Dorf geschafft. Der Marmorstein wurde von der Gruft weggeschoben. Die Männer der Gerichtsmedizin stiegen in den Schacht, öffneten die Grabplatte, zogen den Sarg heraus und öffneten ihn. Es lag ein Skelett darin. »Sollen wir den Sarg wieder schließen?« fragte einer der Männer Baxter. Baxter schüttelte den Kopf: »Nein. Nehmen Sie den Sarg mit. Ich will, daß auch dieses Skelett untersucht wird …!« * Die dicke Postbeamtin erhob sich hinter ihrem Schalter und verneigte sich vor Baxter. Er lachte sie freundlich an und meinte dann: »Der Bürgermeister hat mir gesagt, daß Sie mir sicher helfen können. Ich habe ihn gefragt, ob Pfarrer Linno vielleicht doch schon am 2. Februar gestorben ist …!« Die Frau schüttelte den Kopf: »Am 2. Februar begann für uns erst die schreckliche Zeit mit unserem Pfarrer.« »Wie meinen Sie das?« »Nun, im Februar da war er plötzlich anders und beging
diese Übeltaten, die uns so verzweifeln ließen. Wir hatten ihn vorher verehrt. Und dann benahm er sich so …!« Baxter räusperte sich: »Ich wollte dem Bürgermeister nicht glauben. Ich dachte, die Leute im Ort hätten sich in der Zeit geirrt. Er aber sagte, sie hätten Beweise, daß der Pfarrer im Februar 1947 noch lebte.« Sie nickte: »Und ob ich Beweise habe! Damals bekam der Pfarrer viele Briefe aus Tunis.« »Aus Tunis?« »Ja, aus einem Hotel. Wie hieß es doch gleich? Ja, ich erinnere mich: Pension Eliette …!« »Was hatte der Pfarrer aus dieser Gegend für Briefe zu erwarten?« »Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nur, daß er sehr oft auch Briefe dorthin absandte. Aber, als er dies tat, da war er schon sehr verändert und meist recht unfreundlich zu mir, was früher nie der Fall war.« Sie seufzte. Baxter verabschiedete sich von ihr. Als er vors Postamt trat, eilte Viola auf ihn zu und fragte: »Hast du etwas erreicht?« Er nickte und teilte ihr mit: »Ich fahre noch heute nach Rom und fliege nach Tunis.« »Nach Tunis?« »Jawohl. Ich suche dort eine Pension ›Eliette‹. Mit der hat der Pfarrer wenige Monate vor seinem Tod in brieflicher Verbindung gestanden. Ich möchte mir ansehen, wer damals in dem Hotel wohnte und was dieser Mann Wichtiges nach San Anario zu schreiben hatte.« »Was soll ich inzwischen tun?« »Du bleibst hier und führst wie geplant die Sitzung heute nacht durch. Du mußt den Schwarzen Mönch rufen und ihn nach seinem Sterbedatum fragen.« Schweigend gingen sie zur Fremdenpension zurück.
Baxter packte die Koffer. Ganz obenauf legte er das Foto von Pfarrer Linno, das ihm der Bürgermeister überlassen hatte. Baxter wußte eigentlich nicht, warum er dieses Bild nach Tunis mitnahm. Aber ein siebenter Sinn befahl es ihm … * Es herrschte Finsternis in der Wirtsstube des alten Quattesti. Viola hatte alles bestens durchdacht. An der Sitzung nahmen nur wenige Personen teil: der Wirt, der Bürgermeister, die Tochter der Pfarrersköchin und Viola selbst. Über eine Stunde saßen die Teilnehmer der Seance um einen großen Tisch beisammen und sprachen von Pfarrer Linno. Dann hatte Viola das Gefühl, daß sich alle auf den Verstorbenen konzentriert hatten. Viola entzündete in der Mitte des Tisches eine Kerze und trug allen auf, direkt in das Licht zu schauen. Wieder ließ Viola einige Minuten vergehen. Dann fragte sie beschwörend: »Schwarzer Mönch, wir rufen dich!« Keine Reaktion. Wieder setzte Viola die Sitzung durch ihren Ruf in Bewegung: »Schwarzer Mönch von San Anario, wir rufen dich …!« Eine Minute verging. Dann heulte ein Windstoß durch den Raum. Die Tochter der Pfarrersköchin schrie entsetzt auf. Jetzt war die Wesenheit des Schwarzen Mönchs da. Viola fragte deutlich und laut: »Sag uns die Wahrheit! Wann bist du ins Reich der Toten eingegangen?« Ein Heulen lag in der Luft. Dann war es totenstill. »Schwarzer Mönch, geh nicht weg. Wir haben dich vieles zu
fragen …!« Nichts rührte sich. Viola fühlte sich nicht zufrieden. Sie eilte zur Tür und knipste das Licht an. Alle hörten plötzlich eine unheimliche dumpfe Männerstimme, die zur Antwort gab: »Du weißt es doch. Ich mußte am 15. April 1947 sterben.« Der Bürgermeister trat zu ihr: »Zufrieden?« Sie schüttelte den Kopf: »Ich glaube, Baxter wird nicht zufrieden sein. Bei seinem Besuch im Nirwana erfuhr er, daß Pfarrer Linno am 2. Februar starb. Und jetzt hat uns der Schwarze Mönch eindeutig wieder den 15. April genannt. Wie reimt sich das zusammen?« Der Bürgermeister sagte leise: »Auch ein Baxter kann sich irren, liebes Fräulein …!« * Die Zuckermelone war eisgekühlt und schmeckte vorzüglich. Baxter saß auf der Terrasse des Restaurants auf dem Flughafen von Tunis und fühlte sich entspannt. Der Flug hatte ihm gut getan. Er winkte den Kellner zu sich heran. Der Tunesier erschien sofort und verneigte sich. Baxter fragte ihn: »Kennen Sie in der Stadt ein Hotel mit Namen Pension Eliette?« Ein Grinsen überzog das Gesicht des Tunesiers. Er schnalzte mit der Zunge und schnippte mit beiden Fingern. Dann nickte er heftig: »Und ob ich das Haus kenne. Wollen Sie auch mal hingehen?« »Ich will nicht mal hingehen. Ich will dort wohnen …!« Jetzt lachte der Tunesier herzlich: »Also, mein Herr, wohnen können Sie dort nicht. Sie können für ein paar Stunden viel Geld loswerden. Es gibt dort die schönsten Mädchen aus der ganzen Stadt …!«
Baxter gab dem Kellner ein Trinkgeld. Er wußte jetzt, was es mit der Pension »Eliette« für eine Bewandtnis hatte. Es war ein Bordell. Was aber zum Donnerwetter gab es zwischen diesem Bordell und dem Pfarrer von San Anario für eine Verbindung. Ein Taxi brachte Baxter zur Pension Eliette. Es war ein luxuriöses Haus am Stadtrand mit einem riesigen Park. Am Eingang wurde der Hauptkommissar von zwei Pagen begrüßt und in eine weite Vorhalle geführt, wo bereits junge Mädchen warteten. »Um jedes Mißverständnis auszuräumen«, erklärte Baxter dem Chef der Reception: »Ich komme dienstlich und möchte den Direktor des Unternehmens sprechen …!« Eine dunkle Stimme sagte darauf hinter Baxter: »Der Chef bin ich. Was wollen Sie?« Baxter zeigte seinen Ausweis. »Kommen Sie in mein Büro, Monsieur Baxter!«, erklärte der dicke Mann und ging voraus. Minuten später saßen die beiden Männer einander gegenüber. Baxter machte keine langen Reden. »Kennen Sie den Namen Linno?« Der dicke Mann hielt für einige Sekunden den Atem an. Dann antwortete er: »Ja … ich kenne den Namen. Und zwar sehr gut …« Baxter griff in seine Brieftasche und zog das Foto des Pfarrers hervor. Er schob es dem Direktor über den Schreibtisch. Er nahm es zur Hand, nickte und wiederholte: »Ja, ich kenne ihn. Das ist Monsieur Linno. Aber, warum ist er so seltsam gekleidet?« Baxter antwortete: »Das ist sein Priesterkleid.« Der dicke Schwarzhaarige lächelte: »Sie machen Scherze.« »Sie müssen doch gewußt haben, daß er Pfarrer war!« Der Dicke setzte sich hochaufgerichtet hin: »Monsieur Linno
– ein Pfarrer? Schwer zu glauben. Ich wußte jedenfalls nichts davon.« Baxters Neugierde wuchs zunehmend. Er fragte rasch: »Woher kennen Sie diesen Monsieur Linno?« »Er lebte viele Jahre hier. Er baute mit mir dieses Haus auf. Seine Idee war dieses Geschäft. Doch dann ließ er sich einige Dinge zuschulden kommen. Er wurde in kriminelle Affären verwickelt. Wir zerstritten uns. Er verließ Januar 1947 Tunis. Ich glaube, er ist nach Italien gegangen.« Fassungslos fragte Baxter: »Sie sagen, Monsieur Linno hat bis zum Januar 1947 in Tunis gelebt? Das ist doch nicht möglich. Er war doch zu dieser Zeit Pfarrer eines italienischen Bergdorfes …!« »Das muß ein anderer sein!« »Nein«, rief Baxter erregt. »Das ist nicht möglich, denn er hat von San Anario Briefe an Ihr Hotel geschrieben.« Der Direktor nickte: »Das werden jene Briefe sein, die er mir nach seiner Abreise schickte. Etwa drei Monate versuchte er, mich umzustimmen, um wieder Geschäfte mit ihm zu machen. Ich drohte ihm, die Polizei hinzuzuziehen, falls er mich nicht in Frieden lassen würde. Das aber hat er dann auch getan.« Baxter sah ein, daß es keinen Sinn hatte, mit dem Mann weiter zu diskutieren. Das Rätsel um Vittorio Linno mußte auf einer anderen Basis gelöst werden. Er bedankte sich und der Dicke führte ihn vom Büro aus zum Korridor: »Gehen Sie nur geradeaus. Sie kommen direkt zum Ausgang.« Baxter eilte dem Tor entgegen. Da faßten zwei verführerische Hände nach seinem Kopf und deckten ihm von hinten die Augen zu. »Wer bin ich?«, fragte eine samtige Stimme. Baxter wollte sich losreißen. Da war er von der Schönen bereits in eine Nische gezerrt worden. Endlich nahm sie ihre Hände von
seinen Augen. Baxter blieb das Wort im Mund stecken. Er konnte es einfach nicht fassen. »Olga! Du hier? Wie kommst denn du nach Tunis?« Olga lachte und umarmte Baxter. Dann jauchzte sie: »Ich wußte irgendwie, daß ich hier ausharren müßte. Also hat doch unser Fall mit diesem Bordell zu tun. Nur deshalb bin ich hiergeblieben. Ich wußte, daß ich eines Tages den Zusammenhang erfahren würde. Ich konnte der Macht des Schwarzen Mönchs entkommen.« Joe nahm Olga an der Hand: »Du wirst staunen, was ich herausgebracht habe. Weißt du, wer dieses Etablissement gegründet hat und scheinbar gut damit verdiente?« Sie schüttelte den Kopf. »Unser verehrter Vittorio Linno. Doch eines ist mir nicht klar. Er hat San Anario nie verlassen, aber zur gleichen Zeit residierte er auch hier.« »Das ist Zauberei«, konstatierte Olga. Joe meinte: »Ich habe da einen bestimmten Verdacht. Aber Vermutungen nützen nichts. Wir müssen in San Anario den Schwarzen Mönch aus der Reserve locken und ihm gegenüberstehen. Ich muß aus ihm die Wahrheit herausbringen. Erst dann werden wir alle Klarheit haben.« * Die Gangway wurde ausgefahren. Die Tür der Maschine aus Tunis öffnete sich. Joe Baxter und Olga Dussowa waren die ersten, die aufs Flugfeld herunterkamen. Vor ihnen stand Viola Oggi. Die Kollegen umarmten einander. »Es ist schön, daß du wieder da bist!« murmelte Viola. Joe hakte sich bei ihr unter: »Keine Rührseligkeit, meine Liebe. Gesteh mir lieber, warum du uns so feierlich abholst?
Und, wer ist denn der Herr an deiner Seite?« Viola sprudelte die Neuigkeit nur so hervor: »Das ist Doktor Mattei, Gerichtsmediziner.« »Sehr erfreut«, sagte Baxter und reichte ihm die Hand. Viola erzählte weiter: »Der Doktor hat die beiden Skelette aus San Anario genau überprüft.« »Na und, was ist dabei herausgekommen?« wollte Baxter wissen. Viola bat: »Sagen Sie es ihm, Doktor.« Der Gerichtsmediziner nickte und erklärte: »Ich fasse es nicht, Signore Baxter. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Das Skelett des verbrannten Mannes aus dem Pavillon und das Skelett des Mannes aus dem Loch unter der Falltür gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Rein medizinisch gibt es so etwas normalerweise nicht. Die beiden Menschen müssen ein und derselbe gewesen sein. Die beiden sind jedoch im Abstand von etwa drei Monaten gestorben …!« * Sonntag in San Anario. Die letzte Messe war vorbei. Die Bewohner des Dorfes befanden sich längst wieder daheim. Baxter saß im Chorgestühl der Kirche und starrte zu den Gebetbänken. Dort hatten sich Viola und Olga plaziert. Für die drei begann die vierte Nacht im Gotteshaus. Sie hatten einen festen Plan. Sie wollten dem Schwarzen Mönch auflauern und ihn zur Rede stellen. Alles war still. Da hörte Viola ein Quietschen. Sie fuhr hoch und flüsterte Olga zu: »Jetzt kommt er aus seiner Gruft. Ich kenne das Geräusch der eisernen Grufttür …!«
Ruhe senkte sich wieder auf das Gotteshaus. Dann aber waren deutlich Schritte auf dem Gartenkies zu verharren. Sie näherten sich der Kirche. Jemand öffnete die Hintertür zur Sakristei. Die Tür der Sakristei schwang auf. Hochaufgerichtet betrat der schwarze Mönch das Gotteshaus. Seine Kapuze war leer. Seine Knochenhände fuhren wild durch die Luft. Auf diesen Augenblick hatten Baxter, Viola und Olga schon gewartet. Jetzt wußten sie, was zu tun war. Guru Jogami in Paris war informiert. Die vier konzentrierten all ihre Willenskraft darauf, den Mönch an einen bestimmten Platz zu bannen. Das Wesen war plötzlich nicht mehr imstande, sich von der Stelle zu bewegen. Und Violas Zauberformeln verhinderten, daß er sich unsichtbar machte und verschwand. Jetzt stand er da: ausgeliefert seinen Feinden, die er so gerne vernichtet hätte. Baxter trat vor: Er hielt ein Kreuz in der Hand, um sich zu schützen. »Schwarzer Mönch! Dein Spiel ist aus. Du selbst sehnst dich nach Ruhe und Geborgenheit. Hilf uns, den Schleier deines letzten Geheimnisses lüften. Angeblich bist du die Seele des Pfarrers Vittorio Linno. Ein Würger kann nicht aus dem Nirwana kommen. Was ist die Wahrheit?« »Baxter, ich hätte niemals gedacht, daß du mich besiegen würdest. Du hast Gewalt über mich bekommen. Ich habe viel gelitten durch meine bösen Taten …!« »Wir kennen deine bösen Taten!« »Nein, Ihr wißt nicht alles. Die schrecklichste meiner Taten kennt Ihr nicht. Sie aber belastet mich am meisten.« Baxter rief: »Schwarzer Mönch! Bist du Vittorio Linno, der Pfarrer von San Anario …?« »Nein.« Viola und Olga sahen einander an. Das hatten sie nicht
erwartet. Baxter fragte weiter: »Warum geisterst du umher und tötest unschuldige Menschen?« »Ich töte Menschen, um durch ihre Seelen gerettet zu werden. Du fragst, warum ich als Wesen umhereile? Ganz einfach: Weil ich viele Verbrechen in meinem Leben begangen habe!« »Sind da auch jene Verbrechen dabei, die man dem Pfarrer vorgeworfen hat?« »Ja, und noch ein schwerwiegendes kommt dazu.« »Wie konnte der Pfarrer für deine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden?« »Er wurde nicht zur Rechenschaft gezogen. Er war zu diesem Zeitpunkt schon tot. Ich – und niemand anders sonst – bin als Pfarrer Vittorio Linno im Holzpavillon verbrannt.« Schweigen. »Schwarzer Mönch, wie war es möglich, daß dich die Menschen für den Pfarrer hielten?« »Nichts leichter als das: Ich war sein Zwillingsbruder …!« Ehe Baxter noch etwas sagen konnte, echote die Stimme des unheimlichen Mönchs durch das Gotteshaus: »Meine letzten Kräfte verwende ich dazu, die Wahrheit zu zeigen. Blickt zur Decke empor. Dort soll alles wie ein Film vor euren Augen abrollen …!« * Baxter schaute hoch. Auch Viola und Olga taten das gleiche. Allen dreien wurde plötzlich schwindelig. Und dann war alles vor ihren Augen weiß. Tatsächlich: Wie im Film begann eine längst vergangene Handlung vor ihnen abzurollen. Das Pfarrhaus leuchtete in nächtlichen Blitzen auf. Stürmischer Regen klatschte gegen die Fensterscheiben. In der
Bibliothek saß Pfarrer Vittorio Linno und studierte in alten Büchern. Die Haushälterin hatte sich bereits zur Ruhe begeben. Da klopfte es ungeduldig gegen die Fensterscheiben der Bibliothek. Der Pfarrer blickte erstaunt auf, erhob sich und schritt zum Fenster. Draußen sah er ein Gesicht. Er öffnete und fuhr wie vom Blitz getroffen zurück. Der Pfarrer taumelte zurück: »Ernesto, was tust du hier? Ich glaubte dich in Afrika …?« Ernesto Linno, der Zwillingsbruder von Vittorio Linno, stand vor ihm. Der Pfarrer mußte sich nach diesem Schrecken setzen: »Was führt dich zu mir? Hast du wieder etwas angestellt?« Ernesto lachte gemein. »Ich brauche meinen edlen und guten Bruder. Ich habe in Tunis Mist gebaut. Man will mir die Polizei nachhetzen. Du mußt mich hier einige Zeit verstecken …!« »Das ist unmöglich«, konterte der Pfarrer. »Ich bin hier ein angesehener Mann.« Ernesto richtete sich vor seinem Bruder drohend auf: »So ist das also. Der Herr Pfarrer fühlt sich zu gut, um für seinen Bruder etwas zu riskieren? Schämt sich wohl, der Herr Pfarrer, daß der Bruder Ernesto in Heime aufwuchs, und schon mit 16 Jahren an einem Raubüberfall beteiligt war?« Flehend sagte der Pfarrer: »Ernesto, sei doch vernünftig. Ich gebe dir Geld. Gehe fort von hier.« »Nein, ich bleibe! Halte mich versteckt. Sonst zeige ich mich den Leuten und du bist blamiert …!« Pfarrer Vittorio Linno ging nachdenklich in der Bibliothek auf und ab. Dann drehte er sich zu seinem Bruder um: »Ich habe es mir überlegt. Ich will dir noch eine Chance geben. Ich richte dir auf dem Dachboden eine Absteige ein. Niemand wird dich dort entdecken. Du bekommst Essen und Trinken. Du kannst bleiben solange du willst. Nur – zeige dich niemals
den Leuten.« Ernesto lachte: »Ich hab's ja gewußt, daß du mich nicht im Stich läßt.« Sie richteten gemeinsam in aller Stille, um die Haushälterin nicht zu wecken, die Wohnung auf dem Dachboden her. Dann legte sich Ernesto schlafen. Doch er war nicht zufrieden. Er wollte Geld und damit wieder unter Leute kommen. Er hatte Sehnsucht nach einer jungen schönen Frau. Und er beschloß, alles zu unternehmen, um recht bald aus seinem Dachkerker ausbrechen zu können, ohne gejagt zu werden … Zwei Tage hielt er es in seinem Versteck aus. Dann besprach er sich mit seinem Bruder. Der Pfarrer entschied: »Du mußt auf dem Dachboden bleiben, oder für immer gehen. Ich dulde in meiner Gemeinde keine flüchtigen Verbrecher, auch wenn es sich um meinen eigenen Bruder handelt.« Ernesto ließ den Bruder reden. Einen Tag später träufelte er ihm Schlafpulver in den Wein, zog sich seine Kutte an und ging aus dem Haus. Er ging zu Marielle Farfisa, die er vom Dachboden aus beobachtet hatte, und zwang sie, ihm zu Willen zu sein. Drei Tage später sprach das ganze Dorf davon. Auch dem Pfarrer kam das zu Ohren. Er war verzweifelt, wartete die Nacht ab und stieg auf den Dachboden. »Hoher Besuch!« höhnte Ernesto. Vittorio Linno hatte Tränen der Trauer in den Augen. »Du hast mein Vertrauen mißbraucht. Du hast mein Gewand geschändet und meinen Namen in den Schmutz gezerrt. Morgen wird dich die Polizei zum Richter nach Popoli bringen. Ich schäme mich, daß ich dich zum Bruder habe. Gott möge mir vergeben, daß ich so sprechen muß!« »Ich werde heute nacht das Dorf verlassen!« Da ließ sich der Priester zu den Worten hinreißen: »Du willst
wirklich den Verdacht auf mich sitzen lassen, daß ich Marielle Farfisa etwas angetan habe? Nein, dafür wirst du geradestehen. Ich selbst bringe dich zur Anzeige.« Ernesto spielte den Zerknirschten: »Ich bin einverstanden. Vielleicht ist es gut, daß ich einmal sühnen muß. Doch erfülle mir eine Bitte. Laß uns beide zum Abschied gemeinsam drüben im Pavillon zu Abend essen.« Der Pfarrer war über diesen Wunsch gerührt. Er richtete es so ein, daß die Haushälterin nach Popoli zu ihren Verwandten fuhr. Er richtete selbst im Pavillon das Essen und den Wein her. Ernesto kam vom Dachboden herunter geschlichen. Er setzte sich zu Tisch und versprach dem Bruder, sich selbst der Polizei zu stellen. Vittorio Linno segnete ihn. Und als er vom Tisch wegging, um eine neue Flasche Wein aus dem Keller unter der Falltür zu holen, da schüttete ihm Ernesto das Gift in sein Glas. Der Pfarrer kam zurück. Die beiden Zwillingsbrüder, die einander aufs Haar ähnlich sahen, prosteten sich zu und tranken. Vittorio Linno rang schon nach wenigen Minuten nach Luft. Er wurde blau im Gesicht und rang mit heftigen Schmerzen in der Brust. »Du Mörder! Wenn du einmal tot bist, sollst du lange Jahre keine Ruhe im Jenseits finden …!« Das Glas fiel ihm aus der Hand. Es zerbarst in zahllose Stücke. Der Pfarrer stürzte rücklings zu Boden und blieb mit starren Augen liegen. Ernesto sprang herzu und überzeugte sich, ob sein Bruder wirklich tot war. Dann lächelte er zufrieden vor sich hin: »Das Gift hat schnell gewirkt.« In aller Eile holte er sämtliche Weinflaschen aus dem Kellerversteck und zwängte die Leiche des Bruders hinein. In seinem Übermut drückte er dem Toten das Gebetbuch in die
Hand, das neben Vittorio auf dem Tisch gelegen hatte. Dann holte Ernesto Hammer und Nägel und verschloß die Falltür für immer. Die Weinflaschen versteckte er. Die Tür zum Dachboden sperrte er ab. Niemand sollte erfahren, daß er hier heimlich gewohnt hatte. Niemand sollte erfahren, daß der Pfarrer einen Zwillingsbruder hatte. Denn Ernesto hatte die feste Absicht, als Pfarrer Vittorio Linno in San Anario aufzutreten. Er wußte genau: Niemand würde den Schwindel entdecken, denn es gab kaum auf der Welt zwei Menschen, die einander so ähnlich sahen wie Ernesto und Vittorio. Der erste Versuch gab Ernesto recht: Die Haushälterin, der Bürgermeister, der Polizeichef: Sie hegten nicht den geringsten Verdacht. Ernesto beschloß in San Anario zu bleiben. Seine Rechnung ging nicht auf. Er vergaß seine Schwächen und Fehler. Als Pfarrer geriet er jedoch neuerlich auf die schiefe Bahn. Beinahe hätte ihm der gute Ruf des ermordeten Bruders noch aus dieser Lage geholfen. Doch die Bewohner von San Anario entschieden sich für die Lynchjustiz … * Ein Keuchen und Röcheln riß Baxter und seine Mitarbeiterinnen aus ihren Illusionen. Sie hatten die Tragödie des Pfarrers Vittorio Linno und das Verbrechen seines Bruders Ernesto genau miterlebt. Vieles war ihnen nun klar, was früher voller Rätsel schien. Nun lag der Schwarze Mönch wie ein Bündel Elend auf dem Boden: ein Skelett, umgeben von einer alten Kutte. Der Totenschädel, den es zuerst nicht in der Kapuze gegeben hatte, hob sich und richtete sich zu Baxter auf. Seufzend
erklang eine Stimme: »Das ist meine Geschichte. Ich spielte nach dem Mord an meinem Bruder den Pfarrer. Mariella Farfisa hatte ich aus Lust bezwungen. Die Haushälterin verprügelte ich, weil sie auf den Dachboden wollte. Ich aber mußte verhindern, daß sie mein Versteck sah und Verdacht schöpfte. Die Banknoten stahl ich dem Bankdirektor Londola, weil ich Geld brauchte. Aus demselben Grund verkaufte ich die goldene Monstranz. Als die Geschehnisse bekannt wurden, gab es Anzeigen bei der Polizei. Ich konnte mich aber glaubhaft verteidigen. Ich war ja in aller Augen der unantastbare Vittorio Linno. Darum kam die Kirche auch gar nicht auf die Idee, an meine Schuld zu glauben. Auch die Polizei legte den Akt beiseite. Nur ein paar Bewohner von San Anario fühlten instinktiv, daß da etwas nicht stimmte. Sie kannten keine Gnade und verbrannten mich in dem Pavillon.« Langsam und kraftlos hoben sich die Arme des Schwarzen Mönchs. Kaum hörbar stammelte die Gestalt: »Ich hoffte, daß niemals jemand die Leiche meines Bruders finden würde. Sein Fluch hat meinen Tod und mein Sein nach dem Leben belastet. Ich wurde zum Schwarzen Mönch und mußte weiter morden. Baxter, du hast mich bezwungen und gerettet. Ich glaube, daß meine Seele jetzt Ruhe finden kann …« Der Schwarze Mönch zerfiel in Staub. Dieser wurde von einem Windstoß aus der Kirche in die Lüfte davongetragen. Baxter sah empor. Dann schritt er langsam zu jener Stelle in der Kirche, wo er den Schwarzen Mönch für die letzte Aussprache gebannt hatte. Im Steinboden war eine kleine Vertiefung. Ein Beweis, mit welcher Energie die Erscheinung bei seiner Selbstanklage gerungen hatte … * Bürgermeister Ottavio Falanga hatte seinen schönsten Anzug
angezogen. Sämtliche Bewohner von San Anario standen auf dem Dorfplatz versammelt. Inmitten einer Rasenfläche erhob sich eine Steinfigur unter einem weißen Tuch. Der Bürgermeister las seine Rede vor einem Pult von einem Stück Papier ab und schloß dann: »Hiermit übergebe ich das Denkmal der Öffentlichkeit. Wir wollen damit das Unrecht bekennen, das wir unserem geliebten und verehrten Pfarrer angetan haben, der durch grausame Mörderhand starb. Das Denkmal soll eine Mahnung sein und eine ständige Erinnerung an einen Diener Gottes, der immer sein Bestes für uns wollte und so ein unwürdiges Ende finden mußte!« Ottavio Falanga verneigte sich. Dann trat er zur Seite und zog das weiße Tuch herab. In Lebensgröße strahlte in weißem Stein die Figur von Vittorio Linno. Die Frauen und Männer knieten nieder und stimmten Gebete an. Viola beugte sich zu Joe und flüsterte: »Wenn man bedenkt, daß es noch so eine Ausgabe gab, die genauso aussah und in moralischer Hinsicht das gerade Gegenteil leistete, so könnte einem die Lust am Dasein vergehen …!« Joe nahm Viola am Arm und zog sie von der Feierlichkeit weg. Olga kam hintennach. Sie lenkten ihre Schritte zur Fremdenpension. Joe seufzte erleichtert: »Wir haben unser Versprechen dem Bürgermeister gegenüber eingelöst. Wir sind bis zur Enthüllung der Statue geblieben. Jetzt aber ist es Zeit, daß wir die Koffer packen und Italien verlassen …!« Olga Dussowa sah Baxter neugierig an: »Wissen wir schon, wo wir hin müssen?« Er schüttelte den Kopf: »Wir fliegen von Rom aus nach Paris und machen vor unserem Chef wieder einmal einen höflichen Knicks. Kann nie schaden.«
Sie stiegen die Treppe zu ihren Zimmern hoch. Baxter ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen und pries sich glücklich, daß der Fall des Schwarzen Mönchs gelöst war. Dr. Leon Duvaleux sendete seinem Hauptkommissar neue Nachrichten. Baxter meldete sich sofort. »Schön, Baxter. Ich gratuliere zu dem jüngsten Erfolg. War eine verdammt harte Nuß.« Dr. Duvaleux freute sich merklich. Baxter fragte: »War das alles? Oder gibt es schon wieder einen neuen Auftrag.« Dr. Duvaleux lächelte: »Sie sind verdammt hellhörig, mein Lieber. Haben Sie heute schon die Tageszeitungen gelesen?« Baxter verneinte: »In San Anario ist man froh, wenn einmal in der Woche Neuigkeiten eintrudeln.« Duvaleux berichtete: »In den letzten zwei Tagen sind an verschiedenen Orten Europas grauenhafte Verbrechen geschehen. Sie tragen alle die Handschrift berühmter Gangster …!« Baxter konterte: »Dann ist ja alles in Ordnung. Kein Fall für uns. Die reguläre Polizei muß diese berühmten Gangster aufspüren und hinter Schloß und Riegel bringen …!« »Leider ist der Fall anders gelagert, Baxter. Kommen Sie sofort nach Paris zu einer Besprechung. Diese Sache wird Ihre nächste Aufgabe. All die berüchtigten und berühmten Verbrecher, die für diese aufsehenerregenden Coups verantwortlich gemacht werden, sind nämlich seit vielen Jahren mausetot. Ich freue mich, Sie in meinem Büro zu sehen. Selbstverständlich mit Viola und Olga. An die Arbeit, meine Herrschaften …!« ENDE
Vorschau Mordende Seelen von Henry Ghost Die Welt hält den Atem an. An verschiedenen Orten geschehen aufsehenerregende Verbrechen: In Paris schlägt ein Frauenwürger zu, in London werden bei einem Banküberfall zahlreiche Menschen getötet, in Rom sterben sämtliche Insassen eines Krankenhauses an Giftgas, auf dem Flughafen Paris-Orly sterben die Passagiere einer ganzen Maschine im Kugelhagel eines Schießwütigen. Die Polizei stellt an Hand von Fingerabdrücken bei allen Verbrechen einwandfrei den Täter fest. Es handelt sich jedesmal um einen Kriminellen, der bereits seit Jahren verstorben ist. Während ein Verbrechen das andere jagt, meldet sich aus der jenseitigen Welt der Dämon Jamarinon. Er stellt den Staaten der Welt ein Ultimatum. Sie sollen sich ihm unterwerfen. Wenn nicht, läßt er weiter morden. Denn er hat die Wesenheiten aller großen Verbrecher in seiner Macht und auf Abruf für neue Taten. Joe Baxter, Olga Dussowa und Viola Oggi werden beauftragt, die bedrohliche Krise von der Welt abzuwenden, Jamarinon zu entmachten und seinen Mittelsmann auf Erden zu entlarven. Alle drei Mitarbeiter des Parapsycholgic-Departments gehen dabei am Rand ihres Grabes spazieren. Olga Dussowa muß tatsächlich sterben. Joe Baxter riskiert mit einem parapsychologischen und einem medizinischen Sensationsexperiment sein Leben und rettet die Menschheit im letzten Augenblick vor einer vernichtenden Katastrophe …